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Full text of "Emanuel d'Astorga"

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AKTES SCIENTIA VERIT4S 



Emanuel d'Astorga 



von 



HANS VOLKMANN 



Erster Band: 



Das Leben des Tondichters 




LEIPZIG 

Druck und Verlag von Breitkopf ® Härtel 

1911 ♦ 



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CX>PyiUOHT 1910 By BRBrnCOPP 'X> hartel -lbipzio 



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Inhaltsverzeichnis. 
Erster Teil. 

Astorsas Leben. 

• Seite 

Einleitung 1 

I. Kapitel: Grundlagen der Biographie 6 

II. Kapitel: Die Vorfahren 25 

III. Kapitel: Heimat und Jugendjahre (1680—1708) 41 

IV. Kapitel: War Astorga 1709 in Barcelona? 62 

V. Kapitel: Wien, Znaim, London (1712—1717) 78 

VI. Kapitel: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang (1717 — 

ca. 1750) 102 

Zweiter Teil. 

Revue und Kritik der Astorga-Llteratur. 

Einleitung 126 

I. Kapitel: Die Älteste Astorga-Literatur 129 

II. Kapitel: Rochlitz' Astorga-Roman 142 

III. Kapitel: Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung 163 

IV. Kapitel: Qirolamo und Giuseppe Capece (Historischer Exkurs) . . 182 

V. Kapitel: Die Astorga-Literatur der jüngsten Zeit 197 

Alphabetisches Register 210 



sse 



G ^ ^ o ) 



Erster Teil. 

Astorgas Leben. 

Einleitung. 

Franz Grillparzer schrieb, als er einer Aufführung von 
Astorgas Stabat Mater beigewohnt hatte, unterm 
12. März 1834 in sein Tagebuch: »Seit lange nicht so im Innersten 
ergriffen gewesen. Was haben für Männer gelebt, wenn ein solcher 
kaum dem Namen nach mehr bekannt sein kann.«^ 

Auch heute noch vermag Astorgas Hauptwerk, das Stabat Mater, 
die tiefgehendste Wirkung auf den Hörer auszuüben. Es bildet 
unter den Kirchenkompositionen der italienischen Schule des be- 
ginnenden 18. Jahrhunderts eine Einzelerscheinung, welche die 
verwandten Schöpfungen dieser Epoche an religiöser Innigkeit, an 
Ernst der Auffassung des Gegenstandes und herber Kraft des 
Stimmungsausdruckes bei weitem überbietet, ohne deshalb der sinn- 
lichen Schönheit, die den meisten italienischen Werken jener Zeit 
eigen ist, zu ermangeln. Diese Vorzüge weisen der Vertonung des 
Stabat Mater durch Astorga unter den zahlreichen Kompositionen 
dieses kirchlichen Textes einen Ehrenplatz an. 

Das Stabat Mater gründete Astorgas Ruhm bei der Nachwelt. 
Zu des Meisters Lebzeiten dürften es nur wenige gekannt haben. 
Und dennoch war auch schon damals Astorga ein Komponisteo- 
name von gutem Klang. Jedermann kannte ihn als den des großen 
Meisters der Kammerkantate. Auf diesem Gebiete hatte sich 
Astorga fleißig und mit Glück betätigt, so daß er als Kantaten- 



^Qrillparzers Briefe und Tagebücher. Herausgeg. von 
C. 1 s s y und A. S a u e r , Stuttgart und Berlin o. J. Bd. II, S. 122. 

Volkmann, Astorga. I. 1 



1. Teil: Astorgas Leben. 



Komponist nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa in hohem 
Ansehen stand. Dieser Ruhm mußte mit dem Verschwinden d^r 
Kunstgattung der Kammerkantate wieder erlöschen. 

Astorga hat nicht nur als weltlicher Komponist den Besten 
seiner Zeit genug getan, sondern auch als kirchlicher Tondichter 
Unvergängliches geschaffen. Er verdient daher, daß auch von 
seiner Person und seinen Lebensschicksalen Notiz genommen werde, 
er verdient, daß der Wust von Lügen und Märchen, der sich mit 
der Zeit um seine Erscheinung aufgetürmt hat, entfernt, daß das 
romantisch-phantastische Bild seiner Persönlichkeit durch ein histo- 
risch treues ersetzt werde. 

Das sind die Aufgaben, die in den folgenden Blättern gelöst 
werden sollen. Mit der Darstellung seines Lebens eine auf Analysen 
der einzelnen Werke gestützte Charakteristik seiner Kunst zu ver- 
knüpfen, empfiehlt sich zur Zeit aus verschiedenen Gründen nicht. 
Erstens müssen wir, um ein klares Bild vom Leben des Meisters 
zu gewinnen, alle Dinge fernhalten, welche den Überblick über 
den biographischen Stoff beeinträchtigen könnten. Sodann 
würde jetzt die Aufstöberung der über ganz Europa verstreuten 
Kompositionen des Meisters noch mit großen Schwierigkeiten ver- 
bunden sein, während sie in späterer Zeit durch den thematischen 
Katalog der Werke Astorgas, den Alfred Wotquenne in Brüssel 
vorbereitet, wesentlich erleichtert werden wird. Wir beschränken uns 
also im vorliegenden Bande auf das Leben des Tondichters. Die 
Würdigung seiner Kunst, verbunden mit charakteristischen Bei- 
spielen aus seinen Werken, wird später als zweiter Band unsrer 
Astorga-Studien nachfolgen. 

An keinen andern Namen in der Musikgeschichte knüpfen 
sich so viele Sagen und Märchen wie an den Astorgas. Die 
Chronisten des 18. Jahrhunderts liebten in ihre Berichte über be- 
rühmte Künstler Anekdoten einzuflechten, die sich oft bei näherer 
Prüfung als unwahr erweisen. Harmlos und geringfügig erscheinen 
solche poetische Ausschmückungen neben dem Lügengebäude, das 
die Gestalt des Meisters Astorga umfängt. Und dieses Lügenge- 
bäude, das in seiner Kühnheit an ähnliche in der Geschichte der 
Päpste im Mittelalter erinnert, ist nicht etwa von Astorgas Zeit- 



Einleitung. 



genossen oder der unmittelbar auf ihn folgenden Generation errichtet 
worden; — das sonst so lichtvolle, wahrheitsfreudige 19. Jahrhundert 
hat das dunkle Werk der Unwahrheit begonnen und im wesentlichen 
vollendet. 

Der Schriftsteller Friedrich Rochlitz hat im Jahre 1825 den 
Grund dazu gelegt. Er erzählte einen frei erfundenen Schauerroman 
über Astorgas Herkunft und Jugend. Andere Schriftsteller er- 
gänzten Rochlitz' Geschichten, lustig weiter fabulierend, während 
wieder andere, was schlimmer war, ernste Forschungen auf jene 
Phantastereien gründeten. Durch sie wurden ganz fremde Ele- 
mente mit Astorga verquickt und aus diesen wieder Schlüsse ge- 
zogen, welche die guten alten Quellen aus dem 18. Jah'rhundert Lügen 
straften. Die Widersprüche wurden totgeschwiegen oder gewalt- 
sam aus der Welt geschafft. Den wenigen authentischen Astorga- 
Nachrichten, die in der Flut der falschen während des 19. Jahr- 
hunderts auftauchten, wird ihr Wert niemals abgesprochen werden. 

Unter den neueren Nachschlagewerken enthält die 1 904 erschienene 
zweite Auflage von G. Groves Dictionary of Music and Mu- 
sicians die ausführlichste Darstellung vom Leben Astorgas. Der 
von dem ausgezeichneten Haydnforscher C. F. Pohl für die erste 
Auflage des Lexikons (1879) verfaßte Artikel hat bei Bearbeitung 
der zweiten Auflage nur geringe Abänderungen erfahren. Gewissen- 
haft werden darin sämtliche alten und neuen Nachrichten über 
Astorga berücksichtigt. Nehmen wir Pohl-Grove als Führer, um 
das Leben des Meisters, wie es bis heute gemeinhin erzählt wurde, 
2u verfolgen. Wir stellen in unserm Auszug den Wortlaut der 
deutschen Quellen wieder her: 

Emanuel Baron d'Astorga wurde aml I.Dezember 1681 
zu Neapel geboren. Sein Vater war einMarcheseCapece 
da Rofrano, ein Häuptling wüster Söldnertruppen, der an 
der unglücklichen Empörung gegen die spanische Herrschaft 
teilnahm und mit verschiedenen vornehmen^ Sizilianem im 
Jahre 1701 auf dem Schafott endete. Mutter und Sohn mußten 
seine Hinrichtung mit ansehen: jene starb unter Zuckungen 
des Entsetzens, dieser verfiel in einen Zustand dumpfer Be- 

1* 



1. Teil: Astorgas Leben. 



wußtlosigkeit. Nach einiger Zeit kam das Gerücht davon 
zu den Ohren der Prinzessin Ursini, der Oberhofmeisterin am 
Hofe Philipps V. zu Madrid. Sie nahm sich des Verwaisten 
an und ließ ihn in das Kloster zu Astorga in Spanien bringen. 
Dort vollendete er seine musikalische Ausbildung, die er wohl 
unter Francesco Scarlatti in Palermo begonnen hatte. 
Als er nach einiger Zeit aus dem Kloster in die Welt zurück* 
kehrte, erwirkte ihm seine Gönnerin den vom Namen seines 
Asyls abgeleiteten Titel »Baron d' Astorga«. Im Jahre 1704 
ging er mit einer diplomatischen Mission an den Hof von 
Parma. Dort kam er bald in Gunst, wozu ihm sowohl seine 
Persönlichkeit, wie auch seine Künstlerschaft verhalf. Denn 
er war ein schöner Mann, komponierte mit Leichtigkeit und 
Geschick und sang seine Kompositionen selbst mit Gefühl und 
technischer Vollendung. Die Rückkehr nach Spanien ver- 
säumte er über einem geheimen Liebeshandel, in den er sich 
mit der Nichte des Herzogs, Elisabeth Famese, verwickelt 
hatte. Aber das Verhältnis, das dem ähnelt, das Goethe im 
Tasso zeichnet, wurde vom Herzog, der es alsbald durchblickte, 
zerstört. Er entsandte Astorga Anfang 1705 mit einer Emp- 
fehlung an den Hof Leopolds I. nach Wien. Der alte Kaiser 
wandte ihm seine volle Sympathie zu, sein Tod verhinderte 
jedoch eine tatkräftige Unterstützung Astorgas von seiner 
Seite. Während der Regierung Josephs I. und Karls VI. 
hielt er sich auch zeitweise in Wien auf. Er führte dann viele 
Jahre lang ein romantisches Abenteurer- und Reiseleben, in 
dessen Verlauf er Spanien, Portugal, England und Italien be- 
suchte. Nur sein Vaterland, für ihn den Schauplatz des Ent- 
setzens, vermied er. Im Jahre lyog wurde am Hofe Karls III. 
zu Barcelona seine dort von ihm komponierte Oper nDafniut 
zur Aufführung gebracht. Bei einem Besuche von Madrid 
erwarb er sich die Freundschaft der lange von ihm vernach- 
lässigte!) Gönnerin seiner Jugendjahre von neuem. Am 
9. Mai iyi2 stand Astorga bei der Tochter seines Freundes 
Caldara in Wien Pate. 1713 wurde in Oxford das von ihm 
vermutlich für die Academy of Ancient Music in London 



Einleitung. 



komponierte Stabat Mater aufgeführt. Vorübergehend erschien 
er wieder 1720 in Wien. Schließlich zog er sich nach Böhmen 
zurück, wo er am 12. August 1736 im Schlosse Raudnitz starb, 
das ihm von dessen Eigentümer eingeräumt worden war. 

In dieser Vita sind nur die kursiv gedruckten Stellen 
erwiesene Tatsachen. Alles übrige ist Erfindung, Irrtum oder vage 
Vermutung. 

Um ein der Wahrheit entsprechendes Lebensbild Astorgas zu 
gewinnen, müssen alle Nachrichten von der frühesten bis auf die 
jüngste Zeit hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit geprüft werden, und 
nur die, welche sich in dieser Prüfung bewähren, dürfen als Material 
zu der Lebensgeschichte verwendet werden. Dieses Vorgehen hat aber, 
wenn man nur die bisher bekannten Quellen benutzt, von Rochlitz' 
Periode ab einen so gewaltigen Ausfall an Stoff zur Folge, daß man 
eine gar magere Biographie des Meisters erhalten würde, nur wenig 
umfangreicher, als der Astorga- Artikel in Gerbers„Neuem Lexikon 
der Tonkünstler« (181*2) ist. Diese wenig verlockende Aussicht mag 
unter anderen ein Grund dafür gewesen sein, daß die Lebens- 
geschichte Astorgas bisher keinen kritischen Bearbeiter gefunden hat. 
Die wenigen Autoren, die Ansätze zu einer kritischen Behandlung 
des Stoffes machten, suchten aus Stoff mangel schließlich doch wieder 
ihr Heil in Rochlitz* Märchen. Da aber meine mehrjährigen For- 
schungen eine Menge bisher völlig unbekannte authentische Nach- 
richten über den Meister ergeben haben, so verspricht die Bearbei- 
tung des vorhandenen Materials selbst unter Aufgabe aller Phanta- 
stereien eine wenn auch nicht lückenlose, so doch detailreiche 
Lebensgeschichte. 

Ich werde also unter Ausschaltung aller romantischen Fiktionen 
die Biographie Astorgas auf neuen Grundlagen selbständig aufbauen. 
Diesem ersten Teile möge im zweiten eine Revue und Kritik der 
gesamten Astorga-Literatur folgen. Unsre wichtigste Aufg^e in 
diesem zweiten Teile wird die sein, die Entstehung der einzelnen 
Astorga-Mythen zu erklären. Dadurch werden die Widersprüche 
zwischen den älteren Nachrichten und meinen Mitteilungen ihre 
Lösung finden. 



1. Teil: Astorgas Leben. 



L Kapitel. 

Grundlagen der Biographie. 

Unsre Forschungen gehen von einem Schriftstück aus, in dem 
Astorga einige selbstbiographische Andeutungen gibt. Es ist Titel 
und Vorrede einer Kantatensammlung von ihm. Diese erschien 
im Jahre 1726 in Lissabon im Druck. Aller Text in dieser Ausgabe 
steht in zwei Sprachen : in spanischer (kastilischer) und italienischer. 
Das Kantatenheft umfaßt 104 Seiten in Quer-Folio und weist durch- 
weg sauberen, klaren Druck auf. Dieses Heft gehört heute zu den 
größten bibliographischen Seltenheiten. Mir ist nur ein einziges 
Exemplar davon bekannt: das in der Bibliothek des Liceo Musical e 
zu Bologna. Die erste Erwähnung dieses Heftes findet sich im 
dritten Bande des »Catalogo della Biblioteca del Liceo Musi- 
cale di Bologna, compilato da Gaetano Gaspari, compiuto... 
da Luigi Torchi«, wo S. 195 die italienische Fassung des Titels, 
der Vorrede und der Anfänge der einzelnen Kantaten abgedruckt 
ist. Seit 1893 — denn damals erschien jener Katalog — , ist also 
bereits ein gedruckter Hinweis auf jene biographische Quelle vor- 
handen. Er blieb aber unbeachtet, und selbst R. Eitner druckte 
im Quellenlexikon nur den aufs äußerste gekürzten Titel und die 
Anfänge der Kantatentexte ab, ohne für seine Vita des Künstlers 
historische Folgerungen aus Titel und Vorrede zu ziehen. 

Der Titel des Heftes sei in beiden Sprachen wiedergegeben. 
Linke Seite: 

CANTADAS 

HUMANAS A SOLO 

De 

DON MANUEL 

BARON DE ASTORGA 

DEL ALLASTRO, MILLAINA, V 

Mortilletto: de la Orden Senatoria de Palermo, y Feudatario del Reyno de Sicllia. 

LISBOA OCCIDENTAL, 

EN LA IMPRENTA DE MUSICA. MDCCXXVI 
Con licencia de los Superiores, y Privileglo. 



-- — I 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 



Rechte Seite: 

CANTATE 

DA CAMERA A VOCE SOLA 

Di 

DON EMANUELLO 

BARON D^ASTORGA 

DELL' AGLIASTRO, MILLAINA, E 
Mortilletto: deir Ordine Senatorio di Palermo, e Feudatario del Regno de Sicilia. 

IN LISBONA OCCIDENTALE, 

NELLA STAMPERIA MUSICALE. MDCCXXVL 

Con licenza de' Superiori e Privilegio. 

Es folge gleich die Vorrede, und zwar in italienischer Fassung. 
Da die spanische eine genaue Übersetzung davon ist, möge sie weg- 
bleiben. Nur an ein paar Stellen, wo es die Wichtigkeit des Inhalts, 
bzw. die Klarstellung des Sinnes erheischt, seien die entsprechenden 
Partien des spanischen Textes in Fußnoten hinzugefügt. 

Prefazione. 

Ancorche la Musica, non men che tutte Taltre scienze, 
sia, per quel che riguarda il suo principale oggetto, sempre 
la medesima in qualsivoglia paese; non dimeno si osserva 
che, per la diversitä del metodo con cui vien trattata, o 
per la varietä de'genij di coloro, che la professano, ella da 
un clima air altro differisce notabilmente. E senza parlare 
di que' popoli barbari, e a noi remoti, i quali con certe strane 
modulazioni di suono formano i loro musicali concerti, che 
al nostro gusto sembrano un puro frastuono, anche tra le 
nazioni piü culte della nostra Europa, quel che a gli uni pare 
un artificioso composto di perfetta armonia, riesce a gli altri 
una strepitosa e spiacevole dissonanza. Chi di loro s'abbia 
ragione, io nol soi, ma so bene che i migliori Autori che 
di questa scienza hanno scritto, riducendo alla pratica d'una 



^ Spanisch: yo no lo s6. 



8 .1. Teil: Astorgas Leben. 

ben ordinata melodia le regole puramente teoriche degli an« 
tichi scrittori, sono, o Spagnuoli, o Italiani. E puö ben dirsi, 
che i componimenti Musical! che in Italia & in Ispagna da 
un secolo in qua sono stati pubblicati, sembrano per cosl dire 
formati su Tistesso modello. Ma come che nello stile che gli 
Autori di queste due nazioni hanno usato in composizioni 
gravi, e da Chiesa, si trovi una perfetta somiglianza; ella 
certamente tale non si ravvisa (che che ne sia la cagione) 
in quelle altre, che per la Camera o per lo teatro son 
destinate. II perch^ mi h caduto in pensiero di conciliare, 
se fia possibile, una tal discordanza: movendomi a ciö 
fare, & il genio che fin da' miei primi anni mi indusse 
ad imparare per mio diletto questa scienza, e V Interesse 
che per impulso della natura io prendo per ambe le 
nazioni: riconoscendo per Patria non sol T Italia ove io 
ebbi il mio nascimento, ma anco la Spagna, ove Tebbero i 
miei maggiorii. 

Per mettere in opera questo disegno, e darne un saggio 
che regga alla prova deir esperienza, ho composto queste 
Cantate, adattando la Musica alle parole di esse Spagnuole, 
6t Italiane con quella maggior proprietä che parmi che si 
convenga per la naturale espressione de' concetti; di modo 
che, se ben le une siano traduzione delle altre, si uniscano 
nondimeno si fattamente con la Musica, che Tune e Taltre 
abbino per se stesse un' aria d'originale. 

Per giudicare adunque se nel fine propostomi io mi sia 
apposto, bisogna intendere perfettamente le due lingue, Ca- 
stigliana & Italiana: conoscere bene la differenza delle frasi 
proprie a ciascheduna di esse, & avere il gusto assuefatto 
alla Musica di ambe le nazioni. A chi mancasse qualche- 
duna di queste condizioni, assai disagevoie sarebbe il com- 
prendere la difficoltä di questa impresa; e non meno difficile 
il giudicarne con adequato discernimento. 



^ Spanisch: reconociendo por Patria no solo la Italia, donde tuve mi 
nacimiento, sino la Espaüa, donde le tuvieron mis predecessores. 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 



Zu deutsch: 

Vorrede. 

Obschon die Musik, nicht weniger als alle anderen Wissen- 
schaften, hinsichtlich ihres Hauptzweckes stets und überall 
dieselbe ist, so bemerkt man doch, daß sie entweder durch 
die Verschiedenheit der Methode, mit der sie getrieben wird, 
oder durch die Mannigfaltigkeit der Charaktere jener, die sie 
ausüben, in den verschiedenen Himmelsstrichen merklich 
verschieden ist. Und ohne von jenen fernen Barbarenvölkern 
zu reden, deren musikalische Aufführungen aus gewissen 
fremdartigen Tonverbindungen bestehen, die für unsem 
Geschmack als ein wahrer Höllenlärm erscheinen, — auch 
unter den gebildeteren Nationen Europas erscheint den einen 
als ein vollkommen harmonisches Kunstwerk, was für die 
anderen eine geräuschvolle, häßliche Dissonanz bedeutet. 
Wer von ihnen recht hat, weiß ich nicht, aber soviel weiß ich, 
daß die besten Autoren, welche sich in dieser Wissenschaft 
betätigt haben, indem sie die theoretischen Regeln der alten 
Schriftsteller auf die Ausgestaltung einer gut angelegten 
Melodie anwandten, entweder Spanier oder Italiener sind. 
Und man kann wohl sagen, daß die Kompositionen, die 
in Italien und Spanien in den letzten hundert Jahren in die 
Öffentlichkeit gelangt sind, alle gleichsam nach ein- und 
demselben Modell gearbeitet zu sein scheinen. Aber wenn 
in dem Stil, den die Autoren dieser zwei Nationen in 
ernsten und kirchlichen Kompositionen angewandt haben, 
vollkommene Gleichheit herrscht, so macht sie sich ( — was 
auch der Grund davon sei — ) in jenen anderen sicher nicht 
bemerkbar, welche für die Kammer oder das Theater bestimmt 
sind. Deshalb kam es mir in den Sinn, wenn es möglich ist, 
eine solche Ungleichheit auszugleichen: Zu diesem Versuch 
bewog mich sowohl der Hang, der mich seit meinen ersten 
Lebensjahren antrieb, zu meinem Vergnügen diese Wissen- 
schaft zu erlernen, als auch die Teilnahme, die ich aus dem 
Triebe der Natur für beide Nationen hege: Denn ich erkenne 



10 1. Teil: Astorgas Leben. 

als Vaterland nicht nur Italien an, wo ich geboren wurde, 
sondern auch Spanien, woher meine Vorfahren stammten. 

Um diesen Vorsatz auszuführen und gleich ein praktisches 
Beispiel zu geben, habe ich diese Kantaten komponiert. Ich 
habe die Musik ihren spanischen und italienischen Texten 
angepaßt, und zwar mit jener höheren Eigentümlichkeit, 
welche sich meinem Empfinden nach für den natürlichen 
Ausdruck der Gedanken eignet. Ich gestaltete sie so, daß, 
obschon die einen die Übersetzungen der anderen sind, sie 
doch auch derart mit der Musik übereinstimmen, daß jede 
für sich als eine Originalkomposition erscheint. 

Um zu entscheiden, ob ich das mir gesteckte Ziel erreicht 
habe, bedarf es freilich der genauen Kenntnis beider Spra- 
chen: des Kastilischen und des Italienischen. Man muß den 
Unterschied in der Ausdrucksweise bei beiden kennen, und 
seinen Geschmack an die Musik beider Nationen gewöhnt 
haben. Der, bei dem irgend eine dieser Bedingungen nicht 
erfüllt ist, würde wohl kaum die Schwierigkeit dieses Be- 
ginnens verstehen; aber auch mit angemessener Urteilsfähig- 
keit ist es noch schwer, darüber ein Urteil zu fällen. 

Ohne auf die musikalisch-stilistischen Erörterungen einzugehen, 
welche dieses interessante Schriftstück enthält, suchen wir uns so- 
fort der darin befindlichen biographischen Elemente zu bemächtigen. 

Mit besonderer Wichtigkeit verkündet Astorga in der Vor- 
rede, daß seine Vorfahren Spanier waren, er selbst aber 
»in Italien« geboren sei. Daß er mit beiden Nationen inner- 
lich verwachsen ist, das bekundet auch seine vollkommene Be- 
herrschung ihrer Sprachen bis in die kleinsten Feinheiten hinein. 
Man bezeichnet Astorga gemeinhin als einen Sohn Siziliens oder 
Neapels. Keine von beiden Angaben widerspricht dem, was der 
Meister über sein Vaterland sagt. In beiden Königreichen lebten 
schon lange vor Astorgas Zeit zahlreiche unter dem dort herrschenden 
spanischen Regiment eingewanderte Spanier. Wir werden bald ein 
Argument gewinnen, das entscheidet, ob Sizilien oder Neapel des 
Meisters Heimat war. Zunächst aber sei aus Astorgas Publikation 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 11 

noch ein Schluß über seine Ahnen gezogen. Er bedient sich in ihr 
der italienischen und kastilischen Sprache und bezeichnet die 
letztere ausdrücklich neben der italienischen als sein Idiom. Seine 
Vorfahren, von denen er diese Sprache ererbt hatte, waren also 
Kastilier oder doch Westspanier; sie stammten nicht aus den 
östlichen Provinzen Spaniens, wo die von der kastilischen wesent- 
lich verschiedene katalonische Sprache gesprochen wird. 

Der Meister erzählt des weiteren in der Vorrede, wie früh er sich 
bereits der Musik zugewandt habe. Von seinen ersten Lebensjahren 
an erlernte er sie zu »seinem Vergnügen «. Kräftige Begabung und 
ein leidenschaftlicher Hang zur Musik veranlaßten ihn, sich bereits, 
als Kind dem Studium der Musik zu weihen, ohne daß er dabei den 
Zweck ins Auge gefaßt hätte, mit dieser Kunst einen Lebensberuf 
zu ergreifen. Das letztere hätte sich, wie wir bald sehen werden, 
nicht mit seinem Stand und Namen vertragen. Er übte die 
Musik als idealen Zeitvertreib, aber gleichwohl mit dem Ernste 
und der Ausdauer des Berufskünstlers. Er war ein Dilettant in 
jenem guten Sinne, wie ihn das Wort heute bei uns nicht mehr 
hat. Das 17. und 18. Jahrhundert weist Männer genug auf, 
welche die Musik nur aus Liebhaberei trieben und trotzdem Bedeu- 
tendes leisteten. Es sei nur an die zahlreichen Mitglieder des deut* 
sehen Kaiserhauses erinnert, die es in der Musik mit Meistern von 
Fach aufnehmen konnten. Sie alle rechneten es sich zur Ehre an, 
»Dilettanti « zu sein. Ein solcher Dilettant war auch Astorga. 

Astorga verband mit einer ansehnlichen Summe tonsetzerischen 
Könnens auch eine Fülle theoretischer und musikliterarischer Kennt- 
nisse. Die gesamte einschlägige Literatur seiner wie der früheren 
Zeit war ihm wohl vertraut Diese Kenntnisse und das ihm eigene 
scharfe Urteil befähigten ihn dazu, über seine Kunst zu reflektieren. 
Seine Gedanken über Stile und Gattungen der Musik in der Kan- 
tatenvorrede sind eine Probe davon. Daß er die Musik durchweg 
als »Wissenschaft« und nicht als Kunst bezeichnet, entspricht der 
allgemeinen Anschauung seiner Zeit^. 

^ Die Auffassung der Musik als Wissenschaft wurde von den Theoretikern 
jener Zeit eifrig erörtert. Eine reiche Literatur entstand darüber. Es sei z. B. 
erinnert anAngelo Berardis »Aggiunta alli . . . ragionamenti musicali, 



12 1. Teil: Astorgas Lebeth 

Aus unsrer Quelle ergibt sich ferner die Bestätigung der alten 
Nachricht, daß Astorga ausgedehnte Reisen unternommen hat. 
Denn wenn er die Mjusik der »gebildeteren « Völker Europas und die 
seiner Landsleute in Vergleich zieht, so geschieht das gewiß auf 
Grund eigener Erfahrung, die er bei seinem Aufenthalt in den ver- 
schiedenen Ländern Europas gesammelt hat. Daß die weiten Reisen 
auch seine allgemeinen Kenntnisse bedeutend bereicherten, liegt 
auf der Hand. Astorga war ein Mann von Welt, er verfügte über 
vielseitige Bildung und besaß Scharfsinn und Geschmack. 

Das lehrt uns die Vorrede seiner Kantaten. Weitere Auf- 
schlüsse gibt deren Titel. 

Auf diesem fällt sogleich ins Auge, daß der Komponist nicht nur 
Baron von Astorga war, sondern auch von Agliastro, Millaina 
und Mortilletto. Nicht minder neu als diese Einzelheiten ist die 
Tatsache, daß Astorga auch Lehensherr des Königreichs Sizi- 
lien war, — »Feudatario del Regno di Siciiia«. In Sizilien lagen 



nella quäle si prova, che la musica ^ vera, e reale scienza«, Bologna 1681. — 
Mattheson im »Forschenden Orchestre« (Hamburg 1721, 
S. 215ff., u. 385ff.) behandelt das Thema sehr ausführlich. Nach Hinweisen 
auf Aristoteles, Zarlino, Kircher und Steffani meint er, kein »vernünftiger, 
fünfsinniger Mensch werde bestreiten, daß die Musik eine Wissenschaft sei 
und heißen müsse. Nur wendet er sich gegen die Unterordnung der Musik 
unter die Arithmetik. Mattheson war wohl der erste, der trotz der 
allgemeinen Auffassung der Musik als Wissenschaft, die er vertrat, doch auch 
gelegentlich ihr Wesen als Kunst betonte (a. a. O. S. 273). — Mizler 
veröffentlichte in Leipzig 1734 eine »Dissertatio, quod Musica scientia sit, et 
pars eruditionis phüosophicae«, und noch 1783 pflichtet der anonyme Ver- 
fasser des in Nürnberg erschienenen Büchleins über die »Literatur der 
Musik« vollkommen Mizlers Ausspruch bei, daß »die Musik billig als ein Teil 
der Philosophie anzusehen sei«. — Auch Joh.A. Scheibe im »Kritischen 
Musikus« (Neue Aufl. 1745, S. 722) bringt folgende Definition der Musik: »Die 
Musik ist eine Wissenschaft der Töne, d. i. ihrer Verhältnisse und der Art 
und Weise, wie man dieselben zu einem gewissen Endzwecke bringen kann«. — 
Sehr feinsinnig bemerkt Fr, Chrysander (Händel I, 340), an Steffanis 
Ausspruch, die Musik sei eine Wissenschaft, anknüpfend. Über jene Zeit: 
»Die Kunst als Kunst zu fassen, lag zu hoch; jedermann war zufriedengestellt, 
wenn er sie nur als Wissenschaft ansehen durfte. Die Anschauung einer schönen 
und freien Kunst fehlte ihnen nicht, wohl aber der Begriff davon, und sollten 
die alten Meister ihr Werk rechtfertigen, so mußten sie es von der wissenschaft- 
lichen und von der nützlichen Seite zeigen«« 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 13 

also seine Lehensgüter, seine Baronien, nach welchen er die oben 
genannten Baronstitel, — oder doch einzelne davon -^ führte. 
Damit gewinnen wir Antwort auf die vorhin unentschieden ge* 
lassene Frage, wo Astorga herstammen mochte, ob aus Neapel oder 
aus Sizilien. Da seine — höchst wahrscheinlich vom Vater ererbten 
— Baronien in Sizilien lagen, war seine Familie dort eingesessen und 
Astorga wohl auch in Sizilien geboren. Wir werden unten die 
Richtigkeit dieser Schlüsse durch Urkunden vollauf bestätigen 
können. Des Meisters Angabe in der Prefazione, er sei »in Italia« 
geboren, widerspricht dem keineswegs; er benutzt das Wort im 
weiteren Sinne; es ist etwa als »italienisches Sprachgebiet « auf zu- 
fassen. 

Wir kehren zum Kantatentitel zurück. Noch eine bisher völlig 
unbekannte Würde des Meisters steht darin verzeichnet. Astorga 
sagt von sich, er sei »deir ordine Senatorio di Palermo«, »vom 
Range eines Senators zu Palermo«. Der Meister hat also 
zeitweise in Palermo das Ehrenamt eines Senators bekleidet. Damit 
ist eine wichtige Neuigkeit gewonnen, die den Keim zu weiteren 
Enthüllungen in sich trägt. Denn in der reichhaltigen und ausführ- 
lichen Chronik-Literatur von Palermo ist kaum ein Mann uner- 
wähnt geblieben, der nur irgendwie zum öffentlichen Leben der 
^Stadt in Beziehung stand. Wir können also hoffen, daß in diesen 
ortsgeschichtlichen Werken auch der Senator Emanuele d'Astorga 
vorkommt, und dort weitere Einzelheiten über ihn verzeichnet sind. 
Besonders steht bei der exakten Darstellungsweise der Chronisten 
zu erwarten, daß, wenn Astorga überhaupt genannt wird, auch sein 
Familienname — wir kennen bisher nur Vornamen und Adels- 
titel von ihm — nicht verschwiegen wird. Er müßte, nach Ema- 
nuels Angaben über seine Vorfahren zu schließen, ein spanischer 
sein. 

In der Epoche der Geschichte von Palermo, die für uns in Be- 
tracht kommt, hat der Priester Antonino Mongitore sorgfältig 
alle wichtigen Ereignisse gebucht. Seine Diarien, die den weiten 
Zeitraum von 1680 bis 1737 umfassen, liegen heute in einer vorzüg- 
lichen Publikation vor. Sie bilden den 7. bis 10. Band der bereits 
auf 28 Bände angewachsenen, von Gioacchino diMarzo heraus- 



14 1. Teil: Astorgas Leben. 

gegebenen »Biblioteca storicae letteraria diSicilia«^. Diese 
Diarien von Mongitore wollen wir auf unsem Senator hin durch- 
blättern. Wir nehmen das Jahr 1726 zum Ausgangspunkt, weil in 
diesem Jahre das Kantatenheft erschien, auf dem sich Astorga als 
Senator bezeichnet. In oder vor diesem Jahre muß seine Amtszeit 
als Senator liegen. Da er unter den Senatoren des Jahres 1726 nicht 
erscheint, blättern wir rückwärts. Lange umsonst. Endlich, unterm 
27. April 1718^ taucht der Name unsers Künstlers und Senators auf, 
und zwar in folgendem Zusammenhang: 

Fu in questi tempi ristorato il ponte alla foce del fiume 
Oreto presso S. Erasmo, che minacciava rovina. E vi f u affissa 
in marmo la seguente iscrizione per questa ristorazione. 

D. 0. M. 

Victorio Amedeo 

Siciliae, Jerusalem et Cypri rege; 

D. Annibale comite Maffeo prorege; 

Ponte nuper ab imis f undamentis poene collapso, celeritate, 
quamvis hyeme saeviente, munificentius restaurato, fönte 
noviter erecto, adauctis etiam aquis, publico decori, commodl- 
tati ac voluptati consulere curaverunt anno MDCCXVIIL 

D. Aloysius dux Caietani dominus Rachalmuti, 

praetor; 

D. Jacobus de Ebano et Cardona, tertio, 

D. Marius Boccadifuoco, iterum, 

D. Emmanuel Rincon de Astorga, baro Oleastri, 

D. Antonius Valguamera, 

DrCoriolanus Fardella et Afflitto, operis praefectus, 

D. Joseph Mallianus, comes de Castiliolis, 

senatores. 



^Biblioteca storica e letteraria di Sicilia ossia 
Raccolta di opere inedite o rare di scrittori siciliani dal secolo XVI al XIX 
per cura di Qioacchino di Marzo. Palermo, L. Pedone Lauriel, 
1B6&— 1886. — Wir zitieren das Werk als »D i M a r z o , B i b 1. S i c.« 

* Dl Marzo, Bibl. Sic VIII, 286 f. 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 15 

Trotz der Latinisierung des Namens erkennen wir unter den Sena- 
toren, welche im Frühjahr 1718 die Brücke über den Oretofluß bei 
Palermo restaurieren ließen, auf den ersten Blick unsem Astorga. 
Und siehe da: Auch sein Familienname, der bisher völlig unbe- 
kannte, vielgesuchte, steht dabei^ Er lautet Rincon; wie zu er- 
warten war, ein spanisches Wort. 

Die Brückeninschrift, diese für uns so wichtige Urkunde, wird 
außer von Mongitore noch von einem anderen Chronisten mitgeteilt: 
Von Gaetano Giardina in den »Memorie Storiche del Regno di 
Sicilia dell' anno 1718 al 1720 «i« Einige unwesentliche Kleinig- 
keiten ausgenommen, decken sich die Wiedergaben genau. Der 
Herausgeber beider Quellen, Gioacchino di Marzo, erzählt, daß 
jene 1718 restaurierte Oretobrückenoch ein halbes Jahrhundert hielt. 
Bei der Überschwemmung vom 7. Oktober 1772 stürzte sie aber voll- 
ständig zusammen. Der Neubau wurde nicht an der gleichen Stelle, 
sondern in einiger Entfernung davon ausgeführt: Es ist der noch 
heute stehende Ponte del Mare zu Palermo. Beim Einsturz der 
Brücke anno 1772 fiel auch jene Inschrift mit Astorgas Namen der 
Vernichtung anheim; wir müssen also den Chronisten für deren 
Wiedergabe um so dankbarer sein. Papier hat manchmal längeren 
Bestand als Erz und Marmor. 

Da in Palermo die Amtszeit eines jeden Senators ein Jahr 
dauerte, scheint es nicht ausgeschlossen, daß unser Astorga während 
seiner Amtsperiode noch öfter vom Chronisten erwähnt wird. Wir 
blättern also in den Diarien Mongitores mit Spannung rückwärts. 
Und wahrhaftig! Noch einmal, unterm 3. Juli 1717 2, taucht Astor- 
gas Name auf, und diesmal nicht in lateinischer Form, sondern in 
italienischer Fassung: 

D. Emmanuele Rincon d'Astorga, barone delP Oglia- 
stro, senatore. 

Der Meister erscheint hier in Ausübung einer amtlichen Pflicht, 
über die wir später, in der zusammenhängenden Darstellung seiner 
Amtszeit als Senator von Palermo, ausführlich berichten werden. 

» Di Marzo, Bibl. Sic. XV, 113. 
• Ebenda, VIII, 276 f. 



16 1. Teil: Astorgas Leben» 

Hier sei nur noch ausdrücklich auf die Wiederkehr seines Familien- 
namens Rincon hingewiesen. 

Ehe wir unsre Forschungen fortsetzen, ist es notwendig, alle 
etwa auftauchenden Zweifel an der Identität des Komponisten 
d'Astorga und des gefundenen Senators d'Astorga durch stichhaltige 
Gründe zurückzuweisen. Bei einem Meister, in dessen Biographie 
früher soviel Falsches eingeschmuggelt worden ist, bedarf es einer 
doppelt sorgfältigen Prüfung aller neu gefundenen Einzelheiten. 

Setzen wir also den Fall, der von uns ermittelte Senator und der 
auf dem Kantatentitel verzeichnete Astorga seien zwei verschiedene 
Personen. Dann müßten zwei gleichzeitig lebende Barone 
(Majoratsherren 1) den gleichen Vornamen (Emanuel) und zwei 
gleiche Titel (Astorga, Ogliastro) geführt haben. Das liefe aber 
dem Brauch und Gesetz der italienisch-spanischen Feudalherrschaft 
jener Zeit zuwider. Wäre zwischen den Jahren 1718 und 1726 ein 
Wechsel im Besitz der Baronien eingetreten, so würde der neu ein- 
rückende Besitzer, wenn er die gleichen Namen gehabt hätte wie 
sein Vorgänger, durch einen besonderen Vor- oder Beinamen oder 
durch eine Ziffer kenntlich gemacht worden sein. Da jedoch in den 
Urkunden, von denen die jüngste nur acht bez. neun Jahre später 
datiert ist als die älteren, der Vorname und die beiden Haupt- 
titel die gleichen sind, können sie nur ein und denselben Baron 
betreffen. 

Da sich die ausschlaggebenden Einzelheiten der Personalien 
in beiden Quellen decken, so vermögen die darin enthaltenen Ver- 
schiedenheiten unsere Lösung der Identitätsfrage nicht zu einem 
Trugschluß zu stempeln. Wohl bedürfen sie aber der Erklärung. 

So drängt sich uns die Frage auf: Wie kommt es, daß Astorgas 
Familienname nur in der Ortsgeschichte von Palermo, nicht aber 
auf den Titeln seiner Werke zu finden ist? Der Grund davon liegt 
in der Verschiedenheit der Quellen. Die Behörde, die jene Inschrift 
für die Oretobrücke abfaßte, und Mongitore, der als Chronist 
Astorgas gedachte, kannten ihn und seine Familie als Einwohner von 
Palermo genau. Daß sie des Senators unwichtigere Titel (Millaino 
und Mortilletto) in ihrer Niederschrift wegließen, wohl aber den für 
die Akten vor allem wichtigen Familiennamen buchten, ist bei 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 17 

ihrem mehr oder weniger amtlichen Standpunkt natürlich. Im 
täglichen Leben war eine so genaue Bezeichnungsweise nicht üblich. 
Man benutzte nur die charakteristischsten und kürzesten Namen 
und Titel. Auch unser Held hieß in Palermo einfach ,,Barone 
d'Astorga'', wie eine gleichzeitige Urkunde, auf die wir zurück- 
kommen werden 1, beweist. Er selbst bediente sich bei der Signie- 
rung seiner handschriftlichen Kompositionen ebenfalls dieses ein- 
fachen Namens oder des ebenso einfachen »Emanuele d'Astorgaa. 
Nur als es galt, seine Sammlung italienisch-spanischer Kantaten 
durch den Druck einem größeren Kreise zugänglich zu machen, faßte 
er deren Titel etwas klangvoller, um der Welt zu zeigen, daß dieses 
Werk aus der Feder eines begüterten Edelmannes, eines »Dilettante « 
stammte. So fügte er der gewöhnlich gebrauchten Form seines 
Namens die Titel all seiner Lehen auf Sizilien und sogar seinen 
Amtstitel als früherer Senator von Palermo hinzu. Daß er trotz 
dieser Ausführlichkeit seinen Familiennamen wegließ, liegt wohl 
darin begründet, daß seinem Empfinden nach das Wort » Rincon « den 
Klang des Titels nicht gerade erhöht hätte. Dieses spanische Wort 
bedeutet »Winkel«, »Ecke«; und obendrein war es damals ein in 
Kastilien ziemlich verbreiteter Familienname. Jedenfalls klang der 
Gesamttitel ohne »Rincon« aparter. So kommt es, daß auf den 
Titeln seiner gedruckten wie ungedruckten Werke sein Familien- 
name fehlt, während ihn die stadtgeschichtlichen Schriften enthalten. 
Noch eine Ungleichheit in der Namensfassung fällt uns in den 
Quellen auf. Es ist die verschiedene Stellung des Wortes »Baron «, 
aus der sich scheinbar eine Verschiedenheit seiner Würden ergibt. 
Auf dem Notenheft nennt sich der Meister Emanuello Baron 
d'Astorga, delT Agliastro usw.; auf der Brückeninschrift heißt 
er dagegen Emmanuel Rincon de Astorga, baro Oleastri, und 
dem genau entsprechend lautet die italienische Fassung bei Mongitore : 
Emmanuele Rincon d'Astorga, barone delT Ogliastro. . . . 
In der zuerst herangezogenen Form hat es den Anschein, als ob der 
Künstler außer den später genannten auch eine Baronie Astorga 
besessen habe. Da er sich speziell als Lehensherr des Königreichs 



» Vgl. S. 60. 
Volkmann, Astorga. I. 



18 1. Teil: Astorgas Leben. 

Sizilien bezeichnet, wird man dieses Lehen, wie die anderen, in 
Sizilien suchen. Aber man wird es nicht finden. Denn auf der 
Insel existiert kein Ort dieses Namens ^. Das Wort kommt dort 
lediglich als Adelstitel vor. Dagegen gibt es bekanntlich in 
Spanien eine Stadt Astorga. Da unser Meister selbst erklärte, 
daß seine Ahnen aus Spanien stammten, liegt die Vermutung nahe, 
daß seine Vorfahren ihren Adelstitel nach jener Stadt erhalten 
hatten. Sie konnten in ihrer Heimat aber nur einfache Hidalgos 
»Rincon d' Astorga« geworden sein, nicht Baroni d' Astorga, denn 
in Spanien gibt es den Baronstitel nicht. Erst als sie nach Sizilien 
eingewandert waren und dort die oben von Emanuel genannten 
Baronien, oder doch einzelne davon, zu Lehen erhalten hatten, 
kam der Baronstitel zu ihrem ursprünglichen Hidalgonamen hinzu. 
Sie waren nun d'Astorga und Baroni deirOgliastro, usw. Die 
Palermitaner Geschichtsquellen bezeichnen den Meister also auch 
in dieser Hinsicht korrekt. Der Einfachheit halber wurde im täg- 
lichen Verkehr der italienische Baronstitel vor den spanischen 
Hidalgonamen gerückt, und diese Form benutzte auch unser Held 
mit Vorliebe. Daß man es übrigens mit der Anordnung der Titel 
selbst an offiziellen Stellen nicht immer genau nahm, werden uns Ur- 
kunden 2 beweisen, in denen der Baronstitel sogar vor dem Vor- 
namen erscheint. 

Überhaupt war zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Willkür 
in der Namenschreibung noch ziemlich groß. Darum braucht uns 
auch die verschiedene Notierung von Astorgas sizilianischer Baronie 
— bald als Ogliastro, bald als AgUastro — nicht zu beirren. Das 
Schwanken zwischen A und zu Anfang des Wortes macht sich auch 



^ Das bestätigte auch Herr Cavaliere Dott. Giambruno, Direktor 
des Staatsarchivs zu Palermo, den ich in dieser Angelegenheit 
um Rat anging. Er äußerte sich darüber: »Non esiste in Sicilia feudo o masseria 
di nome Astorga perchö non trovasi affatto tale nome negli elenchi feudali 
esistenti in questo Archivio. II nome Astorga ö solamente un cognome familiäre, a 
— Herrn Direktor G i a m b r u n a , der im Staatsarchiv zu Palermo eingehende 
Nachforschungen nach dem Baron d'Astorga anstellen ließ und mir die ge- 
wonnenen Resultate freundlichst mitgeteilt hat, sei dafür auch hier der wärmste 
Dank ausgesprochen. 

« Vgl. S. 33 und 43. 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 19 

bei anderen Orten dieses Namens bemerkbar, so bei dem an der 
Ostküste Sardiniens gelegenen Ogliastro, das auch zuweilen Aqui- 
lastro genannt wird. 

Schließlich könnte noch die Frage aufgeworfen werden: Wie 
kommt es, daß Astorga vom Chronisten nicht als Musiker, Maestro, 
celebre compositore oder dergl. bezeichnet wird? Astorga war doch 
1718 bereits ein hervorragender Tonsetzer. Die Antwort lautet: 
Weil ihn der Chronist als solchen überhaupt nicht kannte. Denn 
Astorga trieb, wie er selbst erzählt, die Musik lediglich »per suo 
diletto«. Er war kein Berufsmusiker und würde es als Beleidigung 
empfunden haben, hätte man ihn zu deren Zunft gerechnet. Denn 
der Musikerstand genoß damals nirgends hohes gesellschaftliches 
Ansehen. In Palermo, wo seine Familie in der Aristokratie eine 
Rolle spielte, mochte es Astorga doppelt sorgfältig vermeiden, sich 
den Anschein des Fachmusikers zu geben. Hier war er nur Nobile; 
und nur als solchen konnte ihn der Chronist erwähnen. 

Alles in allem sind die in unsern Quellen auftauchenden Ver- 
schiedenheiten nicht dazu angetan, Zweifel daran zu erwecken, daß 
die in ihnen genannten Emanuels d'Astorga ein und dieselbe 
Person sind. Einesteils entpuppen sich diese Differenzen als einfache 
Varianten, anderenteils als gegenseitige Ergänzungen, durch die 
keinerlei Widersprüche entstehen. 

Unsre nächste Aufgabe ist, Einzelheiten über jene Lehens- 
gQter, die Astorga als die seinen bezeichnet, zu ermitteln. Ogli- 
astro, Millaina und Mortilletto sind ihre Namen. Da in den 
Palermitaner Geschichtsquellen nur das erste genannt wird, dürfte 
es das wichtigste darunter sein. Nach Astorgas eigener Erklärung 
müssen wir es in Sizilien suchen. Auf Karten der Insel aus dem 
18. Jahrhundert steht nicht weit von Palermo, an der Straße nach 
Villa Frati, nordöstlich von Marineo die Ortschaft S. Maria deir 
Ogliastro verzeichnet. War das die Besitzung unsers Meisters? 
Schlagen wir in Ami cos großem topographischen Lexikon von 
Sizilien 1 nach, — wo der Name in der gleichen lateinischen Form 

^ Lexicon Topographicum Siculum, in quo Siciliae Urbes, 
Opida etc. . . . describuntur . . . Studio et labore S. T. D.D. V i t i M. A m i c o 
Ordinis S. Benedicti etc. Bd. II, Ca tania 1759, Teil II, S. 12. 

2* 



20 1. Teil: Astorgas Leben. 

erscheint, wie auf jener Erinnerungstafel an der Oretobrücke — , so 
erfahren wir, daß der Fleclcen den Marchesi Mancini-Parisi ge- 
hörte. Mithin war dort Icein Raum übrig für den Feudalbesitz eines. 
Barone. Dieses Ogliastro^ ist also nicht das gesuchte. Aber 
weder die Karten des 18. Jahrhunderts noch Amicos Lexikon nennen 
ein zweites auf Sizilien. Und doch gibt es noch eines. Die moderne 
italienische Generalstabskarte zeigt ein Ogliastro in der Nähe der 
Stadt Augusta, die an der Ostküste der Insel, zwischen Syrakus 
und Catania liegt. Das war Astorgas Besitzung. Die Akten des 
Staatsarchivs zu Palermo liefern den Beweis dafür, denn darin ist 



1 Bei diesem Orte läßt sich das Schwanken in der Namenschreibung auf 
den alten Karten besonders gut beobachten. Hier einige Beispiele, gesammelt 
aus den Kartenbeständen der kgl. Bibliothek zu Dresden (Tab. geogr. B): 
Ital. E. U390 rAngliastro M., ca. 1710. 

John Senex, a map of the Island and Kingdom 

of Sicily. 
Ital. E. 11 400 TA g 1 i a s t r M., 1717. 

0. de risle, Carte de Flsle et Royaume de Sicire, 

Paris 1717. 
Ital. B. 11435 Ogliastro, 1747. 

Regni et insulae Siciliae tabula geogr. (Schmettau). 
Ital. E. 11 442 FA g 1 i a s t r , M., nach 1757. 

T. Conr. Lotter, Mappa geogr. tot. Ins. et reg. 

Siciliae. 
Ital. E. 10040 Ogliastro, 1762. 

G. A. B. R i z z i Z a n n n i , Li Regni di Sicilia e 

Sardegna etc. Ed. Homann, 1762. 
Ital. D. 8435,« Ogliastro, 1779. 

Robert, Partie m^ridionale du Royaume de Napics, 

oü se trouvent la Calabrie et Tlsle de Sicile. 

A Venise 1779. 
Ital. E. 11445. Ogliastro, 1784. 

Carte de la Sicile et des Isles adjacentes d'apr^ la 

Grande Carte qui a 6t6 faite en 1720 par le Baron 

Sam. Schmettau, et corrig6e sur les Observations 

recentes de plusieurs Voy^eurs. 1784. 
Ital. E. 11450 Ogliastro, 1801. 

F. G e t z e , Charte von Sicilien und Malta, Weimar, 

Industrie-Comptoir. 
Wie bei diesem Ogliastro bei Palermo, so herrschte natürlich auch die gleiche 
Willkür in der Schreibung des Namens von Astorgas Besitzung Ogliastro. 



1. Kap.: Grundlagen der Bic^raphie. 21 

ausdrücklich bemerkt, daß Astorgas Baronie »in Augusta « lag, d. h. 
im Umkreise der Stadt Augusta^. Die Generalstabskarte zeigt 
nicht nur die Gebäude des Exfeudo Ogliastro, sondern auch die 
dazu gehörige »Regione Ogliastro«. Diese nimmt einen beträcht- 
lichen Teil zwischen Augusta und dem westwärts gelegenen Flecken 
Villasmundo ein und bildet eine von Abhängen umschlossene 
von etwa 70 bis zu 100 Metern über den Meeresspiegel ansteigende 
Hochfläche. Die nächste Stadt von Ogliastro nach Süden hin ist 
Melilli^. In jenem Landstrich wurde im Altertume der berühmte 
» hybläische « Honig gewonnen, so genannt nach der griechischen 
Kolonie Megara Hyblaea, die unten, an der Küste lag. Auch 
noch im 18. Jahrhundert war die Gegend zwischen Augusta und 
Melilli wegen ihres Honigs und Zuckerrohres besonders geschätzt. 
Astorgas Gut wird also ebenfalls diese Produkte gezeitigt haben. 
Überhaupt lag das Majorat in der fruchtbarsten Gegend der so 
fruchtbaren, Insel. Der Wein aus der Umgebung von Augusta galt 
damals als der vorzüglichste unter den sizilianischen, die Feldfrüchte 
gediehen dort aufs üppigste und auch an Weideplätzen fehlte es nicht. 
Das Land um Ogliastro dürfte von alters her reich an Ölbäumen 
gewesen sein; gewiß hängt die Entstehung des Ortsnamens damit 
zusammen (Oleaster = wilder Ölbaum). Die Gründe um Augusta 
boten Gelegenheit zur Jagd; und »die Lieblichkeit der Landschaft 
lud den Menschen zur Erholung in der schönen Jahreszeit ein «, — so 
erzählt Astorgas Landsmann und Zeitgenosse Amico von der 
Gegend um Augusta 3. 



^ »Questa Baronia era Sita in Augusta, come si rilevadal processodMn- 
vestitura No. 6827 deU' anno 1 694 a. Mitteilung des Herrn Direktors Qiambruno 
vom Staatsarchiv in Palermo. 

> M a s s a in seinem topographischen Werke über Sizilien rechnet Ogliastro 
noch ins »Littorale di Melilli«. »La Sicilia in prospettivac, 
Cioö le Cittä, Castella, Terre etc. esposti in veduta da un Religioso della Com» 
pagnia di Giesü [Massa]. Palermo 1708/9, Teil II, S.391. 

s Amico, a. a. O. Bd. I, Teil I, S. 66. Hier folge seine Schilderung 
von Qrund und Boden um Augusta im Wortlaut: 

»Ager denique Augustanus amplissimus, uti et littus ab emporio 
scilicet Leontinensi, et agro S. CalogeriadTargiae oram post veterem 
Trogilorum portum ab Oriente extenditur, conf inisque Syracusano, 



22 1. Teil: Astorgas Leben. 

Als im Jahre 1802 der fröhliche deutsche Wandersmann Johann 
Gottfried Seume Sizilien durchstreifte, erhielt er von der Um- 
gebung Augustas ebenfalls den Eindruck eines besonders geseg- 
neten Landstriches. Er erzählt in seinem »Spaziergang nach 
Syrakus«!, wie er nach Lentini geriet, und fährt dann fort: 

»Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den Maul- 
eseltriften der Bergschluchten und Höhen und Täler abermals irre 
und kam, anstatt nach Syrakus nach Augusta. Das erste Stünd- 
chen Weg war schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren 
einige Stunden nichts als Wildnis, wo rund umher Oleaster, fette 
Asphodelen und Kleebäume wuchsen. Eine starke Stunde vor 
Augusta fing die Kultur wieder an und hier ist sie vielleicht am besten 
auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht 
am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres 
gibt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und 
unter diesem Himmel geschehen . . . Die Landzunge, auf welcher 
Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört zu 
dem üppigsten Boden der Insel . . . Nirgends habe ich so schwelge- 
rische Vegetation gesehen, als in dieser Gegend.'' 

Es ist uns nicht überliefert, wieviel Grund und Boden Astorgas 
Majorat Ogliastro umfaßte. Daß es aber ein großes Gut war, geht 

Sortinensi, et Leontino olim erat; Melilli mox opido aliisque feudis ad varios 
Dynastas devolutis, angustior quidem evasit, sed foecunditate nihilominus 
praecipuus habetur. Oletis enim, et vineis undique consitus uberes suppeditat 
opulentasque indigenis coUectiones, adeout cum vina, quae prae caeteris 
insulae exquisitissima, tum olea mercimoniae Augustanensibus sint capita. 
Mellitis cannis abMidolum, etS. Cusmanum abundat, et saccarum 
probatissimum gignit; nee frugum est indigus, nee paseuis vaeuus, venationi 
demum aptissimus, atque ad laxandos animos idoneus«. 

Eine Erklärung bedürfen einige Ortsbezeiehnungen. R e g i o n e S. 
C a 1 g e r heißt noch heute der Landstrich zwischen Lentini und Augusta 
gegen das Meer hin. T a r g i a war der Name eines Turmes und des darum 
liegenden Gebietes an der Meeresbucht im Norden von Syrakus; diese Bucht 
trug nach Livius XXV, 23 den Namen TrogilorumPortus. Midolus 
war ein Feudum im Gebiet von Melilli. S. Cusmanum findet man heute 
auf der italienischen Generalstabskarte zwischen Melilli und der Meeresküste 
als die Ansiedlüng »S. Cusimano« angegeben. 

^ Originalausgabe: Braunsehweig und Leipzig, 1803, 8.238 f. — Aus- 
gabe Reclam, S. 183 f. 



I. Kap.: Grundlagen der Biographie. 23 

schon daraus hervor, daß ein Vorwerk dazu gehörte. Dieses hieß 
Mi Ilaina. Die dritte Besitzung Astorgas, Mortilletto, war ein 
selbständiges Lehensgebiet ^. Näheres darüber ließ sich nicht er- 
mitteln. In jener gesegneten Gegend und in jener Zeit, in der die 
Bewirtschaftungsverhältnisse für den Lehensträger auf Sizilien so 
unerhört günstig waren, nährte schon eine kleine Scholle ihren Mann. 
Astorga aber, als Herr der beträchtlichen Besitzung Ogliastro, war 
wohlhabend, selbst Wenn sein anderes Feudo, Mortilletto, nur wenig 
einbrachte. Jedenfalls gestatteten ihm die Einkünfte aus seinen 
Gütern, nicht nur in Palermo standesgemäß zu leben, sondern auch 
lange Reisen durch Europa auszuführen. 

Noch ein Punkt bleibt zu kommentieren: der Druckort des 
Kantatenheftes. Als solcher ist Lisboa occidental (Lisbona 
occidentale) angegeben. Die Bezeichnung »occidental«, die wir 
nicht gewöhnt sind, mit Lissabon verbunden zu sehen, wird noch 
heute in Portugal für den neueren Stadtteil von Lissabon gebraucht, 
im Gegensatz zur östlich davon gelegenen Altstadt »Lisboa 
oriental«. Die Verlagsanstalt, durch die Astorga seine Kantaten 
veröffentlichen ließ, lag also in der Neustadt von Lissabon. 

Weshalb aber, so fragen wir, hat der Tondichter seine spanisch- 
italienischen Kantaten gerade in der Hauptstadt von Portugal 
drucken lassen? Vielleicht, so kann man antworten, weil Lissabon 
seit langem besonderen Ruf als Druckort praktischer und theore- 
tischer Musikliteratur genoß. In der Mitte des 17. Jahrhunderts 
tat sich dort auf diesem Gebiete namentlich die Offizin der Familie 
Craesbeck hervor, im 18. die von Miguel und Antonio Ma- 
nescal. Neben der letzteren stand auch die »Imprenta de 
musica«^, der Astorga sein Werk anvertraute, in Blüte. Aber 



^ »II nome di Mortilletto indica una baronia ossia territorio feudale, 
come si vede dal processo No. 5065, e Taltro di M i 1 1 a i n a denota una tenuta 
feudale annessa alla baronia e feudo dl Ogliastro (proc. d'inv. No. 5472)«. 
Aus den Akten des Staatsarchivs zu Palermo mitgeteilt von Herrn Direktor 
Giambruno. 

s Sie ist wohl identisch mit der »T y p o g r a p h i a M u s i c a e«, aus 
der 1728 der Liber Processionum von Duarte Lobo hervor- 
ging, sowie mit der »O f f i c i n a da M u s i c a«, durch die 1735 J. B a r - 
radas Pam e Morato seine »F 1 o r e s M u s i c a e s« bekannt gab. 



24 1. Teil: Astorgas Leben. 

auch in Spanien und in Italien gab es bedeutende Offizinen für 
Notendruck, — und der Stich der Kantaten wäre gewiß auch in 
diesen Ländern, für die ja der Inhalt der Publikation bestimmt 
war, vorzüglich ausgeführt worden. Die Bevorzugung Lissabons 
dürfte wohl durch persönliche Beziehungen des Meisters zu dieser 
Stadt veranlaßt worden sein. Schon eine der frühesten gedruckten 
Quellen (Hawkins) berichtet, Astorga habe sich »einige Zeit« in 
Lissabon aufgehalten. Daß ein solcher Aufenthalt des Meisters 
aber annähernd mit der Veröffentlichung seiner Kantaten zusammen- 
fiel, ist höchst wahrscheinlich. Im 17. und 18. Jahrhundert pflegten 
die Autoren ihre Werke in der Regel dort drucken zu lassen, wo sie 
wohnten. Astorga mochten aber noch besondere Gründe veran- 
lassen, bei der Drucklegung seiner Kantaten selbst zugegen zu sein. 
Wir wissen aus seiner Vorrede, welche Bedeutung er selbst seinem 
Werke beimaß. Eine tadellos korrekte Ausgabe wird er dringend 
gewünscht haben. Deren Herstellung wurde aber dadurch er- 
schwert, daß der Text der Kantaten in zwei den portugiesischen 
Stechern nicht geläufigen Sprachen stand. Astorga wird die Kor- 
rektur gewiß keinem anderen überlassen, sondern an Ort und Stelle 
selbst besorgt haben. Schließlich spricht auch die besonders 
innige Teilnahme, die er für das Erscheinen seines ersten 
gedruckten Werkes hegte, für seine persönliche Anwesenheit bei 
dieser Gelegenheit. Faßt man alle Momente zusammen, so ergibt 
sich mit höchster Wahrscheinlichkeit, daß sich Emanuel d'Astorga 
im Jahre 1726 und wohl auch schon vorher, in Lissabon aufge- 
halten hat. 

Eine Menge wichtige Neuigkeiten haben wir aus den beiden 
eingangs beschriebenen Quellen gewonnen. Heben wir ihre Haupt- 
punkte noch einmal in Kürze hervor: 

Emanuel d'Astorga entstammte der kastilischen, in Sizilien an- 
sässig gewordenen Familie Rincon d'Astorga. Den Baronstitel 
führte er nach seinen Lehensgütern auf der Insel Sizilien. Diese, 
Ogliastro, Millaina und Mortilletto, lagen an der Ostküste der Insel, 
in der Nähe der Stadt Augusta. Sie gewährten ihm so reichliche 
Einkünfte, daß er standesgemäß leben und große Reisen unter- 
nehmen konnte. In den Jahren 1717 und 1718 bekleidete er das 



\ 



II. Kap.: Die Vorfahren. 25 

Ehrenamt eines Senators zu Palermo. Im Jahre 1726, und wohl 
schon einige Zeit vorher, hielt er sich höchst wahrscheinlich in Lissa- 
bon auf, wo damals die Publikation seiner spanisch-italienischen 
Kantaten erfolgte. 

Das sind Ergebnisse, an die sich nach verschiedenen Richtungen 
hin weitere Forschungen anknüpfen lassen. 



IL Kapitel. 
Die Vorfahren. 

Es hat viel Verlockendes, die Ahnen großer Männer in die ferne 
Vergangenheit hinauf zu verfolgen. Oft begegnet man dabei geisti- 
gen Vorläufern des großen Enkels, welche, sei es auf demselben Ge- 
biete wie dieser, sei es auf anderen, sich hervorragend betätigten. 
Aber es gibt auch Ahnenketten, bei denen man keinem Gliede den 
Ruhm zusprechen kann, das Genie auf den Enkel vererbt zu haben. 
Dann scheint es, als ob die Natur viele Generationen hindurch un- 
bemerkt die Kraft aufgespeichert hätte, die in dem einen Gliede 
plötzlich zur Auslösung kommt. 

Ob es uns wohl gelingen wird aufzuspüren, zu welcher Art 
^Astorgas Vorfahren gehörten? Ob es uns überhaupt glücken wird, 
Vorfahren von ihm zu ermitteln? 

Wir kennen seinen Familiennamen und Adelstitel, wir wissen, 
daß seine Ahnen aus Spanien stammten. Gewisse Richtpunkte 
für Nachforschungen nach seinen Altvordern sind mithin ge- 
geben. 

Am nächsten liegt es, den Ursprung der Familie in der spani- 
schen Stadt zu suchen, deren Namen sie trägt, in Astorga. 
Diese, am Tuerto in der Provinz Leon gelegen, ist aus der antiken 
Asturica Augusta hervorgegangen. In der Römerzeit mächtig und 
groß, war sie auch noch im Mittelalter volkreich. Heute ist sie 
ein unbedeutender Ort mit etwa 6000 Einwohnern, die Spinnerei 
und Weberei treiben. Wir konnten nicht erfahren, ob in den 
Kirchenmatrikeln der Stadt eine Familie namens Rincon vor- 



26 1. Teil: Astorgas Leben. 

kommt^. Daß aber die Wahl des Adelswortes d'Astorga nicht 
ganz grundlos war, daß irgend ein Zusammenhang zwischen der 
Stadt und der Familie gleichen Namens bestand, ist ziemlich 
selbstverständlich. Mochte nun jener Rincon, der den Adel 
d'Astorga erhielt, aus Astorga stammen, mochte er sich vor den 
Mauern der Stadt im Dienste des Königs besonders ausgezeichnet 
haben, — sein Hidalgotitel wurde nach dieser Stadt bestimmt. Ihr 
Name wurde des Geschlechtes bleibendes Ehrenmal. 

In Astorga herrschte seit 1465 in ihrem festen Schlosse* die 
Dynastie der Markgrafen von Astorga. König Heinrich IV. 
hatte Stadt und Umgebung zur Markgrafschaft erhoben und als 
Lehen dem Hause Ossorio zugewiesen. Dieses erhielt sich dauernd 
bei Hofe in hoher Gunst. Als im Jahre 1659 der Mannesstamm er- 
losch, ging die Markgrafenwürde an den Neffen des letzten Ossorio 
über, an Antonio Sancho Pedro Davila, der sich nun Davila 
y Ossorio, Marques de Astorga nannte. Er war wohl die 
glänzendste Erscheinung unter allen Markgrafen von Astorga. 1672 
zum spanischen Vizekönig von Neapel ernannt, verwaltete er dieses 
Amt bis zum Jahre 1675. Seine wichtigste Tat war die Unter- 
drückung des Aufstandes der Messinesen gegen die spanische Herr- 
schaft (1674)'. In Neapel stand er nicht im besten Leumund; man 
sagte ihm nach, er habe während seiner Regierungszeit widerrecht- 
lich seine Kassen gefüllt. Er liebte die Kunst und besuchte nament- 
lich gern die Oper. Verschiedene Libretti von Opern, die unter 



^ Meine in spanischer Sprache geschriebene Anfrage über diesen Gegen- 
stand beim Bischof von Astorga (7. V. 1909) blieb unbeantwortet. — 
Wie D. Quiller in Iglesias in seiner »Historia de la Ciudad 
de Astorga (Valladolid 1840, S. 64) mitteilt, ist das Archiv der Kathedrale 
zu Astorga, das viele Dokumente zur Geschichte der Könige von Leon und 
Asturien enthielt, im Jahre 1809 von den Franzosen und Engländern ver- 
brannt worden. — Der Name Rincon kommt in Iglesias' Werk nicht vor. 

* Im »Boletin de la Real Academia de la historiac 
Bd. XLIV (Madrid 1904), S. 94, wird über einen Inschriftenfund berichtet, 
der auf der Stelle gemacht wurde, »donde estuvo el castillo del Marques de 
Astorga«. 

• Peter Qiannone, Bflrgerliche Geschichte des 
KOnigreichsNcapel. Deutsche Übersetzung von Lohenschiold. 
Ulm, Frankfurt, Uipzig, 1758. Bd. IV. S. 577 ff. 



II. Kap.: Die Vorfahren. 27 

seiner Regierung in Neapel zur Aufführung kamen, z. B. das von 
Cestis »Genserico« tragen schmeichelhafte Widmungen an ihn^.. 
Nach Madrid zurückgekehrt, wurde er zum Staatsrat und General 
der Artillerie ernannt 2. Als er 1689 kinderlos starb, ging die Mark- 
grafenwürde von Astorga an seinen Neffen Melchior Guzman 
über, der 1707 als Gouverneur von Galicien genannt wird. Dessen 
erste Ehe war kinderlos, der zweiten , 1684 geschlossenen, entsprofite 
nur eine Tochter: Anna de Guzman ^ Auf welchem Wege sich 
dann die Markgrafenwürde von Astorga bis heute forterbte, — noch 
jetzt gibt es unter den Granden von Spanien einen Marqu^ de 
Astorga — das zu verfolgen ist nicht unsre Aufgabe. 

Hängt nun unseres Tondichters Familie mit diesem Mark- 
grafengeschlecht zusammen? Gewiß nicht. Die Markgrafen bis zu 
des Meisters Zeiten gehörten dem Hause Ossorio, bezw. Davila y 
Ossorio an, unsre Astorgas aber dem Hause Rincon: Zwei selb- 
ständige Geschlechter, die nur zufällig in ihren Titeln ein Wort ge- 
meinsam haben. Nicht der geringste Beweis für einen verwandt- 
schaftlichen Zusammenhang beider ist vorhanden. 

Bei der Aufspürung von Astorgas Ahnen versprach eine Durch- 
forschung der älteren historischen, genealogischen und statistischen 
Literatur Spaniens Erfolg.^ In allen uns erreichbaren derartigen 
Werken fanden wir nicht ein einziges Mal den Doppelnamen Rincon 



iBenedetto Croce, I teatri di Napoli. Secolo XV— XVIII. 
Napoli, 1891. S. 171, 177. 

* M^moires de la Cour d'Espagne depuls rannte 1679 jusqu'en 
1681. Paris 1733. S.253 und 327. 

<J. 0. Imhof, Recherches historiques et g6n£a- 
logiques des Grands d'Espagne. Amsterdam 1707. S. 125. 

*• Für die mannigfachen Anregungen und Unterstützungen, die mir im 
Verlauf meiner Studien durch die Herren von der kgl. Bibliothek zu 
Dresden, besonders Herrn Hofrat Professor Richter, sowie die 
Herren Bibliothekare Arno Reichert, Dr. Viktor Hant^^ch 
und Dr. Hubert Richter zuteil wurden, sei auch an dieser Stelle der 
herzlichste Dank gesagt. Auch einigen anderen Herren, die teils durch ihr 
Interesse, teils durch Rat und Tat meine Arbeit zu fördern suchten, sei hier 
gedankt, so den Herren Marchese Antonio Bottini, Professor an der 
Universität zu Pisa, Professor Otto Schmid in Dresden, Professor 
Anton Mayr in Wien und Dr. Alfred Ebert in Berlin. 



28 1. Teil: Astorgas Leben. 

de Astorga, wohl aber jeden der Namen für sich verzeichnet: 
Rincon häufig, de Astorga selten. Beide erscheinen bereits in 
der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die Träger des Namens 
de Astorga kommen naturgemäß als die nächsten Verwandten 
Emanuels in Betracht. Einzelne von ihnen mit Sicherheit als 
seine Ahnen zu bezeichnen, geht jedoch nicht an. Denn so gut wie 
die Rincones de Astorga den Namen Rincon, so konnten auch 
Glieder des Markgrafenhauses de Astorga den Namen Osso- 
ri im täglichen Verkehr weggelassen und sich kurz als Mie Astorga« 
bezeichnet haben. Der Stand der meisten de Astorga, von denen 
wir Kunde erlangten, spricht allerdings mehr für deren Zugehörig- 
keit zum Hause Rincon de Astorga als zu dem Markgraf enhause^. 
Doch fehlt eben der entscheidende Beweis dafür, den nur die Bei- 
fügung des Stammesnamens hätte liefern können. Aber auch aus 
der großen Menge der Vertreter des Namens Rincon kann keiner 
mit Bestimmtheit als Verwandter des Meisters bezeichnet werden. 
In den Dokumenten des Generalarchivs des Königreichs Spanien 
zuSimancas^ findet sich der Name de Astorga zum ersten Male 
im Jahre 1489 erwähnt. Dort ist die Rede von einem Gonzalo 
de Astorga, der »Armbrustschütze zu Pferd in Diensten Heinrichs 
IV. und der katholischen Könige« war. Er stammte aus Medina 
del Campo in Altkastilien und war mit Catalina Rodriguez 
verheiratet*. Während der Regierung Karls V. erscheinen Ber- 
nardo und Gregorio de Astorga in militärischen Stellungen; 
»etwas später«, — aber wohl auch noch im 16. Jahrhundert — 



^ Nur einem einzigen de Astorga sind wir b^egnet, dessen Stand 
mehr für seine Abstammung vom Markgrafenhause sprach: Es war der Erz- 
bischof von Toledo und Primas von Spanien D. Didacus (Diego) de 
Astorga, der 1727, kurz nach seiner Ernennung zum Kardinal, starb. 
Vgl. [MichaelRanfft s] Genealogisch-historischen Archi- 
var! US Bd. II, Teil 10 (Leipzig 1734) S. 153. 

' Die Mitteilungen aus dieser Quelle verdanke ich dem Herrn Direktor 
des Archivo General zu Simancas, Julian P a z , der die Güte hatte, die 
»indices personales« des Archivs auf unser Thema hin durchzusehen. 

* »Gonzalo de Astorga, ballestero de ä caballo de Enrique IV 
y de los Reyes catölicos, casado con CatalinaRodriguez y que vivia 
en 1489. De este consta que era natural de Medina del Campo«. 



1 1. Kap. : Die Vorfahren. 2§ 

wird ein Sergeant Diego de Astorga erwähnt. Ein königlicher 
Schloßkaplan Juan deAstorga, derum 1560 lebte, ist der letzte, 
über den ich aus den Akten des spanischen Archives Nachricht 
erhielt K 

In der gedruckten Literatur begegnet uns zuerst ein Bildhauer 
de Astorga, Juan mit Vornamen. Er war um 1553 in Medina 
del Campo tätigt; von seinen Werken ist nichts auf uns gekommen, 
und wir wissen nicht, ob er ein Künstler oder ein Handwerker war. 
Ein anderer Juan de Astorga erscheint zu Anfang des 17. Jahr- 
hunderts. . Er war in Almad6n in der Sierra Morena (Neukasti- 
lien) zu Hause, wo er die Stellung eines Vogtes über die Minenarbeiter 
in den seit dem Altertume berühmten Quecksilber- und Zinnober- 
gruben innehatte. Er bewarb sich in den Jahren 1615—1618 um 
die Würde als »Familiär« im Inquisitionstribunal zu Toledo. »Fa- 
miliär « des Santo Oficio, d. h. Späher des Ketzergerichts zu werden, 
galt damals für jeden Spanier als höchst erstrebenswertes Ziel. Als 
Bewerber dieser Art lernen wir ferner einen Eusebio de Astorga 
aus Toledo kennen, dessen Gesuch im Jahre 1656 eingereicht 
wurde*. 



^ »Figuran entre los militares Bernardo y Gregorio de 
Astorga, hombres de annas que sirvieron k las ördenes de Carlos V. durante 
el siglo XVI. El primero de ellos estaba casado con Magdalena Perez. 
Tambien f igura el sargento Diego de Astorga de 6poca algo posterior . . . 
[y] un Juan de Astorga, Capellän de los Reyes en 1560.« 

• Ulrich Thieme und FelixBecker: AllgemeinesLexl- 
kon der bildenden Künstler. II. Bd. Leipzig 1908 S. 207: 
»Astorga, Juan de, Bildhauer in Medina del Campo. 1553 urkundlich 
erwähnt. Quelle: Marti y Monsö, Estud. histor. artist. 8.178«. ^- 
Den Hinweis hierauf verdanke ich Herrn Chemiker Friedrich Schmid 
in Dresden. 

*Archivo Histörico Nacional: Catälogo de las causas 
contra la fe seguidas ante el Tribunal del Santo Oficio dela Inquisition 
de Toledo y de las informaciones genealögicas de los Pretendientes ä 
oficios del mismo. Madrid 1903. S. 351 : 

. »Juan de Astorga, vecino y natural de Almad^n y Alcaide, que 
es de los forzados y sciavos que el Rey tiene en la mina de acogue de dicha 
Villa, y de su mujer M ä r q u e z (Catalina), de la misma naturaleza. 

Cargo que pretenden: Familiär. 

Aflos: 1615—1618. 



so 1. Teil: Astorgas Leben. 

Damit geht die nicht eben lange Reihe der de Astorgas, die 
wir ausfindig machen konnten, zu Ende. 

Von den zahlreichen seit dem 15. Jahrhundert bis heute nach- 
weisbaren Spaniern namens Rincon oder del Rincon^ seien nur 
einige, die uns durch ihren Beruf oder ihre Schicksale zu inter- 
essieren vermögen, erwähnt. 

Um die Wende des 15. Jahrhunderts wirkten in Spanien zwei 
Maler namens del Rincon. Antonio, der Vater, stand in Diensten 
Ferdinands I. und Doäa Isabellas und starb ca. 1500 in Sevilla. 
Sein Sohn Fernando war 1503--4 in Toledo tätig und ist 1518 in 
Alcala de Henar es nachweisbar. Beide scheinen in Italien studiert 
zu haben; der jüngere stand bereits unter dem Einflüsse der Haupt- 
meister der Renaissance 2. Diesem wird von Kennern eine gewisse 
Bedeutung für die Entwicklung der spanischen Kunst zugesprochen >• 

In der Mitte dßs 16. Jahrhunderts lebte ein bemerkenswertes 
Brüderpaar namens Rincon. Seine Heimat war Medina del 
Campo in Altkastilien. Beide Brüder waren zu ehrenvollen Lauf- 
bahnen berufen, wurden aber sehr ungleich vom Schicksal bedacht. 
Während Diego Lopez ein glückliches Alter als Schatzmeister 
eines militärischen Ordens in Portugal genießen durfte, kam sein 



Eusebio de Astorga y Dofia Francisca Melgar, consortes, 
naturales y vecinos de la ciudad de Toledo. 

Cargo que pretenden: Familiär. 

Aflo: 1656.« — 

— Völlig im Dunkel liegt die Herkunft jenes Louis Astorga, der 
zwischen 1690 und 1700 »musicien du Duc de Mantoue« war. Wenn sein 
Käme richtig verzeichnet worden ist, dann gehörte er nicht zu den Hidalgos 
de Astorga. Vgl. [Labordes] »Essai sur la Musique ancienne 
e t m d e r n e«. Bd. III (Paris 1780), S. 307. 

^ Das Wort Rincon kommt infolge seiner Bedeutung »Winkel« auch 
häufig als spanischer Ortsname vor. P a s c u a 1 M a d o z im 13. Bd. des 
»Diccionario geografico-estadistico-historico de Espafia« (Madrid 1849) nennt 
neunzehn Ortschaften, Bezirke, Seebuchten usw., die den Namen Rincon allein 
oder in Zusammenstellung mit anderen Bezeichnungen tragen. 

>N agier, Künstler-Lexikon, Bd. 13, München 1843, S. 196. Dort 
findet sich auch ein Verzeichnis der Werke beider Meister. 

*Ortiz de la Vega, Las Glorias nacionales. Bd. 6. Madrid 
1854, S. 363. 



i I. Kap. : Die Vorfahren. 31 

Bruder Antonio auf einer Reise, die er als Gesandter des Königs 
von Frankreich an die Türken unternommen hatte, ums Leben, 
Mit einem zweiten Gesandten fuhr Antonio im Sommer 1541 auf 
einer Barke den Tessin hinab, um auf dem Po und durch die Lagunen 
nach Venedig zu gelangen. Da wurde die Gesandtschaft von 
Maskierten in zwei Barken überfallen und niedergemacht. Man 
schob die Schuld an dem Verbrechen dem Kaiser zu, der ein Überein- 
kommen Frankreichs mit den Türken, das ihm verderblich werden 
konnte, habe vereiteln wollen. Der König bat den Kaiser um 
Genugtuung für diesen angeblichen Bruch des Völkerrechts; 
Karl V. aber erklärte, der Überfall sei ohne sein Wissen ausgeführt 
worden, und er sei bereit, die Mörder zur Bestrafung auszuliefern, 
wenn man ihre Namen angeben könne. Damit verlief die Angelegen- 
heit im Sande, — Antonio Rincons Tod blieb ungesühnt^. 

Um das Amt eines Verteidigers der Angeklagten (Abogado de 
presos) beim Inquisitionstribunal zu Toledo bewarb sich anno 
1606 der in eben dieser Stadt ansässige Lizentiat und Presbyter 
Juan del Rincon. Er hatte in und um Toledo zahlreiche Ver- 
wandte seines Namens, die schlichte Bürger, Handwerker und Kauf- 
leute gewesen zu sein scheinen 2. 

Auch Schriftsteller namens Rincon kommen vor. Ein Gabriel 
Rincon wird vor 1724 als Verfasser eines heraldischen Werkes ge- 
nannt, dessen Titel lautet: »Divisas de los Girones y su declaracion «3. 
Ein Kartäuser, P. D. Josef Rincon, war der Verfasser der Annalen 
des Klosters »de Nuestra Sefiora Santa Maria de las Cuevas« zu 
Sevilla, die um 1744 niedergeschrieben worden sind*. 



1 Notas del Marques de Montebelo al Nobiliario 
del Conde Debarcelos Don Pedro (Madrid 1646), 8.552. — Die 
Ermordung Antonios ist ausführlich geschildert in Johann von 
Ferreras' Allgemeiner Historie von Spanien. (Deutsch von Semler, 
Halle 1758) Bd. IX, S. 249 f. 

' Ersichtlich aus dem Catälogo...de la Inquisiciön de 
Toledo in dem oben genannten Archivo Histörico Nacional S. 130 u. 602. 

*Q. E. de Franckenau; Bibliotheca Hispanica histprico-genea- 
logico-heraldica. Lipsiae 1724. S. 152. 

« D.TomasMufloz y Romero, Diccionario bibliogräf ico-histörico 
de los Antiguos Reinos, Provincias ... de Espafla. Madrid 1858. S. 247. 



i 



32 1. Teil: Astorgas Leben. 

Gegen Ende des verflossenen Jahrhunderts trat auch ein Musiker 
jenes Namens in die Öffentlichkeit: D. ManueldelRincon. Er 
war ein Tenorsänger, der um 1876 auf verschiedenen italienischen 
und spanischen Opernbühnen Erfolge errangt. 

Wer bei der Revue der de Astorgas und den Stichproben aus 
der Familie Rincon auf die Heimat der einzelnen Glieder achtete, 
dem wird aufgefallen sein, daß hier wie da zwei Orte wiederholt vor- 
kommen: Medina del Campo und Toledo. Diese Städte scheinen 
die Hauptsitze der Familien gewesen zu sein^. 

Wir versagen es uns, detaillierte Vermutungen an die vorstehen-^ 
den Notizen zu knüpfen und wollen nur noch ausdrücklich hervor- 
heben, daß Hidalgos de Astorga seit etwa 1500 in Spanien, und 
zwar speziell in Kastilien vorkommen. Das harmoniert aber vor- 
trefflich mit unsrem früher gezogenen Schlüsse, daß Emanuels 
Ahnen Kastilier waren. 

Über seine nächsten Vorfahren, seine Eltern, Verwandten, über 
die Zeit, da seine Familie in Sizilien seßhaft wurde, enthalten die 



1 Vgl. Baltasar Saldoni, Diccionario biogräfico-bibliogräfico de 
Efem^rides de Müsicos Espafloles. Bd. IV, .Madrid 1881, 
S. 277 f. Nach dem »Boletin Musical« (Sept. 1878) berichtet Saldoni 
über den Sänger: »El Sr. Rincon, que hace ailos marchö ä Italia ä perfeccionarse 
en el dificil arte del canto, pertenece ä una famiüa muy distinguida de la pro- 
vincia de T o 1 e d o , que cuenta entre sus individuos algunos titulos de Castilla 
y capitalistas muy conocidos en la buena sociedad de Madrid«. — Herr C a - 
valiereBiagio di Pietra, spanischer Konsul in Palermo und 
Herr Joseph Rafel Carreras y Bulbena in Barcelona 
hatten die Freundlichkeit, mir eine ganze Anzahl jetzt lebender Spanier 
namens Rincon zu nennen. 

* Ich richtete (15. III. 1909) an den Pärrocco zu Medina del 
Campo eine ausführliche, in spanischer Sprache verfaßte Anfrage, ob sich 
aus den Kirchenmatrikeln der Stadt Näheres über den ältesten bisher nach- 
weisbaren de Astorga, den Bogenschützen Gonzalo, ermitteln 
lasse. Mein Schreiben blieb jedoch unbeantwortet. — Auch inD. Ildefonso 
Hodriguez' Historia de Medina del Campo (Madrid 1903 
bis 1904) ist nichts darüber zu finden. Auf eine etwa erscheinende Familie 
deAstorgazu achten, lag für den Verfasser noch kein Anlaß vor. Ober 
Antonio del Rincon, den französischen Gesandten, berichtet er 
S. 266 f. — Bürger namens Rincon und del Rincon kommen in dem 
Werke wiederholt vor. 



MM 



II. Kap.: Die Vorfahren. 33 

spanischen Quellen nichts, Wohl aber glückte es uns, aus anderer 
Quelle Bescheid über diese wichtigen Einzelheiten zu erhalten. Wie 
gelangten wir zu diesem heiß ersehnten Ziele? 

Aus dem ersten Kapitel wissen wir, daß Astorgas Landgüter 
bei Augusta auf Sizilien lagen. Da aber der Herr eines Gutes in 
mancher Hinsicht auf den Verkehr mit der Stadt, die seiner Be- 
sitzung am nächsten liegt, angewiesen ist, steht zu vermuten, daß 
auch Emanuel und seine Vorfahren, soweit sie seine Vorgänger im 
Majorat waren, zur Stadt Augusta Beziehungen hatten. Von diesem 
Gedanken ausgehend, richtete ich eine Anfrage an das Municipio 
zu Augusta, ob in den Archiven der Stadt irgendwelche Nachrichten 
über die Familie Rincon d'Astorga vorhanden seien. Herr Ca- 
valiere Sebastiano Torresi, Sindaco von Augusta, durch- 
forschte daraufhin die Matrikeln der Stadtkirche zu Augusta, und 
es gelang ihm nicht allein, eine ganze Menge Träger des Namens 
Rincon d'Astorga zu ermitteln, nein, auch das Taufzeugnis 
unsres Emanuel aufzufinden. Diese wichtige Urkunde, durch 
die mit einem Schlage in bisher ganz dunkle Gebiete der Vor- 
geschichte unsres Helden Licht kommt, sei wörtlich nach der Kopie 
mitgeteilt, die Herr Oberpfarrer Garay zu Augusta für uns her- 
stellen ließ: 

Nos Dominicus Garay 

Archipraesybter prima Dignitas insignis Collegiatae, et 
Rector Matricis Ecclesiae hujus Urbis Augustae sub titulo 
Virginis Mariae in Coelum assumptae, fidem facimus, atque 
testamur, qualiter, in uno librorum Baptizatorum dictae Ma- 
tricis Collegiatae Ecclesiae extat nota tenoris sequentis, 
videlicet: 

Die Vigesima prima Martii Millsmo Sexagsmo [sie] Oc- 
tuagsmo 1680. 

Ego Sacerdos D. Petrus Luis, de lic^ Revssmi Parochi, 
baptizavi infantem natum heri cir. horam 2. noctis ex Bre 
D. Francisco Rincon d'Astorga et Da. Joanna, cui impositum 
est nomen Emanuel, Joachim Caesar. Patrini fuere D. Caesar 
filius ex qnd. • Brne D. Emanuele et Da. Thomasia Rincon 
Volkmann, Astorga. I. . • 3 



34 1. Teil: Astorgas Leben. 

d'Astorga et Da. Francisca vidua Baronis D. Dominici 
Martelli. 

In cujus rei veritatem praesentem fieri mandavimus, ac 
quo utimur Paraeciae sigillo in pede munitam dedimus. 

Augustae, die 28 Novembris 1906. 

Archipraesbyter, et Parochus 
Dominicus Garay. 

Ego infrascriptus Cappellanus Curatus Cand. Carmeius 
Pani extraxi originaliter de mandato . . . ut supra. Valitura 
pro administrationis uso. 



O 



(Stempel der 
»Arcipretura di Augustaa.) 

Unter der Fülle von Neuigkeiten, welche dieses Zeugnis enthält, 
sind die wichtigsten: 

1. Astorgas voller Name: 

Emannel Joachim Caesar, bezw. italienisch: Emanuele 
Qioacchino Cesare Rincon d'Astorga. 

2. Das Datum seiner Geburt: 

20. März 1680. 

3. Sein Geburtsort: 

Augusta auf Sizilien. 

4. Die Namen seiner Eltern: 

Barone Don Francesco e Donna Qiovanna Rincon 
d'Astorga. 

Das sind bisher völlig unbekannte Einzelheiten, die, weil sie 
aus absolut zuverlässiger Quelle stammen, alle älteren Angaben 
über Astorgas Heimat und Herkunft Lügen strafen. 

Bei der Taufe des kleinen Astorga, die wie üblich, am Tage 
nach der Geburt, also am 21. März 1680 in der Hauptkirche von 
Augusta durch den Geistlichen D. Pietro Luis vollzogen wurde. 



II. Kap.: Die Vorfahren. 35 

erscheint als Patin eine Donna Francesca, Witwe des Barons D. 
Dömenico Martelli. Sie war wohl eine Freundin, vielleicht auch 
eine entfernte Verwandte des Hauses. Mit ihr stand D. Cesare 
Rincon d'Astorga Gevatter. Dieser Cesare war, wie beigefügt 
steht, der Sohn des damals bereits verstorbenen ( »quondam «) Barons 
D. Emanuele Rincon d'Astorga, den wir Emanuel den älteren 
nennen wollen. Nach den Satzungen des Feudalrechts erbte sich der 
Titel Barone nur auf den erstgeborenen Sohn fort. D. Cesare er- 
scheint ohne den Titel Baron. Er war also nicht der erstgeborene 
Sohn Emanuels des älteren. Wohl war dies aber der Vater des 
Täuflings, Francesco, der in der Urkunde als Barone bezeichnet 
ist. D. Cesare war also dessen jüngerer Bruder und der Oheim 
Emanuels des jüngeren, d. h. unsres Emanuel. Nach jenem 
Onkel erhielt letzterer unter anderen den Vornamen »Cesare «. Da 
Emanuel der ältere Francescos Vater ist, lernen wir in ihm den 
Großvater unseres Komponisten kennen. Die Großmutter hieß 
Donna Thomasia Rincon d'Astorga 

Soviel läßt sich aus dem Taufzeugnis Emanuels des jüngeren 
herauslesen. 

Aber durch die Nachforschungen des Herrn Sindaco Cav. 
Torresi sind auch noch Spuren anderer Glieder des Hauses Rincon 
d'Astorga in Augusta ermittelt worden. Hören wir ihn selbst: 

»In quanto poi ad altre notizie relative alla famiglia 
d'Astorga, dai documenti esistenti in questa Chiesa Madre, 
ho potuto rilevare che essa famiglia figura in Augusta neir 
anno 1631, probabilmente proveniente dalla Spagna, con 
un certo Diego Rincon d'Astorga, il quäle adottö per figlio 
uno schiavo negro, a nome Giuseppe, che fu battezzato 
adulto, e prese il nome di Rincon d'Astorga. « 

»Nel 1650 troviamo un Don Emanuele Giuseppe, nato 
dal Capitano Don Cesare Rincon d'Astorga, e da Donna Ro- 
salia Caraffa y Salazar, e fu battezzato nella Madrice di Au- 
gusta, facendo da padrino un altro Emanuele Rincon d'Astor- 
ga, figlio di Diego e Cecilia Rincon d'Astorga (9 ottobre 
1650).« 

3* 



36 1. Tdl: Astorgas Leben. 

Der erste des Geschlechtes, der in Sizilien auftaucht, ist ein 
Diego Rincon d'Astorga. Er war wohl in spanischen Militär* oder 
Verwaltungsdiensten nach Augusta entsandt worden und hatte 
hier eine bleibende Heimstätte gefunden. Aus der Matrikel von 
1631 geht hervor, daß er im genannten Jahre einen Negersklaven 
Giuseppe, den er adoptiert hatte, und der bereits erwachsen war, 
taufen ließ. Nach seinem Adoptivvater erhielt dieser den Namen 
Rincon d'Astorga. 

Ein Diego d'Astorga wird aber auch in der Matrikel von 1650 
erwähnt. Der Mangel jedes weiteren Vornamens bei gleichem Auf- 
enthaltsort und annähernd gleicher Lebenszeit läßt darauf schließen, 
daß dieser Diego und der vorhin genannte ein und dieselbe Person 
sind^. Mithin belehrt uns die jüngere Matrikel, daß Diego außer 
dem Adoptivsohn auch einen leiblichen Sohn hatte. Er hieß E ma- 
nu ele, seine Mutter Cecilia Rincon d'Astorga. Dieser Emanuel 
ist aber kein anderer als Emanuel der ältere, des Komponisten 
Großvater. Für .die Identität dieser beiden Emanuels sprechen 
dieselben Gründe, wie vorhin für die der beiden Diegos. Nur ein 
Bedenken steigt auf: Des Komponisten Großvater war doch Baron, 
— und der Emanuel in der zuletzt herangezogenen Taufmatrikel 
führt diesen Titel nicht Dieser Widerspruch löst sich jedoch 
durch die Erklärung, daß Emanuel d. ä., als er 1650 Pate stand, 
noch nicht Baron war, es vielmehr erst danach wurde. Bei 
keinem Gliede des Hauses d'Astorga erscheint der Baronstitel vor 
jenem Zeitpunkte. Die Familie ist also nach 1650 und vor 1680 
(in welchem Jahre Emanuel d. ä. als verstorben bezeichnet wird) 
in die Baronie Ogliastro eingerückt. Damit ist ein neues Moment 
gewonnen. Das oben gegen die Annahme der Identität Emanuels 
d. ä. mit dem Sohne Diegos ausgesprochene Bedenken kann als ge- 
hoben gelten, und wir dürfen in Diego, mit dem die Familie im 
Anfang des 17. Jahrhunderts in Sizilien Fuß faßte, den Urgroß- 
vater unseres Tondichters erblicken. 



1 In den Akten des spanischen Qeneralarchivs erscheint auch ein D i e g o 
de Astorga (vgl. S. 29). Doch wissen wir zu wenig über ihn, als daß wir Qrund 
hätten, zwischen ihm und dem Diego, von dem wir oben sprechen, einen be- 
stimmten Zusammenhang anzunehmen. 



IL Kap.: Die Vorfahren* 37 

Aus der jüngeren Matrikel ersehen wir aber auch, daß im Jahre 
1650 in Augusta ein Capitano Don Cesare Rincon d'Astorga 
lebte. Er hatte von seiner Gattin Donna Rosalia Caraffa y 
Salaz areinen Sohn EmanueleGiuseppe, der im genannten Jahre 
in der Hauptkirche von Augusta getauft wurde. Bei der Taufe 
stand Emanuel d. ä. Pate. Wie dieser mit dem Capitano ver- 
wandt war, ist aus der Matrikel nicht klar zu ersehen. Im allge- 
meinen liebte man, den Oheim des Neugeborenen zu Gevatter 
zu bitten. Ist hier dieser Brauch befolgt, so haben wir in 
D. Cesare Emanuels 4. ä. Bruder zu erblicken. Da sich dieses 
Verhältnis ohne Zwang mit den Zeitangaben vereinen läßt, akzep- 
tieren wir es. Immerhin weisen wir nur vermutungsweise dem 
Capitano seinen Platz im Stammbaum der Familie an, den wir 
auf Grund unsrer Darlegungen konstruieren können. Dieser Stamm- 
baum, durch ein paar vorweggenommene Resultate unsrer späteren 
Untersuchungen vervollständigt, sei auf der folgenden Seite ein- 
geschaltet. 

Unter allen Verwandten Astorgas interessieren uns natürlich 
am meisten seine Eltern. Aus dem Taufschein erfahren wir von 
ihnen nicht mehr als die Namen. Und selbst diese sind nicht allzu 
genau angegeben; bleibt uns doch nach wie vor verborgen, welcher 
Familie Emanuels Mutter Giovanna entstammte. Alle Bemühun- 
gen, Einzelheiten über sie zu ermitteln, blieben vergeblich. Da- 
gegen zeitigten die Nachforschungen über seinen Vater beachtens- 
werte Resultate. Francesco Rincon d'Astorga wurde, wie aus 
den Akten des Staatsarchivs zu Palerpio hervorgeht, am 28. April 
1679 mit der Baronie Ogliastro samt Vorwerk Mi Hai na belehnt. 
Dadurch erhalten wir eine genauere Bestimmung des Todesjahres 
von Francescos Vater, Emanuel d. ä. Denn während wir bisher 
nur wußten, daß dieser 1680 nicht mehr am Leben war, ergibt sich 
aus dem Einrücken seines Sohnes in seine Güter im April 1679, 
daß er bereits einige Zeit vor diesem Datum, also wahrscheinlich im 
Jahre 1678, gestorben ist. — Als beim Regierungsantritt 
Philipps V. eine neue Investitur der spanisch-sizilianischen Lehens- 
träger vorgenommen wurde, erhielt auch Francesco Rincon 
d'Astorga seine Lehensrechte neu bestätigt. Die darauf bezügliche 



38, 



]. Teil: Astorgas Leben. 



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IL Kap.: Die Vorfahren. 39 

Urkunde ist am 19. Januar 1702 ausgefertigt^. — Im Jahre 1705 
erscheint Francesco in Palermo, und zwar das gleiche Ehrenamt 
bekleidend, das sieben Jahre später sein Sohn Emanuel innehatte, 
als Senator der Stadt. Mongitore' schreibt unterm 10. Mai 1705 
in sein Diario von Palermo: 

»Pigliarono possesso li nuovi senatori, che furono: 

D. Giuseppe Garofalo, 

D. Caspare Platamone, 

D. Matteo Pensabene, 

D. Francesco Rincon de Astorga, barone deir Ogliastro, 

D. Martino de Leoz, del consiglio di S. C. M., 

D. Francesco Fernandez de Medrano. « 

Eine weitere Erwähnung Francescos in den Diarien von Palermo 
findet sich nicht. 

Aus anderer Quelle erfahren wir aber, wann Francesco gestorben 
ist Sein noch jetzt in den Akten des Staatsarchivs von Palermo' 
vorhandener Totenschein enthält die Angabe, daß er am 16. Januar 
1712, etwa 60 Jahre alt, starb und in der Kirche von S. Domenico 
in Palermo beigesetzt wurde. Er muß also um 1652 geboren sein. 
Jener Totenschein ist von dem Pfarrer der Kirche von S. Giacomo 
laMarinadiPalermo ausgestellt. Diese Kirche besteht heute nicht 
mehr. Ihren Sprengel, wie auch ihr Archiv hat bei ihrer Abtra- 
gung die Kirche von Sta Cita mit übernommen. In diesem Archiv 
findet sich die mit der oben wiedergegebenen gleichlautende Nach- 
richt von Francescos Tode, weitere Notizen sind darin weder über 



^ »La data d'investitura presa da Francesco Rincon prima del 1705, 
i quella deir anno 1679, 28 Aprile per la baronia e feudo di Ogliastro e tenuta 
di Millaina (Protonotaro del Regne, vol. 665, fol. 104^). Nel 1702, 19 Qennaro 
fu presa altra investitura per la successione del re Filippo V (Processo d'investi- 
ture ne. 7 1 29) «. Mitteilung des Herrn Archivdirektors Oiambrunoin Palermo. 

» Di Marzo, BibL Sic VIII, 28. 

* »Nel processo dMnvestitura no. 7724 dell' anno 1715 si legge un certi- 
ficato di morte, rilasciato dal Parroco di S. Qiacomo la Marina di Palermo, 
ed in esso si dice che . . . Francesco Rincon d'Astorga mori a 16 Qennaio 1712, 
di drca anni 60, e fu sepolto nella chlesa di S. Domenico in Palermo«. Mit- 
teilung des Herrn Archivdirektors Qiambruna in Palermo. 



40 1. Teil: Astorgas Leben. 

Francesco, noch über seine Familie vorhanden i. Die Kirche Von 
S. Domenico Jn der des Tondichters Vater seine letzte Ruhestätte 
fand, und die von Sta Cita liegen, nicht weit voneinander entfernt, 
im nördlichen Stadtteil Palermos in der Nähe des Hafens« In dieser 
Gegend der Stadt dürfte also Francesco Rincon d'Astorga in seinen 
letzten Lebensjahren gewohnt haben. 

Rekapitulieren wir. 

Fast ein Jahrhundert lassen sich unsres Künstlers Ahnen in 
direkter Linie zurückverfolgen. 

Stammvater des auf Sizilien blühenden Zweiges der Rincones 
d'Astorga war Diego, der im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts, 
vermutlich in spanischen Militär- oder Verwaltungsdiensten, nach 
Augusta kam. Bald nach Diego erscheinen in August a Cesare 
und Emanuele [d. ä.], letzterer sein Sohn, ersterer vielleicht sein 
Sohn, vielleicht aber auch ein anderer Verwandter. Dieser Cesare 
war im Jahre 1650 Capitano in Augusta. Er hatte einen Sohn E m a - 
nueleGiuseppe. Ob dieser seinen Zweig fortgesetzt hat, ist nicht 
überliefert. Dagegen steht fest, daß die mit Diegos Sohn Ema- 
nuele beginnende Linie weiterblühte. Emanuele selbst wurde nach 
1650 durch Belehnung mit der Herrschaft Ogliastro zum Baron und 
dadurch zu einem der wohlhabendsten Nobili der Stadt. Etwa 1652 
wurde sein erster Sohn, Francesco, der Erbe des Majorats und 
Baronstitels geboren. Von seinem später geborenen Sohn Cesare 
wissen wir, daß er 1680 noch am Leben war. Ob er Kinder hatte, ist 
unbekannt. Francesco verlegte seinen Wohnsitz nach Palermo, 
wo er 1712 starb. Er war im Jahre 1680 Vater jenes Emanuele 
geworden, der den Namen seines Hauses unsterblich machen sollte. 

Wir kommen nun schließlich auf die zu Anfang dieses Kapitels 
gestellte Frage zurück, ob unser Komponist wohl unter seinen Ahnen 



^ Herr Parroco Simone Bonfiglio von Sta c i t a in Palermo 
schrieb mir auf meine Anfrage: ». . . depo le piü accurate ricerche ho trovato 
solamente la fede di morte di Francesco Rincon d'Astorga a 16 Oen. 1712 
e nuir altro, quantunque per circa mezzo secolo si siano esaminati i registri.« — 
Meine Anfrage beim Pfarramt von S. Domenico zu Palermo (16. 1. 1910), 
b in den Matrikeln dieser Kirche Glieder der Familie Astorga erwähnt werden, 
blieb unbeantwortet. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 41 

Vorläufer in geistiger Beziehung hatte. Soweit wir seine Vorfahren 
2u tiberblicken vermögen, waren sie vortreffliche Staatsbürger, Sol- 
daten und Beamte, die es zu Ansehen und Besitz brachten, — 
Spuren irgendwelcher hervorragenden Begabung hat jedoch keiner 
von ihnen hinterlassen. Berufsmusiker trafen wir weder unter 
seinen urkundlich nachgewiesenen Vorfahren auf Sizilien, noch 
unter den Rincones und de Astorgas, die vor seiner Zeit in 
Spanien lebten. Ob einer oder der andere seiner Ahnen Sinn für 
Musik hatte, oder wohl auch aus Liebhaberei Musik trieb, ist aus 
den spärlichen Notizen über sie nicht ersichtlich, fällt auch bei der 
Entscheidung unsrer Frage kaum ins Gewicht. Sein außerge- 
wöhnliches Musiktalent hat Emanuel jedenfalls nicht von seinen 
Vorfahren ererbt, sondern frei vom Himmel empfangen. 



III. Kapitel. 

Heimat und Jugendjahre. 1680—1708. 

Augusta, die Vaterstadt Emanuels, liegt malerisch auf einer 
Halbinsel im blauen Mittelmeer. Friedrich II. gründete die Stadt 
im Jahre 1232 und besiedelte sie vorwiegend mit den Einwohnern 
des zerstörten Centorbi. Im Mittelalter war sie von verschiedenen 
Nationen umstritten und wurde wiederholt besetzt und zerstört. 
Später gewann Augusta Bedeutung als einer der zahlreichen militä- 
rischen Stützpunkte der Spanier auf Sizilien. Es wurde Kriegs- 
hafen. Philipp II. befestigte ihn durch zwei Forts, durch Castro 
Garzia und Castro Vittoria. Im 17. Jahrhundert nahm Augusta 
einen lebhaften Aufschwung. Trotz vielfachen Unheils, das nament- 
lich zwischen 1650 und 1670 in Form von Pest, Aufständen und 
Erdbeben die Stadt betraf, wuchs diese doch zusehends. Im Jahre 
1690 zählte sie 12 000 Einwohner. Da brachte der erste Monat des 
Jahres 1693 Augusta das furchtbarste Schicksal, das es je betreffen 
sollte. Nachdem am 9. Januar ein Erdstoß die Einwohnerschaft er- 
schreckt hatte, legte am 11. ein gewaltiges Erdbeben fast die ganze 
Stadt in Trümmer. 3200 Menschen kamen dabei um. In der Folge- 



42 1. Teil: Astorgas Leben. 

zeit erholte sich Augusta langsam wieder. Noch einmal, im Jahre 
1848, fügte ein Erdbeben der Stadt bedeutenden Schaden zu. Heute 
ist Augusta ein blühender Hafenort. Seine Einwohner, etwa 16 OOO 
an der Zahl, treiben lebhaften Handel mit Sardellen, Wein und 
Olivenöl. An der Meeresküste, in der Nähe von Augusta, liegen 
große Salinen, für den Fremden, der auf der Eisenbahn Sizilien 
durchreist, ein Merkmal dieser Landschaft. 

Die Stadt Augusta hat außer Astorga noch einige andere be- 
deutende Männer hervorgebracht. ^ So gelangte der in Augusta 
geborene D. Giuseppe Amodei im 17. Jahrhundert zu hohen 
geistlichen Ehrenstellen. Für uns ist er bemerkenswert, weil er 
auch ein tüchtiger Musiker war. Als Orgelspieler wie als Komponist 
leistete er Beträchtliches. Er schrieb einen Band Messen, deren erste 
er seiner Vaterstadt zu Ehren »Messa Augustanese« nannte*. Aus 
Augusta stammte das Brüderpaar Francesco und OnofrioVita, 
die zu den bedeutendsten sizilianischen Geschichtschreibern im 
17. Jahrhundert gehörten. Francesco war auch als Dichter an- 
gesehen«. Ferner verdient Mario Moreno Erwähnung. Er wurde 
als Sohn eines armen Ziegelbrenners in Augusta geboren. Zum 
Geistlichen erzogen, gewann er mit den Jahren höchstes Ansehen 



^ Vgl. Francesco Zoppellis Artikel über Augusta in C e s a r e 
Orlandis Werk: »Delle Cittä d'Italia, e sue Isole adjacenti. 
Compendiose Notizie sacre e profane«. Bd. II, Perugia 1772, S. 352 ff. Dieses 
groß angelegte Werk, dessen Stoff in alphabetischer Anordnung dargeboten 
wird, gedieh nur bis zum 4. Bande, mit dem erst der Buchstabe B komplett 
vorliegt. Die verschiedensten Mitarbeiter waren für das Unternehmen vor- 
gesehen. Daß der Artikel über Augusta von Fr. Z o p p e 1 1 i herrührt, geht 
aus einer Stelle im Index des 2. Bandes, S. 398, hervor. 

•Zoppelli-OrlandiS. 386: »II Reverendissimo Padre D. G i u - 
Seppe Amodei Cassinense, Abate Visitatore di Sicilia, e del Monastero 
di San Martino di Palermo, dotato di gran condotta nel govemare, Uomo 
manierosissimo nel tratto, affabile, ed umile. Essendo intendente di Musica, 
compose un Volume di Messe, la prnna delle quali chiamolla Messa Augusta- 
nese. Fu anche celebre Suonatore d'Organo«. — E i t n e r (Q.-L.) kennt 
diesen Amodei nicht, sondern nur einen Cataldo Amodei, geb. in 
Sciacca auf Sicilien, gest. um 1695 in Neapel, wo er als Kapellmeister gewirkt 
hatte. 

* Zoppelli-.Orlandi, S. 385. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 43 

ob seiner bedeutenden Gelehrsamkeit^. Er schrieb auch verschie- 
dene Operntexte, die von einem, dem Namen nach nicht bekannten 
Augustaner in Musik gesetzt und im Theater zu Augusta aufgeführt 
wurden. Da Augusta erst ums Jahr 1730 im Palazzo del Comune 
ein Theater erhielt 2, so dürften diese Aufführungen im zweiten 
Drittel des 18. Jahrhunderts stattgefunden haben. Schließlich ist 
als hervorragender Augustaner auch jener Historiker zu nennen, 
dem wir die meisten der vorstehenden Notizen über Augusta und 
dessen bedeutende Söhne verdanken: Der Abate D. Francesco 
Tommaso Zoppelli. Dieser gelehrte Geistliche entstammte der 
vornehmen Familie der Savelli, deren Name in Sizilien mundart- 
lich in Zopelli, Zoppelli oder Zuppelli abgewandelt wurde. Francesco 
war ein ausgezeichneter Kenner der vaterländischen Geschichte. Er 
schrieb den Augusta betreffenden Artikel für das große historisch- 
topographische Lexikon der Städte und Inseln Italiens, das Cesare 
Orlandi seit dem Jahre 1770 herausgab s. In diesem Artikel ge- 
denkt Zoppelli unter den Söhnen Augustas auch unsres E ma- 
nne le d'Astorga als eines in vielen Wissenschaften, besonders 
aber in der Musik bewanderten Mannes, der auch ein großer Klavier- 
spieler und Kontrapunktiker gewesen sei: »II Barone Don E ma- 
nuelle Astorga versato in molte scienze, ed in particolare nella 
Musica. Fu gran Suonatore di Gravecembalo, e Contrappunto «c So 
beginnt Zoppellis Astorga-Artikel, dessen weitere Einzelheiten wir 
später benutzen werden. Da der Autor nicht lange nach Astorgas 
Zeit lebte, schöpfte er aus noch frischer Tradition^. Von beson- 
derer Wichtigkeit sind seine Notizen für uns, weil sie die früheste 
gedruckte Erwähnung Emanuels als Augustaner enthalten, und 
durch sie jeder etwa auftauchende Zweifel, ob der von uns ermittelte 



^Sebastiano Salomone: Augusta illustrata ovvero S 1 r i a 
diAugusta. Catanla 1876, S. 1 17. 
> Ebenda, S. 148. 

• Den vollständigen Titel s. Note 1 auf Seite 42. 

* Z p p e 1 1 i , dessen Nachricht in Orlandis Werk 1772 gedruckt erschien, 
konnte diese bereits einige Jahre vorher geschrieben haben. Vielleicht lebten 
zu seiner Zeit noch Verwandte des Meisters in Augusta, vielleicht hat er ihn 
selbst noch gesehen. 



44 1. Teil: Astorgas Leben. 

August aner Emanuel d'Astorga auch wirklich der berühmte Ton- 
dichter d'Astorga sei, gebannt wird. — Das geistige Leben seiner 
Vaterstadt suchte Zoppelli durch Gründung einer gelehrten Gesell- 
schaft zu heben. Er folgte mit dieser Gründung der damals in allen 
Städten verbreiteten Mode, alle Bürger, die Interesse für die Wissen- 
schaften hatten, zu einer »Akademie« zu vereinen« Die in Augusta 
erhielt den Namen »Accademia Megarense«^. 

Soviel über Augusta und seine hervorragenden Söhne. Nun 
zu seinem größten, zu Emanuel. 

Am 20. März 1680, um zwei Uhr nachts, war er zur Welt ge- 
kommen. Nichts widerspricht der Annahme, daß seine ersten Jugend- 
jahre heiter und ungetrübt verliefen. Seit der frühesten Kindheit 
war ihm Musik zu hören der größte Genuß, sie zu üben, der liebste 
Zeitvertreib. Bekennt er doch selbst in der Kantatenvorrede, er 
habe seit seinen »ersten Lebensjahren« die Musik zu seinem Ver- 
gnügen betrieben. Die Erziehung des Knaben war die beim Adel 
übliche. Der Hausgeistliche, — gewöhnlich war es ein Jesuit — , 
wird ihn in den Elementarfächem unterwiesen und, soweit es das 
kindliche Gemüt fassen konnte, ihm vom allgemeinen Wissen mit- 
geteilt haben. In seinem Hausgeistlichen haben wir wohl auch den 
ersten Musiklehrer Emanuels zu erblicken, der ihn im Klavierspiel, 
im Gesang und in den Anfängen der Theorie unterrichtete. Wenig- 
stens spricht nichts dafür, daß der Knabe die ersten musikalischen 
Studien bei bedeutenden Fachleuten gemacht habe. 

In die stille Bildungszeit Emanuels schlug das furchtbare Natur- 
ereignis des Jahres 1693 wie ein Blitz aus heiterm Himmel. Das 
grauenvolle Erdbeben, das fast ganz Augusta in Trümmer legte, 
brachte zweifellos auch der Familie Rincon d'Astorga Verluste und 
Trauer. Obwohl nicht gesagt ist, daß Emanuel in Augusta weilte, 
als die Katastrophe eintrat, und er und sein Vater dabei vielleicht 
nur knapp das Leben retten konnten, so ist doch sicher, daß das 
Unglück auch ihm Wunden schlug. Selbst die Nachricht Von dem 
Vernichtungslos, das seine Vaterstadt, seine Verwandten und Freunde 
getroffen hatte, mußte die Seele des dreizehnjährigen Knaben aufs 



^ Sebastiane Salomone. a. a. O. S. 118. 



III. Kap«: Heimat und Jugendjahre. 45 

tiefste und schmerzlichste bewegen. Es ist keineswegs unmög- 
lich, daß sich Emanuels Mutter unter den Opfern des schreck- 
lichen Naturereignisses befand. Wenn Francesco d'Astorga mit 
den Seinen zur Zeit des Erdbebens noch in Augusta ansässig war, so 
wurde gewiss eben dieses Ereignis der unmittelbare Anlaß zu seiner 
Übersiedlung nach Palermo. In der völlig zerstörten Stadt war 
seines Bleibens nicht. Zwar liegt erst aus dem Jahre 1705 ein sicherer 
Beweis für Francescos Anwesenheit in Palermo vor: Die Nachricht 
über seine Wahl zum Senator. Aber er konnte schon längere Zeit 
in der Stadt ansässig sein, als er in deren Senat gewählt wurde. 
Es ist also wohl möglich, daß Francesco im Jahre 1693 die Gegend, 
in der seine Baronie lag, verlassen hat und nach Palermo über- 
gesiedelt ist. 

Mit der Wahl dieses Wohnortes folgte er der Sitte der meisten 
sizilianischen Barone. Diese bewirtschafteten ihre Güter ja keines- 
wegs selbst, sondern überließen diese Arbeit einer Schar von Beam- 
ten. Für jedes solche Lehensgut gab es einen Capitano, Geschwo- 
rene, einen Lokalrichter, einen Obern chter,i — die alle dafür sorgten, 
daß die armen hörigen Bauern, über welche das alte barbarische 
»mero e misto imperio « den Baronen unumschränkte Macht verlieh, 
ihre Pflichten erfüllten. Die Herren aber lebten in der Hauptstadt 
der Insel, ihre Zeit in süßem Nichtstun hinbringend. »Sie kauten 
auf beiden Backen die Produkte ihrer Lehensgüter, die sie oft genug 
nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatten a^. Denn die 
Güter wenigstens als Sommeraufenthalt zu benutzen, wie unsere 
Großgrundbesitzer tun, daran hinderte sie der Mangel an Straßen 
im Inneren der Insel und nicht minder das Banditenunwesen» 

Es ist kein Anlaß zu der Annahme vorhanden, daß die Barone 
d'Astorga auf Ogliastro die Einrichtungen des Lehenswesens zu 
Gunsten ihrer bedrückten Untertanen geändert hätten. Sie waren 
Kinder ihrer Zeit, der solche philanthropische Ideen noch fern lagen. 
Erst im Jahre 1812 wurde jenes Feudalsystem, das die völlige Aus- 



^ Arcangiolo Leanti: Lo stato presente de la Sicilia. Palermo 
1761. Bd. II, S.329. 

• Nach R. de St. Non, Voyage, zit. bei Giuseppe PI tri: La 
Vita in Palermo cento e piü anni fa. Palermo 1904. Bd. I, S. 223. 



46 1. Teil: Astorgas Leben. 

saugung und Knebelung der Bauern zur Folge hatte, beseitigt. 
Von diesem Zeitpunkte an zählt die Epoche des wirtschaftlichen 
Aufschwunges Siziliens^. 

Auch daß Francesco jemals seine Besitzung Ogliastro wieder- 
sah, nachdem er sich in Palermo niedergelassen hatte, ist nicht 
recht glaublich. Die Verwaltung seiner Otiter wurde von zuver- 
lässigen Beamten besorgt. Diese kassierten die fälligen Gelder 
ein und deponierten sie bei einer der Banken in Palermo 2, von wo 
der Eigentümer die Summen abhob, die er zum Leben benötigte. 
Das entsprach dem allgemeinen Brauch der sizilianischen Barone. 

Gehörte es bei den Majoratsherren zum guten Ton, die Hände 
in den Schoß zu legen, so pflegten ihre heranwachsenden Söhne die 
Zeit in ritterlichen Übungen hinzubringen. Für den Waffendienst 
bildeten sich selbst die aus, deren Absicht es nicht war, die Offiziers- 
karriere einzuschlagen. Mit Büchse und Degen mußte ein jeder 
Nobile umzugehen wissen. Auch Emanuel hat sich diese ritterlichen 
Kenntnisse angeeignet. Als er in Palermo seine zweite Heimat 
fand, war er ein reiferer Knabe, der natürlich solchen Übungen 
reges Interesse entgegenbringt. Der Verkehr mit den zahlreichen 
adligen Söhnen führte in der Folge den Jüngling dazu, es ihnen im 
Reiten und Fechten und verwandten Künsten gleichzutun. Wir 
brauchen daher nicht zu erstaunen, wenn er uns späterhin als 
Offizier der Kommunalgarde von Palermo begegnet». 

Einen beträchtlichen Teil seiner Jugend hat Emanuel in Palermo 
•verlebt. In dieser Epoche konnte seine Entwicklung um so harmo- 
nischer, seine Ausbildung um so gründlicher erfolgen, als sie eine 
Zeit des Friedens für Sizilien und insbesondere für seine Hauptstadt 
war. Was früher* über blutige Aufstände in Sizilien erzählt wurde, 
in denen Astorgas Vater als Opfer gefallen sein sollte, bewahrheitet 



^J. F. Neigebaur, Sicilien, dessen politische Entwicklung und 
jetzige Zustände. 2. Aufl. Leipzig 1848. Bd. II, S. 144. 

> Im Jahre 1718 waren in Palermo die bedeutendsten Banken die Colonna 
f rumentaria und die sog. »öffentliche Bank«. Vgl. Karl Querner: 
Die piemontesische Herrschaft auf Sicilien. Bern 1879. S. 186. 

s Das Nähere darüber s. unten, S. 60 f. 

* Von Fr. Rochlitz erfunden. Vgl. unten, S. 146f. und 159f. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 47 

sieh nicht. Allerdings warf die Bewegung, die sich im Jahre 1701 
in Neapel gegen das spanische Regiment erhobt, schwache Wellen 
bis nach Sizilien. Im genannten Jahre wurden in einigen Städten 
der Insel mehrere einer Verschwörung verdächtige Personen ver- 
haftet 3; zu einer offenen Empörung oder gar zu Blutvergießen kam 
es aber nicht. Die breite Masse der Sizilianer dachte gar nicht 
daran, sich gegen die spanische Herrschaft, die seit 1282 auf der Insel 
bestand, aufzulehnen. Obwohl die Spanier im Laufe der Jahr- 
hunderte für den Wohlstand des Inselvolkes nicht nur nichts getan 
hatten, sondern beständig nur auf dessen Ausbeutung bedacht ge- 
wesen waren, hatten sich die Sizilianer doch mit der Zeit in die 
Verhältnisse gefunden, so daß ihnen das Gefühl ihrer Zugehörigkeit 
zu Italien trotz ihrer Sprache und ihres Volkstums entschwunden 
war. Sizilien fühlte sich als Teil der spanischen Monarchie. Der 
spanische König war auch der von Sizilien, und das Volk ver- 
ehrte ihn in dem Vizekönig, der aus Madrid gesandt wurde und in 
Palermo glänzend Hof hielt. Man war zufrieden unter der spani- 
schen Flagge. Und so wenig im Innern Siziliens Fehde herrschte, 
so wenig hatte die Insel auch von äußeren Feinden zu leiden. Sie 
erfreute sich des Friedens selbst noch zu der Zeit, wo der spanische 
Erbfolgekrieg, in dem doch die Insel selbst eines der Streitobjekte 
war, die Länder Westeuropas durchtobte. Auch Überfälle der 
Türken, vor denen damals alle westlichen Mittelmeervölker zitterten, 
betrafen Sizilien nicht. 

Mehr als zum Waffenhandwerk fühlte sich Emanuel ins Reich 
der geistigen Kultur hingezogen. Auf dem Grunde, den er in Au- 
gusta empfangen hatte, baute er in Palermo seine allgemeine Bildung 
weit und vielseitig aus. Die Großstadt bot ja Bildungsmaterial in 
Fülle und regte den empfänglichen Sinn des Jünglings durch ihr 

^ Wir kommen im 2. Teile unserer Schrift (S. 184 ff.) ausführlich auf diese 
Empörung zurück. 

• Marchese Angelo Granito, Principe di Belmonte: Storia 
della congiura del Principe di Macchia e della occupazione 
fatta dalle armi austriache del Regno di Napoli nel 1707. — Napoli 1861. 
Bd. I, S. 165. Die Einsicht in dieses seltene Werk ermöglichte mir Herr 
Direktor Professor Dr. A. Kopf ermann von der kgl. Bibliothek zu 
Berlin; wofür ich ihm zu innigstem Danke verpflichtet bin. 



48 1. Teil: Astorgas Leben. 

kräftig pulsierendes Leben nach den verschiedensten Richtungen 
hin an. Durch fleißiges Studium gelangte Emanuel in den Besitz 
von Kenntnissen, welche die Durchschnittsbildung eines Edel- 
mannes der Zeit um 1700 beträchtlich überragten. Im Kreise 
seiner Freunde stand er mit Recht im Ansehen eines sin vielen 
Wissenschaften bewanderten« Mannes, wie ihn sein Landsmann 
Zoppelli nennt. Auch Emanuels Kantatenvorrede kennzeichnet 
sich als die Äußerung eines vielseitig gebildeten Geistes. Ange- 
sichts dieser Prefazione ist es höchst bedauerlich, daß sich keine 
weiteren schriftstellerischen Dokumente, namentlich Briefe, von 
Astorga erhalten haben. Nicht einen einzigen Brief des Meisters 
aufzufinden gelang mir. 

Bei Emanuels ausgeprägter Vorliebe für die Musik verlegte 
er das Hauptgewicht seiner Studien auf dieses Gebiet. In 
Palermo wurden die in seiner Vaterstadt begonnenen musikalischen 
Übungen mit Eifer fortgesetzt; hier erfolgte seine Ausbildung zum 
Komponisten. Ein regelmäßiges und gründliches Studium des 
Kontrapunktes begann, das zweifellos ein Fachmusiker geleitet 
hat. Denn Emanuel zeigt in seinem »Stabat Mater« eine so gute 
Schulung im strengen polyphonen Satze, daß sie kaum durch Selbst- 
studium erworben sein kann. Wer Emanuels Lehrmeister in der 
edlen Kunst gewesen sei, hat man zu erraten versucht. In Fran- 
cesco Scarlatti, einem Bruder .des berühmten Alessandro, 
glaubte man ihn gefunden zu habend. Und was war der Grund für 
diese Annahme? Lediglich der Umstand, daß Francesco Scarlatti, 
als er sich 1715 um die Vizekapellmeisterstelle in Wien bewarb, in 
dem Befürwortungsschreiben des Hofkapellmeisters J. J. Fux als 
»26 Jahre gewester Kapellmeister zu Palermo in Sizilien « bezeichnet 
wird«. Nun haben aber die neuesten Forschungen» ergeben, daß 
Francesco Scarlatti 1684 Violinist in der königlichen Kapelle zu 



^ Simon Molitor sprach zuerst eine solche Vermutung aus in 
seinem Astorga-Artikel in der Allg. M. Z. 1839; vgl. S. 166 unsrer Schrift 

> Vgl. M 1 i 1 r , a. a. O. — Das Befürwortungsschreiben ist ganz 
abgedruckt in L. v. K ö c h e 1 s »J o h. J. F u x«, Wien 1872, S. 378. 

* Edward J. Dent: Alessandro Scarlatti, hi& Life and 
Works. London 1905. S.34. 



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III. Kap.: Heimat uiid Jugendjahre. 49 

Neapel war, daß er sich femer im Jahre 1699 vermutlich in Rom 
aufhielt. Durch diese Daten wird die Zeitangabe in jener älteren 
Nachricht problematisch und ihre Glaubwürdigkeit überhaupt er- 
schüttert. Selbst wenn aber Francesco wirklich periodenweise, — 
^^ und, zusammengerechnet, lange Zeit — in Palermo als Kapellmeister 

gewirkt hat, — wofür aber jedes unmittelbare Zeugnis fehlt — , so 
ist doch durch nichts bewiesen, daß er gerade Emanuel d'Astorgas 
Lehrer war. Wie wir gleich sehen werden, gab es in Palermo zahl- 
st' reiche Musiker, die ebensogut als solche in Betracht kommen konnten . 
'"^ Nur der klangvolle Name »Scarlatti« mag zu jener Annahme ver- 
^^ leitet haben, die wir als grundlos fallen lassen. 
*" Wir wissen viel zu wenig über Francesco Scarlatti, um be- 
urteilen zu können, ob es eine Ehre bedeutete und Nutzen versprach, 
^^ dessen Schüler zu werden. Doch ist sicher, daß er sich mit seinem 
^^ Bruder Alessandro an künstlerischer Bedeutung keineswegs 
'^ messen konnte. Letzterer stand bereits um die Jahrhundertwende 
^ auf dem Gipfel seines Ruhmes und übte durch seine handschriftlich 
^ verbreiteten Werke auf die ganze musikalische Welt den größten 
'^ Einfluß aus. Scherzte man doch bereits 1680 von ihm, er habe »einen 
^ Sack voll Arien bis an das Ende der Christenheit getragen «i. Daß 
^' sich auch Emanuel dem Einflüsse der Scarlattischen Kunst nicht 
entzogen hat, ersieht man schon beim flüchtigsten Vergleich seiner 
Kammerkantaten mit jenen Alessandro Scarlattis. 

Aber nicht nur die theoretischen und praktischen Studien an 
Schreibtisch und Klavier förderten den jungen Emanuel; von höch- 
ster Bedeutung für seine Ausreifung war auch das Musikleben der 
Stadt Palermo. Das Hören und kritische Erfassen der aufgeführten 
Musik läuterte und befruchtete seinen musikalischen Sinn. 

Ein Überblick über das Musikleben Palermos um die 
Wende des 17. Jahrhunderts, wie er sich aus gleichzeitigen 
und neueren Quellen ergibt, möge zeigen, wie vielseitige Eindrücke 
die Stadt in jener Zeit dem Musikfreund gewähren konnte. 

Palermo stand von alters her an Musikfreudigkeit keiner 
anderen italienischen Großstadt nach. Die Chroniken gedenken bei 



:r 



^ Ebenda, 8. 26. 
Volkmann, Astorga. I. 



50 1. Teil: Astorgas Leben. 

allen möglichen Gelegenheiten der }»sceltissima musica«, die in der 
Stadt erklang. Dieser Musikfreudigkeit entsprechend war auch 
die Zahl der Musiker von Beruf eine große. Im Jahre 1679 
schlössen sich diese zu einem festen Verbände zusammen. Die 
»Unione de' Musici« vereinte Instrumentisten und Sänger. Selbst 
Geistliche, besonders Organisten und Kapellsänger, traten der 
Zunft bei, die nun alle musikalischen Aufführungen in der Stadt, 
geistliche und weltliche, von den bescheidensten bis zu den groß- 
artigsten besorgte 1. Die Vorliebe der Zeit für konzertierende Musik, 
die damals dem Orchester im katholischen Gottesdienste einen weit 
größeren Raum vergönnte, als er ihm heute darin beschieden ist, 
gab neben den Gängern auch den Instrumentisten der Unione bei 
allerlei kirchlichen Anlässen Gelegenheit, sich zu betätigen. Da 
waren bald Messen aufzuführen, bald galt's, bei einem Tedeum, bald 
bei einem Requiem mitzuwirken. Ein Hochamt mit besonders fest- 
lichem Tedeum wurde im Dom zu Palermo am 10. August 1686 
aus Anlaß der Siege des Kaisers über die Türken in Ungarn gehalten 2. 
Ein ähnlich pompöses Tedeum erklang bei der Kanonisierungsfeier 
einiger Heiligen im Jahre 16913. Auch der Tod des spanischen 
Königs Karl II. im November 1700 gab Anlaß zu außergewöhn- 
lichen musikalischen Veranstaltungen^. Das Fest der heiligen 
Rosalia, der Ortsheiligen von Palermo (13. — 15. Juli), das noch 
heute das bedeutendste Kirchen- und Volksfest der Stadt ist, wurde 
auch damals alljährlich mit Pracht und vielem Sang und Klang ge- 
feiert. Im Jahre 1686 versuchte man der Prozession mit dem 
Silbersarg der Heiligen besonderen Glanz zu verleihen, indem man 
das Musikchor, das ihn auf einem Wagen begleitete, in die Volks- 
trachten der verschiedenen Reiche des spanischen Königs steckte, 
und selbst die Pferde, die ihren Wagen zogen, als Elephanten, 
Tiger und andere wilde Tiere maskierte«. 



1 Fit r^, a.a.O. II, 102 ff. 

> Mongitore, Diari. Di Marzo, Bibl. Sic. VII, 51. 

» Ebenda, VII, 96. 

* Ebenda, VII, 205. 

» Ebenda, VII, 50. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 51 

Die Vorliebe des Volkes für öffentliche Unterhaltungsmusik 
führte im Jahre 1681 zum Bau einer Musikhalle in der Nähe des 
Hafens, »Teatro di Musicaa oder »Teatrino« genannt. In diesem 
Pavillon musizierten während der schönen Jahreszeit zu allen Sonn- 
und Festtagen die ausgezeichnetsten Künstler von Palermo auf 
Kosten des Senats. Die promenierende Menge, die sich hier an 
heißen Tagen auch noch der kühlen Luft des Meeres erfreute, lauschte 
mit Vergnügen dem Vortrag beliebter Gesangsstücke und gefälliger 
Orchestersätze. An Werktagen stellten sich im Teatrino öfter die 
von alters her beliebten Pifferari ein, die mit ihrer primitiven Volks- 
musik ein anspruchsloses Publikum ergötzten.^ 

Bei politischen Festlichkeiten wurde in Palermo ebenfalls mit 
Musik nicht gespart. 2og ein neuer Vizekönig ein, so wurden an 
den Quattro Cantoni am Kreuzupgspunkte der beiden Hauptstraßen 
der Stadt vier prächtige Tribünen errichtet, auf denen zur fest- 
lichen Stunde vier Musikchöre teils wechselweise, teils gemeinsam, 
spielten. Mit solch einem Festkonzert wurde z. B. der Vizekönig 
D. Pietro Colon im Mai 1699 begrüßt». Auch die Genesung des 
spanischen Königspaares von schwerer Krankheit im Oktober 1696 
war ein Anlaß, nicht nur Dankgottesdienste, Illuminationen und 



^ »Fabricossi pure in quest' anno [1681] fuori porta Feiice, innanti la 
cappelletta di S. Ninfa, a disegno deir ingegnoso architetto D. Paulo Amato, 
un teatro per musica ,dove i piü vantaggiati musici, salariati dal senato, ogni 
festa, cominciando da . . . sino a . . ., donano con bellissime cantate di ariette 
€ dialoghi musicali, e con nobilissime sonate, dilettevole trattenimento ai 
cittadini. E i giorni di lavoro, i sonatori di pifere, qua!! da gran tempo ha 
usato Palermo, come ne fa fede il Baronio, DeMajest. Fan. IIb. I, 
f. 142, vengono a formar anch'essi grato trattenimento a' Palermitani, che 
qui nel tempo estivo si portano, come che ben atto a rattemprare ogni calore 
per il grato spirare, ch'ivi fa Taura del mar vicino«. 

So erzählt Mongitore (Di Marzo, Bibl. Sic. VII, 14) und knüpft 
daran eine detaillierte Beschreibung des Bauwerkes. Nach P i t r ö (a. a. O. II, 
112) erfreuten sich die Aufführungen im »Teatrino senatorio«, wie man die Halle 
später nannte, besonders am Johannistage und zu Kreuzerhöhung (14. Sep- 
tember) größter Beliebtheit bei den Palermitanern. Noch heute versammelt 
sich die vornehme Welt Palermos an Sommerabenden an der Marina bei den 
Klängen der Musik, die von dem modernisierten Teatrino herabwallen. 

«Mongitore, Di Marzo, Bibl. Sic. VII, 187 f. 

4* 



52 1. Teil: Astorgas Leben. 

Feuerwerke zu veranstalten, sondern auch an den Quattro Cantoni 
»Jubelmotetten« (»mottetti giulivi«) aufführen zu lassen^. 

Bei Nationalfesten waren überhaupt Musikaufführungen mit 
großen Materialmassen — man könnte sagen »Monstrekonzerte « — 
beliebt. Bei dem soeben erwähnten Qenesungsf este spielten während 
der Illumination zwei Musikchöre. Die Rückkehr der spanischen 
Regierung im Jahre 1735 wurde durch »Dialoghi« gefeiert, die von 
acht Musikchören ausgeführt wurden 2. Für eine Serenade zu 
Ehren der Malteserritter in der Galerie des königlichen Palastes im 
Mai 1701 bot der Vizekönig sämtliche Sänger und Instrumen- 
tisten auf, die es in Palermo gab^. Die Ode melodrammatica, 
die damals zur Aufführung kam, hieß: »La gara Concorde deir 
universo« und war von dem königlichen Sindicatore D. Giuseppe 
Prescimone gedichtet; von wem die Musik stammte, ist nicht 
überliefert. 

Dieses melodramatische Gebilde legt uns die Frage nahe, wie es 
in Palermo um die Oper bestellt war. Diese Kunstgattung, die 
in Florenz entstanden und dann in Venedig in der Mitte des 
17. Jahrhunderts zur ersten großen Blüte gelangt war, hatte sich 
allmählich über alle italienischen Kunststädte verbreitet. In 
Neapel war bereits 1651 Monteverdis Incoronazione di Poppea* 
zur Darstellung gekommen ; die Werke anderer großer Norditaliener 
waren gefolgt, als Neapel die Führung in der Weiterentwicklung der 
Oper übernahm. Francesco Provenzale hatte seit 1671 in 
seinen Opern die neue Richtung eingeschlagen; er ist der Begründer 
des neapolitanischen Opernstils ^, der dann unter Alessandro 
Scarlatti zur höchsten Entfaltung kam. Von Neapel aus, also 
ziemlich spät in der Gesamtentwicklung, empfing Palermo die 
Kunst der Oper. Die Nachricht von der Eröffnung eines Opern- 



1 Ebenda, VII, 149. 

s Ebenda. IX, 291. 

> Ebenda, VII, 285. 

*Vgl. BenedettoCroce:I Teatri di Napoli, Secolo XV— XVIII. 
NapoU 1891. S. 132. 

* Vgl. HugoGoldschmidt: Francesco Provenzale als Dramatiker. 
Sammelbände der I. M. 0. VII, 608 ff. 



III. Kap.: Heimat nnd Jugendjahre. 53 

hauses im Jahre 1693 enthält die früheste bestimmte Zeitangabe 
über das Auftauchen der Oper in dieser Stadt. Wohl hatten dort 
schon vor der Eröffnung des Opernhauses musikalisch-dramatische 
Aufführungen stattgefunden. Wir wissen über sie nur, daß sie von 
der Unione de' musici veranstaltet wurden, und zwar in einem 
Speicher an der »Calata delli 6iudici «, den die Genossenschaft von 
der Familie Valguarnera dazu gemietet hatte. Diese Räumlichkeit 
entsprach jedoch in keiner Weise den künstlerischen Zwecken. So 
nahm denn die Unione die Gründung eines eigenen Opernhauses 
in die Hand. Reiche Bürger und selbst der Vizekönig Duca d'Uzeda 
steuerten zu den beträchtlichen Baukosten bei^. Die Herren von 
der Zunft wählten für ihr Theater die Stelle, an der das alte 
Kirchlein ihrer Schutzheiligen, der Sta Cecilia lag*, nicht weit von 
der Fiera vecchia, der heutigen Piazza della Rivoluzione. Die ver- 
schwindende Kirche gab dem erstehenden Kunsttempel den Namen. 
Das Teatro Sta Cecilia besteht, geschmackvoll renoviert, noch heute; 
in seinen Größen Verhältnissen ist es aber mit den modernen Theatern 
nicht mehr konkurrenzfähig, zumal mit denen Palermos, unter 
welchen sich das größte Theater von ganz Italien befindet: das 
Teatro Massimo, das 3200 Zuschauer faßt. Jenes erste Opernhaus 
wurde im Jahre 1692 begonnen und im Herbst 1693 vollendet. 
Am 28. Oktober dieses Jahres wurde es mit der Oper »L'innocenza 
penitente« eröffnet. Das Werk verherrlichte das Leben und die 
Frömmigkeit der heiligen Rosalia und war von D. Vincenzo 
Giattini aus Palermo gedichtet s; wer es komponiert hatte, 
verraten die Quellen nicht. Wü* dürfen annehmen, daß dieser reli- 
giösen Lokaloper andere Werke historischen, mythologischen und 
Pastoralen Genres gefolgt sind. Auch die Erstlinge der Opera 
buffa stellten sich ein. Dieser Gattung, deren Entwicklung zur 
Selbständigkeit eben erst begann, gehörten zweifellos die »Comedie in 
musica« an, die laut Mongitore^ im Oktober 1696 und im Juni 1704 



1 Mongitore, Di Marzo, Bibl. Sic. VII, 117 f. 
« Pitrfe, a.a.O. II, 102. 

* Mongi tore,a. a. O.VII, llSund Vincenzo Auria : Histo- 
riacronol. d. S. VicerödiSicllia (Palermo 1697), S. 202. 
« Mongitore VII, 149 und VIII, 23. 



54 1. Teil: As torgas Leben. 

zum allgemeinen Vergnügen gegeben wurden. Im ganzen haben 
wir uns das Opemleben von Palermo als einen Abglanz desjenigen 
von Neapel zu denken, woher nicht nur die meisten Bühnenwerke, 
sondern auch die meisten Bühnensänger kommen mochten. 

Notizen über Aufführungen von Oratorien stammen erst aus 
einer späteren Zeit. Solche über di6 Pflege der Kammermusik 
sind bei dem privaten Charakter dieses Kunstzweiges nicht häufig 
in historischen Schriften zu finden. Nur wenn irgend eine hoch- 
gestellte Person ihren Gästen mit einem »Trattimento di Musica« 
aufwarten ließ ^, hielt dies der Chronist für bemerkenswert. Häus- 
liche Musikpflege herrschte in Palermo ebenso wie in anderen 
italienischen Städten. In den Palästen der Barone so gut wie in 
den Bürgerhäusern erklang das Spiel der Laute, des Clavichord und 
der Geigen, und sangesfreudige Jugend bezauberte die Herzen mit 
zärtlichen Kammerkantaten und -duetten. Bei größeren Gesell- 
schaften wurden auch Künstler von der Unione de' Musici zur Mit- 
wirkung herangezogen. Doch blieb die gesellschaftliche Grenze 
streng gewahrt* Jeder Dilettant hätte sich den Vergleich mit einem 
Berufsmusiker, auf dessen Stand man geringschätzig herabblickte, 
verbeten. Die Berufsmusiker galten als Proletariat; mithin war 
auch ihre Besoldung gering. Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts 
erhielt die Unione für die Aufführung von zwei Messen nicht mehr als 
3 Unzen und 2 Tari,^ das ist nach dem heutigen Münzfuße etwa 
39 Lire, also kaum 32 Mark nach unserer Währung. Man ließ die 
Unione nur als Arbeitergemeinschaft gelten; der einzelne Künstler 
bedeutete nichts. Dadurch wird erklärlich, daß uns fast gar keine 
Namen einzelner Musiker jener Zeit überliefert sind. Ein einziger 
Palermitaner Meister wird zu Anfang des 18. Jahrhunderts seiner 
offiziellen Stellung halber genannt: Der Kapellmeister des Senats 
und der kgl. Kapelle D. Giuseppe Dia. Dia war auch Komponist 
und brachte am 19. Dezember 1703 zum Geburtstage Philipps V. 
von Spanien einen Dialogo a cinque voci von seiner Arbeit zur Auf- 
führung*. Dieser Dialog war von einem Priester, D. Giachino 

1 A. a. O. IX, 240. 

« PitrÄ, a.a.O. 11, 108. 

s Mongitore, a.a.O. VIII, 14. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 55 

Luciano, gedichtet und trug den Titel »Qli arbitri de! Tempo 
e della Fortuna«, — eine jener allegorischen Festoperetten, die 
im 18. Jahrhundert wie Pilze aus der Erde schössen. 

Dieser Überblick genügt, um darzutun, daß das Musikleben in 
Palermo ein reges und vielseitiges war. Emanuel d'Astorga konnte 
in Palermo alle Stile und Gattungen der italienischen Musik kennen 
lernen. Von der einfachen Kammerkantate bis zur solennen Fest- 
messe und von der schlichten Volksmusik der Pifferari bis zum 
gewaltigen Dramma per musica boten sich ihm Werke aller Musik- 
gattungen in stilgemäßen Aufführungen dar. 

Wenn die Erstgeborenen des Adels volljährig geworden waren, 
pflegten sie sich jenen Höfen vorzustellen, mit denen in Konnex 
zu stehen ihrem Hause wünschenswert erschien. Auch Emanuel 
wird aus diesem Grunde, zugleich aber auch um seinen Gesichts- 
kreis als Mensch und Künstler zu erweitern, mit etwa zwanzig 
Jahren auf Reisen gegangen sein. 

Vermutlich zog er zuerst in das Land seiner Väter, nach Spanien. 
Denn den Hof des »katholischen Königs«, seines Monarchen und 
künftigen Lehensherrn kennen zu lernen, wird ihm gewiß zumeist am 
Herzen gelegen haben. Beweise für seinen Aufenthalt in Madrid 
waren nicht zu erlangen i, doch ist an einem solchen nicht zu zwei- 
feln. Gänzlich zurückzuweisen sind die Märchen über den Schutz, 
den ihm die am spanischen Hofe mit größtem Einfluß waltende 
Fürstin Ursini habe angedeihen lassen. Nicht der geringste Beleg 
für eine derartige Annahme war aufzufinden 2. Natürlich wird 
Emanuel die Fürstin kennen gelernt haben, wie er all die Granden 
und adligen Damen, die am Hofe zu Madrid verkehrten, kennen 
lernte, vorausgesetzt, daß er überhaupt noch in der spanischen 
Hauptstadt weilte, als die Prinzessin dort auftauchte. ^ 



^ Vgl. dazu Anmerkung 4 auf S. 120 unsrer Schrift. 

> Selbst in der großen Biographie der Fürstin von Fran^oisCombes 
(»La princesse des Ursins«, Paris 1858), in der kein erreichbarer Zug aus dem 
Leben der berühmten »Camerera mayor« ungebucht blieb, ist nichts 
davon erwähnt. — Erläuterung der von Rochlitz stammenden Annahme 
s. S. 160 unsrer Schrift. 

* Dies geschah Ende des Jahres 1701. 



56 1. Teil: Astorgas Leben. 

Wie lange sich Astorga in Madrid aufhielt und wohin er sich 
von dort wandte, liegt im Dunkel. Möglich ist, daß er bereits in 
jener Zeit Lissabon besuchte, daß sich bereits damals die Bezie- 
hungen zur Hauptstadt Portugals anspannen, die ihn später wieder 
dahin führten. 

Ein Besuch der germanischen Länder, namentlich Österreichs, 
erfolgte in jener Epoche wohl noch nicht. Die alte Nachricht von 
Emanuels Erscheinen am Hofe Leopolds L zu Wien beruht wohl, 
wie wir unten sehen werden^, auf Verwechslung dieses Kaisers mit 
Karl VL 

Der spanische Erbfolgekrieg, der 1701 entbrannte und zunächst 
Oberitalien und in den folgenden Jahren Westdeutschland, die 
Niederlande und von 1704 ab auch Spanien durchtobte, hat gewiß \ 

auf Emanuels Reisedispositionen Einfluß geübt. Die Gegenden, in | 

denen sich die Völker schlugen, versprachen nichts für ihn; er wird ij 

sie vermieden haben. Unbehelligt von diesen Kriegswirren blieben i 

Unter- und Mittelitalien; auch für Oberitalien kamen bald wieder [ 

ruhigere Zeiten. Diese Lande, so bequem von seiner heimatlichen ' 

Insel aus erreichbar, hat Emanuel im ersten Jahrzehnt des 18. Jahr- i 

hunderts wiederholt besucht. In den Städten Italiens zog ja nicht 
nur die Gesellschaft den Edelmann, sondern auch das Musikleben 
den Künstler in ihm an. Besonders fesselten ihn Neapel und Venedig, 
diese Hauptzentren aller musikalischen Kultur in jener Zeit. 

Neapel, diese von Palermo aus am bequemsten erreichbare 
Großstadt des italienischen Festlandes, hat Emanuel d' Astorga oft 
beherbergt. Der Verkehr mit den anerkannten und werdenden 
Musikgrößen Neapels wirkte anregend und fördernd auf ihn ein. 
Weilte auch das Haupt der neapolitanischen Schule, Alessandro 
Scar]atti,in den Jahren 1702— -8., in welche sicher längere Besuche 
Astorgas in Neapel fielen, zumeist nicht dort, so waren doch andere 
bedeutende Künstler genug am Platze. Der Kirchenkomponist 
Greco und der Opemkomponist Fago waren hochgeschätzte 
Meister; die mit Astorga ziemlich gleichaltrigen Komponisten Du- 
rante und Porpora standen freilich noch in den ersten Anfängen 

1 S. 85. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 57 

ihrer Ruhmeslaufbahn. Immerhin kann Durante mit seinen fein 
gearbeiteten Kammerduetten bereits damals Astorga zu ähnlichen 
Arbeiten angeregt haben, deren wir eine ganze Anzahl von ihm 
besitzen. Auch den etwa ein Jahrzehnt älteren Porsile kann er 
hier kennen gelernt haben. Am meisten dürfte Emanuel in Neapel 
durch das Opernleben gefesselt worden sein, das ihn hier in 
weit reicherer Fülle umflutete, als dies in seiner Heimat und selbst 
am Hofe zu Madrid der Fall war. Die Werke Sarris,Scarlattis, 
Mancinis und Oreficis entfesselten im Teatro S. Bartolomeo, 
und außerdem seit 1706 im Teatro de' Fiorentini Beifalls- 
stürme. Auf der erstgenannten Bühne glänzte in den Jahren 1707 
und 1708 die junge SängerinMariaGiusti^, die bald darauf in ganz 
Europa gefeierte »Romanina«. Zu Maria Giusti, die wir später 
ihre Kunst für Astorgas Musik wiederholt einsetzen sehen werden, hat 
der Komponist vermutlich schon in Neapel Beziehungen gewonnen. 
Auch in Venedig fand der Kunstfreund noch vielfältige Genüsse. 
Lag auch die Führung in der Weiterentwicklung der musikalischen 
Formen nicht mehr in den Händen der Venetianer, so erhielten doch 
bedeutende Meister den alten Ruhm der Lagunenstadt als Heim 
der Musen lebendig. Komponisten wie Fr. Pollarolo und A. 
Lotti spendeten den Kirchen, Opembühnen und Salons von Vene- 
dig rastlos neue Schöpfungen ihres Geistes. An der Markuskirche 
wirkte um die Jahrhundertwende zuerst als Sänger, später an- 
scheinend als Violoncellist 2, der nachmals berühmte Antonio 
Caldara. Mit ihm schloß Astorga wohl schon in Venedig jene 
innige Freundschaft, für deren Bestehen in späteren Jahren unten 
der Beweis erbracht werden wird K 



^ Vgl. Fr. Florimo, La scuola musicale di Napoli ed i suoi Conser« 
vatorii. Napoli 1881, Bd.. IV, S. 13. 

s Vgl. E i t n e r , Q.-L. Artikel Caldara. 

* Vgl. unten, S. 79 f. — Keinesfalls darf man als Beweis für einen Auf- 
enthalt Astorgas in Venedig das Wort »V e n e z i a« auf dem Titel der Kantate 
»Antri amici, a voi ritornoa ansehen, die sich in der D r e s d n e r kgl. Bibliothek 
(Mus. B. 38a Nr. 1) befindet. Dieses Exemplar der Kantate ist eine moderne 
Abschrift. Das Wort »Venezia« ist versehentlich vom Kopisten statt 
»V i e n n aa gesetzt worden. Denn so lautet die Ortsangabe auf derselben 
Kantate in einer alten Abschrift. Das ergibt sich aus dem Verzeichnis der 



58 1. Teil: Astorgas Leben. 

Florenz, wo der Medizäerhof den Mittelpunkt des gesellschaft- 
lichen wie künstlerischen Lebens bildete, hat Astorga gewiß nicht 
umgangen. Die größte Anziehungskraft mußte aber Rom auf ihn 
ausüben. Der nie erlöschende Zauber der ewigen Stadt, der Glanz 
des päpstlichen Hofes, die Häuser der Kirchenfürsten, die z.T. 
ihre eigenen musikalischen Kapellen hatten, wie das des Kardinals 
Ottoboni, fesselten ihn, wie sie jeden kunstliebenden Nobile fessel- 
ten, der damals nach Rom kam. Hier studierte Emanuel die alten 
Traditionen in der Kirchenmusik, die sich trotz des Ansturmes des 
neuen Stils in Rom erhalten hatten. Hier lernte er bedeutende 
Künstler, wie Corelli und Pitoni, vielleicht auch Alessandro 
Scarlatti, kennen. Auch ist es möglich, daß er in Rom oder 
einer der anderen genannten italienischen Städte mit dem fünf 
Jahre jüngeren O. Fr. Händel zusammentraf, der sich von 1707 
bis Anfang 1710 abwechselnd an diesen Orten aufhielt. Zwischen 
der reckenhaften Künstlernatur des Deutschen und der zarter be- 
saiteten unsres Sizilianers lag eine Welt. Sie dürften auch als 
Menschen nicht in nähere Beziehung zueinander getreten sein. 

Über einen Aufenthalt Emanuels in Parma ums Jahr 1704 
sind die romantischsten Einzelheiten verbreitet, die jedoch gänzlich 
aus der Luft gegriffen sind. Ein wesentlich späterer Aufenthalt 
Astorgas in Parma ist, wie wir sehen werden, wahrscheinlich. 

Die reichen Erfahrungen, die Astorga auf seinen Reisen sammelte^ 
begünstigten das Ausreifen seines Charakters. Aber er nahm nicht 
nur in sich auf, er betätigte sich auch schöpferisch. Manches zart- 
sinnige Gedicht, das ihm vor Augen kam, löste musikalische Gedan- 
ken in ihm aus, die er kunstgerecht fixierte. Mancher bedeutende 
Gesangsvirtuos regte ihn zum Komponieren an^; der Beifall fremder 



Textanfänge Astorgascher Kantaten, das Professor AlfredWotquenne 
in Brüssel angefertigt hat. Herr Professor Wotquenne gestattete 
mir gütigst, sein Manuskript einzusehen, wofür ihm auch hier herzlichster 
Dank ausgesprochen sei. 

1 Das könnte vielleicht bei der Kantate »Ruscelletto, che vai scherzando« 
der Fall gewesen sein. Die auf der kgl. Bibliothek zu Dresden (Mus. B. 37, 
S. 6b) befindliche, vor 1716 angefertigte Kopie dieser Kantate trägt an ihrem 
Anfang den Vermerk »Per Inidrarehg«. Sollte der Name wirklich so 
lauten? Ist er überhaupt ein italienisches Wort? Herr Bibliothekar Dr. H u b e r t 



IIL Kap.: Heimat und Jugendjahre. 59 

Musikkenner wirkte das Seine; kurz, er fand überall Gelegenheit 
zum Schaffen und Ermunterung dazu; und seine Arbeitskraft 
und -freudigkeit wuchs. 

Die frühesten datierten Kompositionen Emanuels stammen aus 
dem Jahre 1707. Es sind drei Kantaten für Sopran und Generalbaß, 
die sich jetzt in Abschriften in der Sammlung N ose da des Konser- 
vatoriums zu Mailand befinden^. Daß sie nicht zu seinen frühesten 
Arbeiten überhaupt gehören, ist selbstverständlich. Er war ja 
bereits 27 Jahre alt, als er sie schrieb. Eine beträchtliche Zeit 
des Studiums, der praktischen Übung lag hinter ihm. Im Be- 
wußtsein der nun errungenen Meisterschaft mochte Emanuel die 
Datierung hinzufügen, durch die er selbst diesen Wendepunkt in 
seiner Entwicklung für immer kennzeichnete. Auch wir haben 
also das Jahr 1707 als den Abschluß von Emanuels Studienzeit 
und den Beginn seiner Meisterschaftsepoche zu betrachten. 

Im Sommer des Jahres 1708 weilte Emanuel d'Astorga wieder 
in Palermo. Er sollte damals eine militärische Rolle übernehmen. 
Das hing so zusammen: 

Im Frühjahr 1708 schien der spanische Erbfolgekrieg auch 
Sizilien heimsuchen zu wollen. Angriffe der Kaiserlichen und Eng- 
länder drohten der Insel. D^ warf der König von Spanien zur 
Sicherung seiner Herrschaft auf dem Inselreich etwa 4000 Mann 
Truppen hinüber». Sie wurden in Palermo einquartiert. Dadurch, 



Richter schlug vor, das Wort rückwärts zu lesen. Und siehe da, wir er- 
hatten den gut italienischen Namen Qherardini. Es wäre denkbar, daß 
Astorga jene Kantate für den bedeutenden Sänger RinaldoQherardini 
komponiert hat, der um die Wende des 17. Jahrhunderts in Italien glänzte 
(vgl. E i t n e r , Q.-L. 4, 223 und 0. Sacerdote:Il teatro Regio di Torino, 
Torino 1892, S. 41). Da aber der Name Gherardini ziemlich oft vorkommt, 
und wir nicht wissen, ob jene »rätselhafte Inschrift« auf den Komponisten 
zurückgeht oder erst vom Kopisten hinzugefügt worden ist, läßt sich nichts 
mit Sicherheit daraus folgern. 

^ »Ah, Filii, troppo il pianto«, »Pensier che con l'imago«, »Piango, sospiro 
e penod . Sie zählen als Nr. 363 — 365 des » Indice generale deir Archivio Musicale 
Noseda« von Eugenio de' Ouarinoni (Milano 1897). 

> Benedetto Emanuele e Vanni, March ese di Vil- 
la b i a n c a : Diario e narrazione istorica de' tumulti successi in Palermo 
nel 1706. D i M a r z o , Bibl. Sic. X, 153 ff. 



60 1. Teil: Astorgas Leben. 

— besonders aber weil die Soldaten aller Mittel bar waren, — er- 
wuchs der Stadt eine furchtbare Last. Nun kam noch hinzu, daß die 
Truppen nur zum geringeren Teil aus Spaniern bestanden, die wohl 
gelitten waren, zum größeren aber aus Irländern und Franzosen, 
die den Sizilianern in der Seele verhaßt waren. Als nun gar diese 
fremde Soldateska Miene machte, die Stadt zu plündern, da brach 
ein Aufstand aus, der die Position der Regierung gefährdete. Kluger- 
weise zog diese denn auch die Truppen bald zurück, so daß die 
Kommunalgarde, welche zur Dämpfung des Aufstandes aufgeboten 
worden war, nur wenig zum Eingreifen kam. Die zuletzt genannte 
Stadtwache stand unter einem der vier Capitani, die, den vier 
Stadtvierteln von Palermo entsprechend, vom Senat gewählt wur- 
den. Die Offiziere dieser Wache waren durchgängig Edelleute, auf 
die sich die Regierung verlassen konnte. Die Wache, deren Personal- 
bestand nach bestimmten Zeitabschnitten wechselte, zählte vom 
4. Juli ab unsem Astorga zu ihren Offizieren. Der Marchese Villa- 
bianca berichtet darüber in seiner Schilderung der Tumulte zu 
Palermo im Jahre 1708 folgendes^: . 

. »11 giomo 4 luglio entrö di guardia al posto della Garita 
il capitano di quartiere D. Antonino Galletti. Gli offidali 
della sua compagnia furono tutti nobili; Taiutante fu il prin- 
cipe di Fiumesalato; il paggio di ginetta fu D. Giuseppe Cor- 
vino; sargenti D. Domenico Pap& e D. Giuseppe Ansalone; 
li capi di squadra il cavalier fra D. Giuseppe Aragona, il 
conte della Pastiglia, D. Giovanni Graffeo ed il barone di 
Astorga; l'alfiere fu D. Mariano Galifi. Le file de' soldati 
furono d'ambi i lati spalleggiate da diversi titolati e cavalieri 
particolari in numero considerabile .... Montö la compa- 
gnia al numero di 100 in circa. « 

«Der Baron von Astorga« war also einer der Gruppenführer in 
jener Kompagnie. Aus dem Wortlaut der wiedergegebenen Stelle 
ist zunächst nicht ersichtlich, ob hier der alte oder der junge Baron 
von Astorga gemeint ist. Aber der Inhalt der Notiz entscheidet 



i A. a. 0. S. 189, 190. 



III. Kap.: Heimat und Jugendjahre. 61 

zwischen beiden. Der Dienstgrad, in dem der Baron erscheint, 
entspricht nur einer jugendlichen Person. Vater Francesco war 
damals 56 Jahre alt und hätte, wenn er noch dienstfähig gewesen 
wäre, eine höhere Charge bekleidet. Für den 28jährigen Emanuel 
war der Rang als Capo di squadra ehrenvoll genug. Wir dürfen 
also nicht daran zweifeln, daß unser Künstler in jener unruhe- 
vollen Zeit die Feder mit dem Degen vertauscht hat. 

Auch als sich das Volk von Palermo völlig beruhigt hatte, mußte 
der Adel noch unter Waffen bleiben. Denn eine andere Gefahr stieg 
herauf. Die englisch-holläncUfiche Flotte hatte im August 1708 
Cagliari auf Sardinien besetzt, und ein Angriff auf die sizilianischen 
Küsten schien bevorzustehen. Unverweilt ließ der Vizekönig alle 
festen Plätze der Insel in Verteidigungszustand setzen ^. Dte Baroni 
und Feudatarii des Königreiches erhielten Kommando zum Militär- 
dienst »della cavalleria «, und in Palermo wurde ein Bando erlassen, 
der allen Nobili — unter Androhung der Ungnade seiner Majestät 
— verbot, die Stadt zu verlassen, und alle auswärts befindlichen 
bis zum 20. September in die Hauptstadt zitierte, um »dem Vize- 
könig bei der Verteidigung des Vaterlandes beizustehen «. Emanuel 
konnte also damals keine Exkursion nach dem Kontinent unter- 
nehmen; die nationale Pflicht fesselte ihn an sein heimatliches 
Inselland. Wir müssen uns ihn vorstellen, wie er sich als Reiter- 
offizier mit seiner Schwadron zur Abwehr der Invasion der feind- 
lichen Truppen bereithält. 

Aber der Kriegslärm verhallte in der Ferne, und Sizilien blieb 
verschont. So traten denn um die Jahreswende die alten, geord- 
neten Verhältnisse in Palermo wieder ein, und Emanuel konnte 
sich wieder ganz seiner Kunst widmen und von neuem ans — 
Reisen denken. 



1 A. a. O. S. 197, 198. 



62 1. Teil: Astorgas Leben. 

IV. Kapitel. 
War Astorga 1709 in Barcelona? 

Zu Anfang des Jahres 1709 verließ Astorga wieder die heimat- 
lichen Gestade. Anlaß zu dieser Reise bot die bevorstehende Auf- 
führung seiner Pastoraloper Dafni. 

Alles, was über den Stoff, die Dichtung und Musik zu diesem 
»Dafni« zu sagen ist, versparen wir auf den zweiten Band der 
Astorga-Studien. Das aber, was aus der Geschichte des Werkes 
geeignet ist, zur Klärung eines Abschnittes in der Biographie des 
Meisters beizutragen, muß bereits an dieser Stelle vorgebracht 
werden. Eine Menge bisher unbekannte Einzelheiten werden dabei 
mitzuteilen sein. 

Die älteste in weiteren Kreisen bekannt gewordene Notiz über 
Astorgas Dafni betrifft eine Aufführung des Werkes in — Breslau 
im Jahre 1726. Mattheson im »Musikalischen Patriot« gibt 
sie auf Grund authentischer Mitteilungen aus Breslau^. Die Meldung 
findet ihre kräftigste Bestätigung durch das noch heute vorhandene 
Textbuch jener Aufführung. Ich hatte das Glück, dieses Libretto 
auf der Universitätsbibliothek zu Breslau^ ausfindig zu machen. 
In diesem Heft, das den Text des Dafni in italienischer und deut- 
scher Sprache enthält, ist ausdrücklich vermerkt: »La Musica 
h del Signore Baron d'Astorgha« — »Die Music ist von 
Herrn Baron von Astorgha«. 

Die nächste Notiz, die über Astorgas Dafni in die Öffentlichkeit 
drang, vermeldete, daß diese Oper bereits lange vor ihrer Aufführung 
in Breslau, nämlich im Sommer 1709 in Barcelona am Hofe des 
spanischen Gegenkönigs Karl III., des nachmaligen Kaisers Karl VI. 
in Szene gegangen ist. Simon Molitor publizierte diese Neuig- 
keit in einem Artikel über Astorga^ und stützte sich dabei auf den 
Titel der damals in der Kiesewetterschen Sammlung, heute in der 



1 Vgl. S. 117 und 131 unsrer Schrift. 

s Es trägt die Signatur: Litt. Ital. I. Qu. in 14. 

* Das Nähere über diesen Artikel vgl. S. 164 ff. unsrer Schrift. 



IV. Kap. : War Astorgä 1709 in Barcelona? 63 

k. k. Hofbibliothek zu Wien befindlichen handschriftlichen Partitur 
des ersten Aktes der Oper. Dieser lautet: 

Dafni. 

Dramma pastorale per musica tenuto ä 

Barcellona avanti le loro Maestä Cattoliche. 

L'anno 1709 alli di Giugno. 

Musica del Barone d'Astorga^. 

Über die Partitur bemerkt Molitor, sie stamme »aus dem Be- 
sitze eines vornehmen österreichischen Herrn a, und habe sich früher 
mit anderen Noten aus dem 18. Jahrhundert »auf einem der Schlösser 
dieses Herrn in Mähren « befunden. Wir werden im nächsten Ka- 
pitel ein mährisches Schloß kennen lernen, auf dem Astorga höchst 
wahrscheinlich einmal Wohnsitz genommen hat; es ist nicht un- 
möglich, daß die Partitur aus diesem Schlosse stammt 2. Aus dem 
Titel der Wiener Partitur geht also hervor, daß Astorgas Dafni 
im Juni 1709 am Hofe Karls in Barcelona aufgeführt worden ist; 
mehr besagt der Titel jedoch nicht. Und trotzdem zog 



^ Ich gebe den Titel nach der Wiener Handschrift. Diese befindet sich 
im »Fond Kiesewetter« und trägt die Signatur: S. A. 68 B.2. — 
Für manches erklärende Wort beim Studium dieser Partitur bin ich Herrn 
Professor Dr. J. M a n t u a n i , jetzt Direktor des Museums zu Laibach, zu 
herzlichstem Dank verpflichtet. 

> Die Partitur ist nicht Autograph des Meisters. Sie zeigt vielmehr, wie 
meine genaue Untersuchung des Manuskriptes ergab, durchweg Kopisten- 
handschrift aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Im ersten Teile 
ist sie von einer deutschen, im zweiten von einer venetianischen Hand an- 
gefertigt. Auch Liniierung und Papier der beiden Teile sowie die Streichung 
doppelt vorhandener Takte beim Zusammentreffen beider Teile verraten, 
daß die Partitur aus zwei ganz verschiedenen Abschriften zusammengesetzt 
ist. Da es tadellos sauber gehalten ist, dürfte das Exemplar nie bei einer 
Aufführung benutzt worden sein. Allem Anschein nach ist es also das Exemplar 
eines deutschen Musikfreundes, der das von venetianischer Hand geschriebene 
Fragment erhielt und es nach einer anderen, — vielleicht nach Astorgas eigener 
— Partitur ergänzen Heß. Er dürfte auch, mit den Schicksalen der Oper 
bekannt, jene historische Bemerkung auf dem Titel haben hinzufügen lassen, 
da wohl das Werk für ihn durch die Aufführung am Hofe des nachmaligen 
Kaisers besondere Bedeutung eriangt hatte. 



64 I. Teil: Astorgas Leben. 

Molitor daraus den Schluß, Astorga habe sich zu der genannten 
Zeit in Barcelona aufgehalten und dort die Oper komponiert. Diese 
Annahme trifft nicht das Richtige. Denn Astorgas Daf ni war, wie 
wir dartun werden, bereits an andererstelle gegebenworden, 
als er in Barcelona zur Aufführung gelangte. 

Bei der Komposition seines Dafni benutzte Astorga ein schon 
früher von anderen Meistern komponiertes Textbuch. Laut Al- 
lacci^ verfaßte der Bologneser Lyriker und Mathematiker Eusta- 
chio Manfred! in Gemeinschaft mit einem Ignoto eine »Favola 
boschereccia <c Dafni, die 1696 mit Musik von Giuseppe Aldro- 
vandini zu Bologna in Szene ging. Wie mich die Einsicht in das 
zu Bologna 2 erhaltene Textbuch dieser Oper belehrte, ist es in den 
Hauptszenen das gleiche, das auch Astorga komponiert hat. Ehe 
es in seine Hände gelangte, erfuhr es aber eine wesentliche Umge- 
staltung. Das Pastorale sollte in Neapel zur Aufführung kommen 
und wurde zu diesem Zwecke für den neapolitanischen Geschmack 
hergerichtet. Im ganzen gekürzt, erhielt die Dichtung mehrere 
»Scene buff e« eingelegt, ohne welche die Neapolitaner keine Oper 
hören mochten. Carlo de Petris, der damals die meisten der- 
artigen komischen Einlagen dichtete >, hat vielleicht auch die für 
Dafni geliefert. Die Musik dazu schrieb der berühmte Alessandro 
Scarlatti; und so wurde der Dafni in Neapel als »Commedia in 
musica« im Jahre 1700 mehrfach aufgeführt*. Nur noch eine ein- 



^ Leone Allacci, Drammaturgia, accresciuta e continuata 
fino air anno MDCCLV. — In Venezia 1755. — S. 235. 

* Bibliothek des L i c e o M u s i c a 1 e Nr. 6163. Das Libretto enthalt 
weder Dichter- noch Komponistenangabe. — Corrado Ricci(»I tcatri 
di Bologna nei secoli XVII e XVIII«, Bologna 1888, S. 377) erzählt, 
die Oper sei vom 18. August 1696 ab im ganzen zwölf Male am Teatro Malvezzi 
aufgeführt worden. Er nennt auch die Namen der beteiligten Sänger. 

* Benedetto Croce, a. a. O. 224. 

* Fragmente der Musik sind in den Bibliotheken zu Dresden und Paris 
(Conservatoire) erhalten. Ich werde sie im zweiten Bande der Astorga-Studien 
eingehend behandeln. — E dwardj. Dent weist in den Sammelbänden 
der J. M. Q. B. IV, S. 145 auf das Werk hin. — B. C r o c e , a. a. 0. 214 be- 
richtet, daß Scarlattis Dafni im August 1700 zum Geburtstage der Vize- 
kOnigin im Palazzo dei Cantalupo zu Neapel aufgeführt und danach mehrfach 
wiederholt wurde. 



IV. Kap.: War Astorga 1709 in Barcelona? 65 

zige Aufführung der Scarlattischen Musik an anderer Stelle ist nach- 
zuweisen: Sie fand im Carneval 1715 im Palazzo Priorale zu Jesi 
statt. Hier trug das Werk den Titel: »L'amore non viene dal 
caso«.^ Das Libretto der Aufführung zu Neapel griff Astorga 
auf. Nach Einfügung einiger kleiner Änderungen komponierte er das 
ganze Textbuch der Scarlattischen Oper von neuem. Das lehrt der 
Vergleich des Textes bei Scarlatti mit dem Breslauer Libretto. 

Nun gelang es mir aber, noch ein anderes Dafnislibretto aus- 
findig zu machen, das zu einer Aufführung, die in keiner Opem- 
chronik, keinem Opernlexikon genannt wird. Diese Dafnisvorstel- 
lung fand im April 1709 imTeatro Sant' Agostino zu Genua 
statt. Das im Liceo Musicale zu Bologna befindliche Textbuch ^ 
deckt sich ebenfalls, verschwindende Kleinigkeiten ausgenommen, 
mit dem Astorgas. Der Komponist ist darin nicht angegeben. 

Von wem war die Musik bei dieser Dafnisaufführung in Genua? 

Drei Möglichkeiten sind vorhanden. 

Erstens konnte es Scarlattis Werk sein. Die Beliebtheit 
seiner Musik bewog die Opernunternehmer, auch auf ältere Werke 
von ihm zurückzugreifen. Die oben erwähnte Aufführung von 
Scarlattis Dafni zu Jesi 1715 ist ein Beispiel dafür. In unserm 
Falle war die Musik aber wohl nicht von Scarlatti. Denn wäre 
sie von ihm gewesen, so hätte der Impresario schon aus geschäft- 
lichen Gründen den »ziehenden« Komponistennamen nicht ver- 
schwiegen. 

Zweitens konnte die Musik von Astorga stammen. Diese 
Annahme gewinnt hohe Wahrscheinlichkeit durch Zeit und Ort der 
Aufführung. Wenn ein Werk gleichen Namens in Genua im April 
und in Barcelona im Juni desselben Jahres aufgeführt wird, so drängt 



^ Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Francesco Piovano 
in R m. — Ein Libretto der Aufführung zu Neapel ist nicht auf uns ge- 
kommen, wohl aber eines von der Aufführung zu J e s i. Es befindet sich in 
der Biblioteca Nazionale Centrale Vittorio Emanuefe zu Rom (Mise. Teatr. 
a b r i e 1 1 i , 35, 6. B. 7, 2.). 

* Nr. 6165. — Für die freundliche Unterstützung, die meinen Arbeiten 
auf der Bibliothek des Liceo Musicale zu Bologna von selten des 
Herrn Bibliothekar Professor Vatielli zuteü wurde, bin ich ihm zu leb- 
haftem Danke verpflichtet. 

Volk mann, Astorga. I. 5 



66 1. Teil: Astorgas Leben. 

sich wohl jedem die Vermutung auf, daß in den beiden Hafenstädten 
ein und dieselbe Künstlergesellschaft ein und dasselbe Werk, das 
einmal auf ihrem Spielplan war, dargestellt hat. 

Drittens wäre es auch denkbar, daß irgend ein anderer un- 
bekannt gebliebener Komponist so gut wie Astorga sich des 
Scarlattischen Librettos bemächtigt, es neu in Musik gesetzt und in 
Genua zur Aufführung gebracht habe. In unserm gesamten Mate- 
rial ist jedoch kein Moment vorhanden, das für diese Annahme 
spräche. 

Am wahrscheinlichsten ist also, daß die Musik zu dem Genueser 
Dafni von Astorga stammte. Gewißheit darüber bringt eine 
Notiz in dem Neapolitanischen Wochenblatt, den »Avvisi di Na- 
poli «, vom 13. August 1709 (Nr. 33), die der ausgezeichnete römische 
Gelehrte Herr Francesco Piovano auffand und uns zur Ver- 
fügung stellte. Sie lautet: 

Barcellona, 23. Luglio. Per divertimento di queste 
M. M. [Carlo III ed Elisabetta] s'h replicatamente rappre- 
santa [sie, per rappresentata] la Pastorale, che fü ultima- 
mente fatta in Genova intitolata La Dafne [sie], le cui 
apparenze, e musica sono riuscite assai grate. 

Der im Juni in Barcelona gegebene Dafni war mithin derselbe, 
wie der »letzthin « in Genua gegebene. Unsre oben ausgesprochene 
Vermutung erweist sich also als richtig, und wir brauchen nichtdaran 
zu zweifeln, daß bei der Dafnisaufführung zu Genua die Musik 
von Astorga stammte. Die erste nachweisbare Aufführung von 
Astorgas Oper fand demnach nicht im Juni 1709 in Barcelona, 
sondern bereits im April jenes Jahres in Genua statt. 

In der Notiz der »Avvisi« bleibt nur eins zu erläutern. Dort 
wird die Oper »la Dafne« genannt, während sie doch in allen anderen 
Quellen »(11) Dafni« heißt. Dieser Unterschied beruht lediglich 
auf Verwechslung, zu der die Ähnlichkeit der beiden Namen Ver- 
anlassung gab. Daß dabei dieNympheDaphne bevorzugt wurde, 
ist begreiflich, weil sie seit den Anfängen des Dramma per musica 
eine der bekanntesten und beliebtesten Operngestalten war, mit 
der sich der Hirt Daphnis (Dafni) an Volkstümlichkeit nicht 



IV. Kap.: War Astorga 1709 in Barcelona? 67 

messen konnte. In allen Nachschlagewerken haben sich diese 
Verwechslungen des Dafni mit der Dafne bis auf den heutigen 
Tag fortgeerbt. Daß auch der Korrespondent des Neapolitanischen 
Wochenblattes anno 1709 die Namen verwechselte, braucht uns also 
nicht zu beirren. Läuft doch an einer gleich zu zitierenden Stelle 
der »Avvisi« sogar die Verwechslung des Namens Dafni mit 
Delfino unter. ^ 

Astorgas Dafni ist nicht für den Hof Karls III. in Barcelona 
komponiert worden. Von der gegenteiligen Annahme war aber 
Molitor zu seiner Hypothese von einem Aufenthalte des Meisters 
in Barcelona gelangt. Letztere könnte mithin als unbegründet 
über Bord geworfen werden. Da aber die Aufführung seiner 
Oper in Barcelona den Komponisten immerhin zu einem Aufent- 
halt in dieser Stadt veranlaßt haben könnte, werden wir diese 
Idee noch weiter verfolgen und darlegen, was für und wider sie 
spricht. 

Zunächst seien jedoch weitere Einzelheiten über die Aufführung 
der Oper Dafni in Genua mitgeteilt und die Konsequenzen für die 
Lebensgeschichte Astorgas daraus gezogen. Der Titel des Genueser 
Librettos lautet: 

Dafni 

Drama Pastorale 

per Musica 

da rappresentarsi nel Teatro da Sant' Agostino. 

Consacrato 

Alle Dame, e Cavaglieri 

Di Genova 



In Genova, MDCCIX. 

Nella Stampa di Antonio Casamara. 

In Piazza delle Cinque Lampade. 

Con licenza de' Superiori. 

5* 



68 '1. Teil: Astorgas Leben. 

Die salbungsvolle Widmung des Büchleins an die »bellissime 
Donne e gentilissimi Cavaglieri« lohnt nicht der Wiedergabe. Sie 
ist unterzeichnet vom Impresario der Gesellschaft, welche die Oper 
gab, Pietro Ramponi aus Bologna, und trägt Ort und Datum: 
»Genova, li 14 Aprile 1709«. Ist hieraus nur ersichtlich, daß die 
Oper um den genannten Zeitpunkt in Genua in Vorbereitung war, 
so ergibt sich aus anderer Quelle das Datum ihrer ersten Aufführung. 
Diese Quelle sind wiederum die »Avvisi di Napoli«, in deren 
Nummer vom 14. Mai 1709 (Nr. 20) zu lesen steht, daß »am Sonn- 
tag, den 21. April im Teatro Sant' Agostino zu Genua zum ersten 
Male nicht ohne Beifall die Pastoraloper »II Delfino« gegeben 
worden sei^. Daß dieser Delfino nichts anderes ist, als unser 
Dafni, versteht sich bei der Zeitangabe und der Angabe des 
Theaters Sant' Agostino von selbst. 

Die Aufführungen der Oper Dafni in Genua fanden in folgender 
Besetzung statt, die im Libretto verzeichnet steht: 

Galatea. La Signora Maria Giusti Romana, detta la 

Romanina 2. 

Nerina. La Signora Elisabetta Bergonzini, detta la Te- 

deschina. 

Dafni. II Sig. Alessandro Porta Luppi, Bolognese. 

Tirsi. II Sig. Petrucio Baldini da Pesaro. 

Fileno. II Sig. Pietro Ramponi, Bolognese. 

Selvaggia. II Sig. Innocenzo Baldini, Fiorentino. 

Dametta. II Sig. Feiice, Guastalese. 

Maria Giusti, die Vertreterin der weiblichen Hauptrolle, stand 
nicht von Anfang an in dem Verzeichnis; ihr Name wurde erst nach- 



^ »La prima recita a Genova si f ece al teatro da Sant' Agostino il giomo 
di domenica 21 aprile, come risulta da una notizia contenuta negli »Awisi di 
Napolia, N. 20, del 14 Maggio 1709, sotto la data di Genova, 27 Aprile. II 
titolo del lavoro vi ö perö storpiato in »II Delfino« (f); si aggiunge che la pastorale 
»non riusci dispregievole«. Mitteilung des Herrn Francesco Piovanoin 
Rom. 

> Der Beiname ist handschriftlich, mit Tinte, doch sicher bereits im 
18. Jahrhundert, hinzugefügt. 



IV. Kap. : War Astorga 1709 in Barcelona? 69 

träglich auf einem Zettelchen, doch ziemlich unauffällig, eingeklebt. 
Unter diesem ist ein anderer Name erkennbar : »CamillaZobboli, 
Modenese«. Diese Sängerin war also vordem für die Rolle der 
Galatea bestimmt. Möglich, daß sie die Partie auch bei den ersten 
Aufführungen gesungen hat, und erst bei einer späteren die andere 
Künstlerin für sie eintrat. Da aber der Ersatz für die damals noch 
unbekannte Camilla Zobboli^ gerade MariaGiusti war, eine zu jener 
Zeit bereits hoch gefeierte Künstlerin, zu der Astorga wahrscheinlich 
1707/8 in Neapel Beziehungen gewonnen hatte, so darf man mut- 
maßen, daß diese Besetzung der Rolle nicht nur durch den Augen- 
blick herbeigeführt, sondern schon früher vorgesehen war. 

Aus den Einzelheiten des Librettos geht hervor, daß die Wieder- 
gabe der Oper Dafni in Genua durch eine jener italienischen Opern- 
gesellschaften erfolgte, die im 18. Jahrhundert nicht nur ihr Vater- 
land, sondern alle kunstfreundlichen Länder Europas zu durch- 
ziehen und in den größeren Städten ihr Repertoire abzuspielen 
pflegten. Ein Impresario, der meist, wie auch in unserm Falle, 
selbst Sänger war, stellte die Truppe zusammen und übernahm die 
Führung in künstlerischer und geschäftlicher Hinsicht. Der Haupt- 
markt für die Opernimpresarii war um 1700 Bologna, nächstdem 
auch Venedig und Neapel. In diesen Städten strömten nach 
Schluß der Saison die Künstler zusammen, hier wurden die Engage- 
ments abgeschlossen, von hier nahmen die meisten Opemtoumees 
ihren Ausgang. Da aber die für die Provinz und das Ausland zu- 
sammengestellten Operngesellschaften am Orte ihrer Gründung 
keine Vorstellungen gaben, so sind auch in den Opernannalen der 
genannten Städte keine Spuren solcher Truppen zu finden. Wir 
durchblättern daher umsonst die einschlägigen Werke nach Notizen 



^ Wir können Engagements der Camilla Z o b b o 1 i — außer in 
dem Genueser Libretto wird sie überall Z o b o 1 i geschrieben — nur nach 
dem Jahre 1709 an anderen Bühxien nachweisen. Sie sang 1710 im Teatro 
Ducale zu Modena, 1718 im Teatro S. Angelo zu Venedig und 1719 wieder in 
Modena, aber im Teatro Molza. — Vgl. Alessandro Gandini: Cro- 
nistoria dei Teatri di Modena dal 1539 al 1871, Modena 1873, Bd. I, S.32 
und 55; ferner Taddeo Wiel: Catalogo delle Opere in Musica 
rappresentate nel secolo XVI 11 in Venezia. I.Teil (1701—1750), Venezia 
1892. Nr. 164 und 165. 



70 1. Teil: Astorgas Leben. 

über die Ramponische Gesellschaft. Am nächsten liegt die 
Vermutung, daß ihre Zusammenstellung in Bologna erfolgt ist, 
woher auch zwei ihrer Mitglieder, der Impresario Ramponi selbst 
und der Sänger Porta Luppi, stammten. Von ihren Mitgliedern 
läßt sich außer der bereits wiederholt erwähnten Maria Giusti 
nur noch Elisabetta Bergonzini vor 1709 in einem anderen En- 
semble nachweisen. Sie sang im Jahre 1707 im Teatro S. Fantino 
in Venedig!. 

Die persönliche Anwesenheit des Komponisten bei der Ein- 
studierung einer zum ersten Male zur Aufführung gelangenden Oper 
war in jenen Zeiten selbstverständlich. Meist wurde ja sogar das Werk 
erst an Ort und Stelle komponiert. Ob Emanuel routiniert genug 
war, in dieser Weise zu arbeiten, erscheint sehr fraglich, zumal da die 
Frist der Vorbereitung der Operistentruppe für die Sommertoumee 
eine viel kürzere war, als bei stehenden Opernunternehmungen in 
den großen Städten zur Hauptsaison. Wahrscheinlich hat Astorga 
an seinem Dafni schon längere Zeit vor der Aufführung gearbeitet. 
Das Libretto konnte er seit 1700 in der Hand haben. Mithin konnte 
er auch die Arien der Oper entworfen und viele davon bereits aus- 
geführt haben, als er mit Ramponi zwecks der Inszenierung des 
Pastorale in Verbindung trat. Di.e letzte Hand hat er wohl erst an 
das Werk gelegt, nachdem er das Künstlerensemble kennen gelernt 
hatte. Auch an der Einstudierung wird er wohl selbst beteiligt 
gewesen sein. Daß er später bei den öffentlichen Aufführungen den 
Dirigentenposten am Cembalo eingenommen habe, ist unwahr- 
scheinlich. Als Baron war er zu einer gewissen Zurückhaltung ver- 
pflichtet. Ein öffentliches Mitwirken als ausübender Künstler in 
einem Opicmhause, das jedem Bürger für ein Dutzend Soldi offen 
stand, vertrug sich nicht mit seinem Rang und Ansehen. Aus 
gleichem Grunde unterließ man wohl auch bekannt zu geben, daß 
e r der Komponist der Oper sei. Denn so wenig wie im Text- 
buch wird auch in den »Awisi di Napoli « der Komponist des Dafni 
genannt. Hätten die Korrespondenten des neapolitanischen Wochen- 
blattes um den vornehmen Stand des Komponisten gewußt, so 



^ T. W i e I , a. a. O. Nr. 65. Hier lautet der Name : Elisabetta Bergonzoni. 



IV. Kap. : War Astorga 1709 in Barcelona? 71 

würden sie diese Kuriosität ihren Lesern in Neapel gewiß nicht vor- 
enthalten haben. 

Wie es bei den Sommertoumees der Opemgesellschaften üblich 
war, verließ die Truppe um Ostern ( — 1709 fiel Ostern auf den 
31. März — ) die Stadt, in der sie zusammengestellt worden war und 
ihre Proben gehalten hatte. Das Ziel ihrer Fahrt war Genua. Viel- 
leicht spielten die Künstler unterwegs in kleineren Städten, doch war 
Genua der erste Platz, an dem sie, einige Tage vor dem 14. April, zu 
längerem Aufenthalt eintrafen. Sie hätten dort nicht das Libretto der 
neuen Oper Dafni drucken lassen, wenn sie Genua nur flüchtig berührt 
hätten. In der stolzen, vergnügungsfreudigen Hafenstadt bewies 
die Einwohnerschaft lebhaftes und nachhaltiges Interesse für ihre 
Darbietungen. In Genua fand also am 21. April 1709 — es war am 
Sonntag Jubilate — die erste bemerkenswerte Aufführung von 
Astorgas Dafni vor einem urteilsfähigen Großstadtpublikum statt. 
Sollte sie der Komponist versäumt haben? Gewiß nicht, zumal da 
es sein erstes Bühnenwerk war, das hier in Szene ging. Ganz 
sicher war Astorga der Truppe gefolgt und erfreute sich im Zu- 
schauerraum an dem Beifall, den sein Werk bei den Genuesen fand. 

In den letzten Tagen des Mai war die Gesellschaft mit ihrem 
Spielplan zu Ende und rüstete sich zur Weiterfahrt. Man beschloß, 
nach Spanien zu reisen und am Hofe des ob seiner. Musikliebe und 
Freigebigkeit bekannten Gegenkönigs Karl III. in Biarcelona sein 
Glück zu versuchen. Das Künstlervölkchen benutzte den Seeweg 
von Genua nach Barcelona, der damals die beliebteste Eintrittsroute 
von Osten her nach Spanien bildete. 

Nach dem Partiturtitel fanden im Juni, nach den »Avvisi« 
im Juli Aufführungen der Oper in Barcelona statt. Vermutlich 
blieb also die Gesellschaft beide Monate in der katalonischen Haupt- 
stadt. Durchschlagenden Erfolg scheint sie allein mit Astorgas 
Dafni erzielt zu haben; denn auch in einer weiteren Notiz der 
»Avvisi« wird keiner anderen in Barcelona aufgeführten Oper als 
des Dafni Erwähnung getan i: 



^ In der oben erwähnten Nummer 33. — Nach Mitteilung des Herrn 
Francesco Piovanoin Rom. 



72 1. Teil: Astorgas Leben. 

»Napoli, 13 Agosto. 

Neil' accennato Sabbato [10 Agosto] capitö qua dalla 
Corte di Barcellona il Colonnello Don Cesare Gaeta, Marchese 
dl Monte-Pagano, consolandocl coUe notizie delP ottinta 
salute, che godono le Maestä Regnanti, Dio guardi, collo spes- 
so divertirsl nella Comedia in musica, ch' ivi rappresentasi, 
intitolata Dafne« [sic]^ 

Meine Hoffnung, aus Barcelona selbst Nachrichten über die Auf- 
führung des Astorgaschen Dafni zu erlangen, erwies sich als eitel. 
Der verdienstvolle katalonische Geschichtschreiber Herr Carreras 
y Bulben a hat auf meine Bitte hin eingehende Nachforschungen in 
den Archiven von Barcelona angestellt, ohne ein Dokument, das jene 
italienische Sängergesellschaft und die von ihr aufgeführten Stücke 
betrifft, aufzufinden. Während der Bestand der fest engagierten 
Hofmusiker genau gebucht worden ist^, fehlt über die fremden, 
selbständigen Künstlergesellschaften, die gelegentlich vor den Maje- 
stäten auftreten durften, in den Akten jeder Vermerk. Wir wissen 
nicht, was die Truppe außer Dafni noch gespielt, wohin sie sich 
von Barcelona aus gewandt hat. Im Spätsommer löste. sie sich 
auf, und ihre Mitglieder traten wieder bei stehenden Opernbühnen 
in Engagement. Einige von ihnen lassen sich in späteren Jahren 
nachweisen. So tauchen Pietro Ramponi in den Jahren 1713 
und 1714' und Innocenzo Baldini im Jahre 1726^ am Teatro 
S. Angelo in Venedig auf. Reichere Nachrichten liegen über die 
fernere Tätigkeit der »Romanina« Maria Giusti vor. Sie sang 
noch im Jahre 1709 im Teatro S. Angelo zu Venedig; dann an 
gleicher Stelle in den Jahren 1713 und 1714; im Herbst 1716 ging 



^ Zur Erläuterung der Notiz sei darauf ^hingewiesen, daß][NeapeI seit 
1707 unter österreichischer Herrschaft stand, daß der in Barcelona residierende 
König Karl auch König von Neapel war. 

* Publiziert inJosephRafelCarreras y Bulbenas Schrift: 
Carlos d'Austria y Elisabeth de Brunswich-Wolfen- 
büttel a Barcelona yGirona (Barcelona 1902), Kap. X. 

* T. Wiel, a.a.O. Nr. 122, 127, 130. 

* Ebenda, Nr.251, 253. 



IV. Kap.: War Astorga 1709 in Barcelona? 73 

sie an das Teatro S. Mois^ zu Venedig, um im folgenden Jahre 
wieder an die vorher genannte Bühne zurückzukehren. Nun er- 
scheint sie mit dem Titel »Virtuosa della casa reale di Polonia«^. 
Von den ausgedehnten Kunstreisen, die sie durch Europa unter- 
nahm, sind nur noch die letzten mit Sicherheit nachweisbar. Sie 
sang 1724 und 1725 während des Karnevals in Prag an der gräflich 
Sporkschen Oper als »genannte Kammer-Virtuosa der gewesenen 
Königin in Polen «^ und war dann vom September 1725 bis zum 
Oktober 1726 an der Oper zu Breslau tätig, wo sie noch einmal 
in Astorgas Dafni als Galatea glänzte. Danach verliert sich jede 
Spur von ihr. Daß sie identisch war mit der Sängerin Marianna 
Benti-Bulgarelli, die ebenfalls den Beinamen »La Roma- 
nina« führte, ist eine Ansicht, die nicht mehr aufrecht erhalten 
werden kann.^ 

Doch zurück zu Emanuel d'Astorga! 

Es unterliegt keinem Zweifel, daß er bei der Aufführung seiner 
Oper in Genua zugegen war. Folgte er aber auch der Truppe, 
als sie sich nach Barcelona wandte? Da kein Dokument Antwort 
auf diese Frage gibt, wollen wir versuchen, sie aus der Stellung 



1 T. W i e 1 , a. a. O. Nr. 89, 122, 127, 148, 154, 155. — Nur unter Nr. 154 
ist die Künstlerin bloß als »Romana« bezeichnet; an allen anderen zitierten 
Stellen ist ihrem Namen ausdrücklich beigefügt: »detta la Romanina a. 

»OscarTeuber: Geschichte des Prager Theaters. Bd. I (Prag 1883), 
S. 116 ff. 

* Sie wurde zuerst von Gerber im »Neuen Lexikon« (1812) ausge- 
sprochen und dann von G. Schilling und F 6 1 i s ohne Prüfung wieder- 
holt. Der beiden eigene Künstlername »laRomaninaa und die ähnlichen 
Vornamen beider: M a r i a n n a und Maria (zweimal begegnet auch Anna 
Maria) mögen Gerber zu der Verschmelzung veranlaßt haben. Eine Zusammen- 
stellung und Vergleichung aller erreichbaren Notizen über beide Sängerinnen 
hat mich davon überzeugt, daß Gerber geirrt hat. Den Ausschlag gibt 
die Tatsache, daß in den Karnevals der Jahre 1725 und 1726, in denen, wie 
oben angedeutet, Maria Giusti in Prag und Breslau sang, Ma- 
rianna Benti-Bulgarelli an venetiänischen Theatern 
beschäftigt war (T. W i e 1 , Nr. 232, 244, 245). Es hat also damals zwei 
verschiedene Romaninas gegeben. Auch vor und nach deren Zeit er- 
hielten wiederholt aus Rom stammende, bezw. in Rom ausgebildete Sänge- 
rinnen den Beinamen »La Romanina«. Vgl. A. A d e m o 1 1 o , I 
teatri di Roma nel secolo XVIL (Roma 1888.) S. 214. 



74 1. Teil: Astorgas Leben. 

abzuleiten, die Astorga zu den politischen Verhältnissen der Zeit 
einnehmen mußte. 

Als mit Karl II. am 1. November 1700 die spanisch-habsburgische 
Dynastie erloschen war, hatten gleichzeitig König Ludwigs XIV. von 
Frankreich zweiter Enkel, Philipp von Anjou, als Philipp V. und 
Kaiser Leopolds I. zweiter Sohn, der Erzherzog Karl, als Karl III. 
Ansprüche auf den spanischen Thron erhoben. Die des Bourbonen 
waren gestützt durch das Testament des Königs Karl, in dem er zu 
dessen Nachfolger bestimmt wurde; die des Habsburgers gründeten 
sich auf die um ein Glied nähere Verwandtschaft mit dem verstor- 
benen König und wurden befürwortet von den Seemächten, in deren 
Interesse sie lagen. Der spanische Erbfolgekrieg entbrannte. Die 
Verbündeten traten in Oberitalien, in Deutschland und in den 
Niederlanden gegen die Truppen Ludwigs XIV. ins Feld, der für 
das Erbe seines Enkels gegen die Opposition im Osten eintrat. Die 
Feldherrengenies des Prinzen Eugen und Marlboroughs errangen 
den Verbündeten einen Sieg nach dem andern über die Franzosen, 
so in den Schlachten bei Höchstädt-Blenheim (1704), bei Ramillies 
(1706), bei Turin (1706) und bei Oudenarde (1708). Anfang des 
Jahres 1709 verstand sich Ludwig XlV. bereits zu Friedensverhand- 
lungen auf Grund von Preisgabe aller Ansprüche seines Hauses auf 
Spanien. In Mitteleuropa galt damals im ganzen der Bestand der 
Herrschaft Karls III. von Osterreich für gesichert. 

Anders in Spanien. Während Philipp von Bourbon bald nach 
dem Ableben Karls II. in Madrid erschienen war und die Regierung 
übernommen hatte (1701), kam der Habsburger Karl erst im Jahre 
1704 nach Spanien, um sein Reich mit dem Schwert in der Faust 
zu erringen. Die Zwietracht unter den spanischen Stämmen 
kam ihm zugute. Denn da die Kastilier den Bourbonen willig auf- 
genommen hatten, huldigten die Katalonier schon aus Oppositions- 
lust dem österreichischen Prätendenten. Außer Kastilien, das 
Philipp treu blieb, trat auch Valencia und Aragon zeitweise auf 
Karls Seite. Mit Hilfe dieser spanischen Stämme, unterstützt durch 
Portugiesen und Engländer, gelang es Karl bald nach seiner An- 
kunft in Spanien, namhafte Erfolge zu erringen. Aber nach einiger 
Zeit begann sein Glücksstern zu erbleichen. Mißerfolg auf Miß- 



IV. Kap. : War Astorga 1709 in Barcelona? 75 

erfolg stellte sich ein, und nach der unglücklichen Schlacht bei 
Almanza (25. April 1707) mußte er fast alle in seinen Besitz ge- 
langten Territorien wieder verloren geben. Seine Truppen, die be- 
ständig unter Geldmangel litten, mußten sich vor den Gallospantern 
mehr und mehr in den Nordosten der Halbinsel zurückziehen. 
Waren in den ersten Jahren zahlreiche adlige Unzufriedene der 
Gegenpartei, durch sein Glück angelockt, zu Karl übergegangen, 
so wurde er jetzt von allen, die nicht auf Tod und Leben mit ihm 
verbunden waren, verlassen. Am 18. April 1709 hatte er auch 
Alicante verloren und sah sich nun in einen »kleinen, ganz ruinier- 
ten Winkel des Landes zurückgedrängt«^. Aber der König hatte 
sich derart an die Mißstände gewöhnt, daß er sich trotz seiner 
schlimmen Lage ruhig in Barcelona an der Seite seiner jungen, 
schönen Gemahlin Elisabeth Christine an Sang und Spiel er- 
götzte '. So lagen die Dinge, als sich die Sängertruppe Ramponis 
von Genua nach Barcelona einschiffte. Für die Kunst hatte ja 
Karl immer Geld, das war bekannt. Die Künstlerschar hatte 
nichts zu riskieren bei der Fahrt. 

Aber Astorga? Als sizilianischer Nobile hatte er, wie sein 
ganzes heimatliches Inselvolk, als allein berechtigten Nachfolger 
Karls IL den in Madrid proklamierten Philipp V. anerkannt. Die 
Regierungsgeschäfte in Sizilien waren sofort nach dem Thronwechsel 
in dessen Namen geführt worden. Wie die anderen Baroni und 
Feudatarii, so hatte auch Astorgas Vater am 6. Januar 1702 zu 
Palermo dem Könige von Spanien und Sizilien Philipp V. den Treu- 
, eid^ geleistet, das gleiche tat ebendort oder in einer anderen Stadt 
zweifellos auch Emanuel. Seine Ahnen waren Kastilier und im 
Dienste der Madrider Regierung nach Sizilien versetzt worden, 
waren von Madrid aus mit dem Majorat Ogliastro belehnt worden, 
und sein Vater Francesco hatte von Philipp V. im Jahre 1702 durch 
eine neue Belehnung seinen Besitz bestätigt erhalten*. Zum Schutze 



1 Marcus Landau: Geschichte* Kaiser Karls VI. als 
KönigvonSpanien (Stuttgart, 1889), S. 510ff. 
> Vgl. Landau, a.a.O. S.614f. 
«Mongitore,DiMarzo,BibI. Sic. VII, 298. 
« Vgl. S. 37 und 39 unsrer Schrift. 



76 1. Teil: Astorgas Leben. 

des bourbonischen Regiments war Emanuel im Sommer 1708 unter 
Waffen getreten, als es galt, die Streitkräfte der mit Karl alliierten 
Seemächte von der Insel fem zu halten. Astorgas ganze politische 
Stellung wurzelte in seinen Beziehungen zum Madrider Kabinett. 

Daß der Gegenkönig Karl vorübergehend die Zukunft König 
Philipps als Herr von Spanien in Frage gestellt hatte, kam für die 
sizilianischen Kreise, denen Astorga angehörte, so wenig in Betracht, 
wie die Erfolge der Verbündeten in Oberitalien und in der Rhein- 
gegend. 

Die Sizilianer hatten keinerlei Interesse für das ihnen völlig 
fremde österreichische Regiment und schenkten ihm später, als es 
für einige Zeit bei ihnen einzog, keine Sympathien. Der Ge- 
danke an eine Empörung gegen die bourbonische Regierung wurde 
aber bei den Sizilianern schon dadurch unterdrückt, daß die Behörden 
ängstlich über die Treue ihrer Untertanen wachten und jede Untreue 
aufs strengste ahndeten. Das furchtbare Strafgericht, das die von 
Philipp aus Karls Besitz zurückeroberten Provinzen Valencia und 
Aragon getroffen hatte, stand als warnendes Beispiel da. Bis Ende 
des Jahres 1707 waren dort etwa 400 Anhänger Karls durch Strang 
oder Schwert hingerichtet worden i. Selbst in Palermo war im 
Jahre 1708 ein Bürger stranguliert worden, weil man ihn geheimer 
Verbindungen mit den Österreichern zieh 2. 

Astorga wußte also, welchen Gefahren er sich aussetzte, selbst 
wenn nur der Anschein eines Einverständnisses zwischen ihm und 
der Partei des Gegenkönigs durch sein Verhalten geweckt wurde. 
Zum mindesten • drohte ihm Verbannung und . Einziehung seiner 
Lehensgüter. Und wenn er offen auf Karls Seite getreten wäre in 
der Zuversicht, dauernde Verbindung mit ihm zu gewinnen, so hätte 
er damit den sicheren Besitz gegen sehr unsichere Aussichten ein- 
getauscht. Schließlich war Astorga auch seinem nun fast sechzig- 
jährigen Vater Rücksichten schuldig. Er konnte ihn durch seine 
Parteinahme mit ins Verderben reißen. Seine Familie, sein Ver- 
mögen, seine Zukunft stand auf dem Spiele. 



1 L a n d a u , a. a. O. S. 440. 

»Mongitore, Di Marzo, a.a.O. VIII, 81. 



IV. Kap. : War Astorga 1709 in Barcelona? 77 

Die Möglichkeit, daß Astorga zur politischen Partei Karls von 
Osterreich überging, darf nach alledem als ausgeschlossen gelten. 
Dann bleibt aber noch immer die Möglichkeit, daß er als Künstler 
unter der Operistengeseilschaft In Barcelona erschien, um sich des 
Zufalls zu erfreuen, der seiner Oper an einem Hofe zur Aufführung 
verhalf. Wie im Secento, so räumte man auch damals noch an den 
Höfen der südlichen Länder den Musikern eine Sonderstellung ein^. 
Die Künstler waren Kosmopoliten; man nahm sie freundlich auf, 
auch wenn sie aus Feindesland kamen. Nicht nur von der Etikette 
waren sie befreit, nein auch von dem Zwange, politisch Farbe 
zu bekennen. So konnte auch Astorga — etwa als Cembalist — 
unter den Künstlern in Barcelona weilen, ohne daß man nach 
seinem Herkommen und seiner politischen Zugehörigkeit gefragt 
hätte. 

Nach allem, was wir über Astorga wissen, lag es ihm jedoch 
fem, sich als Edelmann so eng mit denOperisten zu verbinden. Not- 
wendig war seine Mitwirkung keinesfalls; hatte er sich doch bereits 
bei der Aufführung in Genua unter das Publikum zurückgezogen. 
Die wiederholten Vorstellungen in dieser Stadt, sowie die Proben 
vorher konnten sein Verlangen, sein Werk lebendig zu sehen, vollauf 
gestillt haben, so daß ihn die weiteren Wiederholungen kaum mehr 
interessiert und an die Truppe gefesselt haben dürften. Aber selbst 
wenn Astorga, was wenig glaublich ist, die Verkappung als fahrender 
Künstler gewählt und sich also »inkognito « in Barcelona aufgehalten 
hätte, so wäre dieses Unterfangen doch höchst gefährlich für ihn 
gewesen. Bei seiner Bekanntschaft mit dem spanischen und italie- 
nischen Adel hätte er auch hier gewärtig sein müssen, erkannt 
und von mißgünstigen Zwischenträgern in Madrid denunziert zu 
werden. Und die bourbonische Regierung, in ihrer nervösen Furcht 
vor Verrat, konnte hinter der künstlerischen Verbindung Astorgas 
mit dem Hofe des Gegenkönigs leicht eine politische wittern. 
Solch ein Verdacht hätte aber die Ungnade König Philipps zur un- 
mittelbaren Folge gehabt. 

^ Vgl. die Darlegungen von Heinz Hess in dessen Schrift über »D i e 
Opern Alessandro Stradellas«, Publ. der I.M. Q. Beihefte, 
2. Folge III (Leipzig, 1906) S.7. 



78 I. Teil: Astorgas Leben. 

Sein weiteres Leben werden wir Astorga jedoch in dauernd 
bestem Einvernehmen mit der bourbonisch-spanischen Regierung 
hinbringen sehen. Im Madrider Kabinett Icann sich also keine 
Stimme erhoben haben, die irgend welche Zweifel an seiner Treue aus- 
sprach. 

Nach alledem dürfen wir die in der Überschrift dieses Kapitels 
gestellte Frage dahin beantworten, daß es zwar nicht völlig unmög- 
lich, aber im höchsten Grade unwahrscheinlich ist, daß Emanuel 
d' Astorga der Aufführung seiner Oper Dafni im Juni 1709 in Barce- 
lona beigewohnt hat. 



V. Kapitel. 
Wien, Znaim, London. 1712-1717. 

Nach der Aufführung von Astorgas Dafni in Genua im Früh- 
ling 1709 verliert sich zwei Jahre lang des Meisters Lebensgang in 
völligem Dunkel. Ob er sich in jener Zeit auf Reisen befand, ob 
in der Heimat, darüber läßt sich nicht einmal eine Vermutung auf- 
stellen, da jeder Stützpunkt für eine solche fehlt. Erst aus dem 
Anfang des Jahres 1712 liegt wieder eine Nachricht vor, die Folge- 
rungen auf Emanuel zuläßt. Am 16. Januar des genannten Jahres 
starb zu Palermo Francesco Rincon d'Astorga, der Vater des 
Tondichters, im Alter von etwa 60 Jahren i. Wir wissen nicht, ob 
dem Vater Francesco längere Leidenszeit beschieden war. Wenn 
es so war, dann können wir uns Emanuel als Helfer und Tröster am 
Lager des Kranken denken. Weilte er aber nicht in Palermo, als 
der Vater starb, so rief iim die Trauerkunde' sicher in die Heimat 
zurück. Mancherlei Veränderungen, die der Todesfall im Gefolge 
hatte, nicht zuletzt die Übernahme des väterlichen Lehensgutes 
Ogliastro, erforderten seine Anwesenheit in Sizilien. Nachdem 
alles geordnet war, zog er, die trüben Bilder der letzten Zeit zu ver- 
wischen, wieder in die Welt hinaus. Das Ziel seiner Reise war 
diesmal Wien. 



» Vgl, S. 39 unsrer Schrift. 



V. Kap. : Wien, Znaim, London. • 79 

Die Kunde von dem Aufenthalte Astorgas in Wien im Jahre 
1712 hat zuerst C. F. Pohl im Jahre 1879 in Groves Lexikon ver- 
öffentlicht. Er teilt dort mit, daß der Künstler »am 9. Mai 1712 
bei Caldaras Tochter in Wien Pate stand a, wie er aus der Tauf- 
matrikel von St. Stephan in Wien ermittelt habe. Pohl zitiert den 
Eintrag nicht wörtlich. Da dieser Gelehrte aber an die Identität 
des Künstlers mit einem Marchese Capece-Rofrano glaubte^, so 
entsteht der Verdacht, seine Mitteilung könne sich auf einen Mar- 
chese dieses Namens beziehen und mithin für unseres Tondichters 
Geschichte wertlos sein. Ich suchte der Sache auf den Grund zu 
gehen. Durch gütige Vermittlung des Herrn Professor Dr. Man- 
tuani gewann ich Einsicht in die Matrikel von St. Stephan zu Wien. 
Der Eintrag über die am 9. Mai 1712 vollzogene Taufe der Sophia 
Jacobina Caldara, auf Seite 274 des Matrikelbandes von 1712, lautet 
folgendermaßen: 

[1712/ Mai] D. Antonius Caldara Magister Capellae Augu- 

stissimi Imperatoris. 
9. D. Catharina Virginea uxor nata Petroni. 

Sophia Perillustris D. Sophia Jacobina V.« Prinings, 

Jacobina cuius vices egit D. Maria Susanna Gessingerin. 

Maria Perillustris D. Jacobus V.^ Prinings», cuius vices 

egit lUustrissimus D. Emanuel L. B. Astorga. 

Maria Salome Voglin obst[etrix]. 

Aus dieser Urkunde ersieht man, daß es sich hier um keinen Mar- 
chese Capece-Rofrano, sondern wirklich um den Liber Baro Emanuel 
de Astorga handelt. Und noch eine andere wichtige, von Pohl uner- 
wähnt gelassene Tatsache geht aus dem Text hervor: Astorga war 
nicht selbst der Pate, sondern der Stellvertreter eines solchen. 



1 Vgl. dazu 8.3 und 200f. unsrer Schrift. 

• V = videlket (?). 

* Das Wort ist kaum lesbar; es könnte auch Ghinazzi oder Phinaggi 
heißen. — Für die gütige Hilfe bei der Entzifferung des sehr flüchtig ge- 
schriebenen Eintrags bin ich den hochwürdigen Herren im Kur- und Chor- 
haus von St. Stephan zu Wien zu besonderem Dank verpflichtet. 



80 1. Teil: Astorgas Leben. 

Daraus ergibt sich aber seine persönliche Anwesenheit bei der Taufe 
am 9. Mai 1712 in Wien mit voller Sicherheit. 

Caldara mochte Astorga, den er vermutlich schon vor Jahren 
in Italien kennen gelernt hatte, und der sich nun zufällig in Wien 
aufhielt, um so lieber als Patenstellvertreter zu dem Familienfeste 
herbeiziehen, als er sein Landsmann und Kunstgenosse, aber keines- 
wegs sein Konkurrent war. Denn auf eine Anstellung im musika- 
lischen Hofdienst des deutschen Kaisers reflektierte der spanisch- 
sizilianische Nobile gewiß nicht, während Caldara gerade damals 
eifrig ein Unterkommen in der Hofkapelle suchte. Die Bezeichnung 
als »Magister Capellae Augustissimi Imperatoris « in der Taufmatrikel 
entsprach zu jener Zeit noch nicht den Tatsachen, sondern war erst 
noch Caldaras heißer Wunsch. Wohl war Caldara, derlTlO seinen 
»Scipione nelle Spagne« in Barcelona zur Aufführung gebracht 
hattet, »Kammerkompositeur« des spanischen Königs Karl IIL 
geworden, in Wien aber ließ man ihn lange auf eine Anstellung war- 
ten^. 1715 ging er, an der Erfüllung seiner Hoffnungen verzweifelnd, 
ins Ausland. Nun erst hatte sein Gesuch um Anstellung Erfolg'. 
Er erhielt am 1. Januar 1716 die Stelle als k. Vizekapellmeister zu 
Wien, die er bis zu seinem Tode (1736) inne hatte. 

Beweist jene Taufmatrikel die Anwesenheit Astorgas in Wien 
im Mai 1712, so ergibt sich aus einem anderen, bisher unbeachtet 
gebliebenen Dokument, daß er im August desselben Jahres noch 
oder wieder in Wien war. Diese Urkunde ist eine Abschrift der 
Kantate »Quanto penso agr affanni« von Astorga^, welche den 



^ In T m V delle Poesie di Apostolo Zeno (Torino, presso 
Francesco Prato 1795) findet sich auf dem Titel des »Scipione nelle Spagne« 
der Vermerk: »Pubblicato per la prima volta in Barcellona Tanno MI>CCXa. 
Nach gütiger Mitteilung des Herrn Albert Schatz in Rostock. 

* Gleichwohl brachte man einzelne Werke von ihm bei Hofe zur Auf- 
führung, so am 18. Feb. 1712 das Oratorium »La castitä al Cimento« 
und 1713 das Oratorium »S a n t a F e r m aa (A. von Weilen: »Zur Wiener 
Theatergeschichte«, Wien 1891, Nr. 626 und 635). Da man ihn als Komponist 
zu Worte kommen ließ, mochte man ihn in Wien bereits als k. Kapellmeister 
betrachten. 

* Vgl. Eitner, Q.-L. 2, 272f. 

* Kgl. Bibliothek zu Dresden, Mus. B. 38a Nr. 2. 



V. Kap.: Wien, Znaim, London. 81 

Vermerk trägt, daß sie in »Vienna, agosto 1712« komponiert ist. Da 
außer dieser Kantate noch andere Kompositionen des Meisters in 
Wien entstanden sind^, und wir ihm im Mai 1713 in einer mährischen 
Stadt, nicht weit von Wien, begegnen werden, so ergibt sich, 
daß der Aufenthalt Astorgas in der deutschen Kaiserstadt 
nicht nur flüchtig, sondern von längerer Dauer war. Wir vermuten, 
daß er den Winter 1712/13 in Wien verlebte, und ihn erst der Aus- 
bruch der Pest« im Frühjahr 1713 von dort vertrieb. 

Astorga suchte in Wien gewiß das Gleiche, was er in anderen 
Residenzstädten gesucht hatte: Den Kreis seiner Erfahrungen zu 
erweitem, seine Bildung zu vertiefen und Anregungen zu gewinnen 
im Verkehr mit hervorragenden Gliedern der Gesellschaft und be- 
deutenden Künstlern. 

An letzteren war in Wien kein Mangel, obschon das Musik- 
leben am Wiener Hofe während Astorgas Aufenthalt nicht in reich- 
ster Entfaltung stand. Denn sofort nach dem Tode Josephs I. 
(17. April 1711) hatte die Regentin, die Kaiserin-Witwe Eleonore, 
allerhand Reduktionen des Hofstaates veranlaßt, um die durch die 
unaufhörlichen Kriege zerrütteten Finanzen in Ordnung zu bringen 3. 
So war auch die gesamte k. musikalische Kapelle entlassen worden ; 



^ So trägt auch die Kantate »A n t r i a m i c i die Ortsangabe : »V i e n n a«. 
Laut Angabe des Herrn Professor A. Wotquenne in Brüssel. Wie mir 
dieser mitteilte, ist bei der ihm bekannten Originalhandschrift der Rest der 
Angabe (Jahreszahl?) durch das Messer des Buchbinders abgetrennt worden. 
Die moderne Abschrift dieser Kantate in der Dresdner kgl. Bibliothek 
trägt infolge eines Versehens die Oberschrift »V e n e z i aa statt »V i e n n a«. 
(Vgl. S. 57, Anm. 3.) — Auch die im Besitze der »Gesellschaft der Musik- 
freunde« zu Wien befindliche Originalhandschrift der Kantate »N o n p i ü 
guerra« ist möglicherweise während des in Rede stehenden Wiener Auf- 
enthaltes Astorgas entstanden. Im Fachkatalog der Musikhistorischen 
Abteilung der Intern. Ausstellung für Musik- und Theaterwesen Wien 
1892, S. 468 ist ihre Entstehung »um 1730« angesetzt. Diese Angabe be- 
ruht, wie mir Herr Professor Dr. Mandyczewski mitteilte, auf ganz 
allgemeiner Schätzung. Die Kantate könne ebensogut um 1712 geschrieben 
sein. 

•Tschischka, Geschichte der Stadt Wien, Stuttgart 1847, S. 363. 

» Vgl. LudwigRittervonKöchel:JohannJosefFux; 
(Wien, 1872) S.74ff. 

Volkmann, Astorga. I. 6 



82 1. Teil: Astorgas Leben. 

nur die besten Kräfte davon wurden unter dem neu ernannten Hof- 
kapellmeister Marc' Antonio Ziani aus Venedig wieder engagiert. 
Auf diese Weise wurde 1712 die Hofkapelle auf 83 Mitglieder re- 
duziert; sie überschritt jedoch schon in den nächsten Jahren wieder 
die Zahl 100. Unter dieser Kt^nstlerschar traf Astorga außer den 
genannten Meistern Ziani und Caldara noch manchen bedeu- 
tenden Landsmann. Da wirkte Carlo Agostino Badia, gleich 
jenen beiden ein Venezianer, als »k. k. Hof kompositeur «. Da 
glänzte der größte Lautenspieler seiner Zeit, der Florentiner Fran- 
cesco Conti, seit 1701 als Theorbist in der Kapelle tätig, später 
besonders geschätzt als Opernkomponist. Auch der Neapolitaner 
Giuseppe Porsile, der bis 1711 Kapellmeister Karls IIL in Bar- 
celona gewesen war und später Hofkompositeur und Gesanglehrer 
der kaiserlichen Prinzessinnen wurde, mit Astorga wohl schon von 
Neapel her bekannt, ist vielleicht noch in Wien mit ihm zusammen- 
getroffen. 

In Wien wird Astorga auch mit dem großen deutschen Meister 
Johann Josef Fux Berührung gefunden haben. Fux befand sich 
damals bereits in der angesehenen Stellung eines Vizekapellmeisters, 
aus der er nach Zianis Tode 1715 in die des ersten Hofkapellmeisters 
vorrücken sollte. Der scharfe Geist des Theoretikers dürfte bei 
Astorga, der ja gern über Wesen und Gesetze der Musik reflektierte, 
Sympathien erweckt haben. 

Gesellschaftlich stand von der gesamten kaiserlichen Kapelle 
dem sizilianischen Baron deren Intendant, der »Hofmusik-Ober- 
direktor «, Graf FerdinandErnstMollartam nächsten. Dessen 
Amt wäre wohl eines gewesen, das zu bekleiden dem Stande und den 
Fähigkeiten Astorgas entsprochen hätte. Es war aber eben erst 
mit dem genannten Grafen (1712) besetzt worden; auch hätte, wie 
schon oben angedeutet wurde, Astorga sicher nicht daran gedacht, 
sich darum oder um eine ähnliche Stelle am österreichischen Hofe 
zu bewerben. 

Wie das künstlerische, so hatte auch das gesellschaftliche Leben 
am Wiener Hofe durch die Trauer um Joseph L und die Finanz- 
reformen der Kaiserin Witwe äußerste Einschränkung erlitten. 
Erst als Josephs Nachfolger auf dem Kaiserthron, sein Bruder Karl, 



V. Kap.: Wien, Znaim, London. 83 

aus Spanien zurückkehrte, erwachte neues Leben. Karl, der sich 
nun als Kaiser der Sechste nannte, war nach Einsetzung seiner Ge- 
mahlin Elisabeth Christine als Statthalterin von Spanien am 27. Sep- 
tember 1711 von Barcelona abgereist^, hatte sich dann einige Zeit 
in Tirol aufgehalten, war am 22. Dezember in Frankfurt zum deut- 
schen Kaiser gekrönt worden und am 18. Januar 1712 in Wien ein- 
gezogen 2. Mit dem diplomatischen Verkehr erwachte in der Kaiser- 
stadt an der Donau auch der gesellschaftliche aufs neue. Mochte 
auch die Abwesenheit der Kaiserin, die erst im Sommer 1713 
nach Deutschland zurückkehrte, im ersten Regierungs jähre Kaiser 
Karls VL noch nicht den ganzen Glanz der Hofhaltung zur Ent- 
faltung kommen lassen, wie später, mochte auch Karl der vergan- 
genen und drohenden Kriege halber in der Hofhaltung Einfachheit 
und Sparsamkeit anordnen', ein reich bewegtes, buntes Leben 
herrschte trotzdem bei Hofe. Gesandte und Würdenträger fremder 
Nationen gingen in der Burg ein und aus. Fremde Adlige, besonders 
Italiener und Spanier, befanden sich auch in Ehrenstellen des 
Reiches. Seit der Besetzung von Mailand und Neapel (1707) durch 
die Österreicher waren eine Menge italienische Nobili an den 
Kaiserhof gekommen und hatten, wie z. B. der Neapolitaner Rochus 
Stella, dort ihr Glück gemacht. Noch zahlreicher aber waren die 
spanischen Edelleute, die Karl beim Abschied von Barcelona ge- 
folgt waren und nun den Lohn für ihre Treue zu finden hofften und 
früher oder später auch fanden. 

Von dem internationalen Leben am Hofe Karls VI. gibt der 
Baron Ludwig Pöllnitz* eine anschauliche Schilderung: »Man 
findet an diesem Hofe «, schreibt Pöllnitz, »mehr Annehmlichkeiten 
als in Paris und London, was die Leichtigkeit betrifft, Bekannt- 
schaften zu machen. Hat man sich bei Hofe vorgestellt, und ist 



1 Landau, a.a.O. 8.674 f. 
• Köchel, Fux, S.80. 

« P. A. Lalande, Histoire de Tempereur Charles VI. A la Haye 
1743. Bd. III, S. 142f. 

« M 6 m i r e s. Nouvelle Edition 1734, Bd. III, S. 287 f. Die von 
uns zitierte Obersetzung gibt L. von Köchel in seinem J. J. Fux 
S. 82. 

6* 



84 1. Teil: Astorgas Leben. 

nur in einem einzigen Hause eingeführt, so ist man es auch bald in 
allen andern, und hat den Vorteil, daß man dort überall deutsch^ 
französisch, italienisch und spanisch spricht; deutsch kann man 
leicht entbehren. Die Minister und großen Herren am Hofe sind 
höflich und anständig, auch leicht zugänglich. Der Kaiser ist in 
der öffentlichen Erscheinung ernst und scheint denen streng, die 
ihn nicht näher kennen. Dessenungeachtet ist er leicht umgänglich 
und herablassend. Spricht man mit ihm, so hört er aufmerksam 
zu und antwortet mit vieler Güte. « 

Diese Beobachtungen machte Baron Pöllnitz bei seinen Be- 
suchen in Wien in den Jahren 1719 und 1729. Es ist kein Grund zu 
der Annahme vorhanden, daß im Jahre 1712, als Astorga in Wien 
war, die Verhältnisse anders gelegen hätten. Er wird spanische und 
italienische Landsleute genug gefunden haben, um sich bald in 
Wien heimisch zu fühlen. 

Aber verkehrte Astorga auch wirklich bei Hofe? Wir wissen, 
daß er ein treuer Untertan Philipps V. von Spanien war. Mit 
diesem seinem Könige hatte aber Karl jahrelang in Fehde gelegen. 
Wegen dieses Parteigegensatzes hatten wir im vorigen Kapitel 
Astorgas Besuch am Hofe Karls in Barcelona anno 1709 für un- 
wahrscheinlich erklärt. Sollte nun Astorga den Hof eben dieses 
Fürsten in Wien aufsuchen? Darauf ist zu antworten, daß ein 
solcher Besuch in den Jahren 1712/13 wohl denkbar ist, weil damals 
die Weltlage eine ganz andere war, als im Jahre 1709. Stand Karl 
1709 dem Bourbonen als Gegenkönig in Spanien unter Waffen 
gegenüber, so weilte er 1712 als deutscher Kaiser im fernen 
Osterreich; und mochte er auch Philipp als König von Spanien noch 
nicht anerkennen, — in der Tat war dieser Alleinherrscher in Spa- 
nien, seit Karl Katalonien verlassen hatte. Karls Interessensphäre 
war eine andere geworden und seine Stellung zu den Mächten hatte 
sich verschoben. Als Feind kam er für Philipp nicht mehr in Be- 
tracht. So konnte nun auch ein Anhänger Philipps am Hofe Karls 
erscheinen, ohne üble Folgen davon für sich befürchten zu müssen. 
Emanuel brauchte sich also nicht zu scheuen, die Wiener Hofburg 
zu betreten. Daß er mit irgend einer diplomatischen Mission dahin 
kam, ist zwar nicht ausgeschlossen, aber auch durch nichts zu be- 



V. Kap. : Wien, Znaim, London. 85 



weisen 1. Am wahrscheinlichsten ist, daß Astorga still unter den 
Gästen des Hofes dahinging. Wie hundert anderen, so wird es auch 
ihm lediglich darum zu tun gewesen sein, sich einmal im Glänze 
des Kaiserhofes zu sonnen. 

Auf den Besuch Astorgas am deutschen Kaiserhofe im Jahre 
1712 bezieht sich wohl auch, was Hawkins über einen solchen 
berichtet. Er sagt, Astorga habe sich zu Anfang des 18. Jahr- 
hunderts in Wien befunden, wo er vom Kaiser Leopold sehr be- 
günstigt worden sei. Wenn Hawkins als den Kaiser, an dessen 
Hof Astorga erschien, Leopolcl L nennt, so mag er dabei einer 
Tradition gefolgt sein, in der Karl VL mit jenem Fürsten 
verwechselt worden war. Daß Emanuel bereits zu Leopolds 
Lebzeiten, — also vor dem 5. Mai 1705 — nach Wien ge- 
kommen sei, wird durch keine Urkunde bewiesen und ist wenig 
wahrscheinlich. Denn die in Hawkins' Tradition erwähnte Be- 
günstigung des Meisters durch einen deutschen Kaiser deutet weit 
mehr auf den jugendlichen Karl VL als auf den alten Leopold. L 
Dieser, ein verschlossener, pedantischer Charakter, war in seinen 
letzten Lebensjahren viel von Krankheit geplagt und hatte wohl 
kaum irgend welches Interesse für einen jungen musikalischen 
Fremdling. Dagegen hegte der kaum auf den Thron gelangte Karl 
rege Teilnahme für seine bedeutenden Zeitgenossen. Besonders 
mußte ihn auch der Komponist der vor einigen Jahren in Bar- 
celona vor ihm und »seiner lieben Königin« aufgeführten Oper 
»Dafni« interessieren. Daß er, als König, erfahren hatte, von 
wem die Musik zu diesem Dafni stammte, versteht sich von selbst, 
trotz der Geheimhaltung des Komponisten vor der Öffentlichkeit. 
Da aber die Oper sehr gefallen hatte und mehrfach gegeben 
worden war, hatte der mit einem bewundernswerten Gedächtnis be- 
gabte Monarch 2 den Komponisten gewiß nicht vergessen und zeich- 
nete ihn nun durch seine Gunst in besonderer Weise aus, gleich- 



* Außer in dem von St. Stephan findet sich in keinem Wiener Archiv 
irgend ein Beleg für die Anwesenheit Astorgas in Wien. Auch aus den ge- 
druckten zeitgenössischen Quellen, z. B. den Wiener Diarien läßt 
sich der Aufenthalt Astorgas in Wien nicht nachweisen. 

» Ein Beispiel dafür bietet Köchel, Fux, S. 81. 



86 1. Teil: Astorgas Leben. 

viel, ob er ihn bereits früher gesehen hatte oder erst jetzt kennen 
lernte. 

Daß Astorga in der Tat Gunstbeweise vom Kaiser, und zwar 
speziell von Karl VI., empfangen hat, geht auch aus der ältesten 
gedruckten Quelle über den Meister, aus Zoppellis Notizen, hervor. 
In diesen heißt es, er sei »vom Kaiser Karl VI. zum Ehrenkapell- 
meister der königlichen Kapelle erwählt« worden: »Venne 
eletto da Carlo VI. Imperadore per Maestro di Cappella d'onore 
della Real Cappella«. Die Tradition hat Zoppelli hier einen Titel 
in die Feder diktiert, von dem wir nicht wissen, ob er in dieser 
Fassung wirklich jemals von Habsburgischen Herrschern verliehen 
worden ist^. Aber selbst wenn die Tradition die Dinge etwas auf- 
gebauscht hätte, — einen wahren Kern enthält die Nachricht gewiß. 
Dieser Kern ist aber die persönliche Ehrung Astorgas durch den 
deutschen Kaiser, über die ja auch Hawkins berichtet. Astorga 
empfing ganz sicher vom Kaiser Auszeichnungen, die den Künstler 
und Kavalier in ihm mit Stolz und Freude erfüllten. 

Aus der Wiener Hofgesellschaft ließen sich manche Edelleute 
nennen, mit denen Astorga in Verkehr getreten sein dürfte. Wir 
beschränken uns aber darauf, nur eine Familie namhaft zu machen, 
bei der alle Anzeichen auf eine innigere Verbindung mit dem Ton- 
setzer hinweisen: Es ist die Familie der Grafen von Althan n. 
Zu einem Grafen von Althann dürfte sich Astorga beim Ausbruch 



1 Herr Direktor Kärolyi vom k. u. k. Haus-, Hof -und Staats- 
archiv zu Wien, der auf meine Bitte über diese Angelegenheit eingehende 
Nachforschungen im Archiv anstellen ließ, teilte mir gütigst das Folgende 
mit: »Es wurden die Register der Obersthof meisteramtsakten aus den Jahren 
1700—1722 durchforscht. Sie sind sehr genau geführt und weisen die Namen 
aller Personen auf, welche in dieser Zeit als Kapellmeister und Vizekapell- 
meist'er oder in ähnlichen Stellungen in kaiserlichen Diensten standen, 
oder solche, denen Ehrentitel verliehen worden sind. Nirgends findet sich 
der Name d'Astorga. Es ist dies jedoch nicht so verwunderlich. Denn . . . 
[im vorliegenden Falle] handelt es sich ja nur um die Verleihung des Titels 
eines Kapellmeisters der »Reale Cappella«, also eines Titels, welchen Kaiser 
Karl VI. als König beider Sizilien oder der Lombardei verliehen hätte. Akten- 
partien aber jener Behörde, welcher die reinen Gratialsachen der italienischen 
Länder der Habsburger zugewiesen waren, finden sich in Wien überhaupt 
nicht vor«. 



V. Kap.: Wien, Znaim, London, 87 

der Pest in Wien im Frühjahr 1713 nach Znaim in Mähren, bezw. 
auf ein bei Znaim gelegenes Schloß geflüchtet haben. 

Die Anwesenheit Astorgas in Znaim im Mai 1713 steht fest. 
Diese bisher völlig unbekannte Tatsache ergibt sich aus der Datie- 
rung seiner Kantate: »Nuovo dardo il sen m'impiaga«, welche 
lautet: »Znaimb^, maggio 1713 «2. 

Was konnte den italienischen Edelmann bewegen, in einer kleinen 
mährischen Stadt wie Znaim so lange Aufenthalt zu nehmen, daß 
er Muße zum Komponieren fand? Nur die Beziehungen zu irgend 
eintr Aristokratenfamilie konnten ihn dort festhalten. 

Eine sorgfältige Durchsicht der historischen Bestände des Stadt- 
archivs zu Znaim^ sowie die Auskunft des mit der Ortsgeschichte 
von Znaim besonders vertrauten Herrn Oberlehrers AntonVrbka 
in Klosterbruck bei Znaim brachte mich zu der Überzeugung, daß 
hier einzig und allein die Familie der Grafen Althann in Betracht 
kommen kann. Sie spielte in jener Zeit die erste Rolle unter den 
Grundherren der Umgebung von Znaim. Sie war weit und breit die 
einzige, deren Glieder Interesse für die Künste besaßen und auf 
mannigfache Weise bekundet haben. Die einstens althannischen 
Schlösser zeugen noch heute, nachdem sie längst in anderen Besitz 
übergegangen sind, von dem Kunstsinn, der Prachtliebe und dem 
Reichtum jener Grafen. In diesen Schlössern entfaltet« sich im 
18. Jahrhundert ein glänzendes Leben: Nicht nur Fürsten und 
Adlige, nein, auch Gelehrte, Dichter und Künstler waren oft hier 
zu Gaste. Wenn sich nun auch trotz eifriger Bemühungen gerade 



^ Die Schreibung des Ortsnamens mit b am Ende kommt in früheren 
Jahrhunderten oft vor. So in den Diarien des Brucker Abtes Wallner, 
Jahrgang 1716 — 1721 (Nr. 14 der »Brucker Sammlung« im Mährischen 
Landes-Archiv zu Brunn) und in Hübners Sammlung im 
Stadtarchiv zu Znaim (33, 152), hier heißt es sogar »Z n a y m b«. 

s Auf der modernen Abschrift dieser Kantate in der kgl. Bibliothek zu 
Dresden (Mus. B. 38a Nr. 3), ist die Angabe in »Z u a m b M a j 0« 
verstümmelt. Herr Professor A. W 1 q u e n n e in Brüssel, dem das Origi- 
nal der Kantate vorlag, teilte mir mit, daß dort die Aufschrift lautet, wie wir 
sie oben wiedergeben. 

'• Ich bin dem löbl. Magistrat von Znaim für die Erlaubnis zu dieser 
Durchsicht zu besonderem Dank verpflichtet. 



88 1. Teil: Astorgas Leben. 

für Astorgas Besuch bei den Grafen kein dokumentarischer 
Beweis auffinden ließ, so ergibt sich doch aus den angedeuteten 
Verhältnissen mit größter Wahrscheinlichkeit, daß auch Astorga, 
da er sicher in Znaim war, bei den Grafen Althänn eingekehrt ist. 

Die Althanns waren ein aus Schwaben stammendes Geschlecht, 
das im 16. Jahrhundert nach Osterreich zog und 1574 in den Reichs- 
freiherrenstand erhoben wurde. Mit Michael Adolph I. erhielt 
die Familie 1610 den Grafentitel; zugleich begann die sog. »Micha- 
elische Linie « des Hauses, in der alle Männer den Vornamen Michael 
tragen 1. Mehrere dieser Grafen von Althann kamen zu ehrenvollen 
Stellungen am Kaiserhofe. So auch die zwei Brüder, mit denen 
Astorga Berührung fand. 

Michael Hermann Joseph von Althann, Majoratserbe von 
Joslowitz, Frain und Neuhäusel bei Znaim, wurde kaiserlicher 
Kämmerer, wirklicher geheimer Rat und Landrechts-Beisitzer in 
Mähren 2. Sein jüngerer Bruder Michael Johann (III.) begleitete 
als Kammerherr den Erzherzog Karl, als dieser als König Karl III. 
im Jahre 1704 von Spanien Besitz ergriff». Es gelang ihm, durch 
seine Treue und Tapferkeit Karls ganze Gunst zu erringen, die ihnv 
sein Leben lang erhalten blieb. Karl, der einmal mit Bezug auf den 
Grafen in sein Tagebuch notierte: »Ewig Freund, bis in Tod«*, 
überhäufte ihn später, als er den Kaiserthron bestiegen hatte, mit 
Ehren. Er erhob ihn zum Ritter des goldenen Vlieses, verlieh ihm 
1714 das Reichs-Erbschenkenamt und 1715 die Würde eines Gran- 
den von Spanien 6. Ferner wurden dem Grafen die Herrschaften 
Musakös und Csakaturn in Ungarn und die Fideikommißherrschaft 



^ Vgl. E. H. Kneschke: Neues allgemeines Deutsches Adels-Lexicon- 
l Bd. (Leipzig 1859), S. 59. 

• Nach J. Fr. Gauhe , Adelslexikon (Leipzig 1740). I. Bd. S. 11 f. und Fr. 
K. Wissgrill, Schauplatz des landsässigen Niederösterr. Adels (Wien 
1794) Bd. I, S. 86 f. — W i s s g r i 1 1 gibt die Lebensdauer der Brüder an wie 
folgt: Graf Hermann 1671—1736, Graf Johann III. 1679—1722. — 
Vgl. auch den Artikel »Frain« von Fr. Fuchs in der »Heimatskunde 
despolit. BezirkesZnaim« Heft 2, (Znaim 1898) S. 14. 

' Landau, a. a. O. 157. 
'Ebenda, 508. 

* Kneschice, a. a. O. 



V. Kap.: Wien, Znaim, London. 89 

Swoyschitz in Böhmen verliehen i. Während seines Aufenthaltes 
in Spanien kam der Graf nicht ohne romantische Nebenumstände 
zu einer Gattin. Als im April 1706 Barcelona von der französischen 
Flotte beschossen wurde, suchte der König Karl und sein Gefolge 
im Frauenkloster von S. Pedro Schutz vor den Bomben. Dort 
lernte Graf Althann die schöne und geistreiche Marianne Pigna- 
telli kennen, die sich als Schülerin in dem Kloster befand. Sie 
war die Tochter des vormaligen Gouverneurs von Navarra und 
Galicien Don Domingo Pignatelli^. Der König begünstigte 
diese Liebe und freute sich, als am 11. Februar 1709 in Barcelona 
die Ehe geschlossen wurde. Noch bevor Karl Spanien verließ 
(27. September 1711), waren Graf und Gräfin Althann bereits nach 
Italien vorausgegangen'. Von 1712 an war ihr Hauptwohnsitz 
die kaiserliche Residenzstadt Wien. 

Die Gräfin Althann entstammte einer von Süditalien nach Spanien 
verpflanzten Familie. Zu Astorgas Zeiten gab es auch in Italien noch 
Zweige des Hauses Pignatelli*. Während des Tonsetzers Jugend 
hatte ein Sproß dieser Familie den päpstlichen Stuhl innegehabt: 
der edle und gütige Innocenz XIL (1691—1700). Dem Meister 



1 W i s s g r i 1 1 , a. a. O. 

* Nach Landau, 508. — Durch Landaus, auf authentischen Nachrichten 
beruhende Darstellung wird der Bericht, den Wurzbach (A. biogr. L.) 
von der Eheschließung gibt, wesentlich modifiziert. Wurzbach benutzte als 
Quelle lediglich Hermanns Lexikon, das ganz unzuverlässig ist (vgl. S. 170 f). 
Bei W i s s g r i 1 1 (a. a. O. S.87) wird die Gräfin auch Marchesa Pignatelii, 
Herzogin von Belriguardo genannt. Diese Titel werden in der 
späteren genealogischen Literatur bisweilen wiederholt. Manchmal ist auch 
von der Gräfin als von der »Fürstin« Pignatelii die Rede. 

* Landau, a. a. O. S. 508 und 675. 

* Auf Sizilien spielten die Pignatelii seit dem 16. Jahrhundert 
eine Rolle. Ettore Pignatelii, Conte di Monteleone, war 
1517 — 1535 Vizekönig von Sizilien gewesen und hatte sich durch Stiftung 
zweier Klöster und einer Compagnia della Caritä in Palermo 
verdient gemacht. 1522 — 1526 war einCamillo Pignatelii Presidente 
der Insel gewesen. (Nach Di B 1 a s i , Storia cronol. de' vicerö di SiciUa, 
Neue Ausg. Palermo, 1842, S. 172 und C r o 1 1 a n z a , Dizlonario Storico- 
Blasonico, Pisa 1888, II, 337 ff.) — Der später von Karl VI. eingesetzte 
Vizekönig von Sizilien Niccolö Pignatelii (1719—1722) gehörte 
anscheinend einem neapolitanischen Zweige der Familie an. 



90 1. Teil: Astorgas Leben. 

war also der Name Pignatelli sicher wohl vertraut, als er die 
Gräfin kennen lernte. Diese war ganz danach angetan, Männer 
wie Astorga zu fesseln. Sie war schön, liebenswürdig und fein ge- 
bildet. Eine begeisterte Verehrerin italienischer Poesie und Musik, 
beschützte sie namentlich nach ihres Gatten frühem Tode (1722) 
Dichter und Musiker aufs eifrigste. ApostoloZeno und besonders 
PietroMetastasio genossen ihre Protektion; der letztere verlebte 
ein Jahrzehnt hindurch regelmäßig die Herbstmonate in ihrer Gesell- 
schaft auf ihren Schlössern in Ungarn oder in Mähren i. Die Kunst 
Pari nein s hatte sie so bezaubert, daß sie noch lange, nachdem ihn 
der spanische Königshof der Öffentlichkeit entzogen hatte, mit Be- 
geisterung seiner gedachte und ihm durch Metastasio »una barca 
di saluti« ausrichten ließ 2. Auch die Wissenschaften förderte sie 
nach Kräften. Selbst in der Genealogie wohl bewandert, sah sie 
Geschichtsforscher wie die Brüder Petz und den Abt Gottfried 
Bessel in ihren Zirkeln. In ihren späteren Jahren war die »spa- 
nische Althann«, so nannte man sie, in Wien ob ihrer Wohltätig- 
keit besonders beliebt^. Daß sie einem Künstler und Aristokraten 
wie Emanuel d'Astorga ihre Freundschaft nicht vorenthielt, ist 
um so natürlicher, als beide durch das Doppelband der spanischen 
und italienischen Sprache verbunden wurden, — und sie sich noch 
dazu in einem Lande begegneten, dessen Sprache sie nicht oder nur 
wenig verstanden. 

In dem Schwager der Gräfin, dem bereits genannten Grafen 
Michael Hermann von Althann, haben wir den Herrn zu er- 

^ Auch die Herrschaften F r a i n und J s 1 w i t z fielen nach Michael 
Hermanns Tode (1736) an sie. — In der Gesamtausgabe der »O p e r e 
di Metastasio« (Volume unico, Trieste 1857) tragen Briefe des Dichters 
aus den Jahren 1741 — 1754 wiederholt die Ortsangabe »Csakaturn« 
(S. 908, 910), »J Oslo Witz« (S. 912, 942, 956) und »Frain« (S. 954, 
1079). — Zwei andere Briefe Metastasios aus Frain sind abgedruckt in der 
Sammlung »Lettere di PietroMetastasio e di CarloBotta, 
pubblicate in occasione del dupüce maritaggio Treves — di Bonfil — Todros« 
Venezia 1844), 8.9, 11. 

'Opere di Metastasio S. 923, 924. >— In einem anderen Briefe 
an Farinelll (a. a. 0. S. 928) vom Jahre 1749 heißt es: »La contessa d'Althann 
e tutta la sua compagnia ah quanto ha parlato di vol!« 

» Nach Wurzbach, Lexikon, Artikel Althann. 



V. Kap.: Wien, Znaim, London. 91 

blicken, bei dem Astorga im Mai 1713 in oder bei Znaim als Gast 
weilte. Sei es nun, daß Emanuel in dem gräflich althannischen 
Schoßhause zu Znaim, das noch heute eines der stattlichsten Gebäude 
am oberen Marktplatze von Znaim bildet, sei es, daß er auf einem 
der benachbarten Güter des Grafen jene Kantate schrieb, die uns 
von seinem Znaimer Aufenthalt Zeugnis gibt, — keinesfalls wird 
er den Besuch des Schlosses Frain, des nur wenige Meilen nord- 
westlich von Znaim gelegenen glänzendsten Herrensitzes des Grafen, 
unterlassen haben. Die herrliche Lage des Schlosses auf steilem 
Felsen über der Thaja, die waldreiche Umgebung, die später Meta- 
stasio wiederholt als »montagne amenissime della Moravia « rühmte, 
verfehlten auch auf ihn ihren Eindruck nicht. Die Gesellschaft des 
Grafen und seiner Freunde, die behagliche Einrichtung des Schlosses 
und, nicht zuletzt, der erst vor kurzem mit äußerster Pracht erbaute 
Musik- und Theatersaal konnten ihn länger fesseln. Es ist wohl 
glaublich, daß Astorga, der ja immer eine Menge Kompositionen 
bei sich führte i, selbst die eine oder die andere davon im Kreise 
der adligen Gäste zum Vortrag brachte oder als Sänger oder am 
Cembalo bei der Aufführung irgend eines Pastorale in jenem 
Prunksaale mitwirkte. 

Ob hier auch Astorgas Dafni zur Aufführung kam? Es kann 
wohl sein. Möglich auch, daß der Graf Althann eine Kopie der 
Oper anfertigen ließ, und daß diese Dafnipartitur die heute in 
Wien befindliche ist, von der wir oben« sprachen. Beweise waren 
nicht zu erlangen^. 

1 Nach H a w k i n s. Vgl. S. 135 unsrer Schrift. 

« S.63. 

* Meine Bemühungen, bestimmte Nachrichten über den Verkehr Astorgas 
mit den Grafen Althann zu erlangen, blieben vergeblich. Ich fragte bei der 
Schloßverwaltung zu F r a i n in Mähren an, ob sich im Frainer Schloßarchiv 
auf Astorga bezügliche Schriften vorfänden. Die Antwort lautete verneinend. 
Vermutlich seien beim Verkauf der Herrschaft Frain alle die gräfliche Familie 
betreffenden Schriften und Akten nach Joslowitz i. M. übergeführt 
worden. Meine Anfrage an dieser Stelle ergab, daß auch dort nichts zu finden 
sei, — möglicherweise seien die betreffenden Dokumente mit vielen anderen 
im Jahre 1809 von den Franzosen verbrannt worden. Diese Vermutung 
sprach auf meine Anfrage hin auch Herr Graf Michael Robert von 
Althann in Wien aus. Er besitzt ebenfalls keine auf Astorga bezüglichen 



92 1. Teil: Astorgas Leben. 

Bei seinem Aufenthalte in Znaim dürfte Astorga auch das 
Prämonstratenserstift Brück, das in unmittelbarer Nähe der Stadt 
gelegen ist, aufgesucht haben. Der Ruhm, den es seit Jahrhunderten 
als musikalische Pflanzstätte Mährens genoßt, veranlaßte 
den Komponisten gewiß, dort Einkehr zu halten. Er wird in dem 
Stifte, das damals in hoher Blüte stand, — es zählte 80 Ordens- 
geistliche — , wohl aufgenommen worden sein. Besondere Sym- 
pathien dürfte ihm der Abt des Klosters, Vincenz Wallner, ge- 
schenkt haben, der ein vorzüglicher Geschichtskenner und tat- 
kräftiger Beschützer aller Wissenschaften und Künste war«. 



Dokumente, wies mich aber an das gräflich Festeticssche Schloßarchiv 
in Csakatum in Ungarn, wo eine Anfrage vielleicht noch von Erfolg sein 
könne. Auch hier kam ich zu keinem positiven Resultat: Herr Graf Feste- 
tics ließ mir mitteilen, daß sich »seinesWissensim Archiv von Csaka- 
tum keine auf die Person des Komponisten Astorga Bezug nehmenden Noten 
oder anderweitige Schriftstücke befinden«. Sorgfältige Nachforschungen im 
Schloßarchiv zu Csakatum können also doch vielleicht noch brauchbare 
Resultate erbringen. 

^ Mit dem Kloster war seit dem 16. Jahrhundert ein Erziehungsinstitut 
für adlige Jünglinge des Landes verbunden, in dem die Pflege der Musik einen 
bevorzugten Platz einnahm. Zwar hatte der dreißigjährige Krieg diese Kultur- 
stätte arg geschädigt, gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhob sie sich aber 
zu neuer Blüte. Tüchtige Künstler (unter ihnen der bedeutendste: Jakob 
Kosaf, gest. 1669) waren als Musiklehrer und Leiter der Kirchenmusik in 
Bmck tätig und erhielten den Ruf des Stiftes als musikalisches Zentrum von 
Mähren lebendig. — Nach Chr. Ritter d'Elvert, Geschichte der Musik 
in Mähren und österr. Schlesien (Brunn, 1873), S. 143 f. und AntonVrbka, 
Artikel »Klosterbrucka in der »Heimatskunde des polit. Bezirks 
Znaim«, Heft 8, S. 39 f. 

* Vincenz Wallner, aus Kaidling gebürtig, war erst vor kurzem 
(1712) zum Abt des Klosters gewählt worden. Er machte sich verdient um 
das Zustandekommen der Annalen seines Ordens. Nach V r b k a , a. a. O., 
S. 44 f. — Ich habe die im Mährischen Landesarchiv zu B r ü n n befindlichen 
»Diarii Revi. Dni. Abbatis Lucensis« [Wallner] der in Betracht kommenden 
Jahre auf eine Erwähnung Astorgas hin, jedoch erfolglos, durchgesehen. In 
den ersten Jahren seiner Amtsfühmng, in die Astorgas Besuch fiel, sind die 
Aufzeichnungen noch spärlich und lückenhaft. Später wird jeder Besuch 
verzeichnet. Auch der »Comes ab Althann Joslovicensis« erscheint dann. 
Dieser konnte auch Astorga im Kloster eingeführt haben. Die das Kloster 
Bmck betreffenden Bände der Hübner sehen Sammlung im Stadt- 
archiv zu Znaim enthalten keine Notizen über Astorga. 



V. Kap.: Wien, Znaim, London. 93 

Wir wissen nicht, ob Astorga nach dem Jahre 1713 die Bezie- 
hungen zu seinen Wiener und Znaimer Freunden lebendig erhalten 
hat. Zwar reden einzelne Schriftsteller davon, Astorga sei in 
späteren Jahren noch einmal nach Wien gekommen. Doch beruht 
diese Mitteilung auf sehr unsicherem Grunde^; urkundlich nach- 
weisbar ist nach 1713 weder ein Besuch ia Wien noch in Znaim. 

In die Jahre nach seinem Besuch in Mähren fiel unsres Er- 
achtens Astorgas Aufenthalt in England. Hawkins, der von einem 
solchen berichtet, gibt die Zeit nicht an, in der er stattfand. Ver- 
suchen wir sie zu ermitteln. Mit Sicherheit läßt sich nur ihre 
Grenze nach abwärts bestimmen: Es ist das Jahr 1717. Denn im 
Frühjahr 1717 wurde Astorga Senator in Palermo; nach Ablauf 
seiner Amtsperiode gravitierte aber, wie wir hören werden, sein 
ganzes Wesen nach Portugal und Spanien. Es ist ganz unwahr- 
scheinlich, daß er in seiner letzten Lebensperiode noch große Reisen 
unternommen hat. Am wenigsten hätte er sich aber in jener Zeit 
als Sänger und Klavierspieler hören lassen. Und gerade als 
solchen rühmt ihn die bei Hawkins verzeichnete Tradition. Das 
führt uns in seine jüngeren Jahre. Es ist also denkbar, daß Emanuel 
bereits im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts nach England 
ging; wahrscheinlicher ist jedoch, daß er während der Dauer des 
spanischen Erbfolgekrieges (1701 — 1713) einen Besuch bei den Eng- 
ländern vermied. Dann bleiben also nur die Jahre zwischen 1713 
und 1717, in denen man Astorga in England vermuten kann. 

Hören wir, was Hawkins von diesem Aufenthalte und seinem 
Anlaß dazu berichtet: »Astorga hielt sich einmal in Livorno auf. 
Dort wurde er von englischen Kaufleuten so außerordentlich ge- 
feiert, daß er bewogen wurde, England zu besuchen; und er brachte 
einen oder zwei Winter in London zu«.« 

Ziemlich plausibel erscheint es, daß der erwähnte Aufenthalt 
Astorgas in der Hafenstadt Livorno vor Antritt oder nach Been- 
digung einer Seefahrt stattfand, d. h. also im Verlauf einer größeren 
Reise, deren Ziel zunächst erreicht werden mußte. 



> Diese Nachricht stammt vonFriedrich'Rochlitz. Vgl. S. 151. 
* Den Urtext s. S. 135. 



94 1. Teil: Astorgas Leben. 

Mithin ist es nicht unmöglich, daß das Zusammentreffen mit den 
enthusiastischen Engländern bei seiner Fahrt nachWienim Früh- 
jahr 1712 stattfand, und daß er den auf ihr Zureden hin gefaßten 
Plan, nach England zu kommen, nach Beendigung seines Aufent- 
haltes in Wien und Znaim zur Ausführung brachte. Reiste er von 
Mähren direkt nach London, so nahm er wohl seinen Weg durch 
Böhmen. Er wird dann Pragi, vielleicht auch Karlsbad^ berührt 
haben, das damals bereits von der vornehmen Welt aufgesucht wurde. 
Ob er in D res de n^ Station machte, wo das Musikleben kräftig auf- 
blühte, ob in B e r 1 i n , ob er die Route über eine der stolzen deutschen 
Hansastädte wählte, ob durch Westdeutschland und Hol- 
land, — wir wissen es nicht. Keinerlei Spur von ihm ist in jenen 
Städten und Gegenden gefunden worden. 

Mehr als die Annahme einer direkten Reise von Znaim nach 
London hat die für sich, daß Astorga von Mähren im Herbst 
1713 nach Italien zurückkehrte und sich in Livorno nach Neapel 
oder Palermo, vielleicht auch nach Spanien einschiffen wollte. In 
den Tagen des Wartens auf die Abfahrt mag er sich mit den Eng- 
ländern befreundet und sie durch seine Kunst entzückt haben. 
Jeder von ihnen verfolgte darauf seine Straße. Im nächsten oder 
übernächsten Jahre dürfte Emanuel dann die Reise nach England 
angetreten haben, zu der er sich damals in Livorno auf Anregung 
der musikalischen Briten entschlossen hatte. Beide Konjekturen 
lassen sich recht wohl mit der oben ermittelten Zeit des Londoner 
Aufenthaltes (1713 — 1717) vereinen. 



; i^ Vgl. dazu auch S. 178, Anm. 1. 

> Meine darauf bezügliche Anfrage beantwortete Herr Professor Dr. L u d - 
wig in Karlsbad dahin, daß im Karlsbader Stadtarchiv keine Anmeldung 
Astorgas vorhanden ist. Die Kurlisten beginnen erst mit Ende der fünfziger 
Jahre des 18. Jahrhunderts, und in den Badegäste- Verzeichnissen der früheren 
Zeit sind nur die regierenden Häuser, Kardinäle, Bischöfe verzeichnet. 

* Die wiederholten Nachforschungen, die ich im k. s. Haupt-Staats-Archiv 
zu Dresden nach Spuren Astorgas angestellt habe, erbrachten kein Resultat. 
Auch M. F ü r s t e n a u hat wohl nichts über ihn gefunden, denn er erwähnt 
ihn in seinem Werke »ZurGeschichtederMusik und desThea- 
ters amHofezuDresden« (Dresden, 1861, 1862) nicht 



V. Kap.: Wien, Znaim, London. 90 

Die verschiedenen Schriften, die das Musikieben Londons in 
den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts schildern, und die 
der vielen kleinen Sterne gedenken, die sich um die Sonne Händel 
gruppierten, nennen Astorga nicht. Dieses Verstummen der 
Quellen ist leicht erklärlich durch den Umstand, daß unser Meister, 
wie überall, so auch in London jedes persönliche Eingreifen in das 
öffentliche Musikleben unterließ und mithin den Chronisten nicht 
bemerkenswert erschien. Während er alles, was einer Konkurrenz 
mit den Berufsmusikern ähnlich sehen konnte, vermied, entzückte 
er durch seine Kunst den Kreis seiner vertrauten Freunde, die einen 
so tiefen Eindruck davon empfingen, daß die Erinnerung daran in 
London bis auf Hawkins Zeit lebendig blieb. 

London bot dem sizilianischen Baron künstlerische Anregungen 
in Fülle. Nicht nur das öffentliche Musikleben mit Kirchenmusik 
und Oper, nein auch die private Musikpflege in adligen und bürger- 
lichen Kreisen gewährte ihm neue, vielseitige Eindrücke. Wie 
andere Mitglieder des Adels, so kann auch er den musikalischen 
Klub des Kohlenhändlers Britton, der bis 1714 bestand^, besucht 
haben, so kann auch er einer der Gäste des Kunstmäcens Graf 
Burlington gewesen sein, dessen Palast ein glänzendes Stück Italien 
unter dem grauen Himmel des Nordens bildete^. In London schlug 
ihm überall der Name Händel entgegen, der dort seit 1710 zu den 
gefeiertsten gehörte. Astorga war, wie oben angedeutet wurde, 
vielleicht schon in Italien mit Händel zusammen getroffen, — daß 
beide nun in London in persönliche Beziehungen zueinander traten, 
bezweifeln wir. Sicher aber lernte Astorga, der ja für die musikalische 
Literatur seiner Zeit so viel Interesse hatte, in London zahlreiche 
Werke Händeis kennen, darunter gewiß auch seinen »Rinaldo«, der 
1711 mit größtem Beifall begrüßt worden war und in den folgenden 
Jahren sehr oft aufgeführt wurde. Wir können uns vorstellen, wie tief 
Arien wie »Carasposa« oder »Lascia ch'io piangac.auf Astorgas emp- 
fängliches Gemüt gewirkt haben mögen. Er wird sich nicht darüber 
getäuscht haben, daß diese Gesänge an Tiefe des Gefühls, an Energie des 



iChrysander, Händel I, 308. 
> Ebenda, 413 f. 



96 1. Teil: Astorgas Leben. 

Ausdrucks und klanglichem Reiz alles überboten, was die italienische 
Oper «bis dahin geschaffen hatte, seinen eigenen Dafni nicht aus- 
genommen, der sich mit Händeis Rinaldo verglichen, wie eine graziöse 
Porzellanfigur neben einem gewaltigen Bronzestandbild ausnimmt. 
Es ist wohl möglich, daß gerade durch Händel in Astorga das Be- 
wußtsein rege gemacht wurde, daß es ihm nicht gegeben sei, auf dem 
Felde der Oper Epochemachendes zu schaffen. Deshalb verzichtete 
er darauf, nach seinem Dafni noch weitere Opern zu schreiben. In 
kluger Erkenntnis der Grenzen seines Talentes beschäftigte er sich 
nun fast ausschließlich mit der kleineren Form der Solo Ran täte; 
ein Gebiet, auf dem er in der Tat Bedeutendes leisten sollte. Daß 
er sich hier schließlich selbst Genüge tat, dafür spricht die Ver- 
öffentlichung jener Kantaten -Sammlung, von der am Eingang 
unsrer Forschungen die Rede war. 

Nur zu einer einzigen Schöpfung in größerer Form raffte sich der 
Meister in seiner späteren Zeit noch auf, und zwar zu einem kirchlichen 
Werke : dem StabatMater. Und gerade damit trat er in dieReihe der 
größten Meister ein, damit errang er seinemNamen dieUnsterblichkeit. 
Daß Astorga sein Stabat Mater in London geschrieben habe, 
wie einzelne Schriftsteller behaupten, ist durch nichts zu beweisen. 
Die erste Erwähnung des Werkes findet sich in den 1753 veröffent- 
lichten »Remarks on Mr. Avison's Essay on musical expres- 
sion« des Oxforder Professors W. Hayes. Dort heißt es nur, das 
Stabat Mater sei »letzthin in Oxford aufgeführt worden«. Haw- 
kins (1776) fügt dieser Notiz des weiteren bei, die »Academy of 
Ancient Music « zu London bringe es ebenfalls öfter zur Aufführung. 
Rochlitz (1825) zieht bereits daraus den Schluß: »Sein Stabat 
Mater scheint er in London geschrieben zu haben «. In dem Astorga- 
Artikel der Wiener »Rezensionen« (1863) heißt es dann mit 
voller Bestimmtheit: »In London hat er sein berühmtes Stabat 
Mater komponiert, von dem die Academy of Ancient Music 
die Abschrift besitzt«. Ahnlich äußert sich auch Schletterer 
(1878) in der Vorbemerkung seiner Ausgabe des Stabat Mater. 
Vorsichtiger behandelt Pohl in Groves Dictionary den Punkt, 
indem er sagt, das Stabat Mater sei »wahrscheinlich für die 
Academy of Ancient Music in London komponiert worden.c 



V. Kap. : Wien, Znaim, London. 97 

Pohls Vermutung hat manches für sich. Denn gewiß fand 
Astorga persönliche Beziehungen zu der Academy of Ancient Music 
in London, deren Tendenzen ganz seinen Ansichten entsprechen 
mochten. Sie war im Jahre 1710 gegründet worden zu dem Zwecke, 
durch die Pflege alter Musik »einen Damm zu setzen gegen die 
hereinbrechende Flut moderner Musik, zu der in erster Reihe Hän- 
deis Kompositionen gerechnet wurden. Um das Studium und die 
Ausübung alter Musik zu fördern, wurde dann auch eine Bibliothek 
angelegt, die sich rasch vergrößerte «i. Dieser Sammlung kann 
Astorga gewiß eine Abschrift seines Stabat Mater dediziert haben ; 
in seiner Art entsprach das Werk mehr als alle anderen des Meisters 
den Zielen der Akademie, ist es doch sein einziges, in dem größere, 
im alten, polyphonen Stil gehaltene Sätze vorkommen. Irgend 
ein Beweis für eine solche Schenkung an die Sammlung der Aka- 
demie ist jedoch nicht vorhanden. Nur daß das Werk 1776 in Lon- 
don aufgeführt wurde, steht fest; wie lange vorher es dort schon 
bekannt war, wissen wir nicht. Dagegen sahen wir oben, daß man 
es bereits 1753 in Oxford kannte und schätzte. Mithin kann auch 
die Oxforder Partitur die ältere sein und als Vorlage für die Lon- 
doner gedient habend. Daraus ergibt sich aber für die Lebens- 
geschichte Astorgas, daß er, wie zu London, so auch zu Oxford in per- 
sönlicher Beziehung stehen konnte, ja es ist gar nicht unwahrschein- 
lich, daß er selbst die berühmte Universitätsstadt besucht hat. Es 
mochte ihn interessieren, die Stätte kennen zu lernen, wo sich tüch- 
tige Leute seines Faches den Titel »Doktor der Musik« holten; 
selbst zu promovieren, mag ihn ebensowenig gelüstet haben^, wie 
Händel*. 



1 Wörtlich nach C. F. P o h 1: Mozart in London (Wien 1867), S. 16. 

s Eine vergleichende Betrachtung der heute im British Museum 
zu London befindlichen Partitur (derselben, die C h y s a n d e r im H ä n- 
d e 1 (1, 350f.) beschreibt) und derinderBodlein Library zu Oxford 
versparen wir auf den zweiten Band unsrer Studien. 

3 A. Williams in seiner Schrift » A Short historical account of the 
Degrees in Music at Oxford and Cambridge« (London öcNew 
York, 0. J.) gibt eine Liste aller, die in Oxford den Titel Doktor der Musik 
erworben haben. Astorgas Name kommt nicht darin vor. 

* Vgl. Chrysander, Händel, II. 310 f. 

Volkmann, Astorga. I. 7 



98 1. Teil: Astorgas Leben. 

Wir wissen nicht, wo Astorga sein Stabat Mater schrieb, wir 
kennen das Jahr nicht, in dem er es schrieb. Nur daß er es als ge- 
reifter Künstler komponiert hat, ergibt sich aus dem Werke selbst. 
Es wohnt darin ein so starker männlicher Geist, es zeigt sich darin 
eine so vollendete Beherrschung der Kompositionstechnik, nament- 
lich eine so geschickte Behandlung der Singstimmen, daß es un- 
möglich die Schöpfung eines werdenden, sondern nur eines fertigen 
Meisters sein kann. Vorn konstatierten wir aber, daß Astorga mit 
dem Jahre 1707 in die Periode der Meisterschaft eintrat. Wir 
können daher annehmen, daß er das Stabat Mater nicht vor dem 
genannten Jahre geschrieben hat. 

»Einen oder zwei Winter verlebte Astorga in London«, so er- 
zählt Hawkins. Dieser Nachricht fügt der Autor des Astorga- 
Artikels in den Wiener »Rezensionen« folgende Bemerkung bei : 
»Im ganzen scheint sich Astorga in England nicht wohl gefühlt zu 
haben; die glühende Seele des phantasiereichen Künstlers mochte 
der kalte Hauch des englischen Realismus eisig anwehen «. 

Diese Annahme ist historisch nicht zu rechtfertigen. Im ersten 
Viertel des 18. Jahrhunderts gab es in London genug idealgesinnte, 
kunstfreundliche Kreise, — wir nannten oben einige — ; jeder, der 
nur wollte, konnte also dem »kalten Hauche des englischen Realis- 
mus« ausweichen. Und weshalb sollte Astorgas Freundschaft mit 
jenen englischen Musikliebhabern, die ihn erst zu der Reise nach dem 
Inselreich bewogen hatten, erloschen sein? Nein, Londons edle 
Geselligkeit kann Astorga voll befriedigt haben. Auch das längere 
Verweilen in England — einen oder zwei Winter — spricht dafür, 
daß er sich dort wohlgefühlt hat. 

Wir stehen am Schlüsse der Epoche von Astorgas großen Reisen. 
Nur wenige Stationen auf diesen Fahrten konnten wir mit Sicherheit 
nachweisen. Manch andere ließen sich wohl noch vermutungsweise 
nennen, — darunter z. B. Parisi, das ein feingebildeter Weltmann, 
wie Astorga, zu besuchen gewiß nicht unterlassen hat. Wir wollen 
von diesen Möglichkeiten jedoch nur noch eine erörtern, weil ge- 



^ Fr. R c h 1 i t z sprach zuerst von einem Besuche Astorgas in Paris, 
doch, gleich uns, nur vermutungsweise. 



V. Kap. : Wien, Znaim, London. 99 

wisse Wahrscheinlichkeitsgründe für sie sprechen: Die eines Aufent- 
haltes zu Parma im Jahre 1716. 

Zu Parma wurde im Karneval des genannten Jahres am herzog- 
lichen Hofe eine Pastoral -Oper »II Dafni« aufgeführt, deren 
Musik vielleicht die Astorgas war. Die Überlieferung nennt den 
Komponisten nicht. Doch läßt das noch erhaltene Textbuch^ dieser 
Aufführung Schlüsse zu. Einige Striche und Einlagen abgerechnet, 
deckt es sich vollkommen mit dem Dafnitext von Genua und Barce- 
lona vom Jahre 1709. Liegt also deshalb schon die V^i'niutung 
nahe, daß in Parma ebenfalls die Musik Astorgas benutzt wurde, 
so hilft die im Libretto enthaltene Angabe der mitwirkenden Künst- 
ler jene Vermutung stützen. Titel und Personenverzeichnis lauten : 

11 Dafni 

Drama pastorale 

Per Musica 

Da rappresentarsi nel nuovo Teatro Ducale di S. A.S. di Parma 

Consacrato 

AI merito sovragrande del Serenissimo 

Signor Prencipe 

Antonio Farnese. 

In Parma, MDCCXVI. Per Giuseppe Rosati. 
Con Licenza de' Superiori. 



1 Bisher lagen über die Aufführung eines Dafni 1716 in Parma nur 
Notizen vor bei A 1 1 a c c i (Drammaturgla S. 236) und bei P a o 1 o E m 1 1 1 o 
Ferrari (Spettacoli Dramatico-musicali ... in Parma. Parma 1884); das 
Textbuch war verschollen. Durch Vermittlung des Herrn ManoeldeCar- 
valhaesinMezaoFrio (Portugal) gelang es mir, ein Exemplar des Text- 
buches im Besitze des Herrn Conte Stefano Sanvitale in Parma 
ausfhidig zu machen. Der Herr Qraf überließ mir das wertvolle Stück für 
•einige Zeit zur wissenschaftlichen Benutzung, wofür ihm besonderer Dank 
ausgesprochen sei. 

7* 



100 1. Teil: Astorgas Leben. 

Interlocutori 

Dafni. La Signora Angiola Algier!. 

Galatea. La Signora Francesca Cuzzoni detta la Par- 

meggiana. 

Nerina. La Signora Francesca Dancy. 
Fileno. La Signora Vittoria Tesi, detta la Firentina. 
Tirsi. II Sig. Lucio Genocchi. 

Selvaggia. La Signora Rosa Venturini, Virtuosa del 

Sereniss. Sig. Prencipe Antonio di Parma. 
Dameta. II Sig. Giuseppe Tricö. 

Bei einigen der im Personenverzeichnis genannten Mitwirkenden 
sind wir über ihren Stimmumfang und -Charakter unterrichtet. 
Merken wir uns nun, welche Partien sie in Parma innehatten, und 
schauen wir in der Wiener Dafnipartitur nach, für welche Stimm- 
gattung Astorga jene Partien komponiert hat, so finden wir, daß die 
Besetzung in Parma in den Hauptrollen den Dispositionen Astorgas 
genau entsprach. Die Vertreterin der Galatea, die nachmals so 
berühmte Cuzzoni, besaß eine ungewöhnliche Höhe. Auch in 
Astorgas Partitur ist die Rolle der Galatea für einen hohen Sopran 
bestimmt. Den Fileno sang in Parma Vittoria Tesi. Diese 
junge, später allgemein gefeierte Künstlerin hatte eine herrliche, 
ausgiebige Altstimme und glänzte besonders in Männerrollen. In 
Astorgas Partitur ist der Hirt Filen für eine tiefe Altstimme notiert i. 
Auch die Partie des Dafni ist von Astorga für einen Alt geschrieben. 
In Genua hatte diese Rolle ein Sänger (Porta Luppi) inne; in 
Parma sang sie eine Altistin, Angiola Algieri^. 



^ AlessandroScarlatt! hat in seiner Komposition des Dafni 
diese Rolle einem Tenor zugeteilt. Deshalb, und wegen relativ größerer 
Differenzen in den Texten, glaube ich nicht, daß die Oper in Parma mit A. 
Scarlattis Musik in Szene ging, wenn schon die Aufführung dieser Kom- 
position in J e 8 i 1715 — also ein Jahr vorher — für diese Möglichkeit zu 
sprechen scheint. (Vgl. S. 65.)' ' 

> Angiola oder AngelaAlgieri sang auch zu Venedig im Teatro 
S. Angelo im Jahre 1709 eine MännerroUe, die des Cleomenes im Tradimento 
tradito von C a n d i und P o 1 a n i. (W i e 1 , a. a. 0. Nr. 87.) 



V. Kap.: Wien, Znaim London. 101 

Volle Beweiskraft haben diese Übereinstimmungen natürlicli 
nicht; aber sie erhöhen doch bedeutend die Wahrscheinlichkeit, 
daß bei der Dafni-Aufführung 1716 zu Parma unsres Meisters 
Musik gespielt und gesungen wurde. 

Verhielt es sich aber tatsächlich so, wie wir vermuten, so ist es 
keineswegs unwahrscheinlich, daß der Komponist der Aufführung 
persönlich beiwohnte^. Wir hätten uns dann diesen Aufenthalt 
Astorgas im Karneval 1716 zu Parma als eine der letzten Rasten 
auf seiner langen Wanderzeit durch die Länder Europas zu denken. 
Bereits wieder im Gebiete seiner Muttersprache, nicht allzufern von 
seiner Heimat, dürfte er sich noch einmal dem vollen Glücksrausch 
des Bühnenkomponisten, der sein Werk mit Erfolg gekrönt sieht, 
hingegeben haben. Wohl noch im Jahre 1716, spätestens aber zu 
Anfang des Jahres 1717, traf Astorga wieder in Palermo ein, um 
dort Aufenthalt zu nehmen. 

Ehe wir uns diesem Abschnitt seines Lebens zuwenden, sei kurz 
dargetan, auf welche Weise sich Astorga auf seinen Reisen künstle- 
risch betätigt hat. Gewiß nicht öffentlich, das betonten wir wieder- 
holt. Im Kreise vornehmer Freunde scheint er aber nicht mit 
seiner Kunst gekargt zu haben. Hier glänzte er nicht nur als 
Klavierspieler 2, sondern auch als Sänger. Besonderen Eindruck 
pflegte er mit seinen eigenen Kantaten zu erzielen, die er, sich 
selbst am Flügel begleitend, vortrug. Wenn Hawkins, dem wir 
diese Nachricht verdanken, hinzufügt, Astorga habe sich in der 
Ausübung seiner Kunst nicht einmal durch seine starke Kurz- 
sichtigkeit hindern lassen, so geht daraus hervor, daß diese Kurz- 
sichtigkeit eben nicht allzustark gewesen sein kann. Wahrschein- 
lich litt er bei seinem Aufenthalt in England nur an einem vorüber- 
gehenden Augenübel. Denn außer der genannten Quelle enthält 

^ Für diesen Besuch Astorgas in Parma finden sich ebensowenig doku- 
mentarische Beweise, wie für den angeblichen im Jahre 1704 (s. S. 58). Alle 
Nachforschungen nach Astorga im Staatsarchiv zu Parma blieben erfolg- 
los, wie mir Herr Archivdirektor Dott. A. C a p p e 1 1 i mitteilte. Ebenso'zeitigten 
auch die in früherer Zeit darüber angestellten Ermittlungen des Herrn Grafen 
Stefano Sanvitalezu Parma keine Resultate. Nach brieflicher Mit- 
teilung des Herrn Grafen. 

* Zoppelli-Orlandi, a.a.O. 



102 1 . Teil : Astorgas Leben. 

keine eine Erwähnung seiner Kurzsichtigkeit. Alle anderen Nach- 
richten über ihn, namentlich die über seinen Dienst als Offizier, 
lassen Astorga als einen gesunden, normalen Menschen erscheinen, 
dem auch eine hinreichende Sehkraft nicht versagt war. 

Auch produktiv war Astorga auf seinen Reisen tätig. Überall, 
wo er Muße und Stimmung fand, griff er zur Feder. Freigebig teilte 
er von den Werken seines Geistes mit, wenn ihn Freunde, von seinen 
Arien entzückt, um solche baten. Aber immer von neuem 
füllte er seine Mappe mit eigenen Kompositionen. Eine größere 
Sammlung eigener Werke, so erzählt Hawkins, pflegte er auf all 
seinen Reisen mit sich zu führen. Er legte also Wert darauf, für die 
wechselnden Bedürfnisse der Zirkel, in die er kam, verschiedene 
Werke eigener Komposition zur Auswahl bei sich zu haben. In den 
Salons den Lorbeer des Komponisten zu ernten, als geschmackvoller 
Sänger die Herzen zu bezwingen, als generalbaßgewandter Begleiter 
und als phantasievoller Pianist zu glänzen, das war seine Lust und 
sein Stolz während seiner Wanderjahre. 

Über eine Betätigung Astorgas als reproduzierender Künstler 
in seiner letzten Periode schweigen die Quellen. Als Autor be- 
gegnet er uns in dieser Zeit jedoch noch einmal. Auch erfahren 
wir noch interessante Einzelheiten über den Staatsbürger Astorga. 
Davon im nächsten Kapitel. 



VI. Kapitel. 

Astorga als Senator von Palermo. 
Der Ausgang. 1717 — ca. 1750. 

Während der Abwesenheit Astorgas von seiner Heimat war auf 
Sizilien eine von niemand geahnte Veränderung eingetreten. Die 
Insel war aus den Händen der Spanier in die einer anderen Macht 
gelangt. Der Friede von Utrecht (April 1713), der dem spanischen 
Erbfolgekriege ein Ziel gesetzt, hatte auch jenen Umschwung herbei- 
geführt. In diesem Frieden hatten die Mächte Philipp V. als König^ 
von Spanien anerkannt. Zugleich war aber die Insel Sizilien Philipp 



VI. Kap. : Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 103 

abgesprochen und dem Herzog von Savoyen als Königreich zu- 
erkannt worden. Die Bevölkerung von Sizilien war über diese 
Wendung erfreut, hoffte sie doch, die Veränderung werde auch eine 
Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf der 
Insel herbeiführen. 

Am 10. Oktober 1713 landete der neue König von Sizilien, 
Victor Amadeus von Savoyen und Piemont, in Palermo^. 
Das Volk, das seit Menschengedenken seinen König nicht mehr in 
persona gesehen hatte, jubelte ihm zu. Auch die Einzugs- und 
Krönungsfeierlichkeiten entfesselten bei den Palermitanern, die 
solch glänzende Schauspiele über die JVlaßen liebten, Stürme der 
Begeisterung. 

Mit kräftiger Hand ergriff Victor Amadeus die Zügel der 
Regierung. Reformen zur Hebung des Wohlstandes der Bevöl- 
kerung wurden allerwegen angebahnt. Der König ordnete Straßen- 
bauten an, traf Anstalten zur Ausrodung des Brigantenunwesens, 
verbesserte und verstärkte das Militär. Dazu mußten neue Steuern 
erhoben werden. Solche pflegen aber der Regierung nirgends Freunde 
zu erwerben. Die Sympathien, mit denen man Victor Amadeus 
empfangen hatte, verflüchtigten sich daher rasch. Man hatte, als 
man den König mit den größten Hoffnungen begrüßte, nicht er- 
wogen, daß er eine Hebung des Volkswohlstandes nicht ohne tief- 
greifende Umgestaltung aller Verhältnisse anbahnen konnte. Diese 
Reformen waren jedoch allen jenen unbequem, die vorher, unter den 
Spaniern, ein erträgliches Leben geführt hatten. So kam es, daß der 
neue König bald mehr Feinde als Freunde hatte, und daß der Aus- 
führung seiner Reformpläne überall Widerstand entgegengesetzt 
wurde. 

Auch andere Dinge nährten die Abneigung der Siziiianer gegen 
Victor Amadeus. Für die an rauschende Festlichkeiten gewöhnten 
Palermitaner ließ der König an Festtagen bei weitem nicht genug 
Glanz und Pracht entfalten. Man hielt ihn deshalb für geizig. Ferner 



1 Vgl. Dr. Karl Querner: Die piemon tesische Herrschaft 
auf Sizilien. Bern, 1879. S. 45. Auch des weiteren stützen sich unsre 
Schilderungen der politischen Verhältnisse Siziliens auf Quemers ausgezeich- 
netes Werk. 



A 



104 1. Teil: Astorgas Leben. 

nahm man ihm übel, daß er zahlreiche seiner Landsleute, Savoyarden 
und Piemontesen, in die Staatsämter einrücken ließ. Hier murrte 
man. über die Bevorzugung der Fremden, während man gegen die 
Besetzung der Stellen mit Spaniern nichts einzuwenden gehabt hatte. 
Die größten Schwierigkeiten bereitete dem Könige aber ein Kirchen- 
streit, auf den wir alsbald näher eingehen werden. 

Alles in allem war die Regierung Victor Amadeus' eine Periode 
der Unruhe für die Insel. In dieser Zeit kehrte Astorga nach Sizilien 
zurück. Seine Rechte, wie die aller Adligen, wurden jedoch von der 
neuen Regierung in keiner Weise angetastet. Seine Lehen ver- 
blieben ihm unter savoyischer Herrschaft wie unter der spanischen. 
Daß er sich auch persönlich zum neuen Regiment gut zu stellen 
wußte, dafür spricht seine Wahl zum Senator von Palermo. 
Die Wahl der Senatoren traf dem Herkommen gemäß der 
Vizekönig. Als Astorga gewählt wurde, waltete der Graf Maffei 
jenes Amtes. Ihm hatte der König Victor Amadeus, als er im Sep- 
tember 1714 in sein Stammland zurückgekehrt war, die Regierungs- 
geschäfte übertragen. Da Graf Maffei keinen Baron in den Senat 
von Palermo gewählt haben kann, von dessen Treue und Zuver- 
lässigkeit er nicht überzeugt war, so muß er Astorgas Charakter bei 
dessen Wahl im Frühjahr 1717 genau gekannt haben. 

Der damals herrschenden Sitte gemäß waltete Astorga etwa ein 
Jahr lang seines Amtes als Senator von Palermo. Mongitore, der 
in anderen Jahren pünktlich den Tag der Neuwahlen des Senats ver- 
zeichnet, hat gerade 1717 versäumt, diesen zu nennen. Wir können 
jedoch den Beginn von Astorgas Amtsperiode annähernd berechnen. 
Mongitore^ erwähnt nämlich eine Amtshandlung des alten Senates 
vom 8. Mai und eine solche des neuen vom 2. Juni 1717. Zwischen 
diesen Tagen muß also die Neuwahl des Senates, dem Astorga an- 
gehörte, erfolgt sein. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 
fanden weitaus die meisten Senatswahlen im Mai statt, nur wenige 
Anfang Juni*. Wir dürfen also annehmen, daß Astorga Mitte Mai 



^Diari. DiMarzo,Bibl. Sic. VIII, 276; vgl. S. 108 unsrer 
Schrift. 

* Nur ganz außergewöhnliche Ereignisse, wie die Regierungswechsel 1720 
und 1735 schoben sie in spätere Monate hinaus. 






VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 105 

1717 Senator wurde. Seine Amtszeit lief am 3. Juni 1718 ab, denn 
am 4. Juni trat der folgende Senat sein Amt an^. 

Nichts bewegte die Gemüter von Palermo während des Jahres, 
in dem Astorga Senator war, so sehr, als der bereits erwähnte 
Kirchenstreit, der damals gerade seinen Höhepunkt erreichte. Da 
Astorga selbst eine, wenn auch nicht große Rolle darin spielen 
sollte, müssen wir die Gründe und den Verlauf dieses Streites mit 
einigen Worten schildern. 

Seit dem Mittelalter besaß das Königreich Sizilien gewisse Vor- 
rechte, die ihm der Papst gewährt hatte, die aber nach und nach der 
Kurie ein Dorn im Auge geworden waren 2. Die wichtigsten dieser 
Vorrechte bestanden darin, daß die Krone unabhängig von Rom 
die Bistümer besetzen und die Geistlichen vor Gericht ziehen 
konnte. Schon mehrere Päpste hatten diese Rechte zu verkürzen 
gesucht, aber vergeblich. Da gelang es dem Papste Clemens XI. 
einen Anlaß zu einem systematischen Vemichtungskampf gegen das 
verhaßte Prärogativ der sizilianischen Regierung zu finden. 

Der Bischof von Lipari hatte einem Höker Landesprodukte, die 
er als Zehnten empfangen hatte, zum Verkauf übergeben. Die 
Marktmeister forderten nun von dem Höker die Abgaben, die sie 
von jeder Ware verlangen mußten ; und da der Höker nicht zahlte, 
nahmen sie ihm einen Teil der Ware weg. Sofort exkommunizierte 
der Bischof die Marktmeister und forderte obendrein vom Munidpio 
Genugtuung. Er erhielt sie nicht und wandte sich, darob empört, 
an den Vizekönig. Auch bei diesem erreichte er nichts. Er schäumte 
vor Zorn, als er erfuhr, daß sich die Marktmeister an den Richter 
der Monarchie gewandt und von diesem Absolution unter Vorbehalt 
erhalten hatten. Wutentbrannt reiste er nach Rom, um beim Papste 
Klage zu führen. Dieser nahm ihn freundlich auf; kam ihm des 
Bischofs Botschaft doch willkommen genug. Der Grund zum 
Vorgehen gegen die sizilianischen Sonderrechte war gefunden. 

Von Rom erging ein Zirkular an die sizilianischen Bischöfe, in 
dem der strikte Befehl erteilt wurde, zu erklären, kein königliches 

^ Mongitore, a.a.O. VIII, 288. 

* Quelle dieser und der folgenden Einzelheiten: Querner, a.a.O. 
S.39f. 



106 1. Teil: Astorgas Leben. 

Tribunal könne von der durch die Bischöfe verhängten Exkommu- 
nikation befreien. Der Inhalt dieser Verordnung, die einen offenen 
Eingriff in die königlichen Rechte bedeutete, wurde nur von ein- 
zelnen Bischöfen befolgt, die übrigen ignorierten den Erlaß. 

Während das Volk für und wider diesen Vorstoß der Kurie stritt, 
schleuderte der Papst den Bann auf all jene königlichen Beamten, 
die in der Streitsache des Bischofs von Lipari gegen diesen aufge- 
treten waren, und ermahnte den Bischof von Palermo zu unbeding- 
tem Gehorsam. Nun war auch für die Regierung die Zeit gekommen, 
energische Maßregeln zur Wahrung ihrer Rechte zu treffen. Die 
Bischöfe, die zu Gunsten Roms der Regierung am kecksten den 
Gehorsam gekündigt, wurden vom Vizekönig aus Sizilien ausge- 
wiesen. Sie gingen nach Rom und schürten den Zorn des Papstes. 
Die Bevölkerung Siziliens, Geistliche wie Laien, nahmen Partei 
teils für die Krone, teils für Rom, und stritten lebhaft über die 
Vorgänge. 

So lagen die Din^e, als Victor Amadeus von Savoyen den sizi- 
lianischen Königsthron bestieg. Der Papst triumphierte schon, 
denn er glaubte, den Fürsten, der eine weit geringere Macht reprä- 
sentierte als die vor ihm in Sizilien herrschende spanische Monarchie, 
sich leicht gefügig machen zu können. Aber Victor Amadeus, dieser 
tatkräftige Regent, war nicht der Mann, der ihm zukommende 
Rechte ohne weiteres preisgab. Je kühner Rom seine Forde- 
rungen aussprach, desto bestimmter wurden sie vom Könige zu- 
rückgewiesen, und der Streit gewann an Heftigkeit und Ausdeh- 
nung. 

Der König ließ einige Kirchen, die infolge des päpstlichen 
Interdikts geschlossen waren, öffnen und darin die gottesdienst- 
lichen Funktionen wieder aufnehmen. Den Geistlichen, die den Ge- 
horsam weigerten, wurden die staatlichen Einkünfte entzogen ; blieben 
sie renitent, so wurde ihnen die Landesverweisung angedroht. Diese 
Maßregeln erbitterten den Papst aufs äußerste. Er wies alle Vor- 
schläge, die der König durch seine Gesandten zur Beilegung des 
Streites machte, barsch zurück, ja er erklärte durch ein Breve vom 
20. Februar 1715 das Tribunal der sizilianischen Monarchie für ab- 
geschafft. Dieser Schritt, — den man in Rom als die größte Tat 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 107 

Clemens XL rühmte i, — übte auf Sizilien tiefgehende Wirkung 
aus. Alle, die bisher eine Mittelstellung eingenommen hatten, 
wurden nun in die Reihen einer bestimmten Partei gedrängt. Die 
Rücksichtslosigkeit und Härte, mit der man in Rom verfuhr, zwang 
die Mehrheit der Ordensgeistlichen, die noch auf Seiten der Re- 
gierung standen, diese zu verlassen. Trotzdem traf Geistliche wie 
Laien Bannstrahl um Bannstrahl. Sobald sich die Geistlichen 
dieser Strafe unterwarfen und nicht, wie es ein Erlaß der Regierung 
forderte, einfach ignorierten, wurden sie Landes verwiesen. Bis 
zum Jahre 1717 waren etwa 400 Geistliche aus Palermo in die Ver- 
bannung gewandert 2. Einzelne Geistliche zogen es vor, um jenes 
Dilemma zu vermeiden, die Stadt freiwillig zu verlassen und in ihrer 
Umgebung den Verlauf der Dinge abzuwarten. Zu diesen gehörte 
auch der Priester Antonino Mongitore, der verdienstvolle Ver- 
fasser jener Diarien von Palermo, die eine unsrer wichtigsten 
Quellen bilden. Er war ein gemäßigter Anhänger Roms und hatte 
an einer vom Staate veranstalteten Prozessiofa »wegen Unpäßlich- 
keit« nicht teilgenommen, eine Weigerung, die bereits zu Unan- 
nehmlichkeiten geführt hatte. Er verließ deshalb Palermo und 
nahm auf dem Caputo, dem Bergzug nordwestlich von Monreale, 
Wohnung. Mongitore war eine allgemein hochgeschätzte Persön- 
lichkeit. Nun bedurfte der Senat im Juni 1717 eines neuen Sekretärs. 
Man wußte keinen passenderen Palermitaner für dieses Amt, als 
Mongitore. Drum beschloß man, ihn zu wählen. Als man ihn davon 
benachrichtigte, erklärte er aufs bestimmteste, er wolle diese Ehre 
nicht annehmen, um sich nicht neuen Ungelegenheiten auszusetzen, 
die zweifellos eintreten würden, wenn man ihn zwänge, an den von 
der Regierung veranstalteten Prozessionen und Gottesdiensten (den 
sogenannten »Kapellen«) teilzunehmen. Denn der Senat samt 
seinem Sekretär pflegte regelmäßig bei diesen Feierlichkeiten zu 
erscheinen. Da er aber trotzdem vom Senat gewählt wurde, ging 
Mongitore in die Stadt und legte persönlich dem Senat die Gründe 
dar, warum er jene Ehre ausschlagen müsse. Da war es der Senator 



^ Vgl. Querner, a. a. O. S. 116. 
* Ebenda, S. 134. 



108 1. Teil: Astorgas Leben. 

D. Emanuele d'Astorga, der ihm im Namen des Senates die Zu- 
sicherung gab, er werde in seinem Amte nicht belästigt, noch auch 
gezwungen werden, mit zu den Kapellen und Prozessionen zu gehen. 
Dieses Zugeständnis bewog Mongitore endlich, das Amt anzunehmen, 
das er, wenn auch nur kurze Zeit, ehrenvoll bekleidete. 

Hier möge die Erzählung dieser Episode mit JVlongitores eigenen 
Worten 1 folgen. 

A 3 luglio 1717. Avea il senato di Palermo nella passata 
sede, a 8 maggio 1717, fatto atto di elezione di suo secretario 
in persona di D. Mario Antonuzzo, alcamese, un tempo ge- 
suita, con dargli tempo di dover provare la sua cittadinanza. 
Succeduta la nuova sede del senato, il sindaco della cittä 
D. Sipione di Blasi fece Tistanze, che se gli cancellasse Tatto 
d*elezione, poichfe non potea provare TAntonuzzo la cittadi- 
nanza n^ per nascita, nh per privilegio. Onde a 2 di giugno 
gli cancellö Tatto, e nello stesso giomo elesse secretario D. An- 
tonino Mongitore, palermitano per nascita, scrittore di questo 
Diario. Alcuni giorni prima deir elezione era stato avvisato 
deir intenzione del senato, trovandosi fuor la cittä, ove s'era 
ritirato, nella contrada del Caputo, dopo avere rinunciato 
d'esser confessore ordinario del monastero di S. Elisabetta: 
ed egli risolutamente rispose non volere accettare un tal 
onore, per non volersi mettere in nuove occasioni, obbligato 
ad associar le processioni ed assistere in cappelle col senato. 
Indi, senza nuovo avviso, fece il senato Telezione; di che 
gliene mandö sino ai Caputo la notizia. Tornö egli in Pa- 
lermo, e non volendo in alcun conto accettare per Taccennati 
motivi, da D. Emmanuele Rincon d'Astorga, barone deir 
Ogliastro, senatore, a nome del senato venne assicurato, che 
non sarebbe molestato, nh costretto ad andar a cappelle e 
processioni; poich^ prima di farsi Telezione s'eran considerate 
le sue ripugnanze per Taccennati motivi: al che aggiunse le 
preghiere, come pur fece il pretore. Con questa condizione dun- 
que accettö Tonore offertogli, e pigliö il possesso deir ufficio. 



1 A.a.O. VIII, 276f. 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 109 

Das ist die einzige Nachricht, die von einem selbständigen 
Heraustreten Emanuel d'Astorgas aus der Körperschaft des Senats 
auf uns gekommen ist. Wir sehen ihn die Rolle eines Vermittlers 
spielen, zu der ihn ohne Zweifel die im Verkehr mit den vornehmsten 
Kreisen erworbene weltmännische Gewandtheit besonders be- 
fähigte. Weshalb hätten ihn sonst die Senatoren zum Sprecher in 
der Angelegenheit gewählt? Und wie hier, so dürfen wir uns auch 
bei anderen Anlässen, wo es zu sprechen galt, die Mongitore in 
seinem Diario jedoch nicht verzeichnet, weil dessen Person nichts 
damit zu tun hatte, Astorga in gewandter, aber maßvoller Rede 
die Ansichten des Senats bekämpfend oder verteidigend, oder wohl 
auch dessen Beschlüsse verkündend vorstellen. Jedenfalls war er 
nicht nur ein still zuschauendes, sondern ein kräftig mittätiges Glied 
des Senats von Palermo. 

Emanuels persönliche Stellung zu dem Kirchenstreit läßt 
sich im allgemeinen erraten. Er schenkte einerseits den tapferen 
Verfechtern der alten Vorrechte gewiß innige Sympathien. Anderer- 
seits mochte er sich aber durch mancherlei mit der Gegenpartei ver- 
bunden fühlen, so durch den gewaltigen Respekt vor Rom und durch 
das Mitleid mit der Geistlichkeit, die sich in der Tat auf Sizilien in 
übler Lage befand. In Astorga entstand also ein Konflikt zwischen 
verschiedenen Neigungen, mit dem er sich abfinden mußte, so gut 
es ging. Wie ganz Sizilien, so sehnte ganz sicher auch Astorga 
innigst das Ende der Zwietracht herbei. 

Der Senat nahm im Gemeinwesen von Palermo eine wichtige 
Stellung ein. In seinen Händen lag die Leitung der gesamten 
städtischen Verwaltung, des Proviant-, Sanitäts-, Münz- und Muni- 
tionswesens. Er besaß seine eigene Miliz, die zur Wache im 
Senatorenpalast sowie im Leuchtturm, ferner auch zur Beobachtung 
der Meeresküsten von den festen Warttürmen aus und zur Signali- 
sierung in Sicht kommender verdächtiger Barken diente i. 1695 
hatte Karl II. dem Senat die Erlaubnis erteilt, die ursprünglich 
kleine Truppe um so viel zu verstärken, als es die Sicherheit des 



^ Nach den prächtigen Schilderungen in Giuseppe Pitrös >La 
vita in Palermo cento e piü anni fa.« Palermo 1904. 1, 79f. 



110 1. Teil: Astorgas Leben. 

Senatorenpalastes und des Leuchtturmes erforderte. Auch als 
Feuerwehr fand die Senatsmiliz Verwendung. 

Bei Bränden in der Stadt ging der Senat selbst mit rettend zur 
Hand. So dürfen wir uns vorstellen, daß auch Astorga bei einem 
Schadenfeuer, das am 31. Oktober 1717 in Palermo ausbrach^, zu 
Hilfe eilte. Die Not, die Erdbeben und Überschwemmungen der 
Bevölkerung brachten, suchte der Senat nach Kräften zu lindern. 
So veranlaßten die Folgen des furchtbaren Unwetters, das sich am 
5. Januar 1718, Stadt und Land verwüstend, über dem Talkessel 
von Palermo entladen hattet, den Senat und mit ihm auch Astorga 
zu menschenfreundlicher Betätigung. Vermutlich war es eben dieses 
Unwetter, das durch seine enormen Wassermassen die Brücke an der 
Oretomündung arg beschädigte, eben jene Brücke, deren Wieder- 
herstellung noch während des Winters von dem Senat, dem Astorga 
angehörte, veranlaßt wurde. Wir haben zu Anfang unsrer Unter- 
suchungen (S. 14) die Inschrift kennen gelernt, die von jenem Bau 
Kunde gab, und in der auch Astorga genannt wurde. 

Der hohen Bedeutung des Senats im Gemeinwesen der Stadt ent- 
sprach auch die stolze Art seiner Repräsentation s. Je nach der 
Wichtigkeit der Anlässe erschienen die Senatoren in Toga und Ehren- 
kette oder in reich verzierten Obergewändern und Edelsteinschmuck. 
Es war ein prächtiges Schauspiel, zu dem sich jung und alt drängte, 
wenn der Senat seinen feierlichen Aufzug hielt. Den Zug, den 
Trommel- und Trompetenklang begleitete, eröffnete und schloß eine 
Abteilung der Senatsgarde, die sich in ihrer roten und gelben Uni- 
form lebendig genug ausnahm. Die erste Abteilung war zu Pferde; 
sie ritt mit gezogenem Säbel. Dahinter schritten niedere Senats- 
beamte. Dann folgten die drei reich vergoldeten und bemalten 
Karossen des Senats, in deren Fenstern die respektgebietenden, 
von Allongeperücken umwallten Häupter der Senatoren sichtbar 
wurden. 

Leicht könnte man vermuten, die Senatoren seien in der Mehr- 
zahl Greise gewesen. Dem war aber nicht so. Sie standen vielmehr 

^ Mongitore, a.a.O. VIII, 281. 
» Mongitore, a.a.O. VIII, 284. 
s P i t r i , a. a. O. I. 79 und 81 f. 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 111 

zumeist im kräftigsten Mannesalter, wofür die Tatsache spricht, 
daß ihnen bei besonders feierlichen Prozessionen die Ehrenpflicht 
zukam, die nicht eben leichten Stützen des Baldachins über dem 
Allerheiligsten zu tragen i. Daß auch ihre Frauen keine Greisinnen 
waren, das beweisen die häufigen Erwähnungen glänzender, vom 
Senat mit großem Aufwand gefeierter Kindtaufsfeste. Die Gattin, 
die ihren Mann während seiner Amtsperiode als Senator zum Vater 
machte, erhielt vom Senat ein Ehrengeschenk von 50 Unzen^. 

Von dem Senat, dem Astorga angehörte, weiß Mongitore eine 
eigentümliche literarische Tat zu berichten: Er veranstaltete den 
Neudruck eines auf ein altes Vorrecht der Palermitaner bezüglichen 
Werkes, der »Dilucidationes ad Privilegium regis Alphonsi, quod 
fiscus non possit contra cives Panormi principaliter agere« von 
Nicola Morso». Diese Schrift war 1660 veröffentlicht worden. 
1717 befand sich nur noch ein einziges Exemplar davon in der 
Libreria del Collegio dl Palermo; deshalb hielt es der Senat für gut, 
das Werk durch einen Neudruck weiteren Kreisen zugänglich zu 
machen. Zweifellos verband er mit diesem Unternehmen die Ab- 
sicht, die reformfreudige piemontesische Regierung fühlen zu 
lassen, wieviel Wert man in Palermo auf die der Bürgerschaft ver- 
liehenen Privilegien lege. 

Auch die äußere Politik gab dem Senat Anlaß, sich zu rühren. 
Die Türken, deren kühnste Unternehmung 1683 an den Mauern 
Wiens gescheitert war, störten immer von neuem den Frieden der 
christlichen Welt. Prinz Eugen hatte schwer zu ringen, ehe ihm die 
großen Erfolge von Peterwardein und Belgrad beschieden wurden. 
Auch zur See wagten die Türken neue Vorstöße, und die Sizilianer 
mußten mit einem Erscheinen dieser ungebetenen Gäste an ihren 
Küsten rechnen. Drum galt es, die Hafenbefestigungen zu ver- 
stärken und die Truppen schlagfertig zu halten. Auch in Palermo 
machte man im März 1718 eifrige Anstalten, sich zu sichern. Das 



^ M n g i 1 r e , a. a. O. VII, 319 und IX, 111. Beim Empfange Victor 
Amadeas' 1713 trugen den Baldachin, unter dem der König schritt, ebenfalls 
die Senatoren. M o n g i t o r e , a. a. O., VIII, 155 u. 166. 

* Pitr6, a.a.O. I, 90f. 

»Mongitore, a.a.O. VI 11, 287. 



112 1. Teil: Astorgas Leben. 

Casteilo a mare wurde verstärkt und mit Munition versehen^, und 
auch der Senat rüstete seine Miliz. Aber die Befürchtungen der 
Sizilianer trafen nicht ein. Vor Korfu brach sich die Welle der 
türkischen Macht am Widerstände der Venezianer unter Schulen- 
burg; und Sizilien blieb von den Osmanen verschont 2. 

Die Zeit unmittelbar nach Ablauf von Astorgas Amtsperiode als 
Senator brachte für Sizilien wieder eine unerwartete politische Um- 
wälzung. In den ersten Julitagen des Jahres 1718 wurde die Insel 
durch einen Handstreich der Spanier für Philipp V. zurückgewonnen. 
Alberoni, der mächtige Günstling und Minister Philipps, der schon 
lange auf die Rückgewinnung der schönen Insel bedacht gewesen 
war, hatte unter dem Vorwande, sie gegen die Türken zu senden, 
eine starke Flotte ins Mittelmeer geschickt. Diese besetzte Sardi- 
nien und segelte dann nach Osten. Plötzlich änderte sie ihren Kurs. 
Sie erschien vor Palermo. Der piemontesische Vizekönig betrach- 
tete die Spanier als Freunde, — aber wie erstaunte er, als sich diese 
unfern von Palermo auszuschiffen begannen! Im Handumdrehen 
lag eine Heeresmacht von 28 000 Mann vor den Toren der Stadt». 
Der Vizekönig konnte unter diesen Umständen nicht daran denken, 
sich in Palermo zu halten, und zog sich mit den Seinen in den Osten 
der Insel zurück. Die Spanier aber, die sich als »Befreier der Sizi- 
lianer vom piemontesischen Joch« aufspielten, wurden von den 
Einwohnern Palermos mit Jubel empfangen. 

Die spanische Herrschaft sollte sich diesmal nur anderthalb 
Jahr auf Sizilien behaupten. Denn der Übergriff Spaniens hatte 
den Kaiser, Holland, England und Frankreich zur Schließung der 
Quadrupelallianz bewogen, welche die Wahrung des Utrechter 
Friedens bezweckte. Der aus Sizilien vertriebene Victor Amadeus 
wurde mit dem Königreiche Sardinien entschädigt, während Sizi- 
lien an Osterreich kam. Die englische Flotte vernichtete im 
August 1718 die spanische; aber die Österreicher konnten sich nur 
langsam auf der Insel einen festen Stand erkämpfen. Erst nach dem 
Sturze Alberonis, nachdem Philipp V. der Allianz beigetreten war, 

1 Mongitore, a. a. 0. VIII, 284. 
« Querner, a. a. O. S. 147. 
* Querner, a. a. O. S. 202. 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang, 113 

■ 

1720, wurden die spanischen Truppen, die den deutschen so hart- 
näckigen Widerstand entgegengesetzt , zurückberufen und die 
Kaiserlichen wurden Herren von Sizilien. 

Die österreichische Regierung auf Sizilien war gut und zielbewußt. 
Alle bestehenden Einrichtungen blieben unangetastet, und der Kir- 
chenstreit wurde nach und nach völlig beigelegt. Dem Kaiser ge- 
lang es, sich mit der Kurie dahin zu einen, daß im wesentlichen 
derselbe Zustand wiederhergestellt wurde, der vor Ausbruch des 
Zwistes geherrscht hattet. Obwohl die österreichische Regierung 
während ihrer achtzehnjährigen Dauer manchen wirtschaftlichen 
Fortschritt erzielte, konnte sich das sizilianische Volk doch nicht 
mit ihr befreunden. Es war beglückt, als die Insel im Jahre 1738 
mit Neapel zum »Königreich beider Sizilien« verbunden, wieder 
unter das Szepter der spanischen Bourbonen kam. Unter diesem 
verblieb sie den Rest des Jahrhunderts. Erst im 19. Jahrhundert 
sollte der nationale Sinn der Sizilianer, der so lange geschlummert 
hatte, wieder erwachen. In blutigen Aufständen .brach das alte 
Regierungssystem zusammen, die Fremdherrschaft wurde abge- 
schüttelt, und die Insel wurde zu einem Teile des jungen Königreichs 
Italien« 

Es entsteht nun die Frage, ob Astorga auch unter dem öster- 
reichischen Regiment in Palermo wohnen blieb. Unsre Nach- 
forschungen ergaben mit großer Wahrscheinlichkeit, daß dies nicht, 
oder wenigstens nicht lange der Fall war. 

Denn erstlich verschwindet Astorga mit dem Jahre 1718 für 
immer aus der Chronik von Palermo. Zweitens findet sich in den 
Kirchenbüchern und Archivakten, soweit wir davon Kenntnis haben, 
keinerlei Notiz, die darauf hindeutete, daß er sein Leben in Palermo 
beschlossen hätte. Drittens spricht auch der Umstand gegen ein 
langjähriges Verweilen Astorgas in der Stadt, daß sich in Palermo 
keinerlei handschriftliche Kompositionen von ihm befinden, ja nicht 
einmal Kopien sonst unbekannter Werke von ihm. Hätte sich 
Emanuel mehrere Jahrzehnte in der Stadt aufgehalten, so wäre 
trotz aller Zurückhaltung, die er als Künstler in seiner Heimat 



^ Q u e rn e r ; a. a. O. S. 239. 
Volkmann, Astorga. I. 8 



114 1. Teil: Astorgas Leben. 

beobachtete, zweifellos clie eine oder die andere Kantate von ihm 
in die Paläste der Aristokratie von Palermo gelangt, aus denen die 
Kantatensammlungen zusammengeflossen sind, welche jetzt die 
Bibliothek des Conservatorio di Musica zu Palermo besitzt. In 
dieser Bibliothek ist jedoch Astorga nur mit einer alten und einer 
modernen Abschrift der 1726 in Lissabon im Druck veröffentlichten 
Kantaten vertreten i. 

Zu diesen negativen gesellt sich viertens ein positives Argument 
für Astorgas Abwesenheit von Palermo, ja überhaupt von Sizilien 
in späterer Zeit. Wie aus den Akten des Staatsarchivs zu Palermo 
erhellt^ verkaufte Emanuel d'Astorga im Jahre 1744 sein 
Landgut Ogliastro bei Augusta. Wäre er im genannten Jahre 
noch auf Sizilien seßhaft gewesen, so lag kein Grund vor, die Lände- 
reien, die ihn gut nährten, zu verkaufen. Nur sein Aufenthalt in 
fernem Lande erscheint als ein plausibler Grund für den Verkauf 
des Gutes. Der geschäftliche Verkehr mit den Verwaltern seiner 
Liegenschaften aus der Entfernung mochte mit der Zeit unbequem 
geworden sein und ihn schließlich bewogen haben, den Grundbesitz 
in Kapital umzuwandeln. Im Jahre 1744 weilte also Astorga schon 
beträchtliche Zeit fern von Sizilien. 

All diese Momente zusammengenommen berechtigen uns zu der 
Annahme, daß Astorga bald nach dem Einzug der Kaiserlichen, 
also wohl sicher noch in den zwanziger Jahren, die heimatliche 
Insel verlassen hat. 

Wohin aber wandte er sich von Sizilien aus? 

Verschiedene Nachrichten liegen über den Aufenthalt Astorgas 
in seiner letzten Lebenszeit vor. Wir werden sehen, welche am 
meisten Wahrscheinlichkeit besitzt. 

Zunächst von einer anderen Ortes noch nicht erwogenen Mög- 
lichkeit. Im Sommer des Jahres 1722 wurde erst im Schlosse zu 
Dachau, dann im Hofgarten zu Nymphenburg bei München 



^ Nach Mitteilung des Herrn Dott. Emanuele Paolo MoreUo, 
Bibliothekar am kgl. Konservatorium zu Palermo. 

s »La baronia di Ogliastro fu venduta nel 1744 a Giacomo Nicolaci e 
Bellia da Emanuele Rincon de Astorga (Processo d'investitüre Nr. 8701).« 
Mitteilung des Herrn Direktor Giambruno vom Staatsarchiv in Palermo. 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 115 

eine Schäferoper »Dafni« aufgeführt^. Wie Dichter und Kom- 
ponist des Werkes hießen, ist nicht überliefert. Aus dem noch vor- 
handenen Textbuch 2 ergibt sich jedoch, daß auch hier, wie in dem 
Dafni Astorgas, das Libretto des Scarlattischen Dafni Verwendung 
fand. Doch zeigt es gegen die Fassung des Textes von Genua und 
Parma bedeutende Abweichungen. Das Fehlen einiger Partien, die 
in Astorgas Komposition zu den gelungensten und klangschönsten 
gehören^, macht es höchst unwahrscheinlich, daß hier Astorgas 
Musik benutzt wurdet. Mithin erledigt sich auch die Frage nach 
einer persönlichen Anwesenheit Astorgas in München anno 1722. 



^ Das Stück wird von Fr. M. R u d h a r t in seiner »Geschichte 
derOper am Hofe zuMünchen« (Freising 1865) I, S. 104 als »Dafne« 
bezeichnet. Ich vermutete jedoch auf Grund von Rudharts Personenangaben, 
daß es sich um einen Dafni handle. Die Einsicht in das Libretto bewies die 
Richtigkeit meiner Vermutung. 

» Staatsbibliothek zu München. Signatur: Bav. 8° 4015. XXXV. 5. — 
Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Dr.AlfredEinsteinin München. 

s Die ganze prächtige Soloszene des Tirsi im ersten Akt fehlt; drei Buffo- 
Szenen sind gestrichen, zwei stark gekürzt und völlig umgearbeitet. 

« Aus der im Textbuche angegebenen Rollenbesetzung lassen sich in dieser 
Hinsicht keine sicheren Schlüsse ziehen. — Die Interlocutori waren: 

Dafni II Signor LucaAnt. Mengoni, Virtuoso del Sereniss. 

Principe Francesco di Modena. 

G a 1 a t e a La Signora Lucia Grimani. 

N e r i n a La Signora Elisabetta Casolani, f iglia di Ca- 

mera di questa Sereniss. Corte Elettorale. 

Tirsi II Signor Agostino Galli, Virtuoso di Camera di 

S. M. Ces. & Cat. 

F i 1 e n II Signor Eckart, Virtuoso di S. A. S. E. 

Selvaggia La Signora RosaUnghareliidi Bologna, Virtuosa 

del Sereniss. Principe d' Armstatt [sie]. 
Dametta II Signor Antonio Maria Ristorini di Firenze, 

Virtuoso del Sereniss. Principe d' Armstatt [sie]. 

Außer der Signora Casolani, von der ich weiter keine Spuren künst- 
lerischer Tätigkeit fand, und dem Signor E c k a r t , der Baßsänger und später 
Vizekapellmeister in München war (vgl. R u d h a r t , S. 101), begegnen uns 
die genannten Künstler wiederholt in den Personenverzeichnissen der Opern- 
vorstellungen, die um 1720 in V e n e d i g und in N e a p e 1 stattfanden. Vgl. 
W i e 1 und F 1 o r i m o passim. 

8* 



116 1. Teil: Astorgas Leben. 

Aus Münchner Archiven ist kein Besuch Astorgas in München 
nachweisbar^. 

Ebensowenig glaublich ist auch, daß Astorga 1726 in Breslau 
bei jener Dafnisauff ührung zugegen war, bei der allerdings nachweis«> 
lieh seine Komposition benutzt wurde*. Bereits Fr. Rochlitz und 
A. Kahlert haben sich gegen eine solche Annahme ausgesprochen* 
Bei der Ausführlichkeit der Breslauer Lokalgeschichtschreibung, so 
meint Kahlert, wäre die Anwesenheit eines so interessanten Fremden 
nicht unerwähnt geblieben. Seither hat sich kein Moment gefunden, 
das für eine Reise Emanuels von Lissabon, wo er sich ja 1726 höchst 
wahrscheinlich aufhielt, nach dem Osten Europas zeugte. 



^ Zu besonderem Dank bin ich Herrn Dr. Alfred Einstein in 
München verpflichtet, der alle Münchener Archive und Bibliotheken nach der 
Musik und dem Komponisten Jenes Dafni sowie nach Spuren eines Aufent- 
haltes Astorgas in München durchforscht hat. Leider erbrachten all seine Be- 
mühungen kein Resultat. 

* Vgl. S. 62 und 168 f. — Alles in allem lassen sich von dem Manfre- 
dischen »Dafni« folgende Aufführungen nachweisen: 

Zeit. Ort Komponist. 

1696 Bologna Aldrovandini. 

1700 Neapel AI. Scariatti. 

1709 Genua E. d'Astorga. 

1709 Barcelona . E. d'Astorga« 

1715 Jesl AI. Scariatti. 

1716 Parma E. d'Astorga (?). 
1722 Dachau und Nymphenburg ? 

1726 Breslau E. d'Astorga. 

Zwei Opern »Dafni« gibt es, deren Text mit dem von Manfred! 
nichts zu tun hat: 1) D a f n i , Tragedia Satirica in 5 atti, Text von F r i g. 
Robert i, Musik von Fr. Pollaroli. Aufgeführt zu Venedig 1705. 
A 1 1 a c c i , a. a. O. S. 235. — 2) D a f n i , Pastorale in 2 atti, Text von 
Retilo Castoreo Pastore Arcade (=PadreAbate D. Romano 
M e r i g h i); Komponist unbekannt. Aufgeführt 1716 bei den P. P. Camaldolesi 
zu Classe bei Ravenna. Nach Mitteilung des Herrn FrancescoPiovano 
in Rom. — Bei der häufigen Verwechslung zwischen Dafni und Dafne ver- 
mutete ich, daß auch die bei E i t n e r (Q.-L. 11, 277) genannte Dafne von 
A. Caldara ein Dafni sei. Die Einsicht in das in der Bibliothek der 
»Gesellschaft der Musikfreunde« zu Wien befindliche Werk erbrachte jedoch, 
wie mir Herr Professor Dr. Mandyczewski mitteilte, den Beweis, daS 
es wirklich eine Dafne ist. 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 117 

Wer mag aber die Aufführung seiner Oper in Breslau veranlaßt 
haben? A. Kahlert nahm an, der Kapellmeister der Operistengesell- 
schaft, die damals in Breslau spielte, Bioni, habe das Werk dahin 
mitgebracht. Diese Vermutung möchten wir durch eine andere 
ersetzen. Wir glauben eher, daß es die Primadonna der Truppe 
war, welche die Inszenierung des Werkes anregte. Denn jene war 
niemand anders als Signora Maria Giusti aus Rom, eben jene 
Künstlerin, die auch bei der Dafnisaufführung in Genua und wohl 
auch in Barcelona die Galatea gesungen hatte. Es mochte ihr 
am Herzen liegen, einmal wieder in dieser Glanzrolle, an die 
sich vielleicht liebe Jugenderinnerungen iür sie knüpften, auf- 
zutreten. Dafni von Astorga war die vorletzte Oper, in der sie 
während ihres im Oktober 1726 ablaufenden Breslauer Engage- 
ments mitwirkte 1. 



1 Daß die Aufführung des Dafni im September 1726 stattfand, geht 
aus einer Breslauer Korrespondenz in Matthesons »Musikalischem 
P a t r i o t« (S. 347) hervor, in der es unterm 23. September 1726 heißt, die 
zuletzt in Breslau aufgeführte Oper sei Astorgas Dafni gewesen. Nun studiere 
man Treus »Telemach« ein, und sobald die »itzund unter Händen 
seiende Opera vorbei«, gehe die Q i u s t i von Breslau weg. Die Aufführung 
jenes Telemacco fand im Oktober statt. Um die Jahreswende ist bereits die 
Stelle der Sra. Q i u s t i mit einer anderen Kraft, mit DiamantinaOua- 
1 a n d i, besetzt. Die Qiusti dürfte also Ende Oktober oder Anfang November 
Breslau verlassen haben. Bei der Dafnisaufführung im September wirkte sie 
ganz sicher noch mit. Die Richtigkeit dieser Einzelheiten ist nicht zu bezweifeln. 
Sie müssen von dem Breslauer Korrespondenten aus frischer Erinnerung auf- 
gezeichnet worden sein, da sie bereits 1728 in Matthesons »Patriot« gedruckt 
erschienen. Den Glauben an ihre Wahrheit vermag auch eine widersprechende 
Meldung in Matthesons »Ehrenpforte« (S. 375) nicht zu erschüttern. 
Es heißt dort in einer Aufzählung der in Breslau gegebenen Opern, die G i u s t i 
habe nach der 6. Oper Breslau verlassen, während D a f n i als 10. Oper ver- 
zeichnet steht. Demnach sieht es aus, als habe die G i u s t i in Astqrgas Oper 
nicht mehr gesungen. Überlegt man sich aber, daß Matthesons Ehren- 
pforte erst 1740 erschienen ist, so wird man zugeben, daß ihre viel später 
niedergeschriebenen Nachrichten über die Breslauer Oper der zwanziger Jahre 
nicht entfernt die Beweiskraft haben, wie die gleichzeitigen, bereits 1728 
im Druck erschienenen im »Patriot«.. — Das Interlocutori- Verzeichnis der 
Aufführung von Astorgas Dafni läßt sich auf Grund der Angaben Matthesons 
über die Stimmen und Charaktere der damals in Breslau engagierten Sänger 
und Sängerinnen rekonstruieren: 



1 18 1 . Teil : Astorgas Leben. 

Wie die Meldung vom Aufenthalte Astorgas in Breslau, so ist 
auch die, er habe sich zuletzt nach Böhmen zurückgezogen und 
sei dort gestorben, als unzutreffend abzuweisen. Wir brauchen auf 
diese Annahme hier nicht einzugehen, da wir im zweiten Teile von 
ihr und ihren Absenkern zu reden haben. 

Sodann ist unsre Annahme, daß sich Astorga um 1726 in Lissa- 
bon aufhielt, einzureihen. Näheres darüber gaben wir im ersten 
Kapitel; hier sei nur daran erinnert, daß damals in Lissabon Astor- 
gas spanisch-italienische Kantaten im Druck erschienen. Zweifellos 
bedeutete die Veröffentlichung dieser eigenartigen Schöpfungen 
einen wichtigen Moment im Leben des Meisters. Ob der Erfolg 
der Publikation die Hoffnungen, die er darauf gesetzt, erfüllte, 
— wer kann es wissen? 

Wir kommen nun zu dem letzten, bisher völlig unbekannt ge- 
bliebenen Bericht über Astorgas Spätzeit, nach welchem der Meister 
seinen Alterswohnsitz in — Spanien aufschlug. Hinsichtlich der 
Zeit des Erscheinens gehört dieser Bericht zu den ersten. Er stammt 
von Zoppelli, jenem Landsmanne Astorgas, dem wir auch andere 
wertvolle Mitteilungen über den Meister verdanken. An die Aus- 
zeichnung Astorgas durch den Kaiser anknüpfend, erzählt dieser 
Schriftsteller: 

»Indi passö in Ispagna dal Regnante allora Ferdinando 
HI. [VI.]i destinato al Governo di una ragguardevole Piazza, 
dove mori con sommo onore e gloria «. 



Q a 1 a t e a: Maria G i u s t i aus Rom. 

N e r i n a: Rosa V i v o 1 i. 

Dafni: Chiara O r 1 a n d i aus Mantua. 

T i r s i: Giuseppe A 1 b e r t i aus Padua. 

Fileno: Dreier aus Florenz. 

S e 1 V a g g i a: Giacinta S p i n o 1 a. 

D a m e 1 1 a: Gaetano P i n e 1 1 i aus Brescia. 

^ Im Original liegt hier ein Druckfehler vor. Es muß Ferdinando VI. 
heißen statt Ferdinando III. Nur ersterer (1746—1759) kann in Betracht 
kommen. König Ferdinand III. von Spanien regierte 1217—1252. (Als König 
von Kastilien zählte er als Ferdinand II.) König Ferdinand III. von Kastilien 
(als König von Spanien Ferdinand IV.) regierte 1295—1312. 



I t^nnxf^ .^^nm - 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 119 

Zu deutsch:» Darauf ging er nach Spanien und bekam 
vom König Ferdinand VI. eine bedeutende Stellung ange- 
wiesen. Dort starb er als hochangesehener und berühmter 
Mann. « 

Selbst wenn nicht ein so zuverlässiger Schriftsteller wie Zoppelli 
unser Gewährsmann wäre, läge kein Grund vor, die Richtigkeit der 
Nachricht von der Niederlassung Astorgas in Spanien in seiner 
letzten Lebensperiode anzuzweifeln. Ja, wenn ein solches Zeugnis 
überhaupt fehlte, würde uns eine Anzahl gewichtiger Gründe zu 
der Vermutung führen, daß Astorga den in Rede stehenden Schritt 
getan hat. Rühmte sich nicht der Künstler in jener Kantaten- 
vorrede, außer Italiener auch Spanier zu sein? Bewies er nicht 
seine Vorliebe für die spanische Sprache, indem er jenen Kantaten 
außer den italienischen gerade spanische Texte beigab? Da sich 
nun aber in den Ländern italienischer Zunge alle Spuren von ihm 
verlieren, — w^ liegt näher, als sie bei jenem Volke zu suchen, 
das seine Sympathien besaß, zu dem ihn sein von den Ahnen über- 
kommenes und inmitten anderer Völker wach gebliebenes National 
gefühl als zu seinen Brüdern hinleiten mochte? Wahrlich, nur Spa- 
nien können wir nennen, wenn wir aus Emanuels nationalem Emp- 
finden einen Schluß ziehen auf das Land, in dem er seinen Wohnsitz 
für seinen Lebensabend gewählt haben mag. Und dieser Schluß 
erhält durch Zoppellis Bericht seine volle Bestätigung. 

Astorga nahm nach vorübergehendem Aufenthalt in Lissabon 
seinen Wohnsitz im Lande seiner Ahnen. Zoppelli weiß des 
weiteren zu berichten, in Spanien sei ihm von König Ferdinand VI. 
eine »bedeutende Stellung a angewiesen worden. Was war das für 
eine Stellung? Zoppelli bezeichnet sie nicht näher, da ihm die Tra- 
dition keine Einzelheiten darüber an die Hand geben mochte. Wir 
müssen also versuchen, die Art seiner Stellung zu ermitteln. 

Am nächsten liegt der Gedanke, daß Astorga einen musi- 
kalischen Posten erhielt. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte 
er ganz sicher in irgend einer Weise in das Musikleben Spaniens, 
besonders aber von Madrid, eingegriffen. Dann würde sein Name 
in der spanischen Musikgeschichte verzeichnet worden sein. Aber 



120 1. Teil: Astorgas Leben. 

umsonst durchforschen wir sie nach ihm. Weder der italie- 
nischen Oper, die seit 1738 in Madrid erblühte, noch der spanischen 
Kammermusik trat Astorga so nahe, daß sein Name mit deren 
Geschichte verknüpft worden wär6. Sowohl in Fuertes' detail- 
reicher, Vierbändiger Geschichte der spanischen Musik i, als auch in 
Carmena y Millans Chronik der italienischen Oper in Madrid* 
und auch in Saldonis spanischem Musiker-Lexikon' fehlt jede Er- 
wähnung Emanuel d'Astorgas. Mithin ist es wenig glaublich, daß 
sein Posten ein musikalischer war. 

Dann hat Astorga also gewiß ein Amt in der spanischen Staats- 
verwaltung oder Diplomatie, oder wohl auch im spanischen 
Hofdienst erhalten; aber welches speziell, das können wir nicht 
entscheiden. Denn unsre Bemühungen, aus spanischen Quellen 
darüber Aufschluß zu erhalten, blieben vergeblich^. 

Wenn Zoppelli ausdrücklich Ferdinand VL als den König 
nennt, der Astorga zu jener Stelle verholfen habe, so ist damit nichts 
Unglaubliches gesagt. Ferdinand VL (1746 — 1759) war zu An- 
fang seiner Regierung der Welt nicht so entfremdet, wie sein Vater 
Philipp V. gegen Ende seines Lebens. Dem König Ferdinand 
kann man immerhin zutrauen, daß er sich für einen seiner Edel- 
leute interessierte und ihm zu einer einträglichen Stellung ver- 
half. Die »Bedeutung« der Stelle wird kaum in ihrem Reich- 
tum an Verantwortung und Einfluß gelegen haben: Astorga war ja 
bereits 66 Jahre alt, als Ferdinand VL den Thron bestieg, und wird 



^Mariano Soriano Fuertes: Historia de la Müsica espaüola* 
Madrid y Barcelona, 1855—1859. 

* D. Luis Carmena y Millan: Crönica de la öpera italiana en 
Madrid desde el aflo 1738 hasta nuestros dias. Madrid 1878. 

* Baltasar Salden!: Diccionario blogr.-bibüogr. de efem^rides de 
müsicos espafioles. 4 Bde., Madrid 1868—1881. 

* Das spanische Staatsarchiv zu Simancas enthält, wie mir Herr 
Direktor Julian Paz mitteilte, keineriei darauf bezügliche Dokumente. 
Meine in spanischer Sprache geschriebenen Anfragen bei der B i b 1 i o t e c a 
N a c i n a 1 (18. III. 1909) und dem Archivo histörico Nacional 
zu M a d r i d (5. V. 1909), ob sich vielleicht aus den spanischen Staatskalendera 
oder -Schematismen oder aus anderen spanischen Quellen die Stellung 
Astorgas um 1744 oder überhaupt ein Aufenthalt des Meisters in Spanien nach- 
weisen ließe, blieben unbeantwortet. 



VI. Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 121 

damals allzu schwierige Aufgaben nicht mehr übernommen haben. 
Rückte er wirklich erst unter Ferdinand in jene Stellung ein, so war 
sie gewiß nur eine bequeme Sinekure. 

Nimmt man aber an, daß die Notiz von der persönlichen Verwen- 
dung des Königs Ferdinand für den Meister nur auf freier Ergänzung 
durch die Tradition beruht, so ergibt sich die Möglichkeit «ines 
wesentlich früheren Einrückens Astorgas in ein entsprechend wich- 
tigeres Amt. Für diese Annahme spricht der bereits 1744, also zwei 
Jahre vor dem Regierungsantritt Ferdinands VI. vollzogene Verkauf 
des Landgutes Ogliastro auf Sizilien, der ein völliges Eingewurzelt- 
sein des Verkäufers im anderen Lande voraussetzt. Die Übernahme 
der gut dotierten Stellung verband Astorga gewiß am festesten mit 
seiner neuen Heimat und bewog ihn wohl, alle Beziehungen zu der 
alten abzubrechen. Demnach rückte also Astorga noch unter 
Philipp V. in jenes Amt ein. Nicht königliche Gunst, sondern wohl 
seine Konnexionen mit den höchsten Regierungsbeamten dürften 
ihm dann dazu verholfen haben. Er kann jene Stellung ja noch 
bis in die Zeiten Ferdinands VI. innegehabt haben. Vielleicht, daß 
in dieser Epoche seine sizilianischen Landsleute noch einmal von 
ihm und seiner Stellung im Dienste Ferdinands hörten, und daß 
dann in der Tradition, der Zoppelli folgte, dieser König zum beson- 
deren Beschützer des Meisters geworden ist. 

Zoppelli spricht mit Bestimmtheit aus, daß Astorga in Spanien, 
wo er sich eingelebt hatte, auch gestorben ist. Daß er die Staats- 
stellung bis an seinen Tod bekleidet habe, ist nicht gesagt^; er kann, 
sobald seine Dienstzeit erfüllt war, sich zurückgezogen und seinen 
Lebensabend in stiller Beschaulichkeit zugebracht haben. Möglich 
auch, daß er seine letzten Jahre in einem Kloster verlebt hat. 

Wie lange er das Jahr 1744, aus dem wir die letzte archivalische 
Nachricht über ihn besitzen, tiberlebt hat, läßt sich nicht genau be- 
stimmen. Nur wird aus Zoppellis Notizen wahrscheinlich, daß 
er einen Teil der Regierung Ferdinands VI. noch miterlebt hat. 



^ Zoppellis Worte »mori con sommo onore e gloria« besagen noch nicht, 
daß die Ehre und das Ansehendem Beamten galt. Er kann darin überhaupt 
die Achtung zum Ausdruck gebracht haben, die er und seine Landsleute vor 
dem bedeutenden Künstler und Menschen empfanden. 



122 1. Teil: Astorgas Leben. 

Astorga erreichte demnach ein Alter von mindestens sechsund-. 
sechzig Jahren. 

Wir wissen, daß sich Emanuel wiederholt in Lissabon aufge- 
halten hat. Der Meister kann auch noch, als er in Spanien einge- 
wurzelt war, die Beziehungen zu seinen Freunden im benachbarten 
Portugal fortgesetzt und dessen herrlich gelegene Hauptstadt mehr- 
fach besucht haben. Hielt er sich aber im Spätherbst 1755 dort auf» 
so ist es leicht möglich, daß er ein Opfer des furchtbaren Erd- 
bebens wurde, das am 1. November jenes Jahres Lissabon in Trüm- 
mer legte und 30 000 Menschen dahinraffte. 

Doch diese Konjektur läßt sich kaum verteidigen angesichts der 
bestimmten Äußerung Zoppellis, Astorga sei in Spanien gestorben. 
Ganz sicher hat jenes Erdbeben aber manches künstlerische Denk- 
mal Astorgas vernichtet und manche literarische Spur seiner Be- 
suche in Lissabon verwischt i. 

Wir wissen nicht, ob sich Astorga in seiner letzten Lebensepoche 
noch schöpferisch in seiner Kunst betätigt hat. Das Jahr 1726, in 
dem die mehrfach erwähnte Kantatensammlung im Druck erschien, 
ist die Zeitgrenze, bis zu der sich seine Tätigkeit als Tonsetzer ver- 
folgen läßt. Da seine früheste datierte Kantate die Jahreszahl 
1707 trägt, so ergibt sich ein Zeitraum von nur 19 Jahren, in dem 
Astorgas schöpferisches Wirken mit Sicherheit nachweisbar ist. 
Innerhalb jener Grenzpunkte sind nur wenfge Stationen in seinem 
Schaffen bezeichnet. Wir kennen das Jahr 1709 als das der Voll- 
endung der Oper »Dafni«, ferner die Jahre 1712 und 1713 als die 
der Komposition einiger Kantaten. Wie sich die übrigen Werke 
auf seine Lebenszeit verteilen, darüber schweigen die Handschriften. 

Sicher ist, daß nach Astorgas Niederlassung in Spanien wenig 
mehr von ihm in die östlichen Länder drang. Kaum, daß sich die 
gedruckten Kantaten hinüber verirrten, Abschriften anderer neuer 
Werke von ihm gelangten wohl nicht mehr dahin. In den musika- 
lischen Kreisen Italiens, Deutschlands und Englands, wo seine 
Kantaten seit langem so beliebt waren, glaubte man daher, 

^ InVasconcellos' portugiesischem Tonkünstlerlexikon (Joaquim de 
Vasconcellos: Os Musicos Portuguezes. Porto 1870. 2 Bde.) findet 
sich kein Artikel über Astorga. 



VL Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 123 

Astorga sei gestorben, während er noch in Spanien ein ruhiges 
Alter genoß. 

Es ist nicht überliefert, ob Astorga verheiratet war und Nach- 
kommenschaft hinterließ. Der Verkauf seines sizilianischen Majo- 
rates im Jahre 1744 berechtigt uns zu der Annahme, daß in diesem 
Jahre kein erbberechtigter Sohn von ihm lebte. Vielleicht hatte 
Astorga eine Tochter. Villabianca erwähnt in seinen Diarien 
von Palermol im Jahre 1746 den Tod einer etwa 28jährigen 
Frau Giovanna Astorga e Guzzardi, der Gemahlin von Nicolö 
Morso*. Nach spanisch-sizilianischer Sitte gibt der Doppelname 
die Familiennamen von Vater und Mutter der betreffenden Person 
an. Giovannas Vater war also einAstorga, ihre Mutter eine Guz- 
zardi. Da sie 1746 als Achtundzwanzigjährige starb, fiel ihre 
Geburt ins Jahr 1718, also gerade in die Zeit, wo Emanuel nach- 
weislich in Palermo war: Am 3. Juni 1718 war ja seine Amtszeit 
als Senator der Stadt abgelaufen. Möglich ist es also recht wohl, 
daß Emanuel Giovannas Vater war. Aber ebensogut konnte jene 
Giovanna einer anderen Linie des Geschlechtes entsprossen s6in. 
Der Stammbaum der Familie weist neben Emanuels direkten Vor- 
fahren noch einige Glieder auf, so Emanuele Giuseppe (geb. 1650) 
und Cesare (geb. ca. 1654), die Nachkommen haben konnten. 
Die Matrikel von S. Nicolö la Kalsa (la Catena), der Kirche, in der 
laut Villabianca Giovanna Morso beigesetzt wurde, bestätigt nur 
deren Tod im Jahre 1746, gibt aber keine Auskunft über ihren Vater ». 



1 Diario Palermitano di Francesco Maria Emanuele 
eGaetani Marchesedi Villabianca (1746—1758), di M a r z o, 
Bibl. Sic. XVII, 60: »A 18 dicembre 1746. Mori D. GiovannaAstorga 
e G u z z a r d i in etä di 28 anni in circa, mogüe di NicolöMorso; efu 
sotterrata nella chiesa di S. Maria della Catena de' padri Teatini.« 

> Glieder der Familien Guzzardi und Morso lebten im 17. Jahr- 
hundert in Astorgas Vaterstadt A u g u s t a und sind auch in Palermo mehr- 
fach nachweisbar. Vgl. Orlandi-Zoppelli, a. a. O. 368 und 388, 
femer S. 111 unsrer Schrift und di M a r z o, a. a. O. passim; besonders VIII, 
131 und IX, 119,237,271. 

* In der Matrikel heißt es: »A 19 dicembre 1746 mori Giovanna Morso 
di circa anni 27«. — Ein Grabdenkmal der Giovanna ist in der genannten 
Kirche nicht mehr vorhanden. Nach Mitteilungen des Herrn Direktor G i a m - 
b r u n vom Staatsarchiv in Palermo. 



124 1. Teil: Astorgas Leben. 

Der Sohn dieser Frau Giovanna, Emanuele Morso e Astorga, 
Baron von Favarella, ist der letzte des Geschlechtes, der in der 
Geschichte von Palermo erwähnt wird^. Er wurde 1772 zum Kom- 
tur des Georgenordens ernannt. Später wurde er zum Oberst- 
leutnant des Kavallerieregiments »Real Napoli« befördert. 1786 
hatte er diesen Rang noch inne. 

Ob die Familie in Spanien weiterblühte, konnte ich nicht er- 
mitteln. Auch was es für eine Bewandtnis mit jenem »Giovanni 
Oliviero Astorga« hat, von dem in der zweiten Hälfte des 18. 
Jahrhunderts (laut Gerber, Lexikon, und Eitner, Q.-L.) einige 
Kammerkompositionen in London erschienen, entzieht sich unsrer 
Kenntnis. Daß er mit Emanuel d'Astorga verwandt war, ist wenig 
wahrscheinlich. 

Liegt auch das Ende Astorgas und seines Hauses in Dunkel 
gehüllt, — über seine Herkunft, seine Person und bedeutende Strecken 
seines Lebensweges haben wir Licht gewonnen. Aus den Einzel- 
bildern, die wir aus seinem Leben entwerfen konnten, hebt sich 
seine Gestalt in den Hauptzügen greifbar heraus. Kein nervöser, 
unglückgebeugter, fahrender Musikant, sondern ein kräftiger Kava- 
lier des 18. Jahrhunderts steht vor uns, ein mit irdischen Glücks- 
gütem gesegneter Edelmann, doppelt edel, weil er die Geistesgaben, 
die ihm verliehen waren, trotz seiner sorgenfreien sozialen Stellung 
in ernster Arbeit ausbildete. Schöpferisch wie reproduktiv als 
Musiker tätig, dachte er als Baron nicht daran, als »Meister vom 
Fach « gelten zu wollen, obschon er es in seinen Leistungen so man- 
chem von ihnen gleichtat. Stets eine standesgemäße Zurückhaltung 
beobachtend, verschmähte er doch den Verkehr mit Künstlern und 
kunstbegeisterten Bürgern nicht. Durch seine Liebhabereien keines- 
wegs verweichlicht, wußte er im gegebenen Moment auch die Waffen 
zu führen. Als Mann von Welt war er in der Aristokratie aller Län- 



^Villabianca, diMarzo; Bibl. Sic. XX, 11. »In quest' anno 
1772 Emanuele Morso ed Astorga, figlio delli furono Nicold Morso, de' baroni 
di Favarella, e Qiovanna Astorga e Quzzardi, jugali, fu fatto cavaliere di grazia 
dei real ordine costantiniano di S. Giorgio. E fu ^li di poi promosso a tenente 
colonello del reggimento di cavalleria del titolo di Real Napoli, e con tal posto 
lo era nel 1786«. 



VI, Kap.: Astorga als Senator von Palermo. — Der Ausgang. 125 

der Europas wohl aufgenommen; trotzdem folgte er dem Zuge seines 
nationalen Empfindens und zog sich ins Land seiner Ahnen zurück, 
um still im Dienste seines Königs tu wirken. Ein fleißiger Künstler 
und zugleich ein reicher Edelmann, ein Idealist und zugleich eine 
praktische Natur, stellt Astorga keineswegs einen Typus seiner Zeit, 
sondern eine höchst eigenartige Erscheinung dar, die nicht häufig 
ihresgleichen hat in der Geschichte der Künste. 



38e 



G ^ ^ ^ 



Zweiter Teil. 

Revue und Kritik der Astorga- 

Literatur« 

Einleitung. 

Jeder Geschichtsforscher ist ein Wahrheitsucher. Auch wir haben 
uns nach Kräften bemüht, die Wahrheit über Astorgas Leben zu 
finden. Soweit wir uns auf unanfechtbare dolcumentarische Nach- 
richten stützen konnten, war die Arbeit leicht. Ihnen ließ sich gut 
die Wahrheit nacherzählen. Viele und bedeutende Schwierigkeiten 
bereiteten uns aber die übrigen, besonders die aus der Tradition ge- 
nährten Quellen. Hypothesen wurden unvermeidlich. Wo lag hier 
die Wahrheit? Manches Mal mußten wir die Frage offen lassen, 
da dem gewissenhaft prüfenden Blick die Gründe zu ihrer Ent- 
scheidung nicht hinreichten. Viele von ihnen konnten wir aber 
auch mit Sicherheit beantworten. Durch historisch-kritische Unter- 
suchung wurde manches brauchbare Detail für die Biographie Astor- 
gas gewonnen. Die Ereignisse, Verhältnisse, Sitten und Gesetze 
seiner Zeit, die Umgebung, in der er sich befand, die Menschen, mit 
denen er in Berührung kam, gestatteten Rückschlüsse auf ihn 
selbst, auf seine Denkweise, auf sein Tun und Lassen. Oft bedurfte 
es hier, wo die lachende Traumwelt romantischer Möglichkeiten zu 
sich hinüberlockte, aller Kraft, sich in den enggezogenen Schranken 
der historischen Wahrheit zu halten. Aber wir hatten die Ver- 
pflichtung, diese Grenzen um so genauer zu beachten, uns vor dem 
Fabulieren um so mehr zu hüten, als wir ja den älteren Autoren, 






N 



Einleitung. 127 



welche die Geschichte des Meisters mit Märchen umspannen, von 
Anfang an kritisch gegenübergetreten sind. Wie wollten wir diese 
Stellung behaupten, wenn wir nicht selbst getreulich bei der Wahr- 
heit blieben? 

Wenn jene älteren Autoren im wesentlichen Märchen, wir aber 
die Wahrheit erzählten, so muß die Lebensgeschichte des Meisters 
bei uns einen ganz anderen Inhalt haben als bei jenen. Und in 
der Tat ist der Unterschied ein gewaltiger. Wie groß er ist, das 
dürfte sich am besten zeigen, wenn wir dem zu Anfang unsrer 
Studien mitgeteilten kurzen Lebensabriß, wie er bisher hingenommen 
wurde, einen solchen gegenüberstellen, der aus unsren Forschungs- 
ergebnissen gewonnen ist. Wir greifen zu diesem Zwecke die wich- 
tigsten Momente aus dem ersten Teile heraus und reihen sie in aller 
Schlichtheit zusammen. So erhalten wir folgende Lebensskizze: 

Emanuel Baron d' Astorga (Emanuele Gioacchino 
Cesare Riiicon d'Astorga) wurde am 20. März 1680 in Au- 
gusta auf Sizilien geboren. Er entstammte der spanischen 
Familie Rincon d*Astorga, die zu Anfang des ly. Jahrhun- 
derts in spanischen Diensten nach Augusta gekommen war. 
Den Titel Baron führte Emanuel nach seiner bei Augusta ge- 
legenen Baronie. Dieses Majorat, namens Ogliastro, war 
unter seinem Großvater, der ebenfalls Emanuel hieß, der Fa- 
milie zugefallen. Sein Vater war der Baron Francesco 
Rincon d*Astorga; seine Mutter hieß Giovanna. Die Fa- 
milie siedelte nach Palermo über, wo Emanuels Vater im 
Jahre iyi2 starb. Astorga erhielt eine dem reichen Edelmanne 
angemessene Erziehung. Seine zuerst in Augusta, dann in 
Palermo erworbenen Kenntnisse vermehrte er später in den 
Hauptstädten Italiens und auf ausgedehnten Reisen. Beson- 
ders vervollkommnete er sich in der Musik, die er ))seit seinen 
ersten Kinderfahren zu seinem Vergnügen studiert hatte (i. Im 
Jahre iyo8 weilte er in Palermo. Als dort im Sommer des ge- 
nannten Jahres ein Aufstand ausbrach, bot die spanisch-sizilia- 
nische Regierung zu dessen Dämpfung eine Kommunalgarde 
auf, unter deren Offizieren sich auch Astorga befand: Das 



128 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Jahr lyog brachte die Auffährung seiner Pastoraloper Wafni^i 
in Genua (21, April), der Emanuel vermutlich beiwohnte; 
bei den Wiederholungen der Aufführung am Hofe des 
spanischen Gegenkönigs Karl III. in Barcelona (Juni, 
Juli) war er wohl nicht zugegen. Den größten Teil des Jahres 
jyi2 verlebte er in Wien, wo er am 9. Mai bei der Taufe von 
Caldaras Tochter einen nicht anwesenden Paten vertrat. Am 
Kaiserhofe verkehrte er, ohne dort ein dauerndes Unterkommen 
zu suchen. Kaiser Karl VI. behandelte ihn mit Auszeichnung. 
Im Mai iyi3 finden wir ihn in Znaim in Mähren. 
Neue Reisen schlössen sich an. Längeren Aufenthalt (1714, 
^71^5^) nahm Astorga in London. Nach Palermo zurück- 
gekehrt, wurde er in den Senat der Stadt gewählt. Er bekleidete 
dieses Ehrenamt von Mitte Mai lyiy bis zum 3. Juni ijx8. 
Danach ließ er sich in Spanien nieder, wo er, vorüber- 
gehende Besuche von Portugal abgerechnet, den Rest seines 
Lebens zubrachte. In Lissabon gab er im Jahre 1726 ein 
Heft Kantaten in spanischer und italienischer Sprache heraus, 
das einzige von ihm, was bei seinen Lebzeiten im Druck erschien. 
In Spanien erhielt Astorga eine einträgliche Stellung in könig- 
lichem Dienst. Im Lande seiner Ahnen völlig eingewurzelt, 
verkaufte er im Jahre 1744 seine Baronie auf Sizilien. Er 
überlebte jenen Verkauf noch um einige Zeit und starb bdagl 
in Spanien. Seine Zeitgenossen rühmen ihn als bewandert 
in vielen Wissenschaften und in der Kunst; sie loben ihn als 
Sänger, Klavierspieler und Komponisten. Als adliger Dilettant 
unterließ er fegliche persönliche Betätigung seiner Kunst in 
der Öffentlichkeit. Der Nachwelt hat er eine Menge Kom- 
positionen, durchweg für Gesang mit Begleitung, hinterlassen. 
Die erste Stelle darunter nimmt sein Stabat Mater ein; es ist 
nicht vor 1707 komponiert. Seine erste nachweisbare Auf- 
führung fand 1752 oder 1753 in Oxford statt. Außer der ge- 
nannten OperDafni, die noch 1726 in Breslau eine Aufführung 
erlebte, hat er nichts für die Bühne geschrieben. Die Mehrzahl 
seiner Werke sind Kammerkantaten, die seinem Namen im 
' 18. Jahrhundert in ganz Europa Ruhm und Ehren eintrugen. 



I. Kap.: Die älteste Astorga-Literatur. 129 

Nicht ohne Grund wählten wir die kursive Schrift für diesen 
Lebensabriß. Haben wir doch durch sie in der alten Vita, am* 
Anfang unsrer Studien, die Stellen hervorgehoben, die auf authen- 
tischen Nachrichten beruhen. Dem entsprechend glaubten wir für 
unsre ganze neugewonnene Lebensskizze jene Schriftart benutzen 
zu dürfen. 

Vergleicht man die neue Vita mit der alten, dann ergeben sich 
so große Unterschiede in ihrem Inhalt, daß man glauben könnte, 
in beiden sei von zwei ganz verschiedenen Männern die Rede. Die 
gewaltigen Widersprüche bedürfen einer Lösung. Diese kann man 
nur gewinnen, wenn man den Ursprung und das Wesen jeher alten 
Meldungen ergründet, wenn man nachweist, wie die einzelnen 
Autoren zu ihren Nachrichten gelangt sind. Dazu müssen die 
Astorga-Geschichten in ihren Anfängen beleuchtet, muß ihr An- 
wachsen von Station zu Station verfolgt werden. In Form einer 
Revue und Kritik der gesamten Astorga-Literatur möge diese Auf- 
gabe gelöst werden. 



I. Kapitel. 
Die älteste Astorga-Literatur. 

Die früheste Erwähnung Astorgas findet sich in den Schriften 
zur Ortsgeschichte von Palermo in den ersten beiden Dezennien des 
18. Jahrhunderts!. Der Chronist 

Antonino Mongitore nennt Astorgas Vater und ihn in den 
Jahren 1708 und 1717/18 als Senatoren von Palermo und berichtet 
einige Einzelheiten aus Emanuels Amtsperiode. 

Benedetto Emanuele e Vanni, Marchese di Villabianca, 
bringt in seiner Schrift »Diario e narrazione istorica de' tumulti suc- 



1 Unsre Obersicht beschränkt sich auf das, was bis jetzt über Astorga 
veröffentlicht worden ist. Die bisher ungedruckten, vom von uns 
zum ersten Male publizierten Notizen sind in diesem Zusammenhang nicht zu 
berücksichtigen. Die Anordnung des Stoffes möge in chronologischer Weise 
erfolgen. Doch sollen einzelne zu verschiedenen Zeiten erschienene, inhaltlich 
aber zusammengehörige Artikel zu Gruppen vereint werden.. 

Volk mann, Astorga. I. 9 



130 2. Teil: Astorga-Literatur. 

cessi in Palermo nel 1708« eine Notiz über Astorga als Offizier der 
' Kommunalgarde von Palermo. Beide Schriftsteller sind durchaus 
zuverlässig. Mongitore bekennt einmal selbst^, daß er in seinem 
Diario lediglich das registriere, was er selbst »con gli occhi proprii a 
in der Stadt Palermo Bemerkenswertes sähe. Als Berichte eines 
Augenzeugen und gewissenhaften Schriftstellers sind seine Auf- 
zeichnungen doppelt wertvoll. Auch Villabiancas »Narrazionea 
ist ein einfacher Bericht über Tatsachen und Ereignisse, die der 
Autor selbst mit angesehen hat. In seine Nachrichten ist nicht der 
leiseste Zweifel zu setzen. Beider Autoren Schriften sind von 
Gioacchino di Marzo in der »Biblioteca storica e letteraria di 
Sicilia« (Bd. VII— X.) in den Jahren 1871/72 herausgegeben und 
von uns zuerst für die Kenntnis Astorgas nutzbar gemacht worden. 

Sodann bietet Astorga selbst einige autobiographische An- 
deutungen, seinen Stand, seine Vorfahren und seine Jugend be- 
treffend, in Titel und Vorrede seiner 1726 veröffentlichten Kantaten. 
Sie bilden den Hauptgegenstand des ersten Kapitels im ersten Teile 
unsrer Schrift. 

Diesen italienischen Quellen schließen sich der Zeit nach eine 
Anzahl deutsche an. Eigentliche biographische Momente ergeben 
sich nicht aus ihnen. Durch wiederholte ehrenvolle Erwähnung des 
Komponisten Astorga helfen sie nur die Epoche bestimmen, in der 
des Meisters Ruf ein internationaler war, 

Johann David Heinichen kommt in der 2. Auflage seiner 
Generalbaßlehre (Dresden 1728) S. 797 auf die freie, »extravagante 
und irregulaire« Satzweise zusprechen, die sich Alessandro Scar- 
1 a 1 1 i in seinen Kantaten gestatte. »Meines Wissens «, fügt der Autor 
anmerkungsweise hinzu, »hat ihn bis dato unter unzehligen Practicis 
noch kein eintziger imitiren wollen, es müste denn der berühmte 
Astorga nunmehro auch anfangen auf dergleichen Spuhren zu 
gerathen «. 

Aus dieser Stelle geht hervor, daß Astorga 1728 im Herzen 
Deutschlands als ein berühmter Meister galt. Als Heinichen im 
Jahre 1711 seine Kompositionslehre in der ersten Auflage heraus- 



1 Di M a r z , Bibl. Sic. VH, 207e 



I. Kap.: Die älteste Astorga-Literatur. 131 

gab, fehlte noch die Erwähnung unsres Meisters. Möglich, daß 
Heinichen während seines Aufenthaltes in Italien (1713—1718) mit 
Astorgas Werken vertraut wurde; — keinesfalls konnte er 1728 in 
seinem für ein deutsches Publikum berechneten Buche Astorga als 
eine Berühmtheit erwähnen, wenn dieser nicht damals auch den 
deutschen Musikern und Musikfreunden bekannt gewesen wäre. 

Gleichzeitig mit der neuen Auflage von Heinichens Generalbaß- 
lehre erschien 

Johann Matthesons »Musikalischer Patriot« (Hamburg 
1828), in dem, S. 347, Astorga ebenfalls erwähnt wird. Mattheson 
bringt dort einen Brief des Breslauer Kapellmeisters Treu vom 
23. September 1726 zum Abdruck, der eine Schilderung des Bres- 
lauer Musiklebens enthält. Darin wird auch des in Breslau auf- 
geführten »Pastorale II Daphni von Herrn Baron Astorga « gedacht. 
Auch in Matthesons »Ehrenpforte« (Hamburg 1740, S. 375) 
wird diese Aufführung erwähnt. »II Dafni. Pastorale, im Sep- 
tember. Die Musik war von dem Herrn Baron d'Astorga, ungemein 
artig«, so heißt es dort in der Liste der 1726 in Breslau aufgeführten 
Opern. (Vgl. auch S. 117, Anmerkung.) 

Die Notiz aus Matthesons »Patriot «über die Dafnisaufführung 
wurde durch das 1732 erschienene »Musikalische Lexikon« von 
Johann Gottfried Walther in die weitesten Kreise getragen. 
Eigenes weiß Walther über Astorga nicht zu berichten. — Eine 
Wiederholung jener Nachricht findet sich auch im 2. Supplement- 
Bande von Zedlers »Universal-Lexikon« (Leipzig 1751). 

Mehrfach wird Astorga als bedeutender Komponist in der 2. Auf- 
lage von 

Johann Adolf Scheibes »Critischem Musicus« (Leipzig 
1745) erwähnt!. Bei Besprechung der Komposition von Kammer- 
kantaten (S. 401) sagt Scheibe: »Die größten Meister in diesen 
Cantaten sind wohl insbesondere der berühmte Astorgas, Mar- 
cello, Mancini und Conti, wie auch Händel, Heinichen und 
Bigaglia. Die beiden ersten beweisen darinnen einen besondern 



^ In der ersten Auflage (1737 — 1740) findet sich noch keine Erwähnung 
Astorgas. 

9* 



132 2. Teil : Astorga-Literatur. 

durchdringenden Fleiß und einen großen Verstand, die drei letztern 
aber ein . . . natürliches und angenehmes Wesen . . . « Femer heißt 
es in dem Kapitel über den Mtzigen Geschmack in der Musik« nach 
einer Musterung der bedeutendsten Meister der Zeit (S. 762): »Was 
soll ich von einem Marceil o, dem berühmten venetianischen Ritter, 
von dem Grafen von Astorgas, von dem altem Conti und andern 
sagen? Gewiß, die Feinigkeit des Geschmacks dieser Männer ist 
fast ohne die geringsten Fehler gewesen, a Und weiterhin (S. 766), 
nach einer begeisterten Würdigung der deutschen Meister Kuhnau, 
Keiser, Telemann und Händel, sagt Scheibe: »Doch nicht allein 
Deutschland hat die Ausarbeitung des guten Geschmacks in der 
Tonkunst empfunden, auch Italien hat diese Vortheile erhalten. Ein 
schon angeführter Astorgas, Marcello, Conti . . . und andere 
' haben auch ihrer Nation gewiesen, wie schön es ist, die Natur und die 
Vernunft zu Richterinnen der Tonkunst zu erwählen, und ihren 
Vorschriften auch in den Ergetzlichkeiten zu folgen. « Die wieder- 
. holte Erwähnung Astorgas unter den bedeutendsten italienischen 
Meistern zeigt, wie hoch der Komponist um 1745 in Deutschland 
geschätzt wurde. Während sein Ruhm wuchs, begann das Bild 
seiner Persönlichkeit zu erbleichen. Scheibe war sich bereits nicht 
mehr über seinen Stand klar. Er wußte, daß er ein Aristokrat war, 
aber nicht, von welchem Rang und Titel. So nennt er ihn denn den 
»Grafen von Astorgas «. Trotz dieser Beförderung, die ihm Scheibe 
zuteil werden läßt, und trotz des »s «, das er seinem Namen an- 
hängt, besteht doch kein Zweifel, daß er mit dem großen Kantaten- 
komponisten nur unsern Baron d'Astorga meint. 

Die nächsten Erwähnungen Astorgas, — und zwar wieder ledig- 
lich des Komponisten, — finden sich in englischen Schriften. 
Als erstes Werk kommt 

Charles Avisons »Essay on musical expression« in Betracht, 
der 1752 in erster, 1753 in zweiter und 1775 in dritter Auflage zu 
London erschien. Der Verfasser nennt darin Astorga nebst Vinci, 
Bononcini und Pergolese als die Meister, denen man ob der melo- 
dischen Schönheit ihrer Werke ihre bisweilen anfechtbare harmo- 
nische Ausgestaltung zugute halte: »Of the ... highest class of 
composers, who have run into [the] extreme of modulation, are 



I. Kap. : Die älteste Astorga-Literatur. 133 

Vinci, Bononcini, Astorgo [sie] and Pergolese. The frequent 
Delicacy of whose airs, is so strilcing, that we almost f orget the def ect 
of harmony, under which they often labour, Tlieir faults are lost 
amidst their excellencies . . . . «i. Von der zweiten Auflage an 
rühmt Avison Astorga auch als Schöpfer des bedeutenden Stabat 
Maten Es heißt da: »There is a composition for the church, which 
the connoisseurs, acquainted with its beauties, esteem as inimitable 
initsway; namely, theStabatMateretc. of the Baron D'Astorga. 
This nobleman had many excellencies, as a composer, and chiefly 
a simplicity of harmony, and an affecting style in many of his airs 
and duetts^.« 

Avison, der als Organist in Newcastle am Tyne wirkte, hat, 
nach dem Wortlaut seiner Notiz zu schließen, das Stabat Mater 
nicht selbst gekannt. Er folgte mit dessen Erwähnung einer solchen 
in einer anderen Schrift, nämlich in der seines schärfsten Kritikers, 
des Oxforder Professors W. Hayes. Dieser hatte nach Erscheinen 
der ersten Auflage von Avisons Studie ein Büchlein herausge- 
geben, betitelt: 

»Remarkson Mr. Avison's Essay on Musical Expression«'. 
Hayes beurteilt darin Astorgas Kantaten ziemlich absprechend, 
während er dessen Stabat Mater als ein Werk ohnegleichen preist. 
Es sei, so sagt er, »letzthin«, also Anfang des Jahres 1753 oder Ende 
1752, in Oxford mit großem Erfolg zur Aufführung gelangt. Das 
ist die früheste Notiz über eine Aufführung jenes Werkes*. 

Ober das Leben Astorgas gibt sodann wieder ein Sizilianer, der 
Abate Francesco Tommaso'Zoppelli Auskunft, und zwar in 
dem 1 772 erschienenen Werke »D e 1 1 e C i t tä d' 1 1 a 1 i a «, herausgegeben 



^ Erste Aufl. S. 43. — Der ersten Auflage folgt auch die deutsche 
Obersetzung (Leipzig 1775). Hier steht die Stelle S.37« — Zweite 
Aufl. S. 40, dritte S. 36. 

> S. 94. Dritte Aufl. S. 83. 

* Die Schrift war anonym erschienen. Daß H a y e s der Verfasser war, 
teilt Grove im Lexikon mit (1. Aufl., London 1879, Bd. I, S. 106). 

« Die »Remarks« selbst zu Qesicht zu bekommen, gelang mir nicht. 
Ich schöpfte die obigen Einzelheiten aus Hawkins' General History, in der 
die in Betracht kommende Stelle aus H a y e s' Schrift zitiert wird. Vgl. S. 135 
unsrer Schrift. 



134 2. Teil : Astorga-Literatur. 

vonCesareOrlandi (Bd. II, S. 385). Zoppellis Notizen beruhen 
auf guter Tradition, sie gehören zu den wichtigsten Quellen, die vor- 
liegen. Im ersten Teile unsrer Schrift fanden sie ihre Interpreta- 
tion in einzelnen. Hier mögen sie im Zusammenhange stehen: 

»II Barone Don EmanuelleAstorga versato in molte scienze, 
ed in particolare nella Musica. Fu gran Suonatore di Gravecembalo, 
e Contrappunto. Venne eletto da Carlo VI. Imperadore per Maestro 
di Cappella d'onore della Real Cappella, ed indi passö in Ispagna 
dal Regnante allora Ferdinando III. [VI.] destinato al Govemo di 
una ragguardevole Piazza, dove mori con sommo onore e gloria«. 

Dieser Bericht blieb in der musikgeschichtlichen Literatur bis 
auf unsre Tage unbenutzt. Nur in einem topographisch-historischen 
Werke gelangte er zur Wiedergabe. Dessen Titel lautet: 

Augusta illustrata ovvero Storia di Augusta per Seba- 
stiano Salomone (Catania 1876)^. Ist die Wiedergabe der 
Astorga-Stelle aus dem mehr denn hundert Jahre älteren Werke auch 
genau? Zum Vergleich mit ihrer Vorlage sei sie hier abgedruckt. 
Es heißt bei Salomone S. 116: 

»Barone D'Emanuele Astorga. 

»Chiarissimo in molte scienze ma piü si distinse nella musica, per- 
loch^ venne eletto maestro della real cappella deli' imperatore Carlo 
VI; indi passö nella corte di Ferdinando III da cui fu chiamato al 
governo di ragguardevoli piazze in Ispagna. a 

Man sieht: Salomone hat nicht eben peinliche Genauigkeit bei 
der Wiedergabe der Nachricht walten lassen. Aber trotzdem hätte 
seine Notiz für einen Musikhistoriker eine wichtige Quelle werden 
können. Nennt doch Salomone gewissenhaft Zoppelli und Or- 
landi als seine Gewährsleute. Er gab also selbst den Forschern die 
Möglichkeit an die Hand, den Dingen auf den Grund zu gehen. Aber 
wie einst Zoppelli, so blieb neuerdings auch Salomone unbeachtet 
und die Astorga-Literatur wuchs unbeeinflußt von ihnen weiter. 

Einige Jahre nach Zoppelli gab der englische Musikhistoriker 



^ Den Hinweis darauf verdanke ich Herrn Cav. Torresi, Sindaco 
zu Augusta. 



I. Kap.: Die älteste Astorga-Literatur. 13§ 

John Hawkins in seiner »General History of the science 
and Practice of Music« (Bd. V., London 1776, S. 212) weitere Nach- 
richten über Astorga. Sie lauten: 

»Baron de Astorga was eminently skilled in music, and a 
celebrated composer. Of his history little is known, save that he 
was a Siciiian by birth, and was at the court of Vienna at the be- 
ginning of this Century, where he was greatly favoured by the em- 
peror Leopold, from whence it is presumed he went to Spain^, and 
had that title conf erred upon him, which, f or want of his f amily name, 
is the only known designation of him. He was at Lisbon some time, 
and after that at Leghorn, where being exceedingly caressed by the 
English merchants there, he was induced to visit England, and 
passed a winter or two in London, from whence he went to Bohemia; 
and at Breslaw, in the year 1726, composed a pastoral intitled 
Daphne, which was performed there with great applause. He ex- 
celled altogether in vocal composition; his cantatas in particular 
are by the Italians esteemed aboye all others. He never travelled 
without a great number of them, and, though very short-sighted, 
was used to sing them, accompanying himself on the harpsichord. 
The anonymous author of Remarks on Mr. Avison's Essay on Musical 
Expression, says that the Cantatas of the Baron d'Astorga have in 
general too much of that extravagant gusto, which he condemns, at 
the same time that he celebrates a Stabat Mater of his as a compo- 
sition to which he says he scarcely ever met with an equal. This 
hymn, he adds, had lately been performed at Oxford with universal 
approbation. The Academy of Ancient Music are in possession of 
it, and it now frequently makes a part of their entertainment on 
Thursday evenings.« 

Mit Bewunderung muß man den Fleiß anerkennen, den Haw- 
kins beim Zusammentragen der gewaltigen Materialfülle für seine 
Musikgeschichte aufwandte, welche dank diesem Fleiße zu einem 
Quellenwerk ersten Ranges geworden ist. In der Verarbeitung 
dieses reichen Stoffes ist Hawkins zwar im ganzen gewissenhaft; er 



1 Hier fügt H a w k i n s die Note bei: »Astorga is a city in the province 
of Leon in Spain, and a bishop's see.« 



136 2. Teil: Ast orga- Literatur. 

verschmäht es aber auch gelegentlich nicht, Lücken nach seinem 
Gutdünken auszufüllen und von ihm frei gezogene Schlüsse als 
geschichtliche Tatsachen hinzuschreiben. Völlig willkürlich ist seine 
Chronologie. Mit »from whence« und »after thata werden bei ihm 
ganz femliegende Dinge miteinander verknüpft. 

Hawkins' Vorzüge und Schwächen zeigen sich auch in seinem 
Artikel über Astorga. Einerseits ist dieser von höchstem Werte 
für uns, weil er eine ganze Menge sonst nirgends gebuchte Notizen 
über den Meister und sein Leben enthält, ja sicher alle, die Haw- 
kins überhaupt über ihn erreichen konnte. Andererseits macht er 
uns aber Schwierigkeiten, weil nicht alle darin enthaltenen Angaben 
völlig zuverlässig sind. 

Außer aus eigener Erfahrung, — aus der er die Notiz über die 
Aufführung des Stabat Mater zu seiner Zeit in London hinzufügte, 
— schöpfte Hawkins seinen Stoff aus Quellen von zweierlei Art: 
aus gedruckten Werken und aus mündlicher Tradition. An ge- 
druckten Nachrichten verwertet er erstens die über die Dafnis- 
aufführung zu Breslau 1726 nach Mattheson oder Walther, zweitens 
die von Hayes über die Aufführung des Stabat Mater in Oxford. 
Während er die letztere wörtlich wiederholt, bietet er die erstere 
selbständig erweitert mit dem irrtümlichen Schlüsse, Astorga habe 
die Oper Dafni, die er überdies aus Versehen Dafne nennt, in Breslau 
komponiert. 

Reichlich flössen Hawkins noch die Meldungen aus mündlicher 
Tradition zu. Als er seine Geschichte veröffentlichte, waren etwa 
60 Jahre vergangen, seit sich Astorga in England aufgehalten hatte. 
Für sein Werk gesammelt hatte Hawkins aber schon Jahrzehnte 
vor dessen Erscheinen. Er konnte seine Nachrichten also von Ge- 
währsleuten haben, die noch mit Astorga verkehrt, oder wenigstens 
dessen Freundeskreise nahegestanden hatten. Die ganze Be- 
schaffenheit seiner Mitteilungen, die Anschaulichkeit, mit der die 
Details geschildert werden, flößt Vertrauen ein. Wie Astorga von 
den englischen Kaufleuten in Livomo gefeiert wird, wie er auf 
seinen Reisen mit einer ganzen Menge eigener Werke erscheint, 
wie er sich beim Singen, trotz eines Augenübels, am Klavier selbst 
begleitet, all diese Einzelzüge machen den Eindruck, aus persön- 



L Kap.: Die älteste Astorga-Literatur. 137 

lieber Erfahrung geschildert zu sein. Hawkins' Angaben, daß 
Astorga von Geburt ein Sizilianer war, daß er sich »zu Anfang des 
Jahrhunderts« in Wien aufhielt und einige Zeit in Lissabon weilte, 
werden durch Urkunden bestätigt. Die Erwähnung des Besuches 
in Lissabon geht sicher auch ausschließlich auf mündliche Tradition 
zurück: hätte Hawkins die in Lissabon herausgegebenen Kantaten 
gekannt, so würde er sie zweifellos erwähnt haben. 

Viel Wahres und Zutreffendes hat Hawkins aus der Tradition 
geschöpft; daneben lief aber auch Falsches und Zweifelhaftes unter. 
Da ist zunächst die Erwähnung des Kaisers Leopold L als eines be- 
sonderen Gönners Astorgas. Sie wurde bereits vorn (S. 85) näher 
beleuchtet. Wir kamen dort zu dem Schlüsse, daß in ihr ganz sicher 
eine Verwechslung des Kaisers Karl VL mit Leopold L vorliegt. 

Unrichtig ist femer Hawkins' Meldung, der Tonsetzer habe 
seinen Namen Astorga nach der spanischen Stadt Astorga erhalten. 
Wir wissen heute, daß ihm dieser Name nicht erst verliehen zu 
werden brauchte, weil ihn seine Familie seit mindestens hundert 
Jahren führte. Hawkins bekennt selbst, daß ihm kein anderer Name 
des Barons als der genannte bekannt sei. Dessen auffällige Überein- 
stimmung mit dem der spanischen Stadt führte ihn oder seinen Ge- 
währsmann zur Annahme eines Kausalnexus zwischen beiden. Der 
Künstler muß den Namen nach der Stadt erhalten haben, so folgerte 
er ziemlich kurzsichtig, statt weiter blickend eine schon in der Vor- 
zeit erfolgte Verleihung des Namens an das Geschlecht, dem der 
Meister entstammte, anzunehmen. 

Wenn Hawkins einen Aufenthalt Astorgas in Spanien erwähnt, 
so sagt er damit nichts Unrichtiges. Von den Beziehungen des 
Meisters zu Spanien, die wir nachgewiesen haben, ist ihm allerdings 
nichts bekannt. Man kann also nicht entscheiden, ob Hawkins hier 
eine Meldung der Tradition wiedergab, oder ob er auf den Besuch von 
Spanien nur im Zusammenhang mit jener Namenserklärung kam. 
Im letzteren, Falle würde also die Annahme trotz ihres richtigen In- 
haltes auf einer falschen Voraussetzung beruhen. — Daß Hawkins 
den ganzen Passus über den Aufenthalt Astorgas in Spanien und die 
Verleihung des Titels an ihn ausdrücklich als Vermutung kennzeichnet 
— »it is presumed« — , beachteten dessen spätere Benutzer nicht. 



138 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Wie steht es aber um Hawkins' Nachricht, Astorga sei von London 
nach Böhmen gegangen? Vorn konstatierten wir, daß Astorga 
wohl einmal durch Böhmen gereist sein kann, daß aber auch nicht 
für den kürzesten Aufenthalt des Meisters in diesem Lande ein Be- 
weis vorhanden ist. Da drängt sich uns der Gedanke auf, daß in 
Hawkins' Meldung eine Verwechslung von Mähren mit Böhmen 
vorliegen könne. Sollte nicht Astorga, als er in London weilte, 
seinen Aufenthalt in Znaim in Mähren gegen seine englischen Freunde 
erwähnt haben? Könnte nicht in der letzteren Erinnerung mit der 
Zeit an Stelle Mährens Böhmen getreten sein? Wenn Hawkins 
den in Rede stehenden Aufenthalt dem Londoner folgen statt vor- 
ausgehen läßt, so hat das nicht viel auf sich: Hawkins' Chronologie 
ist ja ganz willkürlich. Jene Verwechslung kann tatsächlich ein- 
getreten sein; nur fehlen entscheidende Beweise dafür. 

Neben den vielen wertvollen, zweifellos wahren Nachrichten, 
die Hawkins über Astorga bietet, finden sich drei Details, welche 
den Tatsachen nicht entsprechen: 

1. komponierte Astorga seinen Dafni nicht in Breslau, 

2. erhielt nicht der Künstler den Namen Astorga nach der spa- 
nischen Stadt, 

3. war nicht Kaiser Leopold des Künstlers Gönner. 

Das sind Irrtümer, die, ziemlich belanglos, das Lebensbild nicht 
wesentlich zu verändern vermögen. Aber als Grundlagen für wei- 
tere Irrtümer späterer Autoren sind sie immerhin nicht bedeutungs- 
los. In der nächsten Zeit wurden jedoch Hawkins' Notizen von den 
Musikhistorikern ziemlich getreu wiederholt. Bis zum Jahre 1825 
dienten sie als Hauptquelle für alle, die über Astorga schrieben. 
Eine Ausnahme davon macht Hawkins' Landsmann 

Charles Burney, der in seinem Astorga- Artikel in der »Gene- 
ral history of Music« (Bd. IV, London 1789, S. 178) Notizen 
über das Leben des Meisters überhaupt nicht gibt, sondern sich ledig- 
lich auf die Würdigung einiger ihm bekannter Werke von Astorga 
beschränkt. Sie möge der Vollständigkeit halber hier stehen: 

»The cantatas of Baron D'Astorga are much celebrated; yet 
several that I have lately examined did not fulfill the expectations 



I. Kap. : Die älteste Astorga-Literatur. 139 

excited by his high character and the composition of his elegant 
and refined Stabat Mater. The three best that I have seen begin: 
Quando penso; Torne Aprile; and In questo core. In these 
there is expression, grace and science devoid of pedantry. But late 
refinements in melody have rendered our ears fastidious and unjust 
to the simplicity of the last age, however elegant its garb. At some 
of the closes, the Baron's good taste in singing is very manifest. « 

Im Gegensatz zu Burney folgen Hawkins' Angaben getreu A. 
Choron et F. Fayolle in den wenigen Zeilen, die sie Astorga in 
ihrem »Dictionnaire historique des Musiciens« (ParislSlO) 
widmen. Auch Bertini gibt in seinem »Dizionario storico- 
critico degli scrittori di musica« (Palermo 1814) nur einen 
ziemlich dürftigen Auszug aus Hawkins. Giuseppe Bertini, der 
aus Palermo stammte und sein Lexikon als »Maestro della Regia 
Imperial Cappella Palatina « zu Palermo schrieb, weiß nichts davon, 
daß Astorga eine Zeitlang in seiner Vaterstadt gelebt und vor damals 
noch nicht ganz hundert Jahren ein städtisches Ehrenamt bekleidet 
hat. Man muß also annehmen, daß 2ur Zeit von Bertinis Jugend 
(er ward 1756 geboren) in Palermo bereits jede Tradition über 
Astorga erloschen war. 

Einen größeren Astorga-Artikel bot Ernst Ludwig Gerber 
im »Neuen historisch-biographischen Lexikon der Tonkünstler« 
(Leipzig 1812), nachdem er im »Lexikoti derTonkünstler«(Leip- 
zig 1790) den Meister ganz übergangen hattet. Er bringt den von 
Hawkins gebuchten Stoff in deutscher Übersetzung und ergänzt 
ihn durch einige Neuigkeiten. Er ist der erste musikhistorische 
Schriftsteller, der Astorgas Vornamen Emanuele nennt und sein 
Geburtsjahr vermutungsweise angibt. »Ums Jahr 1680« sei Ema- 
nuel geboren, sagt er. Da er sogar im Jahre 1680 geboren ist, hat 
Gerber also richtig geraten. Bei der Erwähnung der Breslauer Dafnis- 
aufführung weist er zwar auf Walthers Lexikon als auf eine der 
Quellen hin, aber er bietet die Notiz selbst in der willkürlich erweiter- 
ten Fassung Hawkins', nach der Emanuel selbst 1726 »sein Pastoral 



^ In dieser Ausgabe erwähnte er nur die Werke jenes G. O. Astorga, 
dessen wir auf S. 124 gedachten. 



140 2. Teil: Astorga- Literatur. 

Daphne « in Breslau aufgeführt haben soll. Er erwähnt auch, den »Re- 
marks on Avison's Essay o folgend, die Aufführung des »Stabat Mater c 
im Jahre 1753 zu Oxford. Das Verzeichnis der Werke As torgas ergänzt 
er durch die von Burney genannten und durch zwei in der Astorga- 
Literatur noch nicht zitierte Titel: 1. Cantate: Clorinda, s'io t'amai 
con pura fede, nach Breitkopfs Sammlung von Handschriften, II, 
32. — 2. Palpitar gia sento il core für Sopran und Generalbaß, zu 
Gerbers Zeit auf dem fürstlichen Musik-Archiv zu Sondershausen 
befindlich. Mit Interesse hören wir Gerber auch berichten, daß der 
preußische Hof kapellmeister Johann Friedrich Reichardt »viele 
Arien a aus der Oper Daf ni sowie eine Anzahl Kantaten von Astorga 
besaß. Wo mögen diese Schätze hingekommen sein? 

Nicht mehr als dürftige Auszüge aus Gerbers Artikel sind die 
Abschnitte, die dem Meister in Friedrich Rassmanns Pan- 
theon der Tonkünstler (Quedlinburg und Leipzig 1831)^ und 
August Gathys Musikalischem Konversationslexikon 
(Leipzig, Hamburg 1835) gewidmet werden. 

Etwas ausführlicher wird der von Gerber gebotene Stoff wieder- 
holt in der ersten Auflage von Fr. J. F6tis* Biographie univer- 
selle des musiciens (Brüssel 1837). Allerdings könnte man aus 
der Weglassung von Astorgas Vornamen folgern, F^tis habe nur 
Hawkins, nicht aber Gerber benutzt, doch beweist die Zitierung der 
nur bei Gerber genannten Kantatentitel, daß ihm auch dessen Werk 
vorlag. Bei F^tis erscheint die höchst überraschende Notiz: »En 
1726 [Astorga] fit repr^senter ä Vienne la pastorale de Dafne, 
dont il avait compos^ la musique . . . . Enfin il alla ä Breslau, oü Ton 
ex^cuta sa pastorale de Dafne avec autant de succ^s qu'elle en 
avait eu ä Vienne.« Eine Aufführung des Dafni in Wien? Weder 
eine solche, noch die einer Dafne ist in den Schriften zur Wiener 
Theatergeschichte unter dem Jahre 1726 verzeichnet. F6tis hat 
sich also geirrt. Wie kam er aber zu seinen Angaben? Infolge eines 
Versehens nannte er als Ort der Dafnisaufführung im Jahre 1726 
Wien statt Breslau. Als er dann auf die Aufführung der Oper 



^ Raßmann weist bereits in einer Note (S. 11) auf den Astorga-Artikel 
von R c h 1 i t z hin, doch benutzt er ihn im Text nicht. 



i. Kap. : Die älteste Astorga-Literatiir. 141 

In Breslau zu sprechen kam, stempelte er sie flugs zu einer erfolg- 
reichen Wiederholung und ließ deren genaue Zeitangabe weg. So 
wußte er sich zu helfen. In der zweiten Auflage seines Werkes 
änderte er die Notiz über die angebliche Wiener Aufführung der 
Oper ab. Carlo Dassori wiederholte sie in dem 1903 in Genua 
veröffentlichten Dizionario lirico »Opere e operisti« nach der 
ersten. 

F6tis' Angaben wurden rekapituliert in der Nouvelle Biogra- 
phie g^n6rale der Firmin Didot Fr^res (sous la direction de 
M. Hoefer, Paris 1855); doch benutzte der Verfasser auch Gerbers 
Lexikon. Denn nur durch ein Versehen bei der Wiedergabe des 
Geburtsjahres bei Gerber (1680) ist die Notiz in der Biographie 
gdn^rale zu erklären, Astorga sei 1686 geboren. Hier wird auch 
zum erstenmal das Todesjahr des Meisters angegeben: das Jahr 
1755. Woher stammt diese Weisheit? Der Verfasser schweigt 
darüber. Doch läßt es sich erraten. Er erwähnt die Aufführung 
des Stabat Mater 1753 in Oxford. Stillschweigend nahm er an, 
Astorga sei selbst bei dieser Gelegenheit zugegen gewesen. Er 
überlegte, wie betagt der Meister damals gewesen sein müsse, und 
gab ihm nach jenem Termin nur noch ein paar Jahre Lebensfrist. 
So wird er 1755 als Todesjahr Astorgas gefunden haben. 

Die Zeitangaben in der Biographie g^n^rale wurden nur von 
wenigen Autoren benutzt. Wir kennen nur zwei Werke, deren 
Astorga-Artikel auf dem der genannten Biographie fußen. 

Erstens ist es das »Grand Dictionnaire universel von 
Pierre Larousse (Paris 1865), in dem es überdies von Astorga 
heißt: »II composa divers opdras ou pastorales«, obwohl nur eine 
einzige Oper von ihm nachweisbar ist, — 

zweitens das Diccionario Universal Portuguez (sob a di- 
rec^äo de Fern. Costa, Lisboa 1883)^, in dem der Stoff aufs äußerste 
zusammengedrängt dargeboten wird. Obwohl in neuerer Zeit er- 
schienen, müssen diese Artikel ihres Inhalts wegen zur ältesten 
Astorga-Literatur gezählt werden. 



^ Die Mitteilung der Astorga betreffenden Stelle aus diesem Werke ver- 
danke ich Herrn Manoel de Carvalhaes in Mezao Fr io (Portugal). 



142 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Unter den bisher genannten Quellen, die weiterzuwirken be- 
stimmt waren, nehmen die Werke von Mattheson, Hawkins und 
Gerber die wichtigste Stelle ein. Diese Autoren bieten über- 
wiegend geschichtlich zuverlässiges Material in sachlicher Dar- 
stellung. Doch laufen ihnen auch Irrtümer unter. Diese Irrtümer 
mehren sich in den von diesen Quellen abgeleiteten Aufsätzen. 
Aber sie sind nicht so bedeutend, daß sie das Bild des Meisters in 
seinen Hauptkonturen veränderten. Sie sind doch immer nur wilde 
Schößlinge aus guter Wurzel. Fremdes, Erdichtetes ist noch nicht 
in das biographische Material eingemischt worden. Das geschah 
erst durch den Schriftsteller, von dem wir im nächsten Kapitel zu 
reden haben. 



IL Kapitel. 
Rochlitz' Astorga-Roman. 

Die zweite Periode der Astorga-Literatur brach 1825 an mit 
dem Erscheinen des zweiten Bandes von Friedrich Rochlitz' 
Auf Satzsammlung »Für Freunde der Tonkunst«, in der plötz- 
lich eine Menge neuen biographischen Stoffes hingeworfen wurde. 
Die Neuigkeiten, die Rochlitz hier mitteilt, wurden später aus der 
Einkleidung, die er ihnen gegeben hatte, herausgeschält weiter ver- 
breitet. Um aber diesen Notizen gegenüber den rechten Stand- 
punkt zu gewinnen, muß man sie in dem Zusammenhang kennen 
lernen, in dem Rochlitz sie darbot. 

Die Astorga-Neuigkeiten stehen in dem genannten Buche in 
dem Abschnitt »Häusliche Musik «.i Rochlitz läßt hier eine 
Frau Therese zwei lange Briefe an ihren Mann schreiben. In senti- 
mentalem Überschwang schildert Therese darin ihre ganz harm- 
losen Reiseabenteuer und ihre Erlebnisse während eines Besuches 
bei ihren Verwandten. Diese Erlebnisse gipfeln in musikalischen 
Soireen im Familienkreise. Zur Einrichtung solcher häuslicher 



^ In der ersten Auflage (1825) wie in der zweiten (1830) stehen sie S. 67ff.; 
In der dritten (1868) S. 43ff. 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga-Roman. 143 

Musikabende möchte Rochlitz durch die Briefe Anregung geben. 
Er läßt deshalb Frau Therese die ganze Disposition und Inszenierung 
dieser Soireen ausführlich darlegen. Einen großen Teil der letzteren 
nimmt der einleitende Vortrag eines der Mitwirkenden über Leben, 
Werke und Bedeutung des Meisters ein, von dem eine Tondichtung 
zu Gehör kommen soll, — eine Idee, die ja heute in den populären 
»Komponisten-Abenden« Verwirklichung gefunden hat. Rochlitz 
läßt Frau Therese zwei solchen Musikabenden beiwohnen: Der erste 
ist Emanuele d'Astorga gewidmet, dessen Stabat Mater auf- 
geführt wird, der zweite Johann Heinrich Rolle, dessen Orato- 
rium »Der Tod Abels« zur Aufführung gelangt. Ein jeder dieser 
Abende wird von Therese in einem Briefe geschildert. Der Astorga 
betreffende nimmt 23 engbedruckte Oktavseiten ein. Ihn vollständig 
abzudrucken, würde nicht der Mühe lohnen ; er sei daher in seinem 
belletristischen Teile nach Möglichkeit gekürzt, bzw. im Auszug 
dargereicht. Die Astorga-Nachrichten müssen wir jedoch, um volle 
Klarheit zu gewinnen, ungekürzt, samt ihren Verzahnungen mit dem 
Ganzen, wiedergeben. 

Bei ihrer Betrachtung sei uns eine Vereinfachung gestattet: Die 
sicher falschen Details, deren Unrichtigkeit sich durch den 
Widerspruch mit authentischen, vom gebotenen Nachrichten erweist, 
seien als solche gleich beim Abdruck des Rochlitzschen Textes in 
Fußnoten gekennzeichnet. Wir brauchen uns dann bei der 
Interpretation des Artikels nicht erst mit einer ausführlichen 
Widerlegung dieser Stellen aufzuhalten. Frau Thereses Brief be- 
ginnt also: 

»Da bin ich denn! wohlbehalten und seelenfroh bin ich da! Die 
ersten freien Morgenstunden gehören Dir, mein liebster Mann! Ich 
habe mich ganz förmlich eingerichtet. Dir alles — und würden's 
Bogen über Bogen — alles, alles zu erzählen. Du liesest es ja doch 
gern von Deiner Therese; und sie tut sich dabei auch eine Güte. 
Nimm nur erst nochmals den herzlichsten Dank, daß Du die Haus- 
frau von Dir gelassen, und sie so lange entbehren willst. Ich weiß, 
es wird Dir schwer. Soll ich hierüber mich freuen oder trauern? 
Beides, lieber Mann: bald das, bald jenes, bald auch beides unter 
einander. Sei nur und bleibe gewiß, daß mein törichtes Schwester- 



144 2. Teil: Astorga-Literatur. 

herz seine Sorgen und seine Sehnsucht anders nicht losgeworden 
wäre. Bin ich wieder bei Dir, so will ich alles einbringen, mit Liebe 
und Sorgfalt, mit angefrischter Heiterkeit, und auch sonst mit 
allerlei, was — o ich weiß — was Du gern hast, wenn Du auch nicht 
darnach aussehen willst. Dazu werde ich hier nicht weniges lernen, 
worauf ich in unsem vier Wänden lebenslang nicht gekommen wäre; 
ja, ich habe schon manches gelernt, ohngeachtet ich erst seit gestern 
Vormittag nach zehn Uhr hier bin. »Seit gestern Vormittags? nicht 
seit vorgestern Abends? wir hatten's doch so genau ausgerechnet !f 
Ja, man rechnet manchmal, und wenn's zum Treffen kommt 1 

»Doch das wird nimmermehr eine ordentliche Erzählung, und* 
Du höchst ordentlicher Mann hast Dein Skandal. Still nur; ich will 
mich zusammennehmen und alles nach und nach entstehen lassen, 
wie es vor mir und in mir entstanden ist. a 

Und nun wird mit aller Breite und Behaglichkeit die Reise, die 
Rast infolge eines Radbruches am Postwagen, das Wiedersehen mit 
der Schwester Ottilie und der Aufenthalt in deren Familie geschildert. 
Dem festlichen Mahle an blumengeschmückter Tafel »mit dem 
schönsten Damast und schönsten Geschirr« werden rühmende Worte 
geweiht. Dann erzählt Therese, wie sie über die Einrichtung der 
musikalischen Abende, die hin und wieder bei ihren Verwandten 
stattfanden, unterrichtet wurde. Gleich am ersten Abend sollte sie 
einem solchen Haus-Konzert beiwohnen. Umständlich schildert sie 
alle Mitwirkenden, die erscheinen; endlich aber kommt sie zur 
Hauptsache : 

»Wir hatten etwa eine halbe Stunde beisammen gesessen und 
geplaudert, was jedem eben einfiel, als der Hausvater das Wort 
nahm: Nun hab' ich Ihnen aber, ehe wir zum Instrumente gehen, 
Rechenschaft von dem zu geben, was ich für diesen Abend gewählt 
habe. — Da wars mit eins stille; und auch die Mädchen setzten sich 
zurecht, um mit Ohren und Augen zu hören. In der ersten Abteilung 
wollen wir diesmal, fuhr der Schwager fort, ein ebenso seltenes, als 
vortreffliches Werk zu Gehör bringen : das Stabat Mater von A s t o r g a. 
Astorga? fiel ich vorlaut ein; hab' ich doch selbst den Namen noch 
nie gehört. Lassen Sie sich das nicht wundern, antwortete er. 
Es gehört zum Schicksal jeder Kunst, die noch in der Periode größerer 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga- Roman. 146 

Erweiterung und Fortbildung steht, daß fast alle zunächst nach dem 
Neuen fragen ; es ist immer so gewesen, und im allgemeinen auch nicht 
zu tadeln. Nun ist es aber lange her, daß dieser treffliche und edle 
Mann gelebt hat; seine großem Werke, die überdies nicht eben zahl- 
reich gewesen zu sein scheinen, sind, bis auf wenige, verloren ge- 
gangen, oder liegen in Bibliotheken Spaniens und Italiens, vielleicht 
auch im kaiserlichen Musikarchiv zu Wien und in Klosterbiblio- 
theken zu Prag verborgen. Überdies ist von ihm selbst und seinem 
Leben bisher so wenig bekannt gemacht, daß auch der fleißige 
Gerber in seinem »Tonkünstlerlexikon«, ohngeachtet er alle 
frühem Qeschichtschreiber dieser Kunst benutzt, doch nur einige 
und nicht einmal ganz richtige Zeilen von ihm beizubringen gewußt 
hat. Um so mehr, und da das Leben Astorgas an sich anziehend ist, 
gereicht es mir zum Vergnügen, Ihnen mehr davon mitteilen zu 
können. Ich habe den Stoff dazu unvermuteter Weise in Werken 
gefunden, wo sonst ganz anderes zu suchen ist, und wo, obgleich 
nur nebenbei, des Mannes gedacht wird. (Er nannte den Herrn 
einige ältere Werke über die Geschichte einzelner italienischer 
Staaten und einige Sammlungen Flugschriften oder Briefe aus jener 
Zeit.) Wenn ich diese vereinzelten Notizen, so gut ich kann, ver- 
binde und die Lücken nach Wahrscheinlichkeit ausfülle: so kommt 
etwa Folgendes heraus « 

»Du magst Dir denken, lieber Mann, wie wir aufhorchten, und 
wie, nach Art der einen oder der andern, vor Begier, alles auf- 
zufassen, hier die Hände mit dem Strickstrumpf in den Schoß sanken, 
dort die Nadeln nur desto schneller f ipperten. (Unter welche gehörte 
Deine Therese? Sag: unter welche?) Von dem aber, was wir erfuhren, 
erhältst Du auf beiliegendem, ach, dem vierten Blatte, nur einen 
Umriß, dem ich am Rande zuweilen ein Einschiebselchen anhänge. « 

»Emanuele d'Astorga war der Sohn eines der angesehensten 
sizilianischen Reichsbarone, der abwechselnd in Palermo und auf 
seinen Besitzungen gelebt zu haben scheint. Hier wurde Emanuel 
um das Jahr 1680 (wahrscheinlich ein Jahr später) geboren i. Der 



^ Weder in Palermo, noch auf seines Vaters Besitzungen, sondern in 
A u g u s t a wurde Emanuel geboren. Vgl. S. 33 f. 

Volkmann, Astorga. I. 10 



146 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Vater, ein kühner, rauher Mann, stand auf bedeutendem Posten in 
Kriegsdiensten. In den Verwirrungen, Streitigkeiten und Kriegen 
um die Unabhängigkeit Siziliens und des Adels in ihm, oder um des 
Landes Vereinigung mit Neapel, und Neapels mit Spanien, unter 
Ein königliches Szepter^, trat er auf als Kämpfer gegen die ver- 
bindende Monarchie, und als Häuptling eines jener, in der altem 
italienischen Geschichte nur allzubekannten, wüsten Soldatenhaufen, 
die den Krieg bloß als Handwerk trieben und mit wilder Tapferkeit 
jedem Führer — gleichviel welchem, wofür und wogegen — sich 
hingaben, bis ein anderer mehr zahlte. — (An den Rand: Unser 
Erzähler schilderte, indem er sich mehr an uns Frauen wandte, 
dies Wesen oder Unwesen, so wie die Lage der Dinge überhaupt, 
auf eine graunliche, aber darum nur desto anziehendere Weise. 
Deiner unwissenden Frau kam das Ganze dem ähnlich vor, was uns 
Walter Scott vom Zustande Schottlands in früher Zeit und von 
seinen Häuptlingen erzählt; nur freilich alles mit italienischer 
Eigentümlichkeit, wie dort mit schottischer.)« 

»Der Knabe mag vornehmlich der Erziehung der Mutter über- 
lassen gewesen und daher zunächst es gekommen sein, daß sich, bei 
feurigem Geist, ein ungemein zarter, inniger und frommer Sinn in 
ihm ausbildete, der ihm denn auch lebenslang eigen geblieben ist. 
Wir verlieren Emanuel aus dem Gesicht, ohne von seiner Erziehung 
etwas zu erfahren, außer, nach den Folgen, daß seine großen Natur- 
gaben für die Tonkunst frühzeitig müssen bemerkt und sorgsam 
ausgebildet worden sein; wir verlieren ihn aus dem Gesicht, bis zu 
den furchtbaren Szenen in Neapel und Sizilien im Jahre 1701 >. 
Sein Vater war in die Verschwörung verwickelt. Verwegen und 
trotzig alle Versöhnungsmittel verschmähend, wollte er mit dem 
Degen in der Faust fallen; ward aber von seinen eigenen Söldnern, 
deren Forderungen er nicht mehr befriedigen konnte, verraten, 
ausgeliefert, und, um die andern durch Schrecken niederzuhalten, 
mit noch einem seinesgleichen zum Tode auf öffentlichem Blut- 



^ Diese »Verwirrungen « bestanden nur in Rochlitz' Phantasie. Ober den 
Zustand Siziliens in Jener Zeit vgl. S.46f. 

> »Furchtbare Szenen« spielten sich 1701 in Sizilien nicht ab. Vgl. S. 47. 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga- Roman. 147 

gerüst bestimmt. Mutter und Sohn mußten seine Hinrichtung^ 
mit ansehn: jene starb unter Zuckungen des Entsetzens, dieser 
verfiel in einen Zustand dumpfer Bewußtlosigkeit. Die Güter der 
Familie wurden eingezogen, alle Teile derselben verwiesen«. Der 
Jüngling floh nicht; alles Zuredens ungeachtet war er von der Stelle 
nicht wegzubringen, wo er Vater und Mutter unter so gräßlichen 
Verhältnissen hatte verscheiden sehen. Das Volk, dessen Rache, 
nun gesättigt, dem Erbarmen gewichen war, beschützte und ver- 
sorgte ihn; und so scheint er einige Zeit an diesem Orte gelebt zu 
haben. Das Gerücht davon kam zu den Ohren der Prinzessin Ursini, 
der Oberhof meisterin der Königin, die auf diese von so entschiedenem 
Einfluß war, als die Königin auf ihren Gemahl, Philipp den fünften. 
Die Prinzessin nahm sich des unglücklichen Jünglings an und ließ 
ihn zur Versorgung und Beruhigung seines irren Geistes in ein 
Kloster bringen; und zwar, damit er von den Gegenständen seines 
Schmerzes weit entfernt würde, vielleicht auch, damit er nicht 
wider Wissen und Wollen auf das Volk wirkte, in ein entlegenes 
Kloster — nach Astorga, einer Mittelstadt im spanischen König- 
reiche Leon. Hier hat er einige Jahre verlebt und von diesem 
Aufenthalte fortan, statt des geächteten, den Namen d'Astorga 
angenommen s. — (An den Rand: Eine gewisse, hier schwer- 
atmende Frau wagte, die Frage einzuschalten, wie er denn eigent- 
lich geheißen habe. Wunderbar genug, war die Antwort: man 
weiß es nicht. Bis auf den Namen ist sein Haus vertilgt worden*, 
und wo des Vaters gedacht wird, geschieht es nur, als des Barons 
oder des Jeronimo*. — « 

»In dem Kloster war dem guten Jüngling beschieden, alles zu 
finden, was er wahrhaftig bedurfte: einen geistvollen, frommen 



^ Astorgas Vater lebte als angesehener Baron zu Palermo bis 1712. Vgl. 
S. 37 und 39. 

> Der Vater blieb bis an seinen Tod, Emanuel bis 1744 im Besitz des 
Feudo Ogliastro. Vgl. S. 39 und 114. 

* Emanuel brauchte den Namen Astorga nicht anzunehmen, weil ihn 
seine Familie seit mindestens hundert Jahren führte. Vgl. S. 28 f. und 36. 

* Glieder der Familie lebten noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts. 
Vgl. S. 123f. 

* Emanuels Vater hieß Francesco. Vgl. S. 33 f. 

10* 



148 2. Teil: Astorga- Literatur^ 

Vertrauten, einen sorgsamen Arzt, und, in jenem Zeitalter der 
Kulmination italienischer Tonkunst^, einen gründlichen Meister 
derselben, der sich des neuen Schülers ebenso sehr erfreute, als dieser 
des liebevollen Lehrers. So trat denn Emanuel, nach etwa zwei 
Jahren, wieder in die Welt hinaus, geläutert, beruhigt, höher gestellt 
in seinem Charakter; von neuem erblühend in seltener Schönheit; 
als Künstler aber, in der Komposition der JMleisterschaft sich nähernd, 
im Gesänge sie ergreifend. (Seine Stimme war ein überaus schöner, 
sanfter und herzrührender Tenor.) Genie, Talent, Neigung und 
gesamte Individualität, welche letztere durch die Verhältnisse 
seines Knabenlebens, durch die darauf folgenden Erfahrungen, 
nun durch die Einsamkeit des Klosterlebens nur noch mehr be- 
festigt worden sein mag, bewogen ihn, sich fortan vor allem der 
Tonkunst zu widmen; und da sein ganzes Leben von jeher weit 
mehr nach innen, als nach außen gerichtet war: so scheint diese, 
einzelne Zwischenfälle abgerechnet, ihm auch lebenslang genügt 
zu haben. Also finden wir ihn wieder im Palaste des Herzogs Franz 
von Parma. Wie er dahin, und in so große Gnade bei diesem 
Fürsten gekommen: das wissen wir nicht. Das Einzige lehrt die 
Folge, daß er im zwei oder drei und zwanzigsten Lebensjahre in 
dessen Dienste getreten, mit liebreicher Auszeichnung, und auch 
seiner Geburt gemäß behandelt worden, und die Seele der ausge- 
suchtesten Kammermusik seines Gebieters gewesen ist. Seiner 
entschiedenen Vorliebe für den Solo-Gesang (doch auch in mehreren 
Stimmen), und jener seiner Lage ist es wohl zunächst zuzuschreiben, 
daß fast alle seine Kompositionen, auch aus späterer Zeit, zu 
dieser, dem Stoff und der äußeren Form, nicht aber dem Geiste 
und der Kunst nach, einfachen Gattung gehören, auch bloß vom 
Klavier oder dem Quartett begleitet sind: ein besonderes Ver- 
hältnis aber, das für ihn wieder zur schweren Prüfung ward, ist 
ohne Zweifel Ursache, daß er in dieser Gattung schon jetzt einen 
Grad der Meisterschaft erreichte, wie ihn nur sehr wenige der 



^ Hier zählt Rochlitz in einer Anmerkung, die wegbleiben möge, die be- 
deutendsten italienischen Komponisten der Zeit auf. 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga- Roman. 149 

größten Künstler irgend einer Zeit und irgend einer Nation er- 
reicht haben.« 

»Dies besondere Verhältnis geben uns, die seiner gedenken, aus 
leicht begreiflichen Ursachen mehr zu erraten, als daß sie es dar- 
legten. Es ähnelt dem des Torquato Tasso am Hofe Alphonsens 
von Ferrara: aber — so verrät wenigstens der Ausgang — mehr, 
wie dies Goethe darstellt, als wie es, leider, war. Astorgas zahlreiche, 
kleine, rührende Kantaten für den Sopran und Tenor, seine köst- 
lichen Duette für dieselben Stimmen aus dieser Zeit, waren alle 
für seine erlauchte Schülerin und ihn selbst geschrieben. (An den 
Rand: Du magst Dir denken, lieber Albert, wie wir Frauenzimmer 
vollends hier aufatmeten; wie wir dies zarte und doch ängstende 
Verhältnis bis aufs Pünktchen ausgemalt zu sehn brannten: aber 
der grausame Mann gab uns nichts, als was hier steht, und ohn- 
gefähr mit denselben Worten.) Später, dieser Gattung und der 
ihr eigentümlichen Schreibart einmal vorzüglich gewohnt, und, 
vielleicht nicht ohne Hineinspielen der Erinnerung an seine Jugend- 
zeit, blieb er ihr fort und fort vorzüglich zugetan; selbst sein vor- 
treffliches Stabat Mater und Requiem (von welchem letztern 
sich jedoch nur einzelne Sätze wollen vorfinden lassen, weshalb 
man zweifeln möchte, ob er es vollendet) beide aus später Zeit, 
gehören größtenteils dieser Gattung und Schreibart zu: nur daß alles 
hier, in den Hauptsätzen, so hoch gesteigert und so vollendet ausge- 
führt wird, als dies ohne Ausgreifen inFremdartiges, möglich scheint^.« 

^Der Herzog durchblickte endlich das, wenn noch so unschuldige, 
doch nichtsdestoweniger gefährliche Verhältnis. Huldreich und 
fürsorgend sandte er seinen Liebling mit den besten Empfehlungen 
dem Kaiser, Leopold dem ersten, zu; von welchem eifrig frommen 
und Musik liebenden Monarchen dieser denn auch gnädig aufge- 
nommen, seines Umgangs gewürdigt und in jeder Hinsicht aus- 
gezeichnet wurde. Aber wenige Jahre darauf (1705) starb Leopold; 
und wie unter seinem Sohne und Thronfolger, Joseph dem ersten, 
sich gar manches änderte, mag sich auch Astorgas Lage geändert 



^ Hier fügt Rochlitz in einer Note eine Charakteristik der Kunst Astorgas 
bei, die wir auf den 2. Band unsrer Studien versparen. 



150 2. Teil: Astorga- Literatur. 

haben. Wir sehen ihn bald nach jenem Regierungswechsel, doch 
unter ehrenvoller Belobung, scheiden; und alles, was über den Rest 
seines Lebens — die größere Hälfte desselben — sich noch hat aus- 
finden lassen, kommt auf folgendes wenige hinaus.« 

»Seit die Dinge in Spanien, Neapel und Sizilien einige festere 
Haltung gewonnen hatten, erhielt Astorga durch Betrieb der Her- 
zogin von Ursini und die Gunst der Königin eine jährliche Unter- 
stützung, die ihn in den Stand setzte, frei, und einigermaßen seiner 
Abkunft und Erziehung gemäß, zu leben i. Er benutzte diese Frei- 
heit, nach .und nach fast alle gebildete Länder Europas und ihre 
Fürstenhäuser kennen zu lernen. Überall war er geachtet und 
willkommen. Mit seiner Kunst trat er nie und nirgends öffentlich 
auf^: sondern, wie er seine Kompositionen nur handschriftlich mit- 
teilte', so sang er sie auch, sich selbst auf dem Klaviere begleitend, 
nur ausgewählten Zirkeln vor. Überhaupt wußte er und war geübt, 
in all seinem Tun und Bezeigen eine gewisse sanfte Würde und 
Zurückhaltung, die aber nur um so mehr für ihn einnahm, zu be- 
haupten; und wie auf ihn anwendbar war, was dort vom Tasso 
gesagt wird: 

Er kann 

Unedlen Stoff, der nur den Knecht bezeichnet, 
An seinem Leib nicht dulden; Alles soll 
Ihm fein und gut und schön und edel stehn — 

so will man auch nie ein unedles, unfeines Wort von seinen Lippen 
vernommen haben. So zeigte er sich im Laufe von zehn bis zwölf 
Jahren in Madrid, Lissabon, in mehrern Hauptstädten Italiens 
(nur sein Vaterland, für ihn den Schauplatz des Entsetzens, ver- 



^ Dazu brauchte er keine Unterstützung. Die Einkünfte aus seinen 
Qfltem ermöglichten ihm ein standesgemäßes Leben. Vgl. S. 23. 

• Hier bemerkt Rochütz: »Woher Hawkins, und aus ihm Gerber, die 
Nachricht von dem einzigen Falle des Gegenteils genommen, daß er nämlich 
1726 sein dramatisches Idyll, Daphne, zu Breslau aufgeführt habe, und wie 
viel Glaube dieser Nachricht beizumessen, wäre erst zu untersuchen«. Wir 
kommen im Text darauf zurück. 

> Den Druck der Kantaten von 1726, der eine wichtige Ausnahme bildet, 
kennt Rochlitz nicht. 



IL Kap.: Rochlitz' Astorga-Roman. 151 

mied er)i, in London, Paris, dann wieder auf kurze Zeit in Wien, 
nun in Prag; und jetzt verschwindet er unsem Augen gänzlich. 
Wahrscheinlich, daß er in Böhmen, außer der romantisch schönen 
Natur, damals das fand, was er zunächst bedurfte: friedliche, in 
seiner Weise religiöse, in seiner Kunst ausgezeichnete Menschen; 
und daß er darum hier, entweder in klösterlicher oder doch in einer, 
dieser ähnlichen Stille und Zurückgezogenheit, seine Tage beschloß 
— wann? das wissen wir nicht, sondern nur, daß es in mittlem 
Mannesjahren geschähe. Sein Stabat Mater scheint er in London 
geschrieben zu haben; wenigstens besaß dort von lange her die 
Academy of an cientMusic die Abschrift desselben, von welcher 

die andern ausgegangen sind v 

»Nun, mein lieber Mann, wunderst Du Dich nicht, daß ich das 
alles so genau habe merken und so präzis hinschreiben können? 
Ja, ich würde mich auch wundern, wenn ich es mir von mir zuge- 
schickt bekäme! Hernach würde ich den Kopf schütteln. Sie 
hat mit dem Nachbar gepflügt, würde ich sagen; und sieh, da hätt' 
ich eine — Unwahrheit gesagt. Nicht nur gepflügt nämlich, son- 
dern auch gedüngt, eingesäet, geschnitten, und was weiß ich! Die 
Mord-, die Liebesgeschichte, eine herzliche Zuneigung zu dem 
Künstler, und eine sanfte Begier, jenes sein Werk zu hören — das 
war mir von der Mitteilung des Schwagers geblieben: sonst nichts 
Rechts, das ich wüßte. Da ich Dir doch aber etwas Rechts senden 
wollte, ging ich den Schwager an, der mir denn einen Band seiner 
»Studien« gab: das heißt, einen Quartanten, worein er, eigentlich 
nur für sich selbst, aufzeichnet, was er gedacht, gefunden usw., 
und was er nicht vergessen will. Aus diesem ist alles abgeschrieben ; 
und will ich wenigstens den Ruhm behaupten, ehrlich zu sein. — 
Aber nun denke Dir, guter Albert, wie durch diese Vorbereitung 
alle, gleich mir, brannten — die einen, das Werk so genau und 
trefflich auszuführen, die andern, es so vollständig, so liebevoll 
und so recht in seiner Art aufzunehmen, als irgend möglich. Und 
wie gelang nun beides! . . . « 



^ Emanuel hielt sich in späterer Zeit wiederholt in Sizilien auf, so 1708 
und 1717/18. Vgl. S. 59f. u. 104ff. 



152 2. Teil: Astorga-Literatur. 

»Von dem Werke selbst, und auch von seinem tiefen, teilweise 
frommentzQckenden Eindrucke zu sprechen, bin ich nicht im 
Stande. Lebenslang werde ich beides nicht vergessen, tausendmal 
mit gerührter Freude daran denken; namentlich an das köstliche 
Terzett: 

O quam tristis et afflicta 
Fuit mater benedicta — 

Lieber Albert: Dies ist mir so in die Seele gedrungen, hat mit dieser 
sich so vereinigt, daß ich es, wie es ist, in mir trage, von innen 
heraus höre, und (laß es mich gestehen) vor Schlafengehen gebetet 
habe: Gib, daß ich es noch höre, wenn ich einst auf dem Sterbe- 
lager ruhe! « 

Als sich danach Therese in stofflich ziemlich femliegende Re- 
flexionen verliert, wird sie durch ihre Schwester Ottilie im Schreiben 
unterbrochen. 

»Ach, da kommt Ottilie. Wie? was? ruft sie. Weißt Du denn, 
daß es bald Mittag ist? Und Du sitzest noch auf derselben Stelle, 
und glühest über und über? »Ich muß nur erst noch . . . « »Nichts 
mußt Du noch! gar nichts! Es kommen der Tage mehrere! Ich 
weiche nicht vom Fleck, bis Du geschlossen hast!« — Ich bitte: 
es hilft nichts. Sie klingelt nach Licht. Nein, das ist zu arg: sie 
nimmt mir das Schreibzeug weg. »Ottilie, höre doch: nur noch 
einen vernünftigen Abschied!« — »Wer einen vernünftigen Brief 
fünf Bogen lang erhält, der denkt sich den schon selbst dazu!« — 
»Ottilie: nur noch eine Feder voll! im Ernste!« — »Nun da! aber 
nicht mehr!« Was will ich machen? Für heute also nur das herz- 
lichste Lebewohl, Du lieber, guter Albert! Tausend Grüße... 
O weh: aus ist's! Also nur mit Bleifeder: Deine getreue Therese. «^ 

Das ist der Brief, der in der Astorga-Literatur eine Umwäl- 
zung hervorrufen sollte. Wir können diese Wirkung heute kaum 
mehr begreifen. Dem unbefangenen Betrachter stellt sich das 
ganze Schriftstück als eine freie Phantasie dar, in der, nach 
Art der historischen Romane, einige geschichtliche Momente 
benutzt und durch hinzuerfundene ergänzt wurden. Keinem 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga-Roman. 153 

Historiker würde es heute einfallen, das hier Vorgetragene als 
Geschichte anzusehen und als solche weiterzuerzählen. Man 
erkennt sofort, daß die geschichtlichen Partien in dem Briefe 
infolge ihrer Verquickung mit der rein erfundenen Handlung der 
Realität entbehren. Diese Partien sind einer fingierten Person 
in den Mund gelegt, bzw. werden sie aus dem »Studienbande« einer 
fingierten Person von einer anderen fingierten Person abgeschrieben, 
— damit rücken sie aber aus der Sphäre des Tatsächlichen in die 
der Phantasie. 

Solch eine sachliche Beurteilung fanden diese Astorga-Notizen 
bei Rochlitz' Zeitgenossen und unmittelbaren Nachfolgern, die sich 
mit Musikgeschichte beschäftigten, jedoch nicht. Diese sahen sie 
überhaupt nicht kritisch an, sondern ließen sich durch die Fülle 
des interessanten Materials blenden, die hier vor ihnen ausge- 
schüttet lag. Voller Freude, nun die bisher so spärlichen Nach- 
richten über Astorgas Leben in ihren Schriften wesentlich bereichem 
zu können, rissen sie Rochlitz' Astorga-Notizen aus dem Brief- 
zusammenhang heraus und erzählten sie als Geschichte weiter. 

Einem einzigen von ihnen, dem ersten, der die Notizen in weitere 
Kreise trug, fiel wenigstens die ganz ungenügende Quellenangabe 
der Neuigkeiten auf. Es war der Autor des Astorga-Aufsatzes in 

Schillings »Universal-Lexikon der Tonkunst«, das 1835 
in Stuttgart erschien i. Er macht am Ende seines Artikels Rochlitz 
den Vorwurf, »uns bis jetzt noch die Quellen seiner Erzählung 
schuldig geblieben « zu sein, »auf deren Bekanntmachung alles an- 
kommt, um genauerer, oder wenigstens selbst eigener Prüfung 
willen. Da diese Quellenangabe«, so fährt er fort, »vielleicht auch 
manchem nähere Spuren für ein weiteres Forschen ausfindig machen 
könnte, so wird der geehrte Erzähler sie uns gewiß nicht länger 
vorenthalten, da er durch Anzeige derselben der guten Sache nützt, 
sich selbst aber nicht schadet, sobald nur die noch unbekannten 



^»Encyclopädie der gesamten musikalischen Wis- 
senschaften oder Universal-Lexikon der Tonkunst«. Re- 
dakteur: Dr. GustavSchilling. — Der Astorga- Artikel ist mit » + b.« 
unterzeichnet. Möglicherweise könnte L. Hellst ab der Verfasser sein; 
sein Name wird unter den Mitarbeitern des Lexikons genannt. 



154 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Quellen nicht gar zu nichtig sind, was wir hier nicht im geringsten 
zu befürchten haben. Da es aber überall Ungläubige gibt, so bitten 
wir hier den Erzähler wiederholt um vollständige Anzeige dieser 
Quellen, um der Sache und um des Erzählers willen, damit auch 
die Gegner schweigen. « 

Darauf hätte Rochlitz antworten müssen. Er hätte den Sach- 
verhalt klarlegen und eingestehen müssen, daß zum mindesten ein 
Teil seiner Neuigkeiten der authentischen Quellen entbehrte. Aber 
er tat es nicht. Obwohl er das Erscheinen des Schillingschen Lexi- 
kons um sieben Jahre überlebte, äußerte er sich nicht zu der 
Angelegenheit. Weder in einer Zeitschrift noch im Texte seiner 
»Sammlung vorzüglicher Gesangstücke «(1838 — 1840),indem 
am besten dazu Gelegenheit gewesen wäre, weil er hier auch auf Astorgas 
Werke zu sprechen kommt, hat Rochlitz ein Wort darüber verloren. 

Was mag der Grund von Rochlitz' beharrlichem Schweigen ge- 
wesen sein? Mit der Veröffentlichung seines Aistorga-Briefes hatte 
er die Absicht verfolgt, für die fast ganz vergessenen Werke des 
Meisters, namentlich für dessen Stabat Mater, Teilnahme zu er- 
wecken. Und das gelang ihm wirklich bis zu einem gewissen Grade. 
In seinen »Grundlinien zu einer Geschichte der Gesangs- 
musik«!, in denen er auch der Kunst Astorgas einen Abschnitt 
widmet, wirft er sich darob stolz in die Brust. Er mochte diesen 
Erfolg wohl der Romantik der von ihm erzählten (.ebensgeschichte 
zuschreiben. Erklärte er nun auch nur einzelne dieser Nach- 
richten für unwahr, so entzog er damit der Person Astorgas die 
Teilnahme der Menge; dann mußte auch ihr Interesse für den 
Tondichter Astorga schwinden, und die kaum wiedererweckte 
Pflege der Astorgaschen Musik drohte von neuem einzuschlafen. 
Um das zu vermeiden, mochte Rochlitz strengstes Stillschweigen 
über die ganze Angelegenheit bewahren. 

Ehe wir auf die Einzelheiten seines Artikels eingehen, müssen 
wir uns darüber unterrichten, wie es überhaupt mit der Zuverlässig- 
keit Rochlitz' in historischen Dingen steht. 



^ 1832 als vierter Band der Sammlung »Für Freunde der Ton- 
kunst« erschienen. Die betreffende Stelle steht S. 134f. 3. Aufl. S. 87 f. 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga-Roman. 155 

Johann Friedrich Rochlitz, der sein Leben (1769—1842) 
fast ausschließlich in Leipzig verbrachte, war einer der angesehen- 
sten Schriftsteller seiner Zeit. In weitesten Kreisen bereits als Ver- 
fasser gefühlvoller Romane, Novellen und Gedichte bekannt, eroberte 
er sich auch die Achtung der Musikkenner und -freunde als Musik- 
schriftsteller. Wirkliche Verdienste hat sich Rochlitz als Mitbe- 
gründer und (bis 1818!) Chefredakteur der bei Breitkopf und Härtel 
herausgegebenen »Allgemeinen Musikalischen Zeitung« er- 
worben. In dieser Zeitschrift wirkte er unermüdlich und tatkräftig 
für die Einbürgerung der Werke Mozarts, Haydns und Beethovens. 
Als einer der ersten Herausgeber von Musterbeispielen aus der 
älteren Musikliteratur, — der schon genannten »Sammlung vor- 
züglicher Gesangstücke« — , hat er Bahnbrechendes geleistet. 
Das hohe Ansehen, das er als Herausgeber, Musikästhetiker und 
Kritiker weit und breit genoß, veranlaßte seine Zeitgenossen, auch 
die historischen Notizen, die Rochlitz gelegentlich publizierte, auf 
Treu und Gla^iben hinzunehmen. Aber nicht lange nach seinem 
Tode erschütterten die historischen Forschungen bedeutender Ge- 
lehrten das Vertrauen der Nachwelt zum Historiker Rochlitz voll- 
ständig. 

Otto Jahn bewies in seinem »Mozart«, daß Rochlitz nicht nur 
mehrere Tatsachen aus Mozarts Leben zu entstellen gewagt, nein 
auch verschiedene von ihm erzählte Einzelheiten über Mozart frei 
erfunden hatte ^. Von einem angeblich ganz von Mozart stammen- 
den Briefe konnte Jahn nachweisen, daß ihn Rochlitz zum großen 
Teile erdichtet hatte*. Auch Friedrich Chrysander ertappte 
Rochlitz bei einer unrichtigen Darstellung historischer Tatsachen' 
und fällte das treffende Urteil über ihn: »Rochlitz gehört zu den 
Geistreichen, die geschichtliche Einsicht verachten und doch aller 
Orten mit ihrem historischen Wissen großtun. « Nicht einmal auf 
einem Gebiete, das er aufs bequemste hätte studieren können, be- 



' »W. A. Mozart«, Erste Auflage Bd. II, 8.447, Bd. III, S.162f. 
224 und 225; V i e r t e Auflage Bd. I, S. 660, 833 und 835. 

» Erste Aufl. III, 496f., vierte Aufl. II, 123. 

» »0. Fr. Händel« I, 12. 



156 2. Teil: Astorga-Literatur, 

müht sich Rochlitz, historisch Richtiges zu geben: Er entwirft 
vom Leipziger Kirchenkultus vor und zu Bachs Zeit ein zum großen 
Teile falsches Bild, wie Philipp Spitta in seinem »Johann Seba- 
stian Bach« festgestellt hat^. Auch Moritz Fürstenau> erklärt 
eine höchst zweifelhafte Angabe Rochlitz' durch dessen Neigung, 
»einfache, durch die Verhältnisse herbeigeführte Tatsachen ins Ge- 
wand romantischer Erzählung zu kleiden«. Auch er hatte ihn 
erkannt. 

Diese Beispiele genügen, um darzutun, daß Rochlitz kein gewissen- 
hafter Historiker war. Wenn er aber selbst in rein geschichtlichen 
Arbeiten nicht bei der Wahrheit blieb, — ist es dann ein Wunder, 
daß er in einer phantastischen Plauderei, wie der Astorga-Brief ist, 
seiner Einbildungskraft die Zügel schießen ließ? 

Indirekt gesteht Rochlitz in seinem Aufsatz selbst, darin 
fabuliert zu haben. Er läßt seinen Erzähler ausdrücklich be- 
kennen, die Notizen der älteren Autoren, »so gut er kann, verbunden 
und die Lücken nach Wahrscheinlichkeit ausgefüllt zu haben.« 
Daraufhin und nach unsren obigen Darlegungen darf man aber 
getrost allen Stoff, der sich allein bei Rochlitz, nicht aber bei den 
älteren, von ihm mit Namen genannten Autoren (Hawkins und 
Gerber) findet, als »Lückenausfüllung nach Wahrscheinlichkeit« 
betrachten. Diesen »Füllstoff« entlehnte er zum Teil allgemein- 
geschichtlichen Werken. Er läßt seinen Erzähler ja erklären, er 
habe »einige Werke über Geschichte einzelner italienischer Staaten 
und einige Sammlungen Flugschriften oder [!] Briefe aus jener Zeit« 
benutzt. Wenn er aber hinzufügt, in diesen Werken werde »Astor- 
gas, obgleich nur nebenbei, gedacht «, so erscheint das im Zusammen- 
hang mit dem Ganzen wenig glaublich. Astorga wurde in jenen 
Schriften höchst wahrscheinlich überhaupt nicht genannt; Rochlitz 
stellte seine Person wohl nur mit poetischer Lizenz in die dort ge- 
schilderten Verhältnisse hinein. Außer aus allgemeingeschichtlichen 
Werken gewann Rochlitz das Material zu der »Lückenausfüllung « 



^ Bd. II, S.55, Anm. 

>»Zur Geschichte der Musik und des Theaters am 
HofezuDresden«. Dresden, 1862. Bd. 11, S. 80f. 



IL Kap.: Rochlitz' Astorga-Roman. 157 

zum Teil durch Folgerungen, zum Teil schöpfte er es aus seiner 
Phantasie 1. 

Klar erkennbar hebt sich aus dem gesamten Material der Grund- 
stock der authentischen Notizen aus Hawkins und Gerber heraus, 
der Komplex jener Einzelheiten, die uns bereits bekannt waren. 
Überall, wo er jenen bedeutenden Geschichtschreibern getreulich 
Gefolgschaft leistete, blieb Rochlitz auf sicherm Boden. Doch 
benutzte er die alten Nachrichten nicht vollständig. Einige Details, 
die ihm offenbar nicht romantisch genug waren, ließ er weg. So 
konnte er den augenleidenden, mit englischen Kaufleuten ver- 
kehrenden Baron nicht gebrauchen. Auch daß der Schöpfer des 
»Stabat Mater « eine Schäferoper komponiert hatte, paßte ihm nicht. 
Er erwähnte dieses Werk lediglich in einer Anmerkung, in der er, 
allerdings mit Recht, die Meldung von der Inszenierung der Oper 
in Breslau durch den Meister selbst in Zweifel zog. In den »Grund- 
linien« (l.Aufl. S. 136, 3. Aufl. S. 88) bezweifelt er aber über- 
haupt, daß Astorga eine Pastoraloper geschrieben hat. Er sagt 
dort: »Eine einzige kleine Schäferoper soll er geschrieben haben. 
Die Quelle dieser Nachricht ist bedenklich. « Er hat sich also nicht 
einmal die Mühe genommen, Walthers Lexikon einzusehen, auf das 
Gerber bei der Dafnisnotiz ausdrücklich hinweist. Dort hätte er die 
ganz »unbedenkliche« Quelle, Matthesons »Patriot« , zitiert gefunden. 
In dem Briefe bot Rochlitz das Material von Hawkins und 
Gerber, Kleinigkeiten abgerechnet, getreu. Gegen die einfachen 



1 Vielleicht ließe sich über die Entstehung der Rochlitzschen Geschichten 
aus dem literarischen Nachlaß Rochlitz' volles Licht gewinnen. Ich versuchte 
deshalb, den Nachlaß ausfindig zu machen. Doch konnte ich seinen Verbleib 
nur zum Teil ermitteln. Das einzige, was ich fand, ist ein Konvolut > R o c h - 
litziana« auf der Leipziger Universitätsbibliothek. Es 
enthält Zeitungen, Konzepte zu Vorträgen, sowie des Verfassers durchschossen 
gebundenes Handexemplar der » r u n d 1 i n i e n «. In letzteres sind hand- 
schriftliche Nachträge für eine neue Auflage des Buches — offenbar kurz vor 
Rochlitz' Tode — eingezeichnet. In den Astorga betreffenden Partien findet 
sich kein Wort der Ergänzung oder Erklärung. — Wegen Aufspürung des 
übrigen Nachlasses wandte ich mich an Herrn Professor Dr. Wustmann, 
Direktor der Stadtbibliothek zu Leipzig. Er wies mich an Herrn Justizrat 
G e n 8 e 1 in Leipzig, einen besonderen Rochlitzkenner, der mir jedoch auch 
nk:ht zu dem Gesuchten verhelfen konnte. 



158 2. Teil: Astorga- Literatur. 

logischen Folgerungen, die er aus diesen Nachrichten zog, ist nichts 
einzuwenden. Daß Astorgas Vater ein sizilianischer Baron war, daß 
Emanuei, als Edelmann, nicht öffentlich als Künstler auftrat, daß 
er die Hauptstädte Europas besuchte, — all diese Einzelheiten 
ergeben sich von selbst, sind richtige Schlüsse. 

Dagegen aber nun die Menge willkürlicher Folgerungen und 
Annahmen! 

Verschiedene offenbare Unwahrheiten wurden als solche bereits 
vom in den Anmerkungen gekennzeichnet. Unwahr ist, daß Astorga 
in Palermo oder auf einem Gute seines Vaters geboren sei, unwahr 
ist, daß sein Vater Jeronimo geheißen habe und als Empörer hin- 
gerichtet worden sei. Unwahr sind alle aus diesen Annahmen ge- 
folgerten Einzelheiten, die Todesart der Mutter, die Einziehung der 
Güter, das Fernbleiben Emanuels von seinem Heimatland. Wie 
kam aber der Verfasser zu jenen falschen Voraussetzungen? 

Rochlitz sah in Astorga in erster Linie den Schöpfer des Stabat 
Mater. Daß er gerade zur Komposition dieses Werkes besonders 
berufen gewesen sei, wollte Rochlitz durch sein Märchen begründen. 
Emanuei hatte in dem Werke die ergreifendsten Töne für die 
Schmerzen der Maria auf Golgatha gefunden; dann mußte er, nach 
Rochlitz' Vorstellung, selbst eine ähnlich grausige Szene wie Maria 
erlebt haben. So erfand Rochlitz das Gräßliche: Den Sohn, der 
den Vater auf dem Schafott und die Mutter »unter Zuckungen des 
Entsetzens« enden sieht. In einem so schwer Geprüften mußten 
wohl bei der Beschäftigung mit dem Stabat Mater-Text eigene Er- 
innerungen wach werden, die ihn zur tiefsten und ergreifendsten 
Vertonung des Gedichtes inspirierten. So hatte Rochlitz mühelos 
ein erschütterndes Jugenderlebnis, eine Begründung für die Ver- 
schollenheit des Familiennamens und eine gute Motivierung für 
das Zustandekommen der besonders inhaltschweren Komposition 
des Stabat Mater gefunden. 

Rochlitz zog ferner den Schluß: Ein Mensch mit den geschilder- 
ten Erfahrungen mußte ein ernster Charakter geworden sein, die 
Saiten seiner Leier mußten für den Ausdruck der Trauer, nicht der 
Lust gestimmt sein. Wie hätte also Emanuei eine leichte Schäfer- 
oper komponieren sollen, — o nein ! Aber ein R e q u i e m , das mußte 



II. Kap.: Rochlitz' Astorga-Roman. 159 

etwas für ihn sein. Nun hatte zwar Rochlitz nirgends etwas über 
ein Requiem von Astorga gelesen, geschweige eine Note von einem 
solchen gesehen. Aber gleichwohl konnte Astorga doch eins ge- 
schrieben haben, — und diese Möglichkeit genügte dem Dichter. 
Die geheimnisvolle Bemerkung dazu, es wollen sich nur einzelne 
Sätze davon vorfinden lassen, nahm sich im Ganzen vortrefflich 
aus. Wer etwa nach jenen Fragmenten in Bibliotheken suchen 
wollte, dessen Bemühen wäre vergeblich: Astorgas Requiem hat 
nirgends als in Rochlitz' Phantasie existiert. 

Wie steht es nun aber um die geschichtliche Untermalung, 
die Rochlitz den von ihm erfundenen erschütternden Jugend- 
erlebnissen Emanuels gab? Entspricht sie wenigstens den Tat- 
sachen? Wir werden sehen. Liest man sie für sich durch, so fallen 
einzelne Unklarheiten darin auf. So bleibt dunkel, welcher Art die 
» Streitigkeiten « waren, in denen Astorgas Vater eine Rolle gespielt 
haben soll. Nur verschwommen ist auch der Schauplatz der 
Ereignisse angedeutet. Rochlitz spricht von Verwirrungen und 
Kriegen um die Vereinigung Siziliens mit Neapel und läßt die 
Streitigkeiten im Jahre 1701 mit einer Katastrophe »in Neapel und 
Sizilien« enden. Mit der Jahreszahl ist ein fester Punkt gegeben. 
Durchforscht man die Geschichte der Mittelmeerstaaten dieses 
Jahres, so läßt sich lediglich in Neapel ein Konflikt mit blutigem 
Ausgang nachweisen. Daß Rochlitz zunächst diesen allein im 
Sinne hatte, dafür spricht seine plötzliche Erwähnung einer Ver- 
schwörung, von der vorher ganz und gar nicht die Rede war. 
Er hatte zweifellos in einem Werke über neapolitanische Geschichte 
nachgelesen 1 und darin die Macchia- Verschwörung, die im Jahre 
1701 in Neapel angestiftet und gesprengt wurde (wir kommen im 
IV. Kapitel darauf zurück), für seine Zwecke brauchbar gefunden. 
Nun hatte er aber als Wohnsitz Emanuels bisher nur Sizilien genannt ; 
er mußte also eine Verbindung herstellen. Er half sich sehr einfach, 
indem er die »furchtbaren Szenen« der Verschwörung in Neapel 
und in Sizilien sich abspielen ließ. Während des Schreibens be- 

^ Verschiedene Werke können in Betracht kommen. Eins mit Wahr- 
scheinlichkeit als seine Quelle zu nennen, ist jedoch nicht mögUch, da Rochlitz 
alle entlehnten Züge bis zur Unkenntlichkeit verwischt hat. 



160 2. Teil: Astorga-Literatur. 

festigte sich in ihm der Glaube, daß Sizilien der Ort jener Szenen 
gewesen sei, und gegen Ende seiner Notizen sagt er, Emanuel habe 
auf seinen Reisen allein sein Vaterland, »für ihn den Schauplatz 
des Entsetzens«, vermieden. Damit bezeichnet er, die frühere Un- 
bestimmtheit aufgebend, Sizilien als den Ort, wo die Opfer jener 
Verschwörung fielen. In Sizilien kam es aber, wie vom nachge- 
wiesen wurde, im Jahre 1701 zu keinerlei blutigen Auftritten. 
Wieder müssen wir Rochlitz durch die Hintertüre der poetischen 
Lizenz hinausschlüpfen lassen. 

Schwerlich dürfte zu entscheiden sein, wie Rochlitz dazu kam, 
Emanuels Vater den Namen Jeronimo beizulegen. Der Name 
Girolamo oder Jeronimo, — beides italienische Formen für den 
lateinischen Hieronymus — , kommt bei den Italienern häufig 
vor. Rochlitz konnte ihn also ganz willkürlich gewählt haben. 
Vielleicht hatte er aber auch den Vornamen einer der Männer, die 
er in der Geschichte der Macchia- Verschwörung erwähnt gefunden, 
herausgegriffen. In der Tat kommt ein Girolamo Capece, Mar- 
chese di Rofrano,in allen ausführlicheren Beschreibungen jener 
Verschwörung vor. Natürlich wäre die Entlehnung des Vornamens 
von dorther nicht minder willkürlich. Gleichwohl sollte diese Mög- 
lichkeit spätere Astorgabiographen auf eine falsche Bahn lenken, 
die in ein völlig fremdes Gebiet hinüberleitete. 

Wir wenden uns nun jenen Notizen zu, die sich zwar nicht 
durch Widerspruch mit authentischen Meldungen als bestimmt un- 
wahr kennzeichnen, die aber, weil sie bei dem Fabulisten Rochlitz 
zuerst erscheinen, zum mindesten verdächtig sind. 

Da ist die Nachricht von dem Eingreifen der Fürstin Ursini 
in die Jugendentwicklung Emanuels. Schon im ersten Teile wiesen 
wir sie als unglaubwürdig ab. Auf welchem Wege gelangte aber 
Rochlitz zu dieser Annahme? Wohl auf dem folgenden: Er wollte 
den Ursprung des Namens »Astorga« erklären. Die von Hawkins 
und dann von Gerber gegebene Erklärung nach der spanischen Stadt 
genügte ihm nicht. Er brauchte irgend eine interessante Persön- 
lichkeit am spanischen Hofe, die jene Namensverleihung veranlassen 
mußte. In der Fürstin Ursini war sie leicht gefunden, in jener 
weltberühmten geist- und energievollen Diplomatin, die länger als 



IL Kap.: Rochlitz' Astorga- Roman. 161 

ein Jahrzehnt den spanischen Hof zu beherrschen wußte. Durch 
sie stellte Rochlitz mit einem geschickten Zuge die Verbindung 
zwischen dem jungen sizilianischen Baron und der Stadt Astorga 
in Spanien her. Er erklärte die Fürstin zu seiner Beschützerin und 
ließ ihm durch sie ein Asyl im Kloster zu Astorga anweisen. Die 
Titelverleihung ergab sich so aufs natürlichste, und der angeblich 
bettelarme Edelmann konnte durch die einflußreiche Dame oben- 
drein »eine jährliche Unterstützung« ausgewirkt erhalten, die ihm 
ein standesgemäßes Leben ermöglichte. So war dem armen Bur- 
schen doch geholfen. 

Sodann die romantische Episode am Hofe zu Parma. 
Selbst wenn Emanuel zu der von Rochlitz angegebenen Zeit in 
Parma gewesen wäre,, wofür keinerlei Beleg vorhanden ist, selbst 
wenn er sich mit einer Prinzessin bei Hofe in einen Liebeshandel 
eingelassen hätte, — in keinem Falle war letzterer von der Art, 
wie ihn Rochlitz charakterisiert. Denn die einzige Person, die 
danach aus der herzoglichen Familie in Betracht kommen könnte, 
war die Nichte und Stieftochter des Herzogs Franz, Elisabeth 
F a r n e s e. Diese war aber damals erst elf Jahre alt i. Ein Verhältnis, 
wi^ es Goethe im Tasso schildert, konnte also nicht bestehen. Aber 
Rochlitz hat auch sicherlich nicht speziell diese Prinzessin gemeint. 
Er dachte sich die typische Prinzessin, in die sich der Held der Ge- 
schichte, wie üblich, zu verlieben hat. Er nennt ja keinen Namen 
der Geliebten und deutet die Beziehungen nur allgemein und ver- 
schwommen an. »Dies besondere Verhältnis«, sagt Rochlitz, 
»geben uns, die seiner gedenken, . . . mehr zu erraten als daß sie es 
darlegten. « Das kommt aber bei Rochlitz dem Bekenntnis gleich, 
die ganze Episode »erraten«, d. h. erfunden, erdichtet zu haben. 

Ein rührendes Liebesgeschichtchen durfte doch nicht fehlen, 
wenn das Ganze fesseln sollte. Und Interesse für den Komponisten 
zu erwecken, betrachtete ja Rochlitz als seine Hauptaufgabe. Des- 
halb wählte er auch gerade Parma als Ort der Episode. Der Hof 
der Farnese zu Parma war ob seines Glanzes Jahrhunderte hindurch 
berühmt. Kein Kavalier versäumte ihn zu besuchen. Selbst der 



^ Nach den Darlegungen von S t e c h o w. Vgl. S. 204 f. 
Volkmann, Astorga. I. 11 



162 2. Teil : Astorga-Literatur. 

Doktor Faust im deutschen Puppenspiele mußte ein Abenteuer am 
Hofe zu Parma erleben. Rochlitz wußte recht gut, daß Parma, 
obwohl sein Glanz längst erloschen war, in der Vorstellung des Volkes 
noch immer als Stadt der rauschenden Feste mit den interessantesten 
Gästen galt. Deshalb ließ er Astorga in Parma seinen Liebestraum 
träumen. Nähere Einzelheiten konnte Rochlitz über das Liebes- 
verhältnis nicht angeben, ohne Gefahr zu laufen, in offenen Wider- 
spruch zur Geschichte zu geraten. So empfahl er denn dem Leser, 
sich die Einzelheiten nach dem Schema von Goethes Tasso selbst 
auszumalen. Er half nur mit der Kolorierung nach, daß Emanuel, 
den er ja zum »herzrührenden Tenor« gestempelt hatte, Kantaten 
und Duette für seine »erlauchte Schülerin und sich selbst, — für 
Sopran und Tenor a^ — komponiert habe. So erhielt die nach 
Parma verpflanzte Tasso -Episode auch noch eine musikalische 
Würze. 

Schließlich noch ein Wort über Rochlitz' Äußerung, Astorga 
habe »wahrscheinlich seine Tage in Böhmen beschlossen«. Hier 
liegt lediglich eine freie Ergänzung der Notiz bei Hawkins und 
Gerber vor, nach der Emanuel unter anderen Ländern auch Böh- 
men besuchte. Wir wissen, daß Rochlitz' Ergänzung falsch ist. 
Mit seiner Vermutung, daß Emanuel in einem Kloster starb, kann 
er vielleicht das Richtige getroffen haben; nur lag dies Kloster 
dann nicht in Böhmen, sondern im fernen Spanien. 

Es ist eine unerfreuliche Aufgabe, das duftige Gebilde eines 
Dichters zu zerpflücken und im einzelnen darzulegen, was daran 
geschichtliche Tatsache und was freie poetische Zutat ist. Aber 
als Historiker mußten wir im Vorliegenden diese Aufgabe lösen. 
Anders ließ sich nicht beweisen, daß das, was Rochlitz außer dem 
von Hawkins und Gerber Übernommenen mitteilt, unhistorisch 
ist. Ein paar einfache Folgerungen Rochlitz' sind richtig und an- 
nehmbar; — alle anderen, in so reicher Anzahl von ihm dai^ebotenen 



^ Bis heute habe ich nicht ein einziges Duett für Sopran und Tenor von 
Astorga nachweisen können.- Höchst wahrscheinlich kannte Rochlitz ebenso- 
wenig solche. — Die Angabe in E i t n e r s Q.-L. (Artikel Astorga), das Duett 
»Caro tu parti«inderDresdnerBibliothekseifür Sopran und 
Tenor, beruht auf Irrtum. Es ist für Sopran und A 1 1. 



1 1 L Kap. : Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung. 163 

Neuigkeiten halten aber einer ernsten Kritik nicht stand. Die 
Kenntnis von Astorgas Leben ist also durchRochlitz um 
keinen nennenswerten Punkt bereichert worden. Wohl 
hat Rochlitz aber eine Menge fremder, unwahrer Züge in das Bild 
des Meisters eingefügt, — so viele, daß sie das ursprüngliche, echte, 
fast unkenntlich machen. 

Mit dem Dichter, welcher für seine Zwecke der Geschichte ent- 
lehnte Gestalten umformt, ist über diese Behandlungsweise nicht 
zu rechten. Er folgt anderen Gesetzen als der Geschichtschreiber. 
Wenn sich aber, wie in unserm Falle, beider Gebiete aufs engste 
berühren, ja teilweise ineinander übergehen, wenn die Gefahr von 
Mißverständnissen nahe liegt, dann hat der Schriftsteller die Pflicht, 
ausdrücklich zu bekennen, ob er als Dichter oder als Historiker 
geschrieben hat. Das hat aber Rochlitz unterlassen, er hat es noch 
unterlassen, als er sich bereits mißverstanden sah. Er trägt die 
Hauptschuld daran, daß in der Astorga-Literatur der Folgezeit 
Irrtum und Täuschung Platz griff. 



m. Kapitel. 
Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung« 

Rochlitz' Astorga-Roman ist gewiß kein Werk von hervor- 
ragenden poetischen Qualitäten. Aber in seinen Einzelheiten enthält 
er mannigfache Keime zu dichterischer Weiterentwicklung. Es ist 
deshalb kein Wunder, daß sich alsbald andere Dichter des Stoffes 
bemächtigten und die von Rochlitz hingeworfenen Motive weiter 
ausführten. Novellen, Epen und Dramen kamen auf diese Weise 
zustande 1. Diese Werke näher zu betrachten, ist hier nicht der Ort. 



^ Bisher sind mir folgende Titel von Astorga-Dichtungen bekannt ge- 
MTorden: 

S p i n d 1 e r , Emanuel d'Astorga. Novelle. (Vor 1840?). 
Qünzburg, Joh. Franz: Der Baron d'Astorga. Novelle. »Der Wan- 
derer«. 1841. 
Polko, Elise: Ein unbekanntes Grab. Musikal. Märchen usw. 
2. Reihe (1859). 

11* 



164 2. Teil: Astorga- Li teratur. 

Hier soll nur das Weiterwirken von Kochlitz' Astorga- Roman in der 
musikgeschichtlichen Literatur verfolgt werden. 

Bereits im vorigen Kapitel erwähnten wir die früheste Wieder- 
gabe der Notizen als historische Tatsachen in Schillings Lexikon. 
Die vom Autor dieses Artikels an Rochlitz gerichtete Bitte um 
Quellenangabe sollte überraschenderweise von anderer Seite schroffe 
Zurückweisung erfahren. Der wackere Kämpe, der sich für Roch- 
litz in die Schanze schlug, war SimonMolitor. Er veröffentlichte 
einen Aufsatz: 

»Bemerkungen zur Lebensgeschichte Emanuels, ge- 
nannt der Baron von Astorga« in der Allgemeinen Musi- 
kalischen Zeitung vom 13. und 20. März 1839 (41. Jhrgg., Nr. 11 
und 12). Voller Entrüstung wendet er sich gegen den »Pyrrhonis- 
mus (( des Anonymus im Schillingschen Lexikon, der am allerletzten 
einer Autorität wie Rochlitz gegenüber am Platze sei. Was ein 
Mann wie Rochlitz veröffentliche, das werde auch aus unanfecht- 



P a s q u 6 , Ernst: Astorga. Romantische Oper in 3 Akten. Musik von 
J. J. A b e r t. Aufgeführt 1866 in Stuttgart und 1870 in Wien. 

Lingg, Hermann: Astorga. Epos. »Der Salon« Bd. III. (1868). 

Wickenburg-Almäsy, Wilhelmine, Gräfin: Emanuel d' Astorga. 
Erzählendes Gedicht. Heidelberg 1872. 

Roquette, Otto: Astorga. Novelle. Westermanns Monatshefte 1874. 

Leythäuser-Melano, Max: Astorga. Drama. 1875. 

Eine Würdigung dieser Werke soll später an anderer Stelle gegeben werden. 
Nur zu der historischen Vorbemerkung, die P a s q u 6 seinem Libretto bei- 
gibt, muß schon hier ein Wort gesagt werden. P a s q u 6 nennt darin Rochlitz 
als seine Hauptquelle und erklärt, er habe in der »Histoire de Sicile« 
von Burigny (La Haye 1745, Bd. II, S. 424) verzeichnet gefunden, daß 
»in den ersten Jahren des vorigen Jahrhunderts, unter dem Vizekönig 
Marquis (Herzog) Carlos PhilippSpinola von Los B a 1 b a z e s ein 
Aufstand in Sizilien stattgefunden habe, nach dessen Bewältigung Balbazes 
einen der Haupträdelsführer, den Prinzen »de Paligonie« habe hin- 
richten lassen«. Diese Notiz verschmolz Pasqu6 mit Rochlitz' Angaben über 
den Tod von Emanuels Vater. — Burignys Nachricht, die natürlich mit 
Astorga gar nichts zu tun hat, ist unwahr. DiBlasi (Storia cron. de' 
Vicerö di Sicilia, Neue Ausg. 1842, S. 463) nennt denPrincipediPala- 
g p n i a als treuen Begleiter des in Rede stehenden Vizekönigs, der 1707 — 1714 
regierte. Die Herausgeber von d i B 1 a s i s Werk weisen die schändlichen Be- 
schuldigungen, die Burigny gegen den Principe erhoben hat, energisch 
zurück. 



1 1 L Kap. : Rochlitz' Schule. -- Weitere Mythenbildung. 165 

barer Quelle stammen. Man habe ihm einfach zu glauben. Es 
gereicht der Redaktion der Allg. Mus. 2^itung zur hohen Ehre, 
daß sie trotz ihrer freundschaftlichen Beziehungen zu dem früheren 
Redakteur Rochlitz dem Artikel Molitors einen »Zusatz« anhängte, in 
dem sie den Anonymus in Schillings Lexikon in Schutz nahm und 
erklärte, dessen Bitte sei »gut und wohlgemeint«, und ihre baldige 
Beantwortung sei im Interesse der Sache und des Erzählers er- 
wünscht. Wir wissen, daß sie trotzdem nicht erfolgte. 

Molitor rekapituliert alles von Rochlitz Gebotene und fügt etwas 
ausführlichere, jedoch zum Teil irrtümliche ^ Notizen zur allge- 
meinen Zeitgeschichte hinzu. Durch diese will er zeigen, daß sich 
die Rochlitzschen Geschichten recht wohl so haben abspielen 
können, wie sie aufgezeichnet stehen. Bei der Konstruktions- 
weise der Rochlitzschen Notizen ist diese Absicht leicht durchführ- 
bar. Ein Beweis für ihre Wahrheit wird dadurch natürlich nicht 
erbracht. 

Aber Molitor hat auch ein wirkliches Verdienst. Er ist der 
erste, der auf die in Wien befindliche Partitur der Oper Dafni 
von Astorga hinwies und ihren Titel genau angab. Allerdings 
schmälerte er dieses Verdienst selbst wieder, indem er über die Her- 
kunft der Partitur nur halben Aufschluß erteilte. Nur daß sie aus 
der Sammlung »eines vornehmen österreichischen Herrn auf einem 
seiner Schlösser in Mähren« stamme, verriet er. Warum sagte er 
nicht den Namen dieses Herrn, den er doch zweifellos kannte? 
Er hätte vielleicht volles Licht — das jetzt wohl kaum mehr zu er- 
langen ist ^— in die Angelegenheit gebracht und uns viele vergebliche 
Bemühungen erspart'. Während hier Molitor das Richtige ver- 
schwieg, brachte er auf der anderen Seite Falsches zur Sache vor. 
Er zog aus dem Partiturtitel den verfehlten Schluß, »Emanuel 
habe die Oper Dafni für den Hof von Barcelona verfertigt, auch 



^ Wenn Molitor Sizilien »1714 im Badener Frieden unter den Szepter 
Österreichs « kommen läßt, verrät er, daß er sich über den Anfang der Herr- 
schaft der Österreicher auf Sizilien arg täuschte und von der des Hauses Savoyen 
(1713—1718) nichts wußte. 

« Vgl. S. 63 und 91. — Der von Molitor genau genannte Titel der Oper 
Dafni wird von seinen Nachschreibem alsbald wieder in Dafne umgewandelt. 



166 2. Teil: Astorga-Literatur. 

daselbst persönlich in die Szene gebracht«. Wir haben im IV. Ka- 
pitel des ersten Teiles diese Annahme eingehend widerlegt. 

Molitor hatte auch sonst bei eigenen Zutaten keine glückliche 
Hand. Er stellte die Hypothese auf, Francesco Scarlatti könne 
Emanuels »Lehrer in der Setzkunst « gewesen sein. Daß dieser An- 
nahme jeder stichhaltige Grund fehlt, wurde vorn erwiesen (S. 48f). 
Wenn Molitor aus Rochlitz' Chronologie herausrechnet, Astorga 
müsse im Jahre 1720 zum zweiten Male nach Wien gekommen sein, 
so gelangte er von willkürlichen Voraussetzungen zu einem höchst 
zweifelhaften Resultat. Daß sich Astorga im Jahre 1712 in Wien auf- 
gehalten hat, davon weiß Molitor nichts. 

Hatte Rochlitz seine Astorga-Geschichten schlicht und naiv 
erzählt, hatte sie der Anonymus in Schillings Lexikon mit einem 
großen Fragezeichen versehen weitergegeben, so behandelte sie 
Molitor mit vollem Ernst und Eifer als Ergebnisse wissenschaftlicher 
Forschung und baute vertrauensvoll darauf weiter. So kam es, 
daß er mit seinem Artikel gerade das Gegenteil von dem erreichte, 
was er beabsichtigt hatte. Er wollte der Wahrheit dienen, aber er 
bahnte den alten Irrtümern neue Wege und fügte neue Irrtümer 
hinzu. 

Nicht minder fest als Molitor war Wilhelm Heinrich Riehl 
von der Wahrheit der Rochlitzschen Mitteilungen überzeugt. In 
seinen 

Musikalischen Charakterköpfen (L Band, Stuttgart 1853, 
S. 16f.) widmete er Astorga einen Abschnitt. Darin erweist er sich 
als getreuer Jünger Rochlitz', den er übrigens an Geschmack und 
dichterischer Begabung weit übertrifft. Riehl hat Rochlitz' Er- 
zählung modernisiert und künstlerisch auf eine höhere Stufe ge- 
hoben. Man würde seinen Artikel für eine geistvolle Plauderei ohne 
alle historischen Prätentionen halten, betonte nicht Riehl selbst 
mit Nachdruck seinen Glauben an das, was er vorträgt. »Die 
Kritik«, sagt er, »hat die Echtheit mancher der berührten Einzel- 
züge aus Astorgas Lebensroman angezweifelt. Sie hat zu wenig 
Prosa, zu wenig Philister darin gefunden, um den Stempel der 
Glaubwürdigkeit wahrzunehmen. Die kargen Reste von Astorgas 
Werken geben wenigstens insoweit Zeugnis für die Echtheit jener 



1 1 1. Kap. : Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung. 167 

Einzelzüge, als Sangesweisen und Harmonien überhaupt Zeugnis 
geben können für Tatsachen des äußern Lebens«. Der sonst so 
scharfsinnige Riehl merkte nicht, daß er hier, von Rochlitz ge- 
täuscht, Ursache und Wirkung verwechselte, daß nicht Astorga 
»aus seinem großen Schmerze seine kleinen Lieder« gemacht 
hatte, sondern Rochlitz aus dessen Liedern die Mär von seinen 
großen Schmerzen. Ohne es zu wollen, lieferte Riehl die Gegen- 
probe für Rochlitz' biographische Konstruktion. Sogar mit Einzel- 
heiten wartet er auf. Er sieht in Astorgas »Stabat Mater« bei der 
Stelle »Pertransivit gladius « das Schwert, das »auf dem Richtplatze 
durch die Seele des Jünglings gegangen war, als es seines Vaters 
Leben mitten entzwei schnitt «, und meint, vielleicht habe Emanuel 
»unbewußt die Geschichte seiner eigenen Qual hier in Noten gesetzt «. 
Bei der dichterisch selbständigen Behandlungsweise, die Riehl dem 
Stoffe angedeihen läßt, ist es um so mehr anzuerkennen, daß er 
keinerlei neue, rein erfundene Motive in die Lebensgeschichte des 
Meisters eingefügt hat. Diese strenge Bewahrung des Rochlitzschen 
Materials zeigt, wie weit Riehl davon entfernt war, die Wahrheit 
verletzen zu wollen, die er in Rochlitz' Mitteilungen zu besitzen 
wähnte. 

Riehl hat den Rochlitzschen Roman in geläuterter Form in 
breite Schichten getragen. Noch weit größere Verbreitung ver- 
schaffte ihm aber Franz Brendel in seiner 

Geschichte der Musik (Leipzig 1852, S. 108f.). Obwohl er 
als Historiker schreibt, nimmt er es mit der Wiedergabe des 
Überkommenen doch nicht so genau, wie der poetische Plauderer 
Riehl. Er nennt überraschenderweise als Ort der Hinrichtung 
von Emanuels Vater Neapel. Damit gerät er aber in Wider- 
spruch mit seinem Gewährsmann, der, wenn auch verschwommen 
genug, Sizilien als Schauplatz andeutete. Brendel wollte gewiß 
die Stelle berichtigen, weil sich in der italienischen Geschichte 
anno 1701 nur in Neapel eine Verschwörung nachweisen ließ. 
Auch wenn er Emanuels Vater in den »spanischen Erbfolgekrieg « 
eingreifen ließ, spezialisierte er Rochlitz' Angaben in anfechtbarer 
Weise. * Konsequenz bewies er insofern, als er Emanuel nicht sein 
Vaterland Sizilien, wie Rochlitz gesagt hatte, sondern Neapel 



168 2. Teil: Astorga-Literatur. 

»lebenslang vermeiden« ließ. Diese Punkte ausgenommen, hielt 
sich Brendel in der ersten Ausgabe seiner Musikgeschichte ge- 
treu an Rochlitz. Von der zweiten Auflage an (1855, S. 102f.) 
nahm er die Trugschlüsse Molitors in seinen Artikel auf und er- 
gänzte ihn noch durch einige unwesentliche Bemerkungen. In 
dieser Fassung erschien der Astorga-Roman in allen Auflagen der 
Brendelschen Musikgeschichte; auch in dem Neudruck von Robert 
Hövker (1903) ist sie unverändert geblieben. 

In diese Gruppe muß auch Emil Naumann gerechnet werden, 
der in seiner 1885 erschienenen Musikgeschichte bei Besprechung 
Astorgas ziemlich getreu den Spuren Riehls folgte. 

Zu Rochlitz' Trabanten zählen ferner verschiedene Lexiko- 
graphen, welche seine Nachrichten in mehr oder weniger gekürzter 
Form boten: So F. S. Gaßner (1849), Schladebach und Berns- 
dorf (1855)2 und O. Paul (1870) in ihren »Lexika der Ton- 
kunst«. Auch im Brockhausschen Konversationslexikon 
wird Rochlitz' Roman von. der 8. bis zur 10. Auflage (1833—1851) 
einfach wiederholt; desgleichen in der 1. Auflage von Meyers 
Konversationslexikon (1857), sowie in der »Encyclopaedia 
Britannica« (Ninth Edition, 1875)8. 

In Rochlitz' Kreis gehören auch ein paar Notizen über Astorga, 
die allerdings in erster Linie Werke des Meisters betreffen und 
seine Lebensschicksale nur streifen. So berücksichtigt 

August Kahlert in seiner Studie über »Die italienische 
Oper in Breslau im Anfange des 18. Jahrhunderts^ auch 
die Aufführung von Astorgas Daf ni in Breslau. Er weist auf deren 
Erwähnung in Matthesons »Ehrenpforte« hin und erwähnt 



^ S. 399 und 509. — In der Neubearbeitung des Werkes von Eugen 
Schmitz (1908) ist der Roman fast vollständig gestrichen. 

' Im ersten Nachtrag des Werkes (1865) ist Geburts- und Todesdatum 
nach B e r m a n n (vgl. S. 170 f.) angegeben. 

* Außer der oben genannten Auflage des Werkes konnte ich nur die 
dritte (1797) einsehen, die noch keinen Artikel über Astorga enthält. 

*SchIesischeProvinzialblätterBd. 105, S. 513—520 und 
Bd. 106, S. 1—13. Erschienen 1837. Kahlerts Artikel wurde auch als Separat- 
abdruck herausgegeben. 



IIL Kap.: Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung. 169 

das »noch existierende«^ Textbuch der Oper. Einige Notizen über 
die Persönlichkeit Astorgas, die Kahlert nach Rochlitz gibt, sind 
nicht ganz korrekt; doch wirkten sie in der Literatur nicht weiter. 
Auch 

Friedrich Chrysander gedenkt Astorgas. Im ersten Bande 
seines »G. F. Händel« (1858, S. 350f.) kommt er bei der Würdigung 
der Werke Agostino Steffanis auch auf ihn zu sprechen, weil 
er, gleich jenem, ein bedeutendes Stabat Mater geschrieben hat. 
Chrysander charakterisiert beide Werke treffend und fügt dann hin- 
zu: »Für die schmerzvollen Akzente, mit denen uns Astorgas Stabat 
Mater überrascht, suchen wir Erklärungen nicht im Texte oder 
in kirchlichen Vorgängen, sondern in unglücklichen Schicksalen 
seines eigenen Lebens«. Damit zieht auch Chrysander die Flagge 
Rochlitz' auf. Desgleichen bekennt 

C. H. Bitter in seiner »Studie zum Stabat Mater« 
(Leipzig 1883, S. 67f.) seinen Glauben an die von Rochlitz er- 
zählte Jugendgeschichte Astorgas. 

An dieser Stelle sei auch der katalogische Hinweis auf die un- 
gewöhnlich reiche Sammlung Astorgascher Werke erwähnt, die der 
Abate Fortunato Santini in Rom besaß. Santini selbst hatte 
1820 einen Katalog seiner musikalischen Schätze herausgegeben. 
Diesen ließ Wladimir Stassoff, mit einer Ehileitung versehen, 
1854 neu drucken. In dem Heftchen, das den Titel trägt: »L'abb6 
Santini et sa collection musicale ä Rome« sind S. 41 
folgende Werke Astorgas verzeichnet: 

»Stabat Mater ä 4 avec quatuor. — Per pietä bei idol mio, 
air avec instr. — 54 cantates pour sopr. avec piano. — 44 cantates 
pour contralto avec piano. — 10 duos pour 2 sopranos. « 

Die wertvolle Bibliothek Santinis, — und mit ihr wohl auch 
jener reiche Bestand Astorgascher Werke — befindet sich heute 
in der Bischöflichen Bibliothek zu Münster i. W. 

Neben der Schule Rochlitz', die, wie wir sahen, bis auf unsre 
Tage fortbestand, setzte im Jahre 1852 eine neue Richtung ein. 



^ Wo? sagt Kahlert nicht. Gleichwohl gelang es uns, das Libretto zu 
finden. Vgl. S. 62. 



170 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Deren Vertreter wiederholten zwar auch die Rochlitzschen Mit- 
teilungen, wie alle Astorga-Biographen seither, aber ihr Gründer 
brachte so bedeutungsvolle neue Meldungen vor, daß das Material 
in wichtigen Punkten modifiziert wurde. Dieser Schriftsteller war 
Moriz B er mann, ein zu seiner Zeit hochgeschätzter Novellist, 
der sich aber auch als Historiker versucht hat. Er begann im ge- 
nannten Jahre die Herausgabe eines groß angelegten 

Osterreichischen biographischen Lexikons, das jedoch 
nicht über den Buchstaben A hinaus gedieh.^ Die Stellung seines 
Namens im Alphabet verhalf also Astorga zu der Ehre, von Ber- 
mann noch mit behandelt zu werden. Mit Staunen lesen wir, was 
Bermann von ihm kündet: Emanuel sei am 11. Dezember 1681 zu 
Palermo geboren und am 21. August 1736 in einem Kloster Böhmens 
gestorben. Bis aufs Datum genau weiß Bermann die Dauer von 
Astorgas Leben anzugeben. Woher stammt seine Weisheit? Er 
verrät es nicht. Nun sind aber so detaillierte neu auftauchende 
Zeitbestimmungen ohne Quellenangabe von vorn herein verdächtig. 
Sie verlieren jede Glaubwürdigkeit, sobald sich ein Widerspruch 
zwischen ihnen und solchen Nachrichten ergibt, die aus dokumen- 
tarischer Quelle geflossen sind. Fassen wir zunächst das Geburts- 
datum ins Auge. Aus Emanuels Taufzeugnis geht mit Sicherheit 
hervor, daß er am 20. März 1680 geboren ist: Bermanns Angabe 
von Astorgas Geburtstag ist also falsch. Wie kam er aber darauf? 
Die Jahreszahl 1681 schrieb er den Adepten Rochlitz' nach. Ver- 
gebens suchen wir jedoch nach Motiven, die ihn zur Wahl des von 
ihm genannten Monats und Tages bewogen haben könnten. Nicht 
einmal nach dem Namenstage Emanuels im Kalender ist das Datum 
bestimmt. Wir können also nur annehmen, daß Bermann Monat 
und Tag der Geburt hinschrieb, wie es ihm gerade in die Feder 
kam. Dasselbe gilt auch von seiner Angabe des Todesdatums; 
denn auch hier ist das Jahr falsch verzeichnet. Astorga verkaufte. 



1 Nur drei Lieferungen (24 Bogen) sind von dem Werke erschienen. — 
Da Exemplare des Bermannschen Lexikons zu den größten Seltenheiten ge- 
hören — die Bibliotheken zu Wien, Berlin, Dresden besitzen es nicht — so 
sei mitgeteilt, daß das einzige Exemplar, das ich entdecken konnte, sich in der 
Bibliothek des böhmischen Landes-Museums zu Prag befindet. 



IIL Kap. : Rochlitz^ Schule. — Weitere Mythenbildung. 171 

wie die Akten beweisen, 1744 sein Landgut auf Sizilien, — er konnte 
also nicht 1736 gestorben sein. Bermann gelangte wohl auf folgen- 
dem Wege zu dieser Jahreszahl: Rochlitz sagt, Astorga sei »in 
mittleren Mannesjahren a gestorben. Das heißt also, mit etwa 
55 Jahren. Bermann zählte diese Summe flugs zu dem vermeint- 
lichen Geburtsjahre 1681 hinzu, — und schon war das Todesjahr 
1736 gewonnen. Daß das Todes datum aber einfach aus der Luft 
gegriffen ist, dafür sprechen folgende Momente: Von jeher ist es 
üblich gewesen, daß eine bis auf den Tag genaue Nachricht über das 
Ableben eines Menschen nur in Verbindung mit einer genauen Orts- 
angabe in den Akten gebucht wird. Nun weiß aber Bermann trotz 
der genauen Zeitangabe den Ort nicht bestimmt anzugeben, son- 
dern sagt nur (mit Rochlitz), Emanuel habe »in einem Kloster 
Böhmens seine Tage beschlossen «. Hätten Bermann Urkunden vor- 
gelegen, so hätte er ihnen auch entnommen, in welchem Kloster 
Astorga gestorben sei. Mithin ist auch seine Angabe des Todes- 
tages nicht aus dokumentarischer Quelle geschöpft; sie ist zweifellos 
frei erfunden. 

Aus Bermanns Ergänzungen ersieht man, daß es seine Absicht 
war, allgemeine und unbestimmte Angaben zu vermeiden und mög- 
lichst Detailliertes, Genaues zu bieten. Doch wird er diesem Pro- 
gramm auch gelegentlich untreu. 'So läßt er bei der Erwähnung 
des von Molitor »entdeckten« Lehrers Francesco Scarlatti den 
Vornamen weg, auf den es doch gerade ankommt. Bermann sagt 
sodann, es habe »nur des tüchtigen Meisters Caldara bedurft, um 
Emanuel als Sänger und Komponist vollkommen zu machen.« 
Einer solchen Nachricht Bermanns könnten wir — nach den obigen 
Darlegungen — aber nur Glauben schenken, wenn wir Beweise 
dafür dargereicht erhielten. Doch Bermann gibt keinen. Von der 
Freundschaft zwischen Astorga und Caldara in späteren Jahren, die 
sich aus Wiener Akten beweisen läßt, hat Bermann keine Ahnung. 
— Bermanns Lust zu spezialisieren veranlaßte ihn auch, den 
Namen jener »erlauchten Schülerin« zu ermitteln, mit der sich 
Astorga in Parma in ein Liebesverhältnis eingelassen haben soll. 
In der Geschichte der Farnese fand er als einzige Dame, die in Be- 
tracht kommen konnte, die »reizende Nichte« des Herzogs Franz, 



172 2. Teil: Astorga- Literatur. 

ElisabethFarnese. Ohne weiter zu forschen, ob diese Prinzessin 
auch wirklich in das von Rochlitz angedeutete Verhältnis passe, 
erklärt er mit Bestimmtheit, für sie sei Emanuel in Leidenschaft 
entbrannt. So gab er die schützende Allgemeinheit auf, die alle 
Autoren vor ihm in diesem Punkte wohlweislich bewahrt hattea 
— Wie er dazu kam, bei der Aufzählung der Werke Astorgas dem 
Stabat Mater die sonst nirgends damit in Verbindung gebrachte 
Jahreszahl »1719 « beizufügen, ist nicht zu enträtseln. Gewiß ist auch 
dies eine seiner eigenmächtigen Spezialisierungen. 

Ein Schriftsteller, der in einem geschichtlichen Artikel das über- 
kommene Material aus seiner Phantasie ergänzen und spezialisieren 
zu müssen glaubt, ist in der Geschichtschreibung fehl am Ort. 
Bermann konnte drum nichts Besseres tun, als die Feder des Histo- 
rikers wieder mit der des Novellisten zu vertauschen. Das von 
ihm begonnene, aber wieder aufgegebene Unternehmen, ein um- 
fassendes biographisches Lexikon des Kaisertums Oster- 
reich zu schreiben, wurde später von 

Constant von Wurzbach von neuem gewagt und glorreich 
zu Ende geführt. Im ersten Teile seinfes vielbändigen Werkes (1866) 
steht auch ein Artikel »Astorga«. Wurzbach hat darin aufs ge- 
wissenhafteste alle Notizen über Astorga zusammengestellt, die er 
erreichen konnte. Er selbst tritfdem Stoff nicht kritisch gegenüber. 
Gerber, F6tis, Riehl, Bermann und die Biographie g^n^rale nennt 
er als Quellen. Daß er auch Rochlitz' Artikel benutzte, geht aus 
dem Wortlaut seiner Charakteristik der Kunst Astorgas hervor. 

Als im Jahre 1860 die zweite Auflage der Biographie uni- 
verselle des musiciens von F6tis erschien, war darin auch der 
Artikel über Astorga bedeutend erweitert worden. Fast alle Un- 
wahrheiten von Rochlitz bis auf Bermann präsentieren sich hier ver- 
eint in französischer Übersetzung. Außerdem fügt F^tis noch ver- 
schiedene eigene Irrtümer hinzu. So wiederholt er die in der ersten 
Auflage seines Werkes geäußerte Ansicht, Astorgas Oper »Dafne« 
sei in Wien zur Aufführung gelangt; er ändert jedoch die dort 
genannte Jahreszahl 1726 in 1705 um. Ob ihn zur Wahl dieses 
Jahres die alte Notiz veranlaßte, nach der sich Emanuel während 
der letzten Tage Leopolds I. (1705) in Wien aufgehalten haben soll, 



1 1 L Kap. : Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung. 173 

ob andere Gründe^, läßt sich nicht entscheiden. Die in der ersten 
Auflage nach Gerber ins Jahr 1753 gesetzte Aufführung des Stabat 
Mater in Oxford wird in der zweiten — wohl nur infolge eines Ver- 
sehens — ins Jahr 1713 gerückt. Auch eine kleine Kolorierung ge- 
stattet sich F^tis. Er fügt bei der Erwähnung der großen Reisen 
Emanuels nach dem Wiener Aufenthalt die Bemerkung ein, der 
Künstler sei auch wieder nach Spanien gekommen, »oü il retrouva 
la faveur de sa bienf aitrice «. 

F^tis' irrtümliche Nachricht von einer Aufführung von Astorgas 
Dafni (»Dafne«) in Wien 1705 ging später in das »Dictionnaire 
des Optras« von F. Clement et P. Larousse (1881) sowie in das 
»Opern-Handbuch« von Hugo Riemann (1886) über. 

Ein kurzer Abriß von Astorgas Leben mit Berücksichtigung der 
wichtigsten bisher genannten Details ist auch in Arrey von Dom- 
mers Handbuch der Musikgeschichte (1868, S. 369) zu finden. 
Während Dommer zur Beurteilung von Astorgas Kunst beachtens- 
werte eigene Gedanken vorbringt, äußert er sich zu dessen Lebens- 
geschichte nicht selbständig. 

Wiederholungen des Stoffes von Brendel und Bermann bringen 
auch Hermann Mendel im »Musikalischen Conversations- 
Lexikon« (1870), August Reißmann im »Handlexikon der 
Tonkunsta (1882) und Hugo Riemann in den ersten fünf Auf- 
lagen seines »Musik-Lexikons« (1882 — 1900). In kurzem Auszug 
erscheint der Stoff in Friedrich Bremers »Handlexikon der 
Musik« (1882), wie auch in der Neuausgabe dieses Lexikons von 
Bruno Schrader (1905). Die Bermannschen Nachrichten werden 
auch berücksichtigt in Brockhaus' Kon versations- Lexikon von 
der 11. Auflage an (1864) und in dem von Meyer von der 2. Auf- 
lage an (1862). Zur Gruppe Bermann-F^tis gehören die Artikel 
im »Nordisk Musik-Lexikon« von H. V. Schytte (1888), im 
Tonkünstlerlexikon von Georg Eggeling (1899) und im 
»Diccionario de la Müsica« von Luisa Lacäl (1899). Aus 



^ Der Irrtum könnte auch auf einer Verwechslung von Venise mit Vienne 
beruhen. Denn in Venedig vmrde 1705 ein Dafni, aber von Fr. Pollarolo 
komponiert, gegeben (A 1 1 a c c i, Drammaturgia, 2. Aufl. S. 235). 



174 2. Teil: Astorga- Literatur. 

dieser Liste, die keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit er- 
heben will, ist bereits ersichtlich, welch große, nachhaltige Ver- 
breitung die Nachrichten von Brendel, Bermann und F^tis fanden. 
Tatsächlich ist die Fassung, die Astorgas Biographie durch jene 
Autoren erhielt, noch heute die in den breitesten Schichten akzep- 
tierte. 

Die dritte Gruppe von Schriftstellern, die neben den Schulen 
Rochlitz' und Bermanns, aber auf beiden fußend, die Kenntnis 
Astorgas zu fördern suchte, beschäftigte sich vornehmlich mit der 
Herkunft des Meisters. Das Problem, welcher Familie Emanuel 
angehört, welchen Namen er vor der angeblichen Namensverleihung 
nach der Stadt Astorga geführt habe, — dieses Problem harrte ja 
noch immer der Lösung. Letztere herbeizuführen und möglichst 
genaue Aufklärung über die ganze geheimnisvolle Affäre zu ge- 
winnen, war das eifrige Bestreben der nun auftretenden Astorga- 
Forscher. 

An ihrer Spitze stand der in seinen Kreisen hochangesehene 
böhmische Archäolog und Schriftsteller Ferdinand B. Mikowec. 
Dieser Gelehrte gab seit 1851 zu Prag ein tschechisches »Belletri- 
stisches Wochenblatt und Archiv für Zeitgeschichte« mit dem Titel 
»Lumir« heraus. In dieser Zeitschrift veröffentlichte er am 
3. Juli 1862 (S. 645) im »Vermischten « eine Notiz, die für die spätere 
Astorga-Literatur große Bedeutung gewinnen sollte. Da sie bis 
heute nur in mehr oder weniger gekürzter deutscher Übersetzung 
wiedergegeben worden ist, sei sie hier im Urtext dargereicht i: 

»3 cervence 1862.« 

»K 2Eivotopisu slavn^ho Emanuele d' Astorga nalezl redaktor 
Lumira v zdejSich neznäm^ch posud listinäch nova data a doufä 
je pomoci pi'ätel sv^^ch doplniti. Prozatfm udäväme toliko, ze z 
novi nalezen^ch listin vysvitä, ze Emanuel d' Astorga pochäzel z 
Vlask^ho rodu kni2at a hrabat Capece, kterci mSli prädikät mar- 
krabat z Rofrano. Rodina ta stäla v rozeprich a bojech v oboji 



^ Unsre Voriage bildete das Exemplar des »L um fr«, das sich auf der 
kgl. Universitätsbibliothek zu Prag befindet. 



III. Kap. : Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung. 175 

Sicilii pri domu Rakousk^m na ni posud upomfnä jmeno ulice ve 
Vidni, V kter^ mSla paläc, tak zvan^ to »Rofranogäßchen a a Cape- 
cov6 z Rofrano byli t^z pHbuzni s rodinami Öeskymi, ku pr. s 
Kinslq^mi; zdä se, 2e jedna ze sester Emanuele d'Astorga byla 
manielkou jednoho Kinsk^ho. ^ädäme pfätele na§e a laskav^ 
dalSi bädänf v matrikäch stävajicich i zrusen^ch klä§teru franti§- 
känü a minoritu v &chäch, aby se konei^nS potvrdila nebo zamftla 
povSst, ze slavny skladatel Vlask^ zemrel a pochovän v takov^m 
klästefe V Öechäch.« 

Das heißt in möglichst wörtlicher deutscher Übersetzung: 

»a Juli 1862.« 

» Zur Lebensbeschreit>ung des berühmten Emanuele d' Astorga fand 
der Redakteur des Lumir in hiesigeh bisher unbekannten Urkunden 
neue Daten und hofft sie mit Hilfe seiner Freunde zu ergänzen. 
Einstweilen zeigen wir so viel an, daß aus den neu aufgefundenen 
Urkunden hervorleuchtet, daß Emanuel d' Astorga von dem italie- 
nischen Fürsten- und Grafengeschlecht Capece abstammte, welches 
das Prädikat der Markgrafen von Rofrano führte. Diese Familie 
stand in den Zwisten und Kämpfen beider Sizilien treu zum Hause 
Osterreich, an sie erinnert bisher der Name einer Straße in Wien, 
wo sie ihren Palast hatten, das sogenannte »Rofranogäßchen«; 
und dieCapeces von Rofrano waren auch mit böhmischen Geschlech- 
tern verwandt, z. B. mit den Kinskys; es scheint, daß eine der 
Schwestern Emanuele d'Astorgas die Frau eines Kinsky war. Wir 
ersuchen unsre Gönner und Freunde, in den Matrikeln der noch be- 
stehenden und aufgehobenen böhmischen Franziskaner- und Mino- 
ritenklöster weiter nachzuforschen, damit endlich die Sage be- 
stätigt oder als unwahr verworfen wird, daß der berühmte italie- 
nische Komponist in einem solchen böhmischen Kloster gestorben 
sei und bestattet wurde. « 

Wir haben es also hier mit einer Vornotiz zu tun, der ein 
ausführlicherer, stofflich von anderer Seite noch vermehrter Auf- 
satz folgen sollte. Natürlich sollten in diesem Artikel auch die 



176 2. Teil : Astorga-Literatur. 

D Urkunden« genau genannt werden, aus denen Mikowec seine 
Neuigkeit geschöpft hatte. Aber das Mißgeschick ließ es nicht 
dazu kommen. Noch war jene Notiz kein Vierteljahr in die 
Öffentlichkeit gelangt, als ihr Verfasser, Mikowec, seinem Wirkungs- 
kreise plötzlich durch den Tod entrissen wurde (22. September 
1862). So blieb jener große Artikel ungeschrieben, und Mikowec 
nahm das Geheimnis der neu aufgefundenen Urkunden mit ins 
Grabi. 

Wir müssen uns also Ursprung und Wesen seiner Notiz selbst 
zu erklären suchen. 

Fragen wir zunächst: läßt sich das, was Mikowec über die 
Abstammung Emanuels mitteilt, mit den verbürgten Nachrichten 
über diesen Punkt in Einklang bringen? Wir müssen mit »Neinc 
antworten. Seine Neuigkeit steht in größtem Widerspruch dazu. 
Die Quellen der von uns im ersten Teile gebotenen Details über 
Emanuels Familie liegen offen zutage und sind unanfechtbar. 
Mikowec' »Urkunden o sind bis heute verborgen geblieben. Sie 
müssen trügerisch gewesen sein, bzw. muß Mikowec, mit falschen 
Voraussetzungen an sie herantretend, falsche Schlüsse aus ihnen 
gezogen haben. 

Mikowec ging bei seinen Ermittlungen von den Details aus, die 
Rochlitz über Astorgas Vater erzählt hatte; desselben Autors 
Nachricht, Astorga habe sich auch in Böhmen aufgehalten und 
sei dort wohl gestorben, benutzte er als weiterführendes Moment. 
Gelang es ihm, in Böhmen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 
ein Glied einer süditalienischen Adels-Familie nachzuweisen, die 
in den Aufstand von 1701 verwickelt war, so konnte damit die 
Lösung der Frage gefunden werden. Er unterrichtete sich also 
über den Verlauf jener neapolitanischen Verschwörung und merkte 
sich die Namen der daran beteiligten Nobili. Darauf sah er die 



^ Es ist denkbar, daß sich Aufklärung über die ganze Angelegenheit aus 
Aufzeichnungen im Nachlaß Mikowec' gewinnen läßt. Doch blieben meine 
Bemühungen, diesen zu ermitteln, umsonst. Trotz der Unterstützung meh- 
rerer Prager Gelehrten, der Herren Dr. Prusik, Ingenieur Fr. Khol, 
Dr. Branberger, Schriftsteller A. Breska, sowie Professor Dr. J. VlS^ek, 
konnte ich keine Spur des Nachlasses entdecken. 



1 1 L Kap. : Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbüdung. 177 

Literatur über den böhmischen Adel^ — solcher Art waren wohl 
seine »Urkunden« — auf jene Namen hin durch. Und siehe da! 
Wie dort unterm Jahre 1701, so fand er hier unterm Jahre 1721 
einen Hieronymus (ital. Girolamo oder Jeronimo) Capece, 
Marchese von Rofrano erwähnt. — Jeronimo? — Das war 
doch der Name, den, laut Rochlitz, Astorgas Vater geführt 
hatte! Mikowec hielt die Frage für gelöst. Da der 1701 erwähnte 
Marchese — nach Mikowec' Ansicht — damals umgekommen war, 
konnte der zwanzig Jahre später erscheinende Marchese des- 
selben Namens nur dessen Sohn sein. In dem in Böhmen nach- 
weisbaren Marchese Capece von Rofrano glaubte Mikowec 
also jenen Nobile gefunden zu haben, der alsTondichter 
das »Pseudonym« Emanuele d'Astorga führte. Aber Mi- 
kowec' Rechnung war falsch. Denn der neapolitanische Mar- 
chese kam in der Verschwörung von 1701 nicht um, und der böh- 
mische ist identisch mit ihm. 

Seine Annahme bis ins Detail bestimmt auszusprechen, zauderte 
Mikowec noch. Die Forschungen seiner Freunde und auch seine eigenen 
Studien sollten erst noch zwingende Beweise erbringen und das Mate- 
rial bereichem, ehe er sich ausführlich über die Angelegenheit äußerte. 

Vielleicht, daß Mikowec bei tieferem Eindringen in den Stoff 
selbst erkannt hätte, wie sehr er in die Irre geraten war, vielleicht 
auch, daß er noch ärgeren Täuschungen verfallen wäre; — sein 
Jäher Tod verhinderte eins wie das andere. So kam es, daß die Notiz 
des Lumir selbständige Bedeutung gewann, daß sie für sich 
weiterwirkte. Letzteres wäre wohl nicht möglich gewesen, hätte 
sich nicht ein Dolmetsch eingestellt, der die Notiz aus dem 
Tschechischen ins Deutsche übertrug. Die Prager »Bohemia« 
war dieser Dolmetsch. Sie brachte in ihrer »Lokal- und Provinzial- 
chronik« vom Samstag, d. 5. Juli 1862, Mikowec' Meldung und 
Bitte, ein wenig gekürzt, in ziemlich getreuer Übersetzung. Selb- 
ständige Bemerkungen waren nicht hinzugefügt. 

Ob Mikowec' Freunde seiner Aufforderung, in Klosterarchiven 
nach dem Ausgang Astorgas zu forschen, gefolgt sind? Von Re- 



1 Vgl. dazu S. 193, Anm. 3. 
Volkmann, Astorga. I. 12 



178 2. Teil : Astorga-Literatur. 

sultaten ihrer Forschungen verlautet nirgends ein Wort. Dagegen 
läßt sich eine andere Wirkung jener Notiz feststellen. Sie nährte 
und förderte die in Prag entstehende Tradition, Astorga sei in Böh- 
men gestorben. Diese Überlieferung ist nicht alt und authentisch. 
Der gewissenhafte G. J. DlabacS erwähnt in seinem 1815 er- 
schienenen »Allgemeinen historischen Künstlerlexikon für 
Böhmen« diese Tradition, und überhaupt Astorga, noch mit keiner 
Silbe. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts bestand also in Prag noch 
keine Tradition über Astorga. Sie stellte sich erst ein, als Rochlitz' 
Nachfolger dessen Vermutung über Astorgas Ende in weiteste 
Kreise getragen hatten. Durch die Erwähnung der Franziskaner^ 
und Minoritenklöster bei Mikowec gewann sie bereits bestimmteren 
Inhalt. Heute weiß sie, wie ich selbst in Prag hörte, bereits zu 
berichten, Astorga sei im Minoritenklöster von St. Jakob zu Prag 
gestorben. Im Archiv von St. Jakob findet sich jedoch keinerlei 
Notiz über den Meister i. 

Mikowec' Notiz regte einen Wiener Schriftsteller, von dem wir 
nur die Marke »E. K — n.« kennen, an, sich mit dem Stoffe zu be- 
schäftigen. Er veröffentlichte am 19. Juli 1863 in den 

Wiener »Recensionen und Mitteilungen über Theater 
undMusik«(9. Jahrgang, Nr. 29 und 30) einen Artikel über »E m a - 
nuel Baron d'Astorga«. Darin gab er einen Überblick über den 
damaligen Stand der Kenntnis von Astorgas Leben und behandelte 
besonders eingehend die »Entdeckung« Mikowec'. Um Beweise 
für den Zusammenhang des Künstlers mit dem Markgrafenhause 
bemühte er sich keineswegs. Mikowec' Meldung, daß er vorhanden 
sei, genügte ihm vollkommen. Dagegen suchte er über die ver- 
meintlichen Vorfahren Astorgas möglichst reichlich Auskunft zu 
erteilen. Was er in Hoefers Biographie g^n^raleund Ersch 
und Grubers Encyklopädie an interessanten Notizen über Glieder 
des Hauses Capece fand, das zitierte er und zeigte damit, daß es 
unter den Capeces manchen bedeutenden Menschen gegeben hat. 



^ Ich bin dem Herrn Pfarrer von St. Jakob in Prag, D. Skuda, 
sowie dem Herrn Bibliothekar auf dem Stifte Strahov zu Prag, C. Straka, 
für ihre eingehenden — wenn auch erfolglos gebliebenen — Nachforschungen 
nach Spuren Astorgas in den betr. Archiven zu lebhaftem Dank verpflichtet. 



1 1 1. Kap, : Rochlitz^ Schule. — Weitere My thenbildung. 179 

Was sodann speziell den vermeintlichen Vater Emanuels angeht, 
so kam E. K — ^n. bei dessen Ermittlung zu denselben Resultaten 
wie wir, als wir oben den bestimmten Kern von Mikowec' allgemein 
gehaltener Mitteilung zu ergründen suchten. Auch er fand, daß 
Mikowec nur jenen in die Verschwörung von 1701 verwickelten 
neapolitanischen Marchese »Girolamo oder Jeronimo Capece« als 
Vater Emanuels angesehen haben kann. Hatte aber Mikowec, 
da ihm die Beweise nicht genügten, vermieden, seine Ansicht be- 
stimmt auszusprechen, so trug sie Herr E. K — ^n. als erwiesene Tat- 
sache vor. Er nannte jenen Marchese frischweg »den Vater 
Astorgas «. Sodann verbindet er Rochlitz' Mordsgeschichte mit den 
Einzelheiten, die er in Collettas »Geschichte des Königreichs 
Neapel«^ über jenen Aufstand gefunden hatte. Ohne sich die 
geringsten Skrupel zu machen, behauptet er, den älteren Quellen 
über Astorga Rechnung tragend, der Aufstand habe in Sizilien 
stattgefunden; — und doch schildert er lediglich den zu Neapel, 
wie ihn Colletta schildert. Wenn Colletta jenen Marchese lediglich 
unter den an der Verschwörung Beteiligten, nicht aber unter deren 
Opfern erwähnt, so läßt E. K — n. ihn darin umkommen. Von 
seinem Tode überzeugt, merkt er gar nicht, daß er ihn selbst 
später als 1721 noch lebend erwähnt. Mikowec' Bemerkung über 
die Rofrano-Gasse in Wien kommentierend, sagt er^, »Hieronymus 
Capece, Graf von Rofrano« habe im Jahre 1721 den »roten Hof« 
in Wien besessen. Daß jener neapolitanische Marchese und der 
Besitzer des roten Hofes in Wien ein und dieselbe Person sein 
könnten, auf diese Idee kam E. K — n. nicht. 

Durch seine kritiklose Annahme und leichtfertige Ergänzung 
der Mikowecschen Neuigkeiten hat E. K — ^n. wesentlich zur Trübung 
der Geschichte von Emanuels Herkunft beigetragen. Die Irrtümer, 
die ihm bei der Erweiterung und Rundung des älteren biographi- 
schen Materials unterliefen, kommen dagegen kaum in Betracht. 
E. K — ^n. fühlte selbst, daß einzelne Partien seiner Arbeit anfecht- 



^ Dieses Werk gibt E. K— n als seine Quelle an. Vgl. dazu S. 184 Anm. 2 
unsrer Schrift. 

' Laut seiner Angabe folgte er » Hormayrs und Tschischkas Geschichten 
von Wien*. 

12* 



180 2. Teil: Astorga- Literatur. 



bar seien, und legte deshalb ein entschuldigendes Wort für seine 
»flüchtigen, mangelhaften Berichte« ein. Er schloß mit der Er- 
klärung, er wolle durch seinen Artikel zur Pflege der Musik Astorgas 
und zu weiteren Forschungen über den »nur halb aus seinem ge- 
heimnisvollen Dunkel erweckten Emanuel Capece« — so nennt 
er Astorga — Anregung geben. 

Erst fünfzehn Jahre nach dem Erscheinen des Artikels in den 
»Wiener Rezensionen« fand sich ein Autor, der dessen Inhalt in 
weitere Kreise trug. 

H. M. Schiet t er er tat dies in der »November 1878« datierten 
»Vorbemerkung« zu der von ihm besorgten Ausgabe des Klavieraus- 
zuges von Astorgas »Stabat Mater« in der »Volksausgabe Breitkopf & 
Härtel « (Nr. 59). Er bot das Material aus den »Rezensionen « etwas 
gekürzt, fügte aber auch ein paar eigene Notizen hinzu. Während 
Herr E. K — ^n. seine Geschichten mit gewinnender Bescheidenheit 
erzählt hatte, trug sie Herr Schletterer, stolz auf sein Wissen, mit 
hochtrabenden Worten vor. Er hält die »Entdeckungen « Mikowec' 
und des Herrn »E. K — ^n. « für ziemlich selbstverständliche Ergeb- 
nisse historischer Forschung und gibt seinem Befremden darüber 
Ausdruck, daß Astorgas Abstammung »für lange Zeit unbekannt 
blieb, obwohl die an ihn anknüpfenden Mitteilungen, auf historische 
Tatsachen gründend, bei einiger Nachforschung aufzuhellen gewesen 
wären. « Schletterer erkannte also nicht, daß jene »Mitteilungen « 
erst spät entstandene Märchen waren. Er irrte, wenn er meinte, 
sie gründeten auf historische Tatsachen. 

Und was bot Schletterer Eigenes? Von seinen volltönigen 
Paraphrasen bekannter Einzelheiten, z. B. der herzbewegenden 
Schilderung der Vorgänge auf der Richtstätte des Vaters abgesehen, 
sind es nur ein paar Notizen über Glieder der Familie Capece. So 
erzählt er von einem General Capece -Galeota, der im 15. Jahr- 
hundert den Anjous diente, und gibt einige Details über den schon 
von E. K — ^n. genannten Capece, der den »roten Hof « in Wien besaß, 
sowie über dessen Kinder^. Auch er merkt nichts von der Identität 



^ Schletterer nennt keine Quellen. Wir können sie aber nachweisen. Die 
Notiz über den General entnahm er der Encyklopaedie von E r s c h 
und Gruber (15. Teil, Leipzig 1826, S. 115), die über die Wiener Capeces 



1 1 1. Kap. : Rochlitz' Schule. — Weitere Mythenbildung. 18 1 

des Wiener Capece mit dem neapolitanischen. Nur hinsichtlich des 
Ortes, an dem Astorgas Vater sein blutiges Ende gefunden haben 
soll, fielen ihm gewisse Widersprüche in seinen Quellen auf. Er 
fügte kurzerhand zu der Ortsangabe »Neapel« ein »Palermo?« in 
Klammern hinzu und ließ die Sache auf sich beruhen. 

Schletterer hat durch seinen Artikel all die alten Astorgamärchen 
wieder in Erinnerung gebracht und gleichzeitig auch den neuen 
große Verbreitung verschafft. Gläubige Leser fand er ja allerwärts. 
Was so mit dem Brusttone der Überzeugung als historische Tat- 
sache vorgetragen wurde, wie seine Mitteilungen, daran wagte man 
doch nicht zu zweifeln. Man akzeptierte also auch die Nachricht 
von der Abstammung Emanuels vom Hause der Marchesi von 
Rofrano und erzählte sie weiter. So blieben die beiden ganz frem- 
den Elemente bis auf den heutigen Tag in der Astorga-Literatur 
miteinander verschweißt: Der sizilianische Baron und Tondichter 
mit der neapolitanischen Familie der Markgrafen Capece-Rofrano. 

Schon diese Verbindung im allgemeinen weckt unser Interesse 
für die Familie Capece-Rofrano und gibt Anlaß, uns eingehender 
mit ihr zu beschäftigen. Aber wir sind genauere Mitteilungen über 
den Marchese Hieronymus auch schuldig. Denn das, was wir oben 
aus seiner Geschichte gegen seine Identifizierung mit Astorga, bzw. 
mit Astorgas Vater vorgebracht haben, bedarf der Begründung und 
Erklärung. Wir wollen also im nächsten Kapitel unter Benutzung 
der besten Quellen ein Bild vom Leben jenes Marchese entwerfen 
und zugleich mitteilen, was sich über seine nächsten Verwandten 
aufspüren ließ. Diese rein historische Darlegung bildet zwar eine 
Abschweifung von unserm Thema, ist aber zur Klärung der ganzen 
Angelegenheit unerläßlich. 



[Michael Ranffts] Genealogisch-historischem Archi- 
var i u s (I. Bd., 3. Teil, 2. Aufl., Leipzig 1735, S. 173 und VII. Bd. 47. Teil, 
1738, S. 577), bzw. dem ZedlerschenUniversal-Lexikon (Suppl.- 
Bd. IV, Leipzig 1754, Artikel Capece), wo die Stellen aus dem »Archivarius« 
abgedruckt sind. 



182 2. Teil: Astorga- Literatur. 



IV. Kapitel. 
Girolamo und Giuseppe Capece. 

Die Capeces waren eine alt eingesessene kampanisdie Familie. 
Um 1040 soll sie von Sorrent nach Neapel verpflanzt worden sein^. 
Verschiedene Seitenlinien, durch einen beigefügten Sondemamen 
gekennzeichnet, lösten sich im Laufe der Jahrhunderte von dem 
Hauptstamm ab, wie die der Capece -Latro, -Galeota, -Toma- 
celli, -Minutoli. Mancher bedeutende Feldherr, Staatsmann, 
Gelehrte und Dichter ging aus diesem weitverzweigten Geschlechte 
hervor. Eine Aufzählung dieser Größen wäre hier nicht am 
Platze 2, hier gilt es vielmehr die Capeces ins Auge zu fassen, 
denen die Markgrafenwürde von Rof rano eignete. 

Ziemlich spät taucht diese Würde in der Familie auf. D. Pietro 
Capece, also ein Glied des Hauptstammes, in der zweiten Hälfte 
des 17. Jahrhunderts nachweisbar, war der erste, der den Titel 
Marchese di Rofrano führte«. Über diesen D. Pietro wissen wir 
nur noch, daß er Da. Teresa Ceva Grimaldi zur Gattin hatte und 
der Vater jener beiden Capeces war, mit denen wir uns im folgenden 
beschäftigen werden. 

Girolamo oder Jeronimo (Hieronymus) Capece war Pietros 
ältester Sohn und mithin Erbe des Marchesetitels. Giuseppe, sein 
jüngerer Bruder, mußte sich mit dem bloßen Namen Capece be- 
gnügen. Die Familie war nicht reich; ihre Liegenschaften waren 
unbedeutend. Daraus erklärt sich die Leichtigkeit, mit der sich der 
Marchese Girolamo, dem Feudalrecht nach der alleinige Erbe 
des väterlichen Besitzes, von der heimatlichen Scholle losriß, um 



IQ. B. diCrollanza: Dizionario Storlco-Blasonico 
delle Famiglie nobili e notabili italiane. Pisa 1886, 1, 221. 

s Wer sich für sie interessiert, der findet Einzelheiten über sie in E r s c h 
und G r u b e r 8 Encyklopaedie und in Hoefers Nouvelle Biographie uni- 
verselle. 

* Giuseppe Recchio: Notizie di Famiglie nobili ed illustri . . f di 
Napoli. Napoil 1717. S. 64. 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 183 

sein Glück in politischen Umwälzungen zu erhaschen. Fürs erste 
suchte er seine Finanzen durchs Spiel zu verbessern. Und mit 
Erfolg. Dieses sein Handwerk, das ihn weit in der Welt umher- 
führte, warf weit besseren Gewinn für ihn ab, als seine Güter^. In 
Rom war er um die Jahrhundertwende als Spieler berüchtigt; er 
soll dort lange Zeit ausschließlich vom Spiel gelebt haben'. Giro- 
lamo hatte das seltene Geschick, im Spiel Gewonnenes festzuhalten. 
Die bedeutenden Summen, die er in Neapel und Rom, in Frankreich 
und England durch Karten und Würfel errafft hatte, legte er sofort 
an sicheren Stellen zinsbar an>. So gründete er sich ein Vermögen. 

Eine ganz andere Natur war sein Bruder Giuseppe. Als 
Zweitgeborener war er — wie bei vornehmen italienischen Familien 
üblich — dem geistlichen Stande geweiht worden^. Bis zu welchem 
Range er es als Kleriker gebracht hat, ist nicht überliefert. Sein 
für diesen Beruf ganz ungeeigneter Charakter trieb ihn bald aus 
dieser Laufbahn heraus. Er war ehrgeizig, heftig, verwegen, toll- 
kühn. Sein heißes, ungebändigtes Blut riß ihn eines Tages zum 
Verbrechen hin. 

Am 21. Februar 1694 entbrannte während der Aufführung von 
Alessandro Scarlattis »Pirro e Demetrio«^ im Teatro S. Barto- 
lomeo zu Neapel aus Eifersucht um eine Sängerin^ zwischen den 
Nobili und Kaufleuten ein heftiger Streit. Giuseppe durchbohrte 
im Jähzorn, »schnell wie der Blitz«, den jungen Kaufmann Pompeo 
d'Anna mit einem Degenstich, dem der Jüngling alsbald erlag. 



^ Marchese AngeloGranito, Principe di Belmonte: 3toriadella 
congiura del Principe di Macchia e della occupazione fatta dalle 
arml austriache del Regne di Napoli nel 1707. — Napoli 1861. Bd. I, S. 49. 

• [Jer. du Perrier:] Histoire de la demiöre conjuration de Naples 
en 1701. — A Paris 1706. — S. 15. — Der auf dem Titel nicht genannte Ver- 
fasser nimmt in seiner Schilderung des Kampfes um Neapel entschieden fUr 
die spanisch-bourbonische Macht und gegen die Anhänger Österreichs Partei. 
Wir haben seine Angaben mit Vorsicht benutzt. 

• Q r a n i 1 , a. a. O. II, 28. 

^ PlacidoTroyll: Istoria generale del Reame di Napoli. Napoli 
1752i Bd. V.Teil II, S.357. 

» BenedettoCroce: I teatri di Napoli, Secolo XV— XVIII. Na- 
poli 1891. S. ig8f. 

• T r y 1 i , a. a. 0. 



184 2. Teil: Astorga- Literatur. 

Giuseppe flüchtete und irrte einige Monate in Italien umher; als er 
in der Verkleidung als Bauer nach Neapel zurückkehren wollte, 
wurde er verhaftet und in Longone gefangengesetzt. Er benutzte 
die unfreiwillige Muße um — Deutsch zu lernen. Wieder freige- 
lassen, fiel er als Kleriker der Geistlichkeit in die Hände, die ihn 
noch längere Zeit in den erzbischöflichen Kerkern festhielt^. 

Die so verschiedenen Charaktere der Brüder Capece stimmten 
doch in einem Punkte überein: in der Lust, in ungewöhnlichen 
Unternehmungen ihr Glück zu machen. Kein Wunder daher, daß, 
als im Jahre 1701 zu Neapel eine Umsturzbewegung begann, 
beide, jedoch in verschiedener, ihrem Naturell entsprechender Weise, 
an dieser Bewegung teilnahmen : daß sich Giuseppe mit wildem Mute 
in sie hineinwarf, Girolamo aber vorsichtig und schlau dazu Stellung 
nahm, berechnend, wie er mit möglichst geringem Einsatz möglichst 
hohen Gewinn dabei einheimsen könne. 

Neapel stand seit Jahrhunderten unter spanischem Szepter. Als 
nun mit Karl IL (1. November 1700) das letzte Glied der spanisch- 
österreichischen Dynastie ins Grab gesunken war, ließ der Vize- 
könig Medinaceli, der Bestimmung des verstorbenen Königs gemäß, 
den Bourbonen Philipp als neuen Herrscher von Neapel ausrufen^. 
Aber das entsprach keineswegs den Wünschen aller Neapolitaner. 
Während sich das Volk gleichgültig verhielt, mißbilligte der größte 
Teil des Adels diese Wendung aufs lebhafteste, weil er von früher 
her gegen die Bourbonen eingenommen war. Vom Hause Oster- 
reich, das ja ebenfalls Ansprüche auf Spanien und mithin auch auf 
Neapel erhob, erhofften die neapolitanischen Nobili eine freiere 
Regierungsform und mancherlei Vorteile für sich. Deshalb traten 
sie auf die Seite Österreichs. Sie wurden in ihrer Haltung bestärkt, 
als sie sahen, daß der Papst auf Betreiben der kaiserlichen Ge- 
sandten die Bestätigung Philipps als König von Spanien ausstehen 
ließ^. Als dann vollends die Kunde von dem siegreichen Vordringen 



^ Granito, I, 41 und T r o y 1 i , a. a. O. 

> Pietro Colletta: Storia del Reame di NapoH dal 1734 sino al 
1825. Bd. I, Capolago 1834, S. 38f. — Deutsche Übersetzung des Werkes von 
* A. L e b e r. 2. Aufl. Qrimma 1848, Bd. I, S. 36f. 
» T r y 1 i , a. a. O. S. 356. 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 185 

der Österreicher unter Prinz Eugen in der Lombardei nach Süd- 
italien gelangte, beschlossen die neapolitanischen Adligen^ entschei- 
dende Schritte zur Vertreibung des bourbonischen und zur Ein- 
führung des österreichischen Regiments in ihrer Stadt zu tun. D. 
Giuseppe Capece, der ebensogut deutsch und französisch wie 
italienisch sprach, wurde als geheimer Bevollmächtigter zum Kaiser 
entsandt. Er teilte ihm mit, der neapolitanische Adel sei bereit, 
einen Volksaufstand zu Gunsten des Kaisers zu erregen, wenn dieser 
eilig Unterstützung an Truppen sende und die Selbständigkeit 
Neapels sowie die Aufrechterhaltung der alten Privilegien gewähr- 
leiste. Als König solle dann der österreichische Bewerber um den 
spanischen Thron, Erzherzog Karl, ausgerufen werden. Nach Neapel 
zurückgekehrt, konnte Giuseppe Capece seinen Freunden einen 
glücklichen Abschluß der Verhandlungen melden. Wenn auch die 
Unterstützung mit kaiserlichen Truppen auf sich warten ließ, so 
erhielten die Verschworenen doch starken Rückhalt durch die kaiser- 
lichen Würdenträger in Rom, die sich zum Teil persönlich nach 
Neapel begaben, um die Sache zu fördern. So erschienen dort der 
Sekretär der kaiserlichen Gesandtschaft in Rom, Baron Chassignet 
<S a s s i n e t) und der kaiserliche Oberst Graf CarlodiSangro. Auch 
D. Girolamo Capece, derMarchesedi Rofrano,' zeigte sich vor- 
übergehend in Neapel. Er hatte in den kaiserlichen Truppen Dienste 
genommen und war in der kürzesten Zeit bis zum Oberst vorgerückt. 
Mitglieder des höchsten Adels von Neapel, wie Francesco Spi- 
nelli, Herzog von Castelluccio, TiberioCaraffa, Fürst von Chiu- 
sano, Bartolomeo Grimaldi, Herzog von Telese, schlössen sich 
der Bewegung an, deren Führer der kühne und entschlossene D. 
Gaetano Gambacorta, Fürst von Macchia wurde. Nach ihm 
wird diese Verschwörung in der Geschichte als Macchia -Ver- 
schwörung bezeichnet. 

Der Plan der Verschworenen ging dahin, den Vizekönig zu er- 
morden, die Kastelle der Stadt zu überrumpeln, die schwache spa- 
nische Besatzung zu vertreiben und in der Stadt den Erzherzog 
Karl als König von Neapel auszurufen. Am 6. Oktober 1701 sollte 
losgeschlagen werden. Aber die Ausführung des Unternehmens 
wurde plötzlich beschleunigt.. Briefe vom kaiserlichen Botschafter 



186 2. Teil : Astorga-Literatur. 

in Rom an einen der Verschworenen waren aufgefangen worden 
und hatten dem Vizekönig das Dasein einer Verschwörung enthüllt. 
Da ihm aber keine Angaben über deren Einzelheiten vorlagen, 
suchte er unmittelbar drohenden Gefahren durch Änderung seiner 
Lebensweise zu entgehen. Er befahl seinen Beamten und Truppen 
wachsam zu sein und alle Verdächtigen auf der Stelle zu ver- 
haften. Sollte also der Plan der Verschworenen nicht gänzlich 
vereitelt werden, so mußte er sobald als irgend möglich zur Aus- 
führung kommen. Schon am 23. September gab man das Zeichen 
zum Aufstand. Aber gleich dessen Anfang mißglückte: denn der 
Mordanschlag auf den Vizekönig wurde durch Verrat vereitelt. Das 
Castel Nuovo, das die Verschworenen mühelos in ihre Gewalt zu 
bekommen hofften, zeigte sich gut bewehrt, so daß ihr Angriff er- 
folglos blieb. Doch jetzt gab es für die Verschworenen kein »Zurück a 
mehr. Sie riefen Karl als König aus und pflanzten das österreichische 
Banner auf. Während die Bilder Philipps zu Boden geworfen und 
geschmäht wurden, richtete man solche von Karl auf und feierte 
ihn mit begeisterten Worten. Dem aufgeregten Volke verhieß man 
Straflosigkeit, Gnadenerweisungen und Vorrechte von selten des 
neuen Herrschers. Die Verwirrung war bald allgemein und erreichte 
ihr höchstes Maß, als der Pöbel zu morden und zu plündern anfing. 
Ein Erlaß des Fürsten von Macchia tat diesem Unfug wohl Ein- 
halt, verschlimmerte aber zugleich die Lage der Verschworenen, 
weil darin allen Nobili, die noch einen Tag zögerten, sich der Partei 
Karls anzuschließen, die Todesstrafe angedroht wurde. Durch diese 
Härte wurde das Gegenteil von dem erreicht, was beabsichtigt 
war: Manche stillen Förderer der Bewegung zogen die Hand von 
ihr ab und bekannten sich offen als Anhänger der Bourbonen. Die 
Verwegenen, die ihre ganze Existenz für das Unternehmen in die 
Schanze geschlagen hatten, waren nicht allzu zahlreich. Sie be- 
fanden sich in verzweifelter Lage. Der Vizekönig benutzte den ihm 
günstigen Augenblick. Er ließ die Bemannung der gerade von Sizi- 
lien her eingelaufenen spanischen Galeeren ausschiffen, vereinigte 
sie mit seinen Truppen und schickte sie aus dem Castel Nuovo gegen 
die Aufständischen vor. Diese wurden zurückgetrieben; in der 
Gegend der Kirchen von Sta. Chiara und S. Lorenzo aber faßten sie 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 187 

Posto. Hier entspann sich ein hitziger Kampf. Der Turm von 
Sta. Chiara, ein Hauptstützpunkt der Verschworenen, von dem die 
kaiserliche Fahne wehte, fiel zuerst in die Hände der Spanier. Nun 
blieb noch das Kloster von S. Lorenzo, in dem sich die Aufständi- 
schen verbarrikadiert hatten. Die Spanier stürmten es^. Während 
die Mehrzahl der Verschworenen das Kloster verteidigte, suchte 
Giuseppe Capece seine besonders exponierte Stellung auf der 
Freitreppe von S. Paolo, gegenüber von S. Lorenzo, zu behaupten'. 
Aber die persönliche Tapferkeit vermochte auf die Dauer der Über- 
macht der geschulten Truppen nicht standzuhalten. Die spanischen 
Soldaten nahmen auch die letzten Hindemisse, und die Verschwo- 
renen suchten ihr Heil in der Flucht. Die meisten wurden gefangen 
genommen und in den. Kerker geworfen. 

Giuseppe Capece entkam zunächst und verbarg sich in den 
Felsenschluchten von Montevergine bei Avellino. Doch die Ver- 
folger spürten ihn auf und schlössen ihn in einer Höhle ein. Er 
pflanzte sein Schwert mit dem Griff vor sich in die Erde, faßte mit 
der Rechten eine seiner Pistolen und rief den Häschern zu, lebendig 
würden sie ihn nicht bekommen. Eine Gewehrsalve krachte, und 
er stürzte in sein eigenes Schwert. Halbtot, erhielt er noch von 
einem Pater des benachbarten Camaldolenserklosters dell' Incoro- 
nata die Absolution. Die Schergen nahmen ihm sein Geld, 246 Doh- 
len, eine goldene Uhr und einen Diamantring ab und schlugen ihm 
den Kopf ab. Dieser wurde dann in einem eisernen Korb an einem 
der Türme des Castel Nuovo zu Neapel aufgehängt'. 

Am 3. Oktober wurde Strafgericht gehalten über die Empörer, 
die man gefangen genommen hatte. Zuerst wurde der kaiserliche 
Oberst Graf Carlo di Sangro auf dem Platze vor dem Castel 
Nuovo enthauptet. Sein Kopf kam neben den Giuseppe! Capeces. 
Dann wurden vier andere Verurteilte herbeigeschleift, die für den 
Galgen bestimmt waren. Man las ihnen das Urteil vor, in dem ihre 
Namen ausdrücklich genannt wurden. Sie hießen: 



1 P e r r i e r , a. a. 0. S. 54f . 

* Qranito, a.a.O. I, $.119. 

* Ebenda, S. 153. 



188 2. Teil : Astorga- Literatur. 

Gioacchino del Rio, 

Nicola Anastasio, 

Nicola Rispolo, alias alimento schemidore (Fecht- 
meister), 

Giovflßit Bosco, alias abate Cazzillo. 
»Sie sollen geschleift, gehangen, gevierteilt, und ihre Köpfe in 
den eisernen Gitterkorb gehangen werden; alles, wie es Majestäts- 
verbrechern ihres Schlages zukommt «i. 

So schloß das Urteil. Die Vollstreckung folgte. Alle anderen 
Neapolitaner, die bei der Empörung gefangen genommen worden 
waren, — es waren mehr denn hundert — , wurden nach kürzerer 
oder längerer Haft wieder freigelassen. Ihre Namen sind vollzählig 
überliefert 2. Es ist keiner darunter, der uns interessieren könnte. 
Was war aber aus Giuseppe Capeces älterem Bruder, dem Mar- 
chese di Rofrano, geworden? Er befand sich keineswegs unter 
den Hingerichteten. Heil und frei war er aus der Affäre hervorge- 
gangen, — oder richtiger: er hatte sich von Anfang an in schützen- 
der Entfernung von ihr gehalten. Beim Ausbruch der Empörung 
stand er mit den kaiserlichen, für Neapel bestimmten Hilfstruppen 
bei Cistema im Kirchenstaat. Dort wartete er die Nachrichten über 
den Verlauf der Dinge ab. Alsbald erfuhr er, ,daß der Aufstand 
mißglückt und niedergeworfen war; er hütete sich deshalb, die 
Grenze des Königreichs zu überschreiten. Da aber in Neapel sein 
Übergang in österreichische Dienste bekannt geworden war, ächtete 
ihn die spanische Regierung und zog seine Güter ein^ Nachdem 
somit alle Bande, die ihn an seine Vaterstadt geknüpft hatten, 
zerrissen waren, suchte der Marchese seine Beziehungen zur öster- 
reichischen Regierung um so inniger zu gestalten. Mit einigen 
anderen Nobili von der kaiserlichen Partei begab er sich nach Wi en^. 
Als Oberst der für Neapel bestimmt gewesenen — wenn auch 
nicht ins Treffen gekommenen — Truppen hoffte er dort Beachtung 



1 Ebenda, S. 156. 

* Ebenda, Dokumenten-Anhang S. 129f. 
s Ebenda, Dokumenten-Anhang, S. 49f . 

* T r y 1 i , a. a. 0. 364. 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 189 

zu finden. Auch mußte ihm dort angerechnet werden, daß er der 
Bruder jenes Capece war, der sein Leben so heldenhaft für die Sache 
des Kaisers geopfert hatte. Und wirklich avancierte er in Wien in 
kürzester Zeit. Zum Granden von Spanien ernannt, wurde er unter 
anderen zum Begleiter des Erzherzogs Karl erwählt, als dieser im 
Jahre 1704 nach Spanien gingi. Der Erzherzog, bzw. König Karl 
konnte jedoch wenig Zuneigung zu dem Marchese fassen, da er ihm 
zu unbescheiden und dünkelhaft war. Er sandte ihn deshalb bald 
nach Wien zurück. Im Januar 1705 traf der Marchese bereits wieder 
in der Kaiserstadt ein^. Trotz der Antipathien Karls gegen ihn 
wußte sich der schlaue Neapolitaner am österreichischen Hofe zu 
behaupten. 

Die glänzenden Siege, welche die Österreicher in den ersten 
Jahren des spanischen Erbfolgekrieges über ihre Gegner davon- 
getragen hatten^, legten dem Wiener Kabinett den Gedanken nahe, 
nun auch eine Expedition zur Eroberung von Neapel für Karl zu 
veranlassen. Seit dem unglücklichen Aufstand von 1701 wußten 
ja die Österreicher, daß sie dort auf einen gewissen Anhang rechnen 
konnten. Als nach dem Siege des Prinzen Eugen bei Turin (1706) 
die Franzosen aus Italien gänzlich hinausgedrängt worden waren, 
war der rechte Zeitpunkt zur Ausführung jenes Planes gekommen. 
Prinz Eugen sandte im Frühjahr 1707 ein Korps von 8000 Mann 
unter Daun gegen Neapel. Rasch wurden Capua und Aversa ein- 
genommen. Über diese Siege erschreckt, verzichtete die Stadt 
Neapel auf jeden Widerstand und nahm die Kaiserlichen mit — 
Jubel auf; auch die Kastelle ergaben sich in den nächsten Tagend. 

Von Wien aus hatte man den Marchese di Rofrano nebst 
einigen anderen neapolitanischen Nobili, die Interesse an der Ex^ 
pedition haben mußten, nach dem süditalienischen Kriegsschauplatze 



^ Granito, a.a.O. II, 39. 

» Wienerisches Diarium 1705, 3. Februar. Unter der Rubrik 
»Ankunft deren hohen und niedrigen Stands- Personen < heißt es an letzter 
Stelle: »Hr. Marches Roverano kombt auß Portugal!, log. im Gerstenbrandi- 
schen Haus«. — Vgl. auch G r a n i t o a. a. O. II, 117. 

* Näheres siehe S. 74. 

« C 1 1 e 1 1 a , a. a. O. S. 44f., Lebers Übersetzung S. 45 f. 



190 2. Teil: Astorga-Literatur. 

entsandt. Der Marchese wird sich im Felde vorsichtig hinter der 
Linie gehalten haben, denn er war kein Freund von Pulverdampf i. 
Dagegen war er flugs bei der Hand, dem König Karl die frohe 
Botschaft von dem glücklichen Ausgang der österreichischen Unter- 
nehmung zu überbringen. Mit einem Huldigungsschreiben der Bürger- 
schaft von Neapel reiste er am 9. Juli von dort ab und ging über 
Genua nach Barcelona, wo er am 14. ankamt. Als solcher Bote 
war dem König Karl selbst der Marchese willkommen, dem er sonst 
wenig gewogen war. Freudig bewegt über seine guten Nachrichten, 
belohnte er ihn mit dem Titel eines »Corriere maggiore « und verlieh 
ihm das Amt des »Governatore generale delle poste in Italia«, des 
Generalpostmeisters der österreichischen Posten in Italien, eine 
Stellung, die ihm viele hundert Dukaten im Jahre einbrachte '. 
So zog der Marchese den glänzendsten Gewinn aus den Unterneh- 
mungen, bei denen er nichts geleistet hatte. 

Am 15. August kehrte er mit einem huldvollen Antwortschreiben 
des Königs an die Einwohnerschaft von Neapel dorthin zurück. 
Im September ging der Marchese wieder ins Feld zu den Truppen, 
die Gaeta, die letzte von den Spaniern gehaltene Festung der kam«- 
panischen Küste, belagerten. Der Kommandant der österreichischen 
Truppen hatte ihn von dem nahe bevorstehenden Fall des Platzes 
unterrichtet und aufgefordert, dem Schauspiel der Übergabe beizu- 



1 G r a n i 1 (a. a. O. I, 254) erzählt launig Über des Marchese Teilnahme 
an der Schlacht bei Luzzara (15. August 1702): »An ein Spiel dieser 
Art war der Marchese von Rofrano nicht gewöhnt. Er zog sich bei den ersten 
Gewehrsalven in die Quartiere zurück mit der Entschuldigung, er habe das Fieber. 
Deshalb antwortete der Kammerdiener eines andren Nobile, als er tags darauf 
gefragt wurde, wo er während des Kampfes gewesen sei, er habe dem Marchese 
beigestanden, der an derselben Krankheit gelitten habe, wie er.« 

s Vgl. S. 163 und 232f. von D. Qio va mbatis t a Pujadies' 
M e m r i a 1 e i s t o r i c o , in cui per modo di Qiomale si narrono li prin- 
cipali avvenimenti succeduti per Tentrata deir Armi Austriache in questo 
Regno di Napoli neU' anno 1707 fino a' quartier! d'Invemo presi dalle mede- 
sime. ~ In Napoli . . , 1708. — Das Werk trägt die Widmung: Air Hlustris- 
simo ed Eccellentissimo Big. 11 Signor D. Girolamo Capece, Marchese 
di Rofrano, Signor del Busso etc., Qentilhuomo della Camera di S. M., Grande 
di Spagna, Govemador Generale delle Poste d' Italia etc. 

* G r a n i 1 , a. a. O. II, S. 183. 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 191 

wohnen. Der Marchese erschien im Lager in Gesellschaft eines D. 
Gaetano Capece i. Wie dieser mit Girolamo verwandt war, ist 
nicht überliefert'. Bis Gaeta gefallen war, blieb der iVlarchese bei 
den Truppen. Dann kehrte er unter dem lustigen Hörnerschall 
seiner Postillone^ mit der frohen Nachricht nach Neapel zurück, 
und das Volk jubelte ihm zu, als ob er der Sieger wäre. 

Während sich Girolamo seines unverdienten Glückes freute, 
gedachte König Karl pietätvoll Giuseppe Capeces, der sich 
vor sechs Jahren so heldenhaft für die Sache der Österreicher ge- 
opfert hatte. Er befahl, in Neapel für ihn sowie für Carlo di Sangro, 
der gleich ihm für Österreich gestorben war, eine Trauerfeier mit 
größtem Pomp zu veranstalten*. In der mit Trauerschmuck ver- 
sehenen Kapelle des Castel Nuovo wurde an den Särgen der Toten 
ein feierliches Totenamt gesungen; am Abend des 20. Februar 1708 
erfolgte die Überführung der Särge nach S. Domenico Maggiore. 
Voraus marschierte ein Regiment Fußsoldaten, die zum Zeichen 
der Trauer die Waffen umgekehrt trugen, unter Trauermusik. Dann 
kamen zwanzig Dominikaner, dann allerhand Würdenträger. In 
der Kirche von S. Domenico, die auch im Trauerschmuck prangte, 
nahm die Feier ihr Ende. Hier wurden die Leichen der Edelleute in 
den Kapellen ihrer Familien beigesetzt^. 

Dem Marchese di Rofrano, der von Jugend auf gern unterwegs 
war, mochte nichts willkommener sein, als sein Amt als Generai- 
postmeister, das ihm zu häufigen Reisen Veranlassung gab. Natür- 
lich reiste der hohe Staatsbeamte nicht ohne Komfort. Er besaß 
einen prächtigen, mit blauem Samt ausgeschlagenen Wagen, der 
vornehm genug war, um der Königin Elisabeth Christine, König 



1 P u J a d i e s , a. a. O. S. 321. 

* Wäre er ein Bruder Girolamos gewesen, so hätte das Pujadies wohl kaum 
verschwiegen. — Auch ob der General der päpstlichen Galeeren Marc eile 
Capece, den R e c c h i o (a. a. O., S. 64) 1717 als verstorben erwähnt, mit 
dem Marchese näher verwandt war, erfahren wir nicht. 

3 P u j a d i e s , a. a. O. S. 333. 

* Ebenda S. 236ff. 

» Granito, a. a. 0. II, 211f. 



192 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Karls schöner Gemahlin, bei ihrem Einzug in Barcelona (1. Aug. 
1708) als Staatskarosse zu dienend. 

Solange sich Karl in Spanien aufhielt, erforderten die Verbin- 
dungen zwischen dem Kaiserhofe zu Wien und dem Königshofe zu 
Barcelona die besondere Aufmerksamkeit des Generalpostmeisters. 
Deshalb war er viel zwischen diesen Städten unterwegs. Wichtige 
Staatsmissionen übernahm er als »Corriere maggiore« selbst. In 
letzterer Eigenschaft verließ er am 16. April 1711 Wien, um über 
Mailand nach Barcelona zu eilen'. Es galt, den König Karl von 
dem unmittelbar bevorstehenden Ableben seines Bruders, des 
Kaisers Joseph I. zu unterrichten, das übrigens bereits am Tage 
nach der Abreise des Marchese erfolgte. 

Aus dem spanischen König Karl wurde nun der deutsche Kaiser 
Karl, der Sechste seines Namens. Die neue Würde führte ihn in sein 
Vaterland zurück. Noch ehe er aus Spanien schied, eilte ihm der 
Marchese di Rofrano, zum »ersten Kammerherm seiner katholischen 
Majestät« ernannt«, nach Wien voraus. Er traf dort am 19. Sep- 
tember ein* ^ 

Am 22. Dezember wohnte der Marchese der Kaiserkrönung in 
Frankfurt bei, von wo er am 18. Januar 1712 wieder nach Wien 



^Johann Joachim Müller: Königlich Spanischer 
Vermählungssaal, Frankfurt und Leipzig 1710. 2. Teil, S. 399. Es 
heißt in der ausführlichen Schilderung des Einzuges: » Ihre Majestät die Kö- 
nigin in einem kostbaren, mit blauem Sammet ausgezierten Wagen, dem Mar- 
chese Rovrano gehörig, und mit einem Semmel-farbenen Zuge bespannt, da- 
rinne die Gräfin von öttingen, als Obrlst-Hof meisterin, unten an saß «. 

s Wienerisches Diarium, 1711, 16. April. 

* Die Ernennung erfolgte bereits in Barcelona. Wienerisches 
Diarium vom 19. September 171 1. — Auch J. Ehr. Zschackwitz 
(» Leben und Taten Caroli VI. <, Frankfurt 1723, S. 699) nennt in der » Kammer- 
herren-Ordnung 1712« den Marchese di Rofrano an erster Stelle. 

«Wienerisches Diarium vom 19. September 171 1. — Dem- 
nach erleidet die Angabe beiMarcusLandau (Geschichte Kaiser Karls VL 
als König von Spanien, Stuttgart 1889, S. 674), Karl habe sich am 27. Septem- 
ber 1711, »gefolgt vom Fürsten Liechtenstein, dem Grafen Ulefeld und dem 
Marchese Rofrano« von Barcelona nach Italien eingeschifft, eine Ein- 
schränkung. 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 193 

zurückkehrtet Da sich nach der Rijickkehr der Majestäten von 
Barcelona alles höfische und politische Leben in Wien konzentrierte, 
nahm auch der Marchese di Rofrano nun vorwiegend seinen Aufent- 
halt in der Kaiserstadt. Von dort aus leitete er seine Amtsgeschäf te, 
wofür die zahlreichen Meldungen an ihn einlaufender Kuriere in den 
Wiener Diarien Zeugnis ablegen. Mehr und mehr lebte sich der 
Marchese in Wien ein; um 1719 war er soweit zum Wiener geworden, 
daß er sich mit Eifer an dem echt wienerischen Sommervergnügen 
des »Kränzelschießens« beteiligte 2. 

Nach einer leider ganz abrupten Nachricht ^ hat der Marchese 
di Rofrano am 27. Februar 1721 das Incolatsrecht in Böhmen, — 
bzw. in Mähren oder Schlesien erworben. Zweifellos hatte er in 
einem dieser Länder eine Herrschaft gekauft. All unsre Bemühun- 
gen, Näheres darüber zu ermitteln, blieben erfolglos. 

Wenig später, am 10. Mai 1721, kaufte der Marchese den »freien 
Rothenhof « in Wien, sowie daran grenzende ausgedehnte Garten- 
gründe. 30 500 Gulden zahlte er für dieses Areal, das in der Gegend 
der heutigen Josephstadt, am Glacis, lag. Hier ließ er einen 
Palast mit Reitschule, Stall und Wagenremise erbauen. Johann 
Bernhard Fischer von Erlach, der größte Baumeister seiner 
Zeit, fertigte die Pläne dazu an, Johann Christian Neupauer 



1 Wienerisches Diarium 1712, 18. Jänner. 

'Wilhelm Kisch in seinem Werke »DiealtenStraßenund 
Plätze Wiens« (Wien 1883) S. 281 gibt die Beschreibung eines solchen 
» Kränzelschiefiens«, das am 11. August 1719 in der » F a v r i t a< stattfand. 
Das Fest war vom Kaiser arrangiert. Der Hof, darunter auch der Marchese 
di Rofrano, beteiligte sich lebhaft am Schießen. Kaiser Karl gewann die 
zwei ersten Kränze. — Vgl. femer: Wienerisches Diarium 1720, 
6. Juli. 

* AntonSchimon: DerAdelvon Böhmen, Mähren und 
Schlesien (Böhm. Leipa 1859). Auf S. 137 dieses Buches heißt es: » R f- 
f r a n , Hieronym, Marchese, 27. Febr. 1721 Incolat.« — Diese Notiz wird 
wörtlich wiederholt in dem Werke von A. Kräl von Dobrä Voda, das 
den gleichen Titel trägt, wie Schimons Buch (Prag 1904). S. 216. — SoUte 
M i k w e c' Astorga-Hypothese ihren Hauptstützpunkt etwa nur in Schimons 
Nachricht besitzen (was zeitlich wohl möglich ist), so wäre es um so übler um 
sie bestellt. 

Volkmann, Astorga. I. 13 



194 2. Teil: Astorga- Literatur. 

führte den Bau aus. Bereits im Jahre 1722 wurde das edel-einfach 
gehaltene Werk vollendet i. 

Aber der Marchese sollte sich seines Palastes nicht lange er- 
freuen. Im Frühjahr 1724 begab er sich nach Neapel, wohin ihm 
seine Gemahlin im Juni nachfolgte. Konnte man unterm 13. Juni 
noch von ihm berichten, daß er sich »immerzu bei vollkommener 
Gesundheit befinde, indem ihm seines Vaterlandes Luft sehr wohl 
anschlage «2, so mußte man kurz darauf seinen am 26. Juni 1724 
erfolgten Tod melden ». Ein Schlaganfall hatte seinem Leben ein 
Ziel gesetzt, einem Leben, dem das Glück gelacht hat, wie selten 
einem. Ein gewiegter Diplomat war der Marchese gewesen, der 
geschickt die Zeitverhältnisse auszunutzen und aus allen Situationen 
für sich Vorteil zu ziehen verstand. Aus dem gering begüterten 
Spieler war er ein steinreicher Mann, aus dem geächteten Über- 
läufer ein einflußreicher Würdenträger geworden. Wirklich zu be- 
wundern an ihm ist nur die Klugheit, mit der er sich trotz der 
Neider, die gewiß auch ihm nicht fehlten, in seiner Staatsstellung bis 
zu seinem Tode — also siebzehn Jahre lang — zu behaupten wußte. 

Zwei Kinder des Marchese sind nachweisbar. 



1 Die Einzelheiten über Rofranos Palast gebe ich nach Albert Ilgs 
Werk über »Die Fischer von Erlach« L (Wien 1895) S.73Qf. — 
Die an des Marchese Grundstück vorüberführende Straße — die heutige 
Lerchenfelder Straße — wurde nach ihm » Rofrano-Gasse < genannt. Diese 
Bezeichnung erhielt sich bis 1862. Laut Friedrich Umlaufts 
» Namenbuch der Stadt Wien < (Wien 1895) S. 123. 

« Wienerisches Diarium 1724. 8. Juli. 

s Wienerisches Diarium 1724. 15. Juli. Hier heißt es: »Mit 
denen jüngsten Italiänischen Briefen hat man vemohmen, was gestalten in 
der Kaiserlich- und Königlichen Haupt-Stadt Neapel, Ihre Excellentz Herr 
Hieronymus Prencipe Capicio, und Marches Rofrano, Ihrer Römisch-Kaiser- 
lich- und Catholischen Majestät würcklich geheimer Raht, Mitglied des höchst 
Spanischen Rahts, und Erb- Postmeister in Italien, den 26. abgewichenen Monats 
Junii durch einen Schlag-Fluß dieses Zeitliche gesegnet habe «. — In [Mi- 
chael Ranffts] Genealogisch-historischem Archi- 
var i u s (I. Bd., 3. Teil, 2. Aufl. Uipzig 1735, S. 173) wird der 29. J u n i als 
Todestag genannt, in Zedlers Universal-Lexikon (Suppl.-Bd. IV, 
Leipzig 1754, Artikel Capece) der 29. J u 1 i. — 1 1 g (a. a. O. S. 731) nennt als 
Todesjahr 1721. 



IV. Kap.: Girolamo und Giuseppe Capece. 195 

Sein einziger Sohn, Petrus Capece, Marchese von Rof rano, 
wurde am 1. August 1713 in Modern bei Preßburg geboren i. Sein 
Vorname dürfte nach dem seines Großvaters, Pietro, gewählt worden 
sein. Kaum neunzehnjährig, im Oktober 1732, sank dieser hoffnungs- 
volle Sproß des Markgrafenhauses ins Grab 2. Damit erloschen die 
Marchf<ii di Rofrano im Mannesstamme. 

Durch die Tochter des Marchese hat sich aber sein Blut bis auf 
die Gegenwart vererbt. 

Maria Theresia, Marquise von Rofrano wurde am 3. Juni 
1712 geboren. Am 6. September 1734 fand ihre Vermählung mit 
Leopold Ferdinand, Graf Kinsky statt». Der Graf, der 1713 
bis 1760 lebte, war kaiserlicher geheimer Rat, Kämmerer und 
Oberstlandjägermeister in Böhmen*. Seine Gattin Maria Theresia 
beschenkte ihn mit vier Kindern. Ihres erstgeborenen Sohnes 
Franz Ferdinand (1738—1806) Nachkommenschaft blüht noch 
heute*. 

Einige Zeit nachdem Maria Theresia ihren Gatten verloren 
hatte, heiratete sie den Grafen Ludwig von Brechainville. 
Dieser Graf war wegen seiner Tapferkeit von Daun zu dessen Flügel- 
adjutanten ernannt worden, 1766 wurde er Generaladjutant des 
Kaisers und Oberst, 1773 Generalmajor«. Seine letzte Beförderung 
zum k. k. Feldmarschall-Leutnant erlebte seine Gemahlin nicht 
mehr. Sie starb am 12. November 1778'. 

Die Gräfin war nach ihres Bruders Tode die alleinige Erbin des 
enormen Vermögens ihres Vaters geworden, und auch dessen 
Palast war in ihren Besitz übergegangen. Sie bewohnte ihn nur 



1 Wienerisches Diarium 1713. 11. August, 
s [MichaelRanffts] Genealogisch-historischer Archivarius, a. a. O., 
— Desgl. Zedier, Universal-Lexikon a.a.O. 

* Josef Envin Fol k mann: Die gefürstete Linie des Geschlechtes 
Kinsky. Prag 1861. Stammtafel. 

« Wurzbach, Lexikon, Bd. 11 8.282. 

» 1. Stammtafel der Grafen Kinsky bei W u r z b a c h , a. a. 0., nach 
S.304, und Taschenbuch der gräflichen Häuser 1909. S.447f. 

• Wurzbach, Lexikon, Bd. 2, S. 126. 

» Laut F 1 k m a n n , a. a. O. — A. 1 1 g (a. a. O. S. 731) nennt als 
Geburtsjahr der Marquise 1715, als Todesjahr 1773. 

13* 



196 2. Teil: Astorga- Literatur. 

während ihrer Ehe mit dem Grafen Kinsky; später vermietete sie 
ihn. Im Jahre 1778 kaufte der Fürst Johann Adam Auers- 
perg den Palast; im Besitz der fürstlich Auerspergschen Familie ist 
er bis auf den heutigen Tag geblieben^. Jetzt gibt der Auersperg- 
sche Palast allerdings keine rechte Vorstellung mehr davon, wie das 
Gebäude zu den Zeiten der Rofranos aussah. Denn der einfach- 
schöne Bau ist in neuerer Zeit durch eine Umgestaltung der Fassade 
aller seiner Eigenart beraubt worden'. 

Soviel über die Familie Capece-Rofrano. Selten findet sich 
ein so gewaltiger Kontrast zwischen Menschennaturen, wie er zwi- 
schen den markantesten Gliedern dieses Hauses, den Brüdern Giro- 
lamo und Giuseppe zutage tritt. Hier der kleinmütige Streber, der 
außer seinen Doblen im Spiel niemals im Leben etwas gewagt hat, 
der nur erntet, was andere gesät haben, der ohne jede Mühe von 
einem Erfolge zum andern schreitet; — und dort der kühne Heiß- 
sporn, der fehlt und büßt und schließlich kämpfend untergeht. 
Als ein Held, der seine Schuld voll gesühnt hat, steht Giuseppe 
Capeceda, Girolamo aber als ein glatter Höfling, in dessen Lauf- 
bahn nicht Tatkraft und Verdienst, sondern nur das Glück die 
Entscheidung brachte. 



Fragen wir schließlich, ob in der Geschichte des Hauses Capece- 
Rofrano, in deren Darstellung wir kein für uns erreichbares De- 
tail unberücksichtigt gelassen haben, irgend welche Anzeichen auf 
einen, wenn auch noch so losen Zusammenhang dieses Hauses mit 
dem des Tondichters d'Astorga hindeuten, — so müssen wir mit 
»nein« antworten. Nicht die geringste Spur davon ist zu ent- 
decken. Wenn die Annahme eines solchen Zusammenhanges nicht 
bereits durch ihren Widerspruch mit den authentischen, von uns 
dargebotenen Astorga- Nachrichten als falsch erwiesen wäre, so 
verlöre sie schon angesichts der Geschichte des Hauses Capece- 
Rofrano jeden Halt. Denn die Vorstellungen von den Personen, 



» A. I lg, a.a.O. S.731. 
« Ebenda, S. 735. 



V. Kap. : Die Astorga-Literatur der jüngsten Zeit 197 



den zeitlichen und örtlichen Verhältnissen, auf die Mikowec und 
seine Schüler ihre Hypothesen gründeten, waren zum großen Teile 
unrichtig; das lehrt ihr Vergleich mit den wirklichen Personen 
und Zeit- und Ortsverhältnissen, welche die Geschichte zeigt. Bei 
jenen »Entdeckern« wirkte die Hast, Aufschluß zu bringen, Un- 
gründlichkeit der Forschung, Phantasie und Leichtgläubigkeit 
zusammen, gänzlich fremde Dinge miteinander zu verbinden. 



V. Kapitel 

Die Astorga-Literatur der jüngsten Zeit. 

Wir nehmen den mit Schluß des dritten Kapitels fallen gelassenen 
Faden wieder auf und schauen zu, was außer dem bereits Bespro- 
chenen noch über Astorga geschrieben worden ist. Damit treten 
wir in die Periode des letzten Ausreifens der Astorgamärchen und der 
ersten Ansätze zu einer kritischen Behandlungsweise des Stoffes ein. 

Das Rätsel der Herkunft Astorgas glaubte man gelöst zu 
haben. Noch schwebte aber geheimnisvolles Dunkel über seinem 
Ende. Man hatte zwar Hermanns Angabe akzeptiert, Emanuel sei 
1736 gestorben; aber den Ort seines Todes kannte man noch immer 
nicht. Nur daß er in Böhmen, vielleicht in einem Franziskaner- 
kloster, seine Tage beschlossen habe, besagten die letzten Ver- 
öffentlichungen über den Meister. Da wurde eines Tages diese all- 
gemeine Angabe durch die bestimmte ersetzt, Emanuel d' Astorga 
sei auf dem fürstlich Lobkowitzschen Schlosse zu Raudnitz 
in Böhmen gestorben. 

Um volle Klarheit über Ursprung und Wesen dieser Nachricht 
zu gewinnen, müssen wir weit ausholen. 

Wo das anmutige nordböhmische Mittelgebirge seine letzten 
Wellen gen Süden sendet, da liegt am Eibstrom das Städtchen 
Raudnitz, überragt von dem malerisch auf hohem Felsen thronen- 
den Schlosse der Fürsten Lobkowitz. Dieses Schloß, das heute 
eine bedeutende Gemälde- und Waffensammlung sowie eine an 
Handschriften und Inkunabeln reiche Bibliothek birgt, hat eine 



198 2. Teil: Astorga-Literatur. 

in mancher Hinsicht interessante Vergangenheit. Hier wurde der 
berühmte »letzte römische Tribun« Cola di Rienzi von Kaiser 
Karl IV. gefangen gehalten. Hier entfaltete sich im 16. Jahr- 
hundert unter Wilhelm von Rosenberg aller Glanz, den die 
Hofhaltung eines der reichsten und mächtigsten österreichischen 
Feudalherren aufzuweisen vermochte. Der ritterliche Fürst Wenzel 
Eusebius von Lobkowitz und sein Sohn Ferdinand August 
ließen in den Jahren 1652 — 1684 das Schloß von Grund aus neu 
bauen. Verschiedene italienische Baumeister, unter ihnen die her- 
vorragenden Künstler Francesco Caratti und Antonio Porta, 
schufen hier eines der edelsten Werke italienischen Barockstils in 
Böhmen. Die einzelnen Entstehungsphasen dieses gewaltigen 
Architekturdenkmals schildert Max Dvorak, der langjährige Ar- 
chivar und Bibliothekar des Schlosses, eingehend in seiner 1873 
in Prag erschienenen »Geschichte des Raudnitzer Schloss- 
Baues«^. Auch die allgemeine Geschichte des Schlosses sowie der 
Stadt Raudnitz wird in Dvoräks Schrift ziemlich ausführlich 
mitgeteilt. Irgend ein Wort über einen Aufenthalt oder gar den 
Tod Astorgas in Raudnitz kommt in dem gründlichen Werke nicht 
vor. 

Eine Besprechung dieser Dvoräkschen Schrift erschien in der 
Wiener Abendpost vom 2. September 1873 (Nr. 202). Der 
Referent wußte darin auch etwas Eigenes zur Geschichte des 
Schlosses Raudnitz zum besten zu geben; er läßt sich folgender- 
maßen vernehmen: 

»Nach bestimmten Andeutungen, welche der der historischen 
Forschung zu früh entrissene Ferdinand Mikowec im Archive 
fand, endete Emanuel d'Astorga, eigentlich ein Marchese Capece da 
Roffrano, sein Leben in der stillen Abgeschiedenheit des Asyls, das 
ihm die ihm verwandte fürstliche Familie Lobkowitz im Raudnitzer 
Schlosse eingeräumt, und nicht, wie es in den Biographien heißt, 
in einem böhmischen Kloster.« 



^ Das Werk ist gedacht als ein »Beitrag zur Geschichte der Preise«. 
— Dieser Schrift sind unsre obigen historischen Notizen über das Schloß Raud- 
nitz entnommen. 



V. Kap.: Die Ast orga- Literatur der jüngsten Zeit. 199 

Mit Überraschung hören wir den Referenten als Gewährsmann 
für seine Mitteilung Mikowec nennen, jenen Prager Gelehrten^ 
mit dem wir uns schon eingehend beschäftigt haben. Nach dem 
Passus in der »Abendpost« scheint es, als ob Mikowec' Forschungen 
über den Ort, wo Astorga starb, doch noch ein Resultat gezeitigt 
hätten. Aber es scheint nur so. Prüfen wir zunächst die Meldung 
der »Abendpost«. Ihr Autor bekennt sich zu dem Glauben, 
Emanuel sei ein Capece-Rofrano gewesen. Falsch ist sodann 
die Angabe, die Marchesi Capece-Rofrano seien mit den Fürsten 
Lobkowitz verwandt gewesen. Sie waren in Wirklichkeit mit 
den Grafen Kinsky verschwägert, was auch Mikowec s. Zt. im 
Lumir erwähnt hatte. Es liegt also hier eine Verwechslung der 
beiden berühmten böhmischen Magnatengeschlechter vor. Nun 
erklärt sich aber die Entstehung der ganzen Notiz: Mikowec hatte 
kurz vor seinem Tode seinen Freunden und darunter auch dem 
nachmaligen Referenten der »Wiener Abendpost« ein Schloß der 
Grafen Kinsky genannt, auf dem Astorga, bzw. der Marchese 
Capece Rofrano gestorben sein könne. Ein Jahrzehnt ging dar- 
über hin. Der Referent hatte Schloß und Familie vergessen. Da 
kam ihm Dvoräks Buch über das Raudnitzer Schloß in die Hände. 
Bei der Beschäftigung mit diesem Stoffe mochte in ihm die Erinne- 
rung an Mikowec' Mitteilung wiedererwachen, zugleich sich aber 
der Irrtum einstellen, Mikowec habe damals Raudnitz und das 
Haus Lobkowitz in Verbindung mit jenem Marchese genannt. 
Derartige falsche Kombinationen laufen einem jeden, selbst dem 
besten Gedächtnis gelegentlich einmal unter. In dieser Weise 
modifiziert, wurde Mikowec' Konjektur in die Besprechung jenes 
Buches eingefügt. 

Wir hätten Grund genug, die Meldung der »Abendpost « als eitel 
Verwechslung und Irrtum abzuweisen. Nur eins läßt uns noch 
damit zaudern. 

In der »Wiener Abendpost« ist doch ausdrücklich die Quelle 
genannt, aus der Mikowec seine Nachricht geschöpft habe: er hat 
jene »Andeutungen« im »Archiv« gefunden. In welchem Archiv? 
Natürlich wird man zunächst annehmen, es sei das auf Schloß Raud- 
nitz gemeint. Ich fragte deshalb bei Herrn Archivar Dvorak in 



200 2. Teil: Astorga-Literatur. 

Raudnitz an, ob sich im dortigen Schloßarchiv auf dieses Thema 
bezügliche Urkunden vorfinden. Darauf erhielt ich (21. 2. 1906) 
folgenden Bescheid: »Im Lobkowitzschen Archive zu Raudnitz ist 
nicht die leiseste Andeutung vorhanden, nach welcher Astorga 
(Marchese Capece da Rofrano) im Schlosse zu Raudnitz gewesen 
und gestorben wäre.« Auch an das Stadtpfarramt zu Raudnitz 
richtete ich eine derartige Anfrage. Herr Propst Vac. Kotreh 
teilte mir daraufhin mit (15. 9. 1909), daß auch seine Nachfor- 
schungen resultatlos geblieben sind^. v 

In Raudnitzer Archiven ist also nichts zu unserm Thema zu 
finden. Wir blicken noch einmal auf die Notiz in der »Abendpost « 
und erkennen, wie mangelhaft darin die Quellenangabe eigentlich 
ist. Ist hier überhaupt ein Schloß- oder Staatsarchiv oder eine 
Zeitschrift »Archiv « gemeint? Beides kann sein. Während mir 
Nachforschungen in böhmischen Urkundensammlungen zur 
Zeit unmöglich waren, konnte ich eine große Anzahl literarische, 
historische und geographische Zeitschriften mit dem Titel »Archiv« 
durchsehen: Aber nirgends habe ich eine Erwähnung Astorgas, bzw. 
eines Marchese Capece-Rofrano gefunden. Können wir auch nicht 
beweisen, daß jene Quellenangabe eines bestimmten Hintergrundes 
entbehrt, so macht es doch der Zusammenhang, in dem sie steht, 
wahrscheinlich, daß sie lediglich eine passende Phrase des Refe- 
renten ist. 

Die »Quellenangabe« kann uns also nicht hindern, die Nach- 
richt als unhaltbar abzuweisen. Wir müßten dies ja schon tun, 
weil sie in Widerspruch mit der alten authentischen Nachricht 
steht, daß Astorga in Spanien gestorben ist. 

Die Neuigkeit der »Wiener Abendpost « über Astorgas Ende ging 
einige Jahre später in die musikhistorische Fachliteratur über. Carl 
Ferdinand Pohl, der verdienstvolle Haydnbiograph, führte sie 



^ Der Herr Propst schrieb mir u. a.: »Ich habe genau alle Akte (Ein- 
schreibungen) des hiesigen Sterbebuches vom Jahre 1735 — ^52 durchgelesen; 
auch die Namenregister des Tauf- und Trauungsbuches aus jener Zeit durch- 
gesehen (unter den Schlagworten: Astorga, Capece, Rofrano), allein keine ein- 
zige Andeutung solchen Namens gefunden. Also wird der Gesuchte hier nicht 
gestorben sein.« 



V. Kap.: Die Astorga-Literatur der jüngsten Zeit. 201 

dort ein. Er hatte für das große Musiklexikon von Grove den 
Artikel »Astorga« übernommen und suchte alles, was er an neuen 
Notizen über den Meister erreichen konnte, dafür zu verwerten. 
Die Nachricht aus der »Abendpost « nahm er jedoch nicht ohne 
weiteres auf. Er suchte der Sache zuvor auf den Grund zu gehen. 
Wie ich in neuester Zeit, so bat auch er, und zwar am 15. März 
1875 Herrn Archivar Dvofäk in Raudnitz um eine Bestätigung 
der Nachricht aus dem Raudnitzer Schloßarchiv ^. Die Antwort 
an ihn lautete, wie die an mich: In Raudnitz findet sich nichts über 
Astorga. 

Trotzdem nahm Pohl die Meldung aus der Abendpost in seinen 
Artikel hinüber. Wenn sich noch eine Bestätigung in Raudnitz 
finden sollte, so könne sie ja im Nachtrag des Lexikons angebracht 
werden, so schrieb er (25. 5. 1875) an Archivar Dvorak. Pohl war 
also trotz mangelnder Beweise von der Richtigkeit der Meldung 
überzeugt. Gleichwohl wäre es unbedingt notwendig gewesen, bei 
der Weitergabe der Nachricht deren Quelle genau zu nennen. Aber 
als 1879 der Astorga-Artikel im ersten Bande von 

George Groves Dictionary of Music and Musicians er- 
schien, war dort die »Abendpost « mit keinem Worte erwähnt. 
Der Passus über Astorgas Ausgang aber lautete: 

»[Astorga] retired to Bohemia, where he died August 21, 1736, 
not however, as usually stated, in a monastery, but in the Schloß 
Raudnitz, wich had been given up to him by its owner, the prince 
of Lobkowitz, and the archives of which contain evidence 
of the fact.ff 

Die letzte Behauptung widerspricht geradezu dem Sachverhalt. 
Das lehrt ein Blick auf unsre obigen Darlegungen. Pohls Autorität 
verschaffte der irrtümlichen Angabe über Astorgas Ausgang Kredit 



1 Herr Archivar Dvorak ließ mich Einsicht in Pohls Briefe nehmen. 
Auf diese Weise gewann ich erst ein klares Bild von der Entstehung der betr. 
Notiz bei Grove. — Leider erreicht der innige Dank, den ich an dieser Stelle 
Herrn Archivar D v o r i^ k für seine Unterstützung meiner Forschungen zum 
Ausdruck bringe, den ausgezeichneten Gelehrten nicht mehr. Er ist am 
9. Januar 1909 in Raudnitz gestorben. 



r • 



202 2. Teil: Astorga-Literatur. 

bei späteren Autoren; die Verschweigung seiner Quelle versenkte 
diese jedoch bis auf den heutigen Tag in Vergessenheit i. 

Neben den anfechtbaren Passus tritt in Pohls Artikel aber 
auch eine dankenswerte Bereicherung des biographischen Materials. 
Es ist der Hinweis auf Astorgas Anwesenheit zu Wien 1712 bei 
der Taufe von Caldaras Tochter. War auch die Notiz nicht unzwei- 
deutig, so bot Pohl doch in der Quellenangabe die Handhabe, den 
Sachverhalt genau zu ermitteln; — wir haben im ersten Teile (S. 79f.) 
das Resultat unsrer darauf bezüglichen Nachforschungen gebucht. 

Im übrigen enthält Pohls Artikel eine vorzügliche Zusammen- 
fassung aller wichtigeren bis dahin bekannt gewordenen Wahrheiten 
und Unwahrheiten über Astorga. F6tis (Biogr. univ., 2. Aufl.) 
war sefne Hauptquelle. 

In der zweiten Auflage von Groves Dictionary, die Füller 
Maitland besorgt hat (1904), sind nur einige kleine Änderungen 
angebracht worden, die jedoch keine Verbesserungen bedeuten '. 
Hier repräsentiert der Artikel die Phase der reichsten Entwicklung 
der Astorga-Märchen. Wir haben ihn deshalb dem Lebensabri& 
in der Einleitung unsrer Schrift zu Grunde gelegt. Blättert man 
zurück und liest ihn jetzt, so wird man leicht Herkunft und Wert 
seiner Einzelheiten erkennen. 

Die Astorga-Neuigkeiten, die mit dem ersten Erscheinen von 
Groves Lexikon der Öffentlichkeit übergeben wurden, gingen keines- 
wegs so schnell in andere musikhistorische Werke über, als man bei 
ihrer Wichtigkeit hätte erwarten können. Erst im Jahre 1900 
wurden sie gleichzeitig in einem englischen und einem deutschen 
Werke wiedergegeben: in Theodore Bakers »Biographical Dic- 
tionary of Musicians« und in Adolf Prosniz' »Compendium 
der Musikgeschichte«. Sodann brachte sie Füller Maitland 



^ Auch ich habe erst durch Pohls Briefe an Dvorak von der Notiz in der 
^Wiener Abendpost« Kenntnis erhalten. 

• Erwähnenswert ist nur die folgende: Nach Stechow, bez. Eitner 
(vgl. S. 204 ff.) wird statt Palermo nun Neapel als Geburtsort Astoigas 
genannt. Die Angabe, der junge Emanuel habe in Palermo bei Francesco 
S c a r 1 a 1 1 i Unterricht genossen, wird jedoch unverändert wiederholt. 
Füller Maitland bezweifelt aber auch einzelne Astorga-Nachrichten. 



V. Kap.: Die Astorga- Literatur der jüngsten Zeit. 203 

in der »Oxford History of Musik« (IV, 61; 1902). Hugo Rie- 
mann berücksichtigte sie in seinem »Musik -Lexikon« von der 
6. Auflage an (1905). 

In diese Gruppe gehört auch das Astorga-Kapitel in dem Buche 
»Carlos d'Austria y Elisabeth de Brunswich-Wolfenbüttel a 
Barcelona y Girona — Karl von Österreich und Elisabeth von 
Braunschweig-Wolfenbüttel in Barcelona und Girona« von Joseph 
Rafel Carreras y Bulbena (Barcelona 1902). Dieses Werk 
bildet eine bibliographische Merkwürdigkeit. Es ist in katalonischer 
Sprache geschrieben, enthält aber, Seite für Seite gegenübergedruckt, 
die deutsche Übersetzung. Der Wert des Buches liegt in der Fülle 
des Neuen, das Carreras aus spanischen Archiven über das glänzende 
Hof leben mitteilt, das sich während der kurzen Regierungszeit Karls 
des Sechsten als König von Spanien in Barcelona entfaltete. Das 
ziemlich umfangreiche Kapitel über Astorga stützt sich in seinem 
biographischen Teil auf Pohl-Groves Artikel. Der Verfasser 
bietet jedoch auch zwei neue Einzelheiten: erstlich, der junge Ema- 
nuel sei in Astorga im Dominikanerkloster S. Dictinio unter- 
gebracht worden (S. 160), und zweitens, er sei von Portugal mit 
einer Empfehlung an den portugiesischen Gesandten versehen, an 
den Hof Karls nach Barcelona gekommen (S. 162). Diese Angaben 
stammen jedoch nicht aus dokumentarischen Quellen, sondern sind 
lediglich Schlußfolgerungen des Verfassers aus der Skizze bei Grove. 
Das bestätigte mir auf meine Anfrage hin Herr Carreras selbst. 
In die Schilderung von Astorgas Leben fügte der Verfasser auch 
einige Mitteilungen über Text und Musik der Oper Dafni ein. Er 
stützte sich dabei nur auf die Fragmente, die Molitor aus der 
Wiener Partitur für seine »Belegstücke zur Musikgeschichte« hatte 
kopieren lassen i. Diese Sätze sind im Anhang seines Buches — 



1 Kaiserl. Hofbibliothek zu Wien Nr. 19 239. (»Molitors Materialien zur 
Musikgeschichte«). Wie eine Notiz auf der Wiener Abschrift verrät, geschah 
die Auswahl der Sätze auf Anregung Kiesewetters, der sie als die schönsten 
des Werkes bezeichnet hatte. Es sind: 1. Introduzione. — 2. Scena I. Arie: 
»Jo t'invoco«. — 3. Scena V. Arie: »Vo cercando«, Recitatlv: »Dov* 6 U mio 
ben< und Arie: »Ma la mia bella«. — 4. Scena VI. Recitativ: »Si vide mai« und 
Arie: »Son amante«. 



204 2. Teil : Astorga-Literatur. 

leider mit zahlreichen Druckfehlern — publiziert. Natürlich ver- 
mitteln diese Bruchstücke auch nur fragmentarische Begriffe von 
der poetischen und musikalischen Beschaffenheit der Oper. 

Es lag nicht in Carreras* Absicht, zur Geschichte Astorgas kritisch 
Stellung zu nehmen. Er wollte nur den für ihn erreichbaren Stoff 
Geschichts- und Kunstfreunden zugänglich machen. 

Wir kommen zu der letzten Gruppe der Astorga-Literatur. 
Auch hier herrschen die überkommenen Märchen vor; aber mitten 
unter ihnen erscheinen die ersten Ansätze zu einer kritischen 
Behandlungsweise des Stoffes. Das gibt diesen Arbeiten ihr be- 
sonderes Gepräge. Nur zwei Artikel gehören zu dieser Gruppe: ein 
umfangreicher, bedeutender, und ein kleiner, skizzenhafter, der 
wenig mehr als ein kurzer Auszug aus dem ersten ist Jener 
große Aufsatz ist betitelt »Emanuele d'Astorga« und stammt 
aus der Feder von 

W. Stechow. Er eröffnet den 16. Jahrgang von Chrysanders 
»Allgemeiner Musikalischer Zeitung« (Nr. 1 und 2; 5. und 
12. Januar 1881). Dieser Artikel ist die Arbeit eines ebenso fleißigen 
wie geschickten Schriftstellers. Er ist wertvoll durch die reichlichen 
Hinweise auf einschlägige Literatur, die auch uns in mancher Be- 
ziehung genützt haben. Flott und geistreich geschrieben, bietet 
er eine fesselnde Lektüre. Das Wesentlichste des Artikels sind 
die eigentlich kritischen Partien. In diesen beschäftigt sich der 
Verfasser speziell mit den Rochlitzschen Nachrichten. Stechow ist 
der erste, der in diesem Zusammenhang mit Nachdruck erklärt, 
daß alles, was Rochlitz über Geschichte geschrieben hat, durchaus 
unzuverlässig ist. Damit stellt er also auch die Astorga-Nach- 
richten Rochlitz' im ganzen als problematisch hin. Aber obschon 
er bei der Prüfung und Glossierung der Rochlitzschen Details 
keinerlei Rücksicht nimmt, — er überschüttet den alten Plauderer 
wiederholt mit Spott und Hohn — , gelingt es ihm doch nur in 
einem einzigen Punkte, Rochlitz eine wirkliche Fälschung nach- 
zuweisen: in seiner Darstellung von Astorgas Liebesverhältnis 
mit der Prinzessin von Parma. Er zeigt, daß die Einzelheiten, 
die Rochlitz über dieses Verhältnis erzählt, mit den historischen 
Tatsachen unvereinbar sind (vgl. S. 161). Hier offenbare sich 



V. Kap.: Die Astorga- Literatur der jüngsten Zeit. 205 

Rochlitz' »frevelhafte Ignoranz« in historischen Dingen und trete 
die. Unwahrheit seiner Meldung offen zutage. Der Beweis gelingt 
Stechow vollkommen. Eine Bresche ist in den Märchenbau ge- 
schlagen. Aber Stechow ist kein guter Taktiker: er nützt seinen 
Erfolg nicht aus. Statt nun nach Analogieschluß die ^- ohnehin 
schon diskreditierten — übrigen Rochlitzschen Neuigkeiten fallen 
zu lassen, nimmt er sich eifrig ihrer an. Er gibt ihnen breite 
historische Untermalungen und gründet weitere Vermutungen auf 
sie. Somit verstrickt er sich auf der einen Seite in dem Märchen- 
netze, dessen Maschen er auf der anderen Seite zu lösen begann. 
Auch den nachrochlitzschen Neuigkeiten gegenüber versagt 
Stechpws Urteilskraft. Er erkennt ihren kausalen Zusammenhang 
mit denen Rochlitz' nicht und nimmt sie als selbständige, zu- 
verlässige Meldungen hin. Namentlich die angebliche Verwandt- 
schaft des Künstlers mit den Capece-Rofranos interessiert ihn, 
und er bemüht sich, möglichst genaue Auskunft über diese 
Familie zu erteilen. Zu diesem Zwecke griff er sogar zu Le Brets 
Geschichte von Italien (Halle 1787) und gab danach, sowie nach 
Colletta, eine ziemlich ausführliche Schilderung des Macchia- Auf- 
standes. Er erkannte, daß die Capece-Rofranos nur eine neapolita- 
nische Familie waren und der in Betracht kommende Aufstand 
nur in Neapel stattgefunden hatte. Deshalb tadelt er das Schwan- 
ken hinsichtlich der Ortlichkeit bei den früheren Autoren, die Emar 
nuel bald für einen Sizilianer, bald für einen Neapolitaner erklärten 
und seinen Vater bald in Palermo, bald in Neapel enden ließen. 
Neapel allein komme in Betracht. Auch hinsichtlich der Persön- 
lichkeit von Emanuels Vater weiß er Eigenes vorzubringen. Stechow 
hatte außer jenem gemeinhin als Vater Emanuels betrachteten Giro- 
lamo ja noch Giuseppe Capece (allerdings nicht Rof rano) unter 
den Macchia-Verschwörem erwähnt gefunden. Er scheint nicht 
abgeneigt, ihn als Vater des Künstlers bezeichnen zu wollen, da 
Giuseppes Untergang in dem Aufstande ausdrücklich in der Ge- 
schichte erwähnt wird, wenn auch unter anderen Begleitumständen, 
als sie Rochlitz angibt. Aber Stechow ist vorsichtig. Er läßt die 
Frage offen, indem er sagt: »Falls man nun nicht etwa diesen 
Capece für Astorgas Vater . . . halten will, so würde es sich dabei 



206 2. Teil: Astorga-Literatur. 

lediglich um Girolamo Capece . . . handeln können, t Daß aber 
Girolamo nicht in der Verschwörung unterging, sondern sein Glück 
durch sie machte, das entdeckte auch Stechow nicht. — Da er 
Emanuel als Neapolitaner sicher zu haben glaubt, erklärt er den 
Neapolitaner Alessandro Scarlatti für seinen Lehrer, jegliches Ein« 
gehen auf den »mythischen« Francesco Scarlatti, den Molitor als 
seinen Lehrer genannt hatte, erledige sich. — Der feste Glaube, 
Emanuel sei zur Zeit des Macchia-Aufstandes in Neapel gewesen, 
verführt Stechow zu einer weiteren Konjektur. Er hat von dem 
Besuche des spanischen Königs Philipp V. in Neapel im Frühjahr 
1702 gelesen und meint nun, dieser König könne vielleicht selbst die 
»Entfernung des jungen Capece aus Neapel veranlaßt«, er könne 
ihn nach Spanien vorausgeschickt oder mitgenommen haben. Nun 
erst habe ihn die Fürstin Ursini in »ihren besonderen Schutz« ge- 
nommen. Schließlich erwägt er auch noch die Möglichkeit, daß 
Emanuel direkt von dem Kloster zu Astorga an den Hof des Gegen- 
königs Karl nach Barcelona gekommen sei, wo er ja 1709 seinen 
Dafni komponiert und in Szene gesetzt habe . . . 

Man sieht: Stechow hatte mit eigenen Hypothesen kein Glück. 
Seine an sich scharfsinnigen Schlüsse konnten das Richtige nicht 
treffen, weil er sie aus den überkommenen falschen Anschauungen 
zog. So steigerte auch er, trotz seiner Absicht, Klärung zu schaffen, 
die Verwirrung in Sachen Astorgas. 

Noch bleiben einige Worte über den kurzen Auszug von Stechows 
Artikel zu sagen, auf den wir bereits oben hingedeutet haben. Es 
ist der Lebensabriß, den 

Robert Eitner dem Abschnitt »Astorga« in seinem Quellen- 
Lexikon (1. Bd., 1900) beigab. In diesem Paragraphen war es 
Eitner hauptsächlich um die Zusammenstellung eines möglichst 
vollständigen Verzeichnisses der Werke Astorgas zu tun. In den 
kurzen biographischen Notizen, die er hinzufügte, wollte er nur 
Sichres, Wohlverbürgtes, darreichen. Eine solche Auswahl aus den 
Schriften früherer Autoren schien ihm Stechow richtig getroffen zu 
haben, — und so wiederholte er das von diesem Akzeptierte. Von 
Stechows Mißtrauen gegen Rochlitz angesteckt, erklärt er sodann 
alle in seinem Auszug ungenannt gelassenen »Aufenthaltsorte Astor- 



V. Kap.: Die Astorga-Literatur der jüngsten Zeit. 207 

gas und die damit verbundenen Anekdoten für eitel Wind« und 
schiebt Rochlitz die Schuld an ihrer Verbreitung zu. Damit schießt 
er aber über das rechte Ziel hinaus. Denn die durch jene Erklärung 
getroffenen Nachrichten von Emanuels Aufenthalt in Livorno und 
Lissabon sind gewiß kein Wind, und nicht erst von Rochlitz, son- 
dern schon von Hawkins und Gerber verbreitet worden. Eitners 
Skizze, in der Wahres und Falsches dichter denn irgendwo anders 
beisammen steht, in der gleichwohl ihr Verfasser ein Stück kritische 
Arbeit geleistet zu haben glaubte, — diese Skizze ist der beste Be- 
weis dafür, daß auf der bisher benutzten Basis und mit den meisten 
der bisher benutzten Mittel überhaupt kein klares und wahres 
Bild vom Leben Astorgas zu gewinnen ist. Nur von neuen, von der 
allgemein bekannten Astorga-Literatur unabhängigen Nachrichten 
stand Klärung zu hoffen. Aber die Schriften zur Topographie 
Siziliens (vgl. S. 133f.), die schon lange einen Umschwung hätten 
herbeiführen können, blieben unbekannt. Auch das Werk, bei 
dessen Studium ich endlich den zum erwünschten Ziele führenden 
Weg entdeckte, liegt bereits seit 1893 im Druck vor. Es ist der 
Catalogo della Biblioteca del Liceo Musicale di*Bologna, 
compilato da Gaetano Gaspari, compiuto ... da Luigi Torchi 
(vgl. S. 6). Die in diesem Katalog abgedruckte Vorrede zu Astorgas 
Kantatenpublikation vom Jahre 1726, sowie deren Titel, die beide 
die wertvollsten autobiographischen Andeutungen enthalten, wurden 
der Ausgangspunkt für unsre neue, von den alten Märchen unab- 
hängige Lebensgeschichte des Meisters. 



Überschauen wir den Weg, den wir stationenweise zurückgelegt, 
im ganzen. Wir sehen, wie unser Pfad anfänglich gerade vorwärts 
leitet, weiterhin sich aber in die Gänge eines Irrgartens verliert. 
Während im achtzehnten Jahrhundert im wesentlichen historische 
Tatsachen referiert wurden, faßten im neunzehnten eine ganze 
Menge erdichtete Nachrichten Wurzel, die, anstatt ausgerodet zu 
werden, unaufhörlich Zuwachs erhielten. Fast unglaublich erscheint 
es, daß im Zeitalter der exakten Forschung, da Chrysander und 



208 2. Teil: Astorga- Literatur. 

Otto Jahn ihre musikhistorischen Meisterwerke schrieben, unter dem 
Scheine geschichtlicher Wahrheit ein so gewaltiges Truggebiide 
heranwachsen und in der Musikgeschichte Aufnahme finden konnte. 
Nur das Zusammentreffen verschiedener der Wahrheit ungünstiger 
Umstände ermöglichte dies. Zunächst war es die Dürftigkeit der 
authentischen Notizen aus der Zeit des Meisters selbst, die der Er- 
findung größten Spielraum ließ und keine Handhabe zur Kontrolle 
des später Mitgeteilten bot. Sodann fällt ins Gewicht, daß die 
Märchen in ihrem Grund- und Hauptbestand von einem Schrift- 
steller erfunden und verbreitet wurden, der seiner Zeit als höchste 
Autorität galt. Drittens kommt in Betracht, daß diese Märchen 
infolge ihrer Ableitung aus der Musik Astorgas den Anschein innerer 
Wahrheit trugen. Leichtgläubigkeit und Oberflächlichkeit späterer 
Autoren taten das Weitere. Nimmermehr hätte der Roman bis zu 
seinem heutigen Umfang anwachsen können, wenn ihm ein Gelehrter 
gewissenhaft auf den Grund gegangen wäre. Aber dazu entschloß 
sich keiner. Sofern sich überhaupt Gelehrte von Bedeutung mit 
ihm beschäftigten, geschah es nur nebenbei, da ihr Hauptinteresse 
auf andere Meister gerichtet war: ich erinnere nur an Chrysander 
und Pohl. Sie hatten weder Zeit noch Interesse für eine Unter- 
suchung des Ganzen, die ohne mühsame Detailarbeit undenkbar 
war. Auch Stechow, dessen Forschungen allein tiefer gingen, 
lieferte nur Stückwerk und rührte nicht an die Wurzeln des Ganzen. 
Daß sich niemand zu einer durchgreifenden kritischen Behandlung 
des Stoffes hingezogen fühlte, ist begreiflich, weil sie, wie wir schon 
in der Einleitung erwähnten, fast nur unerfreuliche Ergebnisse ver- 
sprach. Wir haben uns nicht gescheut, diese Arbeit zu leisten. 
Aber wir geben zu, daß auch wir uns von den kritischen Resultaten 
unsres zweiten Teiles hätten entmutigen lassen, hätten wir nicht 
im ersten Teile einen reicheren, beglaubigten Stoff für den hier ab- 
gewiesenen, erfabelten dargeboten. 

Rufen wir uns schließlich noch einmal den Zweck, den wir mit 
unsrer Musterung der Astorga-Literatur verbanden, ins Gedächtnis 
zurück. Wir wollten durch die Ergründung des Ursprungs und 
Wesens der bisher allgemein akzeptierten Astorga-Geschichten deren 
Widersprüche mit unsrer neuen Astorga-Biographie zu lösen suchen. 



V. Kap.: Die Astorga-Literatur der jüngsten Zeit. 209 

Diese Lösung ist gewonnen durch die Erkenntnis, daß es all den 
widersprechenden Angaben auf selten der älteren Autoren an 
stichhaltigen Gründen fehlt, daß sie nichts sind als — zumeist un- 
absichtliche — Geschichtsfälschungen. Damit fallen jene Wider- 
sprüche in sich zusammen. 

Ob die Astorga-Märchen aus der populären Literatur, aus der 
sich alt überlieferte romantische Geschichten so schwer tilgen lassen, 
jemals ganz verschwinden werden, — wer kann es wissen? Daß 
diese Märchen dort noch lange weiterwuchem werden, ist gewiß, 
denn sie sind zu tief eingewurzelt. Aber in der Wissenschaft können 
sie fernerhin nicht mehr bestehen. Mögen glückliche Funde unsre 
Lebensgeschichte Astorgas mehr und mehr ergänzen und auch in 
weiteren Kreisen der Wahrheit zum Siege über die Unwahrheit 
verhelfen. 



Volkmann, Astorga. I. 14 



Alphabetisches Register. 



Amico, V. M., Lexicon Siculum 19, 21. 
Alberti, Giuseppe, Sänger 118. 
Aldrovandini, Giuseppe 64. 
Algier], Angela, Sängerin 100. 
Allacci, L., Drammaturgia64,99, 173. 
Althann, Grafen von 87 ff. 

— Graf Michael Robert von, in Wien 
91. 

Pignatelii, Gräfin von 89ff. 

Amodei, Cataldo 42. 
— ' Giuseppe 42. 
Astorga, Bemardo de 28f. 

— Didacus de, Kardinal 28. 

— Diego de 29, 36. 
•— Eusebio de 29 f. 

— Giovanni Oliviero 124. 

— Gonzalo de 28. 

— Gregorio de 28f. 

— Juan de 29. 

— Louis 30. 

— Markgrafen von 26 f. 

Astorga, Rincon de, Cesare 33, 35, 
38, 40, 123. 

Cesare, Capitano in Augusta 

35, 37 f., 40. 

Diego, Urgroßvater des Ton- 

dicliters 35 f., 38, 40. 

Emanuel [d. ä.], Großvater des 

Tondichters 33, 35 ff., 40. 

Emanuel [d.j.], der Tondichter. 

Da sein Leben den Hauptgegen- 
stand unsres Buches bildet, ist die 
Angabe aller Seiten, auf denen er 
genannt wird, nicht nötig. 

• Emanuele Giuseppe 35, 37 f., 

40, 123. 



Astorga, Francesco, Vater des Ton- 
dichters 33, 35, 37 ff., 44-46, 
60f., 75, 78, 127, 147. 

Giovanna, Mutter des Ton- 
dichters 33f., 37f., 127. 

Rosalia 35, 37 f. 

Thomasia, Großmutter desTon- 
dichters 33, 35, 38. 

Astorga e Guzzardi, Giovanna 123 f. 

Astorga, Stadt in Spanien 4, 18, 25 f., 
135, 147. 

Astorga-Dichtungen 163f. 

Auersperg, J. Adam, Fürst 196. 

Augusta, Stadt auf Sizilien 20, 22, 
33, 40—45, 127. 

Auria, Vincenzo, Historia de' Vicerö 
di Sicilia 53. 

Avison, Charles, Essay on mus. ex- 
pression 132 f. 

Baldini, Innocenzo, Sänger 68, 72. 

— Petrucio, Sänger 68. 

Barcelona 4, 62—67, 71 ff., 77 f., 80, 
83, 128, 190, 192f. 

Barone,Lebensweise der sizilianischen, 
um 1700 45 f. 

Benti-BulgarcUi, La Romanina 73. 

Berardi, Angelo 11. 

Bergonzini, Elisabetta,Sängerin68,7D. 

Bermann, Moriz, österr. biogr. Lexi- 
kon 89, 170ff., 197. 

Bertini, Giuseppe, Dizionario di Mu- 
sica 139. 

Biographie, Nouvelle g6n^rale (Hoef er) 
141, 178, 182. 

Bioni, Kapellmeister 117. 



Alphabetisches Register. 



211 



Bitter, C. H., Studie zum Stabat Mater 

169 
Blasi, dUtoriade' VicerödiSicilia 164. 
Bohemia 177. 

Bologna,LiceoMusicale zu — 6, 65, 207. 
Bonf iglio, Simone, Pfarrer in Palermo 

40. 
Bottini, Marchese Antonio, Professor 

in Pisa 27. 
Branberger, Dr., in Prag 176. 
Brechainville, Ludwig, Qraf von 195. 
Breitkopf & Härtel 155, 180. 
Bremer, Fr., Handlexikon der Musik 

173. 
Brendel, Franz, Geschichte der Musik 

167 f. 
Breska, A., Schriftsteller in Prag 176. 
Breslau 73, 116f., 128, 136, 138, 168. 
— , UniversitfltsbibUothek zu — 62. 
Brockhaus,Konvers.-Lexikonl68, 173. 
Burigny, Histoire de Sicile 164. 
Burney, Ch., General history of music 

138f. 

Caldara, Antonio 4, 57, 79f., 82, 116, 

171, 202. 
Capece, Familie, (s. auch Rofrano) 

179f., 182ff. 

— Gaetano 191. 

— Giuseppe 182ff., 191, 205. 

— Marcello 191. 

Cappelli,A.,Dott., Direktor des Staats- 
archivs zu Parma 101. 

Caratti, Francesco, Baumeister 198. 
Carmena y Millan, Opera italiana en 

Madrid 120 
Carreras y Bulbena, Joseph Rafel 32, 

72, 203 f. 
Carvalhaes, Manoel de, in Mezäo Frio, 

Portugal 99, 141. 
Casolani, Elisabetta, Sängerin 115. 
Cestis »Genserico« 27. 
Choron et Fayolle, Dictionnaire 139. 
Chrysander, Fr., Händel 12, 95, 97, 
155, 169. 



Clemens XL, Papst 105f. 

Clement et Larousse, Dictionnaire des 

Optras 173. 
CoUetta, Pietro, Storia di Napoli 179, 

184, 189. 
Combes, Fran^ois; La princesse des 

Ursines 55. 
Croce, Benedetto, I teatri di Napoli 

27, 52, 64, 183. 
CroUanza, G. B. di, Dizionario Storico- 

Blasonico 89, 182. 
Cuzzoni, Francesca 100. 

Dafni, Oper von Astorga 4, 62ff., 85, 
91, 99ff., 127f., 131, 135, 138, 
150, 157, 165, 168. 

— Partitur 63, 165. 

— Oper von Fr. PoUarolo 173. 

-«- Obersicht über die Kompositionen 
des Manfredischen Textes 1 16. 

Dancy, Francesca, Sängerin 100. 

Dassori, Carlo, Opere e Operisti 141 « 

Dent, Edward E., Schriften aber 
Alessandro Scarlatti 48, 64. 

Dia, Giuseppe 54. 

Dilettanten, Musik-, im 17. u. 18. Jahr- 
hundert 11. 

Dlabacz, G. J., Künstlerlexikon für 
Böhmen 178. 

Dommer, Arrey von, Musikgeschichte 
173. 

Dreier, Sänger 118. 

Dresden, Kgl. Bibliothek zu — 27, 
57f., 80f., 87, 162. 

— Hauptstaatsarchiv zu — 94. 
DvoHk, Max, Archivar zu Raudnitz 

198ff., 201 f. 

Ebert, Dr., Alfred, in Berlin 27. 
Eckart, Sänger 115. 
Einstein, Dr. Alfred, in München 115f . 
Eitncr, Robert, Quellenlexikon 6, 42, 

57, 59, 80, 116, 124, 162, 206f. 
Elisabeth Christine, Gemahlin Kaiser 

Karls VI. 75, 83, 191 f. 

14* 



212 



Volkmann, Astorga I. 



Elvert, d', Geschichte der Musik in 

Mähren 92. 
Erlach, Joh. Bernhard Fischer von 193. 
Ersch und Gruber, Encyciopaedie 178, 

180, 182. 

Farinelli 90< 

Famese, Elisabeth, Prinzessin von 

Parma 4, 161, 171 f. 
Feiice, Sänger 68. 
Ferdinand VI., König v. Spanien 1 18ff. 
Ferrari, P. E., Spettacoli in Parma 99. 
Ferreras, J. von, Historie von Spanien 

31. 
Festetics, Graf von 92. 
F6tis, Fr., Biographie des musiciens 

73, 140, 172, 202. 
Florimo, Fr., La scuola mus. diNapoli 

57, 115. 
Folkmann, J. E., Gef ürstete Linie der 

Kinsky 195. 
Frain, Schloß in Mähren 88, 90f. 
Fuertes,. Mariano S., Historia de la 

Musica espafiola 120. 
Füller Maitland 202. 
Fürstenau, M., Zur Geschichte der 

Musik in Dresden 94, 156. 
Fuchs, Fr., »Frain« 88. 
Fux, Johann Josef 82. 

Gaeta 190. 

Galli, Agostino, Sänger 115. 

Gandini, AI., Cronistoria dei Teatri di 

Modena 69. 
Garay, Domenico, Oberpfarrer v. 

Augusta 33. 
Gaspari, Gaetano, Catalogo del Liceo 

Mus. di Bologna 6, 207. 
Gauhe, J. Fr., Adelslexikon 88. 
Genocchi, Lucio, Sänger 100. 
Genua 65ff., 73, 75, 128. 
Gensei, Justizrat in Leipzig 157. 
Gerber, Ernst Ludwig, Lexikon der 

Tonkünstler 124, 139. 
— Neues Lexikon der Tonkünstler 5, 

73, 139f., 142, 145,150,156f., 162. 



Gherardini, Rinaldo, Sänger 59. 
Giambruno, Cavaliere, Dott., Direktor 

des Staatsarchivs zu Palermo 18, 

21, 23, 39, 114, 123. 
Giannone^ Peter, Geschichte von 

Neapel 26. 
Giardina, Gaetano, Memorie Storiche 

15. 
Giusti, Maria, La Romanina 57, 68f., 

72f., 117f. 
Goldschmidt, Hugo 52. 
Granito,Marchese Angelo, La congiura 

di Macchia 47, 183ff. 
Grillparzer, Franz 1. 
Grimani, Lucia, Sängerin 115. 
Groves Dictionary of music 3, 79, 

96, 133, 201 f. 
Gualandi, Diamantina, Sängerin 1 17. 
Guarinoni, Eugenio de' 59. 

Händel, G. Fr. 58, 95, 97. 
Hantzsch, Dr. Victor, Bibliothekar 

in Dresden 27. 
Hawkins, John, General history of 

music 851, 91, 93, 96, 101, 133, 

135—142, 150, 156f., 162. 
Hayes, W., Remarks on Avison's 

Essay 96, 133. 
Heinichen, J. Dav., Generalbaßlehre 

130f. 
Hess, Heinz, Die Opern Stradellas 77. 

Iglesias, Gull., Historia de la ciudad 

de Astorga 26. 
Ilg, Albert, »Fischer von Erlacha 104 ff. 
Imhof, J. G., Recherches des Grands 

d'Espagne 27. 
Innocenz XII., Papst 89. 

Jahn, Otto, Mozart 155. 
Jesi, Stadt in Italien 65, 100. 
Joseph I., deutscher Kaiser 4, 81 f., 
149, 192. 

Kahlert, August 116f., 168f. 
Kantaten Astorgas, früheste datierte 
59. 



Alphabetisches Register. 



213 



Kantaten Astorgas, 1726 in Lissabon 
gedruckt 6ff., 96, 130; 150. 

— Andere Kantaten Astorgas 57 f., 
80f., 87. 

Karl II.,KönigvonSpanien50,74f.,184. 

— V., Deutscher Kaiser 28, 31. 

— VI., Deutscher Kaiser, als König 
von Spanien Karl III. 4, 56, 62f., 
66f., 71 f., 74 ff., 80, 82ff., 128, 
185, 189f., 192. 

Kärolyi, Direktor des k. Staatsarchivs 

in Wien 86. 
Khol, Fr., Ingenieur in Prag 176. 
Kiesewetter, R. G. 62 f., 203. 
Kinsky, Leopold Ferdinand Graf von 

195. 

— Franz Ferdinand Graf von 195. 
Kisch, Wilhelm, Straßen und Plätze 

Wiens 193. 

Klosterbruck bei Znaim in Mähren 
87, 92. 

Kneschke, E. H., Neues allgem. deut- 
sches Adels-Lexikon 88. 

Köchel, L. V., »J. J. Fux« 48, 83, 85. 

Kopf ermann, Prof. Dr.A., Direktorder 
kgL Musikbibliothek zu Berlin 47. 

Kotreh, Vac, Propst zu Raudnitz 
i. B. 200. 

Laborde, Essai sur la musique 30. 
Lalande, P. A., Histoire de Tempereur 

Charles VI. 83. 
Landau, Marcus, Geschichte Kaiser 

Karls VI. als König von Spanien 

751, 83, 88, 192, 
Larousse, Pierre, Grand dictionnaire 

universel 141. 
Leanti, Arcangiolo, Lo stato presente 

delaSicilia 45. 
Leipzig, Universitätsbibliothek zu 157. 
Leopold I., Deutscher Kaiser 4, 74, 

85, 135, 137 f., 149. 
Lissabon 6f., 23, 56, 116, 118, 122, 

128, 135, 207. 
Livorno 93 f. 



Lobkowitz, Fürsten von 197 f. 
London 4, 93ff., 128, 135, 151. 
Luciano, Qiachino 54 f. 
LudwigXIV., König vonFrankreich74. 
Ludwig, Professor Dr., in Karlsbad 94. 
Lumir, tschechische Zeitschrift 174 f., 
199. 

Madoz, Pascual, Diccionario geogr. 

de Espafia 30. 
Macchia-Verschwörung 47, 159, 184 ff. 
Madrid 4, 55, 74, 120. 
— Biblioteca Nacional und Archivo 

historico Nacional 120. 
Maffei, Graf, Vizekönig von Sizilien 

14, 104. 
Mährisches Landesarchiv zu Brunn 87. 
Mailand, Bibliothek des Conservato- 

riums zu — 59. 
Mandyczewski, E., Prof. Dr.; Biblio- 
thekar der» Musikfreunde < in Wien 

81, 116. 
Manfredi, Eustachio, Dichter und 

Mathematiker 64. 
Mantuani, J., Prof. Dr., Direktor des 

Museums zu Laibach 63, 79. 
Marzo, Gioacchino di, »Biblioteca di 

Sicilia« 13ff., 39, 50ff., 75f., 130. 
Massa, »La Sicilia in prospettiva« 21. 
Mattheson, Johann, »Forschendes 

Orchestre« 12. 

»Patriot« 62, 117, 131,142,157. 

Johann, »Ehrenpforte« 1 17, 131. 

Mayr, Anton, Professor in Wien 27. 
Medina del Campo 28ff., 32. 
Megara Hyblaea 21. 
Melilli, Stadt auf Sizilien 21. 
M^moires de la Cour d'Espagne 

1679—1681 27. 
Mendel, Herm., Musik-Lexikon 173. 
Mengoni, L. Ant., Sänger 115. 
Metastasio 90f. 

Meyer, Konversationslexikon 168, 173. 
Mikowec, Ferdinand B., Schriftsteller 

174ff., 179, 197 ff. 



214 



Volkmann, Astorga. I. 



Millaina, Vorwerk von Ogliastro 6f., 
19, 23f., 37. 

Mizler, Christoph 12. 

Modena 69. 

Molltor, Simon 48, 62f., 164ff., 203. 

Mollart, Graf Ferdinand Ernst 82. 

Mongitore, Antonino, Priester, Senats- 
sekretär (107), seine »Diarien« 
13ff.,39,50ff.,75f., 104 ff., 1291. 

Monteverdis Incoronazione di Poppea 
52. 

Morello, Dott. Em., Bibliothekar d. 
Konservatoriums z. Palermo 114. 

Moreno, Mario 42. 

Morso, Nicolö, »Diluddationes« 111. 

^~ e Astorga, Emanuele, Baron von 
Favarella 124. 

MortiUetto,LehenAstorgas6f., 19,23. 

Müller, Joh. Joachim, Spanischer Ver- 
mählungssaal 192. 

München 114ff. 

Münster i. W. 169. 

Musilc eine Wissenschaft 11 f. 

Musikfreunde, Bibliothek der Gesell- 
schaft der, in Wien 81. 

Nagler, Künstlerlexikon 30. 
Naumann, Emil, Musikgeschichte 168. 
Neapel 3, 26f., 52, 56f., 64—72, 

94, 159, 167, 182ff., 205. 
Neigebauer, J. F., Sizilien 46. 
Neupauer, J. Chr. 193. 

Ogliastro, Dorf bei Palermo 19f. 
— Lehensgut Astorgas beiAugusta 6f ., 

12, 14ff., 20f., 36f., 114, 121, 127. 
Oreto, Fluß bei Palermo 14f., 110. 
Orlandi, Cesare, Delle Cittä d'Italia 

42f., 133f. 
Orlandi, Chiara, Sängerin 118. 
Ossorio, Familie 26ff. 
Oxford 4, 96f., 128, 133, 135f. 

Palagonia, Principe di 164. 
Palermo 4, 6f., 13ff., 39f., 45f., 59f., 

76, 101, 129, 145. 
— , Musikleben zu — um 1700 49ff. 



Palermo, Senat von — 109 ff. 

Pani, Carmelus, Kaplan zu Augusta34. 

Paris 98, 151. 

— , Bibliothek des Conservatoire 64. 

Parma 4, 58, 99ff., 148f., 161f. 

— , Staatsarchiv zu 101. 

Pasqu6, E., Libretto »Astorga« 164. 

Paz, Julian, Direktor des Archivs zu 

Simancas 28, 120. 
Perrier, Jer. de, Histoire de la Con- 

jurationdeNaplesennOl 183,187. 
Petris, Carlo de. Dichter 64. 
Philipp V., König von Spanien 4, 37, 

74ff., 84, 102, 120, 184, 206. 
Pietra, Biagio di, Cavaliere, spanischer 

Konsul in Palermo 32. 
Pignatelli, Familie 89f. 
Pinetti, Gaetano, Sänger 118. 
Piovano, Francesco, Musikgelehrter 

in Rom 65f., 68, 71, 116. 
Pitr^ Giuseppe, »Lavita in Palermo« 

45, 50f., 53 f., llOf. 
Pohl, Carl Ferdinand 3, 79, 96, 200ff. 
Pollarolo, Francesco 173. 
PöUnitz, Baron Ludwig 83f. 
Porta, Antonio, Baumeister 198. 
PortaLuppi, Alessandro, Sänger 68, 70. 
Prag 73, 94, 151, 17a 
— , Bibliothek des böhm. Landes- 

Museums 170. 
— , Universitätsbibliothek 174. 
— , St. Jakob zu 178. 
Prescimone, Giuseppe 52. 
Prosniz, Adolf, »Compendium« 202. 
Provenzale, Francesco 52. 
Prusfk, Dr., in Prag 176. 
Pujadies, Giovambattista, Memoriale 

istorico 190f. 

Quemer, Karl, Die »piemontesische 
Herrschaft auf Sizilien« 46, 103ff. 

Ramponi, Pietro; Impresario u. 
Sänger 68, 70, 72, 75. 

Ranfft, Michael, »Geneal.-hist. Archi- 
varms« 28, 181, 194f. 



Alphabetisches Register. 



215 



Rassmann, Fr., Pantheon der Ton- 
künstler 140. 

Raudnitz in Böhmen 5, 197 ff. 

Recchio, Giuseppe, Notizie di Famiglie 
di Napoli 182, 191. 

Reichardt, Friedrich,preuß.Hofkapell- 
meister 140. 

Reichert, Arno, Bibliothekar in Dres- 
den 27. 

Requiem von Astorga, eine Fiktion 
Rochlitz' 149, 158f. 

Rezensionen für Theater und Musik 
96, 98, 178f. 

Ricci, Corrado, I teatri di Bologna 
64. 

Richter, Hofrat Prof., Oberbibliothe- 
kar in Dresden 27. 

— Dr. Hubert, Bibliothekar in Dres- 
« den 27, 58f. 

Riehl, W. H., Musikalische Charakter- 
köpfe 166. 

Riemann, Hugo, Opemhandbuch 173. 

— , Hugo, Musik-Lexikon 173, 203. 

Rienzi, Cola dl 198. 

Rincon, Antonio, französischer Ge- 
sandter 31. 

und Fernando del, Maler 30. 

— Diego Lopez 30. 

. — d'Astorga s. unter Astorga. 

— Manuel del, Opernsänger 32. 
Ristorini, Antonio, M., Sänger 115. 
Rodriguez, Ildefonso, Historia de Me- 

dina del Campo 32. 

Rochlitz, Friedrich, Schriftsteller 3, 
5, 96, 116, 142ff., 163ff. 

— , »Für Freunde derTonkunsta 142, 
Astorga-Brief 143ff., »Gesang- 
stacke« 154, »Grundlinien« 154, 
157. 

Rofrano, Marchese di, Hieronymus 
Capece 3, 160, 177, 179, 182ff. 

Petrus Capece 195. 

Pietro Capece 182, 195. 

Rom, Musikleben in, um 1700 58. 

— Biblioteca Nazionale 65. 



Romanina, la, s. Giusti und Benti- 

Bulgarelll. 
Rudhart, Fr.M., Geschichte der Oper 

in München 115. 

Sacerdote, G., II teatro R. di Torino 

Saldoni, Baltasar, Diccionario 32, 120. 

Salomone, Sebastiano, Augusta illu- 
strata 43f., 134. 

Sangro, Graf Carlo di 185, 187. 

Santini, Fortunato, seine Musiksamm- 
lung 169. 

Sanvitale, Graf Stefano, in Parma 99, 
101. 

Scarlatti, Alessandro 48f., 56, 58, 
64f., 100, 130, 183, 206. 

*- Francesco 4, 48, 166, 206. 

Schatz, Albert, in Rostock 80. 

Scheibe, J. A., »Kritischer Musikus« 
12, 131 f. 

Schilling, Encyclq>aedie derTonkunst 
73, 153, 164. 

Schladebach und Bemsdorf, Lexikon 
derTonkunst 168. 

Schletterer, H. M. 96, 180f. 

Schmid, Friedrich, Chemiker in Dres- 
den 29. 

— Otto, Professor in Dresden 27. 
Schrader, Bruno 173. 

Seume, Joh. Gottfr., »Spaziergang 

nach Syrakus« 22. 
Simancas, Spanisches Generalarchiv 

zu 28, 120. 
Sizilien, Politische Zustände auf, um 

1700. — 46f. 

— Kirchenstreit auf 105f. 

— unter österreichischer Regierung 
112f. 

Skuda, D., Pfarrer an St. Jakob in 

Prag 178. 
Spanischer Erbfolgekrieg 47, 56. 93, 

102, 167, 189. 
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216 



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Zschackwitz, J.Ehr., Leben CaroliVL 

192. 



I 



Tradusione 

del 
Cenno biografico di Emanuele d'Astorga 

Pag. i2y 
del libro di Hans Volkmann. 

II barone Emanuele d'Asiorga {Emanuele Gioacchino Cesare 
Rincon d'Astorga) nacque in Augusta nella Sicilia li 20 marzo 1680, 
Discese dalla famiglia spagnuola dei Rincon d'Asiorga, trasportati 
in Augusta a servizio della Spagna al principio del secolo XV IL 
Emanuele ebbe il titolo di barone dalla sua baronia Ogliastro, situata 
presso Augusta. II nonno del maestrOy che portava anclie il nome di 
Emanuele^ era il primo nella famiglia investito di quel feudo. II 
padre del maestro si chiamava Barone Francesco Rincon d'Astorga, 
la madre Giovanna. La famiglia traslocd a Palermo, dove morl 
il padre Francesco nel iyi2. Emanuele ebbe una educazione convene- 
vole al facoltoso gentiluomo. Fornito giä di buona coltura, aumentd 
le sue cognizioni nelle grandi cittä d*Italia ed in lunghi viaggi. 
Principalmente si perfezionö nella musica, che aveva studiato »fin 
da' suoi primi anni per suo dilettO((. Allorch^ nacquero tumulti a 
Palermo nel lyoS, il reggimento spagnuolo-siciliano chiamö sotto le 
armi una guardia municipale; uno degli uffiziali era il barone Ema- 
nuele d' Astorga. Nel lyog ebbe luogo la rappresentazione della sua 
opera pastorale ))Dafnii( a Genova(2i aprile), alla quäle il maestro 
probabilmente fu presente; non intervenne perciö, cosl pare, alle riprese 
nella Corte del re Carlo III in Barcelona (giugno, luglio). Nel 1712 
si fermö a Vienna, dove fece le veci di padrino al battesimo della 
figlia di Antonio Caldara, li 9 maggio. Andö e venne nella carte 
imperiale, senza cercarvi servizio. Fu ben viso all' imperatore 
Carlo VI. Nel maggio lyij Emanuele si trovd in Zenaime in Mora- 
via. Soggiornö qualche tempo (1714, 1715?) a Londra. Ritornato