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Nachdruck der in diesem Werke enthaltenen Artikel sowie Übersetzung
derselben in fremde Sprachen ist nur mit Bewilligung der Verleger
gestattet.
IfO«»
A.
Abclomlnaltyphus. DieForschunf^sresuItate, welche, um an unsere
letzte Darstt'llun(j im zweiten Jahrganü^ dieser Jahrbucher (11*01, pag. 1 — 16)
anzuknüpfen, die inzwischen in der einheimischen wie fremdsprachlichen
Literatur niedergelegten Ausarbeitungen gezeitigt, haben den früheren
Charakter bewahrt: Dem bescheidenen Umfang der eigentlichen klinischen
Darbietungen steht ein überreicher Ertrag der Rrrungen.Hchaften auf dem
Gebiete der bakteriologischen Forschung gegenüber. Wir müssen es uns
in Gemäbheit der Tendenz dieser Jahrbücher, nur dati für den Arzt un-
mittelbar Verwertbare zu bringen, versagen, auf den Inhalt gerade dieser
oft genug zu besonderer Höhe scharfsinnigen wissenschaftlichen Schaffens
sich erbebenden Leistungen nfiiier einzugehen; er bildet eine für den Praktiker
schwerverdauliche Kost. Insbesondere kann von der Fülle der den Ijegrifl der
Agglutination und Immunisierung betreffenden experimentellen Darbietungen,
soweit sie nicht zugleich eine Rrücke zu der Haltung des praktischen
Arztes schlagen, keine spezielle Notiz genommen werden.
Rücksicbtlich des Infektionsmodus und des Ganges der Epi-
demien glauben wir, auf unsere frflberea Ausarbeitungen verweisend, be-
deutsame Studien von A. G.vktnf.k Über die Quellen und ihre Beziehungen
zum Grundwasser und zum Typhus nachtragen zu sollen. Hier ist vor
allem an dem Gesetz festzuhalten, daß das im Boden ruhende Grundwasser
gegen eine Infektion geschützt ist, das fliel)ende, zutage tretende Quell-
wasser ab&r nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Durch besondere
Maßnahmen (Färbung, Anreicherung, Versetzen mit bestimmten Mikro-
organismen) konnte der Nachweis erbracht werden, daß das Quellwasser
sehr oft einen Zusammenhang mit unreinem Oberflächonwasaor unterhält.
Als verdächtig muß trübe Heschaffenheit, Keimreichtum. stärkeres Schwanken
der Temperatur und Ergiebigkeit gelten. Namentlich sind Quellen im Kalk-
gestein von der Typhusinfektion bedroht, wie u. a. die Epidemien in Paris,
Weimar und Paderborn dartun. Die Gefahr der engeren Nachbarschaft von
'gedüngten Feldern und Wiesen mit ihren Schmutzstätten liegt auf der Hand.
[Die Belege für die Rolle, welche das Wasser für das Zustandekommen von
Vphnsepidemien im In- und Auslande gespielt, sind wieder ziemlich reich-
lich geflossen. Wir heben aus den mit etwas schwankender Beweiskraft
ausgestatteten Erörterungen heraus, daß nach Wkmiki. für die Typhus-
[.erkrankungen der deutschen Truppen in Tlentsin im Winter 1^(00/01
[(29t Fälle) die Überaus schlechten Trinkwasserverhältnisse verantwortlich
»macht werden konnten. Benutzung durch Abfallstoffe verunreinigter Flüsse
[ftls Trinkwasser hat mehrfach bedenklich gewirkt (Thomesii:, Harringto.n),
[dieienige eines infizierten Brunnens von Soldaten auf der Rast vom Marsche
Encyclop. Ja1urbQeb«r. H. F- IV. (Xin.» V
T(\r,?A
2 Abdominaltyphus.
b5se Folgen für diese s:ezeitig:t (Hammbrschmidt). Verunreinigftes Leitang^s-
wasser kann es nach den Aufschlüssen von Hutchinson nur gewesen
sein, das den Typhus in der Umgebung von Montreal (neben Paratyphus
und anderen typhusähnlichen Erkrankungen) vermittelte. Die Epidemie in
Teschen konnte von Stary als Schulbeispiel einer Wasserinfektion ange-
führt werden. Die Gelsenkirchener Typhusepidemie von 1901, der wir das
letztemal gedacht und die inzwischen bekanntlich zu denkwürdigen Qe-
richtsverhandlungen geführt, hat in der Tat als „klassische Wasserepidemie"
ihre Erklärung in der Zuführung rohen Ruhrwassers und nicht in der
Pettenkofer - EMMERicHschen Theorie ihre Erklärung gefunden (Kruse).
V. Jaksch und Rau trafen bei der letzten Prager Epidemie (927 Fälle) viru-
lente Typhusbazillen im Leitungs- und Moldauwasser an, ober- und unter-
halb Prags nicht; StrOszner wies sie in einem Hausbrnnnen in der Stadt
Waitzen einige Wochen nach der letzten Erkrankung von Hausinsassen
nach. Hier möge auch kurz Erwähnung finden, daß der Typhuskeim in
Aquarium Wasser, besonders in dessen Schlamm zwei Monate lang dem Nach-
weis zugänglich war (W. Hoffmann). Wir verweisen weiter auf die Beiträge
zur Begründung des PETTENKOPERSchen Grundwassergesetzes für unsere
Krankheit (und die Cholera) von Emmerich und Gsmünd, der Abhängigkeit
des Ganges der gleichen Krankheiten vom Regen- und Grund Wasserstand in
Hamburg von Reincke sowie des Zusammenhanges der Typhussterblichkeit
mit der Trinkwasserversorgung in den amerikanischen Städten von RoBix.
Ob, wie Seibert in New- York will, die Typhusmorbidität mit dem warmen
Wetter um des willen parallel geht, weil mehr Wasser getrunken wird und
die Krankheitskeime in diesem sich in höherem Grade vermehren, steht
dahin. Daß die Krankheit besonders älteste, noch nicht assanierte Stadt-
teile befällt, hat wieder Skalicka bei einer Verwertung von 6601 Typhus-
fällen aus den Jahren 1891 bis 1902 für Prag gezeigt, zugleich nachge-
wiesen, daß nicht nur die Wohlhabenden am meisten verschont, sondern
auch gewisse Gassen und Häuser in auffallender Weise bevorzugt werden.
Daß unter Umständen eine Wasserinfektion vorgetäuscht werden kann,
während es sich in Wahrheit um eine Kontaktinfektion im Sinne Kochs
handelt, hat Nobtel an der Hand der Epidemie im Landkreis Beuthen im
Jahre 1900 gezeigt. Weiter kommt v. BrcK auf Grund seiner Analyse einer
Truppenepidemie zum Schlüsse, daß für den Typhus nur die menschlichen
Fäkalien als Quelle in Betracht kommen. Mannigfache Erörterungen über
die Verbreitung unserer Krankheit durch Kontagion und Wasser ver-
danken wir endlich Deutsch, Pistor, Schlegtendal und Perkx.
Neben dem Wasser kommt die Milch und ihre Produkte als Über-
tragungsmittel in Betracht. Hier liegen gründliche Untersuchungen von
Bassbnge aus dem Berliner Institute für Infektionskrankheiten vor. Als für
die öffentliche wie private Hygiene gleich wichtige Ergebnisse heben wir
heraus, daß die Typhusbazillen in der Zentrifuge in den Rahm und die
wohlschmeckende Butter übergehen, hingegen in verdorbener Butter schnell
vernichtet werden. Das bewirken die Fettsäuren. Schon bei einer Konzen-
tration von 3 bis 40/00 vermag die natürliche Säure Wirkung die Mikro-
organismen in einem Tage zugrunde zu richten. Dementsprechend verhalten
sich Buttermilch, Molken und Butter, bei deren Bereitung aus saurer Milch
Brokrs den Übergang der Bazillen, die er sonst zwei bis drei Wochen in
dem Produkte lebend antraf, ablehnt. Über eine 96 Fälle umfassende Milch-
infektionsepidemie in Kiel berichtet W. Pfeiffer, der bei ihrer Beobachtung
größtenteils eine Inkubation von 12 Tagen festzustellen vermochte.
Auch die Fliegen werden als Vermittler beschuldigt (Ficker), inso-
fern beim Füttern dieser Insekten mit Typhuskulturen die Keime mehrere
Tage lang an Flügeln und Beinen haftend und noch länger im Darm ange-
Abdominaltyphus.
s
troffen wurden. Freilich meinen wir. dali es von solchen Experimenten bis
znr Besorgnis einer wesentlichen Tj^phusübt'rtraffung durch unsere Stuben-
fliege ein weiter Schritt ist und vorderhand noch kein Grunil zur besonderen
VerÄngstigung vorliegt. Dali gelegentlich auch der Genuß von geräucherten
Fischen die Krankheit vermitteln kann, lehrte Exnkr. der för mehrere
Fälle diese Bezugsart — die Verküuferin hatte zwei typhuskranke Kinder —
verantwortlich machen muöte. Dreimal hatte das Arbeiten mit Typhas-
kulturen Medizinern im Laufe der beiden letzten Dezennien in Kiel unsere
Krankheit eingebracht, der zwei zum Opfer fielen (W. Pfeiffer). Die Wider-
standskraft der Typhusbazillen gegenüber äußeren Einflössen wird offenbar
viel unterschätzt; sie widerstehen besonders der Austrocknung besser als
die Ruhrbakterien (Ppuhl).
Bezüglich des intrauterinen Übergangs der Typhuskeime liegen Bei-
träge von Morse vor. Diese Übertragung von der Muttwr durch die Plazenta
auf den Fötus ist fakultativ, nicht obligntorisch. Meist erfolgt Fruchttod und
Abort aus Anlaß des Fiebers und Infekts
Durch V'erfütterung von Typhuskulluren hat Grüxbaltm hei Schim-
pansen eine Krankheit erzeugt, die klinisch und anatomisch sich vom
Typhus nicht unterscheiden ließ.
Der AufschlQsae über das Verhalten der Typhusbazillen im Blut.
Harn und Stuhl und ihren Nachweis, sowie der die Agglutination und
Immunität betreffenden Studien werden wir bei der Erörterung der Klinik,
Diagnose und Therapie gedenken.
Die Beiträge zur pathologischen Anatomie sind nach wie vor spftrlich
geflossen. Bei der Verarbeitung eines 13 Fälle betreffenden Leicbenmaterials
von Spondylitis typhosa (»infectiosa«) fand E. Fr.\nrel eigenartige, mit
Fibrinabscheidnng einhergehende nekrotische Herderkrankungen , die er als
spezifisch bzw. diagnostisch verwertbar anspricht; nicht weniger als zehn-
mal vormochte er im Knochenmark die Typhusbazitlen (neben Staphylo-
eoeeus und Diptococcus lanceolatus) nachzuweisen. Die Entstehung der
Abszesse des Muse, rectus ist unserem Verständnis näher gerQckt durch
Erschließung der Entwicklung der spezifischen Rrankheitskeime in hämor-
rhagischen Nestern auf der Grundlage der ZF.NKKuachen Degeneration
(Araf'i>pf). Eine eigenartige vorteilhafte DIfforentialfärbung von Typhus-
bazillen in Schnitten lehrt Boxhokf: Behandlung derselben mit alkoho-
lischer Methylenblau- und ZiEHLscher Lösung läßt sie blau auf rotem Grunde
erscheinen.
Die eigentliche Klinik unserer Krankheit anlangend, lenken wir. mit
dem Darmtraktus beginnend, noch einmal die Aufmerksamkeit auf die
die Darraperforation betreffenden Studien Mici.KScifs, deren wir bereits das
letztemal gedacht,, insofern der Autor die unter Umständen täuschende Über-
einstimmung des klinischen Bildes mit der Symptomatologie des Ileus, der
Darmblutung, der hämorrhagischen Pankreatitis und seibat der Endokarditis
ins richtige Licht setzt. Auch Appondicitis kommt nach der sorgfältigen
Analyse einiger Fälle von Chap^t iu Betracht. Mit Nachdruck verweisen
wir auf die durch M.xckkn/je gegebene Symptomatologie, der aus einem
Material von 2533 Typhusfällen aus den großen Hospitälern Londons
(1887 — 1892) 117 Todesfälle durch Darmperforation herausrechnet, also 4*6^„
Mortalität, die gegenöber der Sterblichkeit überhaupt (13"4Vo) ^^^ hoch
gelten muß. Wir werden uns zu den Folgen des schweren Ereignisses, das
immer mehr das aktive Handeln des Praktikers in bestimmter Richtung
herausfordert, im Abschnitt »Therapie« noch mehrfach zu äußern haben.
Hier genüge der Hinweis, daß Ciirschmanx seine (wie der Darmblutung)
Häufigkeit beim ambulatorischen Typhus höher veranschlagt als beim
typischen und Good.m.l unter 192ü in den Jahren 1892 bis 1903 beobachteten
4 ADaoxninajtypnna.
Fällen 96 notiert. Nur zwei (jcenasen (einer ohne Operation). RQcksichtlich
der Oarmblutungf verdient die vielleicht noch wesentliche praktische Be-
deutung gewinnende Beobachtung Rücksicht , daI5 die Komplikation fast
regelmäßig eintritt, wenn sich positive Aloinroaktion auf Hlut im Stuhl
(lOmal in 18 Fällen) mit ausgesprochener Brhühung der PulsTreriaenz ver-
band (Pbtkacchi). Einige durch mancherlei Besonderheiten ausgezeichnete,
zum Teil an Appendicitis erinnernde Fälle von Colotyphus beschreibt
LI-: Ooji'. Neben dem Darm behauptet nach wie vor die Gallenblase ihre
Rolle als Angriffspunkt des typbösen Prozesses, wie unter andereui die Er-
8chliel5ungen sicherer Fälle von Cholecystitis beziehungsweise Gallenblasen-
empyem mit nachgewiesenen Typhusbazillen und selbst Agglutination
sowie PPEiFFEHscher Imrounreaktion dartun (Jiindell, Bi.ifMRNTHAL). Zum
Teil fehlten begleitende Typhussyniptorae. Eine nicht häufige Quelle einer
Peritonitis fand Lk Conti-: unter der Form des Durchbruches oinor nekrotischen
Mesenterialdrüse, und geradezu als Unikum kann eine durch die Lapa-
rotomie gesicherte posttyphöse chronische Pankreatitis gelten, als deren
klinische Zeichen epigastrische Schmerzen und Erbrechen, später auch Gelb-
sucht hervortraten (Movmhan). Drei neue Fälle von Ösophagusstriktur in-
folge von typhösen Ulzerationen beschreibt Thompson".
Die Atmungs- und Kreislaufsorgane anlangend, Hegen neue
Ausblicke und Befunde in weit minderem Maße als Bestätigungen früherer
Reubachtungcn vor. Ks sind die Bazillen wieder im Sputum bei einem
leichten, mit Bronchitis einhergehendon Falle gefunden worden (F. LevyJ.
Eine gute Zusammenstellung der Beiträge zur Kenntnis der typhösen
Pleuritis aus der Literatur hat Leahs geliefert, der im Bostoner Hospital
die Krankheit unter l'Jü5 Typhcn lömal (bei 53 Sektionen 3malj fand.
Etwas ausgiebiger sind — fast ausschlieUlich von fremden Autoren — ditj
Störungen im Bereich des Zirkulationsapparates bearbeitet worden, ins-
besondere die Thrombose; bezüglich der üenese dieses Prozesses fanden
WuKiHT und Knai'I' im akuten Stadium unserer Krankheit die Gerinnungs-
fähigheJt des Blutes deutlich herabgesetzt (12 Fälle), in der Konvaleszenz.
hingegen vermehrt (22 Fälle); der gleichzeilig nachgewiesene hohe l'ber-
schuÜ von Kalksalzen wird auf den Milchgenuli bezogen und als wesent-
liche Hiirsursache gedeutet. Hei einent großen Material fand Thavkr in
3*' u V'enenthrombose. gewöhnlich mit Leukozytose einhergehend, am häufigsten
im linken Bein. In einem Falle von Gangrän durch Verstopfung der rechten
Iliaca wurden die Typhusbazillen in großer Zahl in der Gefüllwand gefunden
(LoREnzom). in einem anderen von Gangrän mußten beide Reine amputiert
werden; der junge Mann starb an Lungenart erienemboliG (D(»dds). Sechs
Fälle von hämorrhagischem Typhus hat SAMiiHui» beleuchtet; es handelte
sich nicht um Sekundärinfektion beziehungsweise Sepsis, sondern um
eine ungewöhnlich virulente Form der Krankheitskeime mit tiefgreifender
Schädigung des Blutes und der Gefäßwand unter der Form schwerer Anämie
und fettiger Entartung; nichtsdestoweniger wurden fünf der Patienten
gerettet. Endlich hat Ortnek auf dem vorjährigen Ivongreß für Innere
Medizin eigene Beobachtungen Ober das Verhalten des Gefüßapparates be!
akuten Infektionskrankheiten, insbesondere dem Typhus mitgeteilt; in 29
von 38 Fällen zeigte sich der zweite Aortenton dem der Lungenarterie
an Intensität {überlegen, fOr welche Differenz eine Erschlaffung der ar-
teriokapillaren Blutbahn durch den Typhusprozeß beziehungsweise Kompen-
sation durch eine Mehrleistung dos Herz^^ns verantwortlich gemacht wird.
Auch bezüglich des Urogenital Systems überwiegen die Arbeits-
resultate des Auslandes. Das Fahnden auf die Anwesenheit des Krankheits-
keimes im Harn ist unter Erschließung weiterer Beziehungen eifrig fort-
gesetzt worden. Als Resultate der Untersuchungen (Hayashikawa, Stefanelli
Abdoiu tnaltyphus.
und Ci'MBo, Hrrhkkt und Corsim) fassen wir zusammen, daß sich die
Basillen im sechsten bid dritten Teil der Fälle fanden, eine Parallele zur
Albuminurie und Schwere der Qrundkrankheit sich nicht erg;eben bat. daß
aber der positive Befund in der Konvaleszenz der letzteren bezQglich der
Dauer entsprach und zu bestimmten Zeiten die Mikroorganismen auch bei
ganz intakter Niere angetroffen wurden. Beiträge zur Kenntnis des Ganges
der Harnausscheidung von Fussell lehren eine annähernd normale Tafi^eB-
ausfuhr bei hohem spezifischen Gewicht auf der Hohe der Krankheit,
während die bekannte Konvaleszenten Polyurie eine Erhebung; bis zu 10 Litern
darbot. Aus der den männlichen und weiblichen Genitalapparat bet reffen lien
Kasuistik heben wir heraus einen Fall von Hoden- und Nebenhodenontzündun^
nebst Hydrocele mit sterilem Exsudat (Bär), starke Metrorrhagien bei
normalem Geschlechtsapparat, teiU tödlich (Darxall), teils mit Genesung
(Himmblsbach) endend, Pyosalptnx bei einer Virgo als N^achkrankheit
(Dirmoser). endlich Vereiterun(f einer Oi'arialcyste einige Wochen nach
fieginn des Typhus durch seinen Bazillus (Mai.dague, Za.vtschenko). Letzteren
vermitite Hokk in dor Mllrh typhuser Wöchnerinnen konstant.
Das neurologische Gebiet weist großenteils die alten Bahnen
auf, in denen die klinisehon Beobachtungen verlaufen, und nach wie vor dem
Charakter unserer Krankheit entsprechend eine stärkere Fülle von Berichten.
Durch den Typhusbazillus bedingte eitrige Meningitis sahen bei einem
secfasiährigen Kinde Rabot und Rkvol; die Autopsie ergab die Grund-
krankheit in Heilung begriffen, außerdem leichte Lungen- und Bronchial-
tuberkulose. Zwischen echter eitriger Meningitis (»Meningotyphus*) und
einfacher Reizung der Meningen oder des Gehirns durch den Typhusbazillus
(»Meningismus typhosus*) unterscheidet, wohl schflrfer als frohere Autoren,
St.Ubli, der zwei Fälle der letzterer), einen der erstgenannten Komplikation
mit spezifischem Bazillonbefund im Luinbaleiter mitteilt. Es liegt dann
eine bunte Liste meist chronischer zentraler, vorwiegend zerebraler bzw.
psychischer Störungen vor, die zum Teil genau erschlossen wohl ein näheres
Studium lohnt, indes wir uns im wesentlichen mit einer Aufzählung der
speziellen Art bescheiden müssen: Voröbergehende Aphasie, wahrscheinlich
infolge vasomotorischer, durch Toxinwirkung vermittelter Gehirnstrirung bei
gleichzeitigem akuten Hautöd(.*m (Hahn), zentral bedingte, ebenfalls transi-
torische Schwerhörigkeit mit negativem otoskoplschem Befund (G. Kuause
und Pktrktto), Epilepsie durch einen hämorrhagiflchen, in der linken post-
zentralen Hirnwindung sit/.enden Herd bedingt (Bikt), Myelitis besonders
unter der Form dor Poliomyelitis anterior acuta des unteren Rückenmarks
(Liti'i.NE), Lähmung der unteren Extremitäten ohne Atrophie infolge eines
der Scierose en plaques ähnelnden Prozesses (Cüxor) . todlicher Tetanus
nach Darmblutung (Cai ssade), Melancholie mit Delirien, Nahrungsverweiger ung
und Selbstmordneigung (Foa). Endlich gibt Noorduk, dem häufig ein ge-
wisser Grad von Katatonie auffiel, eine bemerkenswerte Auslese von
Äußerungen motorischer Unrohe in prognostisch ungilnstigon Fällen: Ataxie,
Pseudo- und richtiger Tremor, fortwährende oHcillatorischo Bewegung des
Kopfes — wir sahen vor etwa 30 Jahren in dor Heidelberger Klinik eine
Hysterica auf der Hohe des Typhus einen unheimlich schneiten und lang-
dauernden Schütteltremor des Kopfes, sozusagen rasende Jaktationen dar-
bieten — , Ausspeien der gereichten Flüssigkeiten, zähes Festhalten von
Gegenständen, also an Alkoholismus und akute Verwirrtheit erinnernde
Seelenstörungen, die Kniereflexe zeigten sich im Beginn abgeschwächte später.
zumal in den schweren Fällen^ bis zum Klonus gesteigert, auch noch in der
Konvaleszenz.
Während das Skelettsystem diesmal so gut wie leer ausgegangen,
haben in- und ausländische Forscher in ziemlich reicher Auswahl mauul^-
k
I^^^^^^^^^H Abdominaltyphus. ^^^^^^H
fache, vorwiegend eitrige Hau t er k ran kansren kennen srelehrt, so Riesmanx
richtige Abs(.»huppuniyen, Birnbai'M u. H. Weber pustulöse, bis2ur AbszeJjbildung
gediehene Umwandlungen der Roseola bei drei Kindern, die starke Reaktion
der jugendlichen Haut auf Eitererreger — der Typhusbazillus wurde im
Pustelinhalt vermißt — verantwortlich machend. Desgleichen deuten AicHß
und liATHKihLE eine aus Tariolaahntichen Effloreszeazen hervorgegangene
infektiöse Gangrän auf dem Rücken eines Kindes als Sekundärinfektion,
speziell das Produkt einer Symbiose von Staphylococcus aureus und
Bacillus coli. Multiple umfängliche Abszesse an beiden Oberschenkeln be-
schreibt Jonas, solche an InjektionssteUen als Fixationsstätten für den Typhus-
bazillus BAsrRGi. Weiter hat man von den Leistendrüsen ausgehende
Phlegmasia alba dolens beschrieben (CimTOis-SrPFiT und BKAirrME , aus-
gedehnte und hartnäckige Purpura in 20 Tientsiner Fällen, vielleicht be-
dingt durch kondensierte Milch (Wkxdkl). endlich braune Striae patoltares
am Knie eines Knaben in horizontaler und paralleler Anordnung, ähnlich den
Schwangerschaftsnarben, zugleich entsprechende, vielleicht auf Trophoneurose
beruhende Befunde bei einigen früher typhuskranken Individuen (Fischer).
Aus den Blutstudien, soweit sie nicht Bakterieubefunde und Seram-
wirkung betreffen, heben wir hervor, daß Germam die die Typhusinfektion
charakterisierende Hypoleukozytose — auch Käst und OCriü fanden diese
Leukopenie bei Typhus andauernder als bei anderen Infektionskrankheiten —
auf Kosten der polynuklüren Leukozyten zustande kommen läl5t. Als nicht
minder diagnostisch bzw. prognostisch wichtig spricht dieser Autor daa
Wiedererscheinen der eosinophilen Leukozyten als Auliorung der Konvales-
zenz an, sowie die polynukleäre Leukozytose als dlfferentlelles Zeichen
für entzündliche Komplikationen. So gern wir ein diesen Angaben ent-
sprechendes, freilich mit Ausnahmen rechnendes Gesetz anerkennen, wir
vermögen in Kons€(|uenz früherer Beanstandungen dem Praktiker eine ein-
seitige Verwertung solcher Blutbefunde nicht anzuraten.
Weiter registrieren wir einen von Kkaise und Hartoü beschriebenen
Fall von poattyphöser Strumitis mit Bazillenbefnnd in Reinkultur. Bezüg-
lich der außerordentlich zahlreichen Abstufungen der klinischen Typhussym-
ptome überhaupt vom schwersten Komplex bis zum »Typhusgesunden«
verweisen wir auf die Schilderung einer 1(00 Fälle umfassenden Kpidemie in
Kaiserslautern durch G. Mayer sowie die Mitteilung eines Falles mit drei-
maligem Rückfall (Abort!) von Axi»erso.\; hier sei auch der Mitteilungen
von Cdste über die Rückfälle unserer Krankheit, insbesondere das Vor-
kommen unscheinbarer Formes frustes und das charakteristische Wiederauf-
treten der Roseola gedacht, dann mit Nachdruck auf die lehrreichen
Krankenge.schichti>n CL^nsrnMANNS verwiesen, welche mehrfache Aufschlüsse
Ober die Gefahren anscheinend leicht verlaufender Fälle von Typhus
Amb ulatorius (Daruiblutuiigon !) und die hämorrhagischen foudroyanten
owie hyperpyretiscben Formen den bisherigen Erfahrungen anfügen.
Rücksichtlich der Kombination des Typhus mit anderen Krankheiten
verdient Erwähnung die nach einem ausführlichen Literaturboricht über das
Thema überhaupt von Stolklsd gebotene genaue Krankengeschichte eines
Falles von gleichzeitiger Influenza; bei der SGjährigen Kranken konnten
PKEtKKEHsche Bazillen und Agglutination nachgewiesen werden. Scharlach
mit Typhus sah i.e GoYc bei zwei Soldaten, Faknakikk in 39 FfiUen, von
denen ü starben. Dann finden sich eigenartige Mischinfektionen bei Typhösen
beschrieben, so bei einem Mädchen mit Bacillus Proteus vulgaris, der
massenhaft in den fötideu schaumigen Stühlen gefunden wurde (Halm), ferner
hämorrhagischer Typhus mit Streptococcie und Kolibazillose und entsprechen*
dem Bakterienbefund, auch WiLiALSche Reaktion (Ettinoer), endlich Kombi-
nationen einer Reihe bösartiger und atypischer Typhusfälle mit Diplococcien,
deren Mikroorganismns an den Enterococcus ThiercelEa erinnerte (Lerocx
und LoKRAix). Besonders traten polymorphe Kxanthenie nnd Krbrechen
hervor. Die Üesinfektion des Krankensaales machte den Infektionen ein
Ende, l'ber die Mischinfektion mit Paratyphus s. u.
Die Diagnose wird, soweit die Haltung des Praktikers in Betracht
kommt, von einem neuen Verfahren beherrschte das in dem durchaus ge-
sunden Bestreben, den Arzt von aller unnötigen Mühewaltung und Ab-
hängigkeit von besonderen Laboratoriumsrequisiten zu entlasten, vor zwei
Jahren im RiBNEitschen hygienischen Institut ausgearbeitet worden ist. Wir
meinen die Verwendung des FicKKKschen »Typhusdiagnostikums« als
vereinfachter G ruber- WlDALscher Probe. Es ist dem Entdecker gelungen,
auf dem Wege der Abtötung der Typhusbazillen eine mit Karbol konser-
vierte Kultur zu konstruieren, deren Anwendung die Beschaflunt^ lebender
Kulturen umgeht und Brutschrank wie Mikroskop entbehrlich macht. Das
— bei Merck in Darmstadt zu beziehende — Diognostikum stellt eine
jederzeit gebrauchsfähige, selbst im Tropenklima haltbare, leicht getrübte
FlOssigkoit dar. deren Klärung die positive Agglutination anzeigt. Fukkr
steht nicht an, das schon nach lu bis 14 Stunden bei Zimmertemperatur
erkennbare Resultat als mit dem der bisherigen WiDAi.schen Reaktion gleich-
lautend anzusprechen. Ks begreift sich, daß die ungomoin bequeme, zudem mit
einer Infektionsgefahr nicht rechnende Handhabung der neuen Methode alsbald
zu einer Fülle von Nachprüfungen Änlat3 gegeben, und bis zum heutigen Tage
haben es sich Forscher verschiedener Kulturländer angelegen sein lassen,
an der Beantwortung der Frage nach der zuverlässigen Sicherung der Typhus-
diagnose mittelst des neuen Verfahrens sich durch eigene, freilich recht ver-
schieden zu bewertende Arbeit zu beteiligen. Es muß uns fern liegen,
auch nur der Grundzüge des speziellen Inhalts des gewonnenen Resultate
zu gedenken. Wir begnügen uns anzuführen, daß eine überwältigende
Majorität das Lob der vereinfachten FicKKKschen Modifikation in allen
Tonlagen gesungen hat^ wenn auch hie und da neben der Anerkennung
der Bereicherung eine gewisse Reserve zum Ausdruck gebracht worden,
soweit namentlich V^eraager, der höhere Wert der ursprünglichen GRi^ßKR-
WiDALschen Reaktion und auch deren nicht ausschlaggebende Rolle, also
der nicht unbedingte Wert der Serodiagnostik Oberhaupt in Betracht kommen.
Wir nennen Borklli, Blum, Ckrnicky, Demi:trian. Ehrsam, Eichlbr, Gra-
MA.W. HOKKS, Hol MOREX, JPRGEXS, KaSARINOW, KiKN. LiON% MARTINKfK,
•I. Mkyek, V. Rau/.ikowsiu, Saulkr, Skutetzky, Spilka, VoüKLius, Walter
und fügen an. daß es bezüglich der Technik nicht an beachtenswerten
Winken und Modifikationen fehlt (Aasgr, Clamanv. Poixy). Eigene Studien
über die Bedeutung der Pruagglutinoide für die WinAi.sche Reaktion lassen
Falta und NoiiGKRATH die Anregung aussprechen, das KrcKKRsche Dia*
gnostikum aus Typhusstämmen verschiedener Herkunft herzustellen. Trotz
der hohen Summen der günstigen Erfahrungen und auf sie basierten Emp-
fehlungen scheint es fast, als ob die jüngste Zeit eine abwärts gehende
Kurve einleitete: Nachdem Vkr\v(i<)RT das neue Verfahren als weniger zu-
verlässig als die WiHALsche Probe bt-urtoilt und deshalb nicht empfehlen
zu können glaubt, weisen GCtti.kr und nicht minder Sklter auf das Vor-
walten der negativen Resultate im Beginn des Typhus gegenüber der
WiOALschen Reaktion bzw. die größere Nachhaltigkeit dieser auf der Höhe
der Krankheit hin und Schkller, der die letztere nur in größeren Labora-
torien ausgeführt wissen will, befürchtet von der FiCKF.Rachen Probe Fehl-
diagnosen in den Händen von Nichtbakteriologen. Weit entfernt davon, aus
solchen vereinzelten Stellungnahmen den hinkenden Boten für den beglückten
Praktiker herauszulesen, müssen wir sie respektieren und die definitive
Klärung der aktuellen Frage weiteren Forschungen Überlassen.
8
Abdominaltyphus.
Haben wir bezQglich der ursprQng-lichen GRUBER-WiOALschen Probe
in unserer letzten Bearbeitung begründet, daß ihre Bewertung: noch immer
nicht viel eingebüßt, so ist sie doch allgemach noch weiter vom Mittelpunkt
zurückgetreten. Nichtsdestoweniger müssen wir das Gros auch der späteren
Arbeiten als gleich inhaltsvoll wie beherzigenswert beurteilen und es geht
nicht an, daß der praktisch tätige Arzt sich ihnen ganz entwinde. Die Lob-
redner zählen zur ausgesprochenen Minorität. Selbst Autoren, welche wie
DoMBRowsKV die Reaktion auf Grund zahlreicher Prüfangen zu den zuver-
lässigsten diagnostischen Mitteln zählen, können ihr einen pathognomonischen
Wert nicht zuschreiben; sogar bei einer Verdünnung von 1 : 25 haben Tuber-
kuloselälle positiv reagiert. Auch bei maligner Endokarditis hat man sie
wieder gefunden (Halk White und P.ages). Ob sie, wie Wolkf auf Grund
seiner Prüfuagen des Blutes mit Stämmen aus verschieden vorgeschrittenen
Typhusfällen wilU in dieser Modifikation imstande ist, die einzelnen Stadien
der Krankheit erkennen zu lassen, wird man als gefestigte Tatsache noch
nicht hinnehmen können. Über Versager berichten Battignaxi, Rüssel
(sechsmal in 90 Fällen trotz regelrechten Versuchs), Krkissl (sechzehnmal
in 806 Falten). Andrerseits bewahrte die Probe, wie es wieder Browne
und Crompton fanden, ihre positive Kraft noch Monate und Jahre nach
dem Ablauf des Typhus, wenn auch nur in wenigen Fällen, wie denn auch
C. Krause ihre Dauer als ganz regellos erachtet Als großenteils unzu-
länglich spricht sie Havashikawa, als meist nicht stichhaltig Grikkith für das
Kindesalter an. Bei einem Vergleich des Agglutinationsvermogens einer Reihe
von Typhuskranken für die ans diesen gezüchteten Bazillen und die Labo-
ratoriumskultiiren stell tp TRfiissAiNT eine mit der Schwere des Falles
wachsende Differenz zuungunsten der eigenen Bazillen fest, IviiusKX be-
merkenswerte Schwankungen im Verlaufe der Krankheit. Man begreift die
Mißerfolge mit der wachsenden Erkenntnis der näheren inneren Bedingungen
der Serodiagnostik: es handelt sich weniger um eine Reaktion auf be-
stimmte Bakterienarten, als auf bestimmte Bestandteile des Bakterien-
protoplasmas (EHHi.rtHsche Agglutininrezeptorent) bzw. um Gruppenagglu-
tinine, um ein kompliziertes Gefüge verschiedener wirksamer Substanzen
(R. Stern, Lubowsky und Steinberg, Kayser, Scheli.kr). Wir lenken hierbei
die Aufmerksamkeit auf die Aufschlüsse über Agglutination von Typhus-
bazilien durch das Blutserum Ikteriachor seitens Stkinhkrg und KTnuig,
welche sie fast stets vermlL^ten, mithin gleich Kammehku keine eigentliche
Beziehung zur Gelbsucht anzuerkennen vermochten. An wohlbegrüudeten
Verbesserungsbostrebungen fehlt es nicht. Beachtung; verdienen die auf Grund
eigener experimenteller Ergebnisse erhobene Forderung von Rufl's J. Cole,
einen Typhusstamm zu benutzen, dessen Agglutinabilität man kennt, die
Steigerung der letzteren durch mehrfache Übertrajrung der frisch aus dem
menschlichen Körper gezüchteten Bazillen auf Nährböden (Kirstkix) bzw.
durch Zusatz von Kartoffelsaft zum ÖRKiAi.sKischen Nährboden (Sehrwald),
sowie für die Bedürfnisse des Praktikers berechneten Winke für die Verein-
fachung der Technik unter der Form der den Schwerkranken kaum belästigenden
Entnahme von nur wenigen Tropfen Blutes (Stäubli) und die Aufnahme des
letzteren durch einen Gazetampon behufs Aufbewahrung in einem hermetisch
jverscblossenen Glasröhrchen (Schottklii-s) oder Fließpapier (v. Tili.ng). Ein
einfaches Instrumentarium gibt Rolly an. ein etwas komplizierteres >Agglu-
tinometer< StrAubli. Daß es noch nicht an der Zeit ist, aus den Be-
schränkungen des diagnostischen Wertes der mit den lebenden Krankheits-
keimen arbeitenden WiHALschen Probe sein weiteres Sinken und mit ihm
ihre Verabschiedung aus der ärztlichen Rüstkammer zu prognostizieren,
darf als sicher gelten. Dem Leser, der sich schnell über die Bedeutung der
Serodiagnostik für den Praktiker unterrichten will^ sei die Lektüre eines
Abdorainaityphus.
9
die all^^emeLnen QrandlageD der letzteren behandetnäen, im Vorjahre er-
schienenen Aufsatzes von Hrtsch empfohlen.
Um einige Arbeiten wissenschaftlicher Bedeutung, welche die diagno-
stische Verwertung der Bakterizidle für den Typhus zum Gegenstände haben
(Hahn% Stbrn^ Kortb ond STBiN'nKRri)^ nur kurz zu nennen, da die umständ-
liche Handhabung fQr den praktischen Arzt nicht wohl in Betracht kommen
kann^ ganz ab^resehen von der Beanstandung der Sicherheit (LAiiaKNHEiMEu).
wollen wir anmerken, daß bezüglich der Züchtung der Typbusbazillen aus
dem Stuhl die Vorzüge der Trennung der letzteren von den Darmbakterien
auf dem v.DRirjALSKi-CoNRADtschen Nährboden (vgl. unsere letzte Bearbeitung)
weiter anerkannt worden; so von Ln'SrHüT:^, der freilich eine weitgehende
kalturelie Prüfung für notwendig hält und von Kirsch, der das CAMHiERsche
Verfahren — Trennung der Mikrorganismen durch eigenartige Porzellan-
filtcr. sogenannte CuAkiBERLANDsche Kerzen — als unsicher befanden. Daß
das Arbeiten mit dem genannten Nährboden in die Hftnde geübter Bakterio-
logen und spezielle Laboratorien gehurt, haben wir hervorgehoben. Gleiches
gilt von späteren Vorrichtungen, au dem Exuoschen Nährboden (Kolibazillen,
rot, Typhusbazitlen ungefärbt beziehungsweise blau), den Huata beanstandet,
Marschall aber hoch einschätzt, demienigen von LOkfler (Zusatz von
Dextrin und Malachitgrün), welchem E. Fkankel trotz der erfreulichen
Resultate seinen Glyzerin-Agar-Boden vorzieht, der Verwendung von Koffein,
das die Entwicklung der Kolibakterien, nicht aber der Typhasbazillen
hemmt {Roth, \V. Hokfmann und Fickkr). Endlich hat man, nebenbei bemerkt,
zur Färbung der letzteren den Höllenstein herangezogen (HiNTKRftKRGEit) und
die Verschiedenheit in der Stärke der Süberroaktion auf der photographischen
Platte zur Trennung der Typhus- und Kolibazillen verwertet (Stevenson).
Auch im Blut hat man weiter eifrig auf die Gegenwart der Krank-
heitskeime gefahndet und sie der Diagnose dienstbar gemacht. Neben Colr-
MONT und Ccrschma.nn wies sie Hayashikawa (im Roseolabtut in 58« o),
Mkmmmi (in 57%), Rullv (in 880/0) und Ritata (bei genauem Kulturver-
fahren in allen Fällen) nach. Quaorone gelang es wiederholt, sie beim
Abortivtyphus zu finden. Recht verschieden wird wieder die M ilzpunktion
zu diagnostischen Zwecken beurteilt, bald als unentbehrlich und völlig un-'
schädlich (Hayashikawa), bald als zwar verläßlich aber nicht ungefährlich
(Janchu, R. Stern)» bald als unzulässig (Ewalü).
So zahlreich die diagnostischen Methoden — man sehe auch die ein-
schlägige ZusaminensteUung von KChn ein — , so schwierig vermag sich
noch immer in gewissen Fällen die Erkennung des Typhus zu gestalten,
zumal in der Privatpraxis, wie es Ai-TsrHrL an der Hand dreier bemerkens-
werter unklarer Fälle typhusähnlichen Verlaufes anschaulich macht. Hierbei
sei auch weiterer Fälle von »kolibazillarer Septikämie« (WnjALund Lkmierrk)
gedacht. Neue Gesichtspunkte für die Beziehungen von Darmtyphus und
Fleischvergiftung geben E. Lkvy und Jakijbstha[. durch den Nachweis
von Stäbchen vom Charakter der Typhusbazillen im Inhalt von Milz- und
Leberabszessen einer Kuh an. während Trautmann die zuerst genannte Ver-
giftung und den weniger akut vertaufenden Paratyphus als ätiologisch
einheitliche Krankheiten beurteilt. Um mit dem letzteren das Kapitel der
Diagnose zu beschließen, können wir nicht umhin, mit einem gewissen Be-
dauern auf die nach wie vor (s. d. letzte Darstellung) trotz verdienstvoller
weiterer Forschung mangelhafte Klärung der Frage nach seinen Beziehungen
zum Unterleibstyphus zu verweisen. Es gilt da noch wesentliche Widersprüche
auszugleichen, unter denen nicht zum wenigsten der Praktiker leidet. Indem
wir ihm eine Kenntnisnahme von dem Inhalt der AscHERschen und ZrpMK-
FosNKRschen Arbeit, des ÜLEMBNSschen Sammelreferates aus dem Vorjahre
und nicht minder der zusammenfassenden Darstellung der Bakteriologie
k
10 ^If^Sffli^Kr Abdominaltyphus. mV^
des Paratyphus von Kaysf.r nahelegen, vermeiden wir es gfeflielJontUch , in
dieDetailä der letzteren einzudringen, und beschränken uns auf eine möglichst
komprimierte Wiedergabe der neueren und neuesten Arbeitsresultate , so-
weit sie eine nähere Fühlung mit den Interessen der ärztlichen Praxis
zulassen. Bemerkenswert ist zunächst die klinische und anatomische Er-
schließung eines Falles durch AscoLi, der sich nach beiden Richtungen hin
als ein rechtsrhaffoner Typhus erwies, nur daß der aus dem Blute gezüchtete
Erreger durch Typhusserum nicht agglutiniort wurde, wohl aber gleich dem
KoUbaziilus durch das Serum des Kranken. Entgegen SchottmOkler wird
die besondere Art der klinischen Krankheit wie des Mikroorganismus ab-
gelehnt und letzterer nur als eine Varietät des Typhusbazillus beurteilt.
Bei der Sektion eines Paratyphüsen fand Lucksch Milztumor, vereinzelte
Ulzerationen im Dickdarm und lobuläre Pneumonie, während Schwellungen
des lymphatischen Apparates des Darmes vermißt wurden. Bakteriologische
Prüfungen liegen dann noch vor von Ernk (kleine Hausepidemie) Ata.ARiA.
der bei zwei Kindern Mittelformen zwischen Typhus- und Kolibazillen fand,
und CijNRADi, der bei einer Mischinfektion von Typhus und Paratyphus
beide Bakterienarten im Stuhle nachgewiesen. Daß die ParatyphusbazilJen
von Typhusserum selbst in starker Verdünnung agglutiniert werden können,
haben GhC'\ber(i und Roli.y gezeigt. Auch bezüglich der Leukozytose traf
GCTin in sechs Fällen von Paratyphus dieselben Blutfunde an wie beim
wahren Typhus. Bei der Besprechung der bekannten Saarbrückener Epidemie
(32 Fälle, keiner gestorben) schließt JCrgkns die ätiologische Einheit der
unter dem klinischen Bilde des richtigen Typhus verlaufenden, meist
Mischinfektionen darstellenden Erkrankung, die übrigens auch in Japan
beobachtet werden (Shirayama), aus und hält ihre Abtrennung vom Darm-
typhus für nicht gerechtfertigt. Wir müssen dem Autor, ingleichen Keith
durchaus beitreten, wenn der ätiologischen Seite eine Bedeutung für den
praktischen Arzt abgesprochen und als seine Haltung dem Paratyphus ge-
genüber die zum Typhus überhaupt gefordert wird, wenigstens zunächst.
Eines Urteils Ober den praktischen Wert des neuerdings von der chemischen
Fabrik von Merck angezeigten »Paratyphusdiagnostikums« müssen wir uns
enthalten.
RÜcksichtlich der Vorhersage des Typhus fügen wir der oder jener
einschlägigen Angabe in den vorstehenden Erörterungen zu, daß eine pro-
gnostische Bedeutung der Agglutination fortgesetzt abgesprochen wird
(M.F. WiiJAL, Krkissl u. a.). Als ein schlechtes Zeichen erklärt Roi.i.kstox
das plötzliche Verschwinden der Diazoreaktion bei üblem Allgemeinbefinden,
während ihr Wiederauftreten einen Rückfall oder Komplikationen anzeigen
soll. Daß der Transport bei der Prognose wesentlich mitsprechen kann, hat
Mc CoRMiK plausibel gemacht; nicht weniger als U) von -*2 Todesfällen
schiebt er auf eine besonders rohe Bewerkstelligung desselben.
Therapie. Rücksichtlich der Prophylaxe fordert Qäutneh in seinen
eingangs dieses Aufsatzes berücksichtigten Studien bei positivem Nachweis
der Krankheitserreger im Quellwasser als Abhilfe den Übergang zum Grund-
wasser . die Filtration und Ozonisierung. Die Richtigkeit der von uns in
der letzten Bearbeitung gewürdigten Typhusbekämplung nach der Koruscben
Methode hat in einem bemerkenswerten Bericht von Dricalski eine Be-
stätigung gefunden Für die einschlägigen Untersuchungsämter sind im
kaiserlichen Gesundheitsamt unter Mitwirkung des Relchsgesnndheitsrates
Dienstanweisungen ausgearbeitet worden.
Die Krankenhausprophylaxe anlangend, soll unter nachdrücklichem
Hinweis auf unsere letzton Erörterungen nicht unerwähnt bleiben , daß
SiEVKR^ in Finnland während einer siebenjährigen Beobachtungszeit eine
wesenii'ich höhere Gefahr der nosokomialen Infektion für das Pflegepersonal
I
Abdoniinaltyphus.
11
(das Oeorgi[ mit Paragunmiihandschuben ausgestattet wissen will) und die
Waschfrauen als fQr dip E^atienten nachfcewiesen ; för die letzteren er-
wächst sie namentlich durch die Teilname an der Typhuspflesre nach dem
Verlassen des Bettes. Fordert der Autor die Isolierung der Typhösen, so
spricht sich VVkskxkk gegen dieselbe aus. Beherzigenswert erscheinen die
Hinweise von VKi.ini auf die Schwierigkeit der Absonderung der Typhus-
kranken angesichts einer gröberen Zahl (63) eigener Falle von latentem
beziehungsweise ambulatorischem Typhus mit plötzlichem unvermuteten oder
auf andere Krankheiten (besonders Herzfehler) bezogenem Tode. Welcher
beschäftigte Anstaltsarzt hätte nicht schon mehrfach mit solchen vielsagenden
Täuschungen zu rechnen gehabt.
Um den gegenwärtigen, gleich aktuellen wie praktisch wichtigen Stand-
punkt der Schutzimpfung festzulegen, müssen wir es uns, da wir den
berechtigten Ansprüchen des praktisch tätigen Arztes zu genügen haben,
versagen, den Inhalt einer Reihe wissenschaftlich wortvoller Arbeiten, in-
soweit er sich auf Theorie. Laboratoriums- und Tierversuch beschränkt, auch
nur im Grundzug zu kennzeichnen. Hierher gehören die Studien über Schutz-
stoffe, wie sie unter der Form eines bakteriziden und antitoxiachen Serums
durch intensive Kältewirkung auf die Typhusbazillen (Macfadykn, Rowlanh
und De WAR) und als spozifi.sche Endotoxine desgleichen aus gefrorenen
Typhusbazillen sowie durch Schütteln der lebenden Keime mit Wasser oder
physiologischer Kochsalzlßsunjr (Brikgkr, BASSKNfiE und M. Maykk, Bkshkdka)
gewonnen worden, die Nachweise der Wirkung der Sera bei Typhuskranken,
der Beziehungen zwischen Immunität und Immunkörpern von Stkkn und
Kokte, der wechselnden Hakterizidltät und immanisiorenden Eigenschaften
des Serums von Typhuskonvaloszonten von Evans, ßoNo\fE und Ravknna.
die Untersuchungen Bails über Infektion und Immunität bei Typhus be-
ziehungsweise die Verhältnisse der Bakteriolyse im passiv immunen Typhus-
tier» die Studien von Wasskumaxx und J. Citron über die Bildungsstätte
der Typhusimmunkörper unter Würdigung der Vorzüge der lokalen Im-
munität der Gewebe der Eingangspforte, also des Magendarmkanales. Die
vom Menschen außgeführten Schutzimpfungen anlangend, liegt von Wkight,
dessen früherer Erfahrungen wir bereits gedacht, eine großartige, die indische
Armee (mehr als 5000 Fälle) und die Truppen in Südafrika (4600 Fälle)
betreffende Statibtik vor ; während die Morbidität als sechs- bis achtund-
zwanzigmal geringer beurteilt wird, ist die Sterblichkeit auf den vierten
Teil der früheren veranschlagt worden. Es fehlt nicht an Beanstandungen
der Ungleichmäbigkeit der Resultate, so seitens PEARfiONP, der eine voll-
koramenere Methode fordert. Mit Nachdruck empfehlen wir ein Studium
der sehr bemerkenswerten, im laufenden Jahre als Veröffentlichungen aus
dem Gebiete des Militär-Sanitätswesens (Heft 28) in der Medizinal-Abteilung
des Preußischen Kriegsministeriuma bearbeiteten Beiträge zur Schutzimpfung
gegen Typhos. Nachdem die Untersuchungen im Institut für Infektions-
krankheiten von KoLLE und seinen Mihirheitern eine Impfschutz ver-
sprechende, freilich mit intensiver örtlicher und allgemeiner Reaktion ein-
hergehende Wirkung der Infektionen grofSer Dosen von Typhusagarimpfstoff
nach der PFEiFFEK-KoiXKschen Methode ergaben, sind an den nach Deutsch-
SQdwestafrika abgehenden Schatztruppen fakultative Impfungen vorgenommen
worden. Berichten Hrtsch und IviTsriiKU über die experimentellen Arbeiten, die
zugleich die Impfungen mit Bouilloniuipfstoff nach Bassi:n'gf:-Rimi'au, Whioht.
Wasskkma.nx und Nkisskr-Shioa betreffen, so gewähren die Ausführungen von
Fleumixg, MrsBHOLi) und Stki tiF.L, Mohgexroth und Ehriiardt, Kiwaurr und
KuHS über die Beobachtungen bei Impfungen einer größeren Zahl mittelst
des PFEiFFER-KoLLEschen fund WniOHTschen) Verfahrens in Deutschland, wäh-
rend des Transportes nach Südwestafrika und in Karlbib beherzigenswerte Auf-
12
Abdominaltyphus.
Schlüsse. Die genannte Methode muß als praktisch durchführbar und unschädlich
gelten, wenn auch die Heftigkeit der Reaktion (mittleres Fieber für durchschnitt-
lich 16 Stunden , lokale Ueizerscheinungen für nahezu zwei Tage) das Verlangen
nach einer Herabminderung solcher Beigaben rechtfertigen. Man darf auf
die Gestaltung der eigentlichen praktischen Irapferfolge gespannt sein. Kollb
selbst schließt in einem besonderen Aufsatz neuesten Datums dahin ab,
dali zur Zeit zwar keine Aussicht auf eine absolute Immunität für lange
Zeit, indes die wissenschaftlich begründete Möglichkeit einer zeitlich be-
grenzten relativen bestehe.
Die eigentliche Therapie des Typhus anlangend, die bewegende
Fortschritte nicht gerade in großem Betrage aufweist, beginnen wir, an
da*» eben Erörterte naturgemäß anschlieliend, mit der speclfischen Be-
handlung. Die Berichte über günstige Erfahrungen mit dem JK/.schen
Typhusextrakt setzen sich fort: Cascahdi , der auf kritische Polyurie und
abundante Schweiße als Folge der Injektionen verweist, lobt die beruhigende
Wirkung auf das Nervensystem, dengleichen Einiioun die günstige Beein-
flussung des Schlafes, Kopfschmerzes und der Delirien, während eine Ein-
wirkung auf die Krankheitsdauer abgelehnt wird und ni: Mksxii, de Roch-
MONT> iiy Fälle ohne Wahl) bei aller Neigung zur Annahme einer guten
Einwirkung ein bestimmtes Urteil nicht wagt. Pp.TRrscHKV macht sein
»Typhoin-, das er zur l'berholung des Infektionsprozesses durch den der
Immunisierung in kleinsten steigenden Dosen anzuwenden sollen glaubt,
für 17 Fälle günstigen Verlaufes verantwortlich. Werter haben mit eigenen
Heilseren beziehungsweise Antitoxinen ermunternde Erfahrungen gesammelt
Chantkmi^ssi-: (6"/„ Sterblichkeit gegenüber dem früheren Durchschnitt von
15 bei 507 Fällen in den Parisern Hospitälern, keine unangenehmen Neben-
wirkungen). JosiAS (der von 50 Kindern nur eines verlor, wÄhrend von
1G9 unbehandelten 142% starben) und Mkndez (von C5 Fällen starb nur
einer, doch zeigte sich die Wirkung weder schnell noch konstant). Es mag
endlich Interesse wecken, daß in einer der bakteriologischon und medikamen-
tösen Therapie der Infektionskrankheiten gewidmeten vorjährigen General-
versammlung der medizinischen Gesellschaft in Tokio der Referent Asakawa
der antibakterioUen Serumtherapie bei Typhus abdominalis ein mehr theore-
tisches als praktisches Interesse zuweist und auch der sonst wesentlich
wichtigeren untitoxischen bislang den gewünschten Erfolg aus Anlail der
langsamen Antitoxinbildung abspricht.
Über die sonstige Therapie ist, will tuun eine gesunde Kritik walten
lassen und sich auf das Neue und Gute beschränken, von der Behandlung der
Darmperforationen abgesehen, nicht viel zu sagen, obzwar der Arzt dieses
und jenes mit entschiedenem Vorteil beherzigen wird. Die antiseptische
Methode anlangend, hat ein ungenannter englischer Autor in 128 Fällen
Acetozon angewendet und will von diesem neuen Mittel bei einer Sterblichkeit
von 811% eine Abkürzung der Krankheitsdauer beziehungsweise dos Anstalts-
aulenthaltes gesehen haben, wahrend Woons und THrucn (5:i Typhen. kein
Todesfall) als Wirkung erhebliche Herabsetzung der Dannfäulnia und Durch-
fälle rühmen. Bei einer mit Guajakol, Kalomet und anderen Abführmitteln
arbeitenden Therapie verlor Mc Cormik von 408 Fällen 22. Die Italiener
erwärmen sich für die Jodbehaodlung (Cbridi, Campaxbli.a a. a.); selbst die
Bierhefe wird wieder hervorgeholt (Lecrecx).
V^in Antipyreticis ist ein neues erstanden, das von LuMifvRE ent-
deckte und von Gßi.iBKRT experimentell geprüfte Cryogenin (Benzamidosemi-
carbacid). Dkmiikgkk empfiehlt d^s Mittel das er in sehr beschränktem MaUe
beim Typhus angewandt, als wenig toxisches, der Nebenwirkung entbehrendes.
Wir kßnnen nicht glauben, daß es sich einführen wird. Citrophen hat FrcHS.
SaJochinin Watekf gute Dienste geleistet, Chinaphenin spricht v. Noordex
Abdoniinaityphus.
13
als stets gut vertragenes, in seiner Wirkung etwa zwischen Chinin und
Antipyrin stehendes Fiebermittel an. Pyramidon wird mehrfach weiter
gereicht; v. Kranxhals hebt die meist günstige, freilich vorübergehende
Wirkung auch auf das Allgemeinbefinden beziehungsweise den Infekt hervor;
nach HnOLMosER ersetzt es mindestens die Wasserbehandlung. Im allge-
meinen gewinnt man den Eindruck, daß die Arzte vorwiegend von einer
systematischen medikamentösen Antipyrese Abstand nehmen. Auch Shibayama,
der Korreferent in der bereits erwähnten Generalversammlung der medi-
zinischen Gesellschaft zu Tokio , erklärt die Dlätotherapie des Typhus als
wichtiger denn Chinin, Laktophcnin und Pyramidon. So mancher therapeu-
tische Held wird sich gewöhnen müssen, heutzutage seinen Taten eine mindere
Schätzung zuteil werden zu lassen.
Auch in der Wasserbehandlung ist keine lebhaftere Bewegung zu
verspüren. Einen beachtenswerten Beitrag zur Kenntnis der Entwicklung der
klinischen Typhushydriatik liefert Sai>(;er. Mit besonderer Wärme tritt für
sie MCiiLKR ein. der die Kalomeltheraple verwirft. Ebenso fordert sie als
frühzeitige für jeden Fall Strasser, um Verschlimmerungen und Kompli-
kationen vorzubeugen. Dem kalten Bad wird von Hahr, der nachhaltig
warnt, dem Drängen der Umgebung des Kranken nach ar^neilicher Be-
handlung nachzugeben, die kalte Abreibung und das lauwurme Bad vur-
gezogen. Nicht unwichtig erscheint das durch W. Pfkifkkr empEohlene, dem
kalten Bade ähnlich wirkende Wasserkissen, das durch Heberwirkung gefüllt
und entleert wird, das Heben des Kranken umgeht und das Wartepersonal
entlastet. Auch wir haben bei schwer darniederliegenden Typhösen von
gleichsinnigen Vorrichtun>;en viele Jahre lang den vorteilhaftesten Gebrauch
gemacht. Bei dieser Gelegenheit mögen auch die von Krmnig schon früher
zur Typhusbehnndlung eingeführten »Bettbäder* unter der Form an der
Bettstelle befestigter Gummitaken Erwähnung finden, die den Patienten
des Hin- und Hertransportes entheben. Beste Erfolge meldet Lkpuc von der
Applikation von Eisbeuteln auf das Herz (>FrigothOrapie precordiale«).
Die Ernährungstherapie leitet Qukikoi.o mit VorSiebo per rectum:
wir können diesen weniger natürlichen Weg nur für Ausnahmsrälle gut-
heißen. Für eine reichliche Ernährung, auch mit zartem Fleisch tritt Min,i,ER
ein, der vom Alkohol zurückgekommen. Wir vermögen diesem Autor nicht
zu widersprechen, wenn er Abweichungen vom Üblichen Schema für erlaubt
hält, möchten aber diesen Konsens mit Rücksicht auf die Neigung eines
gewissen Publikums zu seinem MiUhrauch in der Privatpraxis auf eine
engere Auswahl von Fallen bescliränkt wissen. Vom reizlosen Sanatogen
sah Ewald gute F>folge, zumal schnelle Resorption, vom Fleischsaft
TROTK.Wif.
Bezüglich der Bekämpfung einzelner wichtiger Symptome heben wir
die Darreichung des Adrenalins {:^8t0udlich 30 Tropfen der l^/^-jigen Salz-
säuren Lösung) gegen Darmblutungen heraus die sich Gkakskh bewährt hat,
sowie die von Fr. MCli.kr besonders zur Verhütung der Pneumonie empfohlene
Inhalation von Terpentin- oder LatschenkieferÖldämpfen mittelst eines recht
bequem zu handhabenden »Bronchitiskessels*. Auch das Vorgehen gegen
drohende Herzschwilche mit Injektionen von Koffein zu 10 bis 20 pro die
(MfLLEH) will beachtet sein; wir haben diese Einverleibung des Herztoni-
kums seit einiger Zeit besonders schätzen gelernt
Wir beschlieljen unsere Ausführungen
die recht lebhaft diskutierte Behandlung
begreiflicherweise jedem beteiligten Arzte
eine unerläl31iche aktive Haltung
örtertea verweisen, resümieren wir
mit einem kurzen Berichte Über
der Darmperforationen, die
hohes Interesse und heutzutage
abzwingen. Indem wir auf früher Er-
als Resultat der neuesten Erfahrungen.
daß Macrbkzie nur eine operative Therapie anerkennt; er hat u.a.
ü
Abdominaltyphus.
einen Fall trotz leichtsinnigen Diätfehlers (Obstgenuij) und Entwicklung;
eines Muskelabazesses durch rechtzeitifces chirurgisches Eingrreifen g-erettet.
Aul operativem Wege zur Heilung gebrachte FäMe melden ferner Elber,]
BowLBY, Hays (r.» Fälle mit 8 Heilungen) und Escher (von 4 nur 1 gestorben),.'
Letzterer fordert wie MiftEsri* und Jankowski die möglichst frühzeitige,
die tunlichst abgekfirzte Operation (Verzicht auf die prim&re Darmnabt,
Offenhaltung eines künstlichen Afters zur Verhütung von Okklusiv-
erscheinuugen und weiteren Durchbrüchen). Keherzigenswert sind die Zu-
Hanimenstellungen der operativ behandelten Fälle von Mc Ckae (43 mit
6 Heilungen), Ca/jn (358 Perfnrationsfälle, Bettung in SO*» „I und Zrsas
(22;) sichere Fälle mit Kö Heilungen), die gewiß zur weitgehenden Indi-
kationsstellung ermutigend auffordern müssen. Andrerseits begreift es sich
bei der nicht selten unüberwindlichen Schwierigkeit der Diagnose — viel
betont wird der hohe Wert des Schüttelfrostes (BSn u. a.) — , wenn auf
der einen Seite der chirurgische Eingriff auch in den zweifelhaften Fällen
gefordert (Rociiahd), auf der anderen auf den Begriff der unnötigen Operation
verwiesen wird (RrssEL). Zur Gewinnung allgemein gültiger Normen für
das ärztliche Handeln bedarf es weiteren unbefangen gesichteten stati-
stischen Materiales. Aber es ist schon heute unseres Erachtens dem Internen
nicht mehr gestattet, die sicheren Fälle dem Chirurgen zu entziehen.
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u. Posner, Prager med. Wochenacbr., 1903, Nr. 58 Fürbring^r.
AcetonbesUinmuuif nach Messinger. Die Bestimmung: beruht
darauf, daß das Aceton in alkalischer Lösung durch Jod- Jodkalium in
Jodoform Obergeführt wird. Das nicht verbrauchte Jod wird nach den Prin-
zipien der Jodometrie (s. Titrierraethode) zurCcktitriert und die Aceton menge
also durch eine Restbestimmung berechnet.
Erfardornisso: \',q N.-Jodlösung. Dieselbe soll 1Ü*685^ Jod im Liter
enthalten. Man wägt diese Menge Jodum resublimatum in einem Trucken-
gläschen genau ab und loht sie in einer konzentrierten Jüdkaliunilüsung mit
ungefähr doppelt soviel Jodkalium als Jod in der Kälte auf und füUt zum
Liter auf. Man kann natürlich auch eine beliebige Menge (M) Jod abwägen
und nach der Formel 12*685 zu lOUO wie M zu x die Lösungsmenge be-
rechnen. 1 cßj' der Jodlüsung zeigt 0*907 /«ß* Aceton an. Die aufbewahrte
JodlÖBung verändert leicht ihren Tit^r^ sie muB auf die Thiosulfatlösung
stets von neuem eingestellt werden.
16
Acetonbi^sUmmuDg. — Aciduin cUricutn.
2. 7io N.-ThiosulfatlÖsung:. Die Lösung^ soll 24*8^ reines Natrium-
thiosulfat im Liter enthalten. Man stellt sie etwas konzentrierter her und
titriert sie gegen die Jodlüaang unter Zusatz von einigen Tropfen Stärko-
16sang. Der erste Tropfen flberschüssigen Jods zeigt sich durch Intensive
Bläuang an.
3. Stärkelösung.
Ausffihrung: Da» Aceton wird aus dem Harn abdestilliert, indem
man zuerst lOOc/n* des Harns nach Zusatz von 2 cw* öü'^/oiger Essigsäure
und das Destillat wiederum nach Zusatz von 1 cm^ Sfach verdünnter
Schwefelsäure der Destillation unterwirft. Das zweite Destillat wird in eine
gut schnellende GlasstÖpselflaache von ca. '/* Liter Rauminhalt übergespült
und mit Lauge vorsetzt. Man lälJt nunmehr eine bestimmte Menge der Jod-
lösung aus der Bürette hinzufließen , schüttelt nach Verschluß der Flasche
energisch um. Das gebildete Jodoform scheidet sich unter Zusammenballon
aus; man säuert nunmehr die Flüssigkeit durch Zusatz von überschüssiger
konzentrierter Salzsäure an und fügt einige Tropfen der Stärkelösung hinzu.
Die Qesamtflüssigkeit muß alsdann blau erscheinen , anderenfalls ist zu
wenig Jodlöäung zugesetzt worden, da sie vollkommen zu Jodoformbildung
verbraucht wurde. Man nlkalisiort also von neuem, setzt neue Jodlösung
hinzu , schüttelt usw. usw. Das Überschussige Jod wird alsdann mit der
Natrium-ThioBulfatir>sung zurücktitriert. Wurden beispielsweise 50 cm^ Jod-
I5sung zugesetzt, 4*5 zurücktitriert, so wurden 455 zur Jodoformbildung
vom Aceton verbraucht; 100 cw^ des Harns enthalten also 45'5 XO'967 /n^
Aceton. Q. ZaeUer.
Acidltät des Harns. Die Acidität des Harns kann in derselben
einfachen Weise bestimmt werden, die in dem Artikel »Titriermethoden« als
Grundlage für die Acidimetrie resp. Alkalimetrie angegeben wird. Es ist
hier nicht der Ort, darauf einzugehen, inwieweit diese Bestimmungen den tat-
sächlichen Verhältnissen gerecht werden. Bekanntlich hat Liebi.kin als Ausdruck
für die wahre Acidität des Harnes empfohlen, das Verhältnis des Mononatrium-
zum Dinatriumphosphat zu bestimmen. Soviel soll demgegenüber nur gesagt
werden, daß für praktische Bedürfnisse jedenfalls die einfache direkte
Titration mit Lauge resp. Säure vollkommen ausreicht Nach Sahm und
seinen Schülern hat man sich zur Aciditätsbestimmung des Phenolphthaleins
resp. des Alizarinrots (Mrrck) (alizarinsulfonsaures Natrium) als Indikators
zu bedienen, je nachdem man die im Harn disponiblen Säureäquivalente
resp. die Baseräquivalente titrieren will. Lackmusfarbstoffe sind wegen des
unscharfen Farbenumschlags nicht zu brauchen. Die Zahl der verbrauchten
Vio N.-Natronlauge gibt in Kubikzentimetern den Wert für die Acidität,
diejenige der
N.-Snlzsäure den Wert der Basicität des Harns an.
Erfordernisse: V,o N.-Natronlauge, Yio N.-Salzsäure , alkoholische
Pbenolphthaleinlösung, Alizarinlosung. (Darstellung s. unter Ammoniak.
Vio N.-HCl wird auf die Vi« N.-Sodalösung, die Vio N.-Lauge auf die '/j„ N.-
HCl eingestellt)
Ausführung: Man titriert je nach dem verfolgten Zweck unter Zu-
satz eines der beiden Indikatoren mit der '/,o N.-Natronlauge resp. ^,\q N.-
HCl. Im ersteren Falle gibt bleibende Rotfärbung die Endreaktion an, im
letzteren der Umschlag von rot in gelb. — Eiweißhaltige Harne müssen
enteiweiUt und die Menge der dazu gebrauchten Säure in Abzug gebracht
werden. o. ZaofMer.
Acidum dtricum. Wie schon früher Jorisf.nxk, wandte neuer-
dings auch HucH.xKD in Paris die Zitronensäure gegen Gelenkrheumatlsmas
an, und zwar in einem Falle, in welchem Salizylsäurepräparate nicht ver-
AclducD citricum. — Athernarkos«.
17
r
tragen wurden. Schmerzen und Gelenkschwellunj^en versehwanden in kurzer
Zeit. Die . Vorschrift lautet: Kp. Acidi citrici 50 — 100, Sirup! Hapaveris,
Sirupi Cerasorura aa. 25m), Arjuae 1*500. MDS. im Laufe dea Tages 28tünd-
lieh 2S Eßlöffel zu nehmen.
Literatur: Hitchard, Jonrnul dt^s PratiriPiiR, 1905, 12, zit. n. Thcrap. Monatdh.. Mni
190Ö, pag. -276. E. Fny,
Acidum liTdrochloricum* Eine Kombination von Salzsilure
mit Gerbsäure ornpfiehlt boi der Behondlung des akuten Magenkatarrhs
Wkitlai'ER*), und zwar in der Absicht, die AnRtzunp: der Magenwand durch
die Salzsäure zu vermelden. Er verschreibt: Rp. Acid. tannici 0 6, Acid.
hydrochlor. dilut. trtt. XLII. Aq. dest. 9(i*0. DS. Mittags und abends >/. Stunde
nach dem Essen 1 EDIöffel in 150^ reinem lauwarmen Wasser QmgerQhrt>
schluckweise zu trinken.
Als Ätzmittel in der Lupusbehnndlung leistete die Salzsäure gute
Dienste- Drelw-) berichtet über Erfolge mit diesem Ätzmittel: er verwandte
es zur Flächenätzung am Anfang der Behandlung. Nach gründlicher Ver-
eisung mit Chlorathyl wird mit. Watte die Salzsäure so lange appliziert, bis
ein weißer Ätzachnrf entstanden ist. Dies kann 1— 3mal wiederholt werden.
Die dann noch zurückbleibenden Knötchen werden der Punktätzung unter-
worfen ; nach Vereisung werden kleine zugespitzte Qlasröhrcben in die
Knötchen eingetaucht. Das kosmetische Resultat war ein gutes. Drbuw
empfiehlt daher diese Ätzung als billig und leicht ausführbar.
Literatur: '^ Wkitlaukh, Zur Thcrapio (1l*s ukitten und ühroDi^cheu MagenkfitarrhA
und Hm' Form üer Salzfilnrcdarn.Mohung. MHnchencr med. Wochensvhr., 1905. Nr. 8, pajr. 357.
-' '• Dnccw, rUi^r diu Bi'huiidlang den Lapus mit Add. hydrochlor. cnidum dunh den
praktischen Arzt. BIÜDi-hener med. Wochfnschr., 19U5, Kr. 11, pag. 528. E. Frry,
Acol'n, s. Lokalanästhesie.
Adouis Ternalis. In Fällen, welche eine dauernde Digitalistheraple
erfordern, kann man letztere zweckmäßig nach Mittkkkk durch die Vor-
ordnung von Adonis vernalls ersetzen. Er sab in zwei Fällen eine günstige
Wirkung von dem Infus der Blatter 3 — Ag auf 20u Wasser. :i8tündlich ein
Eßlöffel. Besonders die diuretische Wirkung trat in den Vordergrund. Irgend
welchen Einfluß auf die Magentätigkeit zeigte dieses Infus nicht. Ebenso
fehlte eine Kumulation der Dosen. Die Bereitung des Infuses kann man
den Kranken unter Umständen selbst Oberlassen. Ein Patient hat jede
yVoche '6 g Herba Adonidls gebraucht.
Literatur: Mctterkh, Znr Hfhandlunfr von Herzkrankhi'it''D mit Adoniv vern;diii, als Er-
der sogenannten Digitaltstherapie. Vxk Tht^rapie der Gegenvrart, Oktober mOl, p3^. 476.
B. Frvy.
Adorin. Adorin stellt ein fast geruchloses, weißes Pulver dar, ein
Formaldehydpräparat zur Behandlung des Schweißfußes. Da die intensive
Pinselung mit Formalinlösung häufig zu schmerzhaften Schrunden zwischen
den Zehen führt, so wurde dieses > feste Formalin« von der Fabrik Schering
in den Handel gebracht. Die Erfolge sind nach Joachimczyk gute, nur
empfiehlt es sich, in schweren Fällen eine Formalinpinselung vorherzu-
schickon.
Literatur: Joaiuimczyk, Adorin, ein neues Streapiilvtir znr Behandlung den Scbvreiß-
fnÜe». Therap Slouatsh., Oktober 1904, pag. Mtj, E. Frey,
Aether chloratus, s. Lokalanästhesie.
Athernarkose. Um die Äthernarkose gefahrloser und handlicher
zu gestalten, sind im letzten Jahre einige beachtenswerte Vorschläge gemacht
worden. So empfiehlt Bautkx ') (Stralsund) eine Athertropfnarkoae. Dieselbe
unterscheidet sich in der Technik durch nichts von der üblichen Chloro-
Locjplnii. Jabrliilrlier. N.F. IV. (XIU.) ^
18
Altiernarkose. — Albarglo.
formtropfnarkoso. Auch setzt er häuEig: dem Athor eine e:anz geringe Menge
Chloroform (zirka 1 : 70) zu : dae:e(i:en (fibt er vorher niemals Morphin oder
Kodein. Kollapserscheinungen, ßronchiiiden oder Pneumonien wurden bei
dieser Anwendung-sweise niemala beobat^htet. Hinjreiren trat zuweilen — nur
nach Laparotomien — Krbrechen auf» und in zwei Füllen mutSte von der
Athernarkose abgesehen werden, wei! sofort Atmungsstillstand, Cyanose und
Kleinwerden den Pulses »ich einstellte. Bauten hat seine Krfahrunj^en an
im ganzen 300 Athertropfnarkosen gesanimelt.
Eine andere Form der Athernarkose empfiehlt W. Hekt/.-), welcher
dieses \' erfahren in der Klinik von Jkxsex in Berlin kennen (jelernt hat.
Es werden dabei aus Billrothbattist hergrestellte tiii permeable Säckchen
verwendet. Die Narkosen verliefen meist ruhig. Der Puls wurde niemals
kontrolliert wohl aber die Atmung ständig beobachtet. Traten irgendwelche
Atmungsstörungen auf, so wurde die Ätherzufuhr sofort unterbrochen. Bei
mehreren 100 derartig durchgeführt«! Athernarkosen kam es wohl als
Folgeerkrankung gelegentlich zu Bronchitiden, doch niemals zu kruppösen
Pneumonien. Hkktz schiebt dieses verliältnismäi^lg günstige Resultat auf
eine »-.orgfältige Auswahl der Krankheitsfälle vor der Narkose. So wurde
bei Herzerkrankungen aller Art stets Äther, bei allen Erkrankungen der
Almungsorgane steCs Chloroform verwandt. Schienen in Fällen kombinierter
Erkrankung beide Mittel kontraindiziert zu sein, so wurde zur Skopolamin-
Morphium Narkose gegriffen, die, wenn nötig, durch Zuführung von wenig
Chloroform vervollatändigt wurde.
Über die Mischnarkosen mit Chloroform und Athor siehe unter
Mischnarkosen.
Für die Geschichte der Äthernarkose interessant ist ein Aufsatz
Mortons, den derselbe im Jahre 1804 nach der Schlacht bei Wilderness im
Bürgerkriege geschrieben hat und welcher erst jetzt im Auszuge im Journal
American Association, li:»04. Nr. J7 veröffentlicht worden ist. Morton schildert
darin seine Eindrücke vom Kriegsschauplatze und seine Erfahrungen bei
den ersten Anwendungen des Äthers als Anästetikum.
Literatur: M Barten, Zur AthertrnpInarkoHtf. Mflncheaer med. Wochen sehr., 1904,
Nr. 10- ~ ') W. Hfriz:, Kinige Hemerkunifen ührr allgf^nii^ine Narko^^t*?!, speziell über die
Älheinarko»e. M.-dyryna. 1904, 41—42; ref. in Therap. Monat^h., DeKfiuber 1904. S. 651 ■
L Kionka .
' Agurin. Kine Reihe von klinischen Beobachtungen über das neue
Theobrominpräparat. welches eine V^erbindung von Theobromin mit Natrium-
acetat darstellt (im Gegensatz zu Diuretin, der analogen yalizylverbindung),
veröffentlicht Heixrk'Hshoff. \) In Dosen von O'd fr bis ;J }r tHgIrc.h erwies
es sich hei kardialem HydropH wirksam, während es bei Nephritis und Leber-
zirrhose häufig versagte. Die Wirkung ist, wie schon früher berichtet wurde,
eine prompt einsetzende, aber keine (iauernde. Den Magen belästigt es wohl
weniger als das Diuretin, doch kommen Kiillo vor, wo Agurin jedesmal
unabhängig von der Dose erbrochen wtrd. Diesem lobenden Bericht gegen-
über htält jAi'OBAKrs-) das Agurin für eine unwesentliche Modifikation der
Theobrominpräparate.
Literatur: ^> htut^icnworvy Klinieuhe B(*obucfatungen tlbi^r Agarin. Tbenp. Monatsh.»
Oktober 1904, p»g. 495. — ',) Jacobakus, Versuche mit einigen ntMteren Arxneion. Therap.
Mouatah., Noretiibtir 1904, pag. 404. S. Frey.
Albargln« Die gunstigen Krfalirungen mit GelatoseHÜber. über welche
• in diesen Jahrbüchern, N. F., Jahrg. I, lüOli, pag. 22 und Jabrg. III, 1905,
pag. 10 berichtet wurde, konnte Bhring >) nicht bestätigen, wenigstens nicht
in ganzem Umfange. Er sieht in der BehandUmg mit Albargin keinen V'or-
teil vor den früheren Silbermitteln bei der Therapie der Gonorrhöe, doch
wendet er es zur Nebenbehandlung zu Hause zu Ausspülungen der Harn-
Albargin. — AlbuniosuHc.
11>
röhre bei frischem Tripper in Losnnfc 1:1000 8telg:end bis 1: bOO an. Bei
chronischer Gonorrhöe hat der Autor es nicht versucht, dort leistet ihm
die Sondenbehandlung mit anschh'eßender ArgfentuinspUluni^ die besten Dienste.
Literatur : ') Baiina. Ober eini^ nenffe Heilmittel. Die Tberupie der GefjfptiwArt,
Juli 1904, png. 31.'i. K /•>«>■■
Alboferrln. Alboferrin stellt eine in Wasser leicht lösliche Ver-
bindung von Eisen and Phosphor mit EiweiU dar. Es liegt eine Empfehlung:
von Okonn vor.
Literatur: Wiener kliu. Wocfaeoscbr., Nr. äü, E. Fny,
Albumosurie. Seit Stadelmaw im Jahre 1894 seine bekannte
Monographie >rnter8uchungen über die Peptonurie* veröffentlicht hat, ist
in dieser ganzen Frage eine bedeutsame Klärung eingetreten. Man unter-
schied damalrt noch das alte BRCcKBsche Pepton von dem Pepton KThne
und schon dadurch bestand stets eine gewisse Unsicherheit in der Auf-
fassungsweise. Heute hat man sich allgemein dahin geeinigt, von Pepton,
dem echten Pepton im KüHXEschen Sinne, nur zu sprechen, wenn es sich
um das Endprodukt der Eiweiß Verdauung handelt. Peptonurie in diesem
Sinne ist bisher erst einmal von Ito (Deutsch. Arch. f. klin. Mediz., Bd. 71,
pag. 29) beobachtet worden. Es bedarf infolgedessen diese Angabe der
Nachprüfung. Die Peptone Im alten Sinne werden heute als Propeptone oder
besser Albumosen bezeichnet und stellen Zwischenprodukte der Riwoiliver-
dauung, i. e. hydrites Eiweiß dar, das noch nicht bis zum wirklichen Pepton
(KChnk) gespalten ist.
Die Albumosurie in diesem Sinne ist keine seltene Erscheinung. Es
tritt jedesmal dann Albumose im Harn auf, wenn sie auf irgend eine Weise
in den Körperkreislauf gelangt ist; denn die Albumosen (und Peptone) sind
als solche vom Organismus nicht assimilierbar und werden daher aus der
ßlutbahn durch die Nieren so^^leich in den Harn ausgeschieden. Dies ist
nicht nur im Experiment zu beobachten, wenn durch subkutane oder intra-
venöse Injektionen Albumosen — z. B. Wittes Pepton stellt das bekannteste
Albumosengemisch dar -~ dem Organismus einverleibt werden, sondern
auch in pathologischen Zustünden kann ein gleiches beobachtet werden.
Während nämlich normalerweis» die Albumosen. die durch die Verdauung
gebildet werden, vor oder während ihrer Resorption im Darmkanal eine
Bückverwandlung in Eiweiß erfahren, kann es bei Ulzerationen in der Magen-
darmwand, 2. B. bei Ulcus ventriculi, bei typhösen Geschwüren etc , zu einer
Resorption der unveränderten Albumosen kommen. Dieselben werden dann
im Harn ausgeschieden. Man spricht hier von einer enterogen en oder
alimentären Albumosurie.
Ks wird die Albumosurie aber ferner beobachtet bei den meisten
fieberhaften Erkrankungen, besonders stark bei denjenigen, die mit Eiternngs-
prozessen einbergehen , so bei eitriger Meningitis , bei eitrigem Gelenk-
rheumatismus, bei eitriger Phthise, bei eitrigen pleuritischen Exsudaten und
bei Pneumonie im Resolutionsstadium. Man hat diese Form der Albumoäurie
die pyogene genannt und ihr die hAmatogene gegenübergestellt, welche
sich bei allgemeinen, schweren Störungen des Stoffwechsels findet, die mit
Zerfall von Gewebsoiweiß einhergehen, so bei der Phosphorvorgiftung und
akuten gelben Leberatrophie , bei Neoplasmen der verschiedensten Organe,
bei Skorbutfällen usw.
Als Erklärung für die pyogene Form nahm man an, daß durch die
pyogeoen Bakterien aus dem Eiweißmaterial der zerfallenden Gewebszellen
durch proteolytische Spaltung Albumosen In den Eiterherden entstehen,
welche in den Ivreislauf gelangen und dann in der mehrfach besprochenen
Weise eliminiert werden. Für die endogene Albumosurie hingegen, wie
1^
20
Albutnosuric.
man die infolg^e von Stoffwechselanomalien auftretende Form der Albu-
mosenauBscheidunt^ auch benannt hat. stellte man sich vor, daß hier die
Albumosen infolge qualitativ veränderten Eiweiüzerfalls entstanden. Diese
beiden Ertdärungen schweben aber, wie Hallal'Gr überzeugend ausgeführt
hat, vollkomiuen in der Luft. Denn wenn es auch auf der einen Seite
zweifellos Bakterien gibt, welche eine proteolytische Spaltung bewirken
können, so ist dies doch keineswegs für alle die Bakterienarten sicher-
gestellt, welche in den benannten Krankheiten als Eitererreger vorkommen;
ja für einige derselben, z. B. för Streptokokken, Bact. coli u. a. , ist von
pRiEitK. MOllkk sicher nachgewiesen worden . daß sie nicht proteolytisch
wirken. Femer wird auch Albumosurie beobachtet bei sog. aseptischem
Fieber, nach Einspritzung von Toxinen, EiweißkGrpern und Salzen, wo also
die Annahme einer Proteolyse durch bakterielle Einwirkung zweifellos ver-
sagt. Man hat sich auch für diese Fälle, wie Krkhl und Matthes, mit der
Annahme einer qualitativen Änderung des Eiweißabbaues behoUen [Krkhl,
Matthew, Neimeister u. a.), indem man auf das gleichzeitige Auftreten von
Aceton im Fieber verwies und meinte, daß durch dasselbe bewiesen sei,
daß der Eiweißabbau im Fieber in anderen Bahnen verlaufe als in der
Norm. Es muß nun sicher zugegeben werden« daß os im fiebernden Orga-
nismus nicht nur zu tiuuntitativen, sondern auch zu qualitativen Änderungen
des Stoffwechsels kommt; dies beweist das Auftreten von Oxybuttersäure
und ihrer Abkömmlinge im Harn von Fieberkranken ; indessen ist andrer-
seits zu berücksichtigen, daß das Auftreten dieser Körper nach der neue-
sten Ansicht vieler Autoren (Mag\l*s-Lr\y, Waldvogel u. a.) gar nicht mit
dem Eiweißzerfall in Zusammenhang steht, sondern daß das Fett als ihre
Muttersubstanz anzusehen ist, Aber selbst angenommen, daß die Oxybutter-
säare dem Eiweiß entstammt, so bilden, um den Gedankengang Hallauers
weiter zu verfolgen, diese Stoffe doch keine dem normalen Organismus
fremden Körper wie die Albumosen ; sie sind viülmehr normale Zwischen-
produkte und ihr Auftreten im Harn beweist weiter nichts, als daß die-
selben nicht in normaler Weise zu Harnstoff, Ammoniak etc. abgebaut
worden sind. Folglich ist eine Parallele mit den Albumosen, welche unter
allen Umständen im Sftftestrom sich nur anormalerweise befinden können,
nicht zuISssig. und damit ist auch die Hypothese, dnß die Albumosen infolge
einer qualitativen Änderung des Eiwoißstoffwechsels entständen, unhaltbar
oder wenigstens vollkommen ohne Stütze. Endlich spricht dagegen norh die
Tatsache, daß in einer Keihe von pathologischen Zuständen, wie in vielen
Fällen von Diabetes, bei Inanitionszusländen u. a. Aceton im Harn auftritt, in
denen aber niemals die Ausscheidung von Albumosen beobachtet worden ist.
Betrachtet man hingegen genauer alle die Fälle, in denen Albumosurie
auftritt, so erscheint die einheitliche Erklärung, welche Hallaufr für die-
selbe gibt, durchaus plausibel. Sowohl den fieberhaften wie den nichtfieber-
haften oben genannten Erkrankungen ist gemeinsam der Zerfall von Ge-
webseiwoiß, insbesondere der Untergang von Leukozyten. HALLArKR schließt
also, daß durch Zerfall derselben die Albumosurie zustande kommt. Wir
brauchen hier die Krankheiten nicht im einzelnen nochmals zu wiederholen;
eine bemerkenswerte Ausnahme bildet bei den fieberhaften Krankheiten der
Typhus abd.; bei demselben fehlt bekanutitch in der Regel die Leukozytose
und auch die Albumosurie wird hier meist vermißt, obgleich, wie wir vor-
her sahen, ihr Auftreten als enterogene Albumosurie noch eine andere Er-
klärung fände. Bei den experimentell durch Injektion von Peptonen, Salzen usw.
erzeugten aseptischen Fiebern ferner geht bekanntlich mit der Lokal-
reaktion stets eine starke Leukozytose Hand in Hand. Bei der durch den
Wiirmestich erzeugten Temperatursteigerung hingegen, die rein nervöser
Natur ist, fehlt, wie die Leukozytose, so auch die Albumosurie.
i
Albtimosurfe.
21
Die Entstehung: der Albumosen aus Eiter oder abfifestorbenen Qd-
websmassen ist durch die (frundiejjenden Untersuchunffen Friedrich MCllerö
und seiner Schüler dem Verstündnis nahe Reröckt worden. Fhikdrith MCller
wies vor allem am Beispiele der kruppösen Pneumonie und an dem des
Eiters nach, daß im lebenden Orgranisraua autolytische Vorgränge sich ab-
spielen, welche einen richtijiren chemischen Abbau bewirken, und als deren
Ursache mit g-röliter Wahrscheinlichkeit Fermente anzusehen sind. Die
Versuche wurden in der Weise ane:eBtellt, daß z. B. ein pneuniunisches
Lunj^enstöckchen bei Brultemperalur in Toluohvasser, also unter Ausschluß
der Hakterienwirkung- mehrere Tage aufbewahrt wurde. Es zeigte sich dann
unter anderem eine starke Abnahme des Fibrins, ein Verschwinden der
roten Blutkörperchen, eine Auflösung des protoplasmatischen Zelleibes der
Lenkozyton und, wie die chemische Untersuchung ergab, ein Abbau des
Eiweißes. Auftreten von Albumosen, l.,euciu, Tyrosin etc.
Der Beweis, daß es sich bei diesem V^organg nicht um eine einfache
Mazeration, sondern um Fermentwtrkung handelt , wurde dadurch erbracht,
daß eine analoge Lunge, in gleicher Weise behandelt und aufs Eis gesetzt,
noch nach H Tagen vollständig unverändert und auch nach 8 Tagen bei
Zimmertemperatur nur in geringem Grade weicher geworden war. .Jaoobi.
Fribdrich MCllkr und eine Reihe anderer Autoren nehmen an, daß die
Leukozyten, und zwar besonders die polynukleäron Formen derselben, resp.
die Nachbarzellen der abgestorbenen Gewebe die letzteren durch Phago-
zytose in sich aufnehmen und sie durch intrazelluläre Verdauung auflösen.
Wo aber, wie im Kiter. die Leukozyten selbst zugrunde gehen, dort werden
auch die Fermente frei. Übrigens föhrt diese Autolyse den Verdauungs-
prozeß weiter als bis zur Albumosenverdauung; es entstehen daneben auch
N-haltige Produkte . die nicht mehr eiweißartig sind , in erster Reihe
Aminosäuren.
Hallal'er nimmt nicht, wie jene Autoren, ein besonderes autolytisches
Ferment an, sondern glaubt, daß das tryptische Ferment des Pankreas die
Verdauung im alkalischen Üewobssaft besorgt. Ebenso wie dfer saure Harn
der Fleischfresser wirksames Pepsin enthält, konnte Hali.alek im alkali-
schen, eiweißhaltigen Kaninchenharn durch das Auttreten von Eiweißver-
daunngsprodukten Trypsin nachweisen. Kommt dieses Ferment aber im Harn
vor, so muß es notwendigerweise auch ira Blut, als dem Transportwege zu
den Nieren, und also auch in den Körpersäflen vorhanden sein. Dafür, daß es
gewöhnlich im ursprünglich sauren Harn nicht wirksam ist, macht Hallaukk
das gleichzeitig vorhandene Pepsin verantwortlich, welches es zerstört resp.
unwirksam* macht. Gegen diese Annahme der Ubiquitat des tryptischen
Pankreasfermentes ist verschiedentlich Einspruch erhohen worden, der hier
nicht besonders interessiert. Für das Entstehen der Albumosurie ist nur die
Tatsache als wichtig hervorzuheben, daß ein Ferment mittelst der Proteolyse
Eiter resp. abgestorbene Gewebe zu verflüssigen und zu verdauen vermag.
Die auf diese Weise entstandenen löslichen Albumosen werden resorbiert
und als körperfremdes Eiweiß im Harn ausgeschieden.
Was den Nachweis der Albumosen im Harn anbelangt, so verfährt
man praktisch folgendermaßen: Im eiweißfreien, aber albumosenhaltigen
Harn ISiSt die gewöhnliche Kochprobe den Harn während des Kochens klar,
nach dem Erkalten hingegen wird er trQbe oder bildet einen flockigen
Niederschlag. Die Probe mit Essigsäure und Ferrocyankalium oder die Probe
mit Sultosalizylsäure gibt in der Kälte eine TrÖbung resp. einen Nieder-
schlag, der sich beim Erhitzen löst, um beim Erkalten wieder aufzutreten.
Enthält der Harn gleichzeitig Eiweiß, so muß es durch Kochen und Zusatz
von einigen Tropfen Essigsäure sub finem coctionis und Filtrieren im heißen
Znstande entfernt werden. Diese angegebenen Methoden sind nur orten-
«>o
AlbumosurJe. — Alkohol.
tiefender Xatur. Der sichere Nachweis jE^estaltct sich nach Svlkowski und
V. Aldok tolprendermaßen:
lOcru' Harn werden mit einigen Tropfen Salzsäure angesäuert^ mit
Phoaphorwolframsäure gelullt und zentrifuijiert ; der Niederschlag wird mit
absolutem Alkohol gut gemjacht und nochmals zentrifugiert. Dies wird so
oft wiederholt, bis der Alkohol ganz farblos ist. Dann wird der Niederschlag
mit sehr verdünnter Natronlauge in der Wärme gelöst und vorsichtig mit
Kupfersulfat versetzt. Bei Gegenwart von Albumosen tritt nun eine schmutzig-
rötliche bis violette Färbong auf.
Die Aufnahme des Niederschlages durch Alkohol geschieht deshalb»
weil das in den Alkohol Obergehende Urobilin gleichfallH die Hiuretreaktion
gibt. Ist der Harn nicht biurothaltig. so kann man den PhosphorwoHram-
säure-Niederschlag unter Umgehung des Alkohols sofort mit verdünnter
Natronlauge aufnehmen.
Bei dem Kapitel der Albumoaurie muß auch die BEXCE-JONEssche AI-
bamosurie erwähnt werden, welche durch das Auftreten des Brnte-Jones-
schen Eiweilikörpers, welcher den bekannten Verdauungsalbumoaen nahe steht^
aber nicht mit diesen identisch ist, charakterisiert wird. Dieser BEXfE-Jo\ES-
sche Körper ist in einer Keihe gut beobachteter Fälle von multiplen
Myelomen der Knochen (lymphoider Infiltration des Knochenmarks) gefunden
worden. Ferner ist es Ztelzek gelungen, eine experimentelle BE\rK-Jt»XESsche
Albumosurie zu erzeugen, indem er Hunde durch Pyrodin vergiftete. Dabei
tritt gleichzeitig eine schwere Anämie auf.
Wahrscheinlich ist der BEXCE-JoxESsche Körper das hydrolytisch ge-
spaltene Zerfallsprodukt der im Knochenmark gebildeten Blutkörperchen.
Der Nachweis der BEXCE-JüVEsschon Albumosurie ist dadurch besonders
erleichtert, daß dieselbe im sauren Harn bei Erwärmung von r>0 — UO*' sich
groütenleils ausscheidet« um bei weiterem ICrhitzen sich wieder vollständig
zu lösen.
Die entstandenen Koagula sind aber keineswegs flockige sondern stellen,
mikroskopisch betrachtet, eigentümliche Kugeln vor, ledoch ohne kristallini-
sche Struktur Als weitere hauptsächliche Reaktion ^0ien hier angeführt:
starke Fällung tn der Kälte durch Salpetersäure, Sulfosalizylsäure, Pikrin-
säure, Ai.MEXsches Reagens, Essigsäure und Ferrocyankalium. Alle diese
Fällangen lösen sich wieder klar in der Hitze. Ferner Halbsättigung mit
Kochsalz Ifiüt den Körper ausfallen.
Literatur: Uallaier, tUier EiweillanMcheidung im Fieber. Würsburg 1904. —
F. AICllbb, Knngr. f. inii. Med., 1902. — Jacobi, Zeitachr. f. physiol. Chcmi«, 31. — Oskir
ßiMO», Deiitftch. Arch. I. klin. Med., 70. ^G. Zuelzer.
Alkohol. Eine objektive Darstellung der >Tatsachen Über Alkohol«
liegt in einem Buche Hoppes ^) vor ; es werden darin folgende Kapitel be-
handelt: I. Alkohülmilibrauch, II. Wesen des Alkohols, III. Physiologische
Wirkungen des Alkohols; IV. Alkohol als Krankheitsursache, V. Der Alkohol
in den Krankheitsslatistiken^ VI. Alkohol in den Sterblichkeitsstatistiken,
VII. Alkohol und Geistesstörung, VIII. Alkohol und Verbrechen, IX. EinfluU
des Alkohols auf FamiliBnlebon, Sittlichkeit und Wohlstand, X. Alkohol und
Entartung, XI. Verbreitung der Triiiksitten und der Trunksucht, nebst
Tabellenanhang. Ferner hat Rt)t>ENFKMJ -) in einer Monographie den Einfluß
des Alkohols auf den Organismus behandelt und die neu gefundenen Tat-
sachen zusammengestelltt Der Einfluß des Alkohols auf das Nerven- und
Seelenleben fand eine Bearbeitung von Hirt.') Zur Verhütung des Alko-
holismus liegt eine Empfehlung der Abstinenz von Hoijtschku ') vor. Unter
den Degenerntionserscheinungon , wie sie die Folge des Alkoholismua des
Vaters ist, erwähnt Q. v. Bingk ') auf Grund eines durch Rundfragen er-
haltenen statistischen Materials außer Zahnkaries, Tuberkuloee, Nerven-
Alkohol.
23
krackheiton die Unfllhigkeit zam Stillen bei der Tochter; die chronische
Alkoholverififtiinjf des Vaters stelle die Hauptursacho der Stillunfähipkeit dar.
ÜaÜ der Alkohol nur ia kleinen Menden die HoIIq eineä Nahrungs-
mittels spielen kann, (indet eine liestätigung; durch Godoard"); bei Ver-
wendung von größeren Dosen wird der Alkohol zur Hälfte unverbraucht
wieder ausKeschieden.
Bei der modernen Behundlun^ des Alkoholismus kann nrt>ch LjasS')
die Hypnose sehr viel bessern, hauptsächlich bei habituelh'n Trinkern. Sonst
kommt die Heilstfittonbehaudtiing In Betracht.
Das Tatsachenmaterial Ober die Wirkung* des Alkohols wurde durch
eine Reihe experimenteller Arbeiten erwettert. Crambr hatte darauf auf-
merksam gemacht. duU die Pupillenreaktion beim normalen Menschen im
Zustande der Alkoholvergiftung keine Veränderung zeigt im Gegensatz zu
der Veränderung des Kniephänoniens. Im Anschluß an diese Beobachtung
stellte Vogt'') fest, daii bei Idioten und Degenerierten Veränderungen der
Popillenreaktion nach Alkohotgaben auftreten, größtenteils im Sinne einer
trägeren Lichlreaktion. Die Alkoholdosis bestand iu 40 c/h* Rum oder Arrak
auf V \| / lauwarmes Wasser. Bemerkenswert ist^ daß im Gegensatz zum
normalen Menschen nicht nur Idioten diese Mitbeteiligung des Pupillon-
pbänomens an der Vergiftung zeigen, sondern auch chronische Alkuholisten.
Der Autor stellt diese Beeinflussung des nervösen Lebens in Parallele mit
dem Verhalten der Psyche. Es stellt, was in foro wichtig ist. diese Läh-
mung einen Maßstab für die Allgemeinintoxikation des Gehirnes dar und
gibt ans »die Gewißheit über das Vorhandensein einer mehr oder weniger
schweren Störung oder Trübung des Bewußtseins*.
Über die verschiedene Giftigkeit der homologen Reihe der einwertigen,
gesättigten, prim.'lren Alkohole stellte KOTÄVER^y Studien an Seeigeleiern an;
er fand, daß jedes folgende Glied dieser Reihe dreimal so wirksam war als
dos vorhergehende. Durch Harnstüff, Kolloide und Zucker wird diese Gift-
wirkung gesteigert.
Um die Frage nach dem Einfluß des Alkohols auf die Empfindlichkeit
für Bakteriengifte zu klären, unternahm Fraenkel '") eine Reihe von Ver-
suchen. Friedrercer hatte festgestellt, daß eine einmalige Zufuhr von Al-
kohol die Erzeugung von Antikörpern beim Kaninchen steigerte, während
die fortgesetzte Darreichung die Produktion von Antikörpern herabsetzte.
Ebenso hatte MOi.i.Kit auf die Knipfindliehkeit der Alkoholtiere aufmerksam
gemacht. Die Versuchsreihen Fk.\knki:ls wurden nun in der Weise angestellt,
daß Kaninchen, die mit Choleravibrionen oder Typhuskultur intravenös be-
handelt waren ^ gleichzeitig in den Magen V>cin^ absoluten Alkohol auf 25
wässeriger Lösung verdünnt erhielten, einmal oder mehrere Male. Die Fähig-
keit des Serums dieser Tiere wurde nun nach 7 Tagen gegen die betroffende
Infektion von Meerschweinchen geprüft. Die Versuche sprachen zugunsten
einer einmaligen Alkoholgabe, während »eine längere Zeit fortgesetzte Be-
handlung mit Alkohol den Serumtiter der Tiere angreift und herabsetzt«.
Aber »selbst die durch längere Zeit, durch mehrere Wochen hin forigeführte
Darreichung des Alkohols hatte das Vermögen der Tiere, ein Serum mit
spezifischen Eigenhchaflen zu liefern, nicht verringert, sondern immer noch,
wenn auch in bescheidenerem Umfange, erhöht«. Geht die dauernde Verab-
folgung des Alkohols »mit einer fortgesetzten und vorsichtigen Darreichung
der Infektionserreger, also mit einer weitgehenden Immunisierung einher,
80 ist die bei gleichzeitiger Alkoholisierung der Tiere eingetretene Wirkung
des Serums eine noch erheblichere als im ersten Falle«.
Der Einfluß des Alkohols auf den Hirn-Rückenmnrksdruck machte
FixKELXBURu ^') zum Gegenstand von Untersuchungen. Er maß nach Eingabe
von Alkohol in den nüchterren Magen den Druck in einem mit der Hirn-
Alkohol.
rQckenmarkshöhle verbundenen Manometer. Der Druck »i\eg re^elmäütg
(Canz bßlrächtlicli. bleibt längere Zeit auf dieser Höhe und sinkt langsam
unter die Norm. Da auch die Nachweben eines stärkeren Alkoholg^enusses
das Kild eines vermehrten Hirndruckes nach der Ansicht des Verfassers
darstellen, so nimmt der Autor an, daß dieser g:esteig:erte Druck einen Teil
der Schuld an den Vergiftungssymptomen trag:e.
Größere Experlmentalarbeiten reffte ein Pretaausschreiben d<*s Vereins
abstinenter Ärzte des deutschen Sprachgebietes an, und zwar Ober die Kin-
wirkuntj des Alkohols auf das Wartnblöterherz. K(n iiman.v '•), drssen Arbeit
der ausgesetzte Preis zufiel, untersuchte zunächst den li)tnTluß des Alkohols
auf das isolierte Herz, sodann die Heeinflussuntr des Herzens, wenn es mit
dem Nervenapparate und Gefäßsystem in Zusammenbanp: bleibt. Den ersten
Teil seiner Untersuchungen stellte Kochmanx an Kaninchen, Katzen und
Hunden an, und zwar wandte er bei Kaninchen die BocK-HKRixüschen Herz-
präparate an, bei Hunden und Katzen den von Gottlikb und Magni's mo-
difizierten LANGEXDORFFschen Apparat. In der ersten Versuchsanordnunp:. der
BorK-HEHiNcschen, bleibt das Herz im Tierkörper in Verbindung mit dem
Lungenkreislauf und einem reduzierten großen Kreislauf. Das Gefäßsystem
faßt ung^efähr 25 ctti^. Auf Injektion von 2cm^ 10" ^igen Alkohol in dieses Ge-
fäßsystem trat Blutdruckseukung auf, Systole und Diastole nahmen an
Größe ab. Nach 'Acw^ luVoigen Alkohols sank außerdem die Pulalree|uenz.
Stärkere Dosen scbädig:en noch mehr. Eine erregende Wirkung wurde nicht
beobachtet, doch erholte sich das Herz ziemlich schnell. Bei den Durch-
8tromun(;sversuchen nach Laxgendorff an isolierten Katzen- und Hunde-
herzen, bei welchen durch eine neue Versuchsanordnung sowohl isotonische
als isomotorische Kurven erhalten wurden, also sich das Herz einmal bei
gleichem Druck, das andere Mal bei gleichem Volumen zusammenzog, zeigte
sich die gleiche Schädigung, und zwar bei einer Konzentration von 04 bis
rO Vo Alkohol. Nach Durchströmen mit alkoholfreteui Blute erhalte sich
Herz wieder rasch. Dies fand auch noch statt, nachdem das Herz auf
Atkohol-Blutlosung nach 10 Minuten zum Stillstand gekommen war.
Versuche mit Wein und Branntwein fielen geradeso wie die Experimente
mit reinem Alkohol aus. auch hier zeigte sich keine Erregung, sondern eher
noch eine gr5ßere Giftigkeit. Am intakten Tier trat nach intravenöser In-
jektion von mittleren Gaben Alkohol ill — 5*v//'^ einer ^O^oigen Alkohollösung)
eine Blutdrurksteigerung um So/y ein: nach Ausschaltung des vasomotori-
schen Zentrums durch Kfickonmarksdurchschneidung odur durch Abbinden
der zuführenden Arterien betrug diese Hlutdrucksteigerung sogar '20^;'q. Da
die peripheren Arterien vom Alkohol unbeeinflußt bleiben, so schließt Koch-
MAXX, daß die Nervenzellen des Splanchnikus durch den Alkohol gereizt
werden, was zu einer starken Blutdrucksteigorung führt, die aber vom vaso-
nu)torischen Zenlrürn teilweise durch Erweiterung der peripheren Arterien
kompensiert wird. Wenn also der Alkohol das isolierte Herz schädigt, kann
er durch Blutdrucksteigorung am intakten Tier und damit besserer Blut-
versorgung des Herzens die Herztätigkeit steigern. Dies zeigte Kochmaxx
an einem isolierten Herzen, das nach der Methode von Heymaxs und Kom-
MANN ^2) in den Kreislauf eines anderen Tieres eingeschaltet wan die Herz-
arbeit des isolierten Herzens wie des Herzens des »blutspendenden Tieres«
nahm nach Alkohol zu. Auch am Menschen wies der Verfasser die Blut-
drucksteigerung nach.
Auf Grund weiterer Untersuchungen am Menschen kommt Koi'hmaxx'*)
zu dem Schluß, daß die Anwendung des Alkohols am Krankenbett als Ex-
zitans sehr wohl berechtigt ist. Es trat tn allen Versuchen nach kleinen
Gaben Alkohol bei nicht daran gewöhnten Leuten eine Blutdruckerhohung
ein, verbunden mit einem Qrößerwerden des Pulses.
das
00/
- /O
Alkohol.
25
Di© Untersuchungen Lobbs'^), welche auch einen Preis erhielten, er-
streckten sich auf die Wirkunf; des Alkohols auf das isolierte Herz und
wurden am LAXGEXiKiRFFschen Apparat nach der Modifikation von Gottlieb
and Magncs gewonnen. Nach Anwendung kleiner Dosen sah er eine er-
regende Wirkung auf das Herz, wenigstens in den meisten Fällen, und zwar
zeigte sich diese Stei^ernng der Herzarbeit auf 013 — 0"3"'„ Alkohol. Die
Schädigung, welche nach stärkeren Konzentrationen eintrat, fand er wie
Kot'HMAW wieder reparabel. Kr HchlieÜt daraus, daU der Alkohol keine tiefer
greifenden Veränderungen setzt.
Lof;B fuhrt die erregende wie schädigende Wirkung des Alkohols auf
direkte Kinwirkung auf die motorischen Apparate des Herzens zurück. Es
gelang ihm nicht, ein flimmerndes Herz durch Alkohol wieder zum Schlagen
zu bringen, wie das nach Digitalis, Kampfer, Kali eintritt. Quantitativ trat
Stillstand des isolierten Katzenher^ens bei Alkohol erst in 2i8fach stärkerer
molekularer Konzentration als bei Chloroform und in 7*5fach stärkerer als
bei Aiher ein.
Die äußerliche Anwendung des Alkohols^ die sich bei entzOndlichen
Prozessen, wie Hanaritien, Furunkeln, PhlcfrmonBn etc. bewährt hat. ist in
einer Keihe von Veröffentlichungen tobend besprochen worden. Zunächst sei
erwähnt, daß Rrss^'^) die Tatsache bestätigt hat, daü der Alkohol ein
Bakteriengift ist, wenigstens soweit es sich um sporenlose Mikroorga-
nismen handelt. Keimbaltige Haut läßt sich durch absoluten Alkohol nicht
keimfrei machen, auch gelingt dies mit verdünntem kaum.
Eine eingehende Besprechung der Technik der Spiritusverbände, ihres
Anwendungsgebietes und ihrer klinischen Wirkuug fand das Thema durch
BRvanKR. 1") Der Alkohol soll dabei in gas- oder dampffßrmigem Zustande
auf die Gewebe einwirken. Zu diesem Zweck muß der Verband locker an-
gelegt werden, es muß eine ausreichende Verdunstung stattfinden können:
daher kommt Ober die 8fache Lage Mull, welche mit Alkohol getränkt
wird, eine Schicht Watte, erst darauf ein Stück unriurclilässiger Stoff; das
Oanze wird mit einer Mullbinde befestigt. Den undurchlässigen Stoff kann
man noch mit Löchern versehen, um die Verdunstung zu verbessern.
BKrGGEK wendet bei allen erheblichen Entzündungen 90"/ü Spiritus an, In
anderen Fällen SO — tJO^ Alkohol. Die Haut wird vor Anlegen des Ver-
bandes gereinigt, Wunden werden vor der Einwirkung des Alkohols ge-
schQtzt, und zwar durch lockere Taniponade. Ebenso soll man Wundhöhlen
oder Kurperhöhlen, wie äußerer Gebörgang, Nasenhöhle, Scheide nicht mit
alkoholgetränktem Mull tamponieren, da »hier bei der Unmöglichkeit der
Verdunstung mit Sicherheit Ätzwirkung zu erwarten ist«. Die Größe der
Verbände richtet sich nach dem P-ntzQndungsprozeß, im allgemeinen legt
man sie groß an. z.B. bei Panarilien über die Hand, ja über den Vorder-
arm. Die V^erbände sollen dauernd feucht, aber nicht naß sein: zu diesem
Zwecke genügt eine Erneuerung alle 12, selbst '2i Stunden. Vor Abschwellen
der entzündeten Partien soll die Behandlung mit Alkoholverbänden nicht
ausgesetzt werden, oft empfiehlt es sich, dieselbe bis zur Granulationsbil-
dung, ja biä zur Heilung fortzusetzen. Neuerdings sind zwei Präparate eines
gebrauchsfertigen Alkoholverbandes in den Handel gebracht worden, und
zwar eines unter dem Namen Alkoholcellit von den Farbenfabriken vor-
mals Friedrich Bayer & Ko. und ein zweites, »Duralcol«, von der Chemi-
schen Fabrik Helfenberg. Alkoholcellit stellt eine Lösung von Protocellit
in Alkohol dar mit öC/^ Alkoholgehalt. Es wird mit dem Messer in Streifen
geschnitten und dann wie die gewöhnlichen Alkoholverbändo angewandt.
Duralcnlbjnden sind mit 94^„igem Alkohol getränkte Binden, durch Bindung
des Alkohols an eine neutrale Seife ist dem Alkohol eine feste Form ge-
geben; die Binden sind in Blechkapseln eingeächlossen. Die beiden Präparate
26
Alkohol.
scheinen be(|ueni in der Anwendung und von guter Wirkung zu sein. Der
Alkoholgfehalt der Präparate ist für die Anwendung zu beachten. Die Wir-
kung der Alkoholverbände zei^t sich in einer Heschränkunf; der Entzün-
dung, in einer Beschleuniguni; des eintretenden Zerfalls bzw. der Einschmelzung
nnd der rasch einsetzenden schmerzstillenden Wirkunß:. Es ermöglicht also
der Spiritnsverband eine AbkArzung des Krankheitsprozessea^ unter Um-
ständen die VeruiGidunsr von Einschnitten und größeren Narben. Man kann
daher hänfig bis zur Einschttielzun^. dem Auftreten von Fluktuation mit der
Inzision warten^ im allgemeinen wird man sie nicht umgehen können. An-
gewendet hat Bhi.TjGEH die Alkoholverbände nicht nur bei Pauaritien, Phleg-
monen, Furunkeln und Lymphgefäßentzündun^en, forner bei Mastitis, sondern
auch bei Bursitis praepatoilaris, QelenkentzQndungen, lokaler Tuberkulose,
besonders der Knochen, bei komplizierten Frakturen. Ein neues Anwendungs-
gebiet gibt der Autor den Alkoholverbänden als Notverbänden in Krieg
und Frieden und hebt mit Recht- ihre Vorzflge vor den zweifelhaften
ReinigLingsversucben von Laienhand mit Karbolwasser n. dgl. hervor. Von
unangenehmen Nobenwirkungen ist nur das starke Schrumpfen der Haut zu
nennen, das Salbenapplikalioa rasch beseitigt. Einmal sah der Verfasser eine
Entzündung des Verbandes, den sich eine Dame selbst umlegte, ein Ereig-
nis, was ausgedehnte Brandwunden zur Folge hatte.
Auch WoHL^*') sah nach Anwendung der Spiritusverbände, die er erst
mit lU'i^o Alkohol, dann 90, dann 70 Vi, machte, eine ganz bedeutende
Schmerzstillung, eine schnelle Rückbildung eitriger Prozesse und eine Ein-
schränkung derselben. Auch dieser Autor erwähnt einen Fall von beginnender
Mastitis.
Selbst bei Spondylitis tuberculosa hat Amrkim •'■') einen eklatanten Er-
folg in bezug auf die Schmerzhaftigkeit erzielt, die Patientin bekam Schlaf
und Mut zu neuen Gehversuchen. Auch objektiv läßt sich nach einem Viertel-
jahr (!) eine Abnahme der Schwellung und der DrackempfindUchkeit der
Wirbel konstatieren.
Eine ausgedehnte Kasuistik Über die Anwendung der Duralcol-
binden bringt Kaiser-"); er sah dieselben Wirkungen wie die erstgenannten
Autoren und stellt aus der Literatur eine Reihe weiterer Indikationen zu-
sammen, so Brandwundon, wo eine rasche Überhäutung, besonders aber fast
momentan die schmerzstillende Wirkung hervortrat, Hache Geschwüre, wie
sie bei Wundreiten^ Wundlaufon etc. auftreten* Bubonen. Verstauchungen,
Para- und Periraetritiden, BauchfeklentzQndungen, Pleuraexsudaten, Scharlach-
anginen und Qetenkentziindungen. Kaisicu lobt die bequeme Anwendungaart
der Duralcolbinden . die ein häufiges Wechseln unnötig machen, und teilt
23 Fälle, hauptsächlich Panaritien und Phlegmonen, mit. Besonders be-
merkenswert sind die Erfolge bei Scharlachangina, bei Mastitis und Brand-
wunden, weil über dif^se Anwendungsart bisher nur vereinzelt berichtet
wurde und weil die Erfolge bei diesen Krankheiten sehr günstige sind.
Literatur: ») Uoi-pb, Dio Tatsachen «her den Alkohol. 3. Ann, Calvary & Ko , 1904.
— *t KOMNFHLD, Der Einfluß dra Alkohnl» auf den Or^anmmn^. Wienbaden, J. F. Hir^mana.
— ') £u. HiBT, Der EinllnJi den AlkoboU auf das Nerven- und Seelenleben. Grenzfragen d.
Nerven- und Seelenlebr-na, Nr. 26. Witsbuden 11K)4, J. F. Berfrtiiann. — *) Holitscubs, Al-
koholsitte und Abstinenz. Wien 1904, Brüder Önnchitzky. — ') G. v. BrsoE, Alkoholvergif-
tung und Degeneration. Lt*ipz[g 1904. J. A. Barth. — ^) OoruARn, Atfaylnlkohol :ils Nah-
rungHmittel. Lanuet, Nr. 42^. — ^) C. Ljaks, Moderne Behandlung,' de« Alküholi^mus. Ruttttk.
Wnititeb, Nr. 29, zit. nach Deutsche med. Wochen»cbr.. 1904, Nr. 34, pag. 12öO. — *) Hbim-
EicM VooT, Über die Wirkung des AlkohoU auf die Veränderung der Pupillenreuktiou. Ber-
liner klin. Wuchenschr.. 1906, Nr. 12, pajf. 322. — ') H. F^'Hmku, PharroakoIOKtache Studien
An Seeigeleieru. Der Wirkungsgrad de« Alkohols. Arch. f. eiperiin. Palh n. Pharm., LH. —
***) C. FHAiTiKifL, Cber den Einflntl des Alkohol« auf die Empfindlichkeit der Kaniocben fUr
die Erzengnisse von Bakterien. Berliner klin. Woehensehr, 190;'», Nr. 3, pag. 53. — *'J Fim-
KELMBi'vo. Einfluß des Alkohols anl den Him-Küekenmarksdruck. DeDtHOhfüt Areb. I. klin.
Med., LXXX, H. 1 u. 2. — '*) M. Kochua.'ks, Die Einwirkung des Alkohols auf das Warm-
Alkohol. — Ammoniakbcstiniinuag.
27
t
biaterhers. Arch. iotern. de PhftmiacodjTiainie et de Therapie, XIII, pag. 329. — **) 3. F.
Brvm AKs et U. KocBUAMN, Ud« noQveUe methode de circnlation artifiüiello h travera le coeor
isole de mammir^re. Arch. intemat. du Pharmacodynamie et dt; Therapie, XIII, pag. B79. —
"; U. KocHMANN, Wirknng d«n Alkohols etc. Deatsche med. Wochenschr, 1905, Nr. 29, pag. 924.
— "» LofB, Die Wirknntr de» Alkubolii auf daa Warniblfiterhera. Arch. f. »pprim. Patb. u.
Pbann.. LXXXII , pa|f. 4öW. — '') Hvbs, B»ktemidti Wlrkunif de» Älkohob. Zentralbl. I,
Bakt., XiXVIl. H. 1 a. 2, zit. nach Deutnche mt-d, Wwhenschr.. l'JOl, Nr. 4&, patr. 1058. —
*'} Bbdooeb, Die Verwendung drr ^piritusverbände. Deutliche med. Woctienschr. , 1905,
Nr. 7, pag. 263. — '•) Woul , t)btT AlkobolverbUnde. DeutMche med. Wochenschr., 1£»04.
Xr. 7. — **,» O. AuitEiM, Beitrag zur Anwendung der AlkohoiverbHnde. Deutsche med.
Wochcnachr., 19fJ4t Nr. 15. — '*'» Albkbt Kaiskr, fber Spiritn»verbiind«* mit Duralcnlbinden,
einer neuen, bequemen Art der Alkobolvcrbttnde. Tberap. Monatah., Mai 1ÜU4, pag. 2Ab.
IC. Jfrcy.
Alkoholcellit, s. Alkohol, pag. ^r».
Aluminium acetlcum. Um Liquor Atuminii acetici
haltbar zu machen, empfiehlt VOrnkr ') den Zusatz von Borsäure. Der un-
verdönnte Liquor AI. acet. und ebenso die lOtache VerdOnnang trüben sieh
durch Bildung eines unlöslichen Niederflchlai;es von basischen Alunitnlum-
verbindungen; in doniBelben Mal^e. wie die Trübung (ortschreitet, niraoit die
Wirksamkeit ab. Auch bei Berührung: des Liquor mit nicht ganz intakter
Haut sollen sich diese Niederscbläire bilden und dabei ein lästiges Jucken
erzeugen. Zar Vermeidung dieser Übelstände soll man eine geringe Menge
Borsäure (0'25^'' auf IOU^lt Liquor) zusetzen. Dadurch bleiben die Losungen
klar und erleiden auch keinerlei Einbuße an ihrer Wirksamkeit. Im Gegen-
teil soll bei einem stärkeren Zusatz (bis zu 3-5Vo) die antiseptische und
entzQndungswidrige Wirkung des Liquor Alnrainii acetici noch gesteigert
aein. Diese Kesultatc von VOrnkh finden durch die Untersuchungen von
Ll'DWig -) ihre Bestiitigung. Eine Kombination von Liquor .Muminii acetici
mit 3% Acid. boric. verwendet er gern, um kleinere Mengen von Ver-
dünnungen herzustellen, die sofort verbraucht werden, z, B. teelöffelweise
für Mundspülungen bei Stomatitis mercurialis und bei kleinen Ver-
bänden, Zur Therapie der Gonorrhoe, die er anfangs mit Silberlöaungen
bebandelt, verwendet er später an Stelle der wohl sonst üblichen Zink-
lösungen eine Mischung: Acid. boric. 3*0. Liquor Aluminii acetici 100, Aqu.
dest. 100"0. Später steigt Ludwig mit dem Borsäurezusatz auf 50 bis 8*0
und mit dem üohalt an Liq. Aluminü acetici auf 20*Ü und eventuell noch
höher. Da sich Borsäure und Liquor Aluminii acetici zwar nicht in Ol, wohl aber
in den neuerdings in den Handel gebrachten Paraffinemulsionen lösen , so
benutzt Llowk; hierzu das Vasenol. Er verschreibt das beltannte Kalk-
wasserliniment zur Behandlung von Verbrennungen alsdann folgendermaLien:
Rp. Acid. boric. 30, Liquor Aluminii acetici lOÜ, Aq. Caicis 40't), Vasenol,
liquid. 500. Ohne Kalkwaaaer wird diese Ordination verwandt als Ropfsalbe
bei Pedicu li capi ti s , desgleichen in analoger Weise bei Phthiriasis
pnbis. Diese Therapie hat den grolien Vorzog, daü sie absoint geruchlos
ist und daher den Patienten nicht in seinem Berufe (z. B. auch Kinder nicht
am Schulbesuche) hindert.
Literatur: 'i Vobkkh, Mllnchener med. Wochenschr., 1904, Nr. 23. — 'i Ltidwio,
ebenda, 1905, Nr. 14. KioaJca.
Animoniakbestlmmung^. Prinzip; Die Methode von ScHuössixa
beruht darauf, daß in einem geschlossenen Raum frei werdendes Ammoniak
von verdünnter Schwefelsäure vollständig absorbiert wird und aus der
letzteren durch Titration bestimmt werden kann. Zum Krel machen des
Ammoniaks mul5 eine schwache Base benutzt werden . welche die anderen
stickstoffhaltigen Substanzen nicht gleichfalis unter Ammoniakentwicklung
zersetzt. Nur eventuell vorhandene Carbaminsäure wird als Ammoniak mit-
bestimmt.
I
I
I
Ammaniakbestinimung. — Amnioniurie,
Erfordernise: Kalkmilch (1 Teil Kalkhydrat 12 Teile Wasser).
2. »/* N.- Schwefelsäure; dieselbe soll im Liter *«/* = 12-25^' H, SO^ ent-
halten. Konzentrierte Schwefelsfiure von 1-84 Dichte enthält ungefähr
OS'öVo Ha SO,. 10 c//;^ enthalten demnach ungefähr 181^ H« SOrt. Man nimmt
von dieser konzentrierten Schwefelsaure etwas mehr^ al^ im Liter enthalten
sein Süll, und füllt zum Liter auf. Alsdann titriert man gegen eine V« N.-Suda-
lösung und verdünnt die Säure nachher so. dali \Ocm^ der letzteren gegen
Phenolphthalein oder Rosolsäure titriert, genau IV cm* der ' t N.-Sodalusungr
entsprechen. Die Herstellung der N.-Sodalosnng geschieht durch Auflösen
von ö'Sg chemisch reinem, durch Umkristallisieren gereinigtem und durch
Erhitzen in einer Platinschale vom Wasser und eventueller Überschüssiger
Kohlensäure befreitem Natriumkarbonat. Zur \'^ Lösung wird die N. -Lösung
4fach verdünnt.
3. 7io N. -Natron lauge: Sie wird durch Titrieren gegen die N. -Schwefel-
säure hergestellt.
AusIÜhrung nach Nbub.xuer: Man stellt auf die Platte eines Exsik-
kators von mindestens 17 c/t? Durchmesser eine flache Schule, welche 2öcm^
filtrierten Harns enthalt. Der Harn muß ^ falls er Eiweiß enthält, durch
Autkochen und Zusatz einiger Tropfen Essigsäure sub finem coctionis ent-
eiweiUt werden. Nach dem Aufkochen muß der Harn natürlich wieder auf
sein ursprüngliches Volumen gebracht werden. Über die Schale wird ein
Glasdreieck gelegt und auf dieses eine zweite , kleinere Schale , welche
20 cm' der ^;\ N. -Schwefelsäure enthält. Man fügt nunmehr dem Harn '10 cm*
Kalkmilch hinzu und stülpt sofort eine bereitgehaltene Glasglocke, deren
abgeschliffener Rand gut mit Talg oder Wachstalgmischung eingefettet ist.
über das Ganzes so dal> die Glocke dicht auf der Glasplatte aufsitzt. Nach
3 — 4 Tagen ist alles Ammoniak aus dem Harn in die Schwefelsäure auf-
genommen und man titriert die Schwefelsäure unter Verwendung von
Methylorange als Indikator mittelst der ^/,o N.-Lauge bis zum Übergang des
Kot in Gelb zurück. Soviel ^/,o N,- Natronlauge man zur Neutralisation der
20 cm' der ','4 N.-Schwefelsäure, die 50 c/n-^ Vio N.-Lauge entsprechen, weniger
verbraucht hat als 50. soviel mal VI mir HN, hat man gefunden.
G. Zaelur,
Ammoiiiarle« Unter Ammoniurie versteht man die Ausscheidung
von Ammoniak mit dem Urin, das Auftreten von Ammoniak im frisch ge-
lassenen Harn. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich hierbei um bakte-
rielle Zersetzung des Harnstoffs. Indessen sind neuerdings von Kreitüenüerg
and später von Heinickk interessante Beobachtungen mitgeteilt worden, in
denen Ammoniurie ohne bakterielle Harnatoffzersetzung auftrat. Heide Autoren
fassen diese Ammoniurie als ein Symptom der Neurasthenie auf. Es handelte
sich in allen ihren Fällen teils um Nourastheniker, teils uju Geisteskranke,
und es lieü sich eine Parallelität zwischen der psychischen Anomalie und
der Intensität der Ammoniakausscheidung nachweisen. Vermutlich handelt
es sich in den mitgeteilten Fällen um eine Stoffwechselanomalie, die in naher
Beziehung zu der Phos^phaturie, Oxalurie und ähnlichen f^unstitutionsanomalien
steht, l'ber das Zustandekommen der Ammoniakausscheidung wagt Fiieldk.n-
BERG keine bestimmte Hypothese aufzustellen- Ebenso läßt Hkimcki: die
Frage, ob es sich in seinen Fällen um eine primäre Ammoniämie mit kon-
sekutiver Ammoniurie handelt, oder vielmehr ob das Ammoniak sich erst im
Harn gebildet, offen. An die Möglichkeit einer primären Ammoniämie knüpft
Heink.ke den therapeutischen Vorschlag, durch Vermeidung von zu reich-
licher Kartoffel- und Leguminosekost das zirkulierende Ammoniak zu ver-
mindern, oder durch subkutane Kochsalziniektion oder rektale Kochsalzirri-
gation eine Verminderung der Ammoniämie anzustreben.
1
Ammoniurie. — AntUtreptokokkenäcrum.
29
Die Zahl der vorliegenden Pablikatlonen ist noch zu g:erin^, um ein
'abschließendes Urt«il sich zu bilden. dem^emäU werden wir in der klinischen
Verwertuner der Ammouiurie als Symptom irgend einer Geisteskrankheit
noch skeptischer sein müssen als Hcimcke, der in ^eeiicneten seltenen Füllen
in dem Fehlen der ammoniakalischen Reaktion des Urins neben anderen
ein wertvolles Hilfsmittel zu haben elftubt zur Erkennung einer simulierten
Psychose, z. B. in dem forensisch so häufigen Fall des »wilden Mannes«.
Weiteros siehe unter Phosphaturie.
Literatur: Fkei nENDna, De^nt(K?he mftd. Wochenachr., 1903- — Hkiäicke, MUncliener
med. Wochenachr., 1904. Knro.
Amylnitrlt« Die Einatmunf? von 5 Tropfen Amylnitrit wandte Harb
ffefcen Hämoptoe im Anfall selbst an. Der Erfolg: war sofortiges Stehen der
Blutung: es handelte sich dabei um Phthisiker und einen Patienten, der an
Mitralinsuffizienz litt.
Literatur;
19Ü4, paff. 604.
Haue, La Semaiau ro^tl., 1904, 36, xit. nach Themp. Moaatab., Novembr*r
E. Frey.
AnaesthesiUi ». Lokalunästhesie.
Anaesthol, s. Lokalanästhesie.
Anilin. 2 Fälle von Anilinvergiftung werden berichtet. Der eine be-
traf eine Dame, bei welcher nach Gebrauch eines anilinhaltigen Haarfärbe-
mittels ein positives zentrales Skotom auftrat (E. Bkkgeu>j. In dem zweiten
Fall handelte es sich um eine Vergiftuitg, veranlaßt durch gewohnheltsge-
ffläßes Benetzen eines Tintenstifti^s mit der Zunge. Es trat Schwellung von
Lippen und Zahnfleisch auf, ferner Kurzatmigkeit und Verdauungsstörungen.
Am Zahnfleisch zeigte sich eine Pigmentierung (HarveY').
Literatur: *) Bkkobh, Arcb. I. Äa^» nbeilk., L, pag. 29*J. — ') Uakvly, Lancvt, Nr. 4231.
zit. nach Dentscbe med. Wocheinachr, 1904. Nr. 4S, p.ig. 1546. E. Frey.
Antimellln. Antimellin Ist der Hauptbestandteil eines aus der
Pflanze Jambul stammenden Geheimmittels gegen Diabetes, welches sich nach
den Berichten Stlukinskis gänzlich wirkungslos erwies.
Literatur: J. lt. HiruziiittKit Üeutsctit^ med. Wocbenschr., 19CU, Nr. 24 u. 25.
E. Frey.
Antipyrin* Über eine eigentümlicbe Schweißabsonderung nach Antl-
pyrin berichtet PLArrsR (Münchener med. Wochenschr., 1904, Nr. 50). Nach
exzessivem Migräningebrauch trat bei einer Patientin, welche an Hemikranie
Htt» unter den Armen eine braune und dicke Schweißabsonderung auf. Nach
Aussetzen des Mittels hörte diese Erscheinung auf. e. Frvy.
Anlistreptokoki^enseruiu (s. Kncyclupäd. Jahrb., VI, pag. 580,
und Vll, pag. .')Gui. Zur Herstellung von Antistreptokokkenserum wurden
verschiedene Wege eingeschlagen. Bekanntlich neigeu die meisten Kliniker
dazu, für jede bestimmte und durch ihren Symptomenkomplex scharf de-
finierte Krankheit, als deren Ursache Streptokokken festgestellt waren, einen
spezifischen Erreger anzunehmen, welcher sich durch seine at^zifischen
pathogenen Wirkungen von den Streptokokken anderen Ursprunges scharf
unterschiede. Nun lansen sich aber alle diese Streptokokken verschiedenster
Provenienz in ihrem kulturellen Verhalten in keiner Weise differenzieren.
Die Bakteriologen glauben daher nicht an die Artverschiedenheit der von
verschiedenen Streptokokken krankheiten stammenden Kokken. Man kann
nämlich einerseits ursprünglich sehr wirksame Streptokokkenstämuie durch
fortgesetzte Kultur auf künstlichen Nährboden ihrer Virulenz berauben und
umgekehrt virulente Streptokokken durch wiederholte Passagen durch den
30
Antistreptokokkenserum.
:
Tierkorper sturk pathogen machen. Wenn wir also wohl sicher unter der
Bezeichnung »Streptokokken« eine Anzahl verschiedener Spezies vereinigen,
so sind wir doch nicht in der Lage, dieselben zu differenzleren. Dazu kommt
noch, daß die von menschlichen Erkrankungen atanmienden Streptokokken
für die gebrauchltchen Laboratoriumstiere fast ausnahmslos nicht pathogen
sind, während andrerseits bei Tierkrankheiten, so bei der Druse der Pferde,
häufig Stumme sich finden, welche eine verhältnisraHßig hohe Pathogenität
auch anderen Tieren gegenüber besitzen.
Es bestehen nun zur Zeit Meinungsverschiedenheiten über die Ent-
scheidung der Frage, Stämme welcher Art am geeignetsten zur Gewinnung
eines Immunserums seien. Rlpi'KL') teilt die Streptokokkenstämme zweck-
mäßig in zwei Gruppen, in Origiaalstämme , welche direkt von mensch-
lichem oder tierischem Krankheitsmaterial stammend auf künstlichem Nähr*
boden gezüchtet sind, und Passagestümme, welche, nachdeui sie aus in-
fektiösem Material isoliert wurden, eine Reihe von Tiorpassagen durchgemacht
und dadurch eine hohe Tierpathogenität erreicht haben.
Von den einen, so von Tavkl*), Mosek ^) und Mknzkr *) werden zur
Gewinnung des Serums nur solche Kulturen verwandt, welche direkt von
menschlichen Streptokokkenerkrankungen ohne jede Tierpassage auf künst-
lichem Nährboden gezüchtet waren. So gewinnt Moskr sein Scharlach-
serumdurch Behandeln von Pferden mit Scharlachstreptokokken. Diese Autoren
geben dabei von der Annahme aus, daß eine häufige Tierpassage den
Charakter einer Kultur wesentlich verändere und daß eine derartig künst-
lich modifizierte Kultur auch anders geartete Immunstoffe hervorbringe,
welche zwar die so modifizierte Kultur, nicht aber die ursprünglichen Ori-
ginalstämme, gegen die sie doch bei der therapeutischen Verwendung im
Körper zu wirken hätten, beeinflußten. Dieser Art von Antiatreptokokken-
sera haftet aber, wie Akonsün*) hervorhebt, ein großer Nachteil an, da sie
auch gegenüber tiervirulenten Kulturen fast voitig unwirksam sind. Ks ist
daher unmöglich, sich durch das Tierexperiment von dem jeweiligen Werte
eines solchen Serums, d.h. von der Menge oder auch nur von dem Vor-
handensein von Immunstoffen zu überzeugen, Moseh sucht diesem Übelstand
dadurch abzuhelfen, daß er von seinem Scharlachserum jede Portion, bevor
er sie zur Anwendung zuläßt, am Krankenbette, also am Menschen, auf
ihre Wirksamkeit prüft. Ein solchef Prüfungsmodus ist aber für ein Serum.
das zu allgemeiner Anwendung bestimmt ist, nicht angängig. Indessen ist
dasselbe neuerdings von Hi'MM ^) und Miiiyer ') warm empfohlen worden.
Zu einer anderen Gruppe gehören diejenigen Sera, deren Hersteller
im Vorhandensein einer hohen Tiervirulenz die Hauptbedingung zur Erzeu-
gung von Immunstoffen erblicken. Dieselben verwenden zur Immunisierung
ihrer Serumpferde nur solche Kulturen, deren Virulenz durch eine lange
Reihe von Tierpassapen künstlich gesteigert ist. Es sind dies die Anti-
Streptokokkensera von WAUAtoiiKK ^), Dknvö-') und AronsdnJ^*) Gegen diese
Sera wird nun wiederum der Vorwurf erhoben . sie enthielten nur solche
Immunstoffe, die von den durch die Tierpassage müdifizierten Kulturen
stammten, ihr therapeutischer Wert bei den Streptokokkenerkrankungen
des MenÄhen sei daher fraglich. Aus diesem Grunde wird dem Ahonsox-
schen Serum, welches von der chemischen Fabrik auf Aktien {vorm. E. Sche-
ring), Beriin, in den Handel gebracht wird, neuerdings ein Serum beigemischt,
das von Pferden stammt, welche mit direkt von schweren Affektionen von
Menschen ohne Tierpassage gezüchteten Streptokokkenstämmen vorbebandelt
wurden. Auch über dieses Serum Hegen gunstige Berichte aus der Praxis
vor, so von G.^.\c;m(ik\kk^*), Frarnkki. '-), Oi'fkk'^) u.a.
Seit kurzem bringen die Hoechstcr Farbwerke eine dritte Art von
Antistreptokokkenserum in den Handel, welcher die beschriebenen Nachteile
AntistrcptokokkeDscruni. — Anthrasol.
31
I
der beiden anderen Serumarten nicht anhaften. Dasselbe wird von HrPi'EL>)
herffestellt. Derselbe nimmt an, dali die immunisierende Kralt aller Strepto-
kokkenstämme dif» (gleiche sei und daß virulente Passagekulturen dieselbe
Menge an spezifischen Immunstoffen erzeugen wie die für Tiere nicht pa-
thogenen OriginalslSmme. Doshalb behandelt er Pferde mit Geraischen zahl-
reicher ♦ nicht durch Tierpassagen modifizierter Streptokokkenkulturen und
außerdem mit einem bestimmten Anteil einer durch Tierpassage hocbvirulont
gemachten Passagekultur. Auf diese Weise erhSIt er ein Serum, welches der
benutzten Passagckultur gegenüber einen hohen Immuuisierungswert besitzt.
der sich mittelst des Tierversuches auf das genaueste ermitteln läßt. Aus
diesem gemessenen Anteil von immunstoffen zieht er nun einen Rückschluß
auf die Anwesenheit und Menge der von den anderen nicht modifizierten
Streptokokkenstämmen in diesem Serum erzeugten Menge von Immunstoffen.
Die durch den Tierversuch meßbaren Passageimmunstoffe dienen ihm also
gewissermaßen als >^ Indikator«, wie es in ähnlicher Weise schon von Bks-
REDKA ") geschehen w^ar. Das Hoechster Antistreptokokkenserum stammt
also in der Hauptsache, ebenso wie die Sera von Tavel'-)^ Moskh^) und
Men<cer^) von Streptokokkenstämmen^ die direkt von Krankheitsprozessen
am Menschen oder am Pferde (Druse) entnommen sind, nur ist die Wertig-
keit dieses Serums im Gegensatz zu den anderen genannten Antistrepto-
kokkenseren durch den Tierversuch direkt «gemessen.
F5erichto über therapeutische Erfolge am Menschen mit diesem erst
kürzlich zur Anwendung flberlassenen Heilserum liegen zur Zeit noch nicht
vor. Dagegen sind eine Reihe sehr guter Resultate bei Drusenorkrankungon
von Pferden damit erzielt worden, worüber Kiii'ei. 'l berichtet.
Von den klinischen Mitteilungen über Verwendung und Erfolge mit
den verschiedenen derzeit im Handel befindlichen Antistreptokokkensera
seien nur kurz folgende erwähnt:
Allgemeine Sepsis behandelten mit Erfolg Kraexkkl ^-} und Kleix. '*)
t ' ber puerperale Sepsis und deren Serumbehandl ung berichten
BuMM^}. Wkykr"), Pilc'ER und Ebekson ^''). Opfrri*) und Hokfm.wx. ><)
Angina und Erysipel wurden von Meykr'), Scharlach von Qaxg-
HOFNBR*^) und Mevkk') mit Antistreptokokkenserum behandelt.
Man gewinnt aus allen diesen Berichten den Eindruck, als ob gegen
die meisten der genannten Krankheiten im Antistreptokokkenserum tat-
sächlich ein bis zu einem gewissen Grade recht brauchbares Bekrimpfungs-
mittel gegeben sei. Nur ist es wie bei allen Serumtherapien von grÖlUer
Wichtigkeit, möglichst frühzeitig mit der Behandlung zu beginnen. Von
einigen Autoren wird auch die prophylaktische Anwendung des Serums
empfohlen.
Hervorgehoben mag noch worden, daß die früher so häufigen Mittei-
lungen über unerwünschte Nebenwirkungen bei der Verwendung des Anti-
streptokokkenserums jetzt gar nicht mehr auftauchen.
Literatur: *) W. 0. Rtipym^ MpU. Klinik, 1DI)5, Nr. 27 ii. 28. — »,) Tavkl. DontRche
med, Wuclirnschr., 1903, png döO. ~ •) Mosk». B^rlinor klin. Wochenschr.. JU04, pag. 0y3.
— *') MEhztß, elH'uilu. 1",H)2. pag. lOSO. — 'i Auonso.n , elM^nda. 1903. pair. 15. —
•) BuMK , ebcndü. liKM , Nr. 44. — h F. Mevkä, cbt-nda, 1905, Nr. 8. — ") Mabxiorkk.
Annnk'H de rinstitut PaMi'ur. IX^ pag. 693. — "i Dsnvs. Zcntrftlbl. t. Bakteriol., XXIV.
pag [185. — '") AsoKBoi». BerlintT klin. Woehenachr., 1902, Nr 42 u. 43. ~ ") Gakouofmeh,
Dtjutüclit! med. Wofhenuchr.. 1905, Nr. U n. 15. — "J Fraemkel , obend«, 1904. Nr. 33. —
**> Opfku, ebcuda, 1904, Nr. 33. — ") Ubskkdka, Annale» de l'Institut Paeteiir, 190^1,
p»g. IUI. — '^; Klkik, Ücriiner klio. Wocheusclir., 1905, Kr. 3. — '*J Pilckb und Ebuusos,
Therap. Monat^b., Oktobvr 1904. — *'j Hoffhiwi«, Deutsche med. Wochenschr, 1904. Nr. 46
Kioitka .
Anthrasol. Das gereinigte Teerpräparat (eiehe EcLBNerRos Ency-
clopädische Jahrbücher, Neue Folge, IIJ. Jahrg., 1905, pagr- '20), welches von
Jack und Vieth in die Therapie eingeführt wurde, land auch neuerdiuga
31'
Anthrasol. — Antithyreoidin Moebius,
ausgedehnte Anwendung. Die günstigen Erfolt^e, über welche früher berichtet
wurde, sind bestätijft worden. Angewandt wurde das Präparat als Pinse-
lung mit Alkohol, als Leim oder als Salbe. Von neuen Vorordnungsweisen
seien erwähnt: Anthrasol 100. Sulf. praec. 20'O, Acid. salicyl. 40, Past zinci
ad 1000 oder Anthrasol 50, Menthol 10, BromocoU. 100, Past. zinci 500 oder
Lenigallol. 30, Anthrasol. 15, Past. zinci ad 500 (Ski.arrk ^), Jack -) empfiehlt
femer bei Seborrhöe, Pityriasis: Anthrasol. 30, Spiritus absoluti 200, Olei
Ricini 60, Olei Citri Ori — 10, wahrend bei Psoriasis in leichten Fällen
das reine Präparat gute Dienste leistet; bei schweren Formen kombiniert
man es als Salbe mit Schwefel, Resorcin, Salizylsäure und benutzt die schon
früher (s. o.) erwähnte Form als Grundlage, nämlich: Anthrasol. 3*0, Lanolin.
3-0, Ungt. Glycerini ad 300. '
Literatur: ') Sklakeic. l^nrEkxetnbc'baiidlungniitUeai neuea, rarbloseQTeer»Aatliraaolt.
Deutn'hi? iDfil. Wochensihr., l'JIW. Nr. 25, vng. 921. - 'j Jack, (*bcr di*» ErruhrnnK<<n mit
rtem ntfuen Anthra-iolprUparatt^. Künisch-therap. WocheoBchr. , lüU;}, Nr. -lü, p^g. 134U. —
Fernt-r Domkmco, Gasz. d. onpedali, Nr. 28. Ä- Frey,
Antlthyreoidln Moc-blas (Thyreo! User um). Die Tberapte,
welche das Blut schilddrüsenloser Tiere in den Orgranismus basedowkranker
Menschen einführt, kann nach ihrem Begründer Moebil's ^) nur eine sympto-
matische sein; die Absonderung sonst zur Neutralisation von Stoffen, die
im normalen Stoffwechsel auftreten, verbrauchter Substanzen in überreichem
Molie, wie dies bei Basedow auftritt, ist eben nur das Symptom der Krank-
heit und die Therapie, welche dieser Hyperfunktion d^r Schilddrüse durch
Festlegung der Stoffe steuert, beseitttTt nur ein Symptom der Krankheit. Daraus
folgt aber für die Therapie, dali das Anttthyreoidin kontinuierlich fortgenominen
werden moü und daß es ol)jektiv keine außerordentlichen Heilerfolge haben
kann; aber es schafft die subjektiven Beschwerden von selten des Herzens
weg, und nach Moebks »leiden und sterben die Krankon durch das Herz<.
E. V. Lkypen-j hat seine Erfahrungen mit der Organotherapie bei Morbus
Hasedowii in einem Vortrag niedergelegt, und er sah nach :i — 4 .Wochen
der Behandlung Besserung eintreten. Angpwandt bot er das Antilhyre<dd-
serum, welches MßruK darstellt und welches aus dem Blut von schilddrQsenlos
gemachten Hammeln stammt, ferner Kodagen, eine Substanz aus der Milch
von strumektomierten Ziegen, und das Blut letzterer Tiere (getrocknet in
Tabletlenform). Einen l'nterschied in der Wirkungsart oder -starke hat er
nicht gesehen. In letzter Zeit hat v. Leydkx haupts.^ichlich das Rodagen
gegeben, dreimal täglich einen Teelöffel bis einen Eßlöffel.
Auch J. Cristkns ') wandte das Blut thyreoidektomierter Ziegen an
und sah die sabjektlven Beschwerden stets zurückgehen, da nervöse Irrita-
bilität und Angst verschwinden, den Schlaf normal werden, den Schweiß
und das Zittern aufhören.
Ebenso günstig lauten die Urteile von Hemi'EL *) und Thiengrr*), ebenso
von LoMBK •), der einen Dauererfolg freilicli nicht konstatieren konnte, aber
nach den M^Bii'sschen Anschauungen, au! welchen diese Therapie beruht,
auch nicht erwarten konnte. Eine Nebenwirkung großer Dosen wird von
DPhriü •) erwähnt, bestehend in »leicht myxödematösem Zustand«, Kopf-
schmerzen, Apathie, Blödigkeitsgefühl, eine Erscheinung, die, wie der Autor
hervorhebt, deutlich für die Richtigkeit der MOuii'sschen Theorie spricht.
Einen anderen Weg zur Herstellung von Antithyreoldserum beschritten
Demook und v\n I^int*); sie stellten sich durch Iniektion von Hundethyreoidea
im Organismus des Meerschweinchens ein Serum her. welches hei Hunden
die Funktion der Thyreoidea vernichtete uod Degeneration der Zelten der
Schilddrüse hervorrief.
Literatur: >) Siehe EnpyclopiWlischf> JahtbQcber.Keue Folge. III. Jahrg.. 1905, pag. 26.
— ') E. V Lkvdm. Tber Organ tbcraple bei Morbus Baaeüowii, Me<l. Klinik, l'JU4, Nr. 1>
I
I
I
I
Aiitithyreoidin iMoebius. — Aorluptosc.
33
pag. 1. — ^} J. CnaisTKN«, Vorlünfige Mitteilaot; Über Beh:tndIitDg des Morbus ßa^edowii mit
Organ üprSpitraten von thyreoidektomierten Ziegen. Med. Kliaik, lHüö, N>. 5. pajf. lOÜ. —
'^ H. BsHPEt.. Ein Beitrag zur ßchandtmifr den MorbuH Baaedowii mit Antithyreoidineorum
(Mö»ica). MUnclivuer inod. Wüchcnnchr., liHlö. Nr. 1. pasr. 14. — *) Thisnoir, Einige Beob-
achtungen ülicr MöDiua' Antithyreoidin. MUnchener med. Wochenschr., 190Ö, Nr. 1, pag. 15. —
*) Geoio Loukr. Antitfayreoidin-MoobiaB bei BASEDonrsoher Krankheit mit PHychofte. MUnchener
med. Woeht'nscbrM 1905* Nr. 18> pag. 8öä. — ^1 R. DCtioio« Ein Beitrag zur Semmbehand-
lang dvs Murbus Bastjdowii. MUnchvnifr med. Woclienschr., 1905. Nr. 18. pag. 853. *) Dtuioon
nnd VAU Li»t. Le s^rum antithyreoidien *'t »lon mode l'aelion, Memoirei* publ. par l'Acadäale
royalo de m^decine de Bt;?gUiue, BrQssei 19U3, zit. nach Hkixz, Deutsche med. Wucbenschr..
1904. Nr. 34, pag. I2ö0. E. Frey.
Aortaptose. Als eine häufige Teil- und Bep^Ieiterscheinung der
ailgemeiDen Vieceralptosis, insbesondere der Entoroptoais hat man in neu-
erer Zeit auch eine Ptosis der Aorta abdominalis kennen ^elernt^ die zwar
schon älteren Autoren bekannt war. aber in ihrer Bedeutung früher nicht
genügend gewürdig:t worden Ist. Die Entstehung' dieser Aortaptose ist nicht
anders aufzufassen, denn als eine Fol^e der F^rschlaffung und Dehnung: der Auf-
hänge- und Hefesti^ang:sbänder der Aorta in der Bauchhöhle und ihrer Muskel-
wand selbst, die mit dem allgemeinen Nachlassen des Oewebstunus im ganzen
Körper parallel geht und sich dementsprechend fast immer nur bei ermatteten
Neurasthenikern im Unterernährungszustande findet. Daß sich die KrschlaÜung
der Bauchorgane auch auf die Aorta erstreckt, kann nicht wundernehmen,
nachdem man in den letzten Jahren wiederholt sogar Senkungen und an-
scheinend auch sogar erworbenen Tiefstand des Herzens (Kardioptose, Bathy-
kardie) konstatiert hat (Einhokn u. a.). Unterhalb des Zwerchfelles liegen aber
wegen der besonderen Labilität des interabduminellen Druckes die Verhält-
nisse för das Zustandekommen von Ersclilaffungs-, Dehnungs- und Senkungs-
zuständen noch erheblich günstiger als oberhull) des Diaphragma. Die Aorta-
ptosis hat bisher wenig Beachtung bei der Krankeauntürsuchung in der
allgemeinen ärztlichen Praxis gefunden. Sie ist aber ein durchaus gar nicht
seltenes Symptom, das nur deshalb oft übersehen wird, weil es den Kranken
zum Arzt mit Beschwerden führt, welche seine Aufmerksamkeit in ganz
andere Richtung lenken. Zunächst ist zu betonen, daU die leichteren Grade
von Aortaptose oft jahrelang symptomlos bestehen. Bei stärkerer Entwick-
lung des ZuStandes schwanken die Beschwerden oft nach Art und Intensi-
tät in der mannigfachsten Weise. Gin Teil der Kranken vermag die Be
achwerden überhaupt nicht genau zu charakterisieren, zum Teil deshalb,
weil sie augenscheinlich oft wechseln: Druck- und Schweregefühl in der
Magengegend, allgemeines Unbehagen im Leibe, unangenehme Sensationen,
die bald unter dem Hippenbogen , bald um den Nabel herum sitzen und
nach dem Röcken einerseits, in die linke Seite, die Brust und die Schulter
andrerseits ausstrahlen. Am ehesten charakteristisch ist noch eine häufig
wiederkehrende Beschwerde der Kranken, nämlich das Klopfen und
Pochen in der Magengegend, das selbst die Nachtruhe stört, nament-
lich aber bei Bewegungen des Körpers, Anstrengungen, Aufregungen u.dgl. sich
sehr verstärkt, oft auch schon beim Stehen sich deutlich bemerkbar macht.
In manchen Fällen treten die Beschwerden exquisit anfallsweise in
kfirzeron oder längeren Pausen auf, und zwar daun in mehr oder minder
heftigen Schmerzparoxysmen, welche »Magenkrämpfe« vortäuschen
Diesen subjektiven Symptomen, welche die Kranken selbst meist auf
ein Magenleiden zurückzufahren geneigt sind, entspricht objektiv oft eine
sichtbare Palsation oberhalb des Nabels, die am besten bei möglichst flacher
Lagerung des Kranken in die Erscheinung tritt. Ihre Ausdehnung ist
eine außerordentlich schwankende. Während sie meist nur mehrere Zenti-
meter Ausdehnung hat, erstreckt sie sich zuweilen vom Scrobiculum curdis
bis weit unter den Nabel und ebenso ist die Breite der putsatoriscben Be-
34
Aortaptose.
wef^un^ eino verschicdeuo, von 1 — 3 Daamen Dicke etwa schwankend. Zu
verBchiedenen Zeiten hat die Pulsation eine sehr verschiedene Ausdehnung
und Umfang. Bei den seltenen intermittierenden Formen der Aorta-
ptose tritt die PuUation Überhaupt nur anfallsweJse hervor. Manche sog.
epigastrische Pulsation ist auf diesen Zustand der Aortaptose zurückzu-
fuhren. Aber nicht nur die Ausbreitung der Piilsation , sondern auch ihre
Intensität ist in den einzelnen Fällen eine außerordentlich verschiedene,
oft ebenso stark oder stärker aU der HerzspitzenstoU. Der tustende Finger
wird durch das pulsierende Gefäli meist in sichtbarer Weise emporgeschnellt,
zuweilen in schneller Fol^e und in erheblichen Exkursionen. Diese Pul-
sationen der Bauchaorta lassen sich mit Leichtigkeit graphisch aufzeichnen.
Bei genauer Palpation wird es sofort klar, daß die Pulsation einzig und
allein von der Bauchaorta herrührt, die sieb als ein etwa zweifinger-
dicker Strang auf ihrer festen Unterlage, der Wirbelsäule, vom Hiatus
diaphragmaticus bis zum Promontorium verfolgen läßt. Meist fühlt sich der
Strang prall elastisch an. zuweilen aber auch hart und fest wie ein krampf-
haft kontrahiertes Gefäßrohr. Kiner der neuesten Autoren Hber Aortaptose,
Stifler, hat deshalb zwei Formen derselben unterschieden, nämlich die
djlatierte und die irritative. Nach den Beobachtungen des Heferenten ist
eine solche Zweiteilung des Krankheitszustandes nicht durchweg möglich.
Beide Formen koumien nämlich dauernd oder zeitweise kombiniert vor.
Die irritative Aortaptose ist nur ein Folgezustand der dilatierten, wie sich
ja auch sonst so oft ein Reizzustand in einer gelähmten Muskulatur aus-
bildet. Erscheint die ptotische Aorta bei einem Kranken zuweilen als ein
schlaffes, erweitertos Rohr, so sieht man dieses unter den Fingern des ün-
ter8üchers zuweilen sich steifen, sich krampfhaft kontrahieren, und in an-
deren Fällen bietet sich die Aorta von vornherein in diesem Zustande dem
Untersucher dar. Er schlaff ungs- und Krampfzustand der erweiterten Aorta
wechsein in unregelmäßiger Weise miteinander ab, bei der intermittierenden
Form handelt es sich wohl zumeist um den Eintritt des Kontraktionszu-
standes der Aorta, der durch Geleirenheitsursachen. wie psychische Erregungen,
körperliche Überanstrengungen u. dgl. ausgelöst wird. Das Primäre ist jeden-
faJts stets die Dehnung der erschlafften Muskel wand der Aurta,
die mit den flbrigen V'isceralorgnnen nach unten gezogen wird. Oft läßt
sich das erweiterte Üefäßrohr genau bis ku ihrer Teilurigsstelle in die Arteriae
iliacae abtasten ; ja, zuweilen bieten sich nicht nur auch diese selbst, sondern
auch die Seitenäsle der Aorta, namentlich die Arteriae renales, den pal-
pierendeu Fingern als kleinfingerdicKe harte Stränge dar, die zu falscher
Diagnose oft Veranlassung geben. Der Füllungszustand auch dieser Arterien
ist ein sehr schwankender und deshalb kein konstanter Palpationsbefund. Die
Palpation der pulsatorisch gespannten Bauchaorta un<l ihrer Äst»* ist nieist
sehr «Jruckschnierzhnft.
Di© Träger diüser Anomuliea. sind durchgehends Nourasthoniker (meist
weibliche Personen), bei denen die Lebhaftigkeit der llerzaktion und des Blut-
cmlaufes zur stärkeren AufQLlung der Aorta und ihrer Äste und deren
abnorm starker Pulsation V^eranlassung gibt. Die Feststellung dieser Ano-
malien durch die Pülpation wird erleichtert durch die Unterernährung, in
welcher sich diese Kranken meist befinden. Die Bauchhnut ist fettarm, die
Bauchwand schlaff, weich, leicht eindrückbar und deshalb die ganze Bauch-
höhle bis auf die Tiefe der Knochen leicht abzutasten. Die Mehrzahl der
Kranken weist auch eine Ptoso der übrigen Organe der Bauchhöhle in mehr
oder minder starkem Grade auf. Eine diagnostische Verwechslung mit eincMn
Aneurysma der Bauchaorta ist wohl einmal möglich, zumal auch über der
einfach pulsatoriseh erweiterten Aorta zuweilen eiu Geräusch, meist systo-
lisch, hörbar ist. Indes ist ein solches Aneurysma bekanntlich sehr selten
A
Aortaptose, — Appendizitis.
35
and macht weit erheblichere obiektive und sabjektive Symptome, auf die
hier nicht näher einzngehen ist.
Ute Therapie der Aortaptose fällt mit derienigon der Visceralptose
fast zusammen. Es bedarf einer Allgemeinbehandlung: der Kranken, be-
stehend aus Mastkur und LieK:ekur, Abhärtung- des Nervensystems durch milde
hydrotherapeutische Maßnahmen und Tragen einer eng anliegenden Leib-
binde. Symptomatisch wirkt oft die Verabreichung von Brompräparaten,
Valeriana, Menthol u. dgl. günstig. Kin psychischer Zuspruch pflegt diesen
zuweilen recht deprimierten Kranken sehr wohl zu tun.
Die Prognose Ist quoad vitam gut, r]uoad restitutionem dagegen vor-
sichtig zu stellen, da namentlich ärmere Kranke meist gar nicht in der
Lage sind, sich so zu schonen, wie es die Hellung ihres Zustande» wQn-
BcfaensAvert erscheinen labt.
Literatur; O. Ko&knbach, Die Kraiikh«^ltPii dpR HerzenK und ihre Behandlung. Leip-
zig 1893 -1897. — A. ünpmiN'is, Pathologie und Therapie der Herzneurosen. 1901. —
H. DiETEnicH, Dissert. inang. Berlin 1902 (daselbst die ältere Literatnr auttlUhrlich mitgeteilt).
— STirL»:a. Berliner klin. Wochenachr., 1904. Nr. 30. A/bu.
Apocynnm Cannablnnm» Nach Wood verwenden die Indianer
den »Kanadischen Hanf« gegen Schlangenbisse und Wassersucht. Kr wirkt
blutdrncksteigemd und durch Vagusrelzung erst pnlsverlangsamend ^ in
größeren Dosen durch Lähmung der Uemmungsapparate beschleunig'end.
Nach Ansicht des Verfassers verdient er weitere Beachtung.
Literatur: Woob, Jonrn. of Amer. Assoe., Nr. 26, zit. naeh Dt^utüclie med. Wocheniichr,.
1906, Nr. 4. pag. Iö4. Ä. Frey.
Appendlcitls« Seit länger als einem Jahrzehnt stehen die ßllnd-
darmerkrank ungon im Vordergrando des ürztücben Interesses. Eine fast
unübersehbare Literatur darüber ist entstanden und doch sind die Meinun-
gen selbst in den wichtigsten Punkten durchaus noch nicht gekl&rt. Im
Gegenteil, sie stehen sich teilweise noch schroffer gegenüber als in früheren
Zeiten, wo nicht entfernt so sichere Grundlagen für die Beurteilung der
Verhältnisse vorhanden waren. Die Fortschritte, welche die Klinik der Blind-
darmerkrankungen gemacht hat, sind ganz gewaltige. Man darf jetzt nicht
mehr kurzweg von einer Perityphlitis sprechen, sondern muß , wie bei der
Cholelithiasis, eine Anzahl von Kinzelerkrankungen unterHcheiden^ die unter
den 8a mtuel begriff des viel mlübrauchten und mitW erstandenen Wortes
»Perityphlitis« fallen. Der Fortschritt der Erkenntnis ist ohne Zweilei nur
dem kühnen Eingreifen der Chirurgie in diesea Gebiet zu danken. Die
Autopsie in vivo hat Ober die Pathologie der Wnrmfortsatzerkrankungen
ungeahnte Aufklärungen gebracht^ sie hat nicht nur die anatomischen Ver-
änderungen in. an und um den Processus vermiformis bis in feine Einzel-
heiten kennen gelehrt, sondern auch zum groDen Teil einen Einblick in das
Znstandekommen der verschiedenen Krankheitsprozesae gewährt. Sonxkn-
Bi'KGB Pionierarbeit, die vom chirurgischen Gesichtspunkt ausging, bat sich
als außerordentlich fruchtbar für die ganze Klinik der Bliiiddarmer krankungen
erwiesen. Für die Therapie hat sie die chirurgische Behandlungsmethode
der Perityphlitis, die früher eine fast ausschliebliche Domäne der inneren
Medizin war. gezeitigt. Die glänzenden Operattonsresultate der Chirurgen
haben die Aufmerksamkeit der ganzen ärztlichen Welt erregt Sie haben
auch zu einem erneuten Studium der pathologischen Anatomie der Peri-
typhlitis Veranlassung gegeben. Durch RtEOEi., Aschhokf, E. Fhaknkkl.
Bkxda u. a. sind zahlreiche wertvolle mikroskopische Beiträge zur Anatomie
des erkrankten Wurmfortsatzes geliefert worden. Die RiBDEL-KARKW.SKische
Auffassung, daß dem akuten Appendicitisanfalle stets ein chronisches Sta-
dium der Appendicitis granularis haemorrhagica vorangehe, hat sich freilich
36
Appendicitis.
die allgemeine Anerkennung nicht erringen können. Nach dem gegenwärtigen
Stande unseres Wissens erscheint dem Referenten bei der akuten Blind-
darmentzündung die Unterscheidung folgender Formen angebracht:
1. Appendicitis simplex catarrhalis.
2. Appendicitis simplex serosa, d. h. mit einfacher entzQndlicber Be-
teiligung des PeritonealÜberzuges.
3. Appendicitis apostematosa circumscripta^ d. h. akute Eiterung inner-
halb des Wurmfortsatzes.
4. Der abgekapselte perityphlitische AbazeÜ.
5. Appendicitis gangraenosa.
6. Appendicitis perforativa (diffuse eitrige Peritonitis).
Die anatomische Kenntnis dieser Krankheitsformen ist erheblich weiter
vorgeschritten als die der klinischen (auch hier gerade wie bei der Chole-
lithiasisl). Wir sind zur Zeit noch nicht imstande, die eben erwähnten ver-
schiedenen Formen der akuten Blinddarmerkrankung klinisch scharf von-
einander unterscheiden zu können — der wunde Punkt in der ganzen
Perityphlitisfrage , welcher auch die Veranlassung zu allen Meinungsver-
schiedenheiten gibt. Daraus resultiert auch einzig und allein der Streit Qber
den therapeutisch einzunehmenden Standpunkt in dem Einzelfalle.
Soweit es bisher uiOglich ist, soll das klinische Krankheitsbild der
einzelnen oben erwähnten Formen der Appendicitis hier kurz gezeichnet
werden.
Die Appendicitis simplex catarrhalis ist ein Dickdarmkatarrh, der
sich von allen anderen CoHtiden nur durch die Lokalisation unterscheidet, nicht
selten übrijjens auch in Verbindung mit einem ausgebreiteten Dinkdarm-
katarrh auftritt. Lebhaftere Erscheinungen als der gewöhnliche Dickdarm-
katarrh macht die Appendicitis nur dadurch, daß sin sich in einem engen
Hohlraum abspielt, welcher einerseits den Entzündungssekreten einen
schwereren Abfluß gestattet und andrerseits den Infektionserregern einen
uQnstigeren Nährboden darbietet, namentlich bei der häufigen Anwesenheit
von Rotresten, den sog. Kotsteinen, in diesem engen Hohlkanal. Mit oder ohne
Vorboten, deren Dauer auf Stunden oder Tage sich ausdehnen kann, beginnt
die eigentliche Krankheit meist ziemlich plötzlich mit mehr oder minder
starkem Fieber, zuweilen auch Schüttelfrost, Unregelmäßigkeit der Stuhl-
entleerung, namentlich Verstopfung, nicht selten gleichzeitig auch Erbrechen,
meist Schmerzen in der rechten Unterbauehgegend , die von der leisesten
Empfindung bis zur heftigsten Darmkolik sich steigern können, von Anfang
an permanent sind oder anfallsweise sich wiederholen. Es gibt auch fieber-
los verlaufende Fälle von Appendicitis catarrhalis, die überhaupt so wenig
lebhafte Krankheitserscheinungen machen, daß sie oft gar nicht zur Kennt-
nis des Arztes kommen. Objektiv findet sich bei dieser Form eine meist
starke, schon oberlltichliche Druckempfindlichkeit, zumeist am und um den
sog. Mr. BrtiNKYschen Punkt, d. h. am ersten Schnittpunkt der ip drei Ab-
schnitte geteilten Linie^ welche von der Spina ossis ilei zum Nabel gezogen
wird. Selten ist der entzündlich geschwollene Processus vermiformis dort
selbst fQhlbarf meist nur eine um denselben herum gelegene ResiHtenz, de-
ren Gestalt und Große sehr schwankend sind, im Durchschnitt etwa von
Mannsdaumendicke und -Länge. Über dieser Resistenz besteht meist eine
mehr oder minder intensive Dämpfung. Die Appendicitis simplex hat zumeist
nur eine Dauer von wenigen Tagen, bei zweckmäßiger Behandlung bilden
sich die erwähnten objektiven und subiektiven Krankheitserscheinungen
meist schnell zurück. Schon am 2.^ spätestens 3. Tage lassen Resistenz,
Dämpfung und Druckompfindlichkeit nach, die Temperatur wird normal, der
Puls kehrt zur Norm zurück, der Stuhlgang stellt sich wieder von selbst
ein. Die Behandlung dieser Form besteht in sofortiger vollkommener Bett-
I
Appcndiciils.
87
N
ruhe, rein flÖSHi^er Diät und Applikation der Eisblase. Die früher daneben
noch allgemeine Opiamtherapie hat in den letzten Jahren immer mehr
Gefcnerschaft {gefunden, die darauf beruht, dnli das Opium das Krankheits-
bild verschleiert. Da seine Wirkung ja in einer Lähmung der Darmmnskn-
latur besteht, so ist diese medikamentös erzeugte Darmparese, die zum Me-
teorismus führt, nicht zu unterscheiden von derjenigen, welche von dem
Fortschritt des EntzQndungsprozesses erzeugt wird und hohe diagnostische
Bedeutung besitzt! Auch die gleichzeitige Steigerung der Koprostane wirkt
hindernd für eine kritische Beurteilung des Krankheitszustandes. 2ur Ruhe-
stellung des Darms bedarf es des Opiums nichts meist tut das der Ent-
zfindungsprozeß schon selbst. Zur SchmerzstUlung eignet sich aber Bella-
donna oder Morphium, namentlich in Suppositorienform. weit besser Wenn
sich nicht am 2. oder 3. Krankheitstage ein deutlicher Stillstand oder Rück-
bildung der Erscheinungen bemerkbar macht, darf man gewiB sein, dalS es
sich nicht um eine einfache kutarrhalische Entzündung handelt. Eirtweder
war dann die Diagnose von Anfang an falsch oder es hat sich inzwischen
eine der häufigen Komplikationen der Appendicitis entwickelt: Eiterung, Ab-
Bzetibildung. Perforation.
Die einfache entzündliche Beteiligung des Peritoneums im
Beginne oder Verlaufe der katarrhalischen Appendicitis macht sich meist
durch etwas intensiveres und anhaltenderes Fieber bemerkbar, vor allem aber
durch plötzlich auftretendes Erbrechen oder starken Brechreiz und der Pols
pflegt sich zu beschleunigen und zu verkleinern. Die Resistenz am Locus
affectionis wird stärker druckempfindlich und etwas ausgebreiteter. Diese
Erscheinungen einfach entzündlicher Reizung des Bauchfells bilden sich auch
Öfters noch vollkommen in 1 — 2 Tagen zurück; sie erfordern aber stets die
gespannteste Aufmerksamkeit des behandelnden Arztes, weil sie oft das
Alarmsymptom einer rapid fortschreitenden Peritonitis sind. In einem solchen
Stadium der Erkrankung muß der Patient täglich mindestens zweimal vom
Arzt untersucht werden, damit ihm eine fort.schreitende Veränderung ad
pejus nicht entgeht. Es kommt fast immer gerade auf die sorgfältigste
Beobachtung in den ersten Krankeitstagen an^ nach deren glücklichem
Verlauf die akute Gefahr meist vorüber ist. Bei deutlich erkennbarem
Fortschritt der peritonealen Reizerscheinungen oder auch selbst nur bei
Andauer derselben ist die Aussicht auf eine spontane Resorption der Ent-
zündungsprodokte gering« vielmehr Übergang zu beginnender Eiterung
wahrscheinlich und deshalb eine schleunige Operation am Platze.
Auch die akute Eiterung innerhalb des Wurmfortsatzes kann
spontan zur Ausheilung kommen durch Ausstoßung des Eiterflocks in den
Darm, worauf Sahi.i zuerst aufmerksam gemacht hat. Das ist freilich ebenso
schwer zu erkennen wie die Eiterung selbst Je nach der Virulenz der
Eiterkokken ist vielmehr ein Fortschritt der Eiterung auf die Darmwand
und ihre Serosa zu gewärtigen.
Um den primären Entzündungsherd am Processus vermiformis bildet
sich häufig sehr schnell eine reaktive Entzündung, welche zu einer massen-
haften Leukozytenanhäufung und der Bildung jungen Bindegewebes führt,
welche den oft nur kirschgroßen oder sogar nur kirschkerngroßen eitrigen
Krankheitsherd von der Bauchhöhle abschließt. In wenigen Tagen kommt
ein ziemlich mächtiger Bindegewebswall um den Krankheitsherd zustande,
welcher als ein Schutzmittel der Vis medicatrix naturae zu betrachten ist.
Denn wenn ein Eiterherd im Wurmfortsatz durch die Wand desselben per-
foriert, schützt dieser Wall vor der Perforation in die freie Bauchhöhle
hinein, die Eiterung erfolgt dann in einen abgeschlossenen, abgekapselten,
gleichsam extraperitoneal gelegenen Raum. Es ist (luasi ein kalter Abszeß,
der sich da entwickelt. Die Ausbildung einer solchen abgeschlossenen Eiter-
38
AppäudicitU.
höhle, in welcher die Eiterment^e oft überraschend gering; ist üd Verhältnis
zu der scheinbaren Qrölie der Resistenz in der Bauchhöhle, kommt meist
unter nur ^erin^fügig:em Fieber zustande, <lem sehr bald sofi^ar oft voll-
kommene Afebrilität folget. Ein solcher Abszeß besteht in einzelnen Fällen
sogar wochenlang ohne Tendenz zur weiteren Ausbreitung und bedingt keine
augenblickliche Gefahr für das Leben. In anderen Fällen verrät sich das
Wachsen der Eiterh5ble nicht nur durch die Zunahme der Resiaten/. und
der Dämpfung bei der äuberen Untersuchung, sondern auch durch die
Druckerscheinungen auf die Nachbarorgane, Blase und Mastdarm,
die stets als ein wichtiges Symptom der Propagation des appendicitischen
Prozesses zu beachten sind! Man versäume deshalb niemals die Digitalunter-
suchung vom Rektum oder von der Vagina aus, um auf diese Weise die Aas-
breitung des Abszesses zu erkennen. Perforieren doch sogar solche Abszesse
spontan in die genannten Nachbarorgane ^ Bei Frauen senken sie sich nicht
selten In das Cavum Douglasü hinein. Auch ein fiebcrlos bestehender Abszeß
erfordert stets die Operation beim Nachweis objektiver oder subjektiver
Drackerscbeinungen seitens der Blase oder des Mastdarms oder erneuter
peritonealer Reizerscheinungen. Im anderen Falle kann mit der Operation
ohne Bedenken einige Zeit gewartet werden, weil dieselbe sich dann als
wesentlich ungefährlicher erwiesen hat.
Während sich der Durchbruch dieser Abszesse in die Bauchhöhle meist
langsam und dentüch erkennbar vollzieht, erfolgt die Perforation bei der
Appendicitis gangraenosa gewöhnlich mit außerordentlicher Schnellig-
keit^ meist sogar schon in den ersten Krankheitsstunden, so daß diu ganze
Szene mit dem Bilde einer eitrigen Peritonitis eröffnet wird. Ein derartig
foudroyanter Verlauf ist offenbar die Folge besonders starker Virulenz der
primären Infektion oder sehr ungünstiger lokaler Verhältnisse, die sich zu-
weilen im Anschluß an frühere Appendicttiaerkrankungen entwickelt haben,
indem sie Residuen der verschiedensten Art, Strikturen , Verwachsungen,
kleine Eiterherde u. dgL zurückgelassen haben. In solchen Fällen pElegt die
Erkrankung mit autierordentlich stürmischen subjektiven und objektiven
Krankheitserscheinungen einzusetzen: hohes Fieber, Schüttelfrost, sehr be-
schleunigter, fliegender, kleiner Puls, große Prostration der Kräfte, Andeu-
tung von Kollaps, besonders durch den verfallenden Qesichtsaasdruck, aus-
gebreitete , sehr druckempfindliche Resistenz schon hei leiser Berührung,
zuweilen auch mit einer Rötung und Schwellung der darüber gelegenen
Haut einhergehend , Meteorismus und Spannung des ganzen Leibes. Die
Gesamtheit dieser Symptome läßt den erfahrenen Arzt von vornherein die
Schwere und Gefahr des Krankheitszustandes erkennen ; die Diagnose ist
meist anschwer auf drohende oder schon erfolgte PerforationsperEtonitis zu
stellen, der gegenüber nur die schleunige Operation noch eine Aussicht auf
Heilung gewährt.
Das sind Fälle, in denen die Notwendigkeit der sog. Frühoperation
unbestritten ist^ die nicht nur innerhalb der ersten 24 Stunden, sondera
sofort nach Stellung der Diagnose vorzunehmen ist!
Nun wird von den Chirurgen in neuester Zeit mit vollem Recht be-
hauptet, daß eine foudroyant verlaufende Eiterung am Wurmfortsatz oder
eine Perforation desselben vorhanden sein kann , ohne daß die klinischen
Erscheinungen es erkennen oder Auch nur vermuten lassen. Durch traurige
Erfahrungen in solchen Fällen, in denen die Operation zu spät unternommen
oder ganz unterlassen worden ist. sind die Chirurgen in ihrer überwiegenden
Mehrheit heute zu dem Standpunkt der grundsätzlichen Frühoperation
bei jedweder Erkrankung der Appendix gelangt, weil eben die Art
der Entwicklung der Krankheit nie vorauszusehen sei, leichte Fälle von
schweren im Anfang nie zu unterscheiden seien und einer plötzlichen
AppendicitJs.
39
lebensgefährlichen Verschlimmerung: nnr durch die Operation am ersten oder
zweiten Krankheitstage vorgebeugt werden k5nne. Dieser zuerst von Spren-
gel, dann von Rehn , Riehel, Rotter. KOmmel, Körte u.a. betonte Stand-
punkt bat allmählich immer mehr Anhänger gefunden, und auf dem letzten
Chirurgenkongreß war nur eine abweichende Stimme vernehmbar , über-
raschenderweise gerade diejenige SowEXBrRGs. welcher einen abwartenden
Standpunkt der akuten Appendtcitis gegenüber einnimmt, z.T. wegen der
Gefahren, welche die Operation im frischen Entzündungsstadium mit sich
bringt, z. T. weil sich Sonnenburci der Erkenntnis nicht verschließt, daß viele
Fälle akuter Appendtcitis auch ohne Operation spontan heilen. Diese Zu*
rdckhaltung gerade des Vorkämpfers der chirurgischen Behandlung der
Appendizitis verdient besondere Beachtung gegenüber der fast ajlgomoinen
Auffassung der Chirurgen , welche die Operation einer Appeadicitis lür
harmlos erklären. In der Tat ist die Mortalitätsstatistik der Hlindüurm-
operationen von Jahr zu Jahr günstiger geworden, namentlich insbesondere
seit Aufnahme der FrQhoperation: indessen so ungefährlich, wie es nach den
Publikationen der Chirurgen im atigemeinen jetzt geglaubt wird , ist sie
doch nicht. Zunächst einige Zahlen aus den neuesten Statistiken: Die
CzERNYBche Klinik in Heidelberg hatte in den letzten Jahren 20 »>6"/a Mt>r-
talität bei Operationen im akuten und subakuten Stadium, bei Frühopera-
tfonon allein 10° q Mortalität. KOmmel (Hamburg) hatte bei der KrÜhopera-
tion von 49 Fällen «V" Todesfälle und Rottek IS'^ unter «5 Fällen. Körtb
bat bei 80 Fällen ohne Peritonitis keinen nach der Operation verloren. Die
Statistiken sind um so besser geworden, je mehr Fälle von frühzeitiger
Operation mit für dieselbe verwertet werden konnten. Das kann nicht
wundernehmen, weil sich naturgemäß darunter viele leichte Erkrankungen
befinden, die auch ohne Operation zweifelsohne genesen wären! In dieser
Hinsicht finde ich nur eine für den Vergleich verwertbare Statistik , näm-
lich von Rottkr aus den Jahren 1903 und 1904. Da sind 03 Fälle aus
dem Jahre 190.3 ohne Operation mit ä^/„ Mortalität verzeichnet, im Jahre
IV>04 20 Fälle gleich leichter Art mit 5'/« Mortalität nach der Operation.
Diese Zahlen sind nur klein, lassen aber bei stärkerem Anwachsen einen
noch ungünstigeren Ausschlag auf Seite der Operierten erwarten. Die Er-
langung eines größeren statistischen Vergleichsmaterials ist leider außer-
ordentlich schwierig, weil ja die leichten Fälle meist gar nicht den Chirurgen
zu Gesicht kommen, ja selbst gewöhnlich nicht einmal in den Kranken-
häusern zur Aufnahme gelangen, sondern in der Häuslichkeit der Kranken
Kur Behandlung und Heilung kommen. Bei der Betrachtung der gunstigen
Ergebnisse der Frühoperation darf auch nicht in Betracht zu ziehen ver-
gessen werden, daß gerade in den leichteren Fällen und auch in den an-
deren am 1. und '2. Krankbeitstage die Diagnose oft noch so unsicher ist,
daß unter den Operierten sich mancher Fall befinden wird, der gar nicht
als Appendicitis anzuerkennen ist, so daß gesunde Wurmfortsätze entfernt
werden. Das haben auch Rocx und Sonnbnburu auf dem letzten Chirurgen-
kongreß anerkannt.
Gegen die Beweiskraft der Operationsstatistiken ist aber auch noch
der Einwand zu erheben, daß die günstigen Resultate einiger Meister der
Chirurgie, die als Künstler besonders auf dem Gebiete der Bauchoperation
bekannt sind, keine allgemein gültigen Schlußfolgerungen für die Mortalität
dieser Operationen gestatten. Die Überaus große Mehrzahl der Chirurgen in
Stadt und Land hat nicht entfernt das große Maß von Übung und Erfahrung,
technischer Gewandtheit, reichlicher und geschickter Assistenz, deren sich
hervorragende Chirurgen der Großstädte und der Universitätskliniken zu
erfreuen haben. Die allgemeine Mortalität ist gewiß um ein beträchtliches
höber, als sich aus den wenigen publizierten Statistiken ergibt, deren
40
Appendicitis.
Material an Zahl erheblich zurücktritt hinter der unübersehbaren Fülle von
Fällen, die nicht zur Veroffetatlichun^ gelangen.
Gegenüber der Bebauptung der Chirurgen, dab jede Äppendicitis
einer operativen Behandlung bedürfe, handelt es sich also grar nicht um die
Fraf!:e nach der Mortalität dieser Operation, sondern vielmehr um die Fragte
der Notwendigkeit derselben. Ihre Zweckmäßigkeit kann nicht geleugnet
werden , da sie den betreffenden Menschen ein* für allemal über die Mög-
lichkeit erhebt, wieder an einer Äppendicitis zu erkranken. Aber wenn eine
Behandlungsmethode zum Prinzip erhoben wird, dann muß bewiesen werden,
daß sie sowohl die beste als auch die einzig richtige ist. Die Frage, ob die
Chirurgie in der Behandlung der Äppendicitis mehr leistet als die innere
Medizin, ist für die leichten Fülle durchaus noch nicht entschieden! Das
kann aber überhaupt nicht vom Chirurgen oder durch Krankenhausbeobach-
tungen bestimmt beurteilt werden, sondern nur von der grolien Menge der
praktischen Arzte, welche die verschiedensten Fälle nebeneinander zu sehen
Gelegenheit haben.
Die grundsätzliche Forderung der chirurgischen Behaniliung für jede
Blinddarmerkrankung hat übrigens bereits von hervorragender cbirurgischer
Seite selbst Widerspruch erfahren. Durch seinen Aasistenten AKNSBEfVGER
hat CzBRNV unläiigHl aussprechen lassen : ^Die Heidelberger Klinik steht
nicht auf dem Standpunkte der kritiklosen sofortigen Operation jedes ein-
gelieferten Appendicitislatles, sondern wir behandeln die leichten akuten
Anfälle, besonders die ersten, konservativ, weil wir immer noch die Operation
im Intervall für das ungefährlichste und erstrebenswerteste Verfahren halten.«
Wenn aber An.NSBERtiKR darauf fortführt: »Allerdings sind auch wir der
Ansicht, daü jeder akute Anfall von Äppendicitis unter chirurgische Aufsicht
gehört, weil nur ein erfahrener Spezialist eine Diagnose der Schwere des
einzelnen Falles stellen kann und weil die Möglichkeit eines operativen Ein-
schreitens jederzeit gegeben sein soll. Aber unter diesen Verhältnissen braucht
bei vielen Fällen nicht sofort operiert zu werden; man kann abwarten, mit
dem Messer in der Hand. Wir befaandcla solche Patienten mit Eisblase,
geben aber nie Opinm, um uns das Kranbheitsbild nicht zu verschleiern«,
80 Ist meines Erachtens seitens der inneren Medizin dagegen energisch
Einspruch zu erheben, daß ihr die Behandlung der Äppendicitis gänzlich
entzogen worden solL
Denn solch »erfahrene Spezialiston* gibt es ja nicht nur unter den
Chirurgen, sondern zum mindesten in derselben Menge auch unter den
inneren Klinikern und guten praktischen Ärzten. Die letzteren sehen meist
ein vielseitigeres Material als gerade die Chirurgen. Fflr die Stadtbevöl-
kerung liegt auch heutzutage nirgends mehr eine Veranlassung vor, sich
unter die Aufsicht der Chirurgen zu begeben, weil sie operative Hilfe stets
zur rechten Zeit erlangen kann. Der Chirurg wird immer geneigt sein,
früher und häufiger zum Messer zu greifen. Den geeigneten Zeitpunkt für
die Operation zu ermessen, wird der gute und erfahrene innere Arzt eben-
sowohl imstande sein uts der Chirurg. Für diesen ist die Schwierigkeit keine
geringere als für jeden andern, dlejentgeti Krankheitserscheinungen scharf
zu erkennen, welche eine Wenduug iui Verlaufe der Krankheil als bevor-
stehend anzeigen ! Weit wesentlicher als die Frühoperation erscheint die
Kunst der frühzeitigen Differentialdiagnose zwischen leichten und schweren
Fällen! V'on ihr hängt das Geschick des Kranken ab. Wenn auch bisher
diese Untersuchung in den einzelnen Fällen noch nicht eine so sichere ist,
daß man sie lehrbuchmäßig darstellen könnte, so sei doch auf einige be-
sonders wichtige Punkte noch einmal hingewiesen: das Anhalten des Fiebers,
die Pulsheschleunigong und Pulsverkleinerang, das Auftreten von Meteorismus,
namentlich aber einer stärkeren Hauchdeckenspannung am Locus affectionis
Appendicitis.
41
(der Aasdruck der >Defen8e musculaire« der Franzosen), eine Zunahme der
Resistenz und der Druckempfindlichkeit am Krankheitsherde, das Auftreten
von Erbrechen und die Verschlechterung des Allgenieinbeündens. Bei auf-
merksamer BerOcksichtigunp: dieser Zeichen der VerschlimmerunB; des Krauk-
heitsprozesses wird es in der Mehrzahl g^elint^en, noch rechtzeitig genuj; mit
der Operation zu kommen. UngIflcksfAIle werden nie vermieden werden und
an der Appendicitis werden Menschen mit und ohne Operation immer sterben.
Bei der foudroyanten Ganj^rän des Wurmfortsatzes wird auch der früheste
chirurgrische Eintrriff immer zu spät kommen.
Die chronischen Blinddarmcrkrankungren kann man e^efcenwärtig^ nach
ihren anaiomiscben Verschiedenheiten in folgende Hauptformen einteilen:
I. die Appendicitis chronica fibrosa bzw. adbaeslva, welche zu einer Ver-
dickung:, Verwachsung^, eventuell auch Verlajcerunj? <ie8 Wurmfortsatzes
führt, und '2. das Empyema chronicum processus vermiformis. ;i. Zwischen
diesen beiden Formen stehen diejenigen Fälle, in denen sich zu einer chronisch
entzOndlichen Schwellung der Schleimhaut auch eine Verdickung: der Muskel-
wand gebildet hat eventuell auch chranische peritonitische Adhäsionen.
So wenig wie bei den akuten ist aber bei den chronischen Blinddarm-
erkrankungen gegenwärtig eine Unterscheidung derselben nach anatomischen
Veränderungen möglich. Die Amerikaner unterscheiden zwei Formen der
chronischen Perityphlitis: Die recurrent und die valping Appendicitis, je
nachdem es sich um das wiederholte Auftreten neuer Anfälle oder um HCick-
fälle von zuröckgeblipbenen KntzOndunjjsresten ausgehend handelt. Boas
hat für die letztere Form die Bezeichnung >Residualperityphtitis^ vorge-
schlagen. Indessen erscheint diese Einteilung nicht klar und erschüpTend
genug. Referent hat darauf hingewiesen, daß man nach den klinischen Er-
scheinungen vielmehr drei verschiedene Formen der chronischen Perityphlitis
unterscheiden kann: 1. die chronisch rezidivierende Appendicitis, bei welcher
sich nach einem einmal Qberstandenen Anfall ein solcher nach kürzerer oder
längerer Zeit einmal oder mehrmals wiederholt. Die einzelnen Anfälle sind
nach ihrer Schwere und Dauer sehr verschieden. Nach Ablauf derselben pflegt
aber wieder volle Gesundheit einzutreten. 2. Nach einem einmal überstandenen
Anfall stellt sich nicht völlige Gesundheit wieder her, sondern es bleiben Be-
schwerden verschiedenster Art in wechselnder Stärke dauernd bestehen :
Gefühl von Druck und Schwere im Leibe oder ziehende, bohrende Schmerzen
in der rechten Unterbauchgegend, die nach der Blase, nach den HQften,
nach dem RQcken zu usw. ausstrahlen, beim Gehen, namentlich aber beim
Treppensteigen, bei körperlichen Anstrengungen, Sportübungen u. dgl. sich
verstärken.
Bei diesen beiden F'ormen handelt es sich gewöhnlich um Residuen
des ersten Anfalles mit oder ohne anatomische Veränderungen im und am
Wurmfortsatz; Verdickungen, Ulzerationen, Eiterungen der Schleimhaut,
Striktnren mit abgeschlossenen Kotsteinen u. dgl. m.
Den beiden bisher beschriebenen Formen chronischer Appendicitis steht
eine dritte gegenüber, welche Referent als die >sch] eichende« bezeichnet
hat. bei welcher niemals ein ausgesprochener Anfall vorhanden gewesen ist.
sondern stets nur die oben erwähnten Schmerzen und Beschwerden un-
bestimmten und oft wechselnden Charakters, die zuweilen beständig, in an-
deren Fällen in kürzeren oder größeren Zwischenräumen auftreten und ver-
schieden lange Zeit andauern. Bei dieser schleichenden Form chronischer
Blinddarmentzündung findet sich nach den Beobachtungen des Referenten
bei Operationen meist nur eine Verdickung und Verwachsung des Wurm-
fortsatzes, seltener ein chronischer Katarrh der Schleimhaut, niemals ein
eitriger oder sonst irgendwie komplizierter ProzelJ. Die Unterschefdung der
drei genannten Formen chronischer Blinddarmentzündung gründet sich weit
42
Appendicitis.
mehr auf die Anamnese als auf den objektiven Befund; denn ein solcher
lllßt sich bei der chronischen Appendicitis meist überhaupt nicht erheben.
In der Mehrzahl der Fälle fühlt man weder den Processus vermiformis, noch
eine Verdickung desselben. Nur in wenigen Fällen findet man einen druck-
emplincllichen und verdickten Wurmfortsatz, dessen Lage aber durchaus
nicht immer dem Mc. BuRNEYschen Punkte entspricht.
Verwechslungen mit Resistenzen anderen Ursprunges und anderer
Natur sind nicht selten. Selbst in den Fällen mit positiven P&lpations-
befunden läßt sich im voraus nicht vermuten, ob und welche anatomischen
Veränderungen vorliegen, da selbst in den Fällen, wo wiederholte fieberhafte
Anfälle aufgetreten sind, Hich die EntziJndungaerschcinungen oft so vollkommen
zurückbilden, daß der Wurmfortsatz weder makroskopisch noch mikro-
skopisch so wesentliche Anumalien aufweist, daß sie als pathugnomonisch
angesprochen werden können.
Verwechslungen der chronischen Blinddarmerkrankungen kommen vor
mit: 1. chronischen Gallensteinerkrankungen wegen der Ähnlichkeit der
Kolikanfälle, 2. mit chronischen Erkrankungen der weiblichen Adnexe wegen
der gleichen Lokalisation der Beschwerden, !^. mit der chronischen spastischen
Obstipation wegen der gleichen heftigen intermittierenden Leibkrämpfe und
der Fühlbarkeit eines Tingerähnlichen harten Strandes in der CÖkalgegend,
4. mit Visceralneuralgien^ die sich auf die rechte Seite des Unterleibes be-
schränken oder bauptsäehlich erstrecken, 5. mit visceraler Kysteroneurasthenie
(Pseudoappendiüitia Noth.\a<;els} und auch noch mit manch anderen K!rkran-
kungen der tJauchhöhle. Auf die DLIFerentiatdiagnose kann hier nicht näher
eingegangen werden, es muß auf die unten erwähnten Arbeiten verwiesen
werden. Die Verwechslung mit diesen Krankheiten führt zuweilen zu un-
nötigen Operationen, nach denen die alten Beschwerden dann wiederkehren.
Deshalb erfordert jeder auf chronische Appendicitis verdächtige Fall erst
eine längere sorgfältige Beobachtung des Kranken zur Sicherung der
Diagnose.
Leichte Falte chronisclier Appendicitis kommen oft auch allmählich
spontan ganz zum Stillstand oder selbst zur Heilung durch konsequente
Durchführung einer niehrwöchentlichen oder sogar mehrnionatlichen inneren
Behandlung, die sich zusammensetzen soll aus einer Ruhe- und Liegekur,
Anwendung von warmen und heißen Umschlägen (Brei-, Moorumschläge u. dgl.),
heißen Sitzbädern, Moorbädern, ferner Regelung des Stuhlganges durch eine
vorwiegend vegetabile Diät, eventuell in ßreiform, und warme Mlklistiere.
Diese interne Kehandtung empfiehlt sich vor allem bei älteren Leuten, bei
denen die Gefahren der Operationen (Pneumonien, HorzHchwächo u. dgl.)
größere sind als bei jüngeren. Bei der rezidivierenden Form chronischer
Perityphlitis, namentlich jüngerer Personen^ ist nach dem Abklingen des
letzten Anfalles auf baldige Operation zu dringen! Die Entfernung des
Wurmfortsatzes ist auch die einzige Hilfe in allen den Fällen , in denen
nach dem ersten oder zweiten Anfalle andauernde lebhaftere Beschwerden
zurückgeblieben sind. Dagegen erweist sich die Operation bei den Fällen
■ schleichender chronischer Appendicitis, selbst wenn die Diagnose gesichert
ist. oftmals nicht nötig, weil sie zur Spontanheilung gelangen können. Die
Entscheidung über die Notwendigkeit^ bzw. Zweckmäßigkeit der Operation
kann nur eine längere sorgfältige Beobachtung des Finzelfalles liefern.
Literatur: Alhu. Deutsche med. Wochinschr. , 1905, Nr. 2ö n. 2ß. — Arnsp^rom,
Denlscii« nifd. Wochenachr., 1905, Nr. 33. — Hcas, Dt- utsche ini^d. Wrt<h**nR('hr., 1905, Nr. 27.
— Hksc, ThrrapenliBchft MoDHtshefte, Februar n. Mürz \\H)b. — Kakewski. Bt^rliner klin.
Wot'henachr. » 1Ü04, Nr. 10; Dfttusche med. Wochennchr ., 191)5, Nr. 20 u. 21. — KOmmel,
Deutsche uied. Wocheuschr.. 1905. — Rotteb, Deutsche med. Wochonschr., 1905, Nr. 8 u. 9.
— SiNOKH, Wii-ner med. Wothenschr. . 1905. — Verhandliingen des Chinir^enkongreFseSf
1904 und 1905. — Verhandlungen des Vereines für Innere Medizin in Berlin 1905. Alba.
Arbeitssanatoriea.
43
I Arbeitssanatorlen. Krankenanstalten, wie ich sie auf eine An-
regung E. ScHWEMXtiERS hin vor einigen Jahren* von der Idee ausgehend
in Vorschlag gebracht habe, in ihnen die «Erziehung zur Arbeit« als
^undlegendens therapeutischen Prinzip Geltunf? zu verschaffen.
Nach diesem — inzwischen verschiedentlich berücksichtigen — Vor-
schlage sollten diese Anstalten berechnet sein:
1. auf die abulischen Nervösen bzw. Neurasthenikor einschließ-
lich der Trinker, der an Unfallneurosen Leidenden und der sonstigen
auf der Grenze zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit balancierenden,
mit sogenannter »psychopathischer Minderwertigkeit« behafteten, wohl
ausnahmslos eine Einbui5e an Willenaenergie bekundenden Persönlichkeiten;
2. auf gewisse Klassen von Lungenkranken insofern« als hier der
Übergang in einen anderen Beruf wünschenswert erscheint;
3. auf invalide, namentlich durch Unfall oder auf sonstigem Wege
versttimmelte Erwachsene, fQr die die Arbeitssanatorien Lehrinstftute
darstellen würden. Es würden sich diesen hier in reichlichster Auswahl Be-
schäftigungsarten darbieten, auf deren Erlernung gegebenenfalls die Wieder-
erringung einer solbstündigen sozialen Pfisition basieren konnte.
Das in gewissem Umfange immerhin heute erkenntlich werdende Ab-
blassen des übertriebenen Enthusiasmus, mit dem man an der Neige des
abgelaufenen Jahrhunderts in die Heilstättenbewegung eintrat, hat es glück-
licherweise nicht zu verhindern vermocht, daß man nach Erreichung der
ersten Ziele der Öffentlichen Försorfrebestrebungen diese auch noch weiter
und namentlich auf solche Hilfsbedürftige auszudehnen wünschte, denen die
bestehenden Wohlfahrtsinstitute entweder ganz verschlossen sind oder denen
sie wenigstens nicht das erforderliche Maß von Hilfe und Forderung zu bieten
imstande sind. Dfe Errichtung von Volksheilstatten für Nervenkranke,
solcher für Trinker und die Gründung von OenoHungsheimen für Lungen-
kranke scheint als das tatsächlich allernächstliegende Bedürfnis empfunden
zu werden, dessen Vorliegen weder bei den Diskussionen vor dem Forum
der Öffentlichkeit noch bei den im Kreise maßgebender Behörden und Körper-
schaften gepflogenen Beratungen jemals ernstlich in Abrede gestellt wurde.
Demgegenüber ist die Propaganda für die Erstellung von Kruppelheimen
erst in allerneuester Zeit nach Deutschland gedrungen und auch diese Be-
wegung, die hier einen fruchtbaren Roden fand, darf bei der Skizzierung
der dem Begriffe des »Arbeitssanatortums« zugrunde liegenden Ideen um
«■ so weniger übergangen werden, als die sich hiermit kundgebenden Ten-
denzen nicht nur dem Plane des Ganzen steh anstandslos einfügen, sondern
gewissermaßen den Kreis schließen, zu dem sich die einzelnen zutage
tretenden humanitären Bestrebungen als Glieder einer Kette unter dem Ge-
sichtspunkte des vorerwähnten erziehlich-therapeutischen Prinzips anein-
anderreihen.
Was zunächst die Forderung um Heilst&tten für Nervenkranke
der minderbemittelten Bevolkerungsschichten anlangt, so hat man
hier die Träger sogenannter funktioneller Neurosen, und zwar speziell die-
jenige Untergruppe dieser Individuen ins Auge gefaßt, welche, ohne ausge-
sprochen geisteskrank zu sein, doch in ihrer psychischen Sphäre eine be-
deutende Beeinträchtigung erfahren haben. Die letztere findet ganz besonders
in einem pathologischen Ablauf des Witlensaktes, in einer krankhaften
Willensschwäche, in einer «abulischen Insuffizienz« (O. Rosexbach)
ihren Ausdruck. ** Neben den an traumatischer Neurose leidenden Kranken,
* Tgl. EacjiLi:, I)<as Ärbeituunatormm. MQuclifO 1^02, 0. Gmelio.
^ Vgl. neben dem Artikel »Willen ssc h wäc b e< im vorigeu Bande dietei Jahr-
biichea (Bd. XXIX, lBOö< auch 0. Rosembach. NerTüfteZaatände und ihre psychische
Behandlung. Üfrlin r.»i}3, FNchors med. Bnchhandlnng.
44
ArbtiitssauatoHcn.
' den sogenannten »Unfall-Hysterikern«, sind es die Hypochonder, die kon-
BÜtutionell Nervösen und Ncurastheniachen — durchweg mit Willensschwäche,
vielfach mit Zwangsvorstellungen, nicht selten mit direkter psychopatbischer
Minderwertigkeit (»degenerativer Insuffizienz«, Eschlej leichteren Grades
behaftete Persönlichkeiten, denen bei unseren bestehenden Einrichtungen die
helfende Hand gar nicht oder nur ganz vorübergehend geboten wird. Den
Wohlhabenden steht ja die Inanspruchnahme teilweise vortrefflicher, aber
auch entsprechend teurer Privatanstalten offen und ebenso wird für die
der Armenpflege anheimfallenden Kranken dieser Kategorie bei der immer
weiter sich ausbauenden Vervollkomninung ^ener schließlich auch auf diese
oder jene Weise gesorgt — , nur den Mitgliedern des minderbemittelten« so-
genannten »Mittelstandes« sind die Wege zur Hilfe im grotSen und ganzen
noch verschlossen. Die Nervenkliniken lehnen sie ab oder geben sie als
unliebsame und störende Gäste bald weiter; die eigentlichen Irrenanstalten
dürfen sie statutarisch nicht aufnehmen, auch passen diese Krankheitszu-
stände nicht dorthin.
Auch die Trinker, die man sonst als besondere Klasse von Kranken
fQr sich abzugrenzen pflegt, gehören meiner Auffassung nach in die vor-
erwähnte Kategorie von Hilfsbedürftigen. Auch bei ihnen ist das, was an
ihnen einer therapeutischen Beeinflussung zugftngllch ist, die abulische In-
suffizienz, und zwar die perseverative Form derselben nach meiner Definition.
Unter dem Begriff »Trinker« falit ja die populäre Bezeichnung drei ver- ■
Bchiedene Klassen von Individuen zusammen: die an chronischem Alkoholismus I
(alkohologenen Störungen) Leidenden, die Dipsomanen (periodische oder
Quartalssäufer) und die mit Alkoholintoleranz behafteten nervösen, neur-
asthenischen und psychopathlscben Persönlichkeiten. Da sich der chronische
AlkoholiAn^us wohl ausnahmslos, wenn das gewohnheitsmäßige Trinken
bzw. Sichbetrinken nicht der Ausfluli einer mit abuUscher Insuffizienz ein-
hergehenden Charakterantage ist^ auf einen der beiden durch den gleichen
Defekt in der Willenssphäro gekennzeichneten abnormen Zustände zurück-
führen lälit, gebe ich mit der Hubrizierung der Trunksucht unter die nervösen,
Bich an der Grenze nach der Psychose hin bewegenden Zustände wohl nicht
fehl. Der Umstand, daß aacb diese Kranken der grollen Mehrzahl nach weder
in die eigentlichen Krankenhäuser, noch in die Irrenanstalten gehören, und
andrerseits die Erwägung, daß für derartige Patienten aus bemittelten
Ständen zahlreiche Anstalten existieren, wäbrend für die minderbemittelten
Schichten der Bevölkerung eine Öffentliche, namentlich prophylaktische %
Fürsorge kaum getroffen ist, machte die geplanten V'olksheilstiitten für
Trinker geradezu populär, ehe sie noch in Aktion traten, ^a ehe man sich
über die Organisation, die Art der Durchführung des Beschüftigung^prinzips,
das wohl allgemein als erforderlich erkannt war, und über die Heranziehung
der Obiekte dieser Art von Fürsorge in den Details klar geworden war.
Gerade in letzterer Hinsicht steht dem Populärwerden der Volksheil*
Stätten hei den Hilfsbedürftigen selbst die Bezeichnung als Trinkerheil-
Bt&tte — und mag diese auch noch so glücklich umschrieben oder ver-
blümt werden — solange wirklich der prophylaktische Gesichtspunkt und
nicht die zwangsmfiUigo Abstellung offenkundiger Mißstände im vereinzelten
Falle ins Auge gefaßt wird, im Wege. Nur die Verschmelzung mit der Volks-
heilstätte für Nervenkranke im weitesten Sinne kann hiergegen Abhilfe bieten.
Ferner hat man für diejenigen Lungenkranken, die aus den Lungen-
heilstätten als geheilt oder nahezu geheilt entlassen werden, von der einen Seite
Hekonvaleszentenheime, von der andern Arbeitsstätten gefordert. In den
letzteren mül3te ihnen Gelegenheit gegeben werden, sich in einem andern, für
sie passenderen Berufe (Gärtnerei. Landwirtschaft) auszubilden. Im ersteren
Falle könnten die Patienten ganz gut in der Lungenheilstätte, welche ja eigent-
Arbeitssanatorlen.
46
lieh mehr oder weniger ein mit allen modernen Hilfsmitteln auag^estattetes
Erhol uDg'äheim darHtellt^ verbleiben, wenn nicht einerBeits die in keinem Ver-
hältnis zum Andränge stehende Unzulänglichkeit der Plätze und andrerseit«
die Höhe der Verpfle^unß:skosten in diesen Anstalten dem entgegenstände.
Deshalb ist von mir schon vor längerer Zeit der Vorschlag gemacht worden *,
aas den Heilstätten entlassene, namentlich männliche Lungenkranke, sei es,
dali sie einen andern BeruT ergreifen, sei es, daß sie die frühere Beschäfti-
gung wieder aufnehmen mOssen, gemeinsam in Anstalten unterzubringen,
in denen sie in der G&ptnerei und Landwirtschaft unter ärztlicher Kontrolle
and ohne Nötigung zur Absolvierung eines beutimmten Arbeitspensums tätig
wären. Unter den heutigen Verhältnissen bleibt solchen Rekonvaleszenten
Dicht« flbrig, als ihre gewohnte, oft gesundheitsi^chädliche Beschäftigung in
einer meist allen hygienischen Anforderungen Hohn sprechenden Umgebung
angesäumt wieder aufzunehmen, um entweder im Spital oder auf dem Wege
Ober dieses in der Armenanstalt Ihr trauriges Ende zu finden.
Ich habe daher, was die fQr die Arbeitssanatorien geeigneten Fälle
von Lungenschwindsucht anlangt, folgende Gesichtspunkte zur Geltung zu
bringen gesucht:
1. Alle diejenigen Kranken gehören hierher, die aus den Heilstätten eva-
kuiert werden, weil eine längere Beobachtung zwar ihre völlige Heilung aus-
geschlossen erscheinen läßt, bei denen aber die Krankheit einen
derartig langsamen Verlauf nimmt. daU eine RQckkebr in die Be-
rufstätigkeit doch nicht hintangehalten werden kann. Die Ver-
setzung in eine derartige Anstalt mit ihren nach hygienisehen und thera-
peutischen Prinzipien geordneten Arbeitsverhältnissen erleichtert diesen
Kranken teilweise die Rückkehr in den früheren Wirk ungskreis,
teilweise verhOllt sie ihnen in humaner Weise den an und für
sieh ziemlich hoffnungslosen Sachverhalt.
2. Das letztere würde gleicherweise für einen Teil der von vorn-
herein wegen vorgerückteren Stadiums von den Heilstätten
zurückgewiesenen Phthisiker zutreffen, falls meine Vorschläge Be-
rücksichtigung finden sollten, hier sMigleich ein Asyl für diejenigen
Unheilbaren zu schaffen, bei denen nach wiederholter Untersuchung In
längeren Zwischenräumen ein besonders milder und langsamer Verlauf
oder gar ein spontaner Stillstand des Prozesses festzustellen wäre.
3. Einer großen Anzahl von Kranken beider Kategorien ^ ferner auch
einem beträchtlichen Teil der aus den Lungen-Heilstätten entlassenen Re-
konvaleszenten könnte hier ein erforderlich scheinender Berufs-
wechsel ermöglicht werden.
Wenn alle diese Unglücklichen , statt entweder als fOr ein weiteres
Heilverfahren ungeeignet in die Welt hinausgestoßen oder in anderen Fällen
ohne weiteres sich selbst überlassen zu werden, in den Anstalten der von mir
vorgeschlagenen Art in eine Reihe mit hoffnungsfreudigen Rekonvaleszenten
gestellt würden, so wäre das ein Werk der Barmherzigkeit, das insofern nicht
einmal mit nennenswerten peknnlären Opfern verbunden zu sein brauchte,
als die Verpflegskosten in derartigen, auf einfacher Lebensführung basierten
Anstalten minimal sind. Für etwaige Familienangehörige, denen der Ernährer
somit ferngehalten wird, müßte ja doch Über kurz oder lang in irgend einer
Weise gesorgt werden.
Was die sog. Krüppelheime anlangt, so hat Vulpica** in eingehen-
der Weise die Einrichtung der bedeutenderen derartigen Anstalten des
Kontinents studiert und über dieselben in einer lesenswerten Schrift berichtet.
* Ebchle. Zur Bek:imi)fniig der Tub^rknlose. BalneoloKisehe Zentralstir., 1901, Nr. 29.
•• VcLi'iLs, Das Krüppellieiui. Heidelberg 1902, Verlag von Karl Wintt^r.
46
Ärbeitssanatorien.
Von vornherein sind unter den "Krüppeln^ — ein zwar keine wi88en-
Bchaftliche Definition gebender, aber allgemein veratftndlicber und ein an-
Bchauiiches Bild gebender Ausdruck — zwei Klassen zu unterscheiden:
1. Jugendliche KrQppel mit angeborner oder in frühester Jugend
erworbener Unfähigkeit, ihre Glieder (oder auch gewisse Organe) zu ge-
brauchen oder mit hinderlichen Verunstaltungen des Körpers (z. B. Bucklige).
Alterationen des Zentralnervensystems, Tuberkulose der Knochen und Ge-
lenke geben die häufigste Veranlassung zur VerkrQppelung nach der Gebort.
Ist das Leiden durch eine angebome oder in frflbester Jugend erworbene
Gehirnlasion bedingt, so pflegt Schwachsinn mehr oder minder erheblichen
Grades mit der körperlichen Verunstaltung einherzugehen. Wir finden daher,
daß ein großer Teil der Insassen der Idiotenanstalten gleichzeitig verkrüppelt
ist. Für den bildungsfähigen Teil dieser jugendlichen Krüppel sind die
^KrQppelfaeime« im eigentlichen Sinne des Wortes der richtige Platz. Für
sie kommt, wie das auch Vulfius scharf hervorhebt, neben ärztlicher
(orthopjldischer) Behandlung und Schulunterricht, auch die Vorbereitung zu
einem späteren Berufe in Betracht. Doch scheidet diese Klasse von Kranken
aus dem von mir zu behandelnden Thema aus^ das nur die Fürsorge ffir
2. erwachsene Verkrüppelte, d.h. meistens durch Unfall Verstümmelte oder
Gelähmte, vorsieht. Für diese fand sich bisher nur, sobald sie der Öffentlichen
Fürsorge bedürftig wurden, als Heim die Kreis-Pflegeanstalt^ in der auch die
schwachsinnigen, nicht btldnngsfähigen Krüppel aus den Idiotenanstalten nach
Ablauf ihres 17. Lebensjahres lebenslängliche Unterkunft und Pflege fanden.
Alle mein§ bisherigen Erfahrungen sprechen dafür, daß auch die
Im späteren Alter auf dem Wege der Verstümmelung oder Lätunung er-
worbene VerkrÜppelung die Erziehung zu einer nützlichen Tätigkeit und zu
wirtscbartlicher Selbständigkeit nicht ausschließt.
Jedenfalls wird man aus dem bisher Gesagten ersehen, daß
eine zweckmäßige Beschäftigung bzw. die Erziehung zu und die
Übung in gesundheitsgemäßer und nutzbringender Arbeit bei der
Therapie aller dieser Zustände in den Vordergrund tritt.
\Venn man nun allen diesen Forderungen, die eine neue, von sozialen Ideen
getragene Zeitstromung erheben zu können sich berechtigt glaubt, wohlwollend
gegenübersteht, sich aber auch den pekuniären Schwierigkeiten, die ihrer
Erfüllung entgegenstehen und ebenso der Ungewißheit der Chancen nicht
verschließt, denen eine große Zahl jeweils auf eine bestimmte Kategorie von
Kranken ausschließlich Rücksicht nehmenden Spezialanstal ten im Wandel
der Zeiten, mit denen sich auch die jeweiligen Anschauungen und Ansprüche
ändern, ausgesetzt ist, so scheint das Risiko ein weit geringeres, wenn man
sich schon bestehende, bewährte Organisationen, die eine derartige Wand-
lang bereits verschiedentlich überstanden haben, zum Master nimmt.
Und aus diesen Erwägungen heraus habe ich, auf den Kriahrungen
meines eigenen langjährigen Wirkungskreises fußend, die badiscben Kreis-
Pnogeanstolten, die als Institute der geschlossenen Armenpflege (neben aus-
gesprochen Geisteskranken) alle hier aufgeführten Kategorien von Kranken
beherbergen und durch den hier im Vordergrunde stehenden Heilfaktor
anerkanntermaßen aufs günstigste zu beeinflussen verstanden haben, als
Muster für die von mir vorgeschlagene Organisation gewählt.
Diese 'Arbeitssanatorien« sollten abseits von den Bestrebungen der
Armenpflege stehen. Daneben habe ich dann ferner direkt nach dem Muster
unserer badischen Kreis-Pflegeanstalten »Werk- und Pflegestätten«*
* EscHLR, Die geäclilos»ene AriucupfleÄü, iScbrifttfQ des Di-utschen Vereines für Armen-
pflege und Wohltätigkeit, tieft 6o. Leipzig, 19U3. Üimcker & Iliiinblot. — Eschle, Die Er-
ziehung zur Arbeit als therapentiacher Faktor. Forthotiritte der Medizin. Hell 4, 1904.
^^r Arbeitssanatorien. 47
vorschlagren za sollen gremeint, in denen neben den der Armenpflege zur
Last fallenden psychopathischen Personen — einschlieülich der Trinker und
der das asoziale und ant {soziale Element in unseren Gemeinwesen dar-
stellenden Individuen — auch chronisch Kranke und Sieche aller Art ver-
pflegt werden sollten. *
Um die Vorteile, die das von nur vorgeschlag:ene System mit sich
bringt, nochmals zusammenzufassen :
1. Die Kosten fflr die Krwerbung eines entsprechenden Areals, fQr den
Bau und die Kinrichtuni; verringern sich bei der Errichtung einer einzigen
größeren Anstalt ganz wesentlich.
2. Das Unternehmen ist bei der leichten Verschieblichkeit seiner Glie-
derung nicht in dem Maße verschiedenen Chancen ausgesetzt wie verschiedene
kleinere Anstalten, die engbegrenzteren Zwecken dienen mQssen.
3- Nur bei einem größeren ßetriebe ist es möglich, daU Jeder Kranke
einen seiner Eigenart entsprechenden Platz zur Tätigkeit findet und nur bei
einer grOßeren Anzahl Verpflegter kann ein Ausgleich, eine Ergänzung, ein
ineinandergreifen und ein Wechsel der verschiedenen Arbeitsgebiete und der
Arbeitskräfte, wie das sowohl in: Interesse der Kranken wie der Anstalt
gelegen sein kann, stattfinden.
4. Das Zusn-uimenleben mit anderen als ihresgleichen bringt für einige
Klassen der Kranken, speziell die Trinker und die leicht psychisch alterierten
Nervösen, unzweifelhafte erzieherische Vorteile. Ihre unangenehmen Charakter-
eigenschaften schleifen sich leichter ab und sie verHeren schneller ihre
seelische Reizbarkeit.
5. Die auch von anderer Seite* geltend gemachten Bedenken gegen
kleinere Spezialanstalten. dahingehend, daü sich diese zu Irrenanstalten im
kleinen oder zu Unfallversichtirungs&pitälern auswachsen. fallen durch den
Umstand, dali die dort ins Auge gefal5ten Patienten nur einen kleinen Bruchteil
des Krankenkoutingentes in der größeren Anstalt bilden würden, weg.
G. Von den erwähnten finanziellen Rücksichten ganz abgesehen, er-
blicke ich — um zunächst die auf die Armenpflege zugeschnittene Form
des Arbeitssanatoriums, die »Werk-« und Pflegestätte im Auge zu behalten
— ein nicht hoch genug zu bewertendos ethisches (also im populären Sinne
»besserndes«) Moment bei der Durchführung des angedeuteten Prinzips
darin, daß der Willensschwäche Trinker, Landstreicher und Vagabund bei
der gemeinsamen Wrpflegung mit auch nach der landläufigen Auffassung
und Bezeichnung »Kranken« sich selbst als einen der letzteren betrachtet
sieht, wenn auch als einen Kranken, der seiner krankhaften Neigungen
unter wohlwollender ärztlicher Leitung und unter dem disziplinierenden
Einfluß der Anstaltsorganiaation Herr zu werden vermag.
7. Die Arbeitssanatorien würden sich dadurch , daU sie neben den
abulischen Nervenkranken einschließlich der Trinker nnd der an Unfall-
neurosen Leidenden auch die erwähnten Klassen von Lungenkranken und
die durch Unfall oder auf sonstigem Wege (z. B. erforderlich gewordene
Operationen) Verstümmelten aufnehmen, zu Lehrinstituten für diese beiden
Kategorien von Kranken auswachsen, welche - ein soziales und ethi-
sches Moment von eminenter Bedeutung — bei der hier vorhandenen
reichlichsten Auswahl von Beschäftigungsarten mit der gründlichen Erlernung
einer oder der anderen von diesen die Wiedererlangung einer selbständigen
Position in der Gesellschaft für die Betreffenden anzubahnen imstande wären.
Es kann doch wohl keinem Zweifel unterliegen, daß man den eigent-
lichen Zwecken einer erziehlichen Behandlung, die die mannigfaltigsten
* ScHüii. FiHctiitR, Kaardt, Dfnksclirift illter fWn (fepenwUrtiffen vSt.tnd der Irrenftlr-
aorgi* in Haden nnd deren künllijfe G<^Htaltung. KnrUruhe, Dezember IQOL
4S'
Arbeitssanatorien.
Hilfsmittel und auch speziell geschulte menachliche Hilfskräfte voraussetzt,
nicht in wünschenswertem Maße gerecht wird, wenn man daran g:eht, an
allen möglichen Ecken und Enden unseres Vaterlandes kleine Anstalten von
zunächst «2r> oder 51) Betten« zu errichten, diese einem sog. »Hausvater«
oder »Inspektor^ in der Person eines tüchtigen Militäranwärters zu unter-
stellen und von einem Arzte »mindestens einmal täglich« besuchen za
lassen. Da sind es denn bald die Vereine gegen den Mißbrauch geistiger
Getränke, die derartige Anstalten für Trinker, kleinere Bundesstaaten, die
solche für Nervenkranke, Herufsgenossenschaften, die sie für Unfallverletzte,
namentlich im Hinblick auf die Unfallhystnrischen , die kleineren Landes-
VeräicherungHanstalten, die sie als Rekonvaleszentenheime für Lungenkranke
zu errichten beabsichtigen.
Es liegt ia auf der Hand, einmal daß die allgemeinen Verwaltungs-
kosten nicht einmal annähernd im Verhältnis zur Zahl der Anstaltsinsa-*sen
steigen, femer daß auch speziell das nötige Areal und die mehr oder
weniger kostspieligen Einrichtungen, welche die Vorbedingungen einer mög-
lichsten Mannigfaltigkeit der Krankenbeschäftigung darstellen, sowie ganz
besonders auch die Anstellung dos hierzu erforderlichen technisch gebildeten
und hinreichend zuverlässigen Personals die Hauptsiw^me des Aufwandes
für erste Einrichtung und Betrieb repräsentieren. Die**j:forderlichon ein-
maligen und laufenden Ausgaben vermehren sich nahezu in direktem Ver-
hältnis zu der Zahl der zu begründenden Anstalten, ob diese nun klein oder
groß sind.
Eine Unsumme von Mitteln wird, wenn man die einzelnen Posten za-
sammenrechnet, dem gutgemeinten, aber wohl nicht immer hinlänglich durch-
dachten Zweck geopfert, ohne daß auf diesem Wege das Erstrebte erreicht
werden konnte. Manche kleine Hundesstaaten, ja selbst Provinzen oder gar
Kreise der größeren und die innerhalb dieser Grenzen stationierten Behörden
und Verbände halten es gewissermaßen für einen Verrat an ihrer eigenen
Heimat, wenn sie sich mit ^Fremden« zusammentäten und etwas Gemein-
sames, allerdings unter Verzicht auf einen gewissen Anteil des direkten
Einflusses zustande brächten! Andrerseits sollen die Schwierigkeiten durchaus
nicht verkannt werden, die Mittel und Wege im Einzelnen lOr ein Vor-
gehen in der bezeichneten Richtung ausfindig zu machen. Jene zu Überwinden,
sind Ja nicht nur für humanitäre Ziele begeisterte, sondern vor allem auch
politisch geschulte Kräfte erforderlich, die die ausgedehnten Vorarbeiten und
wohl nicht immer ganz einfachen Verhandlungen zu übernehmen gewillt und
befähigt sind. Als Anmaßung meinerseits würde ich es vielmehr betrachten,
'wollte ich bei denjenigen, die sich meinen Vorschlägen gegenüber kritisch
oder sogar vorderhand ganz ablehnend verhalten, eine Enge des politischen
Horizonts voraussetzen.
Nur den Hinweis darauf, daß in dieser Frage einmal ausnahmsweise
die humanitären resp. sozialen Interessen mit den finanziellen identisch sind,
glaubte ich nicht unterlassen zu dürfen.
Aus der mangelnden Berficksichtignng dieses Punktes ergibt sich dann
— trotzdem man in neuerer Zeit von dem übertriebenen Luxus in der bau-
lichen Einrichtung und Ausstattung, wie er zur Zeit der Hochflut des
Enthusiasmus für die Lungenheilstätten zutage trat, erfreulicherweise wieder
zurückgekommen isU a>ls Resultat ein viel zu hoher Verpflegungssatz (zirka
4'50 Mk. pro Tag). Dieser belastet nicht nur unverhältnismäßig die zahlnngs-
pflichtigen Verbände und Korporationen, wirkt nicht nur nachteilig auf eine
hinreichend lange Belassung der Kranken in der Heilstätte ein — wenige
Monate genügen ja in keinem einzigen Falle — , sondern hindert ganz be-
sonders auch Mitglieder des Mittelstandes , auf die mehr oder weniger ge-
zählt zu werden scheint und die auf keine Unterstützung von anderer Seite
.
in rechnen haben, von der wohltätigen Einrichtung: genQgend ooe^berhaupt
Gebrauch zu machen.
Durch Schaffung großer Institate ist es, wie ich an der Hand (cenauer
Berechnungen nachzuweisen mich bemüht habe, möglich, Anlage-, Verwal-
tungs- und sonstige Betriebskosten auf ein derartig geringes Maß zu redu-
zieren, daß die von den Korporationen oder Privaten zu ersetzenden Kosten
sich in maximo auf die Hälfte des zur Zeit durchschnittlich liquidierten
Verpflegungssatzes reduzieren wijrden . bei Beibehaltung des üblichen V'er-
pTlegungskostenersatzes von 3 — 3*50 Mk. pro Tag aber sogar das Anlage-
kapital in kurzem amortisiert werden könnte.
Die Minimalgrenze von 300 Plätzen fQr solche auf der Kranken-
beschäftignng basierte Anstalten, wie ich eine solche mehrfach vorgeschlagen
habe, ist nicht willkürlich , sondern von dem Gesichtspunkte aus gewühlt
worden, daß bei einer geringeren Zahl von Verpflegten, abgesehen von jenen
fQr die Anstalten verschiedener Größe nur in geringem Maße variierenden
allgemeinen Kosten, auch eine größere Landwirtschaft, die dann wesentlich
auf bezahlte Hilfskräfte angewiesen wäre, ebenso unrentabel wie die Unter-
haltung einer großen Anzahl von weni^; in Anspruch genommenen Werk-
stätten kostspielig sein würde, da ja geeignete Kräfte zur Anleitung und
Beaufsichtigung in den einzelnen BescbäfUgungszweigen doch immer parat
gestellt sein müßten.
Ich war von vornherein Oberzeugt, daß ich mich mit den erwähnten
Vorschlägen in einem gewissen Gegensatz zu dem heute noch so stark
hervortretenden Drange nach einer immer weiter ins einzelne gehenden
Spezialisierung gestellt habe und daß meine Ausführungen in Anbetracht
der unbedingten Herrschaft volltönender — zudem häufig noch mißverstan-
dener — Schlagworte nicht auf ungeteilten Beifall rechnen können.
Zu derartigen Schlagworten, die völlig inhaltslos sind, wenn man in
Ermanglung hinreichender einschlägiger Erfahrungen keine Details anzugeben
weiß , durch die die Begriffe anschaulich gemacht, zerlegt und erläutert
werden^ glaube ich auch die landläufige Parole: »Individualisieren!«
zählen zu müssen. Diese ist zu der Bedeutung einer recht wohlfeilen Phrase
um so mehr herabgesunken, als man heute der ihr unfcer/iilegenden aller-
ersten Forderung durch die geringe Bewertung, die man Jbt Individualität
für die Entstehung und Heilung der Krankheiten angedeihen läßt, geradezu
Ins Gesicht schlägt Hierzu kommt, daß man fortgesetzt Individualisieren
mit Spezialisieren verwechselt. Der Begriff »Spezialisieren« läuft schließ-
lich doch auf nichts anderes heraus, als auf ein »Schematisieren«, also auf
das Gegenteil ieden Individualisierena! Man ist gewissermaßen nie befriedigter,
als wenn man sich in der Rolle des Bureaubeamten wiederfindet, der endlich
ein Registraturfach entdeckt, in das der Aktenfaszikel» entsprechend
etikettiert, sich mehr oder weniger passend einreihen läßt. Ist eine Gruppe
von abnormen Vorgängen erst registriert und etikettiert, so wird dann in
Bausch und Bogen der Feldzugsplan gegen die Krankheit festgelegt und
diesem als eine Art von Dekoration der Vermerk beigefügt, mit dem ja in
der Regel niemand etwas anzufangen weiß: »sorgfältiges Individualisieren
bleibt natürlich vorausgesetzt*. So sehen wir in unserer Wissenschaft das
Spezialistentum für die einzelnen Organe wie für einzelne technische
Methoden immer größeren Umfang annehmen und die wahre Aufgabe des
Arztes, die ihr erstrebenswertes Ziel in der Ergründung der ganzen Eigenart
des Individuums, seines gesamten körperlichen und seelischen Zustandes
und »der tausend Fäden, mit denen jedes Lebewesen in seiner Umgebung
wurzelt« (O. Rosknbach), immer mehr zurücktreten.
Wer sich auf diesen Standpunkt schematiscben Spezialisierens stellt,
der maß es allerdings unbegreiflich finden, wie man dafür eintreten kann,
Er.ryol..|.. 4)ihrhnr!i..r. N. K IV. (XIII j
50
Arbeitssanatoriän.
so verschiedenartiß^e Krankheitsformen in den Beschftftignngfsanstalten . in
den »Werk- und Pfle^estätten-, In (]en »Arbeitssanatorien* zu vereinigen.
In welcher Weise aber ein wirkliches Individualisieren innerhalb
der Anstalt (abgesehen von der Art der beschäftigung selbst, betreffs deren
ich auf den Artikel »Krankenbeacbäftig-unß'« in diesem Jahrbuch ver-
weise) neben dem von Erfahrung und Menschenliebe getragenen Eingehen
auf die Persönlichkeit jedes einzelnen Kranken im allgemeinen auf dem Wege
räumlicher Sonderung der Insassen — und zwar nicbt nur der evident in-
kompatiblen Elemente -— und unter BerQcksichtigiing jeder auch nur vor-
Obergehenden Änderung des körperlichen und geistigen Zuatandes durchge-
führt werden kann, habe ich in anderen Schriften klarzulegen versucht: hier
kann ich mich nur auf eine kurze Rekapitulation beschränken.
Eine räumliche Trennung zunächst, die die Gruppierung des Pfleglings-
materials gewissermaßen in groUen Zögen ermöglicht, läUt sich schon im
Bauplan dureblühren. Nicht nur Männer und Frauen, sondern auch die
körperlich und die psychisch Kranken, die trotz ihrer Gebrechen Rüstigen
und die gar nicht oder in sehr beschränktem Malie Arbeitsfähigen^ die Zu-
verlässigen und die ständiger Aufsicht und Überwachung Bedürftigen werden
von vornherein gesondert in isolierten Pavillons oder bei Bauten im
Korridorsystem in abgetrennten und gegeneinander abgeschtossenon Flögein
der einzelnen Stockwerke unterzubringen sein. Selbstverständlich ist auch
die Zuweisung besonders abgetrennter Höfe oder Qärten an die Insassen
der einzelnen Abteilungen ein unbedingtes Erfordernis.
Eine meiner ersten Aufgaben nach Übernahme der Leitung der Kreis-
Pflegeanstalt Hub (damals und auch zur Zeit noch der größten badtschen
Anstalt dieser Art) sah ich in der strengen Durchführung dieses Prinzips,
die natürlich bei den zum Teil recht alten und durchaus nach anderen In-
tentionen errichteten Baulichkeiten auf mannigfaltige Schwierigkeiten stieß.
Daü diese aber nicht unöborwindliche waren, zeigte sich bald. Dieser Um-
stand und noch mehr die mir durch den damaligen hochverdienten Medi*
zinalreferenten im grufSh. Ministerium des Innern Gehotmrat Dr. Battlkhxbr
zuteil werdende Ermutigung veranlagten mich, auf dem einmal nun schon
beschrittenen Wege weiter fortzufahren und noch eine weitere Differenzie-
rung und Scheidung des wohl in selten bunter Mischung vorhandenen
Pflegh'ngsmaterials vorzunehmen.
Auf den Lazarettabteitungen begnügte ich mich nicht dem allge-
meinen Standpunkte Rechnung tragend, mit der Abtrennung der Phthisiker,
der vereinzelt in Behandlung kommenden Krebskranken, der an Lupus und
Tuberkulose Leidenden, sondern ich schied auch die Geisteskranken mit
akzidentellen körperlichen Affektionen von den geistig Gesunden, die schwerer
Erkrankten von den Leicbtkrankeu und Rekonvaleszenten, für welche
letzteren inzwischen auch erfolgreich Umschau nach passender leichter Be-
schäftigung gehalten war.
Auf den Irrenabteilungen (die Kreis-Pflegeanstalt Hub pflegte neben
den anderen Kategorien von Kranken durchschnittlich etwa 450 Geistes-
kranke zu beherbergen, die aber nach längerer Beobachlungsfrtst zum Teil
auf die Arbeiterabteilungen versetzt werden konnten) schied ich nicht nur die
Ruhigen von den zeitweilig Erregten und beide Klassen von den Unrein-
lichen, sondern ich lieb es mir auch angelegen sein, den Kranken mit Be-
einträchtigungsideen von dem hebephrenischen Schwätzer, empfindliche
Naturen von Individuen mit unangenehmen Gewohnheiten und anstößigen
Reden nach Kräften zu trennen. Auch schuf ich för diese ^koloniale Irren-
anstalt im Kleinen* innerhalb der Pflegeanstalt eine Wach- und eine Auf-
nahme- bzw. Beobachtungsstation — Kinrichtungon, die ich sämtlich als durch-
aus erprobt in meinen neuen Wirkungskreis seinerzeit Qbernehmen konnte.
Arbeltsäaaatorien.
51
Nun aber die» Arboiterabteilungon ! Man sollte hier eine detaillierte
Sooderung kaum fOr notwendig halten, und doch ist sie hier vielleicht in
mancher Hinsicht ein noch dringlicheres Krfordernis als bei den Lazarett-
kranken und teilweise auch bei den Irren im engereu Sinue. Im groUen und
ganzen wurden zunüchst unter den Männern die landwirtschaftlichen Arbeiter
von den Handwerkern und irgendwelche Vertrauensposten Bekleidenden und
von den mit leichteren Hantierungen in den Tageräumen Beschäftigten ge-
sondert ; unter den Frauen die in der Wäscherei und BQglerei von den
in der KQche beim Gemüseputzen oder sonst im Anstaltshaushalt Tätigen
und auch von den Näherinnen, Strickerinnen und Flickerinnen. Es war das
zum Teil schon aus dem Grunde notwendig, weil die Belohnungen ebenso
wie die den einzelnen Abtetlungen als solchen konzedierten Rechte und
Freiheiten nicht durch die ganze Anstalt über einen Kamm geschoren
werden konnten. Hierzu kommt, daß sich bei jedem kasernenmäßigen Za-
sammenleben in bekannter Weise eine Art von Solidaritätsgefühl , ja ein
gewisser Korpsgeist einmal zwischen den Stuben- und Seh laf^cenossen, an-
drerseits aber auch zwischen den Berufs- und Arbeitsgenossen ausbildet.
Indem man diesem psychologischen Faktor Rechnung trägt, kann man dann
einmal persönliche Wünsche befriodigon, andrerseits aber auch Konflikten,
die sieh aus dem Zwiespalt der erwähnten GefQhle leicht ergeben, vorbeugen.
Des weiteren konnte im Hinblick auf das vordem erwähnte Motiv gerade
die Anwartschaft auf Versetzung iu eine andere mit größeren Vorrechten
und größerer Freiheit der Bewegung ausgestattete Station als Moment von
nicht zu unterschätzendem erziehlichen Einfluß mit verwertet werden.
Selbstverständlich mußten aber bei einer solchen Verteilung der Pfleg-
linge in gleicher Weise der Charakter und gewisse persönliche Eigentüm-
lichkeiten Berücksichtigung finden, teils aus humanitären QrQnden, teils um
einen Anlaß zu Störungen oder zum Streit aus dem Wege zu räumen. So
wurden disponible kleinere Räume möglichst dazu verwandt, einerseits zu-
grunde gegangene Existenzen aus gebildeten Ständen Unterkunft — wobei
ich übrigens nicht ihren sozialen, sondern ausschließlich ihren restierenden
ästhetischen Gefühlen Rechnung trug — zu gewähren, andrerseits Personen
mit unangenehmen geistigen Eigentümlichkeiten oder mit körperlichen, für
die Umgebung lästigen Gewohnheiten aufzunehmen. Durch ihren Charakter
und ihre schon vielfach erwähnten Eigenschaften geben namentlich die Al-
koholiker, dann aber auch die zum Jähzorn neigenden Epileptiker An-
laß zu Streitigkeiten. Um nicht fortgesetzt solche schlichten zu müssen,
habe ich derartige Kranke vielfach — und, wie sich herausstellte, sehr
passend — mit harmloseren und mehr gutmütigen Imbezillen zusammen
untergebracht, die jene wenigstens nicht durch Kritik oder Widerspruch zu
reizen pflegen. Zu den für die Umgebung lästigen körperlichen Gewohn-
heiten gehört neben der Unsauberkeit beim Essen vor allem das
Schnarchen im Schlaf. Die Einrichtung einer Schnarcherstube z.B., die
ich mir angelegen sein ließ, erregte die gleiche Befriedigung bei den von
den lästigen Schlaf kameraden Betreiten wie bei jenen selbst, da man sie
die nächtliche Ruhestörung verschiedentlich bitter hatte entgelten lassen.
Einige Worte wären vielleicht noch zu sagen über die heute noch
immer für notwendig befundene Klassifikation der Hilfsbedürftigen
vom sog. moralischen Gesichtspunkte aus, für den ja namentlich das
Vorleben oder richtiger das Erfolgen oder Ausbleiben von Konflikten mit
dem Strafgesetz oder der Polizei den Maßstab zu liefern pflegt. In unsere
Zeit scheint mir das nicht mehr recht zu passen. Wenn ich trotzdem es ver-
mied, den früheren Verbrecher zwischen die Leute, die bis in das hohe
Alter ehrsam ihr Brot verdient hatten, ehe sie der Armenpflege anheim-
fielen, eine Dirne zwischen ehrwürdige alte Frauen, die sich wegen Augen-
62
ArbeitssaDatorien.
leidens oder Altersschwäche nicht mehr ernähren konnten, zu placieren, ao
waren auch hier vorwieg:end psychologische und ästhetische Erwägungen der
oben angedeuteten Art maßgebend.
Jedenfalls glaube ich durch diese Darlegung meiner bei der
Verteilung der verschiedenartigen Anstaltsinsassen maßgeben-
den Prinzipien den Eindruck zu hinterlassen, daß ich das Indi-
vidualisieren nicht verschmähe!
Es ist solbatverständlich, daß eine derartige Organisation wie die hier
geschilderte sieb nicht an die einmal statuierten Formen gebunden fühlen
kann und daß sie auch im einzelneu in immerwährendem Fluß belindlich
sein muß, wenn sie richtig funktionieren soll Nicht nur daß die Diagnosen
oft unzuverlässig sind, unter denen die Kranken der Anstalt überwiesen
werden, daß sie teilweise gar nicht in Betracht kommen gegenüber der
Variabilität der im Einzelfalle zutage tretenden Symptome, {gegenüber ihrer
Bewertung nach einer ausschließlich durch die Persönlichkeit als solche
gegebenen Norm — auch der Charakter des Einzelnen ist einem fortwährenden
Wechsel unterworfen. Wir wissen ja, daß alle Lebenserscheinnngen das Pro-
dukt angeborner Eigenschaften und äußererer Einllüase — des Milieus im
weitesten Sinne des Wortes (O. Rosknbach) — sind. Und das Milien ist
eben mit dem Eintritt in die Anstalt ein anderes geworden. Vielfach ist der
Kranke aus den Kreisen, in denen er nichts als Unordnung, planlose Zer-
fahrenheit und ungezügelte Begierden sah, in das ihm zunächst als eine
fremde Welt erscheinende Milieu der Zucht und Gesittung, in das der Arbeit,
der Enthaltsamkeit und des Gehorsams, zugleich aber auch das der Menschen-
liebe und Opferfreudigkeit getreten. Der neue psychische Reiz muß seine
Wirkung entfalten and die Reaktion, die sich in einer Änderung der Per-
sönlichkeit kundgibt, kann nicht ausbleiben. Bald belohnend, bald väterlich
milde strafend, bald aufmanternd, bald dämpfend muß der Arzt einer solchen
Anstalt, der den Platz eines Erziehers seiner Schutzbefohlenen auszufüllen
beabsichtigt, durch immerwährendes Andern und Probieren bei der Verteilung
seiner Patienten, hier durch Zuteilung passender Gefährten, dort durch
Fernhaltung ungünstig wirkender Genossen, in dem einen Fall durch Ver-
setzung auf Versetzung in Abteilungen, die mit größeren Rechten und Frei-
heiten ausgestattet sind, dort, durch Remotion in solche, die strengerer
Aufsicht unterliegen, eingreifen. Aber niemals darf er sich in der Rolle eines
Sittenrichters und bloßen Vorgesetzten gefallen^ sondern er muß es verstehen,
seinen Pfleglingen ein wahrer und, wenn es darauf ankommt, auch ihr ver-
schwiegener Freund zu sein, wenn er ihnen zum Lehrer, zum Erzieher
werden will.
Ein derartiges Individualisieren in dem von mir gekenn-
zeichneten Sinne setzt aber einen Arzt als Leiter der Anstalt
voraus, der ganz in seinem Wirkungskreise aufgeht. Tut er das
nicht, so wird er trotz aller theoretischen und praktischen Vorbildung nie
das erforderliche psychologische Differenzierungsvermßgen für seine Schutz-
befohlenen erwerben, wie auch nie ein Anstaltsarzt im Nebenamte das feine
Gefühl für den Charakter, die Eigenart, die Befähigung des Einzelnen ge-
winnen und somit auch nicht in der Weise und in dem Sinne erfolgreich
wirken wird, wie es mir als — allerdings ideale — Forderung vorschwebt.
Nor jemand, der vollständig und ausschließlich in der Mitte der ihm anver-
trauten Kranken und für sie lebt und webt, dessen Familie selbst sich nicht
scheut, sich unter diese sonst teils verachteten, teils gefürchteten Menschen
zu mischen, dessen Frau und dessen Kinder ihre Freude an der Anstalt,
ihren Insassen und deren Fortschritten haben, diesen persönlich nahetreten,
ihre kleinen und grüßen Leiden und Freuden teilen und so mehr oder
weniger unbewußt zu stillen, aber um so teureren Mitarbeitern des Anstalts-
Arbeitssanatoricn. — Arhovin.
58
Oberhauptes werden — nur der vermag dem ganzen groben Haushalte und
teils unmittelbar, teils mittelbar auf dem Wege über seine Helfer ein cha-
rakteristisches Gepräge im Sinne seiner eigenen erziehlich-therapeutischen
Bestrebungen aufzudrücken f
Als ich zum ersten Male mit der Entwicklang der hier wiedergegebenen
Ideen vor die Öffentlichkeit trat, hatte ich kaum die Hoffnung, daß sich
dieselben in verhältnismäßig so kurzer Zelt realisieren wQrden. Durch das
Entgegenkommen der Heidelberger Kreiaverwaltung ist nun nicht nur jenen
Vorschlägen in der Errichtung der neuen meiner Leitung untergestellten
Anstalt Rechnung getragen^ sondern auch der schon damals von mir aus-
gesprochene Gedanke verwirklicht worden, daß eine Vereinigung beider
Kategorien von Anstalten« der Arbeitssanatorien und der für Arme bestimmten
Werk- und Pflogestätten, im Prinzip nicht ausgeschlossen sein dürfte. Der
Standpunkt, daß eine gemeinsame Verpflegung mit >Armen< für die Mit-
glieder der besitzenden Klassen etwas > Deprimierendes« oder gar »Demo-
ralisierendes< an sich haben müsse, ist nach den heute in meinem Wir-
kungskreis schon bisher gesammelten Erfahrungen als überwunden zu be-
trachten. L^nd wenn ich im Gegensatz zu diesem Vorurteil meiner dahin-
gehenden Erwartung Aasdruck gab, daß man vielleicht nach der Realisierung
meines Projektes kein Bedenken mehr tragen würde« diese Anstalten auch
solchen Patienten der > höheren « Stände zugänglich zu machen , die den
Wert einer im Vereine mit der l'bung in den Tugenden der Enthaltsamkeit
und des Gehorsams verbundenen Arbeitskur gegen die unnatürlichen Reize
des modernen Kulturlebens erkannt haben und die vielleicht auch, ohne durch
ein ausgesprochenes Leiden darauf angewiesen zu sein — also gewisser-
maßen prophylaktisch — zu Ihrer somatischen and geistigen , namentlich
aber moralischen Erfrischung und Kräftigung, zur Wiedererlangung oder
Erhaltung ihres körperlichen oder seelischen Gleichgewichts sich in ein
solches Arbeitssanatorium für kürzere oder längere Zeit zurückzuziehen
wünschen : so zeigt sich auch hier bereits, wenn auch in den ersten An-
fängen, die Bestätigung. Wenn auf diesem Wege etwas zur Milderung
der Standesunterschiede und Klassengegensätze beigetragen wird , so liegt
der Vorteil doch entschieden auf Seiten der nicht besonders mit QlÜcks-
gütern gesegneten Angehörigen der »besseren« Stände, die bei dem bisher
erreichten Niveau der sozialen Fürsorge gegenüber der mehr in die Augen
springenden Bedürftigkeit der »arbeitenden Klasse« eine Berücksichtigung
nicht erfahren konnten. Bacbie.
Arliovin. Arhovin stellt ein Additionsprodakt des Diphenylamlns
and der esterifizierten Thymolbenzoesäure dar. Es ist nach Bcrchard und
ScHLocKüw ') eine Flüssigkeit von aromatischem Gerüche, schwach kühlend-
brennendem Geschmack, besitzt ein spez. Gewicht von 1Ü55, ist in geringem
Maße mit heißen Wasserdämpfen flüchtig, auch an sich beim Erhitzen. In
Wasser löst es sich nicht, doch leicht In Alkohol, Äther, Chloroform. Siede-
punkt 218^ Vom Magen wird es sehr schnell resorbiert und mit dem Harn
gänzlich verändert, in noch unbekannter Form ausgeschieden. Die thera-
peutischen Versuche haben ergeben, daß das Arhovin nach seinem Über-
gang in den Harn denselben stark bakterizid macht und daher einen gün-
stigen Einfluß auf gonorrhoische und cystitische Prozesse ausübt. Alkalischer
Urin wurde in kurzer Zeit sauer. Manassb') sah nach innerem Gebrauch
von dreimal täglich 2 Kapseln ä 0't^5 in 11 Fällen von unkomplizierter
akuter Gonorrhöe in 4 — 23 Tagen die Gonokokken schwinden. Die anti-
septischen Eigenschaften sowie die Öliöslichkeit lassen auch von der äußeren
Anwendung Erfolg erhoffen. Diese äußere Anwendung wurde von J. Straiss *)
geprüft. Das Arhovin zeigte bei chronischer Gonorrhöe, bei Schleimhaut-
54 ^^H^ Arhovid. — Arsenik. 1
katarrben, bei Vaginitis gonorrhoica und bei BartholinttiB eine gute Wirkung.
Es kam in Form von Stäbchen und Qlobuli zur Anwendung, die Stäbchen
enthalten 0 05, die Globuli 0 1 Arhorin. Auch als Verbandmittel kann man
eine mit 5*'/oiger öliger Losung getränkte Qaze anwenden. |
Literatur: ') Bubchahd uud Scrlockow, Med. Wochenöchr., 1903. Nr. 48. — 'l Ma-
MABSE, Arbovin, ein neut*B Auiiffonorrhoicom lUr den InnerHcben nnd änßerUcheD Gebrauch.
Therap. Monatsh., Juli 1904, pag. 36(). — ^ Lkopold SraAuss , Arhovln, ein neuea Anti-
gonorrhoicnm. Prager lued. Wochenschr, Nr. 21. ^. J''rry.
[ AristochlD s. Chinin, Chininpräparate. 1
I Arrhenal, s. Arsenik, pag. 54.
Arsenik wirkt nach Stock.man'm und Charteris *) in kleinen Dosen
derart aaf das Knochenmark, daß die Zahl der Leukozyten steigt, die der
Fettzellen abnimmt, während die Erythrozyten keine nennenswerten
Veränderungen zeigen. Auch im Blute tritt keine Verniehrung der roten
Blutkörperchen oder des Blutfarbstorfes in Erscheinung. Nach grolien Dosen,
welche schwere Vergiftungen mit Kachexie und Ähmagcrnng hervorrufen,
tindet man hyaline Degeneration des Knochenmarks und eine Abnahme
der Erythrozyten und des Blutfarbstoffes. Stuckmann und Chahteris glauben
daher, daß die Heilwirkung des Arseniks bei Malaria, perniziöser Anämie
und Leukämie nicht auf einer Einwirkung auf das Blut oder die blutbil-
denden Organe beruhe^ sondern in einer schädigenden Wirkung auf die im
Körper befindlichen, auch für die beiden letzten Krankheiten von den Autoren
angenommenen Krankheitserregern bestehe. Ahnliche histologische Befunde
konnte Macaggi ^) nach Arsendarreichung (ebenso wie nach Phosphorfütte-
rung) an der Schilddrüse beobachten. Makroskopiach erschien das Organ
narnmi. aber bei schwacher Vergrößerung sah er Injektion der Gefäße und
Vermehrung der kolloiden Substanz. Zuweilen lieLS sich mit stärkeren
Objektiven noch Vergrößerung dt^r Zellkerne und Fettdegeneration der
EpitheÜen nachweisen, die in Fällen langsam verlaufender Vergiftung zu
Atrophie der Epithelzellen führte. Auch Biermacki^), der die angebliche blut-
stillende Wirkung des Arseniks prüfte, fand in Übereinstimmung mit den
Befunden von St(hkmann und Ciiarteris die Erythrozytenzahl im Blute
vermindert und ebenso den Trockenröckstand — bis zur Entwicklung einer
deutlichen Hydrämie — verringert. Biermacki halt deshalb das Arsenik bei
»wirklichen« Anämien für kontraindiziert.
Von den neueren Arsenpräparaten wird von Moller*) das Ato-
xyt (Metaarsensäureanilid) — s. Encyclupäd. Jahrb. ^ N. F., IlL Jahrg., 1904^
pag. 33 — namentlich bei tuberkulösen Spitzenkatarrhen mit Erfolg ange-
wandt. Er reicht es intravenös in lö^u^^^r Lösung, zunächst jeden zweiten,
später jeden dritten Tag Ul^. Auch andere Krankheiten, wie Hysterie,
Neurasthenie, Epilepsie, Psoriasis wurden günstig beeinflußt.
Aach Arrhenal wird von Dalla Vbcchia^) gelobt, der es namentlich
in der Kindorpraxis anwandte.
Mit dem neuen arsenhaltigen Wasser von Val Sinistra im
Unter-Engadin sind von Hexiis**) im Frankfurter Krankenhnuse (v. Noorhen)
Versuche angestellt worden. Dasselbe steht Im Arsengehalte zwischen der
Quberquelle und dem Levico-Schwachwasser und enthält 0001 g Acid. arsen.
in 2'2l cfit^. Der Geschmack ist angenehm prickelnd und säuerlich und wird
als erfrischendes Getränk gern genommen. Hemus begann mit 200 cm^ und
stieg schnell auf 700 c/»^ als Tagesgabe, mit denen also '^11 wg Arsenik
eingeführt wurden. Dann wnrde langsam mit der Gabe herahgegangen. Ge-
naue Blut- und Stoffwechseluntersochungen an Chlorotischen, Anämischen
Arsenik. — Arteriosklerose.
55
und einen] Falle von Leukämie erf^aben einen starken Einfloß des Wassers
auf Blutregreneration und Stoffwechsel.
Einen P^all von Arsenikvergift unjtr nach Atoxylgebraucb be-
schreibt BdRNKMANN. •) Das Präparat wurde lange Zeit« ca. H Monate hin-
durch gegen Liehen ruber angewandt, und zwar in 20'*/oiger Lösung sub-
kutan, zunächst '/] ciii\ später Hteigend bis auf 2 cw^ pro dosi. Uie Injek-
tionen geschahen mit kurzen Unterbrechungen 2— 3mal wöchentlich. Im
ganzen wurden in dieser Zeit 21 g Atoxyl injiziert. Die Vergiftungserscbei-
nungen waren neben vorübergehenden enteritischen Symptomen im wesent-
lichen eine fast vollkommene Amaurose auf beiden Augen, welche, wie
die Untersuchung des Augenhintergrundes ergab, auf einer beiderseitigen
Opticusatrophie beruhte. Dieselbe nahm auch nach Aussetzen der Atoxyl-
therapie noch zu, so daß schließlich fast voltständige Erblindung eintrat.
Gerichtsärztlich von Interesse ist der Befund von Arsenik in dem als
Arsengegenmittel vielfach verwandten Magnesiumoxyd bzw. Magnesium-
hydrat. Strzyzowski *) fand in 26 unter 41 von ihm untersuchten Proben
Ol— 5*0///^ Arsenik in 100^' Pulver.
r
Literatur: ^) Stoosuahn nad CHi.KTeHitif Tho Jonrn. of palhol. and bacteriol., Mai
1903. — *) Macjiooi , Kiforma med., 1904, Nr. 32. — *i Bieuiacki , Wientr med. Wochen-
MbrUt, 1904, Nr. 26 a. 27. — *j Moii.ni, Wiener klln.-tht'rap. Wochenschr., 1904, Nr. 9. —
*) Dalla Vecohia , Qazz. degli OHpedali, 1904, Nr. 13- — *) M. Hkxius, Deutsche med.
Wocbenscbr, 1904, Nr. *^6. — ^) W. Bokükmaivii, MUnchener med. WocheD»chr.. 1905, Nr. 22.
— *) Bteztzowski, ebenda, 1904, Nr. 23. Kionkn.
Arteriosklerose« Über die Arteriosklerose ist in den letzten
Jahren außerordentlich viel geschrieben worden, es sind zahlreiche Einzel-
publikationen und eine Reihe von Monographien erschienen. Es scheint, daß
unsere Anschauungen über Pathogenese, pathologische Anatomie, Klinik und
Therapie dieser Alfektion in vielen Richtungen einer nicht unerheblichen
Kodifikation entgegen gehen. Es muß indessen gesagt werden, daß Über
die Mehrzahl der strittigen Punkte noch keine Einigung erzielt ist und daß
die Diskussion Ober zahlreiche Fragen noch schwebt.
Von einer ausführlichen Darstellung des Gegenstandes muß deshalb
an dieser Stelle abgesehen werden und es sollen nur in Kürze die Resultate
einiger neueren Forschungen, die allgemeines Interesse haben, besprochen
werden.
Die Auffassung der Arteriosklerose als Alterserkrankung ist in der
letzten Zeit ganz zurückgetreten. Sie wird im allgemeinen als eine Ab-
nutzungskrankheit aufgefaßt. Nicht nur körperliche Arbeit, sondern auch
anstrengende geistige Tätigkeit vermag sie vorzeitig herbeizuführen. Ki.Eu-
PERHR nennt sie >die moderne Abhetzungskrankheit-«. Eine wichtige Rolle
spielt nach ED(iREi\ die syphilitische Infektion, eine Ansicht, die wohl nicht
allgemeine Anerkennung gefunden hat Alkoholmißbrauch sowie Heredität
sind andere wichtige Faktoren. Die Rolle der akuten Infektionskrankheiten
bezeichnet Ed(iHEN als sehr gering, während neuerdings FrÄnkki., insbesondere
nach Influenza ausgesprochene Arteriosklerose sich entwickeln sah.
Auffällig ist^ daß in der letzten Zeit die Arteriosklerose sehr häufig
auch bei jüngeren Individuen angetroffen worden ist. Selbst bei Kindern ist
sie beschrieben worden. Einer eingehenden Kritik halten allerdings nicht
alle mitgeteilten Fälle stand und so glaubt z. ß. A. Fr.\\'kel, daß in vielen
dieser Fälle ganz andersartige Gefäßerkrankungen vorgelegen haben, v. Sim-
MTZKE dagegen behauptet, daß die arteriosklerotischen Prozesse in iugond-
lichem Alter keine Seltenheit seien. Er konnte in 'llh^U A^l^r Individuen
unter '2h Jahren , die er untersucht hat, arteriosklerotische Veränderungen
56
Arterioskleroäti.
der Aorta finden. Nach seiner Ansicht spielen in solchen Fällen Infektions-
krankheiten die wichtiß:ste Rolle.
Unsere noch manf^elhaften Kenntnisse Ober Ätiologie und Pathop^eneae
der Arteriosklerose werden vielleicht dadurch bald eine Erweiterung er-
fahreOf daU es gelungen ist, die Arteriosklerose eipcrimentell zu erzeugen.
Zuerst hat JosuE bei Kaninchen durch einige Wochen hindurch fortgesetzte
Injektion von Adrenalinldsung In die Ohrvenen Arteriosklerose hervorge-
rufen. Ob dieselbe durch die drucksteigernde Wirkung dieser Substanz oder
durch eine andere toxische Eigenschaft des Adrenalins zu erklären ist, hat
Ludwig BRArN zu entscheiden versucht. Er hat die Versuche Josues nach-
gemacht, injizierte aber^ um eine Blutdruckerhöhung: auBzuschalten, Adrenalin
stets in Kombination mit Amylnitrit. Obwohl au! diese Weise eine Blut-
drucksteigerung ausg-eschaltet war, entstand doch eine Arteriosklerose, ein
Ergebnis , welches dafür spricht , daU die Blutdrucksteigerung nicht das
wesentliche Moment bei der Entstehung dieser Erkrankung ist. Braux glaubt,
daß seine Versuche lehren, daß die Anwendung blutdruckherabsetzender Ein-
griffe niemals den arteriosklerotischen Prozeß selbst beeinflußt, sondern nur
symptomatisch wirkt.
Auch Erb jun. hat gemeinsam mit NiasL Adrenalininjektionen bei Ka-
ninchen gemacht. Es worden täglich '6 Tropfen einer Lösung von 1 : 1000
in eine Ohrveno eingeHpritzt. Bei der Obduktion der nach 6 Wochen ge-
töteten Tiere fand man in den Arterien diffuse buckelfSrmige Verdickungen
oder kleine Ausbuchtungen. Bei einem Tiere wurde ein Aneurysma der Aorta
erzeugt, ein anderes zeigte einen apoplektischen Herd im Qehirn. Nach
Marchand lassen sich diese Veränderungen aber nicht ohne weiteres mit
denen der menschlichen Arteriosklerose auf eine Stufe stellen, weil bei den
ERBschen Präparaten die Intima itnmer intakt war.
Nach Marcham) ist die Arteriosklerose als Gesamtheit aller derjenigen
Veränderungen zu definieren, die zu einer diffusen oder knotigen Verdickung
der Wand föhren. Der primäre Prozeß besteht In Degenerationen in Form
von Verfettungen und Zerfall, der sekundäre in schrumpfender Bindegewebs-
bildung (Sklerosierung) und Verkalkung. Während nach den bekannten
Untersuchungen Thomas^ die Erkrankung in der Media beginnt, ist nach
Marchand die Intima Sitz der ersten Veränderungen, die in Verfettungen
derselben und Schädigung der elastischen Fasern bestehen. Die Lamellen
zerfallen körnig, es kommt zu Bindegewebswucherung, knotiger Verdickung
der Intima, Dehnung der Gefäßwand.
Da also die Bezeichnung »Sklerose« nicht das eigentliche Wesen des
anatomischen Prozesses wiedergibt, empfiehlt MarchAxVü statt Arterio-
sklerose für den ÜesamtpruzeÜ i^atheromatöse Entartung und Arteriosklerose)
Atherosklerose oder Skleroatheroee zu sagen.
AIh noch immer nicht genügend aufgeklärt muß die Frage nach dem
Vorkommen und der Bedeutung der arteriellen Drucksteigerung gelten. Die
größte Bedeutung mißt ihr von neueren Autoren Edgre.n bei. Nach ihm ist
dieselbe eines der frühesten und am meisten konstanten Symptome. Wie
v. Basc'H ist auch er der Ansicht, daß der eigentlichen Sklerose ein Stadium
der arteriellen Drucksteigerung vorangeht, das als latente Arteriosklerose
(Angiorhigosis) bezeichnet werden kann. Schon in diesem präsklerotischen
Stadium muß die ärztliche Therapie eingreifen, hier können noch, da ana-
tomische Veränderungen fehlen, nennenswerte und dauernde Erfolge erzielt
werden. Im Gegensatz hierzu meint Romberg, daß in fast 90% der unkom-
plizierten Pralle der arterielle Blutdruck eine normale Höhe aufweist und daß
etwaige Drucksteigerungen bei unkomplizierter Arteriosklerose gering sind.
Nach Grödel erweckt hoher Blutdruck stets Verdacht auf Arterio-
sklerose, ohne daß aber alle Fälle dieser Erkrankung notwendigerweise mit
A rterioskltf rose.
57
erhöhtem Blutdruck verlaufen mQßten. Das ist nur dann stetB die Re^el.
wenn gfleichzeitig Schrampfnioro besteht.
Die zuverlässigäte Methode, den Blutdruck, zu bestlmment Ist natür-
lich die mit zweckentsprechenden Apparaten. VVelcheu dieser Instrumente
der Vorzu{^ zu geben ist. darüber bestehen große Differenzen.
Die divergierenden Angaben Ober den Blutdruck bei Arteriosklerose
beruhen nach STKASSbL'U(;RH darauf, daß gewöhnlich zwischen systolischem
und diastolischem Blutdruck nicht unterBchieden wird. Er konnte zeigen,
daß es mit dem Instrument von Hiva-Rocci gelingt, neben dem systolischen
aach den diastolischen Druck zu messen ; ähnliche Untersuchungen liegen
von Dehio vor. Worauf es ankommt, ist die Feststellung des mittleren
arttTtellen Blutdruckes, der ja für die Blutbewegung maßgebend ist. Aus
der Diskussion über diesen Gegenstand auf dem 21. Kongreß für innere
Medizin gewinnt man jedenfalls den Eindruck^ daß ein endgültiges Urteil
aber den Wert der Blutdruckmessung bei der Arteriosklerose erst möglich
sein wird, wenn weitere Untersuchungen mit den vervollkommneten Methoden
von Strassbi'RGkr nnd Dkhio vorliegen.
Mit dem Blutdruck im Zusammenhang steht das Verhalten des Herzens.
Eine Hypertrophie des linken Ventrikels galt früher als fast regelmäßiges
Symptom der Arteriosklerose. Schhöttkr sagt darüber ; »Im allgemeinen
sind alle Autoren darin einig, daß die Arteriosklerose, eninprochond ausge-
bildet, zu einer Hypertrophie des linken Ventrikels führt. Dies Ist in einer
so großen Zahl von Beobachtungen nachgewiesen, daß an der Richtigkeit
derselben nicht gezweifelt werden kann.« Ähnlich drückt sich Edgkgn ans.
Dagegen sagt Rmmuhrg : »Im Körperkreislauf führt die Arteriosklerose meist
zu keiner Vermehrung des Widerstandes für die linke Kammer, weil scheinbar
niemals alle Gefäßgebiete erkranken. Eine mäßige, durch Wägung nach-
weisbare Hypertrophie des linken Ventrikels findet sich nur bei hochgradiger
Sklerose der Splanchnikusarterien oder der Aorta, falls die letztere nicht
aneurysmatisch erweitert ist (H.\SE:NKKLn, C. Hirsch).« Dagegen sagt wieder
Marchand: »Die Arteriosklerose Ist nicht selten von Hypertrophie des linken
Ventrikels begleitet, als Folge von allgemeiner Vermehrung der Zirkulations-
widerstände, besonders durch Vermittlung von Nierenschrnmpfung. Die Be-
deutung der Arterioklerose der Sptanchmkusgeläße für die Entstehung der
Herzhypertrophie (Rombf.rg, Hask.vkeld, HmscH) ist überschätzt worden.« Eine
Einigung ist also auch über diesen Punkt nicht erzielt.
Die klinischen Symptome, welche die Arteriosklerose einzelner Organe
hervorbringt, ist in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand von Unter-
snchungen gewesen und es hat sich auf diesem Gebiete manches Neue ergeben.
An erster Stelle sei hier auf das intermittierende Hinken (Claudication
intermittente) hingewiesen, welches beim Menschen zuerst von Charcot im
Jahre 1858 schon beschrieben worden ist, nachdem es bereits im Jahre 1831
von Tierärzten bei Pferden beschrieben worden war. Indessen ist dieser
interessannte Symptomenkomplex trotz einer Reihe aasführlicher Mitteilungen
darüber, insbesondere von Erb, vielleicht auch heute noch nicht Gemeingut
der Arzte geworden. Die hieran leiderden Patienten klagen darüber, daß
sich beim Gehen in einem oder in beiden Beinen nach einiger Zeit heftige
Schmerzen einstellen, zugleich mit Taubheitsgefflbl und vasomotorischen
Störungen, wie Kältegefühl, Blässe, Cyanose. In der Ruhe verschwinden die
Beschwerden ganz, um nach neuen Anstrengungen wieder aufzutreten. Die
Ursache für diese Erscheinung ist in einer vorgeschrittenen Arteriosklerose
der Gefässe der unteren Extremitäten zu sehen, in erster Linie der Arterien
des Fußes. In manchen Fällen läßt sich nur eine starke Schlängelung und
Verhärtung derselben konstatieren, in anderen eine nur schwache Pulsation.
Die Mehrzahl der Fälle endlich ist charakterisiert durch gänzliches Fehlen
58
Arteriosklerose.
des Palses. In der Ätiologie spielen besonders häufige Kälteeinwirkan^en
eine große Rolle, womit es wohl zusammenhängt, daß die Mehrzahl dieser
Patienten russischer Xationalität sind. Auch eine neuropathische Konstitution
soll eine große Rolle spielen. Oppenheim bat festgestellt, daß es eine gut-
artige, nicht auf Arteriosklerose, sondern auf spastischen QefSßaffektionen
beruhende Form des intermlttierendeD Hinkens gibt ohne materielle Er-
krankung der Gefäßwand. Auch Ebb hat schon Fälle ohne nachweisbare
Arteriosklerose beschrieben.
Von besonderem Interesse ist es, daß auch solche Zustände an den
oberen P^xtremitäten vorkommen. Einen hierher gehörigen Fall hat zuerst
Nothnagel mitgeteilt: bei eir^m 26i}ihrigen Mädchen traten zeitweise, be-
sonders beim Arbeiten schwere Ermödung, Schmerzen und Parästhesien
beider Hände und der Finger ein, während nach einer Ruhepause die Arbeits-
fähigkeit wieder hergestellt war. An den Radial- und Axillararterien war
keine Pulsation zu fühlen. Einen ähnlichen Fall hat Schreier beschrieben:
Eine 30jährige Frau litt zeitweise an Schwere im ganzen rechten Arm sowie
Ziehen und Spannen in den Fingern sowie Parästhesien im Medianusgebiet.
Beiderseits war die Arteria radialis nicht zu palpieren.
Das Symptonienbild, welches die Arteriosklerose des Qehirns hervor-
bringt, ist abhängig von der Schwere der Veränderungen und der Lokali-
sation des Prozesses. Zu welchen Ausfallserscheinungen es dabei kommt^
ist ja langst bekannt. Man ist aber neuerdings auch auf eine Reibe von
Allgemeinerscheinungen nervöser Art aufmerksam geworden, deren Ursache
in einer beginnenden Arteriosklerose der Gehirngetäße zu suchen ist.
Charakteristisch sind nach Windscheip folgende Erscheinungen : Bei geistig
arbeitenden Leuten stellt sich ein Zustand mangelnder Produktfonsfähigkeit,
einer gewissen geistigen Sterilität ein. Es macht sich eine leichte Ermüd-
barkeit bemerkbar, erst dann pflegen bei körperlich Arbeitenden als erste
Erscheinungen sich Kopfschmerz, Schwindel und Gedächtnisschwäche ein-
zustellen. Auch Intoleranz gegen Alkohol wird als Symptom erwähnt. Die
infolge der modernen Arbeiterversicherungsgesetzgebung mehr als früher
gepflegte Beobachtung Unfallverletzter hat unter anderem zu dem inter-
essanten Resultat gefOhrt, daß die Symptome der Arteriosklerose der Hirn-
gefäße nach Schädeltraunien sich sehr häufig entwickelt. Man muß in diesen
Fällen annehmen, daß das Trauma nicht die Ursache der Oefäßverändernng
war, sondern daß dieselbe schon früher bestand, ohne Symptome zu machen,
und daß die erlittene Kopfverletzung nur verschlimmernd auf dieselbe ein-
gewirkt hat. Die Diagnose: Arteriosklerose der Hirngeffiße wird im Einzel-
falle unter Umständen sehr schwierig sein. Das gilt besonders für die
Differentialdiagnose zwischen dieser Gefäßerkrankung und einer Neurasthenie,
wenn es sich um jugendlichere Individuen handelt. Die Erfahrung hat gelehrt,
daß gerade Qehirnarteriosklerose in ziemlich hohem Grade entwickelt sein
kann, ohne daß sich durch Palpation der fühlbaren Schlagadern oder sonstige
Symptome die Diagnose Arteriosklerose stellen läßt
Thoma hat den Rat gegeben, in allen solchen Fällen darauf zu achten,
ob die Gefäße des Augenhintergrundes geschlängelt verlauten, weil gerade
durch den Augenspiegel sich sehr häufig die Frühdiagnose stellen läßt.
Weitere klinische Befunde über die Häufigkeit des Vorkommens von nach-
weisbaren Schlängelungen der Netzhautgeffiße, speziell bei Arteriosklerose
des Gehirns, liegen bisher noch nicht vor. Nur Sänger meint, daß die Arterio-
sklerose der Netzhautgefäße es wahrscheinlicher macht, daß eine Sklerose
der Hirngefäße bestehe.
Daß eine isolierte Arteriosklerose der Splanchnikusgefäße ziemlich
häufig vorkommt, ist bereits durch Hasenfeld auf Grund anatomischer
Untersuchungen nachgewiesen worden. Aber die genauere Kenntnis des
Arteriosklerose.
59
Symptoaieabildes arteriosklerotischer Prozesse des Intestinaltraktaa ver-
danken wir erst neueren kasuistischen Mitteitunfcen, die allerdin^rs noch
spärlich an der Zahl sind, so dab wir erst im Anfang unseres Wissens
Aber diese ErkraDkungsfornien sind. Daher ist auch die Dia^ose solcher
PfiUe vorläufig noch schwierig und unsicher. Das Auftreten heftiger Anfälle
von Schmerzen in der Magengegend mit Übelkeit und Erbrechen, bisweilen
sogar Hluterbrechen bei Leuten mit Arteriosklerose i^t von Rf hlk, KDtiUßN,
Markwalo, Necssku beschrieben worden. Nach der Auffassung von Mark-
WALD handelt es sich dabei um ischämische Schmerzen, die ebenso wie das
intermittierende Hinken durch einen anfallsweise auftretenden Qefaßkrampf
verursacht werden. Die Diagnose ist dann leicht, wenn Arteriosklerose nach-
weisbar und andere Störungen auf dieser Grundlage, wie z. B. stenokardiRche
Anfälle bestehen und Zeichen eines organischen Magen- oder Darmleidena fehlen.
Ahnliche, wohl auf Arteriosklerose zurQckzufOhrende Affektionen des
Darmes sind von Hasexfkld, Moritz, Schnit/.ler, Breikk, Ortxkr be-
beschrieben worden. Das Symptomenbild war folgendes: Im Anschluti an
die Nahrungsaufnahme oder aber bisweilen auch unabhängig von derselben
traten krampfartige Schmerzen im Bauche, meist in der Umgebung des
Nabels aaf. Im Falle Ortners entwickelte sich 2 — 3 Standen nach der Mahlzeit
eine starke sichtbare Blähung des Dünndarms und des Kolons mit Dyspnoe
und Cyanose verbunden, zu der sich bisweilen auch schmerzhafte Sensationen
im Leibe gesellten. In vielen dieser Fälle wurde bei der Obduktion keine andere
Ursache für die Krankheitserscheinungen gefunden, als eine Sklerose der Darm-
arterien. Ortner, der alle diese Fälle einer kritischen Betrachtung unterzogen
bat, glaubt, daß die mehrfach gefundenen Thrombosen nur von sekundärer
Bedeutung sind und meint, ebenso wie Sch.mtzler und Breukr, daß die Ar-
terlenwanderkrankung allein genüge, um den Symptomenkotnplex zu erklären,
Dafür spricht besonders auch die lange Dauer der Erkrankung (vier
bis ffinf Jahre in manchen Fällen). Die in dem von ihm mitgeteilten Fall
beobachteten Erscheinungen ^ wo auf der Muhe der Verdauung eine zu
Meteorismus führende Darmlähmung infolge Ischämie eintrat, nennt Ortxrr
• intermittierendes Hinken des Darms«, um die Analogie mit der Claudikation
intermittente hervorzuheben, schlägt aber als wissenschaftliche Bezeichnung
für diesen, auf Arteriosklerose beruhenden Symptomenkomplex den Namen
»Dyspragia intermittens angiosclerotica« vor, gleichviel an welchem Organ
es sich abspielt.
BiTCH beschreibt das arteriosklerotische Leibweh folgendermaßen : Bei
Lenten meist zwischen 40 und 50 Jahren stellen sich Anfälle von heftigem
Leibweh ein, die in der Gegend des Nabels lokalisiert werden. Ihre Dauer
beträgt wenige Minuten bis '/^ Stunde, meist treten sie mohrfach am Tage
auf. Körperliche Anstrengungen. Gemütsbewegungen und bisweilen Obergang
in die horizontale Lage sind gewöhnlich die unmittelbaren Veranlassungen
dieser Attacken. Bekanntlich werden stenokardische Anfälle durch die gleichen
Ursachen ausgelost. Es lassen sich bei solchen Kranken stets Symptome
zweifelloser Arteriosklerose nachweisen, oft treten die Anfälle im Verein mit
Stenokardischen auf. Bl'ch konnte in seinen Fällen eine Drockempfindlichkeit
des Lendensympathicus nachweisen und (st der Ansicht, daß in diesem mit
Einschluß der prävertebralen Geflechte, des Plexus coeliacus, aorticus und
bypogastricus der Sitz des Schmerzes ist, daß also das arteriosklerotische
Leibweh eine Neuralgie des Lendensympathicus ist. Dali es im Anschluli an
die arteriosklerotischen Veränderungen der Abdominalgefäße zu entzQndlithen
Prozessen der Nervengeflecbte kommen kann, liegt ja auf der Hand.
Auch eine periodische Funkttonabehinderung der Retina, beruhend auf
einem Krampf ihrer Gefäße auf arteriosklerotischer Basis, ist von Waüen-
MAN\ (zitiert nach Ortxer) beschrieben worden : Die Beobachtung betrifft
60
Arteriosklerose.
einen tiSjähri^en Mann, bei dem anfallsweise Verdunklung des rechten Auges
auftrat Mit dem Augenspiegel konnte festgestellt werden, daß während
des Anfalles durch Kontraktion der Gefäße die Zirkulation der Netzhaut
so gut wie ganz unterbrochen war.
Auch Beziehungen der Arteriosklerose zum Diabetes sind aufgefunden
worden. Zuerst haben Kleiner und v. Nciordbn die Vermutung geäußert,
daß in vielen Fällen Diabetes mit einer Arteriosklerose der Pankreasgefäße
in Zusammonhanß: steht. Fi.binkh Hpeziell will wiederholt die Pankreasgefäße
bei Diabetes arteriosklerotisch gefunden haben. Die ersten eingehenden
Untersuchungen über diese Frage rühren von Hoppe-Sbylkr her. Er hat in
16 Fällen eine Arteriosklerose der Pankreasgefaße feststellen können. Von
diesen bestand in sechs eine ausgesprochene Glykosurie. Nach seinen Unter-
suchungen treten im Anschluß an die Gefäßerkrankung Bindegewebs-
Wucherungen und Schrumpfungen auf, welche die Acini zum Schwund bringen
und auch die LANGKRH.wsschen Inseln In Mitleidenschaft ziehen.
Eine Reihe physikalischer und diätetiHchor Methoden hat neuerdings in
höherem Maße als früher Eingang In die Therapie der Arteriosklerose ge-
funden. In erster Linie ist da die Milchdiät zu nennen. In reichlichem Maße
neben anderer zweckentsprechender Nahrung wird Zugabe größerer Mengen
von Milch zu zweckentsprechender Kost last von allen Autoren einstimmig
empfohlen. Einer absoluten Mik*hdiät spricht besonders Eoimf.x dann das
Wort, wenn Zeichen von Herzinsuffizienz auftreten. Er empfiehlt für solche
Fälle Bettruhe und täglich rö bis 2 Liter Milch. Meist sind nach einer Woche
die wesentlichsten bedrohlichen Symptome geschwunden > man kann dann
mit der täglichen Menge hcrabgehen und allmählich wieder zur früheren
Kost zurückkehren.
Auch SchkOttbk ist für solche Fälle von Herzinsuffizienz warmer
Anhänger einer systematischen Milchkur. Er läßt mit einigen Litern täglich
anfangen und steigt allmähtich auf '^ — 4 Liter. Die Kur wird mindestens
8 — 10 Tage lang fortgesetzt und man läßt dann eine Pause eintreten, in
welcher keine Milch, sondern nur gemischte Kost verabreicht wird. Unter
Umständen muß man dann mehrere solcher Perioden der Milchdiät wieder-
holen. RiTMPP ist ein Gegner der Milchdiät, weil nach seinen Versuchen
durch dieselbe dem KCrper viel Kalk zugeführt wird, der nicht ganz zur
Ausscheidung kommt und infolgedessen von Einfluß anf die Ablagerung in
den Geweben, insbesondere in den Gefäßen sein konnte. Er hat einen kalkarmen
Speisezettel für Arteriosklerotiker zusammengestellt, der zehnmal weniger
Kalksalze enthält als die Milch. Derselbe besteht aus 5:^ ^Fleisch, 100^ Brot,
100^ Fisch, 100^ Kartoffeln und 100^ Apfel. Um die diuretische Wirkung der
Milcb zu ersetzen, empfiehlt er als geeignetes Mittel nülcbsaures Natron.
Die Bäderbehandlung wird vielfach empfohlen, namentlich haben sich
die kohlensauren Bäder, welche durch ihre reizende Einwirkung auf die
Haut eine Dilatation der Gefäße derselben bewirken und dadurch eine
Herabsetzung des erhöhten arteriellen Druckes herbeiführen, viele Anhänger
erworben. Gewöhnliche warme oder salzige Bäder wirken nicht in dem Grade
blutdruckherabsetzend. Selbstverständlich sind kalte Bader, die ]a eine Kon-
traktion der Haulgefäße erzeugen, durchaus kontraindiziert.
Was die medikamentöse Behandlung anbetrifft, so läßt sich bezüglich
der einzelnen Komplikationen nicht viel Neues sagen. Dasjenige Präparat,
welches sozusagen als Spezifikum am meisten angewendet worden ist und
noch wird, ist das Jod, das am wärmsten von HurHARD empfohlen worden
ist HrcKARU und Eloy sowie See und LAricyi'E haben gezeigt, daß die
Jodpräparate den Blutdruck erniedrigen.
Jodkalium und Jodnatrium sind die gebräuchlichsten Präparate, von
welchen letzteres wohl zurzeit am meisten angewandt wird. Kleist hat vor*
Arteriosklerose,
61
geschlafen, das Jod in Form von Jodvasogen in 6%iger LSsung innerlich
dreimal täglich 8 — 12 Tropfen zu verabreichen, während RrHEMA.w die jod-
saueren Verbindungen empfiehlt.
Neuerdings sind aber die Angaben Ober die blutdruckherabsetzenden
Eigenschaften des Jods bestritten worden^ so wollen Böhm und Bekg,
sowie Stgckman'x und Chaktrris gefunden haben . daß dem Jodkalinm
keine gefäßerweiternden Eigenschaften zukommen. Eine wissenschaftliche
Grundlage fehlte also eigentlich bisher der Jodtherapie bei der Arterio-
sklerose. Das hat sich aber inzwischen geändert. Ottkkikk Mfi.i.KK und
Ryokichi In'^da sind Über die Ursache der günstigen Wirkung des Jods bei
der Arteriosklerose zu Anschauungen gekommen, welche beweisen, daü der
Einfluß dieses Mittels ganz anderer Natur ist, als man bisher annahm. Nach
ihren Versuchen beruht die Jodwirkung in erster Linie darauf, daß die
Viskosität des Blutes abnimmt. Der infolge der arteriosklerotischen Wand-
Veränderungen verlangsamte Blutstrom wird durch Herabsetzung der Dick-
flüssigkeit des Blutes ein schnellerer. Daher ist namentlich In beginnenden
Fällen, wo es noch nicht zu anatomischen I^äsionen gekommen, sondern wo
nur die schlechte Blutversorgnng der Organe Ursache funktioneller Störungen
ist, der Effekt der Jodbohandtung oft ein sehr Oberraschendor. Kiilenmbvkk,
der die Jodwirkung besonders bei beginnender Sklerose der Himarterien
lobt, warnt davor, während der Kur saure Speisen und Getränke zu ge-
nießen. Er gibt immer Jodkaliam und Jodnatrium zusammen und verab-
reicht es nicht in Milch, sondern in alkalischen Wässern, etwa F'acbinger
oder Rhenser. Er fängt mit kleinen Dosen an und geht langsam > ein-
schleichend« zu höheren über Rombekg empfiehlt» nicht mehr als dreimal
täglich 0*5>r Jodkali zu geben, aber mit viel kleineren Dosen an?:ufangen.
Gegen die ischämischen Anfälle (Stenokardie, arteriosklerotisches Lelbweh)
ist von Brkieh Diuretin (4;.'' prn die), Theobromin (1*5^ pro die) und auch
Strophantus warm empfohlen worden.
Ganz neue, gegen Arteriusklerose empfohlene Mittel sind das Trunb-
CRKsche anorganische Serum und Natthrers Anttsklerosin, über die aber
noch außerordentlich wenig Erfahrungen vorliegen. Das TRU.VKCEKsche
anorganische Serum hat folgende Zusammensetzung : Natr. sulf. 0'44^r, Natr.
chlor. 4'92^, Natr. phosph. Ol 5^, Natr. carbon. 0*21^, Kai. sulf. 0*4^, Aq. dest.
ad lOO'O. Hiervon wird alle 1 oder 2 Tage 1 — 1 cm^ subkutan iniiziert.
Truxkcf.k ging bei der Herstellung desselben von der Voraussetzung
aus, daß die Kalkablagerungen bei der Arteriosklerose in Kochsalz, phosphor-
saurem Natron und phosphorsaurer Magnesia löslich sind, daß aber das Blut-
serum von diesen Salzen nur sehr minimale Mengen enthält; deswegen
stellte er obige Lösung her, welche das zehnfache Quantum als die Blut-
lösung von diesen Salzen enthält und glaubt, daß die Einverleibung desselben
zur Lösung der abgelagerten Kalksalze beitragen könnte.
Eine feste, per os einzunehmende Form des TRUNECBKschen Serums
sind die von NAXTERER-Mönchen hergestellten Antisklerosintabletten, von
denen man täglich 2 — 8mal 2 Stock gibt. 25 dieser Tabletten enthalten:
Natr. chlor. 10*0, Natr. sulf. 10, Natr. carbon. 04, Natr. phoaph. 0-ä, Magn.
phosph. 0*5, Calc. glycerin. phosph. 03. 2 Tabletten sollen Xbcm^ Tri.nbcek-
schem Serum entsprechen.
Literatur: Edobich, Die Arteriosklerose. L/elpzig 1808. — ScBRörm, Die Krankheiten
der Oefnße. NoravAaEL, XV; VcrhandliiDgen dcR 21. Kongressea für Innere Medizin In Leipzig.
18.— 21. April 1904; DiskuHsion Über Arteriosklerose. — Wivdscubid, Die Beziehan^en der
Arterioaklerose za Gehirnerkrankungen. Münchener noetl. Wochenaohr, 1902, Nr. 9. — Tbu-
XEOKK, Semaine müd., 24. April 1901. Traitenient de rarteno-sd^roae par les injectiona bouh-
cataneefl da serum inorf^anique. — Maukwalu, Ctier liichämi»)che Schmerzen. Zeitschr. f. priik-
tische Arzte, 1900, Nr. 3. — Neubku, Zur Syiuptomatolo^e gastrointestinnler Störungen hei
Arterie 8 kl e rose. Wiener kiin. Wochenschr.. 19<J2, Nr. '6X. — Obtsbr , Zur Klinik der Anjfio»
«2
Arteriosklerose. — Atmung des Säuglings.
sklernsc der Baucharter!t*n. Leipzig 1Ü03 — Bucb, Das arterioäklerotische Leibweh. Arch. l.
YcrdannngHkrankh. 1904. — ZgArski. Antiaklerosin bei Arterioskleros«. Rep. d. prakt. M«d.,
1904, Nr. 7. — Goloscbhidt, Dentacbe Praxis, 1903, Nr. 19. Bsas HirscbMd.
Aspirin« Bei der aasgedehnten Anwendung: des Aspirins, der Azetyl-
salizylsäure HJnd neben lobenden Berichten aucb Klajzren Ober Nebenwirkungen
dieses Salizylpräparates nicht ausgeblieben. Wie schon früher erwähnt (En-
cyclopädische .lahrbQcher, N. F. , III. Jahrg., 1905, pag. 32), bestehen diese
hauptsächlich in Exanthemen, wie man sie nach jeder Salizyltherapie sehen
kann. Ein bläschenfürmiges Exanthem an den Fingern und am Präputium
sah Freuxü '), eine puppenkopiruruiigo Ausbreitung eine» Auaschlages beob-
achtete Eberson. '-') Auch Jacobaki's^), der sich im allgemeinen sehr lobend
Über das Aspirin äußert, konstatierte stark juckende Ausschläge. Immerhin
sah er seltener Intoxikationser&cheinungen als nach Natrium aalicylicum.
Das Aspirin hat nach RiHtiMANX*) auf einem Gebiet sehr Segensreiches ge-
leistet, auf welchem die Therapie Öfters recht schwierig ist und ein Em-
greifen dringend geboten ist, nämlich bei der symptomatischen Behandlung
inoperabler Karzinome. Hcfikmann berichtet Über b Fälle, in denen mit Hilfe
des Aspirins niemals Morphiuoifnjektionen nGUg wurden. Kr sah nach viel-
monattichem Gebrauch niemals Gew<Jlinung an das Mittel, noch Übte Neben-
wirkungen. Angewendet hat er das Mittel in abendlicher Einzeldose von
10^, worauf die Schmerzen nachließen und Schlaf erfolgte, oder er gab es
in halbstündigen Intervallen zu 0*5^, ohne jedoch 'Z'iig ^u überschreiten.
Ri'RKMANN bevorzugt die BAVERschen Originallabletten im Gegensatz zu den
anderen Azetylsalizylsäurepräparaten.
Literatur: ') Fekcmd, MUncbentr tned.WocheaRchr., 1904, Nr. 15. — ') M. £bkksok,
Beitrag zu Intoxikationsdermatosen nach Aspirin. Therap. MonaUh., Juli 1904, pag. 378. —
*) H. Jacobakus . Klinische Versuche mit einigen nftieren Arzneien. Therap. Monat^h., De-
zember 1904, pay. »123. — *> J. Rcrkuann, Aflpinti nnd Karzinom. DeutRche med. Wochen-
ßchrilt, 1904, Nr. 23, pag. 849. E. Frey.
Atmung; des Säuglins^s. >) Unmittelbar nach der Geburt stellt
sich mit dem Fortfall der fötalen Verbindungsbahnen zwischen Mutter und
Kind bei dem Neugebornen akuter Sauerstoffmangel ein. dessen Effekt der
erste Atemzug ist, mit welchem die erste Kontraktion doa Zwerchfells
unter gleichzeitiger Erweiterung der Stimmritze durch die Mm. crico-arytae-
noidei postici einsetzt. An das erste Inspiriuui schließt sich sufort das E\-
spirium an, es folgt meist ohne Pause ^) ein erneutes Inspirium und die
Atmung ist eingeleitet. Mit der Summe dieser Vorgänge, die sich von nun
an in regelmäßigen Intervallen wiederholen, ist die Atmung eingeleitet.
Die Thoraxform. Der menschliche Brustkorb, im embryonalen
Leben kielförmig wie derjenige der Säugetiere (Hasse '} läßt sich beim Neu-
gebornen seiner Form nach einem faßlörmigen Körper oder einem Oval ver-
gleichen, dessen hintere, dem Rücken entsprechende Fläche eine Abplattung
erfahren hat. Der SchultergUrtel erscheint weniger abgeflacht wie beim Er-
wachsenen, weil der Neugeborene die in der Ellbeuge flektierten Arme an
Rumpf und Hals genähert zu tragen pflegt. Im Vergleich zur Brust ist das
Volumen des Leibes beim Neugebornen auffallend groß.
Nach EcKEKLHiN 0 beträgt der quere Durchmesser des Neugebornen
zwischen dem 0. und 11. Lebenstage in Ruhestellung zwischen tiefster Exspi-
ration und Inspiration im Mittel 98 c/77, der gerade Durchmesser 8*7 cm.
Es verhält sich demnach der gerade Durchmesser des Brustkorbes zum
queren beim Neugebornen wie 87 : 98 = 7 : 8. dagegen beim Erwachsenen
wie 240:290 = 4:5.
Der Respirationstypus. Sowohl bei ruhigem wie bei angestrengtem
Inspirium sind auch beim Säugling bereits beide Atmungstypen, die Ihorakale
gleichwie die abdominale Atmung deutlich vorhanden. Bei genauerer Beob-
Atmung des Säuglings.
6:h
Achtung des Thorax und mittelst Darstellung gruphiächer AufiiahnienCEcKERLEix)
zeigt es sich, daß bald der thorakale, bald der diaphragmatiscbe Respirations-
typu» vorwiegt. lui allgemeinen Ist indessen die thorakale Atmung, die ge-
kennzeichnet ist durch Hebung der unteren Hippen und eine Verbreiterunir
des Thorax im frontalen Durchmesser, wenig ausgiebig. Nach der graphischen
DaratGliong acheint sie die primäre zu sein. Nach Gregors Untersuchungen
Ober die Entwicklung der Atemniechanik im Kindesalter findet man unter
Benutzung der von Hasse ^) aufgestellten Atmungstypen im frühen Säuglings-
alter vorwiegende Zwerchfellsatmung, geringe Rrustatmung, im späteren
Sftuglingsalter vorwiegende Zwerchfetlsatiiiung. kräftigere thorukale Atmung
im unteren Lungengebiete, schwächere in den oberen Abschnitten.
Ein Unterschied des Respirationstypus bzw. des Geschlechts läüt sich
beim Säugling noch nicht konstatieren.
Die Frequenz und der Charakter der Atmung. Der Ablauf der
Atmung ist im Säuglingsalter ein sehr ungleichmäßiger und wechaetvoller
Der Charakter derselben Ist wesentlich davon abhängig, ob sich das Kind
im wachen oder im Schlafzustande befindet, ob es ruhig oder erregt ist.
Die Erregungen werden sehr häufig durch äußere Reize mannigfachster Art
hervorgerufen ; dahin gehören Licht und Schalloindrficke , und selbst die
bloße Annäherung an d&n Kindürbett, dio längere oder kürzere Beobachtung
des Kindes, eine Berührung oder Untersuchung desselben genügen, um eine
Veränderung des Charakters der Atmung zu veranlassen. Auch bei ruhigem
Verhalten des Kindes wechseln im wachen Zustande beständig flache und
tiefe Atemzüge ab. Und ziemlieh häufig erfolgt mitten im ruhigen Atmen
ohne jede äußere Veranlassung ein tiefes, bisweilen seufzendes Inspirium,
nach welchem die Luft dann wieder zögernd und absatzweise ausgestoßen wird.
Diese ungleichen Atemzüge häufen sich, wenn äußere Eindrücke auf
das Kind einwirken. Diese rufen bisweilen selbst eine sich zu Pausen aas-
dehnende Unterbrechung der Respiration hervor.
Beim Schreien können lange exspiratorischo Pausten entstehen, nach
welchen schnell aufeinander folgende tiefe Atemzüge den entstandenen
Sauerstoffmangel wieder zu docken suchen. Solche sich häufig wiederholende
Atempausen mit darauf folgenden vertieften und beschieuntgten Atemzügen
entsprechen ganz dem Bilde des CHKYNK-SroKESschen Phänomens.
Die beim Erwachsenen normale präinspiratoriscbe Atmangspause fehlt
bei ruhiger ungestörter Respiration des Nengebornen so gut wie ganz,
so daß die Exspiration fast unmittelbar in die Inspiration übergeht. Die Ex-
piration dauert erheblich länger als die Inspiration (Ri^XNKitArMj.
Aus CzEKNYS *) mittelst des Polygraphen gewonnenen und durch Kurven
dargetanen Beobachtungen geht hervor, daß beim Säugling wie überhaupt
bei jüngeren Kindern die Atmung beim Übergang aus dem wachen in den
Schlafzustand langsamer und flacher wird, die Exspiration gedehnter, bis
sich nach derselben allnmbüch eine Atempause herausbildet^ welche charakte-
ristisch ist für den eingetretenen Schlaf.
Diese Pause nach der Exspiration ist um so prägnanter, desto geringer
die Schlaftiefe ist. Zur Zeit der größten Schlaftiefe werden die langen Re-
Bpirationspausen bei Säuglingen stets vermißt, und gleichfalls fehlen sie bei
Kindern, deren Wärmeabgabo von der Haut aus durch Einhüllungen oder
durch Bedeckung mit Federbetten stark gehemmt ist.
Ebenso wechselvoll und ungleichmäßig wie der Ablauf der Atmung ist
in Abhängigkeit von den gleichen Momenten auch die Zahl der Atemzüge.
Die Respirationsfrequenz ist niedriger im Ruhe- und Schlafzustand, höher im
wachen und erregten Zustande. Sie nimmt ab mit zunehmendem Wachstum
des Rindes. Es schwanken daher die Angaben der einzelnen Autoren Über
die Zahl der Atemzüge je nach dem Zustande, in welchem sich der Säugling
64
Atmung des SAugUngs.
während der Untersuchung befand, in ziemlich weiten Grenzen. Die Unter-
suchang an schlafenden Säuglingen ergibt zirka 35—36 Aiemzflge in 1 Mi-
nute. Nach ViEKORDT '■) vollführt der Neugeborne im Zustand der Körper-
ruhe im Mittel etwa 35'3 Atemzijge In der Minute. Nach Hknöch 35 — 40.
DOHRX gibt als Durchschnitt der AtmungsEre^iuenz während der zehn ersten
Lebenatage 50, bei ruhigem Atmen 62 und beim Schreien 57 Atemzüge an.
Den Unterschied in der Frequenz im Schlafe und im wachen Zustande
beim Sfiaglinge zeigt folgende Tabelle :
Atmangsfreq Dt*n£ im Schlafen und Wachen.
■?
Keuffeborne bis zum
lU. Lebenstag .
ö.— 10. Monat .
NlLCh (iOKHAM
Schlaf
Wftcbm tftr-
tikal«^ Kür
l>ant«Uuiig>
41
58
Mich AUX
Schlaf
IWaehoD (miB
Teil Borixon-
37
37
46
44'3
2abl dar
16
3
Mittel
Nach meinen eigenen Aufzeichnungen betrSgt die Atmungsfrequenz im
Bei ääufflingen
bis stun 6. Lehensmonat
im Schlaf 37
im wachen Zustande . . —
in der Ruhe 51
beim Schreien .... 31
Bei SäagHngea
vom 7.— 12. Lebonsmonat
36
49
22
Demnach ist die Atmungsfrequenz beim Säugling '2 — 3mal so groß als
beim Erwachsenen. Der springende Wechsel im Typus und in der Frequenz
der Atmung ist eine Eigenart des Säuglings, In der nichts Krankhaftes zu
erblicken ist. Erst eine wesentliche Steigerung der angegebenen Frequenz,
die dauernd vorhandi^n ist und ebenso erst ein anhaltendes Sinken oder LJn-
regelmfiUigkeit (Vertiefung der Atmung, oberflächliches Atmen, häufiges
Aussetzen etc.) deuten auf krankhafte Veränderungen von selten des Re-
spirationstraktus, auf zerebrale Erkrankung, auf Intoxikation usw. hin.
Die Größe des respiratorischen Luftwechsels. Die Untersuchung
der Lungenventilation des Neugebornen und Säuglings, die Volunibestim-
mung der ein- und ausgeatmeten I..uft derselben, hatte bisher so gut wie
keine Beachtung gefunden, erst im letzten Jahrzehnt ist dieselbe nach und
nach durch die eingehenden Forschungen von ErKiau.RiN, Dohrn und neuestens
von GHEfiOK wesentlich gefördert und und zu einem gewissen Abschluß ge-
bracht worden.
Die Angaben Eckerlrins über den respiratorischen Luftwechsel be-
ziehen sich auf 4 Kinder, welche eine ziemlich gleiches Gewicht, im Mittel
3050^ hatten. Dieselben wurden mittelst eines äußerst empfindlichen Spiro-
meters, das bezw. seiner Konstruktion und der dazu gehörigen Maske den
kleinen Verhältnissen des Säuglings angepalSt war, kurze Zelt nach der
Geburt und die folgenden 8- 10 Tage im Versuch beobachtet. Die Beob-
achtungen beziehen sich sowohl auf das Kind in vollkommener Ruhe wie
auch während des Schreiens und wird das Resultat derselben als Mittel-
wert aus 100 Kurven in folgender Tabelle wiedergegeben:
Aus dieser Kurve läßt sich ablesen, daß vom 1. bis zum 2. Tage eine
starke Volumenzunahme im Luftwechsel um 1 300 cm* in der Minute bei tiefer
Atmung statthat, dann folgt ein Schwanken der aufgenommenen Luftquanta
bis zum 5. Tage. Hierauf beginnt eine Steigerung, welche am 10. Tage ihr
I
Atmung des Säuglings«
65
^
^
Ma^cimom — beinahe das Doppelte von der am ersten Tage aufgenommenen
Luft — erreicht.
Während das Anfangsvoluraen 1700 war, betrögt es Jetzt 3300 cm».
Bei ruhiger Atmung ist gleichfalls eine Steigerung des in der Minute
aufgenommenen Luftvolumens» wenn auch nicht in dem Malie wie bei tiefer
Atmung, zu bemerken; dasselbe steigt vom 1. zum 2. Tage um 700 cm \
hält sich mit einigen Schwankungen bis zum t>. Tage auf dieser Höhe, cm
dann rasch zunelimend am t^. Tage fast das Doppelte des ersten Tages zu
erreichen. Das Anfangsvolumen betrug 1400 cm* und das Volumen der End-
beobachtung 2(^00.
Als Durchschnittsvoinmen der gewechselten Lult gibt Eckrulkin beim
Schreien in der Minute 2500 cm\ bei ruhigem Atmen in der Minute 1700 cm*,
Vie- 1
Tiiefe-Athmuil
Ruhige Athinung
d. h. bei einer MittelzaKI der Atemzüge von 42 in der Zeiteinheit auf jeden
Atemzug 61 cm^, von 61 auf jeden Atemzug 35 cm^ an.
Die Tiefe der Atemzüge gestaltet sich in ihrem Gang während der
ersten 10 Lebenstage nach Dohhn folgendermaßen : Auf JB einen Atemzug
entfielen, nach der Menge der exspirierten Luft gemessen, durchschnittlich
bei rnhigem Atmen
beim Schreien
am ersten Lebenstage . . 38 cm^
36 cm»
42cm=>
► zweiten
41 •>
:57 *
44
> dritten i
42 ^
38 .
45
» vierten =
4ä *
37 »
46 ^
• ffinften
44 •
36 .
49 1
• sechsten
4Ö •
40 .
49 .
» siebenten
48 ^
40 '
50 1
> achten
18 ^
42 •
49 1
> neunten
50 »
40 »
52
> zehnten
50 .
47
51
RncjreJop. Jalirbn«l)»r. N. P. IV. (XTII)
G6
Atmung des Säuglings.
Das Gesamtresaltat der zum Teil greDieinschaftlichen Untersuchan^en
von ErKBRLEix und Dohrx läßt sich dahin präzisieren, daß die »absolute
Atemgröße« (Gregor), d h. das Gesamtvolumen der in einer Minute vom
Kinde ausgeatmeten Luft am iLehenstage verhältnismäßig K^ring ist und
dann durchwegs, wenn auch mit einigen Schwankungen zunimmt. Die Tiefe
der Atmung^ d. h. die berechnete durchHfhntttliche Große der Einzelinspi-
ration, nimmt gleichfalls vom I, bis zum lU. Tage erheblich zu.
Die Ursache dieser Vertielung kann nach Duhrn in drei Umständen
gesucht werden:
1. im wachsenden Atembedürfnis des Kindes. Und zwar kommt dieses
Moment insofern in Betracht, als gerade in der ersten Zeit des extrauterinen
Lebens ans der lebhafteren Bewegung der Gliedmaßen und aus der ein-
tretenden Abkühlung der HautoberFläche ein regeres Oxydationsbedürfnis
resultiert:
2. in zunehmender Leistungskraft der Atemrouskulatur, welche bu wirkt
wird durch fortgesetzte Einübung ibrer Tätigkeit und durch den immer
wiederkehrenden Wechsel der Ausdehnung und Verkleinerung des Rippen-
korbes (erleichtertes Spiel der Rippen);
3. in erleichterter Zugängigkeit der Lungenalveolen, indem der an-
fangs durch die Adhäsion und Verklebung der Bronchialwände gesetzte
Widerstand durch die regelmäßig wieder einsetzende Atmung, durch die
Bewegungen und das Schreien des Kindes mit der Zeit überwunden wird.
Ef'KF.RLEiN hat die von ihm gefundenen Werte zu einem Vergleich des
Luftwechsels zwischen dem Erwachsenen und dem Neugebornen heran-
gezogen, und stellt sich dabei folgendes interessante Ergebnis heraus. Nach
EcKKRLEix beträgt das Maximum des Luftwechsels beim Kinde in einem
Atemzuge beim Schreien ca. V20cm^. Die Vitalkapazität des Erwachsenen
beträgt ca. 3000c/n^. Werden diese Werte in Beziehung gesetzt zu den
Körpergewichten, dasselbe beim Neugebornen zu 'S kg, beim Erwachsenen
zu Ib kg angenommen, so ergibt sich
120 _ HQQO
Ä ~ 75
40 = 40
Diese auf 1 kg des Körpergewichtes reduzierten Luftmengen
(relative Atmungsgröße) stimmen bei tiefer Atmung miteinander
überein.
Das Durchschnittsvolumen der bei ruhigem Atmen gewechselten Luft
beträgt 36 cm' beim Neugebornen, 500 beim Erwachsenen. Es verhält sich
35 _ 500
3 ~ "75"
12 =r fj
Bei ruhiger Atmung ist also der Luftwechsel des Neuge-
bornen doppelt so gruü als der des Erwachsenen.
Die neuereu Untersucbungon GRKi;r>KS, welche derselbe mittelst des
V. RErKLiNGH.M'SENBchen ") Apparates ausführte, gestatten bereits einen Ein-
blick in den Betrieb der Atemtechnik und in den Nutzeffekt ihrer Arbeit
dadurch, daß die beiden hierfür wesentlichen Faktoren, die Atemgröße und
die Atemtiefe, welche sich gegenseitig regulieren und das wechselnde Bild der
Atemmechanik bedingen, miteinander in Relation gebracht werden.
Aus den vun ükbuok gefundenen Werten geht in Übereinstimmung
mit EcKBHLRixs und Dohrns Beobachtungen hervor, dali die Atemtiefe im
Säuglingsalter kontinuierlich ansteigt. Im ersten Lebenshalbjahr beträgt die-
selbe bei -10 — 6U Atemzügen (im Schlafe) zwischen 27 und 42 cm\ im
zweiten Lebenshalbjahr TS, Ende des zweiten Jahres 13(j. Im wachen Zu-
I
I
I
I
Atmung des Säuglings.
67
k
etande sind die Werte etwas niedriger. Im zweiten Lebensjahr 67 und Ende
des zweiten Lebensjahres 125.
Die absolute Atmungsj^rröße zeigt im Säuglingsalter im Gegensatze zu
späteren Entwickluni^sstadien eine dem Körperwachstum parallel verlaufende,
ziemlich gleichmäßige Zunahme.
Die relative, d. h. die auf das Körpergewicht bezogene Atmungagröbe
betr> bei Nengebornen im ersten Monat zwischen 600 und 350, im
siebenten Monat r>63 — 533, Kode des zweiten Jahres 424 — 328.
Vom 4. bis 8. Jahre bleibt dieselbe etwa auf gleicher Höhe und wird
nachher, wenigstens im Durchschnitt, niedriger, so daß ihr Wert bei einem
oeunjährigen Kinde nicht größer ist als bei einem zweijährigen.
Die nicht unerheblichen Schwankungen in der Lungenventilation in den
verschiedenen Entwicklungsstadien des Rindes sind eine notwendige Folge
des verschiedenen SauerstoffbedQrfnisses der einzelnen Lebensabschnitte und
stehen in innigster Beziehung zur Ausbildung der Atemmechanik der ver-
schiedenen Altersklassen. Das Charakteristische des Säuglingsalters
bezQglich seiner Lungenventilation bleibt demnach, daß die hier-
für notwendige Atmangsarbeit bei relativ geringer Atmungstiefe
durch abnorm hohe Frequenz-der Atmung geleistet wird.
Die hiermit notwendig verbundene Steigerung der Atemarbeit und der
hierfür erforderlichen Kräfte zeigt bereits im Schlafe durch Verlangsamung
der Frequenz der Atmung bei größerer Atemtiefe eine Herabsetzung, die im
späteren Kindesalter in nüch weit ausgesprochenerem Grade zutage tritt.
Der große Verbrauch von Atmungsarbeit im Säuglingsalter ist nach
Qrkuor') zum Teil durch die in der liegenden Stellung des Säuglings not-
wendige Überwindung der Schwerewirkung der Baucheingeweide bedingt,
welche einer Vertiefung der Atmung einen solchen Widerstand entgegen-
setzen, daß dem Säugling bei Steigerung seines Luftverbrauches nur die
Möglichkeit zu Gebote steht, durch häufige flache Inspirationen ein Plus
an Atemluft in die Lungen einzuführen.
Das ältere Kind dagegen, welches bereits gelernt hat, die durch die
kräftige Zugwirkung der Baucheingeweide nach Einnahme der aufrechten
Körperhaltung unterstützte Zwerchfeltsatmung in zweckentsprechender Weise
mit der thorakalen Atmung zu kombinieren, hat dadurch in weitem Um-
fange die Möglichkeit, seine Atemtiefe zu variieren. Die Erwerbung einer
größeren Aktionsfähigkeit* durch Vertiefung der Atmung geht in der Zeit
von 3 — 7 Jahren vor sich.
Gesunde Kinder machen von da ab bei Steigerung ihres Atmungs-
bedürfnisses regelmäßig von ihrer großen Exkursionsweite der Atmung Ge-
brauch, ohne zunächst ihre Atmungsfrequenz zu erhöhen.
Das Verhalten der Atmung, gemessen durch die Atmungsgröße, wäh-
rend des Säuglingsalters läßt sich nach Gur.4.;oR dahin resümieren, daß die
absolute Atmungsgröße, in welcher wir zugleich einen Maßstab für die Grüße
der Arbeitsleistung der Respirationstätigkeit besitzen, konform mit dem
KÖrperwachstum zunimmt. Ebenfalls steigt, wie bereits an anderer Stelle
hervorgehoben ist, die Atemtiefe im Säuglingsalter in annähernd gleichem
Maßstabe wie das Körperwachstum kontinuierlich an. Und da die Atmung^-
große sich dem verschiedenen Körpergewicht anpaßt, so ist es unmöglich,
zumal bei dem variablen Typus der Atmung, einen allgemein gültigen
Mittelwert der absoluten Ätmungsgröße für das Säuglingsalter aufzustellen.
Jenseits des Säuglingsalters ändern sich nach Giik<<oh die Faktoren,
welche an der Regulation der Atmung teilnehmen, in folgender Weise:
* Unter Aktioosfjlltigkeit rersteht Geeqob den Abstand swisotaen höchstem and
oiedrigstem Wert, den die AtmnngsgritQe bei Kindi-t-n gleichen Alters bei einer mehrere
Minoten fortgeeetEtfu rnbigon Atmung anfwiMRcn knnu.
68
Atmung des Söuglinga.
Starke Einschränkung der Frequenz am Ende des Säuglingsalters und
allmählich fortgesetzte Verlangsamung der Atmung im späteren Alter. Kon-
tinuierliches Ansteigen der Atemtiefe.
Starkes Ansteigen der absoluten Atmunf^s^rüße in den ersten Lebens-
jahren und späterer Stillstand auf etwas niedrigeren Werten. Verminderung
der relativen Atmungsgröße (Mali des Atmungabedarfes) jenseits der Grenze
des Säuglingsalters um annähernd 50^/o.
Unter pathologischen Verhältnissen macht die Atmung bezüglich des
Verhaltens der AtmungsgrÖße und Atmungstiefe dieselben Entwicklungs-
sphären durch, doch findet Hich auiraljrnderweise bei kranken Kindern mit
gestörter und insuffizienter Atniungstätigkeit eine erheblich höhere Ex-
kursionsweito (obere und untere Grenze der Atemtiefe) als normaler Weise.
Chemismus der Atmung. Über den Chemismus der Atmung liegen
nur wenige Untersuchungen vor. Von Forstek'^) iat zuerst die Kohlensäure-
ausscheidnng bei der Respiration des Säuglings bestimmt worden. Derselbe
fand eine bedeutend höhere Kohlensäureproduktion beim Kinde als beim
Erwachsenen. Schkrek^j hat sowohl Kohlensaureausachtiidung wie Sauerstoff-
aufnahme des Säuglings durch Koapirationsverauche nach der Methode von
Regnalji.t und Rkiset festgestellt.
Nach SrHEKBRs über ein Jahr lang fortgesetzten Beobachtungen, denen
allerdings der Mangel einer zu kurzen Zeitdauer des Einzelversuches an-
haftet und bei welchen die Ernährung des Kindes außer Betracht geblieben
ist, ist der Gaswechsel des Säuglings ein erheblich intensiverer als der des
Erwachsenen und der respiratorische Quotient (—7^] ßin niedrigerer als
dort. Und zwar ist der Sauerstoffverbrauch pro Kilo und Stunde beim
Säugling ein ungleich höherer als beim Erwachsenen auch im Verhältnis zu
der gleichfalls erhöhten Kohlensäureausscheidung genommen.
Die Ergebnisse Schkukks » so beachtenswert sie auch sind ^ stimmen
aber mit neueren Versuchsresultaten ^''), bei welchen, abgesehen von voll-
endeter Versuchstechnik, alle Momente eines tadellosen Stoffwecbselversuches
berQcksichtigt worden sind^ nicht überein.
Durch die letzteren Versuche erhalten wir Aufschluß über die Kohlen-
säureausscheidung und Wasserdanipfabgabe durch die Lungen. Der respira-
torische Gaswechsel wurde gesondert an einem natürlich und an einem
kfinstUch ernährten Säugling bestimmt.
Das Brustkind sch&idet nach diesen Experimenten, auf gleiche Ober-
fläche berechnet, keinesfalls mehr, eher etwas weniger Kohlensäure aus, als
der Erwachsene.
Das gesunde Brustkind von rund 5 ^^ Gewicht gibt im ersten Lebens-
vierteljahre in u*4 Stunden im Mittel IIS'S^CO« ab. Um einen Vergleich zu
den Vorgängen beim Erwachsenen zu haben, ist es notwendig, diese Zahl
und die beim Erwachsenen gefundenen Werte in Beziehung zur Körper-
oberfläche zu setzen.
Bei dem Gewicht des zum Versuch benutzten Säuglings von rund
ö kg würde seine Oberfläche rund H500c/n^ betragen (MejPi),*. Und so-
mit würde sich bei einer Ausgabe von 4'7'2j^ Kohlensäure für die Stunde
im Mittel 13*5^ CO« pro 1 c/w- Oberfläche herausstellen.
Bei ruhenden (wachen) Erwachsenen wurde mit demselben Respirations-
apparate die CO,-AusscheiduDg pro Im- Oberfläche zu 15*37 — 15*5 — 15-8
— IBfi gefunden. ") Das geringe Plus der Kohlenaäureausschcidung beim
Erwachsenen erübrigt sich, wenn man bedenkt, daß bei diesen Versuchen
der Erwachsene nur im wachen Zustande, das Kind dagegen auch im
* Die KoDStünte ist in 11*9 angenommen.
Atmung des Sftuglfngs,
69
schlafenden Zustande untersacht worden ist und w&hrend des Sang^ens, bei
welchem Akt eine gröbere Muskeltätigkeit entfaltet werden muli, der Ver-
such stillstand. Man dürfte demnach — gleiche Leistungen vorausgesetzt —
die Kohlensäoreausscheiilung proportional der Oberflächenentwicklung an-
nehmen k5nnen.
Die Wasserdampfauasoheidung durch Haut und Langen ist beim Brust-
kind, auf das Körpergewicht berechnet, grolier als beim Erwachsenen.
Diese größere WasserdaiiipTabgabe braucht nicht auaschlitilillch als eine
physiologische Eigentümlichkeit des Säuglings angesehen werden, da sich
der Stoffwechsel des jungen Kindes in mancher Hinsicht unter anderen Be-
dingungen vollzieht als beim Erwachsenen. Zum Teil dürfte dieses Plus von
Wasserdampf auf den durch die lebhaftere Verbrennung, welche in dem
kleinen Orgaiiismua vor sich geht bedingten Luftaustauach zurückzufahren
sein ; ein grüBorer Teil muß auf Rechnung der h3horon Wärme, bei welcher
die jungen Kinder gehalten werden, und auf die reichliche Bekleidung,
welche Decken und üett repräsentieren, gesetzt werden.
Hierzu kommt das häutige Schreien der Säuglinge, das eine gewaltige
Lnngenventilation erzeugt.
Das Brustkind liefert in 24 Stunden 191 ^ Wasser, d. h. pro Kilogramm
und 24 Stunden ^^"2 g Wasser. Der Ewachsene dagegen scheidet pro Kilogramm
und 24 Stunden nach Ribner and Lkvvaschbw nur 21-91^ Wasserdampf aus.
Das Flaschenkind weist sowohl eine relativ bedeutendere KohleDSÄure-
Aosscheidung wie auch Wasserdampfabgabe gegenQber dem ßrustkinde und
nach den oben angegebenen Werten damit auch natürlich gegenüber dem
Erwachsenen auf.
Dieser erhöhte Stoffwechsel dürfte vielleicht zu einem erheblichen
Teil auf die gesteigerte Arbeitslast zu beziehen sein, welche dem künstlich
genährten Kinde bei nicht zu weitgehender Milchverdünnung durch eine
gegenQber der Frauenmitchzusammensetzung große Stickstoffzufuhr mit der
Kuhmilchnahrung aufgebürdet wird.
Das Flaschenkind von l'ftkg Gewicht gibt in 24 Stunden im Mittel
191^00, und 339 HjO ab, d.h. pro l kg und 24 Stunden also 2514^C0„
und 44-39^ H,0, pro l kg und 1 Stunde 1Ü46^C0, und 1-849^H20.
Bei Berechnung der CO.j auf die Oberfläche und des H^O auf das
Körpergewicht erhalten wir demnach folgende Werte:
StUndl. AuBschetdung
auf lern* Oberfläche
von CO.
auf 1 kg
von H,0
(22-86) 1-60
(30-60) 1*849
Kind bei Brustnahrung, bkg Gewicht . . 13*5
» Kuhmilchkost, 76 kg » . . 17'3
Literatur: M QKauxBUTS Handbacb der Kinderkrankheiten, I, pag. 12d. Lamoe, Phy-
siologie und Pathologie deti NeQ^ebornen. Leipsig, C. G. Naumann; EcxKKLEiMt Zur Kenntnis
des Atmangsmecbanismos der Xeagebomen. ZeiUchr. I. Oebnrtah. n. Gyn., 1890. pag. 120 <Lite-
ratnr!); K. Dohbn, Über die Grüße des respiratorischen LaltwechBeU ubw. Zeitschr. I. Gebnrts*
failfe n. Gyn., 1895, XXXII, pag. 24. — *) RaMMEBAUK, Die Atoinngskurvii des neogebomen
Kindes. Dissert., Jena 1884. — *) Hass», Arch. !. Auat. a. Physiol. 1A92, 1893« 1901, zitiert
nach Gasacu, UntersnchaDgen Ober die ÄtembewegiuiKeu du» Kinde». Arcb. f. Kinderhk.,
1902, XXXV. — *) CzxEVY A., Beobachtangen Ober den ät-hlal im Kindesalter anter physio-
logischen Verhältnissen. Jahrb. f. Kinderhk., 1892, XXXUI , pag. 26. — ') Vikbobdt, Okk-
HABOT» Handbuch der Kinderkrankheiten, I. — *) A. v. Recklinouadscb, PplOobbs Ar-
«biv, 1896t LXII, 1897, LXIII. — ^) K.GsKOoa, Untersuchungen über die Atembewegangen
des Kindes. Arcb. f. Kinderhk., 1903, XXXV, pag. 277. - •> FoErraa, Aratl. Ber. d. 50. Vers.
dentsch. Naturforscher u. Arzte, 1877, pag. 355. — ^) Scukjuw, Die Uespiration des Neu-
gebomen und Säuglings. Jahrb. r. Kinderhk., 1897, XLIII, pag. 471. — *") Kubkkk und
HsusKKR nach grnieinsanien Versuchen mit Bendix, Wiktkekiti, Wolpkht und Srnr*, n) Die
natürliche Emähmng eines flituglioga. Zeitschr. f. Biologie, 1897. XXXVI; h) Die künstliche
Ernährung eines normalen 8Uugliogs. Zeitscbr. I. Biologie, 1899, XXXVHI. — '*> Msh, Zeitschr.
t. Biologie, XV, pag 447. — >') Rubheb und Lbwaschkw, Zi^iUchr. f. Biologie. XXIX,
pag. 47. £■ BeudiK.
70 ^^^^^P Atoxyl. — Augenheilmittel. ;
I Atoxyly s. Arsenik, pag:. 54. }
Ausenheilmittel* Isophysostigmin. Kobert bat durch seinen
Schüler Ouir das dem Physostipfmiii wahrscheinlich iHoroere laophyaosti^min
prüfen lassen. Es erg:ab sich, dali das neue Alkaloid dem Physoatigmin an
Wirksamkeit (jualitativ gleich sei. es quantitativ aber in jeder Hinsicht über-
treffe. Es enjpfiehlt sich« ea nicht als salizylsaures, sondern als schwefel-
saures Salü anzuwenden; 0-01 :1<> (ad vitrum luscum).
Skopolamin. Das optisch aktive und das optisch inaktive Skopolamin
sind zwei isomere Atkaloide; letzteres ist wenifz: f^ekannt. Kobert zeigt,
dal5 es ein inaktives Skopolamin von großer Giftiffkeit gebb, welches an
den Nebenwirkungen des käuflichen Scopolaminum hydrobromicum schuld
ist, dessen Prfifungsvorschrlft im Arzneibuche zu ändern sein wird. Prters
hat bei Anwendung des MERCKSchen Skopolamins fast nie Intoxlkations-
erscheinungiMi beobachtet.
Literatur: i^itzno^sbe rieht des Kobtocker Arztevereines. Die ophtbalmotogische Klinik,
1904, VIII, Nr. 24.
I Dionin. Darier berichtet Über die innerhalb 4 Jahren mit diesem Mittel
gemachten Erfahrungen. Bei Xetzhautablösung rät er, wenn aabkonjunktivale
Kochaalzinjektionen keinen Erfolg hatten, gleichzeitig UOl — Ou2 Dionin zu
iniizieren. »Die Reaktion darauf ist ungemein heftig, Bindehaut und Lider
schwellen enorm an, aber der therapeutische Erfolg ist glänzend.« In einem
vor 5 Jahren staroperierten Auge, das seit *2 Monaten durch totale Netz-
hautablusung vollstAndig erblindet war, blieben 12 Bubkun^unktivale NaCl-
Injektionen ohne Erfolg. Eine t^olche Injektion zusammen mit 002 DioniD
brachte die Netzhaut innerhalb '2 Tagen zur Wiederanlegung. Über den Ein-
fluß auf das Sehvermögen wird nichts mitgeteilt.
Besonders wird auch die günstige Beeinflussung eitriger Hornhant-
prozesse mit Hypopyon hervorgehoben.
Literatur: D^^KiLUf Vicriübrige Krtuhrungen mit Dionin. Die opbthnlmologUche Klinik,
1904, Nr. 13.
Trigemin. Es ist eine Verbindung von Dimetbylamidoantipyrin (Pyramidon)
nndButylchloralhydrat, wird von den Farbwerken in Höchst hergestellt, ist un-
giftig und ohne Nebenwirkungen, speziell hat es auf die Herzaktion gar keinen
Einfluti, beeinflußt aber in ausgezeichneter Weise alle schmerzhaften Alfektionen
eutzündlicher und nicht entzündlicher Natur, besonders der drei Trigoniinusfiste
und des Nervus occipitalis. Hervorgehoben wird die schmerzstillende Wirkung
bei Zahnschmerzen. Dosis 05- 1 g. Birnbachek hat sich durch eine ausgedehnte
Verbuchsreihe von der raschen, sicheren, durch keinerlei Nebenerscheinungen
gestörten Wirkung bei Ciliarschmerzen jeder Art Überzeugt ; insbesondere
ist sein sicheres Eingreifen bei schwerer Kyklitis und akuten Glaukora-
anlällen sehr bemerkenswert. In der Regel genügte eine einmalige Dosis von
0*25 g. Es ist anzuraten, das Mittel in Gelatinkapseln zu verordnen, die mit
0*26 g Inhalt in den Handel gebracht werden.
Literatur: Oykelach , Tngomin , ein Analffetikum and Sedativam. Berliner kllo.
W(tchen«chr., UK)3, Xr. 3ö. — Birkvacuer, Trigemin, Zentralbl. f. prakt. Aagt:ab«ilk., 1904,
pag. 324.
Nebennierenpräparate. Aufier dem Adrenaünura hydrochloricum von
Parke Davis & Komp. wurden im letzten Jahrgange dieser Jahrbücher auf-
geführt das Adrenalinum Clin (Paris), das Suprareninum hydrochloricam
(Höchst) . das Tnnogenum suprarenale Richter (Budapest), dos Epirenan
(Epinephrini Abderhaldrn (Byk, Berlin). Keine Erwähnung fand das Adrena-
linum cryst. Pohl und das Hemisin (Burroughs, Wellcome & Co.). Neu hin-
zugekommen ist das Paranephrin von Merck, das in einer Lösung von
1 : 1000 in 06» 'giger Kochsalzlösung in den Handel kommt. Seine Wirkung
AuKenheUoiittel.
71
^
ist vollkommen gleich den anderen Präparaten. Xach einer Arbeit von
Wessely sind das Adrenalin cryst. von Parke Davis ifc Komp.. das von Pöbl,
das Supranenin bydrochloricum der Höchster Farbwerke, das Paranephrin
und das Epirenan reines Adrenalin, während die filteren Präparate Gemische
darstellten.
Nach demselben Autor, der an Kaninchen, der för die Wirkung empfäng-
lichsten Tierart. Vorsuche anstellte, setzt das Adrenalin den Aug^endruck
nicht herab und erzeugt keine Mydriasis, wenn es in den gewöhnlichen
Lösungen von 1 : UKtQ in den Hindehauinack eingeträufelt wird. Dagegen
erhält man positive Resultate, wenn man stärkere Lösungen der kristalli-
nischen Substanz einträufelt. Nach 3 — 5maligem Kintropfen einer l^'Jgen
Lösung erhielt Wessely stets maximale Mydriasis, Verminderung der Kammer-
wasserproduktion sowie entsprechende leichte Druokherabsetzung: ebenso
geschieht dies, wenn aach in geringerem Qrade, beim Affen, aber nicht bei
Hund und Katze. Bei allen diesen Tierarten erhält man die genannte Wir-
kung durch subkonjunktivale Injektionen (bei Kaninchen durch l r//;^ einer
Lösung 1 : 10.000). Derartige Versuche sind jedoch beim Menschen wegen
Gefahr allgemeiner Intoxikation und auch wegen der lokalen Reizungen zu
unterlassen.
Unter dem Namen Eusemin wird eine Mischung von «weniger als
1^ „igor Kokainlösung, Adrenalin von bedeutend stärkerer Verdünnung als
sonst üblich, Chloreton und physiologischer Kochsalzlösung- für zahnärzt-
liche Zwecke in den Handel gebracht (Dentaldepot Viktor Pappenheini iV Ko^
Berlin). Pail Coiin in Berlin hat es bei kleineren operativen Eingriffen an
den Lidern, besonders bei Exstirpation von Chalazien mit Erfolg verwendet;
er injizierte niemals mehr als eine halbe Pravazspritze.
Literatur: Wks^fly, Zar Wirkung des Adrenalins anf Hiipille und Angi'ndrack. Zett-
schrift I.Augenheiik., HMJä. XIII, 4. — Poi-TF, Parnnephrin, ein n^'uea Ni^bennierenprüparnt.
Arch. f. Au(fenheilk., 1904, LI. pag. 54. — Paul Cihin. Enacmin. Woehenschr. I. Thorapie u.
Hygieni' des Auges, lyOt, VIII, Nr. 8.
Aristolöl. Daxenberger ließ sich durch Baier iV f\o. in Elberfeld eine
10°/oige Lösung v<m Aristol (Dijoddithymol) in Sesatnol herstellen, eine klare»
braunrote Flüssigkeit, die in der Regel bei Einträufelungen das Auge nicht
reizt. Er wandte es bei Blepharitiden zum Ersatz von Lidsalben bei ekzema-
töser Ophthalmie, bei KorneaLeroaionen« Kalkverätzungen an.
Literatur: lUxRNBKRoxa, Cbt^r Ariätolöl in der Aiigenhtitkunde. Woehenschr. f. Ther.
u. Hyg. d. An^ea, 1904, Nr. 10.
Fetron. Fetronum purissimum Liebreich THansawerke in HemeUngen)
ist eine neue von Likhueich angegebene Salbeogrundlage, die aus !'T"/(, V^ase-
linum flavum und li" ^ Stearinsäureanilid besteht. Es vereinigt die resorptiven
Eigenschaften des Lanolins mit den deckenden des Vaselins. Ist nicht faden-
zfehend wie das erstere und konsistenter als das letztere, reizt nicht and
wird nie ranzig. Ich verwende es seit einem Jahre ausschlieÜUch als Salben-
grandlage Iflr Augensalben sowohl IQr den ünÜBren (iebrauch wie zum Ein-
bringen in den Bindebautsack und bin mit demselben in jeder Beziehung
zufrieden.
Literatur: Libbueicb. Ther Fetrondalbe. Berliner klin. Wochensebr., U)04, Nr. 12. —
Ottsmas», »Fetron« puriss. LiebrHeh. Äpothekerztg., 1Ö(>4, Nr. 28. — Saalpeld, Pber Fetron-
salbe. Therapeat. Monntsh., April 1904. — {Cdlka , Znr Charakteristik einer nenen Salht>n-
gmndlage. t'harmaKeutiache ZuntralhnUe, 1Ü04» Nr. 15. — Nikden« Über Fetronsalbcn. Die
üphtbalmologische Küuik, 1904, Nr. 15. Reusa.
Röntgenstrahlen und Radium in der Ophthalmotheraple.
Von BiHi.'H-HiHSCHKKLn liegt eine ausfdhrlicho experimentelle Arbeit
Über die Wirkung der Röntgen- Ond Kadiumstrahlen auf das Auge vor. Kr
experimentierte an Kaninchen und kam hetrefts der Röntgenstrahlen zu
folgenden Schlüssen:
7*>
AugenheiJniittei.
1. Durch Bestrahlung mit Rontgenlicht in einer Intenäität bzw. Zeit-
dauer wie sie zu therapeutischen Zwecken verwendet wird^ lassen sich am
Auge des Kaninchens ausgesprochene Veränderungen am vorderen und
hinteren Abschnitt hervorrufen.
'J. Die Erscheinungen am vorderen Au^enabschnitt treten nach einer
Latenz von ungefähr 14 Tagen auf und beistehen in Blepharitis (mit Haar-
und Wimperverlnstj, Konjunktivitis. Keratitis {vom anatomischen und klini-
schen Aussehen der interstitiellen Keratitis) und Iritis. Hei der anatomischen
Untersuchung ließen sich neben entzündlichen Veränderungen eigenartige
Störungen am Kpithel der Lidhaut^ Bindehaut und Hornhaut nachweisen,
Queliuni; und Zerfall der pigmentierten Iriszellen sowie Qefäßveränderungen
an Bindehaut^ Lidern und Iris.
3. Die Linse blieb in allen Fällen klar, durchsichtig.
4. Am hinteren Abschnitt war mehrere Wochen nach der Bestrahlung
Atrophie der Papille ophthalmoskopisch nachzuweisen. Die anatomische Unter-
suchung ergab Degeneration der Ganglienzellen der Netzhaut und VakuoH-
sation, Zerfall des Protoplasmachromatins, Kern- und Zellschrumpfung und
ansgesprochenen Nervenfaserzerfall im Sehnerv- und Markstrahlenbezirk.
Aber auch am menschlichen Auge wurden Schädigungen beobachtet.
In drei Fällen von Hautkarzinomen wurde zwar Heilung derselben erzielt,
aber es kam zu Cilienausfall, Konjunktivitis, Keratoirltis (interstitielle, in
feinste Punkte aaUösbare Trübung der Hornhaut) und, wie in einem vierten
Falle, bei dem es zu Enukleation kam, nachgewiesen werden konnte, za
Gefäiiwandveränderungcn (vakuolisierender Degeneration der Intima) in Iris,
Ciliarkörper und Netzhaut, zu Degeneration der Netzhautganglienzellen und
cystoider Degeneration der Macula.
Die Augen waren möglichst gut durch Stanniol und Bleiplatten ge-
schQtzt, doch wird Abdecken mit letzterem in der Regel genügenden Schutz
gewähren. Bemerkenswert ist, daU es in einem Falle am zweiten von vorü-
ber gut abgedeckten Auge nasalwärts zu Bindehaut- und Hornhautalfektion kam.
Die Röntgentherapie in der Ophthalmologie wird sich daher wesentlich
auf maligne Tumoren in der Nachbarschaft der Augen und Erkrankungen
der Lidbindehaut (Trachom, Tuberkulose) beschränken müssen. Bei Trachom
hat Gnui/AKHEii gute Resultate erzielt^ glaubt aber, daU die K.NAPPsche Ex-
pression höher bewertet werden müsse.
Auch mit Radium hat BjHrH-HmsrHPBUi Versuche an Kaninchen an-
gestellt Er befestigte das Radiumpräparat (20 mg Radiumbromid in einer
Ebonitkapsel, die durch ein QUmmerplättchen abgeschlossen war) auf den
geschlossenen Lidern und beließ es dort zwischen 2 und 6 Stunden. In einem
Fall trat bereits 2 Stunden nach 4stündiger Bestrahlung eine Reaktion ein
(Konjunktivitis, oberflächliche Hornhauttrübung und Iritis i, in den anderen
Fällen machten sich erst nach 7— 10 Tagen analoge Erscheinungen be-
merkbar.
An der Haut der Lider trat in einem pfenniggroßen Bezirk Radium-
dermatitia mit Hautausfall und R<3tung ein, in einzelnen Fällen entstanden
schwer heilbare UJzera. Die Konjunktivitis war meist sehr hochgradig, die
Hornhautentzündung glich der bei Rontgenelnwirkung^ war aber weniger
intensiv. Die entzündlichen Erscheinungen bildeten sich nach Tagen oder
Wochen zurück, der Augenspiegel ergab in 3 von 5 Fällen Optikusatrophie.
Von dem anatomischen Befunde sind besonders Veränderung der Netz-
hautganglienzellen hervorzuheben.
KiRCiiNRit hat durch Radium sehr gute, namentlich in kosmetischer
Beziehung bemerkenswerte Resultate hei Lidkrebsen des Menschen erhalten.
Er geht sehr vorsichtig zu Werke und appliziert I ntg in einem Bleiblockchen
eingebettetes Radiumbromid, welches in eine kleine Messingkapsel, die ein
Au^enhellmittel. — Azetopyrin.
73
Glimmerfenster besaß, eingeschlossen war. in Zwischenräumen von 2 — B Tagen
jedesmal an eine andere Stelle der Geschwulst je 1.') bis höchsteBS '20 Mfnaten.
Er hat keine üblen Nebenerscheinungen beobachtet.
Herm. Cohn lobt die schnelle und schmerzlose Heilung von Trachom
durch Radium. Er besitzt 1 mg Radiumbromid, das in ein 3 ittin dickes und
3 citi lane:es Qtasröhrchen einfceschmolzen ist, und berührt damit jedes Korn
bei Trachom und Fnitikularkatarrh, und zwar tfljfHch durch 10 — 1f) Minuten.
Er hat bis jetzt 7 Fälle behandelt und keine Schädigrung des Auges beob-
achtet.
Dah[er hat das Radium v.uv Resorption von Blut und als schmerz-
stillendes Mittel verwendet. Als Einheit für die Radioaktivität des Uraniums
dient ihm eine Uranie (U) Radium von hoher Aktivität besitzt mindestens
100.000 U. Er führt 3 Fälle von intraokulären Hlutuns:en aut, die rasch zur
Resorption gelangten. »1^ eines Radiumsalzes von 240 U einfach in dQnnsft
Papier eingehüllt wurde auf das Auge, eine gleichartige Menge auf die
fiuliere temporale Partie der Orbitii aufgelegt und das Ganze durch einen
Wattegazoverband 2i Stunden lang auf seinem Platze festgehalten«, in einem
Falle »dazwischen ein KÖhrchen zu 7000 V 3 Stunden lang«.
Als schmerzstillendes Mittel bei heftiger Iritis behandelt Da.kiek durch
Applikation von 1^ Radiumsalz von 210 U. Schon nach einer Stunde ließen
die Schmerzen nach , der bis zum andern Tage liegen gelassene Verband
beseitigte sie vollständig. Ebenso schwanden Schmerzen bei Episkleritis,
Neuralgien, Migräne, kurz aus den veräohiedensten Ursachen, auch die
Schmerzen der Tabiker schwanden. D.xkiek legte ihnen auf die Wirbetsäule
10 Zelluloidplatten auf, die Radlumbromid zu 1000, 7000 und 10.000 U ent-
hielten. Rav-mond bestätigte letztere Beobachtung.
Darier gibt zu, daß in manchen Fällen das Radium vollständig ver-
sagt. Suggestiun wurde in den positiven Fällen ausiceschlossen.
Literatur: BiBrii-Untst-Hi'KLit, Die Wirknnt( der Rüntgen- und Uddinmatrahlen aal das
Aoge. V. Gräpks Arol). f. eiphthal , 190'J; LIX, 2. H. — Kibchnsb. Über dit* kosnietischen
Vorzüge der lleilniig von Lidkrebscc darch KadinniatrubleD und die Methode der Rt;handluug.
Di« opbtbnlmologische Kliuik, 1905, Nr. 1ü. — Hf.ru. Cobn, Diu Heilnng des Trachoms durch
Kadiuni. Vorl. Hittei)., Berliner kiin, Worheiiachr., l'J06, Nr. 1. — Weitere Bemerkuu(fen Über
die Behandlung des Trscboma durch Kadinm. Ebenda^ Nr. 8. — Dabise, Zur therapeutischen
Anwendung des Radium. Die opbthulmologiftcbe Klinik, 1905* Nr. 10> r. SeoM».
Azetopyrin stellt nach Zwisr/ ein gutes Antipyretikuni ohne
schädigende Wirkungen auT das Herz dar; es verflacht die Atmung und ist
in toxischer Dosis ein Reapirationsgift Außerdem wirkt es stark diuretisch.
Literatur; Zwist? » Pbyniolog. Wirknng de« Afotopvrin. Wiener med. Preafte, 1904,
Nr. 1 K. " E. Frey.
B.
Baldrian» Unter Batdrianwirkung« hat man nach den Unter-
suchungen KioxKAs *) folgende Wirkungen zu verstehen: 1. eine erregende
Wirkung^ auf die Psyche; 'J. eine erregende Wirkung auf das Zentralnerven-
system in kleinen Dosen: ?>. nacl» großen Dosen eine zentrale motorische
und sensible l^ähniung und Aufhebung der Keflextätigkeit. Letztere kann
gelegentlich uuchschuu nach kleineren Gaben angedeutet sein; 4. eine blutdruck-
steigernde Wirkung in kleineren Dosen bedingt einerseits auch eine Wirkung
auf die Vasomotion (Verengerung der peripheren Gefälie)* andrerseits durch
eine erregende Wirkung auf die Herztätigkeit selbst; 5. eine blutdrucksenkende
Wirkung in groüen Dosen» bedingt durch vasomotorische Lähmung und di-
rekte Schädigung des Herzens: 6. kurzdauernde Senkungen des Blutdruckes
in regelmäßigen Intervallen schon nach kleinen Dosen. Diese sind bedingt
durch momentane Krweiterungen der peripheren Gefäße, wie beim Valer-
diäthylamid an dem Verbalten der Löffelgefäße beim Kaninchen direkt zu
sehen ist.
KioxKA suchte nun den wirksamen Bestandteil der Droge in der Weise
festzustellen, daß er eine große Zahl verschiedener Derivate der Baldrian-
säure, die sich selbst als unwirksam erwies, untersuchte. Dabei zeigte sich, daß
sowohl den Estern als den Amiden der Säure die typische Baldrianwirkung
zukommt, doch waren die Amide wirksamer als die Ester, insbesondere das
Valerdifithylamid. Auch durch Bestimmung des iToilun;,''skoeffizienten« und
»Schwellenwertes« erwies sich diese Substanz bei weitem am wirks-amaten.
Andere Untersuchungen halten gezeigt, daß von den galenischen Präpa-
raten, Tinkturen^ Infusen etc. sowohl wie von den synthetisch hergestellten
Präparaten nur das Valerdiäthylamid haltbar ist, indem sich die anderen
sehr schnell zur unwirksamen Säure umsetzen. Daher empfiehlt der Ver-
fasser das Valerianaäurediäthylaraid, das unter dem Namen Valyl im Handel
ist, als das aliein brauchbare Baldrianpräparat.
Die Bemühungen, ein haltbares Baldrianpräparat herzustellen, haben
zur Einführung des Succus Valerianae durch PorrHKT und Chkvalikr-) ge-
fuhrt. Es stellt eine klare, gelbbraune Flflssigkeit von schwach aromatischem,
nicht unangenehmem Geschmack dar. iOg des Saftes entsprechen 10^ der
W^urzei. Man gibt 2*0 — 4*0^ pro die.
Literatur: ') Kionra, Die Wirkni)f( des Baldrian». Arch.intcmat.de Pharm acodyna-
mie et Av. Thi'iapie, XIU, H. 3 u. 4, pag. 215. — *) Pouchet und Gurvalikr. Kinde phar-
macolo^ique et ph»rniacodynnmi<tne du suc üc Valeriane. Les Nouveaux Remedes. 4, 11K)4,
zit. nach Ther.ip. Monatsh.. Janaar 1905, pag. 43. E. Frey.
Balsanium peruvianum. Der Perabalsam bei der Wundbe-
landlung ist wieder seiner Vergessenheit entrissen worden. Petretto *)
Balsamum peruvJanum.
Basedowsche Krankheit.
7.S
empfiehlt ihn bei der Behandlung alter FuligeschwQre, er wendet Tolgende
Verordnungsform an: Argent. nitric. 03, Balsamum perav. 6*0, Ungt. simpl.
90 0. Kbenso sah Birgkr ^) bei Quetschwunden nach Auftropfen von Peru-
balsam eine reichliche Entwicklung von straffen Granulationen, die sich
rasch Qberbäuteten. Desgleichen berichtet Frank ') Ober Heilung eines alten
Unterschenkelgeschwürs, das jeder Behandlung trotzte, nach Anwendung von
Perubalsam. Auch UNsriiuLD M sah nach Perubal^iamapplikation eine rasche
Heilung bei Geschwüren von Uiabetikern.
Eine Vergiftung mit Perubalsam wird von Gassmanx^) erwähnt. Es
handelte sich um einen Skoliosen, bei dem etwa 50^ Perubalsam in An-
wendung kamen. Es entwickelte sich eine Nephritis mit Ödemen, Blut im
Harn, Mattigkeit, Husten und Schlaflosigkeit. Der Eiweißgehalt betrug S^/^,
am IG. Tage noch G — 8%o; os traten im Harn reichlich Zylinder, Leuko-
and Erythrozyten auf. Auch wurde durch GIottisGdem die Atmung be-
hindert.
Literatur: *) PrrueiTn, Balsarnnm pernvianum bei der Wnndbehandiriag. Müncbener
med. Wot'hfnHrlir, 1904, Nr. .n2. — 'j Bciioku, iJi« Verwendung von BAlsaratim pernviünuin
bti der Wiindhrhandlting. MUiichener med, Worhensehr., 19(J4, Nr. 48, pHg- 2139. — ') C.
Fraxk. Die Verwf'ndnng deri Balnamiini pernvianum bei der WundbulKindlung. MQnchener
med. Wochenachr., 1905, Kr. 16. paif. 764. — *> UnsrerLD, Noch eine Mitteilung llher Bal-
farnnro penivianiini. Mflncliener med. WoeheDsehr., 1005, Nr. 18^ pnir. iiOil. — ') Oks&UAttH,
Schwere Nephritia nach Einrcibting eines Skoliosen mit PenibaUain. MUuehenermQd. Woehen-
schrift, 1904, Nr. 30. E\ Frty.
Barynm. Bk.\tM berichtete ober Versuche, die Wirkung: des Chlor-
baryums auf das isolierte WarmblÖterherz betreffend. Ein Teil der Baryum-
wirknng; auf die Pulsbeschaffonheit beruht auf einer Heeinfiussun^ des
Herz«*nB selbst. Die Versuche wurden an dem BocK-HKHiMischen Herz-
prSparat angestellt.
Kin Baryumpräparat ist von Brat in die Therapie eingeführt worden:
Barutin, ein Doppelaalz des Baryum-Theobromin und Natrium salicylicum.
Experimentelle Untersuchungfen über diese Substanz hat Bibbkgrh. ^) ange-
stellt, und zwar nach der Methode von Richter: Durch Urannitrat warde
eine Nephritis mit Ödemen erzeucht und die Größe der Ödeme bei g:leich-
zeitigor Oabe eines Diuretikums bestimmt. Es zeigte sich, daß in dem Ba-
rutin ein Präparat vorliegt, welches zwei dluretische Substanzen in sich
vereinigt, und zwar so, daß bei kleinen Barutingaben die Baryumkomponente
den Hauptbestandteil un denn diuretischen Effekt trägt, wAhrund bei größeren
Dosen die Theobrominkoniponente wirksamer ist.
Als Herzmittel empfiehlt Miesowic/^) das Baryum chloratum, und zwar
dort, wo eine leichte Herzinsuffizienz ohne gleichzeitig erhöhten Blutdruck
vorliegt.
Literatur: *) Beat, Über die Wirkung des Baryuius auf das isolierte SäugutierberK.
XXII. Koujfr. f. innere Med. Wit^Kbaden 1905. fL-r. Mtineheoer med. Wochennebr., 1905, Nr. 19,
psg. 927. — ') BiuKHUKiL, E.vpfrinienlellr Untersuchunfren Ober d:i» tianitia , ein neue«
Diaretiknin. Deutsche med Wochensehr,, ]IK>5. Nr. lö, pajj. 584. — "> Miksowicz, Baryum
chloratum aU Herzmittel. Przeglad lekarskit, Nr. 12 u. 13, zit. nach Deatscbe med. Woohen-
schrilt, 1^)5, Nr 16, pag. G43 ^. Frey.
Basedowsche Krankheit. Was die Ätiologie der Basedow-
fichen Krankheit anbetrifft, so sind in den letzten 4 — f> Jahren, auf welche
sich die vorliegende Berichterstattung bezieht , keine wesentlichen neuen
Gesichtspunkte zutage gefördert worden. Brixs sah zwei hochgradige Fälle
nach detn Gebrauch von Jodpräparaten entstehen, das eine Mal nach
Einreibung von Jodjodkaliumsalbe gegen eine bereits bestehende Struma,
das andere Mal nach Darreichung von Jodkalium innerlich gegen voraus-
gegangene Syphilis. Auf die Entwicklung von Morbus Basedowii nach
akuten Infektionskrankheiten ( Imal Scharlach, Imal Angina, .'imal
76
Basedowsche Krankheit.
Keuchhusten) bei Kindern lenkt Barret die Aufmerksamkeit. Das Auftreten
von Morbus ßasedowü in einer und derselben Familie (bei GeRchwistern
oder überhaupt En der Aszendenz und Deszendenz) beobachtete wiederholt
MuRRAY^ desgleichen einmal Shaw (Vater und Sohn) und Ovazza (drei Ge-
schwister).
Die Symptomatologie hat einige neuere Beobachtungen zu verzeichnen.
SriETHoFF stellte Untersuchungen Aber den Blutdruck bei Basedowkranken
an. Diesen Beobachtungen zufolge zeigt sich der Blutdruck bei leichteren
Formen der Krankheit im allgemeinen nicht verändert, bei schwereren manch-
mal erhöht, manchmal erniedrigt Auch Donath hat sich mit dem gleichen
Gegenstände beschäftigt. Er stellte fest, daß im allgemeinen die Basedow-
kranken nur ganz vereinzelt einen herabgesetzten Blutdruck aulweisen, viel-
mehr entweder einen normalen oder übernornialen. Hirschl hat bei Morbus
Basedowii die alimentäre Qlykosurie geprüft. Nach diesen Untersuchungen
ist die Assiutilationggrenze für Traubenzucker herabgesetzt, mit anderen
Worten, obwohl für gewöhnlich der Urin der Kranken zuckerfrei ist, ent-
hält er nach der Darreichung von bereits 100^ Traubenzucker Zucker. Da
nun in vier Myxödemfällen^ die Hirsi'kl gleichfalls in diesem Sinne unter-
suchte, kein solches Verhalten nach Einführung von Traubenzucker nach-
weisbar war. so zieht er den Schluß, dati die Glykosurte als ein Anzeichen
der Hyperthyreoidation zu deuten sei; eutweder handele es sich dabei
um eine Wirkung des Giftes auf Leber und Muskeln oder um eine gleich-
zeitige Störung des Pankreas oder um eine solche des Nervensystems. Der
Gaswechsel, der von S.m.omo\ zum Gegenstand der Untersuchung gemacht
worden ist, soll bei Morbus Basedowii erhöht sein. Für normale Männer
fand S^LOMO.v einen Sauerstoffverbraucb von etwa 34 cm\ für normale Frauen
von 3*8 cm* auf Kilogramm und Minute; als höchstes för einen normalen
Menschen zulässiges Maß stellt er 43 cni^ hin. Basedowkranke weisen nun
eine höhere Ziffer auf. Diese Erscheinung kann unter Umständen für die
DtfferoDtialdiagnose wichtig sein, wie Verf. an einem Beispiele zeigt, wo die
Diagnose erst endgültig festgelegt werden konnte« nachdem ein Sauerstoff-
verbrauch von 5'9 C/7I* an dem Kranken festgestellt worden war. Auf ein
weiteres diagnostisch wichtiges Symptom, sofern die Trias noch nicht aus-
geprägt ist. macht Ber(.;er aufmerksam, d. i. die Epiphora, die eine der
allerersten Erscheinungen bei Morbus Basedowii vorstellen soll. Die Kranken
pflegen lange vor endgCltigem Eintreten ihrer eigentlichen Erkrankung Über
hochgradiges Tränenträuleln zu klagen, suchen deswegen den Augenarzt auf,
der eine Operation vornimmt, indessen ohne Erfolg. Ober einen Fall von
einseitigem Tränenträufeln berichten Wilbra.vdt und Säxi;er.
Einige Beobachtungen liegen vor. in denen sich der Morbus Basedowii
mit anderen Krankheiten kombinierte. So beobachtete Diller einen Fall In
Verbindung mit multipler Neuritis, Rosknfbld mit schnell aufstei-
gender Lähmung, Manges mit Diabetes, einen anderen mit chronischem
Gelenkrheumatismus, Krieger mit KAVNALDScher Krankheit und
Sklerodermie. Latzko endlich 5 Fälle, in denen sich zu der BASEDowschen
Krankheit Osteomalacie zugesellt hatte. Latzko ist der Ansicht, daß dieses
Zusammentreffen kein zufälliges sein könne, sondern auf den Auslall der
Funktion der Eierstöcke zurückzuführen sei. »Denn zwischen der inneren
Sekretion der Ovarien und der inneren Sekretion der Schilddrüse bestehen
innerliche Wechselbeziehungen; Störung der einen Funktion kann daher
Störung der anderen zur Folge haben. ^ Bornickel beobachtete in einem
Falle längere Zeit anhaltende Temperatursteigerungen, für deren
Znstandekommen keine Ursache ausfindig zu machen war.
Die wenigen pathologisch-anatomischen Untersuchungen, die neuer-
dings veröffentlicht worden sind, haben bereits früher erhobene Befunde be-
Basedowsche Krankheit*
77
stäti^ Eine Hyperplasie der Milz wurde in drei Fällen von Barret
beobachtet, eine Ver^rÖßeranja: der Thymus in je einem Falle von
O Carrol, Kedziok und Zanietowski, sowie Schix/. Erwähnenswert ist lemer,
daß Maccai.cm achtmal eine Atrophie der Nebenschilddrüsen, O'Carroi.
eine mficbtif^e Hypertrophie der Schilddrüse, die intrathorakal bis
zum Aortenboicen herabreichte, konstatierten. Der letztere beobachtete in
dem gleichen Falle noch eine Atrophie der Glandula pituitaria und
frische sowie ältere Blutungen in das verlängerte Mark, sowie eine
Verkleinerung der Corpora resttfurmia, die sich bei der mikrosko-
pischen Untersuchung als ein Schwund der Fasern, besonders linkerseits,
herausstellte. Kliex hat eine ZusammenstelluDg aller bisher beobachteten
Sektionsbefunde, im ganzen 36, gegeben und eine neue Beobachtung hinza-
geftlgt. Hiemach sind besonders bäofig Blutungen in den 4. Ventrikel ge-
funden worden. Verfasser sucht diesen Befund mit der Theorie von der
Hypersekretion der Schilddrüse in Verbindung zu bringen ; er nimmt an,
daß das ßasedowgift besonders schädigend auf die Medulla oblongata ein-
wirke, indessen auch an verschiedenen anderen Stellen des Zentralnerven-
systems Entartung herbeiführe.
Daß das verlängerte Mark bei der BASEUovvschen Krankheit eine
wesentliche Rolle spielt, hat Bienfait, wie vor ihm schon früher Filehne
und DARorpi, von neuem dargetan. Er stellte wiederholt an Kaninchen experi-
mentell fest, daß Verletzung des äußeren Randes des 4. Ventrikels die Er-
scheinungen der BASEDOwschcn Krankheit (Exophthalmus, Tachykardie,
Hypertrophie der Schilddrüse) herbeiführt. Tedkschi hat sich eingehender
mit dem Verhältnis von Schilddrüse und Modulla oblongata be-
schäftigt. An Hunden und Kaninchen konnte er feststellen, daß eine Läsion
der Corpora restiformia, besonders wenn diese hinter das Tuberculum acusti-
cum fällt, nicht nur die Kardinalsymptome des Morbus Basedowü, sondern
auch noch Polydipsie. Olykosurie, Tremor, manchmal Gefräßigkeit, andere
Male Appetitlosigkeit hervorzurufen imstande ist. Er fand ferner, daß bei
Tieren, bei denen auf solche Weise die Basedowerscheinungen erzeugt wurden,
indessen schon wieder mehr oder weniger Im Verschwinden begriffen waren,
solche Erscheinungen in der Gesamtheit oder zum Teil wieder herbeigeführt
werden konnten, wenn man durch Injektion von Pikrinsäure in die Schild-
drüse oder durch Verfütterung von frischem Drüsenge wetrn eine Hyper-
thyreoidation erzeugte, daß ferner, wenn bei Tieren die Schilddrüse in tote
weggenommen worden war, der Durchschnitt der strangf arm igen Körper
keinen Basedow hervorrief, und schließlich daß Tiere, welche durch Ver-
letzung der Corpora restiformia basedowisch geworden waren, durch Fort-
nahme der Thyreoidea den größten Teil oder auch alle Krankheitserschei-
nungen wieder verloren.
Die Therapie der BASEDowscben Krankheit Ist zurzeit Immer noch
keine einheittiche. Treffend bemerkt hierzu A. Gu Li-: neuro : »Wer in eine
Theorie verliebt ist, der sieht auch in therapeutischen Dingen alles nur
leicht aus dem Gesichtswinkel dieser Theorie, und umgekehrt, wer für irgend
eine therapeutische Methode einseitig und unkritisch schwärmt, der wird
auch den Weg zu der dieser Methode nächstliegenden und am meisten
entsprechenden Theorie nur allzuleicht finden. Gerade einer solchen Über-
schätzung einzelner Methoden auf Grund vorgefaßter theoretischer Meinungen
haben wir uns auch in der Therapie der HA&EDOwschen Krankheit augen-
blicklich zu erwehren.« Jahrelang lautete das Feldg^eschrei: auf der Seite
der Chirurgen »hie operativer Eingriff« und au! der Seite der Internisten
>hie physikalisch-diätetische Heilmethoden«. Der Enthusiasmus für die aus-
schließliche Anwendung der einen oder der anderen Heilmethode hat mit
der Zeit nachgelassen; in beiden Lagern ist man zu der Überzeugung ge-
78
Basedowsche Krankheit.
kummen, daü zumeist schon eine vernQnftige Anwendung der balneolOjp:ischen,
klimatolog^ischen . diätetischen und elektrischen Heilmittel genügt, am die
BASKoowsche Krankheit znm RQckgange zu bringen , daß aber auf der
anderen Seite, wo diese Methoden im Stiche gelassen haben, die chirurgischen
Eingriffe angebracht sind.
Die medikamentöse Behandlung ist so ziemlich verlassen worden.
Abrahams verordnete in drei Fällen, wo der Basedow nach den sekundären
Erscheinungen einer Lues aufgetreten war, Quecksilber bzw. Jod. Und
in der Tat ging nicht nur die Syphilis, sondern auch die BASRnowsche
Krankheit zurück, Ricüardsox sah 6 Fälle von Basedow nach' Verordnung
von L im; oLscher Lösung und Nebennierenoxtrakt hoilcn oder sich wenigstens
bessern. KiR\'BKR<iEU versuchte das su I Fan il saure Natron (als Antidot
<ies Jods) in der Dosis von 10^^ am Tago, sah aber keinen sonderlichen
Einfluli auf das Leiden. Wybow lobt das Trinken von Ersenwasser (Pou-
chon([uetle, Spaa) in Verbindung mit kohlensäurehaltigen Bädern, Smidt
die Kakodylsäure. Abadie und Collox versuchten in 24 Fällen die Ein-
spritzung von .lodoformäther in die Schilddrüse, und zwar l cm^ eines
Gemisches von 4 g Jodoform auf 20^ Äther, alle 8 Tage eine Spritze. Un-
angenehme Erscheinungen stellten sich dabei niemaW ein, ausgenommen
vielleicht etwas Spannung und g^eringe Schmerzen. Bisweilen bereits nach
1 — 2 Einspritzungen zeigte sich Beasorung, die mit fortgesetzter Behandliiug
zunahm. Heilung oder wenigstens hochgradige Besserung soll 12mal erzielt
'worden sein, wesentliche Besserung 9mal, vorübergehende Besaerung 3mal.
Es verschwanden zunächst die subjektiven Beschwerden, der Kopfschmerz,
die Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, das Zittern etc. Bald ging auch die Tachy-
kardie zurück, so daß sich die Kranken dadurch nicht mehr belästigt fühlten.
Objektiv aber änderte sich nichts. Die Verlasser erklären sich den Erfolg
in der Weise, daß sie annehmen, durch die Einspritzung werde eine Proli-
feration des Bindegewebes erzeugt, welche das Drüsengewebe zum Schrumpfen
bringe. Mr>B]i s hat auf diese li^nipfehlung hin das gleiche Verfahren ange-
wendet und will zuweilen ebenfalls gute Hörfolge gesehen haben. Er hebt
noch besonders hervor, daß bei Anwendung gerade dieser Methode die
schädliche Einwirkung des Jods in Fortfall komme.
Nach wie vor behalten die physikalischen HeiHaktoren Ihre
Gültigkeit Besonders der Wert der Elektrizität wird mehrfach lobend
hervorgehoben, so von Lamari, Le Filliatre, Libotte, Mtrhav (auf Grund
«ahlreicher Beobachtungen). Bordier, Gvilloz (DiRANrO und Rodmann. v. Holst
sah gute Erfolge von der Anwendung allmählich kühler werdender Halb-
bäder, BrxBALM von feuchten Einpackungon mit kaltem Kücken-
schlauch. Auch ich habe verschiedene Besserungen, die an Heilung heran-
reichen durften , eintreten sehen bei genügend lange durchgeführter An-
wendung von Halbbädern, Packungen und Galvanisation. Hkllkr bat eine
besondere Kombination von Fackungen mit Rückenschlauch erprobt gefunden.
Er läßt zu diesem Zwecke ein in 15 — 17*^igea Wasser getauchtes Leintuch
auf dem Packbette ausbreiten, legt einen 40 cm langen und '20 cm breiten
Rückenschlauch darauf, läUt dann weiter den Kranken sich so darauf legen,
daB der Schlauch entlang dem Röckgrate, und zwar vom Nacken nach ab-
w&rta zu liegen kommt, und ihn dann einpacken. Durch den Schlauch wird
35 — 40*iges Wasser geleitet und der Patient eine Stunde lang liegen ge-
lassen. Nach der Packung wird ihm ein Halbbad von 24 — 22^ R verabreicht.
Nach Versuchen an Gesunden und Kranken konnte Hellgh teststellen, daß
durch entsprechend lange Einwirkung von Wärme auf die obersten Partien
4)68 Rückenmarkes die Herz- und Gefäliinnervation in der Tat beeinflußt
werden kann, was auf eine direkte Einwirkung der Wärme auf die kardio-
vaskulären Zentren zurückzuführen ist Diese Veränderungen bestehen in
Basedowsche Krankheit.
einer Zunahme der Kraft der einzelnen Systolen, einer Zunahme des ganzen
OefäÜtonns und einer besseren Faltung des arteriellen Systemes. Verf. meint
auch, daü diese Erscheinungen keineswegs vorübergehende, sondern vielmehr
von dauerndem Werte sind. In allen von ihm so behandelten Fällen von
BASEDowscher Krankheit sah er keine Rezidive auftreten.
Über die chirurgische Behandlung des Morbus Basedowü dürfte die
umfangreichsten Erfahrungen wohl Tu. Kochkk zu verzeichnen haben: Über
sie hat sein Sohn Auwuir Kocukk sich in einer umfangreichen Arbeit ein-
gehender ausgelassen. In den Jahren 1883 — 1899 behandelte Kocmhk im
ganzen 59 Basedowfälle auf operativem Wege. Er ging bei der Vornahme
der Operation von der Ansicht aus, daü die Basedowstruma auf vaskulären
Veränderungen beruhe, eine Struma teleangiectodes wäre und richtete dem-
entsprechend seine Behandlung darauf hin. diese abnorme Vaskularisation
aufzuheben und die Schilddrüse möglichst zur Norm zurückzuführen. Sobald
diese Voraussetzung erreicht ist, hält Kocheh den Erfolg für gesichert.
Wenn z. B. die zuröckgebUebene Hälfte der Struma noch pulsiert, ist die
Operation ungenügend gewesen und muß wiederholt werden. Eine bestimmte
Operation vermag Kochkii daher auch nicht vorzuschlagen. Das Rationellste
ist für ihn die Kombination von partieller Exzislon und Ligatur der zu-
führenden Arterien. In manchen Fällen erscheint es angebracht, die Vasku-
larisation mit einem Male zu unterdrücken, aber in der Mehrzahl der Fälle
empfiehlt es sich schrittweise vorzugehen, zumal man oft nicht weiß, wie
weit der Gefäßreichtum reicht und bei Fortnabrae von zuviel Drüsensubstanz
die Gefahr der Kachexie wie auch des sofortigen Todes vorliegt. Im einzelnen
wandte Kocbkh 14 mal die halbsetttgo Exzinion an. IGmal die Ligatur, lOmal
die halbseitige H^xzision mit Ligatur, 4mal die halbseitige Exzision und die
partielle Resektion, Imat die Ligatur und die partielle Resektion, :^mal die
halbseitige Exzision, partielle Resektion und Ligatur und l^mal die Ligatur
und Resektion des Sympathikus. Von den 59 Kranken werden 45 als ge-
heilt ausgegeben. 8 als bedeutend gebessert, 2 als nur wenig gebessert und
4 starben, und zwar anscheinend 3 davon infolge der Operation und einer
infolge einer hinzugetretenen doppelseitigen Pneumonie. Mit Recht warnt
KocHRR davor, '>im Stadium höchster psychischer Aufregung und höchster
Pulsfrequenz zu operieren*. Die von Kocukk verzeichneten Heilungen scheinen
ziemlich vollständige gewesen zu sein: bei einem Teil derselbpn lieli sich
die Dauer des guten Erfolges bis auf 10 Jahre und mehr zurückvcrfolgen.
34mal war nach der Operation der Puls von normaler Beschaffenheit,
5 Kranke wiesen wegen eines Herzfehlers oder einer interkurrenten Krank-
heit vermehrte Schläge noch auf, ^ hatten eine Reizbarkeit des Herzens
beibehalten, so daß bei Anstrengungen die Fre'juenz wieder in die Höbe
ging. In 26 Fällen war der Exophthalmus verschwunden, in den übrigen
Fällen mehr oder weniger zurückgegangen. Die Vaskularisation von setten
der Schilddrüse war durchwegs verschwunden. Bemerkenswert ist noch, daß
in drei Viertel aller Fälle zunächst nach der Operation sich unangenehme
Erscheinungen geltend machten, wie große Aufregung bis zu Verwirrtheit,
Herzklopfen, Hitzegelühl, Zittern, Schwitzen. Erbrechen, unregelmäßige Herz-
tätigkeit Fieber etc., Erscheinungen, die nach mehreren Tagen wieder ver-
schwanden und von Kocher als Folgen der Blutung gedeutet werden. Weitere
Statistiken über operative Behandlung teilen Witmer aus der KuÖx-
uEiNschen und J. SrurLZ aus der KüMMKLLschen Klinik mit. Der erstere ver-
zeichnet unter 23 Bi^obachtungen Oraal an Heilung grenzende Besserung.
Gmal wesentliche Besserung mit genügender Arbeitsfähigkeit, 6nml keinen
Erfolg und 2ma] tödlichen Ausgang; der letztere unter 20 Beobachtungen
18nial Heilang. 1 mal Ruckfall und Imal Todesfall. Beide Autoren empfehlen
in erster Linie die partielle Resektion.
80
Basedowsche Krankheit.
Demß:egenflber betont Balacbscu, d&Q einzig and allein nur die Sym-
pathikusroscktion^ und zwar die totale und bilaterale , die rationollste Me-
thode bedeute. »Sie allein lät imstande, sowohl die Uauptsymptome der
BASEDOWHchen Krankheit als auch die akzessorischen Zeichen derselben zu
beseitigen und vollst&ndiKB und dauernde Heilungen zu bringen,* Sowohl
die einfache Durchtrennung des Sympathikus als auch die Dehnung des Hals-
Sympathikus sind zu verwerfen, vielmehr mut^ die totale und die bilaterale
Resektion des Nerven durchgelilhrt werden.
Vor den operativen Eingrillen in die Struma warnt Hai.acescu, denn,
»wenn auch die direkten, die Schilddrüse trefrenden chirurgischen Eingriffe
bei Struma simplex ungefJihrlich sind, ho werden sie gerade bei der Uase-
nowschen Struma sehr ernat und von häufigen Mißerfolgen begleitet«.
Man sieht also, dalS unter den Chirurgen bezüglich der einzuschlagenden
Methode keine EinheilUchkeit herrscht Dieser Zwiespalt der Ansichten mag
dazu geführt haben, weiteren Heilmethoden nachzuspüren. Diese Versuche
gingen von der Voraussetzung aus, daß die BASEDOWsche Krankheit eine
V^ergiftung durch übermäßiges oder chemisch verändertes Schilddrüsensekret
vorstelle und daß der schilddrüsenlose Organismus Schutzstoffe bilde, durch
welche die bei der BASEDowschen Krankheit sezernierte giftige Substanz
gebunden bzw. neuralisiort werde. Balkt und Enkiqur/. sowie Lanz suchten
diese Erwägungen praktisch zu verwerten^ indem die erateren das Blutserum
thyreoidektomierter Hunde Basedowkranken injizierten, der letztere die Milch
solcher Ziegen (täglich ^/^ — Va I) trinken ließ. Unabhängig von diesen Autoren
kam GoEBEi. gleichfalls auf den Gedanken, die Milch und das Serum kropf-
loser Tiere therapeutisch zu verwerten. Diese Versuche waren in der Tat
ermutigend, so daß BimuHART und Blimi^xthal sie wieder aufnahmen. Da
aber die Ziegenmilch schon nach kurzer Zeit den Kranken widerlich wurde,
so versuchten sie aus der Milch die wirksame Substanz zu fällen und in
haltbare Form zu bringen. Das Erzeugnis dieser Versuche ist unter dem
Namen Hodagen in den Handel gekommen. Mi'lBirs, der gleichfalls in der
geschilderten Richtung Versuche anstelUe, spritzte das Serum von »chihi-
drüaenlosen Hammeln subkutan ein; da sich diese Methode indes nicht be-
währte, so griff er zur internen Behandlung. Ein günstiger Einfluß auf das
Allgemeinbefinden war nicht zu verkennen; die Kranken fühlten sich ruhiger
und ihr Schlaf wurde besser. Der Umfang des Halses nahm ab , aber die
Pulsfrequenz ging nicht sehr herab. Seitdem ist das »Antithyreoidinc,
das von der Firma E. Merck in Darmstadt fabrikmäßig hergestellt wird,
in einer Reihe von Fällen versucht worden, so von Bokrma, DrKRixf;, Erd-
max, He.mpkl, Indemans, Jüsioxek, SidvXEy Kuh, Lgimbach, Lomer, Meyer,
Peters, Rogers, Rosenfem), Sainton und Pisakte, Schultbs, Sorgo und
Thie.sger. Ein Plinfluß auf das Allgemeinbefinden war mit wenigen Aus-
nahmen im allgemeinen sichtlich vorhanden. Schlaf, Stimmung und Appetit
wurden gut, das Körpergewicht nahm zu, der Umfang des Halses wurde
geringer, der psychische Zustand besserte sich, das Herzklopfen hörte auf,
zuweilen auch das Zittern und die Pulsfrequenz ging zurück , allerdings
nicht immer in genügender Weise. Wenngleich das Präparat auch einige
Male im Stiche ließ (je ein Fall von Kuumax. Hoihiiacs, Sidnky Kin. Sorgo
und TiUEXGER, mehrere von RoriEKs, Hokfmaw und ErLENBURGi, so sind
docb weitere Versuche mit ihm zu empfehlen. Ob es mehr leistet als eine
konsequent und sachgemäß durchgeführte Altgomeinbehandlung mittelst der
physikalischen Heilmethoden, bleibe dahingestellt. Ich habe keine Erfahrungen
darüber, da ich bei meinen Kranken mit den bisherigen Methoden immer
zufriedenstellende Erfolge erzielte.
Das gleiche gilt für das Hodagen, ein Präparat, das von den Ver-
einigten Chemischen Werken A.-G. in Charlottenburg hergestellt wird.
Basedowsche Krankheit.
81
Burghart und Blumknthal versuchten dasselbe in 10« v, Leyoen in mehreren,
Kt'HN'RMAS.v in 1 und KiHNnKiuiKU in 2 Fällen, gloichfallH mit dem beim Anti-
thyreoidin aufgegebenen Erfolge. Rydel indessen erlobte in 3 Fällen nur
geringe oder vorübergehende Besserung; desgleichen berichten fiber Miß-
erfolge SiGEL und HoKFMANN in je :^ F&Uen.
Die Dosis für Antithyreoid in beträgt 2 — 4g am Tage; indessen
können auch ruhig höhere Dosen (bis 3 mal bg) verabreicht werden, ohne
anangenehme Nebenwirkungen. Für Rodagen wird die durchschnittliche
Dosis auf 5 — 10^ angegeben, jedoch auch hier ist ein Überschreiten der-
selben ohne Schädlichkeit vorgekommen.
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Belladonna. Über 3 Falle von Belladonnaver^iftunfr berichtet
FkjAr. M Während der erste Fall eine Akkommodatlonalähmun? bei einem
Rollefcen betraf, der folgendes Rezept (cegen Appetitlosigkeit fcebrancht hatte:
Rp. Extr. Belladonnao Ol, Pulv. Rhei , Natr. bicarbon. aa. 50 ad scatulam
fnesserspitzenweiHc*. und bei dem nach Aussetzen des Mittels und Abführen
die Symptome verschwanden, erscheinen die beiden anderen Fälle von Inter-
esse , da sich nach länger fortgesetztem Gebrauch eines ßelladonnapulvers
vorübergehende Amaurose einstellte. In beiden Fällen fehlten Symptome
von Seiten des Herzens , der Atmung und des Sensorlams. Der dritte Fall
Ist bemerkenswert, weil er nach medizinaler Anwendung des Atroplns als
Augentropfen eintrat; die starke Unruh© wurde durch Morphin beseitigt.
In einem von Holz*) veröffentlichten Falle erhielt ein Kind eine
O'^/gige AtropinlÖBong, die zur Einträufelung bestimmt war, aus Versehen
innerlich, und zwar einen Teelöffel davon. Nach 2 Stunden trat starke Un-
ruhe, hochrote, trockene Haut, starker Meteorismus, fliegende Atmung und
jagender Puls auf. Zweimal 0005^' Morphin brachte Ueruhigung.
Erwähnt wird ferner eine schwere Vergiftung nach zwei Tollkirschen
bei einem vierjährigen Knaben, welcher genas (Stocker'). Außerdem trat
bei einer alten Frau eine Vergiftung nach Anwendung eines Belladonnapflasters
auf (Sanders *).
Literatur: ') Fu^a, Tber T^rlladonnavergiftnng in der augenUrztlichen Praxis. Ber-
liner klin. Wochensehr, 1904, Nr, 32, pag. 855. — 'i Holx, T'ber Atropinvergiltung. Berliner
klin. Wochenachr, 1904, Nr. 46. — 'i Stockkr. Belludono.arergiftang. KorrespondenEhl. I.
Bchwuitfr Ärrte, Nr.4, zit. nach Deutsche med. Wochenschr. , 1905, Nr. 9, pag. 3ö7. —
*) Sandkra, Vergiftnng durch Belludonnnpn&ster. Journ. of tbe Amer. med. Asflociation, Nr. 16,
ait. nach Dentsche med. Wochenachr., UK)4, Nr. 46, pag. 1690. Ä. Frey.
Benzin« Durch Einatmung von Benzin infolge AusstrÖmens von
Benzindämpfen in einer Fabrik trat bei den Arbeitern eine Vergiftung ein,
bestehend In Kopfschmerzen, Schwindel. Gefühl von Druck auf der Brust,
Herzklopfen, Erbrechen, Hinfälligkeit zu leichten Delirien. Es trat Hei-
lung ein.
Literatur: D. Galiax. Vergiftnng mit Uenxin durch Inhalation. Spitalul, Nr 19/30,
mit. nach Dentache med. Woohenschr., 1904. Nr 49, pag. 1819. E. Frey.
Bloson. Bioson ist ein EiwciÜpräparat, welches hauptsächlich Ka-
sein, ferner Eisen und Lecithin enthält und dem etwas Kakao zugesetzt ist;
es ist nach Heim M ein gutes, reizloses Eisenpräparat, das auch längere Zeit
gut vertragen wird, appetitanregend wirkt, den Hämoglobingehalt des Blutes
and die Zahl der roten Blutkörperchen vermehrt. Auch Marx') sah gute
Erfolge damit. Dos Hioson wird zu einem verhältnismäßig billigen Preis von
Apotheker Diefenbach in Bonsheira a. d. Bergstr. hergestellt
Literatur: ') Bei», lUlniiKhe Krfahrangen mit > Bioson «, einer EiweiU-Eisen'Lecithin-
vcrbindnng. Birliner klin. Wochenschr. , 1904. Nr. 22, pag. 592. — *) Kakl Marx, Erfahrungen
mit »Bioaoo«, elneui Eivreiti-Eisen-Lecithin-Nährpräparat. Deutflchp med, Wochenschr., 190ä.
Nr. 1, pag. 22. E. Frey.
Btoplastin besteht aus Lecithin in Verbindung mit Phosphaten des
Eidotters und Eisen und wird zur Behandlung von StoffwechselstÖrungen,
besonders asthenischen Formen, empfohlen.
81
Bioplastin. — Blei.
1
Literatur: Jicuiiasi, Bioplastin-Tlierapie. Hiforma med., Nr. 36, zit. nach DenUchc
med. Wochcnschr. 1904, Nr. 40, png. U74. e. Srty.
Birkenblättertee empfiehlt Jaenicke (Zentralbl. f. innere Med.,
1904, Nr. 13) zur Auflösunjc von Nierensteinen, und zwar 1 Teelöffel auf
Yi / Wasser; dieser Tee soll 6 Monate lang fcebraucht werden. e. Frey.
Bismutose. Zu den früher (EuLKNßUROs Encyclopäd. Jahrb., N. F.,
III. Jahrg-., 1905, pag. öl) erwähnten Indikationen der Bismutose, einer Wis-
mut-Eiweißverbindung:, deren Anwendunf? gute Erfolj^e hatte, ist durch
WkhmkrI) eine neue hinzu^efQßft worden. Er wandte es bei den Durchfällen
der Phthisiker an, deren Unterscheidung von wahrer Enteritis tuberculosa
oft schwierig ist. Die Erfolge, sowohl in betreff der Entleerungen, des Auf«
Stoßens als auch der Gewichtszunahme waren durchaus befriedigend. Im
allgemeinen gab er 15^ Bismutose dreimal täglich in Schleimsuppe
verrührt.
Auch Nathan*) gibt an, daß die Bismutose ein unschädliches und wirk-
sames Darmadstringens ist, das dem Bismutum subnitricum nicht nachsteht.
Der Autor gibt es in Mengen von 0'5 — l'ü^ in Haferschteim zweistandlich.
Literatur: ') Wehukr. Die Anw^ndiiriK dir Bismatonft bei Magea-Darraatürangen der
PlitiiisiktT. Die Therapie der Getreuw., Augu^l l'JIJ4, p«g SSI. — -) F. Natban, BiBrantose.
AkU. f. Kiuderbk , XXXIX, H. 4 -6. E. Fny.
Bitterstoffe« Die Bitterstoffe regen die Sekretion des Magensaftes
an. Diese gesteigerte Sekretion läßt rasch nach; Bukis.sow konstatierte an
einem Hunde, daß nach Eingabe von Bitterstoffen die Sekretion bei weitem
größer ist, sie fehlt aber, wenn man 15 — -20 Minuten später Nahrung gibt.
Literatur: Borisbow, Bedeutung der BlttcrBtolfe für die VcrdniiUDg. Arch. I. experitn.
Path. u. Phnrm.. I^I. E. Frey.
Blei. Die chronische Vergiftung des Auges mit Biet ist ein häufigeres
Vorkommnis, als man bisher annahm. Lftwin *) wies durch umfangreiche
Statistiken nach, daß jede Art Beschäftigung mit Blei oder Bleipräparaten
zu Schädigungen des Sehapparates führen kann, wenn eine individuelle Prä-
disposition vorliegt. Die Erkrankungsformen kiinnen sehr verHchiedene sein,
vorübergehende Blindheit, Entzündung des Sohnerven mit Ausgang in
Atrophie, Nctzhaotcntzündung,AugciimuskeUähmungen, Augenmuskelkrämpfen
oder Hornhauttrübungen. Dabei kann das Auge der alleinige Sitz der Er-
krankung sein. Insbesondere ist das Auftreten dea Hleisaumes keineswegs
von so großer Bedeutung, als man Welfach glaubt.
Einen ebenso schädlichen Einflul^ hat die Beschäftigung mit bleihaltigen
Substanzen auf die Gebärmutter. Lkvviv -) konnte feststellen, daß Blutungen
auftreten bei Frauen, bei denen die Menstruation ausgeblieben ist und die
als schwanger angesehen werden mössen. Ferner traten Fehlgeburten im
3. bis 6. Monat auf oder Frühgeburten von toten oder bald sterbenden
Kindern. Auch überragte unter diesen Verhältnissen die Mortalität der ge-
bornen Kindern in den ersten drei Lebensjahren das gewöhnliche Mittel.
Die Vergiftungserscheinungen bei Vater oder Mutter können dabei sehr ge-
ring sein. Der Übergang von Blei auf das Kind durch die Plazenta ist durch
Analysen der Leber des Kindes testgestellt worden. Aber es kann sich auch
nur um Vererbung einer minderwertigen Anlage von seiten des Vaters
handeln.
Nach einem Bericht von Hall >) werden in England von Kurpfuschern
Qeheimmittel (Frauenpillen) vertrieben, welche zur Bleivergiftung ausreichende
Mengen Blei enthalten und auf diese Weise einen Abort veranlassen können.
Als zuverlässiger Maßstab für die Schwere der Bleivergiftung wird von
Vavdkz •) der arterielle Blutdruck angesehen. Die Erhöhung des Blutdruckes
durch primäre Vasokonstriktion gebe eine ausreichende Erklärung für alle
Blei. — Rleivergiftung.
85
Erschein untren des Saturnlsmns. Zunächst trete der Geläßkrampf im Splanch-
nikusirebiet auf, später auch im Gehirn und führe so auch ohne K'Ioich-
zeitiij^e NierenstOrung zu Aphasie, Amaurose oder eklamptischen Zuständen.
Literatur: *) L. Lcwnc, Die chronische Verj^iftiing dos Aagca mit Blei. Berliner
klin. Wochenschr.. 1904, Nr. 50, pag. 129Ö. — ') Deraulbe, Ober die Wirkung de» Blei»
aal die G«bäni)utter ßcrllaer klin. Wochenachr., 1004, Nr. 41, pa^. 1074. — *} H41.L, Za-
nahoif^ der Abtreibungen mit Klei. Brit. med. Joum. , Nr. 2307 , zU. nach Dentsche med.
WochrnRchr., \90b , Nr. 13, pag. 515. — *) VAQora, Arterieller Druck bei der ukuten und
ehroniachen KlfävergiftuDg. Semaine mäd., Nr. 48, Bit. nach Deutsche med. Wochenschr., 1904,
Nr. 61, pag. 18H8. £. I^rey.
BlelTers^iflnn^. Die fortschreitende Entwicklung der Gewerbe-
hyuriene hat einerseits durch die vorffeschriebenen MalJnahmen in einer Reihe
von Gewerben die HIeikrankheit zu einer selteneren Erkrankun;? g-omacht,
aber nndrersoits hat sie eine Reihe von Erkrankungen, deren Zusammen-
hang mit dem Rlei früher unbekannt war, als chroninche Bleierkrankungen
kennen gelehrt. So bemerkt z. B. A. SeeligmCller aus Halle, dali im letzten
Jahrzehnt die Zahl der bleivergifteten Nervenkranken, die sich zum gröUten
Teil aus Malern und Anstreichern rekrutierten, ganz bedeutend abgenommen
haben. Während früher z. ß. die Malerlehrlinge im ersten oder spätestens
im zweiten Halbjahre ihrer Lehrlingszeit an Bleikolik erkrankten, kommt
diese Krankheit jetzt bei ihnen gar nicht mehr oder wenigstens sehr viel
später zur Erscheinung.
Andrerseits haben die Statistiken ergeben, was froher nicht so allge-
mein bekannt war und vom sozialhygieninchen Standpunkt aus dio größte
Aufmerksamkeit beansprucht, dab der chronischen Bleiaitlnahmo. \v\f* sie in
einer Reihe von Betrieben vorkommt, eine höchst verderbliche Wirkung
auf die Geschlechtsorgane des Weibes innewohnt. L. Lewix konnte nach-
weisen, daß die betreffenden Frauen ungewöhnlich häufig, zum Teil sogar
durch Jahre hindurch ganz regelmäßig Aborte oder Frühgeburten von toten
oder bald sterbenden Kindern zeigten. Sobald diese Frauen aber aus detn
Betriebe oder aus der Bleigegond entfernt waren, hfirte dieser habituelle
Abort auf. Die Mortalität der von diesen Frauen normal cobornen Kinder
überschritt in den drei ersten Lebensjahren das gewöhnliche Mittel. Es ist
wichtig, hervorzuheben, daß zur Herbeifflhrung dieser Wirkungen schon eine
schwache Bleiintoxikatton genügte und selbst eine solche des Vaters.
In einer späteren Arbeit hat derselbe Autor auf eine andere Folge-
erkrankung des BleJH hingewiesen^ die vielleicht noch weniger allgemein
bekannt ist. Es handelt sich um die mannigfaltigsten Erkrankungen des
Auges, welche eine recht häufige Folge der chronischen Bleivergiftang bilden.
Lkvvin zählt hier auf: vorflbergehende Blindheit, Netzhautentzöndung, Seh-
nervenschwund , Augenmuskellähmungen , AugenrauskelkrÜnipfe , Hornhaut-
trübungen. Von besonders trauriger Bedeutung sind die Fälle, wo die Er-
blin(lung über Nacht einsetzt. Die Diagnose dieser Augenerkrankangen als
Bleikrankheit ist nicht immer loicht zu stellen, da ein Bleisaura nicht
regelmäßig vorhanden ist.
Die Bleikrankheit ist ferner in letzter Zeit noch bei den Perlfassern
als Berufskrankheit festgestellt worden, bei denen sie bisher unbekannt
war. Diese Arbeiter haben die feinen Perlen in Gold zu fassen ; zwischen
die Perlen und das Gold kommt eine feine Schicht, welche aus ßlciweiß
und Gummi arabicum besteht. Nun haben manche Arbeiter, wie Apert
festgestellt hat, die Üble Gewohnheit, das. was von dieser Schicht über-
flüssig ist, mit der Zunge wegAunehmen. Ai'kut hatte Gelegenheit, zwei
derartige Arbeiter, die ihm unter der Diagnose Appendicitis zugeführt
wurden, wegen Bleikolik zu behandeln.
Erfreulicherweise sucht nicht nur die Regierung durch die Gesetz-
gebung nach Möglichkeit der Verbreitung der Bleikrankheit entgegen zu
u
Bleivergiftung.
arbeiten — im Juli 1904 wurden z. B. wieder neue Vorschriften zur Ver-
hütung: der Bleierkrankungren der Maler, Anstreicher und Lackierer dem
Bundesrat zur Aullerong vorgelegt — , sondern auch der Privatbetrieb be-
{rnOgt sich nicht mit der Befolgung der oblf^atortächen Schutzmaliregeln.
Vielmehr hat dieser seibat wissenschaftliche Untersuchungen anstellen lassen
über das Wesen^ der Bleivergiftungen und die hygienischen Erforderoisse. um
die Gefahren der IntoTcikation zu vermindern. F. Bll^m hat eine solche Unter-
suchung im Auftrage der metallurgischen Gesellschaft zu Frankfurt a. M.
ausgeführt und ist dabei zu interessanten Resultaten gekommen, die zum
Teil mit den bisherigen Anschauungen im Widerspruch stehen. Auf die
hygienischen SchutzmaÜregeln im Betriebe selbst, die er auf Grund üea
Literaturstudiums wie der Besichtigung von Bleibetrieben als die empfehlens-
wertesten erkannt hat, sei hier nicht näher eingegangen ; am Schlüsse des
Artikels sollen seine Thesen wiedergegeben werden.
Blum hat das Schicksal des Bleis im Organismus verfolgt. Er hat ex-
perimentell nachgewiesen , dali die Wasserlöslichkeit einer Bleiverbindung
allein fflr ihre Resorption und Giftentfaltung nicht maligebond ist. Das un-
lösliche BleiweiÜ, Bloigiätte (Oxyd) erwiesen sich als ebenso giftig wie das
lösliche Bleiacetat und Bleichlorid: Bleijocltd war ein weseallich schwächeres
Toxikum, Bleiglanz aber, das sehr schwer lösliche Schwefelblei, war fast
ganz ungiftig. Letzteres wird nämlich von den Verdauungssäften nicht an-
gegriffen, während Bleiglälte und Bleiweiß unter dem Einfluß der Magen-
Bäure in lösliche und resorbierbare Verbindungen übergehen. Und zwar
bandelt es sich um entstehende lösliche Üoppolverbindungen der Bleisalze
mit den EiweißkÖrperr, während vielfach die falsche Ansicht vertreten wird,
daß die löslichen Bleiverbindungen in unlösliche Bleialbuminate Übergehen.
Bei Gegenwart von Eiweiß oder Eiweißderivaten sind die Fällungsbediagungen
sogar so vollständig verändert^ daß selbst Schwefelsäure zu einem Lösungs-
mittel des Bleis wird. Wird z. B. zu einem Verdauungsgemisch von ^^/qo
H Cl-Pepton-Bleioxyd oder -Bleikarbonat verdünnte Schwefelsäure zugesetzt,
so tritt keine Fällung ein. Die Schwefelsäure verdrängt offenbar die
schwächeren Säuren aus ihrer Verbindung mit Eiweiß und es bildet sich
eine wasserlösliche Doppelverbindung von Salzmure, Pepton und Bleisulfat.
Gelangt das Blei von irgend einer Stelle — Haut, Schleimhaut oder
Verdauungstraktua -- aus in das Körperinnere, dann wird es von dem Blute,
das als hochprozontige Eiweißverhin düng in besonders hohem Maße die
Fähigkeit besitzt, die Bleiverbindungen in Lösung zu halten, weitertrans-
portiert. Vermag doch selbst Schwefelwasserstoff Bleiacetat, welches Blut-
serum anter Vermeidung eines zu großen (Überschusses zugesetzt war, nicht
aus demselben niederzuschlagen. Die Bleiverbindung tritt nunmehr zum Teil
unter Entfaltung ihrer Giftwirkung mit dem Gewebe in Reaktion, während
der andere Teil — und wahrscheinlich übrigens auch der erste - allmäh-
lich im Blutserum zu basischem ßleikarbonat niedergeschlagen wird. Dati
in der Tat Umsetzungen mit dem Gewebe statttindon, konnte Blum dadurch
glaubhaft machen, daß er nach Vergiftung von Tieren mit den ätherunlöa-
liehen Blei verbin düngen aus dem Gehirn ätherlösliche Blei Verbindungen
extrahieren konnte. Die Umbildung der Bteiverbindungen in basisches Blei-
karbonat vollzieht sich im Reagensglase übrigens in analoger Weise wio
im tierischen Organismus, z. B. wird Bleijodid durch Lösungen von doppelt-
kohlensauren Salzen in basisches ßleikarbonat und iodwasserstoffsaures
Salz umgewandelt. Im weiteren gestaltet sich das Schicksal des Bleies so,
daß der größte Teil desselben wahrscheinlich in ungelöstem Zustande fort-
geschafft und durch den Verdauungstraktus ausgeschieden wird.
Ein geringerer Teil wird wieder langsam in Lösung gohen und von
neuem mit dem Gewebe in Reaktion treten. Die Umwandlung der unlöslichen
Bleivergiftung.
87
Verbindangen in Idsliche, i. e. die Reaktivierung des Bleis kann sowohl im
Magfen durch die Ma^rensäuro stattfinden, aber auch im DQnndarm kann
dahinein ausKeschiedenes Blei durch Umsetzungen mit Eiwoiiisubstanzen
oder Fetten und deren Derivaten von neuem resorbierbar t^emacht werden
und daher von neuem seine Giftwirkung entfalten.
Die Bestätigung dieser Annahme ist nicht nur auf experimentellem
Wege, durch Vergleichen der Giftwlrkunpr von per os und subkutan ein-
verleibten Bleiverbindungen gegeben, dio klinische Erfahrung selbst ist ein
ausgezeichnter Beweis dafür Denn es ist bekannt, daß sehr häufig Blei-
kranke, welche bereits als genesen angesehen wurden, nach mehr minder
langer Zeit wieder an Bleikolik erkrankten, obgleich neue Bleizufubr mit
Sicherheit ausgeschlossen werden konnte. Besonders lehrreich ist in dieser
Beziehung ein von Zinn mitgeteilter Kall, in dem aus Versehen eine schwere
Bleivergiftung per os stattgefunden hatte ; die betreffende Frau hatte am
9. Juli einen FUlöffel voll pulverisierter ßleiglätte au Stelle von doppelt-
kohlensaurem Natron genommen. Am nächsten Tage bereits waren typische
Bleisymptome vorhanden. Die Heilung erfolgte im Laufe der nächsten Wochen
und am 22. bis 24. August traten dann plötzlich spontan wieder Kolik-
schmerzen auf.
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß die Jodkalimedikatiou bei Blei-
vergiftung zwecklos ist; denn selbst wenn es, wie angenommen wird, im
Organismus zur Bildung von Jodblei kommt, so würde auch diese Verbin-
dung nicht etwa als solche durch den Harn ausgoschiedoa, sondern , wie
schon oben erwähnt, in ein jodwasserstoffsaures Salz und unlösliches ßlel-
karhonat zerlegt werden. Nur ersteres wird durch die Nieren ansgpschieden.
Bli M hat speziell zum Studium dieser Frage bei einer Reihe von Kaninchen
Bleijodid teils verfuttert, teils subkutan eingeführt; stets war der Urin
reich an Jod, während sich nur ganz geringe Mengen davon ab und zu im
Kot fanden. Das Blei hingegen, soweit es ausgeschieden wurde, wanderte
in den Intestinaltruktus, der größere, liegenbleibende Anteil aber verwandelte
sich in Karbonat und spurcnweise in Sulfat; nur oiu einziges Mal — nach
Massieren der zur Injektion benutzten Hautstelle — wurden mehrere Milli-
gramm Blei im Harn gefunden. Dieser Befund steht in einem gewissen
Gegensatz zu den Befunden anderer Autoren, welche häufiß: bei Bleivergif-
tung Blei im Harn nachgewiesen haben wollen. Jedoch ist zu bemerken,
dab es sich in allen derartigen Angaben nur um 4|ualjtativen Nachweis von
Blei gehandelt hat. DalJ Spuren von Blei übergehen können, erscheint auch
nach den ßLCMschen Untersuchungen nicht ausgeschlossen. Oswald hat
Übrigens jüngst bei 15 mit Jodkalt behandelten Bleikranken den Urin auf
Blei untersuchte aber niemals auch nur Spuren von Blei gefunden.
Was die fernerhin empfohlene Verabreichung von Schwefelsäurelimo-
naden betrifft, welche bewirken sollen^ daß das Blei in die relativ ungiftigste
Form von Scbwelelblei Qbergeführt wird, so IftÜt sich nach den oben ange-
führten Versuchen ein solches Resultat kaum erwarten: es erscheint nicht
aufgeschlossen, daß die starke SchwefclsHure im Magen andere schwächere
Säuren frei macht, welche sehr wohl das Gegenteil, die Lösung der Blei-
verbindung, bewirken können.
Andere wirksame Mittel gegen die Bleiiotoxikation sind tu letzter Zelt
nicht angegeben worden. Speziell gegen die Bleikolik ist das Atropin emp-
fohlen worden und es ist sehr wahrscheinlich, daß dieses krampfstillende
Mittel In der Tat gegen die kolikartigon Darmkontraktionen von Nutzen ist
Um so wichtiger sind die prophylaktischen Maßnahmen der Bleiarbeiter
gegen die Bleivergiftung. Abgesehen von den allgemeinen Maßnahmen, die
wir nach der BLiMschen Aufstellung hier anten folgen lassen, verdient der
Vorschlag Beachtung, die verunreinigten Hände nicht nur nach Möglichkeit
Bleivergiflung.
zu reinigen, sondern die ihnen doch noch häufig: anhaftenden letzten Bleireste
dadurch unschädlich zu machen, daß sie in Schwefelblei über^efQhrt werden.
Es kann dies erreicht werden durch Benutzen einer neuen Ȁkremnin-
seifei, welche hei der WaschnnR' Schwefelwasserstoff ab)?ibt und so das
Blei in Schwefelblei öberfQhrt.
Es folgen die von Buh, wie Hchon erwähnt, speziell für Hütten und
Aufbereitungsanstalten berechneten, zur Vermeidung von Bleivergiftung emp-
fohlenen Thesen.
1. Dit» Anliefeiung des Eritf« geschehe in feuchtem Znatande. Elue evcntnell nötige
Trocknang finde nicht früht^r als crBt anmittclbar vor der ereteo Trockenverarbeitung and
riiiiniUch in direktem An^cblutl an die dazu nötige Apparatur BtaCt.
2. Vi" Apparatur t-ei . wenn irgsnil mUglich , darcfa Unmi^ictelnng vollkomineu ab(ft-
flchloK&en. TlRraU, wu t-iiiL* »olclie liiolierung; iiicljt durehlUhrtmr i^t. mtill tiinUehHt j^dv
Olfnang in der Apparatur durch AnUringunt; von nx'iten Kniichfängcn überdeckt werden.
3. Da der ksüenzug durch KIntlüsHe von auUen in »üiner Kraft achwaukend ist, emp-
lieblt sich die Verbindoiift sämtlichtT Abzüge mit konstint arbeitenden Exhanatatoren.
4. Mantel oder UauchTang und Exhaustator genügen er»t dann vollkommen, wenn der
AltKug ao an^giebig ist, itnü bei jeder Arhi'it«art der gewöhnliche Standort des Arlwiitera
von bleÜHchen Diimpre'n imd .Stanb nicht mehr erreicht wird. Em empliehit ftich, zur Kon-
trolle der (licriliezllglichen Li;i8tungn1ühigkeit <;inen mit einem Blciaammller beschickten and
Terstellbaren Apparat dem Abzag^Byntem unzunchließtm.
5. Der abgelaugte Uldiscbe Dampf und Staub werde durch Flugstaubkanäl- und
Filtration an dem Tiipftritt in die Atmosphäre verhindert, auch die schwetUge Säure niuü
von der HUtteulult ferngehalten werden.
ü. Sämtliche Käuuie der Hütte seien hoch, hell, luftig und mit möglichst wenig
Wänden versehen.
7. Der Standort des Arbeiters werde lUr jede Arbelt soweit mSglicIi genan b(
stimmt und In griUitmUg]Iclie Entfernung von der Apparatur veilegt.
8. Bei Arbeiten, bei denen trotz obiger Voralchtsinaßregelu die Gefahr der Einatmung etc,
von Blei voriipgt , seien die Arbeiter gebalten, je nach Art der Arbeit entweder leuchte
Schwämme vor Mnnil unil Nasii oder in anderen Fällen gut anachlieüende Re.tpirntoren zu
triigrn, die mit Luniiltern, aber ohne Ventile ausge.stattet sind.
9. Solche Arbeiten iKlrten nur kurze Zeil währen. Der Schwamm i»t jedesmal vor
und nach Gebraneh in lließendeui Wasser zu reinigen.
10. In jedem Raum peien mit verdeutlichenden Illuatratiotien versehene und in ein-
facher Weist- Uie bygienischen MaÜregeln wieilergebeude Betriebsordnungen anzuschlagen.
11. Die Ein^iteiHnuK in einem Betrieb werde vou der Keuntni?* der Betriebsordnung
abbUngig gemacht. Die PrilTung und otünü'ge fberwachnng der richtigen EJelolgang liege
bei grJiUereu HUtten einem besonderen Beamten üb,
12. Vor Einstellung eines jeden Arbeiter* finde eine ürzlliche Unteranchnng des-
selben nach luHtimmton, in Fragebogen lestznlegfudea Normen statt. Eiue jährliche Wieder-
holung dieser Untersncbniig und Vergleich des Ergebnisflce ist dringend erwünscht.
13. Jegliche Erkrankung, vornehmlich aber die Bleikrankheiten, aoHen vorzeiebnet
DDd diesen Zuatamlsattesten angereiht werden.
14. Nach Tberatehen einer Bleüntoxlkntion ist der Arbeiter noch mehrere Wochen
von jedem Bleibetrieb fernzuhalten, da mit Abklingen der ilußcren Krankheitsaymptome
eine vollkommftue Entfernung dus Bleis aus dem Körper uoch nicht stattgeluaden bat and
so eine Dinpo»ition lür Nenerkrankung gegebeil ist.
Ib. Eh mUsden B-ide- und Wascheinrichtungeu In jeder Hütte vorhanden sein und die
Arbeiter zu deren Benutzung :ingehaUeu wcnlen. Vor»chriIten daiUber eiud iu jede In-
struktion aufzunehmen.
16. Die Bildung und das HalteuUIeibHn von Bleiseilen bei der Reinigung «oll ver-
mieden werden. Zur Vermeidung d« Entstehens von Bleiseifen iiupriuhlt sich die ftber-
fUhrung des anhaltenden Blein in BleisulTid. Die geeignetste Seife zur Reinigung ist die Mg.
Sandseife. (Dazwischen ist von F. Bt-tr« die Akremoinseife emptohlun worilen.)
17. Jede Utltte besitzt je nach Gniüe ihrer Belegschaft einen ocirr mehrere ge-
rftamige, heizbare Spelseraume mit Kautioe Das Bt^treten dieser Uäumlichkeiten ist erst
nach der vorgeschriebenen Keinignng und Umkleldung gestaltet. Aoüerhalb dieser Rüamllch-
keiten darf nichts genossen werden.
18. Der GennU starker Alkoholika und saurer Speisen ist sn untetitagen.
19. Vor Beginn der Schicht werde allen Aibeltern eine schleimi(;re Speise verabreicht:
wShrend der Schicht ist eine iihnlicho Speisung eventuell zu wiederholen.
SO. Eine Hesorption von Blei vom Darm oder sonst einer Stelle ann ins KÜrperinnere
muß um eo energischer bekümpTt werden, als zur Zeit noch kein Miitel bekannt ist, das die
Elimination des Bleis zu beeinflusseo vermochte. Jodkali ist uirkung>los in dieser Richtung,
Literatur: Blum, Untersuchungen Über Bleivergiftungen und ihre Verhütung. Frank-
furt a. M. ÜKK) u. Wiener med. Wochenschr.. 1IIÜ4. Nr. 13. — Lkwin, Deutsche med. Wocbeo<
Bleivergiftuug. — KHtzscblagveHctzungCD.
80
»chrift, 1902 und 1HÜ4- ~ Oswald, KorrevpoDdensbl. f. Scliweiter Arzte, 1905, pag. 266 (Di»-
kusaiooK — liiüs, H^rliner klin. Wocheuschr. I89i*, Nr. ÖO. 0. ZueUrr.
Blinddarinerkranknng;eny s. Appendicitis, pa^. 35 ff.
Blltzschlas^'erletzuii£^en. Der Blitz wird hente als Wechsel-
strom angesprochoD. der darch eine Spannung von vielen Tausend Volt
and ebenso viele Perioden in der Zeiteinheit auBg-ezeicbnet ist. Von der
Energie des Blitzes, die gleichfalls Gegenstand eingehender Messungen ge-
worden, vermag sich jeder leicht eine Vorstellung zu machen, der nur ein-
mal die Verwüstungen gesehen, die durch einen Blitzschlag entstanden sind.
Kirchtürme werden abgetragen, die stärksten Bäume wie ein Rohr geknickt,
brennbare Materialien in Brand gesteckt^ Innenräume von Wohnhäusern
demoliert, als ob Schwefelfäden und Dynamitpatronen gelegt worden wären.
Dabei erfahren die Objekte oft die wunderlichsten Formverändorungen : ein
Kamin wird in toto abgetragen, ein Plafond wie von VlintenschQssen durch-
löchert — die Locher dabei in regelmäßigen Reihen angeordnet — . die
eisernen Stäbe von Fenstergittern schraubenförmig gewunden, der Fußboden
tnnnelartig unterminiert usw.
All diese durch den Blitzschlag verursachten Zerstörungen von Gegen-
ständen können begreiflicherweiso zu Schädigungen von Menschen und
Tieren führen, ohne daß diese vom Blitz getroffen worden waren.
Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, die an Lebewesen sich mani-
festierenden Bl itz Wirkungen einzuteilen in: I. echte mit den Unterarten:
a) unmittelbar, h) mittelbar nnd II. unechte resp falsche.
Diese Kinteilung hat sowohl klinische als auch forensische Bedeutung.
Die durch Blitzschlag und elokträschen Starkstrom hervorgerufenen
Gesundheitsstörungen, seien es nun Erkrankungen der Innenorgane oder
äaßere Affektionen, zeichnen sich, wie wir weiter unten hören, durch eine
Sonderstellung aus: demgemäß wird auch die klinische Auffassung und zu-
mal die Prognosef^tellung eine besondere sein.
Die Blitzschlagverletzungen sind oftmals als Betriebsunfälle zu deuten
und können Veranlassung zu Ansprüchen auf Unfallrente geben. In jüngster
Zeit erst hat A. Ei:lenbitrg über einen einschlägigen Fall berichtet, in dem ein
Mann vom Blitz getroffen wurde und eine Schädigung seines Nervensystems
erlitt; wegen erhobener Ersatzansprüche — der 45iährige Müllergehilfe wurde
in der Mühle, wo er arbeitete, vom Blitze getroffen — wurde der Fall zur
Begutachtung A. Ei'lrniurg zugewiesen.
Eine anläßlich eines Blitzschlages bei Lebewesen aufgetretene Gesund-
heitsstörung und Gewebsveränderung ist als echte Blitzwirkung anzusprechen,
wenn ein Übergang von Elektrizität auf den Organismus stattgefunden hat.
Dieser Obergang von Elektrizität kann sich auf zweierlei Weise voll-
ziehen: 1. entweder wird das Individuum direkt von der atmosphärischen
Entladung getroffen; 2. oder es wird oJne elektrische Anlage, Fernleitung,
oder z. B. auch Gasrohre. Wasserleitung etc. getroffen, wovon auch ein dem
Gewitter ferner stehendes Geschöpf in Mitleidenschaft gezogen werden
kann, wenn es zufällig mir diesen leitenden Körpern in Berührung war.
Die größte Zahl aller beobachteten Blitzschlajrverletzungen ist auf die
unmittelbare Blitzwirkung zurückzuführen : viel seltener sind dagegen die
Fälle, die zur zweiten Kategorie der echten Blitzwirkungen zu zählen sind.
So wurden vor Jahren einige Soldaten, welche Telephondrähte trugen, die
zur Verständigung mit den Insassen eines Fesselballons dienten, mittelbar
vom Blitze getroffen, als der Wetterstrahl in den Drachenballon einschlug:
GS geschah dies am Lechfelde in Bayern. Ein ähnlicher Unfall ereignete sich
vor einem Jahre etwa beim preußischen LuftschifferbatailloD in Zossen bei
Berlin. Das Ereignis soll demnächst in extenso mitgeteilt werden.
m
Blitzschtagvärletzungen,
Die unechten resp. falBchen Blitzwirk angen sind keine durch Elektri-
zität verursachten Schädig^ungen des Organismus ; sie verdanken ihren Ur-
BprQDSf einerseits der Devastation von Gegenständen, die im Räume herum-
geschleudert werden und andrerseits den mitunter außerordentlich großen
Luftdruckschwankungen: Kompression und Dekompression. Die derart ent-
standenen Verletzungen können begreiflicherweise sehr ernsten Charakter
annehmen^ doch ist es sowohl vom klinischen als auch forensischen Stand-
punkte zweckmäßig, dieselben nicht den > elektrischen« Verletzungen zuzu-
zählen. Sehr lehrreich ist ein von HoFMANX-KoLisKti berichteter Fall : >In
einem von uns begutachteten Falle war während eines heftigen, von
Hagelschlag begleiteten Gewitters ein Fensterllügel einer im dritten Stock
gelegenen Wohnunq: so heftig zugeschlagen worden, daß der Uahmen brach
und sämtliche Scheiben weit in das Zimmer hineingeschleudert wurden. Zwei
fingerlange, messerklingenartig geformte Glassplitter waren einem ITiahrigen
Mädchen unter der einen Klavikula in die Brust gedrungen und hatten den
sofortigen Tod durch Verblutung" veranlaßt. Obgleich ein in dem Zimmer
anwesender Mann in dem Augenblick^ wo das Fenster In TrÖmmer ging,
weder den Blitz gesehen noch den Donner gehört hatte, so wurde doch von
den herbeigeeihen Angehörigen eine Tötung durch Blitzschlag angenommen,
ebenso von dem herbeigerufenen Arzte^ der auch in diesem Sinne den Toten-
schein ausstellte, worauf die Beerdigung erfolgte. Erat nach o Wochen wurde
der Fall aufgeklärt, leider aber, da derselbe nicht weiter verfolgt wurde,
keine Obduktion veranlaßt.«
Die Entstehung der falschen Blitzwirkungen ist n'cht schwer zu ver-
stehen; sie gehören in das große Gebiet der «traumatischen Verletzungen«
(C. Qussenbaukk). Die echten Blitzschlagverletzungeii sind Elektrizitatswir-
kungen in den verschiedensten Modifikationen. Die mechantschL* und ther-
mische Komponente der gewaltigen Eü^lektrizitatskraft ist am meisten be-
kannt. Es muß allerdings zugegeben werden, daß derart gräßliche Ver-
letzungen durch Blitzschlag, wie sie aus früheren Zeiten mitgeteilt wurden,
in den letzten Dezennien überhaupt nicht beobachtet wurden, wie z.B.
Spaltung des Körpers, Abtrennung ganzer Gliedmaßen u. ä. m.
Zu den ältesten historischen Aufzeichnungen über Verletzungen durch
Blitzschlag gehört die Erzählung, daß der römische König Tulhis Hostilius
durch Blitzschlag getötet worden sei. Er ließ sich auf dorn Aventin einen
Altar bauen, um ähnlich dem Juppiter Elicius aus dem Blitz hervorzutreten.
Diese Idee mußte er mit dem Loben büßen.
Vielfach übertrieben sind auch die älteren Überlieferungen betreff der
sogenannten Blitzfiguren; es wurden denselben Formen zugeschrieben, wie
sie sich in ernst zu nehmenden Berichten niemals vorfinden.
Der besseren Übersicht zuliebe empfiehlt es sich, die Blitzschlagver-
letzungen in äußere und in Innere einzuteilen. Zu den äußeren Ver-
letzungen gehören; ii
1. sogenannte Hautverbrennangen; J
2. Haarversengungen ; I
3. Blutaustritte; .]
r 4. lochförmige Gewebsdurcfatrennungen ; 1
5. Blitzfiguren.
Die äußeren Blitzschlagverletzungen bestehen vor^'iegend in soge-
nannten brandartigen Veränderungen der Haut und in den charakteristischen
Blitzfiguren.
Die verbrennungsahnlichen Hautveränderungen werden allgemein als
Brandwunden angesprochen : genauere Untersuchung der Kntstehungsursachen
scheint dafür zu sprechen, daß diese Hautverletzungen keine eigentlichen
Brandwunden sind; sie entstehen nämlich nicht durch äußere Hitzeein-
BlitzschlagverlctzuD^eIl,
91
Wirkung^. Es kommt bei Blitzschlaf? oft za sehr aasg^ebreiteten Hantzer*
8t€rnng:eD, die wie Brandwunden zweiten, dritten, ja vierten Grades aus-
sehen. Und die Kleidungsstücke, von denen diese UestruktionsstcUen bedeckt
sind, bleiben oft vollkommen unversehrt! Solche Fälle sprechen wohl deut-
lich dafür, dab die Hitzewirkung, durch welche ausgedehnte Hautbezirke
zerstört worden sind, nicht von der Oberfläche her, nicht von auben ein-
gewirkt haben konnte. Derartige Umstände sprechen vielmehr für die oben
vertretene Anschauung, daß die sogenannten brandartigen HautverletzungeD
der inneren Kalorienentwicklung-, d. h. der Jovi.Kschen Wärme ihren
Ursprung verdanken. Bekanntlich wird ein Teil der elektrischen Energie bei
ihrer Fortbewegung in einem Leiter oder Nichtleiter in Wärme (sogenannte
JoL'LEBche Wärmei umgewandelt; der Leiter wird erwärmt.
Die Haut vermag bis zu einem gewissen Grade Elektrizität zu leiten,
ohne äußerlich sichtbare V'eränderunaen zu erleiden; ist aber die Belastung
zu groß, so erleidet die Haut infolge übermüßiger Wärmeentwicklung eine
Veränderung. Die Wärme aber, die auf die Gewebsteile wirkt, entsteht in
diesen selbst, sie stammt nicht von außen.
Wenn wir in der Verfolgung der Entstehungsursache weiter gehen,
müssen wir sagen, daß diesen sogenannt.f'n Brandwunden nach Blitzschlag^
eine thermische und elektroly tische Aktion zugrunde liegt; die der-
maßen neugebiideten Substanzen wirken zerstörend auf die noch unver-
sehrten Zellen und Gewebspartien der Umgebung; di£ QewebsalterationeD
nehmen demgemäß einen oft Überraschenden klinlscheii Verlauf. Die nähere
Spezifizierung solcher Verletzungen bietet oft Schwierigkeiten. So wurde
bei einem vom Blitz getroffenen Manne in Petersdorf bei Wien am Kreuz-
bein eine grauweiße, wie Perlmutter glänzende, elastische, an der Oberfläche
spiegelglatte, zirka V'.. cm im Durchmesser fassende Stelle beschrieben, die
ganz unempfindlich war und den Rindruck eines Fremdkörpers machte. Diese
Masse'*' wurde nach Wochen abgestoßen und durch Granulationen und eine
Narbe . ersetzt (vgl. Artikel ; »Elektrische Starkstrom Verletzungen-).
Die sogenannten Brand Verletzungen nach Blitzschlag verhalten sich
ferner auch bezüglich ihres Heilungsverlaufes anders als echte Brand-
wunden.
Bei den gewöhnlichen Verbrennungen vermag der Kliniker zumeist von
allem Anfang zu sagen, wie weit etwa die schädigende W^irkung der Flamme,
des heißen Wassers etc. sich erstrecken wurde; nicht so bei den Blitzver-
brennungen.
Es kommt da oft erst nach Wochen sekundär zu Abstoßung von Ge-
webspartien, die scheinbar vollkommen intakt waren. Der Kliniker wird
überrascht, wenn er die Umgebung des Herdes Jür gesund hielt. Die ther-
misch-elektrolytiscbe Wirkung der Elektrizität spielt förmlich subkutan ihre
Rolle weiter, die sich anfängücii unserer Beobachtung vollkommen entzieht.
So entstehen mitunter aus ursprünglich linearen Hautläsionen breite, flächen-
hafte Narben.
Es braucht nicht erst betont zu werden, daß diese Umstände nicht
nur klinisch, sondern auch forensisch von Belang sind.
Die durch Blit^^lchlag entstandenen Brandwunden sind sehr oft durch
eigentümliche Formen und durch Symmetrie auBg4>zeichnet : zuweilen ent-
stehen die merkwürdigsten Figuren. So zog sich bei einem blitzgetroffeneu
Knaben eine etwa fingerbreit«, streifen Eurmige Brandwunde 1. und H. Grades
scfaärpenartig von der rechten Schultor zur linken Hüfte hinunter.
* Es verditfiit li^rvor^et]oliHii zu werdeu, daß Prof. Ä. Koli9KO in jUutfflter Zi*it eine
äboliobe VeräDderunj; d<*r Hniil bei fineui Montfiir beobacbtet bat« welcher durch Kontitkt
mit einem Drehstroiu von 10 000 Volt Spannung getüttt ' wordeu war. Dt« anitfUhrliche Bc-
»cbreibUDg dieser merkwürdigen Hantvt'iietiunj^en wird in einer späteren Mitteilung erfolgen.
92
Blitzsählagverletzungen.
Bei einem anderen Patienten schlang sich eine streifen formipe Ver-
brennung spiralförmig um die untere Extremität, wobei der Musculus sar-
torios geradezu als Wegweiser benutzt wurde, und ähnlich verhalten sich
viele andere Läsionen.
»Die symmetrisch am Körper verteilten Verbrennungen, die mitunter
genaue geometrische Begrenzung, zuweilen das Einhalten eines bestimmten
Muskelverlaufes, z. B. des Musculus sartorius oder sternocleidomaatoideus.
besonders bei intakter Kleidung über denselben, sind ganz charakteri-
stische Veränderungen, die für die Entstehung durch Blitzschlag als
pathognomoniach gedeutet werden können. Und das um so mehr, wenn
an der sonpt unverletzten Haut in geringem und größerem Maße feinste,
oberflächliche Versengungen der Haare vorkommen, die. wie schon
W. Stricker und E, v, Hofmann betont haben, ein feines Reagens für statt-
gehabteu Blitzschlag sind ■« *
Zu den äuUeren Verletzungen gehört die Versengung der Haare;
am häufigsten ist das Kopfhaar betroffen, oftmals sind da die Versengungen
derart unbedeutend, daß sie der Kenntnisnahme entgehen; zuweilen sind
nur einzelne Haarsch&fte betroffen, hie und da mehr flächenfSrmige . teils
oberflächliche teils tiefer reichende Verbrennungen von Linsen- bis Hasel-
nußgröße; der Lokalisation nach am Scheitel, an den Schläfen oder auch
stellenweise am hängenden Zopf. Ein andereämal ist wieder eine gulden-
große, tonsurähnliche Stelle entstanden ; die Haare sind wie mit Schere
und Rasirmesser abgetragen, wobei oftmals gar keine Verbrennungszeichen
zu erkennen sind, und hie und da sind die Ränder der Tonsur sugilliert.
Zu den äußeren Verletzungen sind weiters Hämorrhagi en der all-
gemeinen Körperdecke zu zählen. Es sind punkt- und streifenförmige Blut-
austritte, die einzeln oder in Gruppen stehen und mitunter Schrotschußver-
letzungen nicht unähnlich sind. Ewald, v. Winiwartkr u. a. haben ebenfalls
derartige Hautsugiilationen beobachtet.
Zu den allorsel tensten Verletzungen gehören lochformige Durch-
trennungen der Haut, die wie Schußwunden aussehen und besonders
forensisches Interesse beanspruchen. Der Grund und die Händer dieser Lä-
sionen Ist manchmal braun, manchmal grauweiß.
Unter den äußeron Blitzschlagverletzungen wären endlich die soge-
nannten Blitzfiguren zu erwähnen. Die BHtzfiguren sind baumförmig ver-
zweigte, hellrote, linienförmige Zeichnungen der Haut, welche kleinere oder
größere Partien der Haut befallen; manchmal nur in wenigen Zentimetern
dimensioniert, können sie mitunter eine ganze Körperseite bedecken. Die-
selben blassen auf Pingerdruck ab ; stellenweise pflegen in deren Verlaufe
zarte Blutaustritte aufzutreten. Die Blitzfiguren blassen nach einigen Stunden
ab und in 2—3 Tagen kann ihre Spur schon vollkommen verwischt sein.
Seit ieher war die Ätiologie der Blitzfiguren der Gegenstand eifriger
Erörterungen. So wurde früher angenommen, daß die BUtzIigaren nur durch
positive Elektrizität des Blitzes auftreten können, während durch die negative
Entladung nur Brandwunden entstehen.
Ganz abgesehen davon . daß heute der Blitz in physikalischer Be-
ziehung als Wechselstrom aufgefaßt wird, so sind Beobachtungen gerade
in den letzten Jahren gemacht worden, wo durch einen und denselben Blitz-
schlag bei einer Person nur Blitzfiguren, bei einer zweiten wieder nur Brand-
wunden und bei einer dritten — anläßlich desselben Unglücksfalles —
beiderlei Veränderungen der Haut nebeneinander aufgetreten sind. W. Stricker,
Lan'Gerhans u. u. meinten, die Blitzfiguren seien hervortretende QefätSver-
* Vgl. >Elektropatbo1ogie<. Die EtkrankuDg^n durch Blitzschlag nntl elektritich«o
Starkfctrom in kliuhclier nud loieii^iscliLT Dnr^telluutr- Verlutr F. Enki'. .Stuttgart 11H)3-
BlitzschlagverletzuDgen.
93
N
^
zweigruDKen, was spater durch Rindfleisch, Wangh« Haberda q. a. wjderl6£:t
worden ist. Der heatlgen Auffassunfc zufolf^e sind die Blitzfiguren als ein
leichtes Erythem, als vorübergehende V^asoparalyse anzusehen.
Die Rlitzfigoren sind patho^nomonisch fOr stattgehabten Blitzschlag.
Die Reihe der durch Blitzschlag hervorgerufenen inneren Verletzungen
ist nicht zu erschöpfen, da von selten aller Organsysteme Symptome sich
geltend machen können.
So hat A. EiLENBiRG schon in den siebziger Jahren als einer der Ersten
eine apoplektische Hemiplegie nach Blitzschlag in unzweifelhafter Weise
festgestellt und beschrieben. Seit damals sind andere Fälle mit Störungen
von Seiten des Zentralnervensystems, hervorgerufen durch Blitzschlag, beob-
aehtet und beschrieben worden.
Psychosen leichteren Grades nach Blitzschlag haben BrcRWiLL and
TuKEK, Laiusen*, A. Pick, Saizk, de Sotomavok u. a. beschrieben.
Herzaffektionen^ Störungen von selten des Magendarmtraktus, Icterus
catarrhalis, Albuminurie, Neuralgien und ncuritische Erscheinungen etc. etc.
sind ebenfalls vielfach nach Blitzschlag zu verfolgen gewesen.
In jüngster Seit sind weiters Blutungen aus der Nase, dem Ohre
iClabk, Ludwiu etc.), dem Darm und dem Genitale zur Beobachtung ge-
kommen.
Die Augenverletzungen nach Blitzschlag (£. FrcHS , Knies , Leber,
MeyerhOfbr, Prei.n'dlsdergeii etc.) gaben Anlaß zu experimentellen Unter-
Boehungen in dieser Richtung (Hkss. Kihiki'chi etc.). Es sind zumeist Linsen-
tröbungen. Apoplexien der Retina. Ruptur der Cborioidea^ Optikusatrophie,
Iritis mit Hypnpyon etc. (Brixa, K. BOllkr, M. Reic:h, Vosbii's etc.). Tüho-
LAXSKY beobachtete jOngst eine Blutung in die vordere Kammer und eine
QlaskörperbJQtung.
Zu den selteneren Erscheinungen gehören akute Gelenkschwellungen
und zirkumskripte Ödeme.
Die Prognose der Blitzschlagverletzungen ist im allgemeinen keine
besonders ungünstige. Die meisten der bedrohlichen Erscheinungen pflegen
nach Stunden und Tagen wieder vollkommen zurDckzugehen. Immerhin ist
in der Auffassung und Voraussage Vorsicht am Platze, besonders mit Rück-
sicht auf die m(fg!icherweise im Zentralnervensystem und anderen Innen-
organen stattgehabten Lüsionen. Es ist in dieser Hinsicht zu betonen, daÜ
die Folgen eines Blitzschlages sich auch erst nach Tagen und Wochen
geltend machen können. In sehr instruktiver Weise hat jüngst A. Eilex-
BiHG* derartige chronisch-degenerative Erkrankungen des Zentralnerven-
systems beschrieben und an Fällen illustriert (cf. Artikel : «Elektrische
Stark stromverletzungenO-
Die Hilfeleistung besieht vorwiegend in Wiederbelebungaversuchen,
kflnstlicher Atmung und Anregung der HerztÄtigkoit; Störungen von selten
bestimmter Organsysteme sind nach den Regeln der Kunst zu behandeln.
Im weiteren Verlaufe erwiesen sich zweckmäßig protrahierte taue
Bäder, leichte Kost und Regelung der Darmtätigkeit. Man lasse die Patienten
nicht zu früh aufstehen und sorge andrerseits später für nicht anstrengende
Beschäftigung. Sehr beruhigend wirkten in vielen Fällen Feld- und Garten
arbeiten. Man lasse sich nicht überraschen von dem Ausbruche eines Deliriums
oder ähnlicher psychischen oder neurotischen Störungen. Bei Tötunf^ durch
Blitzschla«; soll mit den energischen Wiederbelebungsversuchen nicht früher
aufgehört worden — und wenn diese auch stundenlang dauern sollten -, als
bis sichere Todeszeichen wahrzunehmen sind. j^/hm-k.
* Über NervfD- nod Geisteskrankheiten nach elektrischen Unfällen. Berliner klin.
Wochenscbr-, 1905, Nr. 2, 3.
«4
Blut des Säuglings.
Blut des Säus^ling;». 1. Der fötale Kreislauf und seine Um*
Wandlung in den bleibenden. Mit dem Moment, wo der Fötus infolge des
-Oeburtsaktes die schützende Hülle des Mutterleibes verläßt und durch
Loslösung: der PlazentA und Aufhören des Gasaustausches zwischen Mutter
und Kind ein 8elb8t&ndig:e8 Sein beginnt, vollziehen sich fundamentale
Urowälzungen der gesamten Lebensbedingungen des jungen Menschenicindes,
die ganz besonders die wichtigen Funktionen der Atmung, der Ernährung
und des Blutkreislaufes angehen.
Zur trichteren Orientierting Über die einacblägigen Verbältnisae möge an diefier Stelle
eine kurze Skizzicrung der fötalen Blutbahnen eingelfl^t werden.
Die Aorta desccndens gibt nach ihrer THIang in diu Aa. iliAcae die Aa. hypogastricae
ab, deren AuBlüntcr die Nabclartcricn lAa. umblltcalesi alnd. Diese steigen neben der Harn-
blase nach anlwärts und gelangen zwiHchen Bauebmunkulatur unii Peritoneam verlaufend
doreb den NabeUtraog (Faniculus umbilicalis) zum Nabel. Von dort auä urreieben sie im
gewundenen Verlaufe ctie Plazenta. Dif Nabelanerien führen da» mit Kolilen^üare beladeue
venSde Blut dea Fütn» und löttea eich in der wÜtterHcbun Plazenta auf.
Bier findet durch Abf^abe von ÜberRchüs^iger Koblensiinre und Aufnahme von Sauer*
stofl aus dem inUtterüeben Blut ein reg^er Oaswecbsel und zugleich eine Resorption von den
für die Ernäbriing ncd das Wachstum notwendigen Stollen, npezieli von Wasser, Zucker,
Jc^iweißätoffea und Salzeu statt.
Nun wird da« Blut in der angegebenen Weine artcrialisiert und ges^peie^t , von den
Wnrzeln der Nabelvene <V. umhilicalifi) i^esainmelt. Diese wendet sieh nach ihrem Onrchtritt
dnreb den Nabelring zur unteren Fläche der Leber and teilt sieh hier in 2 Zweige, von
denen der eine teils direkt, teils nach Anastomose mit der Vena portae ins Leberparen chym
eindringt, der andere als direkte Fortsetzunsr antcr dem Xamea Ductus veno.«as Arantli dnrch
die FoBsa longitadinalis superior in die untere Bohlvene führt. Hier ml=4cht sich das rein
arterielle, hellrote BInt der Nabelvene mit dem venösen Blut der unteren KÜrperhäUte und
•der kurz vor dem Herzen ^inmUndendeu Lt*bervcnen. Das gemiHchle Blut der V. cnva inf.
ergießt sich dann bei der Diastole atriorinm nicht in den rechten Yurhol, sondern wird dnrch
Vermitthtug einer klappenartigen Vorrichtung, der Valvula Eastacbii, dnrch das For. ovale
in den linken Vorhof abgeleitet; von dort aas gelangt e^ in die linke Kammer, vermischt
sich mit den geringen Mengen rein arteriellen Blutes der Lnngenvenen und geht schlielUich
in die Aorta ascendens. Dagegi'n llii'Üt das rein venötse HJut der W cava snp. in den rechten
Torhof, wird bfi der Systole aus drm rechten Vorhol in die rechle Kammer geworfen und
gelangt In die Arteria pulmonalia. Von dort aber fließt nur ein kleiner Teil in die noch nicht
entfalteten Lungen; der größere Teil ergießt sieh durch den Ductuf* arteriosns ßotalli, durch
den Verbiodungsgung der Arteria pulmonalis« in die Aorta desceudens.
Demnuch erbiilt der ganze Fötus mit Ausnahme Beiner Leber rein arterielles Blot
Überhaupt nichts immerhin iitt die obere KÜrperbUIFte besser versorgt als die untere, so daß
es nicht wundiirnimmt. daü in den ersten Schniuigerscbaftsmonaten die Leber und die
obere KÖrperbillfte im Wachstum der unteren KÜrperhUlfte weit vorangehen.
Durch die nach Ausstoßung der Frucht herbeigeTQhrte Ausschaltung
der Plazenta, welche den Fötus bis dahin auüer mit den zu seiner Ernäh-
rung- und seinem Wachstum notwendigen Stoffen, in erster Reihe auch mit
dem IQr die Leben sprozease erforderlichen Sauerstoff versorgte^ kommt es
schnell zu einer Überladung des Blutes mit Kohlensäure, die ihrerseits das
in der Medulta oblon^ata gelegene Ättnungazentrum zur Tätigkeit anregt.
Verstärkt und unterhalten wird die Erregung desselben zum Teil durch das
Hinzutreten von Hautreizen, die den Neugebornen tn Form von Luft- und
Licbteindrücken sowie durch die Verdunstung des Fruchtwassers troffen.
Die unmittelbare Folge der durch den akuton Sauerstoffmangel reap. er-
höhte Venositüt des kindlichen Blutoä bedingten Erregung dos Atmungs-
zentrums ist die erste Inspirationsbewegung, die erste inspiratori-
sche Ausdehnung der Lungen.
Mit einem Schlage ändern sich durch das Eindringen von atmosphä-
rischer Luft in die Lungen unter Zunahme ihres Volumens und gleichzeitiger
Kompression der in der Brusthöhle und bei Tiefertreten des Zwerchfells der
in der Bauchhöhle befindlichen Organe die bis dahin bestandenen Zirkuia-
tionsverhättnisse. Es tritt eine Umgeslaltung der »kortipetalen und korti-
fugalen« BlutatrOme ein (Strassmaw).
Blut des SflugKngs.
95
In dem Augenblick, wo durch den ersten Atemzafc die Lungrenalveolen
weit geöffnet und mit Luft aufgebl&bt werden, werden auch die Qefällbahnen
der Lange so entfaltet, daU die ^anze ßlutmenge aus dem rechten Ventrikel
nur noch in die Verzweigungen der Lungenarterie hineinströmt. Nach Ar-
teriatisierung dieses Blutes in der Lunge erhalten nunmehr die Lungenvenen
bei weitem größere Blutmengen als zur Fötalzeit. Und nach dem Abfluß
derselben in den linken Vorhof tritt naturgemäß eine Steigerung des Blut-
druckes in diesem gegeuQber dem des rechten Vorhofes ein. Die stärkere
FQlIung des linken Vorhofes mit Blut gegenQber dem rechten, in welchen
nach Fortfall des Plazentarkreislaufes weniger Blut aus der Vena cava inf.
hineingelangt, drängt nun die ventilartige Klappe des Foramen ovale, der
fötalen Kommunikation beider Vorhöfe, fest an das Septum derselben an
und föhrt sehr bald zu einem absoluten Verschluß^ der unter normalen Ver-
hältnissen gewöhnlich im Verlaufe von 8 — 10 Monaten zu einer vollständigen
Verwachsung geführt hat. »Rechtes und linkes Herz sondern sich.* Ein Einfließen
dos Blutes bei den veränderten Druckverhättnissen etwa aus dem linken
Vorhof in den rechten schließt die anatomische Beschaffenheit des Foramen
ovale aus.
Durch die mit der Atmung einsetzende mächtige Aspiration von Blut
BUS den Lungenarterien nach den Lungen zu bei gleichzeitigem Sinken des
Blutdruckes im linken Ventrikel und in der Arteria pulmonalis selbst wird
der Ductus arleriosus ßotalli, die Verbindung zwischen Arteria pulmonalis
und Aorta descendens allmählich immer weniger mit Blut gespeist, die
Wände dieses Ganges kollabieren , verengem sich and werden schließlich
ganz unwegsam.
FQr die VerÖdaog des Pulsftdergangea sind auBer dea verändertoa KreifllauFsvürliält'
nUsen auch noch andere, dnrch die Lungenatiuuof; in Wirksamkeit gescute, zum Teil lue-
chaniacbe EinUliMe von Bedcutuxig. Dahin gehört all* llauptmoment der provisorische V'er-
achloB deft Dactas durch Kontraktioa »einer ho auUerordentlich mtmkelreicbt^n UefÜUwAnd *.
welcher Vorgang in Wirksamkeit tritt nach DruckiiuHgleieh zwischen Aorta und Pulmonalis
und StiltMand des BIotBtromea im Kanäle.
Ftrnc-r wird die momentane Schließung des DnctuA bcj^lintitigt an und Itir eich dnrcb
spitzwinkelige EinmUndang in diu Aorta und durch die klappenartige Vorwölbung seiner
Torderen Wand nach der Aorta kq. Die Kntwicklnng Alfter > Klappe« schreitet nach Stbass-
MAMM mit dem Ende der SchwiiDgerdchaft immer weiter vor, so dafi sie sctaliefiiieh die
Wandung des Ductus vollkommen Uberducht imd mit dem Eintritt derAtmang der Verachlufl
ohne weiteres perfekt iet
Theorien von der VorbgeruDg und Abkniekang des Ganges, die durch Druck und Zug,
dorch die Verscbiebung der Lunten uud de» Heraen» bei der Atmung und deu Uen-
koutraktioneji snataude kommen Aollen, dürfen wohl nach neueren Untersuchungen (Stbasb-
MANN , UABKaDA) nli dcH unatoinischen Verhältniütien nicht entsprechend als erledigt be-
trachtet werden
Niemal» findet sich normnl erweise im Dactns eine ThromboM» cHauchpuss, Habsmoa).
Es ist nii'ht wahrscheinlicfa. duü sofort nach dem ersten Atemzuge der Durchtritt von
Blut gänzlich verhindert wird, sondern es verstr(;tcht wohl erst eine knrze Zeit, tiis im Mo-
mente der DruckKleichheit im Ductus und der Aorta unter fortschreitender Verkleinerung
seines Lumens diu Zirkulation guns aufhürt und das Liimen vollkommen »ch windet. Am
schnellsten verschlieüt sich der pulmonale und mittlere Anteil, wührvnd der Aortenanteil
analog seiner Munkidanordnung noch nach Wochen als seichter, wenifr klaffender Spalt zq
finden ist. Auch mit 6 Wochen Ut dur Gang immer noch für eine Borste durchgUngig, um
mit dem dritten Monat einen vollkommenen VerschluU aufzuweisen. Der definitive VerachlnQ
erfolgt durch bindegewebige Nenbildung, die von der lotima ausgeht, von Woche zu
Woche zunimmt und schließlich nach Schrnraplung des ncagebitdeten Bindegewebes das
Ligamentum arterio»nm als Rest des frUherea Ductus arteriosus übrig lUÜt
Von weiteren fötalen Bahnen kollabieren und schließen sich nach
Sistieren des Plazentarkreislaufes dte Nabelvene und die beiden Nabel-
"* Dieselbe setzt sich zusammen aus einer nnterfaalh dus Endothels liegenden dünnen
iDtiroaschicbt mit feinnten elastischen Fasern, die am deutUcU.Hten gegen die Aorta hin her*
vortreten, nnd aus rint^r lU — 12mal »o dicken Mi^dia, reich an glatten Mnsketelemfuten, die
tu ihrer Anordnung sich wesentlich als Liiugsmuskcl schichten präsentieren (,Thoua, Habkkda).
96
Blut des Sflugllngs.
arterien durch Kontraktion ihrer Wandungen Die mehr oder weniger voll-
kommene Blutleere tritt bei den Nabelarterien durch Sinken des Blutdrackeü
in der Aorta descendeus auf, die nur noch vom linken Ventrikel allein ge-
speist wird. Dieser Druck reicht nicht mehr aus. um die Qefäßausläufer der
Aorta zu speisen. Qanz besonders kommt dieses Moment fQr den intra-
abdominalen Teil der Nabelarterlen in Betracht, Dieses Absinken des Blut-
druckes und damit verbundene manffelbafte Füllunß: der GefälJe gleich nach
der Geburt und für die exlraabdominale Strecke der Gef5ße die Durch-
trennung der Nabelschnur, sowie die AbkQhlung, welche dieselbe nach der
Geburt erfährt, liefern die mechanischen Heize (v. Hofmann, Coknstein und
Zi'XTZ <), welche die Kontraktion der NabelgefäUe nach der Geburt be-
günstigen.
Durch die massige und eigentümliche Anordnung der diese Gefäße zu-
sammensetzenden muskulösen Elemente werden dieselben befähigt, sich so
weit zu verengen, daß anfangs nur noch eine dünne Blutsäule und später
gar kein Blut mehr das Lumen passiert.
Dii^ Mnsketelfmentf. der Nabelarterien bcBtt>:hen aas einT UaUernt kr.*l[tig nntwickelten
Biugmuskulatur, die in rechlicher Menge von schräg- und lUngaverlmifr'ncten Muskelfasern
flnrebaetzt und umsponnen werden, die sich zum Teil untereinander verflechten und dadurch
eine spiralige Anordnang^ erhalten (v. IIoruAHM, Hf.ozog). In der Gegend des Nabels werden
die MnBkelzUge ganz be^ondera maaaig, sie bäufeu ^kh geradezu zn »PoUtcrn* an.
Diu el.'istiseheii Klemt-nte treten grgenllber der mi]»kii1<)sen ZusanimenseCzung der Wand
itark in den BinterKriiud (Habehda'. In ihrem intraaUdoiuinalen Teile sind die Nabelarterien
von einem dichten Geläßnetze, den Vau» v.iBoram, uinijpünaeu.
Sehr bald nach der Abnabelung findet man in der Regel in den Nabel-
arterien eine Thrombose. Der Thrombus ist meist sehr dünn, fadenförmig,
oft auch nur streckenweise entwickelt , bisweilen nur in einer Arterie vor-
banden, in der anderen fehlend. Unter normalen Verhältnissen Ist der Thrombus
nur in dem oberen, unmittelbar unter dem Nabel geiejjenfn Qpläßfrßil vor-
handen. Der Thrombus haftet nach ca 4 — 5 Ta.^en. Nach ungefähr 8 Tagen
beginnt seine Organisation, die nach 14 Tagen außerordentlich deutlich wird.
Durch eine »zu Bindegewebe metamorphosierende Wucherung des Gefäß-
endothelSf der sich an den Nabelendeti der Gefäße eine von der Nabelwunde
ausgehende entzündliche Zelleninfiltrntion hinzu^esetlt (Haberda), wird alt-
mählich eine teilweise Obliteratiou der Gefäße herbeigeführt. Sie werden zu
den Ligamenta vesico-umbilicalia lateralia umgewandelt. Ein vollständiger
Verschluß der Nubolerefriße, sowohl dor Arterien als auch der Vene, bis zura
Schwinden des Lumens findet nur in den peripheren Knden derselben statt
In den übrigen Teilen kann es zwar auch zum vollkommenen Verschluß
komnien, für gewöhnlich aber bleibt ein freier Kanal offen mit gleichseitiger
Wandverdickung Uf.d teilweiser Atrophie einzelner Wandschichten, der meist
bei Kindern im Alter von Monaten, auch Jahren und selbst bei Erwachsenen
noch zu konstatieren ist. Die äußersten peripheren Enden der Lig. vesico-
umbil. lateralia (beim Erwachsenen in der Länge von 4 — 8c/n) sind ganz
solide Stränge, die nach Retraktion der Nabelgeftlße nach Abfall des Nabel-
schnurresles sich aus vom Nabelring kreuzförmig sich ausziehenden Binde-
gewebsstrilngen entwickeln (Bvimgautkn "), deren Länge allmählich ent-
sprechend dem Wachstum der Bauchdecken zunimmt.
Die Nabelvene, die ein größeres Lumen besitzt und deren Wandungen
dünner sind als bei den Nabelarterien, zeigt eine hauptsächlich aus Binde-
gewebe bestehende Grundlage, in d^r nur spärlich glatte Muskelfasern mit
geringen elastischen Elementen eingelagert sind, und steht bei weitem hinter
der massigen Entwicklung, wie wir sie bei den Arterien sehen, zurück. Mit
der Entfallung der Lungen wird das Blut aus der Nabelvene nach dem
Thorax aispiriert sie selbst und ihre Verbindung mit der V. cavainf., der Ductus
venosus Arnntii kollabieren, die Wandungen legen sich aneinander und nach
I
Blut des Sfiuglings.
kurzer Zeit, nachdem der Vene noch durch Durchtrennung: der Nabelschnur
der HlutEufluü aus der Plazenta vollkommen abg:escbnUten ist, enthält sie
kaum noch einen Tropfen Blut. Kinen Thrombus findet man in der Nabel-
vene unter normalen Verhältnissen fast niemals. Die subendotheliale Ge-
webswucherung:, die das Lumen allmählich zur Obliteration bringrt, vollzieht
sich analofc wie bei den Arterien. Die Nabelvene wird zum lAg. vesicae teres
und der Ductus venosus ArantÜ zum lAg. venosum hepatis umgebildet. Wie
schon erwähnt, wird auch die Nnbelvene nur an ihrem peripheren, an dem
Nabel liegenden Teil zu einem soliden Strang, an ihrem zentralen Ende
bleibt nur ein feines Lumen, das im einzelnen zwar lunktionsloa ist. in mehr
als der Hälfte der Fälle (H.\beri)a) aber mit einem (Bi uow) oder mehreren
I Bal'MGARten) Zweigen der V. epigastrica in Verbindung steht und in den
linken Ast der Pfortader mündet. Das Lig. venosum hepatis bleibt zwar als
enger mit Endothel ausgekleideter Kanal bestehen, ist aber funktionslos und
kommuniziert mit keinem anderen Gefäti.
2. Der Nabclschnurrest und die Nabelwunde.*) Nach der Geburt
des Kindes erfolgt die Trennung desselben von der Plazenta durch die
Durchschneidung der Nabelschnur. Dieselbe wird nach Aufhören der Pal-
sation in den Nabelgefäßen, also nach ca. 5 Minuten, unter Beobachtung aller
aseptischen Kautelen doppelt unterbunden, einmal zweifingerbreit vom Haut-
nabel und einmal in ungefähr gleicher Entfernung weiter nach der Plazenta
zu und in der Mitte zwischen beiden Ligaturen durchschnitten.
Nach der Abnabelung bekommt das Neugeborne das erste Bad*, um
es von dem ihm anhaftenden Schleim und Blut zu reinipren . Im Had , das
35'C^28^R warm ist, aus abgekochtem Wasser bereitet wird und, falls
zur Einstellung der vorgesehenen Temperatur ein WasserzuHchnü erforderlich
ist, auch dieser gekocht hab^ bleibt das Kind ca. b Minuten Augen beson-
ders, aber auch Ohren und Mund sollen wegen Infektionsgefahr vor Be-
netzung mit dem Badewasser geschützt werden. Das Bad wird während des
ganzen Säuglingsalters täglich wiederholt.
Nach dem Bade des Neugebornen wird die Nabelschnurligatur nach
Festziehen des ersten Knotens und Hinzufügen eines zweiten zur definitiven
gemacht. Dann wird die Schnur nach dem Korper des Kindes zu umge-
schlagen an den Leib angelegt^ mit trockener steriler Gaze bedeckt und
mit der Nabelbinde fixiert. Der Verband wird in gleicher Weise täglich
nach dem Bade erneuert.
[>er nun an dem Kilrpcr de« Kindti^ zurückbleibende NabeUchnurrest — der sog.
Straogrest — fiLtlt durch einen rein physlkaliachen Vorgang'}, flner meist an der Nabol-
Bpitze beginnenden, bisweilen noch zuerst an irgend einer anderen Stelle anftret^ndeo und
zum Haatnubel allmählich fortschreitenden Vertrocknang (Mamitikation) anlieim. Wenige
Standen nach der Geburt bereite verliert die Xabelsohnur des lebenden Kindes Ihren perl-
matterartigeu OUnz, nie erhält ein Htumples, matten Aussehen, ihre SukkuleDE »ch windet,
sie erscheint itls ein plattgedrückte» und verkUrztes He^iti^tück. AbhUngig von äußeren Be-
dingungen iDicke der Schnur, Feuchtigkeit etc.) tritt die £tntroekuunf( der Schnur nicht an
allen Stellen gleichmätiig aal. In d(>n mei.iteu FUUen ist clie»elbe iodesseo am 3. Lebenstage
bereits so weit vorgeschritten, dnU der ganze Nabelstrangrcst in einen stark gescbrinuphen,
braunen , platten . viellach gedrehten Strang un)},'ewandelt ist , der in der oUch^ten Zeit
BCblieSIiob tiu einer knorpelharten Masse wird und mit seinem zentralen Ende in einer
Bcheibenartigen Vi-rbretternng t-ndet.
Die Abstotlnng de» NabelrttrnngresteFi, der nach Ausschaltung aas der Zirkulation wie
ein Fremdkörper wirkt, erfolgt durch eine demarkierende Entzdnüang, die eingeleitet nnd
unterhalten wird durch ein feine» Geläßnets, das sich in dem Uoterhautzellgewebe des
Bauches da findet, wo der Strang in den Nabel eintritt.'') Unter Kötang nnd Schwellung
des äuüeraten Hautnabelrandes, die man meist scheu wenige Stunden nach der Geburt beob-
acbleo kann, und allmUblich sich entwickelnder koozeutriacber Einziehung des Cutisnabels,
* Die zeitweilige Neignng, von dem ersten UAde'i and d(*r Ueinigung der Neu-
gebornen durch ein Bad auch an den folgenden Tagen bis zum Nabelrestahfail abznsehen,
hat sich jedenfall*i für die Privatpraxis allgemeine Anerkennung nicht verschaffen kOnnen,
Eneyclop. J*brbnch»r. X F. IV. {XUl.}
dd
Blut des Sfiuglingä.
die »Ich bald zn f!ner vollkommcDeo EintitUlpntig dce Randen nnnliildet, kommt e» Bchließlicb
zu einer farcht'Dartig'eu Vertiefung ewtache.n Oatin und NabelHchnur, die immer tiefer wird,
das Zwischengewebe immer dünner, bis schließlich am 4—5. Tage antcr leichter Eiterungi
der Abfall de» toten StUckes erfoljft. Bisweilen kommt der Abfall schon am 2. oder 3. Ta^'fl
Bustande, mitunter erat am 7.-9. Tage. -
Nach Abfall des Nabels bleibt eine leicht granulierende Wunde KurQck,
die Hieb im Verlaufe von 14 — 15 Tajfen schließt, vollständig aber erat nach
der dritten Woche fibemarbt ist. Während dieser Zeit vertieft sich durch
Retraktion des intraabdoiainellen Teiles der Nabelgefäße die Nabelwunde,^
bildet einen Trichter und schließlich die (Qr das Leben bleibende faltige'
Kabelgrube.
Die einsichtsvolle Betrachtung der Involations Verhältnisse der Nabel-
geföUe sowie der Nabelheilung lassen es verständlich erscheinen, wieso in
den ersten Wochen nach der Geburt des Rindes reichlich© Gelegenheiten
fQr Wundinfektionen vom Nabel aus gegeben sind. Insofern als die Throm-
bose der Nabelarterien eine sehr zarte ist. sich ganz allmählich entwickelt
nnd nur streckenweise ausgebildet ist^ die Nabolvene langsam obliteriert,
bis zum Abfall des Nabels eine Reihe von Tagen vergeht und schliel^llch
nach Abstotiung desselben eine Wundfläche Qbrfg bleibt, die sich erst nach^
Wochen mit einer Hautdecke bekleidet, welche so dünn ist, daß jede stärkere
Reibung oder größerer Druck sie wieder öffnen kann, bleiben die Pforten.
durch welche die Infektion ihren Einzug halten kann, genügend lange offen'
oder der Verschluß ist so leicbt verletzbar, dai^ eine bakterietlo Aussaat
nnd Weiterwanderang (Sepsis, Erysipelas, Tetanus) ohne Schwierigkeit statt-
finden kann.
3. Die Blutbildung. **) Die Frage nach dem Ort der Entstehung des
Blutes (im bebröteten Hühnerei) wird nach zahlreichen über diesen Gegen-
stand angestellten Untersuchungen ziemlich einstimmig dahin beantwortet,
daß die Bildungsstätte für Blutkorpereben und Blutgefäße innerhalb des
Mesoblasts statthat.
Dagegen stellt die Frage nach dem eigentlichen Ursprünge des Blutes
noch einen vielumstrittenen Punkt !n der menschlichen Entwicklungsge-
schichte dar.
Als erste Anlage der embryonalen BLutentwicklung sind Anhäufungen^
von kleinen, kugeligen, kernhaltigen Zellen zo nennen, welche sich bald zu
zylindriHchen oder mehr unregelmäßig begrenzten Strängen anordnen^ die
sich untereinander zu einem engmaschigen Netze verbinden (0. Hkktwk;).
Diese soliden Stränge bilden sich bald mehr und mehr zu einem wirklichen
Geläßrohr aus, dadurch, dali sich nach außen hin aus den oberflächlichsten
Zellen eine besondere Gefäßwand entwickelt und sie in ihrem Innern all-
mählich einen Hohlraum erhalten. Letzterer kommt zum großen Teil dadurch
zustande, daß die die Zelten umspQlende Flüssigkeit in die anfangs soliden
Stränge eindringt, zum Blutplasma wird und die einzelnen Zellhaufen aus-
einander und zur Seite drängt Diese abgetrennten ZellenhauEen , welche
zahlreich an den Wandungen des Gefäßrobrs festsitzen oder wie kleine
HQgel in die Gefäßlumina hineinragen, stellen als sogenannte Blutinaeln die
ersten BiUlungsherde der geformten Bestandteile des Blutes dar. Von diesen
Bildungsherden, deren Zellen mit der Zeit durch Produktion eines Blutfarb-
stoffes eine schwach gelbliche, allmählich intensiver werdende Farbe an-
nehmen, lösen sich nun die oberflächlichen ab und geraten als isolierte rote
Blutkörperchen in die BlalflQssigkeit hinein.
Hier vermehren sich die Blutzellen gleichwie die Blutinseln selbst
durch Teilung.
.Je uiohr und je weiter sich nun dauernd Blutkörperchen von den
Blutinseln toslösen, um so kleiner werden die Inseln mit der Zeit selbst und
verschwinden schließlich ganz aus dem Gefäßlumen.
^
^
I
^^^r Blut des S&uglings. 99
Und in den Gefäßen selbst zirkuliert dann anstatt der ursprüng:lichen
hellen Flössifrkeit ein rotes, an geformten Bestandteilen reiches Blut (Hehtwig).
Über die Blutbildung im ersten Beginne des embryonalen Lebens geben
ans En'grls') wertvolle Untersuchungen, die derselbe an Embr^'onen von
Menschen, Schweinen, HOhnchon^ Enten und Fröschen angestellt hat, Auf-
schluß.
Die ersten freien Blutkörperchen (hei 'A Tage alten üühDerembryonen)
sind hamuglubinhaltige, verhältniHmäßig grobe, kugelige Zellen mit einem
großen Kern, der häufig Kernsegmentierungen zeigt. Diese Zellen sind als
Metrozyten I. Generation zu bezeichnen.
Im Verlauf des vierten bis fünften Tages gehen diese Zellen durch
Teilung in die Metrozytentochterzellen oder Metrozyten II. Generation Über.
Die Metrozyten II. Generation haben in den meisten Fällen einen kleinen
oder auch zuweilen mehrere Kerne und teilen sich nicht mehr durch Karyo-
kinese. Etwas später sind die Metrozyten 1. Generation aus dem BliUe ver-
schwunden und die Metrozyten IL Generation gehen eine Zweiteilung ein.
Der Kern und das ihm zunaclist liegende hämoglobinhaltige Protaplasma.
=^ kernhaltiges rotes Blutkörperchen bildet die eine Hellte, der protoplasma-
tische hämoglobinhaltige Rest die andere Hälfte — kernloses rotes Blut-
körperchen, und zwar als orthochromatische und polychromatiscbe Form.
In diesem Alter beteiligen sich das Knochenmark und die Milz noch
gar nicht an der Blutbildung. Beim Menschen Ist bis etwa zum Ende des
3. Monates das Blut resp. die Gefäße das Blutbildungsorgan. Die Leber ent-
hält um diese Zeit dieselben Zellen wie das Blut, iodoch viel zahlreichere
kernhaltige rote verschiedener Grüßen.
Vom Anfang des zweiten Drittels des embryonalen Lebens werden
weder im Blut noch in den Hlutbildungsorganen Metrozyten gefunden. Neben
den kernlosen und kernhaltigen Erythrozyten finden sich dann auch hämo-
globinfreie Blutkörperchen mit und ohne Granulation. Um diese Zeit ist die
Blutmischung in der Leber, in der Milz und im Knochenmark einander sehr
ähnlich.
Weiterhin htirl das Blut auf, Hauptbilriungsstätte der Blutkörperchen
zu sein, und die Leber tritt anstatt deHHen als blutberoitendos Organ in den
Vordergrund. Mit dem Anfang des fünttoo Monats nimmt die Milz an der
Blutzellenbildung teil, während die Bedeutung der Leber hierfür sukzessive
abnimmt (B). Oiiavvitz, Klin. Pathologie des Blutes, Berlin I9U2) und endlich
nimmt das Knochenmark , das bis zur Geburt in sämtlichen Knochen rot
ist, als blutbildendes OrgjAi , namentlich für die roten Blutkörperchen, die
erste Stelle ein.
Knochenmark und Milz übernehmen während des embryonalen Lebens
auch die Bildung der farblosen Blutzellen, und zwar entstehen in der Milz
die Lymphozyten, während im Knochenmark die Entwicklung der polynukleüren
Leukozyten vor sich geht, und zwar sind polynukleäre neutrophile zahlreich
wie auch ein- und niehrkörnlge eosinophile nicht selten zu finden.
Nach der Geburt, im extrauterinen Leben, produziert das Knochenmark
als alleiniges Organ die kernhaltigen Erythrozyten, welche mit den im
embryonalen Leben vorkommenden Zellen (Nbum.\nns »embryonale Blutzetlen«
oder »Entwicklungslormen-*) durchaus übereinstimmen. Aus den orthochro-
matischen kernhaltigen Knoten des Knoohenmarks entstehen nach Kern-
schwund die kerntosen roten Blutkörperchen, welche nach Annahme einer
Dellenform in das Blut gelangen und die normalen roten Blutkörperchen
des gesunden Menschen darstellen.
4. Blutmenge und Blutzusammensetzung. >'') Die Blutmenge des Neu-
gebornen muß naturgemäß in Abhängigkeit von der Füllung der Nabelge-
fäße und von der Zeit der Abnabelung bei dem einzelnen Individuum
100
Blut des SäugliDgB.
variieren. Sie beträgt bei sofortiger Abnabelung >/« — >/,« des Körpergewichts,
dagegen ^ lo — Vu desselben bei spätem Abnabeln (A. SchCcking i^).
Über die Zusammensetzung des Blutes, Ober die Zahl der Formelemente^
Ober das Verhältnis der weißen und roten ßlutzelten untereinander, über
den Hümoglobingehalt und dos spezifische Gewicht beim Neugebornen und
Säuglintf liegen schon aus älterer Zeit eine ii:rößere Zahl von Untersuchnngen
vor. die durch neuere Forschungen zum Teil bestätigt, zum Teil rnktifiziert
einigermaßen Klarheit in die Hämophysiologio des frühen Kindesalters
gebracht haben. Immerhin bleibt in diesem Kapitel noch manche LQcke aus-
zufüllen.
Die Zahl der roten Blutkörperchen ist beim Neui^ebomen kurz nach
der Geburt eine sehr hohe und liegt ihr Wert im Mittel zwischen 7 und
8 Millionen. Die absolute Zahl variiert bei dem einzelnen Individuum und
schwankt zwischen 5 — 8 Millionen. Diese anfängliche Blutkörperchenzahl
steigt in den ersten Tagen noch weiter an (Tikt/k'-} und hat bis zum
vierten Tage nach der Geburt ihr Maximum erreicht. Von dieser Zeit be-
ginnt gradatim eine stetige Abnahme, so daß dte Gesamtzahl im Verlauf
von weiteren 2 — 4 Tagen auf den anfänglichen Zahlonwert reduziert zu sein
pflegt. Schon mit dem Ende der 2. Lebenswoche stellt sich dann die Zahl
der roten Blutkorpereben auf einen bestimmten Gebalt ein, der im Säug-
lingsalter nur noch gerintren Schwankungen unterworfen ist und auch spater
im ganzen ersten Jahrzehnt des Kindesalters annähernd der gleiche bleibt.
Derselbe ist nahezu eine konstante Größe und liegt zwischen 4*5
(Gkawitz) bis 51 (GrNOouiN) und 5-5 (KARNir/Ki) Millionen. Auch En'GKi.
gibt für die Zeit des SäuglingHaltors einen Gehalt des Blutes an roten Blut-
körperchen von 45 bis Ti Millionen an.
Interessant ist es, daJi bei unmittelbar nach der Geburt abgenabelten
Kindern die durchschnittliche Blutkurperchenzabl hinter der bei spät abgena-
belten wesentlich zurückbleibt (Schifp**). Und zwar beträgt dieser Blutkör-
perchenüberschuß bei den letzteren ^'^ bis 7« and selbst eine ganze Million.
Gegenüber der rapiden Zunahme der Blutkörpercbenzahl der spät Abgenabelten
in den ersten H — 4 Tagen tritt bei frühzeitig Abgenabelten während derselben
Zeit anstatt dessen eine beinahe rapide Abnahme ein. Dieses ungleiche Verhalten
gleicht sich indessen schon nach kurzer Zeit wieder aus und beide Gruppen er-
reichen bald wieder die glelchn durchschnittliche Blutkörpercbenzahl. Die Steige-
rung der Zahl der roten Blutkörperchen in den ersten 3 — 4 Lebenstagen ist wohl
aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Etndickung des Blutes infolge von Wasser-
abgabe durch die Atmung, Perspiration und die Exkrete bei gleichzeitig sehr
geringer Nahrungszufuhr zurückzuführen. Die spätere Abnahme der Blut-
körperchenzahi bedeutet dann eine allmähliche Anpassung an die erst mit
der Zeit sich regulierenden Verhältnisse (Stoffwechsel, Nahrunirszufuhr) des
extrauterinen Lebens. Der Durchschnitt der roten Blutkörperchen für die Säug-
lingsperiode stellt sich auf !>,fi8ö 744 und ist demnach gegenüber der Zahl
beim Erwachsenen (5,00ü.0Üü) erheblich vermehrt.
Ein Unterschied in der Zahl der roten Blutkörperchen bei Knaben
und Mädchen macht sich nicht bemerkbar.
Von qualitativen Eigenheiten der roten Blutkörperchen bei Neuge-
bornen ist hervorzuheben, daß im V^ erlaufe der ersten 4 Lebenstage kern-
haltige, rote Blutkörperchen nicht selten gefunden werden, und zwar sind
dieselben wenige Stunden nach der Geburt am zahlreichsten vorhanden. Die
Größe woist große Schwankungen auf, ihre Form ist leicht veränderlich. Ihre
Verbindung mit dem Hämoglobin ist eine wenig feste, womit auch die große
Menge von Schatten im Blute Neugeborner erklärt wird.
Die Gesamtzahl der weißen Blutkörperchen bei Kindern von 10 Tagen
b}B zu 1 Jahre beträgt im Mittel i:3.900.(Gt*Ni)OBiN), die individuellen Schwan-
I
Blut des Säuglings.
101
kungen bei gesunden Kindern dieseä Alters liegen zwischen 14.000 — 10.000.
Im ganzen weichen also diese Schwankungen nicht wesentlich von denen
beim Erwachsenen (5000-10.000) ab.
Der Durchschnitt im Alter von 1 — 8 Monaten beträgt 13.125 (Ma-
ximum 10.000, Minimum 91^60). Die mittlere Zahl für das Alter von 8 bis
V2 Monaten betrügt 11.930 (Maxiraum 15.300, Minimum 8600).
Vor der Stillung ergibt die Untersuchung bei Säuglingen fast immer
weniger farblose Rhitzellen als nnmiUelbar nach derselben. Nach dem SAug-
lingaalter sinkt die Zahl der weiCen Blutkörperchen merklich herab, so daß im
Durchschnitt im Alter von l--*> Jahren nur noch 9415 gnzählt werden und
im Aller von 0 — 15 Jahren sie auf 7'JOO verringert ist (Karnitzki).
Qleicbwie bei den roten Blutkörperchen ist auch die Zahl der weißen
Blutzellen in den ersten 24 — 4b Stunden nach der Geburt eine sehr hohe.
Havkm gibt rOr diese Zeit eine Durchschnittszahl von 18.000 an. Si hiff
fflr die ersten 1?4 Stunden sogar von 12 0.000 — 30.000. Diese anfänglich hohe
Zahl nimmt jedoch im Laofe der ersten 3 — 4 Tage allmählich ab und er-
reicht bald jene Grenze, wie ich sie für die ersten Lebenstage als Mittel-
wert angegeben habe. Zwischen den einzelnen Kindern zeigen sich auch bei
gleichem Alter und bei gleichem Gewicht erhebliche individuelle Differenzen.
Das absolute Gewicht der Kinder hat weder einen Einfluü auf die Zahl,
noch auf den Prozentsatz der einzelnen Formen der weitien Blutkörperchen
(QrxDOBiN, jAimA'. Die Frage, ob durch einen Gewichtsstillstaud oder durch
eine Gewichtsabnahme eine Leukozytose und eine V^eränderung der relativen
Verhältnisse einzelner Formen der farblosen Blutzellen hervorgerufen wird,
ist noch nicht sichergestellt; jedenfalls scheint die Gewichtsabnahme nicht
unter allen L^m.ständen eine Leukozytose nach sich za ziehen.
Außer dorn größeren Reichtum des Säuglinifsblulcs an weißen Blut-
zellen gegenüber dem des Erwachsenen ist bei der Beurteilung pathologischer
Verhältnisse im Kindesalter zu berücksichtigen, daß auch morphologisch
dem Befunde beim Erwachsenen gegenüber Differenzen obwalten, Beim Säug-
ling überwiegen die einkernigen Zellen, beim P>wach8enen sind die poly-
nukJeären Zellen bei weitem in der Mehrzahl. Bei jungen Kindern stellt
sich nach Engel das Verhältnis der mehrkernigen Neutrophilen im Ver-
hältnis zu den Lymphkorperchen wie 1 : 2 und bei ganz jungen Kindern wie
1:3. Und während die polynukleären mit neutrophiler Granulation im Blute
des Erwachsenen etwas weniger als ^\ aller Leukozyten ausmachen, betragen
die Lymphkorperchen etwa ' , aller weißen und die eosinophilen etwa L*"^ g.
Als positive Zahlenwerte gibt Glm>obin für die Lymphozyten 06 — 50°/o
bis zum 1. Lebensjahr und Karn[tzki bl'6'^ (, für das Säuglingsalter an.
Die Durchschnittszahl der neutrophilen betragt nach ersterem 28 — 40" o,
nach letzlerem S9'3"/o- Diesen Zahlen stehen beim Erwachsenen zirka (13 bis
IO^/q polynukleäre Zellen gegenüber. Das umgekehrte Verhältnis beider Zell-
formen des Kindes gegenüber dem des Erwachsenen nähert sich jedoch
häufig dem letzteren, wenn Kinder an irgend einer fieberhaften Erkrankung
leiden (Engel). Ferner finden sich bei fast allen Kindern unter den Lymph-
korperchen 5 — lO*» 0 großer Lymphozyten mit teils rundem, teils gelapptem
Kern. Die Verdauungsleukozytose ist im Säuglingsalter nicht so ausgeprägt
als beim Erwachsenen. Im Verlaufe von 2—3 Stunden nach der Nahrungs-
aufnahme sind die Veränderungen im Hlute relativ unbedeutend und manch-
mal ist die Zahl der weißen Blutkörperchen sogar verrinj^ert b Stunden
nach der letzten Aufnahme der Nahrung tritt auch im Blute des Sänglings
in allen Fällen die Leukozytose ein. Die Erhöhung der Gesamtzahl der weißen
Blutkörperchen kann 2000—4000 erreichen (QiiNtuniix).
Die Hämoglobinmeuge ist bei Säuglingen ungefähr konstant (12*7^
«uf 100^ Blut, Karxitzki) und beträgt rund 90*> g. Ebenso wie die Zahl
102
Blut des S&iigliugs,
der Hlatkörperchen zeig:en auch die absoluten Hfimo^lobinwerte individuelle
Schwankungen. Die in den ersten 3—4 Tagen hohen Hänioglobinwerto
104-6% — 96-5o/o (Schikf) ^ehen im Laufe der nächstfolgenden Tage allmäh-
lich herunter, so daß der Gehalt am Ende der zweiten Lebenswoche um
etwa 14" 0 abgenommen hat und auf 908 gesunken ist Leithtexstbrn '*)
fand im Alter von 3 Monaten noch 94% Hämoglobin und nach KarmtzkI
schwankt der Hämoglobingehalt im ganzen Süuglingsalter um 1^6— SS^v
Die größten Schwankungen liegen im Alter von 0 — 10 Monaten. Ein festes
Verhältnis zwischen der Zahl der roten Blutkörperchen und der Hämoglobin-
menge besteht nicht. Da;* Geschlecht Ist ohne Einfluß auf die Hämoglohin-
menge.
Der absolute Hämoglobingehalt des fötalen Blutes soll nach Cohnstgix
und ZuNTZ^^) kleiner sein als derjenige des mütterlichen, die Hämoglobin-
menge in der gleichen Anzahl roter Blutkörperchen dagegen grÖBer, ein
V'erhalten, das mit größerem Volumen der letzteren zusammenhängen könnte.
Nach TiETZE*-) wechselt der Farbstoffgehalt des Blutes in Abhängigkeit
von demjenigen der Mutter so daß bei Anämie der Mutter der Hämoglobin-
gehalt des neugobornen Kindes niedriger zu sein scheint als in den Fällen,
wo die Mutter'gGsund ist.
Als mittlere Hämoglobinzahl für das Blut kurz nach der Geburt wurden
nach Fleischls Methode 76'87o Hämoglobin gefunden, d. h. diejenige de»
Erwachsenen gleich 100 gesetzt.
Was den Hämoglobingehalt während der verschiedenen Altersperioden
anbetrifft , so habe ich bereits hervorgehoben, daß nach einem Maximum
beim Neugobornen ein Absinken desselben in den ersten Lebenswochen
statthat. Nach ausgedehnten weiteren Untersuchungen^ teils an Tieren, teils
am Menschen angestellt, scheint sichergestellt zu sein, daß in der Jugend
das Blut farbstoffärmer ist als später nach beendetem Wachstum.
Nach Leichtenstekn erreicht der Farbstoffgehalt sein Minimum im
Alter von '/s — ^ Jahren, im Alter von ij — 15 Jahren macht sich bereits
wieder ein Ansteigen bemerkbar, welches nach 15 Jahren noch mehr her-
vortritt, um im 21.— 45. Lebensjahre ein zweites Maximum zu erreichen ;
von da ab macht sich eine entschiedene, wenn auch geringe Abnahme des
Häinoglobingehaltes bemerkbar.
Das spezifische Gewicht Ist bei Neagebornen höher als in den
folgenden Lebenswochen. Es beträgt nach SriirpF 1070 — lOftO, nach Münti
(Khk., I8y!>, Bd. I, pag. 586) 1056--10r>6, im Mittel lOßO. Die Durchschnitts-
zahl für das Säuglingsalter ist nach Karnitzki 105*i. Die Durchschnittszahl
des spez. Gewichtes FOr Kinder vom ersteii Jahre ab ist nach K<\hmtzki
1060. Als Mittelwert des spez. Gew. des Gesamtblutes beim Menschen gibt
KxGKL ca. 1058 an.
Bei Zusammenstellung der Zahlen der HämogEobinmengen und der
spez. Gewichte ist zu ersehen, daß in allen Sl^idien des Wachstums gesun-
der Kinder ein direkter und enger Zusammenhang zwischen beiden F.aktoren
besteht. Auch zwischen der Zahl der roten Blutkörperchen und dorn spez.
Gewicht ist ein solcher vorhanden . wenngleich die Abhängigkeit beider
Komponenten nicht in allen Fällen su scharf ausgeprägt ist ab bei ersteren.
FftiEnJtJNtii^) hat mittelst der kolorimetrischen Methode nach Jolles^^^)
den Eisengehalt des Blutes im Kindesalter untersucht. Aus diesen Unter-
suchungen, die allerdings noch weiterer Best.ätigung bedürfen, geht hervor,
daß Säuglinge nur eine Ferro meterzahl von 3**1 — ."/T aufweisen, d.h. nach
der HtAiWKschen Aufstellung nur 64— -BS^ö ^^9 för Erwachsene normalen
BluteisöDgehalts besitzen. Der geringe Eisengehalt scheint also Schritt zu
halten mit dem bereits froher hervorgehobenen niedrigen Hftmoglobingehalt
dieses frühen Lebensalters.
Blut des SfiuglingB.
103
Jenseits der Entwohnang: steig:en dfe Werte der Ferroraeterzahl aul
5*0 — 5*6 (d. h. 76 — 84°/« nach Hladik) an und weiter zur Zeit der Pubertät
gebeo die Werte über auf die Zahlen von tj'7 (100^ o), wie sie von Hladik
fClr den Erwachsenen an|:eg:eben worden sind.
Als Erklärunjc für die niedrijcen Bluteisenmen^en im Sau^lingfsalter
dflrfte die Eisenarmut der Milch, welche während dieser Zeit die ausschUeU-
liche Nahrung: des wachsenden Organismus bildet^ herangfezoß:on werden niQssen.
Der Ki^engehalt hebt sich erst wieder, wenn dum ääu|2:lin;< nach der
EDtwöhnuo^ mit dem Übergang: zur gemischten Kost in der Nahrung reicli-
licberd Eisenmentcen zu^efOhrt werden können.
Diei^ea Mißverhältnis in dem f^erinicen Eisengebalt der Milch während
der Sät]g:Iing9periode und dem notwendiRen Eisen^rebrauch findet nach
BuxGE'S) darin seinen Ausgleich, daÜ der Säugling bei der Geburt von der
Matter einen großen Eisenvorrat, der in den inneren Organen abgelagert
ist» mit auf den Lebensweg bekommt, den er fQr das Wachstum seiner Ge-
webe verwendet, solange er auf die Ernährung mit der eisenarmen Milch
angewiesen ist.
Jedenfalls scheinen nach Fhieü.iungs Untersuchungen zwei Perioden des
Kindesalters durch eine besondere Anreicherung des Blutes mit Eisen ge-
kennzeichnet zu sein: die des Überganges von der Milchernäbrung zur ge-
mischten Kost und die der Geschlechtsreife.
5. Herz und Puls. In der frühesten embryonalen Entwicklungszeit
besteht das Herz aus zwei GefäÜhälften. aus deren V'er.schmelzung nach-
träglich ein einfacher Herzschlauch hervorgeht. Dieser anfangs gerade Schlauch,
der in das Meaokardium eingebettet ist» wird sehr bald durch sein ganz be-
sonders in der Längsrichtung vor sich gehendes Wachstum infolge Raum-
beengung gezwungen, sich zu einem S-tdrmigen Herzschlauch zusammenzu-
krQmmen. Aus diesem Herzschlauch bildet sich aUmählich durch verschiedene
Krümmungen, Erweiterungen und Abscbnürungen einzelner Partien das
eigentliche Herz mit seiner Kammer, Vorkammer und Aortenschwellung aus.
Bereits im frühesten Entwicklungsstadinm löst das Herz kräftige, in
regelmäßigem Rhythmus wiederkehrende Kontraktionen aus, die schon ietzt
wie im weiteren Leben bis zum letzten Stundenschlag desselben die treibende
Kraft für die Blutbewegung bedingen. Und zwar setzt die regt»! mäßige
Herzaktion schon in einer Entwicklungsphase ein. bevor noch Muskelfibrlllen
in dem Myokard nachzuweisen und bevor nervöse Elemente zu ihm in Be-
ziehung getreten sind.
Die fötalen Herzkontraktionen sind im Beginne langsam, werden dann
aber schneller und schneller. Nach Pkeyek (Physiologie des Embryo) beträgt
ihr Mittel dann i:30 — 150 Schläge in der Minute.
Unmittelbar nach der Geburt tritt eine Frequenzateigerung des Pulses
auf 150 — 190 Schläge ein. welche für gewöhnlich 15 — -20 Minuten und nur
selten 1 Stunde andauert. Diese Pulsbeschleunigung wird alter Wahrschein-
lichkeit nach bedingt durch die plötzlich nach der Geburt mit der Respi-
ration einsetzende Veränderung der Zirkulation und des Blutdruckes. Nach
dieser schnell vorübergehenden Frequenzerhohung tritt eine Verlangsamung
des Pulses auf, welche während des Schlafes lUO beträgt und welche nur
durch äußere Veranlassung, wie durch Schreien., Saugen und Bewegungen
des Kindes vorübergehend in die Höhe gebracht wird (Zirgbnsi'kck*^).
Diese Vertangsamung des Pulsschtages dürfte wohl zurückzuführen sein
auf die noch vorläufige HQckständi^keit des linken Ventrikels gegenüber
den neuen Anforderungen, welche in seiner Arbeit für den grotten Kreislauf
nach der Geburt an ihn gestellt werden.
Sobald der linke Ventrikel erstarkt and seine physiologische Hyper-
trophie sich auszubilden beginnt, hebt sich der Pulsschlag, schon mit dem
104
Blut des SäugHugs.
3.-5. Tage betcinnend. allmählicb bis zum 8. Lebenstai^e auf 120 — 135 Schl&g:e1
in der Minute. Dadurch jedoch, daü die Hemmungswirkung: des Vagus auf
das Herz . welche im Ncugebornen erheblich weniß:er ausj^ebildet ist als
beim erwachsenen Tier (Soltmann* -o^, allmählich sich zu entwickeln heg'innt
erreicht der Puls des Säuglings niemals wieder die Hohe wif zur FÖtalzoit
oder kurz nach der Geburt.
Die Pulszahl des Sfiuglin^s ist demnach ^eerenüber der des Erwachsenen
bei weitem erhöht. Die hierfür angogebenon Werte müssen naturgemäß in
weiten Grenzen schwanken, besonders wenn man in Betracht zieht. daU Be-
wegungen des Säuglings, Lageveränderungen desselben, Schreien, Saugen, ja
selbst Erwachen aus dem Schlaf, leichte Berührungen usw. von einer erheb-
lichen Steigerung der Pulsfrenuenz gefolgt sind.
Während des ersten Lebensjahres darf man 130 Palsschtäge in der
Minute als Miltolzahl annehmen. Je jünger das Kind ist, um so beschleu-
nigter ist die Herztätigkeit. Mit zunehmendem Alter nimmt dieselbe, und
zwar anfangs rascher, später langsam allmählich ab. Die Körperlänge übt
auf die Puls(re(iuenz insofern einen Einfluli , als die Pulszahl bei kleineren
Kindern im gleichen Alter eine größere ist wie bei größeren Kindern von
gleichem Alter. Ein Einfluß des Geschlechtes auf die Pulsfrequenz läßt sich
nach meinen Untersuchungen für das erste Lebensjahr noch nicht feststellen.
Nicht gar so selten laßt sich beim Säugling und ganz besonders beim
Neugebornen eine Variabilität des Pulses nachweisen, die sich entweder als
intermittierender oder irregulärer Puls äußert. Nach Soi,tma\\ veranschau-
lichen auch diese Herzscliwankungian den pbysiulogischen Kampf der noch
nicht regulierten Wechselwirkung zwischen exzi tierenden und hemmenden
Kräften im Herzen.
Für die Pathologie des Säuglings dürfte hieraus abzuleiten sein, daß
vorübergehende Pulsbeschleunigung und zeitweise Irregularität des Pulses
nur selten von Bedeutung sein dürften. Auch ist es aus der physiologischen
Pulsfrequenz des Säuglings erklärlich, daß in fieberhaften Zustanden die
Pulskurve die Temperaturkurve hei weitem Übersteigt und insofern von der
allgemein gültigen Regel, wonach sich diese beiden Kurven im Fieber bei
allen Altersklassen decken, eine Ausnahme macht.
Wesentliche Pulsverlangsamung deutet auch im Säuglingsalter für
gewohnlich auf krankhafte Störungen hin. Und so sind es hauptsächlich
Erkrankungen des Magens, Druckerschelnungen von seiten des Gehirna,
welche eine Pulsverlangsamung hervorrufen und auch meistenteils einen
Einfluß auf den Rhythmus der Herztätigkeit ausüben. Nur äußerst selten
finden wir dagegen beim Ikterus der Säuglinge eine Pulsverlangsamung, die
doch sonst für gewöhnlich durch den hemmenden Einfluß der Gallensäuren
zu erwarten ist.
Nach SoLTM.AN\ hängt aucb dies Ausbleiben eines Einflusses auf den
Puls durch die Gallensäuren mit den physiologischen Eigentümlichkeiten der
V^agusfnnktion zusammen.
6. Die Wachstumsverhallnisse des Herzens. *^) Bezüglich der Entwick-
lung und des Wachstums des Herzens im Säuglingsalter fallen gewisse Be-
sonderheiten auf, welche sich aus den Untersuchungen von Bknkke^-),
ViERORDT, v. Dusch durch folgendes charakterisieren : Die Masse des Herzens
ist beim Neugebornen relativ am größten > sie sinkt dann rasch im ersten
und zweiten Lebensjahre auf ein Minimum , um vom dritten bis zum sie-
benten Lebensjahre wieder erheblich zu steigen. In den Jahren vor der
Pubertät (im 13. und l-l. Jahre) ist das Herz relativ am kleinsten, um
während der PubertHtsentwicklung wieder rasch zuzunehmen, so daß das
relative Herivolumen des Erwachsenen etwa demjenigen des dritten bis
zweiten Lebensjahres wieder entspricht.
Blut des SfiugUngs.
105
Abfiolut crenommen betrag:! das Herzvolumen beim Keug:ebornen nn^e-
fäbr 23 0/71' und erreicht bis zum 7. Lebensjahr die Zahl von ca. lUOc/»>.
Zwischen 7. and 15. Lebensjahr steig^t das Herzvolumeu nicht mehr so be-
trächtlich, denn es beträgft am Ende des 15. Lebensjahres durchschnittlich
nur 140 r/??*.
Das Horzgewicht des Neuffebornen beträjjt nach Bednar -*) 18 bis
20*5^, nach Vibkokdt im Mittel ^ig.
Das Herzf^owicht des Neugebornen betragt OdBVo des Gesamtg:ewichte8
ge^en 0'5t^^o des Erwachsenen. Diese relative OröUe des Her^gewichtes
bedeutet einen Vorteil des Kinderherzens gegenQber dem Erwachsenen, in-
sofern als der im frühesten Kindesalter außerordentlich gut ausgerüstete
Herzmotor eine im Verhäitnis zu seinem Gewicht nur kleine Arbeit zu leisten
hat, welche sich auch, wie wir später sehen werden, ohne grobe Wider-
stände abwickelt.
Das relativ gflnstige Verhältnis von Herzgewicht zum Korpergewicht
nimmt mit den zunehmenden Lebunsjahren ab. Denn während der Gesamt-
körper des Erwachsenen am Endo seiner Entwicklung zirka das rjfache
seines Geburtsgewichtes erreicht bat, so vervielfacht er sein Herzgewicht
zur selben Zeit nur um zirka das Ifi fache.
Das jugendliche Herz ist bezügüch seiner Leistungsfähigkeit auch da-
durch im Vorteil, daß seine Massen- und Gewichtszunahme hauptsächlich
seiner Muskeientwicklung zugute kommt, dagegen die Umfangzunahme des
Herzens in der ersten Zeit so gut wie gar nicht beeinflußt.
Nach Bküxak bleibt der Herzumfang vom 5. Lebenamonate angefangen
nahezu gleich bis zu 5',^ Jahren. Von hier an nimmt derselbe bis zur
Pubertätaentwicklung langsam zu.
Fflr Länge, Breite und Dicke des Herzens in den verschiedenen Altern
gibt BizoT*») (Annales de la soci<?t^ m^dicale dobservation, 1850. Tom. I,
page 262 rr.) folgende Werte an;
Die Di inen»ioneii des norniAlf^n kindlu'hen Uerzeiitt-
A I t 9 r
I«OU||«
Breit»
Uicfc«
Z«ntim«tor
Knaben
l— 4 Jahre
5— 9
10-15 >
l— 4 Jahre
6- 9 .
10—15 •
5-14
7-04
7*B7
M fi d 0 ta e n
510
600
6'59
6-Ofl
744
8-3Ö
5 83
6-54
7U4
2 44
2-89
316
228
2 55
284
Die Dicke der Wand des linken und rechten Ventrikels differiert beim
Neugebornen nur wenig voneinander^ und zwar steht das Gewicht der Ven-
trikel in einem Verhältnis von 1*3 zu 1 (beim Erwachsenen von 2ö2 zu 1).
Nach der Geburt nimmt dann die Dicke der Wandung des rechten
Ventrikels mit Veränderung seiner Funktionen rasch ab und besitzt im
6. Lebensjahr kaum die Mächtigkeit wie beim Neugebomen.
Maße fflr die Dicke der Ventrikelwandungen-
I, V. r. V.
bei Neugebornen nach Be[>xar .... 0'44 — 0'68 — 0*34 — 0*44 cm
bis zum Alter von 6 Jahren nach Billikt
und Barthez nicht ganz 10 — 0*3 — 0*4
106 Blut des Säuglings. |
..,»,, Nach Baginsky -'^) ist das Verhältnis zwischen GruUe des Herzens und
Weite der Arterien im kindlichen Alter nahezu ein unifcekehrtes gegenüber
demjenigen des Erwachsenen. Kinder haben ein verhältnisniätiig kleines Herz
neben weiten Arterien. In Zahlen ausgedrückt verhält sicli das Volumen
des Herzens zur Weite der Aorta ascendena
\ß\o ' « beim Kinde wie 25 : 20 ]
vor Eintrit der Pubertät wie . . 140:50
nach Eintritt der Pubertät wie . 290:61. / '
Es folgt hieraus, daß der Blutdruck im großen Kreislauf bei Kindern
bedeutend geringer ist als bei Erwachsenen. Entiregengesetzt liegen die Ver-
haltnisse im kleinen Kreislauf. Während des ganzen kindlichen Alters finden
wir eine verhältnismäßig enge Aorta ascendens und eine relativ weite Arteria,
fulmonalis. Es verhält sich der Umfang der Arteria pulmonalis zu dem-
jenigen der Aorta auf 100 cm' KOrperlänge berechnet am Schluß des ersten
Lebensjahres wie 40:40, beim Erwachsenen wie 35'9 tu 36'2.
Allgemein ausgedrückt findet man im ersten Kindesalter den Qaer-
durchmesaer der großen Arterien (Karotis und Subklavia) im Verhältnis zur
Körperlänge und Herzmasse sehr groß. Vom 7. — 15. Lebensjahre jedoch, wo
ein bedeutendes Massenwachstum des Hertens stattfindet, nimmt derselbe
bedeutend ab. so daß in dieser Zeitperiode Subklavia und Karotis die relativ
engsten Maße während des ganzen Lebens erreichen (Benekk).
Als Mittehvcrie fflr die Weite der beiden arteriellen Ostisn gibt Brnkkb
in den verschiedenen Perioden des Kindesalters folgende Maße an.
Alter Aortu Arteria puhnonatia
In den ersten Lebenstagen . 2*0 2*3 cm
Mit einem Jahre 3*2 36 ^ j
Mit 7 Jahren 4*3 4*6 « I
Mit 13 — U Jahren 50 52 « j
Bei vollendeter Entwicklung . . 615 610 -^ *
Im reiferen Alter 68 65
Das Fazit der Summe der Eigentütnlic^hkeiten des kindlichen Herzens,
die um so hervorstechender sind, desto jünger das Individuum ist, lassen eine*
gewisse l<bertegenheit desselben gegenüber dem jeo igen des Erwachsenen
hervortreten. Dieselbe findet ihren Qrund in den Wachstumsverhältnissen
des Herzens, welches zugunsten einer Dicken zunähme der Muskulatur
stattfindtt und nicht zur Vergrößerung seiner Höhlung verwandt wird.
Außerdem spielen die außerordentlich giJnstigen Ernährungsverbältnisse
des kindlichen Herzens eine Rolle; so fehlen pathologische V^eränderungen
der Koronararterien des Herzens, eine der hauptsächlichsten Kolgen kardialer
Nutritiunsstörungen. nach vün Dusch im ersten Kindosalter so gut wie
vollkommen.
Ferner befindet sich das jugendliche Herz durch das Stationärbleibeo
der Ostienweite unter günstigen Arbeitsverhältnissen insofern, als der relativ
kräftige Herzmuskel beim Ein- und Ausströmen des Blutes durch die Ge-
fäßmfindungen bei weitem geringere Widerstände zu überwinden bat als
im späteren Lebensalter.
Auch hat das Herz des frühesten Kindesalters weder durch die deletäre
Einwirkung gewisser Krankheitsgifte, noch durch die Beeinflussung seitens
anderer Schägigungen (Alkohol, Tabak, B\m) sowie durch nervöse Erregungen
an Widerstandskraft und Leistungsfähigkeit etwas eingebüßt.
Diese Intaktheit des jugendlichen Herzens in Verbindung mit dem
günstigen Verhältnis von Kraftentwicklung zur Kraftforderung lassen es
verständlich erscheinen, wenn das Herz des jungen Kindes einzelnen schweren
Infektionskrankheiten (wie Pneumonie und Typhus) besser Widerstand leistet
Blut lies Sfiuglittgs.
107
k
wie das des Erwachsenen. Ebenso verständlich erscheint es. wenn erworbene
Affekte an den Herfklappenapparaten, soweit sie mit atheromatosen Pro-
zessen der Arterien zusuratuenhänKen , im zarten Kindesalter vollkommen
fehlen. Auch erworbene Erkrankungen der arteriellen Ostien in Form der
.Stenosen und Klappeninsuffizienzen geboren in der frühen Lebensperiode za
den Seltenheiten. Die beinahe ausschltebliche Ursache dieser Veränderungen
liegt im Kindesalter in der Endokarditis^ deren Ausbreitungen und Lokali-
sierungen sich im großen und ganzen aher hauptHÜchlich auf das Unke
venöse Ostiam beschränken. L'nd ferner verhelfen die günstigen Ernfihrungs-
verhiiltnisse des Herzmuskels und seine leichten Arbeitshedingungen nicht
gar so selten dem Herzen zur vollkommenen Ausheilung erworbener Affektionen,
sowie zum Ausgleich entstandener Kompensationsstörungen.
Alle diese Vorteile des jugenditchen Herzens sind, wie Hochsixgbk
sich ausdrückt wohl mit Hecht als eine natürliche Konsequenz der Toleranz
des kindlichen Herzens aufzufas.sen.
7. Der physikalische Befund des Säuglingsherzens. •*>) Während nach
Sahli die für die Perkussion in Betracht kummendo anatomische Differenz
hauptsächlich eine GröÜendifferenz ist, insofern als das kindliche Herz in
horizontaler Richtung gemessen etwas breiter erscheint als das Herz des
Erwachsenen, so sehen RAixitFrss und Steffen einen weiteren Unterschied
in der Lagerung desselben. Je jünger das Kind ist, um so horizontaler ist
das Herz gelagert. Mit dem zunehmenden Alter und Wachstum des Kindes
n&hert eich die horizontale Lage mehr der vertikalen.
Nfan trifft daher unter diesen Verhältnissen die Herzspitze in der Regel
in der linken Mammillarlinie. selten außerhalb, noch seltener iunerhulb derselben.
Aber auch ein Überschreiten der siebt- und IQhtbaren Kontraktionen
des Herzens von 1 — 2 cw nach außerhalb über die Mammillarlinie darf noch
nicht als ein pathologisches Merkmal aufgelalSt werden (Ralthpcss, Sahli,
Helbxer). Daß die Herzspitze um ein Rippeninterstitium hoher als beim
Erwachsenen, also im IV. Interkostalraum steht, darf für das erste Lebens-
jahr als Kegel angegeben werden.
Die Erkläxnng ganz besonders des ersten Punktes, der einen in so
hohem Grade von den Normen Erwachsener abweichenden Befund darbietet,
scheint Rauchfiss wesentlich in dem dem Kindesalter eigentümlichen Großen-
und W^achstumsverhältnisse zu liegen. >Am Neugebornen sind der sterno-
vertebrale und transversale (kostale) Thoraxdurchmesser einander gleich
(zirka H:%*:rn). Das Wachstum ändert dieses Verhältnis aUmähllch in das
von 1:1*4 um, indem schließlich der sternovertebrale Durchmesser am Er-
wachsenen etwa 19 r///, der transversale etwa 26 cm beträgt. Bei 61ährigen ist
das Verhältnis etwa wie 14 18 c///, bei 10 — 12]ährigen wie 14-5:20(ah.
Durch dieses Wnch.stum des Thoraxskelettes, das , wie Hlkteh naohge-
wiesen hat, hauptsächlich ein chondrokostales Epiphysonwachstum ist, in
welchem die Entwicklung des Brustkorbes in die Breite seine Tiefenaus-
dehnung allmählich immer mehr übertrifft, mÜHsen die topographischen Be-
ziehungen der zur vorderen Hrustwand gekehrten Herzabschnitte allmäh-
lich andere werden. Das Wachstum des Herzens, die allmähliche Zunahme
seiner Durchmesser — besonders des hier in Frago kommenden Längs-
dia'chmessers — halten mit der Hreitenuusdebaung des wachsenden Thorax
nicht gleichen Schritt, sie bleiben zurück und die Herzspitze wird allmählich
hinter den Chondrokostalverbindungen medianwArts rücken und die dem
Kindesalter eigentümliche Lage nach außen von denselben verlassen müssen.«
Beim Erwachsenen liegt daher die Herzspitze nach innen von der
Mammillarlinie.
Die vermittelst der .Perkussion vorgenommenen Untersuchungen des
Herzens ergeben nach Sahli, dali die absolute Breite der großen (relativen
108
Blut des Säuglings
tiefen) Herzdämpfun^ im Säuß:lingaaUer, wie überhaupt im Kindesalter Dach
allen Richtungen hin bedeutend ausgedehnter ist als beim Erwachsenen.
Demnach überragt für gewöhnlich die grotSe HerzdS.mpIang d^e Mammillar*
linie nach links. Nach rechts reicht dieselbe in der Norm bta in die Nähe
der rechten ParaSternallinie und kann sogar über dieselbe hinausgehen. Und ,
bei Neugebornen Ifißt sich sogar schon in der rechten Mammitlarlinie eine]
Herabsetzung des Schalles nachweisen. Nach oben ra^t die grolie Horz-
dämpfung bei kleineren Kindern ganz gewöhnlich bis in *ion 11. Interkostal-
rauni oder selbst bis zur "2. Kippe hinauf. Je Jünger die Kinder sind, um so
mehr herrscht der hier angegebene Typus der Herzdämpfung vor. Mit fort-
schreitendem Lebensalter entwickelt sich das Herz nach Breite und Länge
allmählich mehr und hält mit dem Körperwachstum im großen und ganzen
gleichen Schritt. Natürlich sind die V^erhältnisse nicht bei allen Kindern
gleich, sondern es sind eine Menge individueller Schwankungen möglich, die
ganz im allgemeinen mit der karperUchen ICntwicklung des Kindes zusammen-
hängen. Wenngleich nach Sahi.i selbst die große oder tiefe Herzdärnpfung
weder in Form noch in Grüße ein Abbild iles Herzens selbst darstellt, so
erhält man doch durch dieselbe wenigstens ein relatives Maß, das angibt,
ob das Herz verschoben oder in einer bestimmten Richtung als vergrößert
anzusehen ist.
Auch die kleine (oberfläohliche, absolute) Herzdämpfung ist bei jungen
Kindern relativ grötier als beim Erwachsenen und erscheint gleichwie die
große Herzdärupfung breiter, je jünger das Individuum ist, da auch die kleine
Herzdänipfung durch das ganze kindliche Alter in den absoluten Maßen
auffallend wenig verschieden ist. Wührend nach rechts die innere Grenze
der kleinen Herzdampfung wie beim Erwachsenen durch den linken Sternal-
rand begrenzt wird ^ so ist die äußere dagegen der MammiUarlinie mehr
genähert als beim Erwachsenen und steht bald in
zwischen ParaSternallinie und Mammillarlinie, in
der Mammillarlinie.
Im übrigen ist zuzugeben . daß auch bei
Grenzen der oberflächlichen Herzdämpfung nicht so sicher festzustellen sind
bei kleinen Kindern als wie beim Erwachsenen.
An und für sich sind es natürlich die gleichen Prozesse, im Säaglings-
alter wie beim Krwachsenen , welche eine Herzverüchiebung oder Herzver-
größerung hervorrufen können. So finden wir Verdrlingunfr des Herzens zu-
stande kommen bei Eintritt von Luft in den Pleurasack, bei massiger An-
sammlung von Exsudaten oder Transsudaten, durch beträchtliche Entwick-
lung von Geschwülsten in der Lunge oder Pleurahöhle. Die Verdrängung
geschieht dann nach der entgegengesetzten Seite, in welcher sich die ge-
nannten Prozesse abgespielt haben. Verlagerung des Herzens findet ferner
statt bei beträchtlicher Retraktion einer Lunge infolge von interstitieller
Pneumonie und Zirrhose. Kbenso kann das Herz eine Verdrängung erfahren
durch ein an der Mediastinalflache der linken Lunge abgesacktes Exsudat.
Das Herz kann ganz besonders nach oben verdrängt werden durch alle
Prozesse , welche den Kaum der Bauchhöhle wesentlich beschränken und
das Zwerchfell nach oben treiben. Dahin gehören vor allem starke Auf-
treibung des Darmes durch Gasanaammlung , durch Kot resp. Kotsteine,
ebenso durch große Ergüsse im Peritonealsack, durch beträchtliche Tumoren,
Leberachwellungen usw.
Mehr oder minder beträchtliche Vergrößerung der normalen großen
Herzdampfung lassen sich unter Zunahme derselben nach allen Richtungen
hin unschwer im frQhen Kindesalter bei Perikarditis nachweisen, welche mit
Vorliebe die ersten Lebensmonate des Säuglingsalters befällt. Weiter kommt
bezüglich der Dämpfungsvergrößerung des Herzens hauptsächlich das akute
der ParaSternallinie, bald
manchen Fällen sogar in
leisester Perkussion die
Blut dt£s Sfiuglings.
109
SUuliam der Endokarditis in Betracht, sowie bei ausgebildeten und ganz
besonderä inkompensierten Herzfehlern. Immerhin bleibt zu beachten för
das frühe Kindesalter, daß Herzaffektiunen, sowohl angeborne wie erworbene,
eine Zeitlang bestehen können, ohne die perkutorische Dämpfungsfigur des
Herzens irgendwie zu beeinflussen (Hochsinger).
Dieses abweichende Verhalten von den Verhältnissen des Erwachsenen
erklärt sich nach Soltman.n aus anatomisch-physioloi^ischen Ursachen.
.Der rechte Ventrikel verFflfft über eine grröliere Muskelmasse und dem-
entsprechend über größere Reservekräfte und paüt sich so der Arbeitsver-
pflichtung und dem Bedürfnis des Organismus leichter an.«
Da uns also die Untersuchung durch Perkussion in einer nicht unbe-
tr&chtlichen Zahl von Fällen von krankhaften Prozessen des Herzens im
Stich läl3t. so gewinnt die auskultatorische Untersuchung ini frühen Kindes-
aiter eine ganz besondere Bedeutung.
Die Auskultationsphänomene sind ganz besonders durch die Studien
HocHSiNGER und SoLTMAXN gewürdigt worden.
Aus den Untersuchungen beider Autoren dürfte für die Semiotik des
Sftuglings- re^p. des Kindesalters bezüglich des endokardialen Herzgeräusches
vor allem beachtenswert sein:
Hei kleinen Kindern sind die Herzgeräusrhe im allgemeinen schwerer
zu hören wie bei älteren, weil sie leiser sind, nicht so rauh und von kürzerer
Dauer. Hiervon ausgenommen sind nur einzelne Fälle angeborner Herzano-
nialien^ wie angeborne Pulmonalstenosen. Fälle von Persistenz desBoTALLischen
Ganges usw., welche sich häufig durch fffknz besonders intensive Geräusch-
bildung auszeichnen- Auch sind die Herzgeräusche bei Kindern meist derart,
daß sie den Herzton nicht vollkommen verdecken, sondern sich an denselben
anschlietien und durch das Geräusch hindurch der Ton noch deutlich wahr-
nehmbar ist. Ks ist Sache der Übung, endokardiale Herzgeräusche^ welche
auch bisweilen durch laute Rassolgeräusche verdeckt worden können, von
extrakardialen Nebengeräuschen zu unterscheiden.
Die Häufigkeit des Vorkoniiuens von Herzgeräuschen düs Kindesalters
hängt in erster und beinahe einziger Linie von der Häufigkeit des Vor-
kommens materieller Veränderungen am Klappenapparat desselben ab. Bei-
nahe als Regel für die ersten Lebenswahre darf es gelten, daß diastolische
Herzgeräusche so gut wie gar nicht auftreten und die systolischen bei-
nahe einzig und allein zur Wahrnehmeng gelangen. Hochsinger hat bei
Kindern unter dem I>. Lebensjahre nie Gelegenheit gehabt, diastolische Herz-
geräusche konstatieren zu können. Es muß demnach den systolischen Herz-
geräuschen im frühen Kindesalter für die Diagnose der Herzkrankheiten ein
hoher Wert beigemessen werden. Denn einuiu] Ist das Herzgeräusch bei
Herzerkrankungen im Kindesalter, wie ich bereits ausgeführt habe,
häufig die einzige Erscheinung, da Folgezustände, Herzverbreiterung ganz
fehlen können und klappender Fulmonalton für das Ohr kaum wahrnehm-
bar sein braucht, so daß die Diagnose allein auf dem Geräusch basiert.
Außerdem aber kommt das Herzgeräusch im frühen Kindesalter dadurch
noch zu ganz besonderer Bedeutung, daß nach HnriisiNGi.it im ersten Kindes-
alter ungefähr bis in die 2. Hälfte des 4. Lebensjahres hinein sogenannte
akzidentelle anämische oder anorganische Herzgeräusche vollkommen fehlen.
Auch SoLTMANN hält diesen Auskultationsbefund am Herzen in den ersten
Lebensjahren für die Regel und sieht die Erklärung für dieses gegenüber
den Verbältnissen beim Erwachsenen auffallende Phänomen in dem an sich
niedrigen Ventriketdruck bei verhäitnismäßig großer Weite des Ursprungs
der Aorta und I^ulmonalls.
Es deutet also bei Kindern der ersten drei Lebensjahre ein systolisches
Herzgeräusch mit nahezu positiver Sicherheit auf den Bestand einer orga-
110
Blut de<9 Säuglings.
DiBchen HerzaffektioD hin. Und da dasselbe sehr häufig: als einziges, klinisch
nachweisbares Herzaymptoni besteht, so muß es einleuchten, daß eine sor^
faltige und wiederholte auskultatorische l'ntersuchuDg des Herzens bei jedemj
tranken und fiebernden Kinde als eine wichtige Forderung zur Feststellung^;;
der Diaffnose beansprucht werden muß.
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111
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heilk., Leipzig 1GÜ3. B. Bendix.
BlutS^lfte« Daß es eine große Zahl von chemischen Körpern gibt,
welche bei ihrer Kinverleibunf^ in den Orgfanismus auf das Blut schädiK'end
einwirken^ ist schon lange bekannt. Das genauere Studium der Veränderungen
aber welche die einzelnen Hestandteile des Blutes dabei erleiden, ist jOngeren
Datums. Aach sind in den letzton Jahren erst eine Reihe chemischer V^er-
bindungen bekannt geworden, von denen man früher noch nicht wußte, daß
sie als Blutgifte bezeichnet werden müssen.
Die Gesamtheit der Ulutgifte kann man, wie aÜe Gifte, in zwei große
Gruppen teilen. Zur ersten derselben, die an dieser Stelle nicht näher be-
sprochen werden soll, gehören die bei gewissen krankhaften Prozessen des
Körpers gebildeten, wenn auch ihrer Konstitution nach noch unbekannten
Toxine (endogene Toxikosen, v. Jak.sch), zur zweiten von außen her dem
Körper einverleibte Substanzen. Zur ersten Gruppe muß man z. B. das
Karzinomgift rechnen, das bekanntlich Leukozytose und Anämie erzeugt,
femer gewisse unbekannte Substanzen bei Diabetes, welche die zuerst von
Williams aufgefundene eigentömliche Karhenreaktion der roten Blutkörper-
chen hervorbringen, die ihren Grund nicht in dem Zuckergehalt des Blutes
hat, wie festgestellt ist. Auch bei der AhOisoNschen Krankheit, bei def
Rachitis, der Anaemia pseudoleukaemia infantum und manchen anderen
Affektionen nicht parasitärer Natur beobachtete ßlutveränderungen müssen
wohl auf solche im Organismus selbst gebildete Gifte zurückgeführt
werden. Ob bei der Leukämie belebte Krankheitserreger oder ebenfalls
Autotoxine ätiologisch in Frage kommen, ist noch gänzlich unentschieden,
das gleiche gilt für dio perniziöse Anämie. Die Blutgifto, welche hier in
Frage kommen und besprochen werden sollen, sind ausschließlich chemische
Verbindungen, weiche dem Organismus von außen einverleibt werden. Zum
Teil handelt es sieb dabei um Arzneimittel, welche erst dann giftige Eigen-
schaften entfalten, wenn eine gewisse Höhe der Dosierung überschritten
wird, zum Teil um Stoffe, die in der Industrie Verwendung finden und ge-
legentlich in den menschlichen Körper eindringen, zum Teil endlich, um
Substanzen, deren deletäre Wirkung auf das Blut man nur auf experimen-
tellem Wege im Verlaufe rein theoretischer Untersuchungen eruiert hat.
Auf Grund der physiologischen Rolle des Blutes darf man wohl die
Behauptung aussprechen, daß es kaum einen chemischen Körper geben wird,
der, im Blute kreisend, nicht irgendwelche Veränderungen des letzteren
hervorrufen wird; wir sind aber noch weit davon entfernt, mit den uns zu
Gebote stehenden Methoden diese Veränderungen zu erkennen. Infolgedessen
ist es eine verhältnismäßig kleine Zahl von Substanzen, die wir mit dem
Namen »Blutgifte« belegen. Je nach den Bestandteilen des BIntes, welche
dieselben allein bzw. vorwiegend schädigen, kann man dieselbpn einteilen:
1. in solche Verbindungen, welche die roten Blutkörperchen schädigen (Blut-
körperchengifte); 2. in solche, welche den Blutfarbstoff angreifen (Blutfarb-
stoffgifte); 3. Substanzen, welche auf dio weißen Blutkörperchun einwirken;
4. Körper, welche chemische Veränderungen des Blutes hervorrufen, mag
es sich um die Alkaleszenz, den Gasgehalt oder die Gerinnungsfähigkeit
des Blutes handeln; 5. neuerdings hat man auch Substanzen kennen ge-
lernt, welche die physikalischen Eigenschaften des Blutes zu beeinflussen
vermögen (innere Reibung, elektrische Leitfähigkeit, Brechungsvermögen).
112
Bliitgifte.
Eigentlich ist es nicht angängig, alle hierher gehörigen Kürper nach
dem allgemeinen Sprachgebrauch direkt als »Giftev zu bezeichnen. Aber die
Ubergfingo zwischen giftigen und ungiftigen Substanzen sind ja bekannter-
maBen so fließende, daU man die einen nicht besprechen kann, ohne auch
der anderen zu gedenken.
Die Blutkörpercbengilte muü man einteilen in solche, welche Auflösung
der roten Blutkörperchen und damit Verminderung ihrer Zahl bewirken,
zweitens in solche, welche eine Vermehrung der roten Blutkörperchen hervor-
rufen, drittens in solche, weiche morphologische Veränderungen erzeugen. Die
Auflösung der roten Blutkörperchen kann man Kunächst dadurch konstatieren,
daß man neben normalen Ii^rythrozyten Blutkörperchenschatten findet und
daß man durch geeignete Methoden einen Hftmoglobingehalt des Blutplasmas
bzw. Serums nachweisen kann. Das gelöste Hämoglobin wird durch die Nieren
ausgeschieden und es kuinmt inrolgedossen zu Hämoglobinurie. Andere Ver-
änderungen , die man bei solchen Vergiftungen findet, sind Schwellung der
Milz, Vergrößerung der Leber. Ikterus.
Die zerstörten roten Blutkörperchen werden hauptsächlich in der Milz
abgelagert, wo sie von Phagozyten aufgenommen und vernichtet werden.
Auch Knochenmark, Leber sowie Lymphdrüsen sind eine Ablagerungsstätte
für die Zerfallsprodukte der Erythrozyten. Das gelöste Hämoglobin bzw. die
Derivate desselben werden in der Leber, der Milz, im Knochenmark sowie
der Xiorenrindo in Form von Pigment abgelagert, hauptsächlich aber in der
Leber zu Bilirubin umgewandelt. Derjenige Anteil des Blutfarbstoffes, der
auf diese Weise nicht aus dem Kreislauf entfernt werden kann, wird durch
die Nieren ausgeschieden. Für dieses Organ ist aber die Rolle, welche es
bei der Beseitigung des Hämoglobins spielt, keine gleichgültige. Es kommt
zu mehr oder weniger schweren Entzündungen, deren Folge zeitweise eine
völlige Anurie sein kann. Der bäutig bei diesen Zuständen beobachtete
Ikterus ist nach Stapklmann als Resorptionsikterus aufzufassen und eine
Folge der starken Vermehrung des GallonfarbsLoffes.
Zu diesen Giften gehört der Arsenwasserstoff, forner das Glyzerin bei
subkutaner Injektion, aber nicht bei innerer Darreichung oder intravenöser
Applikation. Hierher gehören ferner die Seifen sowie die f^therscbwefelsauren
Salze der Fettsäuren, die sogenannten Solvine und die Qallensäuren. Alle
diese >fittel erzeugen bei intravenöser Applikation Auflösung der roten Blut-
körperchen. Ebenso die Saponinsubstanzen, glykosidische Pflanzenstoffe, welche
vom Darmkanal nur wenig oder gar nicht resorbiert werden, aber die roten
Blutkörperchen bei direktem Zusatz zum Blut auflösen Blutkörperchen
auflösende Gifte anderer Natur sind die Helvellasäure, das wirksame Prinzip
der Morchel, das ätherische Filixe.xtrakt, das Phallin, ein Toxalbumin des
Knollenblätterpilzes, Bienengift, das Gift mancher Schlangen sowie einige
Pflanzenstoffe unbekannter Zusammensetzung.
Zu den Substanzen, welche eine Vermehrunir der roten Blutkörperchen
hervorrufen, gehören das Eisen und das Arsen. MCixek hat bei Eisentieren und
Bettman.v bei Arsentieren eine Vermehrung der roten Blutkörperchen im
Knochenmark konstatiert.
Zu den Giften, welche sichtbare morphologische Verän'ierungen der
roten Blutkörperchen hervorrufen , gehören die Chlorsäuren Salze , das
Hydroxylamin, das tiydrazin. das Blei, Schwefelkohlenstoff, Sulfonal, Benzol,
Pyrogallussäure, Nltrobenzol. Pikrinsäure. p-Amidobenzoesäureester, Anilin,
Toluylendiamin, Phenylhydrazin und seine Derivate, Pyrodin. Die morpho-
logischen V^ernnderungen. welche bei Einverleibung der genannten Gifte
beobachtet werden, sind sehr verschiedener Natur und nicht bei allen Giften
die gleichen. Die regelmäßigsten Veränderungen, welche man findet, beziehen
sich auf Form und Größe der roten Blutkörperchen. Man trifft fast stets
Blutgifte.
U3
W
eine ausf^esprocheoe Poikilocytose an, ferner Polychromasie. Unter poly-
cbromatischer Degeneration der roten Blutkörperchen versteht man die
Eigenschaft einzelner Zellen, aus einem Qemisch saurer und basischer Farb-
stoffe sich nicht wie normale Erythrocyten nur in der Nuance des sauren
Farbstoffes, sondern in einen Mischton zu färben; es besteht also auch eine
gewisse Affinitüt zum basischen Farbstoff.
Es kann jetzt als festgestellt gelten^ dal^ die Polychromatopbilie so-
wohl ein Zeichen der Degeneration, wie andrerseits auch der Juj^endlich-
keit eines roten Blutkörperchens ist. Eine andere Form der Blutkörperchen-
veränderung ist die körnige Degeneration. Dieselbe ist am ungefärbten
Präparat nicht sichtbar, sondern läßt sich nur nach Anwendung basischer
Farbstoffe darstellen. Man sieht dabei zahlreiche Körnchen von verschiedener
Größe verstreut im Zelleib des roten Blutkörperchens. Diese punktierten
Erythrocyten treten namentlich bei der Bleivergiftung schon zu einer Zeit
auf, wo Blutvcrfinderungen anderer Art noch nicht festgestellt sind. Auch
bei einer Reihe experimenteller Vergütungen mit anderen Metallen hat man
sie nachgewiesen. Die bisher geschilderten Veränderungen kommen aber
nicht nur. wie bekannt, bei Blutg^iftanämien vor. sondern bei Anämien über-
haupt. Es gibt aber auch Alterationen der roicn Blutkörperchen, welche
spezifisch für die Einwirkung von Itlutgilten sind. An erster Stelle ist der
von Ehrlich entdeckte hämoglobinämtsche Innenkörper zu nennen. Derselbe
ist schon in frischen Präparaten erkennbar, da er stärker licbtbrechend ist
als das Übrige Protoplasma des Erythrocyten. Diese Gebilde sind runde, in
der Mitte der Zelle liegende Körperchen, welche sich mit sauren Farbstoffen
stark färben. Schließlich treten sie aus den roten Blutkorperchon ans. Nicht
identisch damit sind wohl die zuerst von Hkinz beschriebenen» nach Ein-
wirkung gewisser organischer Gifte in alten roten Btutzellen auftretenden
Gebilde. Nach seiner Beschreibung findet man in jedem einzelnen roten
Blutkörperchen ein oder mehrere runde, ovale oder zackige größere Körner,
die schon im ungefärbten Präparat infolge starker Lichtbrechung sichtbar
sind, aber am besten durch Zusatz einer Methylviolett Kochsalzlösung sicht-
bar gemacht werden können, wobei sie sich intensiv blau färben. Es handelt
sich nach Heinz dabei um eine eigentümliche partielle Nekrose, bei der nur
ein Teil der Blutscheibe abstirbt, während der Rest noch eine Zeitlang
funktionsfähig bleibt
Die ßlutfarbst offgifte verursachen zum Teil nicht nur Veränderungen des
Hämoglobins, sondern auch die eben beschriebenen morphologischen Ver-
änderungen, wie beispielsweise das Chlorsäure Kali, das Phenylhydrazin and
anderes. Die Mehrzahl der Blutfarbstoffgifte erzeugen Methämoglobin. Hierzu
gehören folgende chlorsaure Salze, Nitrite, Hydrazin, Hydroxylamin. Schwefel-
kohlenstoff, Formaldehyd. Amylnitrit, Nitroglyzerin, Methylhydrazin, Äthyl-
hydrazin, Pyrogallussäure, Chinono^ Nitrobenzol^ Anilin und seine Derivate,
Toluidine, Amidophenol, Phenylhydrazin, Kairin, Antipyrin (letzteres nur bei
direktem Zusatz zum Blut). Andere Hämoglobinderivate werden erzeugt bei
der Blausäurevergiftung (C>anhämoglobin), bei der Schwefelwasserstoff Ver-
giftung (Sulfhämoglobin), bei der Einwirkung des Kohlenoxyds (Kohlenoxyd-
hämogiobin).
Bei der Erörterung derjenigen Substanzen, welche die Lebenseigen-
schaften und die Zahl der weißen Blutkörperchen beeinflussen, muß zu-
nächst auf die große Gruppe der Leukozytose bzw. Hypoleukozytose
erregenden Stoffe hingewiesen werden. Insbesondere ist hier auch der-
jenigen Verbindungen zu gedenken, die nur auf bestimmte Arten der weißen
Blutkörperchen chemotaktisch einwirken. So erregen Eosinophilie die toxischen
Produkte mancher Eingeweidewürmer, insbesondere die der Trichinen, Mast-
zetlenleukozytose will Levaditi bei Kaninchen durch Injektion von Hemi-
Encjrelof». JaltrbUcb«>r. N*. F. IV. (XIFI.) %
114
Blutgiftc. — Borsfiure, Borax.
ftlbumose erzeugt haben, Lj'mphozytose in Exsudaten Wolfp und v. Torday
durch Injektion von Tetanustoxin. Eine Reihe von Alkaloiden wirken
lähmend auf Jie Leukozyten, so Chinin, Atropin. Strychnin.
Über Anderunifen der Viskosität des Blutes (innere Reibung} war bis-
her nur so viel bekannt, daß unter dem KinfluU einer Reihe von Blutgiften
dau Blut eine zähriüasigB Beschaffenheit annimmt. Neuerding's ist aber durch
Ottkrieo MTixer und Lwda an der Ro.vtiiEHr.schen Fvlinik nachgewiesen
worden, dal5 das Jod die innere Reibung des Blutes herabsetzt, worauf die
g^ünsti^e Wirkung dieses Mittels bei der Arteriosklerose zurückgeführt wird.
Die Mittel, welche die Blutgerinnung beeinflussen, zerfallen in solche,
welche sie hemmen und solche, welche sie befördern. Hemmend auf die Blut-
gerinnung wirken Blutegelextrakt, Ixodin (das Sekret der Zecke), Pepton
und Albumosen, Fermente, Aalbtutserura. Schlangengift. Die Gerinnbarkeit
des Hhites wird beschleunigt durch intravenÖHe Iniektinn von Kibrinferment.
durch iniektion von Substanzen, die plötzliche Äunösucig einer Anzahl von
roten Blutkörperchen hervorrufen, durch Injektion von Extrakten zeilreicher
Organe (Milz, Thymus, Knochenmark), durch Injektion von Gelatine-
losungen.
Über den Einfluß gewisser Gifte auf die Blatalkaleszenz liegen wider-
sprechende Angaben vor. Festzustehen scheint nur, daß unter der Ein-
wirkung von Blutkörperchengiften eine Verminderung der Alkaleszenz ein-
tritt und daß auch durch S.lurezufuhr eine Herabsetzung der Alkaleszenz
stattfindet.
Literatur: Ehrlu-ii uad Lazauca, Die AnHmie. NoinNAnt:i., VII], Abschnitt: HUmö-
g]ol)itluri^^ — TALLyriÄT, t'ber experimontplle Blalgiftanämien. Herliii 1H9'.) — Heinz, Iland-
bach der expt'rimontfUen Piithologle nud Pharmakologie. Jena 1904. (SpPKinlUtoratnr Iftt iu
diewn Werken angegeben) Ilaun JfirscbMd.
Boniyval. Der Isovaleriansäurebornylester, die Verbindung von
Baldriansäure mit Borneol, der unter diesem Namen in den Handel kommt,
hat sich als recht wirksames Baldrianpräparat erwiesen. Kvckls *) wandte
es bei traumatischer Neurose, Hysterie, Neurasthenie, gynäkologischen Füllen,
Epilepsie mit gutem Erfolg an, bei Enuresis half es einmal, das andere mal
ließ es im Stich.
Auch Buss -) sah gute Erfolge bei Neurasthenie und Hysterie, ebenso
bei nervösen Herzbeschwerden. Gleich rilhniend berichtet Frifübel ^) von
diesem Mittel. Klagen über die berichtete (Encyclopäd. Jahrb., N. F., lil. Jahrg.«
1905, pag. 06) schlechte Haltbarkeit sind nicht laut geworden.
Literatur: *) ExnKi,s. Die cohte »ßaUlriuiiwirkiir^c« im ßornyval. Therap. Monatsb.,
Mai 1904. papr- 235. — 'l J- Boss, Erfabtungfii Über die Verwertbarkelt des Boniyvals. Med.
Elinik, 1905. Nr. 7, pa«. 164. — ') FbteurLt Bornyviil. Wiener med. Presse, 1904, Nr. 28,
lit. »ach Dciitsclie iihmJ. Woclienttchr., iyü4, Nr. äl. pJJg. 114t>. ^' frey.
Borsäure, Borax. Die V^erwendung von Borax gegen Epilepsie
war früher eine nicht selten geübte Therapie. Jetzt ist sie aber namentlich
in Deutschland kaum noch in Gebrauch. Hoi'pe') versuchte den Borax bei
einer gröl^eren Zahl von Epileptikern, besonders solchen, die sich als brom-
intolerant erwiesen. Bei 7 von 12 derartigen Kranken erwies sich Borax
gegen das epileptische Leiden vollständig wirkungslos. In einzelnen Fällen
traten sogar V^erschlimmerong und Intoxikationserscheinungen ein, wie Pso-
riasis, trockenes Ekzem, Albuminurie, rapider Abfall des K5rpergewichtes.
Es handelte sich hierbei offenbar um Kranke, bei denen die Ausscheidungs-
organe nicht vollkommen ausreichend funktionierten. Ganz normale Nieren
sind aber bei alten Epileptikern selten. In einem Falle von normaler
Nierenlanktion wurde^ abgesehen von einem Absinken des Körpergewichtes
um *i Jtg^, der Borax in Dosen von 1 — 3^ täglich ohne Beschwerden ver-
tragen; es stellte sich eine deutliche Diurese ein. Vier andere Fälle von
Borsäure, Borax. — Bulbärparalysen.
115
N
Epilepsie vertrugen ebenfalls die Boraxtherapie gut. Bei allen bestand Hyper-
aziditat bzw. motorische Insuftizienz des Magens.
Aus diesen Versuchen Hoppes gebt aber hervor, daü den Borsäure -
prüparaten keine spezifische antiepileptische Wirkung zukommt Dagegen
zeigt sich bisweilen eine günstige Wirkung bei Kranken, bei denen Epi-
lepsie durch ein Magenleiden ungünstig beeinflußt wird. Bei Patienten mit
verminderter Arbeitsfähigkeit der Ausscheidungsorgane ist Borax streng
kontraindiziert. Übrigens wird Borsäure, wie LiivBrkice] -) gezeigt hat, nicht
nur durch die Nieren, sondern auch durch den Schweiß beim Menschen
ausgeschieden.
Qegen die lokalen Erscheinungen der Qicht empfiehlt Rqbin^) eine
Boraxpaste. Borax wird in der gleichen Menge heißen Wassers gelöst; nach
dem Erkalten entsteht ein pastenartiger Niederschlag. In lelzteren getauchte
Kompressen werden auf die affizierten Qelenke gelegt und mit Guttapercha-
papier bedeckt. Die Umschläge werden alle 12 Stunden erneuert. Schmerzen,
Schwellung und Rötung verschwanden danach schnell.
Vergiftungen mit Borsäure: Nach Applikation der offizineilen Bor-
salbe auf eine l'i citi lange, 2 cm breite Brandwunde ersten Grades bei
einem zweijährigen Kinde entstand frieselartiger Ausschlag, dann erfolgte
Erbrechen und Durchfall, rapider Kräfteverfalt und Tod am 4. Tage. In
diesem von Dopfer *) mitgeteilten Falle wurden im ganzen 8^ l^orsäure in
Salbenform aufgelegt Es ist wohl anzunehmen, dati, wie auch Hahnack*^)
glaubt, von der verwendeten Borsäure eine Menge zur Resorption gelangt
ist. welche genügte, die beobachteten Vergiftungaerscheinungen hervorzurufen.
Über einen ähnlichen Vergiftongsfall berichtet Bkst. ^| Einem Söjährigen
Manne wurden in die Operationswunde eines Bubo etwa 180^ Acid. boric.
gebracht und die Wunde mit Küllodiura ireschlosaen. Es stellte sich unstill-
bares Erbrechen ein, papulosor Hautaus.schlag, geringe Temperatursteigeruug,
rascher KräfteverfalL Tod nach 4 Tagen.
Natrium hyperborlcum , NaBO. -f 4H2O, spaltet nach Mrlikow
ond LissARSCHEWSRY 7) in Lösungen Wasserstoffsuperoxyd in großen Mengen
ab. KiscEiBwsKY^) empfiehlt es daher als Desinfizienz in Lösung oder auch
als Wondstreupulver. Seine Lösungen sind beständig.
Literatur: ») J. Hofpb, «.^rlmer klin. Wochvnscbr., 1904. Nr. 27. pa«. 731. — -J Likb-
■1CIC8, Therap. Monatsh., An^iiM 11)04 — ') KnaiK, Bull. (jen. di' therap., 1904, pavr. .'»TS. —
*) DüPFüB, Mflncbeoer med. Wocbenschr., IWö, >r. 16. — *) Haknack, Deutsche mtfd. Wochen-
«chritt, 1*,H>5, Nr. 22, p;ig. y7U. — •) Bbst, Journ of Ibe Amer med. asHociation, IV*Ü4, Nr. 12.
— ^ Hklikow und Pi.'iiJAu.'icHRirsKT , Uu48k. Wrat.'^eh., lOUö. Nr. I : ret. Deutsche med.
WocbeDBi'hr., tlH)5, Nr. II, pag. 435. — *) KiacnK.'<8KY, ebendort; rel. ehendort. Kionk-fi,
Bulbärparalysen. Der Bulbos medullae oblongatae (Bulbus
rachidicus), durch dessen Erkrankungen die sogenannten Bulbärparalysen
hervorgerufen werden, umfaßt dasjenige Gebiet des Hirnstammes, das an
seiner Basis proximalwärts von den dislalsten queren BrQckenfasern begrenzt
wird, während sein distales Endo hier mit der Vollendung der Pyramiden-
kreuzung erreicht ist; an der dorsalen Flüche liegt das proximale Knde am
Boden des 4. Ventrikels etwa in der Hohe der Kecessus laterales desselben.
Wenn schon anatomisch namentlich nach der BrQcke zu und vor allem auf
der dorsalen Fläche hier keine scharfen Grenzen bestehen, so respektieren
natürlich die meisten Krankheitsprozesse — abgesehen vielleicht von ein-
zelnen sogenannten Systemorkrankungen — diese Grenzen überhaupt nicht
und rufen außer den L&sionen der Nervenkerne und Ursprünge des Bulbus
selbst und den hier vorhandenen Leitungsbabnen meist noch solche der
gleichen Teile der Brücke und anderer Teile des Hirnstammes hervor Von
Nervenkernen enthält die Brocke die Kerne des 8. — 12. Himnervon, der
S. Hirnnerv enthält auljer der eigentlichen Hörbahn noch die Fasern des so^^-
116 ^HI^^PmH^ Bulbärparalyscn.
nannten Vestibularnerven, der in en^en anatomischen Beziehungen zum so-
genannten DGUTKKschen Kerne und damit zum Kleinhirn steht und dessea
Läaion Gleichgewicht s^türung'en und Schwindelerscheinungen bedingt. Der
**. Hirnnerv — Nervus glossopharyngeus — ist Geschmacksnerv für die
hintere Zungenhälfte und den Gaumen und versorgt auch wohl sonst in sensibler
und motorischer Beziehung Gaumen- und Rachenpartien. Bei Affektion der
Kerne und der Wurzeln des Nervus vagoaccessorius — 10. u. 11. Hirn-
nerv — kommen vor allem L&hmung des GaumonHOgels, des Pharynx und
der Stimmbänder in Betracht — der betreffende motorische Kern ist der
Nucteus amt)iKuus — , schwere Störungen des Herzens, der Respiration und
der Magendarmfunktionen kommen zumeist bei einseitiger Läsion nicht zur
Beobachtung; die Kerne für den sogenannten äußeren Ast des Akzessorius,
der Cucullaris und Sternocieidomastoideus versorgt, liegen im oberen Teile des
Ruckenmarks, Läsion des Kernes der XIL Hirnnerven — Nervus hypoglossus —
und seiner Wurzetfasern erzeugt atrophische Lähmung der Zunge, die Läsion
des Kernes vielleicht auch Atrophie und Lähmung der Mundmuskulatur
(GüWKKs). Die hauptsächlichste motorische Leitanffsbahn — die Pyraniiden-
bafan — liegt im proximalen Teile der MeduLla oblongata an der banalen Fläche
beiderseits an der Mittellinie frei zutage, nur ganz oberflächlich von Fibrae
arcuatae externae gedeckt, im distalen Teile findet die bekannte partielle
Kreuzung der Pyramiden statt, wobei (WALLENBüRri) zuerst die Fasern
för die Arme, später die für die Beine sich kreuzen sollen. Die Fyramiden-
fasern für die Kerne der Hirnnerven verlassen die Hauptbahn auf dem
ganzen Wege durch den Hirnsfamm, durchdringen die Schleifenschicht und
gelangen nach Kreuzung in der Mittellinie zu den zugehörigen Kernen. Auf
neuerdings beschriebene andere motorische Hahnen (MoNAKowsche Hahn etc.)
kann hier nicht näher eingegangen werden. Kinscitige Affektton einer Pyra-
midenbahn vor der Kreuzung zugleich mit einseitiger Affektton der ver-
schiedenen bulbären Hirnnerven erzeugt die verschiedenen Formen sogenannter
alternierender Hemiplegie.
Von den vom RGckenmarke aufsteigenden sensiblen Bahnen sind die
die Schmerz- und Temperaturempfindung leitenden Bahnen für die Extre-
mitäten schon im Hückenmarke gekreuzt und tieg'en in d^r MeduUa oblon-
gata in der sogenannten Formatio reticularis. Die Bahnen für die sogenannten
tiefen Gefühle — Lage- und Bewt^gungsgefQhl — und vielleicht auch die
für die Tastreize gehen ungekreuzt bis zu den Kernen der Hinterstränge ;
sie kreuzen vkh in der Medulla oblongata durch die Fibrae arcuatae internae
und lagern sich medianwärts in der Formatio reticularis in der sogenannten
Olivenzwischenschicht, der späteren Schleife. Bei Läsionen im distalen Teile
der MeduUa oblongata kann deshalb auf der Seite der Läsion das Lage-
und vielleicht auch das Tastgefühl, aul der gekreuzten Seite die Tem-
peratur-und SchmerzempJindung gestört sein; weiter oben nach vollendeter
Kreuzung aller sensiblen Uabnen trifft eine gleichgolagerte Störung alle
die verschiedenen Senslbilität^qualttäten gemeinsam auf der gekreuzten
Seite. Eine Slörun^ in der Koordination — sogenannte Ataxie — die der
zerebellaren gleicht, wird auch wohl noch durch Läsion der Kleinhirnseiten-
strangbahn und des Corpus restiforme bedingt. Durch die ganze MeduUa
oblongata verläuft die sogenannte absteigende Trigeminuswurzel, deren
Affektion Anästhesie in allen Qualitäten der Sensibilität oft mit Schmerzen
und Hyperästhesie verbunden (Anaesthesia dolorosa), im Gesichte auf der
Seite der Erkrankung bedingt und sich bei entsprechender Ausdehnung des
Herdes mit Gefühlsstörungen In den gekreuzten Extremitäten zuHemianaestha-
sia cruciata verbinden kann. Da die sensiblen Neurone dritter Ordnung^ die vom
absteigenden Trigeminuskerne weiter zentralwärts verlaufen, sich bald kreuzen
üi}d auf die andere Seite gehen und hier zunächst wieder in der Nähe
Bulbdrparalysen.
11
der dortseitigen absteigenden Trigeminaswurzel verlaufen, so kann ein hier
gelegener Herd auf seiner Seite Trigeminueanasthesie in allen Qualitäten
meist mit Schmerzen und auf der gekreuzten Gesichtshälfte eine Störung des
Schmerz- und Temperaturgefühles erzeugen ; unter Umständen also doppel-
seitige Störungen im Trigeminuagebiete bei einseitigen GetOhlsstörungen an
den Extremitäten.
Die Funktion eines sehr auffälligen Gebildes des Hulbus — der soge-
nannten unteren Olive — ist noch nicht »icher bekannt. Jedenfalls steht
jede Olive in besonders nahen anatomischen Beziehungen zur g'ekreuzten
Kleinhirnhälfte • — bei einseitigem Mangel dos Kleitihirns ist die gekreuzt«
Olive atrophisch.
Die Medulla oblongata enthält noch eine Anzahl wichtiger sogenannter
Zentren, die topographisch wohl in der Nähe der für die betreffende Funktion
in Betracht kommenden Hlrnnervenkeme gelagert sind. Dahin gehören das
Atmnngs- und das HorzhBmmnngszentrum, die in der Nähe der Vago-
akzessoriuskernc gelagert Kind; dicht benachbart liegen auch wohl Zentren
für das Schlucken und für die Phonation. Zentren für das Sprechen — so-
genannte artikulatorische Zentren — müssen außerdem noch in Beziehungen
zum Facialis- und Hypoglossuskerne stehen. Ein Zentrum für die Speichel-
aekretion steht sicher wohl in besonderen Verbindungen mit dem Facialis resp.
dem Nervus intermedius Wrisbergii : ein Brechzentrura soll in der Nähe des
Atmungszentrums liegen. Über die Lai^e bestimmt vorhandener vasomotori-
scher Zentren ist noch nichts sicheres bekannt ; von einem okulopupillären Zentrum
gehen absteigende Fasern durch das ganze Halsmark, treten besonders in der
ersten dorsalen Wurzel aus und gelangen zum Krwoiterer der Lidspalte und
zum Dilatütur pupillae^ so daß Herderkrankungen der Medulla oblongata
Auch Miosis und Lidspaltenenge erzeugen können. Sehr bt^kannt ist das
Vorkommen von Olykosurie bei Verletzungen des Bulbus : seltener wird
Polyurie und noch seltener Albuminarie beobachtet.
Die Erkrankungen des Bulbus medullae oblongatae, die so-
genannten BulbiLrparalysen, kann man einteilen in Bulbärparalysen s. s.,
das sind solche Formen, bei denen der Krankheitsprozeß sich mehr weniger
streng auf das Gebiet des Bulbus beschränkt, und in eine zweite Gruppe,
bei denen neben ausgedehnter Beteiligung anderer, manchmal aller Partien
des Zentralnerveusyetema gelegentlich odor häufig auch Krankheitsherde
Im Bulbus vorkommen oder auch nur klinisch bulbärparalytiscbe Symptomen-
komplexe beobachtet werden. Die Bulbärparalysen s. s. zerfallen dann wieder
in akute und chronische Formen. Aus klinisch-diagnostischen und patholo-
gisch-anatomischen Gründen wird man gemeinsam mit den echten Bulbär-
paralysen auch die sogenannten Pseudobulbärparalysen besprechen^ bei denen,
wenn sie In ganz reiner Form auftreten» die bulbären Lähmungen durch
Länion der vom Hirn zu den bulbären Xervenkernen hinabsteigenden Bahnen
entstehen, bei denen aber meist auch ein gleichzeitiger Krkrankungshcrd
im Bulbus selbst sich findet. Nach diesen Grundsätzen läßt sich folgendes
Schema für die Bulbärparalysen aufstellen:
A. Echte Bulbärparalysen ; Paralysis bulbaris s. s.
1. Akute Formen :
1. Vaskulär bedingte Erkrankungen.
a) Blutung in die Medulla oblongata.
^) Embolische Erweichung.
Y) Thrombotische Erweichung.
2. Entzündliche Erkrankung. Encephalitis der MeduEla oblongata.
Unterabteilung die Neuritis bulbaris acuta.
Der Abszeß der Medulla oblongata.
118
Bulbfirparalysen,
II. Chronischo Form©n.
1. Die chronlsrhe Form der DiCHENNEBchen chronisch- progresBi von
Bnlbärparalyse.
2. Die progressive Hulbärparalyse im Kindesalter.
3. Der angeborne bulbäre Kernschwund.
4. Die asthenische ßulbjirparalyse: Myasthenische Paralyse.
5. Die Bulbärparalyse durch Tumoren im Hirnstamm.
6. Die Kompressionsbntbärparalyse.
•/) Durch Tumoren an der Basis der hinteren Schftdetgrube oder
in den dem Bulbus benachbarten Hirnteilen, Hpez. in Kleinhirn.
^) Durch Aneurysmi'u an der Basis.
Y) Durch Karies der obersten Halswirbelsäule und des Hinter-
hauptsbeines.
H. Bulbärparalytische Einzelsymptome oder ganze Symptomenkomplexe
bei Erkrankungen anderer und oft ausgedehnter Teile desNervensystemes.
1. BulbSre Symptome bei Tabes dorsalis.
2. » > » multipler Sklerose.
'6 » » » Syrinffomyeiie.
4. » » » spinaler progressiver Muakelatrophie und
amyotrophischer Lateralsklerose.
5. » * » Encephalomyelitis disseminata acuta.
l5. » ► » LANDRYscher Lähmung.
7. » * / multipler Neuritis.
8. » > • progressiver Dystrophia niuscularis.
9. » » » Vergiftungen, Polioencephalomyelitis acuta.
10. » » » Karzinose.
11. Bulbärparalytische Symptomenkomplexe bei Paralysis agitans.
12. » » < Chorea minor.
C. Die Pseudobulbärparalysen.
b
A. Echte ßalbärparalysen ; Paralysis halbaris s. s.
1. Die akuten vaskulär bedingten Bulbärparalysen, Blutungen, Er-
weichungen und Embolien des Bulbus,
Der Bulbus meduUae oblon^ata und die von ihm ausgohenden Nerven-
wurzeln werden in der Hauptsache von den Arteriae vertebrales und ihren
Asleo^ der Arteria cerobeIH post inf. und der Arteria spinalis anterior ver-
sorgt. Die Arteria basilaris versorgt schon mehr das Gebiet des Pone, aber
da die betreffenden Qefäbgebiete nicht streng voneinander geschieden sind und
da ein Thrombus z. B., der zunächst vielleicht nur eine V^ertebratis ausfQllt,
später auch die Basilaris verstopfen kann, so ist es leicht erklärlich, daß,
wie schon oben erwähnt, auch die vaskulär bedingten Affektionen des Bulbus
medullae oblongatae sich nicht immer genau an das Gebiet des verlängerten
Markes halten, sondern häufig auch noch den Pons und die hier entsprin-
genden Hirnnerven — apeztell den Facialis — in Mitleidenschaft ziehen. Am
seltensten von den vaskulär bedington Läsionen des verlängerten Markos sind
eigentlich apoplektische Blutungen durch Gefaüzerreißung, am häufigsten
ist die Thrombose In den hier in Betracht kommenden Arterien und ihren
Zweigen, nicht selten auch die Embolie. Die Blutung durch Gefätizerreißung-
ist in den meisten Fällen die Folge einer Atheromatose der betreffenden
Hirngefäße — sehr selten kommen Kopftraumen oder Geschwulstbildungen
in Betracht — z.B. Blutungen in das neugebildete Gewebe bei Syringo-
myelie. Die Thrombenbildung mit nachfolgender Erweichung im Gebiete der
verstopften Arteria vertebralis oder ihrer Aste ist entweder die Folge einer
Hu1bärparal>'ä«n,
110
einfachen Atheroniatose oder einer syphilitischen GGfußerkrankun^, die ja
diese Arterie mit Vorliebe betrifft; noch häufiger allerdings nach Oim'RN-
HBtM die Arteria basilaris. Die Hettene Embolie in den Gefäßen des ver-
Ifing^erten Markes hat eine Erkrankung^ der Herzklappen des linken Herzens
zur VorbedinguDif — am häufigsten noch soll in die linke Vertebralis ein
embolischer Pfropf gelanj;en ; maDchraal aber auch nur in einen Ast der
Vertebralis — z. B. die Arteria cerebellaris post. inf. Opi^enhkim ') macht
noch besonders darauf aufmerksam, daß die atheromatös erkrankten^ ver-
dickten und starren Hirn^efäße auch an und für sich schon komprimierend
auf den Bulbus oder einzelne seiner Nerven wirken künnen. In symptomato-
logischer Beziehung ist zunächst zu erwähnen, daß wohl nur bei den \&
allerdings häufigsten tbrombotischen Erweichungen deutliche sogenannte Vor-
boten vorhanden zu sein pflegen , die oft dem eigentlichen Insulte lange
vorhergehen. Sie beruhen zum Teil auch auf den oberwähnten, von ÖI'PEn-
HBiM ^j besonders negierten Kompressions- und Reizwirkuns^en der Poren
und verdickten Hirngefäße. Im übrigen sind sie dadurch bedingt, daß die
atheromatöso Gefäßerkrankung in den meisten Fällen eine ausgedehnte ist
und nicht nur die basalen Arterion des Himstammes betrifft ; es handelt
sich dann um mehr allgemeinere Symptome, wie sie spezielt auch der ein-
fachen Neurasthenie zukommen, so um leichte Schwindelerscheinungen. Kopf-
druck, Kopfschmerzen, Ohrensausen^ mangelhaften Appetit und Schlaflosigkeit. In
wieder anderen Fällen kann, ehe ein schwerer definitiver Anfall mit an-
dauernden Anfallserscheinungen eintritt, die Verstopfung des Gefäßes zunächst
einige Male eire rasch vorübergehende sein; so sah Oppknheim z. B. bei
Diabetikern voröbergehende, Minuten bis halbe Stunden währende Lähmungen
der hulbnren Nerven, die offenbar auf rasch vorO hergehenden Zirkulations-
störungen in den betreffenilen Gefäßen beruhten. Sei es nun, daß solche
Vorboten vorhanden waren oder nicht, die eigeotlicbe Erkrankung setzt
immer akut >apopIektiform«, vom Beginne in voller Ausdehnung und Stärke
ein, und zwar sowohl bei den Blutungen nach Gefäßzerreißung, wie bei der
Embolie und der Thrombose, wenn die letztere nicht ganz langsam und zu-
nächst in ganz kleinen Gefäßteilen auftritt. Dabei kann wie bei der Apoplexie
des Großhirnes tm Beginne auch Bewußtlosigkeit bestehen, und zwar vor
allem bei Blutungen und Embolien in das verlängerte Mark — bei der
thrombotischen Erweichung fehlt aber die Bewußtlosigkeit rocht oft, fast
in der Kegel, so daß man dieses Moment auch differentialdiagnostisch für
die Lokaldiagnose verwerten kann. Statt mit Bewußtlosigkeit beginnt das
Leiden nicht selten mit einem heftigen Scliwindelanfalle. in dem der Kranke
niederstürzt; gleichzeitig bestehen dann oft ausgesprochene subjektive Ge-
faörsempfindungen (Brausen, Klingen, Pfeifen) und Erbrechen (MFNifeRF.scher
Komplex); selten leitet sich die Krankheit mit epileptischen Krämpfen ein,
bei denen dann das Bewußtsein fehlt. Bei den apaplektischen Blutungen des
verlängerten Markes fällt in den meisten Fällen der Beginn des Leidens
mit dem Ende des Lebeus zusammen; sie wirken sofort tödlich und die
genauere Symptomatologie der einzelnen Läbmungserscheinungen läßt sich
nicht feststellen; doch sind auch hier vereinzelte Fälle beobachtet, wo der
Kranke zunächst mü dem Leben davonkam. Die Regel ist dieses für die
thrombotischen Erweichungen und für die gleichen Folgezustande nach den
seltenen Embolien. Die Symptome, die erst nach den anfänglichen Shok-
erscheinnngen deutlich werden, setzen sich dann zusammen aus den Läsionen
der Nervenkerne und Zentren der Medulla oblongata (zum Teil auch des
PoDs, s. 0 ) und der sie durchziehenden Leituugsbahnon und können zum
größten Teil aus den oben skizzierten anatomischen Verhältnissen des Bulbus
selbst konstruiert werden. So bedingt die Zerstörung der Kerne, Wurzeln
und zum Teil auch der Stabkranzfasern für den B., 10., II. und 12. Nerven
120
Bulbärparalysen.
schwere Störungen der Deglutition, der Artikulation und Phonation (Dys-
phagie und Dysarthrie biH Anarthrie), die bedingt sind durch LÄhmungen
des Gaumensegels, der Rachenaiuskulatur, der KeblkopTmuskulatur, speziell
der Adduktoren, der Stimmbänder dee Hypoglossus und zum Teil auch des
Fazialis; dabei ist von Bedeutung, daß auch einseitige Läsionen der Kerne
und Nervenursprünge des Vagus und Akzeasorius, die die Schlondmuskulatur
innervieren, schon zu voltständigem Ausfall der Schluckbewegungen führen
können. Der Akustikua ist, wenigstens was die eigentli(*he Hörfunktion an-
betrifft> selten deutlich geschftdigt; das beruht wohl auf den ausgiebigen
und doppelseitig angeordneten zentrak^n V^ erbind ungen dieses Nerven; da-
gegen beruhen wohl die häufigen initialen Scbwindelerscheinungen auf einer
Läsion des Vestibularnerven und diese kommen auch später noch oft vor.
Vom Trigeminus wird die aufsteigende Wurzel oft mit ergriffen, was Anästhesie
in allen Qualitäten der (Empfind ung und häufig sogenannte Anaesthesia dolorosa
auf der gleichen Gesichtshälfte bedingt; ich habe oben auseinandergesetzt, daß
durch die* anatomischen Verhältnisse nicht selten neben dieser gleichseitigen
totalen Anästhesie eine Thermanästhesie und Analgesie der gekreuzten Qe-
sichtshälfte besteht, so daß die OesichtsanästhoBion doppelseitig sind. Manch-
mal sind bei sonst totaler Anästhesie im Trigeminusgebiete die von diesem
Nerven innervierten Schlüimhäute verschont; im Gebiete der sensiblen Aus-
breitung des Glossopharyngeus und Vagus werden nur selten GefQhlstö-
rungen konstatiert. Von nicht eigentlich bulbären Nervenkernen ist besonders
oft der Fazialis betroffen entweder ganz oder nur in seinen unteren Teilen;
manchmal auch der motorische Trigeminus; im Fazialis und Trigeminus-
gebiet kommen auch Reizerscheinungen vor in Form von Zwangslachen und
-Weinen oder Kieferklemme; dorh beruht das wohl meist auf supranukleären
Läsionen (s. Pseudobulbärparalyse), Verengung der Lidspalte und Papille
kann durch eine reine Läsion des Bulbus hervorgerufen werden ; doch sind
im Anfang auch auf Abduzens- und Okulomoturlusläsfunen beruhende Läh-
mungen der Augenmuskeln nicht selten. Nystagmus kommt vor hei Zer-
störungen im Corpus restiforme, vielleicht bei Läsion der Bahn vom Dkitkr-
ficben Kerne zu den Augenmuskelkernen, Auf Affektion der oben beschriebenen
in der MeduUa oblongata gelagerten Zentren beruhen Störungen der Herz-
tätigkeit — Verlangsamung: oder Beschleunigung — , der Atmung, besonders
In der Form des CiiEVNE-STOKESSchen Atmungstypus, ferner Speichelfluß.
selten Melllturie oder Polyurie und Albuminurie, Beträchtliche Steigerungen
der Kürperiemperatur ohne jeilen sonst nachweisbaren Qrund sind öfter beob-
ftchtet. Alle diese Symptome kommen speziell im Beginne — direkt nach
dem Insulte — zur Beobachtung oder in den rasch tödlich verlaufenden
Fällen während der ganzen Dauer der Erkrankung.
Dazu kommen nun Funktionsstörungen, die vun Läsionen der langen
Leitungsbahnen, die durch den Bulbus verlaufen, abhängen. Ks sind in
motorischer Beziehung: Hemiplegien und Paraplegien der Arme und Beine;
die Hoiniplegien verbinden sich, da sie gekreuzt mit den Hirnnervenlähmungen
liegen, mit diesen zu sogenannten alterierenden Hemiplegien, fn späteren
Stadien sind diese Lähmungen spastische mit erhöhton Sehnenreflexen; im
Beginne fehlen namentlich die Patellarreflexe manchmal (Shukwirkung). In zwei
Fällen eigener Beobachtung von Thrombose itn Gebiete der Basilaria auf
syphilitischer Grundlage, bei der das Fehlen der Patellarrellexe standhielt,
stellte sich heraus^ daß schon lange vor der Bulbäraflektion Tabes dorsalis
bestanden hatte. Im Beginn fehlt oft auch die Möglichkeit, Urin zu lassen.
Auch die sensiblen Störungen können eine oder beide Körperhälften
betreffen ; meist handelt es sich an Rumpf und Extremitäten nur um
Störungen im Schmerz- und Temperatursinne, häufig auch um Parästhesien.
Mit ein- oder doppelseitiger Trigeminusanästhesie können sie sich bei ein-
Hulbftrparalyscn.
121
^
seitig:en Affektionen za Hemianaestbesia oder (Oppexhkim) Hemihyperaesthesia
cruciata verbinden. Neben Gefühlsstöranffen der Haut bestebt baufig: aucb
eine Lag:e- und Bewe^ungfsataxie der Extremitö^ten, entweder, bei boher ge-
legenen Lfisionen, auf der gleichen KSrperbälfte wie die partielle Anästhesie,
gekreuzt mit einem einseitigen Herde oder, bei mehr distalen Affektionen,
auf der gleichen Seite wie der Herd und auf der anderen wie die partiellen
Anästhesien (a. o.). Ataxie — der zerebellaren ähnelnd — kann jedenfalls
auch durch Läsion der Kleinhirnseitenstrangbahn resp. des Corpus restifornie
hervorgerufen werden. Alle diese Geföblsstörungpn können sich mit ent-
sprechenden motorischen verbinden oder ohne sie best&hen und umgekehrt
Die Lähmungen an den bulbär innervierten Muskeln — speziell Zunge,
Gaumen, Gesicht — sind im Anfang natürlich nicht atrophische; später kann
Muskelatrophie mit entsprechenden elektrischen Störungen eintreten; doch
fehlt sie nach OrPEMiEiii oft, da die Lähmungen nicht eigentlich nukleare,
sondern supranukleäre sind und auch partietle Läsionen der Kerne selbst
noch nicht zu Atrophie zu ffibron brauchen.
Es ist nicht möglich, alle die einzelnen Symptomengruppierungen, die
bei den verschiedenartig gelagerten und ausgedehnten Erweichungen des
Bulbus vorkommen können, eingehend zu beschreiben; man kann sie bisher
auch noch nicht auf die Erkrankung der einzelnen Aste der Arteria verte-
bralis oder spinalis oder der Stämme selbst zurückführen. Nur die einseitige
Verstopfung der Arteria cerebellaris inferior posterior hat eine bestimmte
Symptomatologie, die einige Male iWam.knbkrg-) auch anatomisch verifiziert
ist. Eh besteht bei Erweichung im Gebiete dieser Arterien zwei Fälle
derart habe ich selbst beobachtet — Dysphagie und Dysarthrie (Gauraen-
segeN, Stimmband- und Schlundlähmung auf Seite der Lasion), totale An-
ästhesie im Trigeminus auf derselben Seite mit Schmerzen, paitielle Anästhesie
auf der gekreuzten Gesichts- oder Körperhälfte; meist keine deutliche Tast-
anästhesie an Rumpf und Extremitäten oder diese auf Seite der LÄsion ;
Bewegungsataxie und Lagegefühlsstörungen der Extremitäten auf der Seite
der Läsion: Fallen nach dieser Seite mit Schwindel (Vestibularnerv.DKiTRusche
Kerne); meist keine motorischen Störungen an den Extremitäten. Das scharf
umschriebene Krankhoitabild — eine Art bulbäre Halbseitenläsion — er-
klärt sich ohne weiteres aus den oben geninchten anatomischen Angaben.
Die Diagnose der akuten ßulbärparalyse auf vaskulärer Grundlage
stützt sich auf den akuten, apoplektiforiuen Beginn des Leidens und auf
die beschriebenen Funktionsstörungen durch Läsion bulbärer Zentren und
Leitungsbahnen. Sie ist natürlich nicht möglich oder nur mit einiger Wahr-
scheinlichkeit zu stellen, wenn wie meist bei eigentlichen Blutungen in den
Bulbus oder bei ausgedehnten Thrombenblldungen. z. B. im Anfangsteile der
Arteria basilaris, sofort der Tod eintritt. Im übrigen Ist die Diagnose natür-
lich leicht und es kommt difrerentialdiagnostisch eigentlich nur die im ganzen
seltene akute Bulbärmyelitis in Betracht. Setzt diese, wie z. B. in Fällen,
die ganz dem Bilde einer spinalen Klndesläbmung, nur mit bulbärem Sitze,
entsprechen — genaueres siehe weiter unten — . ganz akut ein, so kann
eine Differentialdiagnoso wohl nur aus dem Grunde möglich sein, daß vas-
kulär bedingte Bulbärlähmungen im Kindesalter kaum vorkommen. In den
meisten Fällen von akuter Myelitis bulbaris wird aber der eigentlich apo-
plektiforme Beginn fehlen; das Symptomenbild entwickelt sich rasch, aber
nicht mit einem Schlage, eine Ausdehnung des Herdes ist für längere Zeit
möglich.
Bewußtseinsstörung im Beginne des Leidens wird hier stets fehlen;
dafür besteht meist Fieber. Dilferentialdiagnostiscb für die vaskulär bedingte
akute Bulbärläbmung spricht natürlich noch das V^orkommen atheromatöser
oder endarteriitischer Erkrankungen und ihrer Folgen an anderen Gefäßen
122
Bulbdrparalysen.
oder der Nachweis von Grundursachen, die oft zu solchen Gefäßerkrankungen
führen (Senium, Alkoholiänius, Luesi; [fir die Diagnose einer Embolio kommt
vor allen Dingen eine P>krankung der Klappen des linken Herzens in Be-
tracht.
Die Prognose einer akuten, vaskulär bedingten ßulbärerkrankung ist
natürlich immer eine ernste. Wie schon niehrlach erwähnt, fuhren eigent-
liche Bulbftrblutungen, ferner auch Thrombosen der großen GefätJst&rarae oft
unmittelbar zum Tode; in anderen Fällen erfolgt dieser nach längerer Zelt
entweder infolge von Atmungs- und Herzlähmung oder infolge von Inanition
oder Schluckpneumonien, die verursacht sind durch die Lähmung der Schlund-
muskuiatur oder durch neue Thrombenbildung und damit Ausdehnung der
Erweichung.
In den nicht so akut zum Tode verlaufenden Fallen iat der Verlauf
ein regressiver, die Symptome sind im Beginne des Leidens intensiv und
extensiv auf ihrer Höhe: später gehen die, die nur auf indirekten Wirkungen
des Herdes beruhen, zurQck und ea bleiben nur die bestehen, die abhängig
sind von den auch in Nekrose Dbergogangenen Stellen des Hirnstammes.
Dieser HQckgang kann auch in Fällen^ die stürmisch und mit den schwersten
und auHgedehntesten Erscheinungen beginnen, ein sehr weitgehender sein ;
so sah ich in einem Falle, der mit Lähmung und Anästhesie aller E^tremi-
täten und einseitigem Dekubitus am Kreuze, mit totaler Ophthalmoplegie,
mit Sprach- und Schlingtähmiing, andauerndem Erbrechen und tonischen
Konvulsionen einsetzte, die Symptome bis auf Ataxie und Analgesie der
linken Extremitäten und leichte Blickparese nach beiden Seiten zurück-
gehen; In diesem Falle bestand vorher schon Tabes (Miosis und Lichtstarro,
Fehlen der Patellarreflexe, lanzinierende Schmerzen), die natürlich ihren
Fortgang nahm.
Älmliches erwähnt auch Opit.nhkim ') und er fflgt noch hinzu, dali
gerade bei syphilitischer Endarterütis der GeläUverschluß manchmal nur ein
ganz vorübergehender sein kann, so dali ganz schwere Erscheinungen nur
kurze Zeit bestehen. Auf der anderen Seite muli man aber auch bedenken,
daß bei atheromatoser oder endarteriitischer Erkrankung der Gefäße des
Hirnstammes, selbst wenn die Symptome zunächst zurückgehen, die Gefahr
eines neuen Insultes sehr naheliegt, so daß eine große Anzahl dieser zu-
nächst gebesserten Kranken doch an der zweiten oder dritten Wiederholung
des Insultes zugrunde gehen.
Die Behandlung hat im ersten Stadium der vaskMär bedingten akuten
Bulbärparalyse natürlich keine andere Aufgabe, als den Kranken mit mög-
lichst hochgelagertem Kopfe, in sonst beiiuemer und jede Blutstauung am
Halse vermeidende Lagerung ins Belt zu bringen, jeden ihn körperlich oder
seelisch schädigenden Einfluß von ihm fern zu haiton, durch große Sauber-
keit und Sorgfalt bei den Entleerungen den Dekubitus möglichst zu ver-
meiden.
Bei sehr bedrohlicher Herzschwäche kann man eine Atherinjektion
machen oder auch, wenn der Kranke schlucken kann^ ihm etwas Alkohol
— speziell Champagner — reichen, besser ist es aber, den Alkohol zu ver-
meiden. In denjenigen Fällen, wo man mit einiger Sicherheit eine Blutung
nach Gefäßzerreißung diagnostizieren kann und der Kranke außerdem zyano-
tisch ist, ist auch wohl eine Blutentziehung am Platze; doch ist diese
spezielle Diagnose w^ohl selten sicher zu machen und bei den ledenfalls sehr
viel häufigeren thrombotischen Erweichungen ist eine Venaesektion kontra-
indiziert. Hei andauerndem Erbrechen, wie ich selber es einmal sah, hilft am
besten die Injektion von Morphium; kann der Kranke schlucken, so wird
man ihm auch Eispillen geben. Später wird in sehr vielen, ja den meisten
Fällen — auch ohne daß man immer eine bestimmte Anamnese in dieser
Bulbärparalysen.
123
Beziehung zu haben braucht — eine antisyphilitische Kur — H^-EiD-
reibungen oder -Einspritzungen, später Jodkali — am Platze sein; wenn
man auch den einmal vorhandenen nekrotischen Herd damit nicht beein-
flussen kann, so kann man doch hoffen, das Fortschreiten einer spezifischen
endarteriitischen und (mit dem Jodkali) auch einer atheromatösen Erkrankung
hintanzubalten und damit neuen Insulten vorzubeugen. Ist das Schlacken
dauernd erschwert, so ist sowohl, um einer Inanition wie der Gefahr des
Verschluckens und einer Schluckpnoumonie zu begegnen, die Schlundsunde-
anzuwondon; doch muü man da sicher sein, dal5 es sich nicht um eine
asthenische Bulbärparalyse handelt (s. u.). Gegen die Schluckläbmung emp-
fiehlt sich Behandlung der Schlundmuskulat ur mit galvanischen Strömen
und häufigen Unterbrechungen derselben, wie sie Rkmak speziell vor-
geschlagen hat; eine elektrische Behandlung ist auch gegenüber den an-
deren den Insult überdauernden Lähmungen am Platze. Im übrigen müssen
die Patienten, die den Insult überstanden haben, natürlich In derselben
streng vorsichtigen Weise leben wie alle diejenigen, bei denen Neigung zur
Apoplexie besteht.
^
2. Die Encephalitis bulbi (Bulbärmvelitis, Polioencephalitis acuta
inferior).
Zu der akuten Enzephalitis im Gebiete der Meiulla oblongata gehören
erstens Fälle^ die eine Art bulbärer Lokalisation der akuten atrophischen
SpinallähmuDgen darstellen. Wie diese kommen sie besonders im Kindes-
alter vor, treten ganz akut unter fieberhaften Symptomen ein ; dio Sym-
ptome des akuten Stadiums treten bald zurück und es bleiben nun für die
ganze Lebensdauer atrophische Lähmungen In gewissen Qehirimervon zurück.
Meist bevorzugt allerdings dieser potioenzephalJtieche Prozeß mehr das Gebiet
der Brücke — ich selber sah Fazialislähmungen verbunden mit auf Lasion
der Kerne des 8. Hirnnerven zu beziehenden Hörstörungen und heftigen
Schwindel, die ich hierher rechnen möchte, ebenso auch einmal Fazialis-
und Abduzenstähmung; auch hat Oppkmikim "), der die nosologische Stellung
dieser Fälle besonders eingehend besprochen und festgestellt bat^ in einer
seiner Beobachtungen atrophische Fazialis- und Hypoglossus- und vielleicht
Abduzenslähmung gesehen. Meist sind die Lähmungen einseitig; doch be-
schreibt KOLLARiTs einen offenbar hierher gehörigen Fall, bei dem doppel-
seitige Zungen- und Gesichtslähmungen zurückblieben: hier war auch die
Sprache unverständlich und das Schlucken erschwert. Übrigens beschränken
sich die entzündlichen Prozesse bei diesem »buJbären Typus der Kinder-
lähmung« keineswegs, ebensowenig wie bei den gleichen spinalen Affek-
tionen, scharf auf das Gebiet der grauen motorischen Kerne; in Oi'PKNHEtMs')
Falle waren die Sehnenreflese gekreuzt mit den Hlrnnervenlähmungen er-
höht; im Falle Ki^llakits**) bestanden noch Gefühlsstörungen im Trtgeminus-
gebiet und an den Extremitäten.
Neben diesen, doch stets mehr umschriebenen, wie gezeigt oft einseitigen
entzündlichen Prozessen kommen nun im Bulbus auch mehr diffuse ent-
zündliche, aknte oder subakute Prozesse vor. Im ganzen sind sie ebenso
wie die bulbären Formen der Kinderlähmung immerhin selten und auch sie
betreffen Öfter obere Teile des Hirnstanimes — Region der Augenmuskel-
kerne und des Pons — als den eigentlichen Bulbus. Namentlich auf diesen
beschränkte Prozesse sind selten; eher kommt noch ein diffuser ProzeB
durch den ganzen Hirnstamm vor: in subakuten Fällen pflegt dann der
Prozeß von oben (zerebral] nach unten (spinalwärts) abzusteigen (Polioence-
phalitis suporior und inferior acuta); manchmal ist zugleich auch das Rücken-
mark beteiligt (Polioencephalomyelitis acuta oder subacuta). Solche Prozesse
124
BulbflrparalysciK
sind besonders nach Infektionskrankheiten sowie nach Vergiftungen (Alkohol-,
Schwefelsäure , Fleischvergiftunif), aber auch als selbständige Erkrankungen
(sogenannte Infektionsinnominees) beobachtet. Am IrÜbesten hat wohl EiskN'-
LOHR einen akuten bulbären Prozeß nach Typhus beschrieben und ihn in
einem tödlich verlaufenden Falle auf eine Sekundärinfektion mit Strepto-
kokken zurflckführen können, während zwei andere seiner Patienten wieder
gesund wurden. In diesen Fällen bestand der typische Symptomenkomplex
der Bulbärparalyse, also Sprachstörung und Schlrngstorungi auch Kaustorung
mit Lilhmungszuständen in den betreTfenden Muakeln; daneben Schwäche in
den Beinen und Benommenheit; in einem Falle fand sich auch Neuritis optica.
Andere Fülle der Art sind besonders auch nach Influenza zur Beobachtung
gekommen; doch haben sie sich, wie gesagt, meist nicht auf die bulbären
Gebiete beschränkt.
Or*PKNiiEiM beobachtete in einem mit L'TH(tFF behandelten Falle eine
gleich2eitige Affektion der Augenrauskelkerne mit Schlingheschwerden und
Sprachstörungen; Zapi'ert*) hat einen mit Fieber und Husten akut ein-
setzenden Fall mit Lähmung der Lippen, der Zunge, des Gaumensegels^
mit Dysarthn'e und Schwäche und Steifigkeit der Nackenmuakeln boschrieben:
daneben bestand auch Schwäche und Zittern der Extremitäten. In 10 Tagen
trat HeiUing ein. In einem von mir beobachteten Falle niich Wurstvergiftung
traten auUer Störungen in der inneren Augenmuskulatur (Akkommodations-
lähmuni^ren und Miosis mit Starre) und Erscheinungen, die auch auf eine
spinale Aflektion In den grauenVorderästen hinweisen, auch Sprach- uodSchluck-
storungen, Schwäche der Zungen- und Lippenmuskulatur und Unmöglichkeit
7.U pfeifen, ein; alles das besserte sich rasch ^ bis auf die Lähmung der
inneren Augenmuskeln, die hestehen blieb: später aber zeigten sich Er-
scheinungen einer multiplen Sklerose. Wie man sieht, entsprechen im all-
gemeinen die Symptome und ihre Gruppierung bei der bulbären Myelitis,
wie ja das auch zu erwarten ist, denen, wie man sie auch bei der akuten
vaskulären Bulbiirlähmung sieht; nur sind sie oft weniger ausgeprägt, da
der entzündliche ProzelJ offenbar nicht immer so destruktiv wirkt wie die
Erweichung nach Gefäßverstopfung und auch im entzündlichen Herde selbst
oft eine ganze Anzahl nen^öser Elemente verschont bleiben können. Dali das
80 ist, dafnr spricht auch, daß wenigstens in den mehr diffusen Formen der
Bulbärmyelitis die Prognose keine schlechte ist und relativ oft eine Heilang
eintritt; in den Fällen allerdings, die eine bulhäro Form der Kindoslähmung
darötetleo. werden wohl meist, wie das ja auch für die spinalen Affektionen
stimmt, einzelne der Lähmungen dauernd bestehen bleiben.
Die Difforentialdiagnose der bulbären Myelitis gegenüber der vasku-
lären Erweichung habe ich oben gegeben. In etwas langsamer ablaufenden
Fällen kann ihre Diagnose gegenüber einem Tumor der Medulla oblongata
schwierig sein und besonders dann, wenn die Entzündung auch den Optikus
ergreift und Neuritis optica betüngt. Freilich wird die Ausbreitung des Leidens
auf dem Quer- und Längsschnitte der Medulla oblongata bei der Enzephalitis
für einen Tumor immer eine etwas rasche sein; doch muß man bedenken^
daü solche akute Progressionen immerhin auch bei Tumoren vorkommen
können, z. B. durch Blutungen in das Tumorgewebe und in die Utngebuug^
und daß z. B. bei einem Gliom vor Eintritt einer solchen Blutung nur sehr
geringe oder gar keine Symptome vorhanden gewesen zu sein brauchen, da
im Qliomgewebe verlaufende Nervenfasern und Ganglienzellen leitungs- und
funktionsfähig geblieben waren.
In pathnlogiach-anatomischer Beziehung ist zunächst zu sagen, daß in
nicht so seltenen, in volle Heilung übergehenden Fällen die Krankheits-
prozosse, namentlich soweit sie die nervöse Substanz selbst betreffen, nicht
allzu hochgradig gewesen sein können, obgleich wir heutzutage wissen, daÜ
I
Bulbärparalysen.
125
anch die Nervenfasern und Ganglienzellen im Hirn- und Rückenmark regene-
rationsfähiger sind, als man noch vor kurzem annahm. Im übrigen geht der
entzQndliche Prozeß natürlich von den Qeffißen aus : diese sind strotzend
mit Blut gefQllt; schließlich zerreißen sie; das Blut ergießt eich in die Um-
gebung und in die Wandung der Gefäße ; das ganze Gewebe ist auf dein
Schnitte mit Blutflecken gesprenkelt; stellenweise finden sich auch größere
BIntherde (Encephalitis acuta haeinorrhagica). Das Nervengewebe
zeigt Schwellung und Zerfall der Markscheiden und der Achsenzylinder; trQbe
Schwellung und Verwaschung des histologischen Bildes der Ganglienzellen;
in diesem Stadium finden sich im Gewebe auch weiße Blutkörperchen und
Kömchenzellen und eventuell Mikrokokken ; der Ausgang ist, wie gesagt,
oft der in volle Heiinng: dann kommt Narbenbildung mit teilweiser Heilung
der klinischen Symptome vor (Oppknhkiu) ; tn schweren Füllen Finden sich
auch Erweichungsherde oder Cysten.
Die Behandlung einer akuten Enzephalitis der Medulla oblongata wird
im allgemeinen dieselbe sein müssen wie die der akuten vaskulären Er-
krankung. Ist die Diagnose der entzündlichen Natur des Prozesses mit
Sicherheit zu stellen, so kann eine energische Antiphlogose am Platze sein
— also die Anwendung der Eisblase auf den Kopf, Blutentziehungen durch
Aderlaß oder Blutegel hinter dem Ohr; Ableitungen durch heiße Kuß- oder auch
Vollbäder und durch schweißtreibende Einpack ungen.ÜPfRMiKiM ') empfiehlt nach
einer eigenen günstigen Erfahrung große Dosen von Kalomel. Bei starkem Fieber
kann man auch Antipyrettka anwenden, wie Chinin, Antipyrin oder Aspirin;
bei sehr starken Kopfschmerzen müssen Narkotika verabreicht werden.
Die hufb{tso Neurids.
Die Symptome der akuten Bulbnrparalyse können auch durch eine
Entzündung der extramedullären Wurzeln der bulbfiren Nerven hervorgerufen
werden. Am ersten kommt dies bei den Formen der allgemeinen multiplen
Neuritis vor, und zwar besonders bei der häufigsten derselben^ der multiplen
Alkoholneuritis, dann auch bei der infektiösen Neuritis. Es ist hier nichts
ungewöhnliches f daß die Lähmung in der Form der akuten aulsteigenden
sog. LAXDRVSchen Lähmung von den Füßen über Rumpf, Arme auf die bul-
baren Nerven weiterschreitet; in sehr vielen Fällen tritt dann der Tod gerade
infolge der Beteiligung der bulbäron Nerven und speziell des Vagus ein.
Die Lähmung befällt vor allem das Vagoakzessoriusgebiet ; es kommt zu
Gaumensegellähmung, zu Stimmbandlähmung und zu erheblicher Beschleu-
m'gung der Herztätigkeit. Da meist auch der Phrenicus und die Interkostal-
Kuuskeln gleichzeitig afllziert sind, so ist die Situation natürlich eine sehr
gefährliche. Zuuge und Gesicht sind weniger oft beteiligt ; doch sind auch
doppelseitige totale F'azialislähmungen als ein Symptom multipler Neuritiden
beschrieben. Um einen Fall von auf die bulbären Nerven beschränkter Neu*
ritis nach Influenza handelte es sich bei einer Beobachtung von Hb.nschex. **)
Wir wissen übrigens heute, daß bei den sog. Neuritiden anch das Zentral-
nervensystem nicht frcM von pathologtst^hen Prozessen ist; es wird also auch
wohl hier sieh gleichzeitig um entzündliche Prozesse an den Kernen der
bulbären Nerven im Hirnstamme handeln^
Anders ist das bei den jedenfalls sehr seltenen Fällen, welche Eisen-
LOHR ^) im Verlauf von Leukämie beschrieben hat. Hier trat im Endstadium
des Leidens ziemlich akut eine vollständige Lähmung beider Gesichtsnerven
mit Entartungsreaktion, ferner eine Lähmung des Schlund-, Gaumensegel-
und Zungenmuskulatur mit schwerer Dysphagie und Dysarthrie auf ; dazu
vorübergehend GefÜhlsstorangen in beiden Trlgeminusgebieten und Ageusie.
Die Sektion ergab Blutungen und lymphoide Infiltrationen an den Stämmen
der in Betracht kommenden bulbäron Nerven.
i2r)
Bulbärparalysen.
3. Der Abszeß der Medulla oblongata.
Abszesse der Medulla oblongata. sind außerordentlich selten ; auch
diese Prozese kommen immer noch eher im Pons als im eigentlichen Bul-
bus vor. Sie sind entweder die Folge chronischer eitriger Ohrerkrankungren
oder sie entstehen auf metastatischem Wege; z. B. von einem Empyem aus
In einem Falle von Eisknlohr "), von einem Darmgeschwür in einem Falle
von Cassikkr. Derselbe Autor sah einen solchen Abszeß im Anschluß an
eine eitrige Meningitis, bei der sehr kleine Kiterherde in der Hirn- und
RQckenmarksubstanz nicht ganz selten sind. Der Prozeb ist ein meist sehr
rasch zum Tode führender. Daraus erklärt es sich auch wohl , daß z. B.
indem von Eisenlohk ^) genau beobachteten Fall von meta^tatischem Abszeß
der Medulla oblongata nach Empyem spezifisch bulbäre Symptome fehlten:
es bildet sich aus einer zunächst vorhandenen Monoplegie des linken Vorder-
armes und der linken Hand rasch eine totale Lühmung aller Extremitäten
und der Humpfmuskeln mit Retentlo urinae aus. Tod an Atemlähmung. Im
fibrigen wird natürlich im allgemeinen die Symptomatologie der Abszesse
der Modulla oblongata dieselbe sein wie die anderer akuter Affektionon dieses
Hirnteilos. Selbst wenn die Diatjnose, wie dies bei chrunischer ühroiterung
wohl möglich, auf Abszeß und seinen Sitz in der Medulla oblongata zu
stellen wäre, wird man von einem operativen Eingriff wohl abseben müssen,
da der Prozeß zu rapide das Ende herbeiführt und der operative Eingriff
möglicherweise direkt tödlich wirken könnte.
1. Die chronische progressive Bulbä»paralyse (WACHSMrrn). Paralysie
musculaire progressive de la langue, du voile du palais et des levres
{Duchenne). Progressive amyotrophische Bulbärparalyse (LeydbnJ. Para-
lysis glosso-pharyngo-(laryngo-) labialis progressiva.
Die klassische Form der progressiven Bulbärparalyse ist eine recht
seltene Erkrankung, wenigstens in der Form, wo dio Lähmungen sich dau-
ernd au! die bulbäre Muskulatur beschränken oder während des größten
Teiles des Krankheitsvertaufes auf andere Muskelgebiete nicht Übergreifen.
Unter rund 10.000 Nervenkranken sah ich sie bisher zehnmal also in */,,/Vo'
Frauen und Männer werden ziemlich gleichmäßig betroffen. Die Krankheit
ist eine solche des vorgerückteren Lebensalters ^ meist tritt sie erst nach
dem 50. resp. 60. Lebensjahre auf: als untere Grenze bezeichnet Oppen-
heim i) das 40. (ebensjahr. Die bei Kindern vorkommenden Kätle nehmen
-eine Sonderstellung pin und aollen anhangsweise besonders besprochen
werden; gerade im Kindesalter kommen übrigens, wie es scheint, nit'ht so
:ganz Seiten auch subakute oder chronische, aber in Heilung übergehende
Encephalitiden des Bulbus vor^ die leicht eine chronische Bulbärparalyse vor-
täuschen können.
Ätiologisch läßt sich Ober das Leiden wenig sagen. Jedenfalls gehört
die progressive Bulbärparalyse, ebenso wie die nahe verwandte spi-
nale progressive Muskelatrophie und die amyotrophische Late-
ralsklerose zu den Aufbrauchskrankheiten des Nervensystems im
Sinne von Eimnger; man maß dann wohl bei diesen Kranken eine geringere
Widerstandsfähigkeit der betreffenden Neurone gegen die Anforderungen,
die die Funktion an sie stellt, annehmen. Unter solchen Umständen ist es
auch erklärlich , daß eine Überanstrengung gerade der vom Bulbus
innervierten Muskulatur zu ihrer fortschreitenden Lähmung führen kann.
Sicher scheint es mir auch zu sein, daß Gemütsbewegungen eine Rolle bei
der Entwicklung der chronischen Bulbärtähmung spielen können; einmal
wurde Bleivergiftung angeschuldigt.
Bulbflrpuralyscn.
n
Das Leiden be^^innt schleichend mit leichten Störungen gewöhnlich
zuerst in der Zunß:enniuskulatur oder aber zu gleicher Zeit in der der
Lippen und der Zunge. Etwas später kommt es gewöhnlich zur Parese des
Gaumensegels und der Muskulatur des Schlundes und des Kehlkopfes:
schlieUlich pflegt der panze untere Teil des Gesichtes und auch die Kau-
rauakulatur beteiligt zu sein.
Zunächst zeigt sich eine Störung der Beweglichkeit der Zunge nur
in der Mangelhaftigkeit der feineren Bewegungen, wie sie fQr die Arti-
kulation nötig sind; die groben Zungenbewegungen nach der Seite und nach
vorn und hinten sind ungestört, auch dann noch, wenn der Schwund der Zungen-
muskulatur (s. u.) schon recht erheblich ist. Später aber nimmt auch die
grobe Bewegun^rsffihi^keit immer mehr ab; die Bewegungen der Zunge nach
der Seite geschehen mit immer größerer MQhe; gehoben oder vor die
Munduffnung vorgestreckt kann sio gar nicht mehr werden und schließlich
liegt der sehr zuBammengeschrumpfte Znngenrest gänzlich unbeweglich
iaderMundhöhle. Im Fazialingebiete leidet zuerst die Funktion der Lippenmus-
kulatur; die Kranken können den Mund nicht mehr spitzen, vor allem auch
nicht mehr pfeifen. Später steht der Mund meist offen. Schließlich ist das
ganze untere Faziallsgebiet gelähmt . während die Stirne noch gerunzelt
werden kann ; dadurch gewinnt der Gesichtsausdruck etwas sehr charak-
teristisches ; nur selten wird auch das obere Gebiet dieses Nerven mit-
ergriffen und kann sich dann die Lähmung auch auf die Augenmuskeln
«Levator palpebrao, Abducens) ausdehnen {Oi'rRXHKiM). Das Gaumensegel
wird im Anfang nur weniger kräftig gehoben; später hängt es ganz schlaff
herunter; ebenso ist in späteren Zeiten die Schlundiiinskulatur vollständig
gelähmt. Auch die Schwäche der Stimmbänder äuUert sich zumeist nur durch
die schwache, tiefe, auch hohlkUngende (Grabesstimme), wenig modulierte,
manchmal tremolierende TonbiEdung; erst später lälSt sich auch bei der laryn-
goskopischen Untersuchung eine Parese wahrnehmen, die meist nur die
Adduktoren betrifft.
Die Kaumuskeln nehmen meist erst später an der lähmungsartigen
Schwäche teil; dagegen beteiligen sich manchmal von Anlanf^ an die Mus-
culi supra- und infraohyoidel (Collier*"). Alle diese Muskelparesen finden
sich auf beiden Seiten so gut wie vollständig gleichmällig, so daß die Sym-
metrie der Gesichtszüge nicht gestört wird, und ein Abweichen des Gaumen*
segeis oder des Zäpfchens nach einer Seite nicht stattfindet. Auch die
Zange wird^ so lange dies Oberhaupt noch möglich, gerade hervorgestreckt.
Ein zweites Charakteristikum der chronisch bulbären Muskellähmung ist
ihre Verbindunjr mit Muskelatrophie^ Besonders deutlich und früh tritt das
in der Zungenmuskulatur hervor ; diese filhlt sich im Anfang HchlaEf und
weich an; später zeigen sich Runzelungen besonders am Zungenrande und
Gruben auf der Zungenobcrflächo; schließlich ist, wie erwähnt, das ganze
Zungenvolumen sehr erheblich reduziert. Zugleich mit der Atrophie finden
sich in der Zungenmuskulatur fibrilläre Zuckungen, die im Anfang manch-
mal den Charakter eines raschen feinschtägigen Tremors haben, später mehr
langsam . wurm- oder wellenförmig sind und die ganze Zungenmuskutatur
gleichmäßig betreffen. Im Gesichte fällt die Atrophie besonders an den
Lippen auf; diese sind dönn, schmal und die Unterlippe klappt nach außen
um. Später können durch Atrophie der Musculi temporales auch die Schläfen-
graben eingesunken sein; in den übrigen gelähmten Muskelgebieton ist der
Muskelschwund nicht so deutlich zu erkennen.
Lange Zeit hat man sich darüber gestritten, ob bei der progressiven
Butbärparalyse der atrophische Schwund der vom Bulbus abhängigen Mus-
keln das Primäre sei und die Parese resp Lähmung mit ihr gleichen Schritt
halte oder aber ob von Anfang an und primär eine wirkliche Parese vor-
128
Bulbärparalysen.
banden sei. Eine sichere Entscheidung in dieser Frag:e ist nicht ganz leicht
zu treffen ; doch geht die Meiniing: der Mehrzahl der Autoren wohl jetzt
dahin, daß die Funktionsstörunj>: wenigstens dem sichtbaren Muskelschwund
vorhergehe.
Die Lehrbücher behaupten meist, daß die von der Lähmung be-
troffenen Nerven und Muskeln in elektrodiagnostischer Beziehung das Bild
der partiollen Entartungareaktion darböten ; also erhalten laradi&che und
galvanische Reaktion von den betreffenden Nerven aus; erhaltene direkte fa-
radische Reaktion der Muskeln ; träge Zuckung bei direkter galvanischer
Erregung der Muskeln. Freilich wird überall angeführt ^ dali der Nachweis
der galvanischen Zuckungsträghelt der Muskeln nicht leicht sei, da diese
Trägheit lange Zeit durch die normale rasche Zuckung der reichlich noch
vorhandenen gesunden Muskelfasern verdeckt werden könne ; erst
spat trSte sie deutlich zutage und mflsse überhaupt stets sorgfältig ge-
sucht werden (Opi*enh£im). Ich selber muU gestehen, daß mir gerade bei
der progressiven Butbärparalyse der Nachweis einer galvaniHchen Zurkunga-
trägheit in der Zunge und in der Qesichtsmuakulatur bisher noch nicht
gelungen ist« ich fand nur quantitative Herabsetzung der Erregbarkeit für
beide Ströme (s. auch LEVDEX-GoLL^st'HKiDERi'). Durch die atrophische Parese
und Lähmung der Muskulatur in all den erwähnten Gebieten werden nun
allmählich immer mehr diejenigen Funktionen gestört, die von der normalen
Arbeit dieser Muskeln abhängig sind; es leidet die Artikulation und Pho-
nation, das Schlingen und das Kauen, ferner natürlich auch die Mimik, na-
mentlich der unteren Gesichtshälfte. Die Störung der Artikulation ist ab-
hängig von der marigelhaftou Innervation der Zunge, ferner der der Lippen;
durch die Parese des Gaumensegels wird die Sprache näselnd; durch die
Schwäche der Stimmbänder leidet die Tonbildung. KrssMArL>-), der dieses
Gebiet besonders eingehend behandelt hat, führt folgende Einzelheiten an:
Geht die Lippenartikulation zuerst unter, so werden o und u zuerst un-
möglich; später! und e. Ableibt, solange überhaupt eine Phonation noch besteht.
Wo die Zunge, bevor die Lippen erlahmen, das V^ormÖgen, sich vom Boden
zu erheben, einbüßt, da wird zuerst dEis i unmöglich. Der Verlust der
Zungenartikulation beraubt die Gelähmten zuerst des r und ach; dann des
s, 1, k, g. t; später des d und n ; die Lähmung der Lippen erschwert zu-
nächst die Bildung des p und f; später des b, m und w. Die Gaumenseget-
lähmung verschuldet eine näselnde Aussprache und hindert, sobald sie einen
solchen Grad erreicht hat, daß ein za großer Luftstrom durch die Nase
entweicht, die Bildung der Lippenlaute b und p, die jetzt wie m, w^ oder f
lauten, weil, wie Dctmknne anführt, es an der nötigen Stärke des Luft-
stromes fehlt, der durch Mund und Lippen gehen muß, um die kontraktile
Spannung der Lippen zu durchbrechen.« Durch alle diese Umstände wird
allmählich die Spracbe immer undeutlicher, verschwommen; der Kranke spricht^
als wenn er einen Ktüß im Munde habe (Oppbxheim). Im npäteren Stadium
bei vollständiger Lähmung der in Betracht kommenden Muskeln kann voll-
ständige Sprachlosigkeit durch totale Anästhesie bestehen ; sind auch die
Stimmbänder gelähmt, so findet sich dann vollkommener Mutismus, der den
Kranken zwingt, seine sprachlichen Äußerungen schriftlich auszudrücken; im
übrigen habe ich die bei Stimnibandparesen vorkommenden Störungen oben
schon angeführt.
Auch die Störung des Schlingens ist in ihren einzelnen Komponenten
abhängig von der Parese des grüßten Teiles der vom Bulbus innervierten
Muskeln. Die Schwäche der Lippen hindert das Erfassen des Bissens oder
das Ansaugen von Flüssigkeit; durch die Schwäche der Zungenmuskulatur
wird der Bissen nur schwer in den Schlund befördert, infolge der Parese
des Gaumensegels geraten speziell Flüssigkeiten in die Nase und werden
Bulbflrparalysen.
129
unter Hastenst6l5en durch diese wieder heracBbefördert: schliel^lich bedingt
die Schwäche der Pharynxmuskulatur, daÜ die Beförderung der Nahrung
in den Ösophagus mangelhaft oder unmögh'ch wird und AaÜ leirht Speisen
in den Kehlkopf ^reraten. Schließlich kann das Schlucken ganz onmöglich
sein: meist ist besonders schwei; das Schlucken fester Bissen oder dünner
FlQssigkeiteu; dickbreiige Massen oder dicke Suppen werden noch am leichte-
sten geschluckt, doch immer nur sehr langsam und mit viel Beschwerden.
Da15 durch die Lähmungen und Atrophie der Lippenmuskulatur speziell das
Pfeifen und Mundspitzen erschwert wird, dali dadurch die Unterlippe nach
unten sinkt und der Mund offen steht und infolgedessen sowie auch wegen
der Schwäche der ganztm unteren Gesicht-smuskulatur der Gesichtsausdruck
sehr charakteristisch wird, habe ich schon erwähnt. Das Offenstehen des
Mundes wird noch deutlicher, wenn infolge der Schwäche der Kaumuskulatur
auch der Unterkiefer nach unten sinkt ; außerdem ist dann natürlich auch
das Kauen erschwert. Die Zähne können nicbt fest aufeinander gebissen, der
Unterkiefer auch nicht seitlich bewegt werden. Alle die erwähnten Funktions-
störungen sind in vorgeschrittenen Fällen natürlich stets vorhanden : im
Beginne aber verstärken sie sich wenigstens nach längerer Anstrengung der
betreffenden Muskelgebiete und sind also je nach dem Grade der Ermüdung
mehr oder weniger deutlich. Besonders deutlich tritt diese KrmOdung bei der
Sprache hervor; aber auch beim Schlingen kann man sie meist leicht nach-
weisen. SD daß die Aufnahme einer genügenden Mahlzeit gewöhnlich sehr
lange Zeit erfurdert und manche Erholungt^pause dabei gemacht werden muß.
Schließlich wären noch einige Symptome zu erwähnen, die wohl auf
einer Affektiou der im Bulbus Hegenden nervösen Zentren beruhen. Dahin
gehört der Speichelfluß, der kaum in einem Falle von Bulltärparolyse
fehlt; mag dps Herausfließen des Speichels aus dem Munde auch zum Teil
darauf beruhen, daß infolge der Schwäche der Lippenmuskulatur der Mund
aufsteht und außerdem wegen Schwäche der Schlundmuskulatur der abge-
sonderte Speichel nicht verschluckt wird, so ist doch meist die ausfließende
Speichelmenge eine so erhebliche, daß auch eine nervöse Hypersekretion
mit im Spiele sein muß. In manchen Fällen der Bulbärparalyse ist der Puls
andauernd über lOU Schläge in der Minute beschleunigt, ein Umstand, der
wohl auf Affektion der Vaguskerne zurückgeführt werden muß. Erschwerung
der Atmung findet sich nach Opi'ENHHLM^) meist erst im Endstadium, wenn
wohl auch die Kerne des Phrenikus im oberen Halsmark mitergriffen sind,
doch kommen als krampfartig zu deutende dyspnoettsche Erstickungsanfälle
auch schon viel frühetf* vor — wir werden sie aber besonders häufig bei der
asthenischen Bulbärparalyse wiederfinden. Manühmal spielt hier auch wohl
das Hineingelangon von Speichel oder Speisen tu den Kehlkopf eine Rolle.
Häufig geraten die Kranken sehr leicht in krampfartiges Weinen, doch sind
diese Anfälle entschieden häufiger bei der Pseudo- wie bei der echten
Bulbärparalyse.
Im allgemeinen und in typischen Fällen sind die Lähmungen bei der
Bulbärparalyse ihrer atrophischen Natur enlsprechond schlaffe ; manchmal
aber treten auch spastische Erscheinungen dabei auf, nicht selten von An-
fang an oder aber erst im weiteren Verlaufe der Krankheit Sie beruhen,
wie wir sehen werden, auf einer Beteiligung der Pyramidenbabnen am
krankhaften Prozesse, im bulbäreu Gebiete zeigen sie sich besonders durch
eine Steigerung der Sebnenreflexe in den Kiefermuskeln ; bei Klopfen auf
die Zähne des Unterkiefers bei geöffnetem Munde ist die Reflexzuckung
eine sehr lebhatte und es kann sogar Unterkieferklonus eintreten. An den
Extremitäten findet sich in diesen Fällen dann meist Klonus der Patellar-
und Achillessehne und Extension der großen Zehe bei Streichen über die
Planta pedis (Babinskis Reflex).
Kaejrelop. Jftbrbttcbcr. N. F. IV. (Xm.) ^
130
Bulbärparalysec.
Im Qbrig:en können die Hautreflexe im Gebiete des Bulbus selber er-
loschen oder auch vorhanden sein. Meist bleibt die Psyche der Kranken bis
zum Ende intakt, was bei der Schwere des Leidens keine Wohltat ist.
Die allgemeine Ernährung: leidet natürlich , wenn die Nahrung:sautnahme
schwer wird.
Ich habe oben schon erwähnt, daß das Beschränktbleiben des atro-
phischen Prozesses auf die bulbäro Muskulatur während des ganzen Krank-
hcitsverlaufes eine groi5e Seltenheit ist ; in vielen Fällen °:reift allmählich
der Prozeß auf die grauen VorderhÖrner, speziell im Halamark über und
erzeup:t an den Armen das Bild der spinalen pF0g:res8iven Muskelatrophie,
selten kommt es vor^ daß auch die Beine und die Rumpimuskulatur noch
mitergriffen werden, da meist früher der Tod eintritt; doch habe ich das
einmal sehr ausgeprägt i^esehen. Daß zu spinaler proft^ressiver Muskel-
atrophie und zur amyotrophischen Lateralsklerose häufig schließlich auch
bulbäre Symptome hinzutreten, werden wir weiter unten noch sehen.
Der Verlauf des Leidens ist bei der progressiven Bulbärparalyse ein
langsamer, meist schleic!iender^ nur seHen von akuten Schüben unterbrochener.
Wie schon der Name sagt, ist das Leitlon aber ein unaufhaltbares und stets
zum Tode führendes. Die Dauer des Leidens, mit anderen Worten die
Schnelligkeit der Entwicklung, ist eine sehr verschiedene; selten tritt der
Tod früher als nach Ablauf eines Jahres ein; manchmal dauert der Krank-
heitszustand bis zu 3 Jahren und mehr. Im letzteren Falle finden sich wohl meist
langer dauernde Stillstände im Fortschreiten; Oi'I'KNHKim ») gibt auch das
Vorkommen von Remissionen zu. Der Tod erfolgt meist an einer Kompli-
kation von Seiten der Lunge — Bronchitis. Schluckpneumonle — selten an
einlacher Asphyxie; sehr selten auch wohl allein an Marasmus infolge der
Schwierigkeit, die Nahrung aufzunehmen.
Die Diagnose der chronisch-progressiven Bulbärparalyse ist in ausge-
sprochenen Fällen natürlich eine leichte. Im Anfange muß man sich hüten,
leichte Störungen der Sprache, wie sie z. B. infolge von Zahnlücken oder heim
Tragen eines falschen Gebisses, namentlich aber auch bei Gaumenspalten
auftreten können, gleich als bulbär paralytische aufzufassen. Auch darf man
die Sprachstfirung bei progressiver Paralyse mit der bulbären nicht ver-
wechseln; doch ist das bei einiger l^bung und wenn man das ganze Krank-
heitsbitd — namentlich auch die psychischen Störungen bei der Paralyse
— mit in Betracht zieht, nicht schwer. Auch eine Gaumensegellähmung
allein — namentlich wenn sie mehr oder weniger akut aufgetreten ist —
berechtigt natürlich nicht zu der schwerwiegenden Diagnose einer pro-
gressiven Baibärlähmung — es ist bekannt, daß diese in heilbarer Form
speziell nach Diphtheritis oft vorkommt; nicht selten finden sich dann auch
andere für diese Ätiologie charakteristische Symptome: so Akkommodations-
lähmung und Fehlen der Patellarreflexe. FOr die Diagnose der pro-
gressiven Kulbärparalyse ist von ausschlaggebender Bedeutung
die ganz langsame und ganz symmetrische Entwicklung der
Lähmungen einer großen Zahl vom Bulbus innervierter Muskel-
gebiete, eine Lähmung, die dann zu den allmählich immer mehr zunehmenden,
oben genau beschriebenen Störungen der Artikulation, Phonation, Deglu-
tition und Mimik führt. Schwierig kann unter aolchen Verhältnissen auch
die Unterscheidung von der sog. Bulbärparalyse ohne anatomischen Befund,
der asthenischen Bulbärparalyse sein. Genaueres soll darüber in dem diese
Krankheit beschreibenden Kapitel gesagt worden; hier nur soviel, daß die
gerade bei dieser Krankheit so deutlich hervortretenden Wirkungen der
Ermüdung namentlich im Beginne auch bei der chronisch progressiven
Bulbärparalyse sich ffndet. Ganz besonders schwierig. Ja manchmal unmSg-
Jich kann die Unterscheidung gegenüber mehr chronisch verlaufenden £n-
Bulbärparalysen.
131
cephalitiden des Bulbus sein, namentlich wenn diese ^anzsymmetriache Lähmun-
gen bedingen und sich auf motorische Storung:en beschränken, in diesen Fällen.
die, wie erwähnt, manchmal im Kindesalter beobachtet werden, entscheidet
nur der Verlauf, der bei den Encephalitiden oft zur Heilunf^ führt.
Differentialdiaßfnostisch gegenöber der akuten und der Pseudobulbär-
paralyse kommt in Hetracht, daU bei diesen Leiden die Krankheit mit einem,
resp. mit mehreren apoploktiformen Insulten einsetzt; schwieriger kann die
Unterscheidung sein, wenn die Pseudobutbärparalyae die Folge doppelseitiger
Taaioren oder, was sehr selten vorkommt, doppelseitiger GroJShirnence-
pbalitiden ist, da dann der akute Beginn fehlen kann. Im Übrigen wird die Diffe-
rentialdiagnoso der Pseudobulbärparalyse noch weiter unten besprochen werden.
Tumoren der hinteren Schädelj^rube und namentlich solche vom Bulbus
selbst führen langsam progressiv eine Baibuslähmung herbei. Krachiverend
fQr die Diagnose kann hier noch wirken , dalS speziell bei den Tumoren im
Bulbus seihst die Stauungspapille oft fehlt; seltener allerdings schon der Kopf-
schmerz, noch seltener das Krbrechen. Meist fehlt auch die Symmetrie der
Erscheinungen; außerdem beteiligt der Tumor ohne jede Wahl auch sensible
und motorische Leitungsbahnen und das Gebiet der absteigenden Trige-
minuswurzeln, nnd entsprechende Syii^ptome mischen sich dann dem Bilde
der einfachen Baibärlähmung zu.
Die progressive Myopathie ergreift nicht selten — in der sog.
infantilen Form — die Lippenmuskulatur, meist dann allerdings auch den
Orbicularis ocuH. Seltener werden die Kaumuskeln ergriffen, noch seltener
die Muskulatur der Zunge und des Qaumens. Uifrorentialdiagnostiach ist von
Bedeutung, daß meist auch die übrige Kürperrnuäkitlatur, namentlich die
der Schultern in der für die Muskoldystrophie charakteristischen Weise er-
krankt ist und dal) manchmal, auch von mir selbst. Pseudohypertrophie
der Kaumuskeln beobachtet wurde. Auch beginnt die Dystrophie, wie ge-
sagt, meist schon im Kindesalter.
In pathologisch- anatomischer Hinsicht ist gewöhnlich der ma-
kroskopische Befund ein sehr geringfügiger, abgesehen natürlich von den
leicht zu erkennenden atrophischen Zust-änden in der Zungenmuskulatur und
einer oft sehr erheblichen Atrophie der hulbären Nervenwurzeln, speziell des
Uypoglossus. Mikroskopisch handelt es sich um eine einfache Degeneration
der Ganglienzellen der Kerne des 12*., 11., lü. und zum Teil des 7. Hirn-
nerven. Am deutlichsten ausgeprägt ist diese Degeneration an den Ganglien-
zellen des Hauptkernes des Nervus hypoglossus. Zunächst tritt eine
Schrumpfung des Ganglienzellenkörpers ein ; er verliert seine polygonale
eckige Form, wird rundlich und plump. Kern und Kernkörper widerstehen
der Degeneration länger ; schließlich aber gehen auch sie zugrunde ; die
Ganglienzelle zerfällt vollständig oder os findet sich schließlich nur ein homogen
gefärbter, als GanglJenzelle nicht mehr zu erkennender Korper oder nur ein
Pigmentrest. Früh verschwindet auch das markhaltige Fasernetz des Kernes;
die Glia des Kernes r^immt am Prozesse keinen aktiven Anteil; ebensowenig
die Gefäße des Kernes. Ganz ähnlich wie im Hypoglossus ist der histolo-
gische Befund auch im Fazialiskern; meist allerdings weniger deutlich und
nur in den distalen Partien des Kernes nachzuweisen; im Vago accessorius-
gebiete degeneriert vor allem der Nucleus ambiguus. Fast immer ist in der
Medulla oblongata auch die Pyramidenbahn degeneriert: im Rückenmark
diese Bahnen und Fasern in der Grenzschicht der grauen Substanz in den
Seitensträngen. Die intramedullären und extraniedulläron Wurzeln der be-
treffenden Nervenkeme degenerieren ebenfalls, manchmal in sehr hochgradiger
Weise (Cassirkk*'). Die Atrophie der gelähmten Muskulatur ist histologisch
dieselbe wie bei allen Muskellähmungen infolge von Erkrankung des ersten
motorischen Neurons.
132
Bulbfirparrtlyflcn.
Die Therapie muU 8ich bei der profrrBSBiven ßulbärparalyse be-
scheiden; auch in prophylaktischer Beziehunir. da die Ursachen so jfut wie
unbekannt sind und auch wenn sie bekannt wären, nicht sicher auszuschalten
sein würdem Eigentliche Heilmittel gibt es nicht, die Krankheit führt immer
zum Tode. Von Medikamenten wird meist — ut aliquid fiat — Jodkali und
auch wohl Arsen anfjewandt: Strychnln habe ich selber nie versucht; ebenso
habe Ich vom iXtropin. das gepren den sehr quälenden Speichelfluß empfohlen
wird, nie deutliche Krfolge gesehen. Anwenden kann man auch den gal-
vanischen ätroni zur queren Durch8truinun>r der Medulta oblonu-ata; man
set^t dann die Elektroden auf die beiden Processus ruastoidet und
wendet nur mäßige Ströme an. da sonst leicht unangenehme Schwindel-
empfindungen auftreten. Natürlich wird man auch von dieser Behandlung
nichts besonderes erwarten. Dagegen kann man die Srhluckstorungen
manchmal wirklich vorübergehend mit der von Rkmak empfohlenen gal-
vanischen Auslijsung des Schluckr^riexes im Halse bessern ; ich habe das
oben schon bei der akuten ßulbärparalyse erwähnt Die Krnfi-hrung: muß
eine möglichst reichliche und kräftige sen: muß der Kranke sich bei der
Nahrungsaufnahme info-go schwerer Schlin^storung zu sehr quälen, so er-
spare man ihm diese Arbeit zumindestens teilweise, indem man einen Teil
der nötigen Nahruns: mit der Sonde einführt. So lange wie möglich soll man
aber einzelne Mahlzeiten auch auf gewö' nlichem Wege nehmen lassen; man
muß aber dabei wegen der Gefahr des Verschluckens sehr vorsichtig sein.
Körperlich und geistig ist außerdem möglichste Ruhe anzuordnen: nament-
lich ist eine Überanstrengung bulbäror Funktionen — speziell durch das
Sprechen — zu vermeiden.
2. Die chronisch-progressive ßulbärparalyse im Kindesalter.
Die im Ktndesalter vorkommenden chronisch - progressiven Bulbär-
paralysen lassen sich nach Pkrit/-**), dem ich hier folge, in drei Gruppen ein-
teilen. Die' 1. Gruppe — solche Fälle sind von Hofkmann'^i, Bergku ^'') und
FiLATiAv ^') beobachtet — unterscheidet sich klinisch in keiner Weise von
der bei Erwachsenen vorkommenden Form ; nur Hcheint mir eine größere
Neigung zu Asymmetrie der Liihmungen zu bestehen. Die 2. Gruppe iLuxpe*»).
Fa/jo*'*), Brown *^) und Thohsuni i^t dadurch charaklerisiert. daß der
obere Fazialisast und außerdem der Abdu^ens und Teile des Oculomotoriua
mitergriffen sind; außerdem handelt es sich, wenn auch nicht immer, um
ein familiäres oder hereditäres Auftreten des Leidens (2 Brüder bei Londi«,
Mutter und Kind bei Fa/iü). Bei der 1. und 2. Form ist außerdem eine
Beteiligung der übrigen Körpermuskulatur nicht selten, namentlich wird die
Nackenmuskulatur früh ergriffen. Die 3. Gruppe: ein Fall von Naek '')
und 3 Geschwister^ die von Hkikmcr-'-) beobachtet sind, ist ganz atypisch.
Diese Atypie besteht vor allem nach Pkritz'*) darin^ daß erhebliche Schwan-
kungen — Stadien schwerer Erkrankung, die mit fast bis ^^ur Heilung
gehenden Besserungen abwechseln — bestehen; daß in dem NAi-iFschen Falle
auch wechselnde, zum Teil schwere psychische Symptome bestanden und
daß sowohl in dem Falle von Nakk^^) wie in denen von Heukmek*-) Konvul-
sionen eintraten, die in einem Falle von Hia bnku als Anfälle von allgemeinem
Steif werden und krampfhaften Hinten ü beratrecken des Kopfes beschrieben
werden. Der Stirnaugenast ist hier wieder nicht beteiligt, dagegen besteht,
wie wir sehen, b*^i den Fällen von HKruNKK Familiarität. Pkritz i*) ist ge-
neigt, im Falte Nakk an eine Kombination mit zerebraler Pseudobulbär-
paralyse zu denken, doch wurden in diesem Falle und in einem der von
Hk:i'B.\EK -') beobachteten Fälle, die zur Sektion kamen, deutliche Erkrankungen
am Bulbus selbst, namentlich eine hochgradige Atrophie des Hypoglossus-
Bulbftrparalyäen.
133
Kernes nacbi^e wiesen. Ich selbst sah folsrenden Fall: Bei einem ßjährigen
Knaben traten im Sommer liM)4. zuerst besonders Nachts. Anfalle von
Dyspnoe auf. Der Kranke sprang? anter Zeichen groUer Atemnot aus dem
Bette, klagte, er habe eine Kuge! im Halse; bald beruhfp^te er sich wieder
und schlief weiter. Am Tat^o traten diese Anfälle besonders dann auf. wenn
er trinken wollte. Ich sah ihn damals zuerst, fand objektiv nichts, dachte
an hysterische Anfälle und riet, den Knaben auf meine Kinderstation za
brinf;en. Das geschah zunächst nicht; erat Ende November ll»04 sah ich den
Knaben wieder und konnte ihn nun längere Zeit beobachten. Kr bot jetzt
die deutlichen Zeichen der Hulbärparalyse ; Parese besonders der Lippen-.
Zungen- und Oaumenmuskulatur ; Sprache fast unverständlich. Pfeifen nicht
moi^lich , t'chlucken wenifj:er erschwert; ausgesprochener Speiclielfluli ; Nei-
gung zum Weinen: Atrophie der Lippen- und Zungenmuskulatur; die Unter-
lippe klappt nach unten um. Ophthalmoskopisch nichts: keine deutlichen elektri-
schen Störungen. Dabei treten — fast regelmäßig alle 2 Stunden — folgende
Anfälle auf: Patient verliert plötzlich das Bewußtsein; wenn er steht, fällt
er nach hinten über; dann zunächst tonische Starre der Rumpfrnuskeln mit
Opisthotonus und Starre aller \Wr Extremitäten; darauf klonische Zuckungen
in den Kiefer- und Oesichtsmuskeln beiderseits; stets Zungf'nbiÜ. L*auer dos
Anfalles 25 Sekunden höchstens; nachher rasch wieder ganz klar. Der kloine
Patient wurde bald wieder als ungeheilt entlassen. Jetzt horo ich nun von
dem Hausarzte, daÜ es ihm sehr gut gehe; da ich ihn selber nicht gesehen.
kann ich nicht sagen, wie weit die Besserung gegangen ist. Ich möchte aber
den Fall zu den atypischen Bulbärpardlysen im Kindesalter im Sinne von
PßRiT/. '*) rechnen, bei denen \u Remissionen und wie in einem Falle von
Hbl'bver^^), wie es scheint, auch dauernde Heilungen vorkommen können. Sollte
es allerdings zu einer dauernden, vollkommenen Besserung kommen, so
würde ich mehr dazu neigen., eine subakute Encephalitis! bulbi in diesem
Falte anzunehmen. Gerade von diesen im Kindef^alteriuanchnml vorkommenden.
Prozessen (Oim'bnhkiu) ist die chronit^cbe Bulbärparalyse ju kaum zu unter-
scheiden, solange sie progredient ist; nur eine dauernde Heilung würde
meiner Ansicht nach mehr für Encephalitis sprechen.* Auffällig wären dann
besonders die epileptischen Anfälle.
3. Der angeborene bulbäre Kernschwund (Möbius).
Das von Möbii's^') zuerst genauer beschriebene Krankbeitsbild de^
sogenannten angebornen bul hären Kt^nsch wundes pdlsentiert sich klinisch
als eine von der Geburt an beatL^hendu, zur Zeit der Beobachtung abge-
schlossene Kombination vou Lülimun^en im Gebiete der Aujjrenmuskeln,
speziell des Abduzens^ des Fazialis und Hypoglossus. Die Lähmungen
können ein- oder doppelseitige, kaum ie ganz symmetrische sein, namentlich
im Gebiete der Zunge «ind sie oft nur einseitig. Sie betreffen im Fazialis-
gebiet dessen gesamte Ausbreitung, ja, es ist sogar meist der Stirnaugen-
ast am stärksten beteiligt, einmal war auch das Platysma mitgelähmt. Die
Lähmungen der Zunge sind meist nicht so erheblich wie die im Fazialis-
• Bei GelepeDht'it dfr Durclisicht dieser Arbeit hiit die Matter mir auf iiipinen
Wunßch. der vom IIan->arzt frennülichitt unterstützt wurde, den Knahen noehmals zugeführt.
Nach Anu^ben der Matter nahm im Dezember 1904 das LMden noch rrheblich za;
auch daH Schlucken vvnrde letit «ehrfiehleeht; die Bissen muütcu tief in den Schlund gedrückt
werdt-n; auch die KfrtuxiMupüudtiehkeit deb Hat-ht'ns lebltu ganz. Einige Zeit aueh grolle
Schwäche der Nucken- und Uumpfmuskiihitur. !«o daß der Qang taumelnd war. Die Krumpfe
der Kirrcrniui^keln waren ht-sonders Bt;irk. Patient h.it sich :J SchaeidezUhne dabei auMge*
bistien. Äui l'i. Januar war drr letzte Aufiill; dann besserte sich »llmäblieh Schluck^n^
K;)uen, Spraehe uud ^peietieiriuü. Jetzt ist dt;r Knabe hlUlicnd Kü^iind und zeigt keine Spur
luebr der TrUhert-n biilbäreu iiiyiuptome: Auch psyebi&ch i!>t er uunuäil.
iu
Bulbärparalyflen.
gebiet: Qaumensegel- und Kaumuskellähmun^en wurden nur ]e einmal beob-
achtet. Dagegen fand sich einrge Male eine Beteiligung im Okyloniotorius-
gebiete und nit-ht selten Defekte in nicht bulbären Muskelgebteten und
andere Hemmungsbildungen, so nainentHch Fehlen des Pectoralis major und
minor, Flughautbild uns, Schwimm bau tbildung, Fehlen einer Endphalanx,
Strabismus und Trichterbrust (Prhitz'^) Die Lähmung ist stets eine atro-
phische; doch läßt sich diese Atrophie besonders deutlich meist nur im
Gebiete der Zunge konstatieren, weniger deuth'ch im Fazialisgeblet. In den
gelähmton und atrophischen Muskeln fehlt iede elektrische Reaktion; Knt-
artungsreaktion ist nicht nachzuweisen.
Als Funktionsstörungen zeigen sich Starre des Gesichtes, die entweder
so stark sein kann, daU jede Mimik lehlt oder aber namentticb im mitt-
leren und unteren Fazialisgebiet noch einige BeK*egung zulassen kann. Die
Augen können meist ~ auch im Schlafe — nicht geschlossen werden; beim
Versuche, die Augen zu achließen, rollen die Bulbi unter das obere Lid.
Die Sprache ist immer gP8t5rt; meist besteht auch Speichelfluß. Da die
Zongenbewegurg nicht allzu erheblich gehind»Tt ist und Gaumensegel- und
Pharynxlähmungen selten sind, so geht das Schlacken meist ungestört vor
sich. Die Störungen in der Augenbewegung hängen ab von den dort vor-
handenen Lähmungen; meist Abduzens, selten auch Okulomotori us. Die In-
telligenz ist ungestört.
Der einzige Sektionsbefund bei diesem Leiden ist bisher von Hi>:ubnf,r'*)
beigebracht. Es handelte sich um einen Defekt resp. um ein vollständiges
Fehlen der Kerne des Abduzens, Fazialis und Hypoglossus und der von
ihnen ausgehenden Wurzeln. Entzündliche AfEektfonen oder Reste davon
fanden sich nirgends; auch keine degenerativen Erscheinungen in den ge-
lähmten Muskeln. Am wahrscheinlichsten ist also dte Annahme, daß es sich
um eine angeborno Kernaplasie oder Hypoplasie handelt.
Diagnostisch kommt in Betracht: 1. Das Angeborensein der Krankheit.
2. die Nichtprogressivttät, 3. die starke Beteiligung des oberen Fazialisastes,
4. die Asymmetrie der Lähmungen, .'». das Kehlen jeder elektrischen Erreg-
barkeit in den gelähmten Muskeln, ursprünglich in ihren Nerven, 6. das Vor-
kommen vonHeramungsblldungen und Muskeldefekten an anderen Körperteilen.
4. Die Bulhärparalyse ohne anatomischen Befund (Oppenheim). Asthe-
nische Bulbärparalyse (Strümpell). Myasthenia gravis pseudoparal^'tica
(Jolly). Myasthenische Paralyse,
Der didaktischen Darstellung des Krankheitsbildes der myasthenischen
Paralyse schicke ich zur Illustration die Krankengeschichte eines bisher
nicht publizierten, von mir beobachteten Falles voraus^ der einen großen
Teil der typischen Symptome und die Charakteristika des Verlaufes dar-
bietet.
Frau B., 38 Jahre. SchuhmacherBfrau. Erste Untersuchung am 5. Sep-
tember 1900, Beginn des Leidens angeblich im Februar 1900; langsam
schleichender Verlauf. Status: Links und rechts Ptosis, links etwa»
st&rker, beiderseits Abduzensparese und ebenso beiderseits, besonders'
links Parese der Heber der Bulbl; entsprechende Doppelbilder.
Akkommodation und Pupillenreaktionen gut. Ausgesprochene Schw&che
der Stirn- und Augenschließmuskeln; Mundspitzen fast unmög-
lich; auch das flbrige Gebiet des Fazialia beiderseits fast wie
bei doppelseitiger Fazialislähmung. Kaumuskulatur schwach. Di»
groben Zungenbewegungen gut. Bei der Sprache ausgesprochene
Ermüdbarkeit; die Sprache wird rasch immer undeutlicher,
namentlich immer nasaler. Das Schlacken ist erschwert; da»
Bulbärparalysen.
i:i5
Onunienee^el hebt sich nur einige Male bei der Phonation, dann
Dicht mehr. Am Abend besteht große Erniddung in Armen und Beinen;
beim Messerputzen z.B. versagen die Finger sehr bald; sonst ist an den
Extremitäten und am Rumpfe die Krmüilbarkeit nicht ohne weiteres zu
demonstrieren. Keine Störunnren der elektrischen Erregbarkeit ; auch keine
myasthenische Reaktion z. B. im Faziatisgebiet. Keine deutUche Muskel-
atrophie, Sehnen- und Hautreflexe normal. Keine Geföhlsstöpungen. Oph-
thalmoskopisch nichts. Am Herzen und im Harn normaler Befund. P:^ychisch
normal : leichte hysterische Symptome. Ordination : Möglichste körperliche
Ruhe. Am i:i. Oktober 11)00 wesentliche Remission. Links Proptosis;
rechts nichts; die Qbrigeu Augenmuskeln gut; doch tritt bei Kxiremstellung
der Augen nach links leichte Raddrehung der ßulbi ein. Sprache besser,
Schlucken noch erschwert; Kauen besser; Pfeifen und Mundspitzen
geht noch schlecht, ebenso der Augenschlaß Das Gaumensegel hebt
sich jetzt kräftig und oft; Ermüdbarkeit hier nicht zu demonstrieren.
Die Ropfbewegungen sind frei. Arme und Beine sind krüftiger.
23. Januar 1901. Hat sich eine Zeit lang hesser befunden; jetzt sind
die Beschwerden wieder viel stärker; namentlich trelen häufig asphyktische
Anfälle auf, in denen die Patientin zu ersticken droht. Links deutliche
Ptosis; ebenso linker Abduzens und Rectus sap paretisch: links
Parese des Rectus externus; nach abwärts werden die Bulbi gut bewegt,
auQh die Konvergenz ist normal und es verengern sich dabei die Pupillen.
Zangen- und Gaumensegelbewegungen sehr erschwert; keine deut-
liche Atrophie, weder an der Zunge noch im Gesichte. Keine
fibrillären Zuckungen. Mundspitzen unmöglich. Schlucken erschwert.
Auch die Kaumuskeln schwach Am meisten gestört ist die
Sprache und hier tritt auch die Kriuüdbarkeit beim lauten Lesen
sehr zutage; die Stimme wnrd nasal, klappt um; di«^ Lippenlaute
werden immer undeutlicher. Im übrigen ist die Ermüdbarkeit
nicht leicht zu demonstrieren, namentlich auch an den Extremitäten.
Sehr gering ausgeprägte myasthenische Reaktion Im Depressor
labii inferioris beiderseits. Aufnahme in die Diakonissenstation; voll-
ständige Bettruhe.
2.5. Januar löOl- Ptosis links geringer; auch Sprache besser.
Sehr ausgeprägte faradische Ermüdbarkeit im linken Mund-
fazialis. Nach Einwirkung tetanisierender Ströme läßt die
Muskelspannung bald nach: nach Unterbrechung sind auch mit
stärkeren Strömen nur minimale Zuckungen auszulösen.
1. Februar UiOl. Die myasthenische Reaktion nicht mehr nach-
zuweisen; die Muskelspannung läßt auch beim langsamen Faradisieren
nicht nach.
1. Juni 1901. Links jetzt Ptosis; häufig auch rechts; Zunahme
derselben bei der Untersuchung: Augenbewegungen nach oben
beiderseits fast vollständig aufgehoben: linker Rectus internus
bleibt zurOck bei Bewegu-ng der Bulbl nach rechts; beide Ab-
duzentes nicht vollkommen Intakt. Nach unten Blickbewegung ziemlich
gut; Konvergenz ganz gut Augenschluß wenig fest, Mundspitzen
und Pfeifen kaum möglich; beim Zähnefletscheu keine deutliche
Ermüdbarkeit; auch bei Bewegungen der Zunge nur in geringem Maße;
dagegen ermüdet das Gaumensegel bei Phonationen sehr rasch.
Beim Lautlosen wird die Sprache rasch nasal und undeutlich,
beim Schlucken muß Patientin häufig pausieren, oft schon nach
einem Schlucke; Kauen jetzt ziemlich gut. Nirgends Muskel-
atrophie, keine fibrillären Zuckungen. Muß die Patientin den Kopf
längere Zeit nach vorn halten, so treten N&ckenschmerzen ein. Deut-
136
Bulbärparalyseu.
liehe myasthenische Reaktion im Üepressor labii inferioris links: die
Abschwächang der Reaktion tritt aber erst nach länpferer Kin Wirkung'
starker Ströme auf den linken \fuskel ein und dann zuj^^Ieich auch in demselben
Muskel der anderen Seite: noch deutlicher ist jetzt aber diese
Reaktion in beiden Orbiculares uculi und in den Musculi fron-
tales. Aspbyktische Anfälle sind in der tetzten Zeit nicht vorg:ekommen.
"li. Juni 1901. In der letzten Zeit große Schwäche in den
Händen: oft Brustbeklemmungen. Ptosis links stärker. Linkes
Auge bleibt bei Drehung nach links ganz still stehen (Abduzens-
lähmung), das rechte geht dabei nur etwas Ober die Mitte: also
starke Parese des rechten Roctus internus; Btick nach rechts
besser: Drehung der Bulbi nach oben schwach, nach unten etwas
besser; Sprache langsam und nasal; Gaumensegel ermOdet sehr
rasch. Keine deutliche myasthenische Reaktion im linken De-
pressor labii inferioris.
lt>. Dezember l'JOl. Beiderseits schwere Ptosis, besonders links.
Nach rechts und links sind die Augenbewegungen gleich null:
das rechte bewegt sich einigcrmaUen, das linke nur unvoll-
kommen nach oben und unten. Konvergenz auch schwach. Die
Ptosis ist am Morgen und am Tage nach längerem Ausrnfaen
immer geringer als später. Da» Schlucken ist jetzt .schon von
Anfang an sehr erschwert; sie kann kaum ein halbes Brot
herunterbringen. Das Kauen ist schwach und mit Schmerzen
verbunden. Das Gaumensegel hebt sich kaum mehr als einmal.
Morgens kann sie schwer den Schleim aushusten. Zungenbewegungen
ganz gut. ebenso jetzt nur geringe Schwäche im Fazialisgebiet.
Keine Atrophie, keine fibrillären Zuckungen. Nackenmuskulatur
ermOdet sehr rasch, dann treten Nackenschmerzen ein. Die
Schwäche der Arme jetzt sehr deutlich; kann ein gefOlltes
Lampenbassin nicht aus dem Ständer heben; Beine gut. Nirgends
deutliche myasthenische Reaktion.
Im Jahre 1902 war die Patientin einige Zeit im hiesigen städtischen
Krankenhause unter Behandlung des Herrn Prof. Rrixhold, der sie auch ein-
mal im ärztlichen Verein vorstellte.
Bei Gelegenheit der Niederschrift dieser Arbeit borte ich von dem
Hausarzte, daü die Patientin noch lebe und bat sie dann, sich mir noch
einmal vorzustellen. Am -*. Januar 1905 konnte ich folgenden Status auf-
nehmen :
Schwere Ptosis beiderseits. Bewegungen der Hulbi minimal ; beide
Augen gehen etwas nach unten, nicht nach oben; das linke eine Spur nach
außen; beide etwas nach innen bei Versuchen zur Seitwürtsrichtung. Kon-
vergenzbewegung sehr gering. Konvergenz und Lichtreaktion der Pupille
gut. Musculus frontalis kontrahiert sich gut ; der Orbicularis oculi nur
schwach. Mundspitzen und Pfeifen unmöglich. Brotrinden zu kauen ist ihr
unmöglich. Sprache sehr nasal, nach kurzem Lautlesen unverständlich:
Gaumensegel hebt sich bei Phonation gar nicht. Zung(^ nicht atrophisch,
bewegt sich gut. Kann auf einmal nicht m<>hr als den Inhalt eines TeelTiffels
schlucken; am besten dicke Suppen. Die bulbären Funktinnen sind am besten
morgens beim Aufstehen: dann fehlt die Ptosis fast ganz; nach einer halben
Stunde ist sie schon deutlich. Häufig Erstickungsanffille bei Verschlucken,
aber auch ohne das, infolge krampfartiger Huatenanfälle. Beim Offenhalten
der Lidspalte mit der Hand, das wegen der schweren Ptosis oft nötig ist,
ermOden die Arme rasch, ebenso die Finger beim Stricken, Waschen, Messer-
putzen etc. Wegen der Ptosis muß sie oft den Kopf nach hinten geneigt
halten, um geradeaus sehen zu können, dann ermüden die Nackenmuskeln
Bulhärparalysifu,
13
und es stellt sich Schraerz im Nacken ein. Auch die Schultermuskeln er-
tuQden rasch, z. B. beim Haarmachen, ßeine ziemlich ^ut. Sphinkteren in
Ordnung. Kbenso Haut- un^ Scbnenreflexe.
Hat während der letzten Jahre mehrmals erbebliche Remissionen g:e-
habt^ in denen namentlich das Kssen und Sprechen besser grin^; nie aber
volle Interremissionen. besonders war die Ptosis immer vorhanden.
Das Symptomenbild der asthenischen Bulbärparalyse auf der
Höhe des Leidens Ist ungefähr das folgende: Kinseiti^ye oder noch
Öfters doppelseitig'e, aber auf den beiden Seiten nicht (gleich starke
Lähmung der Augenmuskeln, vor allem Ptosis, dann Lähmung resp.
Parese der Dbri^en ilußoren Augenmuskeln mit Doppelbildern, bei
stetem Freibleiben der inneren. Doppelseitii^e Fazialisparese mit her-
vorragender Beteiligung des Stirnaugenastes luiU daraus resultierendem
Lagrophthalmus. Schwache der Kaumuskulatur. Parese der Mus-
kulatur des Gaumensegels und der Schlundmuskulatur und infolire-
dessen erhebliche Dysphagie. Schwäche der Muskulatur der
Zunge, doch steht gerade diese im Krankheitsbill der asthenischen Bulbar-
paralysen weniger im Vordergrund als die Schwache der Schlund-. Gesichts-
und Augrnmuskulatur. Die Parese der Lippen , Zungen- und Gaumensegel-
muskulatur bedingt nun Dysarthrie, vor allem auch eine näselnde
Sprache; kommt auch noch eine Schwäche der Stimmbänder dazu«
die in einzelnen Fällen auch laryngoskopisch nachweisbar war. so wird die
Sprache auch tonlos und klappt oft um. Meist iibt auch die Nacken-
und Halsmusk ulatur an der Schwäche beteiligt, der Kopf kann nur
balanziert, aber der nach hinten übergesunkene nicht nach vorn oder der
auf die Brust gesunkene nicht nach hinten gehoben werden; die Qbrige
Kßrpermuskulatur, manchmal in ihrer gesamten Ausdehnung — manchmal
aber nur am Rumpfe oder an diesem und den oberen Hlxtremitäten —
nimirt aber im Verlaufe des Leidens in verschiedener Intensität fast immer
auch an der Schwache (eil. Ebenso beteiligt sich fast stets die Ateni-
muskulatur und dadurch sowie auch durch das infolge der Dysphagie
häufige Verschlucken kann es zu sehr gefährlich werdenden und nicht
selten auch tödlich wirkenden Asphyxieanföllen kommen, bei denen ent-
weder perakut an Erstickung oder etwas langsamer durch sich an die Er-
schöpfung der Atenimuskulatur anschließendes Lungenödem der Tod eintritt.
{SB. Die bisherige Aufzählung der Symptome zeigt wohl, daß alle diejenigen
Namen des Leidens, die a^s Hauptwort die Bezeichnung > Bulbörparalyse«
enthalten, zu eng gefaßt sind; am präzisesten erscheint wohl der Ausdruck
»myasthenische Paralyse«. Üim^emieim.)
Als negative Symptome sind hervorzuheben: das Fehlen von allen
Sensibilitäts- und sensorischen Störungen, abgesehen von Schmerzen, die
besonders häufig im Nacken und Hinterkopfe ihren Sitz haben und wohl
als ErmOdungBschnierzen, ausgehend von der Qberanstrengten, geschwächten
Nackenmuskulatur anzusehen sind; das Fehlen von Störungen in den Sehnen-
und Hautreflexen; doch soll einige Male eine Ermüdbarkeit und allmähliche
Abschwächung der Kniescheibonsohnenreflexe hei mehrfacher Untersnchung
konstatiert sein ; andere Male lebhafte Sehnenreflexe. Das Fehlen jeder
Störungen in der Blasen- und Mastdarmtätigkeit sowie schließlich jeder
ausgeprägteren psychischen Störung. Auch SpeicheUluß ist wenigstens sehr
selten und das bulbäre Weinen und Lachen kommt nicht vor.
Wir sehen also, daß das Leiden sich vollständig auf Motilitätsstö-
rungen beschränkt. Die Art dieser motorischen Störungen ist aber eine so
eigenartige und für die asthenische Bulbärparalyse so charakteristische, daß
sie noch einer eingehenden Beschreibung bedarf. Während jene auf der
Höhe des Leidens in einer Anzahl von Muskelgebieten, so z. B. namentlich
138 Bulbärparalysen, |
In den Hebern der Aa^enlider oder im Stirnaste dca Fazialis — auch im
Gaumensegel oder in der Scblundmuskulatur — dauernd in Paresen und ihren
Folgen bestehen, so daß es in diesen Fällen berechtigt ist, von Parese,
nicht nur von Asthenie zu sprechen, können •diese Zustände im üeginne
dieses Leidens namentlich dann, wenn der Kranke längere Zeit der Ruhe
gepflegt hat — also In den ersten Morgenstunden — ganz fehlen und erst
im Laufe des Tages deutlich hervortreten. Da-* liegt daran, daß die Ermüd-
barkeit der Muskeln (Myasthenie) eine krankhaft gesteigerte ist und da(J
schon eine geringe Inanspruchnahme ihrer Funktion zu einer lähniungs-
artigen Schwäche oder gar rasch zur vollständigen Lähmung föhrt. So kommt
es, daß, während am Morgen, räch der Nachtruhe, die Augen weit geöffnet und
normal geschlossen werden können, im Laufe des Tageä eine immer stärkere
Ptosis und bei Augenschluß Lagophthalmuä auftritt; daß das Kauen allmäh-
lich Immer schwerer wird und schließlich gar nicht mehr geht; daß, während
das Schlucken des ersten Hissen oder LÜffel mit Flüssigkeit zwar glatt von
statten geht, nach kurzem das Schlingen schon so erschwert ist, daß
die Bissen lange Zeit im Rachen stecken bleiben und infolge gleichzeitiger
Schwäche des Gaumensegels flüssige Nahrung durch die Nase wieder ans-
gestußen wird. Am deutlichsten und meist deshalb sogar leicht zu de-
monstrieren ißt diese charak terietieche Ermüdbarkeit in der Sprach-
muskutatur; läßt man die Kranken laut vorlesen, so wird die Sprache
immer verwaschener, unverständlicher, nasaler^ und schließlich tritt voll-
ständige Anarthrie und bei Beteiligung der Kehlkopfmuskeln auch Aphonie
ein. Ebenso kann man in ausgeprägten Fallen die Schwäche des Gaumen-
segels durch wiederholtes Phonieren; die des unteren Fazliilis durch mehr-
faches Zähnefletschon difpkt zutage fördern^ münchmal, nuoh in dem oben
beschriebenen Falte, gelingt die Hebung des Gaumensegels oder auch der
Oberlippe nur ein- oder ein paar Male; dann sind beide Funktionen zumeist
Oberhaupt nicht mehr möglich. Läßt man dem Kranken dann einige Zeit
wieder Ruhe, so gelingt die verlangte Muskelfunktion erst einmal wieder, und
zwar ebenso oft ungefähr, wie vor dem ersten Krmüdungsversuche; allmählich
muß man aber die Pausen immer länger machen, wenn man Oberhaupt noch
eine minimale Funktion erreichen will. Weniger häufig und deutlich als In
den erwähnten Muskelgebieten ist die Ermüdbarkeit, namentlich die rasch
eintretende und deshalb leicht demonstri erbare ErmQdbarkeit in den Muskeln
der Extremitäten und des Rumpfes — doch kann man auch hier nicht selten
zeigen, daß z. B. das Heben der Arme im Schultergelenke, ferner das Auf-
richten aus horizontaler Lage innige Male gelingt, dann aber nicht mehr aus-
fOhrbar ist. Der Gang wird bei der Ermüdung watschelnd, ähnlich wie bei der
progressiven Myopathie, und auch das Aufrichten aus liegender Stellung am
Boden kann ganz ähnlich wie bei diesem Leiden erfolgen. Überhaupt wechselt
das Symptom der Ermüdbarkeit während des Verlaufes des Leidens sowohl
im allgemeinen als auch in bezug auf die einzelnen Muskelgebiete sehr
bei demselben Patienten; während es z. ß. im Gaumensegel oder im unteren
Fazialisgebiete an einem Tage deutlich demonstrabel ist, kann man einige
Tage später die Hebung des Gaumensegels durch Phonation oder etn will-
kürliches Zähnefletschen viele Male wiederholen lassen, ohne daß die Funktion
erlischt — am deutlichsten demonstrabel iat die ErmüdbarkeiL wie aesagt,
fast immer im Gebiete der Sprechmuskulatur. Ja, es gibt sicher Fätle, bei
denen zwar noch eine krankhafte Ermüdbarkeit der Muskulatur vorhanden
ist, wie es sich durch die zunehmende Ptosis, die größer werdende Müdig-
keit beim Gehen Im Laufe des Tages zeigt, wo diese Ermüdung aber nicht
so rasch eintritt, daß man sie leicht demonstrieren kann, und es ist deshalb,
wie Qpi'KNHKiM mit Recht hervorhebt, nicht angängig, gerade das Symptom
der Ermüdbarkeit als das hauptsächllcbate oder gar allein entscheidende für die
Bulbärparalysen.
13»
Diagnose des Leidens anzusehen. Von besonderer und oft lebenswichtiger
Bedeutung ist auch die Erni Qdbarkeit der Atenniiuskeln, wie sie nach
starken allgemeinen körperlichen Anstrengungen, besonders aber auch nach
Ijingerem Sprechen und angestrengten Schlingversuchen, vor allem nach
heftigen Würgebewegungen infolge Verschluckens eintreten kann, da durch
sie die bedrohlichen AnfSlIe von Asphyxie hervorgerofen werden,
Die krankhafte Ermüdbarkeit der Muskeln kann steh nun nicht nur
durch allmählich immer grfllJere Schwäche und schließliche LShmung bei der
normalen Funktion zeigen , sondern sio kann auch horvorgerufen werden
durch eine elektrische Behandlung der erkrankten Muskulatur, die soge-
nannte myasthenische Reaktion (Jolly). Man kann, wenn diese Re-
aktion vorhanden Ist, durch kräftig tetanisierende faradische Ströme in der
erkrankten Muskulatur — namentlich in der Muskulatur der Lippen oder des
Augenfazialis — erreichen, daß die Muskelzusammenziehung allmählich immer
schwächer wird und schließlich ganz aufhört: auch mit stärkeren Strömen
erreicht man dann zumeist keine oder eine minimale Reaktion; erst wenn
man die Muskeln eine Zeitlang ausruhen läl3t^ kann man wieder eine
Muskelzusammenziehung wie zu Beginn des Experimentes erreichen. Doch
fehlt dieses Symptom häufiger noch als die demonstrable funktionelle Er-
müdbarkeit und wechselt auch mehr und rascher in seinem Aultreten und
V^erschwinden in einzelnen Miiakelgebieten (s. o. Krankengeschichte).
Im übrigen fehlen elektrische Störungen in der Muskulatur,
namentlich alle Zeichen der Entartungsreaktian. Auch eine dege-
nerative Atrophie der Muskulatur tritt selbst bei langer Dauer der Krank-
heit nicht ein; die Zunge a. B bewahrt Ihr normales Volumen, ebenso die
Muskulatur der Extremitäten, selbst wenn sie stark paretisch ist. Fibrilläre
Zuckungen finden sich manchmal, besonders in der Muskulatur des oberen
Fazialisgebietes; doch brauchen sie nicht degenerativer Natur zu sein. Ich
selbst sah mehrmals ny atagmusart ige Zuckungen in den paretischen
Augenmuskeln bei extremen Blickrichtungen.
Ist schon durch die mehr weniger stark vorhandene Ermüdbarkeit auf
der einen, der Dauerlähmung auf der anderen Seite in den verschiedenen
Musketgebieten das Krankheitsbild ein sehr wechselndes, so wird es das
noch mehr durch die Art des Verlaufes. Der Beginn ist meistens ein
schleichender; er kann fange Zeit vorgehen, ehe deutliche, die sichere Dia-
gnose gestattende Symptome hervortreten; doch kiJnnen Einzellähmungen
auch akut einsetzen. Melst^ darin stimmen auch meine Erfahrungen mit
denen OprENHEiMS-^) überein, hat das i^eiden einen deszendierenden Ver-
lauf (b. Krankengeschichte), d. h. die ersten Symptome sind die von Seiten
der Augenmuskeln; dann kommen die übrigen bulbären Symptome, dann
die Schwäche in Nackenmuskeln, Rumpf und Extremitäten, am längsten
verschont bleiben die Beine; doch herrscht in dieser Beziehung keineswegs
eine Gesetzmäßigkeit weder im Feineren noch im Gröberen. So kann z. B.
das erste Zeichen auch die Artiknlationsstörung oder gar die Schwäche
der Nacken-, Extremitäten- und Humpfmuskulatur sein, auch die Schwäche
der Atemmuskulatur und damit die Dyspnoeanfälle sind oft ein Frühsym-
ptom; oder die Lähmung springt von der Augenmuskulatur unter vorläufi}<er
Schonung der übrigen Hirnstammgebiete auf die Nacken- und Rumpfmus-
kulatur über; auch im Hirnstamm selber geht sie nicht regelmäßig von den
Augenmuskeln auf die Kau , Gesich£s-, Schlund- und Zungenmuskulatar über,
sondern verbreitet sich unregelmäßig und sprungweise. Dazu kommt, dali
die Lähmung in den einzelnen Muskelgebieten an Intensität sehr wechseln,
oft zeitweise ganz verschwinden kann, se daß auch die Gruppierung der
Symptome im einzelnen Falle zu verschiedenen Zeiten eine sehr verschiedene
sein kann. Doch pflegt in den meisten Fällen immer eine Ptosis, eine
140
Bulbärparalysen.
Schwäche im Sprechen, Kauen und Schlingen mit sehr variabler Beteilig-ang
der vom ROckenmarke abhängigen Muskulatur vorhanden zu »ein ^ so daU
das Krankheitsbild wenigstens zu erkennen ist, wenn nicht gerade eine er-
hebliche Remission vorhanden ist. Denn das ist ein weiteres Charakteristikum
des Leidens, daü nicht nur die einzelnen Symptome sehr wechseln und nacli
längerem deutlichen Bestehen wieder verschwinden können , sondern daß
auch das ganze Krankheitsbild zu so erheblichen und langdauernden Besse-
rungen gelangen kann, daß es nicht unberechtigt war, von einem >schein-
bar beilbaren bulbären Symptonienkomplexe< (Goldflam ^b) zu sprechen.
Freilich folgen auf die Resserunp: meist wieder Verschlimmerungen und im
ganzen ist der Vorlauf an Intensität und Extensität der Symptome ein
progressiver.
Damit wäre das typische, meist ieicht zu erkennende Krankheitsbild
gezeichnet, das in fast allen seinen Zügen durch die vorangestellte
Krankengeschichte illustriert wird. Zu den atypischen Fällen gehören vor
allem diejenigen, bei denen sich entgegen dem typischen Verhalten deut-
licher Muskelschwund und elektrische Störungen im Sinne der
Entartungsreaktion oder wenigstens eine deutliche quantitative Herab-
setzung der Erregbarkeit findet, die nicht auf dem Vorhandensein myasthe-
nischer Reaktion beruht. Wenn Ofi'knhkim '-^l auch sowohl auf Grund der
meisten klinischen Beobachtungen wie besonders auf Grund der anatomischen
Untersuchungen daran festhält, daß das Kehlen dieser trophischen Störungen
der Muskulatur ein integrierender Bestandteil des Krankheitsbildes der asthe-
nischen Paralyse ist. so muß er doch zugeben, daß in einzelnen sonst sicher
hierher zu rechnenden Fällen Entartungsreaktion beobachtet wurde, so in der
Zunge in dem Falle Kojewnikofks •'^); er meint aber doch, daß hier iwei
hypothetische Gifte in Wirksamkeit getreten seien; eines, das die myasthe-
nische Paralyse hervorgerufen, ein anderes, das die degenerative Atrophie
bedingt habe.
Von echten Komplikationen der astheniBchen Bulbärparalyse
scheint die mit der Hysterie am häufigsten zu sein. Meist handelt es sich
wohl nur um ein zufälliges Zusammentreffen; das Entstehen hysterischer
Zustände bei einem so schweren und langwierigen Leiden kann ja nicht
wundernehmen; doch beruht die Häufigkeit der Komplikation, wie Oppk.n-
Hr-:iM hervorhebt, wohl darauf, daß beide Leiden auf dem gemeinsamen
Roden der nervösen Disposition erwachsen. Hüten muß man sich natürlich
davor, die Symptome der Myasthenie seihst fQr hysterische anzusehen, was
leider nicht selten zum Schaden der Kranken goschehon ist. Kino zweite,
nicht 80 ganz seltene Komplikation der myasthenischen Paralyse ist die
mit Morbus Basedowii oder mit einzelnen Symptomen dieses Leidens. In
dieser Beziehung u^uß aber zunächst darauf aufmerksam gemacht werden,
daß z. R. ein leichter Exophthalmus die Folge der Lähmung der äußeren
Augenmuskeln sein kann, daß namentlich im Endstadium der Myasthenie
bei eintretendem Marasmus aucb eine Tachykardie nichts ungewöhnliches ist
und daß eine Struma aus allerlei Ursachen vorkommen kann. Das Vorhanden-
sein selbst dieser drei Symptome zusammen bei einer Myasthenie würde
also nicht ohne weiteres fDr eine Komplikation mit ßASKDowscher Krank-
heit sprechen. Doch sind sicher auch Fälle echter Komplikation ausge-
sprochener Basedow- und Myastlieniesymptomenkomplexe beobachtet, so
z. B. von Jknduasik. ebenso Fälle von BASKt>ow, die sich mit Ophthalmo-
plegien vom typischen Charakter und Verlauf der asthenischen Augenamskel-
lähmungen verbinden, so daß man OppEXHEnr -*) wohl Recht geben wird,
wenn er annimmt, daß zwischefS beiden Krankheiten Beziehungen in der
Art bestehen, daß die Noxe der einen die Empfänglichkeit für die Noxe
der anderen erhöht. Ich will noch erwähnen, daß ich selber einen mit
I
I
I
ßulbärparulyseu.
141
^
I
Nephritis komplizierten Fall von Basedow gesehen habe, bei dem die vor-
handener doppelsf'ltijfen Augenniuskellß-htnunppn einen nukleflron, aber nicht
asthenischen Chiirakter zeigten; auch Oim-knukim sagt uusdrucklich, daß nicht
etwa alle Oplithalmopl^egion bei Basedow asthenische Bein niQlSten.
V o r k u m m e u. A t i o 1 u g: i e. I >ie m y a s t ti e n i b c h e Paralyse ist ein
seltenes Leiden, ich selber sah unter rund 10-000 Nervenkranken bisher
5 sichere und einen zweifelhaften Fall Sie ist eine Krankheit des jugend-
lichen Alters; meine Kranken hatten «ille das 40. Jahr noch nicht erreicht;
standen bis auf einen zwischen :.*0 und MO .Jahren. Das unterscheidet das Leiden
scharf von der DrcHK.WRschen progressiven Hulbärparatyse, die ein Leiden
des höheren Alters ist. Auf der anderen Seite ist die Myasthenie wieder
im eigentlichen Kindevalter bisher nicht beobachtet. Frauen t-rkranken ent-
schieden häufiper als Männer; ich sah nur einen Fall bei einem jungen Manne;
4 sichere und einen zweifelhaften bei Frauen. MIe diese Angaben findet auch
OrrENUEiM ''*} bei Übersicht über ein grobes Material bestätigt. Dieser Autor
weist auch noch darauf bin, daß verhältnismäßig häufig die Krankheit bei
Lehrern beobachtet ist. was möglicberweise mit einer Überanstrengung der
bulbfiren Muskulatur zusammenhängen konnte; der Faktor der Überanstren-
gung ist auch sonst wohl in Rechnung zu ziehen. Sicher ist von Medeutunar.
was auch wieder Oitknukim ausführlich vertritt, eine nfluropathi.sche niatheso.
DafQr sprechen die oben erwähnten Komplikationen mit Hysterie und Morbus
Basedowä : dann das nicht seltene Vorkommen von Migräne bei den Patienten
selbst und bei Verwandton. das Auftreten von Geisteskrankheiten in der
Familie, schließlich das Zusammentroffon von kongenitalen Fntwicklungs-
anomalien mit der Myasthenie — so von Mikrognalhio zugleich mit Migräne
und Psychosen in der Aszendenz in einem von mir und Oppenhkim gemein-
sam behandelten Falle, den letzterer publiziert hat ; die überzähligen Finger
in einem Falle von Oi-fknukim etc. etc. Schließlich wäre In dieser Beziehung
noch darauf hinzuweisen, daß von KisKNfjiHU und Oi'PKNHKIM eine größere
Anzahl schmaler P'ascrn in den bulhärcn Wurzeln und von letzterem und
Sf.natür in je einem Falle eine V^erdopplunjr des Zentralkanales gefunden
wurde, so daß also auch in rein anatomischer Beziehung sich Entwicklungs-
hemmungen und Bildungsanomalien im Nervensystem nachweisen lassen.
In pathogenetischer Beziehung muß noch hervorgehoben werden, daß,
wie die Zusammenstellung Opi'kxhkius-*) ergibt, in einer großen Anzahl
von zur Sektion gekommenen Fällen der myasthenischen Paralyse sich ent-
weder Tuberketherde oder allgemeine Miliartuberkulose oder aber Tumoren,
und zwar meist maligne Tumoren fanden — Sarkome im M» diastinum,
Tumoren der Nieren, multiple Myelome. Von besonderem Interesse ist noch
der mehrfache Nachweis von TliymusgeschwQlsten oder einer Persistenz der
Thymusdrüse; in einem Falle von \Veh;ekt-') wurde eine maligne Geschwulst
der Thymusdrüse und metastatische Herde in den Muskeln, auch im Herz-
muskel gefunden, deren Zellen ganz denen der Thymusgeschwulst entsprachen;
in einem Falle von Link -^) fanden sich ganz ähnliche Zollen in den Muskeln
bei persistierendem Thymus ohne Geschwulstbildung und ebenso in einem
Falle von G()i.i>^'i.,vM-FLATAr -^) bei einem Lymphosarkom. Rechnet man dazu
die oben erwähnte Komplikation mit Ba^eclowkrankheil, so wird man leicht
auf den Gedanken kommen, daß wenigstens in diesen Fällen giftige Stoff-
wechselprodukte sich im Organismus befinden, die wohl imstande sind,
ein Krankheitsbild wie das der asthenischen Paralyse zu erzeugen. Weniger
deutlich sind Beziehungen des Leidens zu eigentlichen Infektionskrankheiten.
Verlauf, Dauer, Ausgang des Leidens; zugleich Prognose.
Über den Verlauf der myasthenischen Paralyse ist oben bei der Symptc»-
matologie schon das Wichtigste gesagt. Das Leiden tritt meist schleichend
ein; einzelne Symptome können aber auch rasch entstehen oder rasch sich
142
Bulbärparalysen.
-verschlimmern ; so z. B. die Schlingstürong'en nach heftigien Würgebewe-
gfonpen oder die StöruTj^en der Respiration nach Verschlucken und dadurch
ausgelösten heftigen Hustenanfüllen. Im übrigen ist der Verlauf zwar ein
remittierE^nder, und dies sowohl im einzelnen als Im großen, im ganzen aber
doch in den meislen Fällen^ wie auch gerade die oben mitgeteilte Kranken-
geschichte zeigt, ein langsam zum Schlechteren fortschreitenden Die Remissionen
im kleinen bestehen darin^ dab meist morgens früh nach der Nachtruhe
eine Anzahl von Einzelsyraptomen — wie z. B. die Ptosis, die Sprach- und
SchlingstÖrungen — sehr gering sein oder ganz fehlen können , um im
Laufe des Tages infolge der Ermüdung immer deutlicher «u werden; zweitens
darin, da(i die einzelnen Symptome — z.B. die Augen- und Kaumuskel-
schwache, besonders oft auch die myasthenische Reaktion — auch für
längere Zeit schwinden und vielleicht anderen Krankheitszeichen Platz
machen kOunen (s. Krankengeschichte). Bei den Remissionen im großen handelt
es sich um länger dauerndes vollständiges Verschwinden aller Krankheits-
erscheinungen, also mehr um Intermissionen, so daü die Kranken den Ein-
druck Gesunder machen und ganz oder fast ganz ihre frühere Leistungs-
fähigkeit wieder erlangt haben. Meist kommt es allerdings nach einiger
Zeit wieder zu Rückfällen, z.B. im Anschluß an Überanstrengungen, Infektions-
krankheiten, Gravidität (Oppknheim).
Die Dauer des Leidens ist fast immer eine längere; im Durchschnitt
ungefähr 'i^ Jahre nach Oppenheim, wobei dann allerdings meist auch Zeiten
ilänger dauernder Remissionen oder Intermissionen mitgerechnet sind. Sehr
akuter Verlauf ist ebenso selten wie ' eine Dauer von über 11 Jahren: in
meiner oben mitgeteilten Beobachtung besteht das Leiden über 5 Jahre,
in einem 2. Falle, In dem zunächst fast volle Heilung, dann nach einem
schweren Alkoholexzeti ein Rückfall eintrat^ lebte der Patient jedenfalls
noch 13 Jahre nach Beginn des Leidens und war sogar als Rechtsanwalt tätig.
obgleit-h er namentlich deutliche Sprachstörungen zeigte. Der Ausgang des
Leidens ist in den meisten Fällen der Tod. und zwar tritt dieser entweder
langsam, im allgemeinen Marasmus durch die Schwierigkeiten der Er-
nährung oder akut infulge von Schluckpneumonie oder noch häufiger per-
akut in einem asphyktiächcn Anfalle ein^ dessen Ursachen und Häufigkeit
oben genauer erörtert sind. Von meinen 5 sicheren Fällen sind "2 an solchem
Asphyxieanfalle zugrunde gegangen; ein Fall lebt noch; von 2 weili ich nichts
Über den Ausgang. Dabei ist nach Opfenhkim '-*) das A uftreten dieser Asphyxie-
anfalle oft ein besonders heimtückisches, da der plötzliche Tod aus dieser Ur-
sache nicht selten im Stadium einer tiefen Remission eintritt. Selten und
jedenfalls seltener, als man speziell nach den Mitteilungen Goi.[>fl.\m« -^) zu-
nächst glauben konnte, ist der Ausgang in volle Hellung; man muß auch
bei tangdaaeruden Intermissionen immer auch auf Hückfätte und tödlichen
Ausgang gefaUt sein. Doch ist ein solcher Ausgang sicher in einzelnen Fällen
beobachtet und man ist also immer noch berechtigt, bei der asthenischen
Paralyse , auch abgesehen von den Intermissionen , die Prognose relativ
günstig zu stellen und die Möglichkeit einer votlen Heilung zuzulassen.
Pathologische Anatomie. In pathologisch-anatomischer Beziehung
ist über die myasthenische Paralyse nicht viel zu bemerken. Der Befand
am Nervensystem selbst ist negativ — das steht nach den neuesten
UntersuchuDgiitn wohl ganz fest; auch die angeblichen pathologischen Be-
funde bei Marchi- und Xisslfärbung halten der Kritik nicht stand. Dagegen
ist in neuerer Zeit dreimal über den Befund von Qeschwulstzellen in den
Muskeln berichtet; WEmKRT-') fand Metastasen einer malignen Thymus-
geschwulst in den Muskeln; Goldplam FtATAr^^^) Zellen, die wohl von einem
Lymphosarkom der Lunge ausgingen; Link-") ähnliche Zellenanhäufungen
bei persistierender, aber nicht geschwulstartig degenerierter Thymus. Man
Bulbärpnralysen.
14H
wird also, wie Opprnhrim^*) austfihrt, wohl anerkennen mQsHen, daß in einer
Anzahl von MyDstheniefällen krankhafte Prozesse in den Muskeln vorhanden
sind; freilich brauchen es nicht iuinier Geechwolstmetastasen zu sein; auch
Wkigert, der in einem zweiten Falle bei einer Neubildung im Mediastinum,
der ganz seinem ersten Falle entsprach, keine Zellen an den Muskeln fand,
nimmt an, dali eventuell auch durch Stoffwechselprodukte der persistieren-
den Thymus die Krankheit ausgelost werden konnte. Daß sich in manchen
Fällen der Asihente auch andere Geschwülste, Tuberkelherde und Miliar-
tuberkulose gefunden haben, und was das eventuell für die Auffassung des
I^eidens zu bedeuten hat, ist ?chon im Kapitel Ätiologie erwähnt.
Diagnose und Differentialdiagnose. Die Diagnose der myastheni-
schen Paralyse und ihre Abgrenzung gegen verwandte Leiden ist leicht.
wenn die Symptome typisch und deutlich ausgeprägt sind. Die Verbindung
einer meist mit Ptosis beginnenden beiderseitigen, aber beiderseits nicht
ganz symmetrischen und nicht ganz vollst«^ndigen Ophthalmoplegia externa
mit echten Bulbärsymptomen wie Dysphagie, Dysarthrie, Aphonie; die Be-
teiligung des Stirnaugen astos an der Kazialislähmung; die erhebliche und frühe
Beteiligung der KauninskuUtur und im Gegensatze dazu nicht selten das
relative Freibleiben der Zungf^nbewegungen; die frühe Beteiligung der Nacken-
muskeln und das baldige Übergreifen der Schwache auch auf die Übrige
Rumpf- und Extreniitätenmuskulatur; dabei das Fehlen von Muskelatrophie
und von elektrischen Störungen mit Ausnahme der myasthenischen Re-
aktion — alles das würde schon genügen, um das Krankheitsbild als ein
eigenartiges und selbständiges erscheinen zu lassen. Kommt nun dazu der
rmstand, daß es sich, wenn auch nicht in allen Fällen und speziell nicht in
allen ergriffenen Gebieten manchmal mehr um eine übergroße, schließlich in rasch
wieder sich erholende Liihmung übergehende Ermüdbarkeit als um eine
dauernde Parese resp. Paralyse handelt; daß hier bei dem im ganzen tang-
sam progressiven Verlaufe ein Wechsel von der Art besteht, daß erstens
die Intensität der Symptome — speziell der Augenmuskellähmungen, der
Sprach- und Schlingatorungen — schon im Laufe eines Tages sehr wechselt,
ao daß diese Lähmungen morgens manchmal kaum nachweisbar und abends
sehr erheblich sind; daß ferner sowohl einzelne Symptome für längere Zeit
zurückgehen, andere an ihre Stelle treten lassen, um nach einiger Zeit In
alter Stärke wieder sich zu zeigen, als auch alle Symptome und damit das
ganze Leiden für lange Zeit verschwinden kSnnen: ja daß sogar, wenn auch
in seltenen Fällen, volle Dauerheilungen eintreten können, so bietet damit
das Krankheitäbild soviel Eigenartiges, daß es für den, der von seiner Exi-
stenz überhaupt weiß, wohl kaum verkannt werden kann.
Scharf abgegrenzt ist es damit erst einmal gegenüber der progressiven
atrophischen Bulbärparalyse. Es kommt zwar auch bei der Di'CHRXXBscfaen
klassischen Bulbärparalyse, namentlich im Anfang vor, daß die Ermüdung
einen erheblichen Einfluß auf die Schwere der Störungen hat, niemals aber
geht das soweit, daß die Erscheinungen, wenn sie erst mal vorhanden sind,
nach längerem Ausruhen Überhaupt verschwinden und erst bei Funktionierung
der betreffenden Muskeln zutage treten. Auch Besserungen und Stillstände
kommen wohl bei der progressiven atrophischen Bulbärparalyse vor; aber
nicht das Zurückgehen schwerer St-örungen im Gebiete einzelner Muskeln
bis zur vollständig normalen Funktionierung und auch der rasche Wechsel
in den Erscheinungen, wie er in den so charakteristischen Tagesschwank un-
gea bei der myasthenischen Paralyse zutage tritt. Dauernde Heilungen und
länger andauernde vollständige Intermissionen des Leidens kommen hier
nicht vor.
Dazu kommt bei der asthenischen Paralyse die stete Beteiligung der
Augenmuskulatur, des Stirnaugenastes des Fazialis, das frühe Ergriffensein
144
ßulbfirparalyscn.
der Kau- und Nackenmuskulatur ^ alles Din^e, die bei der DccHBNNESchen
Form zum mindesten außerordentlich selten vorkommen. Besonders ist dann
hierwiedercharakteristisclidteausgeprägte Atrophie der ergriffenen Muskulatur,
speziell der Zunge, und die häufige Verbindung mit der typischen spinalen
progressiven Afusketatrophie; ebenso das Vorkommen von elektrischen Stö-
rungen im Sinne der partiellen Entartungsreaktion oder, wenn diese, wie
oft, nicht klar nachzuweisen ist, wenigstens der Befund efner deutlichen und
primären Herabsetzung der elektrischen Krrogharkeit in den atrophischen
Muskeln. Nicht selten sind hier auch die Pyramidenhahnen mitorkrankt und
es finden sich spastische Symptome in den Kxtremitlitun. Dazu kommt
schlieüllch noch, daß die progressive ßulbärparalyae eine Krkrankung des
höheren, die asthenische eine solche des jugendlichen Alters ist.
Die weiter oben beschriebenen Formen des angebornen Kern-
schwundes und der hereditären infantilen Bulbärparalyse unter-
scheiden sich von der asthenischen Form, mit der sie in bezug auf die Lo-
kali^iation der Lähmungen gewisse Analogien haben können, schon durch
das angeborne oder sehr frQhzeitige Auftreten der Symptome, ebenso durch
das familiale Auftreten bei der zweiten genannten Krankhcitsfnrm Außer-
dem sind in beiden Fällen deutliche Muskelatrophien vorhanden; beim an-
gebornen Kernschwund fehlt in den erkrankten Muskelgebieten die elektrische
Erregbarkeit ganz.
Über die Unterscheidung von mit bulbären Symptomen verknüpfter
Dystrophia musculorum progressiva — namentlich ein Lagophthal-
mus ist hier häufig, ebenso die Schwäche der Lippenmuakulatur — ist
oben im Kapitel der progressiven BulbSrparalyse wohl alles gesagt.
Tumoren im Hirnatamme und speziell in der Medul la ohlon-
gata rufen die Frscheinungeii der Hulbärlähmung ebenso wie die asthe-
nische Paralyse langsam und allmählich hervor. Schwere Allgomeinerschei-
uungen , vor allem die Stauungspapille und auch Kopfschmerzen können
hier lange fehlen. Dagegen pflegt am Anfang meist eine deutliche Halb-
seitigkeit der Symptome und Erscheinungen nlternierender Hemiplegie vor-
handen zu sein; außerdem beteihgen sich noch sensible und sensorische
Hironerven — Trigeminus, Acusticus — und die langen motorischen nnd
sensiblen Leitungsbahnen. Bei denjenigen Tumoren, die von der Nachbar-
schicht aus, z. B. vom Kleinhirn oder von der Schädelbasis ans dio Modulta
komprimieren — kommen dazu im ersten Falle noch die Symptome der
Klein hirnerk rankung und iu beiden Falten schwere allgemeine Tumor-
erscheloungon — Erbrechen, Kopfschmerzen und vor allem Stauungspapille.
Bei Kleinhirntumoren können allerdings die bulbären Symptome vom
Anfang an doppelseitig sein ; nicht selten h^ben sie aber auch hier den
Charakter der Hemiplegie oder der alternierenden Hemiplegie.
Auch fQr die Encephalitis pontis gegenüber der asthenischen Paralyse
kommt außer dem mehr akuten V^erlauf vor allem die Beteiligung anderer
Gebiete des HlrnstammeB als der betreffenden Muskelkerne allein in Betracht.
Und wenn auch hier eine ganze Anzahl von Fällen beschrieben worden
sind» die in Heilung übergegangen, so wird man doch mit RiJcksicht aul
andere zur Sektion gekommene Fälle schließen müssen, daß in diesen Fällen
echte Entzündungen bestanden haben werden, deren Vorhandensein ja^ wie
wir heute wissen, eine Restitutio in integrum nicht ausschließt. Die akute
Polioencephalitis auperior ist durch Ursache, akuten Verlauf und Sym-
ptome, namentlich schwere Allgemeinsymptorae so erheblich von der
asthenischen Bulb&rparalyse unterschieden, dnß auf diese unterscheidenden
Momente hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Sehr viel
schwieriger ist die Unterscheidung gewisser, nach Fleisch-, Wurst- und Fisch-
vergiftung auftretender Läbmunicserscheinungen von der uns hier beschäf-
Rulbftrparalysen.
145
tidrenden Krankheitsform. Sie beteiliüren ebenfalls die Au^enrnuskulatur, die
bulbärpn Kerngebiete und Hpinale Zentren und zeichnen sich neben akutem
Auftreten auch durch ihre Fiöchtigkeit aus. Kin Heiapiel habe ich oben ge-
geben. Wichtig ist, daß, wie auch mein obiger Fall zeigt, in diesen Fällen
mit Vorliebe gerade diu inneren Augenmuskeln — Akkommodation^ Pupille
— beteiligt werden, die bei der asthenischen Paralyse frei bleiben.
Während die in typischer Weise von den FQlien zu den bulbären
Zentren akut aufsteigenden Fälle von LAXUHYscher Lähmung wohl mit
der myasthenischen Paralyse nicht zu verwechseln sind, gibt es wegen des
Qesamtverlaufes sicher hinzuzurechnende Fälle, bei denen trotz im ganzen
aszondiorenden Fortschreitens doch im Anfang die Symptome auf mehrfache,
später konfluierende Herde im Hirnstamme und Rückenmark hinwiesen.
Dann kann das Augenblicksbild, da ja hier wegen des akuten Verlaufes
Muskelschwand und degenerative elektrische Störungen im Sinne der
Entartungsreaktion fehlen, mit der asthenischen Paralyse nahe verwandt
sein: der Verlauf wird aber rasch die Entscheidung bringen. Dasselbe ist
der Fall bei denjenigen Kraokheitsbildern, die man als akute Poliomyelo-
encephalitis bezeichnet hat und die von den eben erwähnten wohl kaum
scharf zu trennen sind. Dagegen ist die Unterscheidung einer mehr chro-
nischen, bisher nur klinisch bekannten Form der PoHomyeloencephalitis
von der asthenischen ßulbärparulyse überhaupt manchiiml nicht möglich,
besonders da hier auch Ermüdungserscheinungen beobachtet worden.
Opi'KNHRem hebt allerdings das Vorhandensein deutlicher Muskelutruphie und
elektrischer Störungen — entweder partielle Entartungsreaktion oder er-
hebliche Herabsetzung bis Fehlen der Erregbarkeit hervor Umstände,
die dann auch wieder Schwäche der Sehnenreftexe bedingen; aber wir haben
oben gesehen, daß es Oberhaupt noch nicht feststeht, ob nicht diese Sym-
ptome auch bei der echten aathenischen Bulbärparatyse schließlich sich ein-
finden können.
Mit der Hysterie ist sicher, ehe man das Krankheitsbild der astheni-
schen Paralyse genau kannte, dieses Leiden in seinen ersten Stadien öfters
verwechselt worden. Heute ist das wohl nur noch bei ziemlich trrubnach-
lässiger und oberflächlicher Untersuchung möglich; eigentlich nur dann,
wenn man bei jedem nervösen Leiden, das am häufigsten bei jugendlichen
weiblichen Individuen auftritt, immer nur an Hysterie denkt. Wenn auch
der Wechsel in den Symptomen und die Klagen über allgemeine Abge-
schlagenheit und Schwäche an Hysterie denken lassen konnten, so ist doch
der objektive Symptomenbofund fast niemals ganz negativ und vor allen
Dingen kann bei der Art der Symptome für den einigormalien Kundigen
kein Zweifel sein, daß es sich nicht um Hysterische handeln kann. Dahin
gehört die Form der Augenmusketlähmungen, vor allem die Art der Sprach-
und Schlingst orangen, die asphyktischen Anfälle etc. etc. Ich kann hier
nicht au! Einzelheiten eingehen, will aber doch darauf hinweisen, daß die
Frage der echten hysterischen Augenmuskellähmungen überhaupt noch nicht
genug geklärt ist und daß die hysterischen Schling- und speziell auch die
Phonationsstörungen das an sich haben, was man Massivität genannt hat;
die Hysterie gibt sich nicht mit Kleinigkeiten ab; hier besteht immer totale
Schlucklähmung and totale Aphonie. Natürlich fehlt dann auch das Sym-
ptom der Ermüdbarkeit und der myasthenischen Reaktion.
Dali die ErmQd- resp. Erschöpfbarkeit der Muskeln bei der Neurasthenie
mit der bulbären Asthenie verwechselt werden könnte, dürfte nach Oim^en-
HKi^i -*) nur dann möglich sein, wenn die Symptome der Asthenie zunächst
allein die Extremitäten beträfen , was immerhin selten ist. Auch ist die
Erschöpfung bei der Neurasthenie eine rein p83'chische und kann aus psy-
chischen Gründen ebenso rasch entstehen wie verschwinden, was bei der
Soejelop. JftlirbUoher. N. F. IV. (ZUI.) \V^
14H
Bulbfirparalyseti.
Myasthenie nfcht der Fall ist: ganz abgesehen davon, daß aoch das klioische
Bild der P>8chÖpfbarkeit bei der Myasthenie, wie aas meiner Darstellung
wohl hervorgoht, ein ganz anderes ist und ganz andere Gebiete betrifft wie
bei der Neurasthenie.
Therapie. Hat man die Diagnose der myasthenischen Paralyse ein-
mal gestellt, so ist dann die richtige Behandlung eigentlich von selbst
gegeben. Da es sich um rein motorische Symptome handelt, um Schwäche-
SQStände, die bei jedör Anstrengung der betreuenden Muskeln sofort zu-
nehmen oder überhaupt erst eintreten: da außerdem, was Oppenheim^) be-
sonders hervorhebt und was auch ich in meinen Fallen immer bestätigt
gefunden habe, die Anstrengung eines jeden Muskelgebietes schwächend auf
die übrigen zu wirken scheint, so z. B. dalS längeres Gehen und Stoben bei
noch gar nicht besonders deutlicher Schwäche und Ermüdbarkeit
in den Muskeln der Beine und des Humpfes schwächend und lähmend
auf die bulbären Funktionen wirken kann, so ist im Beginne jeden-
falls und auch später jedesmal, wenn die Krscheinungen stärker hervor-
treten» eine vollständige und länger ausgedehnte Bettruhe vonnöten. Leider
gelingt es bei der langen Dauer des Leidens und dem starken Wechsel in
der Intensität der Symptome nur selten, diese Ruhe so lange auszudehnen,
als es notig wäre. Natürlich ist es besonders wichtig, die meist in hervor-
ragendt-r Weise beteiligten bulbären Muskelgebfete vor Überanstrengung zu
hüten, nicht nur um ihrer selbst willen, sondern besonders auch deshalb,
weil die Krfabrung lehrt, daß Überanstrengungen in einzelnen dieser Gebiete
besonders leicht auch Erschöpfung der Atemmuskulatur und damit
schwere und lebensgefährliche Asphyxiezustande hervorrufen ; entweder des-
halb, wie Oppenheim-*) meint, weil diese Muskulatur z. B. beim Sprechen
und beim Schlucken besonders dann, wenn Hustenanfälle durch Verschlucken
auftreten, meist mit in Funktion treten muß oder weil die Erschöpfungs-
zustände des einen Kerngebietes auch die benachbarten für die Atem-
muskoln leicht irradiieren.
Daä Sprechen und Lautlesen ist ja leicht ganz zu verbieten. Schwierig
ist es dagegen, die Übermüdung der Schlingmuskulatur zu vermeiden. Erstens
ist es nötig, da eine gewisse Auswahl in den Speisen und spe/Jell in ihrer
Zubereitung zu treffen. Feste Speisen, namentlich harte Brotrinden können
meist schon nicht gekaut werden ; aber auch zerkleinerte festere Massen
werden nach meinen Erfahrungen oft schlecht geschluckt; sehr dünne
Flüssigkeiten komuien andrerseits wegen Lähmung des Gaumensegels be-
sonders leicht durch die Nase zurück. Meine Patienten haben ~ das stimmt
natürlich auch für andere Formen der Bolbärparalyse — besonders leicht
immer dickere, fast breiige Suppen geschluckt, die man ia auch besonders
nahrhaft herstellen kann. Aber auch dabei ist große Sorgfalt und Auf-
merksamkeit nötig; namentlich muÜ man den Patienten zwischen den einzelnen
Schluck bewegungen Zeit zur Erholung lassen ; meine oben beschriebene
Patientin konnte auf einmal nur den Inhalt eines Teelöffels schlucken. Die
Aufnahme einer einigermaßen genügenden Mahlzeit ist deshalb eine Arbeit, die
viel Zeit in Anspruch nimmt. Zu raten tat nach Oppenhimu ''*} auch dazu, die
Haoptnahrungsaufnahme in die Morgenstunden zu verlegen, da dann die
bulbären Muskelgebiete ausgeruht und weniger rasch ermüdbar sind.
Schwierig ist die Frage, ob die Anwendbarkeit der Schi imilsonde zur
Ernährung bei der Myasthenie am Platze ist. Nachdem ich in meinem auch
von Oppenheim untersuchten und mitgeteilten Fall direkt an eine Sonden-
fütterung einen rasch in tödliches Lungenödem übergehenden AsphyxieanfaU
flieh anschließen sah , würde ich mich nicht gern wieder zu dieser Behand-
lung entschließen. Daß die kaum zu vermeidenden heftigen Würgebewegungen,
dJe mit der Sondeneioführung verbunden sind, gefährlich sein müssen, ist
BuJbärparuIyscn.
14
ja ofane weiteres klar. Freilich ist es auch mir traulich, ob man die Sonden-
fQtterüDg: immer wird vermeiden können; Oppenhkim*-M rÄt dazu, vorher eine
Kokainpinselung des Rachens vorzunehmen ; ist aber diese f^anz ftefahrlosV
Von elektrischen Behandlungen sind alle dieien{ß:en zu vermeiden , die
Muskelzuckangfen oder so^ar tetanische Muskelanspann ungcn hervorrufen,
also jede Faradisation abf^esehen von den kurzen Applikationen zu
Unterhuchunj^szwecken : Joli.v und Oppf.n'hkiu sahen in einem Falle bei
Faradisation der Atemmuskeln einen Erstickungrsanfatl eintreten. Milde.
konstante StrOme in Form direkter Durchströmung der Medulla oblongata
können wenitrstens nicht schaden , wenn man hier die Auslösung des gal-
vanischen SchluckreTlexes und überhaupt jede Stromunterbrechung unter-
läßt. Die Anwendung gymnatischer Übungen wäre ein direkter Kunstfehler.
Medikamente helfen nichts. Während der Intermissionen wäre eine
klimatische Kur in Wald- oder Gebirgsklima bei Vermeidung jeder körper-
lichen Anstrengung, also auch hier hauptsächlich als Liegekur, wohl ange-
raten; von Wasserbehandlungen sieht man meiner Ansicht nach besser ab.
5. Die Bulbärparalyse durch Tumoren im Hirnstamme selbst.
Im Bulbus meduUae ohtongatae wie im ganzen Hirnstamrae kommen
von Tumoren hauptsächlich Gliome — nicht selten auch diffuse
Gltomatose und zystisch entartete Gliome — und SoUtärtuberkel
vor. Seltener sind Sarkome und Gummata. Da es sich bei den Gliomen
um angeborne Anlage zur Qcschwnlstbildung handelt und da auch SoUtär-
tuberkel im Gehirn am häufigsten in frQhen LebensaUern vorkommen, so
werden die Bulljärpuralyson durch ÖeschwQlste im Marke des Bulbus selbst
besonders häufig und, man kann wohl sagen, in der Überwiegenden Mehr-
zahl bei Kindern beobachtet.
Das Leiden ist ein im allgemeinen langsam progressives, doch kommen
z. B. durch Blutungen in das Gewebe der Gliome auch akute Verschlimmerungen
vor und es kann hier sogar, wenn ein Gliom, wie das bei seiner histolo-
gischen Art möglich ist, zu Zerstörungen der von ihm infiltrierten Nerven-
Substanz und damit zu Ausfallserscheinungen noch nicht geführt hat, das
ganze Leiden zunächst akut einsetzen, dann remittieren und schließlich erst
tangsam progressiv verlaufen. Die allmählich auftretenden Symptome sind
natürlich wieder die Lähmungen im Gebiete des d. — 12. Himnerven, so-
weit sie die motorischen Nervenkerne angehen, mit Atrophie und Ent-
artungsreaktion; ferner von Affektionen der im Bulbus gelegenen kardialen,
vasomotorischen, respiratorischen und anderen Zentren: schließlich die von
Beteiligung der langen motorischen und sensiblen Leitungs bahnen. Beim
Übergreifen auf den unteren Kiemhirnschenkel kommen durch Lä^ion der
Kleinhirnnackenstrangbahn auch ataktische Erscheinungen vor, die manch-
mal nur die Soile der Läsion betreffen, aber im übrigen ganz der zerebellaren
Ataxie gleichen. Nur selten und meist nur für kurze Zeit beteiligen die
Medullatumoren nur die eine Hälfte des Bulbus; namentlich einseitige Läh*
mungen der in Betracht kommenden Nerven durch Läsion ihrer Kerne kommen
schon deshalb nicht oft zur Beobachtung, weil die bulbären Nervenkerne —
ganz speziell die des Hypoglossus — ganz nahe an der Mittellinie liegen
and deshalb, wenn der eine ergriffen, meist auch der andere beteiligt ist.
So kommt es, daB in t>'pischen Fällen auf der Höhe des Leidens das Bild
einer doppelseitigen ausgeprägten Bulbärparalyse mit schweren Sprach-,
Schling- und Phonationsstörungen, mit atrophischer Lähmung der Zunge,
mit Störungen der Herztätigkeit, der Respiration, eventuell mit Diabetes
mellitus, vorhanden ist, die sich von der chronisch progressiven Form der
atrophischen Bulbärläbrnung nur dadurch — aber allerdings scharf — unter-
Vi*
148
Bulbärparalysen.
scheidet, daß neben den motorischen auch sensible (Trigeminus) und sen-
sortsche — Akustikus- und Vestibularnerven — mit entsprechenden Sym-
ptomen beteiligt sind^ und daß die Läsion der langen motorischen und
sensiblen Leitungsbahnen sich durch spastische Lähmungen und Gefilhls-
stSrungen an den Extremitäten kundgibt. Doch können, im Anfange nament-
lich, natürlich auch Heuiipleprien und alternierende Hemiplegien — H.vpo-
glossus. Trigeminus auf Seite der Läston, spastische Lähmungen und Ge-
fühlsstörungen an den Extremitäten der anderen Seite — zur Beobacbtung
kommen, |a selbst so scharf umscbriebene Krankheitabilder, wie ich sie oben
als charakteristisch für eine Erweichung im Gebiete einer Arteria cerebellaris
inferior beschrieben habe, sind bei Tumor in der Medulla oblongata in sel-
tenen Fällen beobachtpt.
Die Signatur einer durch Tumor hervorgerufenen Bulbarlähmung wird
nun hier wie bei den Himlumoren überhaupt durch die neben den so-
genannten Herdsymptomen zur Beobachtung kommenden sogenannten all-
gemeinen Hirneymptünie bedingt — vor allem die Stauungspupille — . dann
den Kopfschmerz, das Erbrechen und eventuell die Konvulsionen. Dabei ist
aber zu bemerken, daii wie bei den intramedullären Tumoren des Hirnstammes
übf rhaupt, auch bei denen im Bulbus die Stauungspapille fange, ja für die
ganze Dauer des Leidens, fehlen kann, und daß auch die Kopfschmerzen gering
sein k5nnen, am scltensti^n wird wohl das Erbrechen fehlen; Konvulsionen
sind im ganzen nicbt häufig und können, wie wir oben sahen, auch bei in
volle Heilung übergehenden bulbären Enzephalitiden vorkommeu. Dieses
bilufi^ mangelhafte Auftreten der allgemeinen Tumorerscheinungen bei den
Tumoren des Bulbus kann es bedingen, daü man in manchen Kälten zwar
wohl die Diagnose eines organischen Leidens im verlängerten Marke dia-
gnostizieren^ aber nicht seine Tumornatur erkennen kann. Dazu kommt noch,
dali. was alle Autoren als besonders merkwürdig hervorheben, auch die Lokal-
symptome von Heiten des Bulbus bei Tumor in demselben oft wenig deut-
lich, manchmal sehr wechselnd sind, so daU man unter Umständen sogar
Zweifel an der organischen Natur des Leidens oder wenigstens an dem Vor-
handensein einer gröberen Störung haben kann; man muß dann zunächst
eine symptomatische Diagnose — Cephalaea, Vertigo — stellen oder man
denkt gar an Hysterie; an Paralyse erinnert das Krankheitsbild vor allem
dann nicht selten, wenn neben dt'm Tumor im Hirnstamme starker Hydro-
cepbalus internus besteht. Erklären läßt sich das nur aus der Häufigkeit
gerade gliomatöser Neubildungen an dieser Hirnstetle und der schon hervor-
gehobenen langdauornden Schonung der eigentlich nervösen Substanz, durch
die sich das Gliom auszeichnet; durch eine schwere Blutnng in ein hier
sitzendos Gliom kann auch ein plötzlicher Tod bedingt werden, ohne daß
überhaupt vorher irgendwelche deutlicbe Krankheitssymptome von seiten
des Nervensystems beobachtet sind.
Ein größerer Tumor der Medulla oblongata kann nach oben auf das
Kleinhirn und nach vorn auf den Pons drücken und entsprechende Sym-
ptome hervorrufen. Ponssymptome sind schon fast in allen Fällen mit
vorhanden, wenn die bulbäron Symprome deutlich sind.
Über die Diagnose des Tumors der Medulla oblongata ist damit schon
viel gesagt. Wir haben die Umstände besonders hervorgehoben, die manch-
mal verhindern, daß ntan au! die Natur, manchmal auch, daß man auf den
Sitz des Leidens kommt. Mischen sich zu den Bulbussymptomen solche von
Seiten des Pons oder des Kleinhirns, so wird man, wenn man, wie so oft, vor
dem ausgebildeten Symptomenkomplexe steht, nicht entscheiden können, in
welchem der in Betracht kommenden Hirnteile der primäre Sitz des Tumors
zu suchen ist. und vorsichtig nur die Diagnose eines Tumors der hinteren
Schäöeigrabö stellen.
BulbArparalysen.
149
Von der progressiven atrophischen Bulbärparalyse unterscheidet den
Tumor auch ohne deutliche Allgeraeinsymptome, der systematische, auf die
motorischen Kerne beschränkte Charakter des ersteron Leidens; die Unter-
scheidung von einer subakuten Bulb&rmyelitis kann dagog^en unter solchen
Umständen kaum möglich sein ; ein V^erlauf in dauernde Heilung ist hier
natfirlich für Myelitis entscheidend.
Über den Verlauf des Leidens ist oben alles gesagt. Nicht selten ist
ein plötzlicher, im Augenblicke nicht geradt> erwarteter Tod durch Lähmung
der Atraungszentren oder auch durch erhebliche Blutung in den Tumor,
speziell bei Gliomen.
Die Prognose Ist natürlich eine ganz schlechte. Eine operative Be-
handlung kommt bei einigermaßen sicherer Diagnose nicht in Frage; eine
antisyphilitiscbe Therapie wird man immer, aber meist ohne Erfolg ver-
suchen, da Gummata sehr selten sind und auch nicht immer auf Queck-
silber und Jod reagieren.
6. Die Kompressions-Bulbärparalyse.
a) Dui-cb Tumo/vn in der Nuchharscfttift tJes Baibma; bintere Sch&delgrube, Föns,
Kleinhirn.
Die OeschwQlste im Marke des Bulbus selbst wirken durch ihre Art;
das Gliom durch seine infiltrierende Natur, der Tuberkel durch seine zer-
störende Wirkung auf die Organe des Bulbus selbst nur In sehr wonig kom-
primierender Weise; ich habe deshalb diese Geschwulst hesonders abgehandelt
und bringe unter dem Kapitel Kompreasionabulbärparalyso nur die Tumoren
in der Nachbarschaft des Hirnstammes an der B^sis der hinteren Schädel-
grube, im Pons und im Kleinhirn. Auch vom mittleren Ohre können Gesciiwülste,
s, B. primäre Karzinome, ausgehen und nach und nach die einzelneu benach-
barten Himnerven ergreifen.
Die Tumoren an der Basis der hinteren Schädelgrube können von den
Knochen, den Häuten und den Nervenwurzeln ausgehen. In ersterer Beziehung
kommen Osteome und Osteosarkome, auch reine Sarkome in Betracht; dazu
auch tuberkulöse Wucherungen ; in den Häuten entwickeln sich Sarkome,
Endotheliome und Cholesteatome; in den Nervenwurzeln selbst sogenannte
Neurome oder Neurofibronie. Die letztere Oeschwulstbildung hat eine be-
sondere Vorliebe für den Akustikus, doch geben Neurome auch von den
bindegewebigen Anteilen des Fazialis, Vagoakressorius und Glossopbaryngeus
aus; sie bilden die Geschwülste des sogenannten KleinhimbrQckenwinkels. die
oft eine sehr bestimmte und eine sichere Diagnose gestattende Sympto-
matologie haben. Ähnlich wie die Tumoren der Häute wirken auch gummöse
und die seltenen umschriebenen tnberkulöpen Prozesse an den Häuten der
hinteren Schädelgrub©. V^on den bulbaren Nerven werden der 8. — 12., nicht
so selten erat der 8. allein oder der 8. mit dem 7. getroffen. Später folgen
dann der 9., 10.« 11. und schließlich der 12. Hirnnerv mit entsprechenden
Symptomen. Wir haben also im Beginne des Leidens einseitige Störungen
des Gehörs, nicht selten verbunden mit MEMfeRKschen Schwindelsymptomen,
dann einseitige Fazialislähmungen, später auch Beteiligung des 9. — 11. Hirn-
nerven, einseitige Lähmung des Gaumensegels, des Stimmbandea und des
Musculus cucullaris und stemocieidomaatoideus schliemich eine halbseitige
atrophische Zungenfähmung; dann kommt es zur Kompression des Hirn-
stammes und von hulbfir bedingten Symptomen nun zunächst zu ausge-
prägten Schling- und dysarthrischen Sprachstörungen , ebenso zu AfTek-
tionen des sensiblen Quintus. Die Halbseitigkeit der Läsion zeigt sich auch
auf diesem Gebiete durch anfangs nur gekreuzte spastische Extremitäten-
l&hmuDgen ; später kann natQrlich die Kompression auch den ganzen Bulbus
150
Bulbärparalysen,
ft
betreffen und sind dann die Symptome doppetseitige, wie sie es meist von
Anfang; an bei intramedullaren Tumoren dieser Geir^nd sind. Zu gleicher
Zeit wirkt der Tumor dann auch komprimierend auf die Brücke und mischt
dem bisherigen Krankheitsbilde LiUimunjfen im Gebiete des .'>., 6. und 7. Hirn-
nerven bei; ferner auf das Kleinhirn, wodurch zu den übrig'en Krscheinungen
dann vor allem noch die zerebellare Ataxie kommt.
Vom Knochen ausgehende Sarkome, manchmal auch Chondrosarkome,
kommen schließlich auch noch ß:anz in der Nahe des Foramen occipitale
vor. sie können die eigentlichen bulbären Nerven und Zentren ganz frei
lassen und nur eine allmählich totale Paraplegie aller vier Extremitäten
bedingen; öfters wird aber auch noch der Nervus hypoglossus ein- oder
doppelseitig beteiligt.
Die aligemeinen Tumorsymptome sind bei den Geschwülsten an der
Basis der hinteren Schadelgrube im Gegensatz zu den Tumoren im Hirn-
stamme Hei bat intensiv und hochgradig : namentlich wird eine deutliche
Stauungspapille nicht lauge vermifH.
Kleinhirntumoren können bulbäre Symptome sowohl durch Kom-
pression der bulbären Nerven an der Basis cranii, also ebenso wie die basalen
GeschwülsteT bedingen oder häufiger durch Kompression des Bulbus selbst.
Dahin gehören dysarthrische Sprachstörung, Dysphagie : Anfülle von Sin-
gulius; Störungen der Respiration — CHKY.\KST(>KKsaches Atmen — and
Störungen der Herztätigkeit. Durch plötzlich vermehrten Druck auf die
Atmungs- und Herzzentren tritt gerade bei Kleinhirntumoren nicht selten
ein ganz plötzlicher Tod ein. Auch die durch Kompression der langen
Leitungsbahnen in der Medulla oblongata bedingten Störungen fehlen hier
natürlich nicht. Doch werden diese bei Kleinhirntumoren meist schon im
Pons komprimiert , und auch sonstigefPonssymptome: Abduzens- und Blick-
lähmnngen, Trigeminus und FazialisslÖrungen sind hier natürlich häufig. Die
Allgemeinsymptome sind, darin stimmen alle Autoren überein. bei Kleinhim-
tumoren immer besonders deutlich und früh vorhanden ; namentlich ist oft
das Erbrechen ganz besonders (|uälend und vielleicht hier ein Nachbarschafts-
symptom von Seiten des Bulbus.
Ponsgesch Wülste können bulbäre Symptome schon durch doppel-
seitige Läsionen der Stabkranzfasern zu den bulbären Kernen, die die Brücke
durchziehen, bedingen; also in Form der Pseudobulbärparalyse (s. unten);
durch Kompression nach unten können sie aber auch echt bulbärparalytischo
Symptome hervorrufen, die dann nicht andere sind wie bei den Tumoren,
die im verlängerten Marke selbst Ihren Sitz haben. Die Allgemeinsymptome
verhalten sich bei Geschwülsten im Pons ebenso wie bei solchen im ge-
samten Hirnstamme; namentlich die Stauungspapille knnn lange fehlen.
Die Diagnose auf Tumor an sich ist bei Geschwül&ten an der Basis
und im Kleinhirn wegen der Schwere der Allgemeinsymptome meist leicht;
die Diagnose der Ponsläsionen wird erleichtert durch die außerordentliche
Prägnanz der Lokalsymptome, worauf hier nicht weiter eingegangen werden
kann. Die Diagnose des speziellen Sitzes: Basis. Kleinhirn. Pons oder
Bulbus selbst, kann nur gestellt werden, wenn der Kall von Anfang an
genau beobachtet ist; auf der Höhe mischen sich die Symptome von seilen
der verschiedenen Hirnteile so, doli eine Unterscheidung in dieser Beziehung
nicht mehr möglich ist. Tumoren an der Basis der hinteren Schädelgrube
zeigen zunächst einseitige Lähmungen im Geoiete der hinteren Hirnnerven,
erst später, und zwar im Anfange halbseitige Erscheinungen von Kompression
der Brücke und des Bulbus meduUae obtongatae und damit gleichzeitig oder auch
später Kleinhirnsyniptome. Sitzen die Geschwülste im Kleinhirn, so werden
im allgemeinen die spezifischen Kleinhirnsymptome die ersten sein und
darauf wohl halbseitige Nervenwurzel- und halb- oder doppelseitige Hürn-
Bulbärparaly^cn.
15t
stamnisyniptorne folgen. Doch könuen Tumorea im Kleinhirn, namentlich in
den Hemisphären, auch lange Zeit uhne jedes Lokalsymptom bestehen und
dann eher Symptome von der Nachbarschaft als von ihrem eigenen Sitze
auslösen. Hei Geschwülsten mit primärem Sitze in der Brücke werden natür-
lich die BrÜckensyraptorae im V^ordergrunde stehen.
Geschwülste an der Basis der hinteren Schlidel^rabe können operativ
entfernt werden, besonders wenn sie so pr&gnante Symptome hervorrufen
wie die Geschwülste — Neurofibrome — im Kleinhirnbröckenwinkel. die
außerdem die anliefernden Hirnteile nur komprimieren und leicht aus ihrem
durch Kompression und VorHchiebung derselben {geschaffenen Laf^er heraus-
zulösen sind. Auch Kleinhirngeschwülste sind bei genauer Lokaldiagnose
mehrfach wenigstens insoweit mit Glück operiert, als dann das Leiden nicht
weiter schritt und nicht zum Tode führte, während schon vorhandene Sym-
ptome, besonders oft leider doppelseitige Erblindungen, allerdings trotz ge-
lungener Tamoroperation nicht mehr zurückgingen.
ß) Die Aneurysmen der Arterias vertebraJis und bast/aris.
Die Aneurysmen in den Qeffißen der Basis der hinteren Schfldelgrube
— den beiden Arteriae vertebralea und der Arteria basilarls — verdanken
Ihren Ursprung am häufigsten der Lues; außerdem kommen Traumen und
Atheromatose der Gefäiie in Betracht. Da gerade bei der Syphilis neben dem
zum Aneurysma ausgedehnten Gefäbe meist auch eine groUe An/.ahl anderer
Gefäße in spezifischer Weise ei krankt sind, so ist es nicht immer leicht,
im einzelnen Falle zu sagen, welche Symptome speziell auf das Aneurysma
allein zurückzuführen »ind. Das Aneurysma der basalen Arterien wirkt zu-
nächst bei zunehmendem Wachstum wie ein Tumor der Basis, d. h. es treten
sowohl Reizungen wie LHhmungen der in Betracht kommenden Hirnnerven,
später Kompressionserscheinungen von selten des Hirnstammes auf. Dabei
ist nach Oim'K.nhkim ^) ein aus dem oft sehr geschlängelten Lauf des
Aneurysmas hervorgehendes CbarAkteristikum, das bei eigentlichen Tumoren
der Basis jedenfalls sehr selten sein dürfte, ein alternierendes Verhallen der
Hirnnervenlähmniigen; so z. B. Lalimung des Hypoglossus auf der einen, des
Vagoakzessorius auf der anderen Seite, oder ein gleiches Verhalten zwischen
Vagoakzessorius und Fazialis. Ferner sind ledenfalU häufiger als bei
echten Tumoren, statt der Lähmungen rhythmische Zuckungen, z.B. von
Gaumensegel und Fazialis beobachtet. Außer dem tangsam progressiven
Zunehmen der Erscheinungen kommen dann auch akute, zum Teil wieder
zurückgehende Verschlimmerungen alter und ein Auftreten neuer Sym-
ptome vor; zum Teil bedingt durch rasche Schwellungen des Aneurysma-
sackea, zum Teil wohl auch durch Blutgerinnselbildung und Thrombosierung
in den Asten der vom Aneurysma ergriffenen Arterie. So treten Anfälle von
Sprach- und Schlingstörungen, von Herz- und AtemstÖrungen auf, in einem
solchen Anfalle kann der Patient auch schnell zugrunde gehen, oder die
Symptome bilden sich zunächst, wenigstens teilweise, wieder zurück. Schließ-
lich kommt es aber zu dauernden Lähmungen der bolbären Hirnnerven und
der langen, den Bulbus durchziehenden Leitungsbahnon. also auch zu Hemi-
plegie. Hemianästhesie oder Paraplegie.
Für die Diagnose ist wichtig der Befund eines arteriellen Geräusches
am Hinterkopfe, das nicht selten auch der Kranke hurt, manchmal aber nur
der Beobachter. Durch Kompression der Subclavia oder der Vertebralls
am Hais auf einer Seite kann man wenigstens bei Aneurysmen einer
der Vertebralarterien das Geräusch vorübergehend zum Verschwinden
bringen, während es hinterher dann besonders deutlich ist. Beide Verte-
brales längere Zelt zu komprimieren würde in diesen Fällen aber gefährlich
sein. Leider tritt dasselbe Geräusch auch bei sehr gefäßreichen Tumoren
152
Bulbärparalysen.
anderer Art. so bei Tumoren, die ein QefäÜ komprimieren, manchmal ein.
ebenso bei Hydrozephalus; bei kleinen Kindern mit offenen Fontanellen ist
es Bo^&T immer vorhanden; es ist also kein absolut verläßliches Symptom
lör Aneurysma
In allen Ffillen von Verdacht auf Aneurysma der basalen Arterien
^ebo man Inn^e Zeit große Dosen .Jndkali, was besonders deshalb auch
indiziert ist, weil eine große Anzahl von Aneurysmen syphilitische Ätiologie
haben. Doch habe ich auch in einem Falle von traumatischem Aneurysma
dauernde Heilung auf Jodkali eintreten sehen. Gelingt dte Heilung durch
Jod nicht, so ist die Prognose sehr schlecht, da Unterbindungen z.B. einer
Vertebraüs wohl kaum viel nützen werden, und der Tod tritt dann durch
zunehmende Erweichung im Bulbus oder durch Platzen des Aneurysmas ein.
y) Bei Karies der obersten Halswirbel, des AtlantooccipitalgeleBkes und der
ff in terha uptsc/iuppe. ■
Eine Karies der obersten Halswirbel, des Gelenkes zwischen Wirbel-
säule und Hinterhaupt und der Hinterhauptschuppe selbst kann auUer atro-
phischen Lähmungen im Gebiete der Hypoglossi und Akzessorii auch bul-
bäre Symptome — Sprach , Schling- und Herzstürungen — bedingen. Dazu
kommt dann noch eine aUmähtich eintretende Paraplegie aller Extremitäten.
Charakteristisch ist die außerordentliche Scbmerzhaftigkeit bei Bewegungen
des Kopfes, ferner das Auftreten von Senkungsabszessen, speziell auch von
Ketropharyngealabszessen. Doch können die Nackensteifigkeit und die
Schmerzen bei Kopfbewegungen ebenso bei Tumoren, namentlich solchen, die
vom Knochen in der Nahe des Foramen occipitale ausgehen, vorkommen
und in einem von mir beobachteten Falle von Sarkom der Halswirbelsäuie
wurde durch weiche Tumoniiassen hinter der Rachenschleimhaut auch ein
Retropharyngealabszeß vorgetäuscht. Unterscheidend wirkt dann manchmal,
daß eine Extensionsbehandtung, die bei Karies die Schmerzen fast immer
lindert, bei Tumor sie verschlimmert, worauf auch Oi'PENHBim hinweist.
Therapeutlach kommt nur eine langdntiernde Extensionsbehandlung in
Betracht. Durch plötzliche Verschiebungen der erkrankten WirbolkÖrper
kann sofortiger Tod eintreten.
B. Bulbürpamly tische Einzelsytnpiome oder ganze Sywptoinonkoniplexe bei
Erkrankungen anderer und oft ausgedehnter Teile des Nervensystems.
1. Bei der Tabes dorsalis.
Bei der Tabes dorsalis können alle Nervenkerne und Wurzeln der
Medulla oblongata in Mitleidenschaft gezogen werden; also die absteigenden
Trigeminnsworzeln und ihr Kerngebiet, der AkusUkus, die Kerne und Wurzeln
des Glossopharyngeus und Vngoakzessorius und des Hypogtossus. Es ent-
stehen dadurch Störungen im Hautgefilhl des Gesichtos. der Zungen- und
Mundschleimhaut; dann solche von selten des Herzens^ Magendarnies. des
Pharynx und Gaumensegels , des Kehlkopfes und des äußeren Astes des
Akzesäorius; schließlich von Seiten der Zunge. Am häufigsten werden gewisse
von Affektionen des V'agus abhängige Störungen, wie die Herzstörungen und
die Magenkrisen, ferner die Gefühtsstorungen im Trigeminusgebtete beobachtet;
sehr viel seltener sind krankhafte Erscheinungen im Gebiete des Akustikus
und in den den Larynx und Pharynx versorgenden Zweigen des Nervus vago-
accessorius; ebenfalls selten die Anomalien im Gebiete des Hypoglossas.
Häufig tritt nur eine oder die andere der beschriebenen Störungen im Ver-
laufe einer Tabes ein; es gibt aber auch Fälle, wo die verschiedenartigsten,
ja alle bulbären Symptome zusammentreffen, und man kann dann, namentlich
wenn die spinalen Symptome nicht sehr erheblich sind, von bulb&rer
i
Bulbärparalysen.
153
Tabes sprechen. Ja, ich selber sah eine Anzahl von Fällen, wo neben den
bolbären Symptomen und neben Aug:enmu8kellähmung:en auch noch andere
nicht fiferade gewöhnliche Symptome der Tabes sich zeigten, so z. B. Arthro-
pathien, PeroneuBlähniun(f, Malum perforana pedis, so daß der Fall geradezu
ein Museum fQr die Symptomatolot^ie der Tabes doraalis bildete. Die einzelnen
Symptome können im ganzen Verlaufe der Tabes, sehr frQh oder auch sehr
spät eintreten; meist langsam und schleichend progredietn; einzelne aber auch
Akut oder in Schüben mit akuten Verschlimmerungen
Die Störungen im Gebiete des sensiblen Trigeminus bestehen entweder
in einfachen oder schmerzhaften Parästhesien — Gefühl von Taubheit,
Ameisenkriechen: Gefühl, als ob Spinnweben im Gesichte säßen: oder Em-
pfindung von schmerzhaftem Brennen; — oder aber in Anästhesien besonders
des Schmerzgefühls. Männliche Patienten bemerken die Störung öfter am
frühesten durch die taube Kmpfindung beim Rasieren. Die Störungen kennen
nur die Gesichtshaut oder diese und Mund- und Zungenschleimhaut, oder
die letztere allein betreffen. Die Störung ist oft segmeutär nach Lage der
Kerne für die einzelnen Partien der Hautgebiete des Trigeminus im auf-
steigenden Trigeminuskerne angeordnet; mehrnialN sah ich sie zunächst über
dem oberen Teile des Unterkiefers und vor dem Ohre, direkt sich anschließend
an ein anästhetisches Gebiet im Bereiche der obersten Zervikalnerven; in
«inem anderen Falle waren gerade diese Gebiete frei und nur die zentralen
zwei Drittel vom Gesicht und der Stirn anästhetisch. Bei ausgeprägter Anästhesie
zeigt sich auch manchmal Ataxie -- besonders deatlich sah ich ataktische
Zungenbewegungen; beim Kauen kann dann Zunge und Backenschleimhaut
leicht zwischen die Zähne geraten und gebissen werden ; ^eim Sprechen, das
dysarthrisch war, und beim Mundspitzen traten auch im Gesichte ataktische
Zuckungen auf; auch in der Hube war die Nasolabiatfalte der anästhetischen
Gesichtaselte in einem meiner Fälle immer verzogen.
Von trophtschen Störungen im Trlgeminusgebiet wird am häufigsten
ein schmerzloses und ziemlich rasch eintretendes Ausfallen gesander Zähne
beobachtet; dazu kommt noch eine Atrophie dos Alvoolarrandes und des
ganzen Kiefers. Selten sind Herpes zoster, Geschwüre im Gesicht und auf
der Mundschleimhaut, neuroparaly tische Keratitis.
Mehrmals sah ich bei Tabes — öfter allerdings bei Paralyse — eine
rasch zunehmende, auf die nervösen Anteile des Gehörorganes zurückzu-
führende Schwerhörigkeit eintreten. In einem meiner Fälle war sie mit
ausgeprägten MRNiC:Hh:schen Anfällen verbunden.
Im Vagoaccessorius-Gebiete kommt am häufigsten eine dauernde Puls-
beschlenntgung zur Beobachtung. Selten sind sogenannte Herzkrisen — pa-
roTcysmale Tachykardie mit Angst ohne Schmerzen, oder schmerzhafte,
ganz an Angina pectoris erinnernde Anfälle. Es mag noch erwähnt werden,
daß nicht so ganz selten auch Klappenfehler an der Aorta sich konstatieren
lassen.
Ein verhältnismäßig häufiges bulbäros Symptom sind die Magenkrisen.
In typischen Fällen handelt es sich um ein urplötzlich aus voller Gesundheit
auftretendes, mit heftigen Schmerzen in der Magengegend verbundenes Würgen
und Erbrechen. Zunächst wird der Mageninhalt ausgebrochen ; dann folgt
Magenschleim und Galle. Im einzelnen können die Anfälle sehr verschieden
sein. So sah ich nicht so selten die Schmerzen In der Magengegend ganz
fehlen — in anderen Fällen können die eigentlichen Brechanfälle durch An-
fälle heftiger Schmerlen ersetzt werden. Sehr verschieden ist auch die
Menge des Erbrochenen ; in einzelnen Fällen wird oft unter heftigstem
Würgen nur wenig herausgebracht, in anderen muli eine enorme Magensaft^
hypersekretion bestehen, ganze Eimer von Flüssigkeit werden erbrochen.
Der Anfall kann einige Stunden, aber auch viele Tage danern — oft schließen
154
Bulb&rparalys«a.
sieb nach kurzer Pause neue Anfälle an. So sah ich vor kurzem ein 8 Wochen
langes Erbrechen, das nur einige Male ein paar Tage sisticrte. Meist liegen
allerdings Wochen und Monate zwischen den einzelnen Anfällen. In den ge-
wöhnlichen Fällen hört das Erbrechen , wie es gekommen, auch plötzlich
wieder auf. der Kranke der durch die Anorexie und die meist vorhandene
Angst und Schlaflosigkeit sehr heruntergekommen ist, bekommt rasch wieder
Appetit und erholt sich meist wunderbar schnell. Lebensbedrohend habe ich
die Anfälle nie werden sehen; wie sehr sie aber den Organismus angreifen, sah
ich z. B. daran, daB jedesmal im Anfalle eine sonst ganz leichte Abduzensparese
wieder sehr deutlich wurde und wieder Doppelbilder bedingte; Ori*K\HEiM
erwähnt eine nur im Anfalle totale Pupillenstarro, und das Auftreten an-
ästhetischer Zonen am Rumpfe während dos Anfallen. Als rudimentäre Magen-
krisen sah ich mehrmals Anfälle von stundenlang andauerndem Würgen
mit Anorexie. Die Magenkrisen können sehr froh bei der Tabes auftreten,
wenn alle übrigen Symptome noch sehr gesucht werden müssen ; auf-
fällig war mir in meinen Fällen, daß sie meist keine Dauersymptome
sind, sondern nach mehrfachem Auftreten im Verlaufe einiger Jahre wieder
verschwinden.
Sehr viel seltener als Magenkrisen sind Anfülle von Koliken mit Diar-
rhöen, die man als Darmkrisen bezeichnet.
Im Gebiete des Kehlkopfes sind Störungen verhältnismäßig selten. Am
häufigsten werden sogenannte Larynxkrisen beobachtet, Anfälle von Husten,
die an Keuchhustenparosysmen erinnern und zu erheblicher Atemnot und
Grsticlvungsgefahr führen können. Im Anfalle können die Patienten unter
Umständen das ßewulitsein verlieren und hinschlagen (Larynxschwindel). Die
Anfälle kommen von selbst zustande oder nach Verschlucken; Oppkahkim')
konnte in einem Falle von einem schmerzhaften Punkte zwischen Kehlkopf-
und Sternocleidomastoideus die Anfälle auslösen. Häufiger als ausgeprägte
Krisen hörte ich ein andauerndes trockenes Hüsteln ohne Auswurf. Neben
diesen Reizerscheinungen oder isoliert kommen dann Lähmungen — meist
einseitig und zunächst die Stimmbandaddukt'Oren betreffend vor. In diesen
Fällen sah man schon bei ruhigem Atmen einen iiibpiratortschen Stridor;
peutlicher wenn der Patient z. B. eine Treppe steigt; mit dem Kehlkopf-
apiegel sieht man da« betreffende Stimmband bei der Inspiration nicht nach
aalten gehen. Mehrmals sah ich auch eine einseitige völlige Stimmband-
läbmang mit ihrer Folge für die Phonation. Kine einseitige Lähmung dta
Gaumensegels sah ich nur einmal mit gleichseitiger Sbimmbandlähmung.
Pharynxlähmungen sind noch saltener; als Pharynxkrisen beschreibt
Oppenheim 1) klonische Krämpfe in der Pharynxmuskulatur, die manchmal eine
halbe Stunde anhielten und glucksende Geräusche bedingten. Auch sie waren
durch Druck in die Tiefe neben dem Kehlkopfe auszulösen. Einige Male ist
Lähmung und degenerative Atrophie im Cucullaria und Sternocleidomastoideus
beobachtet; etwas häufiger noch halbseitige Zungenatrophie, die [a aber
keine deutlichen Funktionsstörungen macht.
In einzelnen Fällen von Tabes dorsalls wurde auch Glykosurie beob-
achtet. Es ist nicht immer leicht zu sagen, ob es sich hier um eine Kom-
bination von Diabetes und Tabes handelt — beide syphilitischer Ätiologie — ,
oder um ein bulbäres Symptom der Tabes. Ausschlietlen mulS man natür-
lich eine Pseudotabes peripherica bei Diabetes, die aber sehr selten ist.
Anatomisch beruhen die bulbären Erscheinungen der Tabes auf De-
generation der Kerne des Bulbus oder auch unabhänirig davon ihrer Nerven.
Von Kernen ist bisher erkrankt gefunden die spinale Trigeminuswurzel und
das Ganglion Gasseri. das Solitärbündel, der hintere Vaguskern — aber
bisher nicht der sogenannte motorische Kern des 10. Nerven — der Kern
des Akustikus und des Hypoglossus. Isoliert erkrankt von den bulbären
Bulbfirparalyscn.
155
Nerven fand man bisher den Vagus und einen Ast den Rekurrens, ferner
den Akcstikus, Qlosaopharyn^eus und Hypoglossus (OtTKXHKiM ').
Die Diagmose der tabischen Butbärsymptome stellt man aus dem Vor-
handensein der typischen Tabessyraptome — Lichtstarre der Papillen, West-
ruALscbes Zeichen, lanzinierende Schmerzen und anderes mehr — sowie aus
der syphilitischen Anamnese. Irregreführt kann die Diagrnose nur werden,
wenn die Bnlbärsymptonie sehr aus^eprft^t und die 8onstig:en tabischen Sym-
ptome noch sehr prcrinierfiltfi^o sind.
Therapeutisch kann ich ti:*^?en die Brechanfälle nur energische In-
jektionen von Morphium empfehlen. Sie tindern meist den Schmerz und die
Naueea und sind in schweren FfiUen bei den frroßen Qualen des Kranken
gar nicht zu umgehen. Qegen den Hustenreiz hat mir am besten Kodein
geholfen — in Dosen von 0*03 — 0U6 — . Die Übrigen bulbären Erscheinungen
der Tabes erfordern besondere therapeutische Malinahmen nicht.
*
f
2. Bei der multiplen Sklerose.
Bei der multiplen Sklerose sind bulbäre Symptome nicht ao häufig
und vor allen Dingen lange nicht so ausgeprägt wie bei der Tabes. Der
charakterjBtiscbe lotentionstremur findet sich ja oft an den Augenmuskeln
— Nystagmus — und wurde von mir auch in den Kau- und Qesichtsmuskeln
beobachtet; aber im eigentlichen Bulbusgebiet zeigt er sich sehr selten; am
ersten noch an den Stimmbändern durch tremulierende Phonation. Die sklero*
tische Sprachstörung ist wohl zum Teil, soweit sie dy^arthisch ist oder
näselnd (Parese des Gauniensegels), durch bulbäre Herde bedingt (sie beruht
dann auf Paresen in der OeMichts-,, Zungen , Gaumen-, Kehlkopfmu»kulatur)
— zum Teil ist diese Störung aber abhängig von Herden über dem Bulbus — ,
sie ist also pseudobulbärparalytischer Natur ; ebendahin gehört auch das
nicht seltene Zwangslachen. Schliickstörungen und erhebliche Paresea der
Zunge sind sehr selten, kommen aber vor. Die Phonation ist nicht nur
tremolierend, sondern oft auch monoton, umklappend, schwach.
In seltenen Fällen sind die bulbären Störungen der Sklerose so aus-
geprägt und stehen so im Vordergrunde der Symptome, daß man von einer
bulbären Form der Sclerosis multiplex sprechen kann. Neben den bisher
beschriebenen Symptomen können dann auch Parästhesien, Schmerzen unrf
Anästhesien im Trigeminusgebiete. Hörstörunrjen und Anfälle von Ohrschwindel.
Pulsbeschleunigung und asphyktische Anfälle vorkommen; auch gastrische
Krisen, ganz wie bei der Tabes, sah ich einmal. In solchen Fällen kann
auch das Schlucken schwer gestört sein und die Zunge gelähmt und atrophisch.
Die bulbären Symptome können akut, sogar apoplektiforni als
erste Krankheitserscheinung der SklerosM eintreten und dann allmählich,
manchmal rasch, vollständig oder fast vollständig wieder zurückgehen. Es
besteht dann zunächst das Kraukheitsbild der Encephalitis bulbi. aus dem
sich allmählich oder in Schüben eine disseminierte Sklerose entwickelt. Aber
auch langsam und allmählich können die Bulbäraffektionen eintreten; dauernd
and sehr ausgeprägt sind sie meist erst im vorgeschrittenen Stadium vor-
handen.
Anatomisch finden sich die hier nicht näher zu beschreibenden sklero-
tischen Herde. Sie können sehr klein und multipel sein., aber auch diffus sich
auf grobe Teile des Längs- oder Querschnittes des Bulbus ausdehnen. Oft
sind sie so ausgedehnt. daU es wunderbar erscheint, daß die klinischen
Symptome so geringfügig waren: das trifft aber für die sklerotischen Herde
in allen Gebieten des Zentralnervensystems zu. Übrigens können nicht nur
die betreffenden Kerne, sondern auch die Nervenwurzeln im intrameduUarea
Verlauf ergriffen werden; selten letztere außerhalb des Markes.
156
Bulbärparalyä€n.
3. Bei der Syriogomyelie. ^
Auch bei der Syringomyelie sind bulbäre Symptome und Symptoraen-
komplexe nicht Bellen; Im Gegensatze zur Tabes und multiplen Sklerose
sind sie hier besonders olt nur halbseitig; meist treten sie erst im späteren
Stadium der Krankheit auf. Betroffen werden von den bulbären Nerven and
ihren Kernen die sensible spinale Trigfeminuswurzel ; der Glossopharyn^eua-
und Vagoakzessoriaskern, der Hypoglossuskern — eventuell der Akustikus;
der Facialis und Abduzens und g:anz selten der motorische Trigeminus sind
auch wohl einmal beteiliRt^ doch handelt es sich hier nicht mehr um bulbftre
Kerne. Von den langen Leitungsbahnon werden Im Bulbus die Pyramidenbahn
auch während ihrer Kreuzung, das Schleifengebiet und die Fibrae arcuatae
intornae vor ihrer Kreuzung und die Kleinhirnseibenätrangbahn sowie auch das
gesamte Corpus restiforme öfter vom Krankheitsprozeli ergriffen. Die Er-
scheinungen von Seiten der spinalen Trigt^ minus wurzeln ähneln sehr denen
bei der Tabes dorsalis. Zunächst handelt es sich um Farästhesien schmerz-
hafter, brennender Natur; sehr häufig nach ScHLKSiNGKR*")auchumein schmerz-
haftes Kältegefühl: Hann um Hyperästhesie: später um Anästhesien^ die vor-
züglich das Schmerz- und das Temperaturgeföhl beteiligen, aber auch das
TastgefUhl nicht ganz ungestört lassen. Die Lokalisation der sensiblen Stö-
rungen im Trigeminusgebiete richtet sich nach der aegraentalen Anordnung
im spinalen Trigeminuskerne; da meist der anatomische ProzelS vom oberen
Halsmarke allmählich auf die Medulla Qbergeht, so werden erst die distalsten
Teile des Kernes ergriffen. Ist der TrJgeminuskern noch unbeteiligt, reicht
aber der Prozeb schon ins Qebiet der L*. Zervikalwurzel. so achlieUt die
Anästhesie nach oben mit der sogenannten Scheitel-Ohr-Kinnlinie ab. Wird
der Trigeminuskern mit in den tiereich des syringomyelitischen Prozesses
gezogen, so breitet sich die Anästhesie zunächst am Kinne^ vor dem Ohr
und In der Stirnscheitelgegend aus, nach der Mitte des Gesichtes zu also
mit einer starkkonkaven Grenzlinie abschUeÜend. Wenn die Anästhesie allmäh-
lich vorrfickt, wird das noch fQhlende Gebiet immer kleiner und betrifft immer
zentralere Teile des Gesichtes, zuletzt die Nasengegend und Teile des Auges,
die also wobl von dem proximalsten Teile des spinalen Trigeminuskernes
innerviert werden. Auch die Schleimhäute an Zunge, Mund, Gaumensegel
und Rachen sind oft an der Anästhesie beteiligt; zuerst erkranken nach
ScHLKSiNtiKH 3^) hier die hinteren und seitlichen Gebiete — erst später, wenn
mehr proximale Teile des Trigeminuskernes ergriffen werden, die medialen
und vorderen nach der Wundöffnung zu. Übrigens sind die Grenzen der
Anästhes*egebiete nicht immer gesetzmäßig gteich, da ja die Ausdehnung
des Krankheitsprozesses auf dem Querschnitte der spinalen Wurzel auf
verschiedenen Hohen sehr verschieden sein kann.
Trophiscbe Störungen im Trigeminusgebiete sind bei der Syringomyelie
selten; als sekretorische kommt besonders Tränenträufeln vor.
Im Vagoakzessoriusgebiet handelt es sich um meist einseitige Läh-
mnngen des Gaumensegels, der Kehlkopf- und Rachenmuskulatur. Am Kehl-
kopf ist das Gewöhnliche eine vollständige einseitige Rekurrenslähmung
— seltener und nur im ersten Stadium werden hier einseitige Postikus-
lähmungen beobachtet; Krisen sind jedenfalls sehr selten. Meist ist auch
zu gleicher Zeit im Rachen, Schlund und Kehlkopfe das GefQhl und damit
die Reflexerregbarkeit herabgesetzt. Recht selten ist die Beteiligung des
äußeren Akzessoriusastes mit atrophischen Lähmungen im Gebiete des
Cucullaris und Sternocleidomastoideus.
Die Zunge zeigt im Anfang meist nur geringe Bewegungsstörungen
und leichte Atrophie mit fibrillären Zuckungen , später kann schwere
Hemiatrophie der Zange mit elektrischen Störungen verschiedener Art —
I
BulhArparalysen,
157
I
I
*
Herabsetzung: der Errtigbarkeit oder Zeichen der £ntartung:8reaktion — , aber
auch ohne diese vorhanden sein. Aach dann sind oft die Funktions-
Störungen noch äußerst j^ering.
Dorch die Kombination der Stdrun^L^n im Gebiete des 9., 10., 11. und
12., wohl auch des 7. Gehirnnerven kOnnen Sprach- und Schlingstörunipen
zustande kommen. Die ersteren sind meist nicht gerade erheblich; es kann
sich am Störung^en der Phonation mit Heiserkeit, um umklappende Stimm-
bildung, auch um dysarthrische ISprachstörungen handeln; trotz totaler
Gaumensegelläbmun^ ist oft (ScHLKSixtiKR^^) die Sprache nicht n&seind; manch-
mal kann sie nach diesem Autor auch skandierend sein. Auch die Schluck-
st5runß:en sind meist nicht gerade erheblich, das beruht wohl aul der Halb-
seitigkeit der Affektion, doch kann akut fn Art eines apopli^ktiformen An-
falles auch vorOberffehendo totale Schlinglähmung eintreten , so dati ein
Bissen nur hinuntergebracht wird, wenn er mit dem Pinger tief in den
Schlund geschoben wird. Diego apoplektiformen Anfälle, mit denen öfters
ein ausgedehnter butbärer Symptomenkoaiplex akut einsetzt, verbinden sich
auch bei der Syringomyelie oft mit Schwindelattacken, die vielleicht auf
eine Affektion des Akustikus. resp. de^ Nervus vestibularia hinweisen; sonst
sind Hörstörungf-n kaum beobachtet. Die Herztätigkeit kann — anfallsweise
— sehr verlangsamt oder — dauernd ^ beschleunigt sein. Dyspnoeanlälle,
vereinzelt mit akutem tftdlichon Ausgange, werden von Schlksivgkk^'*) er-
wähnt; sie können auch wohl aln reine Larynxkrisen oder bei Posticuslähniung
oder schließlich bei Verschluckten eiutrtiton. Bulbares Krbrechon wird nur
selten beobachtet , noch seltener Melliturie. Die durch das ErgrJffensein
der Pyramiden , Schleifen- und Kteiuhirnstrangbabn bedingten Symptome
sind natüdich die gewöhnlichen; nur wird es, da die betreffenden Leitungs-
bahnen auch schon im Rückenmarke erkrankt sein können, nicht immer
möglich sein, etwaige AusfallHerscheinungen bestimmt als bulbär bedingt
zu erketmen.
Die hulbären Symptome treten bei der Syringomyelie meist erst spät
ein: manchmal aber auch früh und apoplükiiform; sie können dann im
Krankheitsfalle sehr pravalieren, so daß mau von einem bulbären Typus
der Syringomyelie sprechen kann. Wohl vermöge ihrer Halbseitigkeit
sind sie meist gutartig, können sehr lange bestehen, ohne das Leben zu
gefährden; namentlich fehlen ja oft auch die besonders bedrohlichen Schling*
Störungen.
Anatomisch bedingt werden die bulbären Symptome in den meisten
Fällen durch seitlich gelagerte syringomyelitlsche Spaltbildungen — Syringo-
bulbi — , die meist parallel mit der austretenden V^aguswurzel und über
derselben median vom Hoden des 4. Ventrikels bis lateral in den Strick-
körper verlaufen. Manchmal ist die Richtung eine mehr senkrechte auf die
Längsachse des Bulbus; dann kann die Vaguswurzel selbst durchtrennt sein.
Auch mehr im Innern des Bulbus kann der Spalt liegen, der überhaupt
keine ganz gesetzmäßige Lage hat. Der Spalt durchtrennt dann die spinale
Trigeminuswur^el, zerstört den dorsalen Vaguskern, den Nucleus ambiguus,
den Fasciculus sollt arius oder die entsprechenden Wurzeln, den Hypoglossus-
kern oder seine Wurzeln; die Fibrae arcuatae internae, das Corpus restiforme
— alles im Einzelfalle in sehr verschiedener Ausdehnung und Gruppierung.
Neben der direkten Durchtrennung durch die Spaltbildung können die be-
treffenden Gebiete auch durch eine gliomatoso Erkrankung des betreifenden
Gebietes lädiert werden. Der laterale Spalt ist meist einseitig, sehr selten
doppelseitig. Selten sind mediane Spaltbildungeu mit entsprechenden Läsi-
onen. Auch Qliombildungen, teilweise mit cystischem Zerfall, kommen im
Bulbus vor. Die Zerstörung der langen Leitungsbahnen führt natürlich zu
entsprechenden sekundären Degenerationen.
158
ßulbärparalysen.
4. Bei progressiver spinaler Muskelatrophie und amyotrophischer
Lateralsklerose. J
Die hulbären Symptome bei der spinalen prof^ressiveD Mus-
ketutroplÜL« und der amyotrophischen Lateralsklerose entsprechen
in klinischer Beziehung ganz denen bei klassischer cbroniach-progresBiver
Bulbärparalyee und sind auch anatomisch ebenso begründet. Alle H Krank-
heiten sind überhaupt nur Abarten eines and desselben Qrundkrankheita-
bildes; klinisch unterscheidet sie nur, dali in einem Falle die Symptome im
Rückenmark einsetzen und spilter auf den Bulbus übergehen, im anderen
Falle der Verlaul ein umgekehrter ist. Die Prof!:no8e ist natürlich schlechter
im letzteren Falle. Wahrond die spinalen Symptome bei der spinalen
Muskelatrophie und speziell die spastischen Symptome bei der amyotrophi-
sehen Lateralsklerose zuerst oft halbseitig sind, setzen die bulbKren Sym-
ptome auch hier von Anfang an dop[jelseitig ein. Bei der amyotrophischen
Lateralsklerose ist Zwangslachen und -Weinen als pseudobulbäres Symptom
besonders häufig.
5. Bei der disseminierten Enccphalomyelitis acuta. Akute zentrale
Ataxie (Lf.yden').
Bei der disseminierten Encephalomyelitis bandelt es sich um eine Aussaat
rayelitiftcher Prozesse über das ganze Zentralnervensystem, Großhirn, Klein-
hirn. Hirnatamm und Röckenmark. Das fjeiden setzt meist mit schweren
AllgemeinerRt:heinnngen: voller Bewußtlosigkeit, wilden Dellrißn, erheblicher
chorontischcT Unruhe ein ; häufig besteht im Anfang auch totale Aphasie;
•manchmal auch Neuritis optica. Später handelt es sich um eine aus Ataxie
— wahrscheinlich cerebellarer Art — und Intention stremor gemischte
Störung der Bewegungen der Glieder, die aber auch das ruhige Halten des
Kopfes und das Stehen ganz unmöglich machen. Dazu bestehen an den
Extremitäten spastische Symptome. Von bulbären Störungen fällt vor allem
•die Sprachstörung auf, die am meislen der der multiplen Sklerose gleicht
— also skandierend, oft explosiv ist — aber auch dysarthrisch und manch-
mal nflselnd. Im Anfang sind auch Schlingstörungon vorhanden; doch bleibon
sie nicht lange deutlich; KehlkopIstÖrungen. ferner ausgeprägte Lähmungen
•der 'Zunge mit Atrophie fehlen (Hruns'*). Die Krankheit, die meist
nach Infektionskrankheiten — Influenza, Skarlatina, VariaeUen, Pertussis —
auftritt, hat eine sehr gute Prognose; meist gehen die Symptome rasch
zurück. Doch können auch einige — z. B. Sprachstörungen^ spastische Pa-
rese eines Beines — dauernd bleiben und vielleicht kann das Leiden später
■In multiple Sklerose Obergehen.
6. Bei der Landryschen Lähmung. Paralysis ascendens acuta.
Die bulbären Symptome der LANDUYschen Lähmung beschränken sich
auf das motorische Gebiet, ergreifen aber alle in Betracht kommenden mo-
•torischen Nerven, so den 12.^ den 10. und IL und auch den T. In sym-
ptomatischer Beziehung handelt es sich um paretische bis paralytische Zu-
stände in der Zunge, dem Gaumen^ den Kehlkopf- und Schlundmuskeln und
auch im Fazialisgebiete. Gestört werden dadurch das Schlacken und das
Sprechen, das erstere oft so erheblich, daß kein Bissen mehr hinuntergeht;
die Sprache wird näselnd, dysarthrisch und durch die Stimnibandlähmung
oft tonlos. Die Störungen der Atmung, die durch die gleichzeitige Lähmung
■des Phrenikus und der Interkostalmuskcln bedingt sind, bedingen asphyk*
tische Zustände; der Schleim kann bei der Schwäche der HustenstOße nicht
mehr herausbefürdert werden; der Husten selber ist tonlos infolge der
Stimmbanqparesen. Meist erfolgt der Tod an Atemlähmung oder au Pneu-
^
Bulbärparalysen.
15i»
monie. speziell an Schluckpneumonie. Zu einer Ausbildung von trophischen
Störungen in den irelähniten Muskeln, speziell in der Zunge» ist gar keine
Zeit. In typischen Fällen beginnt die LShmung in den Beinen und steigt
an Rnmpf und Armen zum Bulbus auf. Der Verlauf ist ein sehr rascher.
Manchmal sind die bulbilren Symptome die ersten und in anderen, dem
ganzen Wriaufe nach hierhergehörigen Fällen muß man annehmen, daß das
Leiden gleichzeitig an mnhreren Stellen im Hirnstarame und Bulbus einsetzt.
Dann handelt es ^ich um gleiche Bilder, wie man sie auch wohl bei akuter
Myelitis in mehrfachen Herden sieht, die auch den Hirnstamm beteiligen
und sogar mit Neuritis optica verlaufen kann.
I
N
7. Bei multipler Neuritis s. oben Neuritis bulbaris.
8. Bei Dystrophia muscularis progressiva.
Hoppmann") beschrieb im Jahre 1897 zwei Brüder mit einem ausge-
prägten bul baren Syruptouienkomplex bei progressiver Myopathie. Neben
der bei der Myopathie — speziell der sog. infantilen Form — häufigen
Parese und Atrophie im oberen und unteren Gesichte — Facies myopathica
— mit Pseudohypertrophie der Lippen bestand Parese und Atrophie der
Kaumuskeln, der Zunge und des Gaumensegels mit näselnder Sprache. Das
Schlucken war nicht erschwert. Die Korpermuskulatur zeigte sehr ausge-
dehnte dystrophische Strfinge. Ferner hat Oi'Pemikim >) einen Fall mit Be-
teiligung der Zungen-, Gaumen- und Kehikopfmuskulatur beschrieben. Mehr-
mals, !*o auch von mir selbst, wurde ausgeprägte Pseudohypertrophie der
Temporales und Masseteren beobachtet. Am häufigsten ist. wie gesagt, die
Beteiligung des Gesichtes mit Lagophthalmus, offenstehendem Munde. Über-
hängen der pseudohypertrophischen Lippen.
9. Bei Vergiftungen. Polioencephalomyelitis acuta.
Über das Vorkommen butbärer Störungen bei der akuten und sub-
akuten Form der Polioencephalomyelitis ist schon oben im Abschnitte
Encephalitis bulbi und bei der asthenischen Bulbärparalyse ^cesprochen. Diese
in meist subakuter und manchmal in Heilung ausgehender Weise ver-
laufenden Fäll*» sind besonders häufig nach Fleisch-. Wurst- und Fischver-
giftung beobachtet Es mischen sich hier Augenmuskellähmungen mit den
Symptomen der Glossopharyngolabialparalyse und mit meist einigermaßen
symmetrischen, atrophischen Lähmungen an den Extremitäten. FOr die
Aagenmuskellähmungen ist es in diesen Füllen charakteristisch, daß fast
immer der Akkommodationsmuskel, oft auch der Sphinkter pupillae beteiligt
ist. Einen solchen Fall meiner Beobachtuug nach Wurstvergiftung, bei dem
die balbären Störungen zunächst zurückgingen, eine Miosis aber bestehen
blieb und der P>schoinungen multipler Sklerose zeigte, habe ich oben
beschrieben. In diesem Falle waren im Anfange ausgesprochene Schling- und
Sprachstörungen vorhanden.
10. Bei Karzinose und anderen malignen Tumoren.
Mehrfach sind bei allgemeiner Karzinose zerebrale Erscheinungen von
dem Charakter anatomischer Läsionen beobachtet, bei denen die Sektion
und genaue Untersuchung positive anatomische Befunde nicht ergab. Zu-
erst sind solche Fälle von Oim-rnhkim ") und Bettelheim, dann von Lubarsch
beschrieben; ausgesprochen bulbäre Symptome sah ich in einem Falle von
Karzinom der Wirbelsäule, Nonne") bei intramedullärem Sarkom des Röcken-
markes, das bis ins Halsmark reichte. In meinem Falle bestand rechtsseitige
Atrophie und Lilhmong der Zunge, rechtsseitige Gaumensegellähmang,
Schluckbeschwerden, Vermehrung der Pulsfrequenz und zeitweilig Erbrechen.
160
Bulbärparalysen.
Makroskopisch war der Befund an der MeduUa ^anz negativ; eine mikro-
skopische Untersuchung ist nicht auH^efOhrt. In Nonnks Fall bestanden
Äu^enmuBke)lähniung:en. Störungen im luoturisehen und sensiblen Trige-
minus^ebiete, Schluckstörunjren, schließlich Neuritts optica. Auch hier war
der Befund im Bulbus j^anz neg^ativ.
Über eine ähnliche Beobachtung bei einem Mediastinaltumor berichtet
Oppenheim. Opi'kmieim hat schon bei seinen ersten Mitteilungen angenommen,
daü es sich um Toxine des Karzinoms handle, die die zerebralen Symptome
bedingten und Noxnk**) hat auch neuerdings diese Ansicht wieder vertreten,
obgleich S.\N(i?:K*°) in einzelnen solchen Fällen mikroskopische Krebsmeta-
stasen in den Hirnhäuten nachwies und darauf die Symptome zurückfQhren
wollte. Bei sehr hoch im Höckenmark sitzenden Tumoren kommen Iflr die
etwaigen Bulbärsymptumo Obrigens auch Stauungsüdeme in Betracht.
11. Butbärparalytische Symptomenkomplexe bei Paralysis agitans.
Im Jahre 1904 ^") habe ich in einem Aufsatze zur Symptomatologie
der Paralysis agitans auf das Vorkommen eines bulbarparalytiscben
Symptomenkomplexes bei der Schüttellähmung hingewiesen. Ich konnte
Aber 4 Fälle berichten, in denen fast alle vom Bulbus abhängigen Muskeln
schwer geschädigt waren ; immer bestand schwere Dysphagie bis zur Un-
möglichkeit des Schluckens, dann Erschwerungen der Lippen-, Zungen- und
Gaumenbewegnngen ; in einem Fall© war auch das Kauen erschwert: in
y Fällen fand sich auch eine Störung der Sprache, die einen dysarthrischen
Charakter hatte; stets war auch die Phonation schwach, in einem Falle
die Stimme tremolierend , so daÜ man wohl auch eine Beteiligung der
Stimmbänder annehmen konnte. In drei von diesen Fällen bestand auch
andauernder SpeicheifluU In drei von diesen Fällen waren die Zitter*
bewegungen in den bulbären Muskeln nicht »o stark, daß man auf sie die
bulbärparalytischen Symptome hätte zurückführen können. Wahrscheinlich
handelte es sich zum Teil um echt bulbär-, zum Teil um pseudobulbär
ausgelöste Erscheinungen. Auf die Häufigkeit des Speichelflusses hei der
Paralysis agitans hatte kurz vorher Oppenheiu^*') aufmerksam gemacht: die
übrigen bulbärparalytischen Symptome sind in einer These von Fall Com-
PiN ausführlich zusammengestellt.
I 12. Bei der Chorea minor.
Auch bei der Chorea minor bestehen manchmal sehr ausgeprägte bnl-
bäre Lähmungserscheinungen, ohne dati die betreffende Muskulatur an den
Zuckungen selber erheblich teilnimmt^ so daÜ man diese Symptome eben-
falls mehr als paretlache als wie als spasmodiache auffassen muß. Dahin
gehören erhebliche Störungen des Schluckens, die oft die Ernährung sehr
erschweren, und mehr noch eine nicht so selten in vollen Mutismus —
also totale Aphasie und Aphonie — ausartende Sprachstörung, die in
schweren Füllen durch Monate bestehen kann. Übrigens spielt die Parese
neben den Spasmen in last allen schweren Fällen von Chorea minor eine
erhebliche Rolle, nicht nur in denen ^ die als Chorea paralytica (Chorea
muUis, liinip. chorea) bezeichnet sind. "'>)
C. Die Pseudohalbärpuralysen. Zerebra/e Balbärparalyse,
Die Lähmung der vom Bulbus abhängigen Zungen-, Lippen-, Schlund-,
Gaumensegel- und Kehlkopfmuskulatur mit ihren Folgen für Artikulation,
Schlingen und Phonation kann auch durch supranukleäre Herde — also
solche, die zentralwärts von den bulbären Kernen Ihren Sitz haben — zu-
stande kommen. Da aber wenigstens die eigentliche ArtikuEutionti- . die
Buibärparalysen. ^^^^^F 161
Pbonations-, die Schling- und auch die Kaumu8kul&tur, wie man sagt, In
der Hirnrinde doppelseitig repriUentiert ist, so tritt eine solche Gloaso-
pbaryngeolabialluhmung vom Gehirn aus — die sog. Pseudobulbärpara-
lyse — . von seltenen Ausnahmen abtresehen, nur bei doppelseitigen Herden
auf, die dann ihren Sitz entweder in beiden kortikalen Zentren selbst —
an den unteren Teilen der Zentraiwindungen — oder in der inotorimchen
Bahn von da bis zu den bulbären Kernen haben müssen. Außerdem kommen
sie wohl besonders auch zustande bei doppelseitigen Läsionen der großen
Ganglien — speziell des Thalamus opticus und des Putamen des Linsen-
kernes — , von denen die ersteren ja sicher ein Zentrum der mehr
automatisch ablaufenden Funktionen des SchÜngens, Kauens, teilweise auch
des Sprechens und vor allem auch der mimischen Bewegungen enthalten,
Bewegungen, die iu der Hirnrinde zum Teil nur angeregt werden, um dann
von den subkortikalen Zentren aus ihren Ablauf zu finden. Am seltensten
wird die Pseudobulbärparalyse durch doppeUeitige Erkrankungen der Hinden-
zentren. selbst bedingt — häufiger sind schon subkortikale Herde; dann
solche der inneren Kapsel, speziell auch ihrer hinteren Teile mit Beteiligung
der grollen Ganglien; ferner Herde in diesen allein oder auch noch im
Hirnstamme ob(>rhalb des ersten motorischen Neurones der Bulbärmusku-
latur. Am häufigsten handelt es sich um vaskulär bedingte Herde —
thrombotische Krweichungsherde, Blutherde, Cysten infolge von Atheromatose
der Gef&Ue oder Arteriosklerose mit LQckenbildungen; nicht so selten sind
auch syphilitische Gefäßerkrankungen die Ursache för die gleichen Prozesse;
sehr selten können doppelseilige Tumoren das Krankheitsbitd der Pseudo-
bulbärparalyse hervorrufen ; einmal sah ich es bei doppelseitiger akuter
QroßhirnencepbaliUs ; auch doppelseitige sklerotische Herde können das
Krankheitsbild bedingen.
Da die in Betracht kommenden Gefäßerkrankungen meist sehr diffuser
Natnr sind, nicht nur die Großhirnarterien, sondern auch die des Bulbus be-
treffen, so kann man in sehr vielen vaskulär bedingten hierhergehörigen
Fällen sowohl im Großhirn wie in der Medulla Krkrankungsherde antreffen;
Oppenheim und Siemkri.ing ^^) waren nach ihren Untersuchungen der Ansicht,
daß dieser Befund die Regel sei, daß die meisten Pseudobulbärparalysen eigent-
lich zerebrobulbäre Miacbformen seien; nach den betreffenden Untersuchungen
dieser Autoren sind aber eine große Anzahl reiner Pseudohulbärparalysefälle
zur Beobachtung gekommen, so daß man auch an dem Vorkommen einer
vaskulär bedingten, rein zerebralen Bulbärparalyse nicht mehr zweifeln kann.
Die Pseudobulbärparalyse unterscheidet sich sowohl durch ihr Ein-
setzen und ihren Verlauf wie durch ihre Symptome in mannigfachster Weise
von der echten, durch Läsion des Bulbus selbst bedingten Glossopharyngeo-
labialparalyse. Zunächst — ich nehme dabei nur Rücksicht auf die weit-
aus häufigsten vaskulär bedingten Fälle — bildet sich das Krankheilsbild
fast niemals mit einem Schlage — seltene Ausnahmen müssen zugegeben
werden — , ebensowenig gleichmäßig langsam , sondern mehr schubweise
aas. Das ist deshalb natürlich, weil, wie gesagt, erst mehrere, zum minde-
sten zwei und doppelseitige durch die Btutgefiißerkrankung bedingte Herde
im Gehirn imstande sind, das Krankheitsbild za erzeugen, so daß in den
meisten Fällen die Anamnese das Vorkommen mehrfacher Schlaganfätle mit
ihren zum Teil wieder zurückgegangenen Symptomen ergibt. Da aber die
einzelnen Erkrankungsherde sehr klein sein und erst durch ihre Summierung
deutliche Funktionsstörungen hervorrufen können, können schwerere apo-
plektische Insulte im Krankheitsbilde auch fehlen; nm häufigsten kommt
das bei den senilen Prozessen vor, wie sie von Mahie und FBiinANu be-
schrieben sind. Jedenfalls aber — da meist infolge der ausgedehnten Ge-
fäßerkrankung immer neue Schädigungen eintreten — ist der Verlauf des
Envjrelop. Jahrbücher. X. F. IV. (Xni.) \\
162
Bulbärparalysen.
Leidens ein schubweise progressiver zum Schlechteren ; ein ganz gleichmäßig
langsames Fortschreiten kommt auch dann nicht vor, wenn die einzelnen
Herde zu klein sind, um bei ihrem Eintreten deutliche Insulte hervorzurufen.
WasdieSymptomatologie anbetrifft, so mag zuerst erwähnt werden, daß
in der Regel die bulb&rparalytischen Symptome verbunden sind mit zere-
bralen Lahmungen der Extremitäten, und zwar in der Regel doppelseitigen,
wenn auch nicht beiderseits gleich schweren. Nicht ungewöhnlich ist es auch,
daß nur eine Hemiplegie hpsteht, und es kann später zur Zeit der Unter-
suchung eine Kxtremitätenlähmung ganz fehlen: dann läßt sich aber, wie
OrTKXiiKiM hervorhebt, meist doch durch die Anamnese nachweisen, daß vor-
fibergebend eine solche ein- oder doppelseitig bestanden hat. Wahrscheinlich
wird das am ersten in den Fällen so sein, wo die Erkrankungsherde sich
ganz auf die großen Ganglien beschränken und nur im Anfang indirekt die
innere Kapsel in Mitleidenschaft gezogen haben.
Die Lähmung der Extremitäten selber trägt meist den gewöhnlichen
zerebralen Charakter, sie ist eine spastische mit Erhöhung der Patellar-
reflexe, Achitlpsklonus und Extension <ier großen Zehe beim Bestreichen der
Planta pedis. Doch ist das nicht immer der Fall; es werden auch schlaffe
Lähmungen oder wenigstens solche ohne Erhöhung der Sehnenreflexe beob-
achtet, wie Oi'i'EMiEiM ^) ausfQhrt, am ersten wohldann» wenn die Herde
die großen Ganglien allein ohne die Pyramidenbahnen betreffen oder wenn
neben diesen Bahnen, deren Zerstörung reflexsteigernd wirkt, andere be-
troffen sind , deren Läsion einen Tonus vermindernden Einfluß hat. Meist
sind auch — Oitemieim und SiKMERLixti "■") — die Beine stärker betroffen
als die Arme, auch darin besteht ein Gegensatz gegen die gewöhnlichen
zerebralen Hemiplegien; von französischen Autoren (Bniss.xNi», Le^ons du
Mardi) wird die Art des Ganges, die kleinen trippelnden Schritte «marcbe
ä petita pas« besonders hervorgehoben. In manchen Fällen bei Herden in
den hinteren Teilen der inneren Kapsel finden sich neben Lähmungen auch
Gefühlsstörungen der Extremitäten; ebenso dauernde neuralgische Schmerzen;
in diesen Fällen auch manchmal Chorea oder Athetose in den gelähmten
Gliedern resp. an ihren Fanden.
Die Lähmung der bulbären Muskeln entsprichtfunktionell im ganzen denen
bei der echten Bulbärparalyse; es bestehen also: dysarthrische Störungen der
Sprache und StSrnn:ren der Phonation, Dysphagie, Störungen des Kauens,
der mimischen Gesichtsbewegungen und eventuelle Atniungastörungen. Die
Störung der Sprache kann eine sehr erhebliche sein; manchmal ist sie ganz
onverstäniUich) oft nasal; das Schlucken und die Phonation ist bei reinen
Pseudobulbärparalysen meist nicht so erheblich gestört; sehr schwer gestört
sind die willkQrlichen Bewegungen des Gesichtes; z. B. das Mundspitzen und
das Pfeifen oder das Vorstrecken der Zunge auf Geheiß. Charakteristisch
lör die Pseudobulbärparalyse ist nun, daß die Lähmungen in reinen Formen
den Charakter der Lähmungen dps zweiten motorischen Neurones tragen:
es fehlt also die Muskelatrophie und elektrische Störungen, speziell in Zunge
und Lippen; die Reflexbewegungen, z. B. von Rachen und Gaumensegel fehlen
nicht nur nicht, sondern sind oft gesteigert; als Zeichen eines Vorhanden-
seins eines spastischen Zustande» in den motorischen Gebieten des Bulbus
kann noch Trismus und Zähneknirschen auftreten. Ganz besonders auffällig
aber ist es, daß gewisse Muskelfunktionen, die auf rein willkörlichem Wege
nicht mehr oder unvollkommen ausgelöst werden können, wie z. B., wie wir
sahen , solche Bewegungen dos Gesichtes, auf reflektorischem Wege,
namentlich aber bei psychischen Emotionen, nicht nur zustande kommen, sondern
enorm gesteigert sind und in einer geradezu krampfliaften und, wie Üi'i'KX-
HEiM sagt, explosiven Weise sich äußern. Es handelt eich da um das schon
von OrPBNHEiM und Sieuerling*^) genau beschriebene krampfhafte und zwangs-
BuJbftrparalysen.
163
■wirken müliten:
paralyse ^roüo
kleine Herde in
Aach bei
mäßige Lachen und Weinen, das ein sehr gewöhnliches Symptom der Pseudo-
bulbärparalyse ist; diese Zustände werden erstens abnorm leicht — und zum
besonderen Arg^er der Kranken bei ganz unpassenden Gelegenheiten — aus-
gelost; zweitens sind sie an sich exzessiv: das Weinen z. B. steigert sich
zu lautem, krampfhaftem Schluchzen — dabei geraten die Gesichtamuskeln
in starren tonischen Krampf; die Gesichtshaut rötet sich; die Respiration
kann in Exspiration sliÜHtehen und selbst die Herztätigkeit kann unregel-
mäßig werden (Oi'FB\hkim-Sikmkulin<;). Uas Zustandekommen dieser exzessiven,
mehr automatischen mimischen und emotiven Bewegungen kann man sich
am besten so erklären, daij man. wie oben schon erwähnt annimmt, dat5 in
den großen Ganglien, speziell im Thalamus opticus, Zentren für diese Be-
wegungen vorhanden sind, auf die von Hirnrindenzentren her auf besonderen
Bahnen hemmend eingewirkt werden kann; fallen diese Zentren und Bahnen
fort, so kommt die geschilderte exzessive Tätigkeit zustande (mimischer
Luxus, Haütmaxn). Man möllte dann annehmen, dalJ Läsion der großen
Ganglien selbst lähmend auf diese mimischen Ausdnicksbewegungen ein-
in der Tat hat oft der GesirUtsausdruck bei Pseudobulbnr-
Abnlichkeit mit dem muskenhaften der Paralysis agitans^
den Ganglien selbst könnten aber auch reizend wirken,
den Augenbewegungen findet sich bei der Pseudobulbär-
paralyse manchmal der L^nterscbied zwischen der Ausführbarkeit rein will-
kürlicher und mehr assoziativ angeregten Blickbewegungen. Auf Geheili konnte
der Blick nicht nach bestimmten Richtungen gewandt werden; vorgehaltenen
und bewegten Gegenständen aber folgten die Patienten oder sie wandten
auch den Blick in die Richtunp; eines Geräusches.
Auch unabhängig von den Lach- und Weinanfilllen kommen bei der
Pseudobulbärparalyse Störungen der Atmung, Dyspnoe etc. aufaltsweise vor:
auch die Tätigkeit des Herzens kann dabei in Mitleidenschaft gezogen
werden. Ks ist aber, wie Oppenheim'} mit Recht hervorhebt, gerade für diese
Symptome sehr schwierig zu sagen, ob sie nicht echt bulbärparalytische sind,
da meist ]a auch im eigentlichen Bulbus Läsionen sich nachweisen lassen.
Andere Symptome, die die Pseudobuibnrparalyse oft begleiten, sind
etgenth'ch Komplikationen; ihre Häufigkeit ist aber bei diesem Leiden des-
halb HO groB. weil die Gefätierkrankungpn, die zu den die eigentlichen Pseudo-
bulbärparalysen bedingenden Läsionen führen, meist sehr diffu» verbreitet sind, so
daß die vaskulär bedingtenPruzeHse,nameut[ich Erweichungsherde in allen mög-
lichen anderen Stirngebieten auftreten können. So können sich mit der Pseudo-
bulbärparalyse durch Krweichunffsherdo in anderen Hirngebteten alle Arten
sog. zerebraler Herderkrankungen verbinden: so die verschiedenen Formen der
Aphasie: die reine Alexie ; die optische Aphasie und Seelenblindheit; die
homonyme Hemianopsie; ferner, wie schon erwähnt, auch Hemianästhesie mit
zentral bedingten Schmerzen und Athetoso oder posthemiphlcgische Chorea.
Die Ausbreitung der durch die Gefäliorkrankung bodingten Krnährungs-
störungen des Gehirns bewirkt es auch wohl, daU meist die psychischen
Leistungen herabgesetzt sind; es kommen dabei verschiedene Formen geistiger
Schwäche vor : das Bild der senilen Demenz mit Erregungszuständen ; die
einfache apoplektische Demenz; die arteriosklerotische Paralyse; auch dell-
rante Zustände mit V'erwirrtheit.
Äfanchmal wird durch eine besonders starke Arteriosklerose der Ge-
fäße des Opticus eine Sehnenalrophie — die arteriosklerotische Amaurose
— bedingt; ihr voran kann durch Störungen der Zirkulation in den Sehnen-
gefäÜen eine sog. Neuritis optica geben.
Störungen der Blasen- und Mastdarmtätigkeit können bei Pseudo-
bulbärparalyse fehlen oder aber die Folge schwerer psychischer Störungen
sein, doch kÖDoen doppelseitige Läsionen der Rinde und der groüen Ganglien
164
BulbärparalyseD.
i
I
anch an sich Störungen der Blaäenfunktion im Sinne der Retentio oder In-
continentia urinae bedingen.
Die Dia^noäe der Pseudobulbärparalyse erg:ibt sich aus dem
Einsetzen, dem Verlauf und den Syniptüiiien des Leidens. Es handelt sich,
abßresehen von seltenen Einzelfällen, um alte Personen mit den Symptomen
der allgemeinen Arteriosklerose; häufig also auch mit Herzaffektionen und
arteriosklerotischer Albuminurie. Manchmal findet sie sich auch bei syphi-
litischer Gefälierkrankung und dann natürlich auch schon bei jungen Indi-
viduen. Die Krankheit setzt nicht lang^^am progressiv, aber auch nicht mit
einem Schlage ein, sondern mehr schubweise, in typischen Fällen im An-
schhiU an mehrere Schlaganfälle, die dann auÜer den Lähmungen der bul-
bären Nerven auch ein- oder doppelseitige Extremttätenlähmungen bedingen.
Die bulbären Lähmungen sind nicht atrophische, sondern zeigen unter Um-
ständen spastische Symptome; sehr charakteristisch sind schließlich die auf
mangelhafter Hemmung beruhenden, exzessiv auftretenden Ausdrucks- und
Emotionsbewegungen. Schließlich wirkt sehr bestimmend für die Diagnose
noch das Auftreten von Horderkpankun^en in anderen Himgebioten, wie ich
sie oben aufgezählt habe, sowie die im allgemeinen den Charakter e>ner
Demenz tragenden psychischen Symptome. Alle diese Umstände dürften
wohl zur Unterscheidung von einer chronisch progressiven Bulbärparalyse
genügen, selbst wenn sich dazu als Folge einer Lateratsklerose spastische
Lähmungen der Extremitäten gesellen.
Die akute vaskuläre echte ßulbarparalyse zeigt vor allen
Dingen keine Hirnsymptome, wenn sie nicht schon vor der Butbärapoplexie
bestanden haben. Hier spielt die syphilitische Ätiologie eine ganz hervor-
ragende Rolle. Die Erscheinungen treten mit einem Schlage auf und sind
zumeist aohr schwere, bei irgendwie auBgcdchntoron Läsinnen tritt oft so-
fort der Toii ein. Bleiben die Kranken am Leben, so handelt es sich meist
um halbseitige Jjulbärsymptome ; die Lähmungen betreffen einzelne bulbäre
Nervenkerne und die lungen, den Bulbus durchziehenden Leitungsbahnen und
lassen ganz willkQrUch andere frei. In diesem Falle kommt es in den ge-
lähmt bleibenden Muskeln natürlich auch zur Atrophie und die Lähmungen
sind schlaffe, mit fehlenden Reflexen. Aber da die Lasionen in diesen Fällen
akuter Bulbärparalyse, wenn ste etwas höher sitzen, auch die aupranuklearen
Faserzöge vom Gehirn zu den Bulbuskernen treffen können, so ist die
schlaffe Natur der Lähmungen hier keine ausnahmslose Regel — es können
auch spastische Zustände eintreten und auch die exzessiven Emotions-
bewegungen sind bier wohl selten, aber nicht ganz ausgeschlossen.
Daß die Unterscheidung reiner Pseudobulbärparalysen und der Sekmer-
LiNG-Oi'HENHKiMBchen gemischten zerebrobulbfiren Formen nicht immer mög-
lich ist^ ist natürlich; meist wird man richtig urteilen, wenn man auch hei
sonst typischen Pseudobulbärparalysen das V^orhandensein kleiner Herde
auch im Bulbus nicht ausschließt.
Die Prognose der Pseudobulbärparalyse ist natürlich schon deshalb
eine trübe, weil es sich um ältere, an ausgedehnter Ctefäljerkrankung leidende
Personen handelt. Auch bei syphilitischer Ätiologie handelt es sich dann doch
um sehr ausgedehnte ArteriensyphÜis und neue Anfälle, oft an gefährlicher
Stelle, z. B. im Bulbus selber, können jederzeit eintreten. Immerhin ist die
Dauer des Leidens in keinem Falle sicher zu bestimmen; sie kann eine sehr
lange sein, indem neue Schübe lange auf sich warten lassen; auch erhebliche
Regressionen nach akuten Verschlimmerunsren können natürlich eintreten.
Bei syphilitischer Arteriitis kann man durch etne antisyphililtsche Kur
eventuell einen Fortschritt des Leidens verhüten. Im übrigen wird man die
Kranken so behandeln wie andere an Arteriosklerose mit apoplektischen
i^^J^ezustondon Leidende.
Bulbfirparalyscn,
165
^^^m Pseudobulbärparalyse im Kindesalter.
Bei den sog-enannten infantilen zerebralen Diplee:ien sind einzelne
Bulb&rsymptome — Erschwerungen des Schluckens, Kauens oder Sprechens
— oder spastisrh-athetotische Zustande in der Gesichts-, Zangen- und Rachen-
muskulatur nicht selten: auf das Vorkommen vollkommen pseudobulbär-
paralytischer Symptomenkomplexe bei diesem Leiden hat zuerst Oitsn'hrim'^)
aufmfrkäam gemacht und hat dann auch die spastisch-athetotischen Formen
genauer beschrieben. In den von diesem Autor und später von einer Anzahl
anderer beschriebenen Fällen handelte es sich um aasgeprägte Lähmunpren
oder Paresen im Gebiete der Lippen-, Gaumen-, Rachen-, Kehlkopf- und
ZungennmskuLatur mit den nun sattsam beschriebenen störenden Folgen för
das Sprechen. Schlingen, die Phonation und rlie Mimik, speziell dos unteren
Gesichtes. In dem ersten von OrrKNHKiM beschriebenen Falle wurden z. B.
Flüssigkeiten lange im Munde bebalteu und rogur^itierten auch noch durch
die Nase; festere Nahrung wurde noch schlechter geschluckt; zu pTeifen
und ein Licht auszublasen war der Kranke nicht imstande; die Sprache war
schwer dysarthrisch gestört auch der AugenschtuU war schwach. In anderen
Fällen beschreibt Oi'Pknheim totalen Mutismus, Aphonie und Stimmrilzen-
krampf. Der Charakter der Lähmungen war der echt pseudobulbärparaly-
tische; es fehlten Muskelatrophien und zeigten sich entweder einzelne
Bpastische Symptome oder es traten in den paretischen bulbären Muskeln
mehr weniger ausgeprägte spastische oder choroatisch-athototische Zustände
zutage: fortwährendes Spielen der Mund- und der Übrif^on Gesichtsmuskulatur,
Herumwälzen der Zunge im Munde; schnalzende und schluckende Geräusche
oder maskenartiger Gesichtsausdruck mit Verziehen des Mundes in die Breite.
In manchen Fällen treten die Lähmungen gegen die Spasmen fast voll-
ständig zurück; demnach ist es wohl kaum nötig, wie Pkritz**) es will,
eine spastische und eine paralytische Form der kindlichen Pseudobulbär-
paralyse strenger zu unterscheiden, da erstens hier alle Übergänge existieren
und zweitens auch die Funktionsstörungen in beiden Fällen dieselben sind.
Ganz besonders deutlich ISlit sich, wie ebenfalls Oppe.vheim nach-
gewiesen hat, eine Steigerung bulbärer Reflexe bei der kindlichen Pseudo-
bulbärparalyse nachweisen ; dahin gehört der QppEXHEiMsche »FrelSreflex«,
die Auslösung einer Summe rhythmischer Kau-, Saug- und Schluck-
bewegungen durch Streichen über die Zunge oder die Lippen. Auch eine
Steigerung akustisch-motorischer Reflexbewegungen, die den Kindruck von
Schreckbewegungen machen und die bei diesen Kindern oft beobachtet wird,
hat Ori'ENHFiM zuerst beschrieben.
Die Extremitfiten sind meist, ab^r in verschiedenster Ausdehnung an
den bulbären Lähmungen beteiligt; munchmal nur die Heine, manchmal alle
vier Extremitäten, manchmal beide Heiue und ein Arm. Die Art der Lähmung
der Extremitäten ist eine spastische mit allen ihren sonstigen Attributen
Dagegen habe Ich öfter schlaffe Lähmungen der Nacken- und Rumpfmus-
kulatur gesehen, so daß ein Sitzen und das aufrechte Halten des Kopfes
nicht möglich war. Auch die Extremitäten und der Rumpf zeigen auiSertlem
oft ausgebreitete spastiHoh-athetotische Bewegungen; der Rumpf im Sinne von
wechselnder Lordose und Nackenstarre mit Bohren in die Kissen, aber auch
mit Seitwärlsdrehen des Kopfes. Das sind die Fälle, die man auch als all-
gemein spastische Athetose bezeichnet hat. Auch bulbäres Zwangalachen und
-Weinen wird in diesem Falle beobachtet; die Intelligenz kann in der ver-
schiedensten Art gestört sein; auch Epilepsie kann bestehen: auffüllig ist,
daß gerade in den athetotischen Fällen oft der Verstand gar nicht gelitten hat.
Pathologisch-anatomisch kotnmen die verschiedenen Grundlagen der
Diplegla cerebralis infantilis in Betracht. Beobachtet sind ausgebreitete
doppelseitige Porencephalien . diffuse Sklerose . Mlkrogyrie; auch nach der
t66
Bulbärparalysen. — Bunguris coeruleus.
Geburt können encephalitische Prozesse das Krankbeitsbild hervorrufen.
Oppen'hriu sah spastische Pseudobulbärparalyse bei Mutter und Tochter;
ich sah ein Qeschwisterpaar, bei dem das Leiden sich langsam entwickelte;
erst spastische Parese eines, dann heider Beine, dann der Arme; darauf
bulb&rparalytische Erscheinunß'en; schwere Athetose der Rumpf-, Gesichts-,
Zungen- und Extreniitätonmuskulatur ; hier muU es sich wohl um eine
progressive systematische Erkrankung handeln.
Die Prognose quoad vitam ist bei der infantilen Pseudobulbärparalyse
nicht so schlecht; manche dieser Kinder können all werden; viele sterben
aber auch früh. Besondere Heilmittel gibt es nicht; gerade für die atheto-
tischen Formen kommen auch orthopädische Maßnahmen gar nicht in Betracht.
Literatur: Vi H. OrPENiiKiM, Lrhrbui'li der NtTvi-nkraiikheiteu. Üerlia 1904. 4. Aall, —
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cerebellarifi post. inl. Binibtr. V) beschriebenen Falle. Archiv f. Psych, u. Nervenkrankheiten,
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progresBiv, baibar paralysie. Kewiew ol nearolopy. IÖIKS. Vol. I, püj?. 525. — "» Lkvdiui-
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Handbuch, 2. Aufl. — '') Kuh^MAtL, Die StÖruujfHD der Sprache. Zikusse>> Spez. Pathologie
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an^gcHprocbeoen Symptomen der proÄreMsiven BulbärparÄlyai^. Suhle». Ges. I. vaterl. Kultur;
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Deutsche Zeit^chr. f. Nervenheilkande, 1892, IX. — *'i Wkioeät n. Laqi eh, Beiträge zur Lehre
von der EausehfU Krankheit. Nenrol. Zeutralhlatf, ]90l, Nr. 13- — -"*GoLnKLAM, Weitere«
Über die asthenische Lühiimng nebut einem Sektionnbefundn. Neuro). Zentrnlblalt, 1902,
Nr. 3. — ^•iliiNK, Demonstration von Mn»kelprjtparat4>u hei Myasthenia gravis. Monatschr,
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Uoiiugraphie, 2. Aufl.. Jena. — '*) L. Buuks, Artikel Myelititt. EncyelopUdische Jahrb(lch«r,
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Tber t'inen Fall von intraniedulirir*'m aszeiidiereiiden Sarkom sowie 3 Fülle von Zerstörung
des H;il8mark«a. Archiv f. Psychiatrie, XXXIII , lieft 2. — '*' SinoKR, Über Hirnsymptome
hei Karzinoniatose. Nenrol. Zentralblatt, 1900, Nr. 4 — "jL. Bri-n*, Zur 1'j.thologie der
Paralysi« agitana. NL-urtil. Zentralbl., 1904. — '") ÜppKMaKiJi, Zur Patholujirie der Paralyaia
agitana. Joarn. I. Psychiatrie n. Neurologie, 1903, Nr. 1. — "i BarNn, Beitrüge zur Pathologie
der Chorea minor. Neiirol. Zeutralblutt, 11*05, Nr. 11. — ".( Opmcnukim u. SiRi<Rki.iKa, Mlt-
teilangcn über PaendobDlbärparulyae ond echte Bulbiirparalyac. Berliner klin. Wocbenschr.,
188G, Nr. 48. — ^^) Oppbnueim, CberMikrogyrie nnd die infantile Form der zerebralen GIohso-
pharyngeolabialparalyse. Neurol. Zentralblatt, 1895. L. Bruna,
Bans^aris coernlensy s. Schlangengift.
c.
Cancroin. Perlmaw* berichtet über 2 Fälle von Karzinom, ein
Netzkarzinom und einen Kall von multiplen Karzinomen des Bauchraumea,
bei denen die Anwendung: von Cancroin keinen Nutzen brachte. Cancroin
ist die Trimethylvinylammoniumhydratbase, das Neun'n» und wurde von Ad vm-
KiEWirz In die Praxis einjreffjhrt, welcher Ober 58 günstig beeinflußte Fälle
berichtet hat.
Literatur: PsBLUAair, Zur Wirkniigsweisc des Cancroins. Therup. Monatah., Juli 11K)4,
P&g. 333. E. i^rejr.
Chinin — Chininprüparate (s. Encyclopäd. Jahrb., N. F., III,
pag. 1\). Hekanntlich wird die nubkutane Chinintherapie bei Malaria, viel-
fach verwandt. Al'Frkcht >) sah mit dieser Behandlungsweise auch bei
krapöser Pneumonie recht günstige Resultate. Um die schwer löslichen
Chininsalze leichter löslich zu machen, setzte AuFRBr'HT Athylurethan zu,
und zwar 0*25^ auf 5 t /W einer lLi"/oiffen f.osung von Chinin, hydrochlor.
Bequemer ist es, worauf (). M('m.kk-), der in Hongkong vielfach Chinin sub-
kutan gegen Malaria gibt, hinweist, die von der KAOEschen Uraniaapotheke
in Berlin hergestellten fertigen subkutanen Injektionen in sterilisierten
Einzeldosen zu je 1 cnt* in Glasruhrchen eingeschmolzen zu verwenden.
Als wehen befördernd es Mittel wird Chininum sulluricum
wiederum empfohlen. B.u'kku *) gibt es in kurzen Pausen zu 0*5^ 2 — ;lmal.
Er erzielt damit eine regelrechte Uterustätigkeit mit krilltigen Kontraktionen
and entsprechenden Pausen. Auch Schatz*) empfiehlt das Präparat in Üo.sen
zu 0*25^ 3 — 4mal viertelstflndllch. Nach den beiden genannten Autoren ist
die Wirkung des Chinins rn^hr eine wehenregutierende. Nach Hkcht"'! wird
jedoch die Wehentätigkeit direkt angeregt. In einem Falle war dies so heftig,
daß schließlich Spontaniuptur der hinteren Muttermundslippe eintrat. Bei
engem Becken wäre danach Chinin nur mit Vorsicht anzuwenden. Hin-
gegen ist es sicher indiziert bei Wehenscbwäche muskelschwacher Indivi-
duen. So sah WiESN'ER'^) bei einer Zwillingsgeburt mit primärer Wehen-
schwäche und einer 24Htündigen Pause zwischen der Geburt des ersten
und zweiten Kindes wirksame und genügend frequente Wehen auf 6mal 05 g
innerhalb 24 Stunden gereicht einsetzen.
Von den neueren Chininpräparaton wird von BtoBiCRt; ■^) dasEuchinin
(s. Encyclopäd, Jahrb., N. F., Hl, pag, Hil) wiederum bei Malaria empfohlen.
•Das Präparat muß in genügend grußer Dosis nicht unter VO g und recht-
zeitig, etwa t> Stunden vor dem Anfall gegeben werden. In ganz akuten
Fällen traten nach einer solchen einmaligen Qabe keine Anfälle mehr auf,
bei älteren Fällen rezidivierten sie nach 1 — 2 Wochen. Bl'DBERG verfügt
über 28 Fälle. — Vgl. »Malaria-Prophylaxe«.
168
Chinin. — Chlorbeslimmuag.
Dos Aristochln (s. Enryclopäd. Jahrb., N. F., III, pag. 26) wurde von
BARtiKHiHR*') in V2 Fällen von KeuchhuBleu mit recht faulem Erfoljjre an-
gewandt. Die Kinder waren 3 Monate bis 6 Jahre alt. Er gab Dosen von
Ol — 0*2^ bis zur Wirkung in das Qetrftnk gemischt oder in Zucker ver-
rieben. Üble Nachwirkungen wurden nicht beobachtet.
Chinaeisen wurde in Form eines von E. Mechling in Möhlhausen
hergestellten Chinaeisenbitters von Silüerstein«) hei Anämien verschiedener
Form gereicht. Er gab bei Kindern im ersten Lebensjahre 10 Tropfen^ beP
älteren Kindern bis 3 Kaffeelöffe! tSgllch. Erwachsenen entsprechend mehr.
Die Erfolge waren gute.
Literatur: *) AcrnEmT, Thfrap. Monatall., Febrnar 1903, pag. 67. — ■> 0. UOllbr,
ebenda, Mai 1905. pHjf. 27.">. — ') BxrKitR, DriUlsche med. Wochcnschr., 1905, Nr. U. —
*) ficHAiE. Dcütcche Klinik, IX, jtug. 400. — *} Hecht. Therapie d. Cgenw.. April 1905,
pag. 177. — ") WiKsKFB. Wiener kUn. Rnnd.'fch , 190-1. Nr. 23. — M Budbebo, Pt^tersbur^^r
med. WoclienBchr. , 1904. Nr. fi. — •** BAHnEnrnK, DeutHche med. Wochenachr., 19(>l, Xr. 27,
pag. 093. — *> SiLni.B3TKiK, Allg. med. Zentralztg., 1904, Nr. 7. A'ioaka.
Chlor be Sil mmnns^ nach Vot.HARn. Ä. Prinzip: Nach I. Vol-
HARO tnilt eine Rhridanammoniiimlßsung in einer sauren Silberlflsung. der
etwaH Kisennxydsuli! zugesetzt ist, quaniitativ das Silber als kfisiges Rhü-
danid ; in dem Augenblicke wo allet« SiJbur gefällt iai^ tritt eine dauernde
blutrote Färbung ein durch Bildung von Eisenrhodanid.
Ä Bereitung der Lösungen: 1. Silberlösung: lern-' der Silber-
nitratlüsung soll 10 //j«" Chlornatrium anzeigen. Am einfachsten bereitet man
sich die Lösung, indem man chemisch reines, krlstalHsiiertfs Silbernitrat
vorsichtig in einer Platinschale schmilzt und die Losung so einstellt, daü
sie im Liter 20 04 l'^ Silbernitrat enthält. Man kann zu diesem Zwecke ent-
weder die angegebene Menge direkt abwiegen oder eine beliebige Menge
abwiegen und im VerhnUniH von ^90:^4 zu 1000 auflGsen. Kine andere be-
queme Herstellung der Lusung beruht darauf, daU man eine beliebige
Silberlösung gegen eine 10^ NaCI entlinltende Lijsung titriert. Kine solche
Lösung erhält man. wenn man :1'2 <:m-^ einer kalt gesättigten Steinsalzlösung
auf 70 c/«^ verdünnt. Die Titration erfolgt nach Mohr, indem man die Koch-
salzlösung mit Salpetersäure ansäuert, das Silber wird als Chlorsilber aus-
gefällt, als Indikator dient eine Lösung von neutralem, chlorsaurem Kali,
1:5; die Endreaktion wird durch RotI3rbung (Silhercbroniat) angezeigt.
2. Kisenalaunlösung. kalt gosittigt.
3. Lösung von Hbodanamraon. Die Lösung soll 12-9^4 g im Liter ent-
halten, das Salz ist wegen seiner hygroskopischen Beechaffonbeit nicht genau
abwSgbar« man bereitet deshalb eine konzentrierte Lösung, welche man auf
die Silberlüsung einstellt. Zu dem Zweck werden z. B. '20 cw^ der Silber-
lösung abgemessen, mit b cm^ der Eisonlösung und einigen Tropfen reiner Sal-
petersäure versetzt. Man lälit nunmehr aus einer Bi^rette von der Rhodaa-
amnKjniumlösung so Iringe tropfen^veiae hinzufließen, bis die zuerst bei jedei
Tropfen entstehende und nach dem UinscbÜHeln sofort wieder verschwin-
dende Färbung dauornl bestehen bleibt. Man stelU alsdann durch Verdünnen
die Lösung so ein, daß das gU^iehe Volumen der Silberlüsung durch das
gleiche Volumen Khodaiilösung gefällt wird.
C. Ausführung nach Salkowski : Zu lOr/z/^Harn setzt man 50 bis
60cm' Wasser sowie einige Kubikzentimeter Salpetersäure, bis die Lösung
farblos erscheint, und 10 — 1 5 c/»^ Silberlösung. Man füllt auf lOOcm^ genau
auf, filtriert nach dem Umschötteln und versetzt bOcni^ des Filtrats mit
5 c///' der Kfsenalaunlösung. Nunmehr titriert man mit der Hhodanlösung bis
zur Rotfärbung das öberschDssige Silber zurück. War der Harn nach Zu-
satz der Salpetersäure an sich stark rot geworden, so kann man den Farb-
stoff durch Zusatz von 3^4 Tropfen einer konzentrierten KaÜunjpermanganat-
Clilorbcstimiuung. — Cliloroform,
169
W
^
Losung (1 : 30) zerstören. Das verbrauchte V^olumon der Rhodanlösung wird von
der zugesetzten Silborlosung abgezogen und für jeden Kubikzentimeter des
Restes mit 2 multipliziert \0 mg NaCI in Rechnung gebracht.
Das oben beschriebene einfache Verfahren gibt sehr genaue Resultate.
Es ist nicht nötig , den Harn zu veraschen und das Chlor in der Salpeter-
bäurelÖsung der Schmelze zu titrieren.
Für die Restimmung des Chlors im Mageninhalt wird dasselbe Ver-
fahren genau wie für den Harn angewandt. Zur Bestimmung, nimmt man
10 cw/* des filtrierten Magensaftes, was för praktische Zwecke gentigend
exakte Resultate gibt. KQr ganz quantitative Säurcbestimmungen mulj je-
docJi nach Mahtiis unfiltrierter Magensaft benutzt werden, da sich der Säure-
gehalt mitunter ungleichmäßig auf die festen und flüssigen Bestandteile des
Mageninhaltes verteilt.
2. Verfahren nach Mohei: A. Prinzip: Das sub 1 5 zur Bereitung der
Silberlösung angegebene Verfahren kann auch direkt zur Titration im Harn
benutzt werden, jedoch stören verschiedene Harnbestandteile, wie Harnsäure,
Xanthinbasen, Farbstoffe usw. die direkte Titration im Harn, so daß derselbe
vor der Bestimmung verascht werden muli.
Die erforderlichen Lösungen sind die sub 1 B angegebene Silbemitrat-
lösung und die Kaliuuichromatlösung.
C 10 cm^ Harn werden unter Zusatz von chlorfreiem Salpeter In
einer Platin- oder Nickelschale vorsichtig verascht- Die weiße Schmelze
wird in kochendem Wasser gelöst mit Salpetersäure bis zur schwach sauren
Reaktion vorsichtig angoääuert. Die LÖiung wird mit dem Indikator ver-
setzt und die Silberlösung aus der Bürette so lange zugesetzt, bis Rot-
fftrbung eintritt. Jedem Kubikzentimeter der verbrauchten Silberlösung ent-
sprechen \0 njg Chlornatrium. n. Xua/zcr.
Clilorcalciuni. Qegen Hämorrhoidalblatungen wandte Boas rek-
tale Injektionen von einer 10**/oigen wässerigen Chlorcalciumlöaun;^ mittelst
einer kleinen, gut geölten MastdarmspritT^o an. Ks wurden früh nach der
Kntleerung 20 j^ injiziert und die Flüssigkeit zurückgehalten, hei sehr schweren
Blutungen auch abonds. Die Knoten selbst werden nicht beeinfluUt Die
Injeklioaen müssen in schweren Fällen lange. 4 Wochen tätlich, fortgesetzt
werden. Auf Reinheit des Präparates ist großes Gewicht zu legen.
Literatur: Tlu-rnpie der Gegenwart, Jnli 1904, pAg. 290. E Frey.
Chloroform« Um die Chloroformnarkose angenehmer und gefahr-
loser zu gestalten, empfiehlt DivMi £ >). vor Beginn der Narkose in halb-
stündigen Pausen 5 große Gtä:ser Wasser trinken zu lassen. Kin viertes
Glas erhielton die Patienten unmittelbar vor Aufgießen des Chloroforms.
Hierdurch will DKN'nt: das Chlorolorm, welches während der Narkose in
der Flüssigkeit der Mund- und Rachenschleimhaut gel5.<ft in den Magen
fließt, verdünnen und dadurch den Reiz auf die Magenschleimhaut bzw. das
Erbrechen verhüten. Bei den von ilim ausgeführten Operationen, die aller-
dings gewöhnlicli nur 10 — :?5 Minuten dauerton, war der Erfolg stets ein
vorzüglicher.
L'Haudv*) teilt 2 FSH© mit. in denen noch vor Darreichung eines
Narkotikums während der Vorbereitung zur Operation plötzlich der Tod
eintrat, wie L'Hahdv annimmt, aus Furcht vor der Gefahr der Narkose. Er
hält diese »Furcht« für eine sehr t)edenltliche Komplikation jeder Narkose
und glaubt die bekannte Toleranz bei Kindern auf das Fehlen dieser »Furclit«
zurückführen zu dürfen. Dasselbe soll man bei Negern beobachten können.
Und auch die Ungefithrlicbkeit des Chloroforms bei Kreißenden sei darauf
zorückzuföhren, daß sie wührend der heftigen Wehen gar nicht an die Ge-
fährlichkeil des Mittels denken.
1^0
Chloroform.
CitaHn.
Englische Autoren beginnen nunmehr die Wirkungen des Chloro-
forms und der anderen Narkotika experimentell zu prüfen. Über solche
Versuche berichtet Waller ^), der zu der längst bekannten Tatsache kommt,
daß die Wirkung des Chloroforms von der Konzentration des zur Einatmung
gelangenden Chloroformluftgemisches abhängig sei, sowie Sherrin'ütox und
SowTox. *) Nach diesen Autoren besitzt Chloroform in Kochsalzlösung eine
stärker schädigende Wirkung auf das SäugBlierherz als Chloroform in
Serum oder in Hlut gelost. Dies soll durch Unterachiedu im osmotischen Druck
zu erklären sein.
An der Sauerstoff-Chloroformnarkose mit dem Roth-Drakger-
Bchen Apparat, mit welcher er sonst recht zufrieden ist, tadf-lt RoTHprcHs ■'■)
die Verzögerung des Eintrittes der Toleranz. Namentlich bei Alkoholikern
dauert das Exzitationsstadium erheblich länger als bei Anwendung der
Tropfnarkose. Letztere Methode ist daher in solchen Fällen wenigstens zur
Einleitung der Narkose vorzuziehen.
Über Hedonal-Chloroformnarkoso s. unter Uedonal.
Literatur: ') DKMCct, L;i prrase med., 1904, Nr. lOö- — ') L'HjmnT^ Gaz. des höp.,
1903, Nr. 85. — ') Waixik, lirit iin^d. imirn., 19U4 , Nr. 22S)5. — *) SnKHHiMoTnii and Sow-
TOM, ibidem, Nr. 2273. — *i RornFiiCHa, MUnchener med. Woclifnachr. , 1905, Nr. 17»
pa^. 811. Kioak».
Cbolelysln. Das nach Clrmm i) zusammengesetzte Cholelysin be-
steht aus 10 — 15^ Eunatrol. 30 Tropfen Ananaseasenz, 5 Validol oder
30 Tropfen Tinct. V^aleriana auf "JOO a(]. Mentli. piper. Die ffallensteinloaende
Wirkung, welche ölsaures Natron — Eunatrol im Keagenisglas äutlert, wird
von KLEMrBHKR-) im Körper angezweifelt, von Clemm angenommen.
Literatur: 'l Waltek Nie. Clemm, UcriclitiKnMjr zu df m vr»m ll*^raiirt(ffl>er verfaßtoo
Artikel: »CIht nrtifrt^ Mittel Regen die Gallf'nsttinkrankhf*it< im v(iri«i'n lieft dieser Zeit-
bCbrilt. Dil* Thirapiv ripr Giifi-nwart, Oktober 11104, jm^f. 47^1. — *) Klejipkber, ('her neue
Jlitti^l grgi n dir Cinlleii^lt'inkrnnktieit. Die Tliersipir der Cj»*);**"^**^'*^. Si'pt. 11KJ4, ]>:i|;. 431.
Chorea nilnory butbäre Lähmungserscheinungen, pag:. 100.
Chrom. Eine akute Chromverffiftunji: schwerer Art trat nach Ein-
nehmen von '2 — 'S Klitoffel efnor konzentrierten Losung: von Kaliumblchromat,
wie sie zum Füllen von Kleiiienlen verwandt wird, ein. Die Therapie, Magen-
auäspüluu^üu mit (rl'^/J^Gr Hullenatoinlusung. welche nach S^/j Stunden
ausgeführt wurden, war von H)rfolg. Am zweiten Tage setzte eine Qlykosurie
ein, die bald vurübertring.
Literatur: Adam Lodr, f'litr uincn Fall von akuter Chroiusaurcvergiftting' mit spon-
taner GIyko?urie, gt-JitMlt durch die von K. v. Jakshu empfoUleue Maffenausspülung mit sal-
peteraaarem Silber. Berliner kHn, WocUenBchr., 1Ö04, Nr. 28, pag. 749. E. ß'rcy.
Ciiarin» Das anhydromethylenzitronensaure Natrium ist als formal-
dehydspaltendes Präparat in den letzten Jahren viel gegen Gicht angewandt
worden, und zwar weil die Verbindung des Karnialdehyds mit Harnsäure
eine leicht lusliche Verbindung darstellt. (Vgl. Kncyclopäd. Jahrb., N. F.,
1903, ir pag. \r2, und ebenda N. F., 1905, III, pag. "tS.) Häufig bat man
eine Kombination von Citarin mit Aspirin angewendet. Wjederutn liegen eine
Anzahl lobender Berichte über diese Medikation vor. Allgetuein wird betont,
daß nur grobe Dosen zum Ziele führen und daQ man das Mittel nach dem
Anfall noch einige Zeit fortgeben niub, um Schneltrezidive zu verhindern.
Wenn man auch mit dieaen Mitteln die «Krankheit Gicht nicht beeinflussen
kann, so wird ea sich doch empfehlen, den Versuch zu machen, die Harn-
säure in eine leicht InsHchc Form üher^.ufOhren, und das scheint das Citarin
zu leisten. Es wird also während des Anfalles oder nach diesem von Nutzen
sein, die Harnsäure möglichst in einer gut löslichen Form zur Ausscheidung
zu bringen.
Citarin. — CylUn.
171
Literatur: Albebt Wotrr, Weitere MitteiInnKen Über Citarin. Tlierap. Monatsh., Sept.
1904. pa^. 470. — PbOlss, Resultate mit dem Gic.htmittel Citarin. Therap. Sfonat^h.. Juli
1904, pag. 351. — GBaNSBKiM. Kurze Mitteilnn^ über meine Erfolge mit Citarin. Therap.
MoDatftb. . Jali 1904, pag. B5ö. — NcruANN, Citarin. MUnchener med. Wocbenfichr, 19()ör
Nr. 13. piiif. 607. — Flqrrt, Beitraif zur Wirkung de« Citarins bei baroBaarer Diutbese.
DeoUche med. Woehensi-br., 1905. Nr. 4, pajf. 147. E. Fnj.
Cocaifnver^ftang. Ein schwerer Fall einer aknten CocaTnver-
giftan^ wird von Wohlgemiith *) beschrieben. Dabei zei^e sich, daß CocaTn
auf die Oxydationsvorg^änge im Organismus schädigend einwirke. Der Körper
verliert die Fähigheit, den produzierten Zucker und die nach Kliminierung
des Cocafns produzierte Glykuronsäure vollkommen zu oxydieren.
Zwei Fälle chronischer Cocainvergjftung beschreibt Boi.tbn.^) Der
eine derselben zeigt, wie leicht sich der Organismus an dieses Mittel ge-
wöhnen kann.
Literatur: *; Wori.oemdtr . Berliner kUn. WoeheufnAr., 1904, Nr. 41. — •) Boltu,
WeekhI. voor Oenee^k., 1904, Nr. U n. Nr. 2ß; ref. Dentacho med. Wochenacbr, 1904, Nr. 40,
pag. 1474; 1905, Nr. 1, pag. 35. Klonkm.
Coffein. Die kombinierte Digitalia-Coff ein- Medikation, welche in ein-
zelnitn Füllen von Herzinsuffizienz glänzende Erfolge hat, erhielt durch eine
Arbeit von Bkaix eine experimentelle Stütze. Brain zeigte am Langkn-
DORPFschen Herzpräparat, daß ein in dieser Weise isoliertes Herz länger
schlägt als ein nur unter dem Einfluß von Digitalis stehendes und konnte
dieses Verhalten dadurch erklären, daß die Woitu der KoronargofHUe und
damit die DurcbbluiuuK" des Herzens die gleiche blieb wie in der Norm,
während Digitalis alleiu durch Verengerung der Koronargefäße die Ernäh-
rang des Herzens schädigt.
Literatur: BaAc;«, Kombinierte Dlfiitalia-Coffein-Meflikation. Wiener med. Presse,
Nr. 7, 8. E, Frey.
Condurans^o-dlxlr. Nach einem Berichte Goliners ist das Con-
durango-Elixir von Apotheker J. Ulassek eine zweckmäßige Kombination
von Condurango mit Chinarinde. Es besitzt einen angenehmen Geschmack
und wird gern genommen. Es wird mit und ohne Eisen in den Handel ge-
bracht.
Literatur: QoLixaa, Cber Olabskus Coudarango-EUxlr. Tberap. Monatsh., April 1905,
pag. 219. Ä J"«/.
Crnrtn. (Vgl. Encyclopäd. Jahrb., N.F., 1902, I. Jahrg., pag. 180 und
ni. Jahrg.. 19<)5, pag. 32.) Die günstigen Erfahrungen mit Crurin (Chinolin-
Wismut-Rhodanat) als Antigonorrhoicum konnte Bkring nicht bestätigen.
Dagegen hat es sich als reizloses und gut antisoptisches Streupulver be-
währt, welches auch styptisch wirkt. Auch bei schlecht heilenden Wunden
übte BS einen günstigen Einfluß aus. Das Auftreten von Dermatitis wurde
niemals beobachtet. Eine geringe Schmerzhaftigkeit, welche es nach Auf-
bringen auf Wunden äußerte, geht sehr schnell vorüber
Literatur: Kh. Beking, Über einige neuere Heilmittel. Die Therapie der Gegenwart,
Juli 1904, pag. 31Ö. E. Frty.
C^llln* Cyllin ist ein von England importiertes Desinfektionsmittel,
welches sich nach Germax ') zur Behandlung der Krankheiten des Mundes
und Rachens eignet und welches Kt.KiN -) wegen der bakteriziden Kraft der
Cyllindämpfe gegen Staphylococcua aureus zur Bekämpfung der Mischlnfektion
bei Lungentuberkuloite empfiehlt.
Literatur: >) G£kma.n. Gyllin. Zentralbt. !. Bakteriol., XXXVUI , H. 2, zit. nacb
Deutsche med. VVocheDschr., 1905, Nr. 11, pag. 435. — *} KLBiiif Cyilinjnbalatiooen. Lancet,
Nr. 4259, zit. nach Üeutacbe med. WochenBchr., 1905, Nr. 18, pag. 722. E. Frey.
172
Cytodiagnustik.
Cytodlas^nostlk« Unter Cytodiaj;:nostik, einem von Widal in
die Wissenschaft pinueführtfin Ausdruck, vorsteht man diejenif^e Unter-
suchungsniotliode. wcloho auf Qrund der Feststellung' der in pathologischen
Körperflflssigkeiton vorhandenen ZeMlormon versucht, KQckschlüsse auf die
Natur der vorlioä^enden Krankbeitspruzesse zu ziehen. In erster Linie sind
es die FiössigkeitsansaniinlunKen in den großen Korperhöhlen — der Brust-
und Bauchhöhle — , welche Ge^censtand dieser Untersuchungen waren. Bald
aber wandte man sich auch anderen pathülogiächen Eri!:üäsen zu, indem man
perikardiale ErgQäse , den Liquor cerebrospinalis, Hydrokelen-GelonkflQssij;-
keiten, ja den Inhalt spontan entstandener oder artifiziell erzeugter Hant-
blasen mikroskopisch studierte.
Dagegfen pflegt man — allerding-s wülkürlicherweise — die Unter-
suchung der Se- und Exkrete nicht zur Cytu(liaj;:nostik zu rechnen; dieselbe
wurde ja schon in weitgrehendstetn Malle K^übt in einer Zeit, wo die Be*
Zeichnung >C.vtodiagnose« noch gänzlich unbekannt war.
Daß patholofi^ische Körperflüssif^keiten Zellen enthalten ^ wußte man
natdrlich schon längst, daß aber bezüKlich der Art der ieweilig vorhandenen
bzw. vorwiegrend nachzuweisenden Zellformen gewisse Gesetzmäßigkeiten be-
stehen, ist erst eine Errungenschaft der Neuzeit. Wenn auch die ziemlich
hoch^^espannton Rrwartung-en, welche man an die Zuverlässigkeit der Cyto-
diagnustik knüpfte, sich nicht g:anz erfüllt haben, so ist diese Untersuchungs-
metbode dennoch bereits ein schätzenswertes Hilfsmittel der Klinik ge-
worden.
Auf den diagnostischen Wert der Untersuchung-en der zelligen Ele-
mente in pathologischen Körperflügsigkeiten hat schon HliiRLirii hingewiesen,
ohne aber leitende Gesichtspunkt» aufzustellen. Er fand bei Pleurtliden, die
im Wochenbett Infolge von Thrombophlebitis entstanden waren, polynukleäre
Leukozyten, weniger zahlreich Lymphozyten und außerdem Endüthellen. In
neoplasttschen Exsudaten (Karzinom) beschreibt er eigentümliche epitheliale
Elemente, die er als charakteristisch für Neoplasmen ansieht.
Auch ähnliche Untersuchungen Qi'imkks führten zu keinen nennens-
werten Resultaten. Ebensowenig vermochten die Arbeiten Laxdoizys,
Kelschs und V^AiLLARDS, KoHczvNSKis und Wernickes, Winiakskis, We.vt-
woRTHS und Bkkniieims und Moskks die Aufmerksamkeit weiterer Kreise
auf sich zu lenken, obwohl teilweise manche recht bemerkenswerten, später
als richtig bestätigte Befunde in denselben mitgeteilt werden.
Das Verdienst, die moderne Cytodiagnostik geschaffen zu haben, ge-
bührt WiDAU und Ravaut in Frankreich, sowie Alfred Wolff in
Deutschland, die ungefähr gleichzeitig ihre erste Mitteilung über diesen
Getrenstand veröEfentlichten. Von Wii).\r, und Rav.mt rührt auch der Name
»Cytodiagnostik« für diese Untersuchungsmethode her. Bald nach dem
Bekanntwerden der ersten Mitteilungen der letztgenannten Autoren erfolgte
von französischer Seite eine außerordentlich große Zahl von Nachprüfungen,
die in ziemlich rascher Folge in Gesellschaftsberichten und Zeitungen ver-
breitet wurden, während die deutschen Arbeiten nur langsam und in ge-
ringerer Zahl erschienen und bis zum heutigen Tage in der Minderzahl ge-
blieben sind.
Außer einer Unzahl von Einzelpublikittiunen über diesen Gegenstand
sind auch eine Reihe von umfangreicheren, zusammenfassenden kritischen
Arbeiten entstanden, von denen hier diejenigen von Patklla , Brion und
Dksi-os besonders erwähnt seien, die auch ausführliche Literaturangaben
enthalten.
Methode: In Ausführung der cytodiagnostischen Untersuchungen sind
verschiedene Methoden angegeben worden. Wioai, und Kavait empfehlen,
die zu untersuchende KürperflÜssigkeit durch Schütteln mittelst Glasperlen
Cytodiagnnstlk,
173
^
2U dcfibricicren, dann zu zentrifu^ieren und den Bodensatz auf Deckgiäschen
auszubreiten . die dann als Trockenprnparate welter verarbeitet werden.
Sehr detaillierte Vorschriften gibt Ai.fkkd Wolkk : Weil infolffe des hohen
14 — 8%iKen Riweißgehaltes der Kxsudate Deckplastrockenpräparato mit
sauren Farben eine starke und diffuse Unter^undfärbung i^eben, empfiehlt
er. nach dem Zentrifugieren die über dem Bodensatz Htehende eiweilSreiche
Flüssigkeit abzugießen and mit physiolofriHcher Kochsalzlösung zu mischen^ mit
welcher der Bodensatz dorchfi^eschüttett und danach durch nochmaliges Zen-
trifugieren isoliert wird. Die oft schnell eintretende Gerinnung: der Exsudate
verhindert man durch Zusatz von Natrium citricum oder Acidum oxalicum.
Sehr wichtig ist, daß man nach mehreren Methoden färbt, da nur dann sich
die einzelnen Zellformen mit Sicherheit differenzieren lassen, wflhrend eine
oder wenige Methoden laicht zu Tru^;srhlüssen fiJhren und es eine panop-
tische Färbunfc niclit ^ibt. Wolkf empfiehlt die Anwendung folgender fünf
Tinktionsmethoden: 1. Methylenblau. 2, Hämatoxylia-Eositi. 3. Methylenblau-
Eosingemiscbe und Triacid. 4 Die Pappen he lusche Pyronin -Methylgrün-
methode. 5. Die RoMANowsKische Azurreaktion.
BtßERGEiL rät, das ßxsadat noch körperwarm zu zentrifugieren, am
Oerinnung zu verhindt'rn , da die Dofibrinierung oder Auswaschung mit
physiologischer Kochsalzlösung leicht die Zellen schädigen künno. Leider
wird sich in praxi der BiBKKUKiLsche Vorschlag nicht durchführen lassen,
da man seihst in Kliniken nicht immer in der Lage sein wird, die ge-
wonnenen Körperflüssigkeiten lebenswarm gleich zu zuntrifugieren, beispiels-
weise wenn, wie fast immer heim Pavillonsystem, das Laboratorium von
der Station weit entfernt liegt. Zur Färbung empfiebit Biiu:ugp.il die vitale
Methode sowie das JEXNERsche (MA[-QRC\WALn9che) Verfahren.
Morphologie der Ex- und Transsudate.
I. Plenrittsche ErgtJsae. Man muß nach der Art der vorkommonden
Zellformen drei verschiedene Arten der KrgÜsäe unterscheiden: 1. Solche,
bei denen die Lymphozyten überwiegen, 2. »olchOi bei denen die polymorph-
kernigen neutrophilen Leukozyten die Mehrzahl der sichtbaren Zellen aus-
machen, '^. solche, bei denen endotheliale Zellett üher Kriegen. Nach Wu>al
und Ravai T sind die lymphozytären Ergüsse der Pleurahöhlen tuberkulöser
Natur. Es handelt sich dabei meist um bei anscheinend gesunden Personen
plötzlich entstandene wüaserlge Ansammlungen der Pleuren, die man früher
unter dem Namen >Pleuritis a frigore« oder * rheumatische« Pleuritis kannte
and deren tuberkulöse Natur von vielen Klinikern behauptet worden ist.
Im Gegensatz hierzu enthalten die Pleuraergüsse, welche bei Huriden Phthi-
sen sich entwickeln, vorwiegend polynukleäre Elemente. Gleichfalls durch
das Überwiegen der polynukleären Leukozyten zeichnen sich die entzünd-
lichen Pleuraexsudate aus, welche durch Infektion mit Pneumo-, Strepto-,
Staphylokokken und anderen Eitererregern entstanden sind. Die Transsudate
dagegen, Ergüsse mechanischen Ursprungs, enthalten nur ahgestoliene En-
dothelzellen. Alfki:i> VVoi.rF unt^scheidet in seiner ersten Publikation nur
zwei Arten von Ergüssen, solche, welche nur polynukleäre Leukozyten ent-
halten, und solche, in denen man nur Lymphozyten findet. Das gleichzeitige
V^orkommen beider Zellformen hielt VVolkf ursprünglich für eine Ausnahme.
Wie aus späteren Veröffentlichungen hervorgeht, hat er aber seine An-
sicht in dieser Beziehung etwas geändert. Nur das Hervortreten der lyinpho-
zytären Quote im Exsudat [^ .. und mehr Lymphozyten) spricht für den
tuberkulösen Charakter des Ergusses. Besonders bemerkenswert ist sein
Befund, dati auch in tuberkulösen Exsudaten anfänglich die polynukloären
Leukozyten überwiegen können oder wenigstens in beträchtlicher Monge
i
174 Cytodtagno»tik. ^
vorbanden sind; allmählich aber ändert sich dies Verhalten, d!e polynuUe&ren
Elemente treten an Zahl Immer mehr zurflck und verschwinden schließlich
ganz. In zweifelhaften KfiUen soll man von ö zu 8 Tagten punktieren und
das morphologische Bild feststellen.
WiDAL hat auch das Vorkommen von (großen mononukleären Elementen
in Ergilssen beschrieben, doch konnte Wolff nachweisen, daß die als solche
beschriebenen Elemente in Wirklichkeit eig:enartig deg:enerierte Epithelien
waren.
Nach Patella sollen die ang:eblichen Lymphozyten der Exsudate de-
(fenerierte Endothelien sein. Dieser Ansicht kann man sich aher schwerlich
anschließen, und TAncitBTT[ und Rossi weisen mit Recht darauf hin, daß
man dann ja in ganz frischen Exsudaten immer nur Endothelien finden
müßte, was abor nicht der Fall ist.
In den Arbeiten der französischen Autoren werden die Pseudolymphom
zyten von den echten Lymphozyten nicht unterschieden, so daß es möglich
erscheint, daß in dieser Hinsicht häufiger Verwechslungen vorgekommen
sind; dadurch würden sich dann manche Widersprüche aufklären. Bezüglich
der Nomenklatur findet man auch in deutschen Arbeiten Ungenauigkeiten;
80 anterscheidet Ernst Meykr von den kleinen Lymphozyten sog. kleine
mononukleäre Leukozyten , eine Zellform , die die moderne Hämatologie
nicht kennt.
Auch durch die Untersuchungen einer Reihe anderer Autoren hat sich
herausgestellt, daß die WinALsche Formel für die tuberkulösen Pleuraexsu-
date bis zum 10. Krankheitstage durch einen beträchtlichen Reichtum an
polynukloärea Zellen ausgezeichnet 8ein kann und daß vielfach erst vom
Schluß der 2. Woche an die Lymphozyten prävalieren.
Andrerseits wurde festgestellt, namentlich durch CorKMoxT und Ar-
LOiNG, sowie von Schwarz und Bronstkin, daß auch die aekundär-tuber-
kolösen Ergüsse ^ bei denen nach Wu>al und Ravatt die polynukleären
Leukozyten den Hauptbestandteil der zelligen Elemente ausmachen sollten,
vorwiegend Lymphozyten enthalten können. Auch das Vorhandensein von
Endothelzellen ist keineswegs nur für die Transsudate charakteristisch,
sondern wird auch in den Frühstadien tuberkulöser Ergüsse konstatiert.
Schwarz und Brüxstkix fanden in einem Falle von pleuritischem Ex-
sudat bei einer Myokarditis, wo es sich nur um einen mechanischen Ursprung
handeln konnte, in demselben nicht Endothelien. sondern Lymphozyten. Ein-
mal konnten sie auch die Beobachtung machen, daß in einem infektiösen,
nicht tuberkulösen Exsudat, als dessen Erreger Streptokokken nachgewiesen
werden konnten , in der ersten Woche Lymphozyten vorherrschten , in der
Folgezeit erst pulynukleärü Zollen.
Schon diese wenigen hier zitierten Befunde beweisen , daß man die
Cytodtagnostik nur mit allergrößter Vorsicht zu diagnostischen Zwecken ver-
werten darf, insbesondere wenn es sich um die Feststellung handelt, ob
ein Pleuraerguß tuberkulös ist oder nicht, Eine Reihe neuerer Autoren hat
doch sogar behauptet, daß der Lyraphozytengehalt eines Exsudates nur ein
Beweis für die Chronizitüt des Prozesses ist.
Auf das gelegentliche Vorkommen von Mastzellen in Pleuraergüssen
hat schon Alpreo Wolff aufmerksam gemacht Neuerdings hat aber Biueh-
GKiL gezeigt, daß Mastzellen wie eosinophile Zellen ein regelmäßiger Be-
standteil aller serösen Körperhöhleullüsslgkeiten sind. Daß diese Tatsache
den früheren Uutersuchern entgangen war, liegt vielteicht an den angewandten
Untertiuchungsmethoden. Birerckil, der im ganzen lü Fälle von pleuritischem
Exsudat verschiedener Ätiologie untersucht hat, die aUerdtngs alle älter als
14 Tage waren, kommt zu dem Resultat, daß der cytodiagnostischen Uoter-
suchungsmethode insofern größere Bedeutung abzusprechen sei, als sie nicht
Cytodiagnostfk. 175
imstande wäre, die Diag^nose aof eine tuberkulöse Erkrant^ung sicher zu
stellen. In Fällen, wo es sich nur um Transsudate handelte« wurde derselbe
cytologische Befund erhoben wie in sicher tuberkulösen Ergüssen.
Demnach ist also eine Lymphozytose der Pleuraflüssigkeit durchaus
kein sicherer Beweis für die tuberkulöse Natur des Krankheitsprozesses, da
nachgewiesen ist , dali auch in Transsudaten statt der Endothelien die
Lymphozyten Überwiegen können und dnU bei längerer KrankhtM'tadauer auch
bei Pleuritiden nicht tuberkulöser bazillÄrer Ätiologie die ursprüngliche
PolynukJeose durch eine Lymphozytose ersetzt werden kann.
Im allgemeinen aber wird man wohl nicht fehlgehen , wenn man aus
dem Überwiegenden Lympho/ytengehalt eines über lU Tage alten pleuriti-
schen Ergusses auf die tuberkulöse Natur desselben schlieft. Leider aber ist
es in der Praxis meist außerordentlich schwierig, ja oft unmöglich, zu be-
stimmen, wie alt ein Pleuraeicsudat ist; die Entstehung desselben braucht
keinesfalls mit dem ersten Auftreten subjektiven Krankheitsgefühls gleich-
zeitig, sondern kann älteren oder jüngeren Datums sein.
Wenn also auch das von Wioal und Wolkf aufgestellte Schema der
Cytologie der verschiedenen pleuritischen Ergüsse im allgemeinen richtig
ist, 80 wird doch der praktische Wert desselben durch die recht zahlreichen
Ausnahmen und andere Schwierigkeiten sehr eingeschränkt. Wie fGr alle
Untersuchungsmethoden gilt auch für die Verwertung der Cytodiagnostik
der Satz, dali man stets das klinische Bild und die Entwicklung der Krank-
heit in erster Linie berücksichtigt und daU man sich hüten muß, in ein-
seitiger Weise nur auf Grund einer Methode Schlüsse zu ziehen.
IL Perikardiale Ergüsse. Aus hegreiflichen Ciründen ist die Peri-
kardialflflssigkeit nur seiton untersucht worden. Remu' fand bei einer tuber-
kulösen Perikarditis vorwiegend Lymphozyten sowie sehr wenig poly-
nukleiire und Endothelien. Bei einer Perikarditis auf nepltritischer Grundlage
fanden Dopteu und Tantox zahlreiche Lymphozyten, niäliige Mengen poly-
nukleiire und viel P^ndotheÜen. Barjox und Cade fanden in einem Fall von
doppelseitiger Pleuritis und Perikarditis nur 6% polynukleäre Zellen in der
Pleuraflüssigkeit, dagegen ifl^'^i in der PerlkardialElüssigkeit. WKii.r. und
Descos fanden bei einer scheinbar rheumatischen Perikarditis eine Lympho-
zytose. Die Sektion ergab aber, daß ns sich um eine Tuberkufose handelte.
IIL Aszitesflüssigkeiten. In der AszitcsflOssigkeit einer tuberkulösen
Peritonitis landen Tlffier und Milian eine Lymphozytose. DorTKii und
Tan'To.n fanden in ^2 Fällen von Peritonitis tuberculosa gleichfalls Lympho-
zytose und bei einem Aszites im Verlaufe einer Leberzirrhose zahlreiche
polynukleäre und einige Endothelien. Achaup und Lokpkr fanden bei tuber-
kulöser Peritonitis 15 — lvVö% Lymphozyten und groüe niononukleure. Bei
Bauchhöhlenergüssen im Verlauf von gutartigen sowie bösartigen Neubil-
dungen stellten sie das Vorhandensein von Endothelien fest, ebenso bei
StauungsBSzitos. Zu sicheren Ergebnissen hat bisher die Cytologie der As-
zitesflüssi^koit noch nicht geführt.
IV. Ergüsse anderer Art. Die Cytologie der Gelenkergüsse sowie
der Hydrokelen, deren Literatur hier nicht genauer zitiert werden soll, hat es
gleichfalls noch nicht zu diagnostisch verwertbaren Ergebnissen gebracht.
V. Liquor cerebrospinalis. Auch die Untersuchung der zeitigen
Elemente der Zerebrospinalflussigkeit ist von Wioal und seinen Schülern
inauguriert worden und hat zu einer außerordentlich großen Zahl von Arbeiten
geführt, die zum Teil diagnostisch recht wertvolle Ergebnisse geliefert haben,
wenn auch hier die ursprünglich gehegten hohen Erwartungen ebensowenig
In Erfüllung gegangen sind, wie bei den Pleuraergüssen. Die normale Zere-
brospinalflüssigkeit soll , wie Wioai, zusammen mit Sicard und Ravaut
angegeben hat, keine zelligen Bestandteile enthalten. Widal. selbst hat aber
176
Cytodiagiiustik,
später diese Angabe dahin modifiziert, daß man vereinzelte Lyaiphozyten
— 2 — 3 im Gesichtsfeld — auch in- normaler Spinal flüsaigkeit isieht. Zu-
nächst fanden VVidal, Sicarü und Ravatt in 12 Fällen von tuberkuloser
Meningitis, in weichen die ZerebrospinaUlüssigkeit bald trübe, bald sanj^ui-
noient, oft aber auch klar erschien , zahlreiche Lymphozyten und wenig
polynukleäre Zellen, woraus sie schlössen, daß die Lymphozytose der Zere-
brospinalflQssigkeit fflr die tuberkul5se Meningitis charakteristisch sei. In
4 Fällen von akuter Meningitis untersuchte Orifkon die Zellelemente nach
Lumbalpunktion. In 2 Fällen wurden nur Lymphozyten, im 8. Falle außer
Lymphozyten noch einige polynukleüro Zellen gefunden und die Obduktion
ergab in allen li Fällen tuberkulöse Meningitis. Im i, Falle, in welchem eine
Kultur der entleerten FlOsaigkeit das Vorhandensein des Menlngococcus
Wekhselbaum ergab, waren nur polynukleäre Leukozyten vorhanden. Daß
man aber allein auf den Lymphozytenbefund gestützt, noch nicht berechtigt
ist, die Diagnose tuberkulöse Meningitis zu stellen, beweist eine andere
Mitteilung Grjfkoxs ; trotz des kulturellen Nachweises des WKinisKi.BAtrM-
schen Diplokokkus fand er nur Lymphozyten in der Zerebroupinairiüssigkeit.
Ebenso konstatierte Bcnhix, der die Lymphozytose bei tuberkulöser Menin-
gitis bestätigen konnte, bei einer epidemischen Mening'itis ebenfalls Lympho-
zytose und nicht, wie man es hätte erwarten müssen, Polynukleose. Eine
Lymphozytose ist aber auch charakteristisch für eine Reihe chronischer
Erkrankungen des Zentralnervensystems. Dieselbe wurde festgestellt bei
Pachynieningitis cervicalis hypertrophicans von Widal und SouRü, bei
Myelo-Äfeuingitis syphilitica von Sicard^ bei Tabes und Paralyse von Monod,
Widal, Sn'AiiO, Ravait. Im allgemeinen scheinen dteienigen Erkrankungen
des Zentralnervensystems, welche unter Mitbeteiligung der Meningen ver-
laufen, zu einer Lymphozytose der ZerebrospinaUinssigkeit zu führen, wäh-
rend alle anderen Affektionen, namentlich aber die funktionellen Erkrankungen
keine morphologischen Veränderungen derselben erzeugen. Die Cytodiagnostik
kann daher unter Umständen als dilferentialdiagnostische Methode zur
Unterscheidung organischer und funktioneller Erkrankung des Nervensystems
dienen.
Auch zum Nachweis einer Schadelbasisfraktur kann man das Ergebnis
der Untersuchung der LumbalpunktionsflOssigkeit verwenden. Riixou fand die-
selbe schwachblutig gefärbt und reich an Lymphozyten. Tim'kikk, der eine
größere Zahl von derartigen Fällen untersucht hat, fand ebenfalls blutige
Färbung sowie das Vorhandensein weißer und roter Blutkörperchen. Man kann
nach ihm aus der Stärke der roten Färbung auf die Intensität der erfolgten
Blutung schließen, muß aber, um nicht durch die durch Gefäß Verletzungen
hervorgerufene blutige Färbung der aspirierten Flüssigkeit getäuscht zu
werden, die Lumbalflüssigkeit in mehreren Portionen auffangen. Nur wenn
diese alle gleich stark gefärbt sind, stammt das (^lut aus dem Zentralnerven*
System; wenn man dagegen beim Einführen der Nadel ein Gefäß verletzt
hat, so wird die erste Portion blutiger sein als die folgende. Auch darf man
die Punktion nicht zu früh nach der Verletzung machen , da oft erst nach
einiger Zeit die blutige Färbung auftritt.
W IDA LS Angabe, daß man bei tuberkulöser Meningitis immer nur
Lymphozyten in der Zerebr»>spinatflüssigkeit fände, kann aber wegen wider-
sprechender Befunde anderer Autoren in dieser apodiktischen Form nicht
aufrecht erhalten werden. Denn es hat sich herausgestellt, daß auch bei
akuten Meningitiden anderer Ätiologie sehr viel Lymphozyten vorkommen, be-
sonders wenn der Prozeß im Abklingen begriffen ist, und daß auch bei sicher
tuberkulösen Meningitiden bisweilen sehr viel polynukleäre Zellen auftreten.
Die ganze gewaltige Literatur, welche Über diesen Gegenstand nament-
lich in Frankreich entstanden ist, hier eingehend zu berücksichtigen, ist
Cytodiagnostik.
177
uninog-lich and es sollen deBweg:en nur einige ausfOhrHchere Untersuchungen
aus der letzten Zeit nilher besprochen werden. Runst Mkykk hat an der
SiF.MERi.ixGschen Klinik 85 Fälle untersucht. Unter diesen bestand in 14,
von denen 11 sichere Paralyse- und 3 verdächtigre Paralyse- resp. Tabes-
fälle waren, ausgesprochene Lymphozytose. lu 4 anderen Fällen (I Paralyse,
einem auT Paralyse verdächtigen chronischen Alkoholismus« einer multiplen
Sklerose and einer zweifelhaften Katatonie) bestand eine Vermehrung der
kleinen einkernigen Leukozyten (? Ref.). In 17 anderen Fällen vorwiegend
funktioneller Natur sowie einer Paralyse war keine Lymphozytose nach-
weisbar. Meyer kommt zu dem Schiuli, da(5 in fast allen Fällen, wo mit
mehr oder weniger Sicherheit eine organische Erkrankung mit chronischer
meningitischer Reizung vorlag» Lymphozytose bestand. Ks kommt daher der
Lymphozytose, wenn auch ihr Fohlen nicht als unbedingt sicheres Kriterium
gegen das Bestehen einer meningitischen Heizung spricht, in positiver
Richtung eine nicht geringe diagnostische Bedeutung zu. Namentlich bei der
Unterscheidung funktioneller und organischer Erkrankungen wird sie eine
Rolle spielen. Auf Grund dieser Fälle seiner Klinik und einer Reihe später
beobachteter hat dann Sirmerling seine Ansicht über den Wert der Unter-
suchung des Liquor cerebrospinalis für die Diagnose der Nerven- und
Geisteskrankheiten ausgesprochen. Von seinen Resultaten verdient vor allem
die Beobachtung besonderes Interesse, daß die LymphoEytose bei der Para-
lyse schon in einem Fruhstadium eintritt, daß sie also direkt unter die
FrQhsymptome der Krankheit zu zählen ist. Kr kommt zu dem Schiuli, daß
in der Cytodiagnostik eine wertvolle Bereicherung unserer diagnostischen
Metboden zu erblicken ist. Ausgesprochen© Lymphozytose weist auf das Be-
stehen einer meningitiseben Reizung hin. Es ist anzunehmen , daß es sich
dabei um einen meuingitischen Prozeß mit Ausscheidung von zelligen Ex-
sudaten handelt. Die diagnostische Verwertung der Lymphozytose darf
jedenfalls nur unter voller Beröcksichtigung der ganzen übrigen Symptome
geschehen.
ScHüNBQRN kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schluß,
daß bei allen syphilitischen und metAsyphilttischen Erkrankungen des
Zentralnervensystems sich im Li((uor cerebrospinalis eine mehr oder weniger
hochgradige Lymphozytose findet.
Ober Lymphozytenbelunde bei einer Reihe von Tabikern berichtet
auch Frexkel.
ScHLE-siXGER hat an dem Material der Goi.üscHEiDERschen Abteilung —
im ganzen 38 Fällen — cytologische Untersuchungen der Zerebrospinal-
flQssigkeit vorgenommen. Bei 6 Tabikern in allen Stadien der Krankheit
fand er stets ausgesprochene Lymphozytose. Desgleichen in 5 Fällen von
progressiver Paralyse, sowie in 2 Fällen von Myelomeningitis specifica und
2 Fällen von Taboparalyse. Die Ansicht Schö.nborxs, daß gerade für syphi-
litische bzw. metasyphilitiscfac Erkrankungen des Zentralnervensystems die
Lymphozytose spezifisch sei, konnte SrHLKSiNGER nicht bestätigen. In 2 Fällen
von sekundärer Lues mit starker Beteiligung des Zentralnervensystems
wurden keine Lymphozyten in der Punktionsflttssigkeit gefunden. 3 Fälle
von multipler Sklerose wiesen starke Lymphozytoson auf. 4 Fälle von Hysterie,
5 von Neurasthenie, 2 von Bulbärparalyse, 3 von chronischem Alkoholismus
und einer von Sklerose der Hirnarterien ergaben einen vollständig zellfreiea
Liquor.
Die Resultate des Verfassers sind : Bei allen chronischen, mit Beteili-
gung der Meningen einhergeheDden Erkrankungen des Zentralnervensystems
findet sich im Liquor cerebrospinalis eine mehr oder minder ausgesprochene
Lymphozytose. Bei der differentialdtagnostischen Unterscheidung zwischen
organischen und funktionellen Erkrankungen des Zentralnervensystems ist
KDOjclop. JabrbQrhor. N. P. IV. (XO!.) Vi
178
Cytodiagnostik.
die eytologfische Untersuchungr der LumbalpunktionsflOssi^keit ein wertvolles
Hilfsmittel.
Mit diesen neg-ativen Befunden Schlesingers bei sekundärer Syphilis
stimmen die ResultAte Fitnkbs flberein, der sehr zahlreiche Falle unter-
sucht hat.
Zu ganz ähnlichen Resultaten kommen von neueren Autoren: Schwarz
und Bkünstein, Lewkowicz, Prbisich und Flesch, Niednbr and Mamlocr,
Fischer.
Ütierblickt man die ^roße Zahl der Studien Ober das Verhalten der
ZerebrospinatflQssig^keit bei den Erkrankungen des Zentralnervensystems, so
kommt man bei kritischer Betrachtung* der Resultate derselben zu dem Schluß,
daß die diagnostische Verwertung dieser Methode nur mit g^roßter Vorsicht zu
hundhaben ist Zur sicheren Unterscheidung von tuberkulöser Meningitis
und Meningitis anderer Art ist sie nicht ausschlaggebend^ denn es sind Fälle
von tuberkulöser Meningitis mit Potynukleoso und solche nichttaberkulöser
mit Lymphozytose beobachtet worden, was dem ursprünglichen WjDALschen
Schema widerspricht. Das regelmäßige Vorkommen einer Lymphozytose bei
Paralyse und Tabes und den syphilitischen Erkrankungen der Meningen
scheint sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu bestätigen. Dagegen
scheint mir die Verwendung dieser Methode Kur differentialdiagnostischen
Unterscheidung organischer und funktioneller Erkrankungen nur sehr bedingt
verwertbar zu sein; ist doch bei manchen organischen Erkrankungen, wie
beispielweise bei multipler Sklerose, von einigen Autoren Lymphozytose ge-
funden worden, von anderen nicht. Die von den meisten Unterauchern an-
erkannte Tatsache, daß sich nur bei Mitbeteih'gung der Meningen morpho-
logische Veränderungen der ZerebrospinalflÜssigkeit finden, muß ja dieser
Methode von vornherein ein relativ begrenztes Gebiet zuweisen, weil ia die
Mehrzahl aller Erkrankungen des Zentralnervensystems unter Umständen
auch ohne Mitergriffensein der Meningen verlaufen kann.
Zum Schlüsse sei noch erwähnt, daß nian auch versucht hat, aus den
zelHgen Bestandteilen durch KantharidenpMaster gezogener Hautblasen dia-
gnostische Gesichtspunkte zu gewinnen. Zu eindeutigen, praktisch verwert-
baren Ergebnissen hat aber diese Methode bis heute nicht geführt (Roger,
HuMRERT, Tommasini u. a).
Literatur: Die gnind]egt'nd«n Arbeiten sind: Widal et R.vtadt, Application oliniqae
de Vetndi- hi^tolngiiine des 6p*ncliHnn?nt8 sero-fibrincuK rli* la pli^vre ; cylf>diJi(?noHlkr. C. R
Soc. biol. 30. Juni 1900. — Alvbkd Wolf^, Transsndatn und EzMidate, ihre. Mftr|ihoIogie und
Unterscheidung. Zi'itäclir. f. klin. Med., XLll, H. .') u. G. sowie Untersachanf^en über Pteara-
cisudFite. Bfrliner klin. Wocheoschr. 1901, Nr. 34; 1902, Nr. B. — Die Mhllosen, weit über
100 betragenden Einzelpublikntionen liiuW'n eich zuBammengestellt in den Sammelref ernten
von Dbscdb, Kev. de med., 1W2; Brion. Zentralb), f. allg. Path., XIV. — £ine sehr wichtige
und ninfangreicbe Arbeit ist (laiiii] die von Patkli.a , Sulla morlolouia degli rxBudati. Cito-
diagnosi. Siena 1908. — Die Literatur aan den Jahren 1Ü04 uud UK)0 ist referiert in den
Folia baematologica. H»ns Hinchfeid.
D.
Darmblutung' y bei Abdominaltyphus, pag. I. — Darmpcr-
foratlon, ibid. pa^. H, 13.
Descqnlltbratlon. Die Desequilibration der französischen
Aatoren, der Zustand anj^^eborner psychopathischer Minderwerttfrkeit, zeichnet
eich vor allem durch den -Mangel an Ebenmaß«, an Gleichpfewicht zwischen
dem Intellekt and den intelloktuelton Uefühlen auf Kosten der letzteren
aus. Diesen Defekt, der primär auf dem Gebiete des Willens zum Aus-
drucke kommt, habe ich, da er eine dauernde fCigfenschaft der Persönlich-
keit, als deg:enerative Insuffizienz der Huggestiven, d.h. derjenig:en Form
originär appetitiver Insulfizienz g:egenü hergestellt, bei der die originäre Ab-
normität des Begehrungainhaltes eine Folge äuBerer, mehr oder weniger
vorübergehender KinflüBse ist.
Als »degenerative« habe ich diese krankhafte Veränderung der
Willensrichtung deshalb kennzeichnen zu müssen geglaubt, weil die Charakt«r-
eigenart, die sie kennzeichnet und aus der sie entspringt, sich ausnahmslos
bei den >Degenerierten< findet, d. h. bei solchen durchaus nicht unter die
Rubrik der Debilen oder gar Imbezillen fallenden Individuen, bei deren
Familien sich in der Regel Glied für Glied oder unter Ü berspringang ein-
zelner weniger Glieder psychopathische ZQge vorfinden.
Es ist nun zweifellos, daß in derartigen Familien die ausgesprochene
psychopathische Tendenz sich auch in Debilität, die vereinzelt oder gehäuft
bei ihren Angehörigen zuUige tritt, äußern und hieraus eine Kompli-
kation der Charakterentwicklung und mit ihr der krankhaften WillenBrichtung
resultieren kann, die eine Analyse noch weiter erschwert. Doch glaube ich
mit ZiKHK.N und im Gegensatze zu Kkaiiif^eli.v daran festhalten zu müssen,
daß es sich bei derartigen Komplikationen, rjio man, seitdem Prichahd 1835
den Begriff des Moral Insanity prägte, diesem Typus zuzählt, ausnahms-
los um einen »moralischen Schwachsinn« handelt, und daß in solchen Fällen
gerade der Schwachsinn es ist, der im Vordergrunde des Krankheitsbildes
steht und der dem Charakter des sogenannten »gebornen Verbrechers«
(LoMBRoSo) das ihm eigentümliche Gepräge gibt. Schon Giiohmann sprach
1819 von »moralischem Stumpfsinn«. Nun kommt es hinzu, daß in neuerer
Zeit durch die Untersuchungen Kraki'ELins und seiner Mitarbeiter klar-
gestellt wurde, wie die hier so hervorstechend entwickelten antisozialen
Charaktereigenschaften durchaus nicht immer sich bis in die frühe Kindheit
verfolgen lassen, sondern teilweise auch auf das juvenile Irresein und die
von diesem gesetzten leichteren oder stärkeren intellektuellen Defekte zurück-
geführt werden müs8en|vgl.auch den Artikel »Katatonie« in diesem Jahrbuch!).
So sehr auch die familiäre Degeneration in der Ätiologie all dieser Fsycho-
180
Desequiltbratiun,
pathien ihre Rolle spielen mag:, sicher ist es doch, daß es sich bei dem
moralischen Schwachsinn, wie das auch Weygandt hervorhebt, nicht um den
»bloßen Mang^el der komplizierten ethischen GefQhlserregung^en«^ handelt, die
gerade die Desequilibrier ten und die patholug-ischen Charaktere in
engerem Sinne kennzeichnet.
Im Gegensatz zu den lützteren, bei denen jener Mangel noch auffälliger
zutage tritt, finden wir uns den Desequilibrierten als auf der Grenzlinie
zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit stehenden Persönlichkeiten
gegenüber.
Alles über den Mangel eines primären Intelligenzdefektes bei degene-
rativer Insuffizienz Gesagte steht in keinem Widerspruch zu der Beobach-
tung^ daß die Begabung des Desetjuilibrierten wie die des Degenerierten
überhaupt fast stets einseitig ist. Während künstlerische Talente h&ufig zu
finden sind, das Lernen auf der Schule oft ein ausgezeichnetes genannt
werden muß, ist doch die Denkweise sprun^huft und widerspruchsvoll, da
paradoxe fc^infalle sich überall in den Vorstellungsablauf eindrängen. AUer-
dingü pflegt zur Zeit der Pubertät in der Regel ein ziemlich unvermittelter
Stillstand in der geistigen Entwicklung derartiger Indibriduen, die nur zu
oft bisher als A\^underkinder gegolten haben, einzutreten. Und gerade der
Umstand, daß wir bei den Debilen nicht nur gleichfalls eine derartige ein-
seitige Begabung häufiger linden, sondern daß auch hier um dieselbe Zelt
gewöhnlich offenbar zu werden pflegt, wie die Scheinintelligenz nunmehr
gegenüber den mit dem Vorrücken in höhere Unterrichtsklassen gesteigerten
Ansprüchen an ein selbständiges geistiges Arbeiten versagt, macht eine
Klassifizierung der im Einzelfalle vorliegenden Abnormität wohl ebenso schwie-
rig wie die prinzipiellen Differenzen in den Anschauungen der einzelnen
Psychiater erklärlich.
Auf dem Gebiete der Empfindungen fällt die abnorme lebhafte Phan-
tasie auf, oft kommt es zu einzelnen Illusionen, wohl kaum |e zu Hallu-
zinationen, da der in dieser Weise hereditär Belastete sich der Un Wirk-
lichkeit seiner Sinnestäuschung wohl bewußt zu bleiben pflegt. Er dichtet
eben vermöge seiner lebhaften Phantasie oft in die Wirklichkeit hinein.
Im gewöhnlichen Leben pflegt man das, wenn die Urheber solcher Märchen
Personen sind, an denen man nichts Pathologisches bemerkt oder voraus-
setzt, einfach als Renommage und Lügen zu bezeichnen.
Mit der Zugänglichkeit für neue Eindrücke verbindet sich hier eine außer-
ordentliche Beweglichkeit des Erinnerungsinhaltes. Beide Erscheinungen sind
wohl, wie Kraepelin hervorhebt, der Ausdruck einer und derselben QrundstÖ
rung, einer erhöhten Labilität der psychischen Vorgänge: »Erinnerungen, Stim-
mungen, Wünsche, zufällige Anstöße verändern und färben die Zöge des Erlebten
in der entscheidt^ndsten Weise, so daU binnen kurzem ein unentwirrbares
Gemisch aus Wahrheit und Dichtung entsteht. . . Seine besondere Eigenart
aber erhält das Krankheitsbild durch die Befriedigung, die sich hier an
die willkürliche Verfälschung der Erinnerungen knüpft, durch die Lust am
Fabulieren. Die Kranken zeigen die lebhafte Neigung, auch die gleich-
gültigsten Auskünfte durch Abänderungen und Zusätze auszuschmücken; sie
sind oft nicht imstande, einen und denselben Vorgang zweimal in der
gleichen Weise wiederzugeben, sondern bringen Immer neue Lesarten. . .
Die Kranken wissen wohl, daß sie fabulieren, aber sie lassen sich von ihrem
Stoffe hinreißen und spinnen ihn eifrig weiter, ohne sich über ihr Treiben
Rechenschaft zu geben. Späterhin werden sie schon durch ihre früheren
Aussagen zu neuen Erdichtungen genötigt; aber auch ohne diesen äußeren
Grund vermögen sie dem inneren Anreiz nicht zu widerstehen, bei jedem
Anlasse ihrer Einbildungskraft die Zügel schießen zu lassen.« Das vorstehend
^eacbilderte Krankheitsbild der »abnormen Lügner und Schwindler«, der
Deaequilibration.
181
^
»
>PBeudoIo^ia phantastica« ist namentlich von DblbrCck beschrieben und
genauer un]g:renzt worden.
Charakteristiach wie die Labilität« die psychomotorische Insuffi-
zienz (KsrHi.F) im Bereiche des Vorstellungs- ist auch die im Bereiche des
Gefflbtslebens und des Begehrunffsvermö^ens.
Schon bei dem Kinde fäUt der Wechsel maüloser ZornausbrOche und
motivJoser, also primärer, selten auf Illusionen beruhender Angstzustände
auf. Daß in den Pubertätsjahren oft sentimentale, weltschmerzliche Ver-
stimmung mit Exaltation wechseln, kann an und fQr sich nicht wunder-
nehmen . nur fällt dem Stimmungswechsel des der Kindheit entwachsenden
Neuraathenikers gregenüber der äußerst bizarre Charakter auf, in dem er
sich beim Desequilibrierten kundgibt. Bald kommt es zu — Übrigens mehr
oder weniger komödienhaft arrangierten und mit der stillen Hoffnung auf
Rettung ins Werk gesetzten ~ Selbstmordversuchen, bald zu periodischen
Exzessen in ebenso auffällig frflhen Jahren. Spielsucht und solche andere
Ausschweifungen, die mit Kenouimage und äußerlichem GläuKen vor anderen
in Beziehung stehen, spielen dabei die Hauptrolle. Auch die Liebhabereien
pflegen einen exzentrischen Charakter zu haben (toHe Sportleistungen). Bei
aller Begcisteruntcsfähigkeit fQr die verschiedensten Ideale bleiben die meisten
Desequilibrierten im Grunde Egoisten.
Dem entspricht nicht selten ein unerträglicher Hochmut und eine an
Quernlantenwahn grenzende Empfindlichkeit und Rechthaberei, die man
auch als >Paeudo(|nerulantenwahn< bezeichnet hat. Anderen gegenüber
strenge Sittenrichter, sind sie aber selbst ganz ihren egoistischen Trieben
unterworfen.
Den *P6eudoi|uerulantenwahn« des Degenerierten hatKRAEFEUN
in charakteristischer Weise dem echten Quernlantenwahn des Para-
noikers gegenübergestellt und ienen ersteren auf die stark persönliche
Beeinflussung der Auffassung, der Erinnerung und des Urteils zurückgeführt,
wie eine solche sich aus der erhöhten gemütlichen Erregbarkeit dieser Per-
sönlichkeiten ergibt : >.Iede wirkliche oder anscheinende Beeinträchtigung
ihrer Rechte empfinden sie als schwere Unbill, gegen die sie sich mit den
schärfsten Mitteln vorzugehen berechtigt glauben. Sie sind daher rach-
süchtig und nachhaltig in ihrer Feindschaft, fassen jede Gegnerschaft per-
sönlich auf. sind sofort bereit, dem Widersacher unehrliche Beweggründe
unterzaschiebeUf den Kampf auf die verschiedensten Lebensbeziehungen zu
übertragen. Die Kranken verfolgen ]ede einzelne Angelegenheit mit der
größten Verbissenheit, soweit es ihnen nur möglich ist, beruhigen sich
nicht bei den getroffenen Entscheidungen, verweigern jeden gütlichen Aus-
gleich^ setzen alle Instanzen in Bewegung, überschwemmen die höchsten
Stellen mit Eingaben und suchen auch die Öffentlichkeit für ihre Streitig-
keiten zu Interessieren. . . Niemals über kommt es zu wirklichen
Wahnvorstellungen. Der Kranke halt selbstverständlich seine Widersacher
ohne Ausnahme für Dumuiköpfe, Lumpen und Schufte, aber in keinem an-
deren Sinne, als wir das in politischen Parteikämpfen alle Tage erleben.
Es sind auch durchaas nicht immer die gleichen Personen, mit denen er
in Zwist lebt, sondern es ist bald dieser, bald ieaer aus seinem Kreise.
mit dem er aneinander gerät, wenn sich auch natürlich die Feindseligkeit
gegenüber einzelnen oft Jahrelang hindurch erhalten kann. Vor allem aber
ist es niemals eine und dieselbe Angelegenheit, die den gemeinsamen Aus-
gangspunkt aller späteren Zwistigkeiten bildet, sondern es handelt sich um
zahlreiche ein^telne Begebnisse, die sachlich nicht zusammenhängen^ obgleich
sie vielleicht aus derselben Quelle persönlicher Erbitterung hervorgegangen
sind. Es fehlt mit anderen Worten das subjektive Band, welches
alle die einzelnen Ereignisse zu einer zusammenhängenden Kette
xs:
DesequIUbration.
aneinanderschließt. Gerade diese innerliche Verbindung wird
beim echten Querulanten durch die Wahnbildong herg'es teilt.«
Diese aber fohlt beim Dese()uilibrierten, wie bemerkt, vollsUlndlg: und
iDfolt^edessen auch die absolute Unbelehrbarkeit des mit Querulantenwahn
behafteten Parauoikers. Der Desequilibrierte gibt den Kampf auf, wenn das
Mißverhältnis, wie Rraepelin sagt, zwischen der Siegesaussicht und den
drohenden Kosten zu groß wird oder auch, wenn er sieht, daß er nichts
mehr erreichen kann.
Fehlt aber die Wahnidee, die eine Form des pathologischen Irrtums,
so fehlt oft nicht die zweite Form: die Zwangsvorstellung. Während
bei der Wahnidee korrigierende Urteilsassoziationen gar nicht oder nur in
Form ganz vorfi hergehender Zweifel auftreten, machen sie sich bei der
Zwangsvorstellung durch die Überlegenheit ihrer Zahl und Stärke durchaus
und dauernd geltend. Der Kranke ist daher von der Unrichtigkeit der
Zwangsvorstellungen völlig überzeugt, sie drängen sich ihm aber trotzdem
>mit Zwang* auf. Da ihnen fast stets eine motorische Tendenz innewohnt,
so entwickeln sich aus ihnen die Zwangshandlungen, die gewissermaßen die
Projektion der Zwangsvorstellungen in die Willenssphäre darstellen.
Auch hier Ist sich der Kranke der mangelnden Motivierung seiner
Handlungsweise wohl bewiiüt. aber in der Hegel siegt eben jene motorische
Tendenz der Vorstellung. Während der Kranke über den krankhaften Vor-
stellungsverknüpfungon steht und bei ihm die diese berechtigenden Urteils-
assoKiationen Qberwiegen, vermögen ihn die letzteren doch nur in ganz verein-
zelten Fällen gegen ein Handeln im Sinne der Zwangsvorstellung zu schützen.
Biese siegt in der Regel im Spiel der Motive, d. h. wenn sie nicht
die Handlungsweise ausschließlich bestimmt, modifiziert sie sie wenigstens.
So sind eine Reihe von Abweichungen von dem gesunden Triebsleben beim
Desequillbrierten zu erklären, die sich in unwiderstehlicher Neigung zum
Spiel, der plötzlichen, anscheinend ganz unvermittelt auftauchenden Zuneigung
ZQ gewissen Personen oder auch der unsinnigen Liebe zu einzelnen Tieren
äußert, die in sonderbarem Gegensatz zu dem I^^goismus und der Neigung
zur Tierquälerei steht, die man sonst beim Desef|uilibrierten beobachtet.
Ferner stehen vermutlich auch die auf dem Gebiete des Geschlechts-
lebens schon in der früheren Lebenszeit zutage tretenden Abnormitäten, die
später zu Perversitäten ausarten, mit Zwangsvorstellungen im Zusammen-
hang, 80 daß sie meines Eracbtens wenigstens in einem Teil der Fälle als
Zwangshandlungen zu deuten sein dürften. Wenn nun allerdings auch die
sexuelle Pervorsion (Päderastie und Tribudio) durchaus nicht so häufig, wie
man das anzunehmen pflegt, auf einer eigenen Naturanlage, der Homo-
sexualität, beruht, so darf man auf der anderen Seite doch nicht vergessen,
daß abnorme Sexualität und Perversionen durchaus nicht immer — das
wird auch von Rosf.nbach irgendwo hervorgehoben — Zeichen der Degene-
ration zu sein brauchen, da offenbar auch rein somatische Anomalien und
abnorm starke Gefühle eine Rolle spielen können.
Allerdings sind die sexuellen Empfindungen beim Desequilibrierten von
vornherein bald gesteigert, bald auffallend wenig anspruchsvoll. Während die
gelegentlichen sexuellen Gefühle des normalen Menschen mehr oder weniger
leicht zu unterdrücken sind, sucht der Degenerierte itn ersteren Falle,
wenn er nicht endlos darauf los masturbiert, seine Wollust am ersten besten
Objekt zu befriedigen oder in außergewöbnlichen sinnlichen Reizen, im Aus-
üben oder Erdulden von Grausamkeiten (Sadismus resp. Masochismus) oder
in den verhältnismäßig harmlosen Trieben des Exhibitionismus und Fetischis-
mus seine Hefriedigung.
Noch mehr als für die Pervereion und die abnorme Sexualität möchte
A. RosBNBACit die Annahme einer degenerativon Grundlage für die Kntwick-
Deaequilibration.
183
tong der Cbaraktereig'enachart der Graasamkeit eingeschränkt wissen, die
doch eine hervorraerende ßigfenschaft aller großen Eroberer sei, von denen
manche doch auch wirklich grüße Männer waren. »Der Unterschied,« sagt
er, > liegt vielleicht darin, daß bei den Sadisten der grausame Akt Selbst-
zweck des Individuums, bei den Eroberern — wenn auch unbewußt —
Mittel zum Zweck ist. Da der Zweck des Eroberers doch in erster Linie
die Unterwerfung ist. so müßte man eigentlich* hier einen noch h5heren
Grad der Perversion annehmen.«
Zu den in einer bestimmten einseitigen Richtung entwickelten An-
trieben^ denen plötzlich, oft periodisch die Desequilibrierten ausgesetzt zu
sein pflegen, zählt der krankhafte Wandertrieb. Dieser, den sie mit vielen
Debilen oder von juveniler Verblödung betroffenen Individuen teilen^ drückt
ihnen gleich diesen den Stempel von asozialen Elementen — im Gegen-
satz zu den antisozialen, den gebornen Verbrechern — auf.
Der krankhafte Trieb, andere zu verletzen oder zu töten^ der Brand-
stiftungstrieb, der Stehltrieb und wie die verschiedenen »Monomanien« alle
heißen mögen, die man aulzustelteti für gut befunden hat, gehören schon
zam Krankheitsbilde des »impulsiven Irreseins«.
Aber auch schon wenn die oben erwähnten Ahweichunj^en in beträcht-
lichem Maße die namentlich von Laien als normal angesehene Hreite über-
schreiten, so daß sie die Ausbildung beeinträchtigen oder daß die Degene-
rierten bei den bizarren Einfällen, durch die ihr Handeln in impulsiver Weise
beeinflußt wird, nicht mehr glatt durch das Leben kommen, pflegt man,
nachdem die psychopathische Veränderung zweifellos klarliegt, um dem
Komparativ in dem eingangs anjrodeuteten Sinne Ausdruck zu geben, von
pathologischen Charakteren zu sprechen. Aber auch diese erkennt man ge-
wissermaßen erst nach Abschluß ihrer Karriere in der Strafanstalt oder auf
der Landstraße als solche an.
Wenn die Karriere des Desequilibrierten bzw. des Degenerierten im
allgemeinen sich aus seiner geistigen Verfassung entwickelt^ so daß man
mit Recht den Satz auf ihn angewandt hat: »Ks waren in seinem lieben
nur Anfänge ohne Fortsetzung und Portsetzungen ohne Anfang« (Stifteh,
zitiert bei Ziehen), so darf man zur Motivierung der zulänglichen Erfolge
in seinem Leben auch die ausnahmslos vorhandene psychomotorische In-
suffizienz im Bereiche des Begehrungsvermo^ns nicht außer acht lassen,
die mit der Labilität des Vorstellungs- und Gefühlslebens in engster Be-
ziehung steht und die sich dementsprechend in derjenigen Form äußert, die
ich als 'perseverative Insuffizienz« bezeichnet und als solche der
resolotorischon gegenübergestellt habe. Während es hei dem resolutorisch
Insuffizienten nicht oder nur vereinzelt zu Handlungen kommt, werden diese
bei dem perseverativ InsufFizienten in anderer Weise ausgeführt, als der
Entschluß es voraussehen ließ. Dort resultiert Unentschlossenheit, hier die
»Haltlosigkeit«, die es zur festen Verfolgung einer ernsten Lebensaufgabe
nie kommen läßt.
Bei dieser resolutorischen Insuffizienz allein vermag auch die Therapie,
die ausschließlich eine erziehliche sein kann, den Hebel anzusetzen und
so vorausschauend, vorahnend und sorgend schon in frühester Jugend dem
prophylaktischen Prinzip Rechnimg tragen. Auch bei späterem Alter kann
sie bisweilen von Erfolg sein, wie mich meine eigene Erfahrung gelehrt hat.
wenn sie als methodische »Erziehung zur Arbeit« in einer wohlorganisierten
Anstalt Platz greift. Dieser mehr symptomatische Erfolg aber durfte mit der
Rückkehr in die unbedingte Freiheit und mit der Eatrückung der minder-
* Nämlich tlAon, wenu man den Über ein gewisses Maß hlnaaa gesteigerten Egoi&mas
aucb schon, wie das geschehen ist, als Zeichen der D<:gener.itton anitaüt.
184
Däsequilibration. — Digalen,
wertigen psychopathischen Persönlichkeit aus dem Milieu der Arbeit, der
Enthaltsamkeit und des Gehorsams vollends wieder in Frage gestellt sein.
Literatur: Zi£uen. Uerlin , Fr. \V reden, 1894. — KBAurBLiN, Psychiatrie. 2. AnlK,
Leipzig, Ambros Barth, 1894 — Wetoandt, Atlfls nnd Grundriß der Psychiatrie. Mflocheo, .
.1. F. Lehmann , 1902. — O. KosicKBAni. Nervftse ZnstHndt^ und ihre p.»iychi!*che I^handlnnff. 1
2. Antl. , Berlin, FiaiherH med. Ruchhandlunf; , UH}3. — Eäcols, Die krankhafte Willena-
schwUühe nnd die Aufsahen der erziehUchen Therapie. Rerlin, Fischer» med. RuehhAudlnng, I
1904. — EacBLB, S^bwachsinDalormen. EcLRNBirsaB EncyclopKd lache Jahrbtlchcr, Neae Folffe«
ni, 1905. — EscuLE, Wilicnsijchwilehe. ebenda. Eschle.
Detumeszenztrlebi s. Geschlechtstrieb. J
t-
Digalen, Unter dem Namen Digalen kommt eine LSsang von
Digitoxin in den Handel. Den jahrelangen BemÜhunü:en Clokttas i) ist es
gelangen, ein lusHches Digitoxin herzustellen, und zwar ist das eine amorphe
Modifikation des kristallinisclien Digitoxins, eines der wirksamen Substanzen
der Digitalisblatter. Das U'iHliehe Digitoxin ist diffusibler als das kristallini-
sche und darauf beruht wohl hauptsächlich seine Eigenschaft, schnetter za
wirken und weniger lokale Reizerscheinungen auszuüben als die bisher iso-
lierten Körper. Darauf ist die bessere Verträglichkeit vom Magen aus and
die Möglichkeit, diese Substanz subkutan zu geben, begründet. Das Digalen
ist eine wässerige Lösung mit 15^,, Glyzerin versetzt; jeder Kubikzenti-
meter dieser Lösung entspricht genau 0'6 mg Digitoxin. Damit ist eine ge-
naue Dosierung der Digitalis erreicht, wie sie bei Anwendung der Blätter
wegen ihres wechselnden Gehaltes an wirksamen Substanzen nicht mßglich
erscheint und wie sie auch in Form der reinen unlöslichen Präparate, die
in der Gabengröße von Bruchteilen eines Milligramms zur Dispensation
kommen, nicht herzustellen ist. Das Digalen-Digitoxinum solubile Cloetta
wird von der Firma Hoffmann Ä- La Roche in Basel in FlÜschchen zu 15 cm*
in den Handel gebracht, eine beigegebene Pipette dient zum Abmessen.
icm^^zO-^ntg Digitoxin entspricht der Wirkung nach 01^ DigitaUa-
pnlver.
Von klinischer Seite ist das neue Präparat in der NAUNVXschen Klinik
von KoTTMANN •} untersucht worden. Kottmann wandte es nur subkutan
oder intravenös an. Es trat nach Injektion von 1 cw^ in 24 Stunden deut-
liche Digitaliswirkuno: ein. Es war aber notwendig, diese Injektion bis viermal
täglich mehrere Tay:e zu wiederholen. .Jedesmal nach der Injektion traten
örtliche Reizorscheinungen ein in Form von Schmerzhaftigkeit und Ödem.
Bei intravenöser Durreichung waren zjpmlich große Dosen erforderlich, da-
für trat aber nach einigen Minuten eine Blutdruckerhöhung ein , die min-
destens 24 Stunden nnhißlt. Die Intravenösen Injektionen waren schmerzlos
und es ist nie ein übler Zwischenfall vorgekommen, so daß hier zum ersten
Male die Möglichkeit gegeben ist. eine schnulle Digitaliswirkung zu erzielen,
was in manchen Fällen von der größten Bedeutung ist. Wenn somit die
subkutane Darreichung mancherlei Unzuträglichkeiten mit sich bringt, wird
das Fehlen von Magenbelästigungen lobend hervorgehoben ; wenigstens
wurde es in den meisten Fällen gut vertragen. Vollkommene Reizlosigkeit
und schnelle Resorbierbarkeit bei stets gleichbleibender Zusammensetzung
sind auch nach BiHKRGKtL ') die Hauptvorzuge des Digalens ; in gleicher
Weiso äußert sich Walti. *) Auch Ki.KMi'KitKR ^) konnte von schönen Wir-
kungen des Digalen berichten, er hat damit Kräftlgerwerden des Pulses,
Nachlassen der Dyspnoe und respektable Diuresen mit Schwinden von
Ödemen erzielt. Die gute Verträglichkeit des neuen Mittels vom Magen aus
und seine schnelle Wirksamkeit bestätigt Kollick.") Die beigegebonen Pi-
petten sind, wie Niedxeu ^) fand, in der Graduierung nicht genau, ein Übel-
stAnd, dem die Fabrik nach der Angabe von Tritschler t^) schon abge-
holfen hat.
Digalen. — Digitalis.
185
E Literaturs *) CloCtta, Di^alen i.Dipitoxinino »olabile^ Mtlnchener med. Wochenschr.,
■Cr 3ä. — V KorruASK , Digitoxinam solabile Cloctta. Zeitachr. F. klin. Med , LVI. H. 1 n. 2 ,
Ipag. 128. — ') HiDKRosiL, Digalen, ein Eraatzmiltel des DigUalinfu^cs. Bertimr klin. Wochen-
schrift. 1904. Nr. 51, pag. 1316. - M Walti, Doutsclie Arzte-Ztg.. UKW, Nr. 20. - ^ Klkm-
PKREE. Digcilen. Die Therapie der Gegenwart, Jannar 1905, p.ig. 3B. — 'i Kollicx, Wirkung
des Digalen. Prager med. Wochenachr., Nr. 18. — ') Xikdner, Znr Dosierantf des Digalen.
Uie Therapie der Gegenwart, Februar 19Ü5, pag. 94. — ") F. Tbitbchlss, Über die Dosie-
rung de« Digaien. Die Therapie dt-r Gegenwart, MArz 1905, pag. 144. E. rrey.
Digitalis. Das Verhalten der Ansprucbsfäbig:keit des unter Dis^l-
taliseinfluU stehenden Säu^etierherzens niachl Pletnbw ^) zum Gegenstand
ausg-edehnter Studien. Ks war ara isolierten Herzen wegen Fehlens der
Vaguswirkung: eine V^erlangsamung des Herzschlages nicht zu konstatieren.
Die Reaktionsrähigkeit des Herzmuskels wird durch therapeutische Gaben
gesteigert.
Kine zweite experimentelle Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob
durch langdauernden Gebrauch von Digitalis Herzhypertrophie hervorgerufen
werden kOnne. Wyn\ ^j gab acht gesunden Kaninchen tÜ^tieh 120 Tage lang
bis zu 50 Tropfen Tct. digitalis, konnte aber einen Unterschied der Herzen
KontroUtieren gegenüber nicht konstatieren. Die klinische Erfahrung scheint
diese Beobachtung auch zu bestätigen. Thomaybr -^) berichtet von einer
52iährigen Frau, welche durch b*, Jahre täglich Ü15;f Digitalispulver ohne
Beschwerden nahm. Überhaupt neigen die Kliniker wieder sehr zu einer
chronischen Anwendung der Digitalis; wonigstenä sind die Warnungen vor
längerem Digitalisgebrauch recht selten geworden. Über Indikationen und
Methoden der Digitalistherapie fDhrt Kichhok.st *) aus, dali er ungefähr
10 Tage lang eine DJgitalistherapie in der Weise durchführt. dalJ er dreimal
täglich ein Pulver nehmen läßt von der Zusammensetzung: Rp. Folior. Di-
gitalis pulv. O'l, Diuretini 10, Sacchari U'3. Diese Art der Verordnung hat
sich ihm auch in bezug auf die störenden Magenerscheinungen am besten
bewährt. Dabei ist zu bemerken, daß die Digitalis kräftigend auf den Herz-
muskel selbst einwirkt und daü bei fettiger oder bindegewebiger Degeneration
häufig airht mehr genug gesundes Muskelgewebe vorhanden ist, an welchem
die Digitalis ihre Wirkung äußern kann. Im einzelnen Falle wird dies schwie-
rig, ia unmöglich sein, am Krankenbette zu entscheiden. Oft macht eine
längere Bettruhe den Herzmuskel wieder für eine Digilalisthernpie geeignet.
Bei akuten Schwächezuständen. z.B. bei Infektionskrankheiten, kombiniert
EiCHHURST die Digitalis mit Coffeinpräparaten, z. B.: Hp. Coffeino-Natrit sa-
licyüci. Glycerini. Aquae deHt. aa. 5 0. MDS. 1—3 Spritzen täglich subkutan.
(Über die theoretische Begründung der Kombination von Digitalis mit Coffein
siehe diesen Jahrgang Encyclopädiache Jahrbücher unter Coffein.)
Die Versuche, genau dosierte Digitalispräparate herzustellen, haben
einerseits dazu geführt, die wirksamen Substanzen zu isolieren, andrerseits
eine Dosierung der Droge durch das Tierexperiment zu erreichen. Darüber
ist unter Digitalis und Digitalissubatanzen in Et'LENBCKGs Encyclopäd. Jahrb.,
N. F., III. Jahrg. 1305, pag. 112 und 119 berichtet worden. Über das üülaz-
sche Digitalisdialysat liegt wieder ein anerkennender Bericht von jAroBAKi's *)
vor; außerdem wendete er das Digitalinum Bohringer an, welches sich
ihm besonders als Stimulans bewährte.
Die Bemühungen Fockes«), durch Mischen von verschiedenen wirk-
samen Digitalisblättern, deren Titer am Froschherzen ermittelt wurde, ein
gleich wirksan^es Digitalispräparat herzustellen, haben dazu geführt, daß
durch schnelles Trocknen und Mischen der Digitallsbllitter ein solches Prä-
parat im Handel zu haben ist Es hat sich gezeigt, daß die Wirksamkeit,
d. h. der Gehalt an wirksamen Substanzen resp. deren Zersetzlichkeit haupt-
sächlich von dem Feuchtigkeitsgehalt der Blätter abhängig ist, so daß
schwach wirkende Drogen einerseits durch feuchte Witterung und feuchten
186
üigUaUs. - Diuretische Prüfung.
Standpunkt dor Pflanzen^ andrerseits durch nachherigres Foachtwerden der
getroctcneten Ware zustande kommen. Ära widerstandsfähigsten hat sich ein
grob gepulvertes Pulver der Hlätter beim Aulbewahren bewährt, welches
auf der anderen Seite ein grOndliches Vermischen der verschiedenen Blätter
garantiert. Jedenfalls ist der Arzt durch Herstellung dieser gleichmäßigen
Blättergemische nicht gezwungen, jedes Jahr je nach der Ernte seine Ver-
ordnnngäform zu ändern, wie dies Wolkf') vorschläßrt.
Die Versuche zur Einführung der wirksamen Substanzen selbst haben
znr Herstellung des Digalen geführt; siebe »DIgalen«.
Auf eine Gefahr bei der Digttalistherapie macht Daihy '*) aufmerksam.
Er sah zwei Todesfälle bei Arteriosklerose nach Einleitung einer Beband
lung mit Digitalis^ und zwar trat der Tod in der Besserung plötzlich ein
durch Hirnembolie oder Apoplexie. Beide Patienten waren etwa 60 Jahre alt.
Literatur: ^i Pmetskw, Vcrbalton der AnflprnchMJihigkMt d(;H unter DigitAllseinlluÜ
stebentUn Sängetierherssena. Ztnlschr. I. expmm. Path. u. Thorap., I. — ') Wyu», Kunn der
laa^ fort^resetzte Gebrnuch von Digitalis Herzhypertrnphie hervorbrln^i'ti '.' Joum. of tbi>
Amer. raetl. aHHociation, Kr. 3, zit. nach Deattwlit; mt?d. Wocht'Dsi'hrift, 1904. Nr. 33, pag. 1218.
— ') .J. Thouaitek, Lang<lHuernder Digitulittgebrauch. Caaop. lek. üesk., Nr. 9, zitiert uach
Deutäctie med. WoclifUHcbr.. UtOö, Nr. 14, pag. üä4. — ') Herhanm Eicuuoasr, Indikutiontfn
und Uuthodik der Digitalmllierapie. Deutsche med. WochenBchr. , 1900, Nr. 2, pag. 49. —
') IJ. JAcooAKrs , Klioiache Versuehe mit einigen neuereu ArzufifU. Tberap. Monatsb., No-
vember 1904. pag. 'ndl. — 'i FüCKB, Tber den gleicbraäüigen Wirkimgawert von gut prä-
parierlem nnd gut aulbewahrtero DigitalieblÜtter-Pulvfr. Die Therapie der Gegenwart, jnni
19Ü4, pag. 350. — Derselbe. Zur physiologischen »Wertein;*tellnngt der Digitalisblfttter.
Dirt Thnrapie der Gegenwart, November 19ü4, pag. ö27. - ') A. Woi-k», Physiologische
Wertbei«liniinung von DigitaUablätt^^m. Die Therapie der Gegenwart, November 1^J4, pag. 626.
— ^1 M. JuLKB Dacoy, Snr les dangers de la digitale dana les mnladies du ea>nr. Bull. g^n.
de th^rap., 15. Dezember 1903, zit. nach Therap. Mouatsh., Juni 1904, pa;. 315. E. Frty.
I>loiiln, Eine Kombination von Morphin mit Dionin empfiehlt Rahx').
80 daß man mit kleineren Dosen Morphin auskommt; außerdem leistete ihm
da» Dionin auch allein gute Dienste bei Hustenreiz, neurasthenischen Reiz
zuständen, auch als Sedativum in der Kinderpraxis.
Um die resorbierenden Eigenschaften des Dionin zu prüfen, brachte
Kbe ') Tuscheemulsion in die vordere Äugenkaminer d^H Kaninchens, der
Katze und des Hundes, darauf träufelte er eine lO'Vuige Dioninlösung in das
Auge. Bei den letztgenannten Tieren zeigte sich eine resorbierende Wirkung
des Mittels zugleich mit Chemosis, beim Kaninchen fehlte beiden.
Die Sensibilität de» Auges selbst wird durch Dionin in Form von
Lösungen oder Salben nicht herabgesetzt, doch setzt es tiefliegende Augen-
schmerzen herab. Die bisweilen einsetzende Chemosis ist störend (Hixshel-
WOOD *).
Literatur: ^ A. Kaün, Dionin Merck. Therap. MonatsU., Mai 1904, pag. 353. —
') .1. !I. Mo. Kkk, Experimi'ntelle Untersuchungen Über die resorbierende Eigentichaft des
DioniD. MonatHh. f. Angenlik,, XLUI, 1, FL 3 , zit. naeh DenUche med. Wncben.'iebr., 190o,
Nr. 23, pag. 023. — 'i HiNsuKi.woon , Dionin al» AoifeiKinal^etikum. Bril. med. Jonrn..
Nr. 2261, «it. nach Deut3i'be med. Woc-Jienachr., 1904. Nr. 21, pag. 788. E. Frey
Vffl. auch Augenheilmittel, pag. 70.
Dluretische Prüfuns^. Eine neue pharmakodynamische PrQfangs-
methode diuretischer Mittel schlügt P. F. Ruhtkh vor Da es bis jetzt noch
nicht gelungen ist, am Tier hydropiache ErgQsse als Folge einer Nierenent*
zQndang hervorzurufen und doshalb auch eine Prüfung' diuretiscber Mittel
am Tier bei kranker Niere, wenigstens in bezu;^ auf Resorption solcher Kr-
güsse nicht möglich ist, erscheint der Vorschlag Ri«;htkks von großer Be-
deutung. Er gab Kaninchen kleine Mengen Uraonitrat subkutan und ver-
glich die seröse Flüssigkeit in Brust- und Bauchhöhle von so behandelten
Tieren der Menge nach untereinander. Ein Teil der Tiere bekam gleichzeitig
I
I
Diuretische Prüfung. — Dyseuteric.
187
I
die ZQ prflfende Substanz, also ein Diuretikum^ z. H. Diuretin. Die so erhal-
tenen Zahlen beweisen die Brauchbarkeit der Methode.
Literatur: P. F. Richteb, Eine neue pbariDitkodj'oaiDtgcbc PrUFungsmetbode dinreti-
scber Mittel. Die Therapie der Gegenwart, Dezember 1904, pag. 547. E, Fny.
Vgl. den Artikel »Kochsalzaasscheidung bei Nephritis«, pa;. 306.
DJoeat. Das hauptsächlich aus Extrakt von Syzygfium jambo-
lanuui bestehende Geheimmittel, das mit grober Reklaose angepriesen wurde,
leistet nach den Untersuchungen Dappeks gegen Diabetes gar nichts. Wenn
von Jambulpräparaten Wunderdinge gemeldet werden, so gebührt der Er-
folg in erster Linie den strengen dlittetischen Vorschriften. Der Verfasser
empfiehlt, wenn man von Jambul Gebrauch machen will, weder Djoeat
noch Antimellin, sondern die v. Nf>onni:vsc.he Vorschrift (aus friachoatem
Material von Merck): 200^ F^rüchte inklusive der Samenkerne worden fein
zerstoßen und unter Zugabe von 10^ Kochsalz und 4 ^r Salizylsäure mit
2 / Wasser 1^4 Stunden lang bei ßrutwärmo und unter häufigem Schütteln
mazeriert. Höhere Temperaturen eind zu vermeiden. Nach 24 Stunden wird
abfiltriert. Bei kObter Temperatur hält sich die Mazeration vortrefflich durch
die Beigabe der Salizylsäure. Die 2 / reichen zehn Tage lang, morgens und
abends werden je 100 c/n* kalt getrunken.
Literatur: Max Dappbr, L'ber die Bohundlung des Diabetes luelUtas mit dem Ge-
heimmittel »Dioeat« (Badxr). Dentachc med. Woohenschr., 1904, Kr. 32. png. 1171.
E. Frty.
Duralcol, s. Alkohol, pag. 25, 26.
Dysenterie. Der gesteigerte Weltverkehr der letzten Jahrzehnte
hat auch zur Ausbreitung vieler Krankheiten wesentlich beigetragen und
manch eine Krankheit, die früher in unseren Gegenden ein seltener Gast
war, kommt auch zu uns in immer häufigerer Zahl. Das gfilt von vielen
tropischen Krankheiten, insbesondere auch von der Ruhr, die manch älterer
Arzt nur vom Hürensafiren l^annte. In den deutschen Kolonialgebieten ist die
Dysenterie faät allenthalben heimisch und wird von dort vielfach verschleppt;
aus China haben die europäischen Kriegsmunnschaften sie überaU hin ge-
bracht In den letzten Jahrzehnten sind auch in Deutschland mehrfach epi-
demische Ausbreitungen der Dysenterie beobachtet worden, die einen nicht
geringen Schrecken verbreitet haben, zumal sie teilweise eine nicht geringe
Mortalität nach sich gezogen haben. Bei diesen helmii^chen f^uhrepidemien
handelt es sich aber, wie die neueren Untersuchungen ergeben haben , zu-
meist um eine von der tropischen Ruhr wesentlich verschiedene Form der
Dysenterie, so dali man gegenwärtig zwei Typen dieser Erkrankung unter-
scheiden kann: 1. die echte Tropendysentene , welche von Ainüben. d. h.
Protozoen erzeugt wird. 2. die Büzillendysenterie. welche durch ein spezi-
fisches Bakterium hervorgerufen wird. Was die erst«re zunächst anlanget, so
ist sie seit langer Zeit bekannt und gefürchtet wegen ihres rapiden töd-
lichen Verlaufes, der entweder durch die schwere Intoxikation selbst bedingt
ist oder durch die nicht seltenen Komplikationen schwerer Darmblutungen»
Perforationsperitonitis und Leberabszeasen. Diese Tropendyaenterie wird von
einer Amöbe erzeugt ^ welche zuerst von einem russischen Arzt namens
Losch, 1871, bei einem ruhrkranken Arbeiter in Petersburg in den Aus-
leerungen desselben gefunden worden ist. Aber erst Robert Koch ist es ge-
wesen, welcher bei Gelegenheit seiner Cljolerastudien in Ägypten 1883 die
Bedeutung dieses Protozoen für die Ätiologie der Tropendysenterie erkannte.
Auf seine Anregung hin hat Kartltlis bei der ägyptischen Endemie sehr
ausgedehnte und systematische Untersuchungen über das Vorkommen dieser
Amöben angestellt und sie in der Tat durchwegs nicht nur in den Ent-
188
Dyscoicrie.
leeruDg:en der akut und chronisch Ruhrkranken, sondern auch in dem Darm
und in den Leberabszessen der Leichen regelmäßig: grefunden. An der
ätiolofcischen Bedeutung; der Dy8enterieam5be für die tropische Ruhr wird
heute kaum noch gezweifelt.
Bis vor wenigen Jahren galt nun im allgemeinen die echte Amöben-
dysenterio ffir ein Kind der heißen Zone, was auch neuerdings noch von
vielen Autoren, z. B. Kkise, behauptet wird. Gegen diese Annahme spricht
schon von vornherein der oben erwähnte Befund echter Dysentericamöben
bei einem Petersburger Kranken. Später hat Hl.wva (1887) bei einer Ruhr-
epidemte in der Prager Irrenanstalt diese Amöben mit Sicherheit nachge-
wiesen. In vereinzelten Fällen sind sie dann noch in den verschiedensten
Teilen der Welt, besonders in Amerika gefunden worden. Auch in Deutsch-
land wurde die Dysenterieamöbe bei Ruhrerkrankungen wiederholt beob-
achtet, insbesondere von Qiri.xrHi: und R(nis lfi9S in Kiel, von Mannkk
1896 in Wien in einem durch Komplikation mit Leberabszeß tödlich ver
laufenden Falle, femer 1897 gleichfalls in Wien von Sougo, dann von Ker-
xiCH und UcKE in Petersburg lt)02, von H. Jageh in einer größeren Epi-
demie in den Königsberger Militärkasernen lÖÜl und von Albc in Bertin
in einem tödlich verlaufenden Falle lyO-l.
Ob es sich in all diesen Fällen 'um eine echte Amöbendysenterie ge-
handelt hat, kann angezweifelt werden, sobald nicht In jedem einzelnen Falle
die Identität der Dysenterieamöbe in so exakter Weise sichergestellt ist,
wie es vom bakteriologischen Standpunkt aus erforderlich und auch mög-
lich ist Denn der klinische Begriff der Dysenterie ist leider noch ein
schwankenden Nicht nur in der ärztlichen Praxis , sondern auch in der
Literatur werden vielfach akute und chronische Darmerkrankungen mit der
Bezeichnung »Dysenterie« belegt, sobald häufige blutige oder schleimige
Entleerungen^ namentlich verbunden mit Tenesmus vorhanden sind. Ja, es
sind sehr harmlose Diarrhöen als Dysenterie bezeichnet worden , weil man
bei ihnen Amöben in den Ausleerungen gefunden hat. Demgegenüber ist
daran festzuhalten, da(> die echte Dysenterie ein scharf umschriebener Sym-
ptomenkomplex ist, bestehend aus profusen dönntlüasigen, blutig-schleimigen.
teilweise mit Qewebsfetzen untermischten Darmentloerungen, die mit starkem
Tenesmus, oft auch Kolikschmerzen einhergehen, fast ununterbrochen Tage.
Wochen und Monale, selbst Jahre anhalten und zu einer erheblichen Be-
einträchtigung des Erniihrungs- und Kraftezustandes führen. Nun gibt es
selbstverständlich in der Schwere und im Verlauf des Krankheitsprozesses
sehr viele Variationen, aber keinesfalls darf jede blutige oder schleimige
Diarrhöe als eine Dysenterie bezeichnet werden.
Der wechselnden Intensität der Krankheitserscheinungen entspricht
auch eine groUe Verschiedenheit des anatomischen Befundes, welcher von
leichten oberflfichlichen Nekrosen bis zu den charakteristischen tiefen Ge-
schwören in der Darmschleimhaut wechselt. Der Sitz der Krkrankung ist
meist ausschließlich der Dickdarm , der in seiner ganzen Länge von zahl-
losen kleineren und größeren» mehr oder minder tiefen rundlichen Geschwüren
ilbersät sein kann, die zum Teil bis auf die Serosa reichen, andrerseits oft-
mals deutliche Tendenz zur Granulation und Vernarbung zeigen. Die genauere
Kenntnis des anatomischen Krankheitsbildes ist auch erst in neuester Zeit
gewonnen worden, insbesondere hat JCrgkns ausgezeichnete Beiträge über
die feineren mikroskopischen Befunde gegeben. In bezug auf alle Einzel-
heiten des klinischen Krankheitsbildes sowie des anatomischen Befundes
muli auf die unten erwähnten Originalarbeiten verwiesen werden.
Die Diagnose der echten Amöbendysenterie ist nach dem oben Gesagten
weniger auf die klinischen Erscheinungen zu stützen als auf den sicheren
Nachweis des Krankheitserregers. Derselbe ist zu föhren durch die genaueste
>
^
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^
»
Dysenterie. 189
mikroskopische Untersuchung der frisch entleerlen Dejektionea des Kranken
sowie durch die L'bertrag^ung des infektiösen Darniinhaltes auf den Katzen-
darm, weicher sich als empfänglich fQr die menschliche Dysenterieamöbe
erwiesen bat
Was den mikroskopischen Nachweis der AmSben im Stahl betrifft,
so sind sie für das erfahrene Au^e leicht erkennbar. Es sind Qborjrroüe Rund-
zellen, welche den f^ewObnlichen Leukozyten und Lymphozyten zwar ähneln,
sich von ihnen aber nicht nur durch ihre zwei-, drei- bis vierfache Große,
sondern auch durch die unre^elniäßi&re. bald mehr län^i^liche, bald mehr ovale,
oft auch eckige Gestalt unterscheiden. Die Gestaltsveränderung der lebenden
Amöben ist ihr Hauptcharakteristikum. Man sieht unter dem Mikroskop
beständig bald hier, bald dort Fortsätze aus der Zelle sich vorstrecken, die
ebenso schnell häufig wieder verschwinden, wie sie hervorgetreten sind. Da-
bei bewegen sich die Zellen auch von der Stelle mit mehr oder minder
groüer Schnelligkeit. An den Zellen selbst fällt ein zähes, glasiges Ekto-
plasma auf, welches stark licbtbrechend und daher etwas dunkler als die
freie Umgebung ist. Diese Riesenzellen enthalten meist einen exzentrisch
liegenden Kern, der sich nur schwach färbt, und h.'lufig ein in demselben noch
deutlich wahrnehmbares dickes Kernkorperchpn. Nach wenigen Stunden
pflegen die Amöben ihre Beweglichkeit und Gestaltsveränderung zu ver-
lieren. Im gefärbten Trockenpräparat ist die Identifizierung der Amöben
deshalb erheblich schwieriger, wenngleich Kern und Kernkörperchen zuweilen
deutlicher hervortreten als im frischen Präparat. Die Amöben haben auch
eine Dauerform, welche als kleine, meist kugelrunde Cysten von zarter
Struktur erscheinen. Diese Encyatierungsformen treten dann gewöhnlich in
den Darmentleerungen auf, wenn dieselben fester werden, und sind das
Zeichen beginnender Heilung. Hei den nicht seltenen ROcktällen der Dvr-
enterie verschwinden sie wieder und umuhen den Amöben von neuem Platz.
Die Identifizierung der echten Dysenterieamöbe hat sich nun tn den
letzten Jahren noch erheblich erschwert, nachdem mit Sicherheit festgestellt
worden ist^ daß ein sehr ähnliches Protozoon auch häufig bei barmlosen
Diarrhöen (chronischer und akuter Enteritis) und sogar in den Stuhlent-
leerungen von Gesunden vorkommen. Es Hegen darüber in der Literatur
bereits zahlreiche Beobachtungen aus den verschiedensten Gegenden vor.
SciLMTDiNx (Berlin), welcher eich die hervorragendsten V^erdienste um das
zoologische Studium dieser Lebewesen erworben hat. bezeichnete diese ge-
wöhnliche Darmamöbe als Entamoeba coli LOs( h im Gegensatz zu der Ent-
amoeba histolytica, welche der Erreger der echten Troponruhr ist. Die
letztere verdient ihren Namen wegen ihrer schweren zerstörenden Wirkung
auf Zellen und Gewebe. Die morjjhologjsche Unterscheidung ist sowohl im
frischen wie im gefärbten Präparat außerordentlich schwierig; im ersteren
Präparat ist das hauptsächliche Unterscheidungsmerkmal das hellere und
zartere, nur schwach lichtbrechende Ektoplasma; im gefärbten Präparat ist
besonders der stärkere Chromatingehalt und die feinere Differenzierung des
Kernes bei der Entamoeba coli zu erkennen. Ein sicheres Untersclieidungs-
merkmal soll aber die verschiedene Art der Fortpflanzung der beiden Amöben
bilden: die gewöhnliche DarmamÖbe vermehrt sich durch Teilung oder durch
Brutbildung von 8 Tochterzellen« während die echte Ruhramöbe sich nur
durch Teilung oder multiple Knospung, d. b. Abschnürung mehrerer kleiner
Tiere entwickelt.
Leichter als durch das Mikroskop ist die Unterscheidung durch den
IT bertragungs versuch auf Katzen; die gewöhnliche Darmamöbe ist
nicht infektiös, die DysenterieamÖbe aber erzeugt bei den Versuchstieren
heftige Diarrhöen, als deren mntertelle Grundlage sich ein der menschlichen
Dysenterie ganz analoger Krankheitsprozeß im Katzendarm erweist. Das ge-
190
Dysenterie.
naue mikroskopische Bild der Katzendysenterie ist erst in neuerer Zeit von
Jürgens detailliert beschrieben worden.
Neben der Aniöbenruhr hat man nun in neuester Zeit auch eine Ba-
zillonruhr kennen ^elemt^ welche ^enaa dieflelben Krankheitserscheinungen
und denselben Verlauf darbietet wie die erstore und von ihr deshalb nur
durch eine genaue mikroskopische bakteriologische Untersuchung zu unter-
scheiden ist. Der pathologisch- anatomische Prozeli ist freilich auch ein an-
derer. Die Bazillenruhr erzeugt nicht tiefe Ulzerationen, welche die Darm-
wand durchsetzen, sondern einen der Diphtherie ähnlichen oberflächlichen
Verschwärungsprozeß, der in dem nekrotischen Zerfall der Schleimhaut
seinen Höhepunkt und sein Knde erreicht. Als Erreger der Bazillenruhr ist
ein charakteristischer, spezifischer Stäbchenorganismus zuerst von Shiga,
einem Schfllor Kitasatos, in Tokio 1897 hei Gelegenheit einer japanischen
Kpidenue entdeckt worden. 1^ .lahre später ist derselbe Bazillus anscheinend
unabhfingig von Shiga durch Kiuse bei der ausgebreiteten niederrheiniscben
Ruhrepidemie von neuem gefunden worden und seitdem an den verschie-
densten Teilen der Erde als Krreger der jeweiligen Ruhrepidemien festgestellt
worden, so u, a. von Fukxnek auf den Philippinen und von v. Drigalski in
dem Döberitzer Heerlager in der Nähe von Berlin. Die Identität der Shiga-
KürsEschen Ruhrbazillen ist mit Sicherheit nachgewiesen worden.
Ohne auf die morphologischen und biologischen Eigenschaften des
DvEenteriebazilluB hier näher einzugehen, sei nur erwähnt, daß er auch zum
Ausgangspunkt der Herstellung einer spezifischen Blutscruiutherapie
der Dysenterie geworden ist. welche zuerst von StirOA, dann vou Kruse
unternommen worden ist. beide basTerend auf dem Nachweis der Aggluti-
nation der Bazillen durch das Serum der Kranken, welche mit dem Serum
gesunder Menschen oder an anderen Krankheiten leidender Personen nicht
erfolgte. Sowohl Shiga wie Krusk behaupten, durch Anwendung dieses
Serums die Mortalität der Erkrankungen bei den von ihnen beobachteten
Epidemien auf ein Drittel der froheren Höhe herabgesetzt zu haben. Über
die Technik der Gewinnung des Serums (durch Immunisierung von Pferden
gegen die (Üftwirkong des Dysenterietoxins) ist in den unten mitgeteilten
Originaiarheiten nachzulesen. Ein endgültiges Urteil Ober den Wert dieser
spezifischen Behandlung läljt sich zur Zeit noch nicht fällen.
Ein Erfolg wäre um so wünschenswerter, als die bisherige Therapie
der Dysenterie eine recht wenig befriedigende ist. Ein Heer von Medi-
kamenten ist empfohlen worden, ohne daß ein einziges sich einer sicheren
Wirkung rühmen könnte. Weitaus die meisten Freunde hat noch das Chinin,
welches eine direkt totende Wirkung auf den Krankheitserreger im Darm
ausüben soll. Es wird nicht nur per os, sondern auch in Form von Klistieren
angewendet. Englische Autoren haben die Wirksamkeit des Glaubersalzes
sehr gerühmt, von anderen werden Kalomel oder adstringierende Substanzen,
wie Tannin und Arg. nitr , namentlich in Form hoher Darmeinläufe befür-
wortet. Seinen wohlbewährten Huf hat sich noch da^ Rizinusöl bewahrt,
welches aber natürlich seine Wirkung nur In den ersten Krankheitstagen
entfalten kann. Bei frühzeitiger Stellung der Diagnose wird es sich beson-
ders in den sporadisch auftretenden Fällen sehr nützlich erweisen, während
hier die bei Verkennung der Krankheit vielfach noch übliche Opiumtherapie
nur Schaden stiften kann. Auch der Gebrauch der Ipocacuanha-Präparate
ist in neuerer Zeit wieder empfohlen worden, ihre Wirksamkeit soll aber
auch nur im Beginne der Erkrankung zutage treten.
Nachdem die Ätiologie der Dysenterie im letzten Jahrzehnt durch die
Anwendung der modernen Untersuchungsmethoden eine so überraschende
Aufklärung erfahren hat, ist auch die Wichtigkeit der Prophylaxe klar
erkannt worden. Insbesondere hat Kri'se das Verdienst, als erster in Deutsch-
\
Dysenterie. — Dyapeptine. 191
land auf die Bedeatung der Ruhr als Volkskrankheit hingewiesen za haben,
deren Ansbreitong za verhüten eine ernste Aufgabe der öffentlichen Hygiene
ist. Als hauptsächlichstes Mittel dazu ergibt sich die Vernichtung der
Krankheitserreger in den Darmentleernngen der Ruhrkranken. Dieselbe hat
nach den allgemeinen Grundsätzen zu erfolgen, welche infektiösen Darm-
entleerungen gegenüber Üblich sind: Desinfektion durch Chlorkalk, Creolin,
Karbol, Lysol u. dgl, sorgfältiges Auskochen der Bett- und Leibwäsche der
Kranken u. dgL mehr.
Literatur: Albu, Zeitschr. f. klin. Med., 1905, LVI. — Boas, Deatacbe med. Wochen-
schrflt, 1896, Nr. 14. — H. JIgeb, Berliner klin. Wochenschr., 1901, Nr. 36; Deutsche med.
Wochenschr., 1902, Nr. 27; ZcDtralbl. f. Bakteriol., 1892, XXXI n. XXXU. — Kaetülib, Die
Bnhr, in Nothhaoxu Handb. d. apes. Patli. n. Ther., 1896, V, T. III. (Darin sind nicht nnr
die Einzelarbeiten de» Verfassers zusammengelafit, sondern auch alte früheren Publikationen
auf diesem Gebiete kritisch besprochen.) Kbahich und Ucee, Petersburger med. Wochenschr.,
1902. ~ W. Kbuss und Pabqdalb, Zeitschr. !. Hygiene, 1894, XVI. — W. Kruse, Deutsche
med. Wochenschr., 1900, Nr. •lO; ibid., 1901, Nr. 23 u. 24; ibid., 1903, Nr. 1 u. 3 ; Zentral-
hlatt f. aUg. Gesnndheitspflege, 1900; Naturforscher Versammlung in Aachen 1900; Deutsche
Arate-Ztg-, 1902, Nr. 2. — Qüihcke und Roos, Berliner klin. Wochenschr., 1893, Nr. 45. —
QozHCKB, Berliner klin. Wochenschr., 1899, Nr. 46. — Schaudinn, Arbeiten aus dem kais. Ge-
SDodbeitsamt, Berlin 1903, XIX, H.3. — Shioa, Zentralbl. f. Bakteriol, 1898, XXIII; Deutsche
med. Wochenschr., 1901, Nr. 43 u. 46; ibid., 1903, Nr. 4 a. 7; Zeitschr. f. Hygiene, 1902, XLI. —
»Beobachtungen und Untersuchungen über die Ruhr*' in den »VeröttentUchnngen aus dem
Gebiete des Hilitärsanitätswesensc, herausgegeben von der Medizinalabteilnng des königl.
Preußischen Kriegsministeriums, Berlin 1902, H. 20. Darin die wertvollen Arbeiten von
JCbobbs nnd von v. Dbioalsei. Alba.
Dyspeptlney s. Magensaftpräparate und Organotherapie.
Eigon, Zwei Brom-Eiweißverbindungea, Brom-Eigon und Brom-
peptu-Eigun, mit ungefähr ll"u Brom aus der Fabrik Helfenberg. er-
wiesen sich nach Ehrke weniger wirksam als die gleich groUen Qaben
Broninatriutn. Der Autor meint daß zur Beurteitanf höhere Dosen versucht
werden müßten.
Literatur: Eukkk, PBychiatr.-nenrolofc- ^Vocbeimchr., 1905, Nr. 44, sit. nach Lakoeit-
UKiMBR, Die Therapie der Gegenwart, MUrz 1905, pag. 133- E. frey.
Elsenpräparate. Das Elsen ist bekanntlich nach der Auffassung
SrHMiEDRiiEKGs niclit als ein Arzneimittel aufzufasHon , sondern stellt einen
notwendigen Hestandtt^il der Gewebe dar. Um dies nachzuweisen, untersuchte
BAi.noNfi) Qewebe, die nach ihrer Lage und Beschaffenheit unabhängig von
der Blutbildnng sind. Überall fand er Eisen, so in der Linse und Hornhaut
der Rindsau^on und im Fleisch des Flußkrebses. Von Interesse sind auch
die Untersuchungen von Sf/UADE.-) Dieser zeigte, daß dem metalliachen Eisen
und dem Eisen in salzartigen Verbindungen direkte katalytiache Wirkung
zukommt, wie sie vom Hämoglobin längst bekannt ist. Es gelingt mit diesen
Eisenpräparaten, die oxydationsbeschleunigende Wirkuns" auf Wasserstoff-
superoxyd oder auf GuajaktJnktur mittelst alton Terpentinöles auszulösen.
Die Eisenwirkung ist also eine '• Fermentwirkung«.
Eine neue Darreichungsforiu des Eiaenä empfiehlt Meissner. 3) Er gibt
die bekannte BLAUDache Piltenmischung mit Lebertran zusammen In flache
kleine Gelatinekapsetn und will dadurch die unangenehmen Ätzwirkungen,
welche die BLAVOschen Pillen auf die Magenschleimhaut ausüben, ver-
meiden.
Die subkutane Anwendung von Eisen und Mangansulfaten empfiehlt
Camurrl*> Dagegen verwirft dieselbe MAaPoui^), weil das so eingeführte
Eisen nicht resorbiert werde.
GoLDUANN'**) hat versucht) das Eisen durch eine Inunktiunskur dem
KSrper einzuverleiben. Er benutzte das Biij.iTZERscho Verfahren, welches
auf elektrischem Wege alle Metalle in die denkbar feinste Verteilung zu bringen
gestattet Auf diese Weise stellte er sich eine 3%ige Eisensalbe dar, nach
deren Anwendung im Harn Eisen nachzuweisen war.
Neue Eisenmittel sind im letzten Jahre nicht auf den Markt ge-
bracht worden. Von den neueren Präparaten empfiehlt D*jh'j das nuklein-
saure Eisen, welches leicht zur Resorption käme und die Magenfunktion
nicht beeinträchtige.
Denselben Vorzug, die Magentätigkeit nicht zu stßren, lobt Aaron ^)
am Fersan (&. Encyctop. Jahrb.. N. F., Jahrg. III^ pag. 150). Das Präparat
besitze eine starke spezifische Reizwirkung auf die blutbildenden Organe.
w
^
Eistfopräparate. — Elektrische Starkstrom Verletzungen. 193
Jod-Feraan ist von F(Vrbt") mit sehr grutem Erfolg;« in der Klnder-
praxifl verwandt worden. P> gab es in Pastillenform zu 0 5^ mit O'ig Keraan
tind 0'\g Joikali. Taj^esdosis dreimal zwei Pastilten. Bei Lues cons^enita,
Skrofulöse, Struma, Rachitis waren die Erfolge sehr gfote,
Klsentropon wird von Matzner^'*) empfohlen.
SiKGEUT»*) verwandte das von Cloetta hergestellte Klutpräparat
Bioferrin. Er gibt es Säuglingen zu t^in- bis zweimal ö^. älteren Kindern
ZD 10 — 15^, Erwachsenen bis 30 ^' pro die. Wie Sikoert*-) des weiteren
mitteilt, stammt das zur Darstellung des ßlaferrins verwandte Blut von
gesunden, tierärztlich untersuchten Rindern und ist daher frei von Tuberkel-
bazillen.
NovÄK^i) empfiehlt das OEitTEL sehe Ferrisaccharit. Dieses Präparat ist
eine Verbindung von Zuckersäure mit Eisen, Hämoglobin und wenig Chinin.
Man gibt es in Form von Tabletten, deren Jede 'Ih mg Klsenoxyd enthält.
Sehr warm empfohlen wird von Goi.lnbie ") das unter dem Namen
Gadorin eingeführte Eisenmanganpepton.
Ebenso wird von Fkick^^) Ober sehr günstige Wirkungen berichtet,
die bei Verwendung des flüssigen Sanguinal: Liquor sanguinalia
Krewel, erzielt wurden.
Literatur: \) A. Kaldosi, Archiv I. experimcntcllo Patholofiie u. PhnrmiikoloKie, LH. —
*) ScBADE, Die katalylischc Wirkung der Metalle. Vogel, Leipzig 1905. — 'f P. Mbi68xri,
PeaUche nieü. Woebensohr., 1905, Nr. 9, p.iK. 344. ~ *) Camlbri, Gnzvtta d. unpedali, 1904,
Kr. 106. — *) Marfoki, Ebenda, 1904. Nr. 97. — ") Ooldmaxh, Wieaer klin. Wocheottchr.,
1905, Nr. 18. — ^Doa, Oaz. den liüp. . 1904, Nr. 31. — ■)ÄAtto.'<, Americ med. compeud.,
19(>4, Nr. 2. — VKrEBT, DeutBche MedizinalzeitUDg, 1904, Nr. 17..— "'] Mateweh, Wiener
med. Wochenflchr, 1905, Nr. 12, 13, 14- — ") Sieoert, MUncheuer med. Wochenschr, 1904,
jJr.äT. — "iDerBclbe. Ebenda, 1904, Nr.öl. — '^Noväk, Oasop. lek. eesk , 1904, Nr.34;
lel. Deutsche med. Wochenschr., 1904, Nr. 37. — ")Golikkb, Therap. Monatfth. , Juli 1904,
pag. 356. — **) Fhhti, Kbenda, Februar 1905, pag. 76. Kiotücm.
Elektrische Starkstromverletzuns^en* Das Studium der
elektrischen Starkslroniverletzungen vollzieht sich auf dem Grenzgebiete der
Medizin und der Elektrotechnik. Die elektrischen Starkstrom verletzunfi^en,
deren Zahl entsprechend der immer allgemeiner werdenden Verwendung
der technischen Starkströme im Wachsen begriffen ist, nehmen zufolge ihrer
Entstehungsart und ihres kliniäcbon Verlaufes eine Sonderstellung in der
Medizin ein. Andrernoits int zum vollen Verständnis eines elektrischen Unfalles
eine gewisse Vertrautheit mit bestimmten etektrutechnischen ße^riffen, mit
der Praxis der Elektrizitätsindustrie notwendig. Diese Bedingung wird vollends
unerläUlich, sobald der Arzt in forensischen Fragen sein Gutachten abzu-
geben hat. Dies kann leicht an einem Beispiel aus dem Leben erhärtet
werden: im Jahre 19u2 ist in Wien in einem Klektrizitätswerk ein junger
Monteur Namens Sp,, durch elektrischen Starkstrom, und zwar Wechsel-
strom von 1000 Volt Spannung getötet worden. Der Monteur hatte mit
seinen Händen sogenannte Isolationsprüfor berührt. Es sind dies Hartgummi-
8t«*Lbe von zirka 25 cm Länge, die nur an einem Ende blanke Kupferspitzen
(von zirka 2 cm Länge) tragen. Der Mann trug an den Händen, und zwar
an der Volarseite an der Übergangsstelle in den Vorderarm kleine Brand-
wunden als Kontaktspuren davon.
Das Schwergewicht der nach der Tötung aufgeworfenen Frage wurzelte
in der Alternative: »Unfall oder Selbstmord?«
Aus der Lokalisation und dem Charakter der Konlaktspuren einer-
seits und andrerseits aus der Vertrautheit mit der Handhabung und Be-
nutzung dieser Isolationsprüfer konnte der ganze Vorgang des Unfalles*
* Vgl. pag. 1^, Elektropathologie. Die £rkrankangen dnrcb Blttuchlag und
triecben Starkstrom in klinischer und forensischer Darstellung. Verlag F. Enke, Stott-
1903.
fiwyelop. JahxbQchar. X. F. FV. (XJIL)
\^
194
Elektrische Starkstrom verUtzuugen.
rekonstruiert werden; mit größter Wahrscheinlichkeit durfte hiermit aas^^e-
sagt werden, daß der Monteur einem Unfall zum Opfer gefallen ist.
Derartige. Fälle wären leicht in gröUerer Zahl zu zitieren, auf Grund
deren die Richtigkeit der eingangs erwähnten Worte weiter dargelegt
werden könnte.
AuH der großen Reibe der den Arzt interessierenden Fragen aas dem
Gebiete der Elekrotechnik sei diesmal nur eine herausgegriffen, die aller-
dings alltäglich und immer wiederkehrt: Welcher Strom resp. welche
elektrische Anlage gilt als gefährlich:'
Über diese Grenze wird viellach gestritten ; wenn wir auch wissen,
daß diese Grenze auf Grund der gemachten Erfahrungen immer tiefer zu
setzen ist^ so empfiehlt es sich aus praktischen Gründen, jode elektrische
Starkstromanlage als in gewissem Sinne »gefährlich« zu bezeichnen.
Geläufiger wird die Bestimmung der Grenze, wenn wir uns der Volt-
zahl bedienen. Vor Jahren glaubte man noch die Spannung von 500 Volt
erst als Gefährlichkeitsgrenze bezeichnen zu dürfen, seitdem aber eine
Tötung durch einen Gleichstrom von nur 05 Valt(!) Spannung sich ereignete,
mQssen wir saften, keine Etektrizitätsanlage kann als ungefährlich bezeichnet
werden. Mag die Spannung noch so klein sein, so kann unter Umständen
auch da ein Unfall eintreten.
Vom prophylaktischen Standpunkte ist eine derartige Auffassung die
verläßlichste. Die Praxis allerdings zeigt, daß auch Stromspannungen von
mehr als 5000 Volt vertragen wurden, ohne daß der Mensch außer einer
lokalen Verletzungen ernstere Schädigungen erlitten hätte.
Es würde den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten, wollten wir
die einzelnen Faktoren auch nur Revue passieren lassen, von welchen die
Gefährlichkeilsgrenzo mitbestimmt wird. Wenn wir auch nochmals wieder-
holen, dali eine untere Grenze» bei welcher der elektrische Strom todlich
wirkt, nicht anzugeben ist , so müssen wir hinzufügen , daß die Praxis
in den Klektri/itätuwerken zeigt, daß auch der Eingeweihte Ströme von
100 — l.^U Volt Spannung mit Vorsicht behandeln muß, daß
Spannungen über 200 Volt (gleichgültig, ob Gleichstrom oder
Wechselstrom) als gefährlich zu bezeichnen sind und daß schließ-
lich Spannungen von über 500 Volt schon zu todlich wirkenden
zu rechnen sind. Soviel aus dem Gebiete der Technik.
Zum Verständnis der Entstehung der elektrischen Starkstromverletzungen
ist n<»twtndig zu berdcksichiigen, daß die Schwere der durch das elektrische
Trauma gesetzten Gesundheitsstörung vorwiegend von 2 individuellen
Eigenschaften abhängig ist:
1. von dem Scbutzwiderstande:
2. von der Leibesbeschaffenheit.
Ad 1. Jedes Individuum ist mit einem gewissen Schutzwiderstande ana-
gestattet; von diesem hängt es in erster Linie ab, ob ein elektrischer In-
sult mit ernsten Gefahren für das Leben verbunden ist oder nicht. Der
Widerstand, das Problem der Elektrotechnik, ist auch in der Elektrnpatho-
logie eine Große ersten Ranges. In praxi brauchen wir nur den Widerstand
der Haut, der allgemeinen Kürperdecke zu berücksichtigen, d. i. der Schutz-
widerstand ; den Widerstand des »übrigen Körpers li. e. ohne Körperdecke)
können wir als geringfügig vernachlässigen. Dieser Umstand erhellt ohne-
weiters aus der Betrachtung einiger Ziffern der diesbezüglichen Widerstands-
messungen.
Während der Widerstand des menschlichen Körpers ohne allgemeine
Decke sich Im allgemeinen auf 1000 Ohm beziffert, so ist die trockene,
im natürlichen Zustande befindliche Haut durch Widerstandaziflern von
durchschnittlich 50.000 Ohm ausgezeichnet. Schwielige Hautpartien haben
Elektrischti Starkstromvcrletzuagea.
195
einen Widerstand von vielen Hunderttausend Ohm. ]a sogar mehrere Millionen
tind darüber: im technischen Jargon ^^esprochen einen unendlich groÜen
W'idurstand.
Zum Vergleiche seien hier einige beiläufige Mittelwerte mitgeteilt:
Haut (Oberschenkel) .
Leber .
Niere .
Muskel
Gehirn
Herzneisch
Knochen
2,000.000 Ohm (Mann»
200.000
18.000
900
1.000
1.500
:i.oüo
1.600
300.000
(Frau)
(neugeb. Kind)
GewcbsflUsfliglteltcn
Harn 1200 Olim
Blutserum 3700 •
frisches Blut 4000 »
defibrin. Bliit 4200 ►
GelenkTiassigkeit 4400 »
Diese Ziffern bedeuten keineswegs absolute Zahlen ; sie stellen nur
Vergleichsdaten der verschiedenen Leistungsfähigkeit dar. Es erhellt aber
ohne weiteres, daß der Widerstand der Haut, den der elektrische Strom beim
Eintritt in den menschlichen Körper überwinden muü, der beträchtlichste ist.
Rafen wir uns das Oh Msche Gesetz (ArapOre = T—-) ins Gedächtnis und
lesen wir aus demselben herans, daß die den Menschen durchdringende Strom-
stärke im umgekehrten Verhältnisse zum Widerstände steht, d. h. je mehr
Widerstand, desto weniger Strom, ao wird die Bedeutung der allgemeinen
Decke als Schutzwiderstand verständlich.
Ad 2. Von der eigentümlichen Leibesbeschaf Fenheit — dabei ist
auch der Zustand der Haut d. h. die Größe ihrer Widerstandsziffer inbe-
griffen — ist es abhäugig, daß derselbe Strom die eine Person momentan
lötet und eine andere nur uoerhebllch verletüt. Es ist ein großer Unter-
fichied, ob jemand bewußt oder unbewußt ein elektrisches Trauma erleidet. Hier-
her gehört auch die vom Ingenieur Aspinai. gemachte Beobachtung, daß ein
sonst todlich wirkender Wechselstrom (von mehreren Tausend Volt Spannung)
schlafende Monteuren nichts anzuhaben vermochte, nur an der Berubrungs-
stelle erlitten sie Brandwunden. In Analogie hierzu sei das Narkoseexperiment
zitiert« welches zeigt, daß ein für wache Kaninchen tödlich wirkender
Wechselstrom als vollkommen harmlos zu bezeichnen war, wenn man den-
selben auf tiefchloroformierte Kaninchen zur Applikation brachte; ja er er-
wies sich sogar lebensrettend; die infolge der tiefen Narkose moribunden
Tiere wurden durch den elektrischen Insult sofort wach.
Zur näheren Illustration der allgemeinen Umstände, die bei der Be-
urteilung der individuellen Leibesbeschaffenheit von Kinfluß sind, scheint es
empfehlenswert^ aus dem experimentellen Teil der Elektropathologie einige
Ergebnisse zu reproduzieren:
1. »Die verschiedenen Tierarten zeichnen sich durch verschieden geartete
Leitungsfähigkeit aus. Diese Verhältnisse können nicht drastischer gekenn-
zeichnet werden als durch die Beobachtung, daß ein Frosch und ein Meer-
schweinchen dem elektrischen Strome einen viel größeren Widerstand bietet
als ein Pferd. Während die meisten Tiere in Rachen- Rektum-Methodo ge-
messen einen Leitungswiderstand von mehreren hundert bis eintausend Ohm
196
Elektrische Starkstrom verUtzuDgeu,
erkennen ließen, war bei Pferden oft nur 20, ja einmal sog^ar nar 16 Ohm
zu ermitteln.«
2. »Die verschiedenen Tierarten reagieren sehr verschieden auf die
Einwirkung des elektrischen Stromes.
Verhältnismäßig am wenigsten vertrugen unter den Versuchatieren
(Frösche, Schildkröten. Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen, Hunde, Pferde)
die weilien Mäuse und die Pferde.
Es gelingt ohne weiteres, ein Pferd mit dem Straßenstrom (Qleichstrom
von -160 Volt Spannung) zu töten.*
Wird die Zeitdauer der Einwirkung verlängert, so verträgt ein Pferd
nicht einmal die unipolare Berührung eines Qleichstromes von nur 110 Volt
Spannung, es geht bald darauf zugrunde.
Mäuse, besonders junge, bezahlen den Kontakt schon von ganz
schwachen Strömen (30 Volt Spannung) mit dem Leben.
Im grollen Gegensätze dazu stehen Frösche und Schildkröten, die
gegen Elektrizität geradezu immun zu sein scheinen. Man vermag diese
Tiere durch Elektrizität (bis zu Spannungen von lü.üOO Volt) nicht zu töten;
höchstens verbrennen sie im elektrischen Lichtbogen, der die Temperatur
von vielen Tausend Grad Celsius entwickelt.
Meerschweinchen, Hunde und Kaninchen halten die Mitte, wobei
die ersteron 2 Tiergattungen viel empfindlicher sind als Kaninchen.
Mit einem technischen Wechselstrom von 1000 Volt Spannung kann
man ein Kaninchen nicht immer sicher töten.«
Die außerordentlichen Verhältnisse, die durch die Chloroformnarkose
geschaffen werden, sind schon früher erwähnt worden. Elektrizität und
Chloroform narkose erwiesen sich In manchen Fällen geradezu als Anta-
gonisten.
Die durch den elektrischen Starkstrom verursachten Gesundheitsstö-
rungen sind einerseits durch den starken psychischen Reiz und andrer-
seits durch materielle \' e ra n d e r u n mto n in den verschied enen Organ-
systemen bedingt Schon früher wurde oben angedeutet, daU der Endeffekt
eines elektrischen Insultes zum großen Teil davon abhängig ist, ob jemand
bewußt oder unbewußt einen elektrischen Schlag bekommt.
Die Erörterung der psychischen Reizwirkung gehört in das Gebiet der
Lehre vom Shock.
Die materiellen Veränderungen waren seit jeher bekannt-, soweit die
Allgomeindecke betroffen wurde. In den allermeisten FilUen von elektri-
schen Verunglückungen entstehen Hautläsionen, die allerdings sehr unter-
schiedlichen Charakter haben können.
Es verdient vom forensischen Standpunkte aus hervorgehoben zu
werden, daß es sicher beobachtete Unfälle durch Klekirizität gibt, bei denen
keine Spur des stattgehabten Elektrizitätsüberganges oder irgend eine andere
Veränderung nachzuweisen war.
Die in der Haut auftretenden Veränderungen haben eine große Ähn-
lichkeit mit denen, wie sie nach Hlitzf^chlag beobachtet werden. Es sind dies:
1. Brandwunden und brandwundenähnliche Läsionen;
2. Haarversengungen;
3. Durchlöcherungen und Durchtrennungen der Haut;
4. Blutaustritte;
5. spezifisch elektrische Haut Veränderungen.
^ 0. BooBLMAKM bat in Aachen aal 3 Pferde, 3 OchKc, 3 Hammel aod 1 Schwein
einen Wechselstrom von ööO Volt 1 100 Perioden i einwirken lasten. Die Tiere wurden nwch
getötet, Es sollte dit; auch heute Kfhr aktuelle Frage geprüft werden, ob die Glektroktonie
statt der bisher üblichen Schlacbttuf^thoden einrnfUhren wäre. Die Uesnltate wardcn al»
gflnstige bezeichnet, auch die Ausblutung ging tadellos vor sich.
Elektrische Starbstromverletzungen.
197
^
^
Über die sub 1^4 erwähnten Verletzungren der Haut wurde bereits
im Artikel »Blitzschlag Verletzungen* gesprochen. Ks erübrigt nur noch über
die »spezifisch elektrischen Hautveränderungen« kurz einige Worte zu sagen.
Es sind dies vorwiegend 2 Arten von Hautläsionen, die bisher beob-
achtet wurden und welche bezüglich ihres Charakters eine Sonderstellong
einnehmen :
Zunächst eine knorpelartige oder stearinähnliche, spiegelglatte, harte,
grauweiße, unempfindliche Masse, die mitten im scheinbar intakten oder
wenig voränderten Hautgewebe entstanden ist, und zwar an der Stelle, wo
der elektrische Strom zur Einwirkung gelangte. Im ganzen erst in 2 Fällen
beobachtet; einer von diesen Fällen betraf einen jüngst in Wien verunglückten
Monteur, der von Prof. A. Koi.iSKO obduziert wurde.
Bei der Autopsie desselben Falles fand man eine etwas über linsen-
große, flächenhafte Hautverbrennung. Bei genauerer Untersuchung mittelst
der Lupe zeigte es sich, daß dieser oberflächliche Verbrennungsfleck aus
einer Reihe von rundlichen Herden bestand . die in Gruppen angeordnet
waren: ein ganz merkwürdiges Verhalten. Es liegt die Annahme nahe, daß
diese Hautwunde nicht durch direkten Übergang von elektrischem Strom.
sondern vielmehr durch elektrische Funken Wirkung entstanden. Die Ent-
ladung fand in Form eines Funken statt, der aus einem LichtbQscbel be-
steht; die einzelnen Arme der Lichtgarbe haben Spuren, i. e. in Gruppen
angeordnete, rundliche, wohlumschriebene Einzelverbrennungen hinterlassen.
Vom forensischen Standpunkte ist eine derartige Konstatierung von
Belang, weit sie einen Anhaltspunkt für die Entscheidung der mitunter
wichtigen Frage abgibt, ob eine Starkstrom Veränderung durch direkte Be-
rührung oder infolge Fernwirkung entstanden ist
Da die genauen Beobachtungen und Untersuchungen der Starkstrora-
verletzungen erst jungen Datums ist und immer wieder neue Befunde kon-
statiert werden, so ist es nattirlich, daÜ die oben angeführte Reihe von
äußeren Starkstrum Verletzungen nicht als vollständig betrachtet werden
kann. Ahnlich verhält es sich mit der Symptomenreihe, die vom Er-
griffensein der Innenorgane herrührt. L)ie nach elektrischen Traumen
auftretenden Gesundheitsstörungen brechen entweder sofort oder allmählich
nach dem Unfall hervor . oder es vergehen Wochen , Monate oder auch
Jahre, bis sich die Folgen eines solchen Ereignisses geltend machen.
In den meisten Fällen tritt eine länger oder kürzer dauernde Be-
wußtlosigkeit ein, die von leichtem Unwohlsein gefolgt ist. Von den be-
sonderen Umständen des Falles ist es abhängig, ob sich beim Verunglückten
Albuminurie, Ikterus, Störungen von selten des Gefäßapparates etc etc. noch
hinzugesellen. Die einen erholen sich vollkommen, andere wieder bieten das
Bild der traumatischen Neurose. In der Minderheit der Fälle kommt es zu
ernsten Nerven- und Geisteskrankheiten, wie es in jüngster Zeit in lehr-
reicher Wei.se von A. Ei iRNiurKu* dargestellt und beschrieben wurde.
A. EllEi\bi;r(; war der erste, der darauf hinwies, daß die nach elektri-
achen Traumen hervortretenden Nerven- und Geistesstörungen wohl durch
anatomische Veränderungen im Zentralnervensystem bedingt sein dürften.
Die histologischen Untersuchungen, welchen das Zentralnervensystem
von verunglückten Menschen und vielen absichtlich elektroktonierten Tieren
unterworfen wurden, zeigten, daß Eulemurüs Annahme richtig war. In seiner
letzten Arbeit berichtet Eulknbi'hg Ober einige Falle, in denen chronisch
degenerative Erkrankungen des Zentralnervensystems, wie progressive Para-
lyse, multiple Sklerose u. a. aufgetreten waren. Besondere Erwähnung ver-
* Über Nerven- und GciKteftkrankheiten nach elektrischen Unfällftn. Bt*rliner klin.
Wocbenschr., I90ö, Nr. 2, 3.
198
Elektrische Starkstromverletzungen.
dient ein Fall, in dem es sich nm eine »progrressive Oehirnrindener-
krankun^* handelte; Eilexbi'RG schreibt hierüber:
• Es handelte 8ich in diesem Falle um eine in eigenartiger Weise ver-
laufende. au(ierordentlich schwere. proffressiveGehirnrindenerkrankung,
die durch das elektrische Trauma (das Aufachlagen eines Oberleitungsdrahtos
der Straßenbahn) unmittelbar hervorgerufen wurde und zu ausgedehnter
Vernichtung der kortikalen Funktionen der Empfindung und Sinneswahr-
nehmung, der willkürlichen Bewegung und der höheren Seelentätigkeit ge-
führt hatte. In dem Krankheitsbilde sind mancherlei Züge nicht zu ver-
kennen, die an Paralyse — andere, die an multiple Sklerose erinnern; aber
das Ganze ist doch sowohl in Hinsicht des Verlaufes, wie des speziellen
Symptomenbildes so eigenartig beschaffen, daU es sich mit den genannten
Krankheitstypen keinesfalls deckt und daß vorläufig nichts übrig bleibt, als
einen durch besondere Intonsitfit und DilFusion der traumatiach-elektrischen
Einwirkung gekennzeichneten Fall chronisch degenorativer, fürtHchreitender,
kortikaler Enzephalopathie — über dessen besondere anatomisch-histologische
V^erliältniase wir vorerst nichts Näheres aussagen können — zu konstatieren.
Manches in dem Verlaufe läßt darauf schließen, daß gleich zu Anfang die
meisten »Sinnesfelder« der Großhirnrinde in ziemlich rapider Weise zerstört
oder funktionsunfähig wurden, und daß weiterhin die Verbindungssysteme
zwischen diesen und den In ihrer Nachbarschaft gelegenen >As80ziations-
feldern« fortschreitend degenerierten. Die endlich hochgradige Verblödung
erscheint auch psychologisch aln die notwendige und unausbleibliche der
ausgebreiteten Slnneästorun^en. wodurch die sämtlichen in die Außenwelt
Vorgestreckten seelischen Fühlfäden nach und nach abgerissen, die zentralen
Aufuahmsapparate völlig außer Betrieb gesetzt und so jegliche Produktion
von Empfindungen und Sinneseindrücken und deren Umbildung zu Vorstel-
lungen und Willensantrieben unmöglich gemacht wurde.«
Die wörtliche Reproduktion der exakten Beobachtung und geistvollen
Ausführungen Et'LENßrRtis ist behufs allgemeiner Kenntnisnahme wünschens-
wert, weil sie so manchen Wink enthalten für jedermann, der auf dem
schwierigen Gebiete der Elektropathologie fortarbeiten will.
Die Prognosestellung ergibt Hieb aus den früheren Auseinander-
setzungen, doch sei man in den ersten Tagen immer vorsichtig, um Lber-
raschungen zu vermeiden. Die meisten elektrischen L'nfallo sehen anfangs
viel ernster aus, als sie es sind. Die Hilfeleistung besteht vorwiegend in
Wiederbelebungsversuchen, wobei neben der Atmung ganz besonders dem
Herzen volle Aufmerksamkeit zuzuwenden ist; alle neuen Herzbelebungsmittel*
sind in Anwendung zu bringen.
In besonders verzweifelten Fällen wird auch die Pnnctio lumbodorsalis
zu machen sein.
Ist das Bewußtsein wiedergekehrt, so ist die weitere Behandlung eine
symptomatische.
Es kann nichtgenug betont werden, daß die Wiederbelebnngs-
versuche so lange — auch t> — 12 Stunden — fortzusetzen sind, bis
sichere Todeszeichen unsere Mühe als fruchtlos ankündigen. So
manches Menschenleben wäre zu retten gewesen, wenn man nicht
zu früh die Wiederbelebungsversuche aufgegeben hatte!
Schließlich sei erwähnt, daß elektrische VerunglOckungen nicht nor
durch Kontakt mit Starkstromanlagen entstehen, sondern Überall, d. i. an
allen leitenden Körpern, die mit einer Starkstromleitung in leitende V^er-
bindung gekommen sind. So ist z. B. jüngst in Wien ein Briefkasten »elektrisch«
* In einer demn^ohst erttcheinenden Arbeit Rollen die eigenartigen Herzzaatttnde des
<*Je)(tr)8chen Todes aosTUhrlich erürtert werden.
Elektr. Starkstromverlctzuagen. — EpUept. u. urflm. KrAmpfe«
199
^
geworden^ dessen Wandnägel rait einem in der Mauer verlegten Kabel Kontakt
bekommen hatten.
Ähnlicher Art sind die Ursachen der elektrischen Verungrlückuneren,
die sich bei Benutzungen von Schwachstromanlagen (z. H. Telegraph, Tele-
phon etc.) hie und da ereignen und jüngst in eingehender Weise von
A. EüLENBi'RG beschrieben wurden. Es sind aber nicht alle am Telegraphen
und am Telephon (z. R. bei Telephnnistinnen oftmals nur »plötzlich intensive
Schallwirkung«) sich ereignenden Gesundheitsstörungen als »elektrische Un-
fälle« (Q. W. W.iLLBAiTM, Deutsche med. Wochenschr, 1905, Nr. I8l zu quali-
fizieren ; diese Unterscheidung ist sowohl In klinischer als auch in foren-
sischer Hinsicht von Belang. s.Je/tiack.
Empyroforni. Die günstigen Erfahrungen, die mit Empyroform
iKondensationsprodukt aus Teer und Formnidchyd ; Chemische Fabrik auf
Aktien, vormals E. Schering, Berlin; in der Nt:iPSERschen Klinik gemacht
worden sind, haben auch von anderen Bestätigungen erfahren. Bering >) hat
es sogar bei verhältnismäßig frischen, noch nässenden Ekzemen in Anwen-
dung gebracht und selbst bei den langwierigen Kinüerekzemon von Über-
raschend guter Wirkung gefunden. Er wandte es als 5 — lO**/«»?© Salbe an,
es wirkt austrocknend, ist geruchlos und wird nach des Autors Ansicht
berufen sein, alle anderen Teerpräparate zu verdrängen. Ahnlich günstig
lautet ein Bericht von Kornfeld.-) Er fügt hinzu , daß Empyroform auch
dort vertragen wurde, wo der Patient sich gegen andere Teerpräparate
empfindlich erwies. Rasch geht die Stase in den Hautgefäßen , die Rötung
und Inliltration zurück, der Juckreiz, die brennenden Schmerzen und das
Spannungsgelühl lassen nach. Roknprld hat das Präparat auch in Form von
Pasten (50"/,,) oder Linementen (5 — lö^/o) verwandt oder als Trockenpinse-
lung: Rp. Empyroform. 150, Tale, venet, Qlycerini aa. 100, Aquae 'JOO.
Literatur: ') Fb. RE»i«a, rber dnigo neaere Ileilmittpl. Die Therapie der Gejren-
wart , Juli li)04, pag. 314. — ") P. KoRMrBtD, Cber Empyroform, ein neues TecrprUparat.
Zentralbl. f. ü. ges. Therap., Desember 1904, pag. 617. E. Frejr.
Enceplialitls bulbl, s. Butbärparalysen, pag. 123.
Enesoly s. Salicylarsenate de mercure.
Epileptische und uräiulsclte Krämpfe« Bemerkungen
zur Pathogenese und Therapie.'* Jm nachfolgenden soll nicht eine um-
fassende Theorie der FIpilepsie, sondern nur eine Schilderung der energeti-
schen Bedingungen gegeben werden, die nach meiner Auffassung die Grund-
lage für die Ausbildung des typischen epileptischen Anfatles und seiner
Abortivformen liefern. Ich enthalte mich deswegen alter Hypothesen Qber
die Art. der ererbten oder erworbenen Anlage zur Epilepsie, sowie des Ver-
suches, die Mannigfaltigkeit der Faktoren, die den Anfall angeblich begQn-
stigen oder direkt auslösen , unter einen einheitlichen Qesichtspmkt zu-
sammenzufassen.
Ganz allgemein kann man sagen, dali Krämpfe entweder von Qber-
mäßiger Anhäufung der Reize oder Energieformen für die Kontraktion oder
von mangelhafter Bildung solcher Impulse abhängen, welche die (aktiv-dia-
stolische) Entspannung der Muskeln bewirken. Kurz, es handelt sich hierbei
um eine Störung in der Synergie tler Faktoren, die für Erhaltung des nor-
* Aualülirlich habe ich die hier erttrtertpn Prübleme , nameutUch die wichtigen Be-
ziebongun des Koma« zu dtu verschiedenartigen Rrainpfzust linden und <1ie therapuutitichen
Indikationeu. behaudelt in: EnerfjOtherapeutiBche Betrachtuufjeu Über Morphiiiai als Mitt«! der
KraftbildDDg. von Leiden und Klemi'khkr» Dentsehe Klinik. ];)ü2, 1
200
Epileptische und urämische Krfimpfe.
malen mittleren Qleichgewichtes, der sog. tonischen Spannung der Maskeln,
maßgebend sind. Dieses mittlere Muskelgewicht ist — wie der Blutdruck —
durchaus kein einheitliches und einfach zu erklärendes Phänomen. Es handelt
sich hierbei um die äußerst komplizierten (antagonistischen bzw. synergischen)
Beziehungen zwischen Muskel- und Nervensystem, subkortiknlem Gehirn und
Rückenmark, sensiblen und motorischen Nerven, die ihrerseits auf direktem
Wege, durch das Rückenmark, und auf indirektem, durch das Gehirn reap.
von den zentripetalen Nerven her innerviert worden können. Ferner kommt
hier in Betracht die Verschiedenheit in der tonischen Innervation von Ab-
duktoren (Streckern, Öffnern) und Adduktoren (Beugern. Schließern), die
teils auf primärer Anlage, teils auf dem tonomatorischen (antagonistischen)
Einflüsse des subkortikalen Gehirns auf das Rückenmark beruht.
Dem Kflokenraarksystein i^teht das eobkortikale Gehirn al& besoodorer
AntagonlHt udtT, wie man mit RQckbicht auf deu Eltt^'kt beider Iniiervationslorroen lUr
datt Mu»kL'Igleicli(ir''wiclit ricbti|(t*r ».igen »ullt*^, als S^'ourKf^t gegHnÜbfr. Das aubkortikaU*
Gehirn i!>t, wie wir in früheren Arbeiten naL'hzu>rei8en veraucht haben, der Tonoinotor
deM KUckenDiark »akkumnlators, d. h. eine Art von Kheostat, welcher, in die Batterie,
des KQckenmarks einf^eschaltet , ihre wesentliche und aiiUt^rwesentliehe Arbeit beeinflultt.
Dadurch, dall es dio innere Arbeit aul Kosten der Muskelkontraklioo steigert, d.h. die
Widerstände lUr mnaknlüre AnsluanngSTorgänife erliiUil , verhindert e« die motorische Eot-
ladnng , die flonnt in einer starken stheniachen Lcistnn;; (Kontraktion) der willkürlichen
Haakeln unter Vorwiegen diT dnrch die Anlajfe begünstigten LeUtnng der Beuiyer znm
Aafidrni'k kommen würde. Das iinhkortikale Gehirn verrintfort also indirekt da*» t'bprgewlchtj
der Benper nnd verstärkt zugleich durch besondere — nicht aal demselben Wege geleitete
lind nicht auf derselben EnerKieform beruhende — Impulse dauernd die atheninche Inner-
vation der ätreeker und der Ihnen tanktionell gleich wertigeii Muskeln.*
Im GeKensatz dazu begünstigen die vom KUckenmark auMgehenden Impulse haupt-
säehlieh den Tonus der Beuger bzw. der ihnen analogen Muskeln, äo beobachtet mao
ja bekanntHeh bei Tabes eine extensive , nur durch Verlast des Tonus der Beuger ermJ
lichte sthcDische Leistung der Extensoren (Schleuderbewegnng), ein« VerstllrkuDf'
der au! cerebralem Wege xustandekommenden Reflexe lür die Beuger (Haulreflexe)** und
eine maximale Extension der Iris (Vcrcngemng der Pupille), wHhrend in typischen Fällen
von (rein motoriseher) Hemiplegie der get4tL'igerte KinflnU des HUckenmarks in dem VorwiegeA|
der Beogerinnervatioii , im Ausfall der erwähnten Flautreflexe und oft in Erweiterang dei
Pnpilleo zutage tritt, da die Leitung der aulstelgenden Impulse durch stärkeren Toaas df
Rückenmarks lAbschwäclinng der Wirkaog des cerebralen Rheostaten, s.o.} eiD4
Hemmung erfuhrt.
Dem Kiilikoi'tikaleu System ist als selbständitft^r, gleichberechtigter Faktor die GroU-
hirnrinde angcschlnsseu. Sie beherrscht gleichsam als KeprUsentant des ^jesamten Organis-
mu*- die relativ selbständigen Betriebe, Rückenuiark nnd sobkortik:iles Gehirn, und die ein-
zelnen davon nbhiingigen Werkzeuge, Beuger und Strecker, gleichmäßig, d. h. bewirkt die
hannoniciche Zusainnienschallung tUr die Einheit des Individuums. Die Rinde ist als Organ
* Flexoren, Adduktoren, resp. Kontraktoreii (von Hohlorganen) und Spliinkteren stehen
meiner Anflassnng nach in ihrer allgemeinen Funktion in analogen Beziehungen; d. h. diese
Gruppe ist geneiell dadurch chürakteiifiirrt , dnli durth ihre Tätigkeit einzelne Glieder des
Körper» der Kfirperachse oder, richtiger, dem Runipfzenlrura, oder die einzelnen Teile eines
Organs seiner Achse rcsp. dem Zeutrnm genilhert werden, wodurch ilus gesamte KÜrper-
Tolunien oder ein Organ oder eine Öffnung verkleinert wird. Die reziproke autagonistisübe
Gruppe UHifaÜt demgeniÜU die Extensoren, Abdaktoren und Ollner resp. Dilatatoreu, die in
der entgegepgesetzteu Weise wirken, d.h. Teile von der Achse resp. dem Zentrum des
Körpers Entfernen und das Volumen des Körpers resp. eines Organes oder einer Alfonng
vergrÖUern. Die tonische Beeioflu^sang der ersten Gruppe steht vorzugsweise nnter dem
tonischen Einfluß des Rückenmarks, der die Verkleinerung iBenguog» bewirkt; die der
zweiten steht ui.ter dem Einllusse des subkortikalen Gehirns, der die Vergn^Üemng des
mittleren Volumens (Streckung) anstrebt. So sind die Sphinkteren geschlossen , wenn der
Eintlutl des subkortikalen Gehirns vermindert i»t und der des KückcDraarks wächst, und
nrngckehrt sind sie weit offen, wenn das snbkortikale Gehirn gereizt ist oder die TAtlgkeit
des Rückenmarks abnimmt. 'Vgl. 0. RosENBiru, Der Nervenkreislaul und die tonische [oxy-
gem] Energie, berliner Klinik, tSUti, H. 101-)
** Es mag hier noch auf die für den Antagonismus (oder richtiger: die Reziprozität)
der Reflexe wichtige Tatsachen hingewiesen werden, dall alle Sebneareflexe Vorgänge an
Streckmuskelu sind, während die Elantrefli'xe nur nn den Beugeumskeln vor sieh gehen. Eis
besteht also auch in dieser HmHieht eiu schlagender Gegensatz zwischen Extensoren (resp.
Abdukturen und t?])hinktercn) nud Kleioren «resp. Adduktoren und Dilatoren).
Epileptische und urdinische Krämpfe.
201
I'
I
des Bewtjßt8t*in» and Willens Quelle der EentrHlen AuAlOsungsvorgäoire, d.h. Biu vermag
vermittelet des nabkortikalen Gehirns und KUrkeumarkt» hei normnlem betriebe da» mittlere
Gleichgewicht durch besondere VerstÜrknoir oder Schwächung der einzelnen Oleichgewichta-
Iaktor«?n beliebig tu verUndem, wie sie natürlich auch in patholoffiHchen Füllen durch
wesentliche StSrunsen in der Synergie der f;enannten Faktoren and den Hlntkreislanfe»
wesentlich beeinlluUt werden tnuU. Aber der EintlnU der Oehirnrinde aol da« BItiskelsyateni
ist an die primüre Synergie von Bubkortikalem Gehirn und UÜckenniark gebunden. Wenn
dan »nbkortiknle Gehirn mit den Sinnertnrtfanen der Tnnomotor deA UUckenmarka int, bo
kann man das »nbkortikale Gehirn inkl. Httckt^nmark als den (nur in nnfsteigenden Bahnen
wirkenden) Tononiotor der Gehirnrinde betrachten.
Bevor wir nun auT die Erörterung der komplizierten Vorgänge, die
zu allgemeinen Krämpfen führen, eingehen, müssen wir noch mit einigen
Worten die direkten energetischen Faktoren des Muskeltonus
erörtern. Durch frühere Untersuchungen hahen wir wahrscheinlich zu machen
versucht, daü die oxygene Energie* der Hauptfaktor der tonischen
Spannung, der Organdiastole ist. Während der Diastole findet nun eine
Steigerang der inneren Arbeit statt, durch die wiederum nitrugene Energie,
die Grundlage für systolische Kontraktion (für athenische Arbeit oder
Maasenverschiebungi gebildet wird. Hieraus folgt unmittelbar; Der tonische,
Bewegung beschränkende, die Innere Arbeit steigernde F^influU des Gehirns
auf das Rückenmark muU in besonderem Maße an das Vorhandensein oxy-
gener Energie für das Nervensystem geknüpft sein; d. h. die Tendenz zur
athenischen Leistung wird um so geringer sein, Je mehr oxygene Energie
im Kclrper vorhanden ist, und umgekehrt wird die stheniachc Tendenz —
der den Streckern besonders zugute kommende Einfluß — wachsen, wenn
sich nitrogene Energie, die eigentliche Muskelenergie, angehäuft hat.
Der mittlere Tonna der älmikcln ittt demnach ein KompromlU zwischen beiden
Energielornien nnter bestilndiger Regulation durch die entgegengesett te Einwir-
kung der beiden Hauptinnervatinnazentren. Durch den athenisehen Einfluß des
Bohkortikalen Gehinis, der, wie die Erfahrung lehrt, besonders mit der Verniludemng" der
aoniscb wirkenden) oxyjjenen Energie wüdist. wird die Innervation aller Muskeln, nament-
lich der Strecker verstilrkt, wUhrend bei Liihniuntf de» Gehirns , durch welche da» RUcken-
xnark aelbalündig g«'niacht wird, vorzugsweise der M'AtuUscbe Tonne , vor allem der Beuger,
d. h. die Tendenz zur Kontraktion ffesteigert wird.
Hiernach ergehen sich zwei Möglichkeiten für die Entstehung von
Krämpfen: Überschuß an nitrogener und Mangel an uxygener Energie. In
beiden Fällen müssen — solange der subkortikale Gehirntonus noch wirk-
sam ist. also den verstärkten Tonus der Strecker garantiert — Streck-
kräiupfe vorwiegen, die natürlich sekundär durch übermäßige DehnuDg
der Beuger Beugerkrämpfo zur Folge haben können. Wenn dagegen der
tonomotorische Einfluß des Gehirns — bei vollkommenstem Mangel an oxy-
gener Energie — erlischt (GehirnlähmungK und wenn dann dadurch das
Rückenmark die absolute Herrschaft erhält, so werden — ebenso wie bei
lokalen Störungen — neben stärkeren Hautreflexen Beugerkontrakturen
die Folge sein. Natürlich können diese wieder sekundär oder rein mechanisch.
d. h. durch Dehnung verstärkte Streckerreflexe auslösen, ganz abgesehen
davon, daß der Krampf der Muskeln an sich in gewissen Grenzen durch
Neubildung oxygener Energie die Mittel für seine ^natürliche Lösung liefert.
* Ala oxygene oder diastoliach-tonische Energie bezeichnen wir die Eigen-
■ehalt der im Organiftmas verdichteten SanerHtofl ni ole k Ql e , die Expan«ion wil»rbarer
Maaaen, d.h. die Diastole den Organgewebea , herbeizuführen. Diese VolurasvergröÜerung
eines Organa ist an eine Systole seiner Atomgruppen, der eigentlichen Moleküle, geknöpft.
Nicht zu verwechseln mit der oxygenen Energie , die dem gespannten Dampf der Dampf-
manchine entspricht, ist die oxydative Energie (Wärme» resp. die Form der Beteiligung
deit SauerKtoIfe» am üxydationsproseß, wo nur die Sauerfltoflatorae wirksam sind. Nitro-
gene Energie nennen wir die Energie uioleknlaren SiickMoKcs, die hei der Systole aller
Muskeln in Uetracht kommt. (Vgl. U. KoasaBAcn, ürnndrill der Pathologie und Therapie der
Herzkrankheiten, Wien iSiHJ, pag. 3*J6.>
202
Epileptische und urfitnische Krämpfe.
Eine wesentliche Verschiedenheit in den Symptomen der durch Man^I
an oxy^ener oder durch Überproduktion von nitrogener Knergie bewirkten
Krampfzustilndc liefert nun, wie Theorie und ErfaJirang zeigen, in typischen
Fällen das Verhalten dos Bewußtseins ^eg'enßher den Vorf^ängen am
Muskelapparate. Da die o^cy^eno Energie für die Erhaltung des BewuUt
selns — oder sagen wir der psychomotorischen Spannungen (des Gehirn-
tonus) — ebenso der wichtigste Faktor ist wie die nitrogene für die Er-
haltung der physischen (Organ-) Spannungen, so muß, wie schon oben
erwähnt, Mangel an oxygener Energie zuerst das Bewußtsein sistieren. In
der Tat sehen wir, daß der typische epileptische Insult, der eben nach
unserer Auffassung von einem Mangel an oxygener Energie abhängt (s. u.),
nicht mit Krämpfen, sondern mit Bewußtseins verlu st unter p Ißtz-
licber L5sung sämtlicher Spannungen Im Körper beginnt: Der
Kranke stürzt nicht unter Kräiiipfen, sondern wie vom Blitze getroffen zu
Boden, worauf nach kaum rnerkUclier Pause, entsprechend der durch Mangel
an oxygener Energie bewirkten Verstärkung der tonomotorischen Wirkung
des Gehirns, Abduktoren- und Streckerkrämpfe (s. u.) das Krampfätadium
eröffnen.
Bei Uräniie. d. h. bei Anhäufung von Stickstoffprodukten im Korper,
sind die Krämpfe dagegen, entsprechend der Wirkung eines unzweifelhaften
(konstitutionellen) Lberflusses von nitrogener Energie, in typischen Fällen
nicht synchron der Bewußtlosigkeit, sondern gehen Ihr in einem deut-
lichen Intervalle voraus, da der Krampf gegeben ist, sobald der ohnehin
überwiegende Tüuus der Strecker durch den generellen lokalen Reiz in den
Muskeln, den Hauptproduzenten der nitrogenen Energie, abnorm verstärkt
wird. Die Krämpfe sind also erst maßgebend für das Erlöschen des Ge-
hirntonus.
Diese Aufein;iuder[o1g» von Kräuiplen und BüWuUtloiäli^ki^U bei der Urämie beweiseo
natUrlieb iiielit FüUe, wo sich die RrämpTe ertit hv'i bereits bestebiüntlein Koma aiiabilden,
sondern A\v nieht aelteDen Beobaebt^iDKi'n > ^'" ambulante Kranke mit Nk'renscbruiupfnng,
die vorlier nur über ßewisse BenoniToenheit , Cbclkeit, leichte Zuckungeü klagten, plötzlich
unter veiMtäirkten ZuckunK:L'n oder bcfligen Krämpfen, die allinäblieh in einen kfirKer nder
lüiiger dauerudi'H komatöiten iGuHtand (HjerfEihren^ zu Boden tiltlrzen. Auch In einigen Fällen
von Aknter Ni-pliritin nach Scliarlaeli habe ich den ersten nnerwarteten Anfall in der eben
gescbildertfu Weise verlaufen sehen.
So können wir, ohne den klinischen Tatsachen Zwang anzutun, aus
Beobachtungen typischer Fälle folgern, daß ceteria paribua der Exzeli der
sthenischen Leistung der Strecker, den wir als urämischen Krampf bezeich-
nen, durch das konstitutioneile, auf Überproduktion beruhende Cberwiegen
der nitrogenen Energie in der Muskulatur selbst, ohne primäre Einwirkung
des Nervensystems, wenn auch unter beträchtlicher Beteiligung desselben,
zustande kommen kann, während hei Mangel an oxygener Energie — nor-
males Verhalten der nitrogenen vorausgesetzt — die primäre Reizung des
zerebralen Nervensystems als des für die Schwankungen der oxygenen
Energie empfindlichsten Faktors rein zum Ausdruck kommt (s. u.) und
Symptome schafft, die gerade ffir den sog. genuinen epileptischen Insult
charakteristisch sind. ^
Der Mangel an oxygener Energie int ebeiiBO wie der CberschnÜ ad nitrogener Energie
wiederum von einer Anomalie des inneren Gewebsbetriebes abbllngit;. Eh liandelt sich im
ersten Falle, al&o bei der Epilepsie, um einen schweren, konstitutionellen — in der
Anlage gegebenen — Dclekt im inneren Betriebe des NervenBystema ; im zweiten Falle
(bei der Urämie) benteht dageßrn ein nicht eiRcntlich konstitntioneller Defekt im toni-
schen Teile dea inneren Betriebeft des Munkels, der nur ein Produkt liefert, das Buerst
die Nierenfunktion übcrmtittig in Anspruch nimmt, nnd sobald liieses Organ inanffisicnt ge-
worden ist, exze&slv angehäuft, Eum stürksten stheniflehen Maskeirciz wird.
Die Vcrschiedeolieit der Koaktionfirorm bei Urämie nnü Epilepsie oder die in dvn
beiden typischen Symptomenkomplexen znm Ausclrnuk gelangenden Betrieb ssti^rungen be-
rahen aho nnseres Ernchtens auf dem pathologischen AntugoDismus oder der man-
Epileptische und urämische KrAmpfe.
203
j^lndcn Synergie des Phucnginges von Nerven - und Munkel betrieb and der dadurch
bedingten Inkongruenz der sthenisehen und tonischen Leistung. Im Falle der Urämie Uber-
»viegen die 8theni»chen Mn»kE:lreize , im Falle der Epilepsie — wegen Vermindernng der
tonischen oxfgenen Enerjfi« — die »thenischeti Nervenreize. Da die Reize und die Form der
Betriebävnergie im Mnskel- und Nervensystem In enger Beziehung stehen — beide Betriebe
ftind ia aul Grund Itarmonischer Gegenwirkung (Synergie) ein«« funktionelle Eiohuit — ^ so
erkUirt »ich leicht, warum, trotz der VeiBchiedeobeit der UnindlaHre, die beiden Symptomen-
komplexe in der t'bcrzahl der Fäll« — die aU Störungen der gesamten Energetik natür-
lich nar selten Typen sein, d. h. eine dentlicbr lieilw-nlolge und An«prägung der Phftno-
diene zeigen kOnneo — flo große äoOere Ähnlichkeit h^ben.
Den Äasg-angspunkt krampfartiger Stdrangren oder, richtiger, den
Angriffspunkt der abnonnen Reizo können der Theorie nach bilden: Die
Großhirnrinde, das subkortikale Gehirn, das nervöse Riickenmarksystem
und die eigentlichen Organe der Kraftbildung und der Bewegung, die will-
kfirlichen Muskeln. Die zerebralen Fonuen gehen einher mit primärer
Bewußtlosigkeit, Pupillenphänomenen and Reflexveränderungen, die von der
Reizung des Gehirns abhängen. Die spinalen (bzw. muskulo-parenchyma-
tfisen) können ohne Bewußtseins Verlust etc. verlaufen, rufen aber bei ge-
wisser Intensität stets sekundäre Symptome von selten des Qeiiirns hervor,
da mit dem spinalen Exzeß der Muskelentladung auch wesentliche Ver-
änderungen des Tonus in den höchsten Zentralorganen verbunden
sein müssen. Der zerebrale Symptomenkomplex kann konstitutionell oder
lokal (nur durch Veränderungen Im Gehirn selbst bedingt) sein., während
der muRkulo-parenchymatAse nur aus konstitutionellen, das rein spinale
Syndrom nur aus lokalen Störungen erwächst.
Den Typus der lokalen zerebralen Form der Krämpfe bildet die ex-
perimentelle Gehirnanämie (KussMAUL-TENNERscher Versuch) und der nach
Unterbindung (bzw, thrombotischem oder embotiBchem V^erschluß) der
Karotis oder bei Prozessen im Gehirn selbst zu beobachtende Symptomen-
komplex. Der Typus der spinalen Form sind die Strychninkrärapfe und
der Tetanus. Den Typus der konstitutionellen Form bilden die urämi-
schen Krämpfe, die unserer Ansicht nach zwar nicht von der Gehirnrinde
ausgehen, aber sie gleichzeitig oder sekundär in Mitleidenschaft ziehen, und
die Erstickungskrämpfe (bei Verschluß der Trachea). Letztere konnte
man als fundamentalen Typu» der konstitutionellen, auf Sauerstoffmangel
zurückzuführenden Störungen der Sauerstoffen ergie betrachten, wenn sie
Folge einer Krankheit und nicht Folge eines mächtigen außerwesent-
licben Einflusses wären, der sie direkt in Parallele zu einem experimentellen
Eingriffe, dem KLSSMAi:L'TEN'XER9chen Versuche, bringt. Das eigentliche
konstitutionelle, d. h. durch Prozesse der inneren Energetik geschaffene
Analogen zu den urämischen Krämpfen ist unserer Ansicht nach die genuine
Epilepsie. Bevor wir hierauf näher eingehen, milchten wir nur noch unter-
suchen, welcher fundamentale Faktor des Betriebes mit Wahrscheinlichkeit
als letzte Ursache der bei intensiven Störungen der Blutversorgung auf-
tretenden Symptome^ der Bewußtlosigkeit und Krämpfe, zu betrachten ist.
Anämie als solche (Mangel an Blut) kann unmöglich die generelle
Ursache aller Krämpfe sein, da doch weder bei Erstickung, noch bei Urämie
ein Defizit von Blut in Betracht kommt; aber zweifellos muß eine wesent-
liche energetische Anomalie des Blutes, eine Intensive Veränderung
eines wichtigen Bestandteiles dieses komplizierten energetischen Sub-
strates Schuld tragen. Da nun die Erstickung, welche im Körper resp.
im Gehirn nur eine wesentliche Störung der Sauerstoffökonomie herbeiführt^
die gleichen Krämpfe mit sich bringt wie die Urämie, so schließt man be-
kanntlich, daß die generelle Ursache intensiver KrampHormen ein Defekt im
Sauerstoffbetriebe des Gehirns oder des ganzen Körpers ist. Nun kann
aber der Ausfall an atomarem Sauerstoff (für Verbrennung) weder für die
Erstickungskrämpfe noch für die anämischen oder urämischen als ausschlag-
204
Epileptische und urämische Krämpfe.
gebend angesehen worden. Abgesehen n&mlich davon, dali sich die Ver-
ringerung der bloüen OxydationsprozeRSG nicht fast njomentan geltend machen
kann, da der Körper die Verringerunji: der VV^ärmeproduklion und des Wärme-
gehaltes der Gewebe bis zu hohen Graden und lange Zelt ertragen kann.
ist in den erwähnten Fällen 1. die Wärmeproduktion des Körpers selbst
nach dem Tode noch sehr bedeutend, 2. treten bei Urämie die Krämpfe bei
abnorm hoher Temperatur und ohne nachweisbare Verarmung des Blutes an
Sauerstoff auf und 3. gehören Krämpfe bei tödlicher Kohlenoxydvergiftung
— wo der Tod doch trotz relativ reichlichen Sauerstotfgohaltes sicher in-
folge der Insuffizienz der Sauerstolfökotiomie eintritt — zu den äuUerston
Selteoheiten : sie werden, wenn nicht Komplikationen bestehen, nur im Nach-
stadium der Vergiftung beobachtet.
Die Verhältnisse sind unseres Erachtens also so eindeutig, daß wir
alte anderen Möglichkeiten der Störung des Betriebes zugunsten der Annahme
ausschließen können, daß an der Entstehung der erwähnten Krampfformen
zwar ein Defekt in der Sauerstoffökouomie Schuld trägt, aber nicht der
Ausfall an atomarem Sauerstoff oder den Produkten des wärmehil-
d enden Prozesses, sondern die Beeinträchtigung des anderen (nicht
chumlsch wirksamen) Faktors der Saueratoffenergetik, welche wir als
(physikalisch hochgespannte) molekulare Sauerstoffenergie oder
oxygene Energie bezeichnen.
Ebenso sprfchcn die Vorpilnjre bei der EraHcknng- nnd nainentlleh hei Strangulation
ohne nacbweiHliart'n Venicbluti der Tr»oh«» oder der Karotiden dnfür , d»li nicht ei^cnlUch
das Abachntilden dur Blntzufuhr tum Gehirn, dau )a sicher RewuUtloftii^keit herbeiführt, äondem
eine Art von uoiverHeller Keflexhemmunf^, ein uerv{}.<ter KinflnÜ aiit die S.inerstoll-
BpannunfT im ganzen Gebiete des Körpers — nicht blotl anf den Blutdrack, der
nar das Symptom dieser Spsnnung ist — snr Ursache des Tode« wird. Diese Vernich-
tung des wichtiK^ten tonischen Faktors de» Körpers kommt im plütxlichen AbHtnkvn des
Hlutdruckes, die mtm ^t^wühnliuh von der LiUnuuDK deu vanumulori>4chen Zeuinima ableitet,
sofort zum Aufdruck.
So sicher nun die Krämpfe bei Erstickung und Verschluß der Gehim-
arterien auf Mang:el an oxygeoer Eaergie im gesamten Betriebe zurück-
geführt werden können, so wenig können die urämi8chen dieselbe Ursache
haben; denn hier ist von Sauerstoffmangel in irgend einer Form nicht
die Hede. Dagegen wissen wir sicher, daß durch Unterdrückung der
Nierenfunktion der Stickstoff haushält wesentlich geschädigt ist und
somit eine Steigerung der durch die nitrogeno Energie bedintjten Span-
nungen zuungunsten der tonischen, durch oxygene Energie bewirkten, statt-
finden muß.
Schwierie: ist das Problem des epileptischen Anfalles; aber wir
haben doch Anhaltspunkte genug, auch hier den Mangel an oxygener
Energie als Ur^^ache anzuschuldigen ; nur muß entschieden werden, ob
der A;ifall nur von einer lokalen Veränderung im inneren Betriebe
der Großhirnrinde ausgelöst wird oder konstitutionelle Ursachen hat,
ri. h. von einer allgemeinen Insuffizienz der Apparate für Bildung oxy-
gener Knergie abhängt. Für letztere Annahme sprechen — ganz abge-
sehen davon, daß die Anomalie der nitrogenen F^nergie (Urämie) sonst
kein Analogen hätte, ein Grund, der allerdings manchem nicht sehr
beweiskräftig erscheinen wird, obwohl der Paralleliamus resp. die
Dualität aller wichtigen Vorgänge im Organismus ein fundamen-
tales Gesetz zu sein scheint — noch folgende Gründe; ]. Da der Betrieb
der Gehirnrinde, entsprechend der funktionellen Bedeutung des Organs, nicht
nur besonders günstiger Verhältnisse der Blul Versorgung, sondern auch einer
besonders präzisen Synergie aller tonischen Faktoren bedarf, so ist anzu-
nehmen, daß eine wesentliche Störung ihrer Funktion besonders häufig bei
intensiven konstitutionellen Vorgängen und namentlich bei den Ver-
Epileptische und urämische Krämpfe.
205
*
»
änderun»:en im Gosaratbetriebe eintreten wird, welche den fundamentalen
Faktor des Gleichgewichtes — die oxygene tonische Energie — weHentlieh
schwächen. Man hat also nur dort, wo auffallende, rein Lokale Störungen
in der Gehirnrinde selbst oder in anderen Teilen des Gehirns nachweisbar
sind (Veränderung: der Gehirnarterien, Blutunj^, Krweichung. Eitenmg: etc.),
das Recht, die Störunge von lokalen Ursachen abzuleiten. 2. Die Großhirn-
rinde reafciert — ob direkt oder durch Vermittlung: aufsteiprender sensibler
Nerven, mag dahing;estellt bleiben — auf Veränderung-en der Sauerstoff-
ökonomie besonders prompt*, so daß sehr g^erinfi^e Veränderungen der Sauer-
stoifzufuhr Angstgefühle bewirken und Wiltensakte auslösen, welche der
Verstärkung der Sauerstuffökonomie forderlich sind. 3. Es ist schwer einen
Fall zu konstruieren, in dem gerade der Sauerstoffbetrieb im Gebiete des
Gehirns aus funktionellen Ursachen so gestört werden sollte, wie bei der
Unterbindung aller Gefäße oder plötzlichem Verschluß einer Karotis, die doch
auch nur in einem Teil der Fälle eine Art von epileptischem Insult bewirkt.
Dagegen ist nicht in Abrede zu stellen, daß durch allgemeine (nervöse oder
sonstige) KinflDsae ein temporäres Defizit in der Bildung oxygoner Energie
entstehen kann ; denn schon die Rindung dos Sauerstoffs, die innere
Assimilation, ist an eine ganz besondere Synergie vielor Faktoren ge-
bunden, unter denen der Chemismus des Blutes — allerdings auch ein sehr
komplizierter Begriff — einen wichtigen, aber nicht allein ausschlaggebenden
Anteil hat. Für einen konstitutionellen, d. h. den gesamten Betrieb be-
treffenden \*organg spricht ferner 4. die Form der sensiblen Aura (nament-
lich Parästhesien in den Extremitäten und die Präkordialangst) und 5. die
ausgesprochene generelle Zyanose im epileptischen Anfalle, die unseres
Erachtens das sicherst« Zeichen des konstJtutionetlen Mangels an oxygener
Energie ist. Wir finden sie auch bei Tetanus, der unserer Ansicht nach das
spinale Analogon der Epilepsie ist, wie die Strychninvergiftung** das der
(spinalen) Urämie.
Da der Kvm des TrigemintiK im vierten Ventrikel liegt, so U\Ht sich gegnti diese
Lokaliaation des Tetanan doch wohl uicbtit einwenden, und di»i Mediilla oblongaU kann man
wohl mit gewisem Rechte ebenfto als daa phyaiacbtt (die geeamten aulomati&cheo
Funktiooen behem»chende) Zentralorgan betrachten» wie die Gehirarindu als das psy-
chisch«.
Daß beim epileptischen Anfalle die Medulla oblongata resp. das Rücken-
marksystem primär und nicht bloß durch Wegfall der Hirnrindenfnnervation
beteiligt ist, daU also die Erregung im Nervensystem konstitutionell
ist, dafür scheint uns auch der allerdings kaum in der Hälfte der Fälle
vorhandene epileptische Schrei nachdrücklichst zu sprechen. Er ist unserer
Ansicht nach der Ausdruck stärkster inspiratoriacher Reizung der
Medulla obiongata und ein Beweis für den intensiven Mangel an oxygener
Energie. Der epileptische Schrei wird — im Gegensatz zu dem entsprechenden
exspiratorischen, gewöhnlichen Schrei, wie wir auf Qrund genügender Beob-
achtung glauben — durch eine maximale Inspiration bei stärkster
Innervation der Ahduktoren der Stimmbänder inklusive der crico-
thyreoidei (s. o.J bewirkt, d. h. dio Stimmbänder werden durch die starke
Abduktion maximal (mt^chaniach) gespannt, und daher ist die Inspiration
eigentümlich tönend. Beim Versuche, diesen Schrei nachzuahmen, kann man
sich durch Betastung des Kehlkopfes und laryugoskopische Inspektion davon
überzeugen, daß die genannten Muskeln energisch in Tätigkeit treten. Die
Erscheinungen an der Lunge (maximale Inspiration) und am Kehlkopf sind
• Vgl. oben.
** Die Konstitution des Stick sto ff ringes im Strychnin bedingt unseres Erachtens
wesentlich die Unterschiede zwischen ihm und Morphium, wie der Stickstoff ring anch das
Morphium von anderen Schlafmitteln unterscheidet.
206
Epileptische und urfiniische KrAmpfe-
also. entsprechend den oben i^emachten Ausführungen, als Krämpfe in der
Gruppe der Abduktoren und Strecker resp. Offner aufzufassen und ebenso
fcehört das Hervorstoßen der Zunge unter Öffnung: des Mundes in diese
<3ruppe von exzessiven Extensionserscheinungen. Auf diese Phänomene, d. h.
also auf die Streckkrämpfe, folgen Beugekrämpfe. die zum Teil raechaniach-
ref lektorisch ausgelöst sind (s. o.), zum Teil aber auch auf einer wirk-
lichen Prävalenz der Beuger beruhen. Jedenfalls j^ind das den Insult ab-
schließende Einschlagen der Daumen, das unartikulierte Schreien —
nicht der erste Schrei — , die krampfhafte Adduktion der Kiefer, durch
welche die Verwundung der bervorgestrockten Zunge bewirkt wird, die
scbließliche Mundsperre und die maximale Erweiterung der Pupillen deut-
liche Zeichen des Überwiegens der Beuger, das wir unserer oben aus-
gesprochenen Anschauung gemäß von temporärer Lähmung des sub-
kortikalen Qehirns (also Prävalenz dos Rückenmarks) ableiten zu können
glauben, zumal die Verkrümmung des Körpers (Beugerkontraktur) hier oft
einen solchen Grad erreicht, daß wir diese Aktion nicht als bloße mechanische
Reaktion wie oben auffansen können.
Berücksichtigt man nun ferner, daß typische tiogenannte Rinden-
krämpfe (bei kortikaler Gewebserkrankungj zwar mit Bewußtlosigkeit und
Muskelzuckungen, aber durchaus nicht mit den wichtigsten der oben ge-
nannten Symptome verbunden sind, so wird man, ganz abgesehen von der
relativ geringen Extensität und Intensität der Krämpfe, die Ansicht nicht
mehr so paradox finden, daß die genuine Epilepsie eine konsti-
tutionelle, durch Mangel an oxy gener (tonischer) Energie ira
Nervensystem bedingte Erkrankung sei, und daß weder die spinale noch
die Rindenepilepsie mit ihr etwas anderes als ein äußerliches Symptom
gemeinsam haben. Indessen läßt sich Über die Bedeutung der Gründe fQr
die konstitutionelle Natur des Leidens streiten, und es mag dem einzelnen
Beobachter überlassen bleiben, entsprechend den modernen Lokalisations-
theorien sich für zerebrale oder konstitutioneUo Entstehung zu ent-
scheiden.
Im faöcb^tpn Grade wahrf^cheinlieh int os aber, daU der Mangel an oxygener Energie
die Ursache int. Dagegen flpmht anch nicht der UmHtand, daü durch abnorme Vorgängr
von einem peripheren Nerven her F^pilepMie erzeiiift werden kann: denn die aulsteigeadua
Nerven haben einen beträchtlichen KinfluU auf den allgemeinen Toniia im BIut»efUÜ-tysteiaj
reap. anf die Bildung' der oxyginen Energie. Ja, es ist sehr zweilelhaft, ob der Hewuütaeiaf
vertuflt bei heftigen St-hmerzen oder Hchreek lOhnmaeht) wirklich die direkte Folge eineti
Xorvt^nsbocks und nieht eine indirekte, dureh UaH Bindeglied der wesentlichen StÜrung des
Tonus im Gefilttaystem (»ogenanut*? BlutdrL]ik«verniinderung) v*^rmiltelle Ist, wie ja der
intensive Iraumatiitche, d. h. phyi»i&ehe Nerveushook ulit; Kirtetoä« nach uaserer Bezeicbnungj
vor allem in einer sehr beträehtlichen Uerabsetzaug- des Jllutdrucke«, Hemmung der Ilvrz-
tUtigkeit etc. eich nach auüen hin dokumentiert. Die mechanische (odtr funktionelle) Hemmung,
die der eigentliehK Nenrentmpnia in den versehiedenen Akkumnlatoren de* Nen^ensystf-mj*
erfährt, bi» er zum Organ den BewuUtsein» hinanfguinngt, Ut viel grüB^T, als man annimmt,
während die Reizschwelle für die Zentren de(^ Blutdruckes, <l\v nnliewuüten Impulne, ftuüerat
niedrig ist. Gerade die Kinwirknng der feinsti-n Stnime di*r AiiÜi-nwelt rcsp. die Wirkung
der nnr tonischen, subkortikalen Zwecken dienenden, also nicht wahraehmbaren and 6icb
auch Dicht in Ueflcxen der wLllkürllchen Muskeln kundgebenden Nervensirrtme auf den ge-
samten Betrieb and vor allem auf die Bildung oxygeuer Energie »^choint ans bedcntungsvoll
(vgl. unsere obenatehenden Ausführungen) und eomit glauben wir, dali eine wesentliche Ver-
änderung des genannten Faktors diu von urm nagenommene Bedeutung haben kann, wie jn
auch die auf andere Weise Urdingte Veränderung in der Sauerßtolfi'konomie den Betrieh Av^
Nervensystem», and zwar in »einen kompliziertesten Formationen zuerst in Millciden-
schart zieht.
Wir fassen demnach die epileptischen Krämpfe als Symptom einer
temporären Insuffizienz der Gewebe für Bildung von oxygener Enerffie.
als eine Art von akutester innerer Krstickung auf. Der plötzliche
Manf^el an Sauerstoffenergie findet, wie wir glauben, seinen schärfsten Aus-
druck in der Insuffizienz des so ß heraus komplizierten Nervenorgans, die
Epileptische uad urämische Krämpfe.
207
I
flieh als ßewoßtlüsigkeit kundgibt, and in der Reizung des snbicortikalen
Nervensystems, den tonischen Ftegulators, weiche zuerst exzessive Verände-
rungen der Atmung und des Blutdruckes und dann Krämpfe hervorruk.
Charakteristisch fflr die Epilepsie als Kranklieitszustand ist die konstitu-
tiunelle resp. in der Anlage {gegebene Disposition zum periodischen Kintritt
dieser Insnlfizienz. Die Epilepsie bildet für uns trotz gewisser aulierer Ver-
schiedenheiten das typische Analogen zum urämischen Krampf, das Koma
jeder Art das Analogon zur Betäubung in der Chloroformnarkose. Narkose
und Schlaf stehen dagegen trotz aller äußeren Ähnlichkeit energetisch im
vollsten Gegensatz.
Das relative f hcrwiejjren der nltrofrenen Energ^Ie — bi>i primSrem Mangt-1 an oxy-
gencT — kommt unaerfs Erachtena ouch in trewisBt'n uutomut)tiul)cDAkt*4n von Epi-
ieptikern. die den Eindruck hifwulitur Willenahaudlungen machen, und in vermio*
dtTtem Maße iu den Drlirien niid in der Unruhe der Noporuseu oder koinatüseu Fieberkrankm
zum Ausdrnt'k, nud eine Andeutung von vernl^lrktcr motoi* isuher Erregbarkeit findet Hieb
auch im oruten Stadium des niitOrliehAn Schlafes; denn wiihrend di'H Ein.Hchlufeiis besteht
bei vielen Personen <iiie besondere Erregbarkeit, die sieh in starkem Zosaniinenfahreu bei
leicbten l^eiscn» nnd wohl auch in dem besonderen >tjeinhl de« Fallens«. d:is wiihrend
de» Einsehlalens auftritt and den Schlurt-ndtn erweckt, dokumentiert. Ebenso kann da» Ex-
zitationssliidinm dt r Chlorofoim- und Luehg'imnarko<te ho gedeutet wi-rden.
Wir machten hier noch besonders betonen, daß wir nicht etwa glauben,
in dem relativen oder absoluten Mangel resp. Überschuß oxygener und
nitrogener Kncrgie die Ursache oder den letzten Orund der urämischen
nnd epileptischen Erscheinungen gefunden zu haben; denn die erwähnte Be-
triebsstörung hat eben ihre Ursache in einer primären Anomalie des Qewebs-
betriebes and der Mangel an oxygener oder Überschuß an nitrogener ist
nur das äußere Symptom. Wir haben nur zu zeigen versucht, in welcher
Phase oder Leistung des außerwesentlichen Betriebes die Störung
zum Ausdruck kommt.
Daß der Vorlast des Üewutltscins und die ÄusscliaHong oder Uenimang de» p»yeho-
motorlfichen EinflnssoB der Gehirnrinde — in der Xarkofle wie in Krankheiten , welehe
leichtere oder schwerere Formen des Sopora oder Komas herbeiführen — nicht immer eine
inner^'atorische Heizung der Muskeln bewirkt, hat entweder darin seirion Gnmd, daß die re-
lative Aubaufunti oxygener Energie oder die Verminderaui; nitrogener den f^anzen Kilrper
gleichmäßig betrifft oder, was wahrscheinlicher ist. daß der Uitise hal t un tc im Qehiru
die reziproke SpannunK i ni Körper, ähnlich der im Schlaf vorhandenen, parallel
geht. d. b.: Der Widerstand im Rückenmarksakkumulator wuchst j^teicbmüßtg für zentri-
loffal-moto rischi? und zentripetal-sensible Impulse, indem vom Gehirn durch zentrifugale
tonische Impulse alle Bahnen inkl. der auUtetgenden sensiblen Bahnen rerscblosseu
werdeOf wu mit einer riemrouD^ der Mnäkclbewegunf^en und RelLexia identideb ist.
Mit anderen Worten: Das Gehirn ist noch toniacli für Förderung der
inneren Arbeit im Körper tätig, abor nicht sthentsch für Auslösung von
Massenspannungen und Massenbewegungen: es fungiert nicht mehr als Or-
gan der Einheit gegenüber der Außenwelt, als Organ des Bewußtseins
resp. bewußten Willens. Die Regulation der interorganischen Beziehungen
Obernimmt das Rückenmark, aber unter dem Einflüsse der tonischen, gleich-
gewichtserhaltenden Regulation des subkortikalen Gehirns, das die innere
Arbeit verstärkt. Nur wenn die Spannuni;!:en ungleichmäßig sind, sei es.
daß der tonische Einfluß ungenügend wird, weil die subkortikale athenische
Innervation aus lokalen Gründen oder die allgemeine Heizung der Muskeln
aus konstitutionellen Gründen zu groß wird, treten Krämpfe auf als Aus-
druck der Disharmonie der Spannungen resp. Reize im Muskel und im
Zentralorgan. So lange der tonische Einfluß des subkortikalen Gehirns noch
deutlich nachweisbar ist, ist die Prognose' ceteris paribus besser; aber
auch dieser Einfluß kann, wie die Epilepsie lehrt, temporär, wenn auch
nicht zu lange, ausgescbaUet werden, ohne daß die Prognose absolut un-
günstig wird.
ä08
Epileptische und urflmJHche Krämpfe.
Wir sehen also, daß die Herbeiführuas: der Bewußitosigrkeit nar dann
zu KrampfzustSnden führt, wenn die einzelnen Faktoren des O leichte wichies
unp:lelchmäliip: beeinflußt werden; der Krampf an sich hat nichts
mit der Hewußtlosig:keit zu tun und deshalb fehlt selbst bei Hchweien
Krämpfen Bowußtseinsverlust 00 lansre. als der Tonus des Gehirns durch
die Schwächung des Rückenmarksakkumulators nicht in Mitleidenschaft k^p*
zogen wird.
Wir haben bis jetzt die eklamptischen Krämpfe^ die doch sicher
den Typus einer konstitutionellen Erkrankunj? darstellen^ nicht berücksich-
tigt, weil wir sie aus klinischen Gründen nach ihrem Mechanismus nicht
als eine einheitliche Krankheitsgruppe betrachten können. Die eklamptischen
Krämpfe der kleinen Kinder müssen Oberhaupt aus der Betrachtung aus-
scheiden, da wir den Kinfluli der unvollkommonon Entwicklung des Gehirns
nicht genügend bewerten können, und daJi die Rclampsia gravidarum
et puerperarum eine konstitutioneUe Ursache hat, wird man wohl nicht
bestreiten wollen. Auf nephritiache Urämie ist sie sicher nur in dem Falle
zurückzuführen, wo eine akute oder chronische Nephritis schon vorher be-
stand oder mit sicheren Zeichen in der kritischen Zeit sich ausbildete. Die
Fälle von deutlicher Albuminurie ohne Nephritis kann man aber ebenso
wie die durch Druck auf die Ureteren bedingten doch zu dieser Gruppe
rechnen, da wir allen Grund haben, regniatorische Albuminurie* als Aus-
druck einer beträchtlichen konHtitutionellen Störung, speziell in der Ener-
getik der Stickst ollkörper zu betrachten» und der Ureterenverschluß wirkt
doch ebenso wie Niereninsuffizienz. Da nun aber die Gravidität wohl zwei-
fellos eine beträchtliche Veränderung der gesamten Energetik, die glück-
licherweise meist nicht zur schweren Störung wird, bedeutet, so liegt unseres
Erachtens kein Hindernis vor, die nicht durch Anomalien im Stickstoff-
hausfaalt charakterisierten Fälle von einer vorzugsweise den Haushalt der
oxygenen Energie botreffenden Veränderung abzuleiten, wenn die Sektion
keinen Beweis für organische Veränderungen an den Nieren oder anderen
Organen ergibt. Für diese Annahme aber Hchoinon mir meiner Erfahrung
nach ebenso die ergebnislosen Sektionen von plützlich im Puerperium
verstorbenen, anscheinend gesunden Frauen zu sprechen, wie einige
klinische Beobachtungen bei anscheinend gesunden Graviden, die erst in
Bewußtlosigkeit und dann, wie bei typischer Epilepsie, in Krämpfe verfielen,
die nach mehrfacher Wiederholung letal endeten, ohne daß die Sektion or-
ganische V^eränderungen, insbesondere in den Nieren, aufgedeckt hätte.
Welche Bedeutung haben nun die Krämpfe vom Gesichtspunkte des
Zweckes der Reaktion? Der Krampf kann akzidentoll sein, d.h. ein
unter den gegebenen Verhältnissen sich mit mechanischer Notwendigkeit
ergebender Vorgang, der keine wesentliche Bedeutung für die Energetik
hat; er kann einen schädlichen EinllulJ haben, indem etn^a die Sauerstoff-
Verarmung durch den Verbrauch im Muskel noch gesteigert wird; er kann
aber auch zweckgemäü sein, indem z. B. bei Urämie der angehäufte normale
Reiz durch exzessiven Verbrauch von Muskelarbeit, die ja eine Steigerung
der Verbrennungsprozesse und der Ausscheidungen durch die Haut bewirkt,
ausgoji liehen wird. Vielleicht ist gerade die immense Wärmeproduktion der
Muskeln dieses Gegenmittel, sei es, daß unter den gegebenen Verhältnissen
auf die günstigste Weise (schädliche?) Stoffwechsolprodukte vernichtet oder
in Form von gasförmigen Exhalatiunen oder Wärmestromen durch die Haut
abgeführt werden, sei es, daß durch die Wärmeanhäufung (die sich — bei
* 0. RnsexBAcn, t^bcr regulatortfiebt' Albumiuurie nf*bHt BomerkaDgen über amyloido
Degeneration. Zeitetcbr. f. klin. Med., 1884. VIII, pag. 86. — Die Ziele der funktionellen
Diagnostik nebst Hemerkun^i^n über dut Blut aiu Orfrau nnil die regnlutoriocbe Fnnktloa der
Nieren. Deutsche med. Wocbenachr., 1901, Nr. 17 u. 18.
Epileptische und urämische Krftmpfe.
209
Epilepsie und Urämie, aber nicht bei Kratickun^ — in der oft kolossalen
ErhöhunfT der Teniperatnr kundgibt) in allen Geweben oder in den Gefäüen
abnorme Spannungen beseitigt oder Kompensationsapparate aktiviert werden,
die auf geringere Reize nicht ansprechen. So kann z. ß. die Hauttüti^keit
zur hOchfiten kompensatorischen Leistung angeregt werden, wie die kutane
UarnstoffaasscheiduDg beweist.
ppi d^r Epilfpflie liegt es noch näher, einen solchen re^nlntoriBchpn ElnflnH anzn-
Bchmen, Ar dnrch exxeßaiTe Muskelarbeit namentltch die prolongierte Spannung der Mntt-
keln (Piänyfetole nnd Syetole), mÜgUcherweise allein noch die notirentligen Oegenreize,
namentlich die reizdeprlniierrDÜe — tonugerhübende — oxygene Energie, produziert und
dem rechten Herzen sowie den Lungen direkt ziigetHhrt werden, wo sie ihre« toniiserhJl-
henden EinlluU auf das VaguisyRtem (dorch Vermittlung der pultnonnlea Vagn^eudif^angen,
denen schon L. Tbache dit'äe Funktion zusehrieb} geltend machen kOanen. 'So bvdi'utungs-
Toll aber dielte LeiHtung in der Norm, d h. im regelmüUigen Pha»enweeb8el ist, da die durch
niethodificht? MuskeltÜtigkeit ersengte. nxy gt*ne Energie der Hauptlaktor der Diastole des
Herzens nnd wahritcheinlirb der Toniitiernrg im liUng^nsystfm ist, ho wird sie natürlich in
pathologischen Fällen nnd namentlich ti^i Behinderung der SanerHtoffzufahr resp. wegen ab-
normer Daner der krampfhaften Kontraktion keinen eigentlichen Aufigleieh horbeitUhreo
können, da ja der gesteigerte Mnakelbelrieb seJbst wieder enorme Mengen SauerstoH ver-
braacht.
So lange wir alle diese Verhüttnisse nicht sicher zu beurteilen ver-
mögen, können wir nur nach allp:enieinon Erwägungen prfifen, ob es wahr-
scheinlich ist. daß die Krämpfe schädlich oder unwesentlich sind, oder üb
sie eine regulatorischo Bedeutung haben ; aber selbst wenn das letzte der
FaU ist, bleibt immer noch die Krage zu beantworten, ob wir sie nach dem
Dogma von der Heilkraft des Symptoms ungestört verlaufen lassen
sollen. Die Beantwortung dieser Frage ist unter Umständen nicht schwer;
denn selbst wenn die Krämpfe regulatorische Bedeutung haben, selbst wenn
sie das einzige und beste natürliche Mittel sind, so werden sie doch auf
Grund besserer Einsicht mit Vorteil durch kQnstlicbe Mittel zweckent-
sprechend und weniger eingreifend ersetzt werden können, wie wir Ja
auch nicht abwarten, bis sit^h der Organismus des Eiters durch weitgehende
Zerstörung von Geweben entledigt, sondern frühzeitig einschneiden und
einen Fremdkörper extrahieren, anstatt die Ausstoßung durch Hustenparo-
xysmen abzuwarten, oder Chinin reichen, anstatt dem Organismus die
Selbsthilfe zu überlassen, d. h. durch Schüttelfröste oder FteberparoKysmen,
die vielleicht den Reiz vernichten oder auf anderem Wege Akkommodation
an den Reiz zu erzielen.
Wir glauben auf Grund unserer Erfahrung, daß die urämischen Krämpfe
zwar ein wichtiges kritisches Zeichen und vielleicht auch ein Mittel der
Regulation sind, das aber nicht in allen Fällen wirksam ist und darum durch
ein die BütriebHvcrbältnlase mehr berücksichtigendes und vor allem un-
schädliches Verfahren, nämlich die Murphtumbehandlung. mit Vorteil
ersetzt werden kann. xMorphium scheint uns indiziert, weil es dem Gehirn,
dem Nervensystem und dem ganzen Körper Gegenreize zufuhrt, die der
übermäßigen sthenischen Spannung entgegenwirken and vor allem die min-
destens unnütze und wahrscheinlich schädliche außerwesontllche Betäti-
gung des Muskels — die ja nur erschöpfend wirken kann, wo es allein auf
Regulierung der inneren Arbeit und Beeinflussung der Hauttätigkeit an-
kommt — am sichersten hemmt. Die exzessive — ■ den Phaaengang aus-
schaltende — Betätigung ist unter den gegebenen Bedingungen für die
Erhaltung des Muskels selbst oder des gesamten Organismus ebenso un-
zweckmäßig, wie die krampfhaften Bewegungen und die dyspnoischen
Atmungen der Kranken, deren Bedürfnis nicht durch Sauerstoffzufuhr, son-
dern nur durch innere Verbindung des Materials mit dem Blute oder dem
Gewebe befriedigt werden kann, für die aber unter pathologischen Verhält-
nissen die Bedingungen dafür nicht gegeben sind. So ist ja auch Erbrechen
Eoejrulop. J«brbUrbvr. X. V. IV. iXlII.) W
210
Epileptische und urämische Krämpfe.
zweckmäßig, wenn es sich am schnellste Beseili^^ung: schädlicher Ingresta
handelt, aber direkt schädlich, wo es nur die starke, aber darch den
Brechakt nicht zu behebende extreme, innere Reizung zum Ausdruck
bringt.
Es ist anMallend, daß für dieses wirksame Mittel so wenig Autoren ein-
treten. In mancher Aufzählung der Behandlungsmethoden der Urämie findet
sich Morphium überhaupt gar nicht, von anderen Forschern wird es direkt ver-
worfen. In einer der neuesten Arbeiten über die Behandlung der Urämie, wo
MorpbiuDi gar nicht erwähnt ist, wird der Aderlaß mit nachfolgender Koch-
salzinfuaion sehr gerühmt. Ich kann gegen dieae Methode, Aber die mir
die Krfahrung fehlt, nichts einwenden; aber da ich die besten Resultate mit
der Morphiumbehandlung erzielt habe, so habe ich keine Ursache gehabt,
ein anderes Verfuhren vorzuziehen. Wenn man also nicht annehmen will,
daU beide Formen der Therapie, d. h. Murphluniinjektion und Aderlaß,
nur dem post hoc ihren Ruhm verdanken (b. o.), so möge man doch ein-
mal Versuche mit der Mnrphiumbehandtung machen ; jedenfalls ist diese
Behandlungsweife, die ich in vielen Fällen auch als lebensrettend bezeichnen
möchte, weniger umständlich und sicher so ungefährlich wie die eben er-
wähnte. Mit Morphium erfüllt man meines Erachtens eben nicht bloß eine
symptoinatfsclie Indikation, sondern aus den oben angeführten Gründen eine
kausale: aber selbst wenn nur das erste der Fall wäre, so wird niemand,
der einmal die Kauberhaft beruhigende Wirkung gesehen hat. in ernsten
Fällen auf sie verzichten wollen ; denn es ist ja eine der schwersten An-
forderungen an die Umgebung des Kranken, stundenlang dem qualvollen
Wechsel von Zuckungen und Kontrakturen, dem jammervollen Schreien und
Stöhnen machtlos beizuwohnen, zumal mit der trostlosen Aussicht, die kurze
Stille nach dtMii Anfalle durch einen um so heftigeren Krampf alsbald unter-
brochen zu sehen. Nichts erschöpft mehr die Körperkräfte der P/leger als
die unablässigen Bemühungen, die zackenden Muskeln zu fixieren und den
Kranken vor Verletzungen zu bewahren. Durch verhältnismallig kleine,
eventuell entsprechend gesteigerte Injektionen kann man hier vielstOndige
Huhp UH'l, wenn es die Schwere der Erkrankung überhaupt zuläßt, unter
zunehmender Kräftigung des Kranken, den man natürlich — unter be-
sonderer Berücksichtigung der Wärmevorhältnisse — sorgfältig reinigen und
zeitweise mit Wasser oder Milch erquicken muß. Genesung eintreten sehen.
Jedenfalls wird bei dieser Behandlun!]: die sonst rapide Erschöpfung hinaus-
geschoben und, was besonders wichtig ist, schwere Verletzungen, nament-
lich der Zunge, werden nach Möglichkeit verhütet.
Sehr wichtig ist es, bei Verdacht auf Urämie die ersten Symptome
zu berücksichtigen und schon bei leichten Muskelzuckungen (subsultus
tendinuui) Morphium — bei Kindern OÜOIJ, bei Erwachsenen 0 0o5 — als
Injektion zu geben. Wenn nur Brechnoigung und Soumolenz mit starker
Verengerung der Hupillen besteht, so ist das Mittel nicht indiziert, da dann
der tonische Einfluß des Gehirns bereits mriximal wirksam ist. Ebenso nehmen
wir von dem Mittel Abstand, wenn der Puls weich ist; bei auffallender Zu*
nähme der Spannung ist es dagegen dringend indiziert, auch wenn eigent-
liche Symptome des urämischen Zustandes noch fehlen. Wenn allgemeine
Krämpfe ausbrechen, so sind größt^re Dosen am Platze und sie sind um so
wirksamer, je weniger ausgesprochen in der Krampfpause die soporösen
Erscheinungen sind. Am wenigsten Erfolg haben wir gesehen, wenn die
Pupillen gleich von Anfang an nicht deutlich verengert waren und sich im
Anfalle noch erweiterten. Dies ist ein Zeichen des Wegfalles der Qehirn-
Innervation, das bei Epilepsie unbedenklich ist, weil es im gewöhnlichen
Laufe der Dinge das Ende des Anfalles anzeigt, während es bei Urämie,
wo gewöhnlich viele Paroxysmen folgen, von übelster prognostischer Be-
I
Epileptische und urämische Krämpfe. — Euguform.
211
r
deutungf ist Wir empfehlen bei starken Konvulsionen 1 cg fQr Kinder Aber
8 Jahre und ^eben bei Erwachsenen bis zu 2 — 3 cg.
Die QrÖlie der Dosis ist arn besten zu bestimmen, wenn man sich vor
dem Auftreten der Krämpfe, also bei Beginn leichter Muskelzuckanf^en, von
der Wirkung: einer kleinen Injektion (von 0005 — 001) überzeugt hat. Man
kommt gewöhnlich mit wenigen Injektionen zum Ziel und hat in den In-
jektionen auch ein prognostisches Mittel, insofern als eine geringe Wirk-
samkeit die Prognose besonders ungünstig erscheinen läßt.
Aus den hier angegebenen Gründen ist auch die Opiumbehandlung der
Epilepsie zweifellos theoretisch berechtigt; d. h, wenn man die Zeit des
Eintrittes der Anfälle kennen würde, könnte man durch rechtzeitige An-
wendung von Opium oder Morphium wahrscheinlich stets den Ausbruch
des betreffenden Anfalles verhindern, d. h, durch Regulierung oder Ver-
stärkung der inneren Arbeit auf Kosten tler aulierweaentlichen die Dis-
harmunie des oxygenen und nitrogenen ßetricbes im Nerven- oder Muskel-
system, im Gehirn- und Rückenmarksystem^ die unserer Ansicht nach Ur-
sache der Epilepsie ist, ausgleichen. Da wir aber die Zeit der Anfälle nicht
kennen, so acheint mir die Opiunibehandlung trotz der günstigen Erfahrungen
einiger Beobachter, gerade wegen der Erfahrungen, die ich sonst über
dauernde Anwendung von Opiaten gemacht habe, nicht vorteilhaft. Der
länger dauernde oder gar konstante Gebranch von Opium oder
Morphium in großen Dosen wirkt, abgesehen von dem Einflüsse auf andere
Organe^ nämlich schweren Störungen der Defakation und Strangurie, stets
80 ungünstig auf das Nervensystem. dal5 es fraglich ist, ob der Kranke
davon nicht einen größeren Nachteil als Vorteil hat, und Morphium im
Anfalle anzuwenden, ist im allgemeinen, außer bei sehr intensiven, pro-
longierten und schnell sich wiederholenden, also erschöpfenden Paroxysmen,
zwecklos.
Vom theoretischen 8t;indpnnktL' aun wUre bei Epilepsie and Crtliiiic Ut^r Gebrauch vou
komprimiertt^ni Sauergtoll za empk-hlen ; doch hahe ich darüber ki^inp Erlabrung. NatUrHch
kuQii der Saaeri»toIf weder so schuell noch tto energisch wirken wie die Injektion, die nicht
hioü symptocaatiscb ra»ch wirkt, sondern, falls noch grnilgende Energie vorbimdcn ist, dtrn
Fbasenkraug im Interesse der mangelhaften Leistung aU wahres Oeweba-Tonikom b«-
einfluUt O. Ito^rnbach.
Equlsetum ar^ense. Das Zinnkraut gilt seit altersber als di-
uretisch. Bkeitexstein ') prüfte die diuretische Wirkung eines Dialysales
dieser Pflanze und konnte eine Harnvermehrung um 30" o feststellen. Kr
führt diese Eigenschaft auf die Kieselsäure zurück, welche in der Asche von
Equisetum zu 4lVo enthalten ist und in das Dekokt übergeht. Eine diure-
tische Wirkung der Kieselsäure wurde von S(firLZ-) allerdings erst nach
lAngerem Gebrauch von Aqua silicata mit uOP'q Kieselsäuregehalt kon-
statiert; Vergiftungssymptome treten eher auf, bestehend in Kopfschmerz.
Schwindel, Zittern, Akne, Schweib, Meteurismus, Tenesmus.
Literatur: ') A. BfitiTrssTKiN, Beitrüge zur Kenntnitt dor riinrHiaehen Wirkung des
Eqnisetnm und einiger anderer priHnEenalkiiloide. Festsehr. t. 25iUhr. Jub. d H. Prof. MABSiTd«
lit. nach Thcrap. Monatfih.. Mai liK)4, pag. 266. — ') H. Schülä, Zur Physiologie und Pbar-
rnükodynannk dir Kie»elsiLure. Deutsche med. Wochenschr., 1903, Nr. 38, pag. 073.
Eseriu empfiehlt O. Aknold zur Behandlung der postoperativen
Darmparalyse, und zwar gibt er 1 wg subkutan.
Literatur; Zentralbl. I. Gyn., 1904, Nr. 9. S. rrey.
Euguform. (Vgl. Eulenbl-rgs Encyclopäd. Jahrb., N. F„ 111. Jahrg.,
1905, pag. 147.) Euguform^ das azetylierte Koudensationsprodukt von Qua-
jakol und Formaldehyd, wurde von einer Reihe von Autoren angewandt;
212
Eugufortn« — Exodin*
sie berichten übereinfltimmend von ^Qten Erfolgren. Das Präparat war an-
giftig:, als Streupulver für Wundflächen wirkte es aastrocknend, schzners-
Htillend, antiseptisch.
Mittelst Aceton läßt sich eine r>0'*'aige Lösung herstellen, die sich als
Teerprodukt zur Behandlung von Hautkrankheiten eignet, z. B.; Rp. Eaga-
formi solubilis 100, Zinci oxydati, Amyli aa. 200, Glycerini 300, Aq. dest.
ad lOO'O. Umschfltteln, 2 — :^mal tägl. aufzupinseln (Joskph).
Literatur: Fr. Bering, CIht einige neuem Heilmittel Die Therapie der Gegenwart,
Juli 19^)4, pag. 314. — Scbwab« , Eugiirorm. Präger med, Woehennchr., Nr. II. — Max
JosKi'D , EugaforiDUTD Molabile. Deutsche med. Woobenschr., 1904, Nr. 4. E, Frey,
Eakaln^ s. Lokalanästhesie.
Eukodln. Kukodin ist die quaternäre Base des Kodeina, und zwar
CodeinbrommethyJat. Während Morphin durch Überführung in die quaternäre
Base sowohl an Giftigkeit wie an Wirksamkeit verliert, bOÜt das Kodein
bei demselben Prozeß seine sedativen Kigenachaften nicht ein. Dagegen war
im Tierversuch von den Kränlpfen^ welche Kodein macht, nichts zu sehen.
SchCtze wandte es in 23 Fällen mit befriedigendem Erfolg an und rät zur
weiteren Prüfung dieser Substanz.
Literatur: A. ScitOizs, über das Eakodiu (Kodeiubrommethylat). Med. Klinik, 1905,
Nr. 9, pag. 208. B. Srey.
Eutuydrln. Das in der Augenheilkunde angewandte Umwandlungs-
produkt des Atropin (s. Eilenburgs Encycl. Jahrb., N.F,, III, 1905, pag. 147)
stellt nach Haas^) auch für die interne Praxis einen vollwertigen Ersats
der Belladonnapräparate dar; es zeitigte gute Erfolge ohne Nebenwirkungen.
Seine Indikationen sind dieselben wie die des Atropins. Man gibt O'OOl pro
dosi dreimal täglich, kann aber bis 0003 steigen. Außer bei Erkrankungen
des Magens und Darmes wurde das Eumydrin als Antihydrotikum angewandt
(EXGLÄNDRR-).
Literatur: *) Quatav Haas, Eninyftrin, ^in Atropinersatz, in der Ttierapie der Magen -
and DanukrADkheitvn. Die Therapie der Gegenwart. SlärR 1906, pag. 105. — ') Bkrhau»
Eholämdrk, Knmydiin als Antihydrotiknm. Przet'lad lek.irska, 1904, Nr. 38. — Derselbe,
Kumydrin, ein neues BChweiilbemmendea Mittel. Wiener klln.-therap.Wocbenschr.. 1904, Nr. 48.
E, Frey.
Kufjeniiiiy s. Augenheilmittelj pag. TL
Hxodln (s. Encyclopäd. Jahrb., N. F., III, pag. 147). Während Exodin
nach Angabe der Fabrik (Chemische Fabrik auf Aktien ^ vormals Schering,
Berlin) Diacetylrufigalluasäuretetramethyläther iat^ soll es nach Zkkmk^)
kein einheitlicher Körper sein, sondern ein Gemisch von Rufigallussäure-
hexamethyläther , Acetylrufigaliussäurepentaniethyläther und Diacetylrufi-
galloasäaretetramethyläther. Dem erstgenannten schreibt Zrrmk die ekko-
protische Wirkung des Präparates za. Dieser Frage ist W. Ebstein -) näher
getreten. Er prüfte alle drei von Zermk genannten Bestandteile des Exodin
einzeln in analysenreiner Form auf ihren Wert als Abführmittel. Diese
Versuche stellte er an einer größeren Zahl intelligenter Menschen an, die
teils ihre normale Verdauung besaßen, teils an Obstipation litten. Hiernach wirkt
nur der Acelytrufigallussäarepentamethyläther entachieden abführend, doch
war der Stuhlgang häufig von stärkeren, kolikartigen Schmerzen begleitet.
Die von Zkhnik als wirksam angesehene, zuerst genannte Substanz ist
ganz unwirksam und der Diacetylrufigallussäuretetramethyläther wirkt
zwar abführend, aber bedeutend schwächer als das Exodin. Letzteres scheint
daher eine glückliche Mischung der beiden zuletzt genannten wirksamen Sub-
stanzen zu sein, In der der schwächer wirkende Tetramethyläther durch
1
1
I
I
I
Exodln. ~ Eyestrain. 213
Beimischung des Pentamethyl&ther verstärkt ist, ohne daß die Kolik er-
zeugende Wirkung des letzteren zur Geltung kommt. Chemisch scheint
demnach die Angabe von Zernik fiber die Znsammensetzung des Exodin zu
Recht zu bestehen, was indessen für den therapeutischen Wert des Präparates
nur gOnstig sein kann.
Literatur: >) Znaix, Apotheker-Ztg. , 1904. Nr. 63, pag. 598. — *) W. Eb^tkih,
Deutsche med. WochenBohr, 1905, Nr. 2, pag. 55. Kiouk».
Eyestrain soll ein in der neueren englischen und namentlich in
der amerikanischen Literatur öfters gebrauchter Ausdruck sein. Nach einer
ausffihrlichen Mitteilung Ohlehanns in der Wochenschrift für Therapie und
Hygiene des Auges (1904, VIII, Nr. 11) ist er ungefähr gleichbedeutend mit
Asthenopie aus den verschiedensten Ursachen und scheint ziemlich Qber-
flflssig zu sein. r.Beass.
Persan, s. Eisenpräparate.
Fetron. Die Salbengrundiage »Fetron«, eiae Mischung: von flüssigrem
Paraffin oder Vaselin mit Stearinsäureaniiid , hat Niepe-n 0 niit g;utem Er-
folg in der Augenheilkunde ang;ewandt Von dem Bindehautsack wurde sie
g:ut vertragen und eif^net sich auch sehr gat zur Behandlung der Lidekzeme.
Literatur: '■} Kiei>en, Intern. llaibiuoDatabl. f. FatboJ. a. Therap. cl. A ugcn krank hei teo,
Anguiit 1906, Nr. lö- JS- J?>»^.
Fettsnclit und Entfettung. Unter den Beschwerden der Fett-
leibigen sind es vorzugsweiso die Herzbeschwerden derselben, welche die
Aufmerksamkeit des Arztes in hervorragender Weise erregen und die auch
in der Tat wegen der von ihnen ausgehenden Lebensbedrohung diese Auf-
merksamkeit verdienen. Zur Erktärutig dieser Beschwerden ist vielfach in
Alterer und neuerer Zelt die anatomische Veränderung des Herzens der
Fettleibigen herangezogen worden, früher die Aulfassung namentlich Stokks',
daß mit der Fettleibigkeit eine fettige Degeneration dos Herzmuskels ein-
hergehe, die fQr die Störungen seitens dos Herzens verantwortlich zu machen
sei, dann später die schon von Laennec gegebene Unterscheidung der Fett-
umlagerang und Fettdurchwachsung des Herzens und die in neuester Zeit
durch die Arbeiten von KisrH gestützte Meinung, daß das >Mastfettherz«
als ein fettum- und durchwachsenes Herz anzusehen sei.
Gegen diese letztere Annahme wendet sich Kau!. Hirsph aus der Ccrsch-
MAXNschen Klinik in Leipzig. Er geht vorerst von dem Satze aus, daß die
Verschiedenhpit der Symptomenkomplexe hol den Zirkulationsstörungen der
Fettleibigen eindringlich auf eine Verschiedenheit der ihnen zugrunde liegenden
anatomischen Veränderungen zurückzulöhren sei. Er vernoinL daß die fettige
Degeneration des Herzens überhaupt klinisch charakteristische Symptome zeige:
die fettige Degeneration stehe in keiner festen Beziehung zu den Leistungen'
des Herzens im Leben, sie könne also heute nicht mehr als die Ursache
des sogenannten Fettherzens angesehen werden. Die Fettum- und Durch-
wachsung des * Mastfettherzens« kann, so deduziert Hirsch weiter, nicht
die wichtigste Ursache der verminderten funktionellen Leistung des Herzens
sein, denn sie findet sich fra höchsten Maße auch bei Menschen entwickelt,
die nie Erscheinungen von Herzschwäche gezeigt haben, und sie kann bei
Fettleibigen fehlen, deron Herz insuffizient war. Man sehe ferner häufig
eine außerordentlich starke Fettablagerung am Herzen bei karzinomatusen,
kachektischen Personen, ohne daß dieselben ähnliche Herzerscheinungen
bieten wie Fettleibige. Endlich stehe Kirschs Lehre auch mit der Tatsache
im Widerspruche, daß die Fett-Um- und Durchwachsung meist vorwiegend
am rechten Ventrikel angetroffen wird, während klinisch bei Fettleibigen
gerade die Schwäche des linken Ventrikels in den Vordergrund tritt. Der
Fettsucht tind Entfettung.
215
Fettleibige sei meist lange Zeit dyspnoisch gewesen^ ehe sich Erscheinungen
venöser Stauung geltend machen.
Bei der Erörterung der Adipositas cordis ist nach Hirsch besonders die
Entwicklung der Körpermuskulatur zu beachten, welche einen bestimmenden
Einfluß auf die Entwicklung des Herzmuskels hat. Treten bei einem jQngeren
muskelscbwachen Fettleibigen, etwa unter 40 Jahren, Erscheinungen von
Herzschwäche auf, so müssen wir zunächst daran denken, daß dieselbe durch
das Mißverbfiltnis zwiscben Körpermasse und Herzkraft bedingt sein kann.
Dabei muß aber insbesondere durch eine genaue Anamnese festgestellt sein.
daß keine Anhaltspunkte für die Annahme einer Koronarsklerose oder einer
schweren funktionellen Schädigung bestehen. Bei m us kelstarken F'ett-
leibigen (aach jüngeren Individuen) mit Herzinsuffizienz muß in erster Linie
an das Vorhandensein anatomischer oder schwerer funktioneller Schädigungen
gedacht werden. Es sind vor allem die Arteriosklerose^ insbesondere Koronar-
sklerose, Nierenveränderungen, Arteriosklerose der Splanchnikusgefäße und
chronische Myokarditis in Betracht zu ziehen. Nur die genaueste Analyse
des einzelnen Falles könne die vielfach noch so verworrenen Vorstellungen
von dem sogenannten Fettherzen klären.
Bezüglich der Therapie warnt Hius« h vor der durch den Glauben, daß
das sogenannte Fettherz lediglich durch die Fettsucht bedingt werde, veranlaßten
schematischen Auffassung, daß in einer Entfettungskur die Erfüllung der
Indicatio causalis gelegen sei. Man niQsse vielmehr strenge unterscheiden
zwischen Fettleibigen mit leistungsfähigem und solchen mit gesch wiichtem
Herzmuskel. Eingreifende Entfettungskuren eignen sich ausschließlich für die
orsteren. Bei beginnender HerKmuskelinauftuzionz sei daher zunächst vor
Trinkkuren in Marienbad, Tarasp, Karlsbad dringend abzuraten. Handelt es
sich lediglich um eine Herzinsuffizienz infolge eines Mißverhältnisses zwischen
Körpermasse und Herzmuskel, dann ist vor altem eine vorsichtig geleitete
Ubangatherapie mit gewissen diätetischen Vorschriften angezeigt Man suche
den weiteren Fettansatz zu verhüten und den Herzmuskel systematisch
durch körperliche Bewegung zu kräftigen. Terrainkuren, Radfahren, sind
jedoch bei der Herzschwäche Fettleibiger 7u verbieten. Das Prinzip der
allmählichen Anpassung, die Übung muß bei der Herzgymnastik leitend sein.
Für den Anfang der Behandlung erscheinen kohlen suureh altige Bäder
angezeigt ; werden dieselben gut vertragen, dann geht man zur Widerstands-
gymnastik über. Tritt eine Hesserung der Herzkraft ein, dann kann mit der
Kräftigung des Herzmuskels durch die Gymnastik eine Verminderung
des Körperfettes einhergehen. Gemilderte Karlsbader, Marienbader oder
Tarasper und Homburger Kuren können dann angewandt werden. Bei Fett-
leibigen, deren Fettansatz auf eine Anomalie des Stoffwechsels zurj3ck-
geführt werden muß, sei man mit Nahrungabeschränkuug ganz besonders
vorsichtig. Von der Anwendung von Schilddrüsenpräparaten bei Fett-
leibigen mit Herzbeschwerden ist abzuraten ; zu verwerfen ist weiterhin
die seit ÜERTtCL so beliebte forcierte Beschränkung der Flüssigkeitsaufnahme.
Wesentlich anders will HiKsrhi die therapeutischen Maßnahmen bei muskel-
starken Fettleibigen, deren Herz inmitten körperlicher Tätigkeit insutfizient
wird, gestalten. Hier trete die Frage nach anatomischen oder funktionellen
Läsionen des Herzmuskels in den Vordergrund. Es erscheinen daher vor
allem eine Beschränkung der körperlichen Tätigkeit, in schweren Fällen
absolute Ruhe geboten. Das gleiche gilt für alle Fälle, in
insnffizienz bei Koronarsklerose, nach Überanstrengung,
Infektionskrankheiten auftritt. Es gelte hier vor allem
Herzinsuffizienz zu ergründen. Was die sogenannten »plethorischen« Fett-
leibigen betrifft, die neben Arteriosklerose einen erhöhten Blutdruck haben,
so ist bei denselben stets an die Möglichkeit einer Splanchnikusarteriosklerose
denen die Herz-
ini Anschluß an
die Ursache der
316
Fettsucht und Entföttuug.
zu denken. Bei ihnen bewährt sich neben Einschränkung der Schlemmerei
und des Alkohoüsmus oft eine sehr vorsichtig geleitete Trinkkur in Karls-
bad, Marienbad oder Tarasp, bei gleichzeitigen MagenstSrungen Kissingen.
POr Fettleibige mit Gicht und Diabetes kommt in erster Linie Karlsbad
in Betracht. Anämische Fettleibige bedürfen zunächst der Ruhe und der
Eisentherapie. Die Fettleibigen mit schweren Insuffizienzerschetnungen sind der
Ruhe bedürftig, bei ihnen muß jeder Entfett ungs versuch zunächst unterbleiben.
Gegenüber der eben skizzierten Darstellung hält Kisch an dem von
ihm gegebenen Begriffe des Mastfettherzens als Hauptursache der Herz-
beschwerden der Fettleibigen fest. Nach ihm sind diese Herzbeschwerden
zwar durch mehrfache Momente der stärkeren Fettwucherong im KArper
und Steigerung der Widcrätände verursacht, allein das wesentlichste
ursächliche Moment liege im Mastfettherzen selbst, in den durch Fettum-
und Durchwachaung des Herzens veranlaüten Gewebsveränderungen, welche
in kürzerer oder längerer Zeit, aber stetig vorschreitend und sicher die
Energie der Herzmuskulatur herabsetzen, ein leistungsfähiges in ein g:e-
schwächtes Herz umwandeln und die Betriebsstörung im gesamten Kreis-
laufe herbeiführen. Nach Kisi'HS Untersuchungen an Masttieren und an Ob-
duktionabefunden fettleibiger Menschen ergibt sich wesentlich folgendes :
das Fett am Herzen des gesunden erwachsenen Menschen ist besonders an
gewissen Stellen abgelagert, und zwar entlang dem Suicus atrioveniri-
culans an der Basis der Herzkammer, ferner längs des Suicus longitudinalis
superior und inferior und dann am rechten vorderen sogenannten scharfen
Rande der Pars ventricularis. Diese Stellen sind die Prädilektionsstellen,
wo bei grÖÜorer Fettleibigkeit steh das Fett in abnorm starker Menge
ablagert. Bei hochgradiger Fettsucht erscheint zuweilen das ganze Herz in
Fettmassen eingehüllt, so daß von der Muskelsubstanz äußerlich gar nichts
zu sehen ist. Untersucht man ein ausgeprägtes Mastfettherz, so sieht man
schon makroskopisch das Fett in Form von gelblichen Streifen in das inter^
muskuläre Gewebe dos Myukardiums eindringen ; die Muskelsubstanz wird
infolge dessen blaßbräunlich gefärbt und erhält eine weiche, brüchige Be-
schaffenheit, Bei mikroskopischer Untersuchung sieht man die Fettzellen
rings um die Gefäße unter dem Perikardium und, diese in ihrem Verlaufe
begleitend, in die Muskelsubstan/ eindringen, die Muskelfibrillen in mächtigeren
und dünneren Bündeln auseinander drängend^ zwischen sie hineinwuchern,
die Interstitien zwischen den MuskeHibrillen also mächtig vergrößern und
einzelne Fibrillen komprimieren. Als anatomische Bauzeichnung ergibt, sich
also : Stärkere äußerliche Ablagerung von Fett am Mastfettherzen, Ein-
dringen des Fettgewebes vom subperikardialen Bindegewebe, dadurch Be-
einträchtigung der Struktur des Herzens, erst im späteren Verlaufe
Abnahme der kontraktilen Substanz und molekulare Veränderungen der
Muskelfasern Daß solche anatomische Veränderungen, welche den ganzen
Aufbau der Herzmuskulatur erschüttern ^ zu funktionelten Störungen des
Herzens, zur Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit fuhren können, ja
in der Regel dazu führen müssen, sclieint ersichtlich genug und wird von
klinischer Seite auch vielfach anerkannt; so sagt v. Nookdkx: >Fettum-
wuchsung und -durchwacbsung erschweren natürlich die kraftvolle Zusammen-
ziefaung des HohEmuskels.«
Wenn nun HmscH gegen diese Auffassung anführt, daß solche Fett-
um- und -Durchwachsung des Herzens sich auch bei Menschen entwickelt,
welche nie Erscheinungen von Herzschwäche gezeigt haben, und bei Fett-
leibigen fehlen kann, so möchte Kisch diesen Befund nur als Ausnahme,
das Gegenteil aber als Regel gelten lassen. Im allgemeinen müsse daran
festgehalten worden, daß bei hochgradiger Fettleibigkeit sich eine sehr be-
deutende Zunahme des Fettes um das Herz und am Herzen findet.
Fettsucht uod Entfettung.
217
Weiter betont der letztgenannte Autor, daß fi^egens&tzlich zn Hirsl*h nicht
die dyspnoischen Erscheinungen bei Fettleibigen stets den vonfSsen Stauungs-
erscheinungen vorangehen Im Gegenteile ist ia.' als FrOhsymptom der
Stauungen bei Fettleibigen gerade die erschwerte Zirkulation im Bereiche der
Hautvenen mit Bildung eines Kranzes ektatischer Venen und Kapillaren in
der Haut hervorgehoben worden. Jedenfalls sei die das Mastfettherz cha-
rakterisierende Fettum- und • Durchwachsung, wenn auch nicht als einzige
Ursache der Herzbeschwerden der Fettleibigen hinzustellen, so doch von
ganz wesentlicher Wichtigkeit und niQsse zur Erklärung dieser Herzbe-
schwerden wie zur Indikationsstellung in therapeutlacher Beziehung heran-
gezogen werden.
Bezöglich der Entfettungskuren betont C. Gerhardt, dati stets
zweckmiiliige Regelung der Ernährungs- und Lebensweise die Grundlage der
Behandlung bilden müssen. Langsames, vorsichtiges Vorgeben müsse die
Regel bilden, falls nicht Schaden gestiftet werden soll. Zwei Qble Folgen
sind besonders bekannt geworden: Nachfolgende diffuse Nierenentzündungen
und ungenügende Widerstandskraft rasch Entfetteter. Dergleichen zu ver-
meiden, wird man lieber zeitweise die Kur unterbrechen. Den besten Maß-
stab gibt die Leistungsfähigkeit der Muskulatur. Nimmt diese ab. so wird
eine Unterbrechung des V^erfahrens angezeigt sein. Meistens wird man zwei
Teile der Kur unterscheiden müssen^ eine Entfettungskur, welche zunächst
einmal das Korpercrewicht um einige Kilo herabsetzt, wie dies z. B. in den
üblichen Büdern gewühnlich erzielt wird, und dann die Nachkur von unbe-
grenzter Dauer, die den erzielten Erfolg fi^sthält und vervollständigt, d. h.
eine dauernd zweckmäßige Lebensweise. Immerhin würde es wünschenswert
sein, neben diätetischen Vorschriften zur Entfettung auch einige unter-
stützende Arzneimittel zur Verfügung zuhaben. Deshalb hat Qkiihardt, von
der Erfahrung anderer ausgehend, dall gröüero Dosen borsaoren Natriums
bei Tieren und Menschen einen die Ernährung störenden Einflute üben^ dieses
Salz als l^oihilfe bei einer Entfettungskur in mehreren klinischen Fällen
versucht. Die drei Versuchspersonen, Über die Gerhardt berichtet, boten
keineswegs sehr günstige Bedinguns;en Tür den Erfolg des Mittels. Zwei
derselben waren mit erblicher Neigung zur Fettsucht behaftet» der eine da-
von wnr durch reichlichen Genuli weingeistiger Getränke an seinen Geweben
geschädigt und stand im Verdachte beginnender Schrurapfniere. Die weib-
liche Kranke war schwerer als sie sein sollte, aber nicht gerade fettsüchtig,
nur in ihren degenerierten Muskeln war krankhafter Fottreichtum anzu-
nehmen. Im ersten Versuchsfalle ist während der :^4tägigon Periode dos
Buraxgebrauches das Körpergewicht um 4 /r^^ von l»5'5Är// auf '^\ökf£, herunter-
gegangen. Bei der PatiGntin^ wolcho den zweiten Versuchsfall bildete, ging
während ungefähr 4 Wochen das Körpergewicht von bHkg auf 050 kg zurück,
wobei neben Natrium biboracicum Solbäder, Massage, Elektrizität und Be-
wegungsübungen angewendet wurden. Der dritte Fall zeigte nach 2 Monaten
3 Wochen Behandlung eine Abnahme des Körpergewichtes von 94 kg auf
Sl'bkg. Die erzielten P>gebniBse sind jedenfalls nicht beweisend. Immer-
hin glaubt Gerhardt sagen zu können, dab die Dose von dreimal täglich
0*25^ Natrium biboracicum nicht oder wonig wirke, 0'^ g wirke und gut
vertragen werde, während 1 g schon nachteilige Wirkungen entwickelte,
und daß das Mittel verdienen dürfte, Gegenstand weiterer Versuche zu
werden. Nach Senzs Erfahrungen bei Entfettungen mit Borsäure lüst diese
zuweilen auch in kleinen Dosen recht unangenehme Erscheinungen aus^ in
geeigneten Fällen kann sie aber als bequemes Entfettungsmittel angewendet
werden, ohne daB sich sagen läßt, worauf diese individuell verschiedene
Verträglichkeit dieses Mittels beruht. Die unangenehmen Nebenerscheinungen
der Verabreichung des Mittels ^ und zwar wurden zuerst die Borate als
218
Fettsucht und £ntf<;ttung.
Natrium biboracicum in Wasser gelöst, später als Äcidum boricum in i/,-
bis l** öliger wüsseritjer LSsonfc zu 2 — 3mal tätlich ^U_ g göreicht — bestanden
in starken Kopfschmerzen, SchwächegeTuhl, Schwindel sowie Herzklopfen
mit Herzschraerzen. Von den i> Fällen (weibliche Patienten), welche zur Er-
probung' des Verfahrens mit Boraten behandelt wurden, verliefen drei Fälle
erfol^rlos. es muBte wegen verschiedener^ namentlich gastrischer Boschwerden
die Kur unterbrochen werden : in einem vierten Falle erzielten mäüige
Mengen Borsäure in etwa 11 Wochen eine Abnahme von P .^ A-^; in einem
fünften Falle war die Abnahme ganz unbedeutend; in einem sechsten Falle
(irrtümlich *6 g statt 1'^^ pro die genommea) sank in fünf Tagen das
Körpergewicht von 75 A*^ auf 734 kg^ zugleich traten die oben angegebenen
unangenehmen Nebenerscheinungen aaf; nach einer zweiwöchentlichen Pause
wurde die Therapie noch einmal aufgenommen und in drei Wochen ein Ge-
wichtsverlust von nicht mehr aln \'2 kg erzielt.
Über die Praxis der Entfettungskur entwickelt Rosenp£LI> seine
auf Grundlage von Versuchen gewonnenen Anschauungen. Er definiert zu-
nächst die Fettleibigkeit als Reichtum an Fett, herrührend fast immer von
ObermäiSiger Ernährung. Als fettbildende Nahrungs^toffe kommen die Kohle-
hydrate und Fette in Betracht Ihre Verminderung ist darum bei Entfettungs-
kuren in erster Linie zu erstrehrn. Bei einer langsamen, in mäßigem Tempo
erfolgenden Entfettung - — keine einfache Hungerkur — muli und kann ver-
mieden werden, daß der Eiweiübestand des Körpers angegriffen wird. Das
Bestreben, den EiweÜiverhist durch übermäßige Darreichung von Eiweiß zu
kompensieren, hat eich nach Ktt^KNFKLH praktisch als falsch erwiesen^ wes-
halb er bei der Entfettungskur nur die übliche Eiweißmenge gestattet. Von
den übrigen beiden Bestandteilen, den Kohlehydraten und den Fetten, sind
die ersteren die bei weitem voluminöseren und führen wegen ihrer räum*
erfüllenden Eigenschaft rasch zum Gefühle der Sättigung. Eben deswegen
seien bei Entfettungskuren die Kohlehydrate, und zwar diejenigen, welche
das größte Volumen beanspruchen, dns sind Kartoffeln, Kraute, Salate ohne
Ol zu gestatten. Den Einwand, dali Kohlehydrate Durst machten, hält
RüSENFELn für unberechtigt. Ebenso bekämpft er die Forderung der Flüssig-
keitsentziehung und glaubt, daß reichlicher Wasaergenuß bei der Entfettung
geradezu zu erstreben sei. Die ÜEimxschen Untersuchungen seien voraus-
sichtlich, weil in München, an Hiertrinkern vorgenommen worden, und es
sei selbstverständlich., daß ein Mensch, der gewohnt ist, größere Mengen
von Bier zu sich zu nehmen, mager wird, wenn er sich des Bieres enthält.,
denn das letztere enthalt einen ziemlich hohen Nährwert und sein Wegfall
bedeutet für den Organismus einen V^erlust an ernährender Substanz. Ganz
anders stehe es mtfc der Wasserentziehung. Der Durstversuch von Oemmig
habe bewiesen, daß Flössigkcitsbcschränkunir nur eine Wasser- aber keine
Fetteutziehung bedeute. Der fette Mensch sei häufig recht wasserarm, darum
sei die Wasserentziehung zwecklos iind manchmal sogar gefährlich. Diese-
sei nur am Platze als Suggestivmittel, weil die durch die Wasserentziehung
selbstverständlich bedingte Gewichtsveriuinderang die Kranken zum Aus-
harren in der Kur ermutigt, und wenn es steh darum handelt, ein geschwächtes
Herz von einer Übermäßigen Last zu befreien. Sonst aber sei die Darreichung-
kalten Wassers bei Entfettungskuren geradezu indiziert. Rü3ENKKLDS Di&t-
schema ist ungeffthr folgendes: Es sind erlaubt 80 -lÜOir Eiweiß in Form
von Fleisch und Eiern ; ferner reichlich Kartoffeln, Gemüse, Salate, Gurken.
Außerdem muß der Patient viel kaltes Wasser vor dem Essen trinken, un-
gefähr -'Liter pro Tag; verboten ist unbedingt jedes Fett. Die Muskel-
bewegung habe nur dann einen Wert, wenn verhütet wird, daß die durclv
die Muskelbewegung bedingte Appetitssteigerung zu einer reichlicheren Er-
nährung führt. Was die Zahl der Mahlzeiten betrifft» so wirken drei karg-
Fettsucht und Entfettung.
219
liehe Mahlzeiten zu deprimierend, weshalb zwischen PrQbstück und Mittafc-
brot um 10 Uhr etwas Kfise zu gestatten sei and um 12 Uhr Apfelmus mit
Wasser und Saccharin — kein Zucker — oder etwas Backpflaumen oder
Kartoffelsuppe. In dieser Weise hat Kosbnprli» in 3 Wochen schon 10 bis
12 Pfund Fett zum Schwinden bringen können.
Über den Gang der Fettabnahme bei Entfettungrakuren hat KiscH
f^enaaere Untersuchung^en bezüglich seiner bekannten Hntfettungsmethode
in Marienbad vorgenommen und sie in eigens entworfenen Tabellen nieder-
gelegt. Aus einer Reihe derartiger Beobachtungen hat KiscH entnommen,
daß die Korpergewichtsabnahme bei seiner Entfettungskur in den ersten
3 — 4 Tagen am größten, ja zumeist Qberraschend groß ist. Bei hochgradig
Fettleibijjfen mit einem Körpergewicht von Aber IO()A-f/ I '/j, 2 — S'/^Xr^in dpn
ersten Tagen des Kurbeginnos. Dann findet tätlich ein geringerer. zieaiHch
gleichmäßiger Gewichtsverlust von etwa 20 — 50 dkg statt. Im Kurverlaufe
kommt es nicht selten durch einige Tage zum Stillstande der Abnahme
oder gar einem leichten Anstiege des Körpergewichtes. Der Grund des so
sehr bedeutenden Gewichtitverlustes im Kurbeginne liegt wohl in der plötz-
lichen Änderung der Ernährung, in der raschen Entziehung der Kettbildner
in der Kost, in der stärkeren körperlichen Bewegung und Anstrengunif,
dann in dem Wasserverluste des Körpers durch die diuretische und leicht
purgierende Wirkung des Mineralwassers wie durch den Bädereffekt. Der
Stillstand oder Anstieg des Körpergewichtes im weiteren Verlaufe ist zu-
meist auf Unterlassungssünden des Patienten in bezug auf die gegebenen
Vorschriften der Diät und Bewegung zurückzuführen. Als Gesamtresultat
ergibt sich , daß die ptethorischen . hochgradig Fettleibigen während einer
4 — 6wöchentlichen Entfettungskur nach Kiscii im Durchschnitt eine etwa
6'5^/ü ihres Körpergewichtes betragende Abnahme erzielten ; der geringste
Gewichtsverlust betrug 2*7'"o. der erröJite Verlust i;V2'*/(, des Körper-
gewichtes. Was die Knrperlokali täten betrifft, in denen das Übermäßig
aufgespeicherte Fett abnimmt, so schwindet nach Kisciiä Beobachtungen und
Messungen zuerst das Fett am Paniculus adiposus der Brüste und am
Nacken, die weiblichen Brüste werden schlaffer, ihr Umfang nimmt ab, der
Fettwulst am Nacken verliert seine Prallheit; nachher erfährt das am Kinn
und im Gesichte abgelagerte Fett sowie das Fettgewebe an den Schenkeln
und Armen eine sichtliche Abnahme ; erst später ist ein Schwinden der
Fettpolster am Gesäße und am spätesten in den Bauchdecken nachweisbar.
Trotz der obigen, etwas groß erscheinenden Ziffern des Körpergewichts-
verlustes sind, wie Kiscii betont, atle Bedenken einer Schädigung des Ei-
weißbestandes der Fettleibigpn vollkommen ungerechtfertigt, wenn man die
wichtigen Kautelen beobachtet, sLets während der Entfettung eine sorg-
fältige Kontrolle über die Muskelkraft dt^s Individuums durch das Dynamo-
meter und speziell über die Kraft des Herzmuskels durch genaue Pula-
beobachtung und mittelst des Spbygmographen wie des Sphygmomanometers
zu Oben, eventuell sich auch durch Stoffwechselbestimmungen darüber Auf-
klärung zu schaffen, ob das Körpereiweiß wesentlich angegriffen wird. Daß
aber eine strengere Entfettungskur im allgemeinen tn den Kurorten besser
vertragen wird, liege in mehreren günstigen Begleitumständen: in der
Kräftigung der Herztätigkeit durch die kohlensäurereichen Mineralbäder, in
der Anregung des gesamten Nervensystems durch Veränderung des Auf-
enthaltes und die neuen Eindrücke, dann in der Förderung des Eiwoiß-
ansatzes durch das systematische Bewegen und Steigen im Freien.
Die methodische Übung der körperlichen Bewegung der Fett-
leibigen muß nächst der rationellen Änderung der Ernährungsweise als das
wichtigst« und wirksamste Mittel für Entfettung betrachtet werden. Die
Versuche von Fkttk.nküfkr und V^oir haben bereits erwiesen, daß der Ver-
220 Fettsucht und Entfettung. ■
brauch von Fett im arbeitenden Körper ein wesentlich g'esteig^erterer ist.
als im ruhenden Körper. Bei gleichbleibender Ernährung, welche den Fett-
ansatz nicht begünstigen darf, also vorwiegend Eiweili, mäßige Mengen von
Kohlehydraten und möglichst wenig Fett bietet, vermögen starke Muskel-
bewegungen durch die Aufnahme von Sauerstoff in erhöhter Menge und
durch die gesteigerte Kohlensäureausscheidung den Fettvorrat des Körpers
anzugreifen. Dieser Effekt tritt bei den verschiedensten Bewegungsformen.
wenn sie energisch betrieben worden, ein, beim Gehen, Laufen. Springen.
Treppen- und Bergstoigon sowie bei den mannigfachen Arten von Gymnastik
und Sport. Für intensive Arbeit berechnet Vtur einen Fettverbrauch von
8'2^ pro Stunde. Das richtige Ausmali der Intensität der Körperbewegung
in jedem Einzelfalle ist von einschneidender Bedeutung und sind hierbei
nicht nur der Krnäbrungszustand des Fettleibigen, seine plethorische oder
anilmiaehe Blutbeschaffenheit, seine bisherigen Gewohnheiten der Ruhe oder
Übung, sondern ganz besonders der Zustand des Herzens zu berücksichtigen.
Wenn also einei'seils regelmäßige und methodische körperliche Bewegung
durch die mit derselben verbundene vollständigere Atmung lebhaftere In-
nervation und energischere Blutbildung auch auf die Ernährung des vom
überwuchernden Fett bedrohten Myokards des Mastfottherzens günstig ein-
zuwirken vermag — nur in diesem Sinne hat das viel milibrauchle Schlag-
wort von der >Herzgymnaatikr eine Berechtigung — , so ist andrerseits genau
zu kontrollieren, daß diesem Herzen nicht zuviel Leistung zugemutet werde.
speziell dal5 es bei der Bewegung nicht zu Dyspnoe komme. Kiä< h empfiehlt
den Fettleibigen von kräftigem Körperbau, namentlich des Morgens vor dem
Frühstück 1'/.. — 2 Stunden spazieren zu gehen, ferner etwa 3 Stunden nach
dem Mittagsessen eine zweistündige Fußtour. Stets muß darauf geachtet
werden, daß eine angemessene Abwechslung von Bewegung und Ruhe statt-
finde und daß die Art der Bewegung unter der Leisbungsfähigkeit des In-
dividuums bleibe. Piethorischen Fettleibigen, jüngeren Personen und solchen
in den besten Lebensjahren, ferner wenn das Mastlettherz noch keine be-
deutenden Fortschritte gemacht hat und die GefÄße nicht sklerotisch ver-
ändert sind, wird man sehr große körperliche Bewegungen angewöhnen
können, während diese bei der anämischen Form der Fettleibigkeit oder
im vorgerückten Stadium des Mastherzens, wenn der Organismus überhaupt
schon an Zirkulationseivveiß verarmt ist, einzuschränken und mehr durch
passive gymnastische Übungen und Massage zu ersetzen sind. Um einen
gewissen Maß-^tab für die Größe der körperlichen Bewegung beim Gehen zu
haben, 13ßt KiscH den Fetltoil>igen den Pedometer benutzen, einen uhr-
artigen Apparat, welcher die Zahl der vorgenommenen Schritte verzeichnet.
An der Hand dieses Apparates bemessen diese Personen, wie sie sich an
das Gehen gewöhnen. HnlängUch 3000 -5000 Schritte pro die machen und
allmählich bis zu 26.UU0 Schritten und darüber während des Tag^s gelangen.
Kür des Gehens vollkommen ungewohnte Fettleibige eignet sich die
Gymnastik, sowohl die aktive wie die maschinelle und Widerstands-
gyranastik, um jene durch solche LoibesQbungon für Geh- und Steigbewe-
gungen vorzubereiten, ferner läßt sich die Gymnastik verwerten in der un-
günstigen Jahreszeit und wo die Verbältnisse gegen Bewegung im Freien
sprechen, endlich wenn die Muskeln durch Verfettung und Nichtgebrauch
verkümmert and leistungsunfähig geworden sind. Die aktive Gymnastik
wird bei Fettleibigen solche Bewegungen bevorzugen^ welche sich auf die
Kxtrerailäten, Hebung, Beugung^ Streckung beziehen, hingegen starke Beu-
gungen und Rumpfdrehungen wegen Beeinträchtigung der Hespiration ver-
meiden» ebenso anstrengende Bewegungen der unleren Korperhälfte wegen
Schädigung der Blutzirkulation in den Nieren. Wenn sich bereits Myodege-
neration des Herzmuskels kundgibt, wenn bedeutende Stauungen im Ge-
I
I
r
Fettsucht und Entfettung. — Fibrolysin- 221
fäßsystem vorhanden sind , wenn die Arterien sich schon wesentlich skle-
rotisch erweisen, ist aktive Gymnastik besser zu unterlassen. Ähnliches gilt
von der Widerstandsg:ynina8tik, stets muß mit leichtesten l'bungen begonnen
und lanfc^am zu immer stärkeren Bewe^ung-en über^et^angen werden.
Bezuglich der verschiedenen Art des Sports bei Fettleibigen gibt KiscH
folgendes an: Das Rudern, mit Maß belrieben. ist eine fOr Lipotnatose
zweckmäßige Form der Arbeitsleistung und Übung der gesamten Körper-
muskulatur, ganz besonders der Schulter- und Arinmuskoln ; ebenso das
Lawn-Tennisspiel. während der Fußballsport den hochgradig Fettleibigen
nicht angemessen erscheint. Bei noch kräftigem Zustande des Herzens ist
das Schwimmen anzuraten, weil dieses mit der Muskelanstrengong noch
den günstigen Einfluß des kalten Bades auf stärkeren Fettumsatz verbindet.
Das Reiten ist für fettleibige Männer eine ganz passende, die gesamte
Muskulatur übende Bewegung mit förderlicher Erschütterung der Bauch-
und Beckenorgane. Das Radfahren darf nur bei genügendem Grade von
Leistungsfähigkeit des Mastfettlierzcns bei jugendlichen Individuen in maß-
voller Weise gestattet werden: die Fahrgeschwindigkeit soll nicht mehr als
S km in der Stunde und im ganzen 20 — SOA/tj pro Tag betragen und nicht
mehr als eine Steigung von 3 '^ ,j überwinden; unmittelbar nach einer Mahl-
zeit darf nicht Rad gefahren werden; Anämie und Arteriosklerose, Myo*
degeneration und Dilatation des Herzens sowie Zeichen von Niereninsuffizienz
verbieten solchen Fettleibigen strikte das Radfahren. Die Massage übt auch
bei Fettleibigen oft günstigen ^^infinß auf Übung der geschwächten Muskeln
wie auf Beschleunigung des Blutkreislaufes und Lymphstromoa, zuweiten
auch, um auf massige Ablagerungen des Fettes im subkutanen Bindegewebe
einzuwirken. Arbeitsmaschinen, wie der Ergosta', sind^ da ihre Anwendung
immerhin nur auf kürzere Zeit beschränkt ist, für Fettleibige jedenfalls
minderwertiger, als die bisher angegebenen Bewegungsformen; auch werden
durch die bei solchen Maschinen notwendige mehr gebückte Haltung Re-
spiration und Zirkulation nicht günstig beeinflußt, endlich kann die zum
Arbeiten aufgewendete Kraftanstrengung leicht zur Übermüdung des ge-
schwächten Mastfettherzens führen.
Literatur ; Carl Hirsch^ Cber den gegenwärtigen Stand der Lehre vom sog. Fett-
hcrzt-n. MUnchener med. Wochenschr., liKlU Nr. 47. — E. Ueikbicu Kiacn, Zur Lehre vom
»Mastlettherzen«. Wiener med. Wocbenechr., lÜOS, Nr. 12. — Derielbe, Bewegung und
Sport ah EotfottungHmittel. Therap. MouatHh.. 19Ü1, März. — G. Oehiiardt, Über Entfeltnngs-
kuren. Die Therap. d. Gegenw., lUOä, Junih«ft. — Gkobo Roserfklü , Praxis der Ent-
fettoDgakur. Vortrag, gehalten in der niedii. Sektion der Sehlesischen Gesellschaft für vater-
ländische Kultur. Med. Woche, Iterlin 19Q4, Nr U. — E. HKina. Kiboh, Über den Gang der
Fettabnahme b*-ii Entlettuitgiikuren. Tlierap. d. Gegenw., Berlin 1903. H.2. — K. Sisttz, Cber
Erfahruu^n Wl Entfettungskuren mit HurnUtire. Tberap. d. Gfgenw., Berlin 1903, Aprilhett.
Ä'isch.
Kibrolysln. Bei der Schmerzhaftigkeit subkutaner alkoholischer
Losungen ist die Herstellung eines wasserlüslichen Thiosinamins, >Fibrolysin<
genannt, von groliem Werte. Es kommt in Ampullen h 23^ Fibrolysirilösung in
den Handel. Die Injektion dieser Lösuog in die Qlutäalmuskutatur ist absolut
schmerzlos. Außerdem wandte Menüi^lM die intravenöse Injektion an; dabei
zeigte sich die spezifische Wirkung des Stoffes auf Narben durch momen-
tanes Rotwerden und teigiges Schwellen der vorher blauroten Narben. Die
großen Erfolge, welche man mit der ThioaiDamintherapie erzielen kann,
dflrfen nach diesem Autor nicht verleiten, in dieser Therapie mehr als ein
vorbereitendes Verfahren zu sehen. Die Narben werden erweicht, aber eine
Dehnung dieses nun erweichten Gewebes kommt nur auf mechanischem Wege
zustande. Es ist also notwendig, z. B. Ösophagusstenosen dabei zu sondieren,
Hamröhrenstrikturen zu bougleren. Auch eine Pylorusverengerung wird auf
Fibroiysin nur dann weiter werden, wenn der Magen noch genügende Kraft
222
Fibrotysin. — Filato^-Dukessche Krankheit.
besitzt, die erweichende Narbe za dehnen. Ebenso verhält ea sich mit Ver-
änderungen der Herzklappen, die eig:entliche Dehnung besorgft die physio*
logische Bewegung.
Literatur: *) Felix Mendel, Fibrolysin, eine neue ThioflinamiDverbiadaag. Therap.
Monatsh., Februar 1905, p-Ag. 03 ODd April 1905, pa«. 177. E. Frrj
Fllatow-Duke5«sche Krankheit (Vierte Krankheit, Fonrth
disease). Die FrLATow-DuKESsche Krankheit ist eine akute, infektiöse und
kontagiöse Erkrankung, die charakterisiert ist durch einen scharlachähn-
lichen Ausschlag, sich aber vom Scharlach unterscheidet durch das Fehlen
oder nicht nennenswerte Auftreten einer Desquamation und durch den kon-
stant gutartigen komplikationslosen Verlauf. In der Literatur läuft diese
Infektionskrankheit unter verschiedenen Benennungen , wie unter Rubeola
scarlatiniformis (Kuhgmaw), Scarlatinoid (Klein). Rubeola scarlatinosa (Nil
Fn.ATdw).
Symptome. Nach einer Inkubationszeit von 4 — 21 ( — 26) Tagen tritt
pötzlicb unter mäßigem Fieber (38 — 39*^), meist ohne Prodrome, ohne Er
brechen, ein Schariachausschlag auf. Das Exanthem, kleitipunktig. dicht-
gedrängt stehend, kaum das Niveau der Haut überragend^ befällt zuerst
Gesicht, Brost und Arme, verbreitet sich am nächsten Tage auf den
Bauch und die unteren Extremitäten. Auf dem Gesicht tritt der Ausschlag
oft nur wenig hervor. Die Schleimhaut der Wangen und des Zahnfleisches
zeigt eine leichte Rötung und Schwellung, dagegen ist die hintere Rachen-
wand , die Tonsillen, der weiche üaunien intensiv gerötet. Die Zunge ist
mäliig belegt, Halsdrüsen, öfter auch Nackendrusen sind derb geschwollen,
erbsengroU, bisweilen beteiligen sich auch Achsel- und Leistendrüsen. Die
Drüsen sind auf Druck nur wenig empfindlich. Eine Koniunktivitis ist nicht selten.
Der Verlauf der Krankheit ist ein sehr milder. Am i'., spätestens
am 3. Tage ist die Temperatur wieder normal. Die Prostration ist während
der Krankheitsdaiier nur eine geringe. Hin und wieder klagen die Kinder
tiber Hals- und Ohrenschmerxen, kleinere verlegen dieselben in die Bauch-
gegend. Der Ausschlag bljßt gewöhnlich am 2. — 3. Tage ab unter Nachlaß
und Schwinden sämtlicher Krankheitserscheinungen. Die Haut erscheint
meist dann wieder ganz normal, bisweilen tritt mäßiges Hautjucken auf,
eine Desnuaniation ist selten. Die Zunge, welche sich erst am '1. — 3. Tage
zur typischen Scharlachzunge entwickelt, verliert diese Beschaffenheit erst
in ca. 8 Tagen.
Die Prognose ist absolut günstig, da der Vertauf und Ausgang stets
ein gutartiger ist und Komplikationen (Lymphadenitis, Otitis etc.) aaßer
einer manchmal sich zeigenden leichten, rasch verschwindenden Albuminurie
stets fehlen.
Diagnose. Als differentielldiagnoBtlHches Moment gegenüber dem
Scharlach ist zu nennen: Die lange Inkubationsdauer, das Fehlen des Er-
brechens im Beginne der Erkrankung, das mäUige, schnell abklingende
Fieber, das relative Wohlbefinden, das häufige Ausbleiben der Desquamation,
der Mangel ai Komplikationen und Nachkrankkeiten. Aufmerksam soll man
werden, wenn eine oder mehrere scheinbart» Scharlacherkrankungen in einer
Familie bei Kindt>rn ausbrechen, die bereits Scharlach vor längerer oder
kürzerer Zeit Überstanden haben. Immerhin wird in den meisten Fällen die
Diagnose erst ex post möglich sein , und es wird besser sein . gelegentlich
eine FiLATOw-DcKESsche Krankheit zu verkennen und sie als Scharlach zu
behandeln, als eine echte skarlatinöse Krankheit zu Übersehen und in all-
zu grolier Sorglosigkeit das Kind den größten Gefahren auszusetzen.
Therapie. Die Behandlung ist eine rein symptomatische, falls die
Diagnose gesichert ist. In den meisten Fällen wird man gut tun, beim
kleinsten Zweifel die Kinder wie Scharlachkranke zu behandeln.
FilatowDukesschc Krankheit.
Formaliii.
223
i
I
I
Literatur: Dlkks. Foorth disease. Laocet, 14. Fetir. liK)Ü. — Weaveh, Fonrth dise-
UH)t. — r. BoKAy, Tber die Duccssche vierte Krankheit. Deatsche med. Wochenschr.,
igOi, Nr- 13 iLiteratnr:). — Kueim. Deutsche med. Wocbenschr., IKW, Nr. 48. — Riheiunm.
l>««lt»ohe med. Wochenachr., lyUä, Nr. 3, B ßew/ix.
F'llix« Über die Techoik der Bandwurmkur macht Boas^) folgende
Mitteilung^: er kommt mit 5 — 8 ^ des Farnkraut extraktes aus; wird er nicht
vertragen, bo gießt Boas eine Emulsion des Extraktes mit der Sonde in den
Magen. Von grotier Wichtigkeit sei es. mit dem Einnehmen des Abführ-
mittels, als welches man zweckmäßig Bitterwasser wnhU , mindestens
6 Stunden zu warten, um die Wirkung des Mittels aul die Tänie nicht
abzuschwächen. Eine vorbereitende Kur. Heringssalat etc., sei überflüssig.
Die Versuche, den wirksamen Körper im FÜixextrakt zu isolieren,
haben zur Herstellung einer amorphen Säure, dem >Filmaron«^ geführt.
Sie ist zu öVn 'm Extrakt enthalten. Im Tierversuch sah Javiet-) vom
Filmaron ähnliche Wirkungen wie von der Filixsäure. Gegeben wurde das
Filmaron in 1 — 2^ Chloroform gelöst und 10 — 30 ^^ Rizinusöl. 1 Stunde
später erhielt der Patient 1 — 2 Eßlöffel Rizinusöl. Die durchschnittliche
Dosis betrug 0*7 g. Von Nebenerscheinungen traten nur unbedeutende Übel-
keit und Leibschmerzen auf. Die Resultate waren durchaus ermutigende.
Literatur: *i J. Boas. Zur Trchuik der Ijandwuraikiiren, Thtrrnp. .MoniitHh.. Dezem-
ber 1904. pa^.Bäl. — ') A. JAQt'KT, Die wirkfiameii Hestandteile des Extr»ntum Filiclü ma-
rtn und ihre tberapentiscbe Venrendung. Therap. MoniU^li.. August 1^04, pug. 093.
E. Jfrey.
Filmaron s. Filix.
Fluorofonn. Nach Stepp') stellt >Fluoroform« eine l>— 2V3%ige
Lösung dieses Körpers in Wasser dar, welche geruch- und geschmacklos
ist und absolut ungiftig sein soll. Er gab hei Keuchhusten von diesem
Mittel bei kleinen Kindern stündlich 1 Kaffeelöffel voll, bei filteren Kindern
sogar 1 Kßlüffel. In den mitgeteilten Fällen sank die Zuhl der Anfälle steil
nach Fluoroformbehandlung ab, und zwar mit großer Hegolmußigkeit, so daß
Stepp eine spezifische Einwirkung auf das KeuchhustengiTt annimmt. Inter-
essant ist die Gegenüberstellung zweier gleichzeitig infizierter Kinder in
demselben Hause, von denen eines mit Fluoroform behandelt wurde, das an-
dere nicht. Bei den überaus günstigen ICrlolgen, die er mit diesem Mittel
erzielte, ist der hohe Preis zu bedauern, eine Ivur von 3—4 Wochen stellt
sich auf 20 — 30 Mk.. so daß der Arzt die Fortführung der Anwendung zu
»kontrollieren häufig gezwungen sein wird.
Literatur: Stf-pp, Znr Hehandlung drg Keuchbu^ten'i. Therap. Monatsfa. , November
1904, pag. J4'J S, /^ny.
Formaldchyd s. Formalin.
Fortnalin. Die Vergiftungserscheinungen, welche das Formalin im
Tierexperiment hervorruft, bestehen in Blutungen und Hyperämie der Or-
gane, in welchen es zur Aufnahme oder Ausscheidung gelangte. So sah
RiGGio ') fettige Degeneration der Zellen der Niere, Leber. Lunge nach Ein-
atmung oder subkutaner Applikation von Formaldeh.vd. Dasselbe konstatierte
GiROL.AMü. -) Am Menschen sieht man bei beruflicher FormalinvergiFtung nach
Galbwsky ■) Onychien auftreten, die sich durch Hissigwerden und Auffasern
der Nägel dokumentieren. Die Heilurg beansprucht längere Zeit. Bemerkens-
wert ist, daß diese Veränderungen erst lange Zeit nach Anwendung von
Formalin auftreten. Einen Fall von tödlicher Vergiftung teilt Levison*) mit.
Ein OOiähriger Patient halte mehrere Unzen einer 40" o'Rß" Lösung ge-
tranken und starb nach 20 Minuten unter den Zeichen von Herzschwäche.
Um bei der medikamentösen Anwendung des Formaldehyds die Reiz-
erscheinuDgen lokaler Art auszuschalten, benutzte Rosenbkrg ''J die Eigen-
224
Fortnalin. — Fucol.
schAlt des Formaldebyds, sich mit Amylum, Dextrin^ EiweiÜkörperu, Zocker,
Menthol etc. zu verbinden. Er wandte >Formaminttabletten<t an, von denen
jede 001 g Formaldehyd an Milchzucker gebunden enthält. Außerdem be-
stehen sie aus Zucker, Menthol, Geschmackskorrifj^entien und Pepsin-Salz-
säure. Er sah schöne Erfolge bei dieser Medikation bei Ang^ina, Diphtherie,
Scharlach, Pyämie, Erysipel etc. Bei Erkrankungen dfts Rachens müssen sie
langsam im Munde zerkaut worden. Er g;ab in halbsiOndi^en Pausen bis
6 — 8 Stock, um dann die Tabletten stilndlich je eine weiter zu geben, an
den nächsten Tagen in grJJÜeren Pausen. Auch Kinder erhalten zuerst halb-
stQndlich bis zu 3 — 1 Tabletten im ganzen, dann l — t — ^stündlich eine. Die
Möglichkeit einer Beeinflussung von Krankheitserregern im Organismus
konnte er durch den Nachweis von freiem Formaldehyd im Blute von Ver-
suchstieren erbringen.
Das Verhalten der normalen und pathologischen Harnbeatandteile bei
Forroaldehydzusatz studierte Strzyzowski ''j ausfilhrlich. Er prüfte die ge-
bräuchlichsten Untersuchungsmcthnden auf normale wie pathologischo Harn-
bestandteile narh Formaldehydzusatz und fand, daß »der Formaldehyd zur
Konservierung des Urins für Zwecke der Harnanalyse in den meisten Fällen
ungeeignet ist, da er viete wichtige Reaktionen desselben (Indikan, Harn-
säure, Azetessigsänre, Pentoeen usw.) stört oder gänzlich aufhebt Andrer-
seits wird er sich allerdings fflr den Nachweis einiger Bestandteile (Harn-
stoff, Oallenfarbstoff) vielleicht auch für einzelne (luantitative Bestimmungs-
methoden verwerten lassen«.
Literatur: 'j Hiooio, Veränderungen der Leber, Nieren und Lungen bei Formalin-
vergiflnng. Rifomia med., Nr. 25. — ') Gibolamo, Veränderunifen de» EpilheU ia den Tubnli
CODtorti nach Foiino]ver|i;iftang. Kiforraa med., Nr. 45 — ■) QALKwtitY , Cber benilliche
Formalinoaychitn tind -Detmatitiden. MUnt:h«ner med. Wochenscbr, 1905, Nr. 4, pag. 164. —
V Lkvi60s, Fall von tödlicher Fonnalinvergiftnng. Journ. of the Amer. med. associfttion,
Nr. 23, zit. nach DentRche med. Wochenachr., 1Ü04, Nr. 27, pag. 1002 — *) Paol RosnaKso,
Über den Wert de» Forraaldebydß für die interne Therapie. Die Therapie der Gegenwart,
Febraar 1905, pag. 55. — *) Deraelbc, Xachwtis freien Formaldchyita im Blute nach in-
terner Anwendung. Die Therapie der Gegenwart. April HK>o, pag. 160. — ") Kasiuib Stbzt-
CüwsKi, Über den Einfluii deB Formaldehyd» ant den Nachweis der normalen und patholo-
gischen Harnheatandteile. Therap MDn:itsh., Mui 10Ü4, p»^ 255- S- Frej.
Pormamiut a. Formalin.
F'ormol b. Formalin.
Fucol. Als Ersatz des Lebertrans wird das Fucol aus frischen jod-
haltigen Algenarten des Meeres gewonnen, die geröstet, gemahlen und mit
fetten Ölen, wie SesaniÖl, Olivenöl und Erdnußöl, extrahiert werden. Wie der
Lebertran, so enthfilt auch Fucol freie Fettsäuren, welche sich mit dem
Alkali des Darmes zu Seifen verbinden; diese Seifen bewirken eine schnelle
und feinkörnige Emnlsion des Fettes. Auf dieser Eigenschaft beruht die
gute Resorptionsfähigkeit des Lebertrans, welche Fucol mit ihm teilt. Vor-
zflge des neuen Präparates sind sein Geschmack und seine Bekömmlichkeit,
die auch im Sommer die Anwendung gestattet. Nbmaw ^ gab es Erwach-
senen B EUlöffel täglitrh, Kindern je nach dem Alter in Tagesgaben von
1 Teelöffel bis zu Vi Kinderlöflel. Die Erfolge waren durchaus zufrieden-
stellend.
Literatur: Jumib Neuann, FncoU ein Ersatzmittel Iflr Lebertran. Die Therapie der
Gegenwart, PeUrnai* 1905, pag. 95. E. Frey.
G.
Gelatine (s. Kncyctopäd. Jahrb., N. F., lU, pai^. 100). Über den Ein-
fluß der Gelatine auf die Blutgerinnung hat Kaposi Untersach une:en
'ftngesteltt. Er verwandte dazu dnn Hirudin, ein Bluteg^etextralct , welches
bekanntlich die Blutperlnnunp: hemmt. Gegen dieses prüfte K.\i'Osi Gelatine
als Antagonist und fand beim Kaninchen eine deutliche ^jerinnungabeschleu-
nigende Wirkung der Gelatine. Von verschiedenen mileinandcr verglichenen
Gelatinen erwies sich die von E. Merck in den Handel g:ebrachte Gelatina
laterilisata, die sehr reich an Gelatosen und daher bei gewöhnlicher Tem-
peratur flflsalg ist, als recht wenip wirknam. (Die neuere von Merck ein-
geführte, auch bei Zimmertemperatur starre Gelatine hat Kat^jS! nicht ge-
prüft.) Er empfiehlt daher zur subkutanen Anwendung eine Gelatine, welche
an ö aufeinanderfolgenden Tagen Im Dampftopf bei 100^ Je \., Stande lang
erhitzt and dadurch sterilisiert ist.
Literatur: KiLPou, Blitt. a. d. Grenzgeb. d inneren Med. a. Chir., XIII, 11. 3.
KIoakA.
Geschlechtskraukbelten (Prophylaxe). Seit Begründung der
Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hat die
Literatur Über die Prophylaxe eine auliergewöhnliche Ausdehnung gewonnen.
Im vorletzten Bande dieser Jahresherichto hat v. DChring die bisher er-
schienenen Mitteilungen k.rltiach beleuchtet; ich verweise daher auf diese
Arbeit, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden. In allerletzter Zeit ist
die Frage der Prophylaxe unter anderen von HF.UMANinF.s, FrEisniF.u, Wald-
vor.EL und Hellhaih sowie, freilich von ganz anderen Gesichtspunkten aus,
von Hklknb Stöl'kkr erörtert worden.
Absolut falsch und absurd scheint mir der von so vielen Autoren, so
auch von Hermaxipes und Waluvogel gegebene Rat der Askese. Mit einer ge-
wissen Überlegenheit wollen diese Herren dem Sexualtrieb erst mit dem
Augenblick der Eheschließung eine Berechtigung einräumen ; Hermanides
bestreitet, dal^ der Koitus eine physiologische Funktion ist, daß man ohne
ihn nicht leben kann ; als Beweis für seine Behauptung, dat^ man ohne
Koitus gesund leben und alt werden kann, beruft er sich mit einer, man
könnte sagen kindlichen Naivität auf den Stand der katholischen GeistUchen.
Es wäre traurig um unsere Jugend bestellt, wollte sie sich durch solche
Moral- und Keuschheitaapostel die Freude an ihrem gesunden und natür-
lichen Sexualtrieb nehmen lassen, wollte sie gar, wie Waldvogkl zwar nicht
ausspricht, aber durchblicken läßt, an Stelle des physiologischen Koitus die
Onanie oder ähnliche Laster setzen. Denn, wie Hellpach richtig sagt, der
gesunde Mann besitzt keine Keuschheit. Auch Helrnb Stöckrr, deren geist-
reiche Abhandlung allen jenen Moralpredigern angelegentlichst empfohlen
Kno^-clop. Jahrbücher. N.F. IV. (XUI j
226
GeschlechtskrankheUen.
sein mag, erklärt Abstinenz lür undurchführbar and betont mit Recht, dafl
erzwungene Askese zd unnatdrlicher Befriedigung führen muß, um so mehr,
als diese Askese gerade fQr die zehn bis zwanzig Jahre des Menschen
verlangt wird, in denen der Trieb nach Liebe am heftigsten ist !
Aus dieser Krwägun{>: ergibt sich für den Staat die Notwendigkeit
der gescblechtsreifen Jugend ohne Gefahren für deren Gesundheit die Be-
friedigung des Sexualtriebes zu ermöglichen und dies wird steh vorläufig nur
erzielen lassen durch vollkommene Assanierung der Prostitution. Hier setzen
nun auch die meisten vorgebrachten Reformvorschlage an. Wir müssen daran
arbeiten, die Prostitution von allem ihr in der Gegenwart anhaftenden
Schmutz ond Elend zu befreien, um sie auf jene lichte H5he zu bringen, in
der sich das Hetärentum zur Zeit des Perlkles befunden; damals waren,
wie auch Helene Stöckkh betont, die geistig bedeutenitston und anmutigsten
Frauen — ich erinnere nur an Aspasia — Vertreterinnen der Prostitution.
»Wenn die Prostitution bei uns zu dem unsäglich grauenvollen, die
Gesellschaft bedrohenden Faktor geworden ist, so ist daran zum großen Teil
die widerwärtige Zweizüngigkeit und Heuchelet schuld, in der sich Staat
und Gesellschaft ihr gegenüber befinden. Die offizielle kirchliche Moral, die
auch der fhriatliche Staat angenommen hat, sieht im Geschlechtsverkehr
überhaupt schon das Böse, geschweige fm aulierehelichen. Nur wegen der
Gebrechlichkeit der menschlichen Natur ist die Ehe zjgelassen und ver-
zeihlich. Von diesem Standpunkte aus müßte also auch der Staat die
Prostitution mit Stumpf und Stiel ausrotten. Dali er das nicht tut^ daß er
sie plötzlich für ein notwendiges ÜbeK erklärt, daß er immer durch seine
einander widersprechenden Gesetze auf diesem Gebiet seine linke Hand nicht
wissen läßt, was seine rechte tut. das ist zweifellos eine der stärksten Ur*
Sachen der haltlosen Verwirrung und Verderbnis auf diesem Gebiete.
Wenn wirklich die Prostitulion als solche ein notwendiges und un-
aufhebbares Übel ist — wie uns Staat und Geseltschaft immer wieder ver-
sichern — . nun, wollte man nicht daran gehen, es mit einer anderen Behand-
lungswcise als bisher zu versuchen? Was hat die Prostitution so gemein
gemacbt'r Doch vor allem unsere Verachtung, die dann auch den Verlust
der Selbstachtung nach sich zog und eine Paria-Klasse schuf, die sich auf
ihre Weise für die Verachtung zu rächen wußte. Denn sich gegen die V^er-
achtung der Mitwelt stolz und stark zu behaupten, das ist nur den wenigen,
den größten unter den Menschen gegeben.
Es ist immer ein groteskes Schauspiel, höchst minderwertige Männer,
die sich der Prostitution bedienen, hochmütig Über diesen »Auswurf der
Menschheit« sich erheben zu sehen. . . Was für eine hochmoralische Ver-
logenheit: nur gerade die Preisgabe des Körpers so verächtlich zu finden!
Als ob die des Geistes, der Seele nicht wenigstens ebenso schlimm und noch
häufiger wäre! Aber alle diese Leute, die ihre Gesinnung, ihre geistige Kraft
für irgend einen äußeren Vorteil verkaufen^ blicken verächtlich auf die, die
sie — doch nicht entbehren können ! Gerade hier, scheint mir, muß eine neue
Ethik einsetzen !< (Stöcker 1. c.)
Das sind goldene Worte, die sich unsure Gesetzgeber vor Augen halten
sollten, die die Grundlage einer künftigen Ausgestaltung der Sittengesetze
zu werden verdienten. Die meisten der oben zitterten Autoren wollen freilich
von einer solchen Hebung der Prostitution nichts wissen. Flbischrr will mit
Nelsser, daß die Prostitution von dem auf ihr lastenden Odium nicht befreit
werde; man soll, sagt er nicht vergessen, daß sie trotz alledem eben immer
noch ein Übel bleibt. Im übrigen sind Fleischers Vorschläge der Kaser-
nierung der Prostitution durchaus zu billigen Nur müssen diese Bordelle,
wenn sie wirklich sanitär wirken sollen, vom Staate so geführt werden, daß
eine Infektion der Bordellbesucher ausgeschlossen ist. Das ließe sich erreichen,
Geschlechtskrankheiten.
227
^PweDn in iedem Bordell, dessen QröÜe auf etwa 50 Prostituierte zu beschränken
wäre, st&ndfg: ein spezialistisch geschulter Arzt, g^ewissermatien ein Hausarzt
stationiert wäre, der jede Prostituierte unter ständif^er genauester Kontrolle
hielte und ihr als hygienischer Berater zur Seite stände, der in gleicher
Weise jeden männlichen Besucher auf seine Infektiosität hin zu untersuchen
und kranke Männer vom Koitus auszuschlioücn hätte. Wenn auch anfänglich
gegen eine derartige Handhabung ein Widerwille bestehen würde, so werden
Isich doch allmählich sicherlich die jungen Leute, denen an ihrer Gesundheit
gelegen ist, gern diesem Zwang fügen, da sie selbst nur auf diese Weise
wirksam zu schützen sind. Denn daß der heutige Zustand der Reglemen-
tierung unerträglich ist, bedarf weiter keiner näheren Ausführung. Die jungen
unerfahrenen Leute werden jetzt in eine Sicherheit gewiegt, die bei der
seltenen Untersuchung der Prostituierten absolut trUg:erif;ch ist; die .Jugend
glaubt in der unter Kontrolle stehenden Dirne eine gesunde Person sehen
zu dürfen und ist, wenn sie infiziert den Arzt konsultiert^ höchst erstaunt
und bestürzt, nun den wirklichen Sachverhalt zu vernehmen.
Sehr einfach denkt sich Hekmamdks die öffentliche Prophylaxe; der
Kuriosität halber lasse ich seine radikalen Maßregeln zur Bekämpfung der
ansteckenden Geschlechtskrankheiten hier wörtlich folgen:
|»l. Verbot der Öffentlichen Prostitution:
! H) dadurch, daß gesetzlich mit Strafe bedroht werden alle Personen,
die aus Gewinnsucht die Begehung unzüchtiger Handlungen durch Dritte
mit anderen hervorrufen oder befördern, daraus ein Gewerbe machen oder
dazu behilflich sind, indem sie die Gelegenheit und die Mittel dazu verschaffen;
»hj dadurch, dali die Frau be:»traft wird, welche gewerbsniäßige Unzucht
treibt and dabei den Öffentlichen Anstand, die öffentliche Ordnung und die
allgemeine Gesundheit gefährdet.
2. Verbot der ktandestinen Prostitution durch Bestrafung der Besitzer
tvon Caft? chantants, Tanzhäusern und anderen Lokalitäten, wo Musikaus-
fOhrungen stattfinden und Trinkgelage gehalten werden, wenn diese Eta-
blissements die öffentliche Ordnung, den öffentlichen Anstand oder die
»allgemeine Gesundheit gefährden.
3. Straf barkeit des Besuchs von Häusern, in denen Im Widerspruch
mit den Bestimmungen dieses Gesetzes Gelegenheit zu unzüchtif^en Hand-
lungen gegeben wird, mit der zutage liegenden Absicht, von dieser Gelegen-
heit Gebrauch zu macbea
4. Sirengere Anwendung der bestehenden straf gesetzlichen Bestimmungen
Über das Ausstellen und Verkaufen von pornographischen Abbildungen.
t5. Verbot unsittliclier Lektüre.
C. Verbot unsittlicher Theaterstücke und der unsittlichen Balleta.
7. Von selten der Behörden muß vorgeschrieben werden, daß in
Aanemen, Fabriken und Unterrichtaanstalten junge Leute ober 16 Jahre auf
die persönlichen, liäusiichen und gesellschaftlichen Gefahren aufmerksam
gemacht werden, welche durch die Quelle der venerischen Krankheiten, die
Prostitution, verursacht werden.
t8. Wer durch die Verbreitung der venerischen oder syphilitischen
Hfte oder durch die Ansteckung mit denselben wissentlich Gefahr hervor-
aft, wird bestraft,
9. Von Obrigkeitswegen muß für die Verpflegung oder Behandlung
der an venerischen Krankheiten leidenden Individuen unentgeltlich Gelegen-
Hiteit verschafft werden.
^^ 10. Die Statuten von Krankenkassen dürfen die an venerischen Krank-
heiten leidenden Patienten nicht ausschließen.
11. An allen Universitäten muß ein vollständiger Unterricht in der
Pathologie und Therapie der venerischen Krankheiten gegeben werden.
228
Gescblechtskrankheiten.
12. Es ist zu wtlnschen, daß die Statistiken der venerischen Krank-
heiten fflr alle Lßnder nach einer rein statistischen Methode und auf uni-
former Basis eingcrichtot werden.«
Eine Diskussion dieser Thesen erübrip:t sich wohl ; wer nur einiger-
maßen die Verhältnisse kennt, wird die ersten sechs Thesen fOr Utopie
erklären, während die letzten sechs Maßregeln nur aligemeine Billigung ver-
dienen
Schwierig-er als die Sanierung der öffentlichen Prostitution scheint zur
Zeit eine wirksame KindämmunR der klandestinen, zu der wir Kellnerinnen,
Choristinnen, Masseusen, kurzum alle die Personen rechnen, deren Beruf nur
ein Deckmantel fQr der Kontrolle entzogene Prostitution ist.
Hier kann nur eine immer erneute Warnung und Aulklärung Über die
Infektionsgefahren zum Ziele fQhren ; unbedin^^t notwendig wäre, wie von
vielen Seiten angeregt worden, eine (leeignele Belehrung der Schuljugend
seitens geeigneter Lehrer, d. b. die staatliche Prophylaxe der venerischen
Krankheiten müßte hier bessernd und heilbringend einsetzen.
Wichtiger und aussichtsreicher als die staatliche Prophylaxe ist zur
Zeit, wenigstens fQr den Arzt seinen Fo-tienten gegenüber, die persönliche
Prophylaxe. W^elches sind die Mittel, die der Einzelne besitzt, um ungestraft
für seine Gesundheit seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen 'f
Man muß tu jedem einzelnen [''alle darauf hinweisen, daß jeder Bei-
schlaf, gleichviel mit wem, infektiös sein kann. Will man also sicher gehen,
so wird man stets ein Eindringen von Infektionserregern zu verhüten haben.
Betrachten wir speziell die Gonorrhöe, so wird nur auf mechanischem Wege
eine Infektion auszuschließen sein. d.h. nur der Kondom, vorausgesetzt,
daß er haltbar, wird den Mann vor einer Infektion schützen können und
schützen müssen. Alles, was sonst als Prophyjaktikum angegeben (ich ver-
weise bezüglich der Literatur auf die Arbeit von v. DPhhing), darf nicht als
sicher gelten, insbesondere möchte ich hier betonen, daß die so vielfach emp-
fohlenen Instillationen von Arg. nltr. oder Protargol etc. keineswegs einen
sicheren Schutz bieten. Diese Mittel stnd um so weniger zu empfehlen, als
bei deren Gebrauch sich gar nicht so selten entzündliche Reizzustande der
Harnrohre einstellen, die den betreffenden Jüngling mitunter wochenlang in
der peinlichsten Ungewißheit, ob er eine Gonorrhoe hat oder nicht, schweben
lassen. Solche Fälle werden wohl jedem Arzte vorgekommen sein und man
wird zugeben, daß ein »Schutzmittel* nieniaU derartige Schildigungen setzen
darf. Wer sich eingehender für die ausführliche Literatur über Instillations-
Prophylaxe interessiert, sei auf die fleißige Arbeit H. db Campagnollbs hin-
gewiesen. Wird der Kondom aus dem einen oder dem anderen Grunde von
dem Klienten abgelehnt, so kann man ihm raten, vor jedem Koitus das
Membrum sich gehörig einzufetten, nach vollzogenem Beischlaf sofort die
Blase zu entleeren und mit Wasser und Seife sich das Glied gründlich zu
reinigen. Diese mechanische Reinigung wird zwar nicht absolut sicher eine
Infektion vnmüglich machen, aber doch wohl in den meisten Fällen die Krank-
heUskeime eliminieren.
Auch den weiblichen Klienten wird man den Rat geben, sich nach
jedem Beischlaf gründlich auszuspülen und die Blase zu entleeren. Freilich
sind die Chancen, infiziert zu werden, bei der Frau viel größere als beim
Manne, da, wenn einmal Keime in die faltenreiche Vagina gelangt sind, sie sich
nur schwer, wenn überhaupt, herausspülen lassen. Kenntnis über das Wesen
und die Haupterschefnungen der Gonorrhöe werden in erster Reihe die
Betreffenden befähigen, sich wirksamer gegen eine eventuelle Infektion zu
schützen.
Weit schwieriger, man kann wohl sagen fast unmöglich, ist ein Schatz
vor einer syphilitischen Infektion, da bekanntlich die Infektionseingänge für
I
GeschlechUkrankheiten. — GescbIcchUstrieb. 229
•das syphilitische Virus außerordentlich mannigrfaltig sind. Hier kennen wir
unseren Patienten nicht einmal mit einer Kenntnis der syphilitiacheD Er-
scheinungen viel helfen^ wissen wir doch« daß bei luetischen Individuen, auch
wenn sie keine floriden Erscheinungen aufcenblicklich aufweisen, eine Infektion
nicht absolut ausgeschlossen ist.
Literatur: DrHEmr., Ent^yclopHdisehe Jahrbficher, 1903. — HKaMAviFSS. Bekämpfung
^er anwteckenrien GoschlcchtBkrankhHten iils Volk88**uchf. Harlem-Jena 1905. — Flkibcbkk,
Zur ReifleineiitifruDKälraKf ^vr Prostitiitiou. MUncht'u \\)0b. — Waldvoübl, Di« Gufubreii der
<3eit(!hk'cbtäkr;inkhutfn und ihre Vt-rtiUtuuff. Stutlg^irl 1^05. — Hifi.i.i'Aru . ProRtitution und
Prostituierte. Berliu. S. W. Fax' Verlaif . llK)r). — H>LKÄit StÖckeb, Bund für Mutterschutz,
Berlin, Fax' Verlag. 190;'). — Ferner din IHzten Jahrgüu^fe der i!leit«chri!t lür Bekämpfaug
der Qeachlecbtskraokheiten. In Band MI die Arbeiten von H. dk OucrAONOLLR, Cber den
Wert der modernen IntttilUtionnprophylaxe der Gonorrhöe. Wilhelm Karq.
6ie8chlectit8trieb. Die Zahl der Bücher, Broschüren und Auf-
-Sätze , die den perversen Oeachlechtstrieb behandeln , ist in den letzten
Jahren außerordentlich groß gewesen^ und es ist dadurch dieses im wesent-
lichen von V. Kbafft Ebing erschlossene Gebiet sehr gefördert worden. Doch
haben einzelne Forscher seit einiger Zeit nicht nur den Perversionen des
Geschlechtstriebes ihre Arbeit gewidmet, sondern sie haben mehr als früher
die Krscheinun^en des normalen Geschlechtstriebes berucksichtiti^t. Die
tieneren Fnchpsychologfn haben mit wenig Ausnahmen die Erforschung
dieses so wichtigen Gebietes vernachlässigt. Andrerseits hat aber der Um-
stand, daß wesentlich Mediziner den Geschlechtstrieb bearbeiteten, den Nach-
teil gehabt, daß man zu großes Gewicht auT das Pathologische legte und
das Normale dabei vernachlnnsigte. Einige neue Arbeiten, die übrigens auch
fast ausschließtich von Medizinern herrühren, gehen aber von der Auffassung
aus, daß die Bedeutung des Pathologischen nur dann richtig erkannt werden
kann, wenn aurh das Normale berücksichtigt wird.
Zun&rhst möchte Ich hier zwei Arbeiten erwähnen, die die Analyse
des Geschlechtstriebes betreffen; die eine rührt von mir her und ist
in dem Buche »Untersuchungen über die Libido se&ualis« (Lterlin 1398)
veröffentlicht. Es sind dann später noch einige andere Arbeiten erschienen,
die me ne Analyse berührten. Insbesondere hat Havelock Ellis im dritten
Bande seiner >Studies in the Psychology of Sex« versucht, meine Analyse
weiter auszubauen. Was sich daraus ergeben hat, waren aber nur verhält-
nismäßig geringe Modifikationen meiner ursprünglichen Analyse, und soweit
sie in Hetracht kommen, habe ich sie in einer neueren Arbeit »Analyse des
Geschlechtstriebes« (Med. Klinik, l*.+Ori, Nr. 12/18) benutzt. Nach meiner
Analyse zerfällt der Geschlechtstrieb des Menschen in zwei Komponenten,
wobei wir am besten vom Manne ausgehen. Die eine Komponente spielt
sich an den Genitalien ab. Es sind OrcangefOhle, die hier zu einer Funktion
treiben, die schließlich in der Ejakulation endet. Diese Komponente habe
ich Detumeszenztrieb genannt. Die zweite Komponente ist der Drang nach
-einem anderen Individuum , d. h. beim normalen Manne der Drang zum
Weibe. Es treibt ihn > sich dem Weibe körperlich zu nähern, aber auch
sich mit ihm geistig zu beschäftigen. Ich habe diese Komponente als Kon-
trektionstrieb bezeichnet. Jede dieser beiden Komponenten kann isoliert
vorkommen, das gewöhnliche aber ist, daß sie gemeinsam auftreten, und aus
der V^erbindung geht dann der Drang hervor, in Berührung mit dem VV^eibe
zu detumeszieren.
Havelock Ellis hat diese meine Auffassung im wesentlichen als richtig
anerkannt; er meint nur, daß die beiden Komponenten noch enger mitein-
ander verbunden seien, als ich es darstelle. Doch ist dies insofern nicht
richtig, als ich im wesentlichen ja nur eine entwicklungsgeschichtliche
Trennung annehme, und zwar für das Einzelwesen wie für den ganzen
Stamm bei Anerkennung der Deszendenztheorie. Der primäre Prozeß sind
230
Geschlechtstrieb.
^
in der Stammeaentwicklung^ die Detumeszenzvorgän^e, wie schon daraus
hervorgeht, daß sich niedere Organismen eingeschlechUich fortpflanzen , in-
dem sie einen Teil des Körpers als Keimzellen abstoßen. Was das einzelne
Individuum betrifft, so kommt sowohl unter abnormen Verhältnissen als
auch besonders in der ersten Zeit der sexuellen Entwicklung eine Trennung
beider Vorgänge Öfters vor ; aber beim normalen erwachsenen Menschen
sind aie miteinander verknöpft. Beim Weibe liegt die Sache ähnlich. Doch
kann ich hier darauf nicht eingehen; es wDrde zu weit ffihren. da sich beim
Wetb die Sache insoweit etwas kompliziert, als das Ejakulationsprodnkt
nicht ein Produkt der ReimdrQsen ist, sondern eine mehr indifferente DrOsen-
sekretton darstellt.
Auf einen praktisch äußerst wichtigen Punkt im Sexualleben , die
sexuelle Anästhesie beim Weibe, ist schon seit längerer Zeit gelegent-
lich die Aufmerksamkeit hingelenkt worden, aber erst den letzten Jahren
verdanken wir einige ausföhrliche Publikationen darüber und besonders eine
monographische Bearbeitung aer Frage. Diese rührt von Otto Adlrr her,
ist 1904 erschienen und hat den Titel »Die mangelhafte Qeachlechtsempfin-
dung des Weibes«. Überaus häufig fohlt beim weiblichen Geschlecht der
Orgasmus beim Roitus, ein Zustand, den Adlicr als sexuelle Anästhesie he*
zeichnet. Er schätzt den Prozentsatz der sexuell anästhetischen Frauen auf
10 — 40%; eine vor langer Zeit erschienene Schätzung von Gittceit betrug
gleichfalls 40%. Adler sucht die Gründe fQr diese Erscheinung festzustellen.
Er bespricht die Wollastorgane beim Weibe und vergleicht sie mit denen
des Mannes. Er führt aus, daß, wenn auch das höchste Wollustgefühl erst
durch eine Kontraktion der Geschtecbtsmuskulatur zustande komme, doch
gewisse periphere Reize hierfür nötig seien, und ebenso wie er die Haupt-
reizquelle beim Manne in die Glans penis verlegt, so beim Weibe in die
ähnlich organisierte Klitoris. Da nun aber beim Koitus zweifellos sehr oft
die Klitoris^ die zuweilen sehr hoch sitzt, vom Membrum nicht erreicht
werde, so fehle dieser Heiz, und es sei möglich, dali dieses anatomische
Mißverhältnis eine häufige Ursache der Anaesthesia sexualis des Weibes sei.
Adler meint weiter, daß auch die Masturbation ein häufiger Grund mangel-
hafter Geschlechtaempfindung beim Weibe sei. Er nimmt an, daß Im Ge-
schlechtsleben ebenso wie sonst im Leben die Gewöhnung eine gewisse Rolle
spiele. Infolgedessen käme es vor, daß das Weib^ bevor es per coitum ver-
kehre, durch Masturbation sich zu befriedigen gelernt hat. Hierbei gewöhne
es bestimmte Stellen seiner Genitalien an den masturbatortschen Reiz und,
da dieser Teil vielleicht später beim Koitus nicht mitgereizt werde, sei es unfähig,
zu empfinden. Rr glaubt, daß auch beim Manne eine solche mastnrbatorische
Gewöhnung an die Reizung bestimmter Stellen stattfinde, doch hätte dies
für die sexuelle Geschlechtsempfindung beim Manne keinen solchen Einfluß,
weil beim Manne fast das gesamte Membrum wahrend des Koitus Friktionen
ausgesetzt sei, er mithin auch die früher von ihm bevorzugten Stellen da-
bei mitreize, während beim Weibe eher die Möglichkeit gegeben ist, daß
diese Stellen außerhalb der Friktion liegen. Zu den weiteren Ursachen
rechnet Aoler die Hysterie des Weibes, indem mitunter die sexuelle
Anästhesie nur eine Tellerscheinung der Hysterie sei und sich dieselbe
auch an der Nasenschleimhaut, dem Gaumen^ der Haut usw. fände.
Als ganz besondere Ursache aber nennt er die Ungeschicklichkeit und die
Brutalität des Mannes in primo actu, sowie die Ejaculatio praecox. Was die
Folgen der sexuellen Anästhesie betrifft, so bespricht Adler ihre Beziehungen
zur Hefruchtung. Er kritisiert mit Recht jene Autoren, die einen engen
Zusammenhang zwischen Empfängnis und sexueller Anästhesie konstruieren.
Er kritisiert eine daraufhin aufgestellte Statistik, erwähnt als Stütze seiner
Ansicht die Fälle von Schwängerung bei der Notzucht, die künstliche Be-
Geschlechtstrieb.
231
fracbtunp, die beim Tiere geübt würde; er erwähnt den Fall von dem
Koitus, den eine Fraa infolge Vairinismus nur in der Narkose ausüben konnte
und der doch zur Schwängerung führte. Wenn aber auch keine Unfrucht-
barkeit aus der sexuellen Anästhesie folgt, so sind doch die Folgen keinea-
wegs gleichgültig. Adler unterscheidet hier den Fall, wo die Libido des
Weibes normal ist und keine Befriedigung erfolgt, und den Fall, wo sie fehlt.
W^ährend in dem letzteren Falle das Weib nichts entbehrt, sei es doch in
dem ersteren anders. Hier konnte die Einwirkung auf das Kheleben und auf
die Familie schwerwiegend sein. Adlek glaubt aber, daß auch eine krank-
hafte Organveränderung des Sexualapparates unter solchen Umständen nicht
nur denkbar, sondern bewiesen sei, und insbesondere hätten nervöse Stö-
rungen, Mattigkeit, Unlustgefflhl, Angstanfätle usw., kurz das vielgestaltige
Biid von Neurasthenie und Hysterie mitunter ihren vornehmlichen Grund In
mangelhafter Geschlechtsempfindung. Hierzu komme, daß die volle Harmonie
der Seelen, wie sie für eine glückliche Ehe nötig ist, an das grobsinnliche
Element de» vollen gegenseitigen geschlechtlichen Empfindens geknüpft sei.
Auch die Therapie wird eingehend besprochen; Adlkh trennt sie in die
Prophylaxe und die eigentliche Behandlung. Was die Prophylaxe betrifft, so
meint er, daß der Mann hierbei sehr viel tun könnte, wenn er in richtiger
Form mit dem Weibe verkehre. Sonst empfiehlt er auch eine örtliche Be-
handlung; er bespricht die künstliche Defloration, erwähnt Bäder, Massage,
Elektrizität, eventuell manuelle Reizung, nennt auch das psychische Element, die
Belehrung, die Hypnose, den individuellen Zauber der geistigen Erregung usw.
Auch Havelock Ellls hat die sexuelle Anästhesie des Weibes aus-
führlich behandelt, und zwar Im dritten Bande seiner * Studios in the Psy-
chology of Sex« (Philadelphia 190H), wo ein längerer Aufsatz dem Qe-
scblecfatstrieb des Weibes gewidmet ist. Leider hat Adlbu diese mit vielen
Belegen versehene Arbeit votlkommen ignoriert, obwohl sie die Frage so
eingehend behandelt, wie es vorher noch nie der Fall war und 1 Jahr vor
Adlers Arbeit erschienen ist. Havelock Ellis^ der allerdings nicht mit der
Schärfe wie Adlbr das Fehlen der Libido vom Fehlen der geschlechtlichen
Empfindung trennt, meint, daß es eine neuere Neigung seu die Stärke des
Geschlechtstriebes beim Weibe zu unterschätzen. Im allgemeinen könne man
bei vielen Frauen nur sagen, daß ihr geschlechtliches Begehren niemals ge-
weckt worden sei und sie niemals geschlechtliche Befriedigung erfahren
hätten, aber man sei nicht berechtigt, zu sagen . daß die Fähigkeit hierzu
kongenital fehle. Havelock Ellib neigt vielmehr zu der von Beaun'is ver-
tretenen Anschauung, daü kein großer Unterschied zwischen beiden Ge-
schlechtern in Beziehung auf die Stärke des Triebes sei; der Irrtum von
der sexuellen Anästhesie des Weibes käme zum großen Teil daher, daß bei
ihm der Trieb mehr geweckt werden müsse als beim Mann: das Weib sei
scheinbar mehr passiv, und der Trieb erreiche erst seine volle Stärke, wenn
geschlechtliche Beziehungen stattgefunden haben. Auch zeige beim Weibe
der Geschlechtstrieb eine größere Neigung zur Periodizität als beim Mann.
Seine spontane Manifestation sei in bemerkenswerter Weise mit den Men-
struationsvorgängen verknüpft. Eine Frau, die um diese Zeit herum von
ihrem geschlechtlichen Verlangen überwältigt werde, könne die Übrige Zeit
hindurch vollkommen kalt sein ; beim Manne seien diese periodischen
Schwankungen nicht so groß. Auch sei beim Weibe, besonders in den ver-
schiedenen Perioden des Lebens, die Differenz deutlicher als beim Manne,
und endlich seien auch die individuellen Differenzen stärker ausgeprägt.
Daraus aber etwa zu schließen, daß beim W^eib der Trieb im allgemeinen
schwächer sei, ist nach Havelock Ellis unrichtig.
In dem zweiten Bande seiner »Studies in the Psychology of Sex«, der
im Jahre 1900 erschien, kommt Havelock Ellis auch auf eine andere eben
232
Geschlechtstrieb.
angedeutete, wenig erforschte Erscheinung: zd sprechen, die sexuelle Pe-
riodizitnt Er verweist darauf, datS man aurh beim Manne versucht habe,
einen Monatszyklus ähnlich wie beim Weib© nachzuweisen. z.B. bei be-
stimmton Krankheiten. Ich selbst habe grieichfalls in meinen »Untersuchungen
Über die Libido sexualis-r auf Andeutungen der Periodizität dos Geschlechts-
triebes beim Menschen hingewiesen, während die ausgeprägte Periodizität
beim Tier etwas ganz gewohnliches ist. Havelock Elles nimmt gröüere
Perioden an; er glaubt aber außerdem noch kürzere Perioden, die alle 8 öden
14 Tage wiederkehren, vermuten zu dürfen. Was die größeren Perioden be-
trifft, »o nimmt er an, daß sich im Frühjahr oder im Herbst eine Steigerung
des Geschlechtstriebes bemerkbar macht.
Gehen wir nun zu den sexuellen Perversionen Ober, so ist deren Ätiologie
nach wie vor Gegenstand eifriger Diskussionen gewesen. Besonders wurde
für die Homosexualität die Frage mehrfach wieder erSrtert. ob sie als eine
eingeborne oder erworbene Eigenschaft zu bBtrachten sei. Um hier Klarheit
zu gewinnen, mQsseti wir aber eine Abacbweifung machen, die sich auf die
verschiedenen Perioden in der Entwicklung des Geschlechtstriebes bezieht.
Wir können drei Perioden in der Entwicklung desselben unterscheiden: das
neutrale Stadium, d. b. etwa das Alter bis zum Beginn der Geschlechtsreife.
wo das Kind noch keinen Geschlechtstrieb besitzt, die Periode des un-
differenzierten und die des differenzierton Geschlecbtstriebes. Die
Periode des undifferenzierten Geschlechtstriebes, auf die Max Dessoir be-
sonders hingewiesen hat, besteht im allgemeinen um die Zeit der Pubertät
herum; sie äußert sich darin, daß der Geschlechtstrieb noch keine bestimmte
Richtung hat, sondern gewissermaßen lierumtastet und sich hierbei mitunter
auf das gerade zufällig in der Nähe befindliche Objekt richtet. In der Pe-
riode des undifferenzierten Triebes finden sich bei Leuten, die sich später
ganz normal entwickeln, häufig homosexuelle Neigungen, auch masochistische
und sadistische. Ja sogar Neigung zu Tieren. Wenn sich dann der Trieb zur
dritten Periode wendet, d. h. differenziert, dann bricht beim normalen Men-
schen mit aller Macht die Hetcroaexualität hervor. Und hier ist ein Punkt.
Ober den so viele Mißverständnisse bestehen, daß nicht dringend genug darauf
hingewiesen werden kann. Es ist falsch, anzunehmen, daß der perverse
Geschlechtstrieb deshalb eingeboren sein mOsse» weil dar Betreffende zuerst
homosexuelle Neigungen zeigte. Ebenso wäre es faUch^ anzunehmen, daß
der heterosexuelle Trieb deshalb erworben sein müsse, weil bei Einzelnen
zuerst homosexuelle Neigungen auftreten. Das Eingeborne der Heterosexu-
alität zetjct sich nicht darin, daß sie zuerst in die Erscheinung tritt, sondern
darin, daß sie in oder nach der Pubertät durchbricht und selbst nach Ab-
schweifungen d'?s Triebes nach der perversen Richtung trotzdem durchdringt.
Ebenso dürfen wir in Fällen^ wo sich zuerst HumofiGxualitat gezeigt
hat und dann bestehen bleibt, nicht annehmen, daß sie deshalb eingeboren
sein muß, weil die ersten Äußerungen des Geschlechtstriebes homosexueller
Natur waren. Dies kann auf einem Zufall beruhen, indom die nächsten Ob-
iekte in der Zeit des undifferenzierten Geschlechtstriebes gerade dem gleichen
Geschlecht angehörton. L'nd wenn sich nach diesem undifferenzierten Ge-
schlechtstrieb die Homosexualität nun weiter entwickelt , so könnte dies
ebensowohl durch eingeborne wie erworbene Dispositionen bewirkt sein.
Unter keinen Umständen darf man nur aus der Talsache, daß zuerst die
homosexuellen Empfindungen nachweisbar sind, den Schluß ziehen, daß die
Homosexualität eine eingeborne und, was Homosexuelle mit Vorliebe betonen,
eine unabänderliche Eigenschaft darstellt. Auch sonst ist die Differenzierung
der Geschlechter vor der Pubertät nicht so groß, wie man oft annimmt.
Magms UiRscHFELD z B. sucbt in seiner Arbeit »Der urnische Mensch«
(Leipzig 1903), in der er ein Kapitel dem urnischen Kind widmet, die un-
Geschlechtstrieb.
2S8
differenzierte Periode des Triebes muf^llchst auszuschalten und nachzuweisen,
daß sich das urni&che Kind bereits in der ersten Kindheit konträr sexuell
^ei^e; es sei nicht wie andere; solche Knaben ähnelten in ihren Neig:unsen
nnd Spielen mehr den kleinen Mädchen. Auch ich habe früher dies ang:e-
»f;enDmmen, bin aber durch reiche Krfahrungen bei Heterosexuellen mehr
und mehr zu der Überzeugung; (j^ekommen, daß sich solche weibliche Nei-
gungen bei Knaben auch dann sehr häufig finden, wenn diese sich später
ganzlich normal entwickeln. E.s geht zu weit, nllgeniein zu behaupten, daß
sich das urnische. später sich houioscxuell entwickelnde Kind typisch vom
heterosexuellen in allen möglichen Neigungen unterscheidet.
V. Krapft-Ebing hatte argenommen, daß es eine eingeborne und
»«ine erworbene Form der Homosexualität gäbe. Dieser Auffassung
sind später verschiedene Autoren entgegengetreten, indem sie nachzuweisen
versuchten . daß ein okkasionelles Moment im Lehen die Hauptrolle spiele
und die Auffassung von der eingebornen Homosexualität ein Irrtum sei.
V. SCHREKCK-NOTZING, Kr AKPKLI.V, H<K HR, CuAMKlC 11. a. sind V. KrAFPT-KbING
entgegengetreten, indem sie das Krworbene In den Vordergrund stellten.
Ganz besonders hat dies in neuerer Zeit in ointtm ausTöhrlichen Werke
K^ßeitrage zur Ätiologie der Psychupathia sexualls« (Dresden 1^02/03) Iwan
^Bloch getan. Er hat eine große Menge historischer Notizen gesammelt, um
auf diesem Wege zum Ziel zu kommen. Das Buch ist eine geschickte Kom-
pilation einzelner Berichte^ es zeigt die Verbreitung der Homosexualität und
aller möglichen sexuellen Perversionen und Perversitäten bei den verschie-
K^enen Völkern. Trotz sehr mangelhafter Disponierung des Stoffes und sehr
"anfechtbarer Schlußfolgerungen findet man in ihm viele wenig bekannte
Einzelheiten. BLOrH spricht sich dagegen aus, daß die Perversion etwas mit
Entartung zu tun hatte ; hfichstens spiele diese eine begünstigende Rolle.
Das Wesen des üeschlechlstriobes und seine Anomalien seien unabhängig
von aller Kultur und weisen bei primitiven und zivilisierten Völkern die-
selben ZOge auf. Es sei unabhängig von den mit der Kultur verknüpften
körperlichen und geistigen Schädigungen, von der Degeneration im anthro-
pologischen und pathologischen Sinne. Äußere Faktoren hätten die größte
Bedeutung für die Entstehung sexueller Anomalien. MöBirs (Geschlecht und
Entartung. HalJp 1903) glaubt jedoch, der Umstand, daß man bei nicht
zivilisierten Völkern so häufig sexuelle Perversionen finde, spreche nicht
gegen die Bedeutung der Degeneration bei deren Zustandekummen. Man
fände Oberhaupt viel mehr Entartung auch außerhalb der Kulturvölker, als
viele beute annehuien. Ebenso verkehrt sei die Meinung jener, die sich
P^egen die degenerative Grundlage der Perversionen aus dem Grunde aus-
sprächen, weil auch in hochentwickelten Staaten viele Perversionen vor-
handen seien. Besonders bekämpft Möbius den Hinweis auf die Griechen,
indem er meint, daß die Athener nach Perlkles wahrscheinlich den heutigen
Parisern viel ähnlicher gewesen seien, als man denkt, Ein Volk mit so
raffinierter Kultur wie die Griechen niQssen reich an Entartung ge-
wesen sein.
Wie immer man sonst über die Beziehungen der sexuellen Perversionen
zu der Entartung denken mag, jene, die das Erworbene bei der Homosexu-
alität 80 sehr betonen, stehen anscheinend zu sehr unter dem Einfluß einer
modernen Strömung der Psychologie, die die eingehornen Vorstellungen
leugnet, und sie haben, von dieser Voraussetzung ausgehend, behauptet, daß
»es auch keine eingeborne Homosexualität g-eben könne. Diese Schlußfolgerung
Ist jedoch zweifellos falsch, selbst wenn die Voraussetzung von dem Kehlen
der eingehornen Vorstellungen rii-htig ist. Ich habe die Frage ausführlich
[n meinen »Untersuchungen Über die Libido se.^ualis« erörtert und bin hier
vom normalen Geschlechtstrieb ausgegangen. Die Frage lautet dann so:
234
Geschlechtstritib,
Beruht der Umstand, daß aich der normale Mann zum weiblichen Geschlecht,
das normale Weib zum niannllcben sexuell hin^ezog^en fühlt, auf ein^ebornen
Dispositionen oder auf Einflüssen der Erziehung, der Nachahmung; usw^
kurz und gut auf Einflüssen intra vitam ? Zahlreiche Erwägungen, die ich
ausführlich erörtert habe, haben mich dazu geführt, die Frage in dem er-
steren Sinne zu beantworten. Ich erwähne hier nur einwandsfreie Beobach-
tungen in der Tierwelt, wo sich das Männchen zum Weibchen, das Weib-
chen zum Männchen hingezogen fühlt, ohne dali das Tier auch nur eine
Spur von Anleitung bekommen hat. Die Berücksichtigung der natürlichen
Zuchtwahl und der geschlechtlichen Zuchtwahl im Sinne Darwins, der Tele-
ologie im Sinne der Philosophen, der sonstigen angebomen Instinkte usw.
im Sinne der Psychologen weisen unverkennbar darauf hin, daß der anders*
geschlechtliche Trieb nicht eine erworbene, sondern eine eingeborno Eigen-
schaft ist. Wenn wir In dieser Weise den heterosexuellen Trieb als etwas
Eingebornes ansehen., so Ist damit nicht etwa gesagt, daß auch die Vor-
stellung des Weibes eingeboren ist. Ebensowenig wie dem Zugvogel die
Voratellung des Südens eingeboren ist, wie er nicht die Fluren Afrikas
kennt, sondern südlich zieht, einer Reaktion folgend, die durch die atmo-
sphärischen und andere Einflüsse in ihm ausgelöst wird, ebenso wenig muß
zur Annahme des heterosexuellen Triebes dem Menschen die Vorstellung
des anderen Geschlechtes eingeboren sein. Eingeboren braucht nur die Fähig-
keit KU sein, auf die spezifischen Heize des entgegengesetzten Geschlechtes
sexuell zu reagieren. Wenn wir nun in diesem Sinne die Heterosexualität
als etwas eingebornes betrachten, so liegt auch gar kein Qrund vor, aus
psychologischen Oründen das Eingeborne der Homosexualität als etwas un-
mögliches betrachten zu dürfen. Wenn aber auch dieser psychologische
Qrund gegen das Eingeborne fortfällt, so ist damit andrerseits nicht gesagt,
daß die Homosexualität nun tatsächlich als eine eingeborne Eigenschaft vor-
kommt. Trotzdem bin ich aber aus Gründen die ich im dritten Kapitel meiner
»Untersuchungen über die Libido sexualis«^ auseinandergesetzt habe, zu der
Überzeugung gekommen, daß auch die Homosexualität als eine eingeborne
Eigenschaft vorkommt.
Ich will nur auf die zahlreichen Analogien, die hierfür in Betracht
kommen, hinweisen. Wir unterscheiden die Menschen nach ihren primären
Geschlechtscharakteren. Die primären Charaktere werden durch die Ge-
schlechtsdrüsen, Hoden und Eierstock gebildet. Ein Wesen mit Hoden ist
männlich, mag es sonst auch noch weiblich gebildet sein, ein Wesen mit
Eierstock ist weiblich, mag es sonst noch so sehr dem Manne ähneln. Nun
wissen wir weiter, daß sich Mann und Weib noch durch andere Eigen-
schaften unterscheiden: die Skelettbildung» besonders die des Beckens, ist bei
beiden Geschlechtern verschieden; das Weib hat eine entwickelte Brustdrüse, der
Mann nicht, die Kehlkopfbildung ist bei Mann und Weib verschieden, desgleichen
die Stimme und die Haarentwtcklung. Wir nennen diese Unterschiede der
beiden Geschlechter die sekundären Qeschtechtscharaktere im Gegensatz zu
den primären Geechlechtscharakteren , die in der Keiindrüsenbildung be-
stehen. Nun lehrt die Erfahrung, daß alle sekundären Geschlechtscharak-
tere unter Umständen auf das falsche Geschlecht übergehen , d.h. sich
konträr entwickeln k5nnen. Es gibt Weiber mit Bartwuchs, ebenso bartlose
Männer mit BrustdrÜsenbildung u. dgl. mehr. Da nun die Heterosexualität
einen sekundären Geschlechtscharakter darstellt, ist es a priori schon ala
sehr wahrscheinlich anzunehmen, daß auch dieser sekundäre Geschlechts-
charakter gelegentlich auf ein falsches Oeschlecht übergeht. Ich will jedoch
nun nicht weiter darauf eingehen, ich wollte nur nachweisen, daß nichts
im Wege steht, die Möglichkeit, daß die Homosexualität eine eingeborne
Eigenschaft sei, zuzulassen.
I
^
N
N
^^^^M Geschlechtstrieb. 235
Leider wird die Klarstellung der Frage teils durch Miliverständnisse,
teils durch Verquickung von Wissenschaft und Agitation verdunkelt. Ein
Hauptmißverständnis ist aus dem Umstand hervorgegangen, daß die Homo-
sexualität mitunter durch therapeutische Kinflusse gebessert oder auch
beseitigt werden kann. Und daraus haben dann manche vorschnell ge-
schlosseo, daß die Homosexualit-ät keine eingeborne Eigenschaft ist. Indessen
hat schon v. Krafpt-Ebing aal diesen Irrtum hingewiesen, indem er einen
Paradefall v. ScuREVCK-NoTZiMis, obwohl hier heterosexuelles Kmpfinden
durch Suggestion geschaffen wurde, nach wie vor als einen Fall von ein-
geborner Homosexualität ansah. Wir haben eben festzuhalten, daß auch
eingeborne Eigenschaften durch Einflüsse fntra vitam beeinflußt werden
kdnoen. Wir sehen doch auch sonst, daß eingeborne Anlagen durch Ein-
flüsse des Lebens modifiziert werden. Ich erinnere hier daran, daß man selbst
körperliche Organe durch bestimmti' Einflösse des Lebens modifizieren kann.
Ich brauche bloß an die berQhmte Li^berfurche zu erinnern, die durch enge
SchnOrung entsteht. Ich erinnere weiter daran, daß es Familien gibt, bei
denen eine bestimmte abnorme Stellung der Zähne vorkommt, und wo man
durch längeres Tragenlassen eines Apparates die Wachstumsrichiung der
Zähne zu ändern vermag. Jedenfalls beweist die therapeutische Beeiiillusaung
der sexuellen Perversion, für deren Mügüchkeit Alfred Fl'chs in der »The-
rapie der anomalen Vita sexuaüs bei Männern« (Stuttgart 1889) neues
Material gebracht bat, nichts gegen das Eingeborne.
Ich hatte oben gesagt , daß die X^erquickung von Wissenschaft uud
Agitation die Frage sehr verdunkelt, und damit komme ich auf einen an-
deren Punkt. Es gibt nämlich eine ganze Reihe von Autoren, die die An-
nahme von dem EingeborenHein vieler Fälle von Homosexualität zwar teilen,
aber die Beeinflussung durch die Therapie oder durch Verhältnisse des
Lebens beatreiten. Und hier muß leider zugegeben werden, daß sich zu den
rein wissennchaftlichen Diskussionen auch agitatorische Interessen ge-
sellen, die wesentlich von dem sogenannten wissenschaftlich-humanitären
Komitee, dessen Spiritus rector Magnis Hikschfbld ist, vertreten werden.
Dieses Komitee hat sich nämhch zur Aufgabe gestellt, zwar die wissenschaft-
liche Erforschung der sexuellen Zwischenstufen zu fördern, aber auch die
Beseitigung des $ 175, der die widernatürliche Unzucht zwischen Männern
bestraft. Hierdurch sind Mitglieder dieses Komitees veranlaßt worden, das
Agitatorische in den Vordergrund zu stellen und KeHultate der Wissenschaft
in ihrem Sinne zu deuten bzw. zu färben. Ja, man kann wohl äag:en, daß
in neuerer Zelt die Agitation dieses Komitees in weiten Kreisen Ärgernis
erregt and mitunter den Anschein erweckt, als ob eine Verherrlichung der
Homosexualität das Wesentliche sei. Und hiergegen muß Einspruch erhoben
werden. An d ieser Stelle will ich zunächst nur kurz erwähnen, daß die Annahrue von
dem Eingeborensein mit der Annahme der Beeinflußbarkeit nicht in Widerspruch
steht, wie ich ausgeführt habe. Anhänger jenes Komitees Jedoch suchen einen
solchen Widerspruch zu konstruieren, und zwar deshalb, weÜ das Eingeborne des
Triebes als Beweis dafür gelten hoII ^ daß er nicht verschuldet und die
Unver&nderlichkeit des Triebes als ein Beweis dafür, daß jede Bestrafung
nutzlos sei. Man mag aber mit den Opfern des § 175 auch das größte Mit-
leid haben, so darf sich die Wissenschaft dadurch nicht bestimmen lassen,
nackte Tatsachen anders zu deuten , als sie gedeutet werden müssen. In
welcher Weise dieses sogenannte wissenschaftlich -humanitäre Komitee es
versucht, Tatsachen zu färben, zeigt auf das alterdeutlichate eine »Statistik«,
die in neuerer Zeit van ihm aufgenommen wurde, um die Zahl der Homo-
sexuellen festzustellen, und die in der Arbeit »Das Ergebnis der statistischen
Unterenehungen Qber den Prozentsatz der Homosexuellen« von Magnus
HiRSCHKBLn (Leipzig 1904) veröffentlicht ist. Das Komitee hat Kundfragen
236 Geschlechtstrieb. ^
an zwei Gruppen der Bevölkerung: g:erichtet^ und zwar erstens an die Stu-
denten der Technischen Hochschnle in Charlottenburg' und zweitens an die
organisierten Metallarbeiter Rerlins. Die Studenttm-Knquete ergab l'ö"/,,
Homosexuelle, 1'5% BisexueHe, 94 0*'/o HeterosexuelJe. Weniger Perversionen
ergab die MetallarbeiterKnquete, nämlich 1 I Vo HomoHexuelle. 3 2" o Bi-
sexuelle, während 95*7^/o heterosexuell waren. Ich habe an anderer Stelle
bereits darauf hingewiesen, daß sch'm mit Rücksicht auf das Übersehen des
undifferenzierten Qeschlechtatriebes die Studenten-Knquete als äußerst fehler-
haft angesehen werden muU Ich bin aber auch der Meinung, daß die Metall-
arbeiter-Enquete an wesantlichen Fehlerquellen leidet, auf die ich hier im
einzelnen nicht eingehen wJlL Es ist jedoch kurios, zu sehen, wie die Be-
arbeiter dieser »Statistik« alles so deuten, daß die Zahl der Homosexuellen
möglichst groli erscheint. Für auBgeschtossen halten die Herren, daß sich
manche, die in der Statistik als homosexuell geführt werden, aus Scherz
als homosexuell bezeichnet haben. Der Umstand^ daß viele nicht geantwortet
haben, wfrd natürlich nach der Richtung gedeutet, daß darunter gerade viele
verschämte Homosexuelle waren, nicht aber Heterosexuelle, die an der Sache
gar kein Interesse hatten. Daß sich Normalsexuelle in der Antwort als
pervers bezeichneten, z. B. weil sie eine homosexuelle Masturbation ohne
Horaosexualitilt mit Hornosoxualitftt verwechselten, weil sie den undifferen-
zierten Qeschlecbtstriüb übersahen, weiß ich ganz genau aus mir zur Ver-
fügung stehenden Fällen, Kurz und gut, diese »Statistik« ist nicht mehr
wert als die bisherigen Schätzungen. Ich tnulj hierauf um bo schärfer hin-
weisen, ala sich oberflächliche Beurteiler der '»Statistik«, die sich mit dem
Schein der Wissenschaftlichkeit umgibt . leicht irreführen lassen. Daß die
Agitation des sogenannten wissenschaftlich humanitären Komitees dahin
strebt, die Resultate der Wissenschaft zu färben, wird gerade durch Er-
örterungen, die sich an die >Statistik« knüpften, aufs klarste bewiesen. Hat
doch Magni'S HinHCHPEi.n^ der die Rfsultate der »Statistik« vorher ver-
öffentlicht hat, wahrheitswidrig in der Zeitschrift »Europa« am 15. Juni 1905
angegeben, daß sich bei den Metallarbeitern IV'sVo Homosexuelle, ^'/sV«
Bisexuelle ergeben hätten, während die zuerst veröffentlichte Arbeit nur die
oben von mir genannten Zahlen enthält , die als wesentlich niedriger be*
zeichnet werden müssen.
Mit der Kennzeichnung dieser Seite der Agitation des sogenannten
wissenschartlich-huumnitären Komitees soll nicht etwa behauptet werden,
daß alle seine Veröffentlichungen wertlos seien. Im Gegenteil. Das Komitee
gibt seit dem Jahre 1899 jährlich das »Jahrbuch für sexuelle Zwischen-
stufen« herauä. in dem eint^ ganze Roihe vortrefflicher Arbeiten über Homo-
sexualität erschienen sind. Tnler den Arboiten, die wissenschaftlich beson-
deres Interesse haben, stien die gründlichen Untersuchungen von Fraxz
V. NEUGEBAURRÜber Zwitterlum und Scheinzwittertum beim Menschen genannt.
Sie sind in mehreren Bänden dieses Jahrbuches enthalten und sind wohl
das gründlichste, was auf diesem Gebiete bisher veröffentlicht wurde. Es
handelt sich dabei vielfach um Fälle, die rein zufällig entdeckt wurden.
Ebenso seien die Unlersnchungen von Kahs^'H, der besonders die Homo-
sexualität einzelner historischer Persönlichkeiten untersuchte, genannt; ferner
die fleißige bibliogrnphische Zusammenstellung von Numa Frätorius; des-
gleichen die Untersuchungen von Kaksch über Uranismus bei den Natur-
völkern und bei den Tieren.
Auch die forensischen Fragen werden in den Jahrbüchern öfters
erörtert; besonders ist es der ^175. gegen dessen Fortbestehen dauernd
geeifert wird. Natürlich sind die Erörterungen über diesen Punkt nicht auf
die Jahrbücher beschränkt geblieben, es haben vielmehr in Zeitschriften,
Broschüren und selbständigen Büchern die verschiedensten Leute Stellung
GeschlechtAtrieb.
237
^
^
da2u gr^nommen, die einen fflr die Aufhebung:, die anderen dag:eg:en. Unter
den Arbeiten, die hier in erster Linie in Betracht kommen will ich nur die
von Wachenpeld »Homosexualität und Strafgesetz« (Leipzig; 1901) nennen.
Er tritt fflr das Fortbestehen des § 175 ein, will attor bei mildernden Um-
BtSnden Geldstrafe zulat<sen , wfihrend heute nur (iefSni^iiBstrare mufirllch
ist. Wachknfei.I) steht indessen nicht auf dem Standpunktt', dat5 der wirk-
lich bomosexaoll empfindende Mann bestraft werden soll; er glaubt vielmehr,
daß schon heute der i$ 51 des Strafgesetzbuches — der bei Bestehen einer
krankhaften Störung der Oeislestätigkeit oder Bewußtlosigkeit und dadurch
bedingten Ausschluß der freien WillensbeBtimmunir die Strafbarkeit aus-
schließt — einen genügenden Schutz bildet. Nach Wa(^henfkld dürfe Be-
strafung nur dann eintreten, wenn von normal Kmpflndonden widcrnatOr-
licbe Unzucht geübt wird. Ich gtautte aber^ daß sich WAriiENFEU) in diesem
Kernpunkt irrt; ich habe vielmehr in meinen Arbeiten, u.a. auch in der
letzten Ausgabe der konträren Se.vuatempfindung (Berlin 1891)) ausgeführt,
daß eine Bestrafung des homosexuellen Verkehrs nach dem heutigen Ge-
setze auch dann staltfinden muß, wenn der Täter homosexuell empfindet.
Aach ich habe mich aus verschiedenen Gründen stets dafür nusgeHprochen.
daß der Staat erwachsenen Männern gestatten soll, in ihren vier Wänden
homosexuellen Verkehr auszuüben, soviel sie wollen, habe aber andrerseits
in neuerer Zeit die Aufmerksamkßit darauf hingelßnkt, dnß das Schutzalter
etwas erhöht werden muß. Es tioi^t durchaus die Gefahr vor, dnß bei jungen
Leuten in der Zeit des undifferenzierten Geschle 'htstriebes eine Homo-
sexualität gezüchtet wird, und ich habe deshalb vorgeschlagen, das Schutz-
alter wenigstens bis auf das vollendete IB. Lebensjahr zu erhöhen und nicht
Dor die widernatürliche Unzucht, sondern auch unzüchtige Handlungen mit
derartig jungen Männern zu bestrafen. Ks scheint mir heute kaum noch
zweifelhaft, daß die Tätigkeit dea sogenannten wiasenschafrlich-humanitären
Komitees die Züchtung cJer Homoaexualitilt in bedenklicher Weise fördert,
indem es solchen jungen Männern, die in der Zeit des undifferenzierten
Geschlechtstriebes homosexuell empfinden, die Unveränderlichkeit des Triebes
suggeriert und dadurch die Gefahr schafft, daß die Betreffenden dauernd
homoaexuell werden. Vom Standpunkt der Psychohygiene aus muß auf
diese Gefahr hingewiesen werden.
C^beraus zahlreich sind in neuerer Zeit die Veröffentlichungen auf dem
Gebiet des Masochiamus und Sadismus gewesen. Allerdings ist die rein
erotische Literatur und die pseudo-wissenschaftliche unvergleichlich stärker
vertreten, als die wirklich wissenschaftliche, die *lie Erscheinungen des Ma-
sochismus und Sadismus zu ergründen sucht. Unter don hierhergohörigen
Werken sei das Werk von LAi'ASSA4iNK: »Vacher LKventrour et les Crimes
sadiques« (Lyon 18^1)) genannt. Es bebandelt den Fall des vielfachen Lust-
oiörders Vacher besonders vom Standpunkt des gerichtsärzUichen Sachver-
ständigen. Ira Anschluß daran sind dann noch eine Reihe ähnlicher V^er-
brechen und damit zusammenbringende Fragen des Sadismus erörtert.
Unter den Arbeiten, die das Problem des Sadismus psychologisch zu
ergründen suchen, dringt wohl die von Kulenburu »Sadismus und Maso-
chismus« (Wiesbaden 1902) am tiefsten in die Krage ein. Eiti.enbt'kg ver-
weist auf die leicht zu Mißverständnissen führende Terminologie. Sadismus
und Masocbismus seien nur in der Theorie sich ausschließende Gegensätze;
sie seien in Wahrheit einander verwandle und innerlich nahe stehende
Aberrationen, die gleich so vielem anscheinend Gegensätzlichen in der Men-
scbenpsycbe nicht selten vereint neben und durcheinander in demselben
Individuum verwirklicht angetroffen werden. Mit Recht betont Ei'lsnbi'RG,
daß nicht jede grausame Handlung ohne weiteres ein sadistischer Akt Ist,
daß sie vielmehr dies erst werde, wenn sie Wollust erweckt und wenn sie
288
GeachlechtBtrieb.
daher zum Zwecke der Wollusterref^unfi: absichtlich oder unabäichtlich ge-
sucht und geObt wird. Aber andrerseits sucht EiLKSHUiui doch die Krschei-
nuDj^ selbst weiter zu fassen^ indem er meint, man dürfe unter Wollust
nicht nur die Lust verstehen, die an die eigentlichen SexualempfinduDgen
gebunden ist. Er schließt sich dem Standpunkt Eoi;ard v. Hartman'Ns an,
es gäbe keine Lust, die nicht einen Schmerz enthielte, und keinen Schmerz,
mit dem nicht eine Lust verknüpft wäre. Besonders bei den Empfindungen
auf religiösem Gebiete käme diese Mischung zur Geltung ; die Selbstpeini-
gung (Askese) bilde z. B. eine solche Art Lust. Ei lenbirg verweist auf die
Freude am Grausamen, die sich z. B. in dem Zuschauen bei Gladtatoren-
kämpfen, Hinrichtungen, Stiorge fechten uaw. betätige. Er sacht dann der
Frage auf den Grund sn gehen und erinnert an drei Fundamentaltatsachen
ps^'Chosexualer Erfahrung: 1. Grausamkeit (oder, genauer ausgedrückt, der
Trieb, Schmerz zuzufügen und eventuell zu erdulden) ist mit der geschlecht-
lichen Begier physiologisch und psychologisch verbunden. 2. Die geschlecht-
liche Befriedigung im Geschlechtsakte selbst ist mit Grausamkeit verbunden.
'^. Die nach dem Geschlechtsgenusse (zumal beim Manne) sich geltend
machende körperliche und seelische Reaktion entladet sich in Widerwillen
gegen den Genußteilnehmer und in verstärktem Antriebe zu (rrauaamkeiten
ihm gegenüber. Was die Erklärung dieser Erscheinungen betrifft, so glaubt
El'LEnbcrg nicht, daß die gegenwärtig so beliebte Atavismus- Theorie
genüge.
Wir haben gesehen, daß Eulexburg bereits versucht hat, den Begriff
des Sadismus und Masochismus etwas weiter zu fassen, als es vielfach ge<
schab, indem er ihn nicht nur an die Sexualempfindungen anknüpfen läßt.
Viel weiter geht in dieser Beziehung noch D^hren in seinem Werke >Der
Marquis de Sade und seine Zeit« (Berlin und Leipzig 1900). Nachdem
ELtLKNtiiiKc; kurz vorher in einem Vortrag Leben und Werke des Marquis
des Sade beleuchtet halte, reröFlenlHchte DChren das genannte Werk. Er
bespricht zuerst das Zeitalter des Marquis de Sade, dann sein Leben und
seine Werke und kommt schfießlich auf eine Theorie des Sadismus zu
sprechen, bei der er, und zwar im Anschluß an die vielen von Sade selbst
in seinen Werken geschilderten perversen Akte, folgenile Definition des
Sadismus gibt : »Der Sadismus Ist die absichtlich gesuchte oder zufällig
dargebotene Verbindung der geschlechtlichen Erregung und des Geschlechts-
genusses mit dem wirklichen oder auch nur symbolischen (ideellen, illusi*
onSren) Eintreten furchtbarer und erschreckender Ereignisse, destruktiver
Vorgänge und Handlungen, welche Lt^ben , Gesundheit und Eigentum des
Menseben und der übrigen lebenden Wesen bedrohen oder vernichten und
die Kontinuität t;>ter Gegenstände bedrohen und autheben, wobei der aus
bliesen Vorgängen einen geschlechtlichen Genuß schöpfende Mensch selbst
Ihr direkter L>rheber sein kann, oder sie durch andere herbeiführen läßt,
oder bloßer Zuschauer bei denselben ist. oder endlich freiwillig oder un-
freiwillig ein Angriffsobjekt dieser Vorgänge ist.« Diese in einem Satz*
ungeheuer gegebene Definition geht, besonders was den letzten Teil betrifft,
viel weiter, als wir es nach dem Vorgang v. Kkakkt-Ebings in Deutschland
gewShnt sind, weil wir den ^ der als Angriffsobjekt dieser Vorgänge einen
sexuellen Genuß hat, nicht als Sadisten, sondern als Masochisten zu be-
zeichnen pflegen. ÜC^hren hat dann noch in einem weiteren Werke über Sade
»Neue Forschungen über den Marquis de Sade und seine Zeit« (Berlin 1904)
unser Wissen Ober diesen bereichert, ebenso wie das Gegenstück Sades,
Sacher-Masoch, in v. SrHLicHTEGRohu ..Sacher-Masoch und der Masochismusc
(Dresden 1901) einen Bearbeiter gefunden hat. Dühre.v hat in neuerer Zeit
auch ein angebliches Manuskript des Marquis de Sade veröffentlicht, das
dessen Hauptwerk sei. -Lea 120 Journees de Sodome ou l'Eculc du Liberti-
Geschlechtstrieb. — Glaukom.
239
nag:e« (Paris 1^04). Es scheint mir aber doch sehr zweifelhaft, ob nicht hier
eine grobe Täuschung' stattgefunden hat. Mir selbst ist das Manuskript
seinerzeit zum Kauf angeboten worden ; die mir mitgeteilten Dinge Über
dessen Herkunft klangen aber so mysteriös, daß ich einstweilen geneigt bin,
das Ganze als eine Fälschung anzusehen. Auch DChrkn gibt in der Vorrede
keine hini eichenden Einzelheiten, die von der Echtheit des Manuskriptes
überzeugen. Vielleicht hat sich ÜChrkn, der mir auch bei vielen seiner hi*
storischen Forschungen etwas leichtgläubig erscheint^ hier täuschen lassen.
Ich will ietzt noch auf eine Arbeit die Aufmerksamkeit hinlenken, die
mir von größter praktischer und theoretischer Bedeutung erscheint; ich
meine einen Vortrag von Fhitk Lki'pmanx »Unzuchtverbrechen an Kindern«,
über den ein Autorreferat in der Ärztlichen Sachverständigen-Zeitung vom
1. Juni 19Ö5 veröffentlicht ist, Licitmanx geht die Ursachen für diese Ver-
brechen durch; er kommt insbesondere dabei zu dem Hesultat, daß es eine
angeburne sexuelle Nf igbng zu unreifen Individuen wahrscheinlich nicht
gebe. «Dagegen geschieht es zuweilen, daü in der Kindheit oder unter be-
sonderen Bedingungen auch in der Zeit der Geschlechtsreife Vorgänge se-
xueller Art bei den unreifen Mädchen eine Rolle spielen^ steh der Erinnerung
einprägen und daß später dann ein ähnlicher Anblick starken Geschlechts-
reiz auslöst.«
Kb sind im Laufe der letzten Jahre nach auf vielen anderen Gebieten,
die zum Geschlechtstriebe gehören, Arbeiten erschienen, z. B. auf dem des
Exhibitionismus und der Masturbation. Es ist mir aber nicht möglich, hier
auf alle Arbeiten über den Geschlechtstrieb einzugehen, die uns in den
letzten Jahren gebracht wurden. Ich glaube aber im vorhergehenden die
Fragen beräcksichtigt zu haben, die eine besondere Wichtigkeit für den
Praktiker bieten. Daß nach v. Kkapft-Ebinc;8 Tode seine Psychopathia se-
xualis neu, und zwar zum zwölften Mal aulgelegt, worden ist, dies sei zum
Schluß noch erwähnt» bildete sie doch den Ausgdngspunkt für fast alle
späteren Forschungen, und ist sie doch auch heule noch das Beste und
Vollständigste, was auf diesem Gebiete geschrieben worden ist. A/brrt Moll
Glaukom. An allen Sehnerven glaukomkranker Augen konnte
Schnabel eigentümliche Lücken , Kavernen , nachweisen , die durch Auf-
quellung und Zerfall der Nervenfasern entstanden waren, ohne daÜ sich an
den betreffenden Stellen ein Ersatzgewebe neu gebildet hätte Anfänglich
sind die Lücken klein, nehmen aber an Große zu und liegen ohne besondere
Abgrenzung in normalem Gewebe. Dadurch daÜ schließlich auch die Glia
und das Stfitzgewebe rarcfiziert werden, vergrößern sie sich noch welter
und fließen zusammen. So wie dies in dem gofäßtührenden Teil der Seh-
nerven geschieht, findet es ebenso in dessen niarklosem Teile, in der Papille,
statt; die durch Konfluieren entstandene große Kaverne sinkt ein, und dies
ist die glaukomatöse Exkavation. Die Lamina cribrosa bleibt anfänglich an
ihrer Stelle, erst beim entwickelten Leiden sinkt sie wegen Lückenbildung
in dem dahinler gelegenen Sehnervenstück nach rückwärts zusammen. Zu
einer solchen Lückenbildung durch Schwund des Gewebes kommt es nur
beim Glaukom; bei jeder anderen Art von Atrophio worden die achwindenden
Nervenfasern durch wucherndes Stütz- und Bindegewebe ersetzt; es gibt
keine atrophische Exkavation, jede pathologische Exkavation ist eine glau-
komatöse Exkavation, ob nun eine Erhöhung des Binnendruckes nachzu-
weisen ist oder nicht. Schnabel hat nur Tatsachen vorgebracht, welche
jeder, der seine in der Wiener ophthalmologischen Gesellschaft demonstrierten
Präparate gesehen hat, anerkennen muß. Damit ist aber auch die Hypothese
von der Entstehung der Exkavation durch die Erhöhung des intraokularen
Druckes gefallen.
b
Lückenhildung'en im Sehnerven bei Glaukom haben auch Scbuidt-
RuiPLLK und ScHNAUDiGKL in einzelnen Fällen besclirieben, , und in ihrea
Verörientlichungen ^ind ähnliche Beobachtungen erwälint
Während sich Sthnabel auf die Bekanntgabe von Tatsachen beschränkt,
welche allerdings die Auffassung? der glaukomatösen Exkavation als Folge
des erhöhten intraokularen Druckes als unhaltbar erweisen, sich dabei aber
vorsicblifT der Aufstellung neuer Theorien enthält, bewegt sich VV. Zimmer-
mann nur im Hereioho der Hypothesen. Er deduziert, daß Arterienpuls im
Ange nur durch ein Miliverhältnis zwischen Binnendrock im Auge und Druck
im Gefäßrohre entsteht; diese Druckdifferenz kann in einer Erniedrigung
dos Blutgefäßdruckes bei nortnaler Augenspannung begründet sein oder in
erhöhter Augenspannung bei normalem Qefäßdrucke. Zimmrhma.w meint, datS
bei Qlaukom anfänglich das erstere der Fall sei. Arterienpuls komme vor
bei den verschiedensten Formen von Schwächung der Herziktion — allge-
meine Anämie und Chlorose, akute and chronische Blutverluste , das Sta-
dium asphycticum der Cholera, stark gesunkene Herzkraft infolge chronischer
und akuter Infektionskrankheiten, verschiedene Herzfehler (Aortenstenose,
Mitralstenose und nicht zu weit vorgeschrittene Arteriosklerose) werden als
Beispiele an<;eführt.
Da beim Arterienpula die Btutzufuhr eine unterbrochene ist, kommt
es zu Unterernährung der Retina und zu Gefäßveränderungen; infolge der
Stagnation des Blutes entsteht nach Cohnkeim spontane Entzündung der
Intima, Kndarterütts. Namenilich tritt dies bei älteren Individuen ein, welche
an senilen Qefäßveränderungen leiden.
Durch die geringe Blutzufuhr macht sich eine verminderte Füllung
der Kapillaren geltend, weil die Arteria centralis retinae eine Endarterie ist,
infolgedessen eine geringere Füllung der Venen (Venenpuls), eine Stagnation
der Zirkulation; in weiterer Folge gesellt sich Transsudatton aus dem Ge-
fäßgübiete der l^etina hinzu, also Erhöhung des intraokularea Druckes. Die
weiteren Veränderungen sind dann die bekannten Folgen dieser Druck-
erhöbung. Das Glaucoma prodromale ist also keine eigentliche Erkrankung
des Sehorganes, sondern vielmehr das Produkt einer Kreislaufstörung.
Durch Wiederholung oder durch langdauerndes Bestehen derselben
kommt es zu den örtlichen medianischen Störungen, zum Stationärwerden
dea Glaukoms. Die Therapie muß sich aber zunächst gegen die Kreislauf-
störung richten und Zimmkhmann hat in einer gniß(^ren Reihe von Fällen
günstige HceinFlussung durch Strophantus und Adonis vernalis gesehen.
Dij;italis ist kontraindiziert.
Die Iridektomie ist nach Zimmermanns Meinung erat dann indiziert,
wenn die medikament^Ös-kausale Thf'rapie nicht zum Ziele führt.
SCHNABKL ist dagegen für frühzeitige Iridektomie.
Bei steinharten glaukomatösen Augäpfeln ist es Fröhlich gelungen,
dnrch Trepanation der Sklera bleihendes Schwinden der Entzündung,
Normalisierung der Spannung und dauernde Schmerztosigkoit zu erzeugen.
Er bildet zwischen M. rectua externus und inferior einen Bindehautlappen,
den er zurückschlägt, und schneidet dann mittelst des v. HirHBLschen Tre-
pans ibwni Krone) hinter dem Corpus ciliare ein Stück Sklera ohne Ver-
letzung der anderen Bulbushüute aus. Sollte nicht spontan der Glaskörper aus
dem Skleralloch austreten, punktiert man mit einem Starmesser. Der Binde*
hautlappen wird mit einigen Nähten in seiner ursprünglichen Lage befestigt.
Die Operation soll schmerzlos und schnell auszuführen sein, ohne Narkose.
SchlQge sie fehl, bliebe noch immer die Enukleation oder Evakuation Übrig.
Literatur: Hcunabkl, Die glaukomatöse Srhnervenatrophii;. Wiener med. Wochi*nsobr.,
19üü. — ÖcHUABFL, Das eUukomatüse Öfhnervenleiden. Üphlhalm. Ges. in Wien, Sitzung vom
13. April und 4. Mai 1904 (Bericht von El^cumioj. Zentralbl. I. piakt. Augeoheilk., ll»LU, Jnli.
Glaukom. — GHfierin.
241
w
p
— ScuüACTDioKL , Dlu kavefoüfte Sehne rvenentartuo^. v. ORÄrKs Arch. t. Ophthalm., 1904,
LIX, H. 2. — ScaiiiDT-RiMi'LKB, Palhologisch - anatomischer Beitrag zur Ent»tehunff der
Drucktfxkavation. Ebenda, 1904, LVIII, H. 3. — W, ZtuuKSLUAH»y Beitrag «nr Fathöffenese
und Therapie de» Glaukoms. Dkutsühmamms Ueitr. x. Augenbk. , 1903, 11. bS. — Fhöulicb.
rb«r die Trepanation der Sklera bei achmcrxhatter Glankomblindheit Klin. Monat^h. t
Augenhk., 1904, MaL r Reums.
Gonosan. Die ^Gnstigen Berichte Qber diese KoiubinatioD von
Sandelöl mit einem Extrakt aus Piper methysticum, am Fundort >Kaw&-
Rawa« genannt, haben sich durchaus bestätigt Alle Autoren rühmen Qber-
einstimniend die leichte Verträglichkeit, den guten Geschmack, das Fehlen
von Nierenreizung, die Beschränkung der Sekretion der infizierton Harn-
röhre, die schmerzlindernde Eigenschaft beim Urinieren und die Verminderang
der Reizerektionen und PollLitionen. Wohl selten hat ein neues Präparat
einen so ungeteilten Beifall gefunden ; ia es wird nicht nur an Stelle der
Halsamica empfohlen, sondern als alleinige Therapie, wo der Arzt nicht in
der Lage ist, die Injektionen selbst auszuluhren. Sonst wird man natürlich
nach den ersten stürmischen Erscheinungen zu einer Lokalbehandlung über-
gehen. Immerhin treten auch bei bloßer Gonosanbehandlung Komplikationen
seltener auf. Die manchmal , wenn auch bei weitem seltener als nach an-
deren Balsamica auftretenden Magenerscheinungen achwinden nach 2 Tage
langem Aussetzen des Mittels und werden der Anwendung desselben kaum
schaden, besonders da man die Behandlung nach dieser 2eit mit den alten
Dosen ruhig fortsetzen kann. Man gibt viermal täglich |e 2 Kapseln zu
03^; nach der Mahlzeit genommen, reizt es den Magen in keiner Weise.
Literatur : LoBHäTciN, Einige Erlahraagen über Qonosan. AJlg. med. Zentralst«.,
1903, Kr. 33. — Bkkmiäobovkii, Tber die Wirkung von Oonosan bei Gonorrhöe und Cyatiti«.
Berliner klin. Wochenschr., 1903, Nr. 28- — KCsel, Cber daa iiene Balaamicnm >Gonoflan«.
"Wiener med. Presse, 1903, Nr. 35. — Ludwig Spitkib, Znr IV'handlang dtr Gonorrhöe mit
Qonosan. Allg. Wiener med. Ztg., 1903, Nr. 28. — Bosa, Zur GonosanFrage. Ebenda, 1903,
Nr. 32. — F. KoiKrti.D, Cber den therapeutischen Wert des Gonosan. Die Thernpio der
Gegenwart, August 1904, pag. 383. — Fa. Beriko, Über einige neuere Heilmittel. Die The-
rapie d. Gegenwart, Juli 1904, pag. 314. — Eun8t Kumok. Erfahrungen mit GonoBan. Htlncbe-
ner med. Wochenschr. , 1905, Nr. ö, pHg. 215. — O-MwizflACH, NachprUIung der therapeu-
tischeo Wirkungen des Gonosan. MUnohener med. Woehvn&ohr., 1905, Nr 5^ piig. 216.
Griseiin. Griserln stellt ein durch Alkalizusatz löslich gemachtes
Loretin dar, dies letztere Ist die Jodoxychinulinsulfosäure, ein der Vergessen-
heit anheimgefallenes ArzneimitteL Als inneres Desinfiziens empfahl KCsteh *)
das Griaerin sehr warm gegen Schwindsucht, Krebs, Diphtherie., Lungen-
entzündung, Gelenkrheumatismus, Diabetes, Struma, Hautkrankheiten, Sy-
philis , Fußgeschwüre , Mittelohreiterungen , Mastdarmfisteln , Eierstockent-
zündungen sowie die meisten Infektionskrankheiten. Da die Möglichkeit, ein
inneres Desinfiziens zu besitzen, grolies Aufsehen erregte , ist das Griserin
von den verschiedensten Seiten nachgeprüft worden. Sowohl die Labora-
toriumsversuche wie die klinischen Untersuchungen haben ergeben, dat5 dem
Griserin im Tierkorper keinerlei bakterientStender Einfluß zukommt. Die
Berichte sind so flbereinstimmond negativ, daß dem Griserin das Urteil ge-
sprochen ist.
Literatur: Koxb. RCstkb, Über eine erfolgreiche BcbaDCtliaDg der Schwinduncht und
anderer schwerer Infektionskrankheiten tlnrch ein innerL^a Dt'sinfektionsmittel. Berliner klin.
Wocbenschr., 1904, Nr. 43. — PrrauscuKY, Kann durch ^G^iHe^in^ eine »innere Desinfektion«
bewirkt werden V Berliner klin. Woohenschr., 1904, Nr. dU, pag. 1296. — Maiikl n. NAauiNr,
Therapeutischer Wert des ^Griserin« bei expurimentelter Infektion mit pathogenen l^aziUen.
Berlin(?T klin. Wochenschr., IflOfi, Nr. 20. — FBiKüBKitüEEi nnd OrriMaBK, Versncho über die
desinFizierende Wirkung dea >Grl»erin<. Berliner klin. Wocbenflchr. , 1905, Nr. 7 u. 8. —
ZRBiini, Griaerin. Apoth. Ztg., 1904, Nr. 92. — Rirraa, Griserin als Heilmittel gegen Tuberkulose.
Berliner klin. Wochenachr, 1904, Nr. 22. — Deiukk, t)ber das angeblicbe »innere Desinfektion«-
mittelt Griserin. MUnchener med. Wocbenschr., 1905, Nr, 3, pag. 1 13. — BsChl, Über Er-
fahrungen mit Griserin bei der Beliandlting der cbroniechen Luiigentuberknlose. Münchener
Ettcjdop. jBhrbQcbnr. N. P, IV. iXlU.) \^
242 Griserin. — Gudeiin.
med. WocheuBohr., 190ö, Nr. 8, pag. 357. — Scuohbdbo, Beitrag zam therapeutischen Wert
des Griserin. Berliner klin. Wochensehr., 1905, Nr. 1, pag. 14, JS. Frey.
Grnber-^Fldalsclie Probe, s. Abdominaltyphus, pag. 8.
Guc^acol. Hecht ^) wandte auf Orund von Empfehlangen des Qua-
iakols als EinreibuDg bei fieberhaften Prozessen , in welchen F&llen es die
Temperatur rasch herabsetzt and nach Verklingen der Wirkung wieder
schnell, oft höher als zuvor ansteigen l&ßt, nicht das Gaaiakol selbst, wohl
aber eine lOVo^S^ Ünajakol-Salizylsalbe an. Besonders bei pleuritisohen Ex-
sudaten sah er darauf eine schnelle Aufsaugung des Exsudates, auch in der
Kinderpraxis. Neuerdings empfiehlt er wegen der beobachteten Hautreizungen,
in deren Gefolge eine Abhebung der Epidermis und damit eine Herabsetzung
der Resorptionsfäbigkeit der Haut eintritt, »SalocreoU, den Salizylsftureester
des Kreosots. Dies ist eine dlige, neutrale Flüssigkeit von brauner Farbe,
die frei von Reizwirkungen sein soll.
Literatur: *) Hecht, Zar endennatischen Anwendang des Gnajakols. HOnchener med.
Wochenschr., 1905, Nr. 9, pag. 415. £. jPVejr.
Gaderin, s. Eisenpräparate, pag. 193.
H.
Hä-matin-Albumlu. Das von Finsbx dargfeatellte Eisenpräparat
wird nach den UnlersuchunjEren von JAcouAEts und Orcm ^) gut resorbiert
und selbst von einem schwachen Magien vorzflg-lich vertragen. Es ist dauer-
haft und besitzt keinen unanf^^enehmen Qerych oder Qescbmack.
Literatur: \> Jacobuus und Oaeim, über Hnmatin-Albnniin. ZeitHchr. f. di&tet. und
phys. Therap., VIII, H. 6. E. Frty,
Hämorrhas^lsclier Typbus^ s. Abdominaltyphus, pag:. 4.
Bt^morrhoiTslcl. Hämorrholaid ist der Extrakt einer Cucurbitaceen
aas derselben Familie wie Cucumas colocynthis. Fa kommt in Tabletten zu
0*43 Extractum Pantjasona mit Saccharum in den Handel. Ohne ein Ab-
fflhrmittel zu sein, wirkt es auf die Beschwerden bei Uämorrboiden günstig'
ein, wie Weissmann in 4 Fällen konstatierte.
Literatur: R F. O. Weisbhamh, Über mit BUmorrboYsid erzielte Erfolge. Medizinische
Klinik, 1906, Nr. 12, pag. 284. E. rrey
Haferkuren. Den bedeutsamsten, ja richtiger den einzigen be-
deutsamen Fortschritt In der Therapie des Diabetes in den letzten Jahren
stellt die von v. Nooriven inaugurierte Haferkur dar. Es ist schon früher
bekannt gewesen und von den Kurpfuschern hie und da mit Glück ange-
wendet worden, daß entgegen der allgemeinen Regel in manchen Fällen von
Diabetes, in denen die Glykosurie selbst einer strengen Diät nicht weichen
will, die Zulage von Kohlehydraten nach einer vorübergehenden Steige-
rung der Glykosurie zu einer bedeutend gebesserten Toleranz für
Kohlehydrate führt, die dann lange Zeit hindurch anhalten kann. Es braucht
wohl nicht betont zu werden, daß diese Fälle eine ganz seltene Ausnahme
bilden und daß wir bisher kein Kriterium haben, um vorher zu entscheiden,
ob diese paradoxe Kur von Erfolg begleitet sein wird oder nicht.
Eine ähnliche paradoxe Erscheinung liegt der Beobachtung zugrunde,
daß in einer Reihe von schweren Diabetesfällen ein bestimmter und altein
zur Anwendung kommender KohlehydratkÖrper. wie z. B. das Hafermehl
oder Kartoffelmehl, der Zucker der Milch, Lävulose etc., selbst in großen
Mengen angewandt, ein Herabgehen der Glykosurie zur Folge haben.
V. NooRDEX hat zuerst in einer Mitteilung auf der Naturforscherversamm-
lang 1902 auf die überragende Bedeutung hingewiesen, welche in dieser
Beziehung dem Hafermehl zukommt. Die Vorschriften, welche er für die
Anwendung der Haferuiehtkur gegeben hat sind unverändert von einer Reihe
von Nachuntersuchern befolgt und von den meisten innerhalb der von
V. NooRDP.x selbst gesteckten Grenzen für zutreffend befunden worden.
244
Haferkurt^n,
V. NooRDEX äußerte sich dahin, daß Diabetiker, die bei völlig strenger
Diät nicht oder nur vorGberg-ehend zuckerfrei waren, manchmal Überraschend
schnell von der Olykosurie befreit werden, wenn man ihnen nichts anderes
gibt als große Mengen Hafermehl, daneben Butter und einfache Eiweiß-
körper; aber keine anderen Kohlehydrate und kein Fleisch. Gleichzeitig mit
der Zuckerausscheidung sinkt die Ausscheidung des Azetons und des
Ammoniaks. Diese einseitige Kost wirkt in der besagten Weise bereits nach
8^ — ^HtHgiger Anwendung; bei der Rückkehr zu der gewöhnlichen Diabetes-
diät muß man alsdann sehr vorsichtig verfahren, weil sonst die Azeton-
korper zu beunruhigender Höhe ansteigen können, v. Noorden' gibt dem
Patienten täglich ca. 200^ Hafermehl, und zwar bevorzugt er das Kxorr-
sche Hafermehl oder die HoHKXLOiiEschen Haferflocken , ferner 250 — 300^
Butter und lOü^ Roborat oder ein anderes vegetabilisches Eiweiß. Es ist
nicht nötig, sich bezüglich der quantitativen Verhältnisse genau an diese
Vorschrift zu halten, vielmehr kann man zweckmäßig die Menge der ein-
zelnen Restandteile nach dem KalorienhedGrfnia des Patienten wählen, da-
von ausgehend, daß 100^ Roborat S40 Kaiorten, 200^ Butter 1628 Kalo-
rien und 250^ Hafermehl 670 Kalorien^ zusammen also 2628 Kalorien dar-
steilen, eine Kalorienmenge, die, wie Mohr berechnet hat, etwa fOr einen
60kg schweren Diabetiker, der leichte Arbeit verrichtet, notwendig wäre,
Mohr setzt dabei voraus, daß das Kalorienbedurfnis dieses Diabetikers
60X40=2400 Kalorien beträgt, daß der Kranke bei kohlehydratfreier
Kost etwa 60^ Zucker mit einem Brennwerte von 60 X 4 = 240 Kalorien
verliert und daß beabsichtigt ist, das Körpergewicht des Kranken während
der Haferkur zu erhöhen.
Bezüglich der Zubereitungsweise der Kost empfiehlt v. Noorden, daß
30 — 10^ Hafermehl jedesmal längere Zeit mit Wasser und etwas Salz ge-
kocht werden» während des Kochens wird Butter und das vegetabilische
Eiweiß hinzugegeben; derartige Mahlzeiten werden dem Kranken alle 2 bis
3 Stunden vorgesetzt.
Was die Erfolge dieser Haferkuren betrifft so teilt v. Nooruen selbst
bereits in seiner ersten eingehenden Mitteilung Fälle mit, in denen das Re-
sultat ein ganz ausgezeichnetes war. Seine erste Beobachtung sei als Bei-
spiel hierfQr kurz mitgeteilt. Es handelt sich um einen Ißjährigen iungen
Mann, der nach IStägiger Beobachtung unter strengster Diät täglich bis
50^ Zucker ausschied (abgesehen von den Qemüsetagen) , daneben täglich
1'5 — 2^ Azeton und 17^ — ^g Ammoniak. 3 Tage, nachdem die Haferkur
begonnen hatte , war bereits die Azetonausscheidung minimal geworden,
während die Zuckermenge täglich sank, um nach S Tagen aus dem Urin
gänzlich zu verschwinden. Nur vorübergehend , bei allmählicher Rückkehr
zur gewöhnlichen Kost tritt 20 — 30 Tage später wieder etwas Zucker im
Harn auf. Am 31. Tage nach Beginn der Haferkur wird die alte strenge
Diät vollkommen vertragen und allmählich auch noch dazu mäßige Kohle-
hydratzulagen.
Dieser zuckerfreie Zustand hielt unter der gleichen Kost ein halbes
Jahr lang, bis zum Tage der Veröffentlichung aa Patient hatte während
der Kur 4 kg an Gewicht zugenommen.
Andere Fälle sind nicht so günstig verlaufen, ea fehlte die nachhaltige
und wesentliche Steigerung der Toleranz für Zucker; die Zuckerfreiheit hielt
nur BD lange an, wie die Halerkur dauerte. Mit der Glykosurie schwand
gleichzeitig die Acidosis. In wieder anderen Fällen kam es gar nicht zur
Zuckerfreiheit, aber die Ausscheidung der Azotonkörper wurde sehr günstig
beeinflußt; oder aber es war in den Harnausscheidungen Überhaupt kein
Einfluß zu bemerken, nur daßdasAUgemeinbefinden gebessert, die Zunahme der
Kräfte, Hebung des Appetits und Steigerung des Körpergewichtes erzielt
Haferkuren. — Harnsäuretitration.
S46
wurde; endlich beobachtete v. Noorden eine Reihe von Fftllen, in denen
jeder Kinflub fehlte, und die Zuckermeng^e im Harn entsprechend der der
Nahrung hinzugefugten Kohiehydratmenge stieg. Eigentümlicherweise ist
dieser negative Krfolg oder selbst geradezu eine Verschlechterung des
Diabetes in allen Fällen von sog. leichten oder mittelschweren Diabetes,
die ohne Diaceturie verlaufen, zu konstatieren.
Wie schon erwähnt, sind diese Resultate von einer Reihe von Nach-
ontersuchern (Siec.ei, aus der EwALiischen Klinik, Langstein aus der Heub-
NRiischen Klinik, Hinschpbld, Mohk u. a.) bestätigt worden. Sie haben alle
Ober günstige Erfolge, die sie mit dieser Haferkur erzielt haben, zu be-
richten, wenn sie auch andrerseits, ebenso wie v. Nookdb.v, Mißerfolge ge-
sehen haben. Über vorwiegend erfolglose Kuren berichtet Lipetz aus der
NAt'XYNschen Klinik. Für die Fälle jedoch, in welchen auch unter seiner
Kontrolle die Zuckerausscbeidung zurückging, nimmt er nicht eine bessere
KoblebydratausnOtKung an; er gibt dafflr vielmehr die Erklärung, daß in-
folge vermehrter Gärungsprozesse im Darm weniger Kohlehydrate zur Re-
sorption gelangt seien. Kr begründet diese Annahme damit, dal^ er während
der Hafermehlporiode im Stuhl eine beträchtlich größere Bakterienraenge
gefunden habe als vorher. Aus diesem Grunde verwirft Lipetz die Hafer-
mehlkur als praktisch wertlos. Dagegen hat sich jedoch von verschiedenen
Seiten bereits Widerspruch erhoben. Abgesehen von den naheliegenden Ein-
wänden, wie z. B. daß so erhebliche Gärungen, wie sie die Vergärung von
200^ Hafermehl zur Folge haben müßte, wohl kaum ohne subjektive and
objektive Darmstörungen, von denen jedoch nirgends berichtet wird, ver-
laufen könnten, sprechen noch positive Gründe gegen die Auffassung von
^K Lipetz. Es sind dies die von einer Reihe von Nachuntersuchern beobachtete
Gewichtszunahme bei der Haferkur, ebenso wie das Geringerwerden der
Acidose während derselben, beides Momente, die auf eine Resorption und
Assimilation der Kohlehydrate hlnw^eisen.
Aus dem Mitgeteilten ist bereits ersichtlich, daß es vorläufig noch
sehr schwer oder geradezu unmöglich ist, eine scharfe Indikation für die
Haferkuren aufzustellen. Man wird sie in allen den Fällen probieren , in
denen hochgradige Glykosurie selbst strengster Diät nicht weichen will und
vor allem dann, wenn mit der Glykosurie eine gefahrdrohende Acidosis
verbunden ist Als Hauptgegenindtkation hat sich bisher unüberwindlicher
Widerwille gegen die in der Tat mehr als reizlose Diät geltend gemacht.
Eine Erklärung für die Wirksamkeit der Haferkar ist vorläufig noch
nicht gegeben. Die Beobachtungen von Ascole und Bonfanti werden aber
möglicherweise das Verständnis dafür anbahnen; denn diese Forscher haben
es wahrscheinlich gemacht, daß im Organismus spezifische Fermente für die
einzelnen Kohlehydratarten vorhanden sind.
Literatur; T. Noordi:n, Berliner klin. Wochenscbr, 1903, Nr. 36. — Hohh, Med.
Klinik, UX)5, Nr. 16. - Lipktz. Zeitachr. f. klin. Med., 56. — Sieokl, Berliner klin. Wochen-
Bchrift, 1&04. O. Zuvher.
HamsdaretllraUon. Folev hat die HopKixsche Methode der
Harnsäuretitratian ein wenig modifiziert. Das Prinzip beruht darauf, daü die
Harnsäure als Ammoniumurat gefällt, die Fällung durch Schwefelsäure
gelöst und die Lösung mit */,5-NormalpermanganatIÖBung titriert wird.
■ Erfordernisse: 1. Chlorammonium, 2. lü^/^ige Ammoniumsulfatlösung,
3. konzentrierte Kalilauge, 4. */o(,-Norma]permanganatIösung: 16^ Kalium
hypermanganjcum in 1 Liter getdst.
Ausführung: IbOcm^ Urin werden in einem Becherglas auf 40 — 45"
erwärmt und darin Wg Chlorammonium aufgelöst. Der entstandene Nieder-
schlag von Ammoniumurat wird nach 1 — l*/y Stunden abfiltriert, das Filter
'mit der 10% igen Ammonsulfatlosung bis zur Chlorfreiheit gewaschen. Der
246
UarnsäuretitratioD.
Niederschlag: wird mit 100 cm' Wasser von dem aof eine Glasplatte aas*
gebreiteten Filter quantitativ in ein Becher^^las gespült and durch Zusatz
von Ihcm^ konzentrierter Schwefelsäure gelöst. Die Titration maß sofort
erfolgen, als Endreaktion ist das Auftreten der ersten leichtün, bleibenden
Rotfärbung zu betrachten. Icin^ der i/üo'Nomiallösung entspricht 000375^
Harnsäure (Zeitscbr. f. physiol. Chemie, 29).
Methode der AUoxurkörperbeatimmung inklusive Harn-
säure nach D^iNitiKS. Die im Original schwer zugängliche Beschreibung
der Methode ist von Sahli in seinem Lehrbuch, 4. Auflage, aufgenommen.
S.ufLi empfiehlt die Titrationsmethode auf Grund eigener Untersuchungen
in seiner Klinik. Wir reproduzieren hier wörtlich seine Beschreibung: Die
Methode beruht darauf, daß die Alloxurk5rper durch eine ammoniakaüsche
Losung von salpetersaurem Silber, Chtorammontum und Chlormagnesium
quantitativ gefällt werden, und daß andrerseits in einer amnioniakalischen
Losung von Cyankalium und Jodkalium durch saipeteraaures Silber erst
dann ein bleibender Niederschlag von Jodsilber entsteht, wenn alles Cyan-
kalium in Kaliumsilbercyanid verwandelt ist. Die Methode gibt die Menge
der Alloiurkörper inklusive Harnsäure.
Man braucht zur Ausführung folgende Losungen :
1. Eine halbdezlnormnle ammoniakalische sogenannte Sllbermagnesia-
15sung. Man bringt in einen Meßkolben von einem Liter 150^ reines Chlor-
ammonium^ 100^ reines ChlormagneBium und füllt zu V« niit Ammoniak
auf. Nun erhitzt man leicht im Wasserbad, indem man umachüttelt, bis
Lösung eintritt. Dann füllt man bis zur Menge eines Liters mit Ammoniak
auf, schüttelt nochmals und filtriert. Nach dem Erkalten mischt man
bOOcjji^ einer Dezinormallnsung (vgl. 4) von salpetersaurem Silber.
2. Eine Dezinormallösung von Cyankalium. Man lost 10^ Cyankalium
in ungefähr einem Liter destillierten Wassers, setzt lOcw^ Ammoniak zu
und filtriert. Diese Lt^sung ist zu konzentriert. Man stellt sie ein mittelst
einer Dezinormalsilberloaung (vgl. 4), so daß lOcin^ der letzteren genau
20 ('/]7^ der Cyankaliumlösung entsprechen, da zwei Moleküle Cyankalium
auf ein Molekül Silber reagieren (Bildung von Kaliumsilbercyanid KAgCN.).
Um die Cyankaliumlösung einzustellen, bringt man 20 vm^ davon in ein
Becherglas, setzt 100 tm^ Wasser, 10 cm* Ammoniak und einige Tropfen
Jodkaliumlösung (vgl. 3) zu, dann läßt man von der Dezinormalsilberlösung
(vgl. 4) unter Cmachütteln zufließen bis zur Bildung einer leichten, aber
persistierenden Trübung. Wenn wir annehmen, daß hierzu 10 X ncm- Silber-
löBung gebraucht wurden, bo muß man, um die Cyankaliumlösuug einzu-
stellen, dieser letzteren noch Wasser im Verhältnisse von 2nc/n^ auf je
20cxn'^ zusetzen. Die so eingestellte Cyankaliumlösung wird zu gleichen
Volumina auf die Halbdezinormalsilberlösung reagieren.
3. Eine Jodkaliumlösung, die man herstellt, indem man 200 Jod-
kalium in 100 C//JÜ deatilliertem Wasser löst und "Zcm^ Ammoniak zusetzt.
4. Eine DeztnormalsilberlöBung. Man löst 17^ Silbemitrat (rein und
trocken) in Wasser und füllt auf einen Liter auf.
Mit diesen Lösungen verfährt man zur Bestimmung der Alloxurkörper
des Harns folgendermaßen. Zu 100 c/n' Urin werden 25 cm* der ammonia-
kalischen HalbdezinormalailbermagnesialÖsung hinzugefügt. Man schüttelt um
und filtriert von dem entstehenden Niederschlag, welcher aus den Silber-
verbindungen der Alloxurkörper besteht, ab. lOOtrj^j^ des Filtrates, welche
einer Mischung von 80 c/«^ Urin mit 20 cm^ Silberlöeung entsprechen, werden
mit 20cm^ Cyankaliumlösung versetzt. Dieses Volumen Cyankaliumlösung
würde exakt auf die 20 rm^ Silberlösung reagieren, wenn nicht ein Teil des
Silbers durch die Alloxurkörper in Beschlag genommen und durch die
Filtration entfernt worden wäre. Da die Silbermenge also geringer ist, so
HarnsfturetUration. — Uefeprftparatei
24'
h
bleibt in der Mischung^ ein Überschuß von Cyankallum. Dieser wird bestimmt,
indem man als Indikator der Mischung einige Tropfen Jodkaliumlösung zu-
setzt und dann aus einer graduierten Bürette von der DezinornialsilberlÖsung
bis zur Bildung einer bleibenden Trübung zusetzt. Die so zugesetzte Menge
Silberlösung entspricht genau der Silbernienge, welche durch die Alloxur-
körper inklusive HarnsÜnre in Beschlag genommen wurde. Da unter den
Alloxurkörpern die Harnsäure bei weitem überwiegt, so kann man das
Resultat in folgender Weise auf Harnsäure berechnen:
Jedem Kubikzentimeter der Dezinormalsilberlüsung entsprechen 01)1 C8^
Harnsäure. Die SOcm^ Urin enthalten also, wenn man ncm^ SilberlösuDg
gebraucht hat, n X 0*0168 and 1 Liter Urin enthält somit
00168 XnX 1000
— — 0'21 X n Alloxurkörper als Harnsäure berechnet. zueUer.
Hedonal (s.Encyclop.Jahrb., N.F., Jahrg.iU, pag. 180) wird von Kraw-
KOFF ') benutzt zur Einleitung der Chloroformnarkose. Er gibt dem
Kranken eine Stunde vor der Operation 3 U^ Hedonal in Oblaten. Der
Patient verfällt dann »gewöhnlich- in einen tiefen Schlaf, in dem er, ohne
geweckt zu werden, mit Chloroform narkotisiert wird. Die Narkose tritt
dann äußerst schnell ein, in der Regel schon nach 1 — 3 Minuten. Unan-
genehme Nebenwirkungen werden dabei nicht beobachtet. Indessen scheint
doch die Narkose (nach Ansicht des Heferonten) nicht immer so nach
Wunsch einzutreten. Ffir viele Menschen wird eben die Hedonaldosis von
30^ nicht ausreichen, um mit Sicherhett einen genügend tiefen Schlaf zu
bewirken.
Die Hedonal-Chloroformnarkose wird auch von Podhorf.tzki *)
gelobt, der sogar mit 2 U^j- Hedonal bei Frauen auskam.
Über einen Fall von Hedonalvergittang berichtet Lederer.') Bei
einem 25iährigen Manne trat nach Einnahme von 8^ Hedonal wiederholtes
Erbrechen schleimiger Massen, hochgradiges Schwtndelgefdhl. Schlafsucht
und klopfender Kopfschmerz auf. Eine Stunde später bestand Cyanose, Puls
100^ Taumeln beim üohen und Stehen. Es trat dann einige Male Schüttel-
lrost ein und Magenschmerzen, DurstgefQhl und Speichelllub Dann erholte
sich der Patient allmählich. Am folgenden Tage starke Diurese: 5150cin'.
Der Harn enthielt Spuren von F)iweiß and war sehr kochsalzreich.
Literatur: *) N. P. Kbawkotf, Ra»»ki Wratsüb, 1903, Nr. 4B; rel. Therapie d. Gegen-
wart, Febraar 1905, pag. 85. — *) E. D. FoDnosvTZKi, Deotsche med. Wochensebr. , 1901,
Nr. 50, pag. 1840. — '/O. LcoeaBB, Wiener klin.-therap. Wocbenachr. , 1904, Nr. 16.
Kionk».
Hefepräparate» (S. Enc^^clop. Jahrb., N. F., Jahrg. 11 1, pag. 181.)
Über die bisher aus Hefe hergestellten Präparate Ist im vorigen Jahrgang
ausfi^hrlich berichtet worden. Auch in diesem Jahre wurden eine Anzahl
von Mitteilungen über die therapeutische Verwendung dloaer Präparate ver-
öffentlicht So hat BouNiNA 1) in mehreren fieberhaften Fällen Bierhefe inner-
lich verwandt. In zwei Fällen von Erysipel hat diese Therapie nicht nur
einen raschen Temperaturabfall bewirkt, soudero auch denLokalbelund gQnstig
beeinflußt. Auch bei Pneumonie und einigen anderen Krankheiten wirkte
die Bierhefe antipyretisch.
Das Levurettn wurde von Hedrich -) aasfOhrtich untersucht und
therapeutisch verwandt. Danach enthält dieses Präparat ßtweiükörper,
Kohlehydrate, Fette und pbosphorsaure Salze, ist also als ein komplettes
Nahrungsmittel anzusehen. Namentlich wichtig ist die Anwesenheit von
Nukleinsäuren, von denen zirka 01.^^ im Kaffeelöffel enthalten sind^ da
diese Säuren ebenso wie die Hefezellen die Toxizität der verschiedenen
pathogenen Bakterien zu vernichten imstande sind. Indiziert ist demnach
248
Hefepräparate. — HcIniitöL
das Levuretin einmal als Nährmittel, sodann in allen den Fällen, in denen
Oberhaupt die Hefepräparate — innerlich oder äulierlich — angewandt
tverden. Näheres darüber ist schon Im vorigen Jahrg^anß: dieser Jahrbücher
mitgeteilt. Man gibt das Levuretin zu H — 0 KaffeelÖÜeln täglich.
Ein anderes Hefepräparat, Lovurinose, wurde von v. Kirchbacer *)
bei Furunkulose und Follikulitis verwandt. Er kommt nach seinen Er-
fahrungen zu folgenden Schlüssen:
»1. Die interne Behandlung mit Hefepräparaten bei Akne, Furunkulose
und Follikulitis zeitigt bei einer Infektion von innen sehr gute Erfolge :
'2, bei einer Infektion von außen verspricht die interne Behandlung
nicht viel. Hier tritt die externe Behandlung mit Hefeseife in ihre Hechte,
am besten mit äalizylschwefelhefeseife;
3. eine kombinierte Behandlung ist nur da indiziert, wo man sich
Über die Ätiologie des Falles nicht klar tat oder falls bei einer Infektion
von außen Infektionsatoffe au! dem Wege der lymphatischen Resorption
bereits in die Blutbahn gelangt sind.«
Die von v. Kirchbauer erwähnten Hefeselten sind von Drkuw*) her-
gestellt und eingeführt worden. Er ließ überfettete Hefeseifen mit medika-
mentöäen Zusätzen: Salizylsäure^ Schwefel Ichthyol, Borax und Benzol an-
fertigen, um so zur äußeren Applikation eine ökonomische und angenehme
Form zu schaffen. Die Hauptindikationen sind nach Dreuw Akne des Ge-
sichtes, des Halses und des Rückens. Fernor empfiehlt er namentlich die
Anwendung der Salizylschwefelhefeseife bei Follikulitfden und bei Furunku-
lose. Wenn man nur ganz schwach einwirken will, so soll man gründlich
einseifen und danach gleich wieder abspülen. LälU man die Seife ein-
trocknen, so ist die Wirkung kräftiger und am stärksten ist sie, wenn man
die Hautstelle nach Auftragen der Seife mit wasserdichtem Stoffe bedeckt.
Ein neues Hefepräparat ist das Hefeextrakt >Wuk«. Dasselbe bewirkt
nach Lai^uel'R ^) eine bedeutende Vermehrung der Harnsäureausscheidung,
entsprechend seinem hohen Gehatte an Xanthinbasen. Ebenso wie nach Ligbigs
Fleischextrakt hält diese Vermehrung der Ausscheidung auch noch nach
Aussetzen des Mittels einen Tag lang an. In großen Dosen (22^) ruft »Wuk«
eine nicht unbeträchtliche dluretische Wirkung hervor. Das Präparat wird
also ähnlich wie Fleischextrakt Verwendung finden, namentlich bei Kranken,
hei denen die bekannten Indikationen fOr eine Hefetherapie gegeben sind.
Wegen seines reichen Gehaltes an Harnaaurebildnern, wird man es bei
Patienten mit harnsaurer Diathese und auch bei Gichtikern als kontra-
indiziert betrachten müssen.
Literatur: ')S. Bobnima, Spitalul, 1904. Nr. 7; ruf. in Deut.scbe med. Woohcnsohr.,
1904, Nr. 20, pag. 746. — '; K. Brosich, Deutachi) Ärztezeitung, 1904, Nr. 3. — 'lA.v.KiacM-
iiAU£u, Deatscbe med. Wochenaobr., 19UÖ, Nr. 18, pag.714. — ^^Dbkuw. Ebendort, 1904,
Nr. 27, pag, 991. — ') A. Lauukub, Zeitschr !. diätet. u. pbysik. Therapie, VII. Beft 6.
K/oaka.
Heldelbeerdekokl empfiehlt Winternitz \) und Heixrich') gegen
chronische Diarrhöe, gegen Leucojilakia huccalts, Pdoriasis linguae, Schnupfen,
Oonorrböe, auch bei chronischem Ekzem. Gegen Enteritis membranacea gibt
man hohe Eingießungen des Dekokts.
Literatur: ') W. Wimtsrmitz , Nochmals mein Bellniittel aaa der KQcbe. Blätter
I. kÜD. Bydrothcr., Nr. 1. — *) M. Bkixkicb, Behfiadiang von DarmkraDkhoiten mit BeidM-
beordekokt. Ebenda. E. ^rej*.
Helmitol. Durch Einwirkung von Methylenzitronensäure auf Uro-
tropin entsteht ein Körper, »Hetmitol« genannt, der etwas größere Wasser-
löslichkeit besitzt als Urotropin. Pharmakologisch ist zu bemerken, daß die
Abspaltung von Formaldehyd , durch wetchcd diese Stoffe im Harn anti-
septiach wirken, beim Helmitol gerade im alkalischen Urin vor sich gebt,
Helmitol. — Hi^rzarhythmie.
249
¥
I
r
während Urotropin bei dieser Reaktion nur Spuren Formaldehyd frei werden
läßt. Aullerdeni dauert die desinfizierende Wirkung: beim Helnutol länger
als beim Urotropin. Man gfibt es in Dosen von 1 g dreimal tät^Iich in Wasser.
Bei längerer Darreichung kann Eiweiß im Urin auftreten, was auf Nieren-
reizung beruht. Übereinstimmend wird berichtet, daß es bei Cystitis non
gonorrhoica gute Dienste leistet, den Urin rasch sauer macht, ebenso bei
Bakleriurie und Pboephaturie, dagegen gegen gonorrhoische Prozesse wenig
leiste. Kinzeine Autoren ziehen es dem Urotropin nicht vor (Nicoi.aikr,
Jacobaeis).
Literatur: Lewitt, Hplmitol. Dt^utHchi^ med. Wochennrltr. , 1904, Nr. 29, pa^. U)66.
— lupBNii, Monatah. (. lIrologl*j, 1903, VIII, H- 6. — Nicolaikh, Urotropin und methylen-
fiitronensaures Urotropin (Hulniitol. Neuurotropin). DcntachcB Arch. [. kün. Med. , LXXXI,
H- 1 n. ä. — Jacobaki'b, Klinische Versuche mit einigen neueren Arzneien. Therap. MonatB-
hefte, Dezember 1904, pa^i- 023. — Fa BKatera, Über einige neuere Heilmittel. EHe Therapie
der Gegenwart, Juli 11)04, pag. 314. £. Vrty.
Herz nnd Puls des Säuglings, pag. lOSff.
IIerxarliytliill.le» Normalerweise zeigt das menschliche Herz einen
gleichmäßigen Rhythmus seiner Schlagfolge und eine gleichmäßige Stärke
seiner Kontrakttonen. Unter pathologischen Verhältnissen können beide
Störungen erleiden, und zwar sowohl einzeln, d. h. unabhängig voneinander,
als auch — und dies ist in der Regel der Fall — gemetnschaftlicli. Man
pflegt sich Über den Rhythmus, die Frequenz und die Stärke des Herz-
schlages durch Betasten des Pulses zu unterrichten. Diese Methode der
Untersuchung gibt zwar im allgemeinen richtige Resultate, denn der Arterien-
puls ist in erster Linie von der Herzaktion abhängig; sie kann jedoch auch
zu Irrtflmem Veranlassung gehen, da es eine nicht ganz seltene Erscheinung
ist, daG bei rudimentären Systolen des Ventrikels die PulswelLe nicht die
Radialarterie erreicht oder zum mindesten daselbst bereits so abgeschwächt
auftritt, daß sie weder mit dein Finger zu palpieren noch mit dem Sphygmo-
grapben aufzuzeichnen ist. Auch bezüglich der Zeitfolge der Herzkontraktionen
kann der Arterienpnls den Untersucher täuschen, da* wie Hkring nachge-
wiesen hat, ungleich starke Herzkontraktionen eine ungleiche Fortpflanzungs-
geschwindigkeit der Pulswelle in den Arterien bewirken. Da aber die
graphische Aufzeichnung des Arterienpulses vor der Aufzeichnung des Herz-
schlages den Vorzug großer Einfachheit hat, ist der Arzt im allgemeinen
darauf angewiesen, aus dorn Falsbitd RünkschtflssE^ auf die Herzaktion zu
machen : im Zweifelsfallc genügt fOr gewöhnlich — um eventuell gröbere
Differenzen zwischen beiden festzustellen oder auszuschließen — der Ver-
gleich durch gleichzeitige Auskultation des Herzens und Palpation des Pulses.
Im Gegensatz zu dem normalen Pulsus regularis et aequalis steht nach
der gebräuchlichen Nomenklatur der PuIsuh irregularia, der Pulsus Inaequalis
oder der Pulsus irregnlaris et inaequalis. Ist die Unregelmäßigkeit so groß,
daß kein Puls mehr dem vorhergehenden gleicht, so spricht man von »Delirium
cordis«. Ferner unterscheidet man Pulse, welche zwar vom normalen ab-
weichen, in ihrer Unregelmäßigkeit jedoch eine gewisse Rogolraäßigkeit er-
kennen lassen: Allorhythmie des Pulses. Fällt nach einer Anzahl regel-
mäßiger Pulse ein Pult« auN, so spricht man von Pulsus deliciens, wenn
gleichzeitig auch ein Herzschlag ausfällt, von Pulsus intermittens, wenn
nur die Hlutwelto nicht bis zur Peripherie gelangt. Beim Pulsus alternans
folgt stets auf eine große eine kleine Pulswelle ; beim Pulsus higeniinus und
trigeminus erscheinen 2 resp. 3 Pulswellen aneinander gekuppelt; sie sind
von der näclistfolgeDden Pulsgruppe durch eine längere als die normale Pause
getrennt
Diese Einteilung der Pulse ist eine rein äußerliche; Über das Wesen
der den einzelnen Pulsbildern zugrunde liegenden Herzsturungen ist mit
250
HerzarhythmJe.
den genannten Bezeichnungen nichts aaagesagt. Mit dem Studium aber ge-
rade dieser StÖrnngen , der Ursachen der einzelnen Herzarhythmien ist in
den letzten Jahren energisch bej!;onnen worden ; besondere Wkntkkbach,
Mackenzik und H. E. HEuixti haben in dieser Beziehung Grundlegendes ge-
schaffen. Da sie zeigen konnten, daJ5 völlig verschiedene aufs Herz wirkende
Ursachen äußerlich ähnliche Putsbilder hervorrufen können, ist das Verlangen
Wenckebacks. die alte schemati^che Einteilung fallen zu lassen und sie
durch eine mehr kauaale Bezeichnung zu ersetzen, durchaus gerechtfertigt.
Die häufigste Form der Arhythmie , welche gewöhnlich als Pulsus
intermittens bezeichnet wird, basiert nach Wenckebaih auf Extrasystolen.
Da durch die Extrasystole, wie gleich naher zu zeigen ist, der eigentliche
Rhythmus des Herzens nicht dauernd geändert, sondern nur vorQbergehend
Fi«, a.
sc. »3 9
JP ts
Sebentfttifehe Zeiobonnff drT ExtrwjrHtokan (oEoh Wenckebach). (A nonoal« Kootraktloukon'« i
in li — f ist bei «, b aiw. df>r Efftkt dor B«ixitnfi fchamatisch darffattellt.)
gestört wird, bezeichnet Wenckbbach diese Form der Arhythmie als »Par-
arhythmie«.
Zum Verständnis des extrasystolischen Pulses ist ein kurzes Eingehen
auf die Physiologie der Extrasystole unbedingt notwendig. Normalerweise
erfolgen die automatisch am venösen Ostium des Herzens entstehenden Heize
in rhythmischer Folge; diese Heize werden durch den Herzmuskel bis zum
V^entrikel fortgeleitet und erzeugen die rhythmische Kontraktion des Herzens.
Während der Dauer der Systole, genauer von kurz vor ihrem Anfang bis kurz
nach ihrer Beendigung (von^> — f', Fig- 2A) ist der Herzmuskel gegen künstliche,
z. B. elektrische sogenannte Extrareize unerregbar, während in der folgen-
den Diastole, und zwar in zunehmendem Mai^e von a — d die Erregbarkeit
des Herzmaskeis wächst. Bei a wird also der Herzmuskel wieder erregbar
Herzarhythmie.
251
ft
für starke , bei h für schwächere, bei c fOr noch schwächere elektrisch»
Reize, während bei <l die normale Anspruchsfähig'keit fast völlig wiederge-
kehrt ist. Trifft dementsprechend, um zur Pathologie zurflckznkehren, ein
genflgend starker abnormer (Extra-) Reiz den Herzmuskel z. B. im Stadium a
der HerzrevolutioD, so tritt eine Extrasystole auf. Der nächstfolgende normale
(automatische) Reiz trifft aber nunmehr den Herzmuskel in dem, von der
Extrasystole bewirkten refraktären Stadium an, bleibt also wirkunprslos.
Erst der zweitfolgende normale Reiz findet den Herzmuskel wieder erregrbar
und bewirkt eine (normale) Systole. Ein normaler Herzschlag ist also aus-
gefallen, der folftende hat hingegen zu derselben Zeit eingesetzt^ zu der er
auch ohne die extrasystoHsche Störung eingesetzt hätte (Engei.manns Qeset«
von der Erhaltung der physiologtHchon Reizperiode). Die Pause zwischen der
Extrasystole und dem nächsten normalen Puls ist größer als eine normale
Pause, und zwar, wie die Betrachtung der schematischen Darstellung der
zu verschiedenen Zeiten einsetzenden Extrasystoten (Fig. 2 A — ^j ergibt, um
so viel größer, als die vorgehende Pause durch die verfrühte Systole verkürzt
Flg. 11.
Pallkarren mit ExlraByBtol(>ti (riftcb WKNCKEUACH.l. llei t Kxtrwjrstolei
UcrmkODirftktionen.
fruitane
ist; die beiden anormalen Pausen haben also zusammen die Länge zweier nor-
maler Pausen. Die verlängerte Pause wird als kompensatorische Pause bezeich-
net. Es ist aus der schematischen Zeichnung sowie aus den Sphygmogrammen
(Fig. 3) ersichtlich, welche Mannigfaltigkeit von Bildern möglich ist, je nach-
dem die Extrasystole früher (Fig. ZAu.B) oder später nach der normalen Systole
einsetzt. Erfolgt der Extrareiz z. B. sehr schnell nach der normalen Systole.
80 ist die Kontraktionsfähigkeit des Muskets noch gering, außerdem hat
sich wohl aach noch nicht genügend Blut wieder im Ventrikel angesammelt,
daher kommt es zu keinem, der Kontraktion entsprechenden Kadialpula
(frustane Herzkontraktion). Die zeitliche Messung des Sphygmogrammes er-
gibt jedoch, daß die Intermission die doppelte Länge der normalen Puls-
periode bat, daß der physiologische Rhythmus bestehen bleibt, daß es sich
also um eine Extrasystole gehandelt hat. Tritt umgekehrt, wie in Fig. 2 C^
die Extrasystole erst ganz kurz vor dem Zeitpunkt auf, in dem die nächste
normale Systole hätte einsetzen sollen, so erscheint der Puls nur wie ein
etwas verfrühter normaler; die genaue Zeitmessung kann wiederum allein
entscheiden, daß es sich um eine Extrasystole handelte. Zwischen diesen
Extremen liegen die als Bigemini bekannten und am leichtesten als Extra-
252
Herzarhythmie.
Systolen diagnostizierbaren Pulsbilder. Besonders zu bemerken ist noch, daß
die erste »postkompensatorische« Systole ^roMer Dnd ansg:iebi^er ansfäUt
als die f^ewöhnlichen Systolen, da sowohl der Herzmuskel während der
längeren kompensatorischen Pause mehr als sonst Gelegenheit gehabt hat,
seine Kontraktilität zu reg^enerieren, als steh auch mehr Btut im V^entrikel
während dieser verlänj^erten Diastole ansammeln konnte als gewohnlich.
Im physiologischen Experiment sowohl wie auch in der menschlichen
Pathologie kommen Fälle vor, in denen bei einer Extrasystole die kompen-
satorische Pause fehlt oder verkürzt ist. Da die Extrasystole aber beim
Menschen fast nur aus der kompensatorischen Pause zu erkennen ist, so
ergeben sich schon fOr die Beurteilung dieser relativ einfachen Falle große
Schwierigkeiten. Wenn nämlich, was besonders bei wenig freqaenter Herz-
tätigkeit leicht möglich ist, die Extrasystole in dem Zeitpunkt auftritt, daU ihre
refraktäre Phase schon vorüber ist, wenn der nächste physiologische Reiz den
V'entrikel trifft, so fällt naturgemäß keine normale Systole aus und eine kom-
peneatoriBche Pause hat keine Ursache aufzutreten (conf. Fig. 4). Femer
hat KxGELMAXN nachgewiesen, daß die kompensatorische Pause nar dann
vollständig ist, wenn der Extrareiz den Ventrikel trifft; sie ist hingegen
verkürzt, wenn er den Vorhof trifft und fehlt ganz, wenn eine Extrareizung
der Venenostien stattgefunden hat, Die Erklärung ist die, daß durch den
Extrareiz an den Venenostien das vorhandeno Reizmaterial fOr die nächste
Fig. i.
EmumtjttoU beim lanffFanirn Fall (aaeb WkMCKEBAi H|.
physiologische Reizung vernichtet wird: es muß sich daselbst erst wieder
bilden, wozu die gewöhnliche Zeitdauer notwendig ist. Es entsteht also
hierbei das Pulsbild einer verfrühten Systole. Dasselbe kann auch eintreten^
wenn der Extrareiz zwar den Vorhof trifft, aber durch rückläufige Kon-
traktion bis zu den Mündungen der Venae cavae gelangt; dann bewirkt
natürlich auch dieser V^orhofreiz Vernichtung des physiologischen Reiz-
matorials und die kompensatorische Pause fällt auch fort Wir haben aber
noch eine andere Untersuchungsmethode außer der Messung des Sphygmo-
gramms, um zu entscheiden, ob der Extrareiz den Ventrikel oder den Vor-
hof getroffen. Sie besteht in der gleichzeitigen Verzeichnung des Arterien*
und Venenpulses. Es ist in erster Reihe das Verdienst Jamrs Mackenzies.
gezeigt zu haben, daß man mittelst relativ einfacher Vorr]chtung;en am
Krankenhette den Venenputa aufnehmen kann und auf die große Bedeutung
derselben aufmerksam gemacht zu haben. Es ist ohne weiteres einleuchtend,
daß der Jugularvenenpuls, welcher direkt vom Vorhof beeinflußt wird —
wenigstens unter günstigen Umstanden — Aufschluß darüber gibt, ob die
Extrasystole auch den Vorhof zur Kontraktion gebracht hat oder nicht.
Hering, welcher diese Frage eingehend studierte, fand unter 14 Patienten
stets ventrikuläre Extrasystolen, 2mal daneben aurikulare, wie sie auch
bereits Mackenzif. und D. Gerhardt gefunden hatten.
Ganz eigenartig ist das Pulsbild, wenn mehrere Extrasystolen hinter
«inander die normalen Systolen unterbrachen. Auch hier kann nur der
Her/arhythaiie.
263
I
I
durch Ausmessen der Pulslän^en za erbring^ende Nachweis, daß der
normale Rhythmus nicht aufgrehoben wurde, die Diagnose der gehäuften
Extrasystolen sichern. Das Intervall von der letzten normalen Systole bia
zur postkompensatorischen Systole muß also ein gerades Mehrfaches der
Bormalen Pulsdauer ausmachen.
Eine nicht granz seltene Form der extrasystolischen Pulse bildet der Palsus
bi^eminus; er beruht darauf, d&Ü nach jeder normalen Systole eine Extra-
systole auftritt (Fiff. 5). Wexcrhbach nimmt an, daJi rtwa 95" ,» aller Bi^eminien
auf Extrasystolen beruhen. Ein durchaus ähnliches Bild kommt aber auch
aus anderen Ursachen zur Erscheinung; die genaue zeitliche Messung er-
gibt dann jedoch stets das Fehlen der kompensatorischen Pause. Hierher
gehört das >cor blgeminum«. wie es Wk.sckkbach bezeichnet hat. Es fehlt
dabei nicht nur die kompensatorische Pause^ sondern die zweite Systole
folgt unmittelbar und in einem zeitlich genau gleichbleibenden Abstand der
«rsten; beim Auskultieren hat man direkt die Empfindung eines doppelten
Herzschlages. Die Erklärung dieser Verdoppelung zweier Herzkontraktionen
fst vorlAuftg noch nicht gegeben. Eine der Erklärungsm^glichkeiten ist
folgende: bei der ersten, normalen Kontraktion kommt es ilurch Ertliche
Hemmung der Roizleitung nicht zur Kontraktion sämtlicher Herzmuskel-
tasem, und von dem noch intakten Teil aus wird die zweite Systole aus-
|MMHH|MH|
FtU«iu biffanlBM dnnli SxtrufitoUa (a«eb WOMTSAClJ}.
gelSst. Ob es außer dieser Bigemie des Herzens eine wirkliche Hemisystolie,
d. h. eine abwechselnde Kontraktion beider Kammern oder einen Wechsel
zwischen der Qesamtkontraktion des Herzens und der Systole des rechten
Ventrikels gibt, bleibt eine offene Frage.
Das Pulsbild des Pulsus bigeminus^ also '2 Palaschläge, welche schnell
aufeinander folgen und von einer längeren Pause gefolgt worden, kann
aber auch noch auf andere Weise zustande kommen, nämlich durch St5rung
in der Heizleitung. Es handelt sich hier um regelmäUijjre Intermittenzen ;
da bei diesen Störungen ein gewisser Hhythmus in der Arhythmie gewahrt
bleibt, benennt sie Wknckedach »Allorhy thmien«.
Zum näheren Verständnis sind einige physiologische Betrachtungen
Dnerlfißlich. Als bekannt vorausgesetzt werden die Grundlagen der myogenen
Herztheorie, aus denen hervorgeht^ dali die regelmfiliige Herztätigkeit aus
dem Zusammenwirken von den 4 Hauptfunktionen dos Herzmuskels resultiert;
Ton der automatischen Keizerzeugung. von der Heizbarkeit, von dem Ver-
mögen, den Bewegungsroiz von Muskelzelle zu Muskelzelle weiterzuleiten
and von der Kontraktüität des Muskels (conf. 2. Jahrgang der Jahrbücher,
Herzbewegung). Es ist ohne weiteres klar, dal^, wenn eine dieser Haupt-
funktionen gestört ist, eine typische Störung in der Resultante der
Qbrigen F'^unktionen zutage treten wird. Am leichtesten im Experiment nach-
weisbar ist dies bei dem Ausfall der Funktion bei Reizleitung. Als ge-
eignetstes Unt«rsQchungsoblekt hat sich hierfür das absterbende Frosch-
I
25t ^HBV^ Herzarb ythmfe. ^M
herz bewährt. Die Größe des VermögeDs, den Bewegungrsreiz von Muskelzelle
za Musketzelle weiter zu leiten, kurz als Leitungsvermögen (.\) bezeichnet,
läßt sich durch den zeitlichen Intervall messen, welcher zwischen der Atrium-
systole und der Ventrikelsystole besteht Es ist nämlich klar, daß, wenn
der Bewegnngsreiz vom venösen Oatium ausgehend sich über das Atrium
und den Ventrikel bis zur Herzspitze ausbreitet, eine gewisse Zelt ver-
streicht^ daß also nacheinander venöses üstium^ Atrium und Ventrikel sich
kontrahieren; am l'her^ang nun von der einen Herzabteilung zur anderen,
und am deutlichsten am Übergang vom Atrium zum Ventrikel ist die Leitung
4tm trägsten. Ferner ist zu berücksichtigen, daß A wie auch die anderen Herz-
funktionen von der Phase der Herzrevolution abhängig ist. In der refraktären
Phase, also kurz ausgedrückt während der Systole, ist der Herzmuskel
ebensowenig leitungsfähig als er, wie wir bereits oben sahen, fflr Extrareize
empfänglich ist. Mit anderen Worten, durch jede Systole wird V vernichtet,
das sich während der Diastole allmählich wiodcr aufbaut. Wird nun durch
irgendwelche Ursachen, wie z. ß. durch Asphyxie^ Vagusreizung, durch
Digitalis oder sonst irgendwie das A verschlechtert, so wird naturgemäß
das Intervall Atriumsystole bis Ventrikelsystole ein größeres. Dieses Inter-
vall kann so groß werden, daß die Ventrikelsystole erst kurz vor der nächstr
folgenden Atriumsystole einsetzt, so daß scheinbar, wie dies bei Vagus*
reizungen öfters beobachtet wurde, ein umgekehrter Rbythmus in der Herz-
kontraktion, Ventrikel-Atrium, auftritt. Bei noch schlechterem Leitnngsver-
mögon kann das Intervall unendlich werden, d. h. der Reiz wird nicht fort-
^eleitet. Dadurch fällt eine Herzkontraktion aus. und in dieser Zeit hat
der Muskel Gelegenheit, sich zu erholen und neues besseres Leitungs-
vermögen zu erwerben. Hier muß noch die von Engelmann gefundene
experimeutelle Tatsache vermerkt werden, daß eigentümlicherweise der nach
einer solchen Pause wieder wirksame erste Kontraktionsreiz das A in
stärkerem Maße schädigt als die nächsten. Unter gewissen Umständen ver-
läuft also bei geschädigtem \ die Schla^folge des Ventrikels so, daß von
«iner normalen Systole angefangen, die erste Diastole relativ groß ausfällt,
dann folgen einzelne Diastolen, kürzer als die letztgenannte aber länger als
-eine normale Diastole. Die Diastolen werden nun z. B. 3 oder 4 an der Zahl
immer länger, bis eine Kontraktion ausfällt Dann beginnt eine solche Gruppe
von neuem. Man spricht in diesen Fällen von LuciAMscben Perioden. In
Zahlen ausgedrückt würden sich die Ventrikelkontraktionen etwa so folgen,
wenn die Reizfolge am venösen Ostium — 2U ist: 23, 21, 21, :i5 ; 23, 21
usw. usw.., immer in der nämlichen Qruppenbildung. Normalerweise müßten
die Ventrikelkontraktionen, gleichgültig wie groß das \ wäre, sich ebenso
schnell folgen wie die Reize am Rntstehungsort, dem venösen Ostium.
Ändert sich nun aber A, das normalerweise, also nach der Pause z. B. 6
beträgt und wird 8, so kommt die erste postnormale Ventrikelkontraktion
(im obigen Beispiel) nach 20 -]- 3 Zeiteinheiten zustande, die nächste Leitungs-
verzögerung ist geringer, sie steigt um 1 = 9; die Ventrikeldiastole dauert also
'21 Zeiteinheiten etc. Fällt eine Kontraktion ganz aus, nachdem die Grenze, wo
der Reiz noch genügend fortgeleitet wurde 10 betrug, so muß die Diastole, da
inzwischen A wieder aul b zurückgegangen ist, 2 X 20 (normale Reizfolge)
— 5, also 35 betragen. Solche LuciANische Perioden sind nun, wie dies bei-
folgende Sphygmogramme von Wenckrhach beweisen (Fig. 6), in überraschend
übereinstimmender Weise auch beim Menschen festgestellt worden- Damit
ist diese Form der AUorhythmie als von Reizleitungsstörungen herrührend
gekennzeichnet. Dadurcb nun, daß die Intermisslonen seltener oder häufiger
auftreten, werden äußerst wechselvolle Pulsbilder geschaffen. Besonders
interessant ist die nicht nur theoretisch konstruierte, sondern am Menschen
i)6obachtete Tatsache, daß es Reizleltungsstörongen gibt, welche nach jeder
Herzarhythmie.
965
Systole eine Intermission hervorrufen ^ daß also eine richtige Bradykardie
vorgetfiascht wird, während tatsächlich die Schlagfolge am Entstohungsort
der Reize eine normale ist. Eine weitere Fraffe erhebt sich : wo finden die
ReizleitungsatSrungen statt, d. h. fallen nar Ventrikelkontraktiooen oder
auch Vorhofskontraktionen aus?
Die Frage ist durch die Betrachtung des Sphygmogramms allein nicht zu
entscheiden. Entweder muß gleichzeitig ein Kardiograum aufgenonuuen werden,
Indem eine eventuell auftretende Vorbof«zacke darüber orientieren würde,
ob das Atrium während der Ventrikelinterraission schlägt oder nicht Die
Auskultation kann in beschränktem Maße das Kardiogramm ersetzen, da
hei schlagendem Vorhof und sttUstehendem Ventrikel ein Vorkammerton
Piff. «.
AllorhjrUiniUchBr Fall b«i BeUIvUaBgvMOnuigen tra Hvnmvvk«! (nmnb WEKCKCftACU).
gehört werden kann. Den bedeutsamsten Aufschluß jedoch gibt die gleich-
seitige Registrierung des Venenpulsea. Es ist auch hier das Verdienst von
Macrenzib, wohl zuerst auf seine Bedeutung durch jahrelang fortgesetzte
Untersuchungen hingewiesen zu haben. Die zahlreichen kombinierten Puls-
kurven, welche er veröffentlicht hat, lassen keinen Zweifel bestehen, daß
es in der menschlichen Pathologie Fälle gibt, in denen beide Vorh5fe fort-
arbeiten, während beide Ventrikel zusammen ausfallen. Man bezeichnet diese
Fälle als kompletten Herzblock (Fig. 7). Der Beweis, daß es sich in einzelnen,
derartigen mitgeteilten Fällen wirklich um eine Hemmung der Reizleitung
Vlg. 7.
Hvrxblock, iibfo Cftrotia, Dntan TviKinkurvfl, in louivrer h»(l«ut«n Ji Vorbofiiwel)i«D und
0 CftrotUwaUao (oacfa HACKKXXre).
&n der Blockfasergrenze, d. h. an der Grenze zwischen Atrium und Ventrikel
handelt, und nicht, was auch möglich wäre, um eine Hemmung der Reiz-
barkeit der verbindenden Fasern, konnte durch den gleichzeitigen Nachweis
der Lt'CUMschen Perioden im Sphygmogramm erbracht werden.
Die Störung einer anderen Grundfunktion des Herzens, der Kon-
traktilität, führt gleichfalls, wie Wrnckebach nachgewiesen, zu einer AUo-
rhythmie. Und zwar wird der sogenannte Pulsus alternans durch diese Stö-
rung hervorgerufen: es ist dies bekanntlich ein Puls, in dem eine große
und eine kleine Pulswelle miteinander abwechseln. Es versteht sich von
selbst, daß die Diagnose Pulsus alternans erst dann gestellt werden kann,
wenn Extrasystolen, die leicht ein ähnliches Pulsbild hervorrufen können,
256
Herzarhythniiei
ausgeschlossen sind^ was fibrigcns nicht immer fi^anz leicht zu sein scheint
Die thcuretiache experimentelle Beg^rQndun^ Üe^ darin ^ daß es durrh fi^e-
wisse Schädj^'ungen deä HerzmuskeU (erhöhte Frequenz, Vagusreizung.
Antiarinvergittung etc.) gelingt, die KontraktilitSt so zu beeinflussen, daB
sieb große und kleine Kontraktionen abwechseln. Das plötzliche Auftreten
eines Herzalternans erklärt Wenckbbach folgendermaßen : Wenn durch irgend
eine Ursache eine Herzperiode auch nur ganz wenig länger ausfallt, so wird
die nücbstfolgende Kontraktion durch die etwas längere Ruhe des Herz-
muskels größer ausfallen. Diese größere Kontraktion aber wird, auch wenn
sofort wieder der normale Rhythmus eintritt, durch ihre längere Dauer von
einer etwas kürzeren Pause gefolgt werden. Die nächstfolgende Systole wird
dadurch aber kleiner sein ; diese kleinere aber wird durch ihre längere
Dauer wieder von einer längeren Pause gefolgt werden, die folgende Systole
ist also wieder größer; dieses Spiel kann sich nicht nur während längerer
Zeit wiederholen^ sondern es geht aus den Untersuchungen Hoffu.wns mit
Sicherheit hervor, daß dies auch wirklich der Fall ist. Hiermit stehen die
Befunde beim Pulsus alternans des Menschen in guter Übereinstimmang.
Es wurde nfimlich beobachtet, daß dabei der Herzton der kleinen Systole
verfrüht auftritt, daß die bei der Auskultation hörbare Pause nach der
großen Systole kürzer ist als nach der kleinen. Nach der obigen Erklärung
beginnen beide Systolen regelmäßige die kleine Systole ist jedoch eher be-
endet als die große, der 2. Herzten fällt aber ans Ende der Systole, ergo
muß er auskultatorisch verfrüht erscheinen. Die Tatsache , daß auch im
Spbygmogramm der Anfang der Systolen nicht nach genau rhythmischen Inter-
vallen stattfindet, sondern daß die kleine Systole häufig ein wenig verfrüht
beginnt, erklärt Wknckebach damit, daß die von der kleineren Systole er-
zeugte kleinere Welle sich schneller fortpflanzen kann wie die größere. Es
kommt Übrigens auch ein Alternans mit verspäteter kleiner Welle zur Beob-
achtung; in diesen Fällen besteht neben der Verminderung der Kontraktilität
auch eine solche des Leitungsveruiögens. Charakteristisch für den echten
Herzalternans ist ferner der Umstand, daß derselbe wocben- und monatelang
besteben bleiben kann, was mit dem Auftreten von Extrasystolen nicht
vereinbar ist, während es beim Alternans als eine Art Selbstregulierung be-
greiflich erscheint. Hering vertritt übrigens die Ansicht, daß bisher noch
kein unzweifelhafter Fall von echtem Herzalternans beim Menschen nach-
gewiesen sei. daß es sich vielmehr stets um Bigeminie gehandelt habe.
Der Pararhythmie und der Allorhythmie stellt Wenckebach die eigent-
liche Herzarhythmie gegenüber. Hier setzt die Störung am Orte der Reiz-
bildung ein ; die Reize erfolgen nicht mehr in rhythmischer Folge » son-
dern regellos. Der Nachweis, ob es sich um echte Herzarbythmie bandelt
oder nicht, ist nach den beutigen Kenntnissen nur per exclusionem zu
stellen ; ReizIeitungsstOrungen und Extrasystolen müssen erst ausgeschlossen
werden.
Die paroxysmale Tachykardie, die ja genau genommen keine Arhythmie
darstellt, sei hier nur kurz erwähnt. Im Sinne der modernen Auffassung
erklärt A. Hokmann den Anfall so, daß vielleicht Reize, welche noch häufiger
wie die normalen automatischen Reize und über ihnen entstehen, und die
für gewöhnlich nicht wirksam sind, hier infolge der gleichfalls gesteigerten
Leitungs vermögen, Reizbarkeit und Kontraktilität des Herzens wirksam
werden und eine Verdoppelung oder Verdreifachung des Herzschlages be-
wirken. D. Gerhariit hingegen nimmt an, daß ventrikuläre Extrasystolen
den Anfall bedingen. Die möglichen Ursachen der Bradykardie (Herzblock,
gestörtes Reizleitungsvermügen usw.) wurden bereits besprochen ; daß hier
der Venenpnis von entscheidender diagnostischer Bedeutung sein kann, sei
noch einmal hervorgehoben.
I
H«rzarhythaiie. — Heterophthalmus«
267
I
So interossante Einblirke die zielbewußte neuere Forschung au! dem
Boden der myogenen Theorie in die Art des Entstehens der einzelnen Formen
der Arhythmie gegeben hat — und hier ist nur das berücksichtig't, was
bisher weitgehende Anerkennung gefunden hat — , so dunkel sind im allge-
meinen die Ursachen geblieben, aus welchen die Arhythmien auftreten. Rier.Et
dHIckte es ganz allgemein so aus, daß Herzunregelmäßigkeiten dann auf-
treten, wenn ein Nfißverhültnis zwischen der Herzkraft und der zu leistenden
Arbelt besteht. Dies ist sicher auch heute noch fQr einen großen Teil der
F&lle zutreffend, sei es daß das Mißverhftltnis durch den geschwächten
Herzmuskel oder relativ zu groß gewordenen Widerstand (Klappenfehler,
Arteriosklerose, Rekonvaleszenz} bedingt wird. Es ist naheliegend, in der
zu starken Dehnung der Herzwand die Ursache fflr Extrasystolen zu er-
blicken« besonders bei Erkrankungen oder Überanstrengung der Vorbofs-
muskulatur (Mitralfehler usw.). Daß eine mangelhafte Blutversorgung des
Herzmuskels diesen zd Arhythmien veranlaßt, beweist die Häufigkeit der
letzteren bei Koronarsklerose. Andrerseits muß hervorgehoben werden, daß
selbst schwere Myokarditiden ohne Arhythmie verlaufen. Eine andere Kate-
gorie bilden die auf nervöser Basis beruhenden Arhythmien ; wie im Ex-
periment die Vagnsreizung weitgehende Störungen hervorrufen kann, so
auch wahrscheiulich beim Menschen. Ein Beweis dafflr ist die Möglichkeit,
solche Arhythmien durch Atropin zum Schwinden zu bringen (Dehio, Zitklzek).
Vielleicht wirken auch viele reflektorisch erzeugte Herzunregelmäßigkeiten
(Masturbation, psychische Erregung) durch die Bahn des N. vagas.
Daß endlich Gifte, wie Digitalis, Nikotin etc., Arhythmie erzengen
könnes, und zwar dnrch direkte Mnskelschädigung, ist durch das Experiment
nachgewiesen.
Literatur: Wbmckxbacii, Die Arhythmie als ÄoAdnick etc. Leipzig 1903, daa«lbst
Literatur bia 1903. — HxatNa, Prager med. WochenBchr., 1904 und Zeitacbr. I. eiperim. Pa-
thologie, L — HorMAiCK, Zeitsehr f. klin. Med., ö6, Lrf>infCLti Arcb. f. klin. Med., 72.
Q, ZatJMer.
Heterophtlialnins« Man bezeichnet mit diesem Namen eine von
Geburt an bestehende verschiedene Färbung der Augen, indem das eine
Auge eine bläuliche, helle, das andere eine braune, dunkle Iris besitzt. Im
allgemeinen wurde der Heterophthatrous fQr eine harmlose Abnormität ge-
halten, doch haben wiederholt Ophthalmologen darauf aufmerksam gemacht,
daß sich auf dem helleren Auge nicht selten frQhzeitig Katarakta ent-
wickelte, während das braune gesund blieb, sowie daß operative Eingriffe
von dem helleren Auge schlecht vertragen wurden (Hutchinson, Sym, M.\lgat).
Speziell Malgat, der im ganzen neun Fälle beobachtete, fand, daß bei acht
dereelben die helleren Augen früher oder später an Katarakt erkrankten.
Ihm schließt sich Weill mit sieben weiteren Fällen an : Von diesen hatten
drei sehr vorgeschrittene, einer beginnende Katarakt, aber sämtliche, was
besonders hervorzuheben ist, Zeichen einer uvealen Erkrankung, und zwar
beides stets am helleren blauen Auge. Bei 6 Kranken waren feine punkt-
förmige Beschläge der Descemet! vorhanden, bei einem Pigmentpünktchen
in Kreisform auf der vorderen Linsenkapsel; außerdem zweimal flottierende
Glaskorpertrübungen.
Da derartige Veränderungen bei Albinismus nicht vorkommen, kann es sich
nicht um einfachen angeborenen Pigmentmangel handeln, sondern um die Folgen
einer schleichenden Uveitis, deren Konsequenz dann die Katarakta Ist.
Wahrscheinlich sind Zirkulationsstörungen vorhanden, welche bereits
während dos Emhryonallebons, jedenfalls aber vor Abschluß der bleibenden
Pigmentierung der Iris eingesetzt haben, dann vielleicht viele Jahre still-
stehen, um später wieder von neuem in Form von Katarakt und Irido-
kyklitis sich bemerkbar zu machen.
EaoT-clop. Jatirbacher. N. V. TV. (Xm.) 17
258
Heterophthalmus. ~~ Hiropunktion.
Interessant ist auch die Beobachtuni? von Abrlsdorff, daß Tiere (Hunde,
Katzen) mit weißem Fell und blauen Au^en oder mit ungleichfarbiger Iris
oder einseitigem Fehlen dea Tapetuma gewöhnlich taub sind. Es liegen Beob-
achtungen von Bli'Mrnbach, Bltfon. Darwin und Rawitz vor, die Abkls-
DORFF um drei weitere vermehrt. Rawitz fand, daß solchen Tieren das
CoKTiacbe Organ fehlt und die Hörspbären in den Lubi temporales atro*
phiert sind.
Ut«ratur: Weill« über Heteropbthalmaa. Zeitacfar. f. Angenheilkande, 1904, XI,
Heft 2. — APELfiDOBFP, über Blauäat^igkeit und Heterophthalmus ht^i tauben, albinotischen
Tieren, v. Gbäfks Archiv f. Ophtb., r.K)4, LIX, Heft 2. v.ReuAa.
Hetol« Von mehreren Seiten wird das Hetol als das zurzeit beste
Mittel in der Bekämpfung der Lungentuberkulose Im Anfangsstadium be-
zeichnet. Nach einigen Wochen verschwinden Nachtschweißo, Husten, Mattig-
keit, Appetitlosigkeit Abmagerung. Während Brasch i), Schräge*), Weiss-
mann ^) die intravenöse Injektion bevorzugen, wendet Esch') die subkutane
Injektion an.
Literatur: ') G. BaAscH, Zar Hetoltherapie der Tuberkulose. Deutsehe med. Wochen-
Hchrilt, HXJ4, Nr. 0. — '> F. ScaBAOB, Zar Behandlung der Lamgentuberknlose nach Luiderbb.
MQncbeDer med. Wochenscbr., 1904, Kr,44. — ')Wbiböuahn, ÜberintravenüseHetolinjektioDen.
Therap. MonatJih., .lanuar 1905, pag. 55. — *) Esch, ebenda, August 1904, pag. 422; Fe-
bruar 1905, pag. 110. — Hbgob, Hetol bei Lungen tnberkolose. Laacet, Nr. 4234. zit. naob
Deutsche med. Wuchenschr., 1901, Nr. 45, pag. 1659. E. Fny.
Hetralin« Dieses Urotropinderivat stellt seiner chemischen Konsti-
tution nach Dioxybenzolbexaoiethylentetrainin vor. Es ist ein weißer kristaUini-
scher Körper, leicht in Wasser und Alkohol lOslIch und von sülilichem
Geschmack. Nach Qoldbbrg ') verdient ea dort als Hamantiseptikum An-
wendung, wo Urotropin im Stiche läßt. Ebenso war Ebstbin* *) mit den Er-
folgen mit Hetralin recht zufrieden. Man gibt ea in Tablettenform xa '/, g.
Literatur: *) Ooldbebq, Neuere Urinantiaeptika. Zuntralbl. T innere Med.^ Nr. 22. —
") Ludwig Ebstkin , Über Hetralin, eia neues intemeH Hamautldeptikum. Dentache med.
Wochenschr., 19Ü4. Nr. 35, pag. 1208. E. Frey.
Heuserani. Zur Serunibehandlung des Heatiebers liegt ein aus-
fflhriicher Bericht von Ä. LCBBiSKT*) aus dem DuNBAFtschen Institut in Ham-
burg vor. Die Eigenschaften des Giftes wurden durch Kammann ^) ermittelt.
Kr fand, daß das Heufiebergiit zu den Toxalbuminen gehört^ daß es hitze-
beständig ist. gegen Alkalien empfindlich, aber äliurebest&ndig ist; es wird
durch Pepsin und Trypaln nicht vollständig Äeratört, durch Ammonsnlfat
kann es durch Ganzsättigung ausgeaatzen werden. Das Serum wird von
geimpften Pferden erhalten und ist mit 0'25"/o Karbolsäure versetzt. Außer-
dem wird es durch Eindampfen in fester Form erhalten und mit Milchzucker
vermengt uufgeschnupft. Die subkutane Anwendung hat sich nicht bewährt.
Die lokale Behandlung wird nun in der Weise vorgenommen^ daß man mit
der Pipette einen Tropfen in den Koniunkttvalsack und in die Nasenlöcher
bringt resp. das pulverförmige Pollantin aufschnupft und mit dem Haar-
pinsel ins Auge stäubt. Besonders früh ist die prophylaktische Anwendung
ratsam. In richtiger Weise, unter Beachtung der gedruckten Vorschriften
angewandt, wurde von 505 Kranken bei 59'2o/^ ein positives Resultat, bei
28'3Vo ein teilweise positives^ bei 125% gar keines erzielt.
Literatur: ') A. LCbbkbt, Zur .Serumbehandlung des Henliebers. Therap. Mouatsh.,
Dezember 1904, paj(. 605. — '> Kamuann, Kenntniü des KojETgeDpülleaa and des darin eat-
haltenen HenfiebergifteH. Beitr. z. ehem. Physiol. u. Patfaol., V, pag. 346. B. Fny,
Hlrnpunktlon. Middkldorpf bat in den fünfziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts ein Verfahren angegeben , nach Inzision der Weich-
teile des Schädels diesen selbst mittelst Drillbohrers zu durchbohren, um dann
Uirnpunktioa.
259
eine Probepunktion auszufflhren. Später haben dann elnij^e Arzte vereinzelt
derartige Darchbohrungren des Schädels vorgenommen , doch war Schmidt
1893 der erste, der systematischer Weise eine diagnostische Hirnpunk'tion
bei Verdacht auf Hirnabszeü vornahm und im Anschluß an seinen negativ
verlaufenden Fall die Technik und Indikation der Punktion beschrieb. Dann
empfiehlt Kocher sen. in seinem Werk über Hiraerschütterung, Hirn-
druck usw. ein Verfahren, mittelst Drillbohrers die Kopfwelcbtetle und den
darunterliegenden Schädelknochen zu durchbohren, um durch die so ge-
bildete Öffnung mittelst einer PRAVAzacben Spritze den Inhalt von Zysten,
Blutergüssen, Abszessen und der Ventrikel zu aspirieren oder aber Injek-
tionen in die Himsubatanz auszufahren. Aber abgesehen von dem Schuiot-
sehen Fall sind tatsächlich H]rfahruns:en Aber wirklich ausgeführte Punk-
tionen oder Prubepunktionen am Lebenden von niemand mitgeteilt worden.
£rkst Nkisskh (Stettin) ist der erste, der Ober eine große Zahl von Probe-
panktionen berichtet. Kr hat dieselbe in zirka 36 Fällen etwa 136mal aus-
geführt; angeregt dazu wurde er, ebenso wie Schmidt, durch einen Fall von
Uirnabszeß, der unoperiert gestorben war, da er keinerlei ätiologische Anhalts-
punkte fQr einen Abszeß geboten hatte, vielmehr für eine Influenza Enze-
phalitis gehalten worden war.
Die Technik der Hirnpunktion nach Neisser ist eine sehr einfache.
Er benutzt zum Bohren nicht den DriLlbohrer, sondern die elektrische Bobr-
masohine , welche einen feinen Bohrer mit planparallelen Flächen {2^/^mm)
in möglichst schnelle Rotation versetzt, und zwar verwendet NßissER einen
Elektromotor mit der Umdrehungszahl von zirka 1200. Dieses Instrument
wird auf den glattrasierten Schädel an den vorher markierten Punkten in
voller Rotation aufgesetzt und durchbohrt spielend leicht in einem Akt
Weichteile und Knochen, ohne jede gröbere Erschütterung. Narkose, ja
sogar Lokalanästhesie ist unnötig, wenn nicht etwa ein starkes Pressen
eines benommenen Patienten eine solche wünschenswert macht Man spürt
deutlich, wenn der Bohrer die Tabula externa sowie die interna perforiert; in
demselben Augeablick wird der Bohrer zu augenbücklichem SttUatand ge-
bracht und in derselben Richtung, wie er eingeführt wurde, wieder zurück-
gezogen. Es folgt dann die Einführung einer Probepunktionsnadel ; dabei
kann es passieren, daß besonders an Stellen mit stärkerer Weichteildeckung.
z. B. am Hinterhaupt, die verschiedenen Schichten des Weichteilkanales sich
gegeneinander und gegen den Knochenkanal verschieben und so die Auf-
findung des letzteren erschweren. Schließlich jedoch gelingt die letztere
stets und Nbisskk ist der Ansicht, daß das direkte Aufsuchen des Bohr-
kanales noch immer einfacher ist, als alle mdgllchen von ihm versuchten
Methoden, wie z. B. Perlorierung des Bohrers« Anlegung einer Rinne an
demselben, die als Leitung für eine Nadel dienen könnte oder gleichzeitiges
Einführen einer über dem Bohrer laufenden Hülse usw.
Als Probeponktionsnadeln werden Nadeln von l niw Dicke und gut
7 cm Länge verwendet, welche alle mit Zenttmetereinteilung versehen sind,
damit jederzeit die Tiefe, in der sich das Ende befindet, abgelesen werden
kann.
Es ist nun aus naheliegenden Gründen durchaus nicht unbedenklich,
an jeder beliebigen Stelle des Qebirns einzugehen. Vielmehr ist es erforder-
lich, diejenigen Punkte der Schädeldecke zu kennen, an denen man die ver-
schiedenen Hirntappen am sichersten trifft, ferner solche, an denen, wie bei
otitiscben Abszessen des SchläEenlappens, gewisse pathologische Produkte
am sichersten zu treffen sind, endlich solche, an denen Blutungen der vor-
deren und hinteren Aste der Meningealarterien vorzukommen pflegen. Dabei
müssen natürlich Arterien, Venen und vor allem die Sinus vermieden
werden.
260
Himpunktion*
An der Hand der bekannten topographischen Hirnzeichnungen tst es
nicht schwierig, sich diese Punkte auf dem rasierten Schädel aufzuzeichnen.
Neisser hat in seiner ausführlichen Mitteilung in den Grenzgebieten diese
Punkte fOr die Punktion der einzelnen Qehirnlappen in zwei schematiscben
Zeichnungen fixiert. Nur um den Zentrallappen oder besser nach Kochbr
die Präzentralfurche zu bestimmen, ist die Anwendung eines Meßinstrumentes
erforderlich.
Neisskr fand bei den von ihm mit positivem Erfolg ausgefQhrten Ponk-
tionen folgende pathologische Produkte: altes Blut oder Hämatoidin bei intra-
kraniellen Blutungen, ZystenflSssigkeit in einem Fall von Meningealzyste,
Eiter bei eitriger Meningitis resp. einmal bei einem mit Meningitis zusammen-
hängenden Abszeß , serös-eitrige Flüssigkeit in zwei Fällen von Meningitis.
Zweimal wurde femer pathologisch verändertes Hirngewebe punktiert. In
dem einen Fall handelte es sich um nekrotisches Hirngewebe, das von zwei
Kleinhtrntuberkeln entstammte, aber intra vitara nicht richtig gedeutet
werden konnte, In dem anderen Falle am Tnmorgewebe, das einem Endo-
theliom angehörte.
Von weiteren, durch die Punktion entleerten Flüssigkeiten sind so
nennen eine leicht blutige Ödemflüssigkeit der Araohnoidea Pia; die gans
oberflächlich (sabarachnoidal) punktierte Flüssigkeit war klar, von intensiv
zitronengelber Farbe; sie gerann nicht und blieb auch nach langem Zentri-
fngieren gelb, das Sediment bestand aus Erythrozyten. Endlich wurde in
zwei Fällen, einmal sehr reichlich, einmal 20 cm^ Liquor cerebrospinalis
entleert.
In acht Fällen, die mehr oder weniger auf Himabszeß verdächtig
waren, verlief die Punktion negativ. Infolgedessen wurde jene Diagnose ver-
lassen und die Sektion resp. in drei Fällen der weitere Krankheitsverlauf
ergab, daß in der Tat eine eitrige Encephalitis nicht vorgelegen hatte. In
drei Fällen, die auf Hirntumor verdächtig gewesen waren, wurde einmal
Zysteninhalt, einmal Hydrocephalusflüssigkeit (s. o.) durch die Punktion ent-
leert, einmal verlief die Punktion negativ und ex juvantibus konnte die
Diagnose (auf Himlnes) gestellt werden.
In einer Reihe von Fällen endlich hatte die Punktion gar kein Er-
gebnis, weder nach der positiven noch nach der negativen Seite.
Überblicken wir die von Neissbr tabellarisch zusammengestellten
34 Fälle, 80 ergibt sich, daß 14mal nach der positiven Seite wichtige dia-
gnostische Ergebnisse durch die Punktion erzielt wurden ; neunmal waren
die Resultate nach der negativen Seite hin diagnostisch von Bedeutung.
Wesentlicher noch sind die therapeutischen Erfolge, die direkt und indirekt
durch die Himpunktion erreicht worden sind: achtmal Heilungen, einmal
Beasemng. Darunter waren Fälle, die ohne Punktion resp. Operation voll-
kommen hoffnungslos gewesen wären. Wir geben der großen Bedeutung
wegen diese 9 Fälle in der tabellarischen Ordnung und Anordnung wieder :
Es erscheint überflüssig, dieser Tabelle noch etwas mit bezug auf die
klinische Bedeutung der Hirnpunktion hinzuzufügen. Die Punktion wurde
138mal an 36 Patienten, d. h. an jedem Patienten im Durchschnitt zirka
viermal vorgenommen; |edoch war die Verteilung eine derartige, daß an
einzelnen Patienten bis 12 Punktionen ausgeführt worden sind.
Irgendwelche Infektion oder auch nur infektiöse Reizung der Meningen
oder Weichteile ist dabei niemals vorgekommen; eine Kontrolle in dieser
Beziehung war dadurch leicht vorzunehmen, weil naturgemäß unter den
punktierten, zum Teil hoffnungslosen Kranken relativ viele bald nach der
Punktion zur Sektion kamen. Vereinzelt trat eine leichte, schnell vorfi hergehende
Temperatursteigerung nach der Punktion auf; einmal wurde eine Fazialis-
koatraktuT danach beobachtet, welche aber bald wieder verschwand.
niropuoktion.
261
4. P«hl . .
11. Uok . .
13. Handt . .
17. AdermanD
PoAktion
ig. Bork .
23. Bahr .
28- Borg .
31. Witt .
Tumor des Stimhlnu
oder KleinhirnB.
Lnes cerehri ? Verdacht
aar HimabszeÜ.
JACKSovBche Epilepsie.
Früher : Lue« cerebri
oderParalynis incipieas.
Jetat : Zuuehmender
Birndrack (etwa in-
folge luetischen Menin*
^ealödema ?).
(V^L Fall U)
Jicisovacbe Epilepsie.
84. Werner
Verdacht au! tranma-
tincbe Blutung dor Him-
obei fläche.
Möglichkeit einerpachy-
meningitiflchen IMutung ;
eTentoetl auch Hirnab'
BBfß.
Erst : Lues cerebri.
SpUter; Tumor cerebri
(der rechten Hemi-
spbAre ?J.
Eitrige Meningitis: Ver-
dacht aaf otiÜBcben
UirnabBzeä.
ItiaKaodtt iiuch dar
Panktion
Zyste der hinteren
Sohädelgrnbe i b«w. nm-
schrieben« MeDingitis).
KHn AbsEeli. Hämor-
rhagisches Meningeal-
jidein.
Oroßes intrakranielles
Hämatom.
Große Blatang In der
hinteren Schädel grübe
(rermntlich infolge
Pacbymeningitia bae-
monbagicaj.
Apopicktlscher Herd.
Kleinett , extradnrales
Extravasat n. Contusio
cerebri.
Keine gritUere Blutung;
kleine Blutung der hin-
teren Schldelgmbe;
akuter Hydrocephalas
der Seitenventrikel.
Sarkom des recht**u
HimlappcuH (im Bereich
d**ö NKissERsehen oberen
Stimpunkteb) von nicht
bedeattiuder Flächen-
ansdehnuDg und zeutr.
zyst. und blutiger Er-
weichung.
Extradnraler Abszeß im
Bereich des linken
Schlälenlappooft ; kein
Hirnabszt'B.
[ilainioBe ftnf Grood der
S«kttnn oder Oporation
(Dnrch- Punktion
geheilt.)
Ex invantibns : Laos
cerebri rPunktlon leitet
die Heilung ein).
Intradnralea Hämatom
(durch sofortige Opera-
tion geheilt)-
(Geheilt durch
Punktion.)
Kleines Qüoma apoplec-
tionm (beginnende OH-
Umbildung) und lokales
PtaOdem (gebessert
durch Operation).
(PanktioD leitet die
Ueilang ein.)
Ex Invantibas : Lues
c«rebri (Punktion leitet
die Heilnug ein).
Entspricht der Diagnose
auf Grand äer Panktioo
ia allen Punkten! (Hei-
lung durch Operation.)
Extradnrsler Abszeß.
Durch Operation geheilt.
In einem Falle von Qüoma apoplecticum kam es während der Probe-
punktion des bich sehr sträubenden, halb benooimeDen Mannea zu einer
Blutung in das Qllom; die Punktion war aber an einer davon ziemlich ent-
fernten Stelle g:eraacht worden.
Neisser hebt mit Hecht hervor^ daß diesem Ereig^nia keine Bedeutung
fflr die Hirnpunktion ankommt. Ferner wurde in einem Fall von chronischer
Meninf^itis gleich nach der Funktion dos Auftreten von Geldzahl- und Kau-
bewegungen sowie Erbrechen, das aber schon vorher bestanden hatte, beob-
achtet. Zweimal endlich bei sehr starkem Hirndruck (Sarkom und schwere
Apoplexie) wurde, ähnlich wie auch manchmal uach Lumbalpunktion, der
Zustand des Kranken durch die Punktion Eehr verschlechtert.
Niemals aber sind Neisser arterielle oder Sinusblutungen begegnet,
die auch bei richtiger Wahl der PnnktionssteUen stets mit Sicherheit seiner
Meinung nach vermieden werden können. Uirnvenen sind wohl hie und da
angestochen worden . mit dem einzigen Effekt, daß kleine Blutextra vasate
entstanden; klinische Erscheinungen sind dadurch, abgesehen von den er-
wähnten Zwangsbewegungen, niemals hervorgerufen worden.
Literatur: Eiuibt Neisakr und Kcar PoLLiLcx, Die Hirnpunktion. Mitteilungen aus
den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie, Xlll, pag. 887. G.ZueJzer.
262 HomosexualitAt. ~ Hornhaut. 1
Homosexualität, s. Geschlechtstrieb, pag. 232ff. |
Hopogan. Durch freiwerdeoden Sauerstoff wirkt Hopo{r&n (Ma^-
nesiumperoxyd) g:eKen abnorme Gäraogren im Ma^en. ebenao Ektog-an finßer-
lieh antiseptisch durch Entwicklung von Sauerstoff.
Literatur: Fbrvskl, Hopogao uod Kktogaa. Lancet, Nr. 4219« zU. osch Deatsche
mtA, Wochen»chr., 1904. Nr. 30, pag. 1107. JS. Frey.
Hornbant. In zwei Arbeiten beschrifti^ sich zcr Neddbx mit den
Randgeschwüren der Hornhaut und ihrer Ätiologie. Man muß zwei
Hauptgn'QppBD unterscheiden, die sekundären. infoUe von akutem Katarrh,
von Blennorrhoe oder durch Zerfall von Phlyktänen entstandenen, und die
primären; von letzteren trennt zi'R Nkdiien die ScHMiDT-RiMPLERsche chro-
niache periphere Furcbenkeralilis ab und das nach PucHs auf uratischer
Diathese beruhende Randj^eschwQr. Es erübrigen die durch Infektion ent-
standenen, und zwar durch einen neuen von zur Neodkn gefundenen Ba-
zillus. Als Eigenschaften dieses werden angegeben: 09 f/. lange, 0 6 ^x dicke,
anbewegliche, häufig nach Diplobazillenart zu zweien liegende, aporen- und
kapsellose, leicht züchtbare Stäbchen, die nur aerob gedeihen, Gelatine
nicht verflüssigen , in Zuckernäh rbOden kein Gärungs vermögen besitzen,
Milch Koagulieren, kein Indol bitden und in Bouillon spärlich wachsen. Sie
färben sich leicht mit den gebräuchlichen Anilinfarblosungen; die GRAMsche
Methode nehmen sie nicht an. Ale das am häufigsten vorkommende typische
Bild des infektiösen Randgeschwflres ist das 1 — 2 /77m lange^ ovale, parallel
zum Limbns verlaufende obeHlächlJcb gelegene Ulcus zu betrachten; welches
nur in seiner nächsten Umgebuns: eine leicht diffuse Infiltration erkennen
läßt, während die übrigen Teile der Hornhaut normal bleiben. Zuweilen ent-
wickeln sich gleichzeitig oder etwas später gleichfalls In den Randpartien
mehrere kleine oberflächliche Infiltrate, welche nicht immer in Ulzeration
übergehen. In anderen Fällen jedoch vereinigen sie sich mit dem ursprüng-
lichen Ulcus zu einem sichelförmigen Randgeschwür, welches einen größeren
Teil der Homhautperipherie einnimmt, sich aber nur äußerst selten zu einem
ringsum geschlossenen Kreisgeschwür ausdehnt.
Die Affektton ist meist einseitig und kommt meist bei älteren Leoten
vor. ZUR Nkih>k\ hält das infektiöse RandgeschwOr für endemisch in der
Umgebung von Bonn; ob es tiuch anderswo vorkommt, läßt er unent-
schieden.
Die Prognose ist günstig, selbst in schweren Fällen mit Hypopyum
und Exsudalion im Kammerwasser tritt in etwa 5 Wochen Heilung ein;
kleinere Geschwüre heilen in 14 Tagen. Die Therapie besteht in der Appli-
kation feuchter Wärme , Einträufelungen von Atropin und Ausspülen mit
Hydrarg. oxycyanat. (1:1 500)-
Der Bacillus uiceris corneae kommt nicht ausschließlich bot dem be-
schriebenen Randgeschwür, sondern auch bei Ulcus serpens, Ulcus rodens
und Trachom vor.
Keratitis disciformis. v. Arlt hat diese ihm wohlbekannte Form
von Hornhautentzündung als Abscessus corneae aufgefaßt; ich glaube auch
heute noch, daß diese Auffassung die richtige war ; denn ich habe wieder-
holt gesehen^ daß ans ihr wirkliche Hornhautabszesse wurden, und daß,
wie V. Arlt es erklärte, nur die Dünnheit der vorhandenen Eiterschicht die
graue Farbe verschulde, daß es sich dabei um eitrigen Zorfall von Horn-
haotgewebe innerhalb normalen Gewebes, also -um einen Abszeß handle, daß
daher nie eine Restitutio ad integrum eintreten könne, wie la auch bei der
Keratitis disciformis unaufhellbare Trübungen zurückbleiben. Heutzutage
hat man den Namen Abscessus corneae aufgegeben und das Leiden mit dem
Hornhaut. — HydropSt experimenteller.
263
^
I
N
P
Ulcus corneae eerpens vereinigt, weil beide den Pneumokokkus zur g:eme!n-
schaftlichen Ursache haben, und hat den »Abscessos siccus« mit dem Namen
Keratitis disciformis beletrt. Es ist flbri^ens leicht möglich, daß nicht alle
Fälle der letzteren Erkrankunji: als Abszesse im Sinne v. Arlts aufzu-
fassen sind.
ScHiRMKH hat dieselbe Krankheitsform als Keratitis postvaccinolosa be-
schrieben und bat 7 Fälle beobachtet, in welchen Vaccinola des Lidrandes, einmal
auch der Conj. bulbi, zu konstatieren war. Er hat auch durch Impfvorsuche fest-
gfestellt^ datS diese Keratitis eine Infektion zunächst des Hornhautepithels^
dann auch des Parenchyms mit den Vaccineerre^em ist. Da er aber später
die Keratitis auch aus anderen Ursachen beobachtete, so Ißßt er den Namen
K. postvaccinolosa, als zu eng: gewählt, Jetzt (allen- Ich möchte hier an die
bekannte, von v. Ari.t betonte Tatsache erinnern, daU Variola eine der Ur-
sachen des Homhautabszesses ist.
Mit Bezugnahme auf eine in Schikmers Arbeit enthaltene diesbezüjc-
liche Bemerkung verwahrt sich Vossii's dagegen, daß die von ihm bereits
im Jahre 1885 aufgestellte Keratitis interstitialis centralis aanu-
laris mit der Keratitis disciformis zusammengeworfen werde. Es ist eine
meist bei Kindern unter 10 Jahren, aber auch bei älteren Personen auf-
tretende, nicht immer auf hereditär luetischer Basis sich entwickelnde Ke-
ratitis mit Ausbildung einer aus punktförmigen, in verschiedener Tiefe ge-
legenen Infiltraten sich zusammensetzendo ringförmige, im Zentrum der
Hornhaut befindliche Trübung, die sich konzentrisch verkleinert ohne Ulce-
rationsbildung und schließlich ohne Hinterlassung einer nennenswerten
Trübung der Kornea zu verschwinden pflegt. Es ist also eine parenchymatöse,
nicht eitrige Keratitis, während die K. disciformis zu den eitrigen Formen
gehört.
Literatur: zcbNVddxn, KliniH-lie und bakteriologtBche Unternnchungen Über die
Kand^eschwUre der Hornhaut, v. GiiÄkkb Arch.t. Ophtlmlm., 1S)02. LIV, 1. — Derselbe,
Das intektiÜBe RaudgeschwUr der Hornhaat. Ebenda, 190-1, LIX. 2. — ScmiEues, Über eine
eigentümliche Lidrandafft-ktion (Vuccinola de» LidrandcH). Ilt^idelbetifer KongreÜbericht, 1891,
— Derselbe. Die luiplerkranki]nf{t.'n dea Auge». Zwauglose A.bl]andl. a. d. Geb. d. Augüo-
beilk.. 1900, 111, 5. — Deraelliti', Ühe^ Keratitis disciformis uod Keratitis postvaccinolosa.
V. GrAfks Arch. I. Ophtbatra., 19U4, LIX, 1. — Vo^sira, Znr UegrUndung der Keratitis pa-
rencbjmatosa anoDlaris. Ebenda« 1905, LXl. t-. Reuss.
Hydrops^ experimenteller. Die Frage nach der l^ntstehun^
des nephritischen Hj'drops hat seit Comnheims Untersuchungen über diesen
Geftenetand dauernd die Experimentalpatholoeren beschäftigt. Die alte, von
BniGUT jfeg:ebene Krklfirunc daß durch den Eiweillverlust bei Nephritis
Hypalbuminose und Hydräraie und dadurch wiederum der leichtere Austritt
der wässerigen Restandteile des Blutea durch die Kapillarwände hindurch
zustande käme, war aus mehrfachen Gründen nicht haltbar; denn es ist in-
zwiHchen nachgewiesen worden, daß |B:nr kein Zusammenhang: zwischen Al-
buminurie und Ödemen zu bestehen braucht, daß in ilen akuten Fällen
(Scharlach) dem Auftreten der Ödeme ^&r keine Hydräiiiie vorausgeht, {laß
es ferner bei entsprechender eiweißreicher Ernährung gur nicht zu EiweiÜ-
verlusten des Organismus, also gar nicht zur Hypalbuminose zu komtnen
braucht u. a. m. Gkaingkii Stewart und Bartels haben diese Theorie durch
eine andere ersetzt, indem sie von der Reobachtuns: ausgingen, daß die
Ödeme bei Nephritikern jedesmal dann auftraten od^r zunahmen, wenn die
Harnmengo sank, während das Verschwinden der Ödeme von einer Harn-
flut gefolgt war. Sie sahen die Ursache der Ödeme also in der verminderten
WasseraosBcheidung. welche zu einem vermehrten Wassergehalt des Blutes,
zur hydrämischen Plethora führte. Diese Theorie schien eine experimentelle
Stütze in den Versuchen von Stefan Hale^^ und Magendie zu finden, welche
264
Hydrops, isxpcrimentoller.
durch Infusion von reinem Wasser hatten Hydrops erzeugen können. Hier-
gegen ist zu bemerken, daß reines Wasser ein Qift von schwer ermeßlichen
Folgen darstellt und gegen die klinischen Beobachtungen, daß es zu tage-,
)a selbst wochenlanger geringfügigster oder ganz fehlender Harnausscheidung
(Anurie) kommen kann, ohne daß Ödeme auftreten. Cohnheim , der seine
Versuche zusammen mit Lici{riii:iM ausFQhrte, ließ bei Kaninchen und Hun-
den große Mengen warmer physiologischer Kochsalzlösung infundieren —
bis zu 92*^/0 des Körpergewichtes — , ohne daß Anasarka auftrat. Ließen
die Forscher hingegen entzündliche Reize, wie Jodpinselungen oder Sonnen-
brand, auf die Haut einwirken, so trat am Orte der Applikation bei nach-
folgender Kochsalzinfusion Hautödem auf. Sie sahen deshalb In der ent-
zündlichen Veränderung der Gefäßwand das zweite Moment neben der
bydrämiachen Plethora, welches zur Erzeugung des Ödems notwendig ist.
Die Klinik bot ihnen im Odem der Scharlachnephritis , bei der die Haut-
gefSße durch die Scharlachdermatitls geschädigt sind, das klassische Para-
digma. Für die Erklärung der Ödeme bei Erkältungsnephritis nahm Cohn-
HEIM später an, daß die gleiche Schädlichkeit Haut und Nieren gleichzeitig
träfe, für dasjenige der chronischen parenchymatösen Nephritis sah er in
den retinierten Harn bestand teilen das die Gefaßendothelien schädigende Mo-
ment. Sf.natok hat diese Theorie ein wenig modifiziert. Er geht von der
Beobachtung aus, daß bei den verschiedenen Nephritisformen, bei denen
es zum Hydrops kommt, stets die Glomeruli in hervorragender Weise be-
fallen sind. Die bei der Nephritis wirksamen^ im Blute kreisenden Schäd-
lichkeiten, Toxine, Gifte usw., treffen nach ihm zuerst die Kapillaren der
Glomeruli, dann unabhängig davon die KörperkapiUaren ^ so daß sie fdr
Wasser dtirchläsaig werden. Als Folge der Glomeruluserkraukung aber
kommt es gleichzeitig zur Uetentlon harnfähiger Substanzen, welche ihrerseits
als zweites schädigendes Moment die KÖrperkapiltaren trifft und das Zu-
Btandekommen der Ödeme begünstigt.
Gegen die CoHNHKiMschen Versuche hat Gärtxbr experimentelle Un-
tersuchungen geltend gemacht, in denen es ihm gelang, bei langsamer
Kocbsalzinfuaiun an Hunden Odem zu erzeugen.
Magnus hingegen hat diese Versuche nicht bestätigen können. Es ge-
lang ihm vielmehr nur in Analogie der CouxHEiMschen Resultate dann ein
Anasarka zu erzeugen, wenn er die Hautgefäße durch besondere Maßnahmen
geschädigt hatte. Zu diesem Zwecke hat er einmal die KochsalzdurcbspO-
lung an toten Tieren vorgenommen und er berichtet, daß es ein geradezu
erstaunliches Bild ist, wie die enormen Ödeme der Haut der Subkutis ent-
stehoUf verglichen mit dem Ergebnis der Durchspülung eines lebenden Tieres,
dessen Bauch ebenfalls stark aufgetrieben ist, dessen Haut aber im allge-
meinen trocken bleibt. Des weiteren schädigte Magnus die Gefäße dadurch,
daß er die Tiere mit Arsen, Phosphor« Chloroform usw. vergiftete, nnd er
ahmte die Schädigung der Gefäße durch Vergiftung mit retinierten Stoff-
wecbselprodukten bei der Urämie dadurch nach, daß er den Tieren beide
Nieren exstirpierte ; der Tod tritt dann 50 — 60 Stunden später ein, und
Magnus führte die Kochsalzinfusion auf der mutmaßlichen Höhe der Ver-
giftung 4rl — 46 Stunden post operatlonem aus. In allen diesen Fällen von
geschädigtem Gefäßapparat — eine Schädigung, die z. B. beim Phosphor
mikroskopisch nachgewiesen ist - — traten regelmäßig Ödeme auf.
Gleichzeitig hat Albu analoge V^ersuche ausgeführt, in denen er aber
zu dem GAKTNEKschen Resultat gekommen ist. Wenigstens konnte er durch
einfache Kochsalzinfusion sowohl bei gesunden Tieren wie bei Tieren mit
krankgemachten oder herausgenommenen Nieren sowohl HautOdem wie
Hydrops der serösen Höhlen erzeugen. Einen prinzipiellen Unterschied zwi-
sehen dem Auftreten der Ödeme bei den nierenintakten wie bei den nieren-
Hydrops, experimenteller.
265
N
kranken Tieren bat Albu nicht finden können, wenn er auch ang:ibt, daß
das ödem am schnellsten und sichersten bei nierenkranken Tieren auftrat.
Den Unterschied zwischen seinen und den MAONUssciien Ergebnissen führt
er daraaf zurQck, daß Magnus q. a. das Rtnlaufstempo zu schnell gewählt
hatten. Albi: sieht also keinen Beweis dafür erbracht , daß fOr die Ent-
stehung der Ödeme entzOndliche Veränderungen der Haut* und Unterbaut-
gef&ße notwendig seien; das Hauptmoment bildet für ihn die vermehrte Durch-
lässigkeit der QefäiSwandungen, zu der Hydrämie und die Plethora nur die
Vorbedingungen schaffen. Dagegen sowie gegen die QAaTKKRschen Versuche
läßt sich aber einwenden, daß durch die sehr lange Infusionsdauer — die-
selbe betrug c^ 3 — 4 Stunden — die Gefäße eben so geschädigt wurden^
daß sie dadurch permeabler wurden.
Magnus selbst glaubt nicht, daß mit der Hydrämie und den Gefäß-
veränderungen alle Ursachen der nephritiscben Ödeme erschöpft seien.
Möglicherweise ist, worauf Barlüw und Landerkr zuerst hingewiesen haben,
ein ganz anderes Moment in der veränderten Gewebsspannang zu suchen.
Es ist möglich, daß in den Geweben, vielleicht durch den veränderten Ge-
websstoffwechsel aus hochmolekularen Verbindungen zahlreiche kleinere
Atomkomplexe entstehen und sich ansammeln, so daß das wasseranziehende
Vermögen dieser Gewebe steigt und Flüssigkeit aus den Gefäßen in die
Gewebe geht Hier eröffnet sich die Aussicht, ein neues, für das Verständ-
nis wesentliches Moment kennen zu lernen. Paul Friedrich Richter bat
durch eine Reihe neuer experimenteller Beobachtungen diese Bahn mit
Erfolg beschritten und zeigen können, daß der Retention fester Sub-
stanzen infolge von Insuffizienz der Nierentätigkeit eine große Bedeu-
tung für die auftretende Störung des Wasserhaushaltes im Organismus
zukommt.
Richter ist es gelungen, durch die Vergiftung mittelst Uran und
seiner Salze, besonders des Urannitrats, bei Kaninchen eine intensive toxi-
sche Nephritis hervorzurufen^ die ziemlich regelmäßig von wässerigen Er-
güssen in die serösen Höhlen . vor allem in die Bauchhöhle begleitet ist
Werden die Tiere bei gewöhnlicher Fütterung durch Injektion von V» bis
3/4 c/n* einer l^igen Urannitratlösung vergiftet, so kommt es zu einer
schweren Nephritis, die in wenigen Tagen unter Anurio zum Tode führt.
War die Fütterung wasserarm (Hafer), so ist der seröse Erguß gering, in
einem Versuch waren 9 cm^ In der Bauchhöhle, oder er fehlt vollständig. Bei
wasserreicher Fütterung mit RQben hingegen tritt in kurzer Zeit und regel-
mäßig ein Erguß in der Brust- und Bauchhöhle auf von zusammen zirka
20— 30c/n' Flüssigkeit Die Tiere sterben bei der f^ewählten Dosierung meist
nach 4 — 5 Tagen. Wurde den Tieren zu der gewöhnlichen Nahrung Wasser hin-
zugegeben, 80 ist diese Wasserzulage keineswegs gleichgültig, sondern
meistens imstande, die Menge des Aszites und der Flüssigkeitsansammlung
In den Plenren ganz erheblich zu steigern. Werden Chloride allein der
Nahrung zugefügt, so ist der Einfluß auf den gebildeten Hydrops nur ein
geringer. Die gefundenen Flussigkeitsmengen Obersteigen kaum diejenigen,
die durch die toxische Urannephrttls allein vorkommen. Dieser Befund ist
deshalb von großer Wichtigkeit, weil er gegen die WiDAL-STHAusssche Lehre
spricht, nach welcher bei Nephritis die Cblurretention das ursächliche Mo-
ment fQr die Entstehung der Ödeme bitdet. Die RicHTRRschen Kaninchen
schieden trotz der Kochsalz Kunahme in der gewöhnlichen Menge Harn
aus. Qanz anders aber war das Bild in dem Augenblicke, wo zu dem Koch-
salz 20 — 50c//3* Wasser zugelegt wurden. Die hydropische Flüssigkeitsan-
sammlung nahm alsdann ganz außerordentliche Dimensionen an, z. B. war
die Flüssigkeitsansammlung im Abdomen derartig hochgradig, daß die Or-
gane sämtlich verlagert schienen. Diese Versuche lehren also, daß die
Hydrops« experimentenen — Hypnotlsmug«
mangelhafte Fähigkeit der nephritischen Niere, Wasser anszuscheldeo, eiai
ganz erhebliche Rolle spielt
Ebenso wie das Kochsalz, und auch dies ist in Anbetracht der Lehre
von Strauss, die Spezifität des Chlors bei der Nephritis betreffend, von
besonderer Wichtigkeit, äußerte eine Reibe anderer Salze eine wasser*
anziehende Wirkung. Besonders war dies der Fall bei den Phosphaten^
Wurde gleichzeitig lg Mononatrinmphosphat nnd W^asser dem nranverglf-
teten Tiere* gereicht, so kam es ebenfalls zu massenhaften Flüssigkeits-
ansammlungen. Es sei daran erinnert, daß Mohr u. a. bei der chronischen
Nephritis Retentionen von Phosphaten bdobachtet haben, die von Koczi*
KOWSK! geleugnet wurden. Ohne Einfluß auf die -hydropisohen Ergflsse er^
wies sich die Zulage von Stickstoff.
Literatur ; Haqmob, Arch. t. experim. Path. n. Pharm., 42. — Bichtbs, SncATOB-FeBt-
schrift. — Sehatob, Nlerenkrankheiten (s. a. Artikel: Kochaalzaassoheidong). O. Za^Ixer.
Hypnotisinns^ s. Psychotherapie.
I, J.
^
N
Idittioform, Qoldschmidt empfiehlt eine kombinierte Darreichung'
von Ichthoform und Jodtinktur, wodurch im Darmkanal «Jodolortnalin ent*
steht, eine Verhindung^, die ähnlich dem Jodolorm beaunderii icii Statu» nas-
cendi stark antiseptische Kig^enscharten entfaltet.
Literatur: Goi.i>MHMir>T, Therüp. Marmtuli,, J^nnar TJOä E. ß'rey.
Jeqnlritol. Da die Anwendung des Jequiritola nicht ungefährlich
ist, muß die Jequiritolbehandtung nach Skepeloer stets eine klinische sein.
Es kann dabei zu Dakryozystitiä und HornhaatgeschwQren kommen. Des-
halb ist es kontraindiziert bei Erkrankungen der Tränenwege und geschwQ-
rigen Prozessen der Hornhaut. Kine intensive Ophthalmie gewährleistet einen
besseren Erfolg als schwächere Keaktionen.
Literatur: Seetbldkbt Jeqniritol. Monatsschr. f. Angfenbk., XLIII, I, H. 3.
E. Frey.
Intrasflanduläre £nts^Iftanf|^. Der Hegrilf der inneren Se-
kretion, so wie er heute aligemein aufgefaßt wird, ist zuerst von Brown-
SßQOARD eingefCIhrt worden. Ihm liegt die Annahme zugrunde, daß eine
Reihe von drüsigen Organen Stoffe direkt an das Blut oder die Lymphe
abgeben, welche die anderen Zellen des Organismus ia wichtiger Weise be-
einflussen (Altruismus, von Hanskmann) and deren Fehlen für den Qesamt-
organiBnins von der schwerwiegendsten Bedeutung ist. Derartige Drflsen
sind sog. ßlutgefäßdrflsen. welche durch auüerordentlich enge Beziehungen
der QefäiJe zu den Epithelien dieser Organe charakterisiert sind. Als Be>
weis für das Vorhandensein einer solchen tiuiereu Sekretion eines Organe»
galt der Umstand , daß das Fehlen oder die Herausnahme, desselben Stö-
rungen im Organismus hervorrief v welche durch Implantation (Bircher,
Schipp) oder innere Verabreichung des betreffenden Organs oder Organextraktes
wieder ausgeglichen wurden. Dieser Nachweis ist natürlich dort am ein-
fachsten und sichersten zu führen, wo die Herausnahme keine unbedingt
todlichen Folgen hat, wo also das Studium der allmählich zunehmenden
Ausfallserscheinungen in einem längeren Zeitraum beobachtet werden kann.
Dies ist der Fall bei der Corpus luteum-Drüae. Die Folgen der Ausschaltung
dieser Drüse sind durch die hervorragende Arbeit von L. Frankel bekannt
geworden und es kann als gesicherte Tatsache gelten, daß Zofuhr von
Corpus luteum -Substanz den Verlust dieses Körpers in weitgehendem Maßd
zu decken imstande ist. Die Organotherapie mittelst Corpus luteam-Sab-
stanz ist der Typus einer spezifischen Subatltutionstherapie.
Um jedoch mit Sicherheit für ein Organ die innere Sekretion behaupten
zu können, muß eine sichere experimentelle Grundlage verlangt werden,
nämlich der Nachweis der Produkte jener inneren Sekretion im Venenblut
268
Intragladduiäre Entgiftung.
oder der Lymphe des fraglichen Organs. Solanfce dieser Nachweis nicht er-
bracht ist, hat die Annahme einer entgiftenden Funktion der betroffenen
Organe, welche in einen gewissen Gegensatz zur Inneren Sekretion gebracht
wird, zam mindesten Qleichberechtigang.
Mit bezug auf die Schilddrüse bilden in dieser Hinsicht die zwei
Richtungen, von denen die eine die Funktion dieses Organes in einer inneren
Sekretion, die andere in einer Entgiftung sieht, den schärfsten Gegensatz
zueinander, obgleich es auch nicht an Theorien fehlt, welche die beiden
Annahmen zu vereinigen trachten. Seit der Entdeckung Baumanns von der
lebensrettenden Kraft des Jodothyrins bei thyreapriven Tieren nehmen die
Anhänger der inneren Sekretion an, daß das jodhaltige Produkt der Schild-
drüse normalerweise in die Blut- und Lymphgefäße sezerniert wird und das
Auftreten jener Erscheinungen verhindert, welche unter dem Symptombilde
der Kachexia strumipriva hinlänglich bekannt sind. Die Annahme von Cyon,
daß das Produkt der inneren Sekretton nicht direkt auf den Qesamtorga-
nismus, sondern nur auf die Kreinlauforgane , den Tonus des Herzens und
der Gefäße wirke, sei hier nur erwähnt. Andere erklären das Sekret als ein
in der SchilddrQse gebildetes Antitoxin, welches im Kreislauf giftige Stoff-
wechselprodukte unschädlich zu machen die Aufgabe hat. Diese Annahmen
müssen logischerweij^e zur Voraussetzung haben^ daß Jod im Blut oder in
der Lymphe nachzuweisen ist. Blum jedoch, der Hauptvertreter der Ent-
giftungstheorie, hat durch besondere Untersuchungen festgestellt, daß weder
im Blut noch in der Lymphe die geringsten Spuren von Jod nachweisbar
sind. Er hat weiterhin die Annahme einer fortdauernden Sekretion jodhaltigen
SchilddrQsensaftes dadurch hinfällig gemacht, daß er Hunde wochen- and
monatelang mit einer durch Auskochen halogenfrei gemachten Kost fütterte.
Die Tiere gerieten in Chlorhunger, besaßen keine Salzsäure mehr im Magen^
waren auf das äußerste abgemagert -, aber ihre Schilddrüsen wiesen noch
einen recht erhebtichen Jodvorrat auf. Gegen die möglicherweise zu machende
Annahme, daß das Jod des ScfailddrÜseneiweißes immer wieder, ohne durch
die Nieren ausgeschieden zu werden^ zur Schilddrüse zurückkehrt, spricht
die Tatsache, daß das Jod von verfütterten Schilddrüsen im Organismus
unter JodwasserstoFfbildung abgespalten und quantitativ ausgeschieden wird.
Andrerseits konnte Blum, zum Teil gestützt auf die Versuche L R. Ewalds,
nachweisen, daß überhaupt die Bedeutung des Jods in der Schilddrüse Über-
schätzt wird. Denn Ewald sowohl wie er hatten bei säugenden Tieren,
deren Schilddrüse oft noch gar kein Jod besitzt^ durch Exsttrpation dieses
Organs die gleichen Folgen, Zugrundegehen unter akuter Tetanie, beobachtet
Neben diesen Beweisen gegen die Annahme einer inneren Sekretion der
Schilddrüse führt Blum eine Reihe von Versuchen ins Feld, welche für die
Annahme einer intraglandulären Entgiftung dieses Organs sprechen.
Die Streitfrage, ob die Funktion der Schilddrüse eine lebenswichtige
sei oder nicht, ist trotz der Opposition H. MuxKs wohl heute allgemein da-
hin entschieden, daß dies der Fall sei, trotzdem nicht nur bei einer Reihe
von Tierklassen die Thyreoektomie keine Kachexie zur Folge hat, wie bei
den V^ögeln und Nagern, sondern daß auch bei manchen Tieren selbst der
gegen diese Operation empfindlichsten Klassen iene Kachexie ausbleibt. Schon
BHGiSAt'HEK, einem Schüler Muxks, war es nicht entgangen, daß die Chancen,
Tiere über die Folgen der Schllddrüsenexstirpation hinaasznbringen, bei
Milchfütterung günstiger liegen als bei Fleischfütterung. Blum hat diese Er-
scheinung genauer verfolgt und ist zu dem Resultat gekommen, daß anter
sonst gleichen Bedingungen nach der Scbilddrilsenexstirpation bei Fleisch-
fütterung 96% der Tiere größtenteils an akuter Tetanie, zum kleinen Teil
an Tetanie und konsekutiver Kachexie bis spätestens 12 Tage nach der
Operation zugrunde gehen. Von den mit Milch gefütterten Hunden hingegen
I
Intraglandulftre Entgiftung.
269
I
überleben 40''/o an Stelle jener 4<»/o d*« Operation bis zum 20. Ttige und
30"/o bleiben bei gleicher FÖtteninR: dauernd gesund. Erhielten die bei
Fleischlülterung Qberlebenden Hunde Milchnahrang, ao blieben sie gleich-
falls am Leben, umgekehrt jedoch ließ der Übergang der Milchkost znr
Fleischkost bei den thyreooktomiorten Hunden sofort schwere Krankheits-
erscheinungen, die schnell zum Tode fQhrten, auftreten. Blum gelangt zu der
Annahme, daß aus dem Darm beständig bestimmte Gifte in den Organismus
übertreten, welche normalerweise in der Schilddrüse durch Stoffe» welche
er als Fangsubstanzen bezeichnet, herausgegriffen , i. e, gefesselt und un-
schädlich gemacht werden. Der Jodierongsprozeß ist ein solches wirksames
Entgiftongsmittel, doch verfügt die Schilddrüse aach über andere Bindungs-
mögHchkeiten unter Bildung hochmolekularer Verbindungen (Thyreotoxalbu-
mine), welche abgelagert und allmählich entgiftet werden. Die sog. spez. Jod-
Substanz der Schilddrüse stellt selbst ein solches, unvollstfindig mit Jod
gesättigtes Thyreotoxalbamin und gleichralla ein intermediäres Produkt in
Jenem Umwandlungsprozeß dar.
Die freien Enterotoxine bewirken bet manchen thyreoektomlerten Tier-
individuen deshalb keine tiefergreifenden Störungen, weil die letzteren aus
noch unbekannten Ursachen Schutzkräfte dagegen haben oder entwickeln
können. Zwischen den durch die Fleisch- und die Milchkost gebildeten En-
terotoxinen besteht kein prinzipieller qualitativer Unterschied, denn bei beiden
Ernährungsweisen können die schllddrflsenlosen Tiere unter den gleichen
Erscheinungen zugrunde gehen. Bei der Milchnahrang wirkt nur der Um-
stand begünstigend auf die Erhaltung des Lebens, daß die Enterotoxine
weniger reichlich durch die gewöhnlichen elweißzersetzenden Mikroorganis-
men des Darmes gebildet werden, da bekanntlich die unschuldigeren Milcb-
parasiten die Entwicklung der anderen and damit die Eiweißzersetzung za
hemmen imstande sind. Die schwächere Bildung aber der Enterotoxine er-
leichtert die Immunisierung des Organismus gegen dieselben. Daß eine solche
Immunisierung tats/ichlich stattfinden kann, wurde von Bi.pm durch Injektion
von Blutaemm solcher immunisierter Milchtiere bei schwer erkrankten
Fleischtieren wahrscheinlich gemacht Trotz der Schwere der Erkrankung
gelang es in vielen Fällen, wofern nur die Injektionen einige Stunden vor
dem voraussichtlichen Ableben appliziert wurden, den Ablauf der gewohnten
Erscheinungen im Sinne einer Abschwächung oder Heilung umzugestalten.
Diesen interessanten Milchlütterungsversuchen hat nun Bll'm neuerdings
eine Versuchsanordnung folgen lassen, welche im gleichen Sinne bedeutsam
für die Annahme einer Entgiftung durch die Schilddrüse spricht. Er hat
o&mlich thyreoektomierten Hunden Fleischsaft statt per os subkutan bei-
gebracht nnd nunmehr die gewohnten schweren Krschetnungen vermißt.
Kurz erwähnt sei noch das Argument Blums für seine Annahme, daß bei
fehlender Schilddrüse die Enterotoxine im Zentralnervensystem und, falls die
Tiere längere Zeit am Leben bleiben, in den Nieren anatomisch nachweisbare
Veränderungen bewirken. Die Enterotoxine sind in ihrer Wirkung gänzlich ver-
schieden von den Thyreotoxalbuminen, jene verarsachen die Symptome der
strumipriven Kachexie, diese die Basedowerscheinungen ; die Immunität gegen
Enterotoxine bedinge keine solche gegen dieThyreotoxalbumine und umgekehrt.
KisKi ist anf Grund anatomischer und Stoffwechselontersncbnngen za
einer ähnlichen, wenn anch in Einzelheiten abweichenden Auffassung ge-
kommen. Auch er nimmt in den Drüsenzellen der Schilddrüse eine Entgif-
tung an, und zwar durch Bildung eines jodhaltigen Globulins, welche eine
Attraktionskraft für den Giltkorper, nach KiSKi ein Nukleoproteid, besitzt.
Durch Verbindung beider KGrper wird das Thyreotoxin gebildet und in die
Follikel abgesondert. Allmählich, nach der Entgiftang, spaltet es sich; die
Spaltangskörper, darunter ein jodhaltiges Globulin, gehen in die Lymph- and
270
Intraglandiiiäre Eatgiftung.
Blutgfefftße Ober, jedoch wird da«i Jod bei Heinem Heraustritt aus dea
Follikeln durch die Epithelzellen der Schilddrüse wieder aufgenommen, wes-
halb Hi.i'M im Blut und in der Lymphe kein Jod finden konnte.
Die mitgeteilten, zum Teil sehr gewichtigen Gründe, welche (fegen die
iandiäulige Annahme der inneren Sekretion eines iodhaltigen Schilddrüsen*
körpers sprechen, lassen iedoch folgende zwei Punkte unerklärt. Erstens die
von keiner Seite geleugneten, geradezu wunderbar sicheren Erfolge der
Schilddrüsenbehandlung des Myxödems (Thyreoaplasie), zweitens die anffäUIge
Tatsache, daß die Menschen und Tiere nach der Schilddrflsenexslirpation so
verschiedene Erkrankungslormen, wie es die stramiprivo Kachexie und die
Tetanie dardtellen, darbieten. Für die erstcre Tataache, die den Grundpfeiler
der ganzen Organotherapie bildet, Ifißt sich die Annahme einer inneren Se-
kretion kaum von der Hand weisen« wenngleich das oben aufgestellte
Postulat, der Nachweis der wirksamen Substanz im Venenblut oder der
Lymphe der Schilddrüse, noch nicht erfüllt ist Aber gerade die BLCMsche
Anschauung, wonach das Jod zur Entgiftung nicht notig ist, wonach also
das Entgiftungsprodukt (Thyreotoxalbumin) |odfrei sein kann, bietet die Mög-
lichkeit, seine Entgiftungstheorie mit der Theorie der inneren Sekretion zu
vereinigen. Daß der Nachweis dos Thyreotoxalbumins in ßlot und I^ymphe
bisher nicht erfolgt ist, Hegt vielleicht nur daran, daß die aus dem Blut etc.
erhaltbaren Mengen von Thyreotoxalbumin zur physiologischen Reaktion
nicht ausreichen.
Den zweiten erwähnten Punkt der verschiedenen Erkrankungsformen
erklärt Buru mit der ganz unbewiesenen Annahme verschiedener Entero-
toxine. Vassale und Genkhali, Bieol und Pkneles haben auf Qrund ana-
tomisch-physiologischer Forschung dafür eine ganz andere Erklärung ge-
funden. Sie erinnern an die Bedeutung der sog. Epithelkürperchen
(Glandulae parathyreoideae) , die entwicklungsgeschichtlich von der eigent-
lichen Schilddrüse ganz unabhängig sind. Auf die Einzelheiten einzugehen
ist hier nicht der Ort; die Autoren kommen zu dem Resultat, daß der
SchilddrÜsenauäfall die strumiprive Kachexie (Myxödem) etc. , der Ausfall
der EpithelkÖrperchen die akute Tetanie zur Folge habe. Jedoch stehen
diese Resultate noch keineswegs fest, sie sind in einer allemeuesten Arbeit
bestritten worden; sollten sie sich aber bestätigen, ao bedürften natürlich
die BLUMschen Versuche einer entsprechenden Revision, doch scheinen seine
Ergebnisse im allgemeinen wohl damit vereinbar zu sein.
Nächst der Schilddrüse ist wohl die Nebenniere diejenige Gefäßdrüse,
bezüglich' deren Funktion, ob Entgiftung oder innere Sekretion, die lebhaf-
testen Meinungsverschiedenheiten zum Ausdruck gekommen sind. Entsprechend
den oben aufgestellten Forderungen für den Beweis einer inneren Sekretion
haben die Anhänger der Sekretionstheorie den Nachweis erbracht, daß die
Exstirpation der Nebennieren in kurzer Zeit den Tod der Tiere unter
starkem Absinken des Blutdruckes zur Folge hat, daß jedoch durch Im-
plantation von Froschnebennieren nebennierenlose F'rösche so lange am Leben
erhatten bleiben, bis die implantierten Nebennieren vollkommen resorbiert
sind. Nicht jedoch gelingt es, Tiere nach doppelseitiger Nebennierenexstir-
pation durch Injektion von Nebenricrenextrakt am Leben zo erhalten,
trotzdem der Blutdruck dadurch hoch bleibt. Die Injektion dieses Extraktes
oder seines — beute rein dargestellten — wirksamen Prinzips, des Adre
nalins, bewirkt bekanntlich bei gesunden Tieren vorwiegend durch Kontraktion
der glatten Geläßmuskulatur erhebliche Blutdruckateigerung, also eine der
Ausfallserscheinung entgegengesetzte Wirkung. Das Nebennierenextrakt wirkt
auch auf die Übrige glatte (und desgleichen auf die willkürliche) Musku-
latur. Beim Darm bewirkt dasselbe nach Jacoby eine Hemmung der Peri-
staltik (durch stärkere lokale Kontraktion); beim cebennierenlosen Tiere
I
Intraglandulftre Entgiftung.
271
«oll vermehrte Peristaltik bestehen. Endlich ist es auch gelung:en, im Neben-
tuerenvenenblot das blutdrucksteigernde Prinzip nachzuweisen, einmal durch
die für die chromogene Substanz der Nebennieren sowie für das Adrenalin
charakteristische Eisenchloridreaktion (Grünfiirbung) (Vulpiax), sodann durch
den physiologischen Nachweis der Blutdruckstelgerang. Von dieser anscheinend
vollgflltigen Beweiskette sind einzelne Teile angegriffen worden.
Lewandowski hat in einer kritischen Studie es als wenigstens nicht
bewiesen angetiehen^ daU der Ausfall der einen blutdrucksteigernden Funktion
der Nebennieren ursächlich die sämtlichen Folgen der Nebennierenexstirpation
bedingt; der Umstand, daß durch Nebenuierenextraktinjektionen der Blutdruck
bei nebennierenlosen Tieren zwar hochgehalten wird, daß die Tiere aber trotz-
dem sterben, spricht im gleichen Sinne. Lkwandowski stQtzt sich frei-
lich auf die Tatsache, daß so schwere Eingriffe in der Baachb^hle, wie sie
die Exstirpation der Nebennieren darstellen, an und für sich gleich starke
Blutdrucksenkungen, wie sie S/,ymonowica beobachtet hat, bewirken können.
Demgegenüber muß erwähnt worden, dal) Stahl und Wbisi> zeigen konnten,
daß, wenn nach einseitiger Nebennierenexstirpation die andere Nebennioren-
vene abgeklemmt wird, für die Dauer der Abktemmung der Blutdruck sinkt,
um nach Aufhebung derselben wieder anzusteigen. Wurde übrigens in diesen
Versuchen die Vene dauernd abgebunden , so starben die Tiere ebenfalls.
Ferner muß hervorgehoben werden, daß In allen erwähnten Versuchen nur
das blutdrucksteigernde Agens als Produkt der inneren Sekretion in Be-
tracht gezogen wurde ; die Iniektion von Nebennierensaft bewirkt jedoch
nicht nur Blutdrncksteigerung (Wirkung auf die glatten Muskeln der Ge*
fäße und das Herz), sondern ^uch Ülykosurie und (ilykämie (Blum, Zubl/er,
Hfrtks n. a.). Der Nachweis, daß das Nebennierenvenenblut intravenös in-
jiziert GlykoBurie hervorruft, ist bisher nicht geglückt (Blum, Zuhlzer),
Vielleicht beruht dies darauf, daß die angewandten Mengen zu klein waren;
bedurfte es doch, um eine Blutdrucksteigerung zu erzielen, schon 10 bis
30 cm' Blut, das mit großer Geschwindigkeit dem Versuchstier einverleibt
werden mußte, eine Menge, die eines beträchtlichen Zeitraumes bedarf, um
durch die Vene hindurchzufließen. Ein direkter Vergleich mit der Wirkung
des Nebennierenvenenblutes fntra vitam ist also auch für die Anhänger der
inneren Sekretion ausgeschlossen, denn diese nehmen naturgemäß einen
dauernden erregenden Einfluß auf die Gefäßmuskulatur etc. an. Freilich kann
auch hier wieder, unter Hinweis auf experimentelle Tatsachen, eingeworfen
werden, daß das wirksame Prinzip im aufgelangenen Nebennierenvenenblut
allmählich vermindert wurde, bevor es zur Injektion kam.
Grundlegend für die Annahme einer entgiftenden Funktion der
Nebennieren sind die Versuche von Abeloi'S und Langlois. Diese Forscher
fanden, daß bei Kaltblütern, denen die Nebennieren entfernt sind, die Mus-
keln viel schneller ermüden als bei normalen Tieren. Iniiziert man den
letzteren das Blut jener Tiere , ho treten bei ihnen dieselben kuraroähn-
lichen Wirkungen auf. Die Nebennierenexstirpation führt aisu zu einer An-
häufung von MuakelermUdung^toxinen im Blut; die Hypothese, daß dem-
nach die Nebennieren die Funktion haben , jene Stoffe zu binden und da-
durch den Organismus zu entgiften» liegt sehr nahe.
Weitere Stützen findet diese Annahme in den Beobachtungen, daß
nebennierenlose Tiere von vielen Giften, wie Neurin, Diphiherietoxin etc.,
viel schwerer geschädigt werden wie normale Tiere, trotzdem jene in den
Aasscheidungsverhältnissen keine Abweichung bieten.
Ob der Umstand, daß das Nebennierenextrakt, nicht aber das Neben-
nierenblut eine Glykoaurie hervorrufende, toxische Substanz enthält, für die
Annahme der entgiftenden Funktion der Drüse verwendet werden kann,
erscheint vorläufig noch zweifelhaft.
272
lutraglanduläre Entgiftimg, — Jodiptn.
Lanclois und Borüttau haben beide Theorien vereinigt, analog wie es
oben fflr die ScbilddrQse vorgescliiagen wurde, indem sie annahmen, daß
die Nebenniere die Ermüdungsprodukte der Muskeln unschädlich macht
(Entgiftung) und in das nützliche, für den Tonus der sympathisch inner-
vierten Organe notwendige Adrenalin umwandeln, das sie dann an die Blnt-
bahn abgeben.
Übrigens wird nenestens ans vergleichend-anatomischen Gründen, ebenso
wie für die Schilddrüse und das Pankreas, für die doppelte Funktion der
Nebennieren eine Teilung des Organs angenommen; der Marksubstanz soll
die innere Sekretion obliegen, die Rinde hingegen das lebenswichtige Organ
vorstellen und die Entgiftung zur Aufgabe haben.
Von den übrigen Blutgefäßdrüsen, zu denen neben der H^^popbyBis auch
das Pankreas und der Hoden gerechnet werden , sind keine sicheren Tat-
sachen bekannt, die die Annahme einer entgiftenden Funktion neben der
inneren Sekretion rechtfertigen.
Literatur: F. Bmh, Arcb. f. d. ges. Pbysiol, CV. — Bobcttai;, Me<l. Klinik, 190&,
Nr. 23. — L. FbIickkl, Arcb. I. Gyn., LXVIII, H. 2- — Kuhi, Vutcaovg Archiv, 176. —
Lkwandowski, Festechr. f. Lkydkv, 1902, and ZeiUehr f. klio. Med., 37. — Uobr, Med. Kli-
nik, 1905, Nr. 16. O. ZoeJttr.
Jocl. Eine Erklärung für die günstige Wirkung des Jods bei Arterio-
sklerose konnten Müller und Inada ^) erbringen. Sie untersuchten die Vis-
kosität des Blutes und des Serums nach Jodgaben und stellten eine all-
mähliche Abnahme derselben nach Jodgebrauch fest. Das Blut wird also
durch Jod leichter flüssig und es kann so zu einer besseren Durchblutung
der Organe kommen, welche bei beginnender Arteriosklerose schlecht em&hrt
werden. Gegen die schwieligen Veränderungen, die sich später einstellen,
ist Jod machtlos, was nach Rombbhi^') für die Indikationsatellung der Jod-
therapie wichtig ist. Gleichzeitig hat man bei Jodgebrauch saure Speisen
zu meiden, da es sonst zu heftiger Gastroenteritis kommen kann; auch ist
der regelmäßige Gebrauch von Jod zur Erzielung des Erfolges unbedingt nötig.
Der Verbranch von lO^Jodnatrium (täglich 1^) führte, wie Pollam)*)
mitteilt, zu einem Bläschenausschlag an den Händen und im Gesicht bei
einem schwer ödematosen Nephritlker. Auch im Magen fanden sich bei der
Obduktion ähnliche Effloreszenzen. Dabei bandelte ee sich -um Hyperaziditat
des Magens.
Literatur: *) O. MOllkk und R.lNAnA, Znr Kenntnis der Jodwirknng bei Arterie*
Bkleroae. Deutsche med, Wocbenaohr., 1904, Nr. 48, pog. 1751. — ') Rombeho, ebenda. —
*) Pou-XKD, Nebenwirkungen von Juii. Wiener klin. Wochensclir, Nr. 12. B. J^rty.
Jodcalclum ist nach Mackie ein gutes Wundstreupulver für sep-
tische Wanden. Lösungen davon kann man zu Vaginalduschen, Zahnwasser
nehmen. Ebenso wirksam oder stärker sind die Jodwasserstoffsäure und die
Zink-, Wismut- und Quecksilber jodate.
Literatur: Mackik, Kliulscbe AnweDdung von JodwaaBerstoIfsäare and Jodsalsen.
L»azioet, Nr. 1247, lit. nach Deatsche med. Wochenschr., 1905, Nr. ö, pag. 195, £. Frej.
Jod-FersaUy s. Eisenpräparate, pag. 193.
Jod.lpin« Üher die Ausscheidungsverhältnisse von Jod im Harn nach
Jodkali und Jedipin liegt eine Arbeit von Singer *) vor. Die vergleichende
Untersuchung spricht zugunsten des Jedipin. Die Jodelimination nach Ein-
gabe dieses Präparates ist niedriger und länger anhaltend als nach Jodkall.
Zur Technik der Jodipininjektionen bemerkt Pivkcs '\ daß man die
Injektionen je nach der Verträglichkeit steigert, beginnend mit 1 cm^
I0%igen Jodipina. Man achte darauf, ob man keine Vene angestochen hat,
indem man die Spritze von der Kanüle nach dem Einstechen entfernt und
nachsieht, ob Blut austritt, oder mit der halbgefQllten Spritze ansaugt.
Jedipin. — Isufurm.
273
I Zur Behandlun^c skrofulöser and spätsyphilitischer Äufcenerkrankungon
empfiehlt Trrlinck ') die subkutane Anwendung von Jedipin oder LipiodoL
Literatur: *) Sinqkr , Jodanascht'idang nach Uebraach von Jodkali und .Iwlipin.
Zeitschr. f. klin. Mt^d., LH, U. o u. 6- — ') Fikkub, Technilc der Joilipininjektion. Medixin.
Klinik. 190ö, Nr. G, pag. 138. — '> Teblinck, Jodierte Öle in der Optithalmologie. La clin.
ea höp. de Brux., Angn^t. E. Fr^y.
Johimbln. Auch 8:egen menstruelle UnreE^elniäßigkeiten und Be-
schwerden, welche auf einer UDffenQifenden Blutzufuhr zu der Gebärmutter
beruhen, empfiehlt Topf das Johimbin Spiegel, nicht nur gegen Impotenz.
Literatur: E.Torr, Einige Btftuerkungen Über die Auweudang dop Juliimbin Spiegel,
Dtiutitcbe med. Wocheotchr., 1^)U4, Nr. 43, pag. 1577. K Fnf,
Jotllloil. .lothion ist ein neues Jodprilparat zur perkutanen Anwen-
dung, welches von den Farbenfabriken vormals Bayer &. Co. hergestellt wird.
Es ist eine gelbliche, ölartige Flüssigkeit, die sich mit Olivenöl, Alkohol,
Äther, Chloroform, Vaselin, Lanolin gut mischt. Es stellt Dijodhydroxypropan
vor und hat einen Jodgelialt von 79 — BOo/o' Eß wird nach den Untersuchungen
von VVksenbf.kg >} bis zu 50** o resorbiert. Das leichte Brennen, das bei
empfindlicher Haut eintritt, kann durch Verdünnen mit Ol, Vaselin oder
Lanolin vermieden werden. Darmerscheinungen sind nie aufgetreten. Schindi.kr'^)
benutzt eine Salbe aas Jothion, Wachs und Lanolin zu gleichen Teilen. Kr
konnte schon eine Stunde nach der Kinroibung Jod im Speichel nachweisen.
Am gflnstigsten wirkte Jothion auf tertiäre Prozesse der Mund- und Rachen-
h5hlenschleimhaut.
Literatur: M Wbschbrro, PerkutAn« JoduppUkatlon. Therap. Muiialshelte, 190,^j,
png. 19a. — 'J ScuisDLKa, N«uea Jodpräparat »Jothion«. Prager med. Wochenachr., Nr. 39
Isoform. Da in Reagenzglasversuchen sich das Jodoform nicht als
Antiseptikum zeigt, wohl aber im Körper diese Wirkung entfaltet, unter-
nahmen Hejlk und RöiiMWN») eine Reihe von Untersuchungen, die zur Her-
stellung des Isoforni , des p Jodoanisols, fQhrten. Sie nahmen an, daß aus
dem Jodoform das Dijodacetyliden =:C=^CJa wird, welches bakterizid
wirkt; aber Versuche mit Körpern, welche diesen Komplex enthielten, fielen
negativ aus. Da aber Wasserstoffsuperoxyd durch Abspaltung von aktivem
Sauerstoff bakterizid wirkt, untersuchten die Verfasser die Jodoverbindungen,
welche ebenfalls stark oxydieren. Unter diesen zeigte eich das p-Jodoanisol
stark antiseptisch und ungiftig. Und zwar wurden die Prüfungen auf anti-
septische Kraft in der Weise vorgenommen^ daß mit Isofortu getränkte
Gazestflcke in Eiter getaucht wurden und mit Agar übergössen wurden.
So wachsen die Bakterien auf Gazen, welche 5Vo Karbolsäure, 02 — O'SVo
Sublimat enthalten, nicht aber auf 3Voiger Isoformgaze. Das Isoform ist
eine farblose. kriHtalHntsche Substanz, die in Wasser schwer.' in Alkohol
und Äther unlögiich ist. Sie macht keine Heizung der Haut und wirkt
auch in eiweißhaltigen Medien stark bakterizid. Da Isoform explosiv ist, so
kommt es als »Isoformpulver« mit phosphorsaurem Kalk gemischt in den
HandeL Auch im Darmkanal entfaltet es eine entwicklungshemmende Wir-
kung. Es wird in Form gehärteter Gelatinekapseln gegeben.
Die Untersuchungen der desinfizierenden, desodorierenden und toxi-
schen Wirkungen fanden eine bestätigende Nachprüfung durch Oalu-Va-
LKIUÜ. ^)
Die Wirkung dos Isoforms auf die Abheilung des Ulcus moUe beob-
achtete Weik"); er sah Reinigung der Ulcera in 1 — 'Z Tagen und in
kürzester Zeit Vernarbung. Die schwache Atzung, die Isoform in konzen-
trierter Form ausübt (durch Abspaltung von Jadphenol), kann man durch
Karbolsäure unterstützen. Bei überhängenden Rändern des Geschwüres niuÜ
das Isoform in die Spalten hineingebracht werden.
BncTDlop. Jfthrbaehsr. K. F. IV. (XIIL) V^
274
Isoform.
Isosafrol.
Ausgeschieden wird das Isoform als Jodphenolschwefels&ure mit
dem Harn.
Literatur: ') Hk]lk nod KOumak» . Arcb. f. ktin. Cbir, LXXI. — 'j Galli-Valkkio,
Über Isoform. Therap. Monateh. , Mai 1905. — •) Wkik, Therapeutische Vcraache mit Iso-
form. Med. Klinik, 190&, Nr. 19, pflg. 466. E. Fr^y,
I^Ophysostlg^mln. Ein dem Physostfgmin sehr ähnliches Alkaloid,
laophyaosti^rinin genannt, wird erhalten, nachdem daa Physostigmin aus dem
alkoholischen Extrakt der Kalaharbohne nach SodazuBatz durch Schütteln
mit Äther entfernt ist. Das Isophysostif^min hat einen höheren Schmelzpunkt
(beim Sulfat *J02"' gegen PhyBOstigminaulfat 140 — 142*^). Das Platinsalz ist
schwerer löslich als das des Pbysnatig-raina. Beim Kaltblüter wirken beide
Alkaloide in gleichem Sinne und in gleicher Stärke, am Warmblüter rufen
schon kleinere Gaben IsophysostiK-min eine Kotentleorung hervor Im Kon-
junktivalsack ruft eine 0 l"/oige Lösung von laophysostigmin eine schnellere,
intensivere und länger anhaltende Pupillenverengerung hervor als Physo-
stjgmin. Atropin beseitigt diese Pupillenwirkung dagegen leichter.
Literatur: Ooim, über dan leopbyßOBtigniia. DIo Therapie der Gegenwart, Noyembtrr
1904, pa^f. 492. E, Frfy.
Isopral* Die meisten klinischen Beobachter stimmen darin Qberein,
daJi das Isopral, der Trichlonsopropylalkohol , also ein dem Chloralhydrat
ähnh'cher Körper, ein Schlafmittel von prompter Wirkung ist. URHTEix*)gab
es in Dosen von Ou — 075^' und sah keinerlei Nebenerscheinungen. Auch
Khchi.e*» lobt die Wirkung des neuen Schlafmittels, das er an Stelle des
Chloralhydrats empfiehlt, besonders wenn man gezwungen ist, längere Zeit
ein Schlafmittel zu geben und wenn die Opiate kontraindiziert sind. Wegen
der li^lQchtigkeit des Pulvers wandte er folgende Form an: Isopral 160,
Spir ditut. löO'O, Sir. spL SriOO, Ol. menth. pip. gtt XX, eßloffelweiae. Bis zu
einer Dosis von 2'5 ^ ging Pisakski'), ohne flble Nebenerscheinungen zu
sehen; er gibt es als Sedativum bei Morphinisten in einer Qabe von 10^.
Mit letzterer Dosis erzielte Mi!rHM.\N\*) prompt Schlaff wandte es aber nur
bei gesundem Herz und Gefäßsystem an. Zu einer neuen Anwendungsart
des Isopral ging Koerstkr^} über; er rieb es in einer GabengröUe von 4 bis
5^ ein, diese wurde in einem Meßzylinder abgemessen, und zwar aus fol-
gender Stammlösung: Ol. Ricini, Alcohol. abs. aa. lUÜ, Isopral 300. Die ein-
geriebene Stelle wird mit Guttapercha bedeckt und bleibt 1 — IV* Stunden
verbunden. Ein prickelndes GefOhl ist die einzige Nebenerscheinung gewesen,
die der Autor beobachtet bat. Dieso Applikationsart ist auch deswegen von
Wichtigkeit, weil diese »Einreibung« nicht als Applikation eines Schlafmittels
empfunden zu werden braucht.
Literatur: ') Ubstkih, Klinische Uaterauchnngen über ein tteaes Schlafmittel, Iso-
pral. Medycyna, Nr 13, zlt. nach Di-iitsche nipd. Wochdiachr. , 1904, Nr. 19, pag. 713. —
•} EscBLK, Da» Isopral, v\n neue« Hypnagoginn. FortHchr. d. M»!d., 1904, Nr. li. — *> Pi-
sAkäKi, Die Scblaln-irkuni? dt^a IdopmlH. Przeslad lekarska, Nr. 44, zit. oaeb Deiitache med*
Wocbenat^hr. , 1904, Nr. 49. pag. 1819. — *» Mutiiuann, iHopnil, ein m-ue« ilypnotiknm.
MUnchentT med. Wothi^nadir. , Nr. 34. — ') K. FoeaHTCR , tbfr pt^rkutant^ Wirüung eine«
ScblalmilteU (Iso])rab. Mttncheuer med. WochciistjUr., 190ä, Nr- 20, pag. 948. E. Fr*y.
Isosafrol. Anläßlich eines Falles einer Isosafrotvergiftung, die nach
Verbrühen mit kochendum Isosafrol eintrat und sich durch Erscheinungen
von Venenstauung dokumentierte, stellte \V.ai.i»vi*«ki. Versuche an Tieren
an, welche ebenfalls ergaben, daß durch Resorption von Isosafrol Veoen-
erweiterung gesetzt werden kann.
Literatur: Walovoürl, Tergiftnng durch laoialrol. MUoctaener med. Wocbentcbr.,
Nr fi, pag. 306. £. Fttf.
K,
r
Kc;«a-azär-KrankbeIt (Tropische Splenomegalie). Bereits in
den Encyclopädischen Jahrbuchern von 1903 ifit die Kala-az/ir-Krankheit des
näheren geschildert worden; zum besseren Verständnis des fol^renden Artikels
sei gleichwohl einiges darüber in KQrze rekapitaliert. Die eigenartige Krank-
heit dürfte die Aufmerksamkeit der Arzte fesseln, da bereits mehrere von
Asien nach Kuropa Heimgekehrte sie mitgebracht haben.
Die Krankheit ist zuerst aus der Provinz Assam im Brahmaputra-
gebiet bekannt geworden (seit 1872), wo sie namentlich in der Hegenzeit
von April bis September vorherrscht ; sie kommt aber auch an vielen an-
deren Stellen des südlichen und südöstlichen Asien vor ; da über ihre
tiologie und ihr klinisches HtLd noch viel gestritten wird — die einen sie
den komplizierten Malariaformeti, mit denen sie in der Tat einige klinische
Ähnlichkeit hat, z. B. in dem unregelmäßigen Fieber und in der mächtigen
ilzschwellung, die anderen sie der Anchylostomiasis zurechnen, mit der sie
ch manche Symptome gemeinsam hat — , so kann die Statistik über ihre
erbreitung vorderhand nur sehr lOckenhaft sein.
Die Krankheit befällt beiderlei Geschlecht, Alt und Jung in gleicher
Weise. Die Sterblichkeit, die früher 96"/(, betrug, soll in letzter Zeit auf
50% gesunken sein, ist also immerhin noch sehr beträchtlich.
Nach der Schilderung von Clarke, Roüeks') u.a. verläuft sie mit re-
mittierendem Fieber, das gelegentlich durch intermittierendes abgelöst wird.
Im Verlaufe desselben treten Blutarmut, Abmagerung. Durchfälle von dys-
enterischem Charakter und endlich Ödome ein; letztere bewegen den Kranken
schließlich, ärztliche Hilfe aufzusuchen. Der erste Anfall, der 8^t> Wochen
dauern kann, ist gefolgt von einer fieberfreien Periode, die ebenfalls in ihrer
Dauer wechselnd ist; dann setzen die weiteren Fieberepochen ein, ohne daß
der Kranke seines Fiebers sich überhaupt bewußt zu werden braucht.
Es lassen sich im großen und ganzen zwei Krankheitstypen unter-
scheiden:
1. eine mehr subakute Form» bei der schon sehr bald die An&mie und
Kachexie einsetzt. Die Temperatur steigt nach Schüttelfrost schnell hoch«
und zwar unter starken SchweißausbrÜchen des Kranken. Die Anämie stei-
gert sich von Tag zu Tag. Milz und Leber vergrößern sich enorm. In einigen
Monaten stirbt der Kranke unter schwerem Darmkatarrh oder an astheni-
scher Pneumonie oder TbromboBierung von Gehirngefäßen.
I 2. Die mehr chronische Form ist charakterisiert durch einen schlei-
chenden Verlauf des Fiebers. Es kommt unter mäßigem Fieber allmählich
zu Ergüssen in die serösen Körperhöhlen und zu Ödemen z. B. im Qesicht,
den Füßen und Knöcheln; rheumatische Schmerzen, Qelenk- und Muskel-
276
Kala-azar-KrankhcJt,
Bofatnerzon, Kopfweh. Neural^ien^ Haaraasfall ntellen sich ein; die Haat wird
fleckig- infolfj^e Bildung von Pig-mentflecken; Kala-azi!lr bedeutet blackfever,
Schwarzlieber, eine Bezeichnung, die mit dieser Hautfleckung in Verbindung
gebracht wird. Die eigentümliche schwankende Art des Fiebers dieser Form
hat einige dazu gebracht, es mit MaltaEieber zu verwechseln.
Schließlich kommt es aurh hier unter Leber- und mächtiger Müi-
Schwellung zu Marasmus und zum Tode.
Thinin . das Spezifikum gegen Malaria, hilft nichts gegen die Krank-
heit. MalnrJaparasiten werden nicht bei Ihr gefunden.
Ihre Ätiologie schwebte lange Zeit in vtUlitrem Dunkel. Erst in letzter
Zeit scheint es geglijckt zu sein, einiges Licht in dieses Dunkel zu bringen.
Im Jahre I9U3 machte Leishm.an*). durch die Ähnlichkeit der Sym-
ptome der Kala-azar-Krankheit mit der menschlichen Trypanosomen- und
der Tsetsekrankheit der Tiere veranlaßt, darauf aufmerksam, daü die Spleno-
Kiff. 8,
Au ]£AKCIUini>LSDUtOUAU: „Zur Frago der TrrpanOMaia-Iotoktioa tMlm MvuschAD** (f. UtaAtar).
s Hohrvrv Kut>eltt»DiiiArkxt>nnn , 4(I0cnAl vnr(^rAO«rt; «iai|^ drr (rrDOvti Zi-11{?n «utbalteo dfa kivfnpa
Tingf&nnfgao KArfHirrlirn, 'Dd« ilr-ntdlben nnrh Vakuolen.
b uad e Zwul irroflo PbagDs;(«o dt>i KatioiieuniRrki mil soblreicbi'u Körparchvu, wvlobo <«ilwel*«
Btftrkerro Zerrall seiden.
4 M»br«r«t iialierfe SArperchcn ia Ihrer Umhnlliui^ ■» dem KaoebeatUArk.
< Einige fchnlichv auf der MilB.
(ft— « iSftOmat TbrgrOfiTt.)
megalio in Indien wahrscheinlich auch eine Trypanosomenkrankheit sei. Und
in der Tat machte er dies noch wahrscheinlicher, als er im Mai 1903 seine
VerOrfenttichung brachte« in der er Parasiten in den PuLpazellen der Milz
von Kala-azÄr-Kranken beschrieb, die sich als degenerierte Trypanosomen
ansehen ließen. Bald wurden seine Befunde durch Donovan^) im Juli 1903
bestätigt, der diese Gebilde in 16 Fällen dieser Krankheit fand.
Ronald Ross *) hielt sie für eine neue Art von Parasiten, während
DoNOVAs, Lavkr.an und Mesiul ^) sie als Piroplasmen einschätzten.
Sie bieten bei KoMAXOWSKY-Farbung etwa folgendes Bild (s. Fig. S).
Eh sind rundliche Gebilde von etwa 2 — liy. im Durchmesser; an einer Seite
besitzen sie ein leuchtend rotgefarbtes großes und ungefähr an der gegen-
überliegenden ein ebenso gefärbtes kleines, punktförmiges Cbromatinkorn,
während ihr Protoplasma blaugefärbt ist.
In der Tat entsteht hiernach der Pilindruck, als lägen Degenerations-
formen von Trypanosomen vor, wie sie ans letzteren entstehen, wenn sie
Kala-azar-Krankheit.
277
tu zerfallen sich anschicken. Dieser Ansicht pflichten auch Marguaxd und
Lkdingham") bei, die solche Körperchen in Knochenmarks-, Leber- und Milz-
pulpa-Zellen eines an Splenouiefcalie verstorbenen Chinakriefcers nachwiesen;
sie leg:ten diese Beziehung'en zu den Trypanosümen genauer fest, indem sie
»Degenerationsformen von Nagana-(T8et8e-)trypanoaonien und die genannten
Gebilde einem vergleichenden Studium unterzogen.
I Im Qbrigen brachten sie die Erkrankung mit einem Fiiegenstich in
Zusammenhang, den der Chinakrieger auf der Expedibiun in China erlitten
haben wollte. Damit bot sich ein weiteres Bindeglied zu den Trypanosomen-
krankheiten des Menschen, die ja bekanntlich durch den Stich einer Tsetae-
fliegenart, der Glossina palpalis, übertragen werden.
Im Einklang damit ^teht der Befund von Wright^), der Gebilde, die
den bei Kala-azär gefundenen sprechend Ähnlich sind, bei einem Falle von
Tropical Ulcer in den Zellen der (leschwürsuragebung fand; der Ulcer tro-
picus , auch Orientbeule genannt, wird schon seit langer Zeit von vielen
Autoren als durch ein stechendes Insekt veranlaßt bzw. Übertragen bearg-
wöhnt; er ist in den Gegenden der Kala-azär-Krankheit keine Seltenheit.
Hiermit zeigte sich eine weitere Fährte zum Erforschen der Ätiologie der
Kala-ar.'ir-Krankheit, immer wahrs-^heinlicher wurden trypanosomeniihnliche
Protozoen als ihre Erreger. Sodann fanden im Jahre l'.'ü4 Maxson und Low ^)
die geschilderten Körperchen auch in Ulzerationen der Darmschleimhaut von
Kala-azfir-Kranken, deren Tod, wie erwähnt, oft genug unter dysenterischen
Erscheinungen erfolgt; sie schliefen daraus, daß diese Gebilde auf diesem
Wege den Körper verlassen können.
Endlich scheint es Rogers^) gelungen zu sein, aus Milzsaft, den er durch
Milzpunktion von Kala azär-Kranken gewonnen hatte und in defibriniertea
menschliches Blut einsäte, bewegliche Trypanosomen zu züchten. Bestätigt
sich dieser Befund, so dürfte an der ätiologischen Bedeutung der Trypano-
*Bomen bei der Kala azär Krankheit nicht mehr zu zweifeln sein.
So ist denn wieder eine neue tropische Krankheit aufgetaucht, die
bisher mit der Haupttropenkrankheit, der Malaria, zusammongeworfon and
durch ihren schweren, oft letalen Verlauf deren Mortalitätsziffer stark
belastend, endlich wohl immer mehr dem vütligen Aufgeklärtwerden sich
nähert.
Die Grenzen ihrer Verbreitung müssen stetig weiter gezogen werden,
da erst kürzlich die Nachricht aus Omdurman "^j und ebenso aus Kairo kam,
daß die Leischman-Donovan-Bodies auch dort bei |e einem Kranken in der
Milzpulpa nachgewiesen seien. ^^)
»Leider ist die Therapie dieser Krankheit gegenüber noch fast völlig
machtlos. Es wird zur Zeit nichts anderes übrig bleiben, als bei möglichst
kräftigender Diät — die sich in den Anfangsstadien wohl meist durchführen
läßt, da der Appetit zunächst kaum zu leiden pflegt — dem in jedem
Falle ernst aufzufassenden Leiden gegenüber eine exspektative, von F&U zu
■Fall symptomatische Behandlung angedeihen zu lassen.
Literatur: V» Clasrr, DnH^^oM, Gilbs, HaoEfis, Koaa, zit. nach Buata, Joarn. of
tropical medicJne, 15. Nov. 1904, pag. 351. — ') Lbishman, Brit. med. Joarn., 30. Mai 1903,
Nr. 2213. piig. 1253-12W. — 'i Donovan, ebenda. 11. Juli 1903. — *) Ross, A new pa-
niBite of man. Thompson Yat«n and Johnsion LaboratorieBKeport. Vol. V, N«w Serie«, Part
n. Deiember iy<J3. ITniveraity Fresa oF Liverpool — '> Lavhaan nnd Mbnmil, Comptes
rendut» de« Süanct'n de rAcadömii; des St^iencea, 7- Dezember 1903. — *) Marcuand and
Lkdisubam, Zur Fraue der Trypanosoma-InFektion beim Menachen. Zentralbl. f. bakteriol. u.
^ Paraaite-ukunde, XXXV, pa«- 694. — ') Wriqht, Protozoon in a caae n! Tropical ulcer
■ (Delhi sore). Journ. ol med. KeaearcU, X, Nr. 3. — "") Manbon und Low, Loiachman-
■■ Donovan Borties. Journ. of. tropical mediiiine, 1. ÄURUBt 1904, pag. 239. -- *) RoOKaa. ebenda,
15. Joli 1904. pag. 22ö. — **,i Shi^ffihld NrA»K, Leishmani a Donovanl In the Soudao. Brit.
med. Jonrn , 28. Mai 19(j4, pag. 1249. — ") Llkwkllym Philipps, Pathogenic TrypanoBoraes.
Ebenda, 23. Juli 1904. Nr. 2273, pag. 19.'). Erleb Mariint,
278
Kali permanganicuni als MorphUimantidoi. — Karzjoom.
Kali permans^anicnm als 9Iorpblnatitldot. Einen Fall
von Morphinverf^iftUDg:, bei welchem Kallunipermanganat e;ute Dienste leistete,
berichtet Krämer. Moor (vgrl. Encyclop. Jahrb.. N. F., III, 1905, pag. 202)
hatte die günstig^e Wirkung; von Kaliumpermang^anatgaben bei Morphinver-
giftung nachgewiesen. Die Vergiftung betraf einen Studenten, welcher 1*2
bis 1'5^ Morphin genommen hatte. Auf eine einmalige Gabe von 1*5^ Kalium-
permanganat erfolgte Erbrechen, darauf wurde nochmals 05^ gegeben und
dann halbstündlich 01^. Der Fall ging in Heilung aus, weshalb Kramf.k das
Kaliumpermanganat als wirksames Morphinantidot gegen die mehrfach töd-
liche Dosis empfiehlt.
Literatur: Ä. KKAuyR, Was leistet Kali hypermanganicum als Morpfainantidot?
St. Petersborger med. Wocbenscbr., 1904, Nr. ö, pag. 44. E.Frey.
Kalomel« Untersuchungen Ober den SuMimatgehalt der Ralomel-
tabletten von Vrvt: und Bir>i)K ergaben, daß der Gehalt einer Tablette «n
0'2g, wie sie beim Militär gebräuchlich sind, OOüOOöjtf Quecksilberchlorid
ist; das ist eine Quecksilberchloridmenge, wie sie die Handelssorten ent-
halten können. Durch Vergleich der verschiedenen Jahrgänge ergab sich
ferner, dab Kalomettabletten, trocken bereitet und trocken aufbewahrt, an-
verändert bleiben.
Literatur: K.Yivb and Tn. Budds, Über d(>n SDtUimatgchult der Kalonieltablettvn-
Veiüffeütlicbnngen aus dem Gebiotü des MilitUr-Sanitfttsweaena, Heft 29, I. Teil, pag. 7.
E. Erfj.
Kalomelol. Kaiomelol ist ein kolloidales Kalomel, es enthält 75^0
Kalomel und 25^0 Eiweißatoffe: es lost sich mit neutraler Reaktion in Wasser,
Salzlösungen. Eiweißlösungen, Blutserum. Es stellt ein weißgraues Pulver
dar ohne Geruch oder Geschmack. Fflr die innerliche Anwendung eignet es
sich der dabei auftretenden KeizerscheinuDgen wegen nicht, ebenso nicht als
subkutane Injektion. Das Kalomelol kommt als Kalomelolsalbe >Unguentum
Heyden«, 30% Quecksilber, entsprechend 45^ o Kalomelol in den Handel, ist
weißgrau und macht in die Wäsche keine Flecken. Sie wird zur Inunktioos-
kar angewandt, und zwar 8 — lOg pro dosi. Das jetzt in den Handel kommende
Unguentum Heyden enthält 2^o freies Quecksilber und wird zu \!>g tüglicb
eingerieben. Eine solche Kur ist eine milde, bei lebenshedrohlichen Erschei-
nungen sind die alten Kuren, hauptsächlich Kalomeliniektionen vorzuziehen.
Auch zur lokalen Behandlung eignet sich Kalomelol, entweder als Kalomelol-
salbe oder als Fuder: Kalomelol 5 0. Zinc. oxydat., Amyl. aa. 25. Der Name
und das Aussehen der Salbe ist unauffällig (Nkksser und Sirbert M.
Auch Qalewsky-) kommt auf Grund seiner zweijährigen Erfahrungen
mit Kalomeloleinreibungen zu dem Schluß, daß die Kalomelolsalbe in den
Fällen zu empfehlen sei, wo es sich um eine mitde Verordnung von Queck-
silber in unauffälliger Form handelt, z. B. zu Zwlschenkuren im Sinne der
FouRNiKKHchon und NmssEKBchen intermittierenden Kuren. Auch bei Hg-Idio-
synkrasie »tnd diese Einreibungen möglich. Außerdem gab er Kalomelol inner-
lich in Tabletten zu 001 mit Opiumzusatz. Lokal wandte er es als ZVoiST^
Iiösung oder mit Amylum zu gleichen Teilen an.
Literatur; *) A. Nkusbh und C. 8ibubit, Über die Verwcndong der KalomctolMÜbe
<»Ungi]»nlum Heyden«) la antiByphilitischrn Schmirrknren. Med. Klinik, 1905, Nr. 1, png. 9.
— ^) GALKW6RY. Über lüalichfe Kalorat-l (»Kuloraclol«!. Ältiochetipr med. Wochenschr., 19(Ö)
Nr. 11, pag. 506. E. Frey.
Karzinom. Seit dem Jahre 1903, wo ich im XI. Band dieser Jahr-
bücher ausführlicher die Krebsfrage erörtert habe, sind Fortachritte von grund-
legender Bedeutung aul diesem Gebiete nicht erzielt worden. Trotzdem ist
manche neue Klrkenntnis gewonnen worden und es ist daher berechtigt,
bei dem sehr großen Umfang der Literatur einen orientierenden Bericht^ der
Karzinom,
279
*
ine Übersicht ermOg^licht, zu geben. Ich folge dabei der in meinem vorigen
ÄufBatz (regebenen Kinieilung.
1. Begriffsbestimmung. In dem Vortrage, den Ohth am 1. März d. J.
Ober die Morphologie der Krebeo in der Berliner medizinischen Gesellschaft
hielt, hat er ebenso wie schon vorher in einem Vortrage in Amerika die
Karzinome schlechthin als heterotope Epitheliome definiert, indem er
in der Heterotopie der Epithelien das Kritertura der Bösartigkeit sieht. Er
teilt dann die Epitheliome folgendermaßen ein:
Epltfaeliome.
bomoeotope gntarti^t*
Epithelioma
papilläre etc.
Adenoma
(Cystiidcnotua)
Simplex
heterotope bösartige
Krebaef Karzinome
/\
mit typischer mit atypischer
Auorduang der Anordonii^ der
KrebDzt>llen Krebszellen
/\ I
Adeoonia malienam Epiileriuoitl- Cancer
heterotopicam krebs
Cdocroid
Diese Kinteilung ist ja IDr eine lehrhafte Übersteht nicht unzweckmäßig,
daß sie aber in einigen Einzelheiten (Annubine des Ausdrucks »Adenoma
malignum«, Gegenüberstellung von Cancroid und Cancer) anfechtbar, braucht
nach den von mir im vorigen Jahrgang gemachten Ausführungen nicht aus-
führlicher begründet zu werden. Vor aUi»m ist es ja Jetzt strittiger denn je,
ob wirklich die Heterotopie der Epithelien ein genügendes Kriterium für
die Karzinome Ist; so sind Orths SStze: »Auf die Topographie der epi-
thelialen Wucherungen kommt es in erster Linie an; . . . finden sie sich
an einem Orte, wo epitheliale Zellen nicht hingehöron, liegt ofne heterotope
Epithelwucherung vor, gteichgültitr, ob sie von vornherein eine heterotope
war oder erst eekundär durch UrenzQberschreilung der wuchernden Zeilen
eine solche geworden i»t. 80 handelt es sich um ein malignes Epitheliom«
nur sehr cum grano salis anzunehmen. Denn es haben sich die Erfahrungeo
darüber, daß es heterotope epitheliale Wucherungen gibt, die ntchtkrebsiger
Nator sind, doch in sehr erheblichem Umfange vermehrt. Ich sehe dabei
noch ab von der epithelialen Heterotopie, die infolge von entwicklungs-
geschichtlichen Störungen auftreten und an denen sich erhebliche Wucherungs-
vorgänge abspielen können, ohne daß sie krebsi^er Natur sind; vor allem
muß aber auf die Erfahrungen R. MKVBfis am weiblichen Genitalsystem und
meinen eigenen am Magendarmtraktus hingewiesen werden; hier finden sich
Im Anschluß an eitrige und entzündliche Vorgänge gar nicht selten erheb-
liche heterotope epitheliale Wucherungen, die sicherlich noch nicht krebsiger
Natur sind und vielleicht niemals in Beziehungen zur Krebsbildung treten.
R. Meyer hat ausführlicher das Zustandekommen solcher heterotoper Epithel-
wucherungen studiert und die Epithelverlagerung auf eine Art Fistelbildung
bei Eiterungen zurückgeführt. Jedenfalls ist der Nachweis des nicht seltenen
Vorkommens solcher Wucherungen von prinzipieller Wichtigkeit und hat
wiederum die Frage In den Vordergrund gedrängt, ob nicht das Wesen der
Krebsbildung in einer eigenartigen Veränderung der Epithelzelten läge^
für die es auch möglich sein müsse, morphologische Kennzeichen an der
einzelnen Zelle zu finden. Namentlich Borst bat sich nach dieser Richtung
bemüht; aber es ist weder ihm noch anderen bisher gelungen, charakterir
stische primäre Epithelzellenveränderungen nachzuweisen, die als krebsige
bezeichnet werden dürften. Es wäre das ja für die frühzeitige histologische
Diagnostik des Krebses von größter Wichtigkeit und auch für zahlreiche
Fragen der Krebshistogeneso bedeutungsvoll, aber es müssen vorläufig die
280
Karzinom,
nach dieser Richtung: vorg:6nommenen Lnterauchnn^en als unzureichend an-
gesehen werden. Alles das erschwert ja zweifellos die histoloe:ische Dia-
f!:nose des Karzinoms; aber es ändert nichts an der Tatsache, daß allein
das dostruierendo Wachstum der epithelialen Neubildung: charakteristisch
für Karzinom ist. Aber destruiorend deckt sich nicht mit hetcrutop; denn
es gibt epitheliale Heterotopien, bei denen überhaupt keine dealraierende
Wucherung stattgefunden, und solche, bei denen die Heterutopie die Folge
einer entzündlichen Gewebsdeatruktions die heterotope epitheliale Wucherung
selbst aber nicht destruierend ist.
2. Histologie, Qenese und Wachstum. Die Studien über die feinere
Histologie der Karzinome haben selbstverständlich auch in den letzten Jahren
nicht stillgestanden, wobei auch manche interessante Einzelheiten Ober Kem-
und Protoplasmaban zutage gefordert worden sind. So hat Mokiani besonders
in Mammakrttbsen ein uigontümliches Bionennetz um den Kern herum ver-
mittelst iU*r GoMiiHchen Methode nachweisen können. Es seien ferner die
Beobachtungen von Borst erwähnt, der spezifische KigentQmlichkeiten schon
in beginnenden Krebsen gefunden haben will und eine gewisse WillkQr in der
Kern- und Protoplasniastruktur für charakteristisch hält, während die Beob-
achtungen Unnas über die »H-Zelle des Karzinoms* mehr für die Frage der
Pseudoparasiten der Karzinome von Bedeutung sind. Es möge hier genügen»
diejenigen Ergebnisse der histologischen Untersuchungen anzuführen, die von
prinzipieller Wichtigkeit sind. In dieser Hinsicht sind auch gerade die durch
die Experimente an Mäusen und Ratten gewonnenen Erfahrungen von Lokb,
Jensk.n\ Borrel, Ehrlich und Apolant, B.\HSFtij;r) u. a. bedeutungsvoll. Denn
sie zeigen übereinstimmend, daß die besonderen Formen der Karzinome —
besonders die Kalaplasie und Hinfältigkeit der Zellen sowie das Verhältnis
zwischen Geschwulstparenchym und Geschwulststruma — sehr wesentlich
abhängig sind erstens von der Wachstumsgeschwindigkeit des Epithelioms,
zweitens von manchen individuellen Besonderheiten der tierischen Gewebe.
So betonen Ehrlich und Ai'olant, datS in ihren Transplantationsversuchen
die schnell wachsenden Tumoren in dicken soliden Strängen und Nestern
wuchsen unter Bildung kolossal ausgebreiteter Degenerationen, während bei
den langsam wachsenden Geschwülsten eine Neigung zum alveolären und
papillären Typus vorhanden war und weit geringere Neigung zur Degeneration
von Zellen zieh zeigte. B.\SHFtmü — aber auch Ehrluh und Apolant —
hebt weiter noch hervor, dali sich der histologische Charakter der Tumoren
im Verlaufe der Überimpfungen erheblich ändern kann, und daß auch die
primären Tumoren in den verschiedenen Abteilungen sehr abweichende
histologische Details darbieten können, wie das ]a für die Karzinome des
Menschen seit längerem von den pathologischen Histotogen gelehrt wird
und auch von mir stets betont ist.
Trotzdem ist kein Zweifel darüber möglich^ daß die Zelten der Kar-
zinome sowohl in den Primärherden wie in den Metastasen zunächst sehr
wesentliche Übereinstimmungen mit den Epithelten des Mutteibodena be-
sitzen, so daß sogar vielfach mit unseren ietzigen Methoden durchgreifende
Unterschiede gegenüber den normalen Epitheüen des betreffenden Gewebes
gar nicht nachweisbar sind Deswegen kann auch die von Kkllin« so ent-
schieden vertretene Ansicht, daß die Zellen der Karzinome gar keine mensch-
lichen Zellen, sondern artfremde, von niederen Tieren abstammende und im
Menschen nur parasitierende Zellen wären, keinen Anspruch auf ernsthafte
Beachtung machen und der Zurückweisung dieser Hypothese durch Rirbkrt
ist durchaus beizustimmen. Immerhin wird noch an anderer Stelle kurz auf
Kbllings Auffassungen eingegangen werden müssen.
In der Frage über die Histogenese der Krebse stehen sich die An-
sichten kaum mehr so schroff gegenüber wie früher. Hibberts Ansichten
Karzinom.
281
^Bind insofern sieK^reich (gewesen, als die Lehre von dem anizentrischen W^achs-
tum der Karzinome immer weitere ßestätif;uD(;r und Anerkennunj; gefunden
bat und als Regel anerkannt wird. Dazu haben vor allem die sorgfältigen
Untersuchungen Borrmanns Ober das Magenkarzinom, die von Petersen über
das VV'achstum des Hautkarzinoms sowie die von Pktfcrsev und Colhers Ober
die Magen- und Darmkarzinome beigetragen > ferner auch das große Qe-
fichwulstwerk von Ribbkkt selbst. In dem er ja mit unermödlicher Energie
seine Ansichten begründet und erweitert hat. Auch Bokst ist in seinem
BOeschwulstwerk in vieler Hinsicht den HiBBEKTschen Anschauungen bei-
'getreten. Natürlich bleiben trotzdem niunche Differenzen in den Kinzelheiten
fibrig; so hat sich Rrtefisen beim Hautkarzinom für eine gewisse Häufig-
keit multizentrtHcher Krebse ausgesprochen, während er dies im Magen und
Darm für ungemein selten häit; und auch Okth halt an dem Vorkommen
multizentrischer Krebsentwicklung fest, woran ja auch gar kein Zweifel be-
stehen kann, da ein multiples Vorkommen primßrer Krebse bei Menschen
und Tieren durchaus sichergestellt ist. Man wird aurh Okth darin recht
geben müssen, dab a priori sehr wohl die Möglichkeit vorliegt, daß eine
derartige multiple Entstehung nacheinander vor sich geht und in der näheren
oder entfernteren Umgebung eines schon bestehenden Krebses eine neue
primäre Krebswucherung beginnt, die, wenn sie zur Vereinigung mit dem
ersten Herde gelangt, mit zum Wachstum des Primärknotens beiträgt. Diese
liföglichkeit dürfte wohl auch selbst von Ribbkht nicht abgelehnt werden;
er leugnet nur — und wie ich schon vor 7 Jahren zugestanden hübe, nach
meiner Meinung mit Recht — , dal5 man an den fertigen großen Tumor'
knoten etwas derartiges mit Sicherheit noch erscliiiolicn und an der Ge-
Bchwulstgrenze die Histogenese mit Sicherheit erforschen kann. Diese An-
sicht wird von allen denen geteilt werden müssen, die eine multizentrische
Krebsentwicklung nur für eine recht seltene Ausnahme halten, und daran
kann eigentlich für die meisten Organe nicht mehr gut gezweifelt werden.
Auf der anderen Seite möchte ich aber aus allen den Untersuchungen rein
histologischer Art mit ihren zahlreichen Widersprüchen schließen, daß es
gar nicht möglich ist, die Entwicklung und das Wachstum der Karzinome
und der Geschwülste Überhaupt mit Sicherheit durch diese eine Methode
der mikroskopischen Untersuchung klarzustellen und vor allem nicht zu
80 apodiktischen und allgemein gültigen Urteilen zu gelangen, wie sie
meist üblich sind. Da, wo die Geschwülste noch ganz jung und vor allem
Überall scharf abgegrenzt sind , ist freilich die Beurteilung ziemlich einfach
und hier führt allerdings die Untersuchung zahlreicher Geschwülste ver-
schiedener Größe zu der Annahme, daß das Wachstum der Geschwulst
stets aus sich heraus, d, h. von den Kiementen aus stattfindet, die zu-
erst den Keim der Geschwulst bildeten. Wo Karzinome noch klein sind und
langsam wachsen, ist ebenfalls überall der Eindruck vorhanden, daß nirgends
ein Wachstum durch Apposition, d. h. sozusagen durch Infektion benach-
barter Epithclien vor sich geht. Ich halte es für durchaus berechtigt, daraus
den Schluß zu ziehen, daß auch in solchen Fällen, wo sich der Nachweis
nicht mehr erbringen läßt, die gleichen Wachstumsvorgänge stattgefunden
haben, nicht aber, daß andere Wacbstumsmöglichkeiten überhaupt
nicht existieren, und deswegen kann man nach meiner Meinung, wenn
man nicht etwa auf dem Standpunkt steht, daß alle Geschwülste nur aus
embryonal verlagerten Teilen hervorgehen, nicht a priori die Möglichkeit
ablehnen , daß auch mal die einem Karzinome benachbarten Kpitheliea
krebsig werden und sich mit dem primären Krebs vereinigen. Man k5nnte
sogar das durchaus mit der RiRBEHTSchen Karzinomtheorie vereinigen, die
er neuerdings in einem wesentlichen Punkt modifiziert hat, worauf ich
weiter unten zurückkomme. Man soll aber nicht glauben, alle Wachstums-
28:
Karzinom.
eigenlQailichkeiten aas den histologischen Bildern beurteilen zu können. In
dieser Hinsicht sind namentlich auch die Kontroversen zwischen Krom-
PECHKH und BoKRMANN Über den drOsenartt^en Oberflächenkrebs (Krom-
PEfHEUS Basalzellenkrebs) recht lehrreich. Krcmfechkr wollte die Eigen-
tümlichkeiten dieses meist gar keine Stachelzetlen besitzenden Krebses
daraas erklären, daß sie sich nur von den Basalzellen des Stratum Malptgbil
entwickelten, während sie Boiirmann aus ursprönglichera Oberflächenepiihel
hervorgohen Ifilit, das in das Korium versprengt war (daher die Bezeich-
nung >Kariumkarzinum«).
Die verschiedene Morphologie dieser OeschwOIste soll lediglich bedingt
sein durch das fötale Diflerenzierungsstadium, das die Zellen gerade zur
Zeit der Isolierung erreicht hatten. Gegen Krompechghs Ansicht ist vom
Anfang an von mir, Haxsemann, Borhmann u. a. eingewendet worden, daß
alle Hautkrebse die Basalzellen zur Matrix haben, die auch bei der physio-
logischen Wucherung (Resreneration) die Mutterzellen der neuen Generation
sind, und daß eben gerade zo erklären übrig blelbl, warum die Abkömmlinge
der Basalzellen in einer Art von Krebsen ausgebildete und normal ver-
hornende Zellen liefern, während sie in anderen Arten nur weniger differen-
zierte Zellen, die fast ganz auf der Stufe der Muttersellen stehen bleiben,
bilden. Das versucht allerdings ßonnM.ANX durch seine Annahme zu er-
klären, wenn er das verschiedene Differenzierungsstadium heranzieht, in dem
die Oberflächenepitbelien verlagert wurden. Aber diese Annahme hat wieder
eine ganze Reihe sehr bestreitbarer histologischer Hypothesen zur Grund-
lage und die Annahme des Ausganges von in die Tiefe verlagertem Ober-
flächenejiithel tat morpholouEsch sehr schwer zu beweisen. Borrmanv sucht
das dadurch zu tun, datJ er sagt: »Prinzipiell muß daran festgehalten
werden^ daß eine unter der Epidermis gelegene Tumormasse, die sich nach
oben hin verjüngt und durch schmale Zuge mit dem Oherflächenepithel zu-
sammenhängt, immer von unten nach oben gewachsen sein muß,
niemals aber ihren Urspruntr >m Oberriächenepithel genommen haben
kann.« Aber diese prinzipielle Annahme» die die wesentlichste Grundlage
von BoRRMANNs morphologischen Beweisen bildet, ist sehr wohl anfechtbar
und von Krompechkr auch angefochten worden. Es würde viel zu weit
führen, das hier näher zu entwickeln und meine eigene Meinung über diese
Dinge näher zu begründen; es soll dies nur ein Beispiel sein, daß wir durch
diese mrtrphologiHchen Untersuchungen zu keinen sicheren und völlig Ober-
zeugenden Resultaten kommen und auf keinem Gebiete das Fehlen experi-
menteller Methoden so entbehren müssen wie gerade auf diesem. In dieser
Hinsicht haben uns auch die später zu besprechenden Übertragungsversuche
nicht gefördert, da sie uns nur Über das Wachstum der Krebsmetastasen,
nicht aber der Primärkrebse aufklären. Was nun die Frage der ersten Ent-
wicklung der Krebse anbetrifft, so hat Ribbert seine Ansichten in erheb-
licher Weise modifiziert, insofern er nicht mehr daran festhält, daß Karzi-
nome nur von solchen Epjthellen ausgeben können, die vorher aus dem
Zusammenhang gelost waren. Er stellte »ich früher die Sache so vor, daß
durch eine subepithelralo Bindcgewebswuchorung, die bis in das Deck- oder
Drüsenepithel eindringt j eine Isolierung und Verlagerung von Epithelzellen
einträte, die dadurch selbständig gemacht, die schrankenlose, krebsige
Wucherung erzeugten. Sowohl seine eigenen weiteren Untersuchungen wie
die BoKUMANNS haben ihm nun gezeigt, daß eine derartige Trennung der
Epithelien aus dem Zusammenhange nur in einer kleinen Zahl beginnender
Krebse nachweisbar ist und deswegen erkennt er jetzt auch ein kontinuier-
liches Tiefenwachstum des Epithels an. Er bestreitet nur noch, daß das ein-
treten könne durch eine primäre W^achstumsfindcrung dos Epithels und
meint, daß die entzflndh'che Umwandlung des Bindegewebes die
Karzinom.
388
notwendig'e Voraassetzung ffir das Tiefenwachstum des Epithels ist,
und er weist darauf hin, daß selbst bei der embryonalon DrÖsenbildung. wo
es ein typisches Tiefenwachstuni des Epithels ffiht, vorher oder wenigstens
parallel damit das Bindefrewebe in eine besonders gefäU- und zollreiche
Lage von besonderer Anordnung: sich umwandelt. Ribbi^kts Auffassung hat
gewiß manche V^orteile und ist von ihm sehr geiätretch durchgeführt und
durch zahlreiche Hilfsannahmen zu stützen versucht worden. Aber ich glaube
trotzdem nicht daß sie uus das Rätsel der Krebsbildung lost^ und daß sie
genügend fest — auch nur morphologisch — begründet ist. Krstens ist gar
nicht zu bestreiten, daß es auch sehr kleine und wenig fortgeschrittene
(also sogenannte beginnende) Krebse gibt, in denen von der subepithetialen
Veränderung des Rindegew^ehes gar nichts oder nur eine Spur zu sehen ist.
RiDBERT sagt dann freilich, das wären keine »beginnenden- Krebse mehr
und die V'erändorung des Bindegewebes wäre wieder rückgängig geworden.
Aber dos ist doch eben nur eine Behauptung von subjektivem Wert, wie ja
Oberhaupt der Begriff »beginnender Krebs gar nicht zu definieren und, wie
V. Hanskmanx ganz richtig gesagt hat, eigentlich ein Phantom ist. Zweitens
erstreckt sich nicht selten die Veränderung des Bindegewebes weit über den
Bezirk der Krebsentwicklung; Hokhmann hebt sogar hervor, daß sie sich oft Ober
weite Flächen ausdehnt, während doch die Karzinoraentwicklung nur an einer
kleinen Stelle erfolgt. Ribbeht meint allerdings dagegen, daß eine multi-
zentrische Entwicklung nicht selten ist und daß die biologische Bedeutung
der morphologisch gleichartigen Bindegewebsverfinderung eine verschiedene
sein kann. Drittens linden wir, wie besondere Rdh- Mkykk und ich gezeigt
haben, relativ häufig in Schleimhäuten an entzündliche Prozesse an-
schließende tiefgehende Epithelverlagerungen und Epithelwitchorungen, die
sicherlich nicht krebsiger Natur sind. Nun könnte man freilich einwenden^
daß sie eben nur >noch nicht« krebsig sind, es aber mit der Zeit werden
würden. Dem widersprechen aber nicht nur recht gut begründete Beobach-
tungen am Menschen, sondern auch vor allem Tierversuche. Bhosch ist es
an der Haut, FCttkukk an der Magenschleimhaut von Kanincheo gelungen,
derartige tiefgehende Kpitholwuchorungen auf entzQndltcher Basis zu er-
zeugen, die aber auch trotz langdauernder ßeobacbtungt»zeit ebenfalls nicht
krebsig wurden. Alles das beweist nach meiner Meinung, daß die entzünd-
liche Veränderung des Bindegewebes, wie sie von Ribbeht in den Vorder-
grund gestellt ist. nicht genügt, um das Wesen des Karzinoms zu erklären,
trotz aller geistvollen Hilfshypothesen Ribbert.s.
Es ist sehr wohl möglich, ja wahrscheinlich, daß sie in vielen Fällen das
Tiefenwachstum vonKpithelien erleichtert, vielleichterst ermöglicht; aber damit
ist noch gar nicht das Wesen des Krebses gegeben. Nimmt man aber an. daß
durch die Verlagerung der Epitholien in die Tiefe eine derartige biologische
Umwandlung des Epithels stattfinden kann, daß es förmlich unbegrenzte
Oenerationen zu erzeugen, Überaß anzuwachsen und unter Umständen selbst
die festesten Gewebe zu zerstören vermag, so gibt man eben zu , daß das
Epithel unter bestimmten Umständen Eigenschaften gewinnen kann, die es
für gewöhnlich nicht oder wenigstens nicht in dem Maße besitzt. Nachdem
RiBBKitT ferner zugegeben hat, daß auch ein kontinuierliches Tiofonwachstum
des Epithels bei der Krebsentwicklung vorkommt — d. h. ohne Lostrennung
und Isolierung von EpitheJien ^, erscheint es einseitig, ausschließlich der
entzündlichen Bindegewehswucherung und der dadurch bewirkten Wider-
standsabnahme gegenüber dem Epithel die Fähigkeit zuzuschreiben, die
schrankenlose Wachstumsfähigkeit der Epithelien zu ermöglichen, sondern
man muß zugeben, daß es auch andere Momente geben kann ^ die dem
Epithel eine Entfaltung bösartiger Eigenschaften gestatten. Um so mehr ist
das nötig, wenn man sieht, daß entzündliche Bindegewebswucherungen auch
284
Karzinom.
beterotope Kpithelwucherungren nach sich ziehen können, die nicht krebsiger
Natur sind. Deswej^en ist es besser, zuzof^eben, daß man zwar einige plau-
sible Annahmen über einen Teil der £nt3tehuni;räbedinf;:un(cen der Krebs-
entwicklunf^ durch Hibiif.ris Untersuchungen gewonnen hat, daß man aber
nicht imstande ist, anzugeben, wodurch die hervorstechendsten Eigenschaften
der Karzinome, die Fähigkeit des destruicrenden Wachstums und der Meta-
stasenbildung, hervorgebracht wird. Das ist um &o nötiger als ja fast alle
Geschwülste — Lipome, Fibrome, Chondrome. Gliome und Angiome — die
gleichen bösartigen Kigenscbaften wie die Karzinome annehmen können,
ohne daß es gelungen wäre, auch nur annähernd die gleichen Entwicklungs-
verhältnisse und Beziehungen zu Veränderungen der einbettenden Gewebe
nachzuweisen wie bei den Krebsen. Das Gefühl, daß die RiBBKRTsche Theorie
die Genese der Krebse nicht vollständig erklärt, hat. selbst Borkmann nnd
er will deswegen wieder den Hauptnachdruck darauf legen, daß embryonal
abgesprengte Keime die Matrix der Krehswucherung seien. Daß das wirk-
lich der Fall ist, hat er nicht nial mit Sicherheit für die nicht verhornen-
den (sogenannten) Coriumkarzinomo bewiesen, geschweige denn für die ver-
hornenden, von denen er glaubt, daß sie von intraepidermoidal ausgeschalteten
Epithelkeimen ausgingen. Das ist lediglich eine Annahme, denn er hat solche
intraepidermoidal ausgeschaltete Epithelkeinie weder in krebsigen Wuche-
rungen, noch in normaler Haut bisher aufweisen können. Außerdem ist es aber
eine falsche Auffassung, daß embryonal ausgeschaltete oder verlagerte Keime
an sich eine größere Wachetiimsfähigkeit besäßen wie andere Zeilen. Was
wir wenigstens Genaut»res darüber wissen, spricht nicht dafür. Richtig ist
es ja. daß die zahlreichen Implantationsversuche ergeben haben, daß em-
bryonale Zellen ein Üppigeres Wachstum im fremden Organismus zeigen,
als Zellen ausgewachsener Tiere; aber das sind zum Teil ziemlich gering-
fügige Unterschiede und auch bei Einimpfung embryonaler Zellen bilden
sich die ursprünglichen Wucherungen ebenso vollständig zurück wie die
aus implantierten alten Zellen entstandenen. Bei diesen Versuchen handelt
OS sich dabei aber stets um Einpflanzung frischer embryonaler Zellen,
während wir ja bei den Geflchwu Istkeime bildenden embryonalen Zellen
annehmen müssen« daß sie jähre- und jahrzehntelang ein latentes Leben im
menschlichen Körper gelührt haben. Daß solche aber noch an sich eine
stärkere Wachstumseaergie besitzen, ist nicht bewiesen; vielmehr ist das
Gegenteil wahrscheinlich. Denn R. Meyek hat in zahlreichen schönen Unter-
suchungen gezeigt, daß die sicheren embryonalen Einschlü.sse im weiblichen
Genitaltraklus und den Nieren meist weit mehr eine Neigung zur Rück-
bildung wie zur Wucherung besitzen, wenn sie auch eine Zeitlang innerhalb
des sie einschließenden Organes ebenso wie die anderen Gewebe wachsen.
Somit kann man die Annahme einer stärkeren W^achstumstendenz embryo*
nal verlagerter Zellen nicht als erwiesen ansehen und mit ihr als einer ge-
gebenen Größe rechnen. Suaiit bleibt auch jetzt uns nichts anderes Übrig,
als uns zu bescheiden und immer wieder zu betonen, daß die Methoden der
pathologischen Histologie nicht ausreichen, um die Genese des Karzinoms
mit Sicherheit zu ergründen . wie das übrigens eigentlich für fast alle
pathologischen Prozesse der Fall ist, wo wir eben des Tierversuches, bei
dem wir uns willkürlich all© Stadien der Krankheit zur pathologischhisto-
logtschen Untersuchung verschaffen können, zum Vergleich bedürfen. Des-
wegen werden wir auch in der Frage der Geschwulstgeneso nicht eher zu
sicheren Resultaten kommen^ als bis wir ein sicheres Mittel zu ihrer will-
kürlichen Erzeugung kennen.
3. Metastasen und Rezidive. Die Erfahrungen über Spätrezidive bei
Karzinomen haben sich neuerdings vermehrt . ohne daß damit etwas prin-
zipiell Neues beigebracht worden wäre. Immerbin sind diese Erfahrungen
Karzinom.
286
Tfkr die Beurteilung einer Dauerheilung: nach therapeutischen Maßnahmen
wichtiK und es g^eht nicht mehr an. jede Gefahr eines Rezidivs fQr aus(;e-
schlössen zu halten, wenn 4 Jahre nach der Entfernung des Primärherdes
kein RQckfall eintrat; um so mehr kommt das in Betracht, als ia häufig
fenuf: nicht alles Krankhafte entfernt werden kann, wenn auch dies makro;
^»kopisch geschehen zu sein schien. So hat z. B. Bokumann bei G.^ exstier-
pierten Magenkrebsen mikroskopisch 20mal noch krebaiire Gewebe am Grund
des Tumors g^efunden. Aus solchen Kosten brauchen aber nicht stets neue
Krebse zu entstehen, da der Körper mit einer K^wissen Monge von Krebs*
Zellen fertig werden oder wenigstens Ihre Weiterverraehrung auf längere
Zeit unterdrücken kann. Auf diese Eigentümlichkeit mancher Krebse,
von selbst oder unter dem EinfluU verschiedener therapeutischer Maß-
nahmen das Wachstum einzustellen, hat neuerdings Lomi-:r eindringlich
hingewiesen und dabei auch manche Beispiele von Spätrezidiven angeführt,
die ja im wesentlichen darauf zurflckzulühren sind, daß nach der Flntfer-
nung eines Primärtumors bereits regionär verschleppte Krebszellen zunächst
lange Zeit liegen bleiben, ohne sich wahrnehmbar zu vermeliren, um dann
später unter bestimmten Bedingungen zu lebhafter Wucherung zu gelangen
und so neue Gewächse zu bilden, Jordan, der Fälle von erst nach VJ Jahren
eintretenden Rezidiven beobachtete, meint, daß die Proliferationsenergie des
Primärtumors für die Kntstehungszeit der Rezidivtumoren entscheidend sei,
was jedenfalls zutreffend, wenn auch nicht ersch<^pfend ist. Freilich muß
man in den Fällen von sehr späten Rezidiven, wie auch Haberer ( 14 Jahre,
Unterkieferkrebs) und Borst (12 Jahre, Unterlippenkrebs) welche mitteilen.
mit der M5glichkeit eines neuen , vom frühern entfernten unabhängigen
Krebses rechnen. Das kommt besonders in Betracht bei dem sogenannten
regionären Rezidiv, d. h. wenn das Rezidiv nicht in der Nähe des alten
Krebses, sondern in der Nachbarschaft davon sitzt. Borrmaxn will daher alle
Fälle von sogenannten regionärem Rezidiv als >autochthone Regionär-
tnmoren« bezeichnet wissen, die ebenso, wie der erste Krebs, von Zelt-
dystipien ihren Ursprung nehmen. Das kommt aber sicherlich nicht in Be-
tracht, wenn sich das Rezidiv an Stelle eines exstirpiorten Organes findet,
in Fällen, wie MArKRVRfinr welche mitteilt, wo 5'« — 8'/. Jahre nach Total-
exstirpation des Uterus das Rezidiv einsetzte. Diese Fälle führen hinüber
zu den Spätmetastasen, es kommt gar nicht so selten vor, daß
sich Individuen nach Krebsuperationen zunächst jahrelang wohl befinden,
um dann erst später an inneren Metastasen zugrunde zu gehen , auch
kommt es vor, daß Individuen, denen vor mehreren Jahren ein Karzinom
entfernt wurde, wenn sie an einer interkurrenten Krankheit zugrunde
gehen, in irgend einem Organ noch wenig vorgescbrittene Metastasen auf-
weisen. Auf der anderen Seite haben sich aber auch Beobachtungen über
Spontanheilungen von Krebsen und Krehsmetastnsen vermehrt und vor allem
haben diejenigen Autoren, die über reichlichere Krfahrungen über spon-
tanen und experimentellen MäuHekrebs verfugen i'BASKKOKh. Khri.kh,
L. LoEB u. a.), auch beobachten können, daß ohne erkennbare Ursachen sich
spontan oder durch Impfung entstandene Tumoren znrückbildeten. Was im
Übrigen die Entstehung der Krebsmetastasen anbetrifft, so haben sowohl
die fortgesetzten anatomischen Untersuchungen am Menschen wie vor allem
die experimentellen Untersuchungen an Mäusen gezeigt, daß die häniato-
gene Metastasierung weit häufiger ist, als eine Zeitlang angenommen
wurde. In dieser Hinsicht sind besonders die Untersuchungen von M. B.
SriiMinT hervorzuheben, der zeigte, daß bei Karzinomen des Raurhraumes
häufig vom Ductus thoracicus aus GeschwulsteniboH in den Lungenarterien
entstehen, die sich entweder zurQckbilden oder durch organisierte Thromben
abgekapselt werden oder weiter wachsen und in der Lunge selbst Meta-
286
Karzinom.
stasen erzeugen oder bei Einbruch in die Lnn^envenen auch zur Entstehung;
von Metastasen in Organen des grot^en Kreislaufes Anlaß geben. Die An-
gaben von M. B. Schmidt sind auch von LirHAHStn (Allg. Pathol. , Kapitel
Embolie und Metastase) bestätigt worden. Auch die Untersuchangeu von
Ehrlich und Apolant sowie von Bashkord über den Mäusekrebs zeigen,
wie häufig die Metastasierung auf dem Blutwege — meist allerdings durch
Vermittlung des Ductus thoracicus — zustande kommt. Diese zahlreichen
Versuche von Krebsüberimpfungen haben ja auch den experimentelten Be-
weis dafür geliefert, daß eine Metaataflenbildung durch Zellimplantatton
(Implantattonämo tantaflen) möglich ist; denn auch bei der von Borrrl
und Khuliih benutzten Methode der Uberirapfung zerstampften Karzinom-
breies Landelt ew «ich um eine Einpflanzung von Krebszellen. An und für
sich können natürlich auch dieae Versuche nicht ohne weiteres auf die Ver-
hältnisse beim Menschen übertragen werden; aber sie sind doch nach vieler
Richtung hin sehr lehrreich, indem sie zeigen, daß keineswegs unter allen
Umständen und ohne weiteres implantierte Krebszellen neue Qeschwülate
bilden. In den Versuchen von Ehhlich erwiesen sich z. R. von 71 Tumoren
überhaupt nur 10 als überimpfbar . Bashford berichtet ausfOhrlich Ober
2:^50 Versuche an wildon und zahmen Mäusen mit Mäusekrebsen verschie-
denster Herkunft, wobei er im ganzen 38 positive Ergebnisse hatte (freilich
starben etwa 550 Tiere schon in den ersten 10 — 18 Tagen rzz]i der Ein-
impfung). Es kommt somit, wie diese Versuchp Zv^igen , nicht nur auf die
Vcrmehrungs- und WachstumsfBh:ö^>>eit> der eingeimpften Zelten an, sondern
auch auf den BoHrn. riui den sie gelangen, und so unterstützen diese Tat-
sachen der Ticrvt «suche, die freilich noch andere bedeutungsvolle Momente
zutage gefördert haben, die Kritik, die Milner in seiner sehr ausführlichen
und umfassenden Arbeit an der Lehre von den Impfmotastasen geübt hat.
Besonders hat sich Milxku gegen das Vorkommen von Jrapfmetastasen in
Schleimhäuten, vor allem dea Magendarmtraktus, ausgesprochen und nachge-
wiesen, dali viele derartige Fälle durch retrograde lymphatische oder ka-
pilläre Metastasenbildung zu erklären seien; auch bezüglich der InipfmetA-
stasen in der Haut ist er der Meinung, daß sie nur in besonderen Fällen
anzuerkennen seien, während er die relative Häufigkeit von Impfmetastasen
in den groHen lymphatischen Räumen (besonders dem Bauchraum) aner-
kennt. Die Frage, welche Momente die Metastasenbildung bedingen, ist zu-
nächst durch die Tierversuche nicht wesentlich gefördert worden; freilich
hat sich wenigstens in den Versuchen von Ehrlich und Apolant gezeigt,
daß im Laufe der Zeit durch immer neue Übertragungen die Metaata-
sierungsfähigkeit erhöht, eine Art Virulenzsteigeruiig bewirkt wird, so daß
wenigstens bei einzelnen Tumoren die Zahl der positiven Übertragungs-
versuche auf 8U — lüO"/.j stieg. Man könnte daraus sowie aus anderen Tat-
sachen (z. B. daß die Übertragung ebensogut auf junge, wie auf alte,
männliche und weibliche Tiere gelang) schließen, dati unter allen Umständen
die Metastasenbildung nur abhängig ist von den besonderen Eigenschaften
der Krebszelle und nicht von den besonderen Kigenschaften des Organismus
und der Gewebe. Aber wenn schon Emuluh und Apolant mit Kecht be-
tonen, daU die Bedingungen für die primäre Entstehung der Karzinome
weaontHch verschieden sind von den für das Haften und die Vermehrung
der fertigen Krebszellen im fremden Tierkörper mallgebenden Umständen,
80 muß das gleiche auch betont werden für die Bedingungen der natür-
lichen Metaslasenbildung- Sicher kommt in erster Linie eine gewisse ab-
norme Wucheruügsfähigkeit der Zellen in Betracht; diese kann aber ebenso
wie im Tierversuch durch fortgesetzte Übertragungen, im menschlichen
Korper durch mannigfache Umstände allgemeiner und lokaler Natur erhöht
werden, worauf hier nur kurz aufmerksam gemacht werden soll, um irrigen
I
Karzinom. 287
Schlußfolgerungen auf Qrund der Tierversuche vorzubeugen. Was die Lo-
kaliäation der MetastaHen anbetrifft, ho haben uns die Tierversuche bisher
noch keine neuere Kenntnis gebracht; in Bashfords Versuchen zeigt sich,
daß die Longen häufig und ziemlich früh (z. B. schon nach 44 Tagen) er-
griffen werden können . auch hier meist durch V^ermittlung des Ductus
thoracicus, da die Metastasen im Bauchraum deutlich in den Lyraphräumen
(besonders auch in Leber und Darm) zu liegen pflegen. Über Knochenmeta-
st&sen ist in den Tierversuchen, soweit mir bekannt, nichts bekannt ge-
worden . während neuere Beobachtungen am Menschen zeigen , daß die
Knochenmetastaaen erheblich häufiger sind ^ als meist angenommen wurde;
80 hat K. Kraknkkl, der allerdings hauptsächlich nur die Wirbelsäule be-
rfickisichtigte. in etwa 20Yo seiner KarzinomFälle, Schmokl (Fisi hkr-Üefoy)
in ca. 26^ ,) Knochenmetastasen gefunden und meine eigenen Erfahrungen
stimmen damit im wesentlichen überein, obgleich keinesfalls immer syste-
matisch das ganze Knochensystem untersucht werden konnte; besonders
bemerkenswert dabei ist Qbrigens, daß ich namentlich im Femurknochen-
mark auch in Fällen, in denen makroskopisch keine Metastasen vorhanden
waren, mikroskopisch solche nachweisen konnte. Das Verhalten der Knochen-
masse in der Umgebung der Metastasen ist ein ungemein verschiedenes;
m&chtige Knochenwucherungen (osteoplastisches Karzinom) fanden sich
keineswegs nur bei primärem Frostatakrebs , sondern auch bei anderen
Primärkrebsen, z. H. Magen- und Nebennierenkrebs, wo ich gerade am Schädel
großartige osteomartige Knuchenneubildungen im Gebiete der Metastasen
gesehen habe. Was die Ausbreitung der Metastasen anbetrifft, so kann sie
neben der gewöhnlichen knotigen Form Überali auch mehr diffus sein , so
daß dJe makroskopische Erkennung erschurert sein kann. Auf solche Formen
Ist neuerdings besonders an der harten und weichen Hirnhaut aufmerksam
gemacht worden, wo dann die entzOndlichen Erscheinungen wtnt in den
Vordergrund treten, so daß von einer Pachy- und Leptomoningttis
carcinomatosa gesprochen wird. Derartige Fälle sind von S.wer, Qlt-
MANN, WestüinmÖfpek, Fischkk-Defoy ^ Dahuen u. a. demonstriert worden;
in einzelnen dieser Fälle schien zunächst eine einfache hämorrhagische
Pachymeningitis vorzuliegen und erfet die mikroskopische Untersuchung erwies
die krebsige Natur; ähnliches findet sich» wie v. Hansemann betont, auch an
anderen serusen Häuten. Erwähnenswert sind ferner die MetastasenbiUlungen
in andere Geschwfliste, die ja zunächst freilich mehr die Bedeutung von
Kuriositäten besitzen. So sind mehrfach Fälle von Metostasenbildungen in
Uterusmyomen beobachtet worden, die nach S<;hmi>ri. , dem ich betstimmen
kann, gar nicht mal so selten sind. Uokkmann hat auch In Ovarialzystomen
Metastasenbildung gesehen. Dafür, daß die Krebsmetastasen den Primär-
krebs an Mächtigkeit erheblich übertreffen und dann völlig in den Vorder-
grund treten können, liegen ja längst zahlreiche Erfahrungen vor. Dahme.v
hat aus v. Hansemanxs Institut einen besonders interessanten derartigen
Fall mitgeteilt, in dem der primäre Magenkrebs fast völlig geheilt war, die
Lebermetastasen aber eine geradezu kolossale Ausdehnung erreicht hatten.
Aus demselben Institut berichtet H. Lit'CMANN aooh über einen der recht
seltenen Fälle von akuter hämatogener Karzinose, wie auch Li BAHSru einen
In seiner allgemeinen Pathologie anfflhrt. In diesen Fällen war, ähnlich wie
bei der akuten allgemeinen Miliartuberkulose, eine Eruption zahlreicher
kleiner Krebsknoten in fast allen Organen auf dem Blutwege durch Ver-
mittlung des Ductus thoracicus eingetreten. BezOglich der Histogenese
und des Wachstums der Krebsmetastasen haben die experimentellen
Untersuchungen, vor allem Bashfords, die herrschende Auffassung der patho-
logischen Anatomen völlig bestätigt und gezeigt, daß die Methoden der
pathologischen Histologie, wenn sie nur an geeignetem Material und mit
288
Kar/inom.
genflgender Kritik angewendet werden, sichere Einblicke auch in das Oe-
Bchehen krankhafter Vorgänge gestatten. Bezüglich der Metastasen wird
näoilicb von den pathologischen Histologen jetzt allgemein anerkannt, dali
sie nur aus sich herauswachsen und von verschleppten Zellen der Primär-
geschwulst abstammen , daß aber die Zellen des sekundär befallenen Or-
ganes sich an dem Aufbau des Gescbwulstparenchyms gar nicht beteiligen«
sondern nur einen Teil des Oeschwulststromas liefern. In dieser Beziehung^
sind Bashtouds Abbildungen besondors lehrreich, die namentlich in den
jungen Metastasen im Lymphgefaüsystem eine vollige Intaktheit der Lymph-
gefußendotfaelien zeigen. Dali dagegen das Stroma im wesentlichen als eine
reaktive Bitdung auf die Wucherung der Geschwulstzellen anzusehen ist,
ergibt sich sowohl aus Bashfords wie aus Ehhlichs Untersuchungen. Sehr
bemerkenswert ist nun freilich, daß nicht nur, wie längst bekannt, danach
das Verhältnis zwischen Geschwulstparenchym und Stroma in den ver-
schiedenen primären und sekundären GeschwQlsten, ja selbst in verschiedenen
Abschnitten eines und desselben Geschwulstknotens ein sehr verschiedenes
sein kann , sondern daU das Stroma in selbständige , geschwulstartige
Wucherung versetzt zu werden vermag. Das ist besonders sicher bewiesen
durch Beobachtungen von Ehrlich und Ai'ula.nt. wo das Stroma bei Über-
impfung eines Karzinomstammes allmählich das Parenchym derartig Über-
wucherte, daß aus dem Karzinom ein Spindelzellensarkora geworden war.
Während die Übertragungen des ursprünglichen Tumors in der 1., '2. und
6. Generation völlig übereinstimmende Impitumoren von krebsig-papillärem
Bau zeitigten, boten die Tumoren der 10. Generation ein ganz abweichendes
Bild dar, in dem vielfach autSerordentlich spärliche Krebsnester durch breite
Straßen aus großen Spindelzellen bestehenden und an Mitosen reichen Ge-
webes unterbrochen wurden, ja an manchen Stellen das Krebsgewebe bereits
ganz geschwunden war ; in weiteren Generationen schwand der krebsige
Anteil immer mehr, bis endlich von der 14. Generation an konstant das
Karzinom durch ein Spindelzetlensarkom ersetzt war. Dieses Sarkom ließ
sich bisher In 26 Generationen weiter übertragen, wobei allmählich der
Prozentsatz der positiven Impfungen auf 90 stieg und sich eine sehr er-
hebliche Wachstumsenergie zeigte, so daß bereits 14 Tage nach der Impfung
kirschgroße Tumoren beobachtet werden konnten. Der histologische Cha-
rakter der Geschwulst erhielt sich dabei vollkommen. Wurden gleichzeitig
Teile dieses Sarkoms und beliebige Karzinome verimpft, so entwickelten
sich zunächst Mischtumoron, die sich aber nur begrenzte Zeit erhielten, da
meist schon nach der 2. — 3. Generation der sarkomatöse Anteil den
krebsigen überwucherte. Aus diesen sehr interessanten Beobachtungen all-
gemeine Schlüsse zu ziehen, dürfte so lange bedenklich sein., als die Beob-
achtung vereinzelt bleibt, was Übrigens wahrscheinlich nicht der Fall sein
dürfte^ da auch eine andere Serie nach sehr lange fortgesetzter Züchtung
Anzeichen für die gleiche Umwandlung darbot. Immerhin dürften diese Fälle
dazu dienen, auch manche Fälle von Kombination zwischen Krebs und
Sarkom bzw. von Carcinoma sarkumatodes beim Menschen in neuem Lichte
erscheinen zu lassen. \i.s handelt sich in solchen sicher sehr seltenen
Fällen wahrscheinlich auch darum, daß allmählich das Stroma des Primär-
krebses in selbständige geschwulstartige Wucherung gerät und so zunächst
zu einer Mischgeschwulst führt, wie auch Hanskmanx annimmt. In den
Metastasen kann dann sowohl der Mischgeschwulstcharakter erhalten sein,
als auch berBits reiner Sarkonioharakter vorliegen, wie sowohl Haxhkmaxx
wie H. Lii'FM\N.\ in ihren Fällen sahen, wahrend reine Krebsmetastaseo
sich nicht mehr finden. Es Ist nach den Krlahrungen Khrlichb jedenfalls
weit wahrscheinlicher, Haxsemanns Krklärung anzunehmen, als an ein Inein-
anderwachsen ursprünglich verschieden gearteter Tumoren zu denken, wie
Karzinom.
289
das z. B. Salt^icow noch fOr einen Fall von Sarko-Karzinom der Schild-
drüse tut, und auch die Tatsache, daß hier eine ziemlich deutliche Grenze
zwischen krebsigen und sarkomatösen Teilen vorhanden war, HpHcht nicht
egren diese Annahme. Was freilich die selbständige sarkomatose Umwand-
ang des Rrebsstronias veranlaßt, das ist vorläufig wie so viele andere
Fragen aus der Qeschwulsttehre in Dunkel gchClllt.
4. Einfluß des Karzinoms auf den Gesamtorganismus. Der
Einfluß der Krebsentwicklung auf den Gesamtorganismus tritt keiuoswegs
berall deutlich zutage, wenn auch schon aus allgemein-pathologischen
Gründen eine gewisse Beeinflussung unter allen Umständen angenommen
werden muß. Dieselbe kann aber so gering sein, daß sie für den Gesamt-
»Organismus nicht wahrnehmbar wird, während sie in anderen Fällen zu
jenem schweren Symptomenkomplex führt, den man als Kachexie bezeichnet.
Ob diese Kachexie eine spezifische Ist und fQr die parasitäre Theorie des
Karzinoms verwertet werden kann, wird immer von neuem erörtert und
wurde auch bei der großen Krebsdebatte In der Berliner medizinischen Ge-
»Seilschaft eingehend beleuchtet. Orth, Hansem vnn u. a. haben sich gegen die
Annahme einer spezifischen Krebskachexie gerichtet, während Levdbn an
seinen bekannten Ansichten festhielt. Es ist deswegen interessant, daß auch
F. KAnk;, der entschieden sehr zur parasitären .Ätiologie des Karzinoms neigt,
zum mindesten aber eine spezifische Ursache annimmt^ die Krebskachexie
nicht für spezitiscb hält, sondern sie als Folge a) der Vereiterung und Ver-
jauchung. 6) der Verallgemeinerung des Karzinoms ansieht. Freitich kommen,
wie noch gleich zu bemerken, auch andere Momente in Betracht Immerhin
ist es aber wichtig, daß auch die experimentellen Untersuchungen die Er*
fabrungen am Menschen bestätigt haben, daß es Krebse gibt, die ohne
I Kachexie verlaufen. So betont Bashi-ord, daß er eine ganze Anzahl von
Ibläusen beobachtete, die trotz großer Geschwülste in der Bauchhöhle und
ausgedehnter Metastasen in der Lunge gar keine erkennbaren Krankheits-
erscheinungen darboten. Erst wenn es zur Erweichung und Voreiterung der
GeschwQlste kam, traten dieselben Kachexieeracheinungen wie beim Menschen
ftuf; auch er hält deswegen die Karzinomkachexie nicht für eine spezifische,
sondern sekundäre Erscheinung. Aber selbst wenn man annehmen wollte,
daß die Kachexie eine spezifische, d, h. unabhängig von sekundären bak-
teriellen Infektionen oder Unterdrückung von Organfunktionen bedingte sein
Hkann, wie ich das stets getan habe, so ist man nicht gen5tigt, darin einen
"HiUsbeweia für die parasitäre Ätiologie der Krebse zu sehen. Denn auch
durch den aseptischen Zerfall von Krebszellen werden Stoffe frei, die andere
»2ellen in erheblicher Weise zu scbädigen vermögen. Die Untersuchungen
Blumenthai.b sowie Nel'beri-.s haben ja ergeben, daß in den Karzinomen
AQtolytische Fermente vorhanden sind, die nicht nur das Eiweiß desselben
Organes, sondern auch das aller anderen Organe zu zerlegen vermögen,
wodurch es allein schon verständlich werden könnte, daß selbst nicht sehr
ausgedehnte und noch nicht propagierte Krebse erhebliche Kachexie zur
Folge haben können. Weiter wird ja auch die Kachexie vermittelt durch
die Veränderungen des Blutes, die ja ihrerseits auch Folge des toxischen
Eiweißzerfalls sind. Über diese im Gefolge der Krebswuchtrung auftretenden
Stoffwechsel- und Blutveränderungen, die ja genügend bekannt sind. Hegen
neue Untersuchungen von erheblicher Bedeutung nicht vor. Die Angaben
Ober die Gefrierpunktserniedrigung des Blutes bei Krebskranken von E.ngel-
MANN' und IsRAKL haben noch keine Entscheidung darüber zu bringen ver-
mocht, ob es sich hierbei um eine durch die Geschwulstwucherung direkt
veranlaßte Znnabme der Blutkonzentration handelt. K Exgbl hat in 15 Fällen
negative Ergebnisse gehabt, weiter aber auch mit Recht darauf hingewiesen,
daß auch die positiven Hcsultate nur dann beweisend wären, wenn das
Kacjrelop. JahrbBcber. N- F. IV. (Xm.)
\^
290
Karzinom^
gleichzeitige Bestehen von schweren Nierenveränderunj^en und Arteriosklerose
aasgeschlossen sei. Eine Zunahme der Kesisten7.fähigkeit der roten Blut-
körperchen bei vorgeschrittener Karzinose wurde von Janowsky, der haupt-
sächlich die Verhaltnisse bei Magenkrebs, und K. Schmidlechner, der Fälle
von Uterus- und Scheidenkrebs untersuchte, nachgewiesen. Beide Autoren
nehmen an, dal5 es sich hier um eine Reaktion des Organismus gegen hämo-
lytische Qifte handelt und daß die Zunahme der Hesistenzfähigkeit durch
Strukturveränderungen des Frotoplaamas bedingt sei.
5. Ätiologie des Karzinoms. Bevor wir auf die immer noch im
Vordergrund des Interesses stehende parasitäre Theorie des Karzinoms ein-
gehen, mögen kurz einige andere »Theorien« von geringerer Bedeutung be-
sprochen werden. Zunächst hat Si*i:uB eine besondere »toxische« Theorie des
Krebses aufgestellt, ohne sie, wie Marchand und LLBARsru die ihrigen, näher
auszufQhren. Seine Theorie basi*Tt auf der Untersuchung von zwei noch
im ersten Anfangsstadium befindlichen Karzinomen« in denen er neben hya-
linen Umwandlungen des Bindegewebes und Gefäßanomalien vakuoläre und
andere Degenerationen des Epithels und Einwachsen einzelner Epitbelien
ins Bindegewebe beobachtete. SrniE nimmt nun an, daß alle diese Verän-
rungen die Folge von Gifton wän*n. die auti den Blutgefäßen austreten und
Bindegewebe und Epithelien schädigton; die regressiv umgewandelten Epi-
thelien sollen dann durch das Epithel die Fähigkeit erlangen, in das Binde-
gewebe einzuwachsen. Irgend welche exakte Beweise für diese Auffassung
finden sich bei Spltie nicht, ganz abgesehen davon, daß, wie ich schon Öfters
betört habe, das Problem des Krebses noch nicht gelöst ist, wenn man selbst
Momente auffindet, die ein Einwachsen von Epithel ins Bindegewebe erklären
können. — Ferner erwähne ich die zur parasitären Theorie hinüberführen-
den Spekulationen Kelling.s, der die Karzinomzellen selbst für Zellen frem-
der tierischer Individuen hält, die auf irgend cino Weise in den menschlichen
Körper eingedrungen seien. Er sucht diese zunächst ja äußerst abenteuer-
lich erscheinende Theorie durch Experimente zu stützen; er hat Gewebe von
Schnecken» ferner im Mörser zerriebene Hühnerembryonen anderen Tieren
(Hunden) injiziert und dann Tumoren entstehen sehen, die er für Karzinome
oder karzinomähnliche Wucherungen hält. Weiter glaubt er durch die Me-
thode der spezifischen ßlutpräzipitine den exakten Nachweis gebracht zu
haben, daU bei Krebskranken im Blute artfremdes Eiweiß sich findet; ja. er
behauptet^ auf diese Weise mit Sicherheit die Diagnose auf Krebs stellen
zu können; in manchen Fällen von Magenkrebs ließe sich z. B. ein kräftiges
Präzipitin gegen Eiweiß vom Huhn nachweisen. Diese an und für sich sehr
interessanten Angaben sind allein bisher von keiner Seite bestätigt worden,
im Gegenteil haben die anderen Untersucher nur negative Resultate gehabt.
Die Impf versuche sind nach den Beschreibungen Kelli.vgs selbst sicher
negativ gewesen, denn er hat nur Granulationsgescfawülste erhalten, in denen
wohl hie und da auch atypische Wucherungen der Epithelien des Standorts
sich fanden, niemals aber ein Anwachsen artfremder Epithelien erzielt, wie
das bekanntermaßen auch sonst noch niemals gelungen ist. Daher kann man
auch diese Hypothese nur als ungenügend gestützt bezeichnen.
Was nun die parasitäre Theorie anbetriftt, so suchen ihre Anhänger
unermüdlich von allen Selten Beweise für ihre Richtigkeit herbeizuholen.
Durch statistische, epidemiologisch klinische, mikroskopische und experimen-
telle Untersuchungen soll dieser Lehre der Sieg erfochten werden. Es ist
auch hier nicht gut möglich, alle die zahlreichen Einzelheiten, die hierbei
in Betracht kommen, zu erörtern, es erscheint aber wünschenswert, das
Beweismaterial wenigstens nach den vier Gruppen gesondert zu besprechen.
I. Die statistischen Untersuchungen sollen einerseits dartun, daß die
krebsigen Erkrankungen eine erhebliche Zunahme erfahren haben, andrer
Karzinom.
291
w
seits eine Verbreitung der Krankheit zeif^en, wie sie nur bei Infektionskrank-
heiten vorkommt. Die zalilreichen vorliegenden Statistiken sind aber v^n sehr
irschiedenem Wert und sind vor allem nicht imstande, mit Sicherheit eine
wirkliche Zunahme der Krebskrankheit zu beweisen, iscanz abtresehen davon, daß
^ine wirkliche Zunahme selbst als Hilfsbeweis (ür die parusitäre Theorie nicht
rerwendet werden könnte. Zum mindesten sind die Ergebnisse der verachie-
lenen Statistiken wenitir übereinstimmend, zum Teil einander widersprechend.
Während z. B Temj'LEMan* für Qroiibritannien eine Zunahme der Krebs-
mortalität seit 1877 von mehr als das Doppelte behauptet, haben sich
IpRiNZiiVU för WflrttemberjE: und Wkixhhrg und Gastpar für Stuttgart allein
V'on einer Zunahme nicht Qberzeugen kennen; nach der Statistik Hlrsch-
^ERGs fQr Berlin stieg zwar die Zahl der Krebsfülle Im Jahre 11^01 ein
iFenig gegenüber 1900 (1601^ gegen 1556), sank dann aber wieder ld02
Bin wenig (auf 1589). F. König hält daher, wie viele andere, die Zunahme
BDtweder nur für eine scheinbare oder auf einer Erhöhung der Lebensdauer
beruhende; eine gleiche Auffassung vertritt W. A. Frkund ; auch Astro,
kjder die Krebssterblichkeit in der Stadt Utrecht von 180i> — 1902 unter-
luchte, hält eine wirkliche Zunahme der Krehaerkrankongen fQr unbe-
wiesen. Auch die Untersuchung v. Ha\si:ma.\ns über die angebliche Häufung
von Krebsfällen in der Gemeinde Barchfeld an der VVerra ist recht lehr-
Hreich. Hier kamen in der Zeit von 1888 bis 16. August 1904 im ganzen
^37 Krebsfälle vor, meist im Jahre 1 Fall, mitunter auch 2 Fälle (durch-
schnittlich 16 Fälle); nur 1901 war kein Todesfall an Krebs vorhanden,
dagegen 1902 6 Fälle; dann sank die Zahl 11^03 und 1904 wieder auf ie
1 Fall, woraus schon ersichtlich, daü die Zunahme eine rein zufällige war.
»2. Auch die epidemiologischen und klinischen Tatsachen sind zum
mindesten sehr mehrdeutig. Kine ganze Reihe von Angaben über Krebsen-
und -epidemien haben einor genaueren Kritik nicht Stand gehalten und die
von Beule verteidigte Lehre vom Cancer k deux oder gar j'i trois ist sogar
von ihrem ehemaligen Verteidiger fast ganz fallen gelassen worden. Wkin-
berg und Gastpar haben in ihren statistischen Untersuchungen über die
bösartigen Neubildungen in Stuttgart mit Rfcht hervorgehoben, dalS an und
für sich bei der Häufigkeit des Krebses das V^orkommen von Krebs bei
mehreren Angehörigen des gleichen Haushalts nicht überraschend wäre und
man erst dann ursächliche Beziehungen annehmen dürfte, wenn sich nach-
weisen lielie, daß diese Fälle häufiger seien, als nach der Wahrscheinlich-
keitsrechnung erwartet werden dürfte ; bei ihrem Untersuch ungauiaterial
fand sich aber eine fast vollkommene Übereinstimmung der tatsächlich be-
»obachteten und der berechneten Fälle. Auch der Versuch, die Bedeutung
des Wassers. Bodens und der Wohnung als Träger der mutmaBlichen In-
fektionserroger nachzuweisen, ist bisher keineswegs gelungen; so kommt
I. B. HöüEK zu dem Ergebnis, daß für die Stadt Augsburg ein Einfluß der
BBodenbeschaffenheit und der geologischen Verhältnisse auf die Krebssterb-
^lichkeit nicht nachweisbar ist. Auch die Untersuchungen über die geogra-
phische und ethnologische Verbrettung des Krebses haben bisher neue Auf-
klärungen nicht gebracht; wenn von CooKE-Ar»AM8 für den Krebs in Australien
eine gewisse geringe Empfänglichkeit der Eingeborenen gegenüber den ein-
gewanderten Europäern hervorgehoben wird, so mag das daran liegen, daß
kdie letzteren viel eher fachmännische Hilfe tn Anspruch nehmen und daher
die Zahl der Krebserkrankungen bei ihnen viel vollständiger zur ärztlichen
Kenntnis gelangt. Auch Fälle, die nach der klinischen Beobachtung mit
Sicherheit nur im Sinne der Infektionstheorie gedeutet werden könnten,
sind nicht bekannt geworden; KTixiti hebt dies ausdrücklich hervur und
schließt daraus, daß, wenn der Krebs auch parasitären Ursprungs sein möge,
er doch sicher nicht kontagius ist; auch Bknua , der neuerdings der para-
292
Karzlnoui.
sit&ren Theorie sehr sympathisch gre^enfibersteht, betont, daß eine Icontagiöse
Entstehuni;? des Krebses buchst unwahrsfheinh'ch sei. W. A. Frei'no führt eifjene
Beispiole an, die gegen eine Konta^iosität sprechen. Dagegen lassen sich aus
den zahlreichen (rrolien Statistiken mannigfache Tatsachen entnehnaen. die
2um mindesten der parasitären Theorie nicht sehr gflnstig sind, wie das
besonders Bashforü in seiner ünßerst umfangreichen und kritischen Statistik
des englischen Krebskomitees hervorhebt. Aus dieser bekommen wir auch
einen ausgezeichneten Ktnblick in die Fehlerquelle derartiger Statistiken,
die eine interessante Übereinstimmung mit den Angaben v, Hwsemaxns and
Ll'Baksciis geben (su fand sich z. ß., daß unter 8752 Krankheitsfällen, die
in das Gebiet der bösartigen Geschwülste hineingehorten, resp. hineinzuge-
hOren schienen, nur 21*46 Fälle richtig ohne mikroskopische Untersuchung
diagnostiziert waren = 78 5" o- während 682 Fälle = lOö^o gar nicht und
220 — G'/o fälschlich als Krebs diagnostiziert waren; von den weder durch
das Auge, noch die Betastung erreichbaren Karzinomen — also hauptsäch-
lich der inneren Organe - — wurden unter 1067 Fällen 305 Fälle rr 33*2^,^
gar nicht und 4*27o fälschlich als solche diagnostiziert, also nur 62*6'^(,
richtig beurteilt; bei Individuen unter 2r> Jahren war die Zahl der Fehl
diagnosen noch gröüer). Stelle ich eine größere Anzahl von Statistiken (Bash-
FORDS. die von Spanien, Irland, Augsburg. Helgoland, Stuttgart und Montevideo)
zusammen, so ergibt sich unter 36.ät5v [rgHen ein sehr erhebliches L^ber-
wiegen des weiblichen Geschlechtes, auf das 22.434 Fälle = 595<*/o fallen,
während das männliche nur 14 926 Fälle = 40*5% stellt. Aus demselben
Material ergibt sich ferner die erbebliche Bedeutung der Altersdisposition;
von 32.60H Fällen (über Irland und Augsburg sind keine ganz genauen An-
gaben vorhanden) waren Individuen im .Alter bis zu 45 Jahren 4Ö47mal be-
fallen :^ 1 38 Vo ■ davon 1524 Männer von 13.284 insgesamt — ll*6*'o ond
3023 Frauen von 20.122 insgesanil ~ 15"/o. Die stärkere Heteiligung des
weiblichen Geschlechts in diesen Altersklassen erklärt sich dadurch, daÜ
gerade die Genitalorgane bis zu diesem Lebensalter der stärksten physio-
logischen Inanspruchnahme unterworfen sind. Derartige Verhältnisse, daß die
Hauptmasse der Erkrankungen erst in den späteren Lebensaltem erfolgt,
findet sich bei keiner bekannten Infektionskrankheit — weder chronischen,
noch akuten. Dabei ist das Verhältnis ein noch viel ungünstigeres für die
jüngeren Lebensalter, wenn man die Krkrankungsfalle auf eine Million
Lebender jeder Altersperiode berechnet, wie das z. B. Bashküro getan hat,
wobei er z. H. für das Lebensalter unter 25 Jahren 4*4, für das über 75
216'8 und über 85 sogar 3844 erhielt. Ebenso bestätigen auch die großen
Untersuchungsreihen die von mir hervorgehobene Tatsache, daß auch in
den Prädilektionsstellen zwischen den beiden Geschlechtern die größten
Unterschiede bestehen, was ebenfalls mit der Infektionstheorie nicht ganz leicht
vereinbar ist. So gibt z. B. auch Barabäs an. daß Krebs der Sexualorgane
beim Weibe ti^'e^vy^, beim Manne dagegen nur S'öS" „ aller Krebse betrug.
3. Die Versuche, den Krebsparasiten zu entdecken und einwandfrei
zu demonstrieren, haben zwar auch in den letzten beiden Jahren nicht nach-
gelassen , aber das Ergebnis ist kein besseres gewesen wie bisher. Dabei
halten die meisten Verfechter irgend eines Mikroorganismus an ihren Irr-
tümern fest, ohne auf die ernstesten GegengrQnde ernstlich einzugehen
DovEN läßt nach wie vor seinen Mikrokokkus als Krebserreger gelten und
sucht Mktschmkoffs Autorität für sich zu verwerten, Sanfelice hält an
der Bedeutung seines Blastomyces neoformans fest*, Leydbn, Fbinbrrg,
* .*?ARX8LirK will anch experimentfl) durch Einspritzung von R4?inknltnren Krfit» e^
zeugt haben; »o ist von SiRUNutHo, Ribbach n.a, . Verh. d. deutsch, palhol. Ges^-lläch., XXXVT)
darauf hingewlfsen wordeu, diiß aach In Granalationsgr«chwfllsteo epilbelialc SproMfcn snf-
/reteo können, die zu VerwechHinngen Anlafi geben.
Karzinom.
293
Plimmrr, Bosc q. a. aachen nach wie vor die bekannten Zelteinschlüsse
als Protozoen zu deuten. Ich bin auf alle diese Dinge an dieser Stelle vor
2 Jahren ho auäfObrIich eingegangen, dal) ich es für unnötig halte, hier die
inzwischen neu erschienenen Arbeiten auf diesem Gebiet irgendwie ausführ-
licher zu besprechen, weil sie tatsächlich g&r nichts Neues bringen. Fkinuerg
hat zwar in zahlreichen V^orträgen und Demonstrationen seine Befunde weiter
ausgeführt und fflr so gesichert erklärt, daß er sich für berechtigt hielt,
bereite den Infektionsmodus zu erforschen, wobei er als Zwischenwirt den
Wasserfloh entdeckt haben will, von dem aus beim Raden die Menschen
infiziert zu werden pflegen. Auf der anderen Seite herrscht bei den Histo-
logen allmählich immer mehr Übereinstimmung darüber, daß die verschiedenen
als Protozoen gedeuteten Zeileinschlösse (PuMMERsche Körperchen. Lkydexs
Vogelangen) nicht auf die gleiche Weise entstehen . sondern bald durch
hyaline Umwandlungen des Zellplasmas, bald durch Kernverfi.nderungen ent-
stehen, was auch aus der neuesten Arbeit Unnas hervorgeht.
4. Die zahlreichen experimentellen Untersuchungen über Krebs-
Übertragung, die zum Teil bereits oben beHprochen sind, habon mannigfache
inleresisante neue Tatsachen zutage gefordert, die in der Hauptsache recht
einwandfrei gegen die parasitäre Theorie im gewöhnlichen Sinne sprechen
oder sie wenigstens nicht unter/stiitzen. Freilich, der anlange geraachte Ein-
wand, daß die meist zur Übertragung benutzten Mäusetumuren keine echten
Karzinome seien, hat sich nicht aufrecht erhalten lassen. Denn sowohl in
den Versuchen von Ba.shford wie denen von Livinüood, Ehklith und Apo-
LANT, Michaelis, Bäsluck u. a. gelang es, die epithelialen Mäusetumoren zur
ausgedehnten Nfetastasenbildung — oft durch viele Generalionen — zu
bringen, so daß in der Tat ein Zweifel darüber nicht bestehen kann, daß
es sich um echte metastasierende Karzinome handelt. Aber in allen diesen
zahlreichen Versuchen hat es sich stets um Xellimplantationen gehandelt, nie-
mals sind andere epitheliale Elemente des Impftieres in Wucherung geraten, so
daß sowohl Bashkohd wieEuKLicH übereinstimmend hervorheben, daß die ge-
lungenen Cbertragnngsversuche lediglich eine große, immer zunehmende Selb-
ständigkeit und Wucherungsiähigkeit der Abkömmlinge des Primärtumors
beweisen, aber nicht für die Anwesenheit von Parasiten sprechen. Tatsäch-
lich sind auch gerade zunächst in den Primärtumoren die bekannton Zell-
einschlüsse nichi nachweisbar und fehlen auch selbst in späteren Generationen
ausgedehnten Tumorabschnitten.
Man müßte, wenn man die exzessive Wucherung auf die Anwesenheit
^OD Parasiten in den Zellen zurückführen wollte, dann zum mindesten an-
[oefamen , daß wir diese mit unseren bisherigen Mitteln nicht nachweisen
können. Ferner ist es bemerkenswert, daß sowohl nach den Angaben Bash-
[voRDS wie Ehri.k.'Hs die primären Tumoren nur bei alten, fast ausschließlich
reiblichen Mäusen sich finden und der Ausgang stets die Brustdrüse ist;
mch diese Tatsache spricht nicht gerade sehr für die Infektionstheorie. Auf
der anderen Seite sind einige Angaben im Sinne einer parasitären Ent-
stehung der Karzinome wohl zu verwerten: das ist vor allem die vorläufig
allerdings nur einmal gemachte Beobachtung Khklichs, daß sich ein Karzinom
im weiteren Verlauf der Übertragungen in ein Spindelzellensarkom um-
wandelte. Hier könnte man wohl annehmen, daß die Parasiten das Binde-
gewebe infizierten und zur blastomatösen Wucherung veranlaßten. Aber,
wie Ehrlich selbst hervorhebt, ist das nicht die einzige ErkHlrunictimöglich-
keit. Ferner ließen sich noch im Sinne der Parasitentheorie erklären die
Beobachtangen Daiihnnkts und vielleicht auch C. Lkwins. Daüijnnkt über-
trug einen verhornenden Stachelzellonkrebs des Penis vom Menschen auf
weiße Ratten: bei einem Tier, das zerriebene karzinomatose Lymphdrüse
in die Bauclihöhle injiziert erhalten, entwickelte sich nach mehreren Monaten
294
Karzinom.
Abmagerun^^ nach 15 Monaten starb das Tier nnd bei der Sektion fanden
sich Knoten in der Bauchhöhle, der Milz und Leber, die mikroskopisch
ebenfalls krebsig^e Struktur zeigten; es handelte sich um Plattenepithelkrebs
ohne Verhornung. Es liegen 8 Möglichkeiten vor: entweder handelt es sich
um eine sehr bemerkenswerte Transplantation menschlicher Zellen auf Ratten,
die ein Unikum wäre und nicht unbedingt fQr eine infektiöse Entstehung
spräche, oder es hat steh zufrilltg und unabhängig von der Einimpfung bei
der Ratte rom Peritonealepithel aus ein Krebs entwickelt, oder endlich das
parasitäre Agens hat die krebsige Wucherong des peritonealen Epithels
bewirkt und zugleich eine Metaplasie dieses Epithels in richtiges Pflaster-
epithel mit Stachetxetlon bewirkt. Das sind alles Mflgtichkeiten zum Teil
wenig wahrscheinlicher Natur, die natürlich nicht durch einen Tierversuch
entschieden werden können. Bedenkt man aber, daß mannigfache neue Unter-
suchungen gezeigt haben, wie nach verschiedenen experimentellen Eingriffen
bei Versuchstieren Tumoren entstehen können, die sicherlich nicht dem
experimentellen Eingriff ihr Dasein verdanken, so ist es wahrscheinlich, daß
der positive Ausfall von Daounnkts Versuch auf einem Zofall beruht, wofür
auch der Umstand spricht, dnB eine völlige histologische Überein-Htimmung
zwischen Priraärtumor und Impftumoron nicht bestand. ♦ In den Versuchen
C. LcwiN's, der Teile eines Ovarialkarzinums einer 72]ährigen Frau auf Hunde
übertrug, kam es zur Entwicklung von Knoten und Knötchen in Hauch-
höhle und Leber, die aber im wesentlichen nur aus entzündlichem Oranu-
lationsgewebe bestanden; es gelang aber, diese Tumoren auch wieder auf
andere Hunde zu übertragen, wobei der histologische Charakter im wesent-
lichen erhalten blieb, nur stellenweise mehr Ähnlichkeit mit Sarkom erhielt.
Lbwin meint eine entzündUche Granulosebildung aasschließen zu können,
weil er Mikroorganism<?n auf keine Weise nachweiRen konnte, und glaubt,
daß es sich um Übertragung richtiger HIastonie gehandelt hat. freilich lag
eine Karzinonibildung äicher nicht vor. Auch diese Versuche genügen noch
nicht, um Klarheit zu bringen, und es erscheint doch wahrscheinlicher, daß
diese immerhin auffallenden Versuchsergebnisse auf der Anwesenheit eines
infektiösen Agens beruhten, das mit dem Primärkrebs nichts zu ton hat.
Weiter könnte man einige Beobachtungen von L- Lokb und Bosp.l im Sinne
der parasitären Theorie deuten. Loicn beobachtete ein gehäuftes V^orkomrnen
von Rrebs bei Kflhen in einer bestimmten > Ranch«, Boskl fand gehäuftes
Vorkommen von Krebs bei Mäusen in einein bestimmten Käfig. Doch be-
weisen auch diese imtnerbin interessanten Beobachtungen noch nicht ent-
scheidend für die Wirkung lebender Parasiten.
Endlich hat man auch die zahlreichen Erfahrungen über die günstige
Beeinilussung, ja Heilung oberflächlicher Karzinome durch Röntgenstrahlen.
Finsenlicht und Radium, auf die ich im einzelnen nicht eingehen kann, zu-
gunsten der parasitären Theorie verwenden wollen, in der Annahme, daß
die Rückbildung der Karzinome Folge der durch die Bestrahlung verur-
sachten Tötung der Parasiten sei. Allein die Untersuchungen von Albers-
ScHöNBKKG, Pkrthks, BiiscHKK, Ell. Meyeu , H. WoLFP u. a. haben gezeigt,
daß sowohl Röntgenstrahlen als auch Radium besonders energisch auf
wuchernde Zellen (z. B. Sanienmutterzellen des Hodens) wirken ; sind auch
die Meinungen über die Wirkungsweise der Strahlen noch geteilt — A. Ex.nes
mißt einer Bindegewebswucherung und dadurch ätattfindenden Zersprengong
von Krebsnestern die größte Bedeutung bei — , so sprechen doch die meisteo
* Inzwischen haben Daookmkt und Mahilais noch einen anderen Fall von gelungener
Übertragung des HenschenkrebH auf Hatten mitgeteilt. Hier nind aber die Abbildungen der*
artig, da^ die Diagnose Sarkokarzinom der Impitumoren Huhr nngt'zweifuU werden muß and
»ehr wohl entzUndliebe Grannlationsgeschwttlste vorgelegen li.ibpn kOnnen.
i
Karzinom.
295
üeobacbtungen dafür, daß die Krebszellen selbst beschädiget und getötet werden,
wie das sowohl die Untersuchuni;en von Jen'srn und Jan'SBx. als anch die
Beobachtungen von Köiurr und 0. Hkrxhf.imrr zeigen. Nribekh hat ja auch
gezeigt, daß die Vort^änge bei der Radiumwirkung autolytische sind; während
alle ZelHermente, Oxydations- und Koduktionsenzymo, zerlegende und synthe-
tisierende Fermente, also alle den Zellatoffwechsel lurdernden, lebenerhaUenden
Kräfte durch Radium getötet werden, bleibt das autolytische Ferment durch-
aus resistent und kann nun seine zellzerstörende Tätigkeit ohne Hindernis
:«ntlalten. Ob diese Erklärung auch für die Wirkung der Röntgenstrahlen
angenommen werden kann, steht frpüich noch nicht fest Aber auch diese
Erfahrungen sind nicht zwingend im Sinne der Infektionstheorle zu deuten;
vielmehr aprechpn auch hier Tatsachen gegen diese Auffassung, so vor allem
die Reohachtungon Über die Rezidive von durch Hßntgenbestrahlung zur
Vernarbung gebrachten Karzinome und die Beobachtung Suios, daß auf
Grund einer Röntgendermatitis sich erst ein Krebs entwickelte. Auch sonst
sprechen noch mannigfache erneute Tatsachen für die Hedeutong chronischer
entzflndlicher Reizungen für die Krebsentstehung; besonders lehrreich sind
In dieser Hinsicht mehrere Hoobachtungen i>k Hiyters, ferner die Erfahrungen
Über Harnblascnkarzinom bei Anilinarbeitern (Rrhn) und die sehr sorgfältigen
Zusammenstellungen und Untersuchungen C.QfiHELä Ober die bei der Bilharzia-
Ikrankheit vorkommenden Blasentumoren , der dabei ausdrQcklich hervor-
hebt, daß die ßilharziakarzinnme keinen Beweis fOr die parasitäre Genese
des Krebses brächten.
Ist somit die infektiöse Krebst heorio nach wie vor unbewiesen, so
bähen freilich auch andere Krebstheorien keine Überzeugungskraft. Daß
freilich bei dem Geschwulstproblem in erster Linie die noch so dunklen
Fragen des Zellwachstums Oberhaupt herangezogen werden mQssen , ist
sicher Das wird auch von Hasukord, WiEi)ERSHKt\f und R. Hartwig hervor-
, gehoben. Besonders muß man ersteren darin beistimmen, daß die Krebs-
Irage nicht ein Problem der menschlichpn Pathologie im engeren Sinne ist,
wie schon aus den sich immer mehr h^Lufenden Beobachtuniren über dos
Vorkommen von Karzinom und Sarkom bei allen möglichen Tieren bis zu
den niedersten Wirbeltieren hervorgeht.
6. Heilung u nd Heilbarkeit. Daß. wenn auch sehr selten. Spontan-
rOckbildungen von Krebsen vorkommen, ist wiederholt hervorgehoben und
durch die neueren experimentellen Erlahrunffen bestätigt worden. Das hat
mit Recht die therapeutischen Bestrebungen ermutigt. Und wir haben ja
bereits oben der gflnsttgen Wirkung der verschiedenen Strahlenarten auf
oberflächliche Karzinome gedacht. Man hat ferner versucht. Imniunsera gegen
Karzinom zu finden; so haben GAYi-oni), H wvey und HÄsLir<K Blut von
Mäusen benutzt, bei denen tmpfkarzinome sich spontan zurückgebildet hatten,
und mit diesem Serum bei anderen Mäusen nicht nur immunisierende» sondero
auch heilende Wirkungen erzielt. Wenn auch die Zahl der Versuche noch
keine genügende ist und sehr wnhl die Möglichkeit vorliegt, daß Oberhaupt
eine spontane Abnahme in der Wucherungstähigkeit der Tumoren statt-
hatte, wie das Jensfx selbst schon beobachtet hat, so muß sohr wohl die
Möglichkeit zugegeben werden, daß es gelingen kann, ein antikarzinomatilses
Serum zu finden. Auf welche Weise die Spontan- und experimentollen (V)
Heilungen stattfinden, ist durch histologische Untersuchungen aufzuklären
versucht worden. Gaylcird und seine Mitarbeiter fanden eine einfache Atrophie
des Epithels und starke Wucherung oder Kundzelleninfiltration des Bindege-
webes, wie sie auch Orth und seine Schüler, ferner Prtkksen beim Menschen
beschrieben haben. Diese ßindegewebsveränderungen haben aber doch nur,
wie ich und Borrmann betont haben und auch Orth zugibt^ die Bedeutung
von Orjfanisatlonsvorgängen, die eintreten, wenn die epithelialen Elemente
296
Kar/Inom. — Katatonie,
ihre Wucherung einstellen und allmäblich zugrunde gehen. Die eigentliche
Ursache der Hflckbildung ist aber vorläufig unbekannt.
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O. LubancA. J
Katatonie. Als Katatonie oder Spannungsirresein hat 1874
zuerst Kahlb.al:v eine eigentfimliche Psychose beschrieben, welche drei
Stadien durchlÄiift, ein melancholisches, maniakalisches und ein stupuröses,
um dann bei ungünstigem Vorlauf unter zunehmenden Zeichen der Verwirrt-
heit in Verblödung überzugeben. Als typisch für alle drei Stadien der Er-
krankung hatte schon Kaiilbaum die Neigung zu stereotypen Innervationen
— eben den katatonischen — erkannt, welche in gewissen motorischen
Krampf- und Hemmungserscheinungen bestehen. Die eigentümliche Starre
der Muskelu, in welcher sich diese dokumentieren und die durch äußere
Eingriffe nur vermehrt zu werden pflegt, verleihen dem Krankheitsbilde das
Charakteristische.
Die Auffassung Kahlbaums, welcher alle bisher als Melancholia atto-
nito, Stupor, akute Demenz usw. bezeichneten Zustände als verschiedene
ErscheinuDgälürruen der Katatonie deuten wollte, begegnete in den Kreisen
der Psychiater ziinächät allseitigem Widerspruch. Auch Zikhkn spricht noch
1Ö94 in seinem Lehrbuche die Ansicht aus, daß die Katatonie eine äußerst
selten selbständig auftretende Erkrankung sei und glaubt fOr die Mehrzahl
der Fälle, in denen die katatonischen stereotypen Stellungen und Bewe-
gungen sich zeigen, die Zugehörigkeit zu den uns als Melancholia attonita,
Paranoia hallucinatoria oder irgend einer Form des Schwachsinns geläufigen
Krankheitstypen proklamieren zu müssen. Ebenso betonte auch SchCle ver-
schiedentlich das episodische Auftreten der katatonischen Symptome bei
einer ganzen Reihe von Psychosen.
Erst durch die Arbeiten von Kraefelix, der, so skeptisch er der Zu-
sammengehörigkeit aller von Kahi.baL'M unter den Begriff der Katatonie
subsumierten Krankheitsbilder gegenübertrat, auf Grund eines großen ein-
schlägigen Beobachtungsmaterials sich der Anerkennung der großen Mehr-
Katatonie.
297
I
zahl jener Fälle als eiaer eigenartigen Krankbeitsforni nicht verschlieUen
onnte, erhielt die ganze Lehre von der Katatonie eine fest umriasene Ge-
stalt. Und mit dieser sich vertraut zu machen, kann sich heute wohl nie-
mand^ der auf dem psychiatrischen Gebiete arbeitet, entziehen, so sehr ihn
die Gewohnheit selb8tändig;en UrteUens oder die Zufriedenheit mit der vor-
dem gQltifcen Klassifikation im allgemeinen oder in den Details auf abseits
liegenden Bahnen verweisen mag!
KftAKi'KLtx reiht die Katatonie den unter den Begriff der DemeDtia
praecox zuHammenfaßharen juvenilen Verblödungsprozessen ein, die
er« fußend auf seinen eigenen und AHCHAKt&Ntu'UGS Untersuchungen, zu trennen
und zu gruppieren unternahm. Trotzdem diese Zustände in ihren Endstadien
offenbar keine Differenzen bieten, vermochte er unter grundsätzlicher
Berücksichtigung des Verlauf schara ktera In den ersten Zeiten der
Erkrankung die Katatonie nicht nur von Dementia simplex und der
Hebephrenie abzugrenzen, sondern sie auch der paranoischen Demenz
gegenüberzustellen, indem er aus der Gruppe der Paranoia, auch wenn Wahn-
» Ideen durchaus im Vordergrunde zu stehen scheinen, prinzipiell die zu eigen-
artigem terminalen Schwachsinn fuhrenden Formen ausschied.
Und das ist ein unleugbares Verdienst Kkaei*ki.ins: von der
bloßen Beschreibung von Zustandsbildern zur Erforschung des
Werdoprozesses dieser Störungen im Sinne 0. Rosexbachs über-
gegangen zu sein und dadurch zugleich wertvolle prognostische
Anhaltspunkte gewonnen zu haben, aus denen im Laufe der
Zeit auch solche für die Therapie wenigstens zu erhoffen sind!
Während es sich bei der Dementia simplex um einen Defekt auf
dem Gebiete des Gemütes und des Willens handelt, der obne akutere Zu-
stände langsam zunimmt, Sinnestäuttchungen und Wahnideen hier entweder
ganz fehlen oder nur schwach angedeutet sind, verläuft die Hebephrenie
unter ziemlich lebhaften Schwankungen des psychischen Oleichgewichtes.
Aber wenn diese in leichteren Fällen gewissermaßen nur den >Kompara-
tiv« derjenigen bilden, die wir z. B. in der Zeit der Pubertät noch als
physiologisch betrachten, treten in schwereren auch richtige Erregungs-
zustände zutage, die von häufigen Sinnestäuschungen und Wuhnäußerungen
■ begleitet sind.
Die katatonischen Zustände werden demgegenüber, abgesehen von
den schon erwähnten stereotypen abnormen Innervationen, durch die Symptome
des Stupor, der Tobsucht oder auch verwickelter Wabnbildungen kompliziert.
H Bei den Fällen von paranoischer Demenz endlich steht die Wahn-
entwicklung in ähnlicher Weise im Vordergrunde des Krankheitsbildes wie
bei der Paranoia, nur daß nicht wie hier ein kompliziertes Wahnsystem all-
mählich entwickelt, immer weiter ausgebaut und gegen Einwände verteidigt
wird. Dieses zeigt vielmehr gewissermaßen durch seine Ungeheuerlichkeit, die
an die progressive Paralyse erinnert, schon das Stigma des Schwachsinns,
^auch wenn das Endstadium offenbarer Demenz, das allen juvenilen Ver-
blüdungszuständen gemeinsam ist, noch lange nicht erreicht wurde. Eine
Schwächung der affektiven und apperzeptiven Sphäre wie in diesen Fällen
aber oder gar der Übergang in einen derartig eigenartigen Blödsinn wird bei
der eigentlichen Paranoia nie beobachtet. Bei der Dementia paranoides
entwickelt sich das Leiden auf der anderen Seite nicht so schleichend wie
bei der Dementia simplex, auch nicht unter dem Hilde verhältnismäßig
plötzlich einsetzt'nder und ebenso rasch vorübergehender Erregung , noch
auch unter den heftigen, die Katatonie charakterisierenden Attacken.
Der Beginn der Katatonie nun kann perakut sein, meist ist er jedoch
mehr oder weniger auägesprocbun cbronisch. In zwei Dritteln aller Fälle
pflegen, ähnlich wie bei den bebephreniscben Formen, Anzeichen leichterer
I
298
Katatonie.
oder flchwererer Depression die Psychose einzuleiten ; auch ein Wechsel
zwischen Nledergeschlagonheit und auffallend gehobener Stimmung, wie dnrt.
wird beobachtet. Sinnoatäuachungen und Wahnvorstellungen beängstigenden
Inhalts, oft schon grotesker Natur, treten auf, denen sich dann als Konse-
quenz der Verfolgungsideen bald völlig korrupte und läppische GrÖBenideen
zugesellen können, welche die traurigen V^orstellungen ganz in den Hintergrund
drängen. Während die Erinnerung an die Vergangenheit trotz des Vor-
kommens vereinzelter Erinnerungsfälschungen gut erhalten zu sein pflegt,
leidet der Voretellungsablauf, die geistige Verarbeitung des Aufgenommenen,
die apperzeptive Tätigkeit. Wohl damit in Zusammenhang steht es, daß die
Örtliche und zeitliche Orientierung manchmal mangelhaft, das Bewußtsein
gelegentlich etwas getrübt ist Im Handeln tritt die seelische Veränderung
darin zutage, daß die Kranken aulhüren zu arbeiten, tatenlos herumliegen
oder herumstehen, vor steh hinstieren, sich vernachlässigen oder auch
läppisch lachen^ in anderen Fällen davonlaufen, Ausschweifungen begehen,
ihre Umgebung bedrohen. Das bizarre Benehmen hat oft etwas Komödianten-
haftes an sich, das sich im Kteideraufputz, in frömmlerischen Anwandlungen,
in auffälligen Heiratsprojekten kundgibt. Auch die Selbstmordversuche, die
nicht so ganz seUen sind^ entbehren dieses Anstriches nicht und sind selten
oder kaum Ausgeburten der Verzweiflung, wie bei anderen Psychosen, son-
dern ausschtiefilich bestimmt, Kindruck auf die Umgebung zu machen.
An diesen ersten Abschnitt der Krankheit, der in allen Hauptzflgen
demjenige^n gewisser hebephrenischer Zustände gleichtv schließen sich in mehr
oder weniger deutlicher Ausprägung die Stadien des katatonischen
Stupors und der katatonischen Erregung, die jede Verwechslung mit
der hehephreniBchen Form der Dementia praecox nunmehr ausschalten.
Charakterisiert wird der katatonische Stupor durch eine eigen-
tUtnlicho Willonsstörung, die sich in einem Wechsel von Befeblsautomatie
und Negativismua kundgibt- Die Urteilslosigkeit, die Gedankenarmut wie
die gemiltliche Stumpfheit der Kranken Ist wohl der Grund, daß sie sich
bald willenlos beeinflussen lassen, bald der »Revolution des passiven Wider-
standes«, als welche ii*h den sog. Negativismus definieren möchte, selbst
da huldigen, wo ihnen handgreifliche Nachteile aus diesem Verhalten er-
wachsen. Die Unreinlichkeit und die häufig zu beobachtende Nahrungsver-
weigerung dürften, wie das auch von Krakf'ELIn betont wird, mit diesem
Negativismus in engstem Zusammenhang stehen. Was die Nahrungsverwei-
gerung anlangt, so habe ich wenigstens oft bei derartigen Patienten die
Beobachtung zu machen Gelegenheit gehabt, daß sie sofort zu essen be-
ginnen, Hobald man sie mit ihrer Mahlzeiten allein läßt, ihnen nicht zum
Zugreifen zuredet und tut, als hätte man gar nicht bemerkt, daß sie das
proklamierte Prinzip, nichts essen zu wollen, durchbrochen hätten.
Als Gegenstück des Negativismus und als eine Art potenzierter Be-
feblsautomatie ist die bei vielen derartigen Patienten sich vorfindende
Katalepsie zu betrachten, die oft bis zur Plesibllitas cerea, einer >wach9-
artigen Biegsamkeit« des Rumpfes und besonders der Gliedmaßen gesteigert
ist. Die Glieder lassen sich dann ohne di^n geringsten Widerstand in jede
beliebige Lage bringen und in ihr so lange erhalten, bis man Ihnen eine
andere Stellung gibt oder bis sie infolge hochgradiger Muskelermfldang
zitternd dem Gesetz der Schwere folgen.
Die katatonische Erregung ist namentlich der Manie gegenOber
gekennzeichnet schon durch die Unzugänglichkeit der Kranken, d. h. eben
durch den auch in diesem Stadium hervortretenden Negativismus, der sich
zunächst schon In den Antworten kundgibt, die von jenen auf recht wohl
verstandene Fragen erhalten werden. Die sprachlichen Äußerungen lassen
eine Zusammenhanglosigkeit mit stereotyper Wiederkehr derselben Wen-
Katatonie.
299
dQD^en erkeanea, die oft in ein sinn- und zusammenhangloses Geplapper
ein und derselben Worte und Phrasen (V^erbigeration nach der Bezeich-
nung Kahlbai'MS) ausartet. Diese Sprachverwirrtheit, das völlig zusammen-
hanglose Gerede ohne Bestehen von Unbesinnlichkeit oder stärkere Erregung
unterscheidet die Katatonie nach Krabpelin in ganz prfi.gnanter Weise von
den manisclien Zustünden, in denen die Kranken zwar nuch verwirrt reden
können . aber den Zusammenhang höchstens vorübergebend und in den
schwersten Erregungszuständen bei stärkerer BewuÜtselnstrQbung verlieren,
und zwar nicht, ohne daß es selbst dann nicht fast ausnahmslos gelänge,
wenigstens diese oder jene zutreffende Antwort von ihnen zu erlangen.
In der Regel geht die Krankheit nach Wochen, Monaten oder Jahren in
ein ruhiges chronisches Stadium Ober, meist wie schon erwähnt, mit einem
bleibenden Defekt, der sich neben einer mehr oder minder hochgradigen
Urteilslosigkeit, in dem Mangel »iener gemütlichen Regungen« ausdrückt,
»die den Gesunden dazu treiben, sich sorgend und hoffend um das Kom-
mende zu kOmmem« (Krakpklix) und der in keiner Weise von dem durch
die anderen Formen des juvenilen VerblSdungsirreaeins gesetzten Defekte zu
trennen ist.
Die Endzustände der Katatonie wie der Dementia praecox
überhaupt zeichnen sich im Gegensatz zu anderen Formen sekundärer
Demenz und speziell zu der epileptischen Verblödung durch den Verlust
aller gemütlichen Regungen neben erheblicher Schwächung des
Urteils bei verhältnismäßig wohl erhaltenem Gedächtnis aus.
Während, wie Kraepki.i.n sagt, bei der epileptischen Demenz immerhin neben
der eigenen Person noch einige andere Persönlichkeiten aus dem Familien*
oder Umgangskreise im V'ordergrunde de» Interesses stehen bleiben, pflegt
bei dem iuvenilen Verblödungsirresein später oder früher jedes derartige
Empfinden für andere verloren zu gehen. Der »tiefgreifende Mangel
einer GefÜ hisbetonung der Lebenseindrücke« (Kraepblin) ist für
diese Zustände geradezu typisch.
Der Verlauf der Katatonie ist aber, wie das auch Weygandt auf Grund
eigener ausgiebiger Erfahrung hervorhebt, ein ungemein wechselnder und
viel mannigfacherer, als das KAHuriAHMscho Schema annimmt. Negalivisti-
scher und kataloptischer Stupor, störmische und leichtere Erregung, die
Korabination von Negativismus und Befehlsautomatie, von stuporOsen und
Erregungssymptomen kommen in bunter Abwechslung nacheinander vor,
vielfach noch untermischt mit recht intensiven Sinnestäuschungen. Mehr-
monatlicher hochgradiger Stupor, auf den das Erregungsstadium in nur ganz
leichter Andeutung folgt, i*t auch nach meiner Erfahrung nichts Seltenes.
Zuweilen geht die Entwicklung der Krankheit in einzelnen Schüben vor sich,
nach denen dann jedesmal eine gewisse Besserung eintritt. In anderen Fällen
kann ein Zuslandsbild (etwa der Stupor] auftreten, später einer Remission
Platz machen und diese dann erst von dem konträren Zustande (in unserem
Falle also dem der Erregung) gefolgt sein.
Die Regel ist ein allmählicher Fortschritt des Leidens. Sehr wichtig
ist, was KuAEPKLi.v besonders hervorhebt, die Erfahrung, daß Wochenbette
durchaus ungünstig auf den Verlauf der Krankheit einwirken. Wahrschein-
lich spielen auch in dieser Hinsicht die gewaltigen Umwälzungen im Haus-
halte des Körpers eine bedeutsame ursächliche Rolle.
Vereinzelt sollen hysterische Zustände nach jahrelangem Bestände
unmerklich in katatonische Erregung und Stupor mit Negativismus und Ma-
nieren aller Art übergehen. Bei anderen Gelegenheiten fällt nach Weygandt
im akuten Ausbruch eine Reihe hysterischer Symptome auf.
Es fehlt Übrigens auch nicht an Fällen — und das sei im Hinblick
auf die eingangs hervorgehobenen differentialdiagnostischen Momente gegen-
300
Katatonie.
fiber den anderen Formen juvenilen Verblodungsirreseins betont — , in denen
die katatonischen Symptome erst heftiß: einsetzen, nachdem lang:e Zeit daa
Bild einer Dementia simplex oder Hebephrenio geherrscht hat. 1
Stadbi.mann, nach dessen Auffassung' alte Psychosen auf dem Boden*
einer >Kontra8tan]age4 , die mit einer »ErmOdungr&anlage« identiuch undj
embryonal vorbereitet ist, erwachsen, steht auch die letzten Ursachen den
Anlagre zur frQhzeitie:en Verbind uu^r und damit die zur Katatonie in einefi
dyskrasischen, d. h. den Bewegungen von außen her niclit völlig angepaßtem
chemischen (?) Beschaffenheit des Gehirns bzw. in der Unmöglichkeit einer
vollkommenen Verwertung der diesem von auben zufließenden Energien.
Aus der Übermüdung resultiert nach Stadblmann jene Negation der Außen-
welt, wie sie sich in den melancholischen Zuständen, bei der manischen
Erregung und in ausgesprochenster Form bei der Verblödung äußort. Die
embryonal vurbereitetc Anlage zur Katatonie zeitigt nun nach STAr)ELMANX
nicht 80 auflällige Symptome, wie der noch stärkere Grad der Ermfldungs-
anlage, der angebome Schwachsinn in seinen verschiedenen Formen, welcher
dann im Leben von vornherein durch ein Negieren der Welt sich vor ihrem
Ansturm schützt; die katatonische Anlage negiert nicht die Welt sofort wie
die idiotische, sondern sie ist bereit, sich nach allen Sinnesselten von ihr
beeinflussen zu lassen. Ihre Bilder (oft in überaus reicher Weise) aufzunehmen
und zu verwerten, bis eben auf Qrund der Ermüdungsanlage die Kontrast-
orscheinungen gelegentlich der ersten stärkeren Enttäuschungen . die ihre
Idealwelt zertrümmern — mögen es Enttäuschungen im Liebes-, im Be-
rufsieben, im Verkehr mit den Menschen Überhaupt sein — in FQlte
hervorbrechen. Die katatonische und die zu frühzeitiger Verblödung dis-
ponierte Anlage gelangt dann schließlich dahin , wober der »angeborne
Schwachsinn« ausging. Die Prognose filr den letzteren ist hinsichtlich einer
Förderung zu einer gewissen Leistungsfähigkeit eine bessere als für den
frühzeitig erworbenen Der zu fröh/eitiger Verblödung Gekommene hat seine
Entwicklung bereits hinter sich, während die Möglichkeit der letzteren beim
angebornen Schwachsinn noch in der Zukunft steht. Nie wird jedoch der
angeborne Schwachsinn sich zu einer Höhe entwickeln, die der zu früh-
zeitiger Verblödung Gelangte einst besaß. Gar sehr verschieden ist deshalb
voneinander auch das Benehmen und das Äußere der Repräsentanten dieser
beiden Formen. Hier die Reste des einstigen Gebäudes^ dort wenige Steine
für einen zu beginnenden Bau. Die mit der zur Katatonie neigenden Anlage
behafteten Menschen stehen nach Stadklmanx intellektuell höher als die zur
Hebephrenie verurteilten. Sie nehmen die Weltbilder auf und tragen sie in
sich, ohne sie iemandem preiszugeben. Es sind Menschen^ die oft vor lauter
Schauen und tiefetu Insichaurnehmen nicht zum Handeln kommen; wenn sie
aber handeln, sind sie uiütst impulsiv. Maßlosigkeit kennzeichnet sie hin-
sichtlich der Intensität ihres FQhlens. Seelisch ganz erfüllt von dem Welt-
bilde, das sie mit Last werten, haben sie nicht Energien frei, die sich mit
anderen Weltbildern, als gerade denjenigen, auf die ihr »ganzes Fühlorgan
abgestimmt« ist, vereinigen können. Steuerlos geben sie sich ihrer phan-
tastischen Träumerei hin, mit der sie ein hocbgewertetes Weltbild in ihrem
Erwarten verketten. Die Welt ihres Charakters, dem die Erkenntnis fremd
bleibt, ist eine Idealwelt. Stark verbreitete Assoziation zu dem einen ff
in ihnen geschlossenen Weltbilde läßt keinedei weiteres Interesse in dieaen'
Menschen weiter aufkommen ; das Objekt ihres Wertens ist so stark mit
ihrem eigenen Ich verwachsen, daß sie von diesem Objekte künftighin auch
nur das erwarten, was sie selbst wünschen oder gegebenen Falles selbst
tun würden. Nach der Enttäuschung verlieren sie sich daher in der Einsam*
keit, die sie schon vorher suchten, und darin Liegt mit das Pathologische.
Während der normale Ermüdete sich durch stille Stunden der Zurück-
Katatonie. — Kochsalzaus&chcfduDg bei Nephritis.
301
gezogfenheit zn frischem Handeln ntärktf kehren diese Kranken nicht mit
neuer Schaffenskraft zum Leben wieder, da ihnen alles Wertmali verloren
gegangen ist. In dumpfem DahinbrGten ijber das Gewenone verharren sie
regunjQTBloB und nach außen gleichg^Qltig; als völlig Dissoziierte kommen sie zu
keinem Schlüsse nnd zu keinem Entschlüsse. Dann aber drangt das starke
Unlustfühlen zu einer Befreiung ; die zentralen Energien sind nicht mehr
abgestimmt auf die äußeren Bewegungsfornien und der vordem einfach
melancholisch Erscheinende sucht die Summe seines UnlustfÜhlens zur Ab
leitang zu bringen; es folgt auf das melancholische Stadium die dem Kata-
tonischen eigene Manie , welche dann fichÜLUlich der voUstAndigen Unmög-
lichkeit, KindrOcke zu werten, d. h. der Verblödung Platz macht.
Ich habe diese Analyse des katatonischen Charakters nach St.\de[.m.\nx
um so mehr wiedergeben zu sollen geglaubt, als ihr bei der Machtlosigkeit
der Therapie dem schon in der Entwicklung begriffenen Zustande gegen-
Ober vielleicht wertvolle Fingerzeige für eine prophylaktische erzieh-
liche Beeinflussung der Disponierten entnommen werden konnten.
K Literatur: Kaülbavm, Die Katatonie oder Oxh Spannungs irrere in. 1874- — Kbaepb-
Bux, EinfUbron« in div pHyi'liialrisfhe Klinik. Leipzig ISXU, J. A. Barth. — Derselb«», P«ych-
Bbtrie. II. 7. Aufl.. Leipzi>f 1904, J A. Barth. — Zibucm , Fnychiatrio. WnnoB^a SaniiulnDK
H nediz. Lt-hrb. , Berlin 18^4. — Wkyoahdt, AÜtio and Ürundriü der Ps^ychiatrie. München
H 19Ü2, J. F. Lthmaun. — Stadklmans , Das Wesen der Psjcho*« anf Gnindlage moderner
H wiflsenachaftlicbtT Anachannntr- Heft IT : Die Katatonie. München 1905, O. Qmelin. —
EscHLE , Die krankhafte Willen*i*chwftoho nnd die Aufgaben der erziehlichen Therapie.
Berlin 1904, Fischer« med. Rm hbandlung (H. Kornfeld). — Derselbe, ßchwaehainnalormen.
fDLKVBUuan Kncyclopäd. Jahrb., N. F., 111, 1905. Eschie.
Keratitis disciformis, s. Hornhaut, pag. 2G2
centralis annularis, pag. 20H.
interstitialis
KocbNalzansscbelcInns: bei Nepbritis. Die modernen
physikalischen Untersuchongsmethoden zur Bestimmung der molekularen
Konzentration von Flüssigkeiten, insbesondere die Kryoskopie. haben befruch-
tend auf die Kenntnis dps Salzstolfwechsels bei Nierenkranken gewirkt.
Denn es stellte sich bald heraus^ daß die Bestimmung der Gesamtmoleküle
Im Harn nur einen recht bedingten Wert hat; nur wenn der Vergleich des
Sekretes der beiden Nieren bei dem durch den Nierenkatbeterismus getrennt
aufgefangenen Harn möglich ist , findet heute eigentlich noch die Kryo-
skopie des Harns Verwertung. Um die Leistungsfähigkeit der Nieren kennen
zu lernen, sahen sich die Untersucher sehr bald veranlaßt . statt der Ge-
samtzahl der Molekel die einzelnen Komponenten derselben durch die
chemische Untersuchung festzustellen.
Es sind wohl die beim Ureterenkatheterismus gemachten Befunde,
daß bei einseitig erkrankten Nieren eine verminderte Kochsalzausscheidung
auf der kranken Seite stattfindet, welche den Anstoß zu dem Versuch gaben,
aus der Größe der Kochsalzausscheidung nach Kochsalzzafuhr ein Urteil
fiber die Leistungsfähigkeit der Niere zu erhalten.
Man hatte freilich schon früher der Kochsalzausfuhr bei Nephritis
Aufmerksamkeit geschenkt und war ziemlich allgemein der Ansicht, die auch
in der Stoffwechselpathologie von v. Nookden wiedergegeben ist. daß im
allgemeinen die kranke Niere für Kochsalz gut durchlässig ist und daß die
Kochsalzausscheidung meist der N- Ausscheidung parallel geht. v. Noohdex
hatte ebenso wie Rosen'stein und FLEisrHER einigemal auch beobachtet,
daß in Fällen, in denen Stickstoff retiniert wurde, die Kochsalzausscheidung
entweder gar nicht sank oder nicht entsprechend derjenigen des Stickstoffes;
das Umgekehrte haben diese Autoren nie gesehen. Alles in allem galt das
Kochsalz wenigstens in den gewohnlichen, in den Nahrungsmitteln enthal-
tenen Mengen für ziemlich indilforont. Dom gegenOber stehen alte experi-
302
Kochsal/.ausecheidiing bei Nephritis*
mentelle Versuche von Li&riNK, in welchen er durch Kochsalziniektionen bei
Tieren direkte Schädigungen der Niere erzeugt hatte; durch Injektion von
0'7°/olger KochHalzlüaung hatte er Albuminurie und Vernnderungen des
Nierenepithels hervorgerufen. Ahnliche Beobachtungen hat BRAXDRNSTEtN
anter Srauss' Leitung gemacht; derselbe injizierle Kaninchen mehrere Tage
hindurch subkutan eine 0*9- resp. l"/oige Kochsalzlösung; dabei sank meist
die Urinmenge erheblich, der GeaamtkochBalzgehalt zeigte ebenfalls ein Ab-
sinken, besonders am Schluß, während der prozentuale mehr oder weniger
schwankte. Die anfangs undeutliche Eiwcißreaktion wurde nach mehrmaligen
Injektionen wiederholt denllich und einige Male sogar sehr intensiv. Die
Nieren zeigten post mortem mehrfache pathulogiKch-anatoniische Verände-
rungen, welche im wesentlichsten in trüber Schwellung der Markstrahlen,
in Verfettung der gewundenen Kanälchen und In subkapsulärer Hyperämie
bestanden.
Auch klinische Beobachtungen einiger Autoren lassen im Gegensatz
zu den oben erwS^hnten Anschauungen gewisse Beziehungen des Kochsalzes
zur Nephritis annehmen. So findet z. H. Bohnk durchwegs Rctcntion von
Chloriden bei Nephritis, besonders Rtark dann, wenn ein urämischer Zustand
vorhanden ist oder droht. Bei Besserung des Krankheitsbildes steigt die
Chlorausscheidnng nach diesem Autor an. Hofmanx wiederum, der die Koch-
salzausscheidung speziell bei der Schrumpfniere prüfte, konnte im Gegen-
satz zu Bohne keinerlei Beziehungen zwischen der Urämie und Chlorretention
feststellen. Marischlkr nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein; er glaubt
aus seinen Untersuchungen scMteBen zu können, daß die parenchymatös
erkrankte Niere im allgemeinen zur Chlorretention neigt, daß sie aber oft
genug imstande ist, Chlor ziemlich gut und seihst in hoher Konzentration
auszuscheiden. Ferner nimmt er an, daß die (^hlorretention eine Folge der
Wasserretention im Organismus daratellü. Das Primäre ist also nach ihm
die Störung der Wasserausscheidung bei der parenchymatös erkrankten
Niere im Gegensatz zur Schrumpfi)iere, bei der die Wassersekretion er-
halten bleibt.
Im Gegensatz zu allen den erwähnten und, wie wir gesehen haben,
sich durchaus widersprechenden Anschauungen hat H. Strauss wohl zuerst
neue Beziehungen zwischen der Kochsalzretention und dem Verlauf der Ne-
phritis uufgeHtellt. Sie gipfeln darin, daü nach ihm bei renalen Kompen-
sationsstOrungen die Ausfuhr von Kochsalz meist früher und intensiver ge-
schädigt zu sein pflegt als diejenige des Wassers und der chlorfreien
Stoffwechselschlacken. Es tritt daher bei der chronisch parenchymatösen
Nephritis zuerst eine Salzretention auf; dann folgt erst eine Flüssigkeits-
retention, und zwar ist es sehr wahrscheinlich, daß die letztere zum Aus-
gleich der durch die Salzretention erzeugten Hypertonie dient.
Als Stütze dieser Auffassung betrachtet Strauss die schon erwähnten
vergleichenden Untersuchungen der elektrischen Leitfähigkeit an getrennt
aufgefangenen Urinen beider Nieren. Neben seinen eigenen Beobachtungen
figurieren hier vor allem diejenigen von F. ECngblmann, aus deneu sich er-
gibt, daü eine jegliche einseitige Nierenerkrankung in den fQr die Elektro*
lytenkonzentration gefundenen Werten zum Ausdruck kommt Bei sehr
schweren Affektionen waren die Unterschiede zuweilen recht groß ; so be-
trug u. a. in einem Fall die Konzentratton der Elektrolyten auf der kranken
Seite nur etwa ein Viertel derjenigen der gesunden Seite. Die Frage,
welche MolekQle von den Nieren besonders zurückgehalten wurden und fflr
die sekundäre Wasserretention verantwortlich zu machen waren, konnte nur
durch die chemische Untersuchung entschieden werden. Unter Stualss' Lei-
tung wurden deshalb von Chaes und Buamienstkix folgende Experimente
angestellt: Nephrektomierten Kaninchen wurden 3 Tage lang täglich zweimal
Kochsalzausscheldung bei Nephritis.
303
Ib 100 Ci7i* einer V/oigen Rochsalzlosung^ injiziert; nach Schloß der Versuchs-
leit wurde die Gefrierpunktserniedrigung, der Kochsalzgehalt und der Ge-
halt des Blutserum» an RetentionsHtickstoff mit den entsprechenden . vor
der Nephrektomie festgestellten Werten verglichen. Es ergab sich dabei^
daß stets die osmotische Konzentration des Bluter und auch die Menge des
Retentionsstick Stoffes in die Höhe ging, während der prozentuale Wert !Qr
den Kochsalzgehalt des Blutserums stets nur eine minimale Änderung er-
fuhr. Es wurde also die durch den Versuch zogeführte (iVoige) Kochsatz-
lösung verdQnnt, während gleichzeitig der prozentuale Gehalt an chtorfreien
Molekülen, insbesondere auch der Gehalt an Retentionsstickstoff anstieg.
Gleichzeitig wurde in diesen Versuchen das Auftreten von Höhlen-
ergüssen und subkutanen üdomen beobachtet. Stkaiiss nnd seine Schüler
schließen daraus, >daß die chlorfreien Moleküle nicht in dem gleichen Grade
wie die chlorhaltigen befähigt sind, soviel Wasser zurückzuhalten, daß ihre
ooruiale prozentuale Konzentration in den Säften gewahrt bleibt«.
Gegen diesen Schluß lassen sich schwerwiegende Bedenken nicht ver-
hehlen, auch wenn es durch gleichzeitige Bestimmung des Refraktionswertes
des Blutserums möglich ist, sich über den Eiweiß- resp. Wassergehalt des-
selben zu orientieren. Denn wir haben, um nur ein Moment hervorzuheben,
keinen Anhaltspunkt, wie sich die Konzentrationsverhältnisso gestalten
würden, wenn es möglich wäre, etwa ebensoviele N-haltige Molekel dem
Blutserum hinzuzufügen, wie wir es durch die Injektion einer l^/gigen Koch-
salzlösung in der Hand haben. Wir müssen vielmehr bedenken, daß sehr
wahrscheinlicher Weise die Blut- und Säftestromretention viel reicher wird
an stickstoffhaltigen Molekeln, die durch den unkontrollierbaren Kiweißabbau
und die verhinderte Ausscheidung durch die Nieren sich ansammeln, als
entsprechend Rochsalzmolekel durch die nur wenig hypertonische Lösung
künstlich zugeführt wurden.
Stkai:ss hat aber seine Thesen auch stützen können durch klinisch-
experimentelle Beobachtungen, die sowohl er wie seine Schüler, als auch
andere, vor allem eine Reihe französischer Autoren ausgeführt haben.
So fand z. B. Stkyrek bei parenchymatöser Nephritis nach Zulage von
10^ Kochsalz zur gewöhnlichen Kost Kochsalzretention, während gleiche
Versuche an Gesunden, wie sie Claide und MAXTri ausgeführt haben, das
Resultat hatten, daß der Organismus auf diese Zulage mit gesteigerter
Ausfuhr von Kochsalz und Wasser antwortete.
Bei Nephritikern freilich fanden diese Autoren ein differentes, aber
keineswegs immer übereinstimmendes Verhalten. Sie glauben aus der Art
der Kochsalzausscbeidung prognostische Schlüsse ziehen zu können und
teilen die Nephritiden danach in 4 Gruppen. In den Fällen ohne Kochsalz-
retention ist die Prognose gut. Wird nach Kochsatzznlage das Kochsalz
retiniert. das Wasser und die Achloride dagegen in leicht gesteigertem Maße
ausgeschieden, so ist der Nephritiker in sehr vorgerücktem Stadium und
bald ante mortem, jedoch ohne daß Urämie drohte. In einer dritten Kate-
gorie ist die Ausscheidung der Chloride wie bei Gesunden, während die
Achloride. besonders deren stickstoffhaltiger Anteil, erheblich vermehrt sind.
Die Nierenepitholien sind hier, wie auch die normale Methylenblau-Ausschei-
dung zeigt, noch vollkommen leistungsfähig. Zur 4. Gruppe endlich gehören
die Nephritiker, bei denen die Kochsalzausscheidung derart verzögert ist,
daß sie erst 2—3 Tage nach der Zulage beginnt und noch später erst
ihren Höhepunkt erreicht. Die Wasser- und Achlorideausscheidung ist hier
vermehrt. Wir haben diese Einteilung hier wiedergegeben, um dadurch deut-
lich zu illustrieren, in wie wechaelvoller Weise die Na Cl-Aueacheldung er-
folgt, nicht um die prognostischen Schlüsse anzuerkennen. AcHAun und
LoKPEK haben denn auch, trotzdem sio ähnliches beobachtet haben, der
304
Kochsatzausscheidung bei Nephritis.
Deatong: widersprochen ; besonders weil sie analoge SchwankuDj^en in der
Kochaalzaasschetdung ebenfalls nach einer Zufuhr von 10^ bei anderen
Krankheiten, wie kruppöser Pneumonie. Abdominaltyphus, Herzkrankheiten
u. a. beobachtet hatten. Sie sind vielmehr fi:eneig-t> wie bei diesen letzteren
so auch bei den Nierenkrankheiten extrarenale Momente für die Na Cl-Re-
tention verantwortlich zu machen, während Strauss, wie schon erwähnt^
die hauptsächlichste Ursache dafQr in Störungfen am Epithelialapparat der
Niere sucht. Die experimentellen Stützen fOr diese Ansicht haben wir schon
erwähnt; die klinischen Beweise dafür erblickt er ebenso wie sein SchQler
V. KoziczLOWSKY und unabhän^f^ die Franzosen Widal und Javal in folgen-
dem: Die Kochsalz- nnd Wasseransscheldunf? stehe normalerweise in einem
fi;ewi8sen reziproken VerhÄltnis. Die prozentualen Werte für die Kochsalz-
ausscheidung fallen bei steinenden Urinmengen und steie^en umgekehrt bei
fallenden Urinmengren. DemgegenQber beobachtet man bei Nephritikern ohne
Ödeme Aunscheidung-eu großer Unnnteiigren mit niedrigen normalen und aber
auch sehr hohen prozentualen Kochsalz werten. Daraus f^ebt hervor, daß
diese beiden Ausscheidungen häufig bei Nierenkranken divergieren können,
und zwar haben die genannten Forscher beobachtet, daß die Kochsalzaus-
scheidung bei Störungen der Epithelialfunktion meist früher eine Herabsetzung
erfährt als die Wasserabscheidung. Die Zurückhaltung von Kochsalz bildet
demnach das erste Zeichen von beginnender Nierendekompensation. Als charak-
teristischen hierhergehorigen Fall teilt SriiArss u. a. eine Beobachtung mit,
in der bei gleichzeitig bestehenden Ödemen die Koclisalzausscheidung sehr
herabgesetzt war. während sich mikro.skopisch nur Verfettungen an den Harn-
kanälchen^ aber fast völlig normale Glomerult fanden. Quasi als Kxperimentum
crucis gelten für diese Anschauung die Versuche von Javal und Wipal, in
denen es ihnen bei Nephritikern, welche auf vermehrte Kochsalzzufuhr mit
Kochsalzretention reagierten, gelang, Jedesmal durch eine Kocfasalzzulage von
10^ Ödeme hervorzurufen; wurde dann eine kochaal/arme Diät (vorwiegende
Milchdiät) gegeben, so kamen die Ödeme wieder zum Schwinden. In einem
derartigen Falle bestand eine solche Gesetzmäßigkeit in dieser Wechselwirkung,
daß das Auftreten der Ödeme geradezu vorausgesagt werden konnte. Die
Ausschwemniung des Kochsalzes, die Dechloruration, wie man diesen Vor-
gang benannt hat , findet gleichzeitig mit der Ausschwemmung des Ödem-
wassers statt und überdauert die letztere um einige Zeit. Dieser Umstand
beweist, daß das Kochsalz nicht nur in den Säften festgehalten wird, son-
dern daß auch in den Geweben eine Kochsalzretention stattgefunden hat.
Doch ist diese Retention nach Untersuchungen von Sthaüss und Halpfrn
vielleicht nur im Anfange beträchtlicher; direkte Kochsalzbestimmungen
z. B. in den mRnschlichen Lebom haben erwiesen, daß die Retention in den
Geweben gegenüber der in den Säften entschieden an Bedeutung zurücktritt.
WioAL nennt das Stadium, in dem vor allein die Kochsalzretention in den
Geweben stattfindet, ohne daß es schon zu einem sichtbaren Ödem kommt,
das Stadium pr^oed6me, und er nimmt an, daß die Eingeweide in diesem
Stadium Ödematös geschwollen sind.
Es Ing nahe, als Konsequenz dieser Anschauungen sich über die Kom-
penaationskraft der Niere dadurch ku orientieren, daß man in einem 5dem-
losen Stadium dem Nierenkranken eine bestimmte Kochsalzzulage gab und die
Kochsalzausscheidung feststellte; und in der Tat haben auch die genannten
französischen Forscher sowie Brodzki versucht, durch die Feststellung der
alimentären Chlorurie sich in den auf begitmende renale Kompensatioos-
störung verdächtigen Fällen über die Leistungsfähigkeit der Niere ZQ
orientieren. Straiss warnt vor derartigen Versuchen, weil er sie nicht für
indifferent hält, und begnügt sich in den besagten verdächtigen Fällen, eine
Probediät zu geben, die bei normalen Gesunden ca. 7 — 9^ Kochsalz im
KochsalzausscheiduDg bei Nephritis.
$05
Urin liefert. Diese DiSt besteht ans Vs ^ Milchkaffee, 1 l Milch, hj Milch-
suppe, 2 Eiern, 80^ Hnttter, 80^ Rindfleisch und 4 Schrippen, Diese Diät
ist gegen eine frOher von Straiss empfohlene noch um 3 g KocheiaU ärmer.
Neben den Kochsalzbestimmun^en im Urin macht Strauss auch täg^liche
Bestimmungen des Körpergewichtes und refraktometrische Blutunter*
suchungen, weil er mit Javal und Wihal annimmt, daß ein Gewebshydrops
im Stadium praeoedem. bestehen kann, ohne daß es bereits zur Oligurie ge-
kommen ist.
Folgerichtig haben Strau-ss u. a. bei Nephritis eine kochsalzarmo Di5t
empfohlen. Und zwar empfiehlt Sthauss bei allen Formen der Nephritis den
Kochsalzgenuß entweder dauernd in mäßigem Qrade oder zeitweilig in
stärkerem Qrade zu beschränken^ weil die Kochsalzretention bei allen Formen
der Nephritis vorkommen kann, wenn sie auch vorwiegend bei der chro-
nisch-parenchy mal Ösen Form beobachtet Ist. Weitergehende Einschränkungen,
die. wie ohne weiteres ersichtlich, eine einschneidende Maßregel vorstellen,
empfiehlt auch Straitss nur dann vorzunehmen, wenn Zeichen vorhandener
oder drohender renaler Kompensationsatörungen vorliegen.
Ist es bereits zur Oligochlorurie und Ollgohydrurie gekommen , in
welchen Fällen die Wa^serrctention nicht nur sekundär durch das Kochsalz,
sondern auch direkt nephrogen bewirkt sein kann, so reicht also zur Be-
seitigung der Ödeme die Wasserentziebung nicht aus, es muß auch die
Kocbsalzeinfuhr eingeschränkt werden. Ja, es erscheint SruAr^s sogar
empfehlenswert, etwa bei drohender Urämie bei gegebener Kochsalzzufuhr
das VerdQnnungswasser den Patienten nicht aus seinem Gewebe entnehmen
zu lassen, sondern es ihm Ueber von außf^n zuzuföhren. Mit anderen Worten:
Stkai;ss legt auf die Wasserbeachränkung nicht aolchen Wert, und er will
beobachtet haben, daß einigemal die Zufuhr größerer Wassermengen per
OS oder per rectum dem Patienten von großem Nutzen gewesen ist. Die
Beseitigung nämlich der Hydropsien ist, wenn erst die durch Urämie dro-
hende Gefahr beseitigt ist, verhältnismäßig nicht so schwierig.
Neben diesen diätetischen Vorschriften ist es auch möglich, durch
pharmakologische Mittel die Wasser- und Sulzausfuhr zu steigern. Kilkhnk
und seine Schüler haben bereits darauf hingewiesen, daß ein gutes Diuretikum
nicht nur die Beseitigung des Wassers, sondern auch die Elimination fester
Bestandteile, besonders der Salze bewirken muß. Kr fand, daß speziell das
Koffein, Dturetin und die analogen Verbindungen in diesem Sinne wirksame
Diuretika vurntellen. Sthauss empfiehlt daneben besonders die Digitalis,
welche ebenfalls imstande sei^ die so wichtige Verbindung von Polyhydrurie
mit Polychlorurie zu erzeugen.
In dem Vorhergehenden ist der Kochsalzstoffwechsel bei Nephritis in
dem Sinne von Strauss und seiner Schüler dargelegt worden. Es soll nicht
geleugnet werden , daß diese Versuche ein erhebliches klinisches Interesse
besitzen und in therapeutischer Hinsicht Rpachtong verdienen. Es sind je-
doch die Untersuchungsresnltate schon derjenigen Autoren, welche im all-
gemeinen die Stkai sssche Auflassung teilen, so different, daß es schwer ist,
aus diesen die allgemeine Bedeutung des Kochsulzes für die Beurteilung; der
Kompensation resp. Dekompensation der Niere in ihrer Allgemeinheit an-
zuerkennen. Dazu koitimt noch, daß die eingangs erwähnten Autoren wie
V. NooRUBN u.a. bei der großen Zahl ihrer Untersuchungen, also in den
verschiedenartigsten Fällen von Nephritis überhaupt niemals Kochaalzreten-
tionen beobachtet haben. Es sind dies Beobachtungen, die man doch nichtelnfacb
einer neuen Lehre zuliebe aus der Welt schaffen kann. E.s liegt aber auch
außerdem eine Untersuchungsreihe vor, welche Mohh ausgeführt hat und
welche der Forderung von Straiss, neben dem Salzstuffwechsel auch den
Wasserstoffwechsel zu berücksichtigen, wenigstens teilweise nachkommt,
Entyelop. Jahrbacti«r. N.F. IV. iXUJ.) ^
306 Kochsalzausscheidung bei Nephritis. — KohJenoxydvergiftung.
Mohr hat 4 verschiedene Formen von Nephritis in sren&nnter Beziehung
untersucht und neben Kochsalzzulage auch den Einfluß von zuu:eleg:teni
phoaphoraaurem Salz berücksiclitjg^t. Nur einmal fand er auf vermehrte
Kochsalzretention der Nahrung; Retention von Kochsalz, und zwar bei einer
akuten Nephritis, wo Ödeme bereits vorhanden waren. Sonst erfolgte eine
die Zufuhr meist um das Mehrfache uberBchreltende Mehrausscheidun^. Es
hat also in diesen F'ällen die Na Cl-Darrolchunp: j^anz im Gcß:ensatz zu der
STRAissschen Voraussetzung eine Aufschwemmung früher retinierten Koch-
salzes bewirkt, ganz ähnlich wie es für den Stickstoff bei einmaliger Dar-
reichung groüer Eiweiliuiengen festgestellt ist und wie es Muhk auch bei
einmah'gor Verabreichung großer Flüssigkeitsmengen für N und Wasser be-
obachtet hat. Daneben hat aber auch Mohr beobachtet, daß in einem Falle,
in dem das zugelegte Kochsalz glatt ausgeschieden wurde, das gleichfalls
zugelegte phosphorsaure Natrium in beträchtlicher Menge retiniert wurde.
Eine solche P., 0.- Retention ist schon früher öfters beobachtet worden und
sie gewinnt an Hedeutiin^ för die hier behandelte Frage durch experimen-
telle Untersuchungen KitHiiats. Diesem Forscher gelang es, durch Uran-
nitratvergiftungen bei Kaninchen, wenn er ihnen gleicbzeitig größere Mengen
Wasser sowie Kochsalz oder phosphorsaures Natrium beibrachte, starke
hydropiscfae Ergüsse in die serösen Höhlen sowie erhebliches Haut5dem zu
erzeugen. Das Mononatriumphosphat erwies sich hier dem Kochsalz zum min-
desten gleichwertig in seiner wasseranziehenden Kraft, vielleicht sogar über-
legen. Es stellte sich aber gleichzeitig heraus, daß die Wasseransammlungen
im Organismus sich nur dann in erheblicherem Maße steigerten, wenn gleich-
zeitig mit dem betreffenden Salze größere Wassermengen dem Tiere ein-
verleibt wurden. Ohne diese letzteren, nur durch Snlzzulago allein, wurden
bei der Urannitratnepbritis nur so geringfügige FlüsHigkeitsergüsse beob-
achtet, wie sie bei der letzteren überhaupt auch ohne jede Salzzulage znr
Beobachtung kommen.
Aus diesen letzten experimentellen Versuchen sowie aus den vor-
erwähnten klinischen Beobachtungen scheint hervorzugehen, daß das Koch-
salz denn doch keine derart spezifische Rolle bei der Nephritis spielt, wie
es Strauss, WiDAL u. a. angenommen haben. Allem Anschein nach kommt
unter Umständen den phosphorsauren Salzen eine ähnliche Rolle zu, wenn
auch zugegeben werden muß. daß wir diese Umstünde bisher noch in keiner
Weise genauer kennen. Es geht aber auch ferner daraus hervor, daß die
Bedeutung der direkten nephrogenen Wasserretention für die Entstehung
der Ödeme zu gering angeschlagen worden ist.
Literatur: Bbodscki, Fortnclir. d. Mvd., ]904. Nr. 15. — F. EüosLauxs. Mittetl. a. d.
OreuzK^b.. 19Ü2/U3. DeriMuber ; Jard. de presse med. , 1904, Nr. 63. — v. KozicasBowaii,
Zeitscbr. f. klio. Med., 51. — Mona, »benda. — H. Straubs, Zeitschr. f. kliii. Med., 47; Die The-
rapie ütrr Gegenwart, Dt'Zeiuber 1904. G. Znelzvr.
Kohlenoxydver^iftunK. Sch!:vk\>) boschreibt folgenden Fall
einer akuten Vergiftung: Kin bisher gesunder Mann ist plötzlich bewußtlos
umgesunken, als er sich nach dem Bade aus der Wanne aufrichtete. Die
bestehenden Vergiftungserscheinungen : Koma, Cyanose, oberflächliche At-
mung, kleiner aussetzender Puls, mittelweite, reaktionslose Papillen, kein
Kornealreflex, schwanden nach exzitierender Behandlung innerhalb 1'/^ Stunden.
Durch Versuche an Ratten and mit brennenden Kerzen, die er in den ßade-
ruum brachte, wies Scheven nach, dall sich der Kaum mit einem giftigen
Gase, das die Kerzen zum Verlöschen brachte, füllte, sobald der Gas-Wasser-
heizappnrat (Junkkrs Schnell-W'assersieder) in Gang gesetzt wurde. Dieser
Ofen hatte kein Ableitungsrohr nach aut^en. SriiEvr.N nimmt an, daü durch
die starke Gasverbrennnng die Zimmerluft an Sauerstoff derart verarmt
sei, daU es zur unvollkommenen Verbrennung und Bildung von Kohlenoiyd
Kohlenoxydvergiftuug. — Kollargol.
807
ui
I
{gekommen sei. Diese Annahme ist als irrtümlich zurQckzuweisen, da bei
einer derarliffen Sauerstoffverarmungr der Zimmerluft tmbedingt zunächst
Erstickunjs^serscheinungfen bei Menschen und Tieren hätten auftreten müssen.
Es ist wohl vielmehr anzunehmen, daU infolge des ungenügenden Zuges in dem
Apparat ohne Abzugsrohr das zugeftlhrte Gas nur unvollkommen verbrennt
und die Produkte dieser unvullkümmenen Verbrennung sich der Zimmerluft
beigemischt haben.
Zwei interessante Fälle von Erkrankungen des Nervensystems nach
ohlenoxydvergiftung beschreibt Rxecht. •) In dem einen Falle handelte e»
sich am eine lange Zeit andauernde motorische Aphasie, für deren Ent-
stehung zweifellos ein Erkrankungsherd in der linken Großhirnhemisphäre —
wie sie schon vielfach von anderen Autoren beschrieben wurden — anzu-
nehmen war Der zweite Kranke hat ebenfalls verschiedene Anzeichen einer
akuten Erkrankung des Großhirns, außerdem aber auch Parästhesien und
eine eigentümlich angeordnete, teilweise zu Nekrosenbildung führende Haut-
affektiou (Bläschenbildungen), die wohl sicherlich als Zeichen eines neuriti-
schen Prozesses aufzufassen waren.
Von gerichtsärztlichem Standpunkte wichtig sind die Ergebnisse einer
Untersuchungsreihe von Strassmanx und Schilz ^) Über das Auftreten von
Rohlenoxyd im Leichenblut. Dort kann es sowohl bei einer Vergiftung mit
diesem Gase vorhanden sein, als auch erst postmortal durch Diffusion
hineingelangt sein. Indessen wird die (juan t itative Untersuchung meist
die Entscheidung im Einzelfalle treffen kßnnon. Bis zu i^-istündiger Ein-
wirkung des Oases auf Leichen fallen die chemischen Farbenreaktionen im
Blute nur unsicher aus.
Als Therapie bei akuter Kohlenoxydvergiftang lobt Heidler <) den
Aderlali. Er hat bei einem sehr schweren Falle daraufhin rasche Besserung^
des Bt^findeos eintreten sehen.
An chronischer Kohlenoxydvergiftung erkrankten zwei Heizer einer
Gasfabrik. Reinmold^) fand bei ihnen dyspeptische Erscheinungen, Anämie und
Scbw&chegefühl. Im Blute waren die Erythrozyten stark vermehrt, dabei der
Hämoglobingehalt aber herabgesetzt. Ein Patient zeigte alimentäre Glykosurie.
Literatur: ') 0. .Schevüs , Deutsche med Wochcnsclir. , l^fM, Nr. 6, pftg. 20. —
') E. KktcMT, ebenda, 19U4. Nr. 34. pag. 1242. — *) Sthassma»« niid Sniri.z, Berliner klin.
Wochensehr., l'J04, Nr. 48, pag. 1233- — *iHKii>tK», Pra»fcr med. Wochcnsclir.. 1904, Nr. 29.
— 'j KsixBouo, MUnchtner med. Wochenficbr^ 1904, Nr. 17. Kiookm,
Kollarg;ol. An einer größeren Anzahl septischer und infektiös
Erkrankter hat Rittershaus ') die Wirkung intravenöser Kollargolinjektionen
beobachtet. Die Injektionen setzen nicht nur die Temperatur herab, sondern
beeinflussen auch die Herztätigkeit und das Aügemeinbefindeii günstig.
Häufig ist dieser Erfolg kein dauernder, aber schon des subjektiven Wohl-
befindens wegen wird man diese Behandlung vornehmen. Sehr gut waren
die Resultate bei Erysipel. Ebenso berichtet Stathowski -) darüber. Auch
die Erfolge Colkmans 3) bei Erysipel waren durchaus ermutigend. Lokal be*
handelt Born') das Erysipel mit Ungt. Crede; er reibt die Umgebung n^it
der Silbersalbe längere Zeit ein, um den Krankheitsherd abzugrenzen.
Auf Grund von 200 Fällen empfiehlt FKn-rnK.\KELu ^) das Ungt. Credo
zur Behandlung äußerer Augenkrankheiten infektiöser Art, Konjunktivitiden,
Ulcus corneae, Hypopyonkefatitfa, dagegen rät er von seiner Anwendung
bei phlyktänulären Entzündungen und Keratitis parenchymatosa ab. Chedk")
macht auf die Applikation des Kollargols als Lösung bei Augenerkrankungen
aufmerksam. Bei Angina und Diphtherie sah Jüsti ') von dreimaligen Pin-
selangen täglich mit S^/u^Ker KoUargollösung gut© Erfolge.
Literatur: ' j A. RiriEairiiAua, lotraveDöse Kolliirgülinjektionen bei BepüscfaeD und
lofektlösen Erkrankungen. Die Therapie d. Gegenwart, Juli 1904, pag. 306. — ') Ötacbowbkx,
308
Kollargol. — Krankenbeschäfcigung.
Weitere Borichto fibftr das Kollargol. P«8tcr roed.-chirnrg. Presse, 1904, Nr. 32; xitiert nach
Therapeut. Monataheftc, März 1905, pag. 149. — •) Wabbkm-Colkmax, IntraveuOae KoIlarp>l-
iujf'ktionen bei Erysipclas. The Mcdical Uecord, 21. November 1903; zitiert nach Therapeut.
Monatshefte, Mai 19U4, pap. 2(57. — *«W. Bork. Über die Behandlung de« Eryaipeja mit
Ungt. Credo. Die Therapie der Gegenwart, April 1905, pag. 191. — ') FiiLCunpvLD, Ungneo-
tnni Grede in der Augenheilkunde. Therapent. Monatj>heftu, Heft 9. — ") CBsnä, Mitteilung Ober
Kollargol. Therapeut. Monatahelte, Oktober I90i, pag. 530. — ') Jubti, KollargolpinselnngeD
bei Aa4{ina und Diphtherie. MUnchener med. WochenÄchr. , 1904, Nr. 49. E. Prey.
pag.
Kompresfilons
149».
Baibärparalyse , s. Bulbärparalysen,
Kontrektationstriebi s. Geschlechtstrieb.
Kraukenbescliäftljfuus^. Es soll hier der Versuch gremacb
werden, einen Überblick über die praktische Seite der Bestrebungen zu geben,
die in der Tendenz gipfeln, dem Prinzip einer methodischen und individualisie-
renden Beschäftigung der Patienten einen Platz als Heilfaktor in den Kranken-
häusern und Instituten der sozialen Fürsorge zu sichern. Dabei kann ich, wie
schon bei anderen Gelegenhoilen ^ nicht umhin^ darauf hinzuweisen, daß die
einen Zeitraum beherrschendeu Ideen gewissermaßen in der Luft liefen, daü
sie nur von dem einen froher, von dem anderen später auftfeiyrriffen werden,
und daß es durchaus nicht mein Verdienst ist, die Erziehung: zur Arbeit
und durch Arbeit als therapeutisches Moment zuerst gewürdigt zu haben.
wenn Ich diese auch als einer der Ersten auf vorp;efundenen primitiven und
nichls wenig^er ala systematisierten Anfängen basierend, seit annähernd einem
Jahrzehnt in meinem Wirkungskreise durchzulfihren bemüht war. Ich war
vielmehr damals angonohm überrascht, daß nahezu g-leichzeitig: und anscheinend
völlig unabhängig; voneinander auf den versichiedensten Gebieten des ärztlichen
Wirkens ähnliche Bestrebuniren auftaut^hten.
Unter den Kämplern für diese Idee nenne ich neben MÖBlus zunächst
den Schweizer Ingenieur Ohohman.n, der. wenn auch Laie, mit ganz be-
sonderem Scharfblick für medizinische Fragen ausgeröstet und ausschlieB-
lieh unter Beratung mit Fachaiitoritäton arbeitend, eine bis ins kleinste
gehende OrRanisation der Beschäftigung für Nervenkranke aussann, femer
den ebenso durch die Fülle selbständiger t5edanken wie durch ungewöhn-
liche Literaturkenntnis ausgezeichneten Bi iTERSAtK, der in der Berliner
Charitö der Beschäftigungstherapie Eingang zu verschaffen bemüht war«
vor allen andern aber O. RosENHAfH. Gerade den Verdiensten dieses Forschers
als eines Vorkämpfers auf dem erwähnten Felde gerecht zu werden, ist um
80 mehr Pflicht, als er durch seine unsere ganze medizinische Anschauungs-
weise reformierende Lehre von der Energetik der Organisation die Wichtig-
keit des Verhältnisses der wesentlichen zur aul^erwesentlichen Arbeit und
den namhaften Anteil, welcher von der letzteren auf die exosornatischo
Betätigung entfällt, als Grundlage aller physiologischen und pathologischen
Lebensvorgänge zuerst in das rechte Licht ruckte !
Für eine durchaus einseitige Auffassung — von der ich selbst mich
allerdings auch nur alhnähtich freimachen konnte — halte ich es, in der
Arbeit, da sie mit Körperbewegung und MuskoItäUgkeit verbunden ist, im
wesentlichen nichts anderes als eine auf Muskulatur wirkende, die Herz-
aktion regulierende und den Herzmuskel kräftigende, eventuell auch noch eine
den Betrieb der Koordinationsbahnen erhaltende und fordernde Maßnahme
zu erblicken, d.h. gewisaermntSen eine vereinfachte (und darum immerhin
wertvolle) Abart der Heilgymnastik bzw. der Übung-stherapie.
Selbst wenn man von dem psychischen Moment einstweilen absieht, so
ist der EinfluiS der exosomatischen Betätigung iu Gestalt der Arbeit vor
allem deshalb, wie erwähnt, von einer weit eingreifenderen Bedeutung
lür die Erhaltung des Gleichgewichtes in der (gewissermaßen einen Komplex
b^
Kraiikenbeschfifciguiig.
309
feinster Maschinen repräsentierenden) Organisation , well eine jede Phase
wesentlicher Leistung, wie daH durch die so wertvollen Arbeiten 0. Rosen-
BAiHS unwiderleglich klargestellt ist, von der vorausgehenden Phase außer-
wesentlicher Leistung mit ihrer polar entgegengesetzten Schwin^ungsforni
abhängt und umgekehrt. Wie der normale Ablauf und regelmäßige Wechsel
dieser beiden Formen des Betriebes die Grundlage der »Gesundheit«
bildet, 80 ergibt sich andrerseits auch aus der Verschiebung ienes normalen
dynamischen Gleichgewichtes der Zustand, den wir als »Krankheit« be-
zeichnen.
Ist des weiteren die »KrankenbeschAftigungA oder die >ArbeitB-
therapie« mehr^ unter dem allgemeinen Gesichtspunkte eines 'Heilmittels
fOr die erkrankte Psyche< seit Jahrzehnten in den Irrenanstalten kolonialen
Systems und in den (vorwiegend die abgelaufenen Falle von Psychosen be-
herbergenden) Badischon Kreis- Pflegeanstalten heimisch geworden, so hat
mir meine nun schon auf einen neunjährigen Zeitraum sich erstreckende
spezielle Erfahrung hinsichtlich dieses Punktes immer aufs neue den Umfang
vor Augen geführt, in dem die Arbeit zu einem Regulator für den
schwachen Willen und lOr die krankhafte W^Ülensrichtung werden kann.
Bi TTEKSACK erwähnU daß in den Sprüchen der alben Inder häufig die
Empfehlung: eines ungemein einfachen Mittels gegen Leiden des Körpers
und der Seele wiederkehrt, man solle nicht daran denken. Was lenkt aber
mehr die Gedanken von dem Leiden ab, was hilft mehr dazu, abseits von
ihnen liegenden Ideenassoziationen Platz zu schaffen und jene zu vergessen
oder wenigstens in den Hintergrund zu drängen, als die Arbeit?
Der nicht zu leugnende, allerdings immerhin mehr passive Effekt einer
Ablenkung, einer >Zerstreuung< — um diese vielfach mißbrauchte Bezeich-
nung anzuwenden — war es gerade, der der Krankenbeschäftigong, wie erwähnU
ursprünglich den Kinzug in die Irrenanstalten kolonialen Systems und in die
später im Anfang der siebziger Jahre gegründeten Badischen Kreis-Pflege-
anstalten verschärfte. Abgesehen davon, daß man die Beschäftigung mit
körperlichen Arbeiten prinzipiell nur den Mitgliedern der arbeitenden Klasse
zumuten zu können vermeinte, beschränkte sich jene auf die mehr ab-
gelaufenen Fälle von Psychosen, z. B. der Paranoia halEucinatoria chronica
und vereinzelt der Manie, speziell aber waren die epileptische und alkoho-
lische Demenz die hauptsächliche Domäne dieses Zweiges der psychischen
Therapie. Kör die Manie hatte sich zwar schon lange die Ansicht Geltung
verschafft, daß man vorteilhaft dem Bewegungsdrange der Kranken eine
unschädliche Entladung verschaffen könne, man ging aber nicht nur wegen
der immerhin vorgezogenen Behandlung mit Bettruhe, sondern gegebenen-
falls auch aus den oben erwähnten Rücksichten auf Stand und Bitdung der
Patienten nur äußerst zaghaft in der genannten Richtung vor. In noch
höherem Maße war letzteres bei den neurasthenischen Psychosen der Fall,
zumal sich hier ein noch weit größerer Prozentsatz der Kranken aus den
oberen Ständen rekrutierte. Neben Gymnastik, Bewegungsspielen und Spazier-
gängen faßte man höchstens etwas Gartenarbeit ins Auge. Andrerseits hatte
man damals noch keine Veranlassung, Spielereien, wie sie heute eine
vielfach schon zutage tretende mißverständliche Auffassung von den Zielen
der Krankenbeschäftigung zutage zu fördern beginnt, zu begünstigen.
Eine Betonung dieses letzterwähnten Punktes soll selbstverständlich
nicht involvieren^ dab Beschäftigungsarien, die für einen gesunden und im
Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte stehenden Menschen
vielleicht schon auf der Grenze von Arbeit und Spielerei stehen, In gewissen
Krankheitsfällen alH eine durchaus nicht wertlose Betätigung ärztlicherseits
nicht nur geduldet, sondern auch begünstigt werden könnten. Mindestens
bei Nervenkranken und Psychopathen muß es aber immer vorausgesetzt
310
KraDkenbeschäftigucig.
bleiben, einmal daß diese kleinen Künsteleien oder was es inamer sein
mögen, nur den Cberfranp und die erste Stufe einer sich gradweise steigern-
den Betätigung sein dürfen, andrerseits aber auch, dab der Kranke sieb
ihnen mit solchem Eifer hinzugeben vermag, daß er sich nicht Zelt nimmt,
seinen Grübeleien nachzuhängen.
In ersteror Hinsicht wird man darauf zu achton haben, daß nicht nur
das Bewußtsem einer gewissen Anstregung, aus der schtießlich ein behag-
liches MQdigküitsgefühl resultiert, mit der Beschäftigung verbunden ist,
eonderu daß die Arbeit auch mit einer gewissen Korrektheit und Präzision
ausgeführt wird. Es kann natürlich nicht als eine Beschäftigungstherapie
von irgend welchem erziehlichen Wert angesehen werden, wenn man plan-
los halbe Tage lang einen neuropathlachen jungen Menschen, der sich zu-
dem hinterher noch zu tatigiert fühlt, seine Platten selbst za entwickeln,
sondern sie verkommen läßt oder einem Photographen zu weiterer Behand-
lung übergibt, mit seinem Kodak herumziehen läßt. Die Gewöhnung an
Ordnung und Pünktlichkeit bei den Arbeiten selbst und ebenso in der
Instandhaltung und Aufbewahrung der Geratschaften hat nicht nur einen
Nutzen für den Fortgang und die Vollendung jener nach etwaigen Unter-
brechungen und hinsichtlich der V^ermeidung von Ärgernis und Verdruß, wie
er aus der mangelhaften Ausführung oder dem gedankenlosen Beiseiteschaffen
oder Liegentassen der Arbeitsgeräte erwächst, sondern weit mehr noch durch
die ethische Wirkung auf den Verfertiger, dem eben aus der TollbrachteD
Leistung ein Gefühl der Befriedigung erwachsen soll, wie es nur die pein-
liche Krfüllung übernommener Pflichten zu gewähren vermag.
Gerade aus dem Mangel an Pflichten sehen wir ja vielfach hypo-
chondrische Ideen, den Hang zu den krankhaften Vorstellungskomplexen der
Nervösen und Bysterischen erwachsen.
Besonders der heute leider noch vielfach übliche Erziehungsmodua des
weiblichen Geschlechtes ist geeignet, die Energielosigkeit desselben groß-
zuziehen. Nach Absolvierung der Schulzeit, die hier auch in der Regel nicht
dazu berufen ist, die Basis irgend einer praktischen Betätigung ernster Inter-
essen zu bilden, bleibt die weibliche Jugend größtenteils auf die Beschäf-
tigung mit lauter Nichtigkeiten, mit »Scheinarbeit« angewiesen, und zwar
meiner Beobachtung nach um so mehr, je energischer die Mutter in ihren
Pflichten für den Haushalt aufgeht, mit dessen Sorgen und Mühen sie sich
auch nach dem Heranwachsen der Töchter ungeteilt weiter belastet. Dem
jungen Mädchen ist so im Gegensatz zu dem der Schule entwachsenen
jungen Manne meist jede die ganze Persönlichkeit in Ansprach nehmende
Wirksamkeit abgeschnitten und die Folgen sind Langweile, mangelnde Be-
friedigung und Hingabe an phantastische Vorstellungen, die mehr oder
weniger schon den Keim des Krankhaften in sich tragen. Hoffentlich ist der
Geist der neuen Zeit, der seine Schwingen schon mächtig zu regen beginnt,
imstande, hierin Wandel zu schaffen, indem die Vorbildung für einen be-
stimmten Beruf — ob nun später von ihr Gebrauch gemacht wird oder
nicht — doch auch jetzt schon w^enigstens nicht mehr als deklassierendes
Moment angesehen wird !
Hauptsächlich die männliche Jugend hat Grohmaxn im Auge, wenn er
den Mangel von Pflichten als ein wesentliches Manko im Krziebungs-
plano charakterisiert, indem er sagt: »Mancher rechtschaffene Mann, der
sich durch Arbeit emporgerungen hat, erkauft mit seinem Gelde seinen
Söhnen und Töchtern Verhältnisse, die zum schönsten Nährboden werden
für jedes kleinste etwa vorhandene Keimchen krankhafter Entwicklung« und
an andererstelle: *Die Entstehungs- und Existenzmöglichkeit eines hervor-
ragenden Teiles dieser Marotten und Schwächen ist so zu verstehen, daÜ
der Mißbrauch des Reichtums im Patienten vorhandene unbedeutende Keime
Krankenbeschftfilgung.
311
zar Entwicklung' brachte, die bei bescheidenen pekuniären Verbältnisaen durch
rs Abschleifen in Pflicht nnd Arbeits verkehr unterdrückt worden wären.«
Vom volk8wirt8cha!!licben Gtsiclitfipunktu aas snuht Sombabt • die ffrüßere iSpannkralt
UDd das stärkere £xpa na loa* vermögen der deutschen Nation gegenüber der franzöaiBcben
dadurch xu erklären, daß bei den deutschen Eltern , auch wenn «ie wohlhabend sind, mehr
die Tendenz besteht, ihre Kinder >etwaa Tflchtige» lernen xu lassen«, als »ie in den un-
tatigen Besitz ("ioer mehr oder weniger grollen Hentr'^ zu Hetzen. Uns höchste Streben der
französischen KItem sei. ihren Kindern eine »orgenfreie Existenz zu schaffen, der deutschen,
sie für den Kumpl nm» Dasein niiiglichst aunzurüdten; diis soziale Ideal der sUdlichi'n N.itionen
taufe auf fiin behaglicheH Uentnertum. mitlgenlalls auch in bf^ttcheidenen ijri'nzen, das der
Nordländer Im (jeg^nsatz hierzu darauf hinaus, die eigene Stellung und die der Kinder durch
rastlose Tiltlgkeit zu verheHsern.
Wenn man dafür Sor^e trägt, dali die Beschäftigung* nie den Charakter
der Spielerei, des geschäftigen MOÜig^nges trägrt, wenn man also nicht
nar darauf sieht, daß Objekte von realem Wert geschaffen werden, deren
Werde- und Vollendungsprozeß den Arbeitenden fesselt und ihn so mit
Interesse, mit WertHchätzung: fOr das Produkt seiner Tätigkeit erfüllt,
bondern auch die größte Ordnung; und Pünktlichkeit bei der Arbeit, schließ- •
lieh auch auf ein prinzipielles Zuendeführen des einmal (^bernnminenen hält
— auch die Bewältigung eines gewissen Pensums gehört wohl hierher — , so
ist das der sicherste Weg zur Erreichung der Beharrlichkeit, zur Bekäcnp-
fung der perseverativen abulischen Insuffizienz, d. h. des fOr eine ganze
Klasse der Willensschwächen, Nervenkranken und Psychopathen geradezu
charakteristischen Hanges, in ihren sprunghaften Leistungen nur Anfänge
tohne Fortsetzung und Fortsetzungen ohne Anfang zu liefern.
l Aber auch der andere Faktor der Willensschwäcbe wird am besten
durch die Erziehung zur Arbeit bekämpft: die UnentschloBSPnheit, die reso-
lutorische Insuffizienz.*"^ Nichts wirkt dieser su sehr entgegen wie die
Gewöhnung an Pünktlichkeit in allem Beginnen und die Entwicklung und
Stärkung des Pflichtgefühls.
Ein ausgebildetes FflichtgelÜhl kann aber nur auf dem Boden einer
gewissen selbständigen Verantwortlichkeit erwachsen. In dieser Hinsicht
wird erzieherisch vielleicht auch durch Übertreibung der Autorität
viel gesflndigt. »Wenn später einmal die Autorität fehlt,* sagt Rosknbach,
»weiß der disziplinierte Automat nicht, was er tun soll.« Gerade in dieser
Richtung offenbart sich die enorme Kluft zwischen den Tendenzen der be-
lehrenden, aufklärenden und erzieherischen gegenüber der rein autorita-
tiven, suggestiven, mebr oder weniger an mystische Hegungen appellierenden
Beeinflussung.
Ein sehr wichtiges Moment für die F5rderung und lleranbüdung der abnlUchen In-
suffizienz nach der re:fi'lutori»ehi'n ebenso wie nach der |ierseverarlvfii «Seilt'; hin kunu man iu
der Übertriebeueu Emplindliehkeit der meisten neuro- und pHyeho|Kiltii8i;h Vt'rjvnl:igtea sehen.
tixouMAKM hebt in erster Lluie die H bertrieb eae Furcht vor ErkUltu n gsuin-
f lassen hervor. Es i»t ja sicher, daß Xtrvüse den Seh>vunkuugen des Luftdruckes, der
LuTlfeachtigkeit und vielleicht noch mehr denen der Laftbewegnng gegenüber eine ant-
fallende Intoleranz bcMtzen. Aber die Furcht vor dem dxirchschwitzten Hemde, vor der
Berührung mit jeder Feuchtigkeit ist in der Tat oft eine übertriebene, geradezu hypochon-
dri»cho. Man mag es duhingeHtellt »ein l.issen. ob in jedein Kinzellnlle line lehlerhafte Er
ziehnng an derartigen Beftlrchtun^en mitwirkt, atxT dip Findigkeit, glaubhafte Motive für
den Widersland gegen jede rati4tne]le Anordnung uud Einwendungen gegen jede UeeintrUeh-
tignng der persdnliehen Bequemlichkeit und Willkür su finden» i^t oft so aafierordentlicb.
daä man sieh wundert , wie namentlich minderwertige Intelligenz auf sie verfallen konnte.
Im Einzelfalle wird naIUrlub auch hier das erforderliebe MaÜ von Vorsicht nieht aufler
acht zu lassen sein, während die Auswüchse durch die Anerziehung eines stärkeren Pfliebt-
gefühls beächnitteu wurden mUssKU. Hierzu gibt ja die Arbeit in ihrer nach Art, Ort uud
L/m«tänden so modilizierbaren Form, wenn das erzieherische Prinzip derselben nur fost-
f * W. 60HDAHT, Die dentsehe Volkswirtschaft im neunzehnten Jahrhundert, Uerlin>
Oeorg Bondi, imö, pag. 119 ff.
** Vgl. den Artikel •Willensachwäche« in Band XU dieses Jahrbaches il90&).
312
Krankenbeschflftigung.
gehalten wird, die beste Gelegenheit. Awch die Übertriebene WaüfierHchea vieler »Nenren-
Hchw:ichen< und der mit ihr verbundene Hang «nr Unreinlichkeit dUrfte hierher gehören.
Ferner iifUjft sich dir* KmpfindlichlctMt -■ worauf Grohuann in dankenswerter Wrise
heHonderfl autmi^rki-nm gemacht hat — Gi!räu.'<eb('n gegeuQher 7m doknrncntieren. Auch nach
RoBENBACH Ißt die Intoleranz gegen GehOrHeindrUcke ein char.ikteriRti'^i'hes Symptom vielerl
XervOnen, die dann bei jedem Geräusch erschreckt suHanimenfahren. Dadurch aber. da0 die
Willenspchwaohen auf ihr«* Person in dienen Hinsicht von der Umgebung zu groÜe Kücksicht-
nahm« zu verlangen gewObnt waren, h.it in d^r Ktgel fine tlbertri^-beue Verwöhnung tmd
VerxärteloDg Platz gegriffeD, die um so n^hr beküinplt werden mnÜ, al« dieser Kampf aos-
sicht&voll, uioc Abhärtung möglich und r<OK.ir viThiiltnininjiÜig leicht zu erreichen ist. Von
BesohUltignng^arten , die hier in Frage kommen kiinnen , ist die Tischlerarbeit, daa HoIb-
»Sgen , ferner das Arbeiten im Garten, speziell das Harken kie^bestreuter Wege, daa Be-
schneiden von StrUuchern mit stark*'n nnd unangenehmen Geränacben verknüpft, an die der
Kranke sich um so IHchter zu gewiihnen verni;ig, wenn er sie seihst hervorruft.
Eine dritte Art von Ikfßrcbtungen , in denen »ich die (IbertrEebene EmprindUchkelt'
der Nen'CDkranken oft Itußert, ist die vor Ueschmutzung, mag sie mm in ZwangHvonteUungeftj
(Syderophobie) oder, wAs noch wohl hänfiger ii^t, in dUnkeltiafter Selbstüberhebung, wie dafl]
bei Desequilibrierteu die Regel ist, beruhen. Guobhann sagt hier mit Hecht: »Die Arbeit ist diej
nobelste und Kelbstverstjlndliehste (ielegenheit für diese Patienteu, recht oft «chinutEig za
.werden. Die Gewöhnung an die Arbeit mußte voraofgehen, dann erst — wenn überhaupt —
folgt die sehr altmU-hliehf Aufgabe d(T erwUhnteu Schwache, Ich nabui oft wahr, daß oft
»ehr lange iiaeb eingetretener Gewiibnnng an die Arbeil bei den Patienten noch eine ans-
gesprochene Sehen vorlag vor dem ÄDfjissen eines unsauberen Werkzeuggrilfes, dem Arbeiten
an nk-hl gauz propeier Stelle oder Umgebung, z. li. dem KompOMlhauten im Garte-n, der
Benutzung eines ansgetretenen IJolzsehiibL's bei der Gartenarbeit usw. Dabei sind diese
Menschen oft ohne irgendwekhe auiigeprügtere Üsthütinche Emjiflnduugen. An diese könnte
■lan la znuUeh&t denken aU Erklärung der hier bcsprochenr-n Erscheinung. Von der giuiK«ii
Ästhetik haben sie oft nur den kleinen Zipfel erwischt, der mit ihrem lieben Ego zusammen-
hilngt und auch oft noch diesen verdreht.«
Gbohhann hält UtirlgeuH diese Marotte bei Patienten in vorgerQcktem Alter — nnd
er betrachtet in diesem Falle Bclmii 28—30 Jahre für eiu solches — für kaum noch zn be-
seitigen. Als GeRenstUck zu diesen Leuten erwähnt er die sozial sehr gut gestellten Arbeiter
Kaliforniens: MÜnner, die tagnUber in einer oft sehr schmutzigen Arbeit freudig aushalten,
Rieh des Abends waschen^ umkleiden und mit dem wohligeo GefUbl der Reinlichkeit an ge-
sellschaftlichen Vergnügungen teilnehmeu. »Welch ein Unterschied,« ruft er aus, >zwi8ohea
diesen und jenen ! fki beiden das ausgesprochenste KeinlichkeitsbedUrfnls, bei den letzteren
ein die Eimliücke korrekt verarbeitendes Gehirn, bei den erstcren das inkorrekt funk-
tionierende Palientengehirn!« übrigens habe ich seihst in dem Öatliehe-n Teile Nordamerikas
ähnliche BeobMchtuugen, die den in Standesvorurteilen aufgewachsenen Europäer anfflnglicb
noch belremdlich anmuten, zu machen Gelefienheit gehabt.
Auch die Übertreibung der Autorität bei der Erziehung kommt in
dieser Hinsicht ganz wesentlich in Betracht: >Oft besteht (Jneot-
Bchlossenheit,« sagt Roskmbacu, »weil man nicht weiO, wie die Kaste,
der man angehört, sich einer bestimmten Uandinug gegenüber verhalten
wird. Unsere Erziehung ist ja meistens eine Masse ndresaur nJich be-
stimmten Gesichts punkten. tUe Furcht vor der nicht geutlcmanlikcD
Beachültigung spielt aacb eine Holle.«
Wie die Willensener^ie durch die planniäßif^ro Betätigung in fort-
gesetzter Erfüllung: von Pflichten zunimmt und sich steigert, pflegt sie bei
kürzer- oder län^erwährendem Unterlassen jeder eraprieUlicben Tätigkeit
immer mehr zu entflchkimmern.
StkauSvS* erwfihnt, daß, wer häufif;; Getejjpnhett hatte, Unfatlkranke in
Krankenhäusern zu begutachten, sich dem Kindruck nicht entziehen kann,
daß für jene die absolute Untätigkeit, zu der sie hier verurteilt sind, in
verschiedenster Hinsicht, aber hauptsächlich für ihren psychischen Zustand
und mit diesem in Zusammenhang fOr die Beseitigung ihrer Beschwerden
nicht förderlich ist.
In ergreifender Weise bat Zola in seinem »L'Asso mmoir« die aus der-
artigem AnlaU sich ausbildende Willensdegeneration in allen ihren traurigen
Konsequenzen geschildert. Hier sehen wir auch mit sehr feiner psychologi-
scher Beobachtung die Tatsache registriert, dali die Trunksucht häufig erst
auf dem Hoden einer solchen primären Willensdegeneration Wurzel schlägt
* SniAcse, Die Arbeitserxiehnng Un lall vet letzter. Med. Reform, I9ü3, Nr. 2
KrankenbeschäftiguDg.
313
und daß die Defekte des Intellekts and des Charakters nicht immer aas-
schtießlich die Folgfen, sondern vielfach die Voraus6etzung:en des Alko-
holisraus sind.
Die erziehliche Seite des Heilfaktors Arbeit tritt aber auch darin zu-
tage, daU die letztere nicht nur passiv durch Verdrängung krankhafter
Assoziationen, durch eine Ablenkung von schUdlichcn Richtungen des Ge-
dankenganges das Geistesleben im Sinne der Norm beeinflußt, sondern daß
jene auch eine Übung in der Kon;;entration darstellt und somit gleichzeitig
noch weiter einen bessernden Kinfiuß auf die Inkohärenz, die Ideenflucht,
die krankhaft veränderte Stimmung und die Labilität derselben im Ge-
folge hat.
In ersterer Einsicht ist es auffallend, wie nicht nur die Depression,
sondern auch die krankhafte Exaltation schon durch energische Muskel-
tfitigkeit, mehr aber noch durch zielbewußte Arbeit bekämpft werden kann.
GuoHMAW erwÄhnt, daß von ihm oft aufgeregten Patienten gegenüber
ein Spaziergang in beschleunigter Gangart als erfi>]greiches Beruhigungs-
mittel angewandt wird.
Ich selbst babi' in mehreren Fällen, in denen mich alle andern Mittel
im Stiche ließen, derartig erre^rten Patienten, ohne auf den Inhalt ihrer
Äußerungen einzugchen« ihren Redestrom ganz plötzlich unterbrechend, mit
dem Anschein größter Wichtigkeit einen Auftrag zum Vollzug irgend einer
Arbeit — selbst zu ganz angewöhnlicher Tageszeit — gegeben. Dem
Kranken, dem so das Spalten eines größeren Haufens Holz etwa als ein im
allgemeinen Interesse sehr wichtiges Krfnrdernis und der Auftrag hierzu als
ein Ausfluß besonderen Vertrauens seitens seiner Fürsorger erscheint, pflegt
dann geradezu mit einer Art von ßerserkerwnt auf die Holzscheite toszu-
schlagen und dem motorischen Impuls in einer für alle Beteiligten befriedi-
genden Weise Entladung zu schaffen. Das anfangs noch die Hantierung
begleitende laute Schimpfen geht allmählich in ein leiseres Gemurmel über,
bis schließlich mit vuliständiger Ermattung auf ein Scherzwort oder eine
dargereichte Erquickung hin die Stimmung nach der Seite der Zufriedenheit
und Heiterkeit hin umschlägt
Durch die Arbeitstherapie werden ferner dieienrgen krankhaften Rich-
tungen des Willens günstig beeinflußt, die sich auf dem Boden einer piitho-
logischen . speziell degenerativen Cbarakterveranlagung entwickeln , d. h.
gewisse auf der Basis des Egoismus resp. der Verkümmerung aller altrui-
stischen Regungen erwachsenden und oft geradezu ins Groteske gestei*
gerten Zöge, die ich als asoziale bezeichnen möchte, sobald sie sich durch
ihre Intensität und den Mangel jeder nur etnigeriuaßen zureichenden Moti-
vierung als zweifellos krankhaft dokumentieren. Zu diesen CharakterzOgen
wären zu zählen die mehr oder weniger in engstem Zusammonhango mit-
einander stehenden Neigungen zur Selbstüberhebung, zu immerwährendem
Gekränktsein (BGeinträchtigungsideen), zum Neid, zur Schadenfreude, zur
Klatsch- und Zanksucht, zur letzteren, soweit sie nicht auf einer — übrigens
gleichfalls der Arbeitstherapie zugänglichen — nervösen resp. hysterischen
Launenhaftigkeit beruht.
Der Hochmut, die Selbstüberhebung ist dhIicd den BeeiDtriicbtiffaDgBideen dne der entten
KoDHeiiDenzen d(*s EgoifUiuB. Dt'r llocbmütigf, ih'j iveniger auf wtitie eigenen Lt'iatungen wie
an! dit! zut^Dig ihm gewordene ächickäalHbegünätigung, namentlich Keiclitum, den er »elbst
natürlich uicbt erworben liat, poelit, sieht auf jeden redlichen Arbeiter als aal ein tief
unter ihm titehendes Weiten herab. Nur dadurch, daß er unter einem gewissen Zwangti und
Druck itelbNt in die Klange der nach seiner Meiuuug lleferstebeo'len eingereiht wird , tat
hier Wandlung zu scbiiffeu. Diese Beobacblung hat man ja oft bi^im Militilr zn machen Ge-
legenheit, wenn der Sohn reicher Eltern, der da» erforderliche HiMnngi»Ki('l nicht äu er-
reichen vermochte, gerade dadarch zn einem eioigermaßen gonicilbaren nnd braui^bbaren
Mitgliede der mt^nachlichcn GeseiUohaft wird, daß er in einer Keihe mit den Söhnen der
>arbeitenden Klaasct seine drei- oder zweijährige Dienstzeit zurücklegen muß. So vermag
314
KraiikisiibeschAftiguug«
aber aocb außerhalb des milit ärinchun VerbältnisseB das gemeiDsame Bavd,
das die Arbeit bildet, die soziale Kluft za überbrücken und gerade hierin
sehe ich ein noch weiteres and nicht das anwesentlichste ihrer erliehe-
rischen Moment«!
Zankaocht pflegt vorEugawcise — aber natürlich nicht ansFchüfßlich — beim weib-
lichen Üeaohlecht mit Neid und Schadenfreude in ganz ausgeprUgter Weiac ver-
bunden tu ?ein, namentlich wenn die erstere nicht primUr auf einer Labilität der AHekte,
sondern ant einem mehr oder weniger Bchwachsinnigen Eftoismus erw.iehsen ist. Immer-
während bat man im An(>talt8lebeii Gelegenheit, namentlich von Seiten der Fraaen Klagen
nicht nur Über »He mögliche» BeeintrKchtigungen, sondern auch, wenn zugegeben wird, daß
iliaen ihr Kecht geworden ist, Über Ik'vorztigungen der anderen eiitgegenzuuehmeu. Ua ist
bald die Fleischporlion der Nachbarin aulTallend groß ausgefalleo, bald erregt es die Miß*
gunst, daß Kleider und Schübe einer AbtetJniigsgenosein von besserem Material oder der als
Weihnachtsgeschenk verabfolgte Schal von lenchtenderer Farbe ist. Auf der anderen Seite
erhalten eintr einzelnen geraachte Znwt^udutigen für die Betreffende erst dadurch Wort, dati sie
anderen höhnisch vorgezeigt werden können nud bei diesen Aaßeraogen des Neides erregen.
Aber gt^rade im AnHtalt^tleben gewinnt man auch einen desto handgreiflicheren Maß-
stab für die wohltütige Wirkung einer geregelten Heaehüftigung in dieser Hinsicht. So fiel
allen Bebucbem der Kreis- Pflegeanstalt Hub, nitchdera ich dort die Krankenarbeit
prinzipiell organisiert hatte, die wohltuende Huhe auf den Frauenaüteilimgen und den dazn
gehörigen Holen uuf, die vorher unau;^ee»etzt von Ziiukereien und unflUtigen Schmühnngen
widtfrzuhalleii pflegten. Eben<io konnte ich bei den Miiuneru , unter denen neben den De»*
equil ib rier ten »ucb in vielfaeher Hint^icht die I'otiitüren die HauptreprU»entaoten fflr
diese Charakterztige sind, in der Mehrzahl der Fälle eine iihnllche Wendung zum Besseren
konstatieren. Die gleichen Krtuhrungen konnte ich nach erfolgter Keorganisation der Sius-
belmer Anstalt, die gleichlalla auf dem Prinzip methodischer Krankenbeachüfligung basiert
wurde, machen.
Aber such son&t sind BeeioträchtigungsideL'n. die eich in Klagen über angehllehe Un-
gerechtigkeiten n (Igl. äußern, bei neuro und psyihopatbtschen Personen nichts Seltenes.
Auf etwaige Mitpatieaten pflegen diese außerdem noch, wie Goovhann treffend hervorhebt,
den übkn Einfluß auszuüben, daß die beiderädtigeu Klagen bzw. ungünstigen Vorstellungen
Über die angekl:)gtc Persönlichkeit iiieht nur gewivi^eruiaßen adiltert, sundern miteinander
potenziert werdi^ , bo daß bei der uiivenueidlichen engen Berlliirung mehrerer solcher
Kranken ein gegenseitiges Aufbauschen und llöherschrauben der Unlnstaffektc an der Tages*
ordnnng ist.
Hier ist denn ausschließlich eine die Psyche bzw. die Willeoskraft
vollstilndig okkupierende Tätigkeit da» einzige Mittel, den Gircnlus vi-
tiOBiis zu durchbrechen.
Wi%) RosKN BACH bemerkt , sind eben selbständige zielbewußte
Willensakte, wie sie zur Ausführung: der einfachsten Hantierungen erfor-
derlich sind — ganz etwas anderes wie eine durch sog. Kuren erzwungene
Beschäftigung, auch wenn diese noch soviel Zeit in Anspruch nimmt, denn
der Patient wird auf diese Weise viel eher abgespannt als gekräftigt und
verliert seine krankhaften VorstHlungen schon deshalb nicht, weil er sich
ja immer als das Objekt der Kur, alK passives, mehr oder weniger be-
klagenswertes Opfer fremder Kinwirkungen betrachtet
Auch Turnen, Heilgymnastik und die in letzterer Zeit hie und da
für die sog. »besseren Klassen< empfohlene sportliche Betätigung ver-
mögen in dieser Hinsicht nicht mit dem ärztlich dosierten, vom exziehlichen
Standpunkte Überwachten zielstrebigen Wirken an irgend einer noch so
einfachen, ab»r ein Wertobjekt schaffenden Arbeit in Konkurrenz zu treten.
Es bleibt eben das Wesentliche, dalS man den Kranken nicht gewissermaiien
nur suggestiv, hypnotisch odL^r unter Zuhilfenahme seiner disziplinaren Be-
fugnisse, also »diktatorisch« zu beeinflussen sucht, sondern daß man sein
Vertrauen gewinnt, ihn sich zum Hondeagenossen. ja zum Freunde macht.
Nur dann kann der Erfolg ein Ober die relativ kurze Zeit einer di*
rekten ärztlichen Beaufsichtigung und Kontrolle hinaus anhaltender sein.
wenn in der oben geschilderten Weise die innere Wandlung — mindestens
scheinbar, d. h. nach der Empfindung des Kranken selbst — aus dessen
ureigenster Kntschlioßung hervorgegangen zu sein scheint.
Schon verschiedentlich habe ich Gelegenheit genommen^ auch auf die
Grenzen, die der Arbeitstherapie gezogen sind, hinzuweisen, tmd
Krankcnbescbfiftigung. 315
auch V. Holst *^ sah sich neuerdings veranlaßt, vor einer einseitigen and
Übertriebenen Voralljremeinerunß; dieses Prinzips zu warnen, namentlich wenn
die Periode der Ruhe in ganz verkehrter Weise ausschließlich als die durch
Ansammlung hypothetischer Rrmüdungsstoffe notwendig gewordene Arbeits-
pause angesehen . ihr Wort als Phase innerer Gewebsarbeit. hingegen ver-
kannt wird, liegt die Gefahr vor, sie zu kurz zu bemessen.
Unter den eine Kinbußu an Willensenergie aufweisenden Kranken sind
es vorwiegend zwei Klassen, bei denen man von Fall zu Fall die sorgfäl-
tigsten Krwägungen über die Zulässigkeit und den Umfang einer
einzuleitenden Beschäftigungstherapie anzustellen haben wird: es
sind das einmal die. wie schon hervorgehoben, rocht häufigen Fälle mit
gleichzeitigen Herzaffektionen nnd andrerseits die ganze,. Klasse
der an tatsächlicher nervöser Erschöpfung Leidenden.
Betrachten wir zunächst die Schwierigkeit der Aufgabe, die dem Arzt
aus der Beschältigung der Herzkranken erwächst!
In der heutigen Zeit, in der nach Abwirtschaften der Terrainkur die
Heilgymnastik an mediko-niechantsclien Apparaten den Platz eines Lieblings
unter den Modekuren beim Publikum und den Ärzten einnimmt, sollte man
meinen, daß sich leicht ein Ersatz dieser Kurmethoden in einer zweck-
mäßigen und methodischen, aber nutzbringenden Arbeit finden lassen müsse.
Meine Erfahrungen sprechen aber für das Gros der Fälle sowohl gegen die
einen wie die anderen Maßnahmen und ich freue mich, nachträglich eine
Bestätigung dieser meiner Auffassung auch in (). RcisKNUAnia Monographie
über die Krankheiten des Herzens** zu finden, indem auch hier die Ansicht
vertreten wird, die moderne Heilgymnastik und die nach dem Schema ver*
ordneten Terrainkuren bewirkten nicht immer direkt nachweisbare Ver-
schlimmerungen oder sogar bisweilen eine gewisse Besserung nur deshalb,
weil die richtige Ernährung und der Über einen längeren Zeitraum ausge-
dehnte Schlaf in den Kurorten die Schäd [(jungen überwiegen, die dem Herzen
aus der temporären unzweckmäßigen Inanspruchnahme seiner Erregungs-
fähigkeit erwachsen. Die Tatsache, daß das Herz bei oder nach gesteigerter
Leistung anscheinend kräftiger arbeitet, darf uns nach Kosicnbaih nicht irre
machen , denn die starke sichtbare Arbeit ist nicht zu verwechseln mit
einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit, mit einer erhübten produktiven
Leistung für die Verstärkung des Tonus und die Bildung von Energievor-
räten; vielmehr ist sie nur zu oft ein Zeichen des stärkeren, möglicherweise
bis zur Erschöpfung der Vorräte fülirenden Kräfte Verbrauchs. Das Prinzip
der Stimulierung des Herzens ist dementsprechend nur dann berechtigt,
wenn der Betrieb ausschließlich wegen Mangels an Reizen stocke, bei Ohn-
macht und Kollaps oder wo Energie Vorräte zwar in genügend er Menge
vorhanden sind, aber eines stärkeren AuHlSsungsvorganges bedürfen, wie
bei dem nervösen Herzen und gewissen Formen des sog. Fettherzens, d. h.
im Gegensatz zu der fettigen Degeneration bei AuElagerung von Fett bei
sonst gesundem Herzmuskel, wie sie sich bei korpulenten Leuten mit un-
zweckmäßiger, namentlich sitzender Lebensweise findet. AusschlieClich in
diesen Fällen können Gymnastik, Terrainkuren, überhaupt iede richtig ge-
steigerte und methodisob angewandte, mit einer gewissen Anstrengung ver-
bundene Arbeitsleistung am Platze sein. Bei alten auf Insuffizienz des Herz
muskels beruhenden Afloktionen sehe ich nnch dem Vorgange RosE\B\rHs in
Bettruhe, Wärme und zweckmäßiger Ernährung die hauptsächlichsten Heilmittel.
* Vgl. V. Holst, Erfahrnngen hü» einer 40j!ihritfen nimrologiscben Pi'axid. Stuttgait
1903, Ferd. Enkß.
** 0. Rosf:.vDACu, Die Krankheiten di-s HerzeuB uurl ilire BebaacHang. Wien nnd Leipxig
1897» Urban & Schwarzenberg.
316
Krankenbcschäftigung.
I
Patienten mit Herzinsuffizienz belasse ich in meiner Anst<, auch
nachdem die Stauunßserscheinungen oder wiedereingetretenen Rompensations-
stürungen gewichen sind, auf den Lazarettabtoilungen and teile ihre Zeit
zwiHchen Rahe, kräftigen Mahlzeiten und Spaziergängen in den Garten-
anlagen der offenen Abteilungen. Das schließt aber nicht aus, daß, sobald
hinlängliche Garantien für den Bestand und die Festigung der erzielten Er-
folge gegeben sind, vorsichtig zu einer methodischen Beschäftigung Qber-
gegangen wird, und zwar zu einer solchen, welche gleich einer rationellen
Gymnastik die Muskeln in regelmäßiger Folge abwechselnd in Anspruch
nimmt und gleichzeitig ein rhythmisches und genügend tiefes Atmen nicht
nur gestattet 1 sondern sogar begünstigt Im Gegensatz zu den bisweilen
auch aus den Kreisen der arbeitenden Bevölkerung hervorgebenden kor-
pulenten Kranken mit Fettauflagerungen am Herzen wähle ich nicht die
sonst von mir bevorzugte Beschäftitrung in der Schreinerwerks(ätte> zumal
an der Hobelbank, sondern ich empfehle als Arbeit, die die erwähnten Be-
dingungen erfüllt, das Umgraben des Erdreichs in Feldern und Garten. Vor-
aussetzung bleibt dabei, daß die Arbeiter diese Leistungen mit einer gewissen
Üemächtichkmt vollführen, ferner daU die Arbeitszeit durch häufige und
regelmäßige Ruhepausen und zugleich durch kleinere Zwischenmahlzeiten
unterbrochen wird, wie das in der Arbeitseinteilung einer Krankenanstalt
ia an und für sich nicht anders vorgesehen sein darf.
Was nun die Behandlung der nervösen Erschöpfung anlangt,
so hat RoÄCMBAcH* treffend —und ich glaube als Erster — hervorgehoben,
daii erst wenn wir den Einblick in die individuelle Disposition gewonnen
und die Richtung der Vorstelfungen, die Größe der vorhandenen Strömun-
gen und Erregungen, die Art der Willenstatigkeit erkannt haben, den Ver-
such wagen dürfen, durch eine bestimmte, konsequent durchgeführte Be-
handlung ein gleichmäßiges Fluten in den Nervenimpulsen herbeizuführen.
So sebr es auf der Hand liegt, daß diese voraufgehende ausgedehnte und
individualisierende, funktionelle Prüfung schon den Keim therapeutischer
Maßnahmen tragen kann, da ja aus dem Verhalten gegenüber gewissen
methodischen Anforderungen sich die Art der p^^ychischen und somatischen
Reaktion immer deutlicher ergibt und neue PrÖlungsmethoden und Aufgaben
naturgemäß die so gewonnenen Aufschlüsse zu ihrer Richtschnur nehmen
werden, so sehr wird hier jede voreilige Entscheidung, welcher Weg in dem
betreffenden Falle definitiv einzuschlugen ist, vom übel sein. Von der rich-
tigen Wahl der Methode^ die nicht schematisch, irgend einer Moderichtang
folgend oder rein symptomatisch sein darf, hängt alles ab.
Ergibt es sich nun bei diesem Studium des innersten Wesens des
Kranken, daß ein Fall rein akuter Erschöpfung oder Erregung oder
ausgesprochener Ernahrungsanoraalie vorliegt^ wie sie durch eine bestimmte
olnmalige. kürzer oder länger dauernde, aber voraussieht lieh nicht wieder-
kehrende Einwirkung bei Menschen mit sonst normal reaf^ierendem Nerven-
system hervorgerufen werden, so wird natürlich gute Pflege, viel Hohe,
abwechselnd mit mäßiger Bewegung, d. h. im wesentlichen beständige Frei-
heit im Tun und Lassen nach erfolgter (einmaligGr) kürzerer oder längerer
Entfernung aus dem bisherigen Wirkungskreise — wenigstens für die erste
Zeit — das Haupterfordernis sein. Erst nach einiger Zeit empfiehlt Roäex-
BACH, eine bestimmte Zeiteinteilung wieder aufzunehmen und regelmäßige
Reihenfolge in der Beschäftigung mit langsam steigenden Anforderungen
Platz greifen zu lassen.
RosKNHAt H macht auf die Mißgriffe aufmerksam, die oft aus der Ober-
Ixiebenen Bewertung anämischer und nervöser Symptome gegenüber jugend-
* O. KnsKHHACH, Energotherapeiitmcfae. Iti'trucbtungea Über Morphiam als HitU«! der
KrafihilduTig. ßerlin aod Wien IÜ02, Urban & Sühwarzunberg, pag. 277lf.
Krankenbeschäfcigung.
317
liehen Personen, die vor einem Eiamen stehen, resultieren. Nur zu häufig
ist hier die Willensschwäche die in erster Linie Abhilfe fordernde Krschei-
nung. Namentlich aus Furcht vor Selbstmord und falscher Beurteilung; des
KSrperznstandes ist man sowohl elterlicher- wie ärztlicherseits recht häufig
'allzu nachsichtig. Bei Abwesenheit jeder organischen Erkrankung und Vor-
liegen ausschließlich nervöser Symptome (bzw. solcher von Blutmangel
leichteren Grade») sollte man den betreffenden jungen Leuten nach Roskn-
BA< HS Ansicht nur eine mäßige Erbolungsfrist gönnen, aber nach Ablaut
dieser unter Zusicherung milder Beurteilung ungünstiger Resultate sowohl
wie einer möglichst langen Erholungspause nach Oberstandenem Examen
vor der Prüfung keinen längeren Aufschub gewähren, sondern im Gegen-
teil auf baldigste Abaolvierung dersßlbßn dringen.
Gerade bei diesen QberuuH häufigen Fällen von konstitutioneller Nerven-
schwäche, die bei jugendlichen Individuen der sogenannten besseren Stände
zurzeit der ersten Examen zu einer offenbaren Willensschwäche, zu einem
zaghaften Herantreten an die zu überwindenden Examensschwierigkeiten
selbst dann führt, wenn eine funktionelle Erschöpfung, wie sie von den Be-
treffenden selbst und ihren Angeh<)rigen vorausgesetzt zu wenien pflegt,
noch gar nicht vorliegt, pflegt die erziehliche Therapie nach den Erfahrungen
RosKNBAr^s einen erfolgreichen Wirkungskreis zu finden. Allerdings ist, wie
dieser Autor das betont, gerade bei derartigen jugendlichen Patienten die
Unterscheidung oft recht schwierig, ob die Forderungen der Schule, bzw.
die V^orbereitung zu einem Berufe als erschöpfende Ursache gewirkt
haben oder ob eine konstitutionelle Anlage vorliegt, die eine Einwirkung
auf die ganze Gestaltung des Betriebes im Sinne einer größeren Leistungs-
fähigkeit zuläßt oder sogar erheischt. Gerade in solchen Fällen muß nach
RosBXBAOH dann ernstlich und rechtzeitig der Versuch gemacht werden, durch
psychische Beeinflussung (Im Sinne einer Erziehung zur Arbeit, wie ich hin-
zufügen mochte!) das nachzuholen, was die früheste Erziehung versäumt hat.
Das größere Kontingent der Kranken, die auch in späterem Alter auf
dem psychischen Wege, und zwar durch konsequente Durchführung ihm
zuerteilter Arbeitspensa mit Erfolg behandelt werden, bilden diejenigen Per-
sonen, denen kein Beruf zusagt, die sich stets für abgespannt halten, oft
allerdings mit Ausnahme der Betätigungen, die dem bloßen Vergnügen
gelleui Diese Kranken, denen der regulierende Wille fehlt und die nur in-
folge ihres perversen Vorstellungslebens leistungsunfähig zu sein glauben,
verlangen .seihst dann oft nicht ernstlich gesund zu werden, wenn sie nicht
der oben erwähnten Kategorie derjenigen angehören, die *den Rettungs-
anker für ihre Minderwertigkeit im Kranksein finden«, sondern nur das
Mitleid ihrer Umgebung oder sogar das Mitleid tntt sich selbst angenehiu
empfinden. Zumal da derartige Kranke durch Wunderkuren, mindestens aber
ohne ihr Zutun und ohne Selbstzucht, die eine totale Änderung der Lebens-
weise und WMIIensrichtung voraussetzt, geheilt werden wollen, könnte man
in diesen Fällen den Versuch einer erziehlichen Behandlung von vornherein
ausgeschlossen halten. Rosknbach* hat aber auf Grund ausgiebigster prak-
tischer Erfahrung für diese Fälle ganz besonders die prinzipielle Überlegen-
heit der erziehlichen Therapie jeder andern, selbst allen andern Formen der
psychischen Behandliinf^ gegenüber hervorheben zu müssen geglaubt, um so
mehr, da hier jede Maßnahme vermieden werden muß, die der Krankheits-
vorstellung Konzessionen macht, und ich selbst habe in einer nicht gerade
kleinen Zahl von Fällen hier von einer methodischen «-Arbeitskur« un-
erwartete Erfolge gesehen. Vereinzelt blieben dieselben aber auch — und
hier waren es fast immer weibliche Kranke — aus.
* Siehe das Literaturverzeicbol« am Schluiue.
<
■ * Sieh«
318
KrankenbeschAftigung.
Nun unterläßt es Rosenbath allerdings nicht, auf Grand einer ana-
(fiebiffen Erfahruner in dieser Hinsicht zu betonen, daß es eine andere Klasse
von nervösen Kranken gibt, deren Leiden auch von gewissen mehr oder
weniger fest haftenden, krankhaften Vorstellungen aasgeht, die aber nicht
in dem erwähnten Sinne zu den abulisch Nervösen gehören, wenn auch
durch hypochondrische V'orstellungen ihr Wille gtoichfaUs in eine falsche
Richtung abgelenkt ist (detnentisprechend eine rein affektive {nsuffiKienz
des Willens, nicht eine originär appetitive nach meiner Definition vorliegt}.*
Hier sind es gewöhnlich die zusammenwirkenden Momente einer konstitutio-
nellen (hereditären oder in fröhester Jugend erworbenen) Anlage mit Er-
schöpfungszuständen, die das Krankheitsbild zuwege bringen. Bei diesen
Kranken pflegt auch im Gegensatz zu denen der froheren Gruppe der leb-
hafte Wunach zur Gesundung zu bestehen und eine mehr oder weniger ein-
dringliche Aufklärung durch den Arzt zur Anbahnung einer Überwindung
der Krankheitsvorstellungen zu genügen. Dit! Fälle nun, in denen ich, wie
erwähnt, zuweilen Mißerfolge erzielte, gehörten aber nicht in diese Kategorie.
Ks war hier eine konstitutionelle Anlage, aber kein irgendwie erschöpfend
wirkendes Moment nachzuweisen und es handelte sich stets um Patientinnen,
die sich mit einer gewissen Wollust den Krankheitsgefühlen hingaben und
der Gesundung, die sie ihrer Vorwände zur Beschönigung und zum Kultus
ihrer bedauernswerten Persönlichkeit beraubt hätte, mit einem gewissen
Schrecken entgegensahen.
Das bat uns aber auf die periodfsche nervöse Erschöpfung hin-
geführt, bei der die Therapie eine von Grund aus andere sein muß als bei
den Füllen von rein akuter Erschöpfung. Hier pflegt nun schematisch und
gewohnheitsmäßig ein Verfahren eingeschlagen zu werden, das weder vom
theoretischen Standpunkte geeignet erscheinen kann, eine Besserung des
Zustandes herbeizuführen, noch sich nach Roskn'Hachs und meinen eigenen
Beobachtungen praktisch bewährt hat. Das erwähnte übliche Verfahren
pflegt bekanntlich, von dem Gesichtspunkte ausgehend, daß der erschöpfte
Kranke später die normale oder sogar eine verstärkte Tätigkeit aufnehmen
soll ^ in der Empfehlung eines » Luftwechsels < und vollständiger Ruhe und
Schonung für einen 4 — Hwöchentlichen Zeitraum in Gestalt irgend einer
modernen Kur zu bestehen, die (allerdings auch eine Form der psychischen
Therapie !) den Patienten während dieser tatenlosen Zeit einigermaßen be-
schäftigen und geduldig erhalten soll. Da die periodische Erschöpfung aber
nur bei konstitutionell Nervösen zu beobachten ist, die an sich nicht krank
sind, sondern nur unter ihrer abnormen Betriebsweise zu leiden, und zwar
nur solange tu leiden haben, als sie den Vorbedingungen fOr die Erhaltung
der Loistungsfiihigkcit bei jener abnormen Produktionsweise aus mangelnder
Erkenntnis der Situation nicht Rechnung tragen, d. h. ihre Zeiteinteilung
und ganze Lebenswelse nicht dementsprechend ändern, so wird nicht die
Erholung und Ruhe — die nach einer Phase angestrengter äußerer Be-
tätigung ihnen ja wohl innerhalb gewisser Grenzen zu konzedieren ist —
die wesentliche Aufgabe des Arztes sein, sondern die Aufklärung über ihre
Individualität, über den abnormen Phasenbetrieb ihres Energiehaushaltes.
Damit werden die entsprechenden Ratschläge zur Eingewöhnung in die neue,
zweckmäßigere, durch die Betriebsweise bedingte »Haus- und Arbeitsordnung
für die Fabrik«, wenn ich, um im Bilde zu bleiben, so sagen darf, Hand in
Hand zu gehen haben.
Bei dem Hauptkontingent der periodisch erschöpften Nervösen und
Neurastbeniker wird nun allerdings nach den Beobachtungen Ros^NBACHä,
* Vgl. den Artikel »Wtllensach wfiohc« itn Torjilhrigen Bande dlesea Jahrbaches,
XII, 190&.
Krankenbeschäftigung.
319
m^g nun auch Sieben dem Moment der Erschöpfung: das der dauernd ab-
normen Betriebsweise noch so sehr mitspielen, die Hauptursache der zeitweiÜt^
stärker hervortretenden Betriebsstockungen in der vorherrs iahenden
abulischen Insuffizienz zu suchen sein, die sich infolge Tehlerhatter
ßrziehuDg oder besonderer sozialer Verhältnisse bis zu einem Qrade ent-
wickeln konnte, daß sie es ist. die in erster Linie bekämpft werden muß.
Hier und noch mehr da, wo der Retrieb mit unzureichenden Mitteln auf
einer an^ebornen degenerativen Grundlage arbeitet, also eine originäre
degenerativo abulische Insuffizienz (nach meiner Nomenklatur) vor-
liegt-, wird, wie ich in Übereinstimmung mit den Ausführungen Rosen'bachs
auf Qrund vielfacher Beobachtungen gerade auf diesem Gebiete durchaus
nur bestiUigen kann, [ede MnDnahme zu vermeiden sein, die der Krankheits-
vorstellung Konzessionen macht, um den egoistischen und jedem auf-
tauchenden OelOste gegenüber widerstandslosen Patienten, der an eine regel-
mäßige Tätigkeit überhaupt nicht gewöhnt ist. nicht noch willenloser zu
machen. Hier Ist es dann vielfach angebracht, die Methode der »zweck-
mäßigen Vernachlässigung« des Leidens Platz greifen zu lassen.
Welche Arten von Beschäftigung kommen nun für die mit
abulischer Insuffizienz behafteten Individuen vom Standpunkte
der erziehlichen Therapie aus in Frage?
Schon auf Orond rein theoretischer Erwägungen wird man sich sagen
müssen, daß sie folgenden Ansprüchen in erster Linie zu geniigen haben:
1. Sie müssen die Muskeltätigkeit des Kranken energiach in Anspruch
nehmen.
2. Sie müssen dem Geisteszustände des Betreffenden adäquat sein,
d. h. sie dürfen ein bestimmtes Maß von Anforderungen an die Intellek-
tuellen Kräfte des Arbeitenden nicht übersteigen.
3. Sie müssen die Möglichkeit gewähren, unter Inanspruchnahme der
Aufmerksamkeit des Patienten auch nilmählich sein Interesse zu gewinnen.
Auf der einen Seite wird daher die Bevorzugung rein mechanischer Han-
tierungen, z. B. einer Reibe von Fabrikationszweigen, die eine weitgehende
Arbeitsteilung zur Voraussetzung haben, ausgeschlossen sein, auf der andern
sollte dem Arbeitenden auch möglichst ein Überblick Über das schließliche
Resultat seiner Bemühungen zugänglich gemacht werden können.
4. Die Beschäftigung muß vom hygienischen Standpunkte aus einwand-
frei sein.
5. Sie muß den Patienten vor V'erführung und Rückfall in frühere
schlechte Gewohnheiten, Kxzesse usw. nach Kräften schützen, d. h. sie darf
ihn nicht in zu weitgehenden und unkontrollierbaren Konnex mit der Außen-
welt bringen.
Allen diesen Ansprüchen wird kein Berufszweig in so ausgesprochenem
Maße Genüge tun können wie die Landwirtschaft. Mit ihren verschiedenen
Haupt- nnd Nebenzweigen: Gemüse- nnd Futterhau, Obst-, eventuell auch
Forstkultur, Gärtnerei, Viehhaltung, Milchwirtschaft bietet sie soviel Gelegen-
heit, die ReschäftigurvgBweise der Kranken mit dem Maß ihrer erhaltenen
geistigen Fähigkeiten, mit ihren Charakter^ügen und ihren individuellen
Neigungen, ja auch mit dem Bedürfnis nach einer gewissen Abwechslung in
Einklang za bringen wie kein anderer Beruf.
In zweiter Linie ko mmen die Handwerksbetriebe in Betracht
□nd unter diesen wieder vor allen andern sowohl in hygienischer wie in
erzieblicli-therapeutischer Beziehung die Arbeit in der Schreiner (Tischler-)
Werkstätte.
Für alle neuropathischen and psychopathischen Individuen
jugendlichen Alters mit geringeren Defekten bewährt sich die
Gartenarbeit vor altem.
320
KraDkenbeschäftiguDg,
FOr die nicht rainderwertig:en, oft 8ng;ar recht intelligenten Nerven-
kranken, wie namentlich die Hypochonder. Hysterischen, femer auch für die
Kranken mit Zwangs vorätellungeu und teilweise für die Desequilibrierten
ist die Tätiffkeit in der Gärtnerei nahezu unbegrenzt und kann sieb hier
bis zu einer vollständig fachmäßigen obst-, geniüse- oder kunst gärtnerischen
Tätigkeit erheben.
Auch intellektuelle Defekte raäßigren Grades schließen die Garten-
arbeit nicht aus. Nur tritt hier die Hodenbearbeitunß: mit der Grabschaufel,
die Spatenkultur in den Vordor^runtJ. Häufig handelt es sieh um Angehörige
des besser situierten Mittelstandes. In den ärmeren Kreisen, zumal denen der
landwirtschaftlichen Bevölkerung fallen derartige Existenzen leider nicht auf:
in den »besseren« Familien aber müssen die Eltern — wenn das auch oft
ein schwerer Entschluß ist — schließlich auf die Unterbringung ihres Sohnes,
der auf den oberen Klasaen der Schule durchaus nicht vorwärts kommt and
vielleicht auch noch dumme Streiche macht, in einem sogenannten höheren
Berufe verzichten und ihn ein einfaches Handwerk oder die Landwirtschaft
lernen lassen. Im Handwerk aber rQckt bei den gewohnlichen Lehrmeistern,
die für die {geistige Abnormität kein Verständnis haben, die Ausbildung auch
nicht recht vorwärts und so bleibt achlielSlich nichts als die Erlernung der
Landwirtschaft übrig, die, wie auch ükqhmann hervorhebt, aus zwei UriXndeB
von vornherein das Allergeeignetste bleibt: einmal wegen der Entfernung
von den Verleitungen des Stadtlebens, dann aber auch wegen der an und
ffir steh gesunden un<l der geistigen Befähigung des Betreffenden leicht an-
paßbaren Beschäftigung. Namentlich für das Graben im Garten und Felde
pflegen diese Kranken eine solche Vorliebe an den Tag zu legen^ daß selbst
schwächliche oder verweichlichte Personen zur Bewältigung eines relativ
hohen Arbeitspensums imstande sind. Diese Vorliebe Tür das Graben, die
grell von ihrer sont^tigen Interesselosigkeit absticht, mag wohl, wie Gkuh*
M.-VNN anniitiiut, vielfach mit der Unlunt zu iedweder geistigen Konzontratioii
zusammenhängen. Ks ist aber, wie schon erwähnt wurde, für jeden, der
selbständig schaffen will« notwendig, den Zusammenhang der Tagesarbeit
mit dem Effekt der Gesamtleistung zu übersehen; dazu sind derartige, mit
defektiver Insuffizienz (die ja nicht ausschließlich nur in der Willenssphäre
hervortritt) selbst mäßigen Grades behaftete Individuen z. B. auf dem
sonstigen Gebiet der Gärtnereien nicht imstande, die ihnen, da die meisten
Kulturprianzen eine längere Zeit zu rhror Entwicklung brauchen, schon des
för sie Üborsichtiichen viel zu wenig zu bieten pflegt. Sogar zum Gießen,
einer der hauptsächlichsten mechaniächeu Arbeiten im gärtnerischen Betriebe.
pflegen sie meiner Beobachtung nach nicht immer brauchbar zu sein. Bei
der feldmäßigen Gemüaekultur und den andern landwirtschaftlichen Arbeiten
liegt die Sache nicht viel anders. Was geschieht aber nun später mit diesen
Patienten, wenn sie sich über das Niveau gewöhnlicher Taglöhnerarbeit
hinaus als zu wenig bildungsfähig erwiesen haben? Guohm.vvn, der sonst
alle einschlägigen Verhältnisse dieser Klasse von Kranken in bahnbrechender
Weise beleuchtete, hat hier einen Weg nicht vorgezeichnet; ich sehe den-
selben nach einer vorbereitenden Beschäftigung mit einfachster gärtnerischer
resp. landwirtschaftlicher Tätigkeit, die sie zunächst einmal an körperliche
Arbeit gewöhnt, in dem Übergang zum Schreinerhandwerk.
Die Beschäftigung in der Landwirtschaft bzw. in der Gärtnerei kommt
dann zunächst für eine große Klasse von Kranken in Betracht: die Trinker.
Für diese Patienten halte ich es^ wie ich schon andernorts verschiedentlich xu
betonen Gelegenheit hatte — und immer neue Erfahrungen bestätigen das — ,
für unbedingt vorteilhaft, wenn sie (wenigstens zunächst) nicht in ihrem
eigentlichen Berufe beschäftigt werden. Die Selbstüberschätzungs- und da-
mit Hand in Hand gehend die Größenideen lassen die Prahlereien des Alko-
Krankenbeschäftigung.
321
holisten seinen Arbeitsgenossen g^egenüher und seine Ansprüche gewöhnlich
ins Ungeheuerliche wachsen, wenn ihm nicht durch eine Versetzung in
andere Verhältnisse der Boden und die Unterlagen für den Kreta von Ideen-
assoziationen, die sein ganzes psychisches Leben zu beherrschen angefangen
haben^ entzogen werden. AuUerdeni liegt der erziehliche Wert einer Be-
schäftigung, in der es ihm ]eder andere, auch nicht weiter Vorgebildete
mindestens gleich tut, darin, dab so am ehesten eine Einwirkung im Sinne
der Bescheidenheit and einer den realen Verhältnissen entsprechenden Be-
wertung der eigenen Leistungen erfolgt, ganz abgesehen davon, daß der
Kranke doch immerbin (bei etwaigem Beharren in der einmal eingeschlagenen
Qeistesrichtung) einige Zeit braucht, um sich auch auf diesem Gebiet sein
Repertoir an Lügen und Renommlergeschichten zurechtzulegen. Hierzu kommt,
daB die Landwirtschaft^ namentlich die Gartenarbeit, es am ehesten erlaubt,
die Patienten entweder ganz allein oder zu zweien arbeitten zu lassen, wo-
bei ein großer Teil der Gelegenheit zum Unfrieden furtfällt.
Krst nach einiger Zeit, gewissermaßen als Belobnung für längeres
Wohlverbalten und nach mehrfach geäusserten dieabezQgUchen Wünschen,
pflege ich solchen Kranken, wenn sie metner Obhut anverlraut sind, das
Arbeiten in ihrem eigentlichen Berufe — und zwar vorderhand nur unter
Vorbehalt — zu gestatten.
Nicht 80 schnell bin ich mit dieser Erlaubnis bei der Hand, wenn es
sich um ausgesprochene Übergänge zur Psychose handelt oder gleichzeitig
EpUepsie vorliegt; wie Oberhaupt Querulanten und Intri^uanten mit para-
noischen Zügen, alle Degenerierten, die moralisch Unzurechnungatähigen und
ruhelose, unbeeinfluübare Epileptiker nur unter Beobachtung aller Kauteten,
in mOglichater Trennung von Andern und mit Arbeiten, die eine weitgehendere
Verantwortlichkeit nicht voraussetzen, beschältigt werden sollten.
An die Landwirtschaft schließt steh die Besorgung des Viehstandes,
die Milch-, aber auch die Hauswirtschaft aufs engste an und hier bietet
sich dann ein geeignetes Feld der Beschäftigung für den weiblichen Teil
der abuliscb Insulfizienten Kranken. Die Tätigkeit in der Hauswirt-
schaft und im Anschluß hieran wieder die Herstellung, Ausbesserung und
Reinigung der Wäsche und Bekleidungsgegenstände kann ausschließlich zur
Domäne der sich einer erziehlicben Therapie unterwerfenden Frauen ge-
macht werden. Küche, Waschküche, Bügelet, Näh-, Flick- und Strickstuben
ersetzen hier auf der mehr oder minder schon immer vorhandenen Basis
erlernter Fertigkeiten die vielseitigeren und komplizierteren Beächättigungs-
zweige des männffchen Teils. Ein kleines >Amt< in der Milchwirtschaft oder
in der Besorgung des Kleinviehs mit bestimmt begrenzten Pflichten und
Rechten pflegt als V^ertrauensposten aufgefaßt und selten mißbraucht zu
werden.
Unter den Handwerksbetrieben nimmt nach Qhohuannh und nach
meiner eigenen Überzeugung, wie ich schon hervorhob, die Schreinerei
(Tischlerwerkstätte) den ersten und für die Beschäftigungstherapie
wichtigsten Platz ein. Insofern als hier auch Wagner- (Stellmacher-)
Arbeiten ausgeführt und Reparaturen bzw. Ergänzungen landwirtschaftlicher
Geräte bewerkstelligt werden, bildet sie auch eine durchaus glückliche Er-
gänzung des landwirtschaftlicben Betriebes überall da, wo sie mit diesem
verbunden werden kann. Nicht nur, daß es kaum nii^gllch ist, mit einer
andern mechanischen Arbeit die Patienten — besonders den intelligenteren
Teil derselben - — so sehr zu fesseln und ihre Körperkräfte bis zur heilsamen
Ermüdung in Anspruch zu nehmen, auch der an defektiver Insuffizienz
Leidende, auf den ich hier zurückkomme, vermag in relativ kurzer Zeit
einen Gegenstand herzustellen, dessen ganzen Werdeprozeß vom Anfang bis
zu Ende er ebenso zu Übersehen vermag, wie dessen NfttzUcbkelt im
Eneyolop. J&brfcaoher. N . P. IV. (Xm.]
*iV
322
Krankenbeschäftigung,
Rabmen unserer KulturbedflrfniHse. Hierzu kommt, daß die Resaltate» nicht
wie in der Gärtnerei , von einer Anzahl fremder Faktoren (Boden, Samen*
qualität, Witterung, Jahreszeit usw.) abbäng'ig sind und daß schließlich der
Patient eher als bei der Garten- und Feldarbeit imstande ist, die Korrekt-
heit seiner Leistung selbst zu kontrollieren.
Alle Kranken, welche mit wirklich $ci3tem Willen an ihre Anf grabe
herantreten — nur wenige leiden an zu starker Zerstrentheit oder zu
grober Ungeschickh'chkeit — gewinnen der Schreinerarbeit bald das größte
Interesse ab nnd erreichen zum Teil eine Selbständigkeit, die nicht nur
auf ihren Charakter, sondern auch auf ihr GomDt von bestem Einfluß wird:
durch die Anregung des Formensinns wird der GemOtskranke besonders
gefesselt und zu eigenen Ideen angeregt, die er mit Eifer, oft mit Begeiste-
rung verfolgt, so daß er die quälenden Gedanken darüber vergißt. Neben
dieser seelischen Befriedigung sorgen Ermüdung und Beschleunigung des
Stoffwechsels für eine Aufbesserung des Appetits und des Schlafes, die bald
In einer Zunahme des Körpergewichts — die oft bei Nervenkranken, fast
stets bei Geisteskranken das erste Anzeichen eines günstigen Wendepunktes
in ihrem Leiden markiert — zutage tritt.
BezOglich der defektiv inauffizienten Kranken muß man eicfa
natürlich der Grenzen ihrer Leistungsf3.higkeit und somit des therapeutisch
Erreichbaren bewußt bleiben. Wenn sie als ungeschulte Anfänger auch nur
Holzzünder für die Feuerung schneiden, können sie auch bei mäßigem Um-
fang des Defektes zur Fabrikation ganz einfacher Gegenstände, kleiner
Kästchen und Kisten, Stiefelzieber, Garderobenhalter, eines von mir einge-
führten einfachen Modella eines Regenschirmständers (abgesehen von dem
Blecheinsatz, aus viereckigen ßrettchen und Leisten hergestellt) u. dgl. Über-
gehen. Andere drängen &ich geradezu zu der Spezialität, die von ihnen selbst
oder von andern verfertigten Gegenstände wichsen oder mit einem Farben-
anstrich versehen zu dürfen. In ihrem begrenzten Sonderfach erreichen selbst
ziemlich hochgradig Debile allmäblich eine Gewandtheit und Übung,
die ihnen eine bescheidene soziale Stellung auszufüllen gestattet.
Wvun ich itucli vorwifgend da» psychiHchc Moment dyr Krankti'DbescliSftigUDg gegea-
über dem »llKenifin hygicnlsi'hen hetone, ho müclite ich doch aicht uiiterUftBen, auf ein mit
Nalzt:n in der 8rhrfi[ierei vt!rweudbari'a Werkzeug aufinerkxuui ku inaclifu, auf deafM*D Wert
and TteUeiliji« Brauchbarkeit icb errft durch üie LektUn; des OBOHMANi<nch(*n Buches auf-
raerksam wurd«: e* ht da» daa {Wajfner-) ZiobmeBatr, ein »äbel;trtig gokrümratea ein-
schuHdigt^n luMranient mit jp einem Griff an Mden Enden. Di« Ziehniesserarbeit, die bald
fltf^heind und pitrend auHgefiihrt wird , wobei die Hrnst (im Gegensatz zur Arl)eit ao
dar Hobelbank) BtetB gewölbt bleibt, gibt nicht nur Vi'ranla»sang za* einem fortwährenden
Wechst^l der KörpürstallaDg, Bondorn nfiiimt uucb wie kaum mtie andere die ganze Keiben-
folge der Miuküln voni llulau bis zu den Zeben In Ansprach. Da die Späne tiich io langeo
Spiralen von dir Bretikante Bcbälen, bleibt lerner iede Stauüentwieklung aus. Es kommt
noeh hinzu, duü Druck und GteBcbwimtigkeit Bicli lui Qe,g'e^l^aiz zur Hobelarbeit bestftodig
regulieren lasHcn, bo daü jeweil» eine Anpassung der Leistung au die Rllrperkraft des Arbeiten*
den möglieb ht. Schliemieb erfolgt die Ablösung des Spans oberhalb, nicht wie beim Hobel
unterhalb des Werkzeugs und es iBt dadurch eine Selb»tkontrolle ermöglieht , auf deren
Wichtigkeit schon oben hingewiesen wurde. Gerade Robtiscblerarbeiten * mittelst des Zieh-
mcsser^ an sogenannten »Schwarten« hergestellt, dlirlten als eine zweckniflUige Spezlalitüt
fUr weniger intelligenter«, nngeschicktere oder erat den Schreinerbeml erlernende Patienten
zn betrachten sein.
Das Schreinerhandwerk nun eignet Bich mehr noch wie
Gärtnerei und Landwirtschaft, abgesehen von seinen sonstigen Vor-
zügen, auch ganz besonders zur Erlernung für solche Patienten, die
mit einem gewissen (übrigens In der Regel überschätzten) Maß von Körper-
kräften und Geschicklichkeit ausgestattet, durch einen ungeeigneten
Beruf eine Üble Beeinflussung ihres ganzen Lebensniveaus (z. B.
als Stuhlflechter. Korbmacher) ihrer körperlichen (wie als Arbeiter in
einzelnen Fabriksbetrieben) oder psychischen Disposition (z. B. Alko-
Kr&nkenbeschftftigung.
323
bolisten als Reisende, Kolporteure, Schaasteller auf Messen and Jahr-
märkten usw.) erfahren haben und bei denen ein Berufswechsel
auch noch iro späteren Lebensalter ang^ezeigt erscheint»
Für das Gros der Fälle > fQr die ja ein Berufswechsel nicht in Frage
kommt werden namentlich die verschiedenen Formen des Handwerks Ober-
haupt, die ja alle mehr oder weniger bei einer gewissen Anregung der
seelischen Funktionen ihre Hauptanfordernngen an die körperlichen stellen,
Wühl ausnahmslos durchaus geeignete Mittel der erziehlichen, speziell der
Beschäftigungstherapie für solche Kranken darstellen, die sich den betreffenden
Berufen nun einmal zugewandt haben. —
Dem oben betonten Prinzip gegen Ober« den Übergang von ernster Be*
Bchäftigung auf das Gebiet der Spieleroi strengstens zu vermeiden, ist
es vielleicht nicht OberflOssig hervorzuheben , daß selbst solche Arbeiten,
die die Grenzlinie nach der Spielerei hin mehr oder weniger überschreiten,
wie unter andern Verhältnissen bei bettlägerigen oder mit schwereren chro-
nischen Gebrechen behafteten Kranken auch ganz allgemein unter der Vor-
aussetzung nicht nur geduldet, sondern auch befördert werden dQrfen, wenn
Bie gewissermaßen zur Erholung oder gar zur Belohnung im Wechsel mit
ernster, nutzbringender Beschäftigung konzediert werden.
So habe ich es immer gern gesehen, wenn Pfleglinge metner Anstalt
Kum Weihnacht«fest oder bei anderer Gelegenheit fQr die Kinder von Ver-
wandton oder Bekannten Spielzeug schnitzen, kleine Kästchen, Papierblumen,
Christbaumschmuck oder Schäfchen aus Verbandwatte verfertigten. Hinem
fleißigen in der Schreinerei beschäftigten Alkoholisten gestatte ich häufig
sogar, einige Stunden der Arbeitszeit auf die Fabrikation von Spielsachen,
namentlich Puppenhäusern, an deren Ausführung er eine besondere Freude
hat, zu verwenden und über ihren Verbleib zu disponieren.
Ernstlich zu trennen von der Spielerei ist selbstverständlich auch eine
Betätigung auf rein geistigem Gebiete, die auch in Heilstätten nicht
nur fQr die sogenannten Gebildeteren vorgesehen sein sollte. Für die letzteren
allerdings wOrde jene nicht aunschließlich als Krholung in Form sogenannter
»leichterer Lektüre« in Betracht kommen , sondern es wären hier eher
schwerere Keisebeschreibungen , Geschichtswerke usw. mit nachfolgendem
Referat oder schriftlicher Ausarbeitung zu empfehlen. Rose.nbach erachtet
eine Beschäftigung mit rechnerischen Aufgaben für Willensschwache als sehr
vorteilhaft. Auf Grund meiner Beobachtungen an einem hochgradigen Hypo-
chonder, den ich seinerzeit ständig als rechnerische Aushilfe im Verwaltungs-
dienst zuzog, kann ich den wohltätigen Einfluß des Rechnens bestätigen.
Durchaus nicht zu den als Spielerei zu betrachtenden Beschäftigungen
bin ich geneigt, eine solche mit Musik zu zählen. Meine Versuche in dieser
Hinsicht, zu denen ich als musikalisch ungebildet und wohl auch unbildsam
erst durch meine Gattin veranlaßt werden mußte^ erstrecken sich bei den
einfachen Verhältnissen der mir anvertrauten Anstalt allerdings nur auf die
Pflege des Gesanges. Es scheint mir nun in der Tat nichts in dem
Maße, wie ein gemeinsamer Gesang nach vollendeter Tagesarbeit oder auch
während feststehender Gesangsstunden beruhigend, ermutigend und erhebend
auch auf die psychisch Insuffizienton der verschiedensten Kategorien einzu-
wirken. — Zwei Folgerungen von grundsätzlicher Wichtigkeit müssen sich
für ieden Unbefangenen meines Erachtens aus den bisherigen Ausführungen
unbestreitbar ergeben: einmal, daß eine erziehliche Einwirkung auf Kranke
durch Beschäftigung nur im Anschluß an die Organisation einer Kranken-
anstalt bzw. unter Einschluß in diese gedacht werden kann und weiter,
daß sie nur durchführbar ist, wenn diese Organisation schon von vornherein
dem therapeutischen Faktor, der sich hier Geltung verschaffen soll, Rech-
ziung trägt
324
Kraükenheschfiftigung, — Krankentransport.
i
Vorbedinernng für die Lebensfähigkeit einer solcben Anstalt ist natOr*
lieh zunächst ein f(röl5eres BodenareaL da die Landwirtschaft als die Orund-
säole des ganzen Betriebes vom therapeutischen — ■ nicht weniger aber auch
vom ökonomischen - Standpunkte aus betrachtet werden muß. Ist es die
Landwirtschaft, die durch das Ineinanderg'reifon und das Zusammenwirken
der verschiedensten (Jkonomiezweige den Verpflegten schon an sich eine
vielseitige Gelegenheit zur Betätigung ihrer Arbeitsfähigkeit und Arbeitslust
bietet, so können doch auch andere Zweige gewerblicher Tätigkeit, nament-
lich die hauptsächlichsten Handwerksbetriebe hier nicht entbehrt werden,
wenn man den körperlichen und geistigen Zustand der einzelnen Kranken
und ihre bisherige berufliche Vorbildung — ganz abgesehen von den per-
sönlichen Neigungen ^ berficksichtigen will. Gerade die Arbeit als Heil-
fakfcor kann nur da mit Krfolg in Betracht kommen, wo sie in der viel-
gestaltigsten Form und Auswahl sich darbit^tet und wo immerwährend Ge-
legenheit zu Änderung der Dispositionen, zu Versuchen luil Beschäftigung
auf anderem Gebiet^ wenn sie sich auf dem einen nicht bewährte, gegeben ist
In voltkommenster Weise wird diesen Gesichtspunkten durch
'Arbeits-Sanatorien« Rechnung getragen (siehe diesen Artikel!).
Literatur: O. RosuNBArB, Neivöse Zds1;1[iUl^ und ihre psychiadi« Behandluug. 2. AuD.,
Berlin llJOS, FiscbtTfi ripU. Bacbhaatllung Q. Eornrdd, — A- Grobuann, Technisches and
Paycliijlogisches in der BeHcfaäTligang der NerveakraokeD. Stuttflrart 1899» Enke. — Bottioi-
8JCK, Der Wtrt der Beschäftigung in der Krankenbehnndlanj; <BeachäItigung8therapie). Zeit-
schrift für diütetischb and physikalische Therapie, 1900, III, H. 8- — BniTBrnsACK, Nicht-
arzneilicbe Therapie innerer Krankheiten. Berlin 1903, 2. Aon., Hirschwatd. — Ddrois, Grand-
zUge der seellBclien Behandlung. Korresjiondenzbl. f. Schweizer Arzte, 1903, Nr. 12. — Da-
neben folgende Arbeiten dea Terta!>sers selbst: Jahresberichte der Kreis-Pflegeanstalt Hnb.
Karlsrohß 189*1— 1901; Zum Kapitel der irrcnnirsorg«. Therap. Monatsh., 1898, Nr. 7; Die
AuTgaben der Badlschen Kreis-PUpgeaDstatten im komnienüen Jabrhnndert. Jobllftnmfischritt,
Freihnrg l B , 18i*9, P. Wetzel; Zur Frage der Begründang von TrinkerheiUtätten. Tberap-
MonatBh.^ 1900, Nr. 1; Die Arbeit als Heilfaktor. Therap. Moniiti^h,, 1901, Nr. 2; Die Badiscbea
Kreis-Pllefeanstalten. Die Krankenpflege, 1901 — 1902, I, H,b[ Krankenbeschilftigung. Die
KrankenpElege, I, H. 10—12; Das Arbeitssanatorium. München 1SMJ2, O. Qnielin; Die ge-
schlossene Armenpflege. Schriften des Deutschen Vereins Tür Armenpflege und Wohltätigkeit
Leipzig 1903, II. 65, Dnncker& Hnniblot; Die Erziefanng zur Arbeit als therapeutischer Faktor.
Fortschritte der Aledizla, 1^4, U. 4; Die krankhafte Witleasscbwächc und die Aufgaben der
erziehlichen Therapie. Berlin 1904, Fischers med. Bachhandhing (B. Kornfeld). Bschla.
Krankentran Sport* Seit dem Krschei nen dea grleichnain i^en
Artikels in der 3, Auflage der Real-Encyciopädie, Bd. XtH, pag. 7, im Jahre
18^7 hat sich eine ziemlich erhebliche Umwälzung auf dem Gebiete des
Krankentransportwesena im Deutschen Reiche vollzogen und auch im Aus-
lände sind zahlreiche Verbesserungen auf diesem wichtigen Gebiete der
Krankenvereorgung %\k verzeichnen.
Rin grof&er Teil dieser Verhältnisse ist in dem Beitrage des Verfassers
»FQrsorgtj auf dem Gebiete des Krankentransportwesena« im »Handbuch der
Rrankenversorgung und Krankenpflege«, welches im Jahre 1902 vollendet
wurde, geschildert. Der folgende Artikel kann auch als Ergänzung letztgenannter
Arbeit dienen, insoweit Einrichtungen vom Jalire 1^103 an dargelegt werden.
Von deutschen Städten ist zunächst über Berlin zu berichten, in
welchem seit Beginn des Jahres 1905 ein bedeutsamer Fortschritt auf dem
Gebiete des Krankentransportwesens gemacht worden ist.
Man kann wohl sagen , daß alle vom Verfasser dieser Zeilen , mit
zuerst an dieser Stelle, in dem gleichnamigen Artikel im IV. Bande der
Encyclopädischen Jahrbücher 1894 für die Einrichtung des Krankentrans-
portwesens gemachten Vorschläge in Berlin jetzt verwirklicht worden sind.
Nicht nur hier, sondern an zahlreichen anderen Stellen hat der Verfasser in
Wort und Schrift den Standpunkt vertreten^ daß in jeder groBen Stadt eine
Reihe von Krankentransportstationen mit besonders ausgebildeten Mann-
schahen, Krankentransportkolonnen, zur Verfügung stehen, daB nach jedem
Krankeatrausport.
325
Krankentransport |eder KraDkenwap:en desinfiziert werden^ daß eine Ver-
billig'ung der Krankentranaport.n eintreten müsse, und daß eine eigene ärzt-
liche Leitung TQr das Krankentransportwesen wie für jeden anderen Zweig
der KrankenversorpruniEr erforderlich sei.
Ilch habe bereits im März 1894 am Schlüsse eines Vortragres in einem
ärztlichen Verein in Berlin folfcende Thesen auff^estellt :
I. Es ist die Einführung möf^lichst einheitlicher Verordnungen für den
Transport von Kranken in Berlin ku erstreben.
2. Die Stadt Berlin übernimmt den Krankeniransport,
ä. Der Krankentransport erfolgt kostenlos.
4. Die Stationen (Qr die Krankentransportwagen sind zu vermehren,
sei es im Anschluß an die im Sinne der Vorschläge des Ärzte-Vereins von
West Berlin im Jahre 189Ü abgeänderten Sanitätswachen > sei es im An-
schluß an die Feuerwachen, sei es — wohl am zweckmäßigsten — im
Anschluß an die bestehenden Krankenhäuser. In letzterem Falle ist in
jedem Krankenhause eine dem Verhältnis der Bettenzahl entsprechende
Anzahl von Krankentransportwagen bereit zu halten.
5. Jeder zu einem Transport benutzte Krankenwagen ist zu reinigen
und zu desinfizieren.
6. Droschken etc. sind nur zum Transport leicht chirurgisch Erkrankter
B zu benutzen.
" Die 1895 von mir im Verein für innere Medizin aufgestellten Schluß-
sfitze sind bereits in der Real-Encyciopädle abgedruckt. Neueren Datums
sind meine in dem Vortrag auf dem Enternationalen Kongreß TQr Rettungs-
wesen in Paris 1900 »Die Bedeutung des Krankentransportes für den öffent-
lichen Verkehr« dargelegten Schlußsätze :
• 1. Der Transport von ansteckenden Kranken ist für den öffentlichen
Verkehr von Bedeutung, da durch denselben die Verbreitung von anstecken-
den Krankheiten möglich ist.
2. Es sind daher für den Transport von ansteckenden Kranken inner-
halb der einzelnen Ortschaften besondere Maßregeln zu treffen, welche
sich vorzflgllch auf folgende Punkte zu erstrecken haben :
»J Einrichtung und Überwachung des Transports von ansteckenden
■ Kranken durch die zuständigen Behörden (Staat oder Gemeinde).
bj Bereitstellung einer genQgenden Zahl eigener Krankenwagen (am
besten in den Krankenhäusern).
»c) Unentgeltliche Beförderung der Kranken.
d) Desinfektion der Krankenwagen und der für den Kranken benutzten
Stficke nach einem ieden Transport.
e) Bereitstellung eigener Krankenträger, welche vor Ausführung eines
Transportes besondere AnzQge anzulegen haben, weiche nach jedem Trans-
port zu desinfizieren sind.
f) Verbot des Transportes von ansteckenden Kranken in allen dem
Sffentlichen Verkehr dienenden Fuhrwerken und Fahrzeugen iDroachken,
Omnibus, Sänften, Straßenbahnen , Eisenbahnen und Schiffen im Klein-
i verkehr innerhalb der einzelnen Orte und Vorortsverkehr)
Die in Berlin das Rettungswosen ausübenden Körperschaften, Sanitäts-
wachen, Berliner llnfallstationon vom Roten Kreuz und die Berliner Kettungs-
^esellschafts hatten sich im Jahre iyo:3 zu einem »Verband lür erste Hülfe«
zasammengescblossen , welcher unter anderem auch die Verbesserung der
Krankenheförderung in Berlin von Beginn an erstrebte. Zu diesem ßehufe wurde
seitens des Verbandes eine eigene ^Abteilung für Krankentransport" begründet.
»Da besonders anerkannt wurde, daß das Krankentransportwesen ohne
Srztliche Leitung nicht betrieben werden kann, so wurde hier neben dem
Verwaltungsleiter genau wie bei der Berliner Rettungsgesellschaft ein
326
Kraükentransport.
eigener ärztlicher beiter ernannt, welchem die Aufsicht Ober die g:esamteD
sanitären Verhältnisse in den Krankentransportstationeo untersteht.
Es wurden an drei verschiedenen Stellen der Stadt, welche 8o aus-
Rewählt wurden, dali eine niugrlichst zweckmätiige Versorg-ung der Stadt mit
Krankentransportmitteln von jeder Station aus ausgeübt werden kann, Kranken-
transportstationen errichtet, jede bestehend aus einer Reihe von Unter-
kunftsräumcn für die Krankenwagen, Stallun^ren für die Pferde^ Bureanräumen,
Unterkanttsräumen för die Mannschaften und eig:ener Desinfektions- und
Badeanstalt. Das letztere erschien aus dem Orunde erforderlich und wurde
von der Polizeibehörde besonders grutgeheiüen, weil, wie der Verfasser häufig
hervorgehoben, es nicht zweckmäßig ist, Krankentransportmittel nach Aus-
führung eines Krankentransportes in einer GroÜstadt in einer entfernt ge-
legenen Desinfektionsanstalt zu desinfizieren.
Das am meisten zu empfehlende Verfahren, die Desinfektion der
Krankenwagen sogleich im Krankenhause, in welches der Kranke gebracht
wird, vorzunehmen, ist leider in Berlin nicht eingeschlagen worden. Cnd doch
ist dieses am besten, weil hierdurch das zeitraubende Umherfahren des
infizierten Wagens vermieden und noch mehr die Möglichkeit der Ver-
breitung einer Infektion gehinrtert wird. Auch wenn ein Kranker nicht in
ein Krankenhaus T sondern an einen anderen Ort (Wohnung oder nach dem
Bahnhof) transportiert wird, ist es angängig, die Desinfektion des Gefährtes
in dem dann zunächst gelegenen Krankenhause zu veranlassen.
Dennoch ist es als ein großer Fortschritt zu verzeichnen, daß in Berlin die
Desinfektion der Krankenwagen in besonderen Krankentransportstationen
erfolgt^ mit welchen eigene Desinfektionsanstalten verbunden sind, in welchen
Desinfektion des Wageninnorn und der im Wagen befindlichen waschbaren
Gegenstände und der Kleidung der Bediensteten sowie auch der Kranken-
träger unverzüglich nach Ausführung des Transportes ausgeführt werden kann.
Die drei Stationen der Abteilung für Krankentransport des Verbandes
fQr erste Hilfe befinden sich am Schiffbauerdamm 20, in der Nähe der
großen Krankenhäuser und Kliniken, in der Belleatliancestraße 107, ganz
in der Nähe des Ualleschen Tores und in der Landsberger Allee 52. Der
bauliche Charakter der drei Stationen ist Im großen und ganzen ein
gleicher, aber nicht ganz aboreinstimmend . da die efnzanchtenden Räume
vorhandenen Gebäuden angepaßt werden mußten.
Die zur Unterkunft der Wagen und Pferde bestimmten Baulichkeiten
bieten keine Besonderheiten dar.
Bemerkenswert ist iedoch die Einrichtung der Desinfektionsanstalten.
In der Hauptsache ist iede Deainfektionsanstalt in zwei Abteilungen
geteilt, einen Desmfektions- und einen Heizraum, deren ersterer als unreiner,
der zweite als reiner Raum dient. In diesen Räumen ist vorhanden : ein
Dampfdesinfektionsapparat, ein Wäschekochapparat, LüBBfiCKEScher Pumpen-
apparat, ein Sammelbehälter für gebrauchte Wäsche, Wasserleitung, Vor-
richtung zur Bereithaltung von heißem Wasser, Wagschale, Holzeimer, Be-
hälter fflr grflne Seife. Soda etc.
Der Dampfdesinfektions- und Wäschekochapparat ist von dem Des-
infektionsraum aus durch die Wand hindurch in den reinen Raum gebaut, so
daß die gebrauchten Gegenstände desinfiziert auf der reinen Seite heraus-
genommen werden können. Für die Desinfektoren sowie für die Kutscher
und Mitfahrer ist ein Brausebad angelegt, in welches sie nach Ausführung
der Desinfektion nach besonderer Anweisung baden können. In einem da-
neben liegenden und im Winter heizbaren Raum können sie nach dem Bad
noch einige Zeit verweilen.
In der reinen Abteilung, in welcher die desinfizierten Gegenstände
aus den Apparaten herausgenommen werden, befindet sich ein Dampf-
Krankentransport!
327
entwickler, welcher auch in einen besonderen Bebälter in den Desin-
lektionaraum heilSes Wasser liefert, so daß solches dort iederzeit zur Ver-
fQgfung steht
Um ein Zusammenkommen der im Desinrektionsraum und im reinen Raum
arbeitenden Personen zu verhQten, ist ein Fernsprecher aDgeleg:tf vermittels
welchem der mfindliche Verkehr auch mit dem Bureau stattfinden kann.
Der zu desinfizierende Wa^en wird in den Desiafektionsraum hinein-
gebracht and nach Öffnung: der Türen seines Inhaltes entlediirt Der Inhalt
der Wahren besteht aus der Tragbahre — mit Decken und (iberzügen — ,
welche auf ein Trag^estell aufg^esetzt ist, ferner sind zwei weilie Überzieh-
mAntel, ein Handtuch und ein Stechbecken fQr jeden Transport in den
Wagen vorhanden. Die gebrauchte Wäsche wird nach jedem Transport in
den WäscheKamtnelbehälter gelegt und nach Anfatlung dieses ausgesucht,
um die Stücke direkt in den Dampfdesinfektions- oder Wäächekochapparat
zu bringen. Die wollenen Decken der Tragbahre, Mäntel und Tragbahrenüber^
Züge werden in strömendem Wasserdampf desinfiziert. Etwaige vorhan^iene
VerunreiniguDgen werden durch Bürsten mit heißer Seifenlosung vorher
entfernt. Die L'berzüge der Wolldecken und Handtücher werden in den
Wäschekochapparat gebracht und dort mehrere Stunden mit Seifenlosung
mit Sodazosatz geweicht und dann gekocht. Hierdurch werden die Flecke
gelöst und sterilisiert, so daß die Wäsche nun ohne Weiteres in jeder
beliebigen Waschanstalt gewaschen werden kann. Die Tragbahre selbst, das
Tragbahrengestell werden wie das Innere des Wagens desinfiziert, gleichfalls
das Stechbecken, welches jedoch, falls es gebraucht ist, einer besonderen
Desinfektion unterworfen wird.
Die Desinfektion des Wageninnern wird in der Welse vorgenommen,
daß mittelst der LOBBECKEschen Pumpe Wände, Decken und Fußboden des
Wagens mit einer heißen ^Vo'Ron Seifenlösung benetzt werden. Hierdurch
wird eine mechanische Lösung etwa vorhandener Verunreinigungen bewirkt.
Mit Schrubbern und Bürsten wird dann eine Abbürstung der Wände, Decken
und des Kußbodens, hierauf mittelst der genannten LüBUKCKKschen Pumpe
eine AbspÜlung des Wageninnern mit reinem Wasser vorgenommen , auf
welche dann Abreibung mit reinen Tüchern erfolgt. Die Tücher werden nach
jeder Benutzung im Wäschekochapparat desinfiziert.
Jeder Krankenwagen wird nach Ausführung eines jeden Transportes
wie beschrieben desinfiziert. Bisher ist die Desinfektion der Krankenwagen
nach jedem Transport nur m Braunschweig und Magdeburg und in Buda-
pest eingefühlt gewesen. Die Notwendigkeit der Desinfektion der Kranken-
wagen nach jedem Transport ist einleuchtend, denn die Diagnose vieler
Krankheiten ist nicht sofort, wenn der Arzt einen Kranken nur einmal sieht
oder auch sogar nicht immer nach mehreren Untersuchungen erkennbar. Dies
ist besonders beim Typhus abdominalis and bei der Diphtherie der Fall.
Vornehmlich dem ersteren wird jetzt vom sanitätspolizeilichen Standpunkte
mit Recht große Aufmerksamkeit gewidmet Die Erkennung des ersten
Falles, die Isolierung des Kranken und Unschädlichmachung der mit dem
Kranken irgendwie in Berührung gewesenen Gegenstände wird zu erreichen
gesucht, um weitere Übertragung der Typhusbazillen zu verhüten. Ist nun der
Krankenwagen von einem Krankon mit Typhus, dessen Diagnose erst nach
einigen Tagen gestellt wird, benutzt, so ist die Weiterverbreitung der Krank-
heit in der Zwischenzeit auf die folgenden Benut^ier leicht möglich. Wird
der Wagen nur nach Transporten von ansteckenden Kranken desinfiziert,
so wird dies nach Transport eines Kranken, bei welchem — wie dies häufig
ist — nicht einmal Verdacht auf Typhus vorliegrt, unterlassen und damit
große Gefahr für die Allgemeinheit verursacht. Nicht anders verhält es sich
bei anderen Erkrankungen, deren Erreger sich In den Emanationen des
S26
KraukentransporC.
Kranken befinden, besonders bei den im Reichsseuchengfesetz vorj^esehen«Q
Krankheiten, bei welchen große AufraerkBamkeit auf die verdächtigen Kille
erforderlich und vorgeschrieben int.
Aber noch andere Gründe waren von mir früher anerefübrt worden
welche die Desinfektion des Krankenwagens nach jedem Transport er-
heischen. So besonders der Grund, daß ein nicht wegen ansteckender Er-
krankung Transportierter, also auch ein Verletzter, Infektionskeim« all«
Art an sich tragen kann, mit welchen er den Wagen veranreinigL und Iftr
die nfichstcn Benutzer des Krankenwagens Ansteckungsgefahr verursacht
Ks kann zam Beispiel ein zu transportierender Verunglückter aus eiopm
Hanahalte stammen, in welchem eine ansteckende Krankheit vorhanden ist.
AütSerdem kann er von der Straße her Unreinlichkeiten and damit aocb
wiederum Infektionskeime in den Krankenwagen hineinbringen. Nicht fiber-
aehen darf ferner werden, wie ich in einer iüngst erschienenen Arbeit aos-
einandergesetzt, daß der Krankenwagen einer kleinen fahrbaren Wohni
gleicht, welche in kurzer Zeit hintereinander
von zahlreichen Bewohnern benatzt wird. Daß *''*■ "
eine solche nach der Benutzung eines jeden
gründlicher Desinfektion bedarf, ist aus an-
gegebenen Gründen klar. Und noch mehr
yie- fl-
Msuairt« tCruifccDwatfott dar PDlütftlb«bArtl« in U»Bbiirf
tirM«hteaMo).
Uftmbyrit ihlataa
zeigt sich die Notwendigkeit aus dem von mir gleichfalls in der JUngBi«
Arbeit hervorgehobenen Beispiele, daß ein Phthisiker auf der Straße ver
Unglücken kann, welcher, da seine allgemeine Erkrankung unbekannt Ist,
für den Transport als ein Kranker -mit nicht anstockender Krankheit ao
gesehen wird, weil die Unfallfolge der Grund seiner Beförderung ist. \\>ob
er nun wAhrend des Transportes seinen Auswurf auf die Decken und Unter
lagen seines Tratregerätes entleert, und diese Decken und Unterlagen n
deeinTiziert und durch reine ersetzt werden, so wird der n&chste Bodu
des Wagens, w^etcher in dieselben Decken eingewickelt wird, der Gefahr dir
Ansteckung durch Tuberkelbazillen aasgesetzt.
Es ist daher im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege anm-
streben. daß alte Krankenwagen nach dem Transport eines jeden KrankM
desinfiziert werden. Daß das ausführbar ist, zeigen bereits jetzt die bel9
V4*rband für erste Hilfe in Berlin gesammelten Erfahrungen, wenngleich dtf
Verfahren Mehrkosten verursacht. Diese werden wahrlich durch die d
Allg<«meinwohl erwachsenden Vorteile aufgewogen.
iter-
K rankentranaport.
829
In Hamburg ist das Krankentransportwesen gfleicbfalls nach ver-
Gchiedenen Richtungen verbessert worden. Die Organisation des Kranken-
transportwesens in Haniburfi: ist bereits in diesem Werk© ausführlich aus-
einandergresetzt Jetzt sind Krankenwagen nach neuem Modell erbaut worden,
■ auf deren Herslellung^ ^roUe Sorgfalt verwendet wird. Die Äußere Gestalt
Ist sehr ansprechend (Fig:. 9 u. 10). Es ist eine Art Berlineform. Der Kaum
unter dem Kutschersitz ist in das Innere des Wagens mithineinbezogen>
wodurch die Längsausdehnung des Wagens verkürzt erscheint. Hierdurch
muB die Tragbahre mit einem Teil des Körpers — den Füßen — in diesen
■ niedrigen Teil gebracht werden, so daü der Kopf des Kranken an der
hinteren Wagentür sich belindet und bei ihrer Schließung in unangenehmer
W^eise erschüttert wird. Hesondere Vorkehrungen für federnde Aufstellung der
Tragbahren im Innern sind nicht vorhanden. Man hat auch hier den Ver-
buch mit Pneumatikrädern gemacht, welche recht gute Krgebnisse haben
sollen. Weitere Krfahrungen sind nach dieser Richtung crlorderlich, da diese
Kader ruhiges Fahren bewirken, besonders geringere Erschütterung und
^L -weniger Geräusch des W^agens.
(Roflafarbe.)
Krankentransportschein.
, Inhaber des
^Ütgliedsbuches Nr.
wohnhaft
der
' DritPiw.A
, bedarf
der Aufnahme in
Öffentliches Fuhrwerk (Droschken, Straßenbahnen, Omnibusse]
Beförderung diese. .. . Kranken nicht benutzt werden, da es sich
ansteckende Krankheit handelt (Verordnung vom 7. Mai 1830).
Hamburgs den 190
(Unterschrirt)
Während der vorliegenden Krankheit gewährt d
freie Verpflegung im Krankenhause längsteDS bis zum
(Uotfraehriri)
darf zur
um eine
Die Üt*Dutzung üffentlieheii FuKrtverks ifit bfi Pe»t. Cholera^ FLeckfieber (Typhoa ezan-
thematicua), Blattern, Scharlach und Diphtberilis verboten.
Zar BeliSrderiinK von Pi^rHonen , welche an diespn Krankheiten leiden, sind io den
ßtaJlangen der Firma J. A. Schlüter Sohne: 1. b. d. Pi-tTikirL-he 2» 2, ABC-Straße Platz 54,
3. St. Georg, a. d. Koppel GS 64, 4. Harve»t(»had(>. Mittt'lwijff hinter 171 besondere Kranken-
wagen AuFgestüUt, welche nach jt^desmaliger Kenutzitni^ diisinliElert werden. Diese Kranken-
wagen können nlL-tit allein in den Stalliingen, Bondi-rn tiuch in allen PoliEeiwacheu . die an
den Uambargiscben Fem rtelcgraphen angeschlossen sind, besteUt werden.
Aufler dem Wagenführer wird in der Regel tine tJogleitiuauuBchaH nicht mitgegeben.
— Nor wenn der Kranke anwnahmhweise liegend heftirdert werden uiuü, sind Krankenträger
erforderlich, welehe mit der Ilundhabung dea WiiKens nebat Zubehür vertraut Bind. Dies ist
bei.Be»(ellang de» Wagens ausdriliknch herrannheben.
Die Kosten der üespannunt; und Urdieniing werden durch die Polizcikaase eingezogen.
Die PoÜKeibehüide Hamburg.
330
D
Mitgliedsbaches Nr.
wohnhaft ...w*^^^..-
wegen
d ..
K rankcntransport.
iWeiSe Farbe.)
Krankentransportschein.
.. der
u« >•*»->•
, Inhaber des
-«M. . , bedarf
der Aofnaiime in
Öffentliches Fuhrwerk (Droschken, Straßenbahnen, Omnibusse) darf zur
Beförderung diese Kranken benutzt werden (Verordnung vom 7. Mai 1890).
Hamburg, den • 190 .
(ünteracbrift)
wahrend der vorlieorenden Krankheit gewährt d
freie Verpflegung im Krankenhause längstens bis zum
(Unterschrilt) ♦.
Die Benutzuu^ üfteutlichcD Fuhrwerkt, ist nur hei IVst, Choh-raj Flockfieber
(Typhus ezanihemaCicns). Blatt^rOf Scharlach und Diphtheritis verboten.
Die Form der Krankentransport scheine^ deren Inhalt anbei abgedruckt
ist, ist gegen die frühere etwas verändert worden. Ks ist auffallend , daß
der weiüe Schein eine Bemerkung entliält, welche die Benutzung öffent-
lichen Fuhrwerks >nar'» bei Pest, Chotera, Fleckfieber, Blattern, Scharlach,
IJiphtherie verbietet Die Beförderung von Kranken mit Rose, Keuchhusten,
Masern» Genickstarre in gewöhnlichen Fahrwerken ist sicherlich gleichfalls
fQr das Allgemeinwohl gefährlich. Es liegt kein Qrund vor, diese sowie
die anderen in dem Entwurf des preußischen Gesetzes zur Bekämpfung
gemeingelÄhrlicher Krankheiten genannten Erkrankungen für den Kranken-
transport unberücksichtigt zu lassen.
Die bei der Bremer Feuerwehr gebräuchlichen Krankentransportwagen
werden gleichfalls von hinten beladen. Die Wagen haben im Innern eine
federnde Vorrichtung zum Aufstellea der Tragbahren.
Die Organisation des Krankentransportwesens in Wien ist jetzt er-
heblich gefördert worden. Während die Beförderung Verunglückter und Ver-
letzter von der Freiwilligen Rettungsgesellschaft ausgeführt wird, ist der
Transport ansteckender Kranker Sache der städtischen Behörden. Seit dem
Jahre l%^'2 ist eine Neugestaltung des Krankentransportwesens in die
Wege geleitet^ indem fünf »SaniUltsstationen« errichtet werden sollen, welche
den Transport der ansteckenden und anderer Kranker und auch die Dampf-
desinfektion in den betreffenden Bezirken zu besorgen haben. Vier dieser
Stationen sind bis jetzt in Tätigkeit Nach jedem Transport werden die
Wagen und ihr Inhalt in der Station desinfiziert. Eine große Anzahl vod
Wagen, Pferden sowie das erforderliche Personal sind in den einzelnen
Stationen vorhanden. Die Einbringung der Kranken in die Wagen geschieht
von der Seite oder von hinten, die Krankentragen hängen an Gurten oder
ruhen auf Federn. Die Zahl der in den vier Stationen beschäftigten Sanitäts-
diener beträgt 55, der Kutscher 26, der Pferde 56, der Krankenwagen 34,
der Leichenwagen 13. Die Inanspruchnahme der vier Stationen war folgende:
181*9: 13.377 1901: 15.162 1903: 16.178 1905: 11.113
1900: 13.547 ld02: 16.148 11*04: 18.214 (erste Hälfte).
Krankentransport. 331
Die fflr Wien benutzten Spitalzettel haben folgenden Wortlaut:
(Weifle Farbe.)
Formalar I.
Die RBckselle Ittt xu beachten. Daü FberflllRsIfre \»t zu strelcben.
Spitalzettel
(Qr die ÜberfOhrang nicht infektiös erkrankter Peraonen in efn Wiener
Krankenhaus mittelst der städtiachen Krankenwagen.
[FQr den Tranflport ron InlektiünBkranken dürfen andere &]r komm, lafektlonfl wagen nicht
benutzt werden und sfud hierbei die Spjtalxettel Formnkr II za verwenden.)
l N.tme, Alter, Be«chä!tjgut]g,
Stand, Religion, Geburtsort,
ZiistänUigkeitder
Wohnung a^^
Kranken
Jahre alt --
verheiratet (ledig, verwitwet.], katbo].(ev4Qg., moflaitich), geb. in
Etiatäadif? nach
Oane, BtraUe
Heeirk.
Platz
Nr.
Stiege Stock TUr
Deutliche BeEeiebonng der
bestimmt anzagebendeo
Krankheit
Ist eine an zeig«p nichtige
InTektionakrankheit in
der betreltendun Wob
nnng und welche?
Bei fic^berhaltem Zustande
ohne hestimmte DiagunHe
mit VrTd;teht auf eine In-
It^ktionakranklieit ist dient;
anzufffhen
Fieberhafter Zustand ohne beütimmt« Diagnoie
Verdacht aul —--
Sachliche BegrflnduDj; der
SpitJiUbedHrftigkcit (Unah-
wi-isbarkt-it)
IlegrÜnduDg der sofortigen
nnauf-ichiebbareti Spitalä-
Tberfahrnng
Wien, den 19
Die Aufnahme in das Krankenhaus wurde sichergestellt,
Wien, den 19
pr. Ant
K. k. Polizeikommissariat
Rflckseite dea Formular I.
I
Belehrung für die Partei.
Der vom behfindflndeo Arzte ansgefertigte Spitalzettel ist von der Partei (unter Mit-
nahme der die Zustlludi|{k«<'it und die Zahiangapllicht nachweiaenden Dokumente; auf dem
inständigen Polizri-Kommissariate , bei unaufschiebbaren rberlUhrnngen auf der njichüten
k. k. Sicherheit8-W.ichstube vorzuweisen und nach Sicherstellung des Bettos nebst der am
PoHzei-KommiAsariate erhalFenen SpitalsanwciBong in der Krankenwohnnng lUr die atädtischen
Saultätsdiener bereit zu halten.
Bei der Sichersteliung der Spltalsaofnahme von der nächsten Sicherheita-WachBtabe
ans flind die die Zahlungspllicbt nnd Zuatündigkeit nachweisenden Dokumente den Sanitäts-
^enem zu übergeben.
I Bet Transporten von lofektionekranken darf der Verkehr mit der Polizeibehörde nur
?on Peraooen besorgt werden, die mit - — Kranken Dicht In Berübrang gekommen sind.
der
332
Krankentransport.
(Blaue Farbe.)
Formalar II.
8t. Z. vm— ll9ü»-
Die RüfhHpito ist zu beachten.
Das VberflÜH'tiii'e Ui zd Rtreichcti
Elagelangt am
Protokolliert am
£ob Z.
Im Phya. protokolliert am
Fall
BtUdt. Beztrksarzt.
Krankheitsanzeige
zagleicb
Spitalzettel für Infektionskranke
ZDm TraiiBporle mittelst der »lädt. Krankenwagen In ein Wiener Krankenbaaa.
(Für den Transport von Inlektionakranken in die SpitKler dürfen nnr kommaoale Infektiocin^s,
wagen benutzt werden.)
Anzeigepflichtig sind :
Cholera »siatica, Cho-
lera noBtras (Rrech-
durchfaU) , Typhns
(Fleck-, Abdominal- a.
ßUekfallticbcr). Blat-
tern , Scharlacli , Mu-
aern , RÜteJn , Vari-
zellen , Dipliliierie
(inkl. Croup), Dysen-
terie (Rubr), A>iypt.
Augeuerkraukun>!en
(Trachom;, Inti'kliüse
follikuläre tiindehaut-
entcUndung , Keuch-
husten, Kotlaul(Wu[id-,
Impf- u. (ieäit;ht8-), Puer-
perallieber, Inlluenza,
ZerebroBpiaal - Menln-
gitU (epid. Genick-
Htarre), Lyösa (Wul-
krankbeit», Milzbraud,
Rotz (Wurm), Ttifhi-
nosis, Parolltia epid.
(Murapa) , Morb. mi-
liaris {SehweiUfifber),
Kehlkopf- und Lnngen-
tuberknlose'^, Erkran-
kungen und Todi^sfäHe
nach GenuQ von an
ScbweineptvHt erkrankt
geweitenea Tieren.
Krankheit:
Verdacht aol:
des (der)
Er-
krankten
Vor- und Zuname, Älter
Wohnort (Bezirk. OasR(% Hjud-innrnmer,
Stockwerk, Türnummeir^
Hesehältigang (Art und Ort) (bei Kindern
die der Eltern oder Pllegeelterni
Oeburläort und Zaständigkeit
Tag der Erkrankung
Bei allen
neberibe-
zeichneten
Krank-
heiten
Beauehte der (die) Kranke oder die
WobDongBgenossen die Schule? Welche?
ProTenienz (Ort der Erkrankung)
Bei But-
tern lind
Varizellen
Ob mit Erfolg nvenigstena mit 2 Impf-
pUHtelnt oder gar nicht geimpft
Welche InFektioDskrankheiten hat der Kranke über-
haupt und unroitteltaar vorher darcbgemacbt?
der
Sind in der Wohnung . Kranken zugleich noch
uIcm)
andere IntektionMknmkhi'ilMn a. weicht' aufgetfete»?
^ttchtichü Begründung der ^pitaUbedUrttigkeit
BegrtlndaDg der eofortigen unaufschiebbaren Spitals-
Überführung.
Wien, den
Die Anlaahme in-
19
prakt. Arzt.
Krankenhaus wurde sicbergestelU.
Per
Dia
Kranke wurde ins-
k. k. Polizeikommissftr.
..Krankenbaus aufgenommen.
♦ N. B. Bei der t^berfahmng von an vorgPBchrittener Kehlkopf- und Lungentuber-
kulose erkrankten Per^ionen int dieses Fornmlar, lUr deu Transport Jedoch der gewöhn-
liche Krankenwagen m benuisea.
Krankeatransport.
338
Kackaeite des Fonoalar II.
Krankheits-Anzeige.
(Porto panschaliert Uut Erlaß d^s UanddHiuiDisteriams jom
n.FfhrqÄf 1884. Z.o234.)
An
FQr den I. Bezirk.
das Stadtphynikat.
An
Hanni für den
PoBtstempel.
RsTHD für den
PoAtBlerop«!.
das magfistratische Bezirksamt
im Bezirke.
lianm IQr iIho
Poststeoiptil.
Für die BoEirke VHI und XIV.
An *
die Qemeinde-Bezirkskanzlet
im -„.* Bezirke.
MV.
Belehrnog fttr die Partei.
Der T01D b^bandflnden Arzte ansK^tertigte Spitalzettel ist van der Parte! (nnter Mit-
nahme der die Zuständijjkt'it und die Zahlungapflicht nsichweiseaden Doknmente) auf dem
•SUBtändigen PoUzcikommiitBariate, bei aDaufachiebbaren Cberllibrungen aaf der nächsten
.k. k. Sieherh4'itHwach9tnhe vorzuwuiKcn und nach BicberstüUung: dos Bettes nebst der am
jPollfeikomniiH&arlate erhaltenen SpitalBanweiaung ia der Krunkenwohnniig ffir die stild tischen
Ifianlt&tfidiener bereitzuhalten.
Bei der >Sicber8tellaDK der Spitulsaulnahme von der nächsten Sicherheltswaebstube
ans sind die die Zablungspllicbt und ZuBtilrtdigkeit nachweisenden Dokumente den Saaitäts-
^»dieoeni sra übergeben.
^B Bei Transporten von Infektionskraakea darf der Verkehr mit der PoUEeibebtirdu nur
^B_ .... dem
r
ron Personen besorgt werden, die mit " Kranken nicht in Herührnng gekommen sind.
der
Die Gestalt der Krankenwagen in Budapest ist aus der beifolgenden
Abbildung (Fig. 11) ersichtlich. In den Wagen künnen Kranke in sitzender
und liegender Stellung befördert werden. Die Kranken werden liegend auf
die Tragbahren gelagert, welche dann an der Decke des Wagens hängend
befestigt werden. Ist bereits eine Tragbahre auf einer Seite des Wagens
Eingelagert, so kann die zweite in besonderen Aufhängeriemen hängend Ober
der unteren befestigt werden. Die Abbildung zeigt, daß der Wagen von
hinten beladen wird. Man hat also hier den häufig In Osterreich befolgten
Grundsatz verlassen, die Beladung des Krankonwagens von der Seite her
vorzunehmen. Dieselbe hat manche Nachteile.
^ Ich habe bereits an verschiedenen Stellen mich gegen die Aufhängung
der Tragbahren ausgesprochen. Es wird durch diese keine Abfederung der
Erschütterungen , sondern nur ein Hin- und Heracbwingen der Tragbahre
bewirkt. Auch wird eine Verbesserung kaum dadurch erzeugt, wenn Gummi-
paffer an den Stellen des Wagens befestigt werden, wo die Tragbahren
anprallen, sondern hierdurch nur bewirkt, daß die Tragbahren federnd
zurückgeworfen werden, so daß das Hin- und Herpendeln noch verstärkt
wird. Daß das keine theoretischen Einwände sind, i8t leicht praktisch nach-
334
Kran kentransport.
vig- n.
/:€
zuprflfen. Ich werde über die Art der ErschOtteran^en des Krankenwagens
und deren Verhütung noch weiter unten berichten.
In einer Reihe größerer österreichischer Städte ist das Krankentrans-
portwesen durch die daselbst bestehenden Rettungsgesellschaften in vor
trelflicher Weise geordnet. Die Gerätschaften ähneln meistens denjenigen,
welche in Wien gebräuchlich sind. Es sind häufig Wagen im Gebrauch,
deren eine Seitenwand nach unten und oben aufklappbar ist. Ferner werden
die Tragbahren meistens im Innorn dos Wagens aufgehängt. Die Gestaltung
der Tragbahre selbst ist denen der Wiener ähnlich, jedoch sind auch häufig
andere Modelle vorhanden. Es ist sicher, wie ich bereits in diesem Werke
geschildert, daß in der ganzen Österreichisch-ungarischen Monarchie auf die
Beförderung der Kranken ein sehr großes Gewicht gelegt wird, wie man
stets bei den Einrichtungen des Rettungswesens beobachten kann.
In Paris sind drei Arten von behördlichen Krankentransportstationen
vorhanden. Die eine dient zur Beförderung von ansteckenden und nicht
ansteckenden Kranken, die andere
zur Beförderang V^erletzter und Ver-
unglückter, unter Ausschluß an-
steckender Kranker, während die
dritte eine Vereinigung beider Sy-
steme darstellt, so daß von ihnen
aus beide Arten von Patienten be-
fördert werden können.
Die Stationen sind bezeichuet
als »Station d'Ambulances munici-
pales«, »Station d'Ambulances ur-
baines« und »Station mlxte<. Die
in den Stationen vorhandenen Ein-
richtungen sind sehr zweckmäßige.
Die Ambulances municipales
sind der Seine-Prafektur unter-
stellt. Der Zweck der Ambulances
ist nur , Kranke oder Verun-
glückte von ihrer Wohnung oder
von der Straße in die Krankon-
häüäer oder in ihre Wohnung zu
belördern.
Im Hospital St. Louis wurde
1887 auf Veranlassung von Dr
Nachtel die erste Station der Ambulances urbaines eröffnet. 1889 errichtete
die Stadt Paris zwei Ambulances municipales in der Rne de Stael und Rue
de Chaligny. 1895 wurden auch die Ambulances urbaines von der Stadt Über-
nommen, und eine Neueinrichtung des gesamten Krankentransportwesens in
die Wege geleitet. In der Rue de Coalaincourt befindet sich eine Station
mixte, welche sowohl für Beförderung Kranker als auch Verunglückter ein-
gerichtet ist In dieser Station^ welche oinor gemoinaameo Oberaufsicht unter-
steht, sind 6 Krankenwagen untergebracht Die Wagen, in deren Innern die
Tragbahren federnd aufgestellt werden, haben die betfolgende Gestalt (siehe
Fig, 11'). Sie haben außen eine durch den Tritt des Kutschers zum Tönen
zu bringende Glocke. An den Fenstern und an der Stirnseite des Wagens
befinden sich Gardinen, auch ist für künstliche Beleuchtung, und durch
Fenster In den Seitenwänden und Türen für natürliche Beleuchtung gesorgt
Neben der Trage befindet sich ©ine Sitzgelegenheft für einen Begleiter. Die
Wagen werden nach jedem Transport desinfiziert, und zwar die Decken.
Kissen etc. im Danipfapparat , das Wageninnere mit Sublimatspray. Bei
II
ht 1
in liudapeiC (biDteo ^üflDStj.
Krankentransport- 835
Jedem Transport ist eine Pflegerin, Ambnlanci^re infirml&re dlplomde des
hdpitaux, anwesend, von welchen fflnf am Ta^e und eine in der Nacht im
Dienst stehen.
Die Station hat erforderliche Räume, nämlich Wachtsaal, Femsprech-
meldezimmer, Wohnräume för das Personal im Oberstock etc.
In iedem Wagen wird ein groüer Beutel mit Schienen und Verband-
stoffen mit^effihrt, welche, wenn der Krankenwagen zur Hilfe bei Unfällen
auf der Straße angehalten wird, sofort benutzt werden können.
Während im Jahre 1903 von allen sechs Stationen aus 39.852 Personen
befördert wurden, betrug die Zahl in den ersten elf Monaten des Jahres 1904
bereits 42.607. Der Jahresetat für die Erhaltung aller Stationen stellt sich auf
163.500 Pres. fQr das Personal
179.517 * » * Material
343.017 FrcB,
Anch in Paris ist eine Zentralstelle fQr die Meldangen für die Am*
bulances vorhanden, und zwar im Bureau der »Inspection generale de
rassainissement et de la salubritö de Ihabitation«. Hier wird gemeldet,
welche Wagen unterwegs, und in welchen Krankenhäusern Betten fQr
Kranke, besonders fQr geburtshilfliche Fälle, frei sind. Zu diesem Rehufe
werden täglich zweimal zu bestimmten Stunden die von den geburtshilf-
lichen Stationen verfügbaren Betten der Zentralstelle angezeigt. Die Sta-
tionen bedienen sich auch der Vermittelung durch die Zentrale, wenn ein
Krankenhaus besetzt ist. Auch sorgt die Zentrale für Überweisung der
Krankentransporte an andere Stationen, falls wegen Benutzung aller Wagen
die Beförderung eines Kranken von einer Station nicht au-sgeführt werden
kann. Paris besitzt besondere gedruckte Aufnahmescheine fflr die Kranken-
tb&user mit Vermerk über die Art der Beförderung der Kranken.
Sehr vorzügliche Kinrichtungen für die Beförderung Erkrankter be-
■itzt die Stadt London. In London liegt der Stadtbeburde die Versorgung
ansteckender Kranker ob, für welchen Zweck lü groüe Anstalten einge-
richtet sind. Außerdem sind etwa 130 Krankenhäuser vorhanden, General
bospitalSi welche zur Aufnahme anderer Kranker dienen und welche durch
freiwillige Beiträge von Gönnern und Wohltätern erbalten werden. Für die
Beförderung der ansteckenden Kranken sind 8 eigene Krankentransport-
Stationen vorgesehen, welche mit den städtischen Hospitälern direkt ver-
bunden und auch meistens auf demselben Grundstück gelegen sind. Von
diesen Stationen führen zu dem städtischen Zentralbureau direkte Fern-
sprechleitungen.
Jeder an einer ansteckenden Krankheit leidende Bürger in London kann
kostenlos in den städtischen Hospitälern verpflegt und auch kostenlos in diese
Hospitäler befördert werden. Für einen Transport nach anderen Orten bzw.
von nicht ansteckenden Kranken nach anderen Krankenhäusern werden
b Schilling erhoben. Jeder Transport wird von einer Ambulance Nurse
begleitet. Bei Kranken, welche älter als 10 Jahre sind, wird ein männ-
licher Begleiter mitgegeben. Kin Angehöriger darf den Kranken auf dem
Transport begleiten und wird auf Wunsch nach dorn Ort, von welchem
der Patient befördert wurde^ zurückgebracht. Auf Wunsch kann noch eine
zweite Nurse gegen Zuschlag von 27s Schilling den Transport begleiten.
Für Beförderung nach Plätzen außerhalb des Weichbildes der Stadt wird
für jede Meile 1 Schilling berechnet. Auch in London ist die Beförderung
ansteckender Kranker in öffentlichen Fuhrwerken streng verboten.
Es besteht in London eine Fülle von Verordnungen für die Beförde-
rung der Kranken und der Genesenden zu und von den Fevers Hospitals^
ferner Anweisungen für die Besucher der Kranken. Diese sind dringend er-
336
Kraukentransport.
forderlich, da ja hier nur ansteckende Kranke versorgt werden. Die Formu-
lare habe ich in meiner Schrift >äanitSre Einrichtungen in London mit be-
sonderer Berücksichtigung des Rettunga- und Kraukentransportweseus« ab-
gedruckt.
FiK- 12.
II
KnuikenwKfAn der StmtloDi d*A.inbnlftDo«a d«r SUidt pRriB (biotan ^aOffnvt).
In jeder der Kraakentransportstationen, deren Einrichtungen ich am
angegebenen Orte gleichfalls eingehend dargelegt habe, befinden sich etwa
20 coupt^artig gebaute Wagen. Ich mochte hervorheben^ dali dieselben ganz
ähnlich gebaut aind^ wie ich in dieser Encyclopüdie (Encyclopäd. Jahrb..
IV) in dem Artikel »Krankentransport«, 1894, ohne daß ich damals die
englischen Wagen gekannt^ angegeben habe. Die Wagen sind einfache
Fig. IS.
KiJuikuuwAReu (Ivr Ainbulaacc SUtdoni dei UntropoliUo A»>'lutDS Boftrd
in LnndoD (Coup^fonn, g«scbIotJi»D->
Coup^B mit vollkommen glatten Wänden und glatten Sitzen, welche aus
glattem^ gewachstem Holz heBtehen und sehr Hchnell und ausgiebig zu des-
infizieren sind. Die Desinfektion erfolgt nach jedem Transport durch Aus-
waschen mit Carbolseifenlösung. Die Tragbahron bestehen aas hölzernen Unter
Krankentransport.
337
lagen mit Goinmipalstern. Diese sind ans Gammirdhren zusammengesetzt,
welche mit Laft aDfg;eblasen werden, so daß von außen nach der Mitte der
Trage zn eine Mnlde entsteht, indem der DurchmesHer der außen gelegenen
Vif. 14.
Xt&okanwagaa der Ambalane« StaiJou d«i Uatropolllui AvylUB»
Bo«rd in tiOndoD. V<iup6totm (hintan ffoftffuet).
Röhren ein größerer ist als der in der Mitte befindlichen. Über dieses
Rührenlager wird eine Gummidecke gelegt, das Kopfkissen besteht gleich-
ffalls aus Gummistorr und kann ebenfalls mit Luft aufgeblasen werden. Die
Desinfektion der Trage und des Lagers ist eine sehr einfache.
Plg. 16.
KrftnkrDwkftfn dor Ambolfencc 8tfttlon« df* Metropolitan Acxlam* Board tn
London Mr zwei liv^rodti Kr&nko. OmnibiufiMrfu (hinten gc^'iffuei).
Die Zeit der Ausfahrt und Ankunft der Wagen wird durch den Vorsteher
der Krankentransportstation, welcher am Eingang der Station wohnt, genau
aufgezeichnet and kontrolliert. Die Kutscher und Begleiter und Nurses
Kncyelop. Jahrbaehvr. K.F. IV. {Xm.) 22.
338
Krankentransport.
nehmen nach jedem Transport ein Bad, wofür reichliche Gelef^enheit in der
Station geboten ist. Die Diännlichen Begleiter und Kutscher wohnen In
einer bestimmten Kaserne^ vrahrend die Kurses von dem betreffenden
Hospital, zu welchem die Station gehört, entsendet werden und gleichfalls
in einem besonderen mit Aufenthalts- und Baderäumen ausgestatteten Anbaa
wohnen.
Hervorragend eingerichtet sind die Unterkunftsraume för die Wagen,
die Stallungen für die Pferde und besonderH dio GeHchirrkammem, in wei-
chen nicht nur daä IQr den Gebrauch nülige Material, sondern auch eine
große Menge von Reservegeschirren untergebracht ist.
Da die Genesenen nicht in den Hospitälern verbleiben, sondern, was
leider in Deutschland noch nicht in so zweckmäßiger Weise organisiert
ist, in besondere Gonesungsanstalten und -Heime gebracht werden, so sind
auch Mir ihre Beförderung besondere Wagen vorgesehen. Diese Wagen, in
welchen gleichzeitig eine größere Zahl von Personen befördert werden
kann, sind omnibiisartig gebaut (Fig. 16).
In London sind, da der Impfzwang nicht obligatorisch ist. noch alljähr-
lich zahlreiche Krkrankungen an Pocken zu beobachten. Die Pockenkranken
werden zum allergrößten Teil in den hierfür von der Stadtbehörde bereit
gestellten Hospitälern . den Hospital schiffen, behandelt. Zur Beförderung
der Pockenkranken sind eigene Transportdnrapfer vorhanden, welche von
bestimmten Stellen der Themseufer, bestimmten Wharfos, abfahren. Im ganzen
sind 5 Transportdampfer für Pockenkranke zur Verfügung. 1904 wurden
494 Pockenkranke in den HospitalschiÜen behandelt, im ganzen 18.468 an-
steckende Kranke in die städtischen Hospitäler befördert und insgesamt
von den Krankentransports tatioiicn ni.?l>8 Transporte ausgeführt, wobei
iui ganzen etwa ÜdO.OOO englische Meilen zurückgelegt wurden. Gewaltig
sind auch die von der Londoner StudtbehÖrde für die Beförderung der
Kranken aufgewendeten Kosten. Sie betrugen für die 8 Krankentrans-
portstationen im Jahre l!*04 23.378 Pf. St., für den Flußkrankentransport
(River Service) 12.G75 Pf. St., zusammen :^G.05G Pf. St. gleich 721.060 Mk.
Zieht man die für den Flußkrankentrnnsportdienst aufgewendete
Summe von 2rj.H.50O Mk., welche für London wegen der daselbst herrschenden
Pockenerkraiikungpn erforderlieh ist, ab, so hleibon noch 467.560 Mk. Auf-
wendung für Krankentransporte seitens der Londoner Gemeindebehörde för
das Jahr Uiü-l. Zu bemerken ist j(?dooh. daß diese Summe nur fOr die Be-
förderung der an ansteckenden Krankheiten leidenden Personen in London
aufgewendet wird.
Der Transport der Verunglückten und Verletzten wird zum Teil von
der St. John Ambulance Association besorgt, welche in St. Johns Gate
Clerkenwell eine Zentralstation besitzt. Von anderen Veranstaltungen für
Beförderung Verunglückter i$t besonders die Hospitals Association Ambu-
lance zu nennen.
Das gesamte Rettungs- und Krankenbeförderungswesen in London
steht vor einer größeren Umänderung, indem die Londoner Stadtbehorde
auch das Rettungswesen in eigene Verwaltung zu übernehmen gedenkt und
fQr diesen Zweck eine neue Einrichtung des Krankenbeförderungs-
wesens plant.
Im folgenden sind noch einige Typen von in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika benutzten Krankentransportwagen (Fig. 17 — 20)
abgebildet, welche meistens in den Hospit^llern untergebracht sind und von
hier mit Personal und Material ausgerüstet zu Unfällen ausfahren. Die in
den einzelnen Großstädten bestehenden und voneinander abweichenden Ver-
haltnisse habe ich im >Handbuch der Krankenversorgung und Kranken-
pllege« dargelegt.
Kraükentransport.
339
Der Charakter der Wa^en anteracheidet sich durchweg von den in
Europa gebräuchlicben, indem der Oberteil offen und durch Segeltuch ver-
achlieUbar gestaltet ist. Nur das Modell des Militärkrankenwagena (Medical
Department U. S. Navy) weist feste Seitenwände auf.
Über die Orf^anisation des Krankentransportwesens in den verschie-
denen Städten im Deutschen Reiche wird der demnächst im Druck er-
scheinende eingehende Bericht des Zentralkomitees für das Rettungswesen
In Preußen, welchen V^erfasser als SchriftrQhrer des Zentralkomitees anzu-
fertigen hatte^ ausfQhrliche Auskunft geben. Das Material für den Bericht
entstammt der Umfrage, welche die deutschen Bundesregierungen auf An-
regung des Zentralkomitees Ober den Stand des Rettungs- und Kranken-
beförderungswesens im Deutschen Reiche angestellt Ein solches auf amt-
lichem Wege beschafftes Material ist bisher noch nicht zusammengetragen,
•0 daß dieser Bericht auch bleibenden Wert beansprucht.
Die für die Beförderung der Kranken erforderlichen Gerätschaften
sind bereits in den verschiedenen Artikeln des Verfassers über das gleich-
namige Thema dargelegt worden. Ka ist auch hier zu wiederholen, daß
Tragbahren, welche das einfachste Gerät zum Tragen Kranker darstellen,
in so großer Zahl angegeben worden sind, daß sich hieraus allein ergibt,
dafi bis jetzt ein für alle Kälte und in allen Lagen und Verhältnissen
brauchbares Modell nicht vorbanden ist. Fast jede Körperschaft, welche
eich mit der Beförderung Kranker befaßt, hat verschiedene Muster von
Krankentragen als auch Krankenwagen. Und es ist daher der Plan des
Zentralkomitees für das Reltungswesen in Preußen» Normalmodelle oder
allgemeine Grundsätze für die Herstellung der Krankentransportmittel auf-
zustellen, nach ieder Richtung zu unterstützen. Dem weiteren individuellen
Ermessen der einzelnen Körperschaften und der einzelnen Personen muß es
überlassen bleiben, die für jeden Fall erforderlichen Abänderungen herzu-
stellen.
Es ist jetzt vom Verband für erste Hilfe in Berlin auf Anregung des
Verfassers ein Transportgerät hergestellt worden, dessen At>bildung und
genaue Beschreibung sich am anderen Orte befindet. Im großen und ganzen
ist es nach der Gestalt des C/ERNYschen Tragstuhles aus Metallrohren und
Segeltuch hergestellt. Auf diese Weise ist erreicht, daß das Transportgerät
ausgiebig und leicht desinfiziert werden kann. Der Kranke kann liegend und
sitzend befördert werden. In letzterem Falle entsteht eine erhebliche Ver-
kürzung des Traggerätes, so daß es sich besonders auch für Krankentrans-
porte auf Treppen und in engen Räumen eignet
Die Bedeckung des Tragbahrengestells geschieht zweckmäßig wie beim
Verband für erste Hilfe in Berlin nach Vorschlag des Verfassers in der Weise,
daß zunächst über den waschbaren Segeltuchüberzug eine doppelt zusammen*
gelegte Wolldecke gebreitet wird, welche in einem waschbaren Leinenüberzug
steckt. Zum Bedecken des Kranken dienen im Sommer eine, im Winter
zwei Wolldecken , welche jede einzeln in einem waschbaren Tberzuge sich
befindet. Daß die Decken und Überzüge sowie der Tragbahrenüberzug nach
jedem Transport de.sinfiziort und durch neue zu ersetzen sind, wurde bt^reits
hervorgehoben. Das Kopfende der Tragbahre kann beliebig hoch gestellt
werden, ferner ist ein am Kopfende der Trage befestigtes und abnehmbares
dreiseitiges Kissen als Kopflager vorhanden.
Tragbahren mit möglichst geringer Längsausdehnung sind au! sehr
winkeligen Gängen sowie für die Beförderung Kranker auf Treppen zu be-
nutzen. Auf die Notwendigkeit der Möglichkeit leichter Desinfektion aller
Krankentransportgerätuchaften, also auch der Tragen, habe Ich bereits oben
hingewiesen. Um diese zu erreichen, müssen die für die Beförderung der
Kranken herzustellenden Geräte entsprechend gebaut sein.
340
Krankentransport.
Man wird an Tra^c- und Räderbahren alle unnötigen VorsprDne:e, Rau-
higkeiten, Ecken und Winkel vermeiden. M6g:lichst werde alles abgernndet
und aus Metall und Segeltuch hergestellt. DaÜ dies zu erreichen, beweist
Fi«. 10.
Wahren *ur VefSriivraaft GanBi«nd«r der Ambuluioe Sutions d«!
MfltropoIiiaD Anylutni B»u^ In London. Onmibnfform.
das oben genannte Modell des Tragbahrenstuhles, welcher beim Verband für
erste Hitfe jetzt Im Gebrauch ist.
Aber auch dio Wagen müssen , wie ich bereits in dem erwühnten
Artikel dieser Encj'clopädie und an zahlreichen anderen Stellen hervorge-
hoben, so gebaut sein^ daß sie eine ausgiebige Desinfektion gestatten.
Man erreicht dies in der Weise, dat3 man das Innere des Wagens so her-
stellt, daU die Decke mit den Wanden^ die Wände untereinander and mit
dem Fußboden so vereinigt werden, daU samtLiehe Ecken vermieden werden.
Dieselben werden wie in modernen Operationssälen abgerundet. Die Decke
Fi?. 17.
Jlilit&rknnkvD wagen d«r VeralnlKtsn Slastsii von Kordai
(Abbat-Downinir Co.).
wird ganz glatt hergestellt, ebenso die W^finde. Die rlppenlörmigen Vor-
sprünge der Decken f welche manche Krankenwagen im Innern aufweisen,
sind zu vermeiden. Die Fenster, welche die natürliche Beleuchtung des Wagen-
KraDkentransport.
341
Innern bewirt^en^ sind In den Seitenw3.ndeD so eing^elassen, daß sie nur zur
Beleuchtung dienen , ohne daß sie geöffnet werden können. Die Fenster-
scheiben sind 80 In die Fensterrahmen einzulassen, daß an den Verbindungs-
l£r»Dkoawftf(eJi : Vereluifrlo Staaten ran N n rd a m <• r 1 k» (Abhot-Downiog Qo.)>
stellen Abrundungen entstehen. Die Lüftung des Wagens geschieht durch an
der Stirnseite eingesetzte und zu öffnende Fenster, während in der TQr eine
zum Öffnen eingerichtete Klappe eingesetzt ist
Der Boden des Wagens wird mit Linoleum belegt, die künstliche
'Beleochtang geschieht durch die außen an den vorderen Ecken des Wagens
Piff. ifl.
KrftnkeawBfff a : YtroiBiffl« Si*»l«D von XordaratrElift (Abbot-Downlag Co.).
angebrachten Laternen, deren Halter nach hinten so abgebogen werden, daß
sie iederseits durch die Wagenfensler ihr Licht hindurchwerfen. Der Anstrich
der Wagendecke und Wände erfolgt mit — am besten weißer — Emaillefarbe.
342
Krankentransport.
In dieser Welse gebaute Wa^en sind leicht uod aasgiebift zu des-
infizieren, wenngleich das in Berlin befolgte, nach dem Transport eines i«d«o
Kranken ausgeführte Verfahren das Wageninnere erheblich abnutzt. Aber m
ist dann die Notwendigkeit vorhanden, das Innere des Wagens mehrniftlfl
im Jahre mit neuer Kmaillefarbe zu versehen und hierdurch die Möglichkeit
der Reinigung bzw. Desinfektion in erhöhtem MaUe gewährt.
Betrachten wir die in Berlin aasgeQbte Deaintektion der Krankfo-
wagen, so besteht dieselbe kurz wiederholt in: Aufspritzen einer heiti<>D
Seifenlösong auf die Wände, Abbürsten der Wände mit dieser Ldsang, Nach-
spOlen mit kaltem Wasser, Abreiben mit reinen trockenen Tflchern. DiesM
bakteriologisch nachgeprüfte Verfahren stellt also eine ausgiebige Reinigan;
des Wageninnern dar. indem durch das Verfahren alle Verunreinigungen d»
Wagens mechanisch entfernt werden.
Wie Robert Koch schon vor langer Zeit darlegte und wie auch jetxt
allgemein anerkannt wird, besteht die beste Desinfektion in ausgiebigtr
Reinigung, das heißt Sauberkeit. So hat sich wiederum bei den Desintek-
tionsversuchen an Krankenwagen, welche Verfasser selbst Robkrt Koch ror
länger als Iti Jahren vorzunehmen vorschlug^ ergeben, dai^ das beste Det-
infektionsmittel nicht etwa in der Anwendung stark riechender Stoffe. soDd^m
vor allen Dingen In mechanischer Anwendung von Wasser and Seife besteht
Die bei der Abteilung für Krankentransport des Verbandes für erat«
Hilfe in Berlin geltende Desinfektionsordnung. welche vom königlichen Poliiei-
Präsidenten angenommen wurde, soll an anderer Stelle geschildert werden-
Die verschiedenen Arten der vom Verband fOr erste Hilfe in Berlin
eingeführten Krankenwagen sind nicht in verschiedene Klassen fOr Wohl-
habende und unbemittelte eingeteilt, sondern nach dem Grundsatz, daii l&r
arm und reich die gleiche Bequemlichkeit und Sicherheit für den Kranken-
transport vorhanden sein muß, daß nicht etwa ein Kranker mit Perityphlitis
oder Apoplexie durch Benutzung schlechter ausgestatteter Krankentransport-
mittel einer Gefahr ausgesetzt ist, weil er arm ist. Die innere Ausgestaltaai
und der Bau der Krankenwagen ist beim V^erband fflr erste Hilfe Überall nach
gleichen Grundsätzen hergestellt. Nur ist äußerlich für Patienten, welch*
eine Landauerform vorziehen, der Wagen in dieser Gestaltung hergestallL
Da der untere Raum dieses Wagens, wie die beifolgende Abbildung i Fig. 21)
zeigt, durch die äußere Gestaltung verengt ist, so ist aus diesem Grond«
aaf dem federnden Traggestell welches auf den Wagenboden aufgesetxt ist
der oben beschriebene Tragstuhl aufgestellt, dessen Gestaltung die Läags-
entwicklung der Liegefläche oberhalb des auch im Wageninnern vorspriogeDdea
Wagensitzes gestattet. Der Patient kommt hierbei auüerdem in liegendar
Haltung in die Höhe der Fenster, so daß er bequem aus denselben hlnaoft-
schauen kann. Um jedoch den Einblick Neugieriger in das Wageninner«, wa«
tMtonders in Großstädten bei der Beförderung Erkrankter sich als s«hr
störend erweist , nach Möglichkeit zu verhüten, sind die Wagenfenster aai
mattiertem und figürlich geschliffenem Glase hergestellt, welches wohl eioaa
Ausblick des Kranken nach außen, nicht aber den Einblick von Zuschaoera
in das Wageninnere gestattet.
Für den Bau der Krankenwagen im allgemeinen ist außerdem fMt*
zuhalten, daß, besonders wenn man Desinfektion mit großen Flüssigkeit«-
mengen in Anwendung sieht, auch alle überflQssigen Offnungen, Löcher and
Spalten im Wagen vermieden sein müssen. Es dürfen daher nicht die Fen«l#r*
Scheiben in den Türen so angeordnet sein, daß sie in den unteren Teil ela«
Faixes der Tür versinken. Bei den Wagen in Landauergestalt Ist es nraek'
mäßig, die Tür an der Seite, an welcher das Traggestell mit der Traic« ilek
befindet, nur außen durch Anbringung des Türgriffes und der Fanster'
Umrandungen als Tür anzudeuten, sonst aber dieselbe geschlossen so
Krankentrauäport.
848
Ma der Begleiter das Wageninnere durch die auf der anderen Seite gelegene
Tür betreten kann. DieHO zweite Tür zum Öffnen einzurichten, erscheint
zweckmäßig, damit erforderlichen Falles noch ein Helfer zur Unterstützung
»eim Einlagern des Patienten von der Seite her eintreten kann. Die Tür-
klinken sind Dicht derart anzubringen, daß sie im Innern des Wagens in
einem Schlitz der Tür hinter den Fensterscheiben sich bewegen. Es ist
Flg. SO.
Krmok^owageD : V»rt>ialfft« Stakten voo Nordamerika (Abboi-L>owafnff Co.).
tfeser obere Schlitz zu vermeiden und das Türschloß durch einen Türgriff,
khnlich dem außen befindlichen, in seine erforderliche Stellung einzustellen.
Sehr wichtig ist die Frage der Höhe des Wagenbodena vom Erdboden.
Krsterer soll nicht zu weit, vom Erdboden entfernt sein, damit
das Emporheben des Patienten auf der Trage für die Träger nicht zu
schwierig ist. Andrerseits darf der Wagenhoden nicht zu nah dem Erdboden
Simiik«nwBg«n in Laoduivrforra voni Virbaad ftlr «rst« Hilf» in BarJln.
liegen, damit der Kranke nicht zu tief im Wagen liegt und zu wenig dann
des Lichtes teilhaftig wird, welches durch die Fensterscheiben in den Wagen
einfällt. Es muß am Wagen ein Trittbrett vorhanden sein, welches ein be-
qaemea Aufsteigen der Träger In den Wagen hinein gestattet. Das Tritt-
brett kann so angeordnet werden, daß es beim Fahren aufgeklappt und
durch einen außen au der Tür befindlichen Haken festgehalten wird.
344
Krankeatransport.
Die HintertOr selbst erhält am besten einen Verschluß, welcher anBen
so geöffnet wird, daB ein an der Unterseite der Tür befindlicher Ring: durch
Herabziehen das Schloß der Ti3r öffnet. Zu diesem Behufe verläuft zwischen
den Doppelwänden der Tür vom Hin^e aus eine StBng:e nach oben, welche
hebolartig g:ebogen ist und mit dem TQrscblosse in Verbindunf^ steht. Eine
ähnliche Einrichtung läßt sich auch an den Seitentflren treffen. Die Öffnung der
Türe von Innen geschieht durch auf beschriebene Weise angeordnete Türklinken.
Die Art der künstlichen und natürlichen Beleuchtung und der Lüftung
|iM Krankenwagens wurde eben bereits dargelegt.
^ Die in Krankenwagen häufig sichtbaren Gardinen am Innern der
Fenster sind aus hygienischen Grflnden vollständig zu verbannen. Es ist
zwar mf^glich, die Gardinen aus waschbaren Stoffen herzustellen, nicht aber
ist es möglich, die Schnüre und sonstigen Offnungsvorrichtungen der Gar-
dinen HO einzurichten^ daß «le bequem wasch- bzw. desinfizierbar sind.
Von ganz besonderer Wichtigkeit sind die Abmessungen des Wagens.
Das W^ ageninnere soll so geräumig sein, daß es bequem mindestens einem
liegenden Menschen und einem Begleiter Platz gewährt. Es erscheint fQr
die Krankenbeförderung in Städten nicht erforderlich, Krankenwagen her-
zustellen, welche zur Beförderung von zwei liegenden Kranken dienen können,
Denn wenn dieselben im Wagen nicht nebeneinander untergebracht werden.
wofür der Wagen meistens nicht breit genug gebaut sein kann, müssen die
Patienten Übereinander eingelagert werden, was für den Transport für
Zivilvorbällnisse in den Städten nicht gerade als sehr bequem anzusehen
ist. Berechnet man die Breite einer Tragbahre mit 75 r/n, so muß das Trag-
gestell, auf welchem die Tragbahre aufgesetzt wird, Sbciti Breite haben.
Daneben muß dann Platz für mindestens einen oder zwei nebeneinander sitzende
Begleiter sein, so daß die Wagenlichtung etwa 130 — 150 o/n Breite erreicht.
Die Länge der Tragbahre dürfte nicht unter 190(7» zu bemessen sein, so
daß die Wagenlichtung in der Länge 2m betragen wird. Die Hohe des
Wagentnnern kann natürlich nicht so sein, daß ein sehr erheblich großer
Menäch darin aufrecht stehen kann, juduch soll sie immerhin so sein, daß
ein mittelgroßer Nfensch bei^uem darin aufrecht stehen kann, aho etwa
170 c»] betragen. Das Dach der Waagen, auch der Wagen in Landauerform, soll
außen mit weißer Farbe gestrichen sein, damit im Sommer die Hitze weniger
intensiv auf das Wageninnere einwirken kann. Man hat bei den Eisenbahn-
Personenwagen begonnen, die Dächer mit gutem Erfolg mit weißer Farbe zu
versehen.
Von den im W^agen außer der Tragbahr© und deren Ausrüstung mit-
zunehmenden Gegenständen sind 'in nennen: Ein kleiner Behälter für einige
Geräte zur ersten Hillsloistung, einige Schienen und Verbandstoffe bzw. Ver-
bandpäckchen, ferner Salmiakgeist, Hoffmannstroplen, außerdem soll frisches
Trinkwasser nicht fehlen. Eisblase und Wärmftaachosiud für manche Kranken-
transporte erforderlich. Zum Auffangen der Ausworfsstoffe dient am besten
ein Stechbecken gewöhnlicher Schüsselform aus Emaille mit Deckel. Dieses
ist unschwer im Wagen unter dem Traggestell unterzubringen. Es wird wie
jeder andere Gegenstand im Wagen nach jedem Transport desinfiziert. Ist
es durch irgendwelche Auswurfsstoffe verunreinigt, so findet eine besondere
Desinfektion des Beckens mit Liquor KresoH saponatus statt. Für jeden
Transport muß ein reines Handtuch mitgenommen werden, welches unterwegs
verschiedenen Zwecken dienen kann , zum Abwischen des Schweißes des
Patienten, zum vorläufigen Autfangen erbrochener Massen etc. Ferner sind
die Überröcke, welche Kutscher und Träger vor Betroten der Wohnung eines
zu transportierenden Patienten anzulegen haben, im Wagen unterzubringen
Das vorhin erwähnte Traggestell habe ich bereits auch in diesen Jahr-
büchern beschrieben. Das Gerät ist vor Jahren so abgeändert worden, daü
Krankentransport.
346
I
^ie unterhalb von den Ecken des oberen Brettes verlautenden Federn nicht
nach einem, sondern nach zwei Punkten unterhalb des Trag^bodeiis verlaufen.
Die Abbildung: dieses Gestells in seiner jetzigen Gestaltung befindet sich im
Handbuch fOr Krankenversorgung und Krankenpflege. Ich stehe auch heute
nicht an, dieses Traggeatell als das bisher jetzt beste vorhandene zur Ver-
hütung der ErschQtteruni^en bei der Fortbewegung anzusehen. Alterdings
muß för die verschiedenen Größen des Gestells die Spannung und der
Durchmesser der Federn sowie die Große und Elastizität der Gummi-
kugeln eine verschiedene sein. Ganz besonders ist auch auf die Wandst&rke
der Gummikugeln zu achten.
Die kugelige Abfederung ist jetzt an noch anderen Stellen angewendet
worden. Vor allen Dingen wird dies aus Budapest berichtet ferner aber sind bei
den neuen Personentransportwagen der preußischen Eisenbahnen die Füße
der tragbaren Krankenbetten mit Gummikugeln verseben, welche in metallenen
Vertiefungen beweglich eingelagert sind. Die Herstellung der neuen Personen-
krankenwagen auf den preußischen Eisenbahnen ist als ein großer und segens-
reicher Fortschritt zu bezeichnen. Dieselben sind so eingerichtet, daß zwei
nebeneinander gelegene Abteile dritter Klasse durch Herausnahme der nicht
ganz bis zur Decke reichenden Zwischenwand und durch Einstellung der
für den Krankentransport erforderlichen Gerätschaften, des Tragbettes für
den Kranken, ferner eines Waschgerätes mit Ausguß etc. in ein recht be-
quemes Krankenabteil umgewandelt werden können. Von Waggons, welche
solche umwandelbare Abteile dritter Klasse besitzen, sind bis jetzt 40 vor-
handen. Die Einrichtung wird auf den betreffenden Bahnhöfen bereit gehalten,
und auf Bestellung in die Abteile sofort eingefQgt. Die Benutzung eines
flolchen Krankenabteüs, in welchem mehrere Begleiter außerdem Platz finden,
geschieht gegen Lösung von vier Karten erster Klasse. Es wird beabsich-
tigt, diepen Preis noch herabzusetzen. Gegen die frühere Bestimmung der
Benutzung der Salonkrankenwagen für Lösung von 12 Fahrkarten erster
Klasse muß diese Herabsetzung des Fahrpreises und die Vermehrung der
Zahl der Kinrichlungen zur Krankenbeförderung auf den Eisenbahnen als
ein großer Fortschritt auf diesem Gebiete bezeichnet werden.
Bereits im Jahre 1896 habe ich in einem Vortrag im Verein für innere
Medizin hervorgehoben, daß auch für die Befi^rderung von Kranken Motoren
wohl geeignet sein dürften^ falls dieselben in zweckmäßiger Woise hergestellt
würden. Seit jener Zeit ist auf dem Gebiete der Herstellung von Motoren
ein Fortschritt wohl nicht verkennbar. Trotzdem acheint auch jetzt noch
nicht die Zeit gekommen, wo man ohne weiteres das Automobil in den
Dienst des Krankentransportes in den St&dten stellen kann. Sicherlich ist
ein Unterscliied zu machen zwischen dem Transport Erkrankter im Kriege
und auf dem Lande, wo besonders große Strecl^en unter häufig schwierigen
Terrainverhaltnissen zurückzulegen sind. Anders jedoch in der Grolistadt,
wo der Vorkehr eine schnellere Beförderung durch das Automobil als durch
den von Pferden gezogenen Krankenwagen überhaupt nicht zulfißt Ferner
muß abgewartet werden, ob das elektrische oder das durch Benzin oder
Spiritus getriebene Automobil den Vorzug verdient. Bei boiden muß der
Akkumulator in Tätigkeit treten. Wo dies aber der Fall ist, kann von einer
unbedingt sicheren Funktionierung des betreffenden Gerätes keine Rede sein.
Denn bis jetzt ist noch kein Stromsammler verfertigt worden, bei welchem
eine vollkommen und ständig sichere Funktionierung nach jeder Richtung
hin verborgt werden kann. Es liegt dies an der bisher noch immer nicht
ganz einwandfreien Herstellung der Akkumulatoren, an der Möglichkeit des
Eintrittes von Kurzschlüssen in den Stromsammlern sowie besonders auch
daran, daß bei der Fahrt immerhin eine nicht unbedeutende Erschütterung
stattfindet, welche für eine sichere Funktionierung des Akkumulators mit
346
Krankentransport. — Kryogeuin.
in Frage kummt. Da daher bei dem elektnschen Automobil ein Versag^en
desBelben mitten auf der Strecke durch Kurzschluß nicht auszuschlieüen. 4|j
ferner derselbe stets auf eine bestimmte Zahl von Stunden bzw. Weglängew
geladen werden maß, ao besteht auch hierdurch die Qelabr, daß durch zu
starke Henutzungr ein Versagen mitten auf der Strecke eintreten kann, was
bei einer Spazierfahrt zwar vielleicht unbedenklich, nicht jedoch ungefährlich
fQr den Transport eines Kranken sein dürfte.
Nicht unerwähnt darf die MogHchkoit des Platzens der Pneumatik-
reifen der RÄder bleiben.
Die Benzinautomobilen verbreiten einen äußerst unangenehmen Gerächt
welcher häufig auch den Wagen insassen trifft, ferner sind ErschQtterungen
bei diesen Fahrzeugen stärker als bei den elektrisch betriebenen. Die
vibrierende Erschütterung des elektrischen Automobils ist aber auch eine
so störend zu empfindende , daß sie fQr den Kranken sicher unangenehm,
wenn nicht für viele Falle schädlich ist.
Die Vorzüge des Automobjla für den Krankentransport sind nicht za
verkennen, besonders gelegen in der schnellen bzw. ständigen Bereitschaft»
mit welcher das Automobil zur Ausfahrt gerüstet ist, der Ersparnis an
Pferdematerial etc. Hingegen ist der sehr hohe Preis für die Anschaffung
und auch für die Erhaltung durch besonders geschultes Personal sowie für
Benzin oder Spiritus ziemlich schwer in die Wagschale fallend. Letzterer
Punkt fällt allerdings bei dem elektrischen Automobil fort, jedoch sind diese
für die erste Anschaffung noch viel teurer als die Benzinautomobilen. Aller-
dings ist das häufige Putzen wie bei den Benzinmotoren bei ihnen nicht
erforderlich.
Zusammenfassend Ist also auch jetzt von den Automobilen zu sagen,,
daß sie vorläufig für die Beförderung von Kranken für nicht militärische
Zwecke in Großstädten noch nicht geeignet sind. Ob sie für die Beförderung
Erkrankter im Kriege sich bewähren werden, muß die Zukunft lehren.
Oeorgö Meytr,
Krebs, s. Karzinom, pag. 287 ff.
Kreosot. Nach Croner ^) äußert das Kreosot ohne ein Spezifikum
gegen Lungentuberkulose zu sein, einen günstigen Einfluß auf den Auswarf,
die Verdauung, auch werde die Ausbreitung des Prozesses gehemmt. Einige
Kreosotpräparato reizen den Magen, die Kreosotpillen gehen häufig ungelöst
ab. Mit Lebertran kombiniert fuhrt die Therapie häufig zu Appetitstörungen.
Als gute PriiparatB haben sich ihm Kreosotal, Eosot, Qeosot und Thiokol be-
währt; ebenso das Pneumin.
Von einem neuen Kreoaotpräparat »Kreosalbin* berichtet Karwazki *),
daß es ihm in Dosen von 2g dreimal täglich gute Erfolge gegeben babe^
ohne den Magen und Darm zu reizen.
Literatur: '^W. Cbonkr, (*ber den gegcmvttrtifffn Stand der Krcosottberaple be*
LuDgeDBchwiDdftucht. Berliner klJu.-therap.WothcnBchr., 1904, Nr. 49. — ■) Kabwizki, Kreosot
and Kreosalbin bei I{4*»pir;itionakr^Tikhtnttin. Przegl. It^karakl, Nr. 2t; zitiert nach Dentsche
mea. Wocheuschr., 1904. Nr. 24, pag. 890. £. m^.
Krüppelhelme, s. Arbeitssanatorien, pag. 45.
Kryogenin setzt nach Dnim/vcKi bei Tuberkulose das Fieber
schnell und auf längere Zeit herab; es hat in Einzelgaben von 0*3 — VO g
auch nach längerer Zeit keine schädlichen Nebenwirkungen hervorgerufen.
Literatur: DoBnxToxi , Anlipyn«*i'=che Wirkurg dea Kryogenins bei TnberkuloM.
Medycyna, Nr. 46— 49; Bltlcrt nach Deutsche med. Wochenschr., 1905, Nr. 3, png. 114.
E. .^'nty.
d
L.
I
Lakta^ol* Nachdem Beckmann' >} bei Versuchskühen nach Laktag-ol-
gaben eine Verbesserung der Milch in (|ualitativer und ((iiantitativer Hinsicht
nachgewiesen hat, zeiffte Vahges^j am Menschen, dali die Lak(ag:ol^abe In
charakteristischer Welse den Fettgehalt über 100^«, den Eiweißgehalt über
60% erhöhte, ao daß eine minderwertige Muttermilch »eine ffute, teilweise
sogar eine hervorragend nahrhafte Zusammensetzung erhielt« und die ver-
Bchiedene Beschaffenheit der Milch beider BrustdrÜHen gleichartig wurde.
Von praktischen Erfahrungen liegt ein lobender Bericht von QoLD-
lUiTX«) vor.
Literatur: *) Beckuamh, vgl. Ecr.EiiiiuBoe EncycIopUdiache Jubrbtlchor, N. F., HI, 1905^
pag. 226. — '>J.Vaboes, Übt^r die ebemische Einwirkung des Lakta^ols auf di» Zaaammt'n-
•etzong der Fraufnmilch. Med. Klinik, 1905, Nr. lU — *> Ä. GoLnM*.K.v. Praktische ErfahrnnffHa
Ober die Bpezifisebu Wirkuni^ dei« >L»kUgol<. TherapuuC^ MonaUhefte, Jnli 1904« pag. 357.
K. Frey.
Laktopfieiiln. Von 20 an chronischem RheumatismuR oder Ischias
leidenden Kranken aah Laachb nach Gaben von 1 g dreimal täglich in zehn
Fällen Ikterus auttreten, gewöhnlich nach Verbrauch von ungefähr 2"! g. Der
weitere Verlauf war gutartig.
Literatur: La&chk, Iktcrns nach Laktoplipningehranch. Korsk Mag. f. Laegevid,, Kr. 9;
litiert nach Dentache med. Woobenachr., 1904, Nr. 4ä, pag. 1546. £. Fre/,
Laiig;erhanssche Inseln bei Diabetes. Laxgerhans hat
im Jahre 1369 zum ersten Male die nach ihm als LANOBRHANsache Inseln be-
nannten Gebilde des Pankreas beschrieben. Die Bedeutung dieser Zellhaufen
hat im Laufe der Jahre eine sehr verschiedene Deutu?ig erfahren. Lanueu-
BANS selbst, der die Zellen darin bereits als epitheliale auffaßte, vermutete
Beziehungen derselben zum nervösen Apparat; eine große Reihe von Autoren
neigten dann lange Zeit, veranlaßt durch die äußere Ähnlichkeit der Knötchen
mit lymphatischen Knötchen^ dazu, die Inseln als etwas atypische^ lympha-
tische Apparate aufzufassen. Alsdann haben die späteren Autoren au! Qrund
neuer Beobachtungen die epitheliale Natur der Insetzellen betont. Die
moderne Auffassung, daß die Inseln zur inneren Sekretion dienen, basiert,
wie Saurrbeck in seiner erschöpfenden historischen Übersicht Ober die
ganze Frage wohl mit Recht hervorhettt, auf den entwtcklungsgeschichtlichen
Untersuchungen von LagiivSsb. Derselbe zeigte, daß die Inseln sich schon
in dem fötalen Pankreas finden, ja, hier sogar relativ stärker entwickelt
sind als beim Erwachsenen. Er folgerte daraus , daß nicht . wie andere
Autoren vor ihm angenommen hatten, erst eine starke äußere Sekretion
des Pankreas das Erscheinen der Inseln bewirke, denn die embryonale DrQse
kann wohl nicht gut im postfötalen Sinne sezernierend gedacht werden.
348
LaDgerhanssche Inseln bei Diabetes.
Vielmehr war es ihm wahrscheinlich, daß die Inseln innerhalb des Pankreas
g:leich8ani ein besonderes Organ darstellen . dessen Haupttätigkeit bereits
im fötalen Leben zu suchen wäre. Eine solche Tätigkeit konnte nur als
innere Sekretion aufgefaßt werden.
Eine Beziehung dieser inneren Sekretion zum Zuckerstoffwecbsel hat
Laguesse eigentfimitcberweise nicht vermutet. Es ist nun nicht ganz leicht
die Brocke zu finden , welche von der Lagi ESSEschen Inseltheorie zu der
Auffassung fOhrte, welche heute so nahe Beziehungen zwischen den Inseln
and dem Diabetes annimmt. Denn wir möchten hier gleich hervorheben,
daß, obgleich noch heute gewichtige Stimmen gegen einen solchen Zusammen-
hang sich erhebent dennoch das Material, welches für einen solchen spricht,
so beweiskräftig ist, daß dieser Zusammenhang u. E. nicht mehr geleugnet
werden kann.
1889 — 1890 haben v. Merixg und Minkowski entdeckt, daß die Total-
exstlrpation des Pankreas bei Hunden und anderen Tieren den Diabetes
der operierten Tiere zur Folge hat. Nach dem Bekanntwerden dieser Ei-
perimentalergebnisae richteten sich naturgemäß die Untersuchungen der
Kliniker und Pathologen auf das Pankreas der an Diabetes mellitus Ver-
storbenen. Die Resultate dieser sehr zahlreichen in der Literatur veröffent-
lichten Untersuchungen sind jedoch in keiner Weise Übereinstimmend.
Atrophie des Drüsenapparats mit konsekutiver Bindegewebsentwicklang oder
andere ctrrhotische Prozesse des Pankreas oder aber Qeachwulstbildang
wurden nur in einem Teil der Fälle gefunden. Um beispielweise die Statistik
V. H.wsEMANNS, die er ober die in der Charite im Laufe von 10 Jahren
obduzierten Fälle von Diabetes melfitös zusammengestellt hat, hier mit-
zuteilen, so hat er in 40 Fällen Pankreaserkrankung, in 8 Fällen
keine Erkrankung der ßauchspeicheldrösen feststellen können. Unter den
40 Fällen bestand 3Gmal einfache Atrophie, .'tmal fibröse Induration, einmal
war die Erkrankung komplizierter Natur. In l^ Fällen hingegen von Pan-
kreaserkrankung hatte intra vitam kein Diabetes bestanden. Dieser Um-
stand, der natürlich auch anderen Beobachtern nicht entgangen war, erhöhte
die Schwierigkeit, die MiNKOvvsKischen experimentellen Resultate mit der
klinischen Beobachtung in Einklang zu bringen. Denn die Veränderungen
des Pankreas waren in einzelnen Fällen, ig denen kein Diabetes gleichzeitig
bestanden hatte, doch so hochgradig, daß man zu der Annahme berechtigt
schien, daß die Drüse kein funktionsfähiges Parencbym mehr enthalten
könne. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß alle diese
Untersuchungen die LAXGEunANsschen Inseln nicht berücksichtigt hatten.
Es erschienen nun als wertvolle Ergänzung der MixKOwsKischen Total-
exstirpation Untersuchungen von Katz und Winklick, aus denen als Neben-
befund — die Untersuchungen waren eigentlich zur Erforschung der Fett-
gewebsnekrose angestellt — hervorging, daß die LANüERHAXSschen Inseln
der Nekrose einen auffallenden Widerstand entgegensetzten. Auf Grund
dieser Beobachtung haben gleichzeitig W. Schlxtze und Ssowolew zielbewußt
die Sklerose des Pankreasparenchyms durch Unterbindung des Pankreas-
ganges herbeigeführt und das Verhalten der LANGRUHAXSschen Inseln studiert.
Die Untersuchungen, welche an Meerschweinchen, Kaninchen, Hunden und
Katzen ausgeführt wurden, ergaben übereinstimmend das erwartete Resultat,
daß die LANGRitiiANSschon Inseln auch bei ausgebreiteter Sklerose der Drüse,
welche die Acini zum Teil bereits vollstilndig zum Schwinden gebracht
hatte, intakt blieben. In einem Falle vcm Ssobolew wurde das Tier 400 Tage
nach der Unterbindung des Pankreasganges getötet; die Drüse war voll-
kommen atrophisch, während die Inseln ziemlich gut erhalten waren. Dabei
war übereinstimmend beobachtet worden, daß trotz des Schwundes des
Pankreas kein Diabetes auftrat.
Langerhan&sche lasein bei Diabetes,
849
I
Es erschien nanmehr die bereits oben erwähnte, durch embryologische
und vergrleichende anatomische Studien begründete Annahme, welche den
LANGRRHANSschen Inseln eine innere Sekretion vindizierte, in einem bedeu-
tunf^flvoUeren Licht. Diese innere Sekretion schien zur Gewil^heit erhoben ;
denn die Unterbindung des PankreasKanges, welche die äußere Sekretion
der Drüsen tllusorisoh machte und daher die ihr vorstehenden Drflsenaclni
durch Inaktivität zur Atrophie brachte, hatte die LANGERHA.\sschen Inseln
verschont. Somit war dar^etan, daÜ dieselben zur äußeren Sekretion ]eden-
falls keine Beziehung hatten. Andrerseits hingegen war die innere Sekretion
dadurch wahrscheinlich gemacht,daß die Ssobolew ScHrLTZEschen Tiere keinen
Diabetes bekamen. Die innere Sekretion mußte in naher Beziehunjc zum
Zackerstoffwechsel stehen. Denn die LANOEKHANSschen Inseln waren die
einzig:en Gebilde des Pankreas, welche von der Zerstörung desselben frei
oder wenifcstens relativ intakt geblieben waren, und die MiNKowsKischen
Untersuchungen hatten doch gezeigt, daß Totalexstirpation des Pankreas
unweigerlich Diabetes zur Folge hat.
Der klinischen und der pathologischen Physiologie war dieser Gedanke
bereits vertraut. Die bekannte Theorie von Lkpine hat zuerst eine innere
Sekretion des Pankreas zur Voraussetzung gehabt. LeciNK nahm an, daß
das Pankreas normalerweise ein Ferment in den Kreislauf gelangen läßt,
welches er glykolytisches Ferment nannte und weiches die Aufgabe hat, den
von der Leber in das Blut gelangenden Zucker zu zerlegen. Fehlt dieses
Ferment bei Erkrankungen des Pankreas oder nach Totalexstirpation, wie
im Experiment, so kommt es, da der Blutzucker nicht in normaler Weise
zerlegt wird., zur Hypergtykämie. In die neue Insel theorle würde diese
L^PiN'sche Annahme eines glykolytischen Fermentes sehr wohl hereinpassen.
Jedoch kann nicht verkannt werden, daß die Versuchsanordnung von Lkimne
mit Recht eine ablehnende Kritik erfahren hat.
Ebenfalls mit einer inneren Sekretion des Pankreas rechnend, aber zugleich
auf dem Boden der Cl. BKKNARnschen Lehre von der hepatogenen Qlykosurie
befinden sich Chaiivkai- und Kaikmann. welche annehmen, daß die normale
Zuckerbildnng der Leber von dem Nervensystem und dem Pankreas ans
reg^uliert wird. Das erstere wirkt anregend, daa Pankreas hingegen hat
einen hemmenden Einfluß auf die ZucKerbildung, und zwar macht das letztere
seinen Einfluß durch die Blutbahn geltend. Man sieht, wie auch diese Theorie
zwanglos sich mit der fnseltheorie verträgt. Dies sind tn großen ZQgen
die Phasen, welche die Inseltheorie durchgemacht hat. Wenn auch, wie w^ir
sehen werden, bisher nicht alle pathologisch-anatomischen Befunde eine Er-
klärung durch dieselbe finden, und wenn ihr daher auch noch eine Reihe
von Forschern feindlich gegenüber steht, so läßt es sich doch nicht leugnen,
daß sie von allen bisher aufgestellten Theorien über den Diabetes mellitus
dieienige ist. welche am meisten befriedigt.
Bevor wir das klinische Material, das^ seitdem die Aufmerksamkeit
auf die LAXGKhHANsschen Inseln gerichtet ist, publiziert wurde^ näher be-
trachten — Sauehbrck , dessen Monographie in den Ergebnissen der allge-
meinen Pathologie wir schon mehrfach zitiert haben, bat es darin bis zum
Jahre l'JOS mustergültig zusammengestellt — , wollen wir auf die Morphologie
der LANGERHANSschen Inseln eingeben. «
W'as zunächst das Vorkommen der Inseln bei den verschiedenen Tier-
arten betrifft, so sind sie bei allen Tierarten in mehr minder charakteristi-
scher Weise gefunden worden. Nur die Selachier scheinen abweichende Ver-
hältnisse zu zeigen. Bezüglich der Anzahl der Inseln, die sich normalerweise
im menschlichen Pankreas finden, liegen 2 Untersuchungen von Omic und
Sauerbeck vor. Sie lassen erkennen, daß die Anzahl eine sehr variable Große
ist. Im Schwanzteil des Pankreas scheinen die Inseln etwa doppelt so häufig
Langerhanssche Insel u bei Diabetes.
zu sein wie im Kopfteil (Opie), ein Verhältnis^ das bei der SAUERBBCKschen Zäh-
lung nicht 80 deutlich zum Ausdruck kommt. Die Zahl der Inseln ist bedeu-
tungsvoll^ weil behauptet wird, daß sie beim Diabetes vermindert sei. Es ist*
deshalb interessant, zu wissen, daß bei den von Oimb untersuchten normalen
Bauchspeicheldrüsen die grroßte gefundene Zahl im Schwanzteil die kleinste
um das 5fache, im Kopfteil um das llfache Übertraf, während SAiRRBEcKi
^as erstemal das 5fachc, das zwoitemal In maxlmo das 4^/J&che fand.
Von cinigron Autoren (Lrwasc hkp, Minkowski) ist behauptet worden,]
-daß die Zahl der Inseln physioloy^ischen Schwankungen je nach der Tätig^j
keit oder dem Ruhezustand der DrOse ausgesetzt sei. Diese Ansicht bat
jedoch keine Bestätigung erfahren, sie findet nach Ssobolrw darin ihre Er»
klärung, daß er eine relative Vergrößerung der Zahl der Inseln annimmt,,
•die dadurch bedingt wird, daß der Verdaaungsapparat der DrQse während,
ihrer Tätigkeit eine Volumsverminderung erfährt.
Bezüglich der Beschreibung der Inseln folgen wir Ssobolew: Die Zell-
^ruppen der LAXUKRHANSschen Inseln, die beim Mennchen manchmal eine
Qroßo von \ mm im Durchmesser erreichen, sind nicht selten schon mit
bloßem Auge auf dem Schnitte in Form von weißlichen halbdurchsichtigen
Punkten wahrnehmbar. Auf gefärbten Schnitten treten die Inseln in Form
von hellen Stellen hervor, auf deisen die Zellen weniger dicht angeordnet
sind. Die Inseln sind meist von runder oder ovaler Form, doch finden sich
-auch solche von unregelmäßig gelappter Form. Die Zellen der Inseln sind
polygonal und etwas kleiner als die Zelten der die Inseln umgebenden
Schalstöcke des Kanalsystems des Pankreas; ihr Protoplasma ist blaß, fein,
gekörnt, der Kern auch gewöhnlich etwas kleiner als der Kern der Drüsen- '
röhrchenzellen, hat aber ein dichteres Chromatinnetz und färbt sich infolge-
dessen intensiver; vereinzelte Kerne können auch verhältnismäßig groß sein,
ja selbst größer als die Kerne der DrÜsenrührchenzelten.
Die Inseln bestehen aus geschlängelten Reihen in der Breite von 1 — 2.
selten mehr Zellen. Die Zellenkolonnen sind durch Oefäßkapillaren von-
einander getrennt, welche in den Inseln ein KapÜlarnetz bilden, das sieb
von einem Qlomerulus nur durch das Fehlen einer Ausföhrungsarterie unter-
.scheidet, das Endothel der Kapillaren liegt' den Inselzellen unmittelbar an.
AusIOhrungsgänge konnte Ssubolkw in den Inaein nicht wahrnehmen. Ein
Kindegewebsstroma haben die Inseln nicht, wohl aber trifft man bisweilen J
einige Bindegewebsfasern, die das in die Inseln eintretende Kapitlargefäß
begleiten. Eine sie gegen das übrige Gewebe abgrenzende Kapsel besitzen
die Inseln nicht; bisweilen übernimmt die Rolle einer solchen Grenzmembran
ein an der Peripherie der Inseln sich hinziehendes Kapillargefäb oder ein
vereinzelter Bindegewebsstrang. Meist grenzen die Inselzellen unmittelbar
an die Membrana propria der DrOsenröhrchon, wobei sie manchmal dank i
der Zartheit dieser Membran, deren Vorhandensein übrigens von einigen
Autoren bestritten wird, und besonders während der Tätigkeit der Drüsen,
den Zellen der Drüsenröhrchen so ähnlich sein können, daß sie sich von
diesen nur mit Mühe unterscheiden fassen. In schlecht fixierten Präparaten
ist eine solche Unterscheidung überhaupt nicht möglich.
Die Qrüße wie auch die Zahl der Inseln ist für ^ede Tierart mehr
oder weniger konstant Am beste» entwickelt sind die Inseln bei kleinen
Tieren mit intensivem Stoffwechsel, so bei der Taube^ dem Meerschweinchen;
bei großen Tieren, z. B. beim Rinde, sind die Inaein verhältnismäßig klein
und ihre Zahl gering. Die größten Inseln finden wir beim Menschen und
beim Meerschweinchen sowie bei Schlangen, wo sie nach Diasiare außer-
ordentlich groß sein sollen.
Aus der Beschreibung von Ssouolew geht schon hervor, daß die
Unterscheidung der LANGERHAXSachen Inseln gegenüber dem Übrigen Drüsen-
Laogerhanssche Inseln bei Diabetes.
851
H'|>areDchym keine sehr augenfäUie:e sein kann. Sauerbkck bat in ausfOhr-
^ 4icher Weise zuBammeDe:estelltf was die einzelnen Aatoren über die diffe-
rentielle Charakteristik (i^eschrieben haben. Die Ansichten derselben variieren
Iin einzelnen Punkten stark voneinander. Wir können an dieser Stelle
nicht anf die Einzelheiten eingehen ; nur die hauptsächlichsten Punkte seien
kurz anf^efObrt. Die Vaskularisation, wie sie Ssobolew g^eschüdert, ist nur
«in scheinbar unverkennbares Charakteristikum; denn einmal ist das Her-
vortreten der Gefäße sehr von den Zirkulationaverhältnissen abhängig und
dann ist, wie Sauekbbck hervorhebt, auch beim Menschen der Unterschied
im OefSUreichtum von Insel- und Drüsenparencbym nicht so auffältifc. Die
Gestalt der Inseln verliert deshalb an Bedeutung, weil naturgemäß die
DrQsenacini \e nach der Schnittfläche in den allerverschledensten Formen
erscheinen können. Was nun dje Zellen selbst anbelangt, so gibt es freilich
«inen großen Unterschied : die DrÜsenzellen sind durch das Vorhandensein
von Zymogenkörnern ausgezeichnet, die den Inselzellon naturgemäß abgehen.
K Der Zymogonkdrnorgehalt ist aber abhängig von dem Tunktionellen Zustand
^-der Ürflse : sie sind also nur vorhanden im Zustande aktiver Sekretion,
während im Ruhezustand, wenn die Korner ausgestoßen sind, die DrQsen-
• Zellen kleiner werden und auch bis zu einem gewissen Qrade ihre Zylinder-
form verlieren. Sie ähneln dann ziemlich den Insel/ellen : jedenfalls ist es
bis letzt noch nicht gelungen, durch Färbung der Granula mit Sicherheit
|<3as Protoplasma der beiden Zellarten zu differenzieren.
Des weiteren ist angegeben, daß die Inselzelleu sich den Acinizelten
f^egonOber durch Polymorphie und relative Kleinheit des Zelleibea auszeichnen.
SAL'EHiiE<K legt endlich besonderes Gewicht auf das VorhandensLMn von Kieaen-
kemen in den Inselzellen. Sie sind nach ihm das zuverlässigste Kennzeichen
der Inseln; andere Forscher haben sie auch gesehen, doch sprechen sie von
«nißgestalteten Formen derselben, während sie nach SAUEaeKCK oval sind.
»Ziemlich Übereinstimmend sind alle Beobachter darin, daß eine die
Inseln abgrenzende Kapsel, welche ihre Erkennunur um teichtesten ge-
stalten wQrde, nicht vorhanden ist. Daher kommt es, daß immer noch ein-
■ zelne Forscher der Ansieht sind, daß die Inseln gar keine prinzipiell von
den Acini getrennten Gebilde darstellen, sondern daß sie mit dem um-
gebenden acinusen Gewebe durch Übergänge verbunden sind. Mit Bezug auf
die letztere Anschauung wollen wir hier nur die Untersuchungen von Ka-
RAKAKCHKFF^ oinoni Schüler Maklhaxus, erwähnen^ welcher in jQnt^ster Zeit
»als Gegner der Inseltheorie aufgetreten ist. Kr hat zwar nur an patho-
logischem Leichenmaterial gearbeitet, doch sind seine mikroskopischen Be-
obachtungen an dieser Stelle deshalb von Interesse, weil er sich ganz ent-
schieden dahin ausspricht, daß Umwandlung von LA.NGEKHAXsschen Inseln,
in deren Zellen er Zymogenkurner gesehen hat^ in DrQsenacini stattfinden
kann. Und zwar nimmt er sie überall da an, wo Drüsenparenchym zugrunde
ging; er betrachtet also die Inseln f[uasi als Reservematerial. Pkahck. gleich-
falls ein MARcHANDscher Schüler, ist der gleichen Ansicht auf Grund em-
bryologischer Studien. Auch nach ihm sind die Inselzellen epitheliale Gebilde
— eine Ansicht, die übrigens von den meisten Autoren geteilt wird ; sie
sind nur abgeschnürte Acinireste^ und er sieht in ihnen eine postembryonale
Vorstufe der Drflsenacini. zu denen sie durch Wucherung ihrer Zellechleife
auswachsen. KCstek hingegen, der einen Teil der Befunde Peautes ebenfalls
beobachtet hat und sich vor allem auch für denselben epithelialen Ursprung
der Inseln und Acini ausspricht, kommt zu der Annahme, daß dos Wachs-
tum der Inseln gegen Ende des Fötallebens aufhört and daß sie nachher
während des ganzen Lebens unverändert bestehen bleiben.
Saiterbeck. ein entschiedener Anhänger der Inseltheorie, kommt zu-
sammenfassend zu dem Schluß, daß zweifellos Übergangsbilder existieren,
352
Langerhatiäsche Ins«la bei Diabetes.
d. b. daß manche Zellkomplexo der Inseln Übergänge zur Acinibildunj^ zu
sein scheinen ; ob aber ein wirklicher Übergang vorkommt, muß zur Zeit
unentschieden bleiben.
Die physiologischen Versuche von Schultze und Ssobolew* nach wel-
chen nach der Unterbindung der Pankreasgänge ein Persistieren der
LANGERHANSschen Inseln bei gleichzeitiger Atrophie des DrDsenparenchyms
statthat, haben wir schon erwähnt. Ssobolew hat noch eine andere Ver-
sucfasanordnun^ gemacht , welche ebenfalls bezQglich der ßedeutung der
InHein für den Zackerstoffwechsel sehr beweisend ist. Bekanntlich haben
die Untersuchungen von Minkowski, TmitflLOix, Hf:i)ON u.a. gezeigt, daß
bei Transplantation eines Stückchens Pankreas mit gefaßhaltiger Brücke unter
die Haut und Kxstirpation des übrigen Teiles der Drüse nach Anheilung
des DruspnstQckchens kein Diabetes eintritt, trotz der Atrophie im trans-
plantierten Drüsenteil. Nach Entfernung dieses Stückchens hingegen tritt
bei den Tieren schon nach einigen Stunden Zucker im Harn auf. Ssobolew
hat diese Tranaplantationsversuche nachgemacht und 5U resp. 130 Tage nach
der Operation die transplantierten Stücke untersucht. Die Sekretion aas der
Fistel des Ansführungsganges des transplantierten Drüsenteils hatte in
beiden Fällen schon nach 30 — 40 Tagen aufgehört. Die Stückchen erwiesen
sich als stark atrophiürte Drüsenlappchen und verhäUnismäiJig gut erhaltene
LANGERHAXssche Inseln. Diese Untersuchungen beweisen also ebenfalls, daß
bei den Transplantationsversuchen das Auftreten des Diabetes durch die
relativ intakt bleibenden LAXGSRHANsachen Inseln verbindert wird.
Es sind noch eino Heihe anderer physiologischer Versuche angestellt
worden, welche gleichfalls die Bedeutung der Inseln für den Zuckerstoff-
wochscl dartun sollen; jedoch erscheinen dieselben noch einer Nachprüfung
dringend bedürftig und sollen daher hier noch nicht erwähnt werden.
Was nun endlich die Pathologie der Pankreasinseln anbelangt, so
haben selbstverständlich nach dem Erscheinen der Arbeiten von Ssobolew
und ScHri.TZE die Kliniker und Pathologen ihr Äugenmerk auf die Ver-
änderungen der Inseln sowohl beim Diabetes mellitus als auch bei Pan-
kreaserkrankungen ohne Diabetes gerichtet. Die Resultate der sämtlichen
Untersuchungen hat wiederum Sauerukck bis zum Jahre 1003 zusammen-
gestellt. Er hat von verschiedenen Gesichtspunkten aus dieselben tabellarisch
geordnet; hier interessieren am meisten seine Tabellen ^ und 4, die folgendes
erkennen lassen. Die Tabelle H behandelt das Verhalten des Drüaenparea-
chyms und der Inseln in 111 Fällen von Diabetes. Es wurden gefunden:
Inseln normal und Drüsenparenchym normal in 15 Füllen.
Inseln normaU Drüsenparenchym schwach verändert in Ifj Fällen.
Inseln normal, Drüsenparenchym stark verändert in 9 Fällen.
Inseln schwach verändert, Drüsenparenchym stark verändert io
18 Fällen.
Inseln stark verändert, Drilsenparenchym stark verändert in 31 Fällen.
Inseln schwach verändert, Drüsenparenchym schwach verändert in
25 Fällen.
Inseln stark verändert, Drüsenparenchym schwach verändert in
ly Fällen.
Inseln (quantitativ verändert. Drüsenparenchym normal in 3 Fällen.
Inseln qualitativ verändert, Drüsenparenchym normal in 3 Fällen.
In dieser Tabelle sind die ersten 4 Kolumnen gegen die Inseltheorio
in gewissem Sinne verwendbar. Die 5. Reihe und noch mehr die folgenden,
je weiter sie aufsteigen , sprechen im Sinne der Inseltheorie. Jedoch eine
einfache Cbcrlegung zeigt, daß diese Zahlonverwertung für und gegen nur
in einem beschränkten Sinne zu Recht besteht. Denn es leugnet wohl nie-
mand, daß OS einen Pankreasdiabetes gibt, und doch zeigt die erste
Langerhanssche Inseln hei Diabete«.
353
Kolomne 15 Fälle von Diabetes, in denen dos p:esarnte Pankreas anatomisch
gesund befunden wurde. Wir müssen fflr diese Fälle, wenn ein nervöser
Diabetes auszuschließen ist, mit einer funktionellen Storungr rechnen. Von
den 15 ersten Fällen ist nur von dreien der klinische Verlauf bekannt, und
einer davon scheint als nervöser aufgefaßt worden zu sein. Ebenso wie also
die Oegner der Inseltheorie för derartige, nicht ganas seltene Fälle, in denen
überhaupt kein anatomisches Substrat für die Diabeteserkrankunff R-efunden
werden kann, sich mit der Annahme einer funktionollen Störung bi*gnu^en
müssen, und wie sie trotzdem für andere Fälle eine Pankreaserkrankung
verantwortlich machen, in gleicher Weise haben naturgemäß die Anhänger
der luseltheorie das Recht, bei fehlender anatomischer Inselerkrankung von
der Möglichkeit einer funktionellen, durch unsere Mittel nicht nachweisbaren
Erkrankung der Inseln zu sprechen. Für die Inseltheorie aber sprechen
naturgemäU mit derselben Einschränkung, wie wir sie eben geltend gemacht
haben, die letzten Reihen der Statistik, denn sie zeigen die Möglichkeit, daß
Diabetesfälle vorkommen, bei denen nur die Inseln erkrankt und das Drüsen-
parenchvm entweder ganz normal oder nur in geringem Maße affiziert ist.
Eine wichtige Ergänzung zu dieser Tabelle bildet die 4. Tabelle, in
der das Verhalten des Drüsenparenchyms und der Inseln in Fällen, die ohne
Diabetes verlaufen sind, zusammengestellt ist. Wir können hier auf eine
ebenso eingehende Analyse wie bei der 3. Tabelle verzichten. Ganz über-
wiegend ist die Zahl der Fälle in den Reihen 2 und 3 — die Reihen sind
ebenso rubriziert wie oben — . sehr wenig Fälle sind In den Reihen '^ und
noch weniger In der 4. angeführt. In den nächsten Reihen sind immer nur
ganz vereinzelte vorhanden. Ks geht also aus dieser Tabelle hervor, daß
bei den Erkrankungen des Pankreas ohne Diabetes die Inseln im Gegen-
satz zum Drüsenparenchym in der weitaus Überwiegenden Zahl der Fälle
Itrei geblieben sind, und daß Erkrankungen der Inseln nur in geringem
Grade und in Ausnahmefällen verzeichnet sind. Ks bedarf wohl keiner nä-
heren Auseinandersetzung, daß diese 4. Tabelle durch ihren gewissermaßen
negativen Befund erst der 3. positiven Tabelle ihre Bedeutung zugunsten
der Inseltheorie verleiht.
Nach der SAUBRßRrKschen Arbeit ist noch eine hierhergehörigo^ sehr
bedeutsame, für die Inseltheorie eintretende Veröffentlichung von Hophk-
Skyler erschienen. Dieser Forscher hat die chronischen Veränderungen des
Pankreas bei Arteriosklerose und ihre Beziehungen zum Diabetes mellitus
zum Gegenstände seiner Untersuchungen gemacht. Bei ^ Fällen von Diabetes
und Arteriosklerose, deren Krankengeschichte und Obduktionsbefund er
ausführlich mitteilt, hat er stets an den Inseln deutliche Veränderungen
gefunden; es handelte sich entweder um bindegewebige Schrumpfung, hyaline
Degenerationen der Zellen, oder vollkommenes Fehlen der Inseln durch Ver-
ödung. Und zwar fand er in der Regel die Veränderungen der Inseln im
Schwanzteil des Pankreas bedeutend stärker als in den übrigen Teilen der
Drüse; ein Befundy der mit der Beobachtung Opies in gutem Einklang steht,
wonach die LAXCEKiiANSscben ZoUbaufen besonders stark im Schwanzteil
entwickelt sind. Bei neun anderen Fällen von allgemeiner Arteriosklerose,
bei der aber kein Diabetes bestand. Tand er eine mehr minder starke Atrophie
und Fettsubstitation der Parenchymdrüsen : die Gefäßinseln waren aber
meist gut erhalten. Hoppe-Seyler nimmt auf Grund dieser für einen Unter-
sucher doch recht stattlichen Anzahl von Fällen nicht nur an, daß der Dia-
bt^tes, insoweit er eben durch eine Erkrankung des Pankreas überhaupt
hervorgerufen ist. speziell eine Folge der Inselerkrankung ist, sondern er
geht soweit, geradezu auszusprechen, daß der Diabetes proportional der
Stärke des Befallenseins der Inseln ist. In diesen Fällen, die er mitgeteilt
hat, war die Inselerkrankung stets eine Teilerkrankung der Arteriosklerose,
Eoeyclop. Jahrbflebrr. N. F. IT. (Xm.)
^
354
Langerhanssclie Inseln bei Diabetes«
welche die Kapillaren sowie die feinsten Geffilie am stärksten altenert hatte
Die Bindegewebswucherunjf greift demgemäß tiefer ^ zwischen und in die
Acini ein und kann namentlich die LAXGHuiiANSschcn Inseln, die durch ihren
Reichtum an Kapillareo ausgezeichnet sind , befallen I Pankreatitis intersti-
tiaüs angioscierotica).
Es war schon erwähnt, daß in allen diesen Fällen, wie übrigens aacb
in anderen Beobachtungen von Pankreasdiabetes der Schwanzteit stärker
verändert war als der Kopfteil. In den nicht diabetischen Fällen hingegen,
in denen ebenfalls eine Bindegewebswucherung im Pankreas bestand, zeigte
es sich, daß dieselbe vorwiegend von den Pankreasgängen ausgegangen war.
bei Cholelithiasis , bei einem Stein in der Papilla Vateri, Krebs des Kopf-
teiles usw.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich für die Inseltbeorie
folgendes: Die LAxVGERHAxsschen Inseln entstehen durch einen Proliferations-
und Differenzierungsprozeß der primitiven, sezernierenden Drüsenschläuche
des Pankreas; sie trennen ' sich später vollkommen von diesen, werden
vaskularisiert und persistieren als selbständige Gebilde während des ganzen
Lebens Die nahe Beziehung der Inseln zum normalen Verlauf des Zucker-
stoffwechst'Is wird dadurch dokunirntiert. daß einerseits Totalexstirpatlon
des [Pankreas Diabetes zur Folge hat, wälirend dersolho andrerseits ausbleibt,
wenn duich bindegewebige Schrumpfung, die vom Gange ausgeht, das ge-
samte DrUsenparencbym zerstör! wird« die Inseln aber erbalten bleiben.
Diese letzteren Verhältnisse können nicht nur durch das Experiment erzeugt
werden (Verstopfung, Unterbindung und Durchscbneidung des Ganges). Die
Pathologie selbst führt uns geradezu dieselben Experimente vor, indem Ver
legung des Ganges durch Steine, Geschwülste usw, den Parenchymuntergang
des Pankreas bei relativem Erhaltensein dnr Inseln zur Folge hat und indem
diese Fälle ohne Diabetes verlaufen. Gehen hin^rcgen durch eine auf die feinsten
Gefäße lokalisierte Angiusklerose vorwiegend die Inseln zugrunde, ein Experi-
ment, das wir der Natur noch nicht nachmachen konnten, so tritt Diabetes auf.
Gegen die Inseltheorie sprechen dieselben Bedenkon, die auch überhaupt
gegen jeden Zusammenhang von Pankreas und Diabeteserkrankung sprechen,
würden, nämlich die Tatsache, daß Fälle von Diabetes, die man klinisch—
nicht als Fälle von nervösem Diabetes zu bezeichnen Veranlassung hat. be —
obachtet worden sind, in denen jede anatomischo Erkrankung des Pankrease
überhaupt oder nber eine solche der Inseln fehlte. Wir sind gezwungen, für"
diese Fälle eine lunkliunello Störung; der Inäelzellen anzunehmen.
Es ist von Sai/erbei-k im Nachtrag zu seiner Monographie angegeber^
worden , daß er bei Kaninchen am 30. Tatre nach der Unterbindung de^
Pankreasganges sowohl Verschwinden der Inseln wie Diabetes beobachteC^
hat während bei Tieren, die weniger lange gelebt hallen, die Inseln, wi^
ScHi'i.ZE und SsoHOLKW angegeben, erhalten waren und kein Diabetes be-
standen hatte. V. Hansemaw hat diesen Untergang der Inseln als Haupt -
argument gegen die Inseltheorio vorwertet. Nach Ansicht des Referenten
zu Unrecht ; denn M*enn man ein derartiges atrophisches Pankreas einmal
gesehen hat — Referent hat iüngst 2 Hunde 80 resp. 90 Tage nach der
Oangunterbindung getotel und funü in dem einen Falle überhaupt nur noch
Körnchen als Überreste des großen Pankreas — . so muß man sich hsgea,
daß bei dem gewaltigen Schrumpfungsprozeß, den das quantitativ über-
wiegende Pankreasparenchym durchzumachen hat, 6s schon rein mechanisch
erklärlich ist, daß die ohne besondere Stütze in das Pankreas eingebetteten
Inseln allmählich auch zerstört werden. Daß nach der Zerstörung derselben
dann auch Zucker im Harn auftritt, ist nur eine Bestätigung der Inseltheorie.
Literatur tu» 1902 volUtiln^Ttg W-i SAUKaRKrK, Lur«E!<ch-Oktkbtao, Krgcbuisse, 191^,
Tl. — llurpK-SivLEB, Deulschea Anch. f. klin Med., 82',. — Kapakaschki'f, ehendft, 82.
G. ZaeUcr.
Lecithin.
LeukSmie.
S65
i
fe
K
1 Lecithin. Durch exakte Storfwechaelv^ersDcbe zeigte BOchmanx i),
daü Lecithinzufuhr den EiweiUansatz nicht begrünatig:!. wohl aber den von
phosphorhaltigem Gewehe.
Um die subkutane Anwendung zu urnjrehen, führten Bkrgell und
RAi'NSTEiN-) das Bromlecithin ein; es erwies sich wirksam bei den ver-
hiedensten Formen von Blutkrankhetten, und zwar durch Vermehrung der
roten Blutkörperchen und des Hämo^flobinffehaltes. Es kommt in Pillen zu
Ol Bromlecithin in den Hnndol.
Literatur: ') BCihsiaäm, Zeitichr. f. diät u, p?iy9. Therapie, VUi, 2 u. 3. — *>Psier
Bkboklk 1111(1 A. ÜNAi-MNiKtN , VhcT dus Lecithin und hrorolecithin. Die Therapie der Gi-gen-
art, Apiil 1905, pag. löG. E. Frry.
Lenkämie* Über die leukämischen Erkrankungen Ist in der letzten
Zeit auUerordentlich emsig gearbeitet und nuinentltch sind sehr zahlreiche
Einzelfftlie sehr genau studiert und veröffentlicht worden, so daß wir jetzt
über eine ziemlich umfangreiche Kasuistik verfügen. Die Klage von Ehrlich
und Lazarus, daß es so wenig genau nach den neuen Methoden bearbeitete
Fälle gibt, die wissenschaftlich verwertet werden konnten, hat jetzt kaum
noch Berechtigung. Die Folge dieser eifrigen Arbeit ist. daß sich unsere
Kenntnisse auf diesem Gebiet der Pathologie ständig vermehren, und daß an
ielen grundlegenden ISätzen. die bis vor noch nicht langer Zeit als festgestellte
Tatsachen galten, auf Grund neuer Forschungen wieder gerüttelt wird.
Bekanntlich unterschied Vikchow eine lienale und eine lymphatische
eukämie; bei der ersteren , wetcbe klinisch durch den Milztumor und die
ermehrung der großen Leukozyten des Blutes gekennzeichnet ist, mußte
an nach ihm den eigentlichen Sitz der Krankheit und dio Ursache der
Veränderung des Blutes in der Milz annehmen, wahrend bor der lymphatischen
Leukämie, bei welcher die Lymphozyten vermehrt sind^ in den geschwollenen
Lymphdrüsen der Sitz der Krankheit zu suchen ist.
Nachdem dann Neimanx entdeckt hatte» daß das Knochenmark bei
er Leukämie stets miterkrankt, teilte man die Leukämien ein in rein
medulläre, lienal-medulläre uml lymphatisch-medulläre. EwitLicH dagegen
kennt wiederum nur :i Formen der Leukämie, die myelogene, bei welcher
lebe Zellen vermehrt sind, die nur im Knochenmark gebildet werden, und
die lymphatische Leukämie, bei welcher die in den Lymphdrüsen, der Milz
und den übrigen l>mphatiRohen AppariUen i'ntstehenden Lyinphozyten den
auptbestandteil der erhöhten Leukozytenzahl ausmachen. Oie KHRLirHsche
Einteilung stützt feich auf das eingehende morphologische Studium der Zell-
elemente des Blutes und der Biutbildungsorgane. Ehrlith teilt bekanntlich
die Leukozyten in zwei scharf voneinander getrennte Gruppen ein, die
Lymphozyten und die granulierten Zellen. Erstere, die in der Milz, den
Lymphdrüsen und dtn anderen lymphatischen Apparaten gebildet werden,
sind ungekörnte, amöboider Bewegung und der Emigration unfähige Ele-
mente, letztere, die Granulozyten (neutrophile, eosinophile, basophile [Mast-
zellenl) sind amöboider Bewegung fähig und folgen chemotaktischen Heizen,
ihr einziger Entstrhungsort ist das Knochenmark, genetische Beziehungen
zwischen ihnen uml den Lymphozyten bestehen nicht.
' Die klinisch und anatomisch festgestellte Talsache, daß bei der my-
elogenen Leukämie, obwohl wir es mit einer Knoch^nniarkherkrankung zu
tun haben, dennoch Milz und bisweilen auch die Lymphdrüsen sich als be-
teiligt erweisen, findet darin ihre Erklärung, daß Milz und Lymphdrüsen
bei den genannten Leiden nur aus Zellen bestehen . wie sie sonst im
Knochenmark vorkommen. Die Affektion dieser Organe wird als eine sokun-
äre. metastatische aufgefaßt.
Maßgebend für die Diagnose einer Leukämie ist stets der Blutbetund,
man nur auf diesem Wege eruieren kann^ woher die pathologischen
23*
356
Leiikfimie.
Zellen stammen. Die Existenz eines noch so großen Milztumors und noch m
mächtiger LymphdrOsenschwellung allein kann niemals fQr die Diagnose Aat
Art der Leukämie ausachlap:p^ebend sein.
Zu einer Modifikation des RHFd.irnschen Schemas n5tigteD Befunde von
Walz, Pappenheim, Körmimzy und Dexmg, welche Fälle von akuler und
chronischer lymphatischer Leukämie beschrieben haben, in welchen ifd«
Milz- und DrQsenbyperplasie auch mikroskopisch fehlte, bei denen aber du
Knochenmark lymphadenoid umgewandelt war. Damit war also bewiestn.
daU es nicht nur eine myelozytische Leukämie myelogener Art. sondern Aucb
eine lymphozytiscbe Leukämie gibt, die auf einer Knochenmarkatfektiü&
beruht. Diese Form der Leukämie, die Ehrlk ii noch nicht bekannt war.
erkennt PiNKUs ki der Fortsetzung des EiiULtciischcn Werkes ausdrQcklich so
Nachdem aber so die Existenz einer lymphatischen myelogenen L«t-
kämie nachgewiesen war, muüto der Name myelogene Leukämie fflr die sr-
sprünglich von Ehrlk h so genannte Affektion fallen gelassen werden und
PiNKLS bezeichnet sie daher, wohl im Einverständnis mit Ehrlich, ebenso
wie Lazari's, als myeloide Leukänue. Pappenheim hat dann den Namw
gemischtzellige Leukämie vorgeschlagen, um anzudeuten, daß nicht nur dlf
von Ehhlich als Knocbenmarkelemente gedeuteten granulierten Zellen, son-
dern auch die Lymphozyten dabei im Blut vorkommen . deren regelmäüic«
Anwesenheit und Bildung im Knochenmark er vornehmlich verfochten hat
Der Blutbefund der myeloiden Leukämie ist ein so typischer, dafl msA
aus ihm allein die Diagnose stellen kann. Der Orad der Vermehrung der
farblosen Zellen ist dabei nicht das ausscblag:gebende Moment, vielmtbr
kommt es auf die morphologische Eigenart und das Misch ungsverbUtal»
der einzelnen Leukozytenarten an. Außer den getnpptkernigen neatrophilea
Zellen findet man auch ihre Vorstufen, die uninukleären. neutropbil gekMH*
ten Leukozyten, die sog. Myelozyten, im Blut, ebenso eosinophile Myeloiytea.
Ks besteht ferner als unumgängliches Postulat zur Diagnose »myeloide Leu*
k&mie«, daß eine relative und absolute Vermehrung der Mastzellen and der
Eosinophilen vorbanden ist. Ferner treten atypische Zellformen — Zwerr*
formen, Mitosen — sowie kernhaltige rote im Blut auf.
f^ber das Verhalten der Lymphozyten und der großen mononakieAna
Zellen macht Ehrlk h selbst keine Angaben. Nach Lazarls, der den g^eoaiHO
Blutbefund einer größeren Zahl von Fällen mitteilt, ist Ihre Zahl tiat
zweifellos herabgesetzte und erreichte in keiner der untersuchten Blatart«ft
den normalen Wert von 22 — 25° o* Nach den Erfahrungen des RefereoUS
ist die Zahl der Lymphozyten und großen monontikleären ebenfalls stets
bedeutend vermindert, und er hat wiederholt myeloide Leukämien unter-
SQcbt. in denen die genannten Zellen so bpärlicb vorkamen, daß man bst
oberflächticber Betrachtung der Präparate ihr gänzliches Fehlen hAtte an*
nehmen kOnncn. Diesfs Verhalten der ungekörnten niononukleären L^ako-
zyten hängt zweifellos wohl mit der myeloiden Umwandlung der MiU lad
Lymphdrüsen bei der myeloiden Leukämie zusammen, die in verscbivdcs
hohem Qrade entwickelt sein kann.
Je mehr niyeloides Gewebe in Milz und Lymphdrüsen vorbanden, dssio
geringer muß die Zahl der dem Blut gelieferten Lymphozyten sela. M»
kann also aus der Zulil der Lymphozyten und mononukleären Zellen [o
Blut bei der myeloiden Leukämie einen gewissen Rückschluß auf die Struktur
von Milz und von Lymphdrüsen ziehen.
Die strenge Definition und Umgrenzung des Krankhoitsbildes dtf
myeloiden Leukämie, die Ehrlhii gegeben hat und die eben skizziert wufdi.
läßt sich aber nach neueren Beobachtungen nicht mehr aufrecht erhall*^
Ks gibt xwnifellos Fälle, in welchen eine relative and absolute Vermehroflf
der eosinophilen Zellen und Mastzellen fehlt, in denen bisweilen sogar b«^
Leukflmie. 357
Zellarten andauernd vermißt werden und die dennoch wegen ihres klinischen
Verlaufes , des Blutbefundes sowie der anatomischen Veränderungen der
Blutbildunf^sorfcane nur der myeloiden Leukämie zug:erechnet werden können.
Einif^e dieser Fälle, beispielsweise der von v. Jaksch mit|B:eteilte , weichen
nur bezflgrlich der ^erin^en Men^e der eosinophilen und Mastzellen von dem
typischen Bilde ab. In der Mehrzahl der mitgeteilten Keabachlungen waren
die Werte för die Zahl der loten Blutkörperchen auffälliif gerin^^e, weit
niedrigere, wie man sie trewöhtilich bei der myeloiden Leukämie anzutreffen
pflegt. In allen Fällen waren auch die Leukozytenzahlen auffällig niedrige,
bisweilen sogar normale. Diejenige Anomalie des ßlutbefundes. welche dazu
zwingt, diese Fälle der myelogenen Leukämie zuzurechnen, ist der durch-
gehend sehr hohe Wert für die Myelozyten. Die Lymphozytenwerte waren
normal oder ebenfalls auffällig geringe. Soweit Obduklionsbcfunde vorliegen,
l&ßt sich aus denselben der Schluß ziehen, daß Knochenmarksveränderungen
leukämischer Natur vorlagen. Weder klinisch, noch pathologlsch-anatuiuisch
kann in diesen KäKen. die alEi-rcling» teilweise unter anderer Bezeichnung,
z. B. Anaemia splenica oder Anaemia splenica pseudoteukaemica oder Sple-
nomegalie chronique avec anenite et inyelemie in der Literatur autgeführt
werden, eine andere Diagnose als rayeloide Leukämie gestellt werden (siehe
mein Sammelreferat über diesen Gegenstand Fol. haem. 1904).
Einen sehr bemerkenswerten Fall dieser Art hat vor kurzem auch
TOkk mitgeteilt. Kin o4jÄhriger Mann litt seit Februar 11»04 an zunehmender
Schwäche, Schwellung des Bauches, Wadenkrämpfen, Magenschmerzen. Es
wurde eine groUe^ bis nahe an die Mittellinie und nach unten bis zur Mitte
von Xabel und Symphyse reichende Milzschwellung konstatiert, eine miiÜige
Leberschwellun? und Druckschmerzhaftigkoit des Sternuras, keine Drüsen-
schwellungen. Die Zahl der roten betrug 5.53:iÜ0Ü — 5,670.000, die der
weißen 2Ü.8ÜÜ — 25.400. Viel Polychromasie, wenig Mikro- und Poikilozyten,
ziemlich viel Erythroblasten. Unter 80'*/o neutrophilon waren 16 — 20^^ Myelo-
zyten, 8 — SVsVü Lymphozyten, 4^0 atypische große Markzellen, Mast-
xellen l"! — ^'o^o. Die Eosinophilen waren beträchtlich vermindert, doch
fanden sich vereinzelte eosinophile Myelozyten. Durch die geringe Leuko-
sytenzahl und die Verminderung der Eosinophilen unterscheidet sich das
Blutbild von dem typischen der myeloideu Leukämie. Derartige Erkrankungen
möchte TCrk analog semer noch spater zu besprechenden Nomenklatur der
lymphatischen Leukämien als submyelämische bezeichnet wissen, also ge-
wissermaßen als myeloide Pseudoteukämie. Über die Berechtigung einer
solchen Benennung liilit sich streiten; ich glaube. PAr'i'ENHEiM hat recht, wenn
er in einer kritischen Bemerkung zu einem Autoreferat obiger Arbeit in den
Fol. haem., 1904, Nr. iL*, png. 750 sagt, dati nur ein gemischtzelliger Blut-
befund ohne Hyperloukuzytose klinisch als myeloide Pseudoleukämle be-
zeichnet werden darf.
Auch ein Fall von Moritz wäre hier zu erwähnen.
Der Unterschied zwischen dem eben erwähnten TüRKschen und den
anderen in der Literatur mitgeteilten atypischen myeluiden Leukämien
(v. J.4KSCH, Simon, Wfjl et Clerc, Freuxd, King, Jaweix, Osler, J.ackson)
ist nur ein quantitativer.
Zum Teil war die Leukozytenzahl gar nicht vermehrt, zum Teil fehlten
eosinophile oder aber Mastzpllen gänzlich. Die Wesensgleichheit solcher Er-
krankungen mit der typischen myeloiden Leukämie wuro dunu erwiesen, wenn
es gelänge, itn Verlaufe typischer Fälle myeloider Leukämie Änderungen
des Blutbildes im Sinne der erwähnten atypischen Formen zu entdecken.
Derartige Beobachtungen liegen bisher nicht vor, wenn man von den
anders zu deutenden Remissionen spontaner Natur im Verlaufe von Infek-
tionen und unter der Einwirkung von Röntgenstrahlen absieht.
358
Leukflmic«
Ich bia nun in der La?e, diese Lücke darch einen Fall auszut<cii.
den ich selbst beobachtet habe und an anderer Stelle in extenso veröÜcBt-
lichen werde. (Ist inzwischen geschehen: Berliner klin. Wocfaenschr. 1%^
Nr. 31.)
Es handelte sich um einen Patienten mit dem typischen kÜDlsebM
Symptomenkomplex der oiyeloiden Leukämie. Die Zahl der eosinophilen und
MaBt7cllen war relativ und absolut verniohrt. In sehr desolatem Zustand
kam der Kranke nach einigen Wochen wieder in die Beobachtung. Kr xeigtt
ietzt Symptome schwerster Anämie. Iiu Blute waren zahllose Normo- aa4
Meiraloblasten . die Myelozyten waren noch in betrü-htlicher Menpe rw-
banden, wahrend die eosinophilen und Mastteilen allmählich franx aus d«m
Blut verschwanden. Die Obduktion er^ab anatomisch die bekannten leuU-
mischen Veränderungen. Milz und Lymphdrüsen zeif^ten mäßig« Gn^l
myeloider Umwandlung. Das Knochenmark enthielt neben fp'oßen Lyrapho-
jtyten nur polynuklouro und mononuklpäro ncutrophilo Kleniente, verein«ll
l^sinophile, g.ir keine Mastzellen.
Wäre dieser Fall nur im letzten Stadium zur Koobachtung gnfrnmnm.
so vvQrde ihn mancher Autor gar nicht als myeloitfe Leukämie betraeblat
haben. Dennoch über kann er nur als solche angesehen werden, wis dl«
frühere Beobachtung erweist. Unter dem Rinflusso einer unbekaantet
Xoxe hat sich hier aus einer typischen myeloiden Leukämie ein hämalo-
logischer Symptoinenkomplex entwickelt, wie er wiederholt auch i-
scheinbar ohne Zusammenhang mit einem frOheren typischen myeloider >
befund beschrieben worden ist.
Ich meine, daU solche Fälle wie der nieinige doch zur Rvideox be-
weisen. daU es uiyelotde Leukämien auch ohne relative und absolute Xtt*
mebrung der eosinophilen und Mastzellen gibt.
Wesentlich verschieden von dieser Auffassung der beschriebenen Flll*
atypischer myeloider Leukämie ist die Erklärung . welche F^Ai'i'BNReiu too
denselben gegeben hat (Zeltschr. f. klin. Med., LH, pag. l'Gl* u. 270) Stxh
ihm handelt es sich um besondere Formen lymphadenoider PsondoleDk&mira
medullären Sitzes, also Pseudomyeloidleukämien, welche ähnlich wie dif
metastatischen Sarkome und Karzinome des Knochenmarkes (siehe die Fällt
von li^KAEL-LEYiiK.N, FitESK. Hins( HFKLü, KiRpJL'WEiTj einen Reiz auf das benach-
barte Mark ausQben. welcher sowohl das leukoblastische wie erythrobtasÜKhe
Qewebe in Mitleidenschalt zieht und zu Keizungsmyelozytose sowie dem
Auftreten von Megalo- und Xormoblasten und anderen pathologischen roUa
Blutzellen IQhrt
Die Möglichkeit der Entstehung solcher Blutbilder durch lymphadenoid»
Psendoleukämie des Knochenmarkes lohrtcn neben den bereits erw&hoteo
Fällen metastatischer Tumoren medullären Sitzes eine Reihe neaer Baob-
achtungen lymphatischer Leukämien mit ziemlich zahlreichen Myeloiytfo
(cf. besonders Ki.Kix, L. Mkhaki.i.s Pappemikim, Nt'KAM, A. WoLpr), Trotidtm
halte ich die PAri'EXHKiMsche Erklärung nicht für zutreffend. Krat«a« Ih^f^
mon in den bisher mitgeteilten F'ällen, soweit ein genauer ßlutbelund tar
Hegt, niemals so exzessiv hohe Myelozylenwerte, zweitens aber fehlt ^
diesen PAPiT.MiEiMschen sog. Psoudomyeloldleukämien bisher noch durcbtui
der histologische Nachweis, daß wirklich eine lympbadenoide Pseudoleuk&oii*
^os Markes vorgelegen hat.
Ich glaube, daU eine vergleichende Betrachtung aller bisher bosebri**
benen Fälle und insbesondere die Kenntnis des letzten von mir selbst bt-
obacbteieo, in dem der Übergang einer ganz typischen myeloiden Leukäni*
in eine solche sog. I^seudomyeloidleukämie Papiexheim festgestellt werdtf
konnte, dazu berechtigt, alle diese Fälle als wahre myelolde Ldok&miM B^
abweichendem atypischen Blutbefund aufzufassen.
Leukämie.
35&
Von besonderem Interesse ist es nan, daß auch Fillle akuter myeloider
Leukämie bekannt geworden sind . die be/.Q^Üch des Rlutbefundes von
der typischen KHKLinischen Form abweichen und der eben genannten Gruppe
durchaus gleichen, nur daü die geringen Werte für Hämoglobin und die
Zahl der roten Blutkörperchen noch ausgesprochenere sind. Ich verweise
bezüglich der Literatur auf mein oben erwähntes Sammelrelerat. Seitdem
rt auch von TOrk ein solcher Fall beschrieben worden.
Die Tatsache, daß in vielen derartigen Füllen der morphologische
Blutbefund die Kriterien der Leukämie mit denen der perniziösen AnJimie
vereint, hat LErBE veranlaßt, für derartige Affektionen den Namen »Leuk-
ananite< vorzuschlagen.
Übrigens sind auch derartige FUlle beschrieben, die nach dem Ver-
halten der Leukozyten der lymphatischen Leukämie zugerechnet worden
müäsen (KöRMruzi, Lt<^E). Der Ansicht Li'cKs. daß der Leukanämie in den>
Kreise der Erkrankungen des hiimatopoettschen Apparates keine Sonder-
Stellung gebührt, sondern daß sie nur als ein Symptom aufzufassen ist,
stimme ich durchaus bei; sie ist nur eine der morphologischen Ausdrucks-
formen. mit welchen die Biuthiidungsorgane gegen die mannigfachen auf sie
einwirkenden Schädlichkeiten reagieren können. Ob ober seine Theorie, daß
die Ursache der schweren Anäinio dieser Fälle in einer Reizung des
Krythroblaatengewebes durch Wucherung der farblosen Kiemente zu suchen
sei und nicht vielmehr ihre Ursache auf einer besonderen Eigenschaft der
unbekannten Noxe beruhe, will ich dahingestellt sein lassen.
Die Existenz einer myeloiden Pseudoleukämie wurde bisher besi ritten.
Die dernrtigH Bezeichnung einiger ältfrer Krankheitsfälle (Baumgx fiten,
NoTiiN'AiJEi,) läßt sich auf ürund unserer jetzigen Nomenklatur nicht mehr
aufrecht erhalten. Analog den Verhältnissen der lymphatischen Leukämie
müßte man als niycloide KseudoleukämJe einen Zustand bezeichnen, bei dem
alle Elemente des Knochenmarks gleichmütig prolileriert sind und dementspre-
chend im iJlute keine Vermehrung der farblosen Elemente gefunden wird. Die
uiultipten Myelome konnte man bis jetzt nicht hierher rechnen, weil sie aus
lymphadenoidem Gewebe bestehen; nun sind aber neuerdings von Mac Cal-
UM, Parker Weber und Sterxberg Fälle von Myelom beschrieben worden,
in denen die Tumoren ganz aus Myelozyten neutrophiler Art bestehen.
Solche Fälle kann man mit einer gewissen Berechtigung als myeloide Pseudo-
leukämien bezeichnen. Es sind zwar nicht alle, aber doch wenigstens eine
Art spezifischer Knuchentcarkelemento vermehrt und schwerere Blutverän-
derungen , abgesehen von Anämie ^ scheinen zu fehlen. Mit einer gewissen
Berechtigung darf man wohl diese Fälle mit Weber als myeloide Pseudo-
leukämie bezeichnen bzw. sie wenigstens als ein Analogen der gewöhnlichen
(iymphadenoidtn) Pseudoleukämie betrachten. Es muß aber bemerkt werden,
daß die nahe Verwandtschaft, die zwischen lymphatischer Pseudoleukäraie
und lymphatischer Leukämie besteht, zwischen der myeloiden Psendoleakämie
und Leukämie nicht vorhanden zu sein scheint, soweit die wenigen bisher
vorliegenden Berichte einen Rückschluß ertauben. Besonders ist zu beachten,
daß bei der myeloiden Fseudoleukämie es sich um zirkumskripte Tumoren
handelt, bei der lymphadenuiden um diffuse Proliteration.
Nach diesen Auseinandersetzungen möchte ich versuchen, auf Grund
des bisher vorliegenden Tatsachenmaterials die ganze Qrappe der myeloiden
Leukämien bzw. leukämieähnlichen Prozesse in ein System zu bringen. Da
es. wie wir gesehen haben, Knochenmarksveränderungen ohne leukämischen
Blutbefund gibt, ist es zweckmäßig, für die ganze Krankheitsgruppe den
Namen Leukämie fallen zu lassen und in Anlehnung an die Nomenklatur
TfRKS für die lymphatischen Leukämien, die er alsLymphomatosen bezeichnet,
alle leukämischen und leukämieähnlichen Affektionen des Knochenmarkes
360
Lcukfimie.
Myeloniatosen zu nennen. Die Myelomatosen mit Blutveränderun^en wirni
dann um besten als myelämische Myelomatosen zu benennea, die ohne leii>
k&miache Blutveränderungfen amyel&mische.
Die uiyelämischen Myelomatosen zerfallen in die typische EhklichscIn»
myeloide Leukämie, deren Charakteristikum bezüglich des Blutbefandes üehn
der absolut fast stets beträchtlich vermehrten Gesamtzahl der Leukozytn
eine abeolute und relativ vermehrte Zahl der eosinophilen und Masttella
ist, sowie in die atypischen niyeloidon Leukämien, bei welchen entweder nv
eine der letztgenannten Zellarten oder aber beide vermindert sind oder
sogar teblen. die Gesamtzahl der Leukozyten gar nicht oder nur in g^ering;«ts
Grade vermehrt ist und die begleitende Anämie meist eine hetrSchtlidttte
ist als bei Gruppe 1.
Als amyelämische Myelomatosen bezeichnet man am besten die mal*
tiplen Myelome, die aus Myelozytengewebe besteben, um absichtlich di»
Bezeichnung myeloide Pseudoleukämie zu vermeiden, da sich das Krank-
heitsbild anatomisch und auch klinisch nicht völlig mit dem der lymphatiscfan
Pseudoleukämie deckt.
Das Schema würde also so aassehen :
Myelomatosen
typische EnRucu
«che royoloidt'
Lf'UkUmie
royplAniiflclie
/■'\
ainyrlitmi»che
(multiples IIyt*lotn, Typus Sic
Hac C&llcn-Wbbki)
Grand
atypische Form
Jikute chroniK'he
Auch die Lehre von der lymphatischen Leuk&mie hat auf
neuerer Forschungen in mannigfacher Hinsicht Modifikationen erfahreo- Si«
ist nach Khrlich und Lazxri's streng von der gemischtzelligen Form to
trennen und ihre Ursache muß lediglich in einer Froliferation der Lympbo
zyten, in den Lymphdrüsen der Milz und den übrigen lymphatischen ApparaUa
gesucht werden. Irgend eine Rolle des Knochenmarkos bei der lymphatischM
Leukämie wird von Pinkis bestritten, der selbst den Beweis erbracht bat
daü aus Lymphomen Lymphozyten in den Kreislauf Obertreten. Denn man
sieht die abführenden Lymphgefäße Rolcher Bildungen mit Lymphoiyt^a
vollgepfropft. Bei der lyuiphatischen Pseudoleukämie kann sich wohl iD
allerersten Anfang das Blut völlig normal verbalten, in der Mehrzahl der
Fälle aber ist eine relative Lymphozytose das Charakteristikum der pseado
ukämischen Btutveränderungen. Anatomische bzw. histologische Vn
iede zwischen lymphatischer Leukämie und Pseudoleukfimie beatei
nicht. Worauf es nun aber beruhts daß trotz gleicher anatomischer Drfi
Veränderungen das einemal nur Pseudoleuk&mie, das anderemal lympbati
Leuk&mie entsteht, wird von Ehrlich und Pinki's nicht erklärt. Die
diogungen, welche erfüllt sein müssen, daß es entweder zar lymphatis
Leuk&mie oder aber zur Pseudoleukämie kommt, hat dann Pappkkikui.
fußend auf den Nkiua wachen Forschungen, aufzuklären versucht Aocti er
ist der Ansicht — im Gegensatz zu Ehrlich, Lazaris, Pinki's — , daß btl
Jeder Form der Leukämie das Knochenmark miterkrankt sei. Kr hat daraof
hingewiesen, daß bisher noch kein Fall von Leukämie mit intaktem KnocbM*
mark beobachtet werden konnte und ist der Ansicht, daß lymphatiaek*
Leukämie und Pseudoleukämie anatomisch voneinander nur d»durefa C*"
schieden werden können, daß bei der Pseudoleukämie keine VerAnderUBfB
im Knochenmarke da zu sein brauchen.
Zwar hat man auch bei der Pseudoleukämie wiederholt lympbaUse^
Wucherungen Im Knochenmark nachgewiesen, dieselben waren aber inua*'
ssao^^^l
LeukAmie. g61
nur zirkumskripte. Sowie es zn einer diffusen lymphatischen Umwandlung
des Knochenmarkes kommt, entsteht aIso eine Lymphozytcnleukämie. Dieses
Biets vorhandene Miter^^riMensein des Knochonmarkes ist aber nicht als eine
Metastase aufzufassen, sondern als ein selbständiger äquivalenter Koeffekt
desselben leukämischen Reizes, der die Wucherung des Milz- und Drüsen-
irewebes erzeugt bat. Demnach ist also die Lymphozytenleukämie. wie
Pappenhf.im meint, stets myelogener Natur und \e nach dem Befallensein
des Knochenmarkes allein oder der Mitbeteiligung von Lymphdrüsen und
Milz ist sie entweder eine rein medulläre, eine lymphatischmedulläre, eine
lienalmoduUäre oder viertens eine lymphatisch-lienal medulläre Form.
Trotzdem steht Pappknhkim nicht auf dem unitarischen Standpunkte
von QiiwviTZ und Lenoble, welche in der Leukämie schlechtweg eine Knochen-
markkrnnkheit sehen. Nach ihm ist nur die myeloide Form eine Knoclien-
inarkkrankheit, dagegen die lymphatische Leukämie eine myelogene Lokali-
sation einer konstitutionellen Erkrankung des gesamten lympbadenoiden
Gewebes. Auf diesem verschiedenen Wesen beider Krankheiten beruht auch
die Natur der dabei beobachteten Metastasen. Bei der lymphatischen Leu-
kämie treten, ebenso wie bei der Pseudoleukämie überall dort Metastasen
auf. wo retikuläres Gewebe präformiert ist, während bei der myeloiden
Leukämie nur Milz und Lymphdrüsen myelämisch mctaplasieren. Dio
Metastasen der lymphatischen Leukämie sind nicht als Metastasen im ge-
wöhnlichen Sinne, sondern als autochthone Lymphome, als aktive selb-
ständige Proliferationsprodukte aufzufassen, dagegen die Metastasen bei
myetoider Leukämie auf passiven Transport von Knochen markelementen
auf dem Blutwege zurückzuführen, also als wirkliche echte Metastasen an-
zusehen. Wegen dieser Wesensverschiedenheit beider Erkrunkungsformen
leugnet pAprßXHKiM auch die Möglichkeit von Übergängen der einen Form
in die andere.
Wfihrcnd Eheilh u und Pinkis über einige Erkrankungen der Blut-
bildungsorgane, deren Natur bisher nrcht klargestellt war, wie Lynipho-
sarkomatosef multiple Myelome und einige andere in der Literatur unter
den verschiedensten Namen mitgeteilte Erkrankungsformen, bezüglich ihrer
Stellung im System sich nicht näher äußern, hat es Pappknheim versucht,
alle diese Affektionen zusammen mit der Pseudoleukämie in ein System zu
bringen. Er unterscheidet folgende Formen der Pseudoleukämie, die ihrer
pathologisch-anatomischen Beschaffenheit nach stets auf einer Wucherung
lympbadenoiden Gewebes beruhen.
1. Die rein lymphatische F'orm, die typische lymphatische Pseudo-
leukämie. die sieb lediglich in einer Schwellung der Lymphdrüsen äußert.
2. Die lienale Pgeudoleukämie, bei der lediglich die Milz infolge Follikel-
Schwellung vergrößert ist.
3. Eine rein myelogene Form von Pseudoleukämie, bei der im Knochen-
mark Anhäufungen wuchernder Lymphome gefunden werden. Hierzu rechnet
er die multiplen Myelome sowie die als Lymphadenia ossium beschriebene
Krankheit, unterscheidet also eine zirkumskripte und diffuse Erkrankungsrorm.
4. Eine lymphatisch-lienalo Form, bei der Lymphdrüsen wie Milz ge-
P schwollen sind.
5. Eine lienal-uiyelogene Form, bei der Milz and Knochenmark lympha-
denoid hyperplasiert sind.
6. Eine lymphatisch-myelogene Form, bei der Lymphdrüsen und Knochen-
mark affiziert sind.
7. Endlich eine lymphatisch-lienal -myelogene Form, bei der Lymph-
drösen, Milz und Knochenmark lymphadenoide Struktur aufweisen.
Lymphosarkomatoae und Pseudoleukämie sind voneinander nur dadurch
unterschieden, daß die Lymphosarkome die Neiguog zur schrankenlosen
36:»
Leukämie.
Wucherung: haben. Wäbrenrl auf der einen Seite das LymphoBark.oiii>MlW
Zwischenstufe bildet zwischen malignen Lymphomen und sonstl^a SB^
komen, vermittelt wiederum das Lymphom selbst wegen seiner matifoc«
Oenerulisierunß und schlechten Pro);no»e den l'ber^ani; von einfachen Hvp«^
plasien zu bCs&rtigen GeschwuUtbilduueen. Ähnliche Beziehungen, wie zwiscbei
lyoiphatiacher bzw. Uenaler Pseudoleukämie und Lymphosarkom beetebci
zwischen den multiplen Myelomen und der Myelosarkomatosis.
Schon vor Pai'I'knheim hat TCkk auf die engen verwandtsch&fUich«!
Beziehungen zwischen Pseudoleukämie und Lymphosarkomatose auf GmaA
eingehender eigener Beobachtungen und Untersuchungen hingewiesen. Kr
bat vor allen Dingen behauptet, daU eine anatomische Wosensgleichheit der
Zellelemente heider Erkrankungen existiert. Er spricht sich dafür aus, dn
Namen Pseudoleukilmie, dem ein einlieitlJcher Krankheitsbegriff nicht mehr
entspricht, vollkommen fallen zu lassen. Die Krankheitsformem die man xon
Teil der Pseudoleukämie, zum Teil der Lymphosai komatose zurecboelf
stehen zueinander in engster genetischer Beziehung, so daß es onmerklicb«
und allmähliche Übergänge zwischen ihnen gibt. Einige Zeit später, im Jahre
llt03, hat TCrk seine Anschauungen in eirer größeren Arbeil, betitelt: »Kin
System der Lymphomatoser«, ausTQhrlicher niedergelegt onttr Beibringutf
eines großen, selbfct beobachteten Materials. Kr bezeichnet als Lyn)pbü'
matosen alle diejenigen Erkrankungen, welche auf einer krankhaften Wachs*
tumssteigerung des lymphoiden Gewebes bzw. der lyuiphatischea Apparat?
beruhen. Die von Paut.mk und Steunberg eingehend studierten und alf
Affektionen tuberkulöser Natur erkannten, äußerlich der Pseudoleuk&iole
sehr ähnlichen Erkrankungen geboren nicht in diese Gruppe. Je nach dvn
BlDtbefund unterscheidet TChk alymphämische, sublymphfimische und lympb-
ämiscbe Lymphomatosen. Im alymphämischen Stadium sind keine nach-
weisbaren Blutver&nderungen vorhanden. Pinki's hat bekanntlich behauptet
daß derartige Fälle, die äußerst selten zur Beobachtung kämen, falls s(e
überhaupt /.ur Pseudoleukämie gerechni't werden könnten, höchstens als, elo
ganz vorQbergehendes Vorstadium derselben aufzufassen wären. Mit Rtcht
weist TCkk darauf hin. daß absolut keine Berechtigung dazu best&nde. die$*
Formen von den eigentlichen Pseudoteukämien zu trennen. Er seibat bat
einige Fälle beobnchtet, in denen jahrelang bei allgemeiner LymphomatoM
keine Blutver&nderungen vorhanden waren, während in späteren Stadien
eine relative Lymphozytoso sich einstellte. In die sublymphämische Gnippt
rechnet er alle mit relativer Lymphozytose eiohergchenden ErkrankaDfM*
versteht also hierunter die eigentliche PiNKussche Pseudoleukämie. DI«
lynipbämische Form endlich ist die lymphatische Leukämie mit relatir«r
und absoluter Vermehrung der Lymphozyten. Zwischen allen diesen Foraca
bestehen, wie exakte Beobachtungen erweisen, nur graduelle Unterschied*
Die pAiTEXEiHiUficho Ansicht, daß es nur dann zur Lympbfimie komme, weaa
das Koochenroark lymphadenoid umgewandelt wäre, bekämpft TCuR eat-
ftchieden. Er hat Fälle mit Lymphämio beobachtet, in <tenen klloisch l9dm
Symptom einer Markerkrankung fehlte und andrerseits solche, in d«a«8
Symptome einer Markerkrankung vorhanden waren, aber trotzdem k^
Lympbämie bestand. Nach ihm bedarf es der PAPt>E\HKiu-NEi'U\N.\selMD
Ansicht von der wichtigen Rollo der Markerkrankungen für das Zustaoi»*
kommen der Lymphämie gar nicht Daß die Lymphdrüsen dem normsl«
Blut die Lymphozyten liefern, ist sichergestellt, und es ist gar nicht sis*
zusehen, warum es nicht auch die erkrankten tun sollen. Bei Haullymphomeo
hat l'iNKis direkt nachgewiesen, daß dieselben Lymphozyten an die ZirkU'
lation abgeben, indem er feststellte, daß die abführenden Lymphbahn»n ffli^
Lymphoz>ten vollgepfropft m^aren. Wahrscheinlich ist die lymphadenoiil*
L'mwandlung des Knochenmarkes nur ein Spätsymptora. Zur Erklärung, ^
Lcukfiniie«
3Ü3
I
tu einigea Fällen bei anatomisch v511ig gleicher Struktur der erkrankten
Lymphdrüsen es zur Lymphamie kommt und in andern nicht, meint er, daß
man einem besonderen, in seinen feineren Funktionen noch nicht erkannten
Re^olationsmechanismus der Zellanssehwemmun^ annehmen müsse. Dort,
wo aus irprend welchen Gründen die Zellausächwemmung nicht regulär statt
finden kunne. käme es zur PäOudoleukUmie, dort, wo sie nncfehindert sei,
zur Lymphämie.
Die Behauptung von Pikkis, daÜ Pseudoleukämie nicht in Lenkämio
übersehe, ist unzutreffend. TDrk selbst hat solche Fälle beobachtet, unter
andern einen solchen, wo man auf Grund des Blutbefundes zeitweise eine
Pseudoleukämie, in andern Perioden aber wieder eine lymphatische Leukämie
diagnostizieren muüte. Eine (genauere Betrachtunicr des Hegulationsinechanls-
mus der Zellausschwemmunjc führt auch dazu, einen tieferen Einblick in die
Beziehungen zwischen Pseudoleukämie und Lymphosarkomatose zu gewinnen.
Das Charakteristikum der Lymphosarkome ist ja bekanntlich die schranken-
lose Wucherung in die Nachbarschaft. Ks ist nun klar, dnß dort, wo diu
Zellabfuhr gehindert ist, aber dabei eine groUe Neij^ung zur Proliferation
besteht, die Lymphome einen aggressiven Charakter annehmen werden. Hit^r-
mit stimmt auch'die Beobachtung Qberein, duU die LyDiphoaarkome nur
selten zu lymphämischen oder sublymphäraischen Hlutveränderuneen führen.
»Die lokale Airffressivität ist das Produkt eines tüv die örtlichen Verhältnisse
Izn grotien Mißverhältnisses zwischen Zellwuchorung und Zeltabf^hr.^ TCRK
Stellt folgendes Schema der Lymphomatoson auf;
r Lyraphomnto«i**n
»
lit gutnrtlgL-m Wnchatuiii
I
1. AlymphämiHche t— Psoiido-
2. atiblymphitniischel k'ukilmi<^
3. lymphümUehe — lymphutir^t^lie
Leukäuiie
mit akutem Wachstum
I
a} i^ut artig-akute Leukümiu
^- alymphiinil;fC'li
bj bÜsartig = Ghlürom— HtililympliHmlsuh
\ lympliärniach
mit chroDicclieai WaehBtiitii
a) Lyuiphoaarkoni
li) Cblorom
Er unterscheidet also Lymphomatosen mit gutartigem Wachstum, eine
Gruppe, zu welcher die früher sogenannte Pseudoleukämie und die lympha-
tische Leukämie gehnren. Zweitens unterscheidet er Lymphomatosen mit
t, akutem Wachstum. Hierzu gehört als gutartige Form die akute Leukäuiie
[und als bösartige Form das Chlorom. das sowohl in alymphäiniacher wie sub-
lymphämischer, wie auch lymphämischer Form beobachtet wird. Zur dritten
Gruppe, die ein chronisch bösartiges Wachstum auszeichnet, gehören die
Lymphosarkome^ die einmal in verallgemeinerter Form vorkommen, andrerseits
aber auch rein lokal bleiben können.
■ Zu ganz ähnlichen Schlußfolgerungen kommt au! Grund zahlreicher
'^Beobachtungen Klki\. Im Gegensatz zu Plnki's erkennt er auch solche
Fälle als Pseudoleukämie an, wo eine relative Lymphozytose fehlte und
spricht sich gegen die scharfe Trennung von Pseudoleukämie im Sinne von
PiNKUS und von lymphatischer Leukämie aus. In Anbetracht des Mangels
Miner deutlichen Grenze beider Krkrankungsformen hält er es für zweck-
''mäßiger, beide als ein einziges Leiden von verschiedener Intensität aufzu-
fassen. Die lymphozytische Pseudoleukämie ist immer und von vornherein
als Lymphozythämie zu betrachten. Im Gegensatz zu Neumanx und Pappen-
iiEiM und mit TI'hk hält er eine lymphadenoide Umwandlung des Knochen-
marks nicht für unumgänglich notwendig zum Zustandekommen einer
Lymphämie. Die Annahme der NKl^MA.^■N-PA^'I•ENHElMsch€n Theorie müßte zur
Annahme zwingen, daß auch die normalen Lymphdrüsen keine Lymphozyten
liefern. Dagegen spricht besonders eine Beobachtung von ihm. daß in ver-
schiedenen FälEea von zweifelloser Lymphozytenleukämie im Verlaufe des
364
Leukämie.
Leidens so erhebliche Schwankungen der Leukozytenzahl vorkamen, da6
wochenlang: eine bloß relative Vermehrung derselben vorlag. Ks ist unver-
ständlich, warum das Knochenmark^ wenn es wirklich die ihm zug^eschriebene
Rolle spielte^ zeitweise ganz versaf^en sollte. Zur Erklärung des verschie-
denen Lymphozytenffehaltes zieht Kleix mechanische Momente heran. Er
g:laubti daß die wachsenden Drüsen einen Druck auf ihre Vasa efferentia
ausüben, eine Hypothese, die aber nach Ansicht des Ref. zur Erklärun(r
nicht ausreicht . weil dann bei besonders g^rolien Drüsentumoren niemals
Lyniphozythämie bestehen dürfte. Klein glaubt, daß der Unterachled zwischen
Leukämie, LymphoHarkomatose und Pseudoieiikamie hämatologisch wie ana
tomisch ein lajanz unbedeutender ist. Die Blutverihulerungen bei der Lympho
matüse haben, da sie nicht konstant anzutreffen sind^ nur sekundären unter
geordneten Wert und lodi;;lich symptomatische Bodeutuni?.
Ganz neue Anschauungen über die lymphatische Leukämie hat Stern
BERG auf Grund von Untersuchungen an 7 Fällen und einem kritischen ■*
Literaturstudium aus|?esprochen. Nach ihm müssen die Fälle mit Vermeh-
runp: der kleinen Lymphozyten panz scharf von denen mit Veraiehrunff der
(großen Lymphozyten (getrennt werden. Erstere grehören der eifjenl liehen
lymphatischen Leukämie an, letztere aber müssen wegen der atypischen
Wucherung der Zellen als Lymphosarkome aufia:efaßt werden. TCrk hat
sich aber (cepen diese scharfe Trennung beider Formen gewandt. Er
hat den Nachweis führen kdnnen . daß einerseits ehrunische kleinzellige
lyiiiphatificlio Leukämien lymphosarkomatös sein können, und daß die groß-
zelligen Formen durchaus nicht Lymphosarkomcharakter zei^ren müssen.
Zuzugeben ist nach ihm. daß die im allgemeinen rascher wachsenden groß-
zelligen Formen häuÜKer lokale Bösartigkeit zeigen. Zweifellos besteht aber
eine enge Verwandtschaft beider Krankheitsgruppen.
Khe man diese wichtige und interessante Frage entscheidet, dürfte es
wohl iceraten sein, noch weitere Untersuchungen über dieses Thema abzu-
warten.
Von der eigentlichen Pseudoleukämie streng zu trennen sind nacfa
Stern'BERG Erkrankungen, die kliniscb und bei makroskopischer Betrachtung
den Eindruck der Pseudoleukämie machen, bei denen aber die mikroskopische
Untersuchung ergibt, daß es &ich um eine eigenartige Form der Tuberkulose
handelt. Nach ScHi'ii lassen sich manche dieser Brätle intra vitam dadurch
diagnostizieren, daß sie mit einer ausgesprochenen nentrophilen Hyperleako-
zytose verlaufen.
Bkm>a hat neuerdings Ober eine Reihe von ihm untersuchter Fäll
von Pseudüleukämio berichtet, bei denen die mikroskopische Untersuchung
ergab, daß keine einfache hyperplastische Wucherung der Lympbozyten
vorlag, sondern Veränderungen entzündlicher Art, welche berechtigten, diese
Tumoren den infektiösen Granulomen zuzurechnen. Tuberkulose schließt er
In seinen Fällen aus. Über ähnliche Befunde hat auch Waknh berichtet.
Es scheint mir verfrüht, auf Grund dieser wenigen Arbeiten, wie Pahpev-
HEUi es will, schon jetzt mit Pseudoleukämie nur die infektiösen Granulome
zu benennen und die bloßen Hyperplasien des lymphatischen Apparates als
Aleukämte zu bezeichnen. Es dürfte sicli empfehlen, erst weitere Unter-
suchungen über den Gegenstand abzuwarten.
Eine erst in der letzten Zeit bekannt gewordene Abart der Pseudo-
leukämie ist diejenige Form, bei welcher eine Wucherung von PlasmazelleB'
beobachtet worden ist. Mhhgli fand in einem Fall schwerer Anämie im
Mark, der Milz und der Leber zahlreiche Plasmazellen. Hoffmann fand ein
multiples Myelom ganz aus Plasmazelten bestehend.
Während früher das Vorkommen von Mischformen der verschiedenen
Leokämiearten zugegeben wurde, hat bekanntlich Ehhlich den Standpunkt
Leukämie,
Üb
r
I
eingenommen, daß solche Übergangsformen unmöglich sind. Nach ihm sind
die wuchernden Gewebe bei beiden Erkrankungen grundverschieden, und
ebensowenig wie zwischen Lymphozyten und Granulozyten im erwachsenen
Organismus genetische Beziehungen vorhanden sind, kann die leukämische
Koxe myeloides und lymphadenoides Gewebe zu gleicher Zeit zur Prolife-
ratton bringen. Den gleichen Standpunkt bat auch Pappknhkim verfochten.
Diese Argumente haben aber jetzt keine Beweiskraft mehr, nachdem Tat-
sachen festgestellt sind, die an den Grundlagen derselben zweifeln lassen.
Schon GiiAWiTZ hat in der letzten Auflage seines Lehrbuches einen mehr
anitariachen Standpunkt eingenommen und es ausgesprochen, daß sich strenge
Scheidungen zwischen den einzelnen Leuk&mieformen nur solange durch-
führen lassen, bis neue Beobachtungen alle künstlichen Schranken Ober den
Haufen werfen. Auf theoretische Erörterungen soll hier nicht eingegangen
werden. Neuerdings hat aber TOrk einen Fall von Übergang einer myeloiden
Leukämie in eine akute Lymphomatose mitgetieilt, der eigentlich nlle Zweifel
an der Möglichkeit solcher Übergänge beseitigt und alle früher ausge-
sprochenen theoretischen Bedenken Aber den Haufen wirft. Einen ähnlichen
Fall hat auch Wilkexsüx beschrieben.
Dieser unitarische Standpunkt involviert natürlich nicht etwa, lympha-
tische und myeloide Leukämie nun als identische Krankheiten aufzufassen.
Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß man klinisch und ätiologisch
streng zwischen beiden Formen scheiden muß, denn die vorhandenen Unter-
schiede sind doch zu in die Augen springende. Nur die scharfe histogenetische
Trennung derselben, wie sie Ehklich und Pappenukim proklamierten, kann
nicht mehr aufrechterhalten werden ; es kommen Mischfarmen vor, es sind
Übergänge der einen in die andere Form mi'^glich und beschrieben, und es
kann als festgestellt gelten , daß wenigstens bei der myeloiden Form stets
auch lymphadenoides Gewebe wuchert. '
Eine ganz fundamentale Umwälzung hat neuerdings die Therapie oer
Leukämie erfahren. Das einzige Mittel, das wenigstens mitunter \orQber-
gehende Besserungen und eine Hebung des allgemeinen Krnährungs- und
Kraftzustandes erzielte, war das Arsen .^ namentlich bei subkutaner Dar-
reichung. Trotzdem kann man wohl ohne Übertreibung sagen, daß die thera-
peutischen Aussichten nur bei wenigen Krankheiten so trostlose waren wie
bei der Leukämie.
in den letzten t' 2 Jahren hat nun die Röntgentherapie der Leukämien
erstaunenswerte, vordem für unmöglich gehaltene Erfolge erzielt, angeregt
durch eine Mitteilung Senns. In einer großen Anzahl von Fällen hat man
durch Bestrahlungen der Milz und einiger Knochen eine rapide Abnahme
der LeukozytenzabI und ein fast völliges Verschwinden der pathologischen
Leukozytenform sowie eine Abnahme der Milz- und DrQsenschweliungen
erzielt. Ein endgültiges Urteil über die Dauer dieser Erfolge, die eine theo-
retische Begründung durch die interessanten Untersuchungen Heimckes,
sowie später Mosses and Mkj hnkhs erhalten haben, läßt sich allerdings
noch nicht aussprechen. Ja, es scheint sogar nach einigen Mitteilungen wahr-
scheinlich, daU die Dauer der Erfolge keine sehr lange ist. Jedenfalls aber
verfügten wir bisher über keine therapeutische Methode, die einen derartig
günstigen EinflulJ auf den Verlauf dieser so perniziösen Krankheit auszu-
üben vermochte. Es darf aber allerdings nicht verschwiegen werden, daß
es Fälle von Leukämie gibt, welche sich gänzlich refraktär gegen die
Röntgenstrahlen verhalten. Ich selbst verfüge Ober einige derartige Beob-
achtungen, in denen es trotz wochenlanger Bestrahlung nicht gelungen ist,
den Blutbefund zu ändern.
Ein Rückgang der Milz- und Drfisenschwellungen scheint aber wohl
stets erzielt werden zu können.
306
Leukämie.
Jedenfalls sollte in keinem Fall von Leakämie ein Versuch mit Runt^ren-
strahlen verabsäumt werden.
Ich f):laube, dati die Kenntnis von der Einwirkunf!^ der Röntgenstrahlen
auf die Leukämien auch unsere Vorstellung von dem Wesen dieser Er-
krankungen in nicht zu unterschätzendem MaUe zu beeinflussen geeignet
ist. Von einigen Forschern, jtjngBt noch von Alfrbü Wolff ist die Ansicht
ausgesprochen worden, daü die Leukozytenvermehrang bei der Leukämie
eine kompensatorische ist. Der Organismus reagiert auf die leukämische
Noxe mit Leukozytenvermehrung, die Leukozyten haben die Aufgabe, ge-
wisse Toxine unschädlich zu machen, daher hätte eine Methode, ihre Zahl
zu verringern, gar keinen Zweck, bzw. sei es^entuell gar schädlich. Diese
Theorie wird nun aber durch die obengenannten Krfahrungen mit den
Röntgenstrahlen widerlegt. Durch eine ganze Reihe von Fällen wird erwiesen,
daß ein Rückgang der Organschwellungen und der Leukozytenzahl vom
Organismus nicht nur anstandsloH ertragen wird. son(Jern dali sich sogar
die Kranken in der Reniissionsperiodo wohler als vorher fühlen und dab der*
Hb-Qehalt des Blutes und die Zahl der roten Zellen steigt.
Über die eigentliche Natur der den leukämischen Prozessen zugrunde
liegenden Gewebswucherting ist zur Zeit noch keine definitive Einigung er-
zielt. Nach Ehrlich Ist die myeloide Leukämie als eine aktive Leukozytose
aufzufassen, während die Lymphozytose der lymphatischen Leukämie auf
passiver Einschwemmung des Lyphozytenmaterials aas den vergrutlerten
Drösen und der Milz beruht. Daii aber auch Ehrlich die myeloide Leukämie
als eine tuniürartige Erkrankung auf/aßt, geht daraus hervor, daß er das
Vorkommen myeloider Struktur in der Milz und dem lymphatischen Apparat
auf Metastasen zurückfuhrt. Von Metastasen kann man aber doch nur bei
gcschwulstähnlichen Prozossen reden. Daß er die lymphatische Leukämie
auf einen tuniorösen Prozeß zurückführt, ergibt sich aus der ganzen Dar-
stellung der Pathogenese dieser Krankheit, wenn es auch nirgends in seinem
Werke direkt ausgesprochen wird. Trotzem weicht auch nach der Ehrlich-
sehen Darstellung die lympliatische Leukämie bzw. Pseudoloukämie insofern
von den wahren Geschwülsten ab, als die Lymphome in den Organen nicht
als eigentliche Metastasen, sondern als Produkte desselben Reizes aufgefaßt
werden, welcher die lymphadenoide Wucherung der Milz und der Lymph-
drüsen hervorbringt. Schärfer haben eine Reihe neuerer Autoren die Aul-
fassung der Leukäaiie als einer tumorähnlichen Erkrankung hervorgehoben.
Ich neime insbesondere Pati'KXHEIM, Pahkks Weber, Stkrnberg.
Diese Auffassung involviert bezüglich der myeloiden Leukämie, daß
dieselbe nicht nur auf einer aktiven Leukozytose beruht, sondern daß in
den wuchernden ßlutbitdungsorganen das Zellmateriat zum großen Teile auch
passiv in den Kreislauf hineingedrängt wird. Andrerseits ist zu bemerken,
daß die neueren Forschungen Ober amöboide Beweglichkeit und Emigrations-
fähigkeit der Lymphozyten die Auffassung auch der lymphatischen Leukämie
als einer aktiven Lyaiphozyto&e nahelegen. Über alle diese Fragen schwebt
aber noch die Diskussion, heute wird die eine Theorie, morgen die andere
in der scharfsinnigsten Weise verfochten, ohne daß es schon gestattet wäre,
ein abschließendes Urteil zu fällen.
Die zweifellos bestehende nahe Verwandtschaft der leukämischen Pro-
zesse zu den Geschwülsten wird insbesondere dadurch erwiesen, daß die
leukämischen Produkte lokal und allgemein Matignität zeigen können. FQr
die lymphadenoiden Prozesse ist das schon längnt bekannt und man be-
zeichnet solche boaartigen Lymphome, wie oben näher auseinandergesetzt
a!s Lymphosarkome. Es kann nicht scharf genug betont werden, daß die
Lymphosarkome mit den wirkliehen Sarkomen nicht identifiziert werden
<lür[en. Die Bezeichnung Lymposarkom wurde nur deshalb gewählt, um die
Letikämfe.
Lichtbäder.
367
Lrtiffkeit dieser Tumoren, ihre lokale Aggressivität und Neig:ung: zur Ver-
ireitung; im Organismus 2u charakterisieren. Sarkomzellen und Lymphozyten
dürfen selbstverständlich nicht als gleichartige Element« betrachtet werden.
Die Zelle eines Rundzellensarkoms iihnolt wohl einem Lymphozyten, kann
aber nie mit einem solchen verwechselt werden. Lymphosarkom und Sarkom
einer LymphdrQse sind daher nicht identische Begriffe. Banti hat so^^ar be-
hauptetf daß die myeloide Leukämie wahrscheinlich immer eine Sarkomatose
ist. Kr hat das Hineinwuchern des myeloiden Gewebes in die Gefäße, das
Übergreifen desselben auf Periost und paroslales Gewebe beobachtet und
glaubt deshalb, sowie wegen der Verdichtung und Harelizierungsprozesse
im Knochen, sowie wegen der Metastasenbildung in nicht hämatopoetischen
Organen seine Theorie stützen zu können. Eine BesUittgung dieser Angaben
bleibt abzuwarten.
Auch STER.\BKit{i beschrieb einen Kall von atypischer inyeloider Leu-
kämie, den er als sarkumartige Erkrankung auffaßt, weil aui Darm und
Perineum Tumoren von myeloider Siuktur nachgewiesen wurden, welche in
die benachbarte Muskulatur eindrangen. Er nennt dies Krankheitsbild Chloro-
myelosarkomatose.
Literatur: Siiinlliche oirmclilä^it^t* Arbeiten eiud lilcktiilos referiert in den seit Januar
19(H erscbeiut'udeo Folia tiaeiuatolugica. üerliii, Aii^u&l Hitucbwulil. Uhus Iffrschfeld.
Levuretin, s. Hefepräparate, pag. 247. — Levurlnose, pag. 248.
L.lctitbüder. Wenn von Lichtbädern schlechtweg gesprochen wird,
Bo werden die ^eit 18VU durch Kkllu(;(; und 1893 durch FrtiF.DLÄ.VDEii in
die Therapie cinireführten Apparate gemeint und es ist notwendig, diese
therapeutischen Verfahren von den FixsENschen Lichtbehandlungsmethoden
abzugrenzen.
Bei Lichtbädern handelt es sich um Verwendung des vollen elektri-
schen Lichtes, und zwar sowohl des Bogen- als auch des Glühlichtes, vor-
wiegend ohne differenzierte Verwendung der einzelnen Ötrablenarten. Kel-
logg verwendete zuerst die ülühlichtbädor, Fkikdläxdeu diö Bügenlicht-
behandlung in dem zu besprechenden Sinne.
Die Glühlichtbadeapparate sind den Schwitzkasten nachgebildet, welche
In verschiedenen Formen für den ganzen Körper oder nur lür Teile des-
selben konstruiert und in Verwendung sind. Die Wärniei|uelle bildet eine
Anzahl von elektrischen Glühlampen, welche an der Innenseile der Wände
angebracht sind. Je noch der Große des Apparates variiert die Zahl der
Lampen; so sind in Apparaten^ die fÜSr den ganzen Körper liestimuit sind.
durchschnittlich 40 — f>0 Lampen angebracht, in partiellen Lichtbädern ent-
sprechend weniger. Die Reflexion des Lichtes geschieht nach Kklloggs
Vorschrift durch an der hmenwand angcbraclito Spiegelplatten, und die
Lampen sind hinter Drahtgitter oder Messingstangen, damit eine Berührung
(Verbrennunt?) der Haut des Patienten vermieden werde.
Der Spiegelbelag des Kastens ist allgemein gebräuchlich und entspricht
den 'Anforderungen fflr gleichmäßige Reflexion des Lichtes sehr pfut. Es
wurden dennoch vielfach Versuche gemacht, die Spiegolplatten zu ersetzen.
weil der Silberniedorschlag der Spiegel eine ziemliche Menge von Licht ab-
sorbiert und dadurch viel elektrische Energie verloren geht. Der Ersatz der
Spiegelplatten durch verändert konstruierte Kasten, deren Wände aus ge-
rifften milchweißen Glasplatten bestehen, schien uns gegenüber den spicgel-
belegten Holzkasten keinen Vorteil zu haben (auch absorbieren die gorifften
Glasplatten sehr viel Licht); dagegen sind wir (bei W. Wixtf.rmtz) (Fig. 22 — 24)
wohl zufrieden mit Holzkasten, welche mit gegipstem Glanzpapier ausgekleidet
sind. Die Papierplatten reflektieren das Licht ganz diffus und absorbieren
368
Lichtbäder.
eine verschwindend kleine Men^e von Lichtstrahlen. Daß die Papieraos-
kleidung: den Kasten billiger macht, ist bei der son9ti|B:en doch eintgermaOen
kostapieligen Einrichtung von Lichtbädern nicht ausschlaggebend. Das Wolpk-
sche Lichtbad ist, wie in Fig. 'J4 ersichtlich, doppelwandig konstruiert und
Metallreflektoren werfen das von kerzenförmigen langen und sehr starken
Glühlampen stammende Licht sehr gut zurilck. Die nach dem Kasteninnern
vergitterten Keflexhohlräume sind so angebracht, daß alle Körperteile ge-
nügend bestrahlt werden.
Die Form des ganzen Lichtkastens ist dieselbe wie die der Schwitz-
kasten, bat eine lür den Hals bestimmte obere Öffnung, eine meist an der
Aufmcbtttr Lichtkusteu, t<e4irn«^t.
Vorderwand zur Beobachtung des Pulses^ des Schweißausbruchs etc. bestimmte
zweite Öffnung und ist so konstruiert, datS die FingangstQre von inneif und
außen durch berjueme Handhaben leicht und rasch geöffnet werden kann.
Die Lampen sind meist IGkerzig und sollen in Gruppen von je 6 bis
8 Lampen separat geschaltet sein, weil die Modifikation des Bades vor-
wiegend durch Vermehrung oder Verminderung der Zahl der eingeschalteten
Lampen geschiebt. In neuerer Zeit ist durch die Firma Reiniger, Oeb-
bert & Schall (Fig, :^5) ein Lichtbaderheostat konstruiert worden, welcher
bei kontinuierlicher P^inschaltung sämtlicher Lampen eine Vermehrung oder
Verminderung der Glühintensität der eingeschalteten Lampen und dadurch
eine wirklich präzise Regulation gestattet.
Lichtbäder.
Fl«. ^3.
UuriC'iUluicl Lk iiil<a\irBA-i(TU.
Fig. 24.
WüLFrffcbvr IiiohtbmdekBnen.
Cne^elop. JahrbQehvr. K. F. rV. IXIII.)
94
370
Lichtbäder.
Kellogg hat schon Liejcelichtkasten konstruiert, welche sehr f^oräumif^,
das Hineinschieben eines (ganzen Ruhebettes roit dem darauf ^olacrerten
Kranken gestatten, und andere konstruierten analog den Liog^üächwitzkasten
horizontal gebaute Lichtbadekasten (Fig.23). Die ursprOnc^lichen KELLOGGschen
vertikalen und horizontalen Lichtbadekasten sind zur Aufnahme des ganzen
Körpers inklusive des Kopfes bestimmt, seit Gebhakt hat man diese Me-
thode großenteils verlassen und läßt den Kopf des Patienten außerhalb des«.
Kastens. Der Abschluß um den Hals herum geschieht durch eingestopftem
Leintuch oder (bei uns) durch von vorne und rückwärts an den Hals ge-
schobene, stets frisch mit Leinen überzogene U-förmig ausgeschnittene Filz-«
platten. Zur Kontrolle der Innentemperatur im Kasten dienen 1 — 2 Thermo -^
tneter> welche so anzubringen sind, daß sie sich nicht zu nahe von eine-«
Ffff. 2S.
Liclitbadcrbcostiit.
Lampe, sondern sich möglichst gleichmäßig weit von den Lichtkörpem be-
finden.
Bevor der Patient den Lichtkasten betritt, werden ihm Kopf und
Augen sorgfältig gekühlt der Kopf mit nasser Haube oder mit Kühlkappe
(mit durchfließendem Wasser) versehen. Sobald der Kasten geschlossen ist,
schaltet man in mäßig rascher Folge die Lampengruppen ein. Der Kopf-
amschlag (falls keine KUhlkappe in Verwendung ist) muß häufig gewechselt
werden; för Zufuhr frischer Luft soll gesorgt werden. Wir verwenden viel-
fach mit Vorteil die HalskQhlapparate (Schläuche), welche tatsächlich d&a
Gefühl einer stärkeren Kongestion gegen den Kopf nicht aufkommen lassen.
Eine Vorwärmung des Kastens ist nur in bestimmten Fällen notwen-
Aig^ und zwar dann, wenn man den Patienten nur oberflächlich stark er-
Lichtbäder.
3?1
wärmen, aber nicht stark in Schweiß bringen will; da Ist hohe Anfanfcs-
temperatur ^t, das Bad darf aber 2 — 3 Minuten kaum Obersteig^en; in
allen anderen Fällen ist Vorwärmunf; nicht notwendig, ia, der Kasten soll
nach beendeter Prozedur sehr gut gelüftet werden, denn die Wände und
»die Belagplatten strahlen nach stärkerer Erwärmung recht lange Hitze aus.
Wenn der Kasten am Anfange der Prozedur etwa die Zimmertempe-
ratur hat und man durch ruckweise Einschaltung der Lampengruppen die
Innenwarrae im Kasten langsam hebt, dann wird das Glühlichtbad zur an-
genehmsten Art der Hitzeanwendung.
Man steigert die Temperatur bei den ersten Bädern bis etwa 50** C,
bei späteren unter weiter unten zu besprechenden Umständen bis zu 60,
auch 70'J C. Der Überhitzung folgt regelmäßig eine abkühlende Prozedur,
ein Tauchbad, Halbbad, eine Dusche, welche den Spezialvorscbriftenv welche
für jede allgemeine Schweilikur Geltung haben, unterliegen.
Die Wirkung des QiQhlichtbades ist eine weltreichende. Die strahlende
Wärme durchdringt die Haut besser als die Leitungswärme, dringt tiefer
in die Gewebe (Küllocg). Die Schweißsekretion , welche bei relativ sehr
niedriger Temperatur eintritt, spricht daför^ daü die Strahlen eine direkte
Wirkung auf die Schweißdrüsen ausüben. Kellogg fand Schweißsekretion
schon bei ^T^** C, also bei einer Temperatur weit unter der Körpertempe-
ratur, wo von regulatorischem Schweißausbruch überhaupt keine Hede sein
kann. Der Schweißausbruch bei so niedriger Temperatur ist aber eine
Seltenheit, dagegen sieht rann häufig Schweiß nach mehreren Minuten bei
30 — Sh^ C ; regelmäßig erscheint der Schweiß allerdings erst bei 38 — A'2^ C,
also bei einem die Körpertemperatur übersteigenden Wärmegrad. Das mehr
minder rasche ErHcheinen des Schweißes unterliegt individuellen Ktgonheiten,
welche ihre Ursache wieder in temporärer Verschiedenheit der Schwitz -
Innervation haben. Der Schweißausbruch wird mit steigender Temperatur
im Rasten mehr minder profus . so daß Körpergewichtsverluste (Wasser-
verlust) in 15 — 20 Minuten 0*2 — 0'5, aber auch 0*8 — 1*0 kg betragen können.
Soweit der Schweiß Substanzen mit sich führt, welche sonst durch
die Haut oder durch die Niere zur Ausscheidung gelangen, kann die Kli-
mination solcher durch die bequeme Art der Schweißerzeugung im Glüh-
lichtbad sehr gesteigert werden. So sahen wir, abgesehen von relativ ziem-
lich beträchtlichen Mengen der Abbauprodukte, deutliche , selbst große
Mengen von Blei und Quecksilber im Schweiße.
Die allgemeinen Wirkungen des GEühllchtbades auf das Nervensystem
sind nicht wesentlich different von denen der Heißluftbäder, es scheint aber,
daß die reinlichen, in der Temperatur sanfter ansteigenden Lichtbäder das
Nervensystem weniger angreifen. Ks zeigt sich dies im allgemeinen darin,
daß schwächliche , nervfis empfindliche Personen Licht bäder von hoher
Temperatur und längerer Dauer wesentlich besser vertragen als Heißluft-
oder gar Dampfbäder von gleichen Qualitäten.
Als die Lichtbäder modern wurden (189.5 — 1896), wurde auch behauptet,
daß die Herzaktton durch sie wesentlich weniger alteriert würde als durch
andere Hitzeanwendungen. Erhitzt man den Kasten nur wenig, so verhält
es sich tatsächlich so, kommt aber die Temperatur über 50° C, so zeigt
sich dieselbe Beschleunigung der Herzaktion wie bei jeder anderen Art von
»Überhitzung. Bis unter 50" (40 — 45°) pflegt die Pulszahl langsam auf
88—92 — 96 zu steigen und bei weiterer Überhit«ung springt sie von einer
Minute zur andern um 12 bis 20 Schläge hoher. Ganz ausnahmsweise findet
man. daß Leute mit Herzneurosen im UIQhtichtbad statt der gewöhnlichen
Tachykardie normale Frequenz und an Stelle von Unregelmäßigkeiten nor-
malen Rhythmus aufweisen; dieses Verhalten ist in den unkontrollierbar
eigentümlichen Inoervationsbedingungen gelegen.
^ 24*
372
Lichtbäder.
Eine g^roße Beschleunigung- des Pulses fällt meist mit Ausbruch ganz
profusen SchweiUes zeitlich zusammen ; nach der AbkQhlungeprozedur fällt
die Putszahl baldigst auf normale Hohe herab. Blutdruck und Respiration
zeigen analog dem Verhalten in anderen Schwitzbädern geringe Steigerung.
Will man die Schweilisekretion ohne wesentliche Störung der Zirku-
lationsorgane längere Zeit ausdehnen, so muß man die Temperatur unter
50^ C halten, was durch Ausschaltung von Lampengruppen ziemlich got.
durch Anwendung des oben angezeigten Lichtbaderheostaten ganz ausge-
zeichnet gelingt. Ich sah Patienten durch 30 — 40 Minuten profus schwitzen
(bei 45 — 46" C). ohne daß die Pulszahl 100 Überschritten hätte; der Wasser-
Verlust durch Schweiß betrog l'3kg.
Die sonstigen Wirkungen des ^ühlichtbadea sind dieselben wie die
anderer Überhitzungsprozeduren, und wenn ihnen vielfach weitgehendere
Wirkungen nachgerühmt werden und die spezifische Lichtwirkung ins Feld
geführt wird, so sind diese Ansichten nach unseren bisherigen Anschauungen
abzulehnen, weil einerseits viel zu wenig chemische Strahlen in Aktion treten
Piff. so.
Bnnipflichlbad.
und andrerseits die Anwendungszeit der GlQhlichtbäder eine viel zu kurze
ist, als daß spezifische KfEekte damit erzfeit werden könnten. Es ist fast
außscliließlich die Wärme Wirkung die ausschlaggebende. Die Versuche, welche,
von PflanzeDphysiologpn ausgehend, den tCinfluli des elektrischen Lichtes auf
biologi&che Vorgänge festzustellen suchten, sind von den ersten Autoren, die
die elektrischen Lichtbäder verwendeten , zur theoretischen Begründung
herbeigezogen worden ; die in neuester Zeit weit entwickelte Lehre der
Phototherapie läßt die genauen Unterschiede genau bemessen und so treten
die Glöhlichtbäder wegen zu geringer chemischer Wirkung der angewendeten
Strahlen in dieser Richtung in den Hintergrund.
Kellogg fand immerhin bei \'orgleirh der Glilhlichtbäder mit tOrkischen
und russischen Schwitzbädern einen Unterschied der COj-Ausscheidung zu-
gunsten der GlQhlichtbäder.
Die Anwendungsdauer der Glühlichtbäder variiert je nach dem Zweck
genau so wie diejenige der Heißluftbäder. Wird nur eine Erwärmung der
Körperoberfläche bezweckt, genügen i? — 5 Minuten: will man starken Schweiß-
verlust erzielen, so verlängert man die Anwendungszeit mit Kontrolle der
Lichtbäder.
373
Herzaktion and Respiration: die besten SchwefUwIrknngen sind bei relativ
nicht hoben Wärmegraden (bis 50* C) und längerer Dauer zu erzielen.
Fin. 2T.
v^ Kerniger^ GeD&eri&Schali, Erlangen
ArniHcti'tlmcl
Nach dem Glühlichtbade soll der Patient abgekühlt werden, und zwar,
je nachdem man den Kontrastreiz des kalten Wassers oder die Abkühlung
hervortreten lassen will, Bcfort mit kalten oder mit lauen und allmählich
kühler werdenden Prozeduren.
F'ff 2'
Itciu- uuii I-'uOlicbtbad.
Die Indikationen für die Verwendung der Glflhllchtbäder decken sich fast
vollkommen mit jenen der Heißluftbnder; die Lichtbäder sind aber wesentlich
374
Liehtbäder, — Lichtstrahlen.
besser nioditizierbar und dienen daher auch bei solchen Fällen gut, befic ^
welchen man sich zur Darreichung von HeißluFtbädern schwerer entschließenKiM
wQrde. Insbesondere bei nervuä-hysterischen Patienten lassen sich die OlQh — Ä
liehtbäder bei sonst gegebener Indikation leichter verwenden und ist vieLieicht^-^
hierbei eine fcewisse sugjrestive Wirkung des imposanten Apparates vorr:M
gewisser Bedeutung. 1
Bei Chlorosen, Anämien, Nephritis haben wir die Glühlichtbäder mifc^^
Vorteil verwendet und natQrlich auch bei Fettlelblfi^keit. rheumatisch • gich- .^
tischen Prozessen^ Syphilis und vielfach zu gewöhnlichen Abhärtungskuren^fla^
Bei Herz- und Gefäßerkrankungen sind sie auch mit großem Vorteil ver
wendbar, nur soll man vor Augen halten, daß sie Herz- und K reislauf syst-en:—^
ebenso zu belasten imstande sind wie andere Uberhitzungsprozeduren.
Außer den ganzen Lichtkasten gibt es seit Kellogg eine ganze Aa -
zahl von Apparaten, welche für die untere Körperhälfte wie fflr Körperteil«
(Rumpf, Extremitäten) konstruiert eine lokale LichtOberhitzung ausgezeichn&£
(Fig. ür>, 27, 28) gestatten: ja es bereitet geringste Schwieri;^keiten, sich
ad hoc solche Hitzapparate frisch zu konstruieren. So behandelten Lamman.y
und ZiKGKLKUTii Lupus der Nase mit einem schirmartigen, der Nase an
gepaßten Hulsonapparat^ in welchem eine einzige Glühlampe als W&rme-
quelle diente, angeblich mit gr5ßtem Erfolge.
An Steile der GlQhlichtbäder wurde versucht, Bogenlichtbäder in
Kasten zu verwenden, sie konnten aber nur zum geringsten Teil ihre
Stellung neben den Glühlichtbädern behaupten, obwohl die spezifische
Lichtwirkung infolge des großen Gebaltes an violetten Strahlen eine große
Überlegenheit zeigt. Die Ursache ist darin zu suchen, daß die Kastenbäder
mit Bogenlicht (in jeder Rcke des Kastens eine Bogenlampe) sich sehr rasch
und sehr stark erwärmen und su ein längeres Verweilen im Kasten un-
möglich machen. Die Schweißsekretion wird allenfalls sehr stark angeregt,
doch die Haut reagiert auf die Einwirkung der vielen chemischen Strahlen
sehr bald mit Reizzuständen (Erythem"),
Für Schwitzprozeduren eignen sich also vielmehr die GlQhlichtbäder;
die großen Lichtwirkungen läßt dos direkte Sonnenlicht besser erreichen.
Die Verwend un g von unkonzentriertem Bogenlicht an Stelle
der Sonnenbäder hat neuestens größere Bedeutung. Die Kranken werden
in einem nicht zu großen Räume nackt dor Lichtwirkong von 2^ — ^3 Bogen-
lampen ausgesetzt. Die Temperatur in dem Struhlengebiete ist in genügender
Entfernung von den Lampen (2 — 3/n) keine hohe, und doch zeigt sich eine
Schweißsekretion, besonders wenn die Hautzirkulation durch Frottieren unter-
stützt wird. Die Augen der Patienten werden durch Schirm oder Schutz-
brille geschützt. Da die chemische Wirkung eine große ist und die freien
Bogenliehtbäder recht lange ausgedehnt werden können, so hat diese Art
des künstlichen Sonnenbades große Zaknnlt. Die Indikationen decken sich
mit jenen des Sonnenbades.
Die Verwendung des konzentrierten Hogenlichtes ist im Kapitel >Licht-
tberapie« (Schlagwort: Lichtstrahlen) abgehandelt strttasmr.
Uchtstrahlen. (Therapie.) Die Behandlung mit Lichtstrahlen
wird am besten Phototherapie genannt. Sie hat die Röntgen- und Ra-
diumtherapie zu Geschwistern, während die Radiotherapie als Gattungs-
name IQr die gesamte Strahlentherapie, nicht wie es häufig geschieht (Qr
Röntgentherapie gebraucht werden sollte. Die Lichtstrahlen kommen sowohl
in verschiedenen Mischungen als auch in Form isolierter Spektralstrahlen
in Gebrauch (Chromotherapio).
Das Strahlengeraisch ist bei den verschiedenen Strahlen-
quellen recht verschieden. So enthält die bekannte Finsenlampe vorwiegend
K
Blaa und Violett und Ultraviolett, die Eisenlampe viel kurzwelliges Ultraviolett,
von sichtbaren Strahlen nur Kot und Grfin, kein HIaa und Violett Die Queck-
Bilberlampcn senden vornehmlich Ultraviolett neben Blau und Violett aus,
Farben, denen bekanntlich die grolite chemische Wirkung- zukommt. Dem
Sonnenlicht ähnelt am meisten das gewöhnliche Bogenlicht. Beide enthalten
zugleich reichlich sichtbare und chemische Strahlen ; und zwar findet sich
am Sonnenlicht mehr Hot bis Grün, im Bogenlicht mehr Blau bis Ultraviolett
vertreten. Im Glühlichtbad walten die VVärniestrahlen vor. . . .
Außer der Art der Strahlen spielt in der Praxis der Umfang- ihrer
Anwendung eine Rolle. Man läßt das Licht entweder diffus auf einen
mehr oder weniger großen Teil der Körperoberfläche wirken (Bäder) o"der
nimmt beschränkte Gebiete in Angriff (konzentriertes Licht, Photo-
kau stik).
Historisches: Das Licht wurde zwar schon seit alten Zeiten viel-
fach zu Heilzwecken verwendet, ist indes erst in neuester Zeit durch sorg-
fältige wissenschaftliche und klinische Arbeiten zu einem therapeutischen
Faktor von allgemein anerkanntem Wert erhoben worden. D^jwnks und
BtrNT V) haben schon 1877 .seine bakterizide Wirkung gefunden und bald
hinterher bewiesen, daß den kurzwelligen Strahlen diese Eigenschaft in weit
höherem Grade zukommt, als den nach Hot zu gelegenen. Die für die
Technik wichtige Durchlässigkeit der Bergkristalle fQr ultraviolette Strahlen
wurde von Widmark ») entdeckt Die Tatsache, daß die bekannte Hautent-
zündung infolge zu starker Bestrahlung vorwiegend durch den chemisch
wirksamen Teil des Spektrums hervorgerufen wird, wurde durch die Ar-
beiten Maklakofks (1889)»), Widmakks (18811)-) u. a. bekannt, Trotz dieser
und anderer Vorgänge pflegt man die neue Ära der Phototherapie mit
Recht von den ersten Veröffentlichungen Niels R. Finsf.ns an zu rechnen,
der seit 1898 bis zu seinem jüngst erfolgten Tode mit allen Mitteln der
Wissenschaft und Technik sowie an einem großen Krunkenmaterial das
Lichtverfahren ausbaute und seinen großen Nutzen bewies.
Seit 18^9 erscheinen die »Medelelser fra Fl\se.\s medicinske Lys-
instltut«. die von Fischer in Jena alä »Mitteilungen aus Finsens medizini-
schem Lichtinstitut« anch in deutscher Sprache herausgegeben werden.
In der Absicht, den Einfluß möglichst konzentrierter Strahlen kennen
zu lernen, hat die FiNSKXsche Schule, wenn wir von der gleichsam nega-
tiven Chrumotherapie absehen, mehr die lokalen als die altgemeinen An-
wendungsarten des Lichtes ausgebaut. Die letzteren, die sich früher auf
Sonnen- und Licbt-LuftbäUer (direkte und diffut^e Bestrahlung) beschränkten,
haben, nachdem Kellogg*) (1898) die elektrischen QIQhlichtbader angegeben
hatte, ebenfalls eine wesentliche Förderung erfahren. Allerdings bandelt es
sich dabei vorwiegend um Ausnutzung der strahlenden Wärme.
In neuerer Zeit hat man das Lichtverfahren nicht allein durch
Verbesserung der Stranlquellen, sondern auch dadurch zu fördern gesucht,
daß man die Gewehe gegen die Strahlen empfindlicher machte.
Leider haben steh die Erwartungen, die man nach dem glänzenden Ausfall
der wissenschaftlichen Versuche erwarten mußte, in der ärztlichen Praxis
nur zum kleinen Teil erfüllt. R/^ABund v.Tai'Pkixer^) gelang es^ durch fluores-
zierende Stoffe die bekannten Lichtwirkungen erheblich zu verstärken.
Man fand z. B., daß durch Beimengen von an sich ungiftigen Eoslnlösungen
zu Kulturen die Bakterien schon durch geringere Mengen Licht getötet
wurden als sonst. Die Haut kann gleichfalls auf diesem Wege gegen Licht
empfindlicher werden, indem man die fluoreszierenden Substanzen injiziert.
Die hier in Frage kommenden Substanzen worden von v. Taim^euneu und
seiner Schule photodynamische genannt. Die stärker fluoreszierenden
Mittel haben aber nicht die größere photodynamiscbe Wirkung, eher ver-
i
376
LEchtätrahlen.
hält es sich umgekehrt. Die Anwesenheit von Sauerstoff spielt eine wesent-
liche Rolle für das Zustandekommen der durch phutodynamische Stoffe
vermittelten Reaktionen.
Dreyer") hat eine Methode der »Sensibilisation« der Gewebe aus-
g:ebildet, die dem v. TAprEixEKscben Verfahren sehr ähnelt und bisher vo&
den Praktikern am meisten treübt wurde. Da die chemischen Strahlen
eine weit gerinKere Penetrationskraft als die nach dem Rot hin liegenden
haben, so spritzte Dreyer Substanzen in d[e Gewebe, welche die zuletzt
genannten Strahlen besonders resorbieren. Er setzte voraus, daß die Wir-
kung der Strahlen mit ihrer Resorption Hand in Hand geht, und fand diesa
Voraussetzung durchaus bestätigt. Man kann also in der Tat die Gewebe
gleich photographischen Platten ?egen bestimmte Strahlen besonders
empfindlich machen.
Die Aussicht, eine wesentlich tiefer gehende Wirkung der Strahlen auf
diesem Wege zu erzielen, war vorlockend genug. Drryer spritzte 1%- bis
iVooi^o Erythrosinlösung unter die Haut, nachdem er sich von der Gefahrlosig-
keit derselben Oberzeugt hatte, und belichtete nun die betreffenden Stellen.
Hierdurch entstanden starke Entzündungen in erheblicher Tiefe der Gewebe.
Durch Erythrosinlüsun^en gelingt es auch , obwohl sie übrigens nicht
fluoreszieren, Bakterien mit langwelligen Strahlen überraschend schnell za
töten. Gleichwohl waren die Erfolge des Sensibilieationsverfahrens wenigstens
bei der für die Kinsen-Behandlung am meisten in Betracht kommenden
Krankheit, dem Lupus vulgaris, nach fast allen Autoren schlechter als bei
der gewöhnlichen Bestrahlung nach Finnen. Außerdem bereitet die Reaktion
dem Patienten nach Sensibilisutionen oft große Unannehmlichkeiten, zumal
sich die Stilrke der Reaktion der sensibilisierten Stelle nicht Im vornns mit
Sicherheit feststellen läßt.
Die V. T.APPEiXRRsche Schule empfiehlt, ulzerierte Hautstellen mit 01-
bis 0 01 Voigen Eosinlosungen zu bepinseln, die PinselLing mit immer schwächer
werdenden Lösungen zu wiederholen, während sich Patient stundenlang der
Sonne, zerstreutem Tageslicht oder einer Bogenlampe aussetzt.
In der Tat scheinen Geschwüre sich so schneller zu reinigen and in
Heilung Überzagehen. Bei Neoplasmen werden die geschwürigen Stellen auf
die eben beschriebene Weise behandelt, während in die Infiltrationszoneo
Lösungen von Kosin in physiologischer Kochsalzlösung gespritzt werden.
Auch dabei soll ein verhältnismäßig günstiger Erfolg eintreten.
In ein anderes Kapitel gehöron die Bemühungen, die Wirkung des
Lichtes durch Kombination mit anderen Mitteln zu erhöben und
zu ergänzen. Keuerdings wurde z. B. in der Diskussion, die sich an den
Vortrag des Herrn Lksskr ') in der Berliner medizinischen Gesellschaft zur
Finsenbehandiung des Lupus anschloß, wieder betont, daß andere Maßnahmen
gegen Lupus, etwa Pinselungen mit Pyrogallussaure, Verschorfen mit heißer
Luft etc., nicht entbehrt werden können, was übrigens schon Finsex hervor-
gehoben hat. Besondcra aber beachtet zuwenden verdient, daß dieTnbcr-
kulinbehandlung (Blaschkow, Senator) wieder eifrige Fürsprecher fand.
Ein so harlnTickiges. leicht rezidivierendes Leiden wie der Lupus wird ohne
Zweifel, falls die geeigneten Mittet gefunden werden, wohl am besten
von innen heraus behandelt, weit man bei lokalen Eingriffen leicht ein-
zelne Herde übersieht und einzelne Körperstellen (Schleimhäute) nur schwer
treffen kann.
Auch Vorbereitungskaren für die Finsenbehandiung empfehlen sich.
natürlich nur mit weniger eingreifenden Verfahren , um die langwierige
Phototherapie abzukürzen.
Steiner*^) wandte kürzlich bei Hautkrankheiten verschiedenster Art
— nicht gerade Lupus — eine Kombination von Licht und Salben an.
Lichtstrahlen.
377
^r Durch einen kräftipren Scheinwerfer werden die erkrankten Stellen
etwa ^ ^ Stunde beetrafalt und dann mit Thiolan « einer von Vi^rner ang^e-
gebenen Salbe, in der Schwefel teils gelüst, teils fein verteilt enthalten sein
soll. eiDKerieben. Die guten Wirkungen, welche erzielt wurden, wurden auf
die stundenlang anhaltenden Hyperämien der Haut und den hinzukommenden
Reiz sowie auf die besser als sonst resorbierte Salbe zuriÜckgefOhrt. Die
Hyperämien sollen die Qewebc kräftigen und das Wachstum von Parasiten
hemmen. Dementsprechend sei das Verfahren bei fast sämtlichen chronischen
entzündlichen und parasitären Hauterkrankungen indiziert; auch bei Akne
rosaceo, hypertrophischen Narben, Naevus vasculosus wurde Gut^s gesehen,
gelegentlich auch bei Syphilis, wo das Thiolan durch Quecksilber ersetzt
wurde.
Unter den Anwendungsweisen des Lichtes bat diejenige, welche mit
Rot arbeitet^ sich Immer noch nicht volles Bürgerrecht erwerben können,
obwohl die erste berühmte Veröffentlichung von Finskv den günstigen Ein-
fluß desselben auf den Ablauf der Pocken außer Zweifel zu steilen schien.
Die letzte klinische Mitteilung, die ich darüber fand, stammt von Rk'KKT
und Bylks*^), die ihre Krfahrungen an K-1 Kranken sammelten und wieder
zu durchaus negativen Ergebnissen gelangten. Das rote Licht wurde wie
gewöhnlich durch rote Vorhänge an den Fenstern erzielt. Die Widersprüche
vieler Beobachter lassen sich zum Teil darauf zurückführen, daß Exanthem
und Pusteln im roten Licht schwer beurteilt werden können.
Selbst auf die anscheinend leicht zu lösende Krage, welche allerdings
erst vor verhältnismäßig kurzer Zelt aufgeworfen wurde, welchen Wert das
rote Licht ICr die Schutzpocken *'') besitzt, stimmen die Antworten nicht
überein. Man muß für die Kritik der betreffenden Berichte resthalten , daß
ein vollständiger Abschluß des Lichtes nicht dasselbe bedeutet wie Bestrah-
lung mit Rot, da letzteres wahrscheinlich positiv wirkt (etwa auf die Ent-
wicklung der Bazillen). Die einwandfreieste Methode ist daher die von
ROsLiDR, der die [mpfstelten nicht einfach luftdicht verband, sondern mit
hohlen Rnbingläsern bedeckte und wiederholt dem Licht preisgab. Unter
solchen Bedingungen verlief die Impfreaktion auffallend milde , hatte aber
positiven Erfolg. Bestrahlung der Lymphe wie des Armes unmittelbar nach
der Impfung bis zum 3. Tag , aber nicht später , liefert ein negatives
Ergebnis. Es kaun sich also nur um einen Einfluß auf die Impfreaktion
handeln.
Über den sonstigen Nutzen des roten Lichtes liegen nur spär-
liche und wenig beweiskräftige Nachrichten vor. Doch wird sein Nutzen für
exanthematische Krankheiten außer Variola allgemein in Abrede gestellt.
Allerdings sah Khaiski^j einen kleinen Vorteil bei Erysipel.
Bl Im Vordergrund des Interesses steht noch Immer die Frage nach dem
'Wert der Finsenbehandlung'^) bei Lupus vulgaris. Die beste Ant-
wort darauf bildet der Bericht Finsbxs »über unsere ersten 800 Fälle«. Er
sah nie nennenswerte schädliche Nebenwirkungen; "J4'*/a der Fälle wurden
gunstig beeinflußt, von ihnen 51% anscheinend geheilt, l'-l^o fast geheilt
und n*"o wesentlich gebessert. Bei den 407 Geheilten betrug in 102 Fällen
die rezidivfreie Heobachtungszeit bereits '2 — 6 Jahre; bei den übrigen Kranken
hatte sie allerdings nicht '2 Jahre erreicht. Je ausgebreiteter die Krankheit,
desto schwieriger kann sie zu einem befriedigenden Ende geführt werden.
Die Krankheitsdauer spielt nur insofern eine Holle, als mit der Länge der-
selben der Lupus zuzunehmen pflegt. Der Lupus soll daher so früh als
— möglich in Behandlung genommen werden. Die häufige Komplikation* mit
* lu solchen Füllen vor nllem mÜBsea andere Heilmethoden ergHoKäad einwirken
(Radium, UeIßlafC, Tuberkulin etc.).
378
Lichtstrahlen.
Schleimhautlupus trübt die Pro^uose. Die kosmetischen Resultate sind so
vortrefflich, daü auch den nicht ganzlich Geheilten durch das Lichtverfabren
ein wesdnl Hoher Dienst (celeiatet wird.
Mit Rücksicht auf die g;länzenden kosmetischen Resultate verdient die
Hehandlung mit konzentriertem Licht mehr als bisher geschehen ge^en
Naevi versucht zu werden.
ßuKDiKK^^j vermochte einen weinroten Naevus im Gesicht allmählich
vollständig narbenfrei zu beseitigen. Jeder Teil des Naevus muß zur Reaktion
gebracht und nach Ablauf derselben das Verfahren 3 — 4mal wiederholt werden
Einen wesentlichen Fortschritt, von dem die Therapie bereits Vorteile
gezogen hat, verspricht der Ausbau der Quecksilberlampe.^*) Diese
sendet besonders reichlich die unsichtbaren, wenig wärmenden Spektral-
strahlen über große Flächen aus. Die Lampe ist sehr handlich, bedarf ver-
hältnismäßig geringer elektrischer Ströme und kann sowohl schwfichereo
wie stärkeren Strömen angepaßt werden.
Weil nun bekanntlich die Resorbiorbarkeit der Strahlen mit der KDne
ihrer Wellenlänge zunimmt, so müssen die Wände der Quecksitberlampen
aus besonders für ihre Strahlen lichtdurchgängigen Stoffen angeferti^
werden. Bisher kam dafür nur das teure Quarz in Betracht. Jetzt ist »s
Schott (von der bekannten Firma Zeiß) gelungen, ein geeignetes Glas als
Ersatz herzustellen. Die damit hergestellte, wesentlich billigere Lampe kommt
unter dem Namen »UvioU (aus ultraviolett gebildet) in den Handel. Bisher
wurden Ekzem, Akne, Fußgeschwüre, parasiläre Hauterkrankungen und
Alopecie erfolgreich damit behandelt Praktisch nicht unwichtig ist der Um-'
stand, daß man auch mehrere Patienten mit nicht sehr ausgedehnten Haut-'
leiden zugleich vornehmen kann.
SoKGo'^; hat Kranke mit Larynxtuberkulose autoskopiert und dem
Sonnenlicht ausgesetzt. Nach einem Bericht von Kinwald^*) wurden durch
dieses Verfahren unter 13 Patienten X'2 gebessert, einige geheilt, indem
Infiltrate und LMzerationen schwanden.
Wegen einer Reihe von Unbequemlichkeiten, die die bekannten
Finsenapparate aufweisen, verdienen Versuche i"), sie handlicher zu machen
oder gar ihre Lichtkraft zu verstärken, unsere Beachtung. Es sei dskber
auf den Apparat, den Bering i*^) beschreibt, hingewiesen, der den Gebrauch
des FiN.s KN- RHVNschen Apparates fQr Kinzelbehandlung erleichtern
will. Einen Ersatz desselben erstrebt Marir. i'^) Er benutzt eine elektrische
Bogenlampe von 10 — 20 Amp. ohne den Lichtkonzentrator. Der Ltchtbugea
ist nur b cm von der Haut entfernt und fest mit dem von gewuhnlichem
Wasser durchflo^senen Quarzkompressorium verbunden. Das Ganze hängt
durch Gegengewichte äquilibriert an einem HÖgel, so daß es leicht in jeder
Höhe eingestellt werden kann. Das KompreHsorium wird in der Hegel durch
4 elastische Bänder, die lest gegen ein Kissen auf der entgegengesetzten
Seite des Kopfes gezogen werden, gehalten. Trotz Fortfalls des Lichtsamniel-
apparates braucht wegen der geringen Entfernung des Patienten von der
Sirahlenqut^Ile die Expositionszeit nicht verlängert zu werden. Sie beträgt
ca. 1 Stunde.
Die Lichtstrahlen können das Auge schädigen^') und es Ist daher
nötig, daß sich besonders der behandelnde Arzt durch Schutzgläser sichert.
Die Gläser sollen aschgrau sein, jedenfalls nicht blau, da die Schädlichkeit
der Strahlen mit der Kürze ihrer Wellen wächst. Als Folge der Blendung-
stellt sich leicht Erythropsie ein. In dem stark geblendeten Auge beginnt
das Cbromatin der Körnerschicht und Ganglienzellen zu schwindeu und
letztere fangen an zu vakuolisieren.
Die Vorgänge, welche sich bei den durch Licht veranlaßten Heilungen
abspielen, waren wiederholt Gegenstand genauer Untersuchung. W^as den
I.khtfitrahlen« — Lokalaiiflstliesie.
379
ipus anbetrifft, so beruht die Vorstellung, daß sich die Tuberkelbazillen
auffallend empfindlich gegen Licht verhalten, auf einem Irrtum (Bang ^^).
Außerdem wirken die Strahlen nur bis zu Hauttiefen von r5 nun (Janskx)
oder gar ü 5 rnni (KlixgexmClleh und HalbeustÄdtek '^) bakterizid. Wir
uaQssen daher annehmen, daiS die Gewebsveränderungen die Ursache der
Heilung bilden. An herausgeschnittenen Stücken behandelter Haut findet
man pathologische Gefäßerweiterung mit Blutaustritt, Zügrundegehen von
Zellen , besonders der pathologischen , und Neubildung von Bindegewebe
(WA-\srHER u. a. -"].
K Was die Geschwulstzellen anbetrifft, so werden sie durch direkte Be-
krahlung bis zu einer Tiefe von ca. 0 5 n;/77 vernichtet, wie Jknskx und
■ANdBN -*) an einer leicht Qbärtragbaren Geschwulst der Maus feststellten.
m Bedenkt man. daU die Strahlen, weiche am leichtesten Bakterien töten
pnd Entzündungen erregen, auch am leichtesten resorbiert werden, so liegt
der Gedanke nahe, daß die nicht wegzuleugnenden Tiefenwirkungen der
Strahlen auch bei Lupus den von den Theoretikern bisher ein wenig ver-
nachlässigten Wärniestrahlen zugeschrieben werden mQssen. Diese worden
während ihres Durchdringens durch die gekühlten oberen Hautschichten
nicht bemerkt, dürften aber dort, wo sie resorbiert werden, ohne daß die
fQhlung eben dahin dringt, eine kräftige Wirkung entfalten.
Denn man kann jenseits einer Kisschicht mit Hilte des Finsenapparates
ein Stock Papier in Brand stocken. Wenn nicht die Drainage durch das
kreisende Blut vorhanden sein wQrde, müUte das Finsenlicht sogar grobe
innere Verbrennungen hervorrufen (Scholz -'J, Levy-Dorn').
Literatur: ') Dowkbb and Blüst, Proi-eed. ol the Royal Sor. nl London, C. Dt*iemb«r
1877 und li>. Dezember 1878. — *) Widmibk, Hy^iea. Fealb. 1891) und B«itr. z Upblhulai.,
Leipzig 1881, pag. 43S. — ^) Maklakopk, Arcb. d'ophlt»alm , 1839, IX, pa«. 97. — *) Kkllooo,
Amer. elcctrot. Äsaociat., Hrptembtir 1894. — *) Kaab, Sllinchcuer med. Wochenschr. , 19ü0,
Nr. 1: V. Tappkimkb. Lichtwirkende Stoffe. Dfutsche tnt-d. Wot:hen*t:hr.. 1904, Nr. 14; Jk-
sioKBK, Licbttberapie nach v. Tappkiükk. MUnchener med. Wochrnscbr., 1904, Nr. 19, 22, 24;
JuioNEKnnd V. TAi*rEtxBR. Behandlung derHanthnrzinonitMnit fluort^HEi(?rcnd<*n Stoffim. Deutsüh.
Arcli. f. kliti. Med., L\X.\1I, H 3 u. 4; .looLHAiri^it und v. TArrnnKR, ßetoiligung des Saaer-
itoFloä bei der Wirkung lluDre»zierender Stoffe. Ibidem, LXXXII, U. 5 u. H: SACBARorp und
Sachs, llämol^tiäcbe Wirknng der pbütodyaami«chen Stoffe. — "» Dbcvkk. Mitt. am FiecäKii;!
med. Lysin&t. . U. 8, und Dermat. Zeitttcbr. . 19Ü3 , X, ü. G ; FoEScaoAuuKR, KliniHcbe Mit-
teilnng über Lichtbebandlung uuoh Sensibilisatiun. L>L'uUuhe med. Wochenäehr, 1901. Nr. 38;
BalbebstAutkr, MUnobeaer med. Wocbenschr , 1904, Nr. 14; Nkj^kee und Ualhulstäutü:!!,
Deatscbe med. Wochenselir., 1904, Nr 8; SpitLHori', Berliner kliii. Wochcnscbr., 1904, Nr. a9.
— V Berliner med. GeaelUch., 11. n. 2ö Janaar 1905- — ") Steinek, HQachuner med.
Wocheusehr., 1904, Nr. 16. — *,i Ricilkt und Üylks, Laucet, paz. 237. — *') Goldmasm,
Impfung nuter rotem Liebt. Wiener klin. Woofacnscbr , l^KU, Nr. 30; Hav, Ibidem, Nr. 38;
ICxüi>rKi.uACHKu nnd Scuki», ibidem, Nr. 40; KödMcit, ibidem, Nr. 47. — *') KiiACftit. Deutsche
med. Wocbenicbr., 1904, piig. 115. — ") Fimak.v, Mitt. aus Fixskxh Ly»inst. , II. ö a. ti. —
"') BoBDiK«, Ärch. d'iilect. uiöd., 19Ü4, Nr. 150. — '*» Axvann, Deutsche med. Wochenschr.,
1905. Nr. 22; Gottstbix, ZeitHehr. l. diätet. u. pbysikiil. Tberaple, 190Ö, IX, H. 1. — *^> 8oaoo,
Wiener kUn. Wochen»«chr., 190iS, Nr. 4; Kcnwalu, MUncbener med. WoebeuBobr., 1905, Nr. 2.
— ^*) Bkbikg, MUncbener med. Wochensebr., 1905, Nr. Iti; Mahib, Ärch. d'elect. med., 135
biö 137. — '^j BiBöcu'HiBäenrKLD, v. GHAttn:« Arcb. f. Ophthalm., VII , pag. 469 ; StOeklb,
Arch. I. Augenhk.. L, pag. 121. — ") Bano , Mitt au«« Finskn« med. Lväinst , H. 8. —
^') Klimomillkb nnd llALUKB»TÄDrKB, Deutsche med. WocbenRcbr., 1904, Nr. 14, pag. 539-
— '^) W'ANscaBH, Mitt. auB FinfSEMS med. Lysin^t., B. 7. — ") Jksbkx und Jasskn, ibidem,
H. 7. — "J ScMOu, Uerliuer klin. Wochenachr., 1904, Nr. 18. Lev^-ltorn.
LokalanästltCHie. Von lokalen Anästhcticis wird von E. Mbvkk >)
das Äthyl Chlorid bei der Behandlung der Sycosis parasitaria empfohlen. Dank
dieses Mittels kann man die Depilation verlassen, ein Gingriff, welchen sich
die Patienten nur sehr ungern gefallen lassen. Das Chtoräthyl wirkt nicht
nur anästhesierend, sondern tötet auch den Krankheitserreger. Es genügten
wöchentlich zwei Chlorilthylapplikationen . die bis zur weißen Verfärbung;
der betreffenden Stelle ausgedehnt werden milssen.
380
Lokalanästhesie.
Eine weitere Verwendung dieses Anästbetikums schlägt H. Fiscii£ii''i
vor. Derselbe benutzt es zum schmerzlosen Nähen von Wunden. Aas ciMr
Entrernung: von 30 — 40 c//; läßt man einige Sekunden lang den Chloritbrl-
strahl auf Wunde und Wondränder bis zum Eintritt vollständiger Animie
einwirken und fOhrt dann die Nadel durch den mit der Pinzette gef&flua
Wundäuum. Da die Gewebe gehärtet sind, kann man selbst Wanden In 6«
Nähe der Augen ohne Zerrung nähen. Fischkr benutzt statt des reiora
Chloräthyls meist die unter dem Namen >Anä8thot Dr. Speier* ets^
IQhrte Mischung von Athylchlorid und Methylchlorid. Dasselbe Prftpanl
empfiehlt er auch ') zur Reposition eingeklemmter Hernien. Die 1 — 2 Mtnotso
lange V^erwendung des Anästholsprays erscheint ihm zw*eckmäßiger alt daa
Auflegen des Eisbeutels vor Ausführung der Reposition.
Von Martin* *) wird das Athylchlorid als lokales Anäathetikuni gleich-
falls gelobt
Aulierdem findet das; Präparat auch immer mehr Anwendung als allce^
meines Narkotikum, welches per inhalationem gereicht wird. So empfiehlt
es HeRRENKXEf HT ^), und Lop 1) benutzt es viel in der Geburt&bilfe. Die eng-
lischen Ärzte Daxieli. ^1 und Hili.iaro*^) loben es ebenfalls. Sie verwendcB
es teils allein, teils in Kombination mit einem anderen Inhalationsanftatheticom.
Eine noch grdüere Verwendung als diese leicht flüssigen Substanz»
finden in neuerer Zeit die verschiedenen Mittel, welche dem Kokain chemisfb
nahe stehen und zu dessen Ersatz empfohlen werden. FQr die suti
Anwendung der löslichen Präparate ist bekanntlich früher schon von
eine Schraubendruckspritze, von anderen eine Spritze mit HajonettverschloA
angegeben worden. Martin*) glaube für gewöhnlich mit der einfachen von
Schleich angegebenen Spritze auskommen zu können, jedoch gibt Heixkichn
der BRAi'Nschen Spritze den Vorzag.
Das Tropakokain wird von RvDVOtER ^^) zur Ausführung der Medall&r
narkose empfohlen. Seine Erfolge erscheinen recht günstig ; unter 49 PiDn
waren nur 2. bei denen die Methode versagte und zum Chloroform gegriÜM
werden muüte.
In der Marburger Augenklinik wird eine Mischung von Acoin and KokAia
surAnäatfaesierung desAuges benutzt. Kralss^*) empfiehlt folgende ZusamiiMO*
Setzung: Acoin 0025. Cocain, hydrochlor. 0 05. Sol. Natr. chlorat. (O'T;!** •) ti)
50; dazu eventuell noch 2 — 3 Tropfen einer Adrenalinlösung (1 : lOOÜ). Dil
Lösung zersetzt sich schnell und muß alle 3 — 4 Tage frisch ancelertifl
werden. Zur Krzielung der Anästhesie wird die Lösung in die Umgebung dM
Operationsgebietes an etwa vier Stollen eingespritzt. Meist genfigen 0*d cm*.
Die An&Kthesie setzt dann fast momentan ein. Die Resultate waren gnt«-
Das l:^*Eukain ist bekanntlich das salzsaure Salz der betreffvo^ti
Base. Von La.xgoaakd *') wird nun neuerdings das milchsaure Sali: Ro*
cainum lacticum empfohlen. Rs hat dem salzsauren gegenüber den Vonsc
einer viel größeren Löslichkeit, wodurch es eine größere Anwendharktlt
besitzt. Katz ^M und ebenso Meyer") haben es (in 10- und IS^/o'K«"^
suDgen} mit gutem Erfolg in der Nasenheilkunde und Otiatrie verwiodt
Aber auch auf anderen Gebieten wird es sich viel verwenden lassen. Ks sisd
auch von LwtiOAAito *^) schon verschiedene Rezeptformeln für die mtattf*
fache Verwendung dieses Präparats mitgeteilt.
Ritserts A n ä s t h e s i n wird von FiNr)ER •«) als ein vortöflichf«
Anästhetikum empfohle% besonders geeignet zur Verwendung bei Räch«''
und Kehlkopferkrankuogen. Lotmkissrn ^^) benutzt es in 20^>lgtr Utom
(Anaesthosinum hydrochloricum) bei chirurgischen Rrkrankunff^o. ■*"
inentlich der Speiseröhre. Schließlich wird die wasserunlösliche Ba«e ^
Pulverform (zu je (rbg; pro Tag 20 — 3 0^) von Schliki» *") als Mittel fei«
Seekrankheit empfohlen.
Lokalanästhesie,
381
Zwei neue lokale AnSstlietika sind im letzten Jahre eingeführt worden;
Das Stovain. von Fourneai' *") dargrestellt. ist das salzsaure Salz des
►iaiethylaminobenzoyidiraethjifithvlcarbinol. Seine F'ormel ist:
CH,
/
CO. CO
CHa
CoH,
CH,
N
CH,
•eig^t gewisse Ähnlichkeiten mit der des Kokains und des Eukains. Sie
haben alle drei die substituierte Aminojcruppe und die benzoylierte tertiäre
oder sekundäre AlkoholgTuppe gemeinsam. Wührend aber Kokain und Eukain
einen geschlossenen Ring von Kohlenwasserstolfen aufweisen, also zu den
aromatischen Körpern gehören, zeigt die Formel des Stovain nur eine
»Kohlenwasserstoffkette. Es rechnet danach also zu den aliphatischen KSrpern.
Seine Vorzüge gegenüber dem Kokain sind seine geringe Giftigkeit
und seine Sterilisierbarkeit. Man verwendet es in r'^pigen Lösungen. Sonxkx-
BL'Rc. '^) hat es zur lokalen Anästhesie und vor allem auch zur HOckenmark-
anäslhesie mit Erfolg benutzt. Pof.nahu-Caplescu ^'j und ebenso BAROKScr '*)
benutzten Stovain als lokales Anästbetikum in der kleinen und großen
Chirargie. Letzterer setzt den Losungen etwas Adrenalin zu. In der Laryngo-
*Iügie und Rhinologie wurde es mit Erfolg von A. Meykr ^*) verwandt.
Gleichfalls ein aliphalincher Körper ist das soeben erst von Imi'exs")
eingeführte Aly pin. Dasselbe ist das salzsauere Salz des Benzoyltetra-
methyldianiinoätliyldimethylcarbinol, also den Stovain sehr ähnlich ^«-ebaut.
Es wird von den Elberfelder Farbenfabriken in den Handel gebracht. Thera-
^jpeatiscbe Erfahrungen mit demselben liegen noch nicht vor.
HT Wie schon wiederholt erwähnt, wird es immer mehr Brauch, den
LSsungen lokaler Anästbetika ein wenig Adrenalin oder ein anderes
Nebennierenprftparat zuzusetzen. Da den letzteren Präparaten die
Fähigkeit zukommt. Örtlich gefäUverengernd zu wirken, so wird dadurch
einmal die Resorption des angewnndten Anästhotikuma verlangsamt und
ferner das Auftreten von Nachblutungen nach der Operation an einer
derartig behandelten Stelle erschwert. Die Behinderung der Resorption des
Anästbetikums durch das Nebennierenpräparat wirkt im doppelten Sinne
günstig. Erstens bleibt das Lokalanästhetikum länger am Orte der Appli-
kation, seine Wirkung ist daher eine länger dauernde. Zweitens aber ver-
hindert die Verlangsamung der Resorption, während gleichzeitig die Ans-
Scheidungsvorgänge von gleicher Intensität bleiben, eine größere Anhäufung
resorbierter Substanz im Körper und dadurch das Auftreten resorptiver
Giftwirkungen. Eine »Entgiftung« des Kokains etc. durch das Nebennieren-
I Präparat etwa auf cbemiöchem Wege findet dabei in keiner Weise statt,
;irie auch Thies^*) und Sikrmeier *^) experimentell zeigen konnten.
Noch häufiger als Kokain wird ietzt Eukain mit einem Nebennieren-
präparat kombiniert. Man bringt solche Lösungen zweckmäßig nach einem
früheren Vorschlage von Braun ^*>j durch geeigneten Zusatz von Kochsalz
auf eine möglichste Isotonie mit den KÖrperflOssigkeiten. Empfehlenswert
ist folgende Lösung zur subkutanen Injektion oder zur Intlltrationsanästhesle
oder regionären Anästhesie: Rp. Eucaini J:^ 0*2, Natr.cblorat 0*15, Aq.dest. 20*0.
Vor der Injektion werden in der Spritze 0 ü c///> dieser Lösung mit 0*1 cm*
einer iVoo'?®" Adrenalin- oder Suprareninlösung versetzt.
Derartige Mischungen wurden mannigfaltig angewendet und viele Be-
richte Über ihre Zweckmäßigkeit liegen vor, so von Salbcker ^^), Chienb-^),
Silbermark «"), Freund ^% Wormskr ^i), Simon *-), E. Barker "), Dönitz »♦) u.a.
382
Lokalani&uthesie. — Lupustheraple.
Statt des amerikanischen Präparates Adrenalin wird jetzt troncr
mehr das von den Höchster Farbwerken in den Handel gebrachte Nebra-
nierenpräparat Suprarenin verwandt.
Literatur: '» E. MKn.«, Med. Klinik. 1905, Nr. 9, pap 209. — ".) H. Fwc«i. TVra»
d. Gegcnw., Jon. 1905, pfig. 47. — '^ DerBelbe, ebenda, Miirz 1906. — *» Mim», Dw
Anftstheeie in der Urztlichen PrnxU. München 1905. — ') Hi;RBRMK.XBcaTt Über ÄthyleUorM
und Alhylchloridnarkose. Leipzie 1905. — "} Lop, Gas. de» hup.. 1904, Nr. 50. — '- 0^
ÄiBLL, Brit med. iourn.. 11H)4, Nr. 22ßO. — ') Hiluabd, Lanc«t, 1904, Xr. 4242. — »> B*»-
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Przeglad lekarski. 1904, Nr. 7; n!. Tberap. MonaUb., üt-pt. 1904, pag. 4^2. — "• lU»».
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pn«. 418. — ",t Katb, fbenda, png, 419. — '*) A. Hkybr, ebenda. Mai 1905, pajr.SiU-
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1905, Nr. 8. pmf 211. — ") Lotbeissi:!«, Wiener klin. RnndMchaii, IS*04, Nr. 44. — '»j Scäuw.
Denlscho uied. Wocbenachr., 1904, Nr. 10. — '•} ForaNHAu, Conipt. r»«nd. de rioaA., M- 13S,
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Nr. 3, pag. 114. — ") llABDiMCir, ebenda, Nr. 23; ref. ebenda. Nr. 6, vag. 237. — "i I»««.
Dealsche med Wocbennchr.. 1905, Nr. 29, pag, 1154. — ") Tbies, D«'Tit«cbe Z/'itackr. L
Chir., Bd. 74, H. 5 o. 6. — ") S.kkubier, Weekbl. voor OeneeBk., 1905. Nr. 13, — ••- Bwc«.
Kokain nnd Adrenalin •Suprannin). Berliner Klinik, II 1H7. — '^ Salkckib, DrtficW
railiUrärttl. ZeiUchr., nH>4. Nr. U. — ") Ciiiens, The Öcolunh .Medical and Snrpcjil '"^"^
ftept 1904, XV, Nr. 3. — ") Silbermabb , Wiener klin. WochenBchr., 1904, N
'") FBKnrp, Zentralbl. I. Gynilk., 1904, Nr. 48. — *'. WoansEB. Korre^pondenabl. I. VL j
Ärzte, 1904, Nr. 23. — «') 8imox . MUnchener med. Wochenschr., l'KH, Nr. 29. — •• K.
Babkrr, Brit. med. Joam., 1904, piig. 1682. — ") Dosii-z, Müncheoer med. WoehciuchT.. liMä,
Nr. 34. JDMb.
L.npa8tlieraple. Eine Besprechung der Therapie des Lapna fflDl
wenn sie nicht eine der durch die Anlaf^e dieses Werkes ^ezo^ene Schränke
überschreiten und zu einer umfassenden Monographie sich auswachsim «Ul.
bei der BeHprechuof^ der verschiedenen Methoden durchweg sich auf karxe
Mitteilung und Hinweis auf die betreffende Literatur beschränken.
Ks ist Qbrigrens die Bcschränkunf? um so leichter, als nur eine Metbod*
eine, wenn auch knappe, so doch eiofrehende Besprechunfi: beaasprucht, di«
Behandlungsmethode mit dem Finsenlicht.
Die gesamten Methoden zur Lapusbebandlung lassen sich in xvft
Klassen teilen: erstens in solche, bei denen in mehr oder minder AOf-
gesprochener Weise eine Eliminierung des kranken Gewebes, me[»t«Bi
Nekrotisierung desselben, angestrebt wird — dahin gehören alle Melhud«fti
auUer der Finsenmethode und vielleicht der RüntgeDbehandlung ; auch df*
Behandlung mit statischer Elektrizität und dergl. gehören dahin -- ool
/«"eitens solche Methoden, bei denen ohne Jede Nekrose, lediglich dnrcli
reparative Vorgänge im Qewebe, die Heilung angestrebt wird. (Von dtf
internen Behandlung des Lupos sehe ich hierbei selbstverstAndlich ab.)
Ich berQcksichtige in der nachfolgenden Besprechung die lUteran Mt^
thoden. die Aasschabung mit dem VouKMAWschen LGffel, Skaririki
Oalvanokauterisation, ohne Literaturangaben, nur so weit, als ich sii
Vergleicbung mit anderen Methoden oder als Hilfsmethoden bei
weitiger Behandlung erwähnen muß. Auch die neueren Behandlunbramet
nulier der Lichtbehandlung, berühre ich nar kurz. Die Grenze, bis
KurQck in der vorliegenden Besprechung die Veröffentlichungen in iM
Umfange angef&hr in Betracht gezogen sind, wie sie durch die Relsnit«
unserer Spezialzeitscbriften — vor allem der Monat^hefto fOr praktiM^
Dermatologie — berQcksiohtigt sind, ist im allgemeinen das .lahr 189f<
An operativen Methoden ist von verschiedenen Seiten die Kistirpfttio'
der erkrankten Partien, meist mit nachfolgender TiiiEHsrHscherTrnnsplaDUtloi
empfohlen. Es sind hier besonders Lang und Urbax sa nennen. In iNr
Arbeit von Urbak*) Ist die Altere Literatur angegeben.
Lupustherapie.
383
■ Man entfernt bei dieser Methode den Lupus der äuüeren Haut so, wie
m&n sonst einen Tumor entfernt. Im Gesicht wird man diese Methode nur
bei kleineren Herden anwenden können, ohne schwere Entstellungen zu be-
kommen: ganz kleine Herde, bei denen man die Naht anlegen kann, ^oben
noch die besten Resultate. Sobald man aber im Gesicht zur Transplantation,
sei es nun THiRRsciischer oder zur Lappentransplantation, Qbergehon muß,
sind die Narben recht entstellende.
Auch eignen sich nicht alle Formen des Lupus für die Radikaloperation.
Bei ulzeriertem, stärker entzündlichem, bei veg^etierendem Lupus oder bei
Lupus tnmidus. den akuter verlaufenden KäUen des Lupus, mü5te man schon
recht weit im Gesunden operieren und bekommt doch Narbenrezidive. Ge-
eiiniet ist besonders der einfache Lupus vulfcarls mit Exfoliation und be-
sonders kleinere begrenzte Herde im Gesicht und aus(^edehntere Herde am
Körper, an den Extremitäten, (n letzteren Fällon ist zweifellos oft die
Radikaloperation nnbedin^ die hoste und die zu wählende Methode.
Sehr empfohlen wird diese Methode in hierzu geeijijneten Fällen bei
Lupus der Aug:enlider, der Ohrmuschel. Ist der Lupus hier auf die Haut
beschränkt, besonders an den Lidern, hat er den Knorpel nicht er^rriffen, so
kann man bei radikaler Kxstirpation und TiiiEUsrHseher Transplantation ganz
vorzügliche, kosmetisch, funktionell und was die ende:Qltig:e Heilung: angeht,
unübertreffliche Resultate erzielen. Von 46 Fällen, über die Lanu 1900 be-
richtete, waren IB von zwei bis zu fast sieben Jahren ohne Rückfall ge-
blieben.
In einigen Fällen wurde — der Zweck ist nicht recht einzusehen —
diese Methode mit Tuberkulininjektionen oder medikamentösen Behandlungs-
methoden verbunden. Der Zweck solcher Kombinationen ist schon deshalb
nicht recht einzusehen, weil die Radikaloperation nur dann angezeigt ist
und einen Sinn hat, wenn man wirklich radikal operieren kann ; wo man
im Kranken bleiben muH, dauernd, soll man lieber andere Arten der Behand-
lung wählen. Ich sehe dabei natürlich ab von den Fällen, in denen man
durch mohrfache Exstirpationen einen grolioren Herd ohne Transplantation
entfernen kann. Es ist aber immerhin gewagt und unzweckmäßig, unrationell,
gesunde Haut durch die Naht mit kranken Teilen zur Verheilung und da-
mit in innigen Kontakt mit Infektiüsem Gewebe zu bringen.
Unter die chirurgischen Methoden könnte man in gewisser Hinsicht
auch die alte ÜNNAsche Spickmethode rechnen. Unna selbst erwähnt sie
in einer zusammenfassenden Besprechung der von ihm befolgten Methoden. *2)
Sie besteht darin, daß ein mit ein wenig Watte armiertes zugespitztes
Hölzchen in eine ätzende Lösung (Liq. stib. chlorati oder l%igo alkoholische
Sublimatlosung) getaucht, in die einzelnen Knoten eingebohrt wird; man
wiederholt diese Atzung mehrfach hintereinander und kann die (gekürzten)
Hölzchen durch Pflasterverband fixieren und mehrere Stunden in dem an-
gebohrten Knoten sitzen lassen.
Dasselbe bezweckt die von Dervillri^) angegebene »Dilaceration«.
Die einzelnen Lupusknötchen werden mit einem spitzen Bistouri angebohrt
und durch Chlorzinkkristalle geätzt.
Es ist klar, daU diese Methode da, wo sie angezeigt ist, wohl recht
wirksam sein kann; sie ist aber nur da angezeigt, wo es sich um wenige,
nicht ulzeriorto, einzeln stehende Lupusknötchen handelt.
Diese Spickmethode ist ja schon eine Kombination zwischen chirur-
gischer und medikamentöser Behandlung.
leb bemerke übrigens t^chon an dieser Stelle, daß eine Reihe der als physi-
kalische Behandlungsmethoden angegebenen Verfahren — das HoLLAKNDERsche
Heißluftverfahren, die Behandlung mit statischer Elektrizität — nichts anderes
sind als besondere Arten der chirurgischen Behandlung. Ks wird eine Zer-
384
Lupustherapie.
Bturunjif des kranken Gewebes auf mechanischem Wege erstrebt and da»
Resultat muß immer eine Narbe sein-
Von medikamentösen Behandlungsarten ist natOrlicfa eine große Änuhl
empfohlen ^vorden. Ich möchte für diese Methoden sagten, was ein Aotor
bei der Besprechung der ÜNNASchen Spickmethode sagt (Lekglet): Sie ict
das letzte Glied in einer großen Reihe von Methoden und ist durch di«
unaufhörlichen Änderungen und Verbesserungen, die mit der Behandlung vor-
genommen werden, ein Beweis, dnß die ganze Methode noch nicht ideal Ist.
Es gibt eine ganze Reibe von Medikamenten, deren Anweaduog in
geeigneten Fällen manchmal ziemlich gute Resultate ergibt, ziemlich gat
sowohl in Hinsicht auf das kosmetische Resultat, als auch auf die Dauer
der Heilung. Ideal ist aber keines dieser Medikamente.
Recht gute Resultate sind mit der besonders in Frankreich durch
Hallopeac und Bitte»« "• *') empfohlenen Behandlung mit Kalium perraan-
gantcam (15 — 18) zu erzielen. Die zu behandelnde Stelle wird nach Buhe
zuerst mit folgender Lösung abgewaschen: Sublimat 0*S. Tct. benz. 5*0, Tct
saponat. 50ü, A*\. deatillata 200 0 und hierauf werden entweder (t&glicb) mit
einer 27oig6n Kali permangan.- Lösung getränkte Kompressen oder einige
Minuten lang Kristalle von Kali permangan. aufgelegt. Hinterher Abspfllanc
und Verband mit Borsalbe. Die Methode ist ziemlich schmerzhalt, besonders
die Anwendung der Kristalle, aber sie ist wirksam. Butte stellte einen
Fall vor, in dem die eine Seite des Gesichtes 284 Sitzungen mit FinseoÜcht
erhalten hatte, die andere mit Kali permangan. behandelt war; letztere Seite
war besser.
Über die Behandlung mit der sogenannten L^WAschen grDnen Salbe
liegen nicht viele Angaben vor; eigene Erfahrungen fehlen mir. Krzysztalo*
Nicx=*') empfiehlt sie.
Die Formel fflr dieselbe ist: Acid. saÜcylic, Liq. atibii chlorati aa. 2'0i
Kreosot, Extr cannabis tnd. aa. 4 0, Adip. lanae 60.
Die Salbe wird in dünner Lage auf die mit Lupus affizierte Haut auf-
getragen und mit Zinkoxydpflastermull oder Guttaperchapapier breit be-
deckt; dieser Verband bleibt 24 — 48 Stunden liegen. Es tritt oberflächliche
Nekrose ein, die meist mehrfach wiederholt herbeigeführt werden muß.
Die von Ganson**} empfohlene Behandlung mit HjOj hat nicht vielen
Anklang gefunden; bei ulzeriertem Lupus gibt diese Methode, wie ich mich
überzeugt habe, vorübergehend recht günstige Resultate.
Besonders als Vorbehandlang für die Anwendung des Finsenlichtes.
aber auch für sich altein ist die von Ehhmaxx^') angegebene Resorcin-
behandtung recht brauchbar. Eine aus SS', Gewichtsprozent bestehende
Resorcinpaste wird auf die Haut aufgetragen und so häufig eine Verschor-
lang der Haut herheigefflhrt. bis Heilung des Lupus eingetreten ist Joseph**)
empfiehlt diese Methode mit geringen Modifikationen.
Ehrmanxs Formel: Hosorcin 30, Lanolin 40, Ugt. simpl. 5*0, Vaselin
20 (8—10 Tage täglich). Joseph: Resorcin 300, Zinkoxyd, Amyl. aa. 20-0.
Vaselin ad 1000.
Die altbekannt«, als Vorbereitungskur vortreffliche Behandlung mit
10%iger Pyrogallussalbe (bei den Franzosen in ätherischer Lösung) behält
ihren Wert und wird von mir allen anderen Methoden bevorzugt, besonders
wo ea sich um vegetierende, hypertrophische Formen des Lupus handelt.
Wittmaack"") empfiehlt die F^TOgallussäure neuerlich wieder für Schleim-
haatlupus (Nase).
Rationell scheint die Fornialinbehandlung des Lupus zu sein: Formal-
debyd 40" o nüt Glyzerin. ScaT( biard veröffentlicht günstige Resultate.
Ich gehe jetzt zu einigen Metboden verschiedenartiger interner Behand-
lung des Lupus Ober.
Lupustherapie.
385
B Die Kalomelbehandlungr schien sich einige Zeit großer Beliebtheit zu
erfreuen.*^ ") Ich glaube aber, daß die seinerzeit mitgeteilten gunstigen
Resultate wohl vielfach auf Fehldiugnosen, auf Ver\vechBlung mit ulzerierten
Syphiliden beruht haben. Eine Heihe von Autoren (Emery, Miliax, Qlawski,
NiKAMN, Vkhrotti) berichten durchaus unzufriedenstellend; letzterer betont,
daß die Behandlung auf primären, nicht ulzerierten Lupus vollständig wir-
kungslos sei: auf sekundär voränderten Lupus habe das Medikament Ein-
fluß, dieses sei aber nicht als spezifisches anzusehen.
b Der Kuriositär willen seien die Behandlungen mit Fluornatrium (\ dcg
%ach dem Essen) von PntLii'r.so.vi^; erwähnt und die Thyreoidbehand-
lungen von Gould^*) und Prondpoot.'*) Irgend nachahmenswerte Erfolge
werden nicht mitgeteilt, eigene Beobachtungen fehlen mir.
Dos Tuberkulin, besonders, wie es scheint, das Alttuberkulin, hat
Immer noch Anhänger, deren Stimme Beachtung verdient; ich nenne be-
sonders Dkctrelbi'ünt, der auf dem internationalen Kongreß in Berlin warm
für dasselbe eintrat. Er sagte nach dem Bericht (pag. 03, II): >Unter den
bisher angeführten Hilfsmitteln der kombinierten Lupusbehandtung vermisse
ich eine^, welches ich seit seinem ersten Bekanntwerden bis heute noch
ununterbrochen benutzt habe. da,H Tuberkulin. Das Tuberkulin ist. das wissen
wir heute alle, nicht geeignet, für sich allein eine Radikalheilung des Lupus
herbeizufahren; daß seine Anwendung den Heilungsprozeß gQnstig beeinflußt,
glaube ich auf Grund ausgedehntester Erfahrungen nach wie vor behaupten
2a dürfen.«
D<n TREi.EPO\T steht aber nicht allein; bis in die neueste Zeit sind
Veröffentlichungen 3" *") erschienen, die sich für das Tuberkulin erwärmen;
allerlings fehlen auch ungünstige Stimmen nicht (z. B. LiTTLK-London '"). Von
dem Tuberkulin T. K. waren (um 1898) einige günstige Resultate berichtet:
in den letzten Jahren finde Ich keine dahingehenden Veröffentlichungen.
Im Ausland ist das Tuberkulin verlassen. Lenglkt (Pratii|ue dermato-
logique, Artikel Lupus *°) sagt mit Bezug auf das Neutuberkali]i : »Es ist
zufällig heilend, oft Besserung hervorbringend, manchmal sehr gefährlich;
nach der Anwendung sollte Allgemeinreaktion ausbleiben, sie tritt aber oft
eiii' Die Zusammensetzung des Mittels sollte eine konstante sein, ist es
aber nicht; es sollte anttseptlsch sein, ist aber manchmal septisch. Die an-
geblich mit diesem Mittel zu erzielende Immunisierung von Meerschweinchen
hat enttäuscht.«
Zu diagnostischen Zwecken, besonders um nach Abschluß der Behand-
lung festzustellen, ob noch tuberkulöse Herde zurückgeblieben sind, ist das
Tuberkulin wertvoll. Neisser *^) glaubt, daß bei einem Beginn mit W^rng
und bei Anwendung einer Dosis, bei der lokale Reaktion ohne Allgemein-
reaktion erzielt wird, die Anwendung des Tuberkulins angezeigt sei; bei
ausgeschabten und demgemäß nach der Oberflüche goölfnetem Lupus sei
Verschleppung mobilisierter Keime nicht zu fürchten. Wenn wir, was doch
viele (mit mir) tun, für einen Teil der Lupusfälte einen hämatogenen Ur-
sprung annehmen, ao hat die Tuberkulininiektion immer Ihre Bedenken.
Jedenfalls müssen die Fälle sehr sorgfältig gewählt werden ; nur kräftige
Personen mit unverdächtigen Lungen würde ich sehr vorsichtig dieser
Methode unterziehen.
Der Vollständigkeit wegen will ich die Erysipelübertragung, Iniektion
von Streptokokkenserum. Mareglianoserum erwähnen. *8'*0' ^i) Wir sind nicht
imstande, die VV'irkung dieser Stoffe zu dosieren, sie ist sehr ungleichmäßig.
Oft fehlt bei Ausbleiben von Allgemeinerscheinungen jede lokale Wirkung
(Vig.noi,o-Li;tati, Ham.upeai'), in anderen Fällen zeigen sich bei günstiger
Lokalwirkang allerschwerste, ja letal verlaufende Allgemeinerscheinungen.
Diese Methoden sind also zu verwerfen.
i;n«felop. Jfthrba«li«r. N. F. IV. (Xm.)
^a
386
Lupustherapie.
Wir kommen zu einer Reihe von Methoden der Lupusbebandlonj;. di»
man unter der Bezeichnung: der physikalischen Methoden zuBammenfatsM
könnte; sie sind aber in ihrem Wesen sehr verschieden. Es sind die V«r
eisang, die Heililuttbehandlunf?, die Röntgenbehandlung^, die Behandlanf^ mit
statischer ElektrizitAt und die Finsenlichtbehandlung: zu nennen.
Die Heißluftbehandlung^ z. B. ist aber im Prinzip eine chirur^i»rh-
medikamentöso zu nennen und ebenso steht z. B. die SucHiBKscfae B«hud-
lungf mit statischer Klektrtzität nichts wie der Erfinder zu meinen scheint
der Pinsenbehandlung im Prinzip nahe, sondern den cbirurgisch-medikanieQ-
tösen !
Die von Dethlepsen '^*) zuerst empfohlene Methode der Behandlung di»
Lupus durch Erfrierung, durch Vereisen mit Chloräthyl, bat besonder« in
Armn«**) einen warmen BefQrworter g^efunden. Eigene Versuche sind nicht
un^Qnsti^ g^ewescn, jeüoch kommt man — auOer vielleicht in sehr friscbeB,
nicht akuten, benignen, oberflfichltchen Füllen — nicht zu einem genO^endfa
Resultate ohne Anwendung anderer Methoden. Mit Vorteil habe Ich dl«
Vereisung in einigen Fällen als V^orbehändlung fQr die Finsenbeleuchtun^
gewählt.
Die Vereisung soll bis zum Eintritt deutlicher Reaktionserscheinunc«d
täglich oder mit geringen Pausen 1 V« — -2 Minuten durcbgefQhrt werd«a
Drruw'^*) verbindet die Vereisung mit der nachfolgenden Anwendaiif
von Acld. hydrochloric. crudum ; die Säure wird unter starkem Druck ein-
gerieben. Es bildet sich ein Schorf, nach dessen Abstoßung die Hohandluni
wiederholt wird. Bei ausgedehntem Lupus des Thorax z. B. habe ich diftie
Methode mit vorhältnismäbig gutem Erfolg gebraucht.
Die von ihrem Erfinder sehr warm empfohlene HeiÜluftbehandluttr
Hollanders ^^~^^) hat nicht die Anerkennung gefunden, die man nach dw
Angaben des Verfassers und einiger Autoren iz. B. WeRTHER-Dresden»'* er-
warten sollte.
HollXvpf.r will mit seiner Methode die Haut von der einfachen Ve^
brennung bis zur Verkoblung mit heiüer Luft behandeln ; er kann mit seinem
Apparat eine ilitze von 300" und darQber erreichen. HollAxpbr erapfiehtt
den von der Firma Schwebe in Moskau hergestellten Pa(|uelin-Luftbr«nn<r,
das glQhende Platin wird als Ofen benutzt, um eine separate, seitlich ein-
gefOgte Uohlschlange zu erhitzen.
Man soll sich im Beginn soweit von der Haut entfernt halten ~ alio
etwa 2 rm — , daß die Epidermis sich batlonartig abhebt Später nU)«rt
man sich der Oberfläche auf 1 — V/, mm. An der Ansatzspitze kann mal
fflr die K^rperhöhlen beliebig lange und gekrümmte Anaätze haben. Dit
Nachbehandlung besteht in Borsalbeverbänden, Bespülen mit 3°/oiger Arg«nt
nitric.-Lösung; feuchte Verbände sind zu vermeiden. Das Verfahren ist Mkr
schmerzhaft, so daß man es in Narkose anwenden muß. Broo^, Shiwllt*^ fbei
dem HoLL.vxoKR die Anwendung selbst geleitet hatte) sind mit der Metbod«
nicht zufrieden. Wenn Lang sie der Curettage nnd dem Paqueltn an di»
Seite stellt , so ist das für mich eine ziemlich ungünstige Kritik dv H^
thode. Von verschiedenen, mir maßgebenden Kollegen, welche die MMhod*
angewandt haben, ist sie mir als nicht empfehlenswert in mehrfacher B«'
Ziehung bezeichnet worden.
Grundsätzlich nichts anderes als die Verätzungen oder Verkohlunf«*
ist die Si'i'ttiKRsche Behandlung des Lupus vulgaris mittelst atatiadwr
Elekrizität, die wieder im Wesen dasselbe ist wie die STKKRKUscb* sid
Albkkt- WniLsche Behandlung mit hochfrequenten Funkenstrdmen.^*')
SuciitER möchte seine Methode der FiNSBNschen an die Seit« steUeo, d«*
Ist aber eine Verkennung des Prinzips der Methode. Die statische ElektrUf
wird da, wo das nicht einfache Instrumentarium vorhanden ist, fswIS f*
Luptisthcraple.
387
empfehlen sein, besonders zur Behandlung des Schleimhaotlupus oder sehr
begrenzter, kleiner Herde an Stellen, an denen die Anwendung des Kinsen-
lichtes mit Schwierigkeiten verknüpft ist.
^Die untenstehende Abbildung aus der SrciiiERschen Arbeit '^^) macht
ie folgenden AasfQhrungen leicht verständlich.
Wie aus der Abbildung ersichtlich ist, wird (bei Geslchtslupus z. B.
mit einer Stirnbinde) die Spitze zu den elektrischen Rntladungen dem Herde
nahegebracht; die Spitze sitzt einem Kugelgelenke auf und ist am zentralen
Ende mit einer Hartgummischeibe armiert, so dati man die Elektrode an-
fassen und dirigieren kann. > Mit Hilfe der Kugelgelenke stellt man nun die
Fiff. an.
spitze des Stiftes so ein, daß diese direkt in die vorher curettierte Partie
hineinweist. Durch Drehen der Schraube ist man leicht in der Lage, die
Stellung des Stiftes so lange zu korrig;ieren , bis man aus der Spitze ein
FankeobQschel in pinselartiger Aosbrettung hervortreten sieht. . . Man läßt
die Elektrizit&t auf eine etwa 'u ^^^ große Fläche so lange ausströmen,
bis die berieselte Partie schwarz erscheint, wozu etwa 5 — 10 Minuten er-
forderlich sind usf.«
Aus diesen Angaben ergibt sich, daß wir es nur mit einer — vielleicht
sehr brauchbare, gute Resultate in kosmetischer und therapeutischer Be-
liehung gebenden — chirurgischen Methode zu tun haben. Bei der Klein-
heit der zeitweilig bebandelten Stelle, bei der Schmerzhaftigkeit kann ich
388
Lupustherapie.
i
nicht glauben, daU diese Methode — außer, wie g^esagt, ffir Schieimhauttupo»
und »chwer zugängliche Stellen — wesentlich in Aufnahme kommen wird.
Zudem liegen, was die Dauerresaltate angeht, keine Erfahrungen vor.
Es ist hier die Gelegenheit gegeben, vorgreifend die verschiedenen
Methoden der Lupusbehandlung mit der FInsenlichtmethode, die weiterhin
ausfflhrlich beschrieben werden soll^ in Vergleich zu stellen. Ich muß d&zu
eine Reihe von Methoden erwähnen, die, weil schon früher bekannt, hier
nicht besonders erwähnt sind , bei einer Abschätzung der verschiedenen
Methoden aber unbedingt eine Stelle finden mflssen. Ich meine die Behand-
lung mit dem scharfen Lulfel (Curettement) und nachfolgenden Atzung oder
Verschorfung, die Galvanokaustik, die Skariflkation.
Ich mui^ betonen, daß ich in der Zeit vor der Finsenbehandlung kos-
metisch die besten Resultate mit den ViDALschen Skarifikationen mit und
ohne nachfolgende Atzung bekommen habe, und daß die Dauerresultate aof
gleicher Stufe standen, ja vielleicht besser waren als die mit dem scharfen
Löffel und nachfolgender Verätzung oder Verschorfung. Die Furcht, dab
durch die Skariflkation Blut- und Lymphbahnen eröffnet and nun infektiöses
Material verschleppt werden könnte, halte ich fQr sehr theoretisch und beim
Auskratzen mindest ebenso gegeben. Die Galvanokaustik mit punktförmigen
Platinbrennern ist — besser als die ihr zu vergleichende Spickmethode —
für begrenzte, besonders aus isolierten Knoten bestehende Lupusherde mit
Vorteil zu gehrauchen. Die Narben sind nicht so gut wie die bei der Skari-
fikation erreichten, besonders nicht so weich, so elastisch.
Gerade durch die Resultate bei der Finsenmethode bekommt man einen
Maßstab, welche Ansprüche an die Narbe zu stellen sind. Wenn man froher
glaubte, daß gerade eine harte, derbe Narbe in bezug auf die Rezidive die
beste Gewrihr gebe, sehen wir. daß bei der Finsenlichtbehandlung die
schönsten und dauerndsten Resultate gerade da erreicht werden, wo von
einer Narbe überhaupt nicht die Hede ist; die Haut wird eigentlich voll-
ständig normal, weich, glatt, elastisch; und die grüßten Schwierigkeiten
für die Behandlung bieten die Fälle v in denen die stärksten Narben sind.
Die Behandlung nun, bei der im allgemeinen die derbsten Narben zurück-
bleiben, ist die mit dem scharfen Löffel.
Gleichwohl wird die Auskratzung ihrer Ber^uemlichkeit, der schnelleD
und Überall m5glichen Ausführbarkeit und der Möglichkeit wegen, größere
Flüchen schnell zu behandeln^ besonders an den Extremitäten und bedeckten
KürperatoHen eine gewisse Stelle behaupten.
Die sämtlichen medikamentösen Behandlungen dürften nur in selteneo
Fällen ohne Verbindung mit einer anderen Methode befriedigende Resultate
ergeben. Die EMKM.\NNsche Resorcinhehandlung ergibt sehr gute Resultate,
nach Angabe Khhmanns auch deünitive und dauernde Heilungen ; eigene Er-
fahrungen stehen mir nicht in dem Umfange zu Gebote, daß ich mir ein
Urteil erlauben könnte. Zu empfehlen ist die HALLOPEAU-HrTTEsche Kali
permanganicum-Rehandlung. Man wird mit einer ganzen Reihe von Methoden
allein oder kombiniert leidliche Resultate erzielen., aber es gibt keine Me-
thode, die sich irgendwie mit Fixsens Lichtbehandlung vergleichen ließe.
Die Lichtbehandlung wird auf den Arzt^ der das Qlück hat, Ober ein
Finseninstitut zu verfügen, geradezu begeisternd wirken. Ks ist hier nicht
der Ort, eingehend die in den bis jetzt veröffentlichten 7 Heften aus FixsBXS
Lichtinatitut mitgeteilten theoretischen Mitteilungen wiederzugeben. Es handelt
sich hier nur darum, die Methode und die therapeutischen Erfolge mitzu-
teilen.
Ehe ich dazu übergehe, möchteich kursr einige, teils an Stelle der eigent-
lichen Finsenbehandlung vorgeschlagene Lichtbeilmethoden, teils auf anderen
Strahlen beruhende Heilmethoden kurz erwähnen.
Lupui»th«;rapie.
3>^0
P Zunächst kurz einige Bemerkungen über Röntgenbehandlung des LupuB.
Meine eigenen ungünstigen Erfahrungen sind so klein, daü ich daraus nicht
das Recht ableiten kann, die Behandlung mit Röntgenstrahlen zu verurteilen.
In der mitgeteilten Literatur*'' 7*} sind die Ansichten sehr verschiedene
— ich maß aber gestehen, daß die ungünstigen Stimmen^ wenn auch nicht
zahlreicher, so doch schwerwiegender sind. Wenn z. B. ein Mann von den
Erfahrungen Neisskiis **") nicht befriedigt ist und besonders viele Röntgen-
ulcera gesehen hat, wenn Malcolm Morris über schlechte Narbenbildung
klagt und den so sehr schwer zu bestimmenden Grad der Wirkung her-
vorhebt — dann, meine ich, muß die E^eobachtung dieser beiden Männer,
die vielleicht einzeln mehr Lupus sehen als der größte Teil der anderen
Autoren zusammen, ausschlaggebend sein. Ich sah zu Beginn Qberraschend
schöne B^rfolge — ausgedehnte Ulzeration heilte in kurzer Zeit ; aber hinterher
trat rasch wieder Zerfall ein und es schien uns, als sei die Finsenbehand-
long in diesen Fällen (im Gegensatz zu Frkinus'*) Beobachtungen) unwirk-
samer als bei nicht mit Röntgenstrahlen behandelten Fällen.
Über alle zum Krsatz der Finaenlampen erfundenen Apparate gehe
ich aus eigener reichlicher Erfahrung mit wenigen Worten weg. Sie stehen
alle der Finsenlampe an Wirksamkeit weit nach, seien es nun Loiitrt-
QENOND-Lampen, Tripletlampen oder welche man will. Was an Anschaffungs-
kosten anscheinend gespart wird, was an Stromersparnis zuerst als Vor-
teil erscheint, wird vielfach zum Nachteil gewandt durch die zweifelhaften
Resultate^ die viel längere Behandlungsdauer, die viel häufigeren Sitzungen.
Ebensowenig kann man sichere Resultate mit dem Eiaenlicht (Dermo-
Lampe) erzielen. In den meisten Füllen erreicht man überhaupt nichts, in
anderen Fällen vorübergehende Besserungen. Ks sind mir nur ganz wenige
Angaben von Ärzten bekannt, auf deren Urteil ich in dieser Hinsicht ver-
traue, die von — vereinzelten — günstigen Erfolgen berichten.^'-*'')
Weiter gehe ich auf die DuEYRRsche Sensibitisierung mit Kosin und
Erythrosinlösung nicht ein. ^o «<>) Meine in dieser Hinsicht ziemlich aus-
giebigen Erfahrungen haben mich alle diese Versuche aufgeben lassen. Die
Iniektionen insbesondere stellen nur eine Quälerei für die Patienten dar
(ind irgend ein Erfolg für die Behandlung, Abkürzung der Beleuchtungszeit
ist nicht zu erzielen.
L'ber die Wirkting der Radiumstrahlen liegen irgendwie abschließende
Erfahrungen noch nicht vor; die vorteilhaften Mitteilungen sind noch wenig
zahlreich, übrigens dürfte der Kinlübrung in die Praxis die Unmöglichkeit,
das Präparat zu beschaffen, noch lange im Woge stehen. '**"=*)
Ich gehe nunmehr Ober zur Besprechung der Finsenbehandlung. Ich
muß es mir versagen, ausführlich auf die Entwicklung des Ansichten Finsens,
auf die historische Entwicklung der Behandlung und auf die Beschreibung
der verschiedenen Apparate einzugehen.
Dem, der sich mit Finsrns Behandlung praktisch befassen will, Ist ein
eingehendes Studium seiner Arbeiten, besonders der 1896 veröffentlichton
Arbeit: >Ll^ber die Anwendung von konzentrierten chemischen Lichtstrahlon
in der Medizin«, sowie der — jetzt auf 9 Hefte gediehenen — Mitteilungen
aus dem FiNSRXschen Lichtinstitut in Kopenhagen unentbehrlich.
In Kliniken ist bis jetzt meistens die große, vier Beleuchtungsstrahlen
tragende Lampe in Betrieb. Ks ist das ein System, das aus einer starken
elektrischen Bogenlampe (50 — GO — 70 Amp.) und vier Sammelapparaten be-
steht, die in einem Kreise um die Lampe herum angebracht sind.
Dieser Apparat hat, besonders für Privatärzte, eine ganze Reihe von
Nachteilen, die übrigens nach meiner Ansicht auch ffir Kliniker zutreffen.
Besonders der für den Betrieb nötige starke Strom und der Zwang, stets
vier Patienten zu gleicher Zeit zu bebandeln, der hohe Preis der AnschaFfung
3!»0
Liipusthcrapic.
and die Kosten des Betriebes veranlaUten sehr bald Arzte und Fabriliantcft.
nach einom Ersatz za suchen. Wenn nun auch, wie ich schon oben gw^
habe, keiner der anderweitig: konstruierten Apparate die Anforderungen er-
fQtlt. die man an ihn stellen muß, so haben doch diese Bemühun^eD dtf
Gute gehabt, daU aus dem Kopenha$^ener Institut ein Apparat hervorst
g&Dgen ist, der eine Verallgemeinerung der Fin»enbehandlung in votto
nicht denkbarer Weise ermöglicht Es ist die KiNSEN'-REYX-Lampe.
Der Apparat besteht aus einer gewöhnlichen selbstregulierenden elektri-
schen Projektionsbogenlampe von 20 Amp. und bb Volt, welche mit Kohle-
elektroden brennt. Es gehurt dazu ein Lichtaammelapparat, das Ganze aal
einem beweglichen Stativ.
Die Lampe ist also transportabel, sie kann überall da aal^eetiOl
werden, wo elektrische Leitung und Wasserleitung vorhanden sind.
In neuerer Zeit hat die Firma Reiniger, Gebbert t& Sehall an d«a
ursprQnglichen Modell einige Veriinderungen anbringen lassen , besonder!
auf Vorschläge meines Assistenten Dr. Bering; in nebenstehender AbbildoflC
rig. so.
ist dieser verbesserte FixsEX-RivYX-Apparat der genannten Firma dargest^l^
übrigens arbeitet die Fabrik auch gegenwärtig noch besonders an e
Vorrichtung, um die Selbstregelung des Bogenlichtes zu sichem nod
verbessern.
Diesen Apparat kann jeder Spezialarzt mit etwas Hilfspersonal u
schaffen und so seine Patienten der Segnungen dieser Behandlung tetlhaftif
werden lassen. Allerdings gehört dazu soviel Material, daU ein fo;
setrter Gebrauch des Apparates, wenigstens auf einige Standen t&glich.
sichert ist. Sonst ist eine Verzinsung des Apparates ausgeschlossen,
auch ein gutes Funktionieren erschwert. Es gehört immerhin eine nifM
g«ringe Schulung des Personals und auch etwas praktisch-technisch«« Vit
slAndnis dazu, wenn nicht fortwährend kleine Störungen eintreten and
Erfolge der Behandlung unbefriedigend gestaltet werden sollen.
Ich ziehe übrigens die FinsenReyx- Lampe jetzt entschieden Oberbai
d«r ursprQnglichen vierarmigen FixsKN-Lampe vor. Wenn man nicht daa
4 oder 8 Patienten auf einmal (also 20 — 40 Sitzungen tAgUch) zu bebaaM
hat, 80 ist der Betrieb mit der großen Lampe teurer als mit den
H
von denen man bei Nichtbedarf standenweise die eine oder die. andere außer
Tätigkeit stellen kann. Wir geben mit '6 Lampen täglich 1;> Sitzungen. Bei
Störungen ist meist nur der Betrieb einer Lampe behindert — ein großer
rV'orteil. —
I Auf dem 5. internatiunalen DermatologenkongreU Talite Forghhammer
4as Wesentliche Qber die LIchtbehandluDg kurz zusammen.
Das Hauptmoment in der Lichtbehandlung ist (worauf ich oben bei
der zusammenfassenden Besprechung der verschiedenen Methoden hinwies)
die Fähigkeit des Lichtes, durch die Haut zu dringen und ohne Destruktion
derselben seine Wirkung in der Tiefe zu entfalten.
Die Lichtwirkung ist doppelter Natur. Sie beruht einerseits auf der
Fähigkeit des Lichtes. Mikroorganismen zu töten, andrerseits auf dessen
Fähigkeit, eine eigentümliche und vorübergehende reaktive Entzündung her-
vorzurufen.
Es ist noch nicht entschieden, welcher Faktor bei der Lichtbehandlung
der wichtigere ist. Foiuhhammer betont ausdrücklich, daD ein kurativer Er-
folg bei einer Krankheit unbekannter Ätiologie nicht zu der Annahme eines
mikrobiellen Ursprungs berechtigt. Über die Tiefenwirkung des Lichtes hat
Jaxsex Versuche angestellt^ deren Ergebnis folgendes ist:
IDas konzentrierte elektrische laicht kann eine bokt'erir.ide Wirkung
bis zu einer Tiefe von 1 5 mm und eine schwächende Wirkung bis 4 mm
ausüben.
Diese W^irkung ist auf die inneren ultravioletten Strahlen (von 400 bis
822 uy.) und auf <iio blauvioletten zurückzuführen, während die äußeren
ultravioletten Strahlen (mit einer niedrigeren Wellenbreite als 322 wj.) kaum
direkt für die Tötung der Bakterien unter der Haut irgendwelche Be-
deutung haben.
Die Wirkung der elektrischen Lichtstrahlen auf das Gewebe sind mehr-
fach untersucht worden ; die neuesten Untersuchungen sind die von WANsniKR
(aus K[.\SENä InalitutJ und die von Schmidt und Marclsk aus der Lesshr-
Ischen Klinik.
Die Ergebnisse lassen sich dabei zusammenfassen :
L daß sich starke Qeiäüdilatation mit Kxtravasation findet;
2. dalS eine Zellentütung, direkt oder indirekt, besonders der patholo-
gischen Zellen stattfindet ;
3. daß eine Neubildung von Bindegewebe stattfindet; über die Qenese
dieser Zellen weiü man vorläulig nichts Bestimmtes (Waxöchkr).
Schmidt und Makcise weisen besondere darauf hin» daß für das gute
kosmetische Resultat bium Lupus wohl in Betracht kommt, daii das Stratum
<:orneum und Stratum granulusum auch da gut erhalten bleibt, wo der grüßte
Teil der Epithelzellen nekrotisch geworden ist. Wichtig für das kosmetische
Resultat ist lerner, daß nirgends eine Schädigung des Stratum papilläre ein-
tritt. Ob die Tuberkelbazillen abgetötet werden^ läßt sich nach Schmidt und
Marcuse aus den Präparaten nicht beweisen.
»Ich glaube Art und Ausführung sowie Wirkung der Flnsenbehandlung
am besten mit den eigenen Worten Fi.vsens wiedergeben zu sollen.
Es heißt da (H. H der Finaen-Mitteilungen , pag. 59ff.): »Die Behand-
»lung geht zur Zeit auf die Weise vor sich, daß täglich ein kleiner runder
Ji*leck (2 — '6cm im Diameler) V* Stunden beleuchtet wird. Damit die Kran-
kenpflegerin sich nicht betreffs der Stelle Irren und damit der Lichtkegel
beständig genau auf denselben Fleck zielen soll, zeichnet der Arzt in der
Regel vor Beginn der Behandlung mit einem Dermatographen (Blaufettatift)
einen Ring außen um die zu behandelnde Stelle. Seitdem wir die stark
wirkenden Bergkristallapparate und das starke Licht haben, wird derselbe
'leck nicht mehr wie früher mehrere Tage nacheinander behandelt, wenn
392
Lupustherapfc-
krankes Qewebe genug vorhanden Ist, um einen anderen Fleck wfthlen la
können.
Die Heakiion ist nSmlich oft so stark, daß es sich nicht got maebM
läUt. Hier sind doch große individuelle Unterschiede, denn während ftinlf»
Patienten, welche einen so kleinen Lupus haben, dali nur Platx fOr eüm
Fleck vorhanden ist, die Behandlung viele Tage nacheinander vertng«
können, mflesen andere einen oder mehrere Tage Pause zwischen Jeder Be
handlung machen. '^
(Kh dürfte jetzt wohl nie mehr der gleiche Fleck raehrmals nadKio-
ander behandelt werden — im Gegenteil hat es sich als vorteilhaft erwies»,
wenn ein sichtbares Resultat erzielt ist, bis zur nächsten Beleuchtung, oicht
etwa nur bis zur Abheilung der entzündlichen Erscheinungen, sondern oodt
etwas längere Zeit zu warten.)
Die sichtbare Wirkung auf die Haut ist eine starke Rötung der Stelle
und der Fleck bebt sich im Niveau Ober die ihn umgebende Haut; es ent-
steht hnnfig. man kann wohl sagen fast immer, eine Vesikelbildung auf d«r
Stelle. Der Zeitpunkt fQr die Bildung derselben ist verschieden, zwlscbcs
Iti — 24 Stunden nach der Beleuchtung. Diese Vesikelbildung, die bald
kleinere, bald größere Dimensionen annimmt, ähnelt stark den V'esiki^ln
nach den Vesikatorien.
Es kommen nach elektrischem Licht viel häufigere und stAiitere VV
(•Ikelbildungen als nach Sonnenlicht vor. In einzelnen Fällen ist die Roaktkia
auf der bebandelten Stelle so stark, daß in der umgebenden Haut ein leiebtM
Ödem auftritt, besonders wenn sich die Steile in der Gegend der Arxfitn
befindet. Man kann übrigens in der Regel durch die Ausdehnung der Haat-
reaktion beurteilen, ob der Apparat und das Licht richtig funktionieren; l«t
die Reaktion sehr gering, so ist Grund zu der Annahme vorhanden, dafi
mit der f^ampe oder dem Apparat etwas nicht in Ordnung war: wir habt^ii
auf diese Weise erfahren, daß eine sehr häufige Reinigung der Apparat*
notwendig ist. Kin zweites praktisches Interesse erhält die Reaktion darcb
die mit Hilfe derselben mögliche Kontrolle^ ob die Krankenpflegerin sopf*
fältig gewesen war oder nicht ; wenn der Fleck z. B. sehr verwischt tat
oder es finden sich möglicherweise zwei rote Flecken auf der Haat, su bt-
weist es, daß der Lichtkegel während der ganzen S^ance nicht iincD«r u
demselben Orte gewesen ist.
Der weitere Verlauf dieser }Iau1reaktion ist: Eintrocknung der Vesfkfl
und Bildung eines Schorfes, welcher nach einigen Tagen abfällt, worauf maa
neue Epidermis in der ganzen Ausdehnung der Stelle gebildet sieht Dlesar
V'erlauf ist konstant. Die Lichtbehandlung erzeugt also nicht irgendwelc^
Nekrose der Haut und es bilden sich nicht oder es kommen keine N&rbea-
gewebe als Folge der Behandlung vor; die neue Epidermis wird — wo ela«
Blasenbildung stattgefunden hat — gleichzeitig vom ganzen Grund de«
Fleckens gebildet.
In meiner ersten Abhandlung erwähnte Ich, einmal Nekrose nach dar
Lichtbehandlung beobachtet zu haben, die auf eine reine Verbrenounir sa*
rQckzufOhren war; ich muß hier hinzufügen, später nur einen ganx var^
einzelten Fall davon beobachtet zu haben. Wenn man bedenkt, daü d»a
Nekrose des lupösen Gewebes mit Absicht bei verschiedenen frühem B^
handlungsweisen hervorgerufen wurde, so wird man diesen einzelnen FäU«
irgendwelche nachteilige Bedeutung nicht beimessen, besonders da sie io d'
Regel durch den Mangel an Achtsamkeit der Patienten hervorgerufen word«s>
indem dieselben nicht mitteilten, daß das Licht »brannte«.
■ — — — Eine bedeutungsvolle Folge der Eigenart der Lichtb^band-
lang, keine Narbe zu erzeugen und deshalb auch auf die gvtsuodt Bm^
ohne Nachteil angewendet werden zu können, ist, daß man die ansi
I
gesunde, aber mogllcherweiee doch infizierte Un]gebunf>; der kranken Stelle
behandeln kann. Hierin hat die Lichtbehandlung einen anschätzbaren Vorteil
vor vielen anderen Metboden, welche sonst rationell sein können.
Nachdem man die kranke Partie und den sie umKebenden gresunden
(oder gesund scheinenden!) Hand f^ut behandelt hat, zeiget sich eine Ver-
finderunj? der kranken Teile; eventuelle Ulzeratlonen werden geheilt, die
OberfUlche wird fest und f^latt, und bei diaphanoskopischer Untersuchung^
zeig-t es sich, dali die charakteristischen Lupusknoten weniger und woniger
werden, um zum Schlüsse ganz zu verschwinden. Die Haut bleibt inzwischen
einige Zeit auf den behandelten Partieo rot, wird aber nach und nach blaß
und bekommt ihre natQrliche Farbe.
Dieser Veränderungsprozeß dauert selbstverständlich eine gewisse Zeit
— wie lange, ist unmöglich zu sagen, da hier ein so außerordentlich großer
individueller Unterschied vorhanden ist — und es muß deshalb eine gewisse
Zeit vergehen, bevor man richtig die Wirkung der Behandlung sehen und
konstatieren kann, ob die Heilung vollständig ist^ oder ob sich noch kranke
Punkte vorfinden. Aus diesem Grunde haben wir, um Zelt und unnötige
Behandlung zu sparen, es so eingerichtet, daß, wenn die kranken Stellen
reichlich behandelt sind und sich anscheinend gut gebessert haben, die Be-
handlung einen oder mehrere Monate abgebrochen wird,« (Wir behandeln
die Patienten, besonders der Kostenersparnis für Patienten, Gemeinden oder
Kassen wegen, möglichst ambulant. Es werden so viele Stellen als möglich
an einem Tage beleuchtet, so daß je nach der Ausdehnung des Lupus die
Patienten am gleichen Tage oder nach einigen Tagen längstens mit Bor-
vaselinverband nach Hause fahren. Sie kommen wieder, wenn der Schorf
abgetrocknet ist — meist nach 8 — 10 Tagen; ist eine große Besserung oder
anscheinende Heilung erzielt, so machen wir, wie oben erwfihnt, eine Pause
von 1 — 2 Monaten. Ks scheint uns, als sei die Wirkung der Beleuchtung
nach diesen Pausen noch augenfälliger, noch umfassender, als wenn man
die Beleuchtung auf eine frisch dberhäutete, noch hyperämische Stelle
wirken läßt )
Über die Vorzi3ge der Finsenbehandlung dürfte kaum Irgend eine
Meinungsverschiedenheit unter denen bestehen, die Qelegenhoit gehabt haben,
nicht etwa die fertigen Resultate in Kopenhagen oder anderswo zu sehen,
sondern die selbst unter ihren Augen die FortsnhriH« und die Heilergeb-
nisse haben verfolgen können. Die Berichte auä allen Ländern stimmen
darin Überein. Khe ich die Zahlen anfOhre. die Kduciui.wimkii auf dem inter-
nationalen Kongreß mitteilte, weise ich nur auf die vortrefflichen Heaultate
bin, die Lesskr veröffentlicht hat. Meine eigenen Erfahrungen in 11 J Fällen
sind, soweit die Behandlung zu Ende geführt ist, oft geradezu begeisternd.
Es sind besonders ausgedehnte, leicht ulzerierte Formen, die dto schönsten
Resultate ergeben. Bei hypertrophischen Formen und sehr torpiden Fällen
empfiehlt sich eine Vorbehandlung — ich /lebe Pyrogallol vor. Aber ich
möchte mich Wort für Wort den FoRcmiAMMKRschen Sätzen anschließen:
Die Lichtbehandlung sollte immer zur Anwendung kommen, wenn die Krank-
heit ihren Sitz im Gesicht hat. Auch darin stimme ich mit dem erwähnten
Autor überejn, daß sich in den meisten Fällen mittelst der Lichtbehandlung
allein ein Resultat erreichen läßt. Die kosmetischen Resultate sind so
schön, daß man oft Mühe hat, den früheren Sitz des Lupus zu entdecken.
Mir ist von meinen eigenen Erfahrungen besonders der Fall einer seit
24 Jahren an Lupus des ganzen Gesichtes behandelten Dame vor Augen,
hei der es glflcklicherweiBe nur zu mäßigen Narbenatrftngen gekommen war
— im Übrij>en war aber kaum ein Fleck des Gesichtes ohne ulzerös-kru-
stOse Infiltrate — , heute hat diese Patientin ein wunderbar glattes, rosiges
Gesicht mit weicher, elastischer, beweglicher, matter Haut!
394
Lupustherapie.
Ich kann auch weiterbin eif^enlHch nur mit Forchhammers Worten
fortfahren.
Ungeeignet für die Finsenbehandlunfr sind eig:ent]ich nur die Fälle, bei
denen der Lupus ausgedehnt Thorax und Extremitäten befallen hat, und die
Fälle, bei denen durch frühere Behandiun^eu — hier kommt besonders der
scharfe Löffel In Betracht — stark skierotische Bindef^ewebszQ^e aufg:e*
treten sind; es ist deshalb vom Standpunkt der Finsenbehandlüni; aus wohl
berechtigt, von ounzweckmäbiger« Behandlung zu sprechen. Denn es ist
oft unmöglich, kleine, aber in derbe BindegewebänarbenzÖge eingebettete
Lupusherde zur Ausheilung zu bringen. Hier bleibt fast nur der Galvano*
kauter Obrig oder die statische Elektrizität.
Derjenige, dem ein Finseninstitut zur Verfügung steht, kann gar nichts
andereH, ais der Finsenbehandlung su weit den Vorzug vor allen anderen
Methoden /u geben. dalJ ihm die Empfehlungen anderer Methoden eben nur
der Ausdruck dessen zu sein scheinen, daß der Kmpfehler eben kein Finsen-
institut zur Verfügung hat oder nicht Gelegenheit gehabt hat, die Behand-
lung einiger Fälle systematisch zu verfolgen.
Ich würde, wie Forcmhammer, die Exzision von Lupusherden fm Ge-
sicht für verkehrt halten. Am Körper, bei ausgedehntem Lupus besonders,
kann und wird die E-\zjrfion die bevorzugte Methode bleiben.
Für den Schleimhautlupus wird vielfach die Röntgenbehandlung
empfohlen; eigene Erfahrungen stehen mir nicht zur Verfügung, da ich mit
dem scharfen Löffel und besonders mit dem Galvanokauter — in Zukunft
wahrscheinlich mit der statischen Elektrizität — erreichen zu können glaube,
was hier zu erreichen ist.
Forchhammer gibt an, dali unter 600 Fällen 254=: 32^0 geheilt waren.
und fwar sich 2 Jahre rezidivfrei gebalten haben. Das ist jedenfalls mehr
als )e vorher eine andere Methode erreicht hat. Jedenfalls kommt es, selbst
wenn Rezidive auftreten , ni«^ zu den ausgedehnten unaufhaltsamen Ans-
breitungen, wie wir sie sonst erleben, wetl ja ohne unser Zutun im Bereich
des beleuchteten Bautabschnittea alle für unser Auge noch gar nicht sicht-
baren Herde schon mit zur Ausheilung gebracht werden. Daß natürlich
vielleicht in der weiteren Peripherie noch ein unsichtbarer Herd besteht
oder dali — hämatogener Ursprung! — neue Verschleppungen vom Primär-
herde aus stattfinden können, ist ja zweifellos.
Daß es immerhin hartnäckige oder maligne Fülle gibt, bei denen
jede Behandlung versagt, betont schon Finskn und kann den Wert der
Methode in keiner Weise mindern.
Der Vorwurf, welcher der Methode gemacht wird, ist der, daU die
Behandlung teuer sei, teuer sowohl durch d^n Preis des Instrumentariums,
des Betriebes (Strom und Personal), wie durch die lange Dauer.
.Je mehr ich jetzt Lupuspatienten sehe, um so mehr scheint mir diese
Behauptung hinfällig. Gemeinden , Kassen , Landesversicherungsanstalten
müssen für die wiederholte Behandlung, für die durch Entstellung arbeits-
unfähig Gewordenen viel höhere Beträge zahlen als für die Heilung eines
Falles. Wenn ich die Si'-ancenzahlen zugrunde lege von Finskx und FtiK< n-
HAMMKK, so ergibt sich, daf^ durchschniltüch für jeden Fall 155 Sitzungen
nötig waren; ich bemerke, daß leichte Fälle mit weniger Sitzungen, 10, 12,
vorkommen (die niedrigste Durchschnittszahl bei Fi\8EX ist 2y Sitzungen)
und daß dagegen schwere Fälle mit mehreren hundert Sitzungen angemerkt
sind (so 2 ausgebreitete Fälle mit je 470 Sitzungen hei Finsex).
Wenn man es nun so einrichtet, daß der Patient einmal, wie wir es
nennen, >durchbeleuchtet« wird, d.h. alte zu beleuchtenden Stellen einmal
beleuchtet werden, und man entlaßt ihn dann auf einige Zeit*nach Hause,
so sind dro Kosten nicht so hoch, daß diese Methode nicht sehr wobi mit
Lupustherapie.
395
anderen in Konkurrenz treten konnte. Und wenn nach 6 — 8 monatlicher
Hehandlang ein Drittel aller Fälle definitiv ipeheilt ist, so bedeutet das
»^egen frflher eine enorme Ersparnis.
f Ich stehe nicht an, zu erklären, daß die Finsenliclit-Metliode eine der
(fröüten Seg:nungen ist, deren die Medizin sich in den letzten Jahrzehnten
zu erfreuen gehabt hat- Ohn» weiteres wird mir jeder Arzt, besonders jeder
Chirurg zugeben, daß es kaum etwas Unästhetischeres und Undankbarere^
gab als die Lupusbebandlung. Das Curettement und die Skarifikation mit
nachfolgender Atzung, die Kauterisation, sei es nun Paquelin , Holländer,
oder Galvanokaustik, waren doch sicher unästhetisch — und nicht minder
undankbar. Jetzt hat diese saubere und erfolgreiche Methode die Lupus-
behandlung zu einer Freude für den Arzt gemacht!
Literatur: ') St-nrLTXK, H<'bandlnng de» GeMichtsliipti« vrrmittelat der radikalen Ex-
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396
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397
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elektrisehin Licht. WralBch, 1901, Nr. 3a, Deiitstrhe med. Wochenaebr., lÜOl. Nr. 51. Eleklr.
Lampe von bO Kerzen Lichtstärke aus blauem G!as mit Reflektier. Eütferuung Y, m, in ge-
rader Richtung, täglich 10— lu Miauten oder 2tügig 25— 30 Minuten. Resultate: 3 Falle
günstig.) — *^,i Dbktkh, Licbtbebandlang nach 8ennit>i]t4ioruDg. Dermat. Zeitschr, Dezember
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11. Juni 1904 ^Kleine Partien bei L. verrutroau» Fitisea uud Riintg^en UbLTlegeu) — "'» Fut-
MnutiiKs, Das Radium in der llehnndUing dea LtipnB. Presse med. beige , 1902, Nr. 100.
(Vorteilhaft.) — ") Niels K. Kikskn, Über die Am-reudang von konzentrierten ^'hemischen
Lichtstrahlen in der Medizin. Erste Abhandlung, 1890, nebst einer »Vorläufigen Mittciluug
über die Anwendung der Methode bei Lupu»? vulgaris.« — **> Derselbe, Fartaetznng vinttr
dem gleichen Titel im lieft IH der Mitteilungen ans Fik8R.hs Lichtinstitut. Leipzig 1903,
Vogel. — '*) Jaxskn , Untersuchungen über die Fiihigkeit der bakteriziden Liehtstrnlilen,
durch die Haut zu dringen. Im IX, Heft der Mitteilnngen aus Finüens Liehtinstitut, pag. 37.
Jena 1903, Fischer. — *') Emil Warhchkb, Ualcrsuehnngen der bei der Liebthehandlung
des Lupus vultfarii) hervorgerufenen htstologisclien Veränderungen. Mitteilungen uu.h Finshms
Liehtinslitut, H. 7, pag. 1. — ") U.E. Schmidt und Bkä-nhard Maboubr, Über die hiatologi-
schen Veränderungen lupuser Haut nach Finsenbestrahlung. Arch. f. Dermat. u. Sypb., 1903,
LXiV, pag. 3?3, — *") N. R. Firse.\, Om der Kemiske Straalem skadelige Virkning paa den
dyriske Organisme. Uoap. Tid. , 1903, Nr. 44. — '"^< M. Mölj.bb, Der Einfluß des Lichtes
auf die Haut. Bibliotheca medica, Abt. D, H. 8. Stuttgart 1900 — "") PiiMopy, Über die
pathnLogiseh-hi»tijlogisehen Vtrilnderungen des Lupus vulgaris unter der FjssENSchcn Be-
handlung. Wrat-Mch, 1902, pag. 679; ref. in Monatsh. f. prakt. Dermat., 1902, XXXV, Nr. 9,
pag. 441. - '"-j Gi.r.RowsKi-SERAPiN , Sehapi» in Verhandl. d. Deutschen dermat. Gesellsch.,
Breslau 1901; relerlcrt über die von GLEaow^Rl-PeIe^8burg aogeBtoJlten Untersutbungen. —
**') FmsKM und Fobciiüaumer, ReMiUate der IJchtbehimdlung hei unseren ersten K(X) Fällen
von Lupu» vulgaris, ä. n. 6. H. der Mitteilungen. — ^°*> A. Sacr, (^ber das Wesen und
die Fürlsehrilte der FiNSEifBchen Liehtbehaudluug. Müucbener med, W'ochenschr., 49. Jahr-
ging, 1902, Nr. 27, pag. U41. — ''') Lkrkuds et Pautrirb, Pbotothärupie et Photo-
biologje. Nand 1903.
') A. CuATiN et M. Carle, Phutotbörapie. La lumiere, agent
biologiijne et therapvutir|ae (mit Vorrede von d'Ahsonval). Paris, Masson & Gautbier-Vülars.
< Enthalt ein vollatäadiges Literaturverzeichnis.) — '^') J. M. H. Mac Lroi>, Tlie patholügical
cbanges in the skin, produced hy the Rays ol a Fiusen Luuip. The Brit. med. Jouru., Oktober
1902- — "*'',)MACREKZ!K-London,ÜberdiePholother,ipitule9 Lupus vulgaris. The Brit. med.Journ.,
XI, November 1899. — ^^'l Magnus Mölms, Mitteilungen ans der Abteilung für Licht-
behandlung im Krankenbause St. Gorau (Stockholm). Nord. med. Arkiv, 1904, Abt. A, H. 3,
Nr. 10. — "*) MoHttu und DoBB-London , Eine Übersicht über die Brhandluug einiger Hant-
aUektionen mittelst des FiNSENschen Apparaten. TubereuloBis, Vol. III, Nr. 10. i Ulzcrierter
Lupus: Röntgen.) — '") Luj&br, über die Lichtbehandlung von Hautaffektionen nach der
398 Lupustherapie. — Lymphomatose.
FiHSBBScheD Methode. Zeitschr. f. diätet. u. physikal. Therap., 1901/02, T, H. 6. (QUe B»-
snltatd.) — "') Lkredds, Die IndikationeD der Phototherapie tn der BehaindliiDg dea Lipa
and der begrenzten Dermatosen des Gesichtea. Presae med. beige, 1901, N^. 72. — '")La-
BVDDB et pAUTaixRf ErgebnJBse der phototherapeutiseben Bebandlong bei toberkoUaeBLapn
dea Gesichtes. Dermat. Zeitschr., 1902, IX, H. 1 n. 2. — *") Dieselben, Über die£fW|e
der Phototherapie bei der Behandlang des Lnpos tnbercalosns. Ball, de U See thirap. bao^
1901; ref. Honatah., 1902, XXXIY. — "«) Morris and Doss, Futana Uehttheraple W
Lapoa and Ulcas rodens, firit. med. Joam., 9. Febmar 1901. — **') A. Hunsa, Der heitife
Stand der Finsentherapie. Wiener med. Wocbenschr., 1902, Nr. 20. (Beate, sicherate, koaaeltefc
die beste.) — "') Fbah^oib, Le traitement da lapas taberonleax par la phototh^rapie , M
indications, ses rösnlUts. Bnll. de la Soc. de M6d. d'Anrers, Jnni 1902. (30 Fftlle. FiaiM-
apparat ist Jedem anderen phototherapeatisohen Apparat rortaziehen. Jeder friache Ltifm
sei durch die Lichttherapie heilbar.) — "^) Ijbssbb, Die Fivsrasche Lichtbehandtaag 4«
Lnpos. Berliner klin. Wocbenschr., 1904, Nr. 6. — "') PKraasaa, Ther^ie dea Lnpot. Ter
ein St. Petersbnrger Ärzte; ref. in Monatsh., 1902, XXXIY, pag.302. — ***) Waaran-
Dreaden , Über die Lichtbehandlang des Lnpns mit der FarssM-RaTHSChea Lampe nad ik
▼erwandten physikalischen Methoden. Münchener med. Wocbenschr., 1903, Nr. 47. — Fir
die Finsenbehandlnng siehe auch: Dentscbe dermat. Gesellsch., Breslau 19(K); Intern. Dernat*
Kongrefl, Paiis 1901; Intern. Dermat-Kongrefi, Berlin 1904. J>M»t.
Lrymphomatosey b. Leukämie, pag. 362ff.
M.
I
Magensaftpräparatc. Die therapeatiachen Versuche mit natür-
lichem Schweinemajs^ensaft beruhen nicht auf seinem Gehalt an Salzsäure
und Pepsin, sonriern er regt die Magentäti^keit direkt an, wie Hkpps^)
Untersuchungen ergraben* Daher versagt diese Therapie boi Magenkrebs und
überall dort, wo eine anatounscho Zerstörung der Ma^onachleiuihaut vorliegt,
Dagegen konnte Fi.kinkk') bei einer Nachprüfung des von Hevv dar-
gestellten Schweinemagensaftes diese Erfolge nicht bestätigen. Kr fand ihn
chemisch und physiologisch vollkommen insuffizient. Fleiner erklärt das
Verhalten so^ daß die Magenschleimhaut der Schweine sich allmählich or-
schöpft Auch RoLLiN^) bestätigt die Erfahrungen Fleinkrs mit dem HKfp-
schen Magensaftpräparat^ das den Namen >Dyspeptine« trägt^ Im Gegensatz
hierzu sah er bei Anwendung von Magensaft von Hunden , welchen er aus
dem Institut von Pawlow direkt bezog, bei Subazidttät gute Erfolge^ weit
bessere, als er mit Salzsäure erzielen konnte.
Doch auch mit Schweinemageasaft sah Baccarani') eine günstige
Wirkung.
Literatur: '^ Hepi' (Paria i, Gas. des hup., 1905, Nr. 25; slt. nach Mflnchener med.
Wocheuftchr., 1005, Nr. 17, pag. 838. — *) V. Fleineb, Djapeptine bei MafreDkrankbeiten.
Therap. d. Qegenw. , 1904, 11.10. — *) Fn. Bolll\, Erfnhrungen Aber natürlichen EIundL*-
raagODsaft nach Pawi.ow. Therap. d. Gegenw. « 1904, H. II. — *) Baccaraki, Opatln^rapia
gastrica. Gazz. d. OHjteduli, 1904, Nr. 142; zit. nach DtjutHcbß med. Wocbeuti^chr., 1904, Nr. 51,
pag, 1898. E. rrcy.
Malarlapropliylaxe« Mit der Erkenntnis der Malariaparasiten
und ihrer Uberträi^ür, der Moskitoart Anopheles (Näheres darüber siehe
Encyclopädie, 1904), ist hinsichtlich der Prophylaxe der Malaria ein weiterer
Schritt vorwärts g^etan. \Vä,hrend noch vor etwa einem Jahrzehnt wohl fast
jeder, der eine der gefährlichen Malariagegenden, wie Kamerun, Ostafrika,
Neuguinea, besuchte, es sozusagen als eine unvermeidliche Begebenheit hin-
nahm, dati er dort sein Fieber bekommen müsse, hat sich seitdem diese
Auffassung g-anz erheblich geändert, indem heutzutagfe wohl die meisten
Besucher solcher Gegenden, Reisende wie Kolonisten, einen systematischen
Kampf g:e§;en diese Krankheit aufzunehmen in der La^ sind. Ob sie dabei
mit ihrem Kifer durchhalten^ das ist freilich eine andere Frage; ihr Kampf
wird auch vielleicht nicht stets von Erlolg: gekrönt sein; immerhin läßt sich
aber der Nutzen der heutig'en Malariaprophylaxe an zahlreichen Beispielen
mit genüi^ender Deutlichkeit erkennen, so daß vereinzelte Mißerfolge, von
denen wohl auch noch der größere Teil auf unverstandene und damit oft
genug unrichtig bzw. planlos ausgeführte Maßnahmen zurückzuführen ist,
das Vertrauen auf ihren tatsächlichen allgemeinen Wert nicht mehr er-
schüttern können.
400
iMalarJaprophylaxe.
k
Die Qescliichte der modernen Malariaprophylaxe knüpft sich in erster
Linie an die Namen von Ronai.d Ross»), CKr.Li") und Robert Koch.')
Die ersteren beiden wenden sich mit ihren Maßnahmen gepen die
Anopheles, die Überträg:er.
Nach Ross lie^ ein Schwerpunkt der MalariaverbQtung; in dem Ver-
nichten der ßrutplätze der Anopheles. der Tümpel und Pfützen, der zweite
in dem Fernhalten der Europäer (Kolonisten, Reisenden) von den meist
durch Malariaparasltontrhger bewohnten King^ebornonhüttcn , die, dumpf und
finster, in der Re^el von Anopheles wimmeln.
Celli sucht hingegen die Menschen in den Malariagegenden, z. B. in
den italienischen, durch Drahtschutznetze vor Stichen infizierter Anopheles
zu bewahren ; bekannt sind die nach seinen Anecaben mit Drahtnetzschutz
versehenen italienischen Bahnwärterhäuschen, die Gazemasken für Gesicht
und Hände.
Koch endlich legt den Hauptwert auf die Vernichtunj; der Maiaria-
keime im matariakrankcn Menschen, ohne im übrigen die anderen genannten
Hilfsmittel, wo sie sich anwenden lassen, von der Hand zu weisen; er Bleut
als erüte Forderung die Heilung der Matariakranken durch das uns glück-
licherweise zu Gebote stehende Malariaspessitikum Chinin^ die Befreiung des
Parasitentrügers von seinen Malariaparaäiten, damit etwa stechende Anopheles
Keime zur Übertragung auf Gesunde in ihm nicht mehr vorfinden. Alsdann
soll der Gesunde in einer Gebend, in der viel Malaria und dementsprechend
viele Anopheles vorkommen, eine regelrechte Chinlnprophylaxe durchführen,
damit Malariaparasiten^ die von infizierten Anopheles auf sie etwa über-
tragen werden, durch die Chininwirkung sogleich, ehe sie sich zu vermehren
beginnen^ vernichtet werden. Diese beiden Punkte; K Vernichtung der Malaria
keime im Parasitonträger, im krank wie im gesund erscheinenden, and 2. Ver-
nichtung der auf den Gesunden etwa verimpTten MalarJaparasiten, sind nach
Koch die beiden Hauptforderungen, die au eine Malariaprophylaxe in so-
genannter Malariagegend zu stellen sind; in einer Gegend mit einer gerade
sporadischen Malaria, z. B. zurzeit in den Sumpfgegenden Nordwest-Deutsch
tands, genügt bereits die Erfüllung der ersteren, die Befreiung der Parasiten-
tr&ger von ihren Malariakeimen, zumal da unsere hiesige Malaria gegenwärtig
nicht 90 schwer verläuft, daß sich iemand, um sie sicher zu verhüten, der
immerhin großen Unbequemlichkeit der Chininprophylaxe so ohne weiteres
unterziehen dürfte; daß aber die Parasitenträger geheilt, von ihren Parasiten
befreit werden, darauf muß unter allen Umständen bestanden werden, damit
die Krankheit nicht weiter um sich greift oder gar — nach Analogie mit
anderen Protozoen — infolge dauernder Fortzüchtung ihrer Erreger in
möglichst gleichartigen Individuengruppen bedeutend an Heftigkeit zunimmt;
vor einem solchen Sicheinuistenlassen der Krankheit warnt wohl in ein-
dringlichster Weise das Beispiel von Wilhelmshaven, woselbst während der
sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Malaria mit einer Verbreitung
und Heftigkeit wütete, wie sie bis dato nur aus tropischer Malariagegend
bekannt war. Wäre damals der Parasit — dessen Entwicklungszeit übrigens
Wendel'), ohne ihn zu kennen, aufs genaueste nach statistischen Berech-
nungen der Inkubation derzeit bereits treffend ermittelte — und sein Über-
träger sowie die Art und Weise der Einwirkung des Chinins auf den Parasiten
genau bekannt gewesen, so hätte sich — aus heutigen Erfahrungen zu
schlieUen — - aller Wahrscheinlichkeit nach der damalige gewaltige Mal&ria-
ausbruch, wenn auch nicht unmittelbar verhüten, so doch bedeutend ab-
kürzen lassen.
Solche MalariaausrotLungen sind durchgeführt durch Ronai.d R(tss')
in Ismailia mit vorwiegender Vornichtungsarbeit der AnophelesbratslätteD
und von Koch") mit vorwiegender Chininbehandlung bzw. Prophylaxe, d.h.
Malartaprophylaxe. 401
Vernichtang der Malariakeitne im Menschen (Neuguinea, SüdweBtAfrlka, Ost-
afrika, Brioni, Punta Croce).
Im einzelnen auf die besonderen Rossschen und CBLLischen Maßnahmen
einzagehcn erQbri^t, weil sie sich eigentlich von selbst ergeben. Eines ist
aber wichtig K^nug. hervorgehoben zu werden, beide stoßen sehr oft auf
unüberwindliche Schwierigkeiten. Es jjcibt Gebenden, in denen die Brutstätten
der Anopheles ohne große Neuerungen und Kosten nicht beseitigt werden
können, z. B. in tief eolegenen Weideländern, deren Sumpfgräben das nötige
Trinkwasser für das Weidevieh liefern. In solchen Gegenden habe ich ver-
sucht, die Anopheles an ihren Cberwinterungsplätzen, in Kellern sowie
Scheunen aufzusuchen und dort durch verschiedene Räuchorniittel bzw.
Insektenpulver zu beseitigen. Diese Maßregel hat aber kaum zu einer merk-
lichen Verminderung, geschweige denn Ausrottung der Anopheles y-eführt.
Dem Rossschen Verfahren, zu dem auch diese Maßreget zu rechnen ist,
haften somit oft genug Schwierigkeiten an, die seinen praktischen Erfolg
unmöglich machen können.
Ebenso kann das CBLLische wohl nur eine beschränkte Bedeutung
haben, weil es einmal zu unsicher ist. da der dünne Draht oft bricht und
dann nicht mehr niückendicht schließt, und zweitens, weil der Netzschutz,
t. B. am Körper bei schwerer Arbeit in heißer Gegend, unerträglich werden
kann und deshalb gerade zur Moskito- Schwärmezeit gelegentlich fortge-
lassen wird.
Beide letzteren Forscher legen auch seit etwa 2 — 2V3 Jahren ebenfalls
»sehr großen Wert auf die systematische Malariaheilung und »Prophylaxe
durch Chinin«, wie dies aus einigen ihrer neueren Veröffentlichungen hervor-
reht. '••••)
• Koch glaubte zuerst mit einer Chininprophylaxe auszukommen, bei der
©r den Erwachsenen 1^ jeden zehnten Tag verabreichte; er ist bald davon
Burflckgekommen, weil sie den Ausbruch der Krankheit bei Neufinkömra-
fingen in der Malariagegend nicht verhütete. Nach den heutigen Erfahrungen,
.die ebenfalls zum großen Teil unter Kochs Leitung bzw. Anregung gemacht
»wurden, sind folgende zwei Chininprophylaxen zu empfehlen:
1. Jeden 7, und t*. Tag je 1 ^ Chinin, hydrochloric. bzw. je 1*25^
Buchinin oder
2. jeden 5. Tag je l^ Chinin, hydrochloric. bzw. je l'2bg Euchinin.
I Kinder unter 10 Jahren erhatten kleinere Doson. aber zweckmäßiger-
weise nicht mehr so kleine wie sie früher Üblich waren, nämlich bloß eine
Anzahl Zehnteldosen eines Orammes, die der Anzahl ihrer Lebensjahre ent-
sprechend waren; es können ihnen nach neueren Erfahrungen ohne Bedenken
etwas größere Dosen verabreicht werden; so z. B. kann ein öjährigea. sonst
kräftiges Kind scJion 0 75^ Chinin, hydrochloric, ohne weiteres gut ver-
tragen, gegen die früher Übliche Dosis von 0'5^ (8. Stephens and Christo-
phers »').
Das Chinin wird am besten des Morgens auf nüchternen Magen ge-
nommen^ da es zu dieser Zeit am ehesten völlig resorbiert wird und damit
am sichersten gegen die Parasiten wirken kann; denn dann hat es — nur in
Säure Ifislich — die Salzsäure des Magens allein zu seiner LOsung für
sich, während tagsüber die anderen im Magen befindlichen Spoisen hierfür nicht
genügend Salzsäure übrig lassen. Leider laßt sich das Einnehmen am frühen
Morgen nur in den wenigsten Fallen bei werktätigem Leben durchführen^
weil die Chininwirkung — wie Eingenommensein des Kopfe» und Ohren-
sausen — die Arbeitsfähigkeit störend beeinflußt. Es wird deshalb meist
nichts anderes Übrig bleiben, als das Einnehmen kurz vor dem Schlafen-
gehen einige Stunden nach der Abendmahlzeit. Damit dann aber das Chinin
auch wirklich gelöst und resorbierffthig wird, muß nach seiner Eingabe noch
Eoejrclop. Jahrbtlcber. N. F. IV. <XIIJ.(
402
Malariaprophylaxe.
I
ein EßlöfFel voll Äcid. hj-drochlorlc. dilat. 0*5:200 (bei Kindern unter zehn 1
Jahren etwas weniger, ein Teelöffel voll) verabfo]g:t werden, da immerhin 1
noch etwa im Magen befindliche Speisereste die dortige SalzsAnre gebunden i
halten können. Hinsichtlich anderer hente geübter fhininprophylaxen ist damit I
zu rechnen, einerseits daß bei Erwachsenen kleinere als Eingrammdosen, I
andrerseits, daß weitere Zwischenräume zwischen einzelnen Kingrammtagw- 1
dosen (etwa jeden (i. oder 7. Tag 1 gi, ebenso weitere Zwischenräume zwischen |
Eingramnidosen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (etwa ieden 8. und y.Tas:
je 1^'') und endlich Zwischenräume zwischen >EingranHndo3en an drei auf-
einanderfolgenden Tagen«, die mehr als i* Tage betragen, die Schutzwirkung
unsicher werden lassen. Dabei ist hinsichtlich der periodisch drei Tage hinter-
einander fortgesetzten Prophylaxe zu sagen, daß sie wohl kaum von iemaodein
befolgt werden wird; diese »drei Tage hintereinander Chinin« sind den meisten
geradezu unerträglich; hingegen kann immerhin versucht werden, das Inter-
vall zwischen der »zwei Tage bintereiimnder« geübten periodischen Chinin-
prophylaxe unter Umständen um einen Tag kürzer zu legen (d. b. Chinin-
einnehmen jeden 6. und 7. Tag) ; das empfiehlt eich namentlich bei einer
Arbeiterbevölkerung von Eingebornen. die praktischerweise ihr Chinüi
am Sonnabend bei der Löhnungszahlung erhalten und dann zum Sonntajr
ihren Chintnrauacb ausschlafen können; am Sonntagabend nehmen sie dann
ihr zweites Gramm ein.
Bedenklich sind kleinere als Eingrammdonen bei Erwachsenen, weil
diese nicht imstande sind, mit Sicherheit einen Anfall, d. h. eine Vermehrung
der Malariaparasiten zu verhindern. Die Krankheit schleicht sich unter ihnen
oft genug weiter ein; bedarf es nun bei einem plötzlich einsetzenden schweren
Anfall einer ausreichenden Chinindosis, so kann es zum Ausbruch des ge-
fährlichen, oft tödlichen Schwarzwasserfiebers kommen, eine Tatsache, die
neuerdings immer mehr bestätigt worden ist (Stephens and Christophers*'); |
ja es kann in solchem Falle ein Schwarzwasserfieberausbruch schon durch
Dosen von Ol oder 001 oder gar 0001^ ausgelöst werden. Darum soll
die Cfaininprophyluxe eine gründliche, radikale sein, keine halbe und keine
regellose, wenn anders das oft genug iniübräuchlich und unzulänglich an-
gewandte Spezifikuuj nicht allein nicht als Heilmittel, sondern sogar alt
ein tötendes Gift wirken soll. Deshalb fort mit den kleinen und regellos
genommenen Dosen hei der Chininprophylaxe !
Das Chinin kann andrerseits bei manchen Leuten — ohne diese fehler-
hafte Chininprophylaxe — • schon auf die erste Dosis zu Schwarzwasserfieber
fahren; diese Leute sind von der Malariagegend fernzuhalten, da sie äußerst
gefährdet sind. Deshalb läßt 4lie Koloniulabtoilung auch jeden ibrer Offiziere,
Beamten, Mannschaften und sonstigen Angestellten, der in eine Malaria-
gegend (Neuguinea, Ostafrika. Kamerun. Togo) geschickt werden soU, zuvor
l^ Chinin zur Probe nehmen; tritt danach Hämoglobin bzw. Eiweiß im Urin
auf, so erscheint der Betreffende als nicht tauglich für eine tropische Malaria- '
gegend und fällt für ein Kommando in solcher gleich von vornherein aus.
Will aber jemand, der Chinin zunächst nicht vertragen kann, unter allen
Umstanden gleichwohl dorthin, so niuli er sich zuvor einer Chiningewöhnungs-
kur unterziehen (siehe darüber Encyclopädtsche Jahrb., 1904); das gleiche
empfiehlt sich fQr die vereinzelten^ die auf Chinin mit Temperatursteigerung
reagieren.
Allgemein betrachtet, bat die Chininprophylaxe heute in vielen tropischen
Kolonien eine große Bedeutung^ die durch zahlreiche Beobachtungen nament-
lich unter den Schiffsbesatzungen der kaiserlich dentschen Marine bewiesen
ist; gleichwohl möchte ich zum Schluß der Hoffnung Ausdruck geben, daß
sie — mit der Besserung der allgemeinen sanitären Verhältnisse der Kolo-
nien — nicht zum wenigsten durch systematische Heilung aller Malaria-
tedf'^lep]
I
Parasiten fQhrenden dortigen Ansässigen Überflflssig gemacht. Innerhalb nicht
zu ferner Zeit als iinnOtig: gänzlich in Wegfall komme.
Literatur: *) RonAin Roes, a.i First progreae. Üeport. of The campaign. agAinst
Hosqaitos in iSierra Leone tlllOl). University Press of Lirerpool; />) Mosqnito Brigades and
how to orgaoise Them. London 1902, George Philippe & Son, Fleet Street E. C. — '» Cklli,
Die Malaria in Italien im Jahre 1901. Archiv f. Hygiene, XL.IV, pag. 288. — *)Robbbt Koch,
Znaammen las sende Darstellnng der Ergebnisse der Malariaexpedition. DeutHche med. Wochen-
schrift, 1900. Nr. 49 Q. ÖO: Sondenibdrack, pai?. 13. — ') Wkmzbl, Die MarBChfleber in ihren
ursächlichen Beaiefauogpn wUhreud des Halenbaues im .ladegebiüt von 1858 — 1869. Prager
YierteljabreaBehr. für die praktische Heilkunde , 1870, IV. — ^) Rdn&ld Ro»s, Report on
.Ualaria at Ismiiilia. Laneet, 38- Februar 1U03, pag. 621. — '^Uoukut Knca, Malariabekämpfnng
•Ul Brioiii (Fvosch}, Punta Croce (BLUPAr), Italien (Oosio), 8Udwe»tatrika (Vaokors). Dar es
Jalaam <OLtwio), Wilhelmshaven (Martixt). Zeitschr. !. Hygiene und Infektionskrankheiten,
fXLIII. — '}Roe9, Der Anteil Kouhs an der MalariaforschuDg. Deutsche med. Wochenschr.
Tom 10. Dezember 1903, Nr 50. — ■) Moai (anf Anregung Chllis», Tber die ProphylaxiH der
Jlalana mit Kuchinin. Zentralbl. f. Bakteriologie usw., XXIX, Nr. 20. — *) Cbli.i, l'rophylaxie
de la malaria. Referat an die 7. Sektion des internatiunalen KolonialkongresHea In BrUasel,
8onderahdruck. — "^) Stxpubhb and Chbistophrrs, Report to the MuUria committee. London
1903. - *') Dieselben, ebenda. p:ig. 23, Absatz IH. Erich Martini.
9Ianlseh-depresMlves Irreseln. Die Zustandsbilder einer be-
stimmt gearteten gt^islip:pn Krregung auf der einen, der Depression auf
der andern Seit» haben schon in den frQhesten Zeiten die Aufmerksamkeit
der Beobachter auf sich gezogen, ehe noch an eine Pdyehiatrie im modernen
Sinne zu denl^en war. Auch als man längst verschiedene Formen der Seelen-
Störung zu differenzieren beyronnen hatte, spielten die Zustände der »Manie«
und der >Melancholie( noch immer die Hauptrolle in der Irrenärztlichen
Diagnostik. Allmählich aber konnte man sich doch der Beobachtung nicht
verschließen, daiS diese Störungen nicht nur die Neigung haben, im Leben
mehrfach oder sogar sehr häufig wiederzukehren, sondern daß sie trotz des
Gegensatzes, den sie repräsentieren, recht häufig miteinander abwechseln,
80 daß die manische Erregung fast immer durch ein depressives Stadium
eingeleitet und die Kuphorie und der Tatendrang des Manischen von Phasen
der Entschlußunfähigkeit und weinerlicher Stimmung ganz ebenso durch-
brochen oder gefolgt sein kann wie die Depression und Apathie des «Me-
lancholikers« von einer »reaktiven Hyperthymie«.
Wenn man dementsprechend nun auch von einem periodischen
Irresein zu sprechen anfing und bei diesem zwischen der periodischen
Manie, der periodischen ^flelancholie und dem zirkulären Irreseln
mit einem regelmäßigen Wechsel zwischen Manie und Melancholie unter-
schied, so glaubte man trotzdem immer noch, unbeirrt durch die sogenannte
«Rezidive« an der Lehre, daß diese Zustände keineswegs unter alten Um-
ständen periodisch aufzutreten brauchten und an den Typen einer einfachen
Manie und einer einfachen Melancholie festhalten zu müssen.
Wesentlich dem Verschwinden der Scheu von der Anstaltshehandlung
and der dadurch erzielten eingehenderen Beobachtung und Kontrolle des
Verlaufes der einzelnen Krankheitsformen in den Details war es wohl
zuzuschreiben, daß die Zahl derartiger Fälle immer mehr einschrumpfte und
daß speziell die einfache Manie eine immer seltenere Krankheit wurde, so
wenig man auch vereinzelten Berichten über Beobachtungen, in denen nur
ein einziger Anfall manischer Erkrankung im ganzen Leben nachgewiesen
werden konnte, Zweifel entgegenzubringen berechtigt ist.
Erst Khäpelin proklamierte die Zusammengehörigkeit der bisher unter-
schiedenen Typen zu einer großen Gruppe, der des »manisch-depressiven
Irreseins«. Und nicht nur die Unmöglichkeit einer UnterscheidunK' der
einzelnen Zustandsbilder daraufhin, ob einfache, periodische oder zirkuläre
Manie, resp. Depression vorliegt, sondern das Gemeinsame in den Störungen
des Ineinandergreifens der psychischen Elemente — wenn jene sich auch
26*
404
Manisch-depressives Irresein.
in diametral entgegengesetzter Richtung bewegen — und mehr noch das
praktische Errordernis, diejenige Form der traurigen Verstimmung, die schon
im klinischen Unterricht gewöhnlich als der Typus, das Faradijrnia der
Melancholie vorgeführt zu werden pflegt, schon aus rein prognostischen
Rücksichten von den Depressionszuständen des periodischen Irreseins abiu-
grenzen, zu denen sie absolut keine Beziehungen hat, lassen diese Zusammen-
fassung als durchaus gerechtfertigt erscheinen.
Das manisch-depressive Irresein ist charakterisiert durch eine prim&re
>affektive Insuffizienz^ (Eschlh). Wir sehen sowohl eine krankhafte
Änderung des Inhaltes des Affektes eintreten^ wie eine solche seinor In-
tensität. In qualitativer Hinaicbt findet sich daher bald krankhatte
Depression (Dysthy mie\ bald krankhafte Exaltation, in quantitativer
Hinsicht bald Apathie, bald krankhafte Reizbarkeit.
Die allgemeine primäre Depression, eine mehr oder weniger an-
motivierte Traurigkeit, die^ wie sie Vergangenheit und Zukunft in trQbstem
Lichte erscheinen läßt, anch die Empfindungen der Gegenwart mit reflektierten
»negativen« QefÖhlstönen auaatattet, ist in vielen Fällen mit dem Affekt
der Angst kombiniert, welche bald ohne irgendwelche lokalisierten körper-
lichen Empfindungen auftritt, bald aber auch mit den mannigfachsten Sen-
sationen^ besonders häufig mit einem qualvollen Oppresäionsgefuhl in der
Herzgegend (Präkordialangst) einhergeht. Zuweilen wird die LokalisatioD
der Angst durch zufällig koexistierende Sensationen oder Schmerzen be-
stimmt, welche schon lange vor dem Auftreten der ersteren bestanden haben.
Werden die letzteren im Sinne aller möglichen Befürchtungen ausgelegt.
80 resultiert die hypochondrische Form der Depression, die in den
Anfangsstadien des manisch-depressiven Irreseins und bei den leichteren.
auf der Grenze zur Psychose stehenden Formen meiner Beobachtung nacb
doch vielleicht nicht so selten ist, als das heutzutage angenommen zu werden
pflegt. Es darf hier ferner wohl nicht unterlassen werden, auf den bäufigen
Zusammenhang von Depressionszuständen, namentlich solchen mit dem Ge-
fühl der Angst kombinierten mit Unterleibsstörungen, speziell mit den ver-
schiedenen Formen der Obstipation, Blähungen usw. hinzuweisen, wobei es
allerdings fraglich ist« ob die abnorme Punktion des Darmes Folge oder
Ursache Ist. Nach Rr>sF.NBA(^i] *, der auch auf die Angstzustände bei sexualer
Erschöpfung , nach Kastration usw. aufmorkaam gemacht hat, ist wohl
wenigstens sehr häufig das letztere der Fall.
Die primäre motivlose Exaltation (im Gegensatz zu der sekun-
dären, durch Sinnestäuschungen heiteren Inhalts bewirkten) ist das Kar-
dinalsymptom der Manie und durch das Auftreten vorwiegend heiterer,
»positiver« Gelühlstüne das Kehrbild der Depression.
Wie die qualitative, durch die Depression repräsentierte Seite der
affektiven Insuffizienz quantitativ durch die Apathie, durch das patholo-
gische Fehlen der intellektuellen und der dazu gehörigen reflektierten
sensoriellen GefQhlstone ergänzt wird, stellt die spezielle Tendenz zu den
Affekten der krankhaften Reizbarkeit, die steh bald In Zorn (d.h. zu
leichter Auslösbarkeit den Affektes auf minimale Anlässe hin), bald in Arger
(d. h. abnormer Intt^nsität und Nachhaltigkeit des Affektes) dokumentierte
den quantitativen Ausschlag des in positiver Richtung (nach der Seite der
Exaltation) hin verschobenen psychischen Gleichgewichts dar.
Die Apathie beschränkt sich bald auf ganz bestimmte Vorstellungs-
und Emplindungsgebiete, bald tritt sie allgemein auf und fQhrt dann zu
einer gleichmäßigen Herabsetzung aller intellektuellen und reflektierten
* Vgl. 0. Ro»BSBACB, Zerebrales nnd kardiitlca Asthma, nebbt nemerkntigen über
ßlenokardie, Alpdrücken und verwandte Zantünde. Münchener med. VVochcnschr., 1900.
Gefflhlst5ne, so daß sopar der Charakter der Traurigkeit, der der ganzen
PorHÖDlichkeit das Gepräge gab, verloren gehen kann und die Kranken viel-
raelir weder froh noch traurig zu sein, weder zu fürchten noch zu hoffen,
weder zu lieben noch zu hassen, Gberbaupt nicht mehr für irgend etwas
Interesse zu empfinden imstande sind. Mit der Annahme dieser schwersten
Form der affektiven Insuffizienz, wie sie sich ohne gleichzeitigen intensiven
Inteltigenzdefekt außer bei der eigentlichen (Alters-) Melancholie nur boim
maniflchdepressivon Irresein zuweilen findet, muli man aber doch recht vor-
sichtig sein, um nicht zu oiner vollständig falschen Auffassung des Falles zu
gelangen. Wenn auch gorade bei diesen erwähnton im Gegensatz zu andern
Psychosen der Patient selten willkürlich — au! Grund von Wahnideen oder
Sinnestäuschungen — alle AffektäuUerungen unterdrückt, so wird er doch,
wie das besonders von Zikhex hervorgehoben ist, durch die noch zu er-
wähnende motorische Hemmung sehr oft an ihnen verhindert.
Der mit der Exaltation einhergehende Zorn ist ja ein entschiodones
fnlustgefühl, also ein negativer Affekt, aber durch seine spezielle Färbung,
bzw. seinen Inhalt unterscheidet er sich fundamental von dem Typus des
negativen Affektos der Trauer, der Depression. Die weiteren Irradiationen
des UnlustgefÜhlH treffen hier nicht das Ich, sondern die Person oder den
Gegenstand , auf welche die unangenehme oder schmerzliche Empfindung
zurQckzufOhren ist. Im Gegensatz zur Depression bleibt das Ich von dem
Übergreifen des Unlustgefühls vielmehr nicht nur verschont, sondern das
Selbstgefflhl ist sogar meistens gehoben, oft recht beträchtlich (Zibhkn).
Erst als sekundäre Folgezustände der typischen affektiven Insuffizienz
mit ihren den Charakter bald der Depression, bald der Kxaltation tragenden
Zuständen und Phasen treten Alterationen der distinktiven und psychomo-
'torischen Sphäre ein.
Die sekundäre ^distinktive Insuffizienz* (Eschlb) gibt zunächst
in qaalitatiN er Hinsicht, wenn wir auf die einfachsten Seelengebiide zurück-
greifen, zu Störungen der Emplindunffen und besonders auch der Wahr-
nehmungen, d. h. der zu äußeren Ursachen in Beziehung gesetzten Empfin-
dungen und mittelbar auf diesem Wege zu einer krankhaften Gestaltung
der Willensäulierong Anlaß. An sich noch außerhalb der Grenze des Krank-
haften stehend sind die Illusionen, die ja auch beim geistig Gesunden
dadurch zustande kommen können, daß ein äuBerer Kindruck falsch aus-
gelegt wird. Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei der Halluzination um
einen rein zentralen Erregungsvorgang, der als Wahrnehmung reproduziert
und in die Aulienwelt projiziert wird. Bei allen diesen Zuständen — selbst
da, wo es sich um die intensivsten Sinnestäuscbungen handelt und bei dem
manisch-depressiven Irresein kommt es verhältnismäßig selten zu Halluzi-
nationen, während Illusionen recht hüufig sind — brauchen es selbstver-
ständlich nur einzeEne Wiltenshandlungen zu sein, die wegen ihrer Beziehangen
zu jenen ersteren ein gewissermaßen schon ab origine krankhaftes Gepräge
tragen.
Gewinnt das psychische, aus den Elementen des Denkens, Fühlens und
Begehrens aufgebaute psychische Produkt durch fortgesetzten erneuten Zu-
tritt analytischer und synthetischer Vorgänge einen immer komplizierteren
Charakter, entwickelt es sich zur Vorstellung und auf dem Wege aber diese
zur Ideenassoziation, so liegt es auf der Hand, dab das resultierende, jeweils
höher komplizierte, gewissermaßen potenzierte psychische Gebilde den Cha-
rakter einer Wahnidee schon dadurch annehmen kann, daß es sich auf ein
ganz unzureichendes, illusionäres oder direkt halluzinatorisches Wahrnehuiungs-
material stfltzt. Hierzu kommt noch, daJi die Korrektur der fehlerhaften
ürteilsasaoziationen und die fortwährende Kontrolle der neu hinzutretenden
Empfindungen durch den Vergleich mit früheren Erfahrungen, die sonst die
406
Manisch-depressives Irresein.
Vorstellungen vor jedem erheblichen Abweichen von den tAts&chlicbco Vtr-
hfiltniBsen der Außenwelt bewahrt,en, bei der St5runjc des psychischen Gleich-
yrowichts ausbleibt und so schließlich der Wahnidee, d. h. der auf elo*i&
pathologischen Seelenzustande erwachsenen, im Widersprach«
zu jeder Erfahrung stehenden und daher jeder Berichtigung Qa4
ße weisführnng unzugänglichen Vorstellung die Herrschaft Ober du
Empfindungsleben Überläßt. Es werden so die Empfindungen im Sinne d«r
Wahnidee gedeutet bzw. transformiert (Ziehen).
Ist die Wahnidee die eine Form dos pathologischen Irreseins, so vtri
die zweite Form durch die Zwangsvorstellung repräsentiert. Während M
der Wahnidee korrig'ierende Urleilsassoziationen gar nicht oder nur in Föns
ganz vorübergehender Zweifel auftreten, macheu sie sich bei der Zwangs-
vorstellung durch die Überlegenheit ihrer Zahl und Stärke durchaus geltend.
Der Kranke ist daher von der Unrichtigkeit seiner ZwangsvorsteUanpB
völlig überzeugt, sie drängen sich ihm aber trotzdem >mit Zwang* aif
(Ziehen). Ihnen wohnt fast stets eine motorische Tendenz inne. Die Zwang»-
Vorstellungen entnehmen oft aus ihrem Inhalte das Motiv zur Angst, z. B
der. Majestätsbeleidigungen ausgestoßen, durch unvorsichtiges Umgehen mli
Streichholzern Gelegenheit zu einem Brande gegeben haben zu können nt«.
Die affektive Insuffizienz und speziell der Zustand der Depresaioi
leichteren Grades scheint das Auftreten von Zwangsvorstellungen zu be-
günstigen, in gleicher Weise wie die schwereren Grade affektiver Vnvh
läoglichkeit das sekundäre Auftreten von Wahnideen zur Folge haben.
Die sekundäre Insuffizienz auf psychomotorischem Gebitte
äußert, sich bei den in Rede stehenden Zuständen auf dem Gebi«t« dM
Denkvermögens zunächst relativ selten und auffallend wenig aasgesprocte
in Störungen des Vorstellungsablaufs (Inkohärenz. Dissoziation, Tb-
orientiertbeit)^ stärker schon in der das Verhältnis der Vorstellonirn
zueinander festlegenden Apperzeption (Unaufmerksamkeit, Ablenkba^
keit) und am intensivsten in den Störungen des zeitlichen Ablaufe« d«
Assoziationen (Denkhemmung und Ideenflucht). Außer diesen sekuodäits
Störungen im Bereiche des Denkvermögens aber resultiert als Fol^«rsc)l«i*
nung der affektiven Beeinträchtigung auch eine Insuffizienz des Wolltoft
Die von mir herrührende Unterscheidung dieser »abulischen Insuffizieai«
(KosEXDvrM) in die beiden Formen der rosolutoriacben und der pf^
severativen Insuffizienz trägt wohl auch zugleich dem eigenartino
Kontraste zwischen der depressiven und der exaltierten GemQtsalterAtfoo
insofern Rechnung, als hier einseitig eine Unzulänglichkeit der Fähiglietti
sich zu entschließen, dort einseitig eine solche des BeharrungsvermdffCM
vorliegt, welches dem aus der Außenwelt immer neu hinzutretenden, ptf'
chisch sofort verarbeiteten Impulse ein zweckdienliches Gefengewleht iffl
Sinne des Festhaltens an dem einmal Gewollten bietet.
Die »Hausse« wie die »Baisse« im Seelenleben scheint sieh, wie kfc
das andernorts ausgeführt habe, nicht auf die einzelnen Territorien ta be-
schränken und die psychischen Elemente ebenso zu beeinflussen wie ^
Psycbomotion und schließlich auch das Übergreifen der Psyche auf d«»
motoriacbe Gebiet, indem sich dort mft der charakteristischen Gehob<iiib«it
der Stimmung eine Intensität und rasche Folge der eindringenden Vonft»!*
Inngen verbindet, die schon die hervorragend aktive Tendenz der Wtüfi*',
äußerungen in sich birgt, hier mit der Depression die Aprosexie, dl^ H^mnn^i
Hand in Hand geht, die auf motorischem die »Gebundenheit«^ die »Ran^'
lution« zeitigt.
Auf Gmnd einer derartigen Analyse des psychischen Vorgang« ^
trachte ich auch im Gegensalze zu Wrygxnot die anscheinende Unaufmtf^'
samkeit Im manischen Stadium nicht als eine AproMxie, sondern alt *■*
Manisch-depressives Irresein.
407
H>'perpro»exie. Denn es tritt ja nicht die Störung der Aufmerksamkeit dort
in dem Sinne ein, daU eine I^^mpfindung zu lanijce und zu intonsiv, also
einseitig den Vorstellunt^sablauf beherrscht, sondern sie besteht fraglos wohl
darin, daß zu viele EnipfinduD^en Vorstellungen anregen und wegen ihrer
schnellrn Folge die Aufmerksamkeil fast gleichmäßig und mit gleicher In-
tensität auf sich ziehen, sie zersplittern Ks kouuiit somit nicht wie normaliter
zum Obsiegen einer den Vorstellungsablauf für längere Zeit beherrschenden
Empfindung — infolgedessen auch zu keiner vollstundigen , einheitlichen
Vorstellungsreihe — , vielmehr erregen neue Empfindungen fortgesetzt nene
Vorstellungen, welche die von der ersten Empfindung angeregte Vorstellungs-
reihe unterbrechen. Gegenüber dem passiven , negativen Verhalten ries
depressiv^ Alterierten den andrängenden Vorstellungen gegenüber, unterbricht
auch der leicht Erregte mitten im Satze die Antwort auf eine gegebene
Frage und schaltet eine dem Hörer ganz unmotiviert erscheinende Bemerkung
ein, über die er die Fortführung der begonnenen Gedankenreihe vergißt,
da eben die AafmerksamkeJt von Empfindung zu Empfindung jagt, ohne
lange zu haften. Dabei kommt die erhöhte Erregbarkeit der latenten Erin-
nerungsbilder, wie sie der beschleunigten Folge der Vorstellungen , speziell
der Ideenflucht zugrunde liegt ^ auch schwächeren Empfindungen zustatten
und Kleinigkeiten, welche unter nurmalen Verhältnissen nie die Aufmerk-
samkeit zu erregen vermöchten, sind hier imstande, Vorstellungen zu er-
zeugen und jene von ursprünglich stärkeren Empfindungen wieder abzuziehen.
Aus der Psychose, deren Grundfarbe und hervorstechondstiss, im Sinne
der soeben gemachten Ausführungen auch grundlegendes Symptom die
Depression ist, müssen selbstverständlich alle jene Fftlle ausgeschieden
werden, in welchen die traurige Verstimmung ein konsekutives Symptom
bestehender Sinncsdelirion ist und in direktem Abhängigkeitsverhältnisse zu
diesen steht. Ja man ging früher sogar, um den klinischen Begriff der so-
genannten Melancholie nicht gar zu Hchwankend werden zu lassen, vielmehr
denselben gewisäermußen mit einem scharfen Strich von den andern Sym-
ptomengruppen abzugrenzen, so weit, in dem Auftreten oder Fehlen von
Halluzinationen eine solche scharfe Grenzlinie zq erblicken, die deutlich und
leicht erkennbar namenilich die »Melancholie« von der Paranoia scheiden
sollte. Es sei schon hier, wenn wir uns hier auch znnftchst mit der depressiven
Form der Psychose zu beschäftigen haben, vorgreifend erwähnt, dul3 man
aach in dem klinischen Bilde der Manie jode Halluzinatioii ohne weiteres als
fehlend ansah, und daß alle früheren Heubacbter an dem charakteristischen
Fehlen einer sulchen aU an einer unumstößlichen Erfahrungstatsache nach-
drücklichst festhielten.
Uns interessiert bei diesem Rückblick wohl besonders die Talsache,
daß man — g.'wissermaßen unbewußt — die beiden Formen der Erkrankung
schon damals in Parallele stellen zu müssen glaubte Daß man sich der
Tatsache eines Zusammenhanges der Erscheinungen verschloß, erscheint uns
heute, nachdem die KuXrKMNscho Auffassung immer mehr an Ausdehnung
gewinnt, einigermaßen befremdlich, und zwar um so mehr, als man schon
damals in Ijehrbüchern und Monographien die sehr häufig im allerersten
Anfang der Erkrankung hervortretende Heizbarkeit beschrieb, der dann die
intensive Depression auf dem Fuße folgte, wie man umgekehrt auch die
manische Erregung schon damals fast immer als durch ein depressives
Stadium eingeleitet beobachtete, ganz abgesehen von den vereinzelt und
zeitweilig auftretenden Umschlägen der Stimmung, auf die schon einleitend
hingewiesen wurde.
Die depressive Form der Psychose wird nun in der Reget durch ein
kürzeres oder längeres Prodromalstadium allgemein psychischen Unbehagens,
das sich in Mißstimmung, d.h. verdrießlicher Unlust und reizbar abwehrendem
408
Manlach'-dcpreasivea Irresein.
k
Verhalten kundji^ibt^ eingeleitet. Der wenig: ausgenprocheno pathologiBche
Charakter dieser UDlu8terBcheinu;i|L;:en l^Ll^t diesen von vornherein BChwer die
zutrefFende klinische Beurteilung an^edeihen, bis dann die immer mehr hervor-
tretende Wesensänderunff das Vorliegen einer offenbaren Geislesstörung
auch der Umgebung klarmacht. Eines der ersten der gewöhnlich so uo-
ficheinbar und belanglos erscheinenden Prodromalsyuiptome pflegt die
Schlaflosigkeit zu sein Die Kranken fluchen sich anfangs tagsüber noch
auf alle Weise zu zerstreuen, gehen auch noch anscheinend mit Eifer ihrer
gewohnten Beschaftigurg nach, legen sich dann früher oder später zu Hell
und liegen stundenlang, unruhig von einer Stelle auf die andere sich wäl-
zend, im ßettf ohne zu schlafen.
Wenn sie einschlummern, erwachen sie bald wieder von selbst oder
durch die geringfügigsten äulieren Einflüsse. Buld tritt mit der allgemeinen
Abgeschlagenheit das Gefühl der Traurigkeit und Ängstlichkeit ein. ohne
daß sie wissen, warum sie traurig und furchtsani sind. Weiterhin lassen sie
ihre Beschäftigung im Stich, finden keinen Gefallen mehr an der gewohnten tag-
lichen Arbeit, werden menschenscheu, stehen oder liegen umher und erscheinen
so trage und indolent. Dabei rührt sie die geringste Veranlassung zu Tranen.
Auch AppetitstörungL'n und hartnackige Darmträgheit pflegen sieb
hinzuzugesellen, die Zunge ist stark belegt und das Körpergewicht geht
stark herunter.
Wenn die Kranken zu Äußerungen über ihr Befinden zu bewegen sind
und auf entsprechende Kragen nicht nur einfach in Tränen ausbrechen, be-
zeichnen sie ihr Leiden oft selbst als Schwermut«, die sie aber selbst nicht
als Krankheit anerkennen wollen. Sie machen sich vielmehr Vorwürfe, arbeits-
scheu und überflüssig zu sein, iJerFaiuilie zur Last zu fallen, durch die er-
forderliche Hücksichtnabnie und die unumgängltcben Aufwendungen für sie
den nächsten Angehörigen das Notwendige zu entziehen oder zu beschränken^
Wenn die Kranken auch nicht in der Weise klagen und jammern wie die
an der agitierten Form der InvolulionsmelanchoUe Leidenden, so sprechen
sie sich zuweilen doch dahin aus, daß sie wünschten, merklich und ernstlich
krank zu sein, um die Teilnahme and Sorge der Familie auch wirklich zu
rechtfertigen und zu verdienen.
Kommen in vereinzelten Fällen den Kranken hauptsächlich oder gleich-
zeitig die körperlichen Veränderungen zum Hewußtseln und ziehen sie för
sich ^selbst daraus ächlüsse auf ein tieferes und unheilbares Leiden, so
pflegen sie dasselbe mit weit zurückliegenden Verfehlungen auf sexuelletn
oder an'lerem Gebiete in Zusammenhang zu bringen, die in gesunden Tagen
ihr Gewissen durchaus nicht belasteten. So können sich auch hier Ver-
sündigungsideen ähnlich wie bei der klimakterischen Melancholie entwickeln;
aber diese werden der Umgehung nicht immerwährend vorgetragen wie hier,
ebenso wie in den leichtesten, auf der Grenze der Psychose stehenden
Fällen mit hypochondrischen Vorstellungen die Angehörigen mit hypochon-
drischen Vorstellungen seitens des Kranken durchaus nicht so gepeinigt
werden wie bei der hypochondrischen Form der Melancholie oder der hypo-
chondriflchen Verrücktheit.
In den Äußerungen der Kranken, die langsam und zögernd und nach
Überwindung einer verschieden starken Hemmung in kaum vernehmbarem
Flüsterton vorgebracht werden, spiegelt sich der psychische Druck wider, der
auf ihnen lastet. Die Patienten sind über Zeit und Ort in der Regel gut
orientiert, kennen ihre Umgebung wieder und pflegen Rochenaufgaben lang-
sam, aber richtig zu losen. Aber alle Willenshandlungcn sind aufs äutierst«
erschwert, was sich in der unfreien Haltung (mit niedergeschlagenem Oe
sicbtsausdruck sitzen sie da oder liegen still im Bett), in der Langsamkeit
und Gebundenheit der Bewegungen dokumentiert.
Manisch-depressives Irresein.
409
I
' Der Zustand der schwersten Willenshemmung. der — unabhäogigf von
der Art der vorliegenden Psychose — panz allgemein als •Stupor< be-
zeichnet wird, kann die traurige Stlromunp: in vollsländi'^e allgemeine Apathie
im Sinne des oben Geaasten OborlOhron Die Krschwerung^ der Entschließung
bei der Vornahme jeder Wlllenshandlunir. die zügerndo und bedächtiß^e Aus-
führung der Hewegung^en unterscheidon auch hier den Stupor von dem des
Katatonikers, bei dem nur der Anfaiii3:smipul8 verzögert ist. In den stärksten
Graden des Stupors bfim manisch-depressiven Irresein kann der Kranke
allerdings ohne alle Beweguiii; daliegen, so daß er gefQttert werden muß
und Urin, eventuell auch Kot unter sich läßt.
Es wurde schon bervorgehohen, daß die Halluzinationen in den ver-
einzelten Ffillon, in denen sie auftreten — in der Regel beschrJlnkon sich
die Sinnestäuschungen ja auf Illusionen — ^, zur VerwecliaUing mit para-
noischen Zuständen lOhren können, ganz ebenso wie die Veraündigungsideen,
wenn sie etwa eine im klimakterischen Alter auftretende Depres-iton begleiten,
den Gedanken an Melancholie nahelegen, Diese Zustände sind aber bei einem
deutlichen Hervortreten der Hemmung des Denkens und Wullens ausgeschlossen.
Übrigens können da, wo VersCindigungs- und V^erfolgungsideen auf-
treten, diese in sich trotz des vollkommen erhaltenen Intellektes recht
widerspruchsvoll sein; das tritt namenlHch in den recht schwer zu analy-
sierenden manisch-depressiven Mischzuständon. die sich ans einzelnen Sym-
ptomen der Depression und anderen dor Erregung kombinieren und die man
früher allgemein unter die Paranoia rubrizierte, zutage. Jene von dieser ab-
zugrenzen ist wohl nur nach jahrelanger Reobacbtung, die die Wiederkehr
der Phasen der Verstimmung konstatierte, oder gar erst nach Abtauf des
Lebens des Kranken mit einiger Bestimmtheit möglich.
Selbstmord und Abstinenz bilden die größten Gefahren in dem
depressiven Stadium des manisch depressiven Irreseins. Ab und zu können
die Kranken ihre Unlust am Leben nicht verschweigen und bringen nicht
nur den Wunsch, sondern auch ganz bcBtimmto Solbstmordideen, z. B. die
durch Nahruiigsvier%veigerung ihr Leben zu beenden, zum Ausdruck.
Bei der (infolge der Hemmung] verächlossenen Natur der Kranken ist
das aber eine Seltenheit und um so mehr wird diese ernste Gefahr seitens
des unerfahrenen Reobachters unterschätzt. Ferner ist als eine , wie mir
scheint^ nicht hinlänglich gewürdigte Komplikation, die das Leben des längere
Zeit dem Zustande der Depression Ausgesetzten direkt gefährdet, die Lungen-
tuberkulose anzusehen. Sie wurde nach J. Wkiss bei den Obduktionen von
»raelancholischoH' Kranken so häufig gefunden, daß man in der Tuberkulose
lange eine EntsJehungsursncho der unter den Hegriff der Melancholie sub-
sumierten Ptsychusen ansah. Genaue klinischo Untersuchungen mit direkt auf
diesen Punkt gerichteter Aufmerksamkeit haben aber ergeben, daß der
kausale ZusammenhuDg zwischen der körperlichen Krankheit und der
Psychose dieser Annahme gerade entgegengesetzt ist. Es stellt sich die
Tuberkulose erst im Verlaufe der Depression ein und steht entschieden im
Zusammenhange mit der mangelhaften, nicht trotz aller Sorgfalt der Um-
gebung hinlänglich ausgiebig sich gei^taltenden Ernährung, mit der Trägheit
und Energielosigkeit aller Funktionen und der dadurch bedingten tiefen
und atlgeraeinen Ernährungsstörung« namentlich da. wo stuporose Zustände,
die bei längerer Dauer überhaupt die Prognose trüben, die Depression kom-
plizieren. Es kommt dazu die muuotone Lebensweise solcher Kranker, der
Wegfall jeder geordneten Beschäftigung, die notwendige Einengung des
Kreises der gewohnten Lebenstättgkeit. Unter diesen kombinierten Ein-
flössen vergesellschaftet sich die Tuberkulose mit dem manisch-depressiven
Irresein ebensogem wie mit anderen Psychosen, wenn dieselben einen
chronischeB Verlauf nehmen.
410
Manisch-depressives Irresein,
I
Darauf, daß das Initialstadium der maniscben Phasen gleichralle
meist ein depressives ist. wurde schon hingewiesen. Ks sind dementsprechend
auch hier dieselben Anfanjfssymptome zu finden (Schlaflosigkeit, Gereizüiwl
Arbeitsscheu, unter Umständen auch die gleichen SelbstvorwOrfe), so daß
es von vornherein nicht nWipÜch ist, zu hestimraen, in welcher Weise die
geistige Störung sich entwickeln will. Die Vermutung der Manie wird aber
8chon recht nahegelegt, wenn d'w krankhaft veränderte Stimmung <ies
Patienten plötzlich in das GoKenleil umschlägt und an die Stolle der
Menschenscheu, der Verzagtheit und eventuell auch der Klagen ober die
zentnerschwere Last« die auf sein OemQt drückte, sich Lost und Liebe zum
Leben ganz plötzlich wieder einstellen, das gehobene Selbstgefühl sich nicht
nur in Heiterkeit und Ausgelassenheit, in bis zum Überdruß wiederholten
Lobeserhebungen über das vurzügliche Befinden, sondern auch in einem
übertriebenen Tätigkeitsdrange Luft macht, der es allerdings zu lauter An-
fangen ohne Fortsetzung, zu redselig entwickelten Plänen, aber selten oder
gar nicht zu einem entsprechenden Vollzug derselben bringt. Die Darcli
Führung der prahleribch angekOndtgten Untornohmungen labt lange auf sich
warten, verrät einen nicht liinJänglich durchdachten, vielmehr äußerst ober-
fläfhlichen Plan. Nach diesem werden sie in gauz unbesonnener und verkehrler
Weise ins Werk gesetzt, um dann zugunsten neuer, mit der gleichen Zuvef
sieht eingeleiteter Projekte — und zwar leichten Herzens — wieder aul
gegeben zu werden. Der ins Mafilose gesteigerte Betätigungsdrang zei^t
sich nicht nur in einem Jagen von Arbeit zu Arbeit, sondern auch in einem
solchen von Vergnügen zu Vergni}gon. Die l^nternnbrnung-alust, die sich bald
in gewagten Spekulationen, groUen Kinkäufen, verschwenderischen Geschenkeo.
Reisen t bald in allen möglictien tollen Einfällen, galanten Abenteuern, un-
passenden und unwürdigen Heiraten resp. Verlobungen äußert, halt die gante
Umgebung des Kranken kontinuierlich in Atem« um so mehr als sie das Aal*
kommen jedes Ermüdungägefübts auszuschließen und dem manisch Erregten
eine krankhafte Zuversicht in die eigene Kraft zu verleiben scheint, die dat^
unbedingte Gelingen aller Unternehmungen voraussetzt.
Im Gegensatz zu dem Deprimierten, der unsicher, zögernd, unter mehr-
fachem Absetzen der Feder und den Anzeichen sich steigernder Ermüdung
schreibt, sind die Schriftzöge des Manischen flott großzügig, oft wachsen
die Buchstaben während des Schreibens, Untersireichungen werden mit der
gleichen Vorliebe angebracht wie Verßchnörkelungen; diese letzteren tragen
aber nicht wie etwa beim Epileptiker das Gepräge des Gekünstelten und
des Pedantischen, das aus einer Mischung von Akkuratesse und Zaghaftig-
keit resultiert, sondern den Charakter der Sicherheit, des Selbstbewußtseins.
ja einer gewissen Rücksichtslosigkeit. Auch in den Fußspuren, denen man
seit einiger Zeit die Aufmerksamkeit zugewandt hat, gibt sich ein ähnlicher
charakteristischer Unterschied kund.
In der sprachlichen Sphäre wird dieser Betätigungs- zum Hededraog.
Da als weiteres wichtiges und charakteristisches Zeichen der psychomotori-
schen Insuffizienz die Ablenkbarkoit interveniert, d.h. die erhöhte Beeio-
tlußbarkeit durch äußere und innere Reize, welche sich auf dem Gebiete
der Auffassung dadurch bemerkbar macht, wie oben bereits auseinander-
gesetzt wurde, daß nicht die wichtigsten, sondern ganz beliebige, gerade
sich darbietende Eindrücke die Aufmerksamkeit an sich ziehen, um alsbald
durch andere ebenso wahllos und zufällig abgelöst zu werden: so nimm!
der Vorstellungsablauf das Gepräge der Ideenflucht an, die den sprach-
lichen Äußerungen jetzt immer mehr den Stempel des prägnant Krankhaften
auch fQr den Laien aufdrückt. Während in den AnTangsstadien die Sprache
nur affektiert gewesen war, wie (im Einklänge mit der gehobenen und eines
Hanges zum Erotischen nicht entbehrenden Stimmung) das ganze auch in
ManiBch-depressives Irresein.
€11
I
I
I
Gangr, Haltung und Kleidung zum Ausdruck kommende Benehmen, sucht
jetzt die Zunge mit der rapiden Abwicklung der Kette sich immer mehr
verschlingenden Assoziationen Schritt zu halten. Diesem aber ist die Ziol-
vorstellong, welche dem gesunden Denken seine feste Richtung gibt und
alle störenden Nebonvorstellungon schon im Entstehen unterdrückt, auf
Grund jener Ablenkbarkoit volIstÄndt|r abhanden irekommen. Der Uedanken-
ganfr und mit ihm die Rede, in der er Ausdruck findet, erhält jetst durch
zufällige, nebensächliche, vielfach auch nur durcb die sprachliche Gewöhnung
und den Gleichklang wachgerufene Vorstellungen, die sich überall einschieben,
eine unkontrollierbare, sich völlig »ins Blaue« verlierende Richtung.
Im Bereich der Gefühle selbst gibt sich die psychomotorische In-
snffizienz, die Ablenkbarkeit durch die Labilit3.t^ den krankhaft be-
schleunigten Phasen Wechsel in der Stimmung kund, die — und das
ist besonders auffallend, da die Details der Krankhoitsbilder des manisch-
depressiven Irreseins, wie wohl bei kaum irgend einer anderen Psychose,
sonst in allen ihren Umrissen schon durch den Hintergrund gegeben sind,
dem die Stimmung gerade charakteristische Färbung verleiht — von der
Übermütigsten Lustigkeit im Handumdrehen zur zornigen Gereiztheit, aber
auch zur weinerlichen Verzweiflung umzuschlagen vermag. So bildet nament-
lich den Abschloß der Erregung öfters ein »Stadium decrementl-, In
welchem wieder die depressive Stimmung zur herrschenden wird und auch
leichtere Hemmungen festzustellen sind (Wkygaxdt).
Gab sich also die motorische Unruhe — um von dieser kurzen
Abschweifung zurückzukehren — in den ersten Stadien der Exaltation ver-
bältnismäüig harmlos in Hededrang. Lachen, Singen, Lärmen, in gesteigertem
byperkinetischem Treiben und vielleicht auch hie und da in einer erotischen
Zudringlichkeit dem andern Geschlecht gegenüber kund, so beherrscht sie
auf der KntwicklungshÖhe des maniakatischen Zustandes das Krankheitsbild
vollständig. Die Kranken singen, lärmen, poltern und agieren jetzt ohne
Unterbrochung, bis sehlieUtich der Betätigungsdrang in völlig unkoordinierten
Bewegungen zur Entladung kommt Die Äußerungen worden total easammen-
hanglos, die Ideenflucht mit dem sie begleitenden, dem Hdrer gewissermaßen
den Atem benehmenden Wortschwall steigert sich zu einom unentwirrbaren
Chaos , zu einer vollständigen Zusammenhangslosigkeit der überstürzt
ablaufenden Vorstellungen. Die heitere Verstimmung, die schon vorher
durch den Einschlag von Zorn und Reizbarkeit unterbrochen wurde , läßt
Jetzt die Kranken nicht mehr den geringsten Widerspruch ertragen, auf
den nunmehr nur noch mit Schimpfen, Lärmen, Zerstörung von Mobilien,
Zerreißen von Kleidern, Wäsche usw. und Tätlichkeiten gegen die Um-
gebung reagiert wird.
Wbvgandt unterscheidet je nach der Intensität der Störung 6 Grade
der Exaltation beim manisch-depressiven Irresein:
1. Die klassische, flotte Manie, wie sie in ihren Grund^ügen etwa
der hier gegebenen Schilderung entspricht.
2. Die Hyporaanie (MivMirl), auch als Mania sine delirio oder
Folie raisonnante bezeichnet, die sich in gehobener, aber nicht öber-
Bprudelnder Stimmung, mehr in Projekten und Diskussionen als in geräusch-
vollen und st4>renden Handlungen, resp. Unternehmungen und beim Heden
mehr in schneidendem Sarkasmus als in Derbheiten kundgibt.
8. D\b Mania mitia oder mitissima (Hoche, Hk<kkh1. wohl den Zu-
ständen entsprechend, die wegen der offenbar vorhandenen Krankheitsein-
•lebt vielfach — und, wie ich glaube, mit einer« gewissen Berechtigung —
als noch außerhalb der Grenzen der eigentlichen Psychosen angesehen und
wohl meist der Neurasthenie, die an sich ja in gewissem Umfange Zwangs-
vorstellungen zeitigt, zugezählt werden.
412
Manisch-depressives Irreaein.
I
4. Hie deliröse Manie, Mania j^ravis, bei der die Orientieracg
schon mangelhaft, das KewulUsein ji^etrübt ist, also mehr oder weniß:er deat^
liehe Verwirrung: besteht
b. Die Manie mit Wahnideen, vorwiegend GrOüenideen.
6. Die Manie mit vorwiefi^end zornigen Affekten. NeigrüDß; xar
Zerstörung; und Gewalttätigkeit, also »Tobsucht« im populären Sinne.
Es ist fast OberftössißT. zu bemerken, dab diese (Einteilung nur zor
Charakteristik besonderer Qrade der Störung, nicht etwa zur festen Ab-
grenzung; bestimmter Farmen der Erkrankung: gegfeneinander dienen soll.
denn diese einzelnen Grade zeigen im Laufe ein und derselben Krkrankanps
phase natürlich die vielfachsten Obergänge, und es wOrde am so auffälliger
sein, wenn das nicht stattfändo. wo doch sogar Depression and manische
Symptome sich abwechseln^ ineinander umschlagen, ja untereinandermischen
können.
Die Differentialdiagnose der manischen Zustände wird nur selten
ernstere Schwierigkeiten bereiten. Neben dem initialen Aufregungsstadium
der paralytischen Geistesstörung, das zu einer Verwechslung mit dem
ungleich unbedonkh'cheren Symptomenkomplex der Manie fQhren kann, ist es
wohl nur die katatonische Krregung. die ähnliche Symptome zeitigt
Die katatonischen Strgmate sind aber so charakteristisch, daU einer Unter-
scheidung im ELinzelfalle kaum Schwierigkelton begegnen dürften [vgl. aucb
den Artikel Katatonie in diesem Jahrbuch).
Wenn auch die paralytische Geistesstörung sich in sehr vielen Fälleo
unter dem Bilde amönomaniacher Verstimmung, großen Bewegungädrangea
und gehobenen SelbstbewuUtseins etabliert, so werden doch Wahnvor-
stellungen von dem für die Paralyse charakteristischen barock-extrava-
ganten Charakter ebenso fehlen wie die Innervationsstörungen. Auch der
weitere Verlauf des maniakalischen Stadiums einer eventuellen paralytischen
Geistesstörung uiuii schon in einigen Tagen die Diagnose sicherstellen.
Lähmungen, die etwa in den ersten Tagen nicht zu konstatieren waren,
werden alsbald deutlicher hervortreten. Züge von auffälliger Demenz oder
läppischem Vorhalten treten markanter hervor^ wenn nicht gar Ohnmachts-
zustände oder vollständige paralytische Anfälle von epileptischem oder apo-
plektilonnem Charakter mitten in den Symptomenkomplex der maniakalischen
Exaltation hineinfallen und Jeden differentialdiagnostischen Zweifel lösen.
Schließlich sei es in differeniialdiagnostischer Beziehung noch hervor-
gehoben, daß man Aiienationserscheinungen mit allen Erscheinungen der
Manie nach einem oder mehreren voraulgogangenen epileptischen Anfällen
beobachtet, ebenso wie diese für diese letzteren als >päychiaches Äqui-
valent« substituierend eintreten, ganz abgesehen von den epileptischen An-
fällen rein psychischen Charakters, d. h. ohne Beziehung zu Konvulsionen.
Seihat da, wo Krarapfanfälle fehlen oder nicht zu konstatieren waren, wird
das plötzliche Einsetzen, die in der Regel kurze Dauer und der plötzliche,
unvermittelte Abfall der Erregung, zusammengehalten mit der Erinnerung«
lostgkeit der Kranken, die epileptische Manie in scharfer Weise von den
rein manischen Zuständen unterscheiden.
Ks mag im Anschluß an die differentialdiagnostischen Bemerkungen
hier hervorgehoben sein, daß es nicht von untergeordneter Bedeutung ist,
ob man den Begriff des zirkulären Irreseins heute völlig fallen lassen
will oder nicht. Wenn WEVGA.\i:iT darauf hinweisen zu mtissen glaubt, daß
die Mehrzahl der Fälle schließlich einen durchaus atypischen Verlauf auf-
weist und regellos manische, depressive und Miscbzustände der verschie-
densten Art mit freien Zwischenräumen von mannigfachster Dauer abzu-
wechseln pflegen, so ist doch fQr einen Teil der Fälle das Vorkommen
eines regelmäßigen Zirkels zwischen Manie, Depression und freiem Intervall
Manitäch'dcprtfsstves Irresein.
418
nicht widerlefct. Und wenn die Aufrechterhaltung: jener Xomenklatur heute
nicht mehr zum V^erständnls der VorjfRnge durchaus erforderlich ist, so
widerspricht sie doch den Prinzipien loß:iBcher Klassifikation keineswegs.
Der wesentliche Fortachritt, die wertvollst« wissenschaftliche und prak-
tische Konsequenz des von Kkäpelin gegebenen Einteilunpraprinzipes scheint
mir in der nunmehr erfolgten klaren Unigrenzunia: des Beßrrifres der >Melan-
cbolie«, seiner Säuberung von unf^ehörif^en Zutaten zu sein, indem man sie
jetzt als eine Form des »Rückbildunf^sirreseins«, als eine »krankhafte Aus-
prägung des Gefühls der wachsenden l'nzulän(;1(chkeit, wie es sich auch
beim Gesunden in {gleichem Alter leiser oder stärker bemerkbar zu machen
pHe^« , anzusehen gelernt hat. Abgesehen von dieser schätzenswerten Be-
reicherung unserer Anschauunj^sweise. ist nicht »neuer Wein in alteSchtriuche«,
sondern alter Wein in neue Schläuche ife^ossen worden und die Ansichten
zwischen den Vertretern der neuen Hichtung* und den vorurteiläloaen Beob-
achtern aus der alten psychiatrischen Schule differieren im Grunde nur be-
treffs der Häufigkeit jener »getreuen Umkehr, des Überganges und des
Umschlages der manischen und depressiven Symptome ineinander«. Man hat
jetzt auf Grund der ausgiebigeren Möglichkeiten zu eingehenderer Beobachtung
jenen Wechsel als einen nahezu regelmäliigon erkannt, während man ihn
früher nur auf eine verhältnismäßig geringe Zahl von Fällen beschränkt
wissen wollte; man hat forner Rieh überzeugt^ daß dieser Wechsel nur selten
etwas streng GesetzmäÜigeBi Typisches in dem Zutagetreten manischer und
depressiver Phasen erkennen ließ, welches man aber auch früher nicht prä-
judizierte, wenigstens nicht in dem schroffen Sinne etwa eines Pendeins der
produzierten psychischen Gebilde um eine affektive Gleichgewichtslage mit
gewissermaßen streng berechenbarem alternierenden Ausschlag, das eine Mal
nach der positiven, das andere Mal nach der negativen Seite hin !
Das Überschreiten des Höhepunktes der, wie bemerkt, in ganz unge-
regelter Folge wiederkehrenden Attacken der affektiven Insuffizienz —
mögen sich diese nun im Sinne der Depression oder der Exaltation präsen-
tieren — ist stets durch eine Zunahme des vorfaür beträchtlich absinkenden
Körpergewichtes angezeigt. Die Dauer der jeweiligen Attacken schwankt
innerhalb weiter Grenzen, von einigen Wochen bis zu vielen Jahren. Im all-
gemeinen verlaufen die depressiven Anfälle etwas schleppenden doch pllegen
auch hier nach Kkävelin die ersten derselben selten die Dauer von einigen
Monaten zu überschreiten. Leichte Anfälle können sich rasch wiederholen,
schwere durch längere Zwischenräume getrennt sein und umgekehrt. Die
Prognose des einzelnen Anfalles ist günstig, er fQhrt in der Regel zur Hei-
lung, so daß der Kranke wieder vollauf lebenstüchtig werden und, wie
Weycandt hervorhobt, geistig hochstehende Leistungen, selbst Kntdeckungen
Hefern kann
Die pathologisch- anatomischen Befunde bei dem manisch-
depressiven Irresein sind, wie bei den Psychosen überhaupt — wenn man
vielleicht von der paralytischen Geistesstörung absieht — . nicht derartige,
daß sie evidente und durchaus durchsichtige Beziehungen zu den Symptomen
der klinischen Beobachtung zeigen. Nicht nur, daß histologische Befunde
mit feineren Methoden, Zellveränderungen nach Nishl usw., der Deutung noch
nicht zugänglich sind, die Psychiatrie verfflgt vor allem nicht über autop-
tische Ergebnisse^ auf deren Nachweis man in allen Fällen rechnen kann.
Einem Befund aber der nur die speziell im manischen Stadium makrosko-
pisch öfter festgestellte Hyperämie, keine Erklärung der im Leben beobach-
teten Erscheinungen bietet und der auch nicht in der Weise typisch ist,
daß man nach bestimmten, am Kranken beobachteten Störungen mit Sicher-
heit auf ihn rechnen kann, ist nicht einmal ein theoretischer Wert zuzu-
erkennen. Dieser wäre ihm nicht zu schmälern, wie Wkiss treffend bemerkt^
414
ManJsch*d<£prcssIvea IixeseiD.
ft
wenn wir nur seinen direkten Zusammenhang mit den Resultaten der Beob-
achtung* an den Kranken vorläufiff nicht zu begreifen, d. h. nur das L'rsachen-
verhältnis dieser beiden Erscbeinungsreihen nicht klar zu legen vermöchten.
Das manisch-depressive Irresein ist eine exquisit hereditHre Erkran-
kung. Wkvgaxdt fand unter 103 glaubwürdig anamnestisch zu verfolgenden
Fällen 96n]al hereditäre Belastung. Bei den Israeliten scheint die Disposition
zu der Krkranknng ganz besonders ausgesprochen zu sein, wie bei den
Orientalen überhaupt.
Aber auch in anderer Hinsicht spielen die hereditären Beziehungen
wahrscheinlich eine größere Rolfe, als man gewöhnlich annimmt : bei einer
Reihe von Mitgliedern solcher Familien, die nie in psychiatrische Behandlung
kamen, kann man nach Wevgandt irgend einen Charakterzug beobachten,
der nach der Richtung eines manisch-depressiven Symptoms hin auffällt.
Mir will es nun scheinen - ich betone das, um einer heute verbreiteten,
durchaus einseitigen Aulfassung von dem Wesen dos Symptoms (wie ich
sie übrigens gerade bei Weygandt nicht voraussetze) zu begegnen — als
ob es nicht psychotische Züge sind , die in den einzelnen Familien herum-
lavieren und nur des Zusammenschlusses zur Psychose harren, sondern da&
es sich hier um mehr oder weniger harmlose Äußerungen nervöser Zustände
handelt. Daß die nervöse Anlage als Basis für die später auftretenden
Psychosen dient, besonders betonen zu wollen, wäre ja eine Banalität. Man
muß sich aber meiner Ansicht nach davor hüten, krankhafte ZOge von
den normalen ohne Besttehung auf ein bestimmtes Individuum trennen, also
absolute pathognomonische Symptome konstruieren zu wollen. Daß ein
mehr oder weniger regelmäßiger Zyklus zwischen den Phasen primärer
Exaltation und primärer Depression, wie ihn Wevgandt bei mehreren Mit-
gliedern solcher Familien gefunden haben will und wie er in charakteristi-
scher Weise den zirkulären Typus des manisch depressiven Irreseins wider*
spiegelt, auch meiner Erfahrung nach bei den konstitutionell Nervösen und
Neurasthenikern viel häufiger vorkommt, als man das gewöhnlich annimmts,
wenn auch häufig nur in mehr oder weniger schwacher Andeutung, habe
ich andernorts im Hinblick auf die Zustände, die ich als »Hausse« und
»Baisse« des Seelenlebens bezeichnete, ausgeführt. Das »Himnielhochjauchzend
— zu Tode betrübt« der Pubertät sjahre ist ja im Grunde auch nichts anderes.
Gegen die Therapie der Seelenstörungen im allgemeinen ist unter
dem Eialluß der mit der Zeil Strömung zusammenhängenden Suche nach
spezifischen Mitteln und spezifischen Methoden mehr oder weniger
unverhüllt der Vorwurf erhoben worden, daß sie niemals gegen die Krank-
heit als Ganzes sich wende, sondern sich auf die Bekämpfung der ein-
zelnen Symptome beschränke. Das Einseitige und Verkehrte dieser An-
schauung zu bekämpfen, ist hier nicht der Ort. Wir bekämpfen nicht das
Symptom, sondern die exzessiv werdende Reaktion und weiter auch deren
gefährliche Konsequenzen für das erkrankte Individuum selbst bzw. seine
Umgebung. Hierfür allerdings lassen sich gewisse feste Grundsätze aufstellen.
Diese Prinzipien gipfeln in den beiden Forderungen der sorgsamen
Überwachung und der Sorge für hinlängliche Ruhe und aus-
reichenden Schlaf, ganz gleich, ob es sich um manische, um depressive
oder um Mtscbformen handelt I
Die erste Forderung, die einer sorgsamen Überwachung, f&llt für die
weitaus überwiegende Mehrzahl der Fälle mit der der Anstaltsbehandlung
zusammen. Aber selbst für die alterleichtesten kann eine hinlängliche Über-
wachung nur selten im Hause garantiert werden, denn der Mangel eines
einheitlichen und zielbewußten Benehmens sämtlicher Hausgenossen und
mit dem Kranken in Verkehr tretenden Personen wird von dem Arzte, der
wirklich helfen will, als ernstes Hemmnis fast ausnahmslos bitter empfunden
Manisch-depressives Irresein.
415
werden. Die manischen Formen pflegen \& an sich eher die Umg:ebunf?
des Patienten in eine derartige Ang^t und Bestürzung zu setzen, daü sie
in die Anstaltsbehandlungr ohne weiteres, sobald das Leiden einige Fort-
schritte gemacht hat. willigen, aber bezüglich der depressiven Verstimmung,
deren Folgen vom Laien natürlich nicht übersehen werden können, trifft die
Bekämpfung der populären Anschauung noch immer auf die grüßten Hindernisse,
dal^ der Verstimmte durch Entfernung der anscheinenden Motive der Ver-
stimmung, resp. durch Ablenkung von der objektiven Grundlage seiner De-
pression »auf andere Gedanken- gebracht werden müsse. Ks ist dem mit
derartigen Zuständen nicht hinlänglicli Vertrauten nur schwer oder gar
nicht begreiflich zu machen, daU ein krankhaftes Funktionieren des Organs
unserer Psyche nur in äußerst geringem L'mfange durch Willensakte re-
dressiert worden kann und gar nicht in denjenigen Fällen, in denen das
>Ich«, die Persönlichkeit ('welche die Quelle liefert, aus der die Willensakte
fließen und die Norm bestimmt, nach der sie sich voltziehen) selbst eine
krankhafte Veränderung erfahren hat. ganz abgesehen von der größeren
oder geringeren Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines krankhaften Ge-
hirnzufttandes. Aber nicht nur^ daß >Zureden< und »Ablenkung« den grund-
legenden Zustand nicht zu verändern vermögen: den deprimierten Kranken
beängstigt und beunruhigt gerade die V^ergeblichkeit der angewandten
Mühen und befestigt ihn in der krankhaften Vorstellung^ daß er nicht im-
stande Bei, die Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit seiner Umgebung zu ver-
gelten, daß er dieser eine Last, völlig unnütz fflr die Welt geworden sei usw.
Das dem deprimierten Kranken gegenüber einzu ball ende Regime besteht
vor allem andern darin^ seinem Bedürfnis nach Ruhe und ZurÖckgezogen-
heit in ausgiebigster Weise Rechnung zu tragen. Deshalb ist der unablässige,
freundliche und aufmunternde Zuspruch der Umgebung, das Drängen der-
selben auf Unterhaltung und wechselvolle Zerstreuung, Reisen usw. ebenso
schädlich, wie die Belassung desselben in seinem Wirkungskreise, selbst
wenn es sich um die geläufigsten und alltäglichsten Verrichtungen, die Arbeiten
d die Geschäfte im Haashalte und der Familie handelt.
Auch in der Anstalt selbst halte man dem Deprimierten die vielen
Nachfragen und Beweise der Teilnahme, die den Angehörigen und Bekannten
unerläßlich erscheinen^ dem Patienten selbst aber nichts weniger als er-
w^ünscht sind, ebenso wie alles geräuschvolle Treiben fern. Gelingt es, den
Kranken so abzuschließen und ihn ins Bett zu bringen, so ist für die weitere
Behandlung viel gewonnen. Es ist von unschätzbarem Werte, in dem de-
primierten Kranken die Überzeugung wachzurufen, daß es sich bei seinem
Zustande um eine Krankheit handelt. Aber auch^ wenn nun der Patient in
der Anstalt ruhig im Bett liegt, darf mit seiner unausgesetzten und uner-
müdlichsten Überwachung nicht nachgelassen werden. So ruhig und in-
different, so in sich versunken, ja apathisch der an Depression Leidende
erschf^inen mag. der Verstimmungszustand legt doch immer die Befürchtung
eines Tentamen suicidii nahe, so daß man dem äußerlictien Verhalten und
ihrer Energietosigkeit niemals trauen darf. In den Bereich der sorgsamen
Cberwachucg fällt bei dem an der depressiven Form der Psychose Erkrankten
auch die Sorge für eine hinlängliche Ernährung. Diese hat natürlich das
Atmen in ausgiebig ventilierten Räumen und womöglich auch während einer
der Witterung und der Jahreszeit entsprechenden Zeit im Freien ebenso
zur Voraussetzung, wie die Überwachung des meist äußerst trägen Stuhl-
ganges.
Bei manischen Zuständen pflegen die einzigen Bedenken , die seitens
der Angehörigen des Kranken dem energischen Dringen des Arztes auf
Anstaltsbehandlung entgegengestellt werden, auf der Verwechslung einer
solchen mit der heute und noch in Romanen spukenden »Zwangsbehandlungc
we
•116
Manisch-depressives Irresein,
(mit »Zwangsjucken«, »Qunimizellen< usw.) zu basieren. Eine Aufklärung
in dem Sinne, dali die 'Beschränkung« der unruhigen und tobsQcbti^en
Kranken schon lange nicht mehr als Heilverfahren betrachtet und aoch
von den Ärzten einer froheren Ära nicht als ein solches, sondern nur als
ein Notbehelf den unzulänglichen Anstattaeinrichtungen der damaligen Zeit
gegenüber betrachtet wurde, pflegt auch hier den Widerstand der Umgebung —
4ier an und für sich im Hinblick auf die fortdauernd und in stärkst-em Maße auch
für jenp selbst, erwachsenden Störungen und Gefahren weit geringer ist als bei
<ler des deprimierten Patienten — verhältnismäßig schnell zu besiegen. Aller-
dings ist die bauliche Grundbedingung für den Fortfall jeder mechanischen
Beschränkung das Vorhandensein von Isolierräumen, die meiner Auffassung
nach auch heute noch nicht, weder durch eine auch noch so groiSe Kopi-
zahl des Pflegepersonals, noch durch die so gerühmten Dauerbäder (wenn
man aus F^rfahrung wpiU , wie diese Maßnahme ohne ständige autorative
Kontrolle auch durch im übrigen vielleicht ganz gewissenhafte Pfleger und
Pflegerinnen gewöhnlich ausgeführt wird) ersetzt werden können.
An den beruhigenden Einfluß dos gütigen und freundlichen Zuspruches,
an die Ablenkung des manischen Kranken im akuten Stadium durch Be-
schäftigung wird wohl niemand denken, dem auf diesem Gebiete Krfahruni;
zur Seite steht. Denn auch ftir den maniakalischen Exaltationszustand gilt
das für die Depression Gesagte, dal> je mehr Gegenstände und Personen.
ie mehr wechselnde \'orgänge in den Wahrnehmungabereich der Kranken
fallen, um so mehr sich die Erregung steigert (J. Weiss). Und ohne gerade
die Sicherheit und Kntlastung dor Umgebung mehr als notwendig zu be-
rücksichtigen, wird die oplibche und akustische Abgeschlossenheit der Außen-
welt gegenüber, die der Kranke im Itiolterraume findet, auf den ganzen Aut-
regungszustand von wohltätigem Kinfluß sein.
Das zweite ebenso wichtige Prinzip in der Therapie der manischen
wie der depressiven Formen resp. Stadien der Psychose gipfelt, wie be-
merkt, darin, dem Kranken Schlaf zu verschaffen. Der Schlaf und — aller-
dings in weit geringerem Grade — die Ruhe entfalten nach den Unter-
suchungen O. RnaRMUcHS* ihre restituierende Wirkung nur zum kleinsten
Teile auf Grund einer Verringerung der Ausgaben* in weit höherem Maße
vielmehr durch die Verstärkung der wesentlichen Arbeit, durch Vermehrung
der Leistung des Inneren Betriebes für Kraftbildung. Die Ruhe im Schlaf
ist im Gegensatz zu der außerwesentlichen Tagesarbeit — die allerdings
wieder mittelbar und unmittelbar zur Beschaffung des rohen Betriebsmaterials
resp. zur Erhaltung gewisser Betriebsbedingungen dient • — die kraft-
fipendende und nicht bloß die kraftsparende Periode. Und gerade die
Schaffung von Knergievorräten ist ein dringendes Erfordernis bei den in
Rede stehenden Zuständen . die, wie steh das in dem außerordentlichen
Sinken des Körpergewichtes kundgibt, die vorhandenen Kraftmaterialien in
dem Maße in Anspruch nehmen, daß sie nach rapider Erschöpfung der Re-
servevorräte die eigene Subatanz des Organisuius konsumieren. Dies gilt
selbst dann, wenn man nur das eine Symptom des Kräfteverfalls, nicht die
psychische Beruhigung im allgemeinen und das zeitweilige Verschwinden
der quälenden und erregenden Vorstellungen im Auge behält. Als medika-
mentöses Beruhigungsmittel leistet nach Rosexbachs und auch nach meiner
Erfahrung Morphium in kleinen Dosen von 0*02 pro die bei den de-
k
* 0. RosRNBAcn, Die Or^nniantion als Tranitformator. Wiener klin. Wochentobr., 1901,
Kr. 41 (NoTHMAQBL-FeRtnumtncr); Ülier den Mechanismu» de« Schlafes. Vortrag aal dem
III. Internationalen KongrrÜ für Pnyc:hialrU\ München 181)8; Energotherapeutidchi» Betracb-
tougen über Morphium ala Uitti-l dir KraUbildiincr. BerHn und Wien 11)02. Urbtin & Schwnrzeo-
berg; Nervöse ZastHnde und ihre pHychiäcfae Behandtang. 3. Anll., Berlin 1903* Fificbenmed.
Bnchhandlnng; Energetik und Medizin. Berlin 11HJ4, ä. erweiterte Aall.f Uiraohvrald.
Munisch-dcpre8siv«s Irresein,
417
presäiven Zuständen die besten Dienste, zumal es altein von allen bekannten
Narkuticis die natürlichen Verh<nifise des Schlafes zu schaffen vermag und
somit ein Mittel zur Beförderung: der Kraftbildung repräsentiert Das Ghlo-
ralhydrat z. ß. und die ganze Reihe der täglich als Ersatz desselben auf-
tauchenden neuen Hypnotika stellen ia, wie Rosen'bach nachgewiesen hat,
nur Betäubungsroittel dar, die die abnorm erhöhte Erregbarkeit zur Norm
herabsetzen und dadurch den natürlichen Schlafreizen die Möglichkeit ge-
währen, die entsprechende Umspannung des Betriebes einzuleiten. Im Gegen-
satz hierzu Dben die Opiumpräparate, speziell das Morphium und seine Salze,
einen direkten Kinfluü auf die Umschaltung des Betriebes ^us, wie sie fQr
das Zustandekommen des Schlafes Vorbedingung ist.
Die auch in den weitesten Kreisen neuerdings eingebürgerten Vor-
urteile gegen das Morphium haben unter der Furcht vor der Anerziehung
des Morphinismus die angeblich höchst bedenklichen EinfliJose zur Grund-
lage, die das Mittel aut die Zentren der Respiration und Zirkulation aus-
üben soll - — eine Annahme, die aber auf rein theoretischen, durch die Er-
fahrung nicht bestätigten Erwägungen basiert und uns nicht veranlassen
darf, uns eine übergroße Vorsicht und Ängstlichkeit in der Anwendung
dieses wahren nicht nur Beruhigungs-, sondern auch Heilmittels aufzuerlegen.
Das Chloral und die ihm nahestehenden Körper (Isopral usw.) sind bei
depressiven Zuständen schon deshalb kondraindiziert, weil unter den üblen
Nebenerscheinungen nach seiner Verabreichung gemütliche Depression und
Angstgefühle eine hervorragende Rolle spielen. Das vielfach bevorzugte Opium
steht wegen seiner stuhlveretopfenden Wirkungen, denen durch Klistiere
allein in nur unzulänglicher Weise zu hogegnen ist, der subkutanen An-
wendung der Morphinsalzc entschieden nach. Leider erweist sich eine solche
auf den Verlauf der maniakattschen Hyperkinoso und Agrypnie ohne Er^
folg und wir müssen hier zum Chloralhydrat greifen, das in seiner ein-
maligen hypnotischen Wirkung meist soviel leistet, als man von ihm er-
warten kann, nämlich einen mehrstündigen Schlaf herbeiführt. Nur darf man
sich durch ein Ausbleiben der schlafmachenden Wirkung in Rücksicht
auf die Intoxikationsgefahr nicht zur Steigerung der Dosis über 2 g
hinaus verleiten lassen. Wenn auf 2g Chloral der Schlaf nicht eintritt, ent-
schließe man sich eher zu einer Kombination der gleichen Gabe des Mittels
mit 2 cg Morphin, von der man in den allermeisten Fällen einen schlaf-
machenden Erfolg sieht. Nur in AusDahmelällen erübrigt es dann, zu dem
gefährlicheren Hyoscin zu greifen (1 tng subkutan).
Im Gegensatz zu der heute herrschenden Tendenz, den Alkohol aus
den Krankenhäusern im allgemeinen und den Irren-, Heil- und Pflegean-
stalten im besonderen zu verbannen^ möchte ich hervorzuheben nicht unter-
lassen, daß gegen die Agrypnie bei leichteren Fällen von Depression — aber
auch nur hier — ein abends verabreichtes Glas Bier treffliche Dienste tut
und unter Umständen die Morphiuminiektion zur Nacht entbehrli(?h macht.
Laue Bäder tragen zur Beruhigung der maniakalfsch Erregten ganz
wesentlich bei, eine Beobachtung, der auch wohl der moderne Enthusiasmus
für die schon erwähnten Dauerbäder, den ich nicht vollkommen zu teilen
vermag, zuzuschreiben ist.
Übrigens erzielen auch feuchtwarme Einpackungen einen ähnlichen
Erfolg und haben daneben noch den Vorteil, den Kranken ohne einen ihm
zum Bewußtsein kommenden Zwang (wie etwa den vom Pflegepersonal
vielfach mtl>brauchlich Über die Dauer bade wanne gelegten Deckel) die auch
ihm bald (Ühlbar werdende Wohltat der Bettruhe zu verschaffen.
Unter den hydropathischen Prozeduren, die man. vielfach auch mit
Massage kombiniert, mit Vorteil bei Depressionszuständen angewandt hat,
scheinen mir Halbbäder von 30^0, verbunden mit ständigem Übergießen
Eno/*lop. Jakrbuohor. N. 1^. XV. (XHI.) '^^
418
Mai]isch-depre89iv€8 Irreseln. — Meningotyphus.
und Bürsten des ganzen Körpers — nnter der Voraussetzung, daß sie durcb
ein freschultes Personal in sorgsamster Weise ausgeführt werden — am
zweckmäßigsten zu sein.
Literatur: RairKLix. Pttychiatrie. 2 Bde., 7. Auflage Leipzig 1904. Ämbros Barth. —
KkXpilik. EintübrtiDg in die pttychiatriache Klinik. Leipzig 1901. Ambros Bartb. ~ WiTOAnn,
Atlas nnd Orandrill rler Psychiatrie. München UH)2. J. F, Lehmann. — Waiss, RoropeDdiim
der Psychiatrie. Wien 1881« Bergiuann & Altmano. — J^ikhbh. F«ychiatrie. Berlla 1894. Pried.
Wreden. — E-iCHLKf Die krankbaltt' WillensschMücht? und die Aufgaben der erziehlicboz
Therapie. Berlin 1W4, Fischern mi-d. Buchhandlung (H. Kornfeld), Est^hlt
Afaretln* Das von Baginsky (vgl. Eulenbitrgs Enc. Jahrb., N. F., Hl,
1905, pag. 240) eingefUhrte methylierte Acetanilid^ in dem die Acetylgrupp«
durch die Gruppe NH.CO.NH.. ersetzt ist. hat ziemlich ausgedehnte Anwendung
gefunden. Die meisten Autoren halten es fQr ein gutes Fiebermittel, das die
Temperatur in 3 bis ö Stunden herabsetzt, also einen sehr milden Fieber*
abfall bedingt und lange seine Wirkung äußert, bis zu 15 Stunden. Haupt-
sfi^chiich gegeben wurde das neue Mittel bei Phthisis im ersten Stadium,
aber auch bei Gelenkrheumatismus, Neuralgien und Typhus. Man gibt es in
Pulverlorm einmal täglich 0*5 oder zweimal tjiglich 025^. Lästig sind die
dabei auftretenden Schweiße, welche das Mittel bei Littk\ M in Mißkredit
gebracht haben. Dieser Autor kann die prompte entfiebernde Wirkung,
die andere Beobachter erwähnen, nicht bestätigen.
Literatur: ') Littkx, Ver. f. inn. Mt*d., 0. Juni 1W4, zit. nach Therap. d. Gegenw.,
Ang. 1904. pag. 378. — Walter JUdpe, Unaeru bisherigen, an Phthlfilkern gemaehten Er-
fahrungen mit d^m neuen Antipyretikum »Maretinc, Deutsche med. Wochenschr., 1904, Nr. 27,
pag, 983. — Wimaiii SooRRNnKiu , Über Mart-tinanwendung bei Polyarthritis rhenmatica.
Deutliche med. WochenKchr.. 1905, Nr. 15, pag. 588. — Fkruinand HKNBioa, Über Wirknog
und Nebenwirkungen des Martrtins. Therap. Monatah. , MUrz 1905. pag. 124. — GCrrKH
Hki.mukkciit, (^ber Maretin, ein neues Antipyretikum. Deutsche med. Wochenachr. , 1901,
Nr. 30, pag. 1904. — Clkan. Wirkung des Maretins, eines neuen Anttpyretikama. auf dai
Fieber der Phthiaiker. Münchener med. Wochenachr., 1904, Nr. 30. E. Frtf.
Mafiocilfsnius, s. Geschlechtstrieb, pag. 23'
Mastfettherz, s. Fettsucht, pag. 214 ff.
i
Rleer^asser. Zu Trinkkuren wandte Fodor Meerwasser an. nach-
dem es filtriert und mit Kohlens§,ure imprägniert war. Es wirkt ähnlich
wie Kocbsalzquelleu. ICr sah gute Erfolge damit bei Dyspepsien, chronischem
Magen-Darmkatarrh. Diabetes, pleurltiachen Exsudaten, Bronchitis sowie bei
anämischen Kindern.
Literatur: G. FoDoa, Innerer Gebrauch des Heerwassers. BUtt. f. klin. Ordrotherap.,
1904, Nr. 11. ' E. Er^y
Melloform. Nach Jacobson enthält Melioform 25^» Formalin und
15^0 essigsaure Tonerde und andere indifferente» die Haltbarkeit der Lösung
garantierende Stoffe. Die klare, durch Zusatz eines Farbstoffes gefärbte
Flüssigkeit, die durchaus nicht unangenehm riecht, wird in Flaschen von je
100^ abgegeben. Zur Herstellung einer DesinfektionsflQssigkeit werden in
der beigegebenen Blechhaube 4^^ abgemessen und mit 1/ Wasser gemischt.
Die wässerige Lösung ist klar, leicht gefürbt und riecht nicht nach Formal-
dohyd. Auf Wunden Übt sie keinerlei Reizwirkung aus und greift die In-
strumente nicht an. Nach Jacobson ist das Melioform ungiftig und ein
starkes Bakteriengift, besonders für pathogene Bakterien.
Literatur: J.Jacx>b5on. fbcr Moliolorm, ein neues Desinfektionsmittel. Med. Klinik.
1905, Nr. 15. pag. 361. E. Fr^y
Meningotyphus, s. Abdominaltypbus, pag. 5
Mesotan.
Meteoriamus.
419
I
I
' Mesotan. Während die einen Autoren das Mesotan als ein vorzflg-
liches äußerliches Antirheamatikum loben , mehren sich auf der anderen
Seite die Klagen Ober Hautreizungen. Man kann wohl sagen, daß in schweren
Fällen das Meaotan nicht berufen ist, die interne Therapie zu verdrängen,
daß aber der Einfluß des Mesotans, soweit ihn eben ein äußeres Mittel
ausüben kann, auf allerhand rheumatische Prozesse, besonders chronische
der Muskeln etc., ein günstiger ist.
Zur V^ermeidung der Hautreizungen hat RrHEMAW) eine neue Appli-
kationsart empfohlen, und zwar in Form des Mesotanvaselins: Mesotan 50,
Vaselin. americ. flav. 150. Auch hat er Reizerscheinungen von selten der
Haut nicht auftreten sehen, wenn er das Mesotanöl nur aufpinselte und
die Hautstolle mit Leinwand bedeckte , nicht mit einem undurchlässigen
Stoff. Mesotanöl darf nur in ganz trockenen Gefäßen aufbewahrt und nur
auf möglichst trockener Haut appliziert werden, da es sich sonst zersetzt.
Literatur: ') J. Rr:oEifA.s'.N, Anweudun^ de-H MeHotanvaiielinH. DeutBche mt^d. Wochen-
■chrift, li»Ü5, Nr. 19, pag. 7n5. — Derselbfi: Berliner klin. Wochennchr., 1904, Nr. 25. —
fiiAOHKk, HcBotan. Wiener med. Preas«, 1605, Nr. 16. — Pbtkbtto, Weitere Erfafamagen
mit Metotan. Wient*r kliii. Rundscbau, 1904, Nr. 37. — Jaoobahvs, Klinische Versuche mit
einigen oeneren Antnei^n. Tht^rap. MonaUb., Dez. 1904, pa«. 623. — £. Bbhlinbr, Monatsh.
t. prakt. DtTmat., XXXVIII, Nr. 3. — P. Mülle», Neue Halizylprüparate nnd neu»? Anwen-
4oDgHrorniea der Salizybäar«. Dentache med. Wochvnachr., 1904, Nr. 37, pag. 13^. K. J^rey.
Sfeteorlsinns« Man bat zwei Formen desselben zu unterscheiden:
den nervösen und den mechanischen« die beide sowohl am Magen als
auch am Darm sich abspielen können, an letzterem Ortran allerdings Hteta
häufiger. Was zunächst den nervösen Meteurismus (Pneumatosis nervosa)
anlangt, so kommt er fast nur bei Hysterischen, zuweilen auch bei Hypo-
chondern vor. Er kann ganz gewaltige Ausdehnungen erreichen. Bei Frauen
ist der Leib dadurch zuweilen trommeUürmlg so stark aufgetrieben, dali er
Gravidität vortüuschen kann. Durch die starke Fettschwarte der Bauchhaut
erscheint die Aufblähung zuweilen noch stärker, als sie wirklich ist. Bei
mageren Personen fällt der Meteorismus aber stets viel mehr in die Augen.
Bei MeteorismuB des Magens hebt sich derselbe in seinen gesamten Kon-
turen so scharf hervor, daß seine GröÜe auf den ersten Blick sich ergibt.
Er pflegt meist etwas oberhalb des Nabels mit der großen Kurvatur ab-
zuschneiden — einer der Überzeugendsten Beweise für die Lage und Aus-
dehnung des normalen Magens. Der Magen erscheint prall gespannt und
gibt bei der Palpation das Gefühl des Luftkissens. Die Vorwolbung kann
einen Tumor vortäuschen, sie ist aber außerordentlich inkonstant und kann
• selbst vor den Augen des Beobachters plötzlich verschwinden. Viele Patienten
können sie auf Aufforderung sofort hervorrufen. Bei Meteorismua der Därme
nimmt der Leib eine Kugelform an, in der einzelne Teile nicht mehr zu
unterscheiden sind. Die pralle Spannung des ganzen Abdomens erzeugt
DatQrlich ihren Trägerinnen Unbehaglichkeit. GefQhl von Volle und Schwere.
Meist geht dabei hartnäckige Stuhlverstopfung einher. Fast nie fehlt das
Heer täglich schwankender hysterischer Beschwerden. Objektiv vernehmbar
ist öfters lautes Gucksein und Kollern im Magen bzw. in den Därmen, das
Bo laut werden kann , daß den Patientinnen — es sind selten Männer —
jeder Aufenthalt in anderer Gesellschaft verleidet wird. Auch diese Geräusche
können die meisten künstlich erzeugen.
Die Ursache des nervösen Meteorismus ist nicht genau bekannt und
offenbar auch nicht immer die gleiche. Hin Teil entsteht zweifellus durch
Lnftschlucken (Aerophagie), worin manche Hystericae geradezu Meisterinnen
sind. Unmerklich wiederholen sie das unaufhörlich. Da die verschluckte Luft
aber wohl selten Aber den Pylorus hinausgelangen wird, so ist für den
Darmmeteorismus zumeist wohl eine hysterische Parese der Darmmuskulatur
I
420
Meteorifimus.
als Ursache anzunehmen. Dabei bleibt immer nnr wunderbar, wie schnell
zuweilen ein solcher Meteoriamus verschwindet. Daß die enormen Gasmengen
— sie bestehen aus Luft, Wasserstoff^ Schwefelwasserstoff, Kohlensflure
u. dgl. — ins Blut resorbiert wurden, ist wohl ausgeschlossen. Wahrschein-
licher ist, daß sie per anum ausgestoßen werden. Sie können auch ohne
Qeräosch entweichen.
Eine besondere Form des nervösen Darmmeteorismus ist die Coiicn
flatulenta, die mit schmerzhaften Darmkontraktionen einhergeht nnd da-
durch Stenosen vortäuschen kann. Es sind leichtere, in* unregelmäßigen
Intervallen auftretende Koliken, die sich mit dem Abgang der Oase schnell
zu lösen pflegen. Eine Darmsteifung ist mit diesen Koliken nie verbanden.
Die Diagnose stößt meint auf keine ächwierigkelten, wenn bei den
exquisit hysterischen Personen kein Anbaltäpunkt für ein mechauisches
Hindernis im Verdauungstraktus aufzufinden ist. Schon der häufige Wechsel
des Phänomens und andrerseits oft die lange Dauer desselben ohne Eintritt
ernster Folgeerscheinungen weist auf den Ursprung hin. Die Prognose ist
hinsichtlich der Dauer recht vorsichtig zu stellen, da dieser Blähungszustand
zuweilen mit nnd ohne Unterbrechungen wochen- und monate-, selbst jahre-
lang bestehen kann.
Die Therapie erfordert vor allem die Behandlung der Grundkrank-
heit. Auf welche Weise die psychische Beeinflussung des Kranken zustande
kommt, ist nicht von Belang. Bald helfen Massage und Faradisalion (externe
und interne), bald Magen- oder Darmausspülungen mit indifferenten FliJssig-
keiten, bald irgendwelche Medikamente. Besonders werden Kümmel, Fenchel
Pfefferminz, Kamillen, Anis u. dgl. in Teeaufguß gerühmt, auch die Valeriana
in ihren verschiedenen modernen Präparaten , z, B. in Kapselform als Valyl,
Bornyval li. dgL bewährt sich. Zuweilen hilft auch schon ein gOtiger Zu-
spruch. Meist heilt die Zeit dieses Übel. ()!t sieht man es plötzlich ver-
schwinden, wenn irgend ein Ereignis eine seelische Umstimmung der
Kranken bewirkt. Für regelmäßige leichte Stuhlentleerungen ist stets Sorge
zu tragen. Für Anwendung der Hydrotherapie (pRiESSMTZsche Umschläge,
Sitzduschen und kurze, kalte Sitzbäder, kohlensaure Bäder. Fichtennadel-
bäder, schottische Dusche u. dgl. mehr) bietet sich reiche Gelegenheit. Auch
Zusammenschnüren des Leibes ist empfohlen worden.
Im Gegensatz zu dem nervösen ist der mechanische Meteorlsmas
meist eine ernste Erkrankung. Der mechanische Magenmeteorismus ist
selten. Er kommt vor infolge von Pylorus- and Duodenatstenose. Man
nennt ihn dann vielfach »Magensteifung-^ , die mit peri- und antiperistalti-
schen Bewegungen des Magens kompliziert sein kann. Der Magen ist dabei
meist vergrößert, erweitert. In der erschlafften Wandmuskulatur tritt die
tonische Kontraktion als eine Heizerscheinung auf (wie so häufig der Krampt-
zustand in gelähmten Extremitäten u. dgl.). Die Beseitigung dieses Mageo-
meteorismuB ist nur von der Behandlung des Grundleidens zu erwarten,
die auf operativem Wege zu erfolgen hat.
Der Magcnmoteoriamus kommt auch zustande bei der akuten Magen-
lähmung. die sich zuwailen im Annchluß an schwere Infektionskrankheiten,
nach groben Exzessen der Magenüberladung und nach schweren Diätfehlern,
nach Abknickung des Duodenums aus irgendwelchen Ursachen o. dgl. mehr
entwickelt, ferner auch bei dem seltenen Volvulus des Magens (BoRcH^Rt»!).
Der Magenmeteorismua wird oft in den allgemeinen Darmmeteoris-
muä mit hineinbezogen, wenn die Oasansammlung oberhalb des mechanischen
Hindernisses allmählich immer stärker wird. Dann wird auch der Verschluß
des Pylorus gesprengt. Die abnorme reichliche Gasentwicklung kommt IQ-
standc durch den Eintritt von Gärungen in den gestauten Darminhalts-
masscn, hauptsächlich infolge der Gärung der Kohlenhydrate durch Spalt-
MeteoHsmus.
421
and Sprofipitze. die zur Bildung von Milch-. Butter-, Essij^säure u. d^l. führen.
Demf^emäß findet sich in den Därmen ein Qemisch verschiedenster Gase
mit mannig:facben, zum Teil (lOchticren Säuren. Die AusBtoüung der Gase ist
teils durch die Stenose des Darms verhindert, in höherem Grade gerade aber
wohl durch die Lähmung der Munkulatur und auch durch die V^erminderung
der Kesorptionsfähigkeit der Schleimhaut. Die eintretende Blähung, Dehnung
und Krschlaffunq: des Darms verstärken diese Momente noch erheblich. Nicht
jede Darmstenose macht einen Meteorismus. Die Schnelligkeit und die In-
tensität seiner Entwicklung sind stets von mehreren Momenten gleichzeitig
abhängig. Alle Momente, welche die Muskelkraft des Darms schwächen«
begflnstigen die Entstehung des Meteorismus. Deshalb sieht man ihn z B.
häufig entstehen hei fieberhaften Erkrankungen, besonders des Intestinal-
traktus. Selbst nach akuten schweren Diätfehlern mit hartnäckiger Obstipation
kommt gefahrdrohender Meteorismus zustande.
Weitaus die ernsteste diagnostische und prognostische Bedeutung hat
seine Entstehung bei Erkrankungen des Peritoneums« wovon weiter
unten noch ausführlicher die Hede sein wird.
Zuvor sei das klinische Bild des MeteoHsmas korz gezeichnet. Das
Abdomen wird aufgetrieben, meist gleichmäliig und kugelförmig (soweit
nicht der später zu erwähnende lokale Meteorismus sich ausbildet). Die
Baucbwand ist .straff gespannt und gestattet kein Eindrückcu in die Weich-
teile. Die Palpation ist meist sehr empfindlich. Der Perkusaionston Ist tym-
panitisch oder gar ein Metallklang. Nie zu versäumen ist eine Feststellung
der Lebergrenzen. Die Leberdämpfung wird regelmäßig verkleinert oder
verschwindet ganz, da die Leber zunächst von den geblähten Därmen über-
lagert, dann hinaufgedrängt und schließlich aufgeki|)pt (gekantet) wird, ao
daß nur noch ihr unterer scharfer Rand die vordere Brustwand berflhrt.
Durch die Empordrängung des Diaphragmas werden die Lungen komprimiert,
dadurch wird die Atmung dyspnoisch und zuweilen plGtzliche Asphyxie und
Herzkollapa herbeigeführt.
Die Gasansammlung im Darm kann sich auf den Dünndarm oder den
Dickdarm beschränken, von letzterem kann sogar das Coecum ausschlieU-
Hch befallen sein. Der DQnndarmmeteorismus macht sich durch eine
nur subumbtlikal sitzende Vorwölbung des Abdomens bemerkbar. Er kommt
bei Hysterischen (»graviditö hystörit|ue< der Franzosen) vor. Wenn er durch
ein mechanisches Hindernis bedingt ist, sitzt es gewöhnlich im untersten
lleum, an der Ileozoknlklappe oder im Coecum. Weit häufiger ist der Dick-
darmmeteorismus. auf den in neuester Zeit namentlich A. Oppknhkim
wieder die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Er behauptet, daß eine Überlagerung
der Leber durch den Dickdarm nur selten vorkümmt. Die Regel sei die
Aufkantnng der Leber durch den geblähten Dickdarm, Nur so sei das Ver-
schwinden der Leberdämplung zu erklären. Oi'Pknkkim stützt sich dabei auf
die Untersuchungen von K. Rosenfeilo, der unter einer größeren Zahl von
Sektionen nur dreimal bei Phtbisikerinnen die Leber durch das nicht ge
blähte Querkoloa überlagert land , und zwar infolge einer anscheinend an-
gebornen V^erlängerung des Ligamentum gastrocolicum, welche eine stÄrkere
Beweglichkeit des Darms ermöglicht. Dem gegenüber hat R. HitFFMANN
darauf aufmerksam gemacht, daß diese Lageanomalie des Colon trans-
versum gar nicht eo selten sei. Er fand sie 12mal unter 340 Sektionen
und ist auch geneigt, sie mehr für erworben zu hatten. Wie dem aber
auch sei, so ist es nicht genügend berechtigt, aus dem Verschwinden
der Leberdämpfung, wie es Oppenheim behauptet hat, auf einen Dick-
darmmeteorismus zu schließen, dessen Ursache in einer toxischen Läh-
mung der Dickdarmmuskulatur zu suchen sei. die durch die Nähe eines
entzündlichen Prozesses hervorgerufen wird. Auf diesen Gedankengang
422
Meteor ism US.
bauten v. Bi'RCKHart, Ali Krogius und Oppbnhbim die diaf^nostische
Verwertung des Verschwindens der Leberdämplung bei der Peri-
typhlitis auf. T)fl8 VerBchwinden der Leberdämpfong soll ein Anzeichen
für das Obergreiren der Kntzündun^ auf das Peritoneum sein ! Wena dem
so wäre, dann wflrde damit in der Tat ein wertvolles Zeichen für die Er-
kennung: des Fortschreitens der appendizitischen Erkrankung; gegeben sein.
Aber zunächst hat schon Opphnmeim selbst darauf aufmerksam g'emacbt
daß nach den Untersuchungen von ÖsrRKtrH ein solcher Dickdarm meteoris-
mus auch durch stärkere Morphiumdosen hervor^^erufen wird , vor allem
durch das Opium, dessen Anwendung? bei der Dehandlunjc der akuten Blind-
darmentzDndunß: noch weit verbreitet ist. Referent hat neben anderen seit
tlahren darauf hing:ewiesen , daß durch die Opiumtherapie das objektive
Krankheitsbiid gerade der beginnenden Appendizitis verschleiert wird. Ea
ist nicht niüglich, diesen künstlich erzeugten Dickdarmmeteoriamus von
demjenigen zu unterscheiden, der durch dea Beginn des EntzQndungs-
prozesses am Peritoneum hervorgerufen wird. Der Dickdarmmeteorismus ist
aber durchaus nicht immer so stark, daU er zur Verdrängung der Leber
führt. Das Symptom ist also kein konstantes. Sehr häufig geht auch der
Dickdarmmeteorismus so schnell in einen allgemeinen Meteorismus über,
daß seine Entstehung gar nicht beobachtet wird. Dieser allgemeine
Meteorismus ist ja allerdings, wie man seit langem weiß, ein sicheres
Zeichen schon entwickelter Peritonitis und trägt zu dem meist schnellen.
oft plötzlichen Tod gewiß einen Teti bei durch die Kompression der Brust-
organe. Ob extremer Meteorismus allein einen solchen mechanischen Herr
tod herbeizuführen vermag, wie Oppenheim glaubte, erscheint noch fraglich,
ist übrigens eine mußige Frage, da immer eine toxische Peritonitis als Ur-
sache vorliegt.
Während die entzündlichen Erkrankungen am Peritoneum durch Läh-
mung der Darramuskulatur meist weniger oder mehr diffus ausgebreiteten
Meteorismus erzeugen, entsteht der lokale Meteoriamus einzelner Darm-
scblingen nur infolge stenosierender Darmtamoren (meist Karzinom, seltener
benigne Polypen), oberhalb deren mit dem Kot sich auch die Darmgase an-
sammeln und durch bakterielle Zersetzung des Darminhaltes beständig
vermehren. Die geblähte Darmschtinge kann Mannsarmdicke an Umfang
erreichen und in den verschiedensten Richtungen Über das Abdomen hin-
wegziehend auch eine Länge von 20 — 30 cm und darüber. Der palpierenden
Hand bietet eine solche Darmschlinge das Gelühl einer prall-elasttschen
Spannung, weshalb Nothnagel dafür den Ausdruck »Darmsteifung* erfun-
den hat, welcher den tonischen Rontraktionszustanr) der Wand der gedehnten
Darmschlinge treffend kennzeichnet. Selten besteht eine solche Darniblähung
infolge von lokalem Metoorismus konstant, sondern meist verschwindet sie
nach einigen Minuten, um nach kürzerer oder längerer Zeit siebt- und
fühlbar wiederzukehren. Durch Einwirkung von Kältereizen, Atherspray,
mechanischen Reizen auf die Bauchwand lassen sich die Darmsteifungen oft
künstlich hervorrufen — zuweilen das einzig sichere Zeichen einer chroni-
schen Darmstenose, deren Sitz stets unterhalb der geblähten Schlinge an-
zunehmen ist
Freilich Est es oft außerordentlich schwer oder gar unmöglich ^ genau
SU bestimmen^ welcher Darmteil gebläht ist. Selbst die Unterscheidung von
Dünn- und Dickdarm im geblähten Zustande ist zuweilen schwierig. Als
besondere Arten des lokalen Meteorismus sind von Nothnagel der »Orgel-
pfeifenty pus< bei Dünndarmstenosen und der >Flankenmeteori8mu8<
bei Dickdarmstenosen beschrieben worden, die aber beide durchaus nicht
immer auftreten. Als eine dritte Form ist noch neuerdings die sogenannte
Zökalblähung von Ax3<:hCt7: beschrieben worden , die charakteristisch
Meteorismus. -- Milzchirurgie.
423
^dflr tiefHÜzendon Dickdarmverschluli sein soll. Man sieht in solchen FfiUen
eine tnannsfaustiorroße ballonartige Vorwölbun^ in der rechten Unterbauch-
gegend, die aber nicht zu einem Verschwinden der Leberdämpfung führt.
Sie kommt durch eine Überdebnung des verschlossenen Darmteiles zustande.
Es sei zum Schlüsse noch das nicht seltene Vorkommen eines post-
operativen Meteorismus erwähnt, der sich infolge von peritonitischen
Verwachsungen , Darmverschlingungen oder auch einfachen Krschlaffungen
der Muskulatur entwickelt, oft zu gefahrdrohender Hohe, selbHt bis zum
tödlichen Ausgang.
Die Therapie des mechaniHchen Meteoriämus mutS in der Hauptsache
eine kausale sein. Die Beseitigung des Hindernisses gestattet mit dem Kot
auch den Darmgasen wieder den Austritt. Wo eine Radikaloperation (Ex-
stirpation des Tumors u. dgl.) nicht möglich ist, wird man oft seine Zu-
flucht zu der Palliativoperation eines Anus praeternaturalis nehmen müssen.
Die Punktion der geblähten Darmschlingen, die früher in Füllen gefahr-
drohender Ausdehnung des Meteortsmus oft mittelst eines feinen Troikarts
ausgeübt wurde, Ist nicht ganz ungefährlich und auch immer dann zwecklos,
wenn das Grandleiden eine schnelle erneute AnBainmlung der Oase erwarten
labt. Die Methode wird deshalb zurzeit mit Recht nicbt mehr viel geübt.
Als ganz wertlos sind schon lange die Versuche aufgegeben worden, durch
interne Mittel die Gase zur Resorption im Darm zu bringen. Ks verlohnt
»nicht der Mühe, sie noch namhaft zu machen. Dagegen vermindert die Kin-
legung eines langen Darmrohres, eventuell beständig, zuweilen die Spannung
der Därme durch Abgang von Gasen, der aber auch nie ein vollständiger
und dauernder ist. Die Hauptsache bei iedem Versuch symptomatischer
Einwirkung bleibt die Anregung der Peristaltik. Sie ist zuweiten dnroh
ein warmes Vollbad oder auch durch Kattwasserklistiere zu erreichen. Ge-
wöhnlich versagt aber auch der Erfolg all dieser Versuche. In neuerer Zeit
ist für diesen Zweck mehrfach das Physostigmin empfohlen worden, das
durch Anregung von Darmkontraktionen die Gase ausstol5en soll (Mosko-
wics, V. NoORDBX u. a.). Das Salizylsäure Salz (Merck) kommt in subkutaner
Ilnlektion von ÜÜOl g zur Anwendung.
Literatur: M Anbcbütz, Arch. 1. ktin. Cbir., 1902, LXVIII. ~ >) Borchabot, Ärefa.
1 klin. Chir. , 1904 . LXXIV ; dÄst-lbst die beiUgliche ältere Litemtur. — ') K. Horfmakk,
Dentacht; med. Woohenechr., 19()4, Nr. 6 u. 7. — *) A. Krooius, Cber die vom Proc. vermi-
Torxnls ausgehende diltuae eitrige Peritonitis n»w. Jena 1901. — 't MoaKowics, Wiener klin.
Wochensclir, 1903, Nr. 22. — ") H. Nothmaokl, Die Erkrankungen des Darm». Wien 1898
(in »einem Sammelwerk: Spesielle Pathologie und Therapie). — '') R. OsTaRtcn, Festachrilt
für V. Lrvdkm. Bt-rlin 1902. — *,i A. Oppkmhäim, Deutsche med. Wochensohr., 1902, Nr. 13 ;
ibid., Nr. 27; Berliner klin. WochenBohr, 1903, Nr. 42; ibid., 19<M, Nr. ö. — ') Fa. Uosmu-
r»LD, Festachrilt Iflr v. L«vde«. Berlin 1902. Afbu.
Milzchirurgie. Die Fraise, ob die Entfernanf? der Milz ebne vor-
über^eheDde oder dauernde Schädigung: des Offraniamus mög^lich ist, welche
man Trüber darch das Tierexperiment zu lösen suchte, ist houte durch die
»Tatsache, daß zahlreiche Menächen noch jahrelang nach der Operatioo im
Vollbesitz der Gesundheit leben, erledigt. Wir wissen auch beute, bei welchen
Krankheiten wir einen Erfolg von der Operation erwarten dQrfen und, was
»vielleicht noch wichtiger, wann dieselbe kontraindiziert.
V'erworfen wird heute jede Operation bei Leukämie. Dies lieget einmal
daran, weil sich die Anschauungen über diese B)rkrankung in der letzten
Zeit besonders durch die Arbeiten Khrluhs geändert haben. Die früher
übliche Einteilung in drei Formen ist verlassen, man trennt die Erkrankung
nur noch in die myeloide und lymphatische. Die Milz erkrankt boi beiden
Formen, aber lediglich sekundär, eine selbständige, von der Milz allein aas-
gehende Leukämie gibt es nach heutiger Anschauung nicbt. Deshalb kann
man auch nicht hoffen, die Leukämie durch Exatirpation der Milz zu be-
424
Milzchirurgie.
seitiKen, im Gegenteil, nicht selten hat die Leukämie nach Exstirpatioti der
Milz rapide zugenommen und ist achaell letal geendet. Die einzige Indikt-
tioD kann deainach heut nur in den eventuellen Beschwerden von seitan
des leukämischen Tumors Hegen, die fraglos durch seine Entfernung beseitigt
werden können. Diesem Vorteil gegenüber fällt indes schwer ins Gewicht
die große Gefahr der Operation, die hauptsächlich in der Neigung Leuki —
mischer zu profusen Blutungen besteht Von 28 von VruiMrs aus der Literaiar"
zusammengestellten Fällen sind 20 an V^erblutun^ innerhalb der erstem.
8 Stunden gestorben. Mit Recht wird daher heut jede Operation als Fehler-
bezeichnet.
Ähnlich stehen die meisten Autoren der Exstirpation eines Milztumor«
nach Malaria gegenüber. Durch die Beseitigung der Milz heilen wir die
Malaria als solche sicher nicht, im Gegenteil sind Falle beobachtet, wo nach
der Exstirpation erneute MalarEaanfÄlle eingetreten sind. Die Frage der Ent-
fernung der Milz kommt also nur da in Betracht, wo der Tumor als solcher
heftige Beschwerden macht. Die Operation ist technisch indes durchaus nicht
einfach.
Demgegenüber sind die Erfolge bei der BAXTischen Krankheit bisher
günstig gewesen. Wir unterscheiden bei der von Banti 1894 beschriebenea
Splenomegalie mit Leberzirrhose drei Stadien, das anämische, an welche«
sich häufig unbemerkt und schleichend die Vergrößerung der Milz anschließt,
während im Endstadium die Stauungseracheinungen und die Kachexie das
Krankheitshitd beherrschen. Ich kann hier auf das in der Real-Encyclop&die.
Bd. XXXII, Gesagte hinweisen und möchle nur zwei Funkte aus der Pathologie
hervorheben, die fUr die Indikattonssteltung von Wichtigkeit sind: die bereits
von Banti beobachtete, später bei Operationen gefundene starke Erweiterung
und Brüchigkeit der Lebervenen sowie die Tatsache, daß die Zirrhose immer
erst im zweiten Stadium einsetzt und daß erst im Endstadium sehr starke
Veränderungen jn der Leber auftreten, die dann zu Transudaten und Ödemen
führen. Noch Banti ist der primäre Sitz der Erkrankung in der Milz zo
suchen. Die Anämie faßt er als sekundäre Intoxikationserscheinung aal
ausgehend von einem Toxin, das uns bisher allerdings unbekannt ist. Wenn
hierin auch viel Theorie liegt, so beweisen doch die günstigen Erfolge der
nach seinem Vorschlag vorgenommenen ExsUrpationen die Richtigkeit der
Annahme, daß die Ursache der Erkrankung in der Milz liegt. Voraussetzung
des Gelingens ist allerdings, daß man nicht so lange wartet, bis ein großer
Teil des Lebergewebes zirrhotisch und damit unersetzlich zugrunde gegangen
ist. Dann kommt eben die Operation zu spät. In der Erweiterung der Venen
liegt eine gewisse Qefahr, da die Blutstillung mitunter große Schwierigkeiteo
macht. In jüngster Zeit hat man bei bereits bestehender Zirrhose der Ex-
atirpatiim der Milz die Omentopexie nach Talma hinzugefügt zur Verhütung
der sich aus der Zirrhose ergebenden Stauungserscheinungen (Kapitel ä3).
Harrer und Hekzog stellten llt Fälle zusammen mit 20^0 MortalitAt
Die nächste Gruppe der Milzerkrankungen, bei welchen die Splenek-
tomie mit Erfolg angewendet ist, sind die Geschwülste. Dieselben haben,
gleichgültig welchen Charakter sie tragen, soviel Ähnlichkeit in ihren Sym-
ptomen und ihrem klinischen Bilde, daß ich ihre Diagnose gemeinsam be-
sprechen will.
Dieselben wachsen meist so lange symptnmlos^ bis sie durch Ihre Größe
Druck auf andere Organe ausüben und dadurch Schmerzen hervorrufen;
letztere können indes auch (■'olge von Entzündungen sein. Je nach der Rich-
tung, in welcher der Tumor wächst^ kann so durch Druck auf den Darm
Obstipation bis zu Ileus, durch Einengung des Magens Aufstoßen, Erbrechen,
bisweilen mit Blut, eintreten. Verengerung der Gefäße muß zu Stauungs-
erscheinungen, Hydrops und Ödemen führen. Diese Symptome treten natar-
Milzchirurgiti.
425
-g^emäü erst apftt auf, meist iedenfalls erst dann, wenn der Tumor auch be-
reits palpabel vor dem Rippenbogen hervortritt. Er wird von Lmtkn be-
schrieben als ländlich oval, vom Kippenbog^en zum Nabel vorsprinf^end, mit
gflatter Oberfläche. Solange er nicht verwachsen ist, macht er die respira-
torischen Schwankunß:en mit and der Schall ist gedampft, wenn nicht Därme
durch Verwachsungen Ober ihn g-elai^ert sind. Die Blutuntersuchunj^ liefert
neK&tive Resultate. Sind die Bauchdecken dünn, kann mau grelegentlich den
pulsierenden Stiel fühlen. Für Maliffnität spricht die Unebenheit der Ober-
fläche, harte Knollen und Höcker bedecken dieselbe. Die Kräfte verfallen
schnell, häufifi^ treten profuse Diarrhöen ein. Ob sein Inhalt Flüssigkeit ist,
kann, wenn die Ansammlung: groß ist, durch Anschlag;en nachgewiesen werden.
Eine umstrittene Frag-e ist die der Probepunktion. Littkn hat dieselbe meist
ohne Schaden ausgeführt, einmal platzte nach Frobepunktion eine hämor-
rhagisch erweichte Milz. Auch ist eine Funktion eines Echinokokkus nicht
gleichgültig. Es kann fraglos durch diese die Erkrankung weiter verbreitet
werden, und dann sind Fülle beobachtet, wo nach Punktionen Kollapse ein-
traten. Man nimmt an, dali in den Echinokokkenblason ein den Ptomainen
ähnliches Gift vorhanden ist. VerwechsluoKen mit anderen Tumoren sind
vor allem mit solchen der linken Niere möglich. Bei einem retroperitonealen
Nierentumnr liegt das Kolon anf der Geschwulst, der Schall Ober ihr ist
tympanitisch, wird nach Wassereinlauf gedämpft, während dos Kolon bei
»einem Milztumor an dem vorderen und unteren Rande liegt, der Schall über
der Geschwulst ist gedämpft und die Dämpfung nimmt bei einem Wasser-
einlauf zu. Handelt es sich um Nierentumoren, so müßte man die Milz neben
dem Tumor nachweisen, was indes nicht leicht ist. Schließlich wird bei einem
großen Nierentumor die Zystoskopie und der Ureterenkatheterismus Auf-
schluß Über die Ausfallserscheinungen der Nierenfunktion geben. Von anderen
Tumoren kommen Zysten des linken Leberlappen» in Frage; auch hier ist
die Lage des Kolons und sein tympnnitischer Schall entscheidend, bei Ova-
^^ialzy8ten ist der Zusammenhang mit dem Uterus festzustellen. Man darf
«ich indes nicht verhehlen, daß die Diagnose großer Bauchtumoren stets
sehr schwer ist, daß man auf Täuschungen und Irrtümer bei der Operation
gefaßt sein muß, die indeis insofern nicht so bedeutungsvoll sind, als die
»Indikation stets nur in dem Vorhandensein des Tumors liegt: daß es hin-
gegen gleichgültig ist, von weichem Organ er ausgeht, und daß fast aus-
nahmslos die technische Unmöglichkeit einer Entfernung in den Verwach-
sungen mit anderen Organen liegt, nicht in seinem Ausgangspunkt. Die
Tumoren werden ihrer Art nach in solide und zystische eingeteilt, eratere
sind sehr selten und fast ausnahmslos bösartig. Nach Jordan sind bisher
einwandfrei beobachtet und mit richtiger Diagnose operiert 5 Fälle von
primärem Sarkom, primäre Karzinome sind, soweit aus der Literatur zu
I ersehen, bisher überhaupt noch nicht operiert.
Die zystischen Tumoren teilt Litten in drei Gruppen ein, die äußerst
«eltenen Dermoidzysten, die parasitären Zysten und endlich die serösen.
Bei den Echinokokken gelingt es nicht immer, die Diagnose zu sichern,
denn das Hydatidenschwirren ist nicht stets zu hören, auch verschwindet
und erscheint es bei jedem einzelnen Falle gelegentlich. Jordan stellt
17 Fälle aus der Literatur zusammen. Er zieht die Splenoktomie der zwei-
zeitigen Operation (Einnähen und spätere Inzision des Sackes) vor, weil
-diese Behandlung schneller ist und vor Rezidiven schützt. Er führt einen
Fall von QiBNr an. wo nach Einnähen eines Milzechinokokkus und glatter
Ȇetlung nach Jahren eis Rezidiv beobachtet worden ist ; es war bei einer
multilokularen Zyste nur eine Zyste eingenäht und beseitigt, während die
andere durch das Verfahren nicht berührt war. Auf der anderen Seite muß
man aber zugeben, daß die zweizeitige Operation als Eingriff die ungefähr-
42«
Milzcliirurgle.
liebere ist, und datS nach Jordan von den 17 Echinokokken 16 unilokal&r
and nur eine multilokular war.
Die Entstehung der serösen Zysten ist beut noch umstritten. Die eineD
halten dieselben für die Endprodukte von Blutergüssen im Qe webe der Milz,
die sich abgekapselt haben und deren Inhalt allaiählich verändert ist. während
andere Autoren dieselben fQr Lymphzysten halten. Nach Hkixricius sind bis-
her chirurjjisch behandelt 29 Fälle, und zwar 3 mit einfacher Punktion.
4 mit Injektion von Medikamenten, G mit Inzision der Zyste, 3 mit Ex-
stirpation der Zyste. 13 mit Splenektomie. Er verwirft die 3 ersten Ver-
fahren als unsicher und gefährlich, hält die Exstirpation ffir technisch sehr
schwierig, weil die Zysten nicht gestielt sind, und stellt als Idealverfabreo
die Splenektomie bin.
Tuberkulose der Milz.
Der Tuberkulose der Milz stehen wir heute hinsichtlich ihrer Heilung
nicht mehr so skeptisch gegenüber wie früher.
Litten äußert in seiner Abhandlung Ober Milzerkrankungen, daß die
Mitztuberkulose selbständig nicht vorkommt, vielmehr stets eine Teilerschei-
nung allgemeiner Tuberkulose bildet, sei es infolge allgemeiner miliarer
Tuberkulose oder chronischer Tuberkulose anderer Organe, letzteres beson-
ders häutig bei Kindern. Nach seiner Ansicht ist die Diagnose schwer zu
stellen, eigentlich nur zu vermuten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit,
wenn bei nachgewiesener Tuberkulose anderer Organe ein Mitztumor auf-
tritt. Demgemäß ist seiner Ansicht nach auch eine lokale Behandlung un-
möglich und aussichtslos. DemgegetiQber behauptet B.vvbk an der Hand von
19 Obduktionen und 9 operierten Fällen, dal$ es eine isolierte primäre Tuber-
kulose der Milz gibt. Wenn man über die Beweiskraft der Obduktionsproto-
kolle vielleicht streiten kann, da hier in mehreren der angeführten Fälle
tatsächlich sich in anderen Organen Tuberkulose fand, die allerdings von
Bayer als später aufgetretene sekundäre Eruptionen aufgefaßt werden, so
muß man doch zugeben, daß Bardkmiriikh in seinem operierten Fall einen
Erfolg hatte. Es handelte sich um einen im Ernährungszustand zurückge-
kommenen Mann, bei dem klinisch in keinem Organ Tuberkulose nachzu-
weisen war. Es fand sich bei ihm ein harter, rundlicher Tumor unter dem
linken Rippenbogen, der nach der Mitte bis zum Nabel und nach unten bis
zwelquerfingörbroit an das Ligamentum Foupartii reichte. Er wurde bei
Fehlen jeder anderen Anhaltspunkte für malign gehalten. Tatsächlich fanden
sich auf dem Durchschnitt des 2b\i2b:%cm messenden Tumors, der
1750 g wog, zahlreiche submiliare Tuberkelknötcfaen. Patient ist jetzt
1*/. Jahre arbeitsfähig.
Der Erfolg der Operation, die allerdings sehr vereinzelt ist, beweist,
daß die .Ansichten der Therapie vielleicht doch nicht ganz so pessimistisch
aufzufassen sind, wie es Litten tut ; freilich darf man nicht vergessen, daß
auch Bari^knhhuer die Diagnose auf Tuberkulose nicht stellte, sondern auf
malignen Tumor. Wir besitzen auch so wenig für Tuberkulose charakte-
ristische Symptotiu?, daß eigentlich nur der fühlbare Tumor bei Ausschluß
aller anderen Möglichkeiten und bei Zeichen für Tuberkulose übrig bleibt.
In dieser Tatsache liegt meines Erachtens auch die enge Grenze der Opera-
bilität der Milztuberkulose. Denn ist die Tuberkulose erst soweit vorge-
schritten, daß ein Tumor zu fühlen ist, dann werden wohl häufig auch schon
andere Organe, wenn auch nicht klinisch nachweisbar, infiziert sein und so-
mit das Krankhafte In seiner Totalität nicht mehr zu entfernen sein. Lekas
glaubt, daß die Operation nur solange Erfolg hat, als lediglich die Spleno-
megalie nachzuweisen ist. Ist dagegen die Leber bereits vergrößert oder eine
sehr bedeutende Hyperglobulie vorhanden, dann ist die Operation zu widerraten-
Milzchirurgie.
427
Die primären Abszesse der Milz sind einwandfrei bisher höchst selten
beobachtet^ desgleichen steht LKt>i'RitHiisH und Littbn den von anderen
Autoren fQr ihre Entstehung angeß:ebenen Ursachen, wie Erkältung und
Überanstrengung, sehr skeptisch gegenüber
^a Die sekundären Abszesse entstehen durch Embolien oder Übergreifen
^pder Infektion von anderen Organen aus. Der Embolus kann von vornherein
infektiös sein oder sekundär infiziert werden. Ks bildet sich dann in den
vom verstopften Gefäß abhängigen Partien ein Infarkt, der unter dem Ein-
fluß der Bakterien zum Abszeß einschmilzt. Der Größe der Milz entsprechend
werden dln Abszesse im allgemeinen die Walnußgroße nicht überschreiten,
nehmen sie an Volumen zu. so muß eine Ferloration erfolgen. Da erfahrungs-
gemäß die benachbarten Gewebe sich Hchnett entzünden und so V^erwach-
Bungen zwischen ihnen und der Kapsel eintreten, so sind die Abszesse in
B der Regel abgekapselte und ein Durchbruch in die freie Bauchhöhle seltener.
' Die sekundären Abszesse kommen am häufigsten vor bei Infektions-
krankheiten, so vor allem bei Rekurrens, außerdem noch bei Ileotyphus und
eitrigen Infektionen. So aah Bessel-Hagbn* einen Fall bei gangränösem Schanker
und Epityphlitis.
• Das Krankheitsbtld ist sohr variabel und unsicher Während kleine
Abszesse meist symptomlos verlaufen^ tritt bei großen nach Litten fast stets
hektisches Kleber auf. Wenn bei Rekurrens oder Typhus erneutes, remit-
tierendes Fieber auftritt unter lebhalten Schmerzen in der Milzgegend und
Bestehen eines Tumors, so muß man an einen Milzabazeß denken. Gelegent-
lich wurden Durchfälle, Erbrechen beobachtet. Bkss&l-Hagex fand starke
• Leukozytose.
Die Therapie kann heute nur eine chirurgische sein. Es kommt in
Frage die Splenektomle oder Inztslon des Abszesses. Bkssel- Hagen fand
7 Fälle von Heilung durch 8plenektomie, II durch Inzision, unter letzteren
zwei mit zweizeitiger Inzision. Ob man letztere wählt, wird im wesentlichen
davon abhängen, ob der Abszeß noch hinter der Kippenwand verborgen
liegt oder nicht und ob man bereits im ersteren Falle auf Verwachsungen
der Pleurablätter rechnen kann. -Letztere werden bei der oben erwähnten
Neigung zum Übergreifen der Entzündung von der Milz aua im allgemeinen
eingetreten sein. L'nter den 1 1 Fällen hatte der Abszeß 9mal solche Größe
erreicht, daß er von den Weichteilen aus eröffnet werden konnte. Dies wird
H Voraussicht lieh meist der Fall sein, weil die Diagnose des Abszesses so
^schwer ist und damit die Indlkatlonsstellnng der Operation. Zur Eröffnung
vom Thorax aus empfiehlt Bksski.-H.^iibn einen Hautschnitt parallel der
zehnten Rippe und Resektion dieser Rippe vom Knorpelansatz bis weit
nach hinten.
I
Wandermilz.
Es ist bekannt, daß die Milz durch ihre Aufhängebänder in ihrer
normalen Lage nur relativ festgehalten wird, so daß dieselbe bei verschie-
denem Füllungszustand der Eingeweide sowie den Atembewegnngen des
Zwerchfells Ihre Lage bis zu einem gewissen Grade ändern kann. Erst wenn
diese physiologische Beweglichkeit soweit überschritten wird, daß die Milz
ihre normale Lage völlig verläßt und an einer anderen Stolle des Abdomens
zu fühlen ist, kann man von einem pathologischen Zustand sprechen, 'der
W^andermilz«. Wird die gewanderte Milz in ihrer neuen Lage durch adhäsive
Reizzustände festgehalten, so spricht man von einer Dislokation der Milz.
In fast sämtlichen Fällen war das Organ wesentlich vergrößert, sei es durch
vorausgegangene Malaria oder Leukämie, und man sieht daher mit Recht in
diesen Vergrößerungen ein Hauptmoment in der Entstehung, es Ist aber
sicher nicht das einzige, da bei sehr vielen Tumoren die Milz in ihrer nor-
428
Milzchirurgitt.
malen La^e bei der Operation gefunden wurde. Man maß vielmehr wie bei
allen Enteroptosen eine gewisse Schwäche und patholoj^ische Dehnbar-
keit der Ränder annehmen, die der Schwere des vergrößerten Organs nicht
gewachsen sind und so allmählich nachgeben. Ledderhose ist der Ansicht
daß in vereinzelten Fällen der Vorgang sieb mehr stoßweiße abspielt, indem
die Ligamente auch durch partielle Einrisse gedehnt werden können. Hier
würden also auch Traumen oder Kontusionen eine gewisse ätiologische Rolle
spielen. Wie bei allen Enteroptosen kommen als unterstützende Momente
Gravidität und Hängebauch in Betracht und es ist daher charakteriatiscb.
daß die Wandermilz so häufig bei Frauen beobachtet wird. Das Schicksal
des gewanderten Organs kann verschieden seln^ im günstigsten Fall macht
es auf der Reckenschaufel oder an der Symphyße Halt und bleibt frei be-
weglich; nnangonohmer sind die Fälle, in welchen das Organ durch Ent-
zündungen fixiert wird, hier treten dann Druck- und Zürrun^seracheinungeD
auf, zunächst mit rein ürtlichen Beschwerden, die aber meist allmählich auf
das Zentralnervensystem übergreifen und einen mehr allgemein nervösen
Charakter, der QLENARDschen Krankheit ähnlichen, annehmen. Am gefürch-
tetsten sind die Stieldrehungen der Wandermilz, da durch diese eine mangel-
hafte Hlutzuluhr und Ernährung des Organs eintritt. Infolgedessen atrophiert
die Milz^ sie kann aber auch erweichen und zu Abszeßbildungen führen.
Ähnlich wie bei den Ovarialtumoren treten die heftigsten Entzöndangen des
Peritoneums ein. die mit Ileus leicht verwechselt werden und die nur zu
häufig letul enden.
Die Diagnose der einfachen Wandermilz ist nicht schwer zu stellen,
man fühlt an irgend einer Stelle des Abdomens, meist in der Gegend der
linken Beckenschaufel oder noch mehr nach der Symphyse zu einen frei-
beweglichen Tumor mit glatter Oberfläche und der für die Milz charak-
teristischen Einkerbungen. Sind die Bauchdecken sehr dünn nnd schlaff, so
kann man bisweilen den pulsierenden Milscstiel durchfühlen. Dieser Tumor
läßt sich zum linken Zwerchfellraum hinschieben, der sonst leer ist. Man
kann hier für gewöhnlich dte Milz weder palpieren noch perkutieren. Im
Gegensatz zu diesen leichten Fällen kann die Diagnose auf große Schwierig-
keiten stoßen, wenn die stark vergrößerte Milz an irgend einem von ihrem
ursprün((ljchen Sitz weit entfernten Orte fest disloziert ist. Hier kommeo
differentialdtagnoBtisch fast alle Möglichkeiten von Tumoren in Betracht« in-
sonderheit gerade die der weiblichen Qenitalsphäre. Eine kombinierte Vaginal-
untersuchung kann häufig den gewünschten Aufschluß gehen.
Während man früher die Wandermitz lediglich reponierte und durch
Bandagen in normaler Lage zurückzuhalten versuchte, ist man in letxter
Zeit wie bei fast allen Enteroptosen operativ vorgegangen. Eine Operation
wird von vielen Autoren in allen Fällen angeraten, auch wenn die Beschwerden
noch minimale sind, und zwar hauptsächlich wegen der Gefahr einer späteren
Stieldrehung. Andrerseits wird davor gewarnt^ die Operation vorzunehmen,
wenn der Milztumor eine sehr beträchtliche Große besitzt. So schätzt Vclpiui
nach einer Statistik die äußerste Gewichtsgrenze auf 3000^. Die Haupt-
gefahr besieht nach ihm in dem nach der Operation auftretenden Shock.
Die beiden heute gebräuchlichen operativen Verfahren sind die Splenopexie
und die Splenektomie. Erwähnen will ich nur, daß Enuri. vorgeschlagen haU
die Milz freizulegen und künstlich eine Stieldrehung vorzunehmen, ein Ver-
fahren, das heute verlassen ist, und zwar mit Recht, da es ja gerade die
Gefahr künstlich schafft, derentwegen wir mit am häufigsten operieren. Die
Splenopexie kommt im wesentlichen nur dann in Betracht, wenn die Milz
nicht zu stark vergrößert und nicht fixiert ist. Überall, wo es sich om
Tumoren handelt kann nur die Exstirpation in Frage kommen. Voraussetzung
jeder Operation ist, daß es nicht gelingt, die Milz mit Bandagen zu behandeln
Müzchirurgle.
499
oder den Tumor wie bei Malaria medikament^iB zu beeinflussen. Die ge-
bräuchlichsten Methoden sind die von Rydygier und von Baroexheiier.
1. Rydygier fixiert die Milz zwischen Peritoneum parietale und der
Baachdecke. Nach Eröffnung des Abdomens in der Linea alba reponiert er
^die Milz, um die Gr5ße der Bauchfetltasche za bestimmen. Ein der Breite
ler Milz entsprechender Längsschnitt wird im Peritoneum in der Gegend der
9. — 1]. Rippe in konvexem Bogen angebracht, die Milz in die Tasche ver-
senkt und diese alsdann über der Milz zugenäht. Man kann die Tasche zur
Verhütung eines Rezidive» am Ligara. gastro-lienale befestigen und ebenso
die Kapsel der Milz am Peritoneum. Es ist hierbei zu beachten, dab die
Milz sehr brüchig ist und die Stichkanäle zu starker Blutung neigen.
2, Bardenhkukr (PflCcker): Nachdem durch Eröffnung in der Mittel-
linie die Diagnose gesichert ist, wird vom Rippenbogen bis Darmbeinkamm
in der hinteren linken Achsellinie ein Schnitt bis auf das Peritoneum ge-
legt und senkrecht zu ihm parallel der 12. Rippe ein zweiter. Nach Eröff-
nung des Peritoneums wird die Milz zwischen Peritoneum und Weichteilen
fixiert und die Weichteile ober der Milz vernäht.
Über den Wert der Splenopexlo gehen die Ansichten auseinander. Die
Operation wird noch nicht lange genug ausgeführt, um eine genügende
I Statistik zu haben. Einzelne Autoren, wie z. ß. Litten, stehen ihr sehr
skeptisch gegenüber.
Den Vorzug beider Methoden verdient nach Kehr die RvDYGiKRsche
Insofern, als die Milz von den Rippen bedeckt ist, während die verlagerte
Milz nach Baroenheuer nur von Weichteilen geschützt und so leichter
Verletzungen ausgesetzt ist. Andrerseits ist die Methode von Bahdexheuer
technisch leichter auszuführen.
Verletzungen.
Zusamnienfassendere Arbeiten Über Schuß- und Stichverletzangen der
Milz sind von Meybr (1878) und Edler (1887) veröffentlicht worden. Nach
ihrer Ansicht ist die Oberwiegende Anzahl der Verletzungen (GS**/©) mit Ver-
letzungen anderer Organe kompliziert. Da diese Statistiken aus einer Zeit,
wo noch nicht operiert wurde, stammen, so sind naturgemäß viele Fälle
darunter, in welchen die Diagnose nicht gesichert war, sondern den klini-
schen Symptomen nach nur vermutet wurde. Aus diesem Grunde stellte
Schäfer in neuester Zeit nur die Falle zusammen, bei denen der Operations-
befund oder die Autopsie die Verletzung der Milz bestätigte. Er kam so zu g^anz
anderen Resultaten, da von 71 Schuß- und 17 Stichwunden nur einmal die
Milz allein verletzt war. Vergegenwärtigt man sich die versteckte und von
anderen Organen bedeckte Lage der Milz, so erscheint dies auch keineswegs
wunderbar. Denn die Milz ist mit ihrem oberen Pol und dem größten Teil
der Außenfläche (Facies diaphragmatica) in den Kuppelraum des Zwerch-
fells eingebettot und kommt so mit dem Pleuraraum, dem Herzbeutel und
deren beiden Inhalt in Berührung. Ihre innere Fläche ist durch eine Längs-
furche in zwei Kassetten geteilt, eine vordere für den Magen, eine hintere
für das Pankreas und anschließend die linke Niere. Bedenkt man ferner,
dab \e nach dem Föllungszustand Kolon und DQnndarm vor ihrer unteren
Fläche und Seitenkante liegen, so ist, theoretisch betrachtet, eine isolierte
Verletzung der Milz nur dann möglich, wenn die verletzende Gewalt das
unterste Drittel der Außenfläche trifft und in der Milz selbst in ihrer Wir-
kung aufgehalten wird. Was die Häufigkeit der Verletzungen von Nachbar-
Organen betrifft, so fand SchXper, daß in 40 Fällen, in denen der Einschuß
im Bereich des Thorax lag, detr Pleuraraum stets dann eröffnet war, wenn
die Kugel von links oder von hinten kam. Die Lunge war in der Hälfte der
430
Milzchirurgie.
Fälle verletzt, stets wenn der Schub von hinten kam, seltener von der Seite
Das Geschoß verletzte immer nach Austritt aus der Milz noch andere Or-
gane, und zwar am häufigsten die Leber Schüsse an der vorderen Thorav
wand, welche meist in selbstmSrderiRcher Absicht dem Herzen galten, erütl-
neton ebenfalls stets die Pleurahöhle und veranlaßten zugleich im Abdomen
meist Massenverletzungen. So war der Geschoßweg in einem Falle Perikard.
Zwerchfell, Magen. Milz, Zwerchfell, Pleura, Lunge. Auffallend und scheinbftr
im Widerspruch mit der Anatomie erscheint es, wenn bei Einschüssen im
vierten Interk-ostalraum gelegentlich das Herz nicht getroffen ist. Man darf
aber nicht vergessen, daß der Zwerchfellstand sowohl durch die Füllung der
Därme als vor allem auch durch In- und Exspiration wesentlich beeinflußt
wird und mit ihm die Lage der Brust- und Bauchorgane zueinander. Je
höher das Zwerchfell steht im Augenblick der Verletzung, um so mehr sind
die Bauchorgane narh oben ausgedehnt und können um ^o mehr verletzt
werden. Diese Schwankungen der Atembewegungen erklären es auch. daÜ
man am Kadaver den Schußkanal als ßogenlinie oder Spirale fand. Diese
Linien werden indes zur senkrechten, wenn man sich das Zwerchfell in
tiefster Exspiration denkt. In allen Fällen von Bauchschüssen waren neben
der Milzverletzung noch andere Organe mitverletzt.
Diese anatomischen Verhältnisse erklären es auch, daß wir nur höchst
selten das klinische Bild einer einfachen Milzverletzung vor uns haben, im
Oegenteil der Syroptomenkomplex wird gemischt sein und häufig werden
die Verletzungen der anderen Organe das klinische Bild ausmachen und
beherrschen, ja nicht allzu selten wird dies soweit der Fall sein, daß die
Mil^verletzung erst bei der Operation gefunden wird, und zwar ohne vorher
dia^^nostiziert zu sein. Es kann dies um so eher geschehen, als die für Milz-
verletzungen zeitweise als charakteristisch angesehenen Symptome später
durch andere Beobachtungen, in denen sie fehlten, wieder verworfen wurden.
Hierhin gehören :
1. die Symptome der Inneren Blutung;
2. die Richtung des Schusses:
*3. die Kontraktion der Bauchdecken;
4. die charakteristische Ansammlung des Blutes im Abdomen und die
sich hieraus ergebende Oämplang.
Von allen diesen ist naturgemäß die Anämie nur dann zu verwerten,
wenn das Vorhandensein der anderen Zeichen auf die MJlzverletzung hin-
weist Freilich darf man hierbei nicht vergessen, daß z. B. ein Schuß, der
die Milz getroffen haben kann, ebensogut auch die Leber allein getroffen
haben kann, oder aber, daß die Anämie Folge einer V^erletzung eines großen
Gefäßes ist. Auch die Kontraktur der Kauchdeckcn ist nur ein relativ za
brauchendes Symptom, denn es ist bekannt, daß gerade die Bauchdecken-
Kontraktur im Verein mit anderen öytiiptomen, z. B. Erbrechen und Fehlen
von Wunden und Tympanie für Darmverletznngen spricht. Es bleibt somit
lediglich die Dämpfung, durch den Bluterguß hervorgerufen. TRKXDELKXBrRü
beschreibt dieselbe als die Milzgegend einnehmend^ diese indes nach allen
Richtungen hin zwei bis drei Querfinger breit überschreitend. Dieselbe nimmt
die Unke Lumbaigegend bis zum Pori'ARTschen Bande ein und geht von da
weiter zur Regio hypogastrica. Ihre obere Grenze zieht bogenförmig unter
dem Nabel vorbei zum andern Leistenband. Im Gegensatz zu aszitischer
Flüssigkeit bleibt die Dämplungafigur, und zwar, wie Trkn'DELBXBURg annimmt,
weil um die Milz herum meist reichliche Koaguta gelagert sind. Es sind
indes auch Milzblutungen ohne Dämpfung beobachtet worden.
Sie wurden aus der Verfärbung der Därme bei der Operation dia-
gnostiziert. Die Diagnose der isolierten Milzverletzung ist somit schwer zu
stellen. Es würde mich zu weit führen, wollte ich in diesem Kapitel alle
Milzchirurgie.
4SI
diejenigen Symptome aufzählen, welche auf die Korabination mit anderen
Or^nverletzuDjfen hinweisen.
Wie bei jeder Bauchverletzong muß der Arzt auf Überraschungen
gefaßt sein und von vornherein an die scheinbar fematl legenden A'^erletzungea
denken. Er muß den Verletzten st&ndig unter Beobachtang haben und es
muü das Wartepersonal vorzüglich instruiert sein. Denn nicht von vorn*
|h herein sind die Erscheinungen ja stürmisch, auch nicht von vornherein alle
™ Symptome vorhanden. Im Gegenteil, so manche, wie Erbrechen und Auf-
stoßen, V^er&nderungen am Puls. Dämpfungen als Folgen von Ergüssen
(treten im Verlauf der ersten 12 Stunden auf, verschwänden oder nehmen
an IntensitSit zu. Nur wenn hier gut beobachtet und das Keobacbteto kritisch
fowürdigt wird, kann die Indikation der Operation im richtigen Zeitpunkt
goHtt'Ut werden. Sicher ist es grundHÜtzIicIi ein Fehler, zu lange zu warten,
die Laparotomie ist dank der Asepsis houto an and für sich ein so einfacher
Eingriff, daß ihre etwaigen schädlichen i<'olgen durch ein zu langes Warten
und die hieraus sich entwickelnden Schädigungen aufgewogen werden. Auch
»spielt es fOr die Entschließung zur Operation absolut keine Rolle, daU ich
mit Sicherheit die Verletzungen der Organe im einzelnen festgestellt habe,
sondern es kommt darauf an, daß sich der Arzt sagt, hier liegt eine so
schwere Innere Verletzung vor, daß die Laparotomie die einzig mögliche
Therapie ist, und daß der Arzt so scharf beobachtet, daß er die Zu- und
(Abnahme der einzelnen Erscheinungen wQrdigt. um den richtigen Augen-
blick zur Laparutumie zu wühlen.
Der Weg, auf welchem man zur verletzten Milz kommt, kann ver-
schieden sein. Man wird den Schnitt verschieden wählen« ie nachdem man
Komplikationen von anderen Organen annimmt, und nicht allzu selten wird
man gezwungen sein, zu dem ursprünglichen Schnitt noch einen zweiten
hinzuzufügen, weil irgend ein anderes Organ In der Bauchhöhle verletzt ist,
»das vom ursprünglichen Schnitt nicht zu errf^ichen ist. Die verschiedenen
Schnittrichtnngen im einzelnen sind kurz folgende: Liegt der Einschuß derart,
daß man lediglich eine Bauchverletzung annehmen kann, und sprechen hierfür
die klinischen Symptome^ so empfehlen die meisten Autoren die Eröffnung
in der Mittellinie, weil von hier aus die ganze Bauchhöhle zu übersehen
ist; genügt der Schnitt nicht, so muß man, um in das linke Üypochondrium
zu gelangen, den fiektus oberhalb des Nabels quer durchtrennen. Freilich
ist dieser Schnitt dann vor allem an seiner Kreuzung mit dem ersten schwer
so zu nähen, daß keine Hernie entsteht Andere Autoren empfehlen aus
diesem Grunde, den Schnitt am äußeren Rektnsrande anzulegen oder dem
»Bippenbogen parallel. Man kann von allen diesen Schnitten ans die Milz,
Leber und vor allem den Darmtraktus gut Übersehen und operativ erreichen.
Schwierig ist es, an die hintere Magetiwand zu gelangen und erfahrungs-
gemäß fast unmüglicli, etwaige Zwercbfetlverletzungen zu nähen, die man
an und für sich keinesfalls ihrem Schicksal Oberlassen darf. Denn die Wahr-
IBchemtichkeit , daß dieselben von selbst verkleben, ist sehr gering, die Ge-
ffthren der späteren Zwerchfellhernien sicher nicht zu unterschätzen. Aus
diesem Grunde hat vor allem Madpxi'ng die transpleurale Laparotomie emp-
fohlen. Das heißt bei allen ThoraxeinschQssen, bei welchen die Vermutung
naheliegt, daß zugleich Verletzungen im Abdomen vorhanden sind, reseziert
1er die achte Rippe, bildet einen großen Knochen-Muskelhautlappen von der
9. — 11. Rippe und hat nun durch Auseinanderziehen der Wundränder in der
Quere eine breite Eröffnung, von wo aus man die Pleurahöhle, die Zwerch-
fellwunde und eventuelle intraabdominelle Verletzungen überblicken kann.
Drei Vorwürfe werden diesem Verfahren gemacht, die Sch.vfer in seiner
Arbelt indes nicht anerkennt: 1. Die geringe Übersicht des Abdomens soll
nicht der Fall sein. Allerdings will mir scheinen, daß, sobald es sich um
432
Mllzcbirurgie.
Darmverletzangen handelt, die eine Resektion der Darmschlinge fordern,
diese technisch von hier aus sehr schwer ist, auch die Übersicht über den
Darm selbst. 2. wird naturf^emäß durch die Eröffnung der Pleurahöhle ein
Pteuromothorax entstehen, dessen Bedeutung und Bewertung fOr den ganzen
Verlauf sicher nicht zu unterschätzen ist, wenn auch zugegeben werden
muß, daß er bei ThoraxschQssen meist schon vorhanden sein wird. ä. End-
lich wird der Brustkorb wie durch jede Rippcnresektion geschwächi. Ist die
Milz ^verletzt, so kann heute eigentlich nur noch die Naht oder Exstirpation
als Therapie in Krage kommen, denn die Tamponade ist unsicher, die Ge-
fahr, daß eine Nachblutung bei Lösung des Tampons entsteht, ist groß, d&
alle Milzwunden bei der Blutrcille des Organs zur Blutung neigen, und end-
lich kann leicht eine Infektion der Hauchhohle entstehen und sicher eine
Hernie. Ob man zur Naht schreitet oder exstirpiert, das muß in jedem Fall
die Art der Wunde entscheiden, die Größe der Verletzungen. Unsicherer iHt
die Methode natörlich als die Kxstirpation, aber naturgemäß auch der kleinere
Eingriff.
Erwähnenswert erscheint schließlich die im Anschluß von Eröffnungen
der Bauchhöhle eintretende Milzprolaps. Aus der Wunde können Teile der-
selben, ja, es ist beobachtet, die ganze Milz hervortreten. Hierbei entspricht
die Größe der Wunde keineswegs immer der Menge der prolabierten Milz.
Es ist erstaunlich, wie durch eine kleine Öffnung sich ein großer Teil des
elastischen Organs htndurchzwängt. Fraglos tritt indes auch nachträglich
darch Staoung im Organ eine Volumzunahme ein. Ist der Protaps frisch
und hat man einigermaßen die Garantie, daß Verunreinigungen dieselbe
nicht berührt haben, kann man einfach reponieren oder den prolabierten
Teil resezieren und die Milzwunde alsdann vernähen. Andernfalls muß man
exatirpieren.
Noch hänfjger und vor altem für die Unfallpraxis von Wichtigkeit sind
subkutane Verletzungen der Milz, die entweder einfache Kontusionen oder
Rupturen sein können. Die La^re der Milz ist, wie ich bereits oben betonte,
eine so geschQtzto und im Brustkorb geborgene, daß eine direkte Verletzung
schwerer Art, welche das Organ selbst betrifft, eine Vergrößerung des Or-
gana voraussetzt Es ist daher interessant, daß bei den meisten derartigen
Verletzungen, sei es, daß dieselben direkt durch einen Schlag (Hufschlag)
oder indirekt (Quetschung durch Eisenbahnpuller), Vergrößerungen der MUs
vorlagen. Hier spielt Malaria, Leukämie, Typbus eine Rolle. Hierher gehören
auch die Milzzerreißungen bei Geburten unter Kunsthtlfe bei Kindern mit
Lebersyphilis. Im Gegensatz zu diesen schweren Zerreißungen können natfir-
Hch Quetschungen des Organs Folgen geringfögiger Verletzungen sein. Folge
der Quetschungen sind Blutergüsse, dii% wie bei allen solchen in parenchymatösen
Or^ifanen bemerkt, mit Narbenbildung heilen können und dann nur gelegent-
liche Sektiousbefunde sind, sei es als Narben in der Substanz oder als
sehnige Flecke der Kapsel oder breite Verwachsungen letzterer mit dem
Peritoneum als Reste traumatischer Entzündungen. Größere Ergösse bei
erhaltener Kapsel können zur Zystenbildung führen oder aber, wenn die
Ergüsse infiziert werden, Abszesse werden, in denen gelegentlich nekrotische
Teile des Organs liegen. Zerreißt die Kapsel« so tritt das Blut in die freie
Bauchhöhle, kann hier resorbiert werden oder baldigen Stillstand zu
chronischer adhäsiver Entzündung mit Verwachsungen der Därme führen.
Das unmittelbar auftretende erste klinische Symptom ist der Shock
und der Schmerz, deren Intensität naturgemäß verschieden sein kann. H<
er länger an, so kann mau aimehmen, daß es zur Kntzündungserscheinung
der Umgebung des Organs gekommen ist. Hei dem Blutreichtum der Milz
wird eine starke Blutzufuhr im Anschluß an das Trauma eintreten, die ge-
legentlich perkutorisch objektiv nachweisbar ist. Bei einer Milz, die nach
Milzchirurgie.
43d
Trauma palpabel vergrößert Ist, wird sich auch meist bereits ein Bluterguß
•eingestellt haben.
I Vernielx beobachtete zuerst und nach ihm andere Autoren eigenartige
Fiebererhebungen nach Traumen, welche der Form der Quotidiana ähnlich
waren. Behgkk glaubt, daß dieses Fieber Folge von Infektionen ist während
andere Autoren der Ansicht sind , daß es sich tatsuchlich um ein erneutes
Aufflackern einer seit längerer Zeit bestehenden Malaria handelt.
Rupturen der Milz, die in Form von Rissen die Milz durchsetzen«
kommen durch geringfügige Ursachen bei pathologisch veränderten Organen
vor. Ihre Gestalt ist meist ein V oder ein Y, derart, daß die beiden Schenkel
an der Peripherie in der Kapsel beginnen, um sich zum Zentrum hin zu
vereinen. War die verletzende Gewalt eine sehr starke, so finden sich häutig
andere Organvtrletzungen daneben. Nach Bhihgeu am häufigsten die Leber,
dann die linke Niere, beide Nieren und Magen. Bei großen Zerreißungen
tritt der Tod in wenigen Minuten durch Verblutung ein, die Blutung kann
zum Stehen kommen, aber die geringste Bewegung kann zur Nachblutung
führen. Das Blut wird im allgemeinen sich Über die freie Bauchhöhle ver-
breiten und sich am tiefsten Punkt der Beckenh5hle ansammeln, nur wenn
vorher Adhäsionen vorhanden waren^ kann es zu einem abgekapselten Erguß
kommen. Wie bei den oflenen Wunden gibt es wenige Symptome, die für
eine Milzverletzung charakteristisch sfnd. Tritt nach einem Trauma, welches
die Milzgegend traf, Shnck mit lebhaftem Schmerz im Unken Hypochondrium
ftuf, entwickelt sich hieran anschließend das Bild der Anämie, so muß man
an eine Milzruptur denken. Unterstützt kann die Diagnose werden, wenn
Erbrechen hinzutritt, der Leib bretthart wird und schließlich eine Dämpfung
in der Milzgegend nachzuweisen ist
Im allgemeinen wird man heute genau wie bei den Milzwunden zur
Laparotomie schreiten, bevor man die Diagnose gestellt hat. zu Exzitantien
greifen. Vorsicht erscheint nur hierbei in der Anwendung großer Kochaalz-
mengen geboten. Denn handelt es äich um eine Blutung., die von selbst zum
Stehen kam, so kann eine Belastung des Gefäßsystems zu einer Nachblutung
fjihren. Es empfiehlt sich daher, meiner Ansicht nach, hier mehr Kampfer,
Äther oder andere Exzitantien zu verabfolgen.
Technik der Milzexstirpation.
Hinsichtlich der technischen Schwierigkeit der Ausführung der Operation
besteht meines Krachtens ein wesentUchor Unterschied zwischen Traumen
und Tumoren. Während bei ersteren die Schwierigkeitön der Operation in
den eventuellen Nebenverletzungen anderer Organe liegen, vor allem häufig
große Eile wegen der Gefahr der Verblutung not tut. ist das Hauptmoment
der Tnmorenexstirpation ihre Große und ihre festen Adhäsionen.
Im allgemeinen wird heute die Eröffnung von der MittelÜDie aus emp-
fohlen, weil von hier aus alle Organe im Abdomen am leichtesten zu öber-
flehen und die Milz am besten zu erreichen ist. Der Schnitt beginnt am
Processus xipholdes und geht je nach Größe des Tumors eventuell bis zur
Symphyse. .1 vmksco legt Wert darauf, daß der Operateur an der rechten
Sett«^ des Kranken steht, weil er so den Milzstiel am besten Qbersehen kann.
In Fällen BANTiwcher Krankheit, wo es sich um Erhaltung der Bauchgeläße
handelt, die oft sichtbar in der Bauchhaut laufen, empfiehlt Bi^ssel-Hagen
einen lateralen Schnitt. P.\nchet hat jüngst einen transversalen Schnitt In
Seitenlage angewendet, von der Mittellinie bis zur 11. Rippe, eventuell mit
Resektion des Kippenbogens. Vorsicht ist bei diesem geboten hei Eröffnung
des Peritoneums, um LoslÖsungen des Mesokolona zu vorhindern und hier-
durch Gangrän des Kolons. Häufig finden sich nach Eröffnungen des Ab-
domens sehr bedeutende Verwachsungen, die nach zwei Richtungen hin ge-
Enoyolop. Jabrbuoher. N. F. IV. tXIJI.) 28
434
Milzchirurgie.
I
fährlich sind. Die mit dem Netz prieg:en sehr gefuüreicb zu sein, während
die im Zwerchfellkiippelraum sehr derb zu sein pflegen, g'erado im Gegen-
satz zum Milzgewebe selbst. Jamesco empfiehlt daher, dieselben mögliebst
an ihrem von der Milz entferntesten Ende anzugreifen. Er riskiert lieber
eine Zerreißunp: der Pleura als die des Milzgewebes. Aus ihm erfolgen leicht
profuse BlutunjB:en, die um so unangenehmer sind, als man schlecht an die-
selben horun kann. VerwachanDgen zwangen ihn so^ar, die Operation ab-
zubrechen, in einem andern Falle mußte er dip Milz schnell mit Gewalt
luxieren^ den Stiel abbinden und dann die Blutung aus den Adhäsionen
stillen. Während bei der Wandermilz, wo der Stiel lang ist, die Isolierun»
der QefäUe desselben unschwer ist kann dieselbe bei großen Tumoren mit
kurzem Stiel fast unmüglich werden, so daß es sich dann empfiehlt^ zunächst
en bloc zu unterbinden und erst später nach der Exstirpation die Isolierung
vorzunehmen. Bei dieser geht man am besten von unten nach oben vor,
indem man die Milx auf diu linke Bauchseite des Operierten hinauswälzt.
Nach der Unterbindung möaaen die abgerissenen Adhäsionen auf
Blutung revidiert und eventuell umstochen worden. Nicht immer wird es
geliogen, jede Blutung zu stillen, dann empfiehlt sich eine nur teilweise
Nalit mit fester Schürzentamponade. Wie weit man die Bauchwunde schließen
kann und darf, hän^t naturgemäß von der vorausgegauffenen Operation ab.
Die Nachbehandlung wird dieselbe wie bei jeder anderen Laparotomie sein.
Die Darreichung von Opium wird hier wie überall verschieden gewürdigt
werden. Jamesco macht darauf aufmerksam^ daß nach Exstirpation einer
Mainrtamilz häufig Fieboranfälle von erneuter Malarrainfektlon ausgeben
können. Hier empfiehlt es sich, große Dosen Chinin zu geben.
Zum Schluß fasse ich meine Anschauung über die Milzchirurgie in
folgenden Sätzen kurz zusammen:
1. Die bisbertgen Erfolge bei der Splenektomie haben erwiesen. daU
diese Operation ohne vorübergehende oder dauernde Schädigung des Or-
ganismus möglich ist.
2. Dieselbe ist kontraindiziert bei Leukämie und kann bei Malaria
nur die Beschwerden des Tumors, nicht das Leiden selbst beseitigen.
3. Technisch am einfachsten ist dieselbe bei der Wandermilz, am
schwersten bei allen verwachsenen Tumoren wegen der Schwierigkeit der
Blutstillung,
4. In allen Fällen von Verletzungen ist die baldige Laparotomie einer
abwartenden Behandlung entschieden vorzuziehen^ wenn die Diagnose einer
Verletzung gestellt ist.
ö. Welche Methode der Eröffnung des Bauches zu wählen ist, hängt
von der Diagnose der einzelnen Komplikationen bei der Verletzung selbst ab.
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I
Über die chirurgische Beh.'indlung der Wandenuilz. Deutsche Zeitacbr. f. Chimrt^ie, XLV,
pag. 386. — VerlelÄunjren. Bbhgkk, Verletzuntreu der Milz und ihre chirurgische Itehanri-
laog. La\oe<(meck8 Archiv. X^VILI, pag. 7B8. — 8ciiÄricK« Offene MiUwundc und trunitpleurale
Laparotomie. Heiträft^ ziir klinischeu Chirurgie, XXXVl, Heft 3. — Thickuklenbuko, MiU-
«xstirpatioo wegen Milzzerreiünng. Deutsche med. Wocbenschr., 1899, Nr. 39 nnd 40.
Cnste.
Mlsctinarkose. Einen neuen Apparat zur Herbeiführang einer
Narkose mit einem ^enau dosierten Datupfj^emisch beschreiben Kionka und
Kröxig. Der Apparat ist von Dr. Roth-Dk.^egkr zur Saueratoffchlorofurm-
narkose konstruiert und für die Anwendung: der Mischnarkose modifiziert
worden. Er besteht aus einer Sauerstoffbombe und einem Aufsatz, tn welchem
Chloroform oder Äther durch den Saaeratoffstrora zur Verdampfung gelangt.
Die Dosierung- geschieht tn der Weise, daß die Anzahl dor Tropfen des
Narkotikums, welche der Gasstrom ansaugt, durch einen Hahn verstpllbar
ist. Auf diese Weise ist eine genaue Dosierung des Narkotikujiis inöglicli.
Eine Eichung des Apparates ergab, daß er den Angaben entsprechend funk-
tionierte. Am Tier entsprach der Eintritt der Narkose, ihre Tiefe den schon
sonst ermittelten Zahlen. Dabei ist zu bemerken, dal3 zwischen Maske und
Apparat ein »Sparbeute]« eingeschaltet ist, aus welchen die Inspiratinns-
luft, die sich aus dem Apparat während der Exspiration angesammelt hat.
angesogen wird. Da die Grüt5o dos Beutels, resp. des Sauerstoffstromes für
ein Kaninchen ausreicht, so erhält das Tier ein genau dosiertes Narkotikum-
Sanerstoffgemisch. Der Mensch aspiriert aber neben der Maske noch Luft.
BO daß ni;in nicht den genauen Gehalt der Inspirationsluft am Narkotikum
angeben kann. Doch ist der Apparat für den Krankenbausbetrieb sehr ge-
eignet, da er eine Überdosierung verhindert, was für die in der Klinik aus-
geführten langen Narkosen von Wichtigkeit ist.
Literatur: Kiokka und Krömo, MiHcbnarkoRen mit genauer DoaierQDg der Dampl-
konEertratiou. Arch. f. kÜn. Chir, LXXV, H. 1. E, Frej\
Mltin« Mitin Ist nach Jessner »eine flberfettete Emulsion mit hohem
Gehalt an aerumühnlicher Flüssigkeit«. Es ist eine woilJe, geschmeidige, sehr
leicht verreibbare Substanz von Salbenkonsistenz. aus welcher ebne weiteres
mit fast allen gangbaren Heihuitleln Salben und Pasten hergestellt werden
können. Es kommen in den Handel: Mitinum purum, cosmeticum, Pasta
Mitini. Mitinhydrargyrura.
Literatur: Jf.s^neb, Mitiu, eine neue Salbengrundlage. Deutsche med. Wocbenscbr.,
1904, Nr. 38. p:ig. 1386. E. Frey.
Multiple Nklerose, bulbäre Symptome, pag. 155.
MyaNtlieiilas^ravIs pseudoparalytica, s Hulbärparalysen,
pag. 134 ff.
Slyeloiiiatosen, s. Leukämie, pag. 360.
2S*
N.
Nabelsclinurrestf Nabelwunde ^ s, ßtut des Säuglings,
pag. 97. - Nabelvene, ibid. pa»r. HtJ.
Nafalan. Nafalan stellt wie Naftalan einen reinen Kohlenwasser-
stoff dar, welcher durch Seifenzusatz zu einer Salbenmasse verarbeitet werden
kann. Beide Präparate wirken anämisierend auf die entzündeten Gewebe,
ihre Domäne sind Ekzeme der verschiedensten Provenienz und Verbren-
nungen.
Literatur: lIoHt.tDKR, Vüh N;iFatim und dte Daphtliittiattigen Salben in der dermato-
logischen I^rüxis. Thcrnp. Slonatsh., Dezember 1904, paf. 63ti. E. Frej,
Nebenniere^ s. Intraglanduläre Entgiftung, pagf. 270ff.
Nebennierenpräparate« Das Interesse an diesen hämosta-
tischen Präparaten ist ein äußerst rege^ und es lieg:en sehr zahlreiche Ver-
öffentlichungen darüber vor.
In chemischer Hinsicht ist erwähnenswert, daß nach Friedmaw ») durch
Oxydation des TribonzolsulfoadrenalinR eine Substanz entsteht, Adrenalon
genannt, welche auch synthetisch durch Einwirkung von Methylamin auf
Ch1oracetylbren2katochin gewonnen werden kann. Auch dieser Körper des
Adrenalon hat biutdrucksteitrernde Eigenschaften.
Durch einen Analogieschluß kommt Baim^) zu der Ansicht, daß Spermin
und Nebennierensubatanz hinsichtlich ihrer lokalen Wirkung Antagonisten
seien. Es wird durch Spermin eine starke GefäÜer Weiterung hervorgerufen,
durch eine 10*'/nige BrenzkatechinlÖaung eine der Adrenalinwirkung ähnliche
Gefäßkontraktion; von ähnlichen antagonistischen Eigenschaften der beiden
Körper erwähnt der Autor, daß Spermin oxydierend, Brenzkatechin redu-
zierend wirkt.
Durch fortgesetzte intravenöse Gaben von Adrenalin konnte Erb ^
bei Kaninchen arteriosklerotische Veränderungen der Aorta erzeugen. Ebenso
sah v. RzENTKOWäKi ') nach derselben Behandlung Hypertrophie des Herzens.
Aneurysmabildung, Leberzirrhose, kurz die Eolgen einer Arteriosklerose.
Von experimentellen Untersuchungen über Adrenalin sei erwähnt, dali
Lks.^ge B) die Todesursache nach Adrenalinvergiftung beim Hund in Herz-
stillstand, bei der Katze in Erstickung steht, bei letzterem Tier soll eine
schnelle Gewöhnung nn das Gift eintreten. NKUJF•:A^ ^) fand, daß die Puls-
beschleunigung sowohl zentral als peripher bedingt ist. Durch Adrenalin
worden die Gefäße des Gehirns wie die des übrigen Korpers verengert
Das vasomotorische Zentrum ist nur sekundär an der Blutdracksteigerung
beteiligt, und zwar infolge der Blutleere durch Qefäßverengerung. In betreff
der Festlegung des Adrenalins nach intravenöser Injektion verdient eine
Arbeit von J. de Vos und M. Ko<hmaxx ^) Beachtung, die eeigen konnten,
daß schon 10 Minuten nach intravenöser Qabe der tödlichen Dosis beim
Kaninchen das Adrenalin aus dem Blute verschwunden ist, 5 b^cw. :> Minuten
nach -Ai bzw. ^/^ der tödlichen Dosis. Als Indikator fQr das Vorhandensein
diente dabei das physiolof^iscbe Experiment« d. h. die blutdruckstet^ernde
Wirkung, die sich an einem zweiten Tier nach Inioktion des Blutes des
vergifteten Tieres A-ulierte.
Zur lokalen Anästhesierung setzt La.nz *) drei Tropfen der iVoo^SföD
AdrenalinlÖHung zu einer r^ ,j*ffpn Kokainlösung. Hilüeiirandt^) hfi.lt daa
Adrenalin in einer Verdünnung 1 : DOUO subkutan eingespritzt fQr gefährlich,
da es zu Gewebsnekrosen führt. Orkuw^*) wandte bei der Kaustik des
CoUicutua seminalis daa Suprareninum hydrochtoricum In Verbindung mit
einer 1- 2*'^igen Eiikainlosnng mit Krfolg an. Während Fkaxcis '0 ^>©J
Hämophilie nur vorQbergehenden Erfolg sah, war MArDON.xLL) '-) trotz Steige-
rung des Blutdruckes mit der blutstillenden Wirkung bei Hämopto*^ zufrieden.
Demgegenübor hält Duncanson ") bei frischer Hämuptoe diu Anwendung des
Adrenalins für gefährlich. Daa Nebenierenextrakt setzt die Aufsaugung und
Ausscheidung durch die Gefäßwände fOr längere Zeit herab, wie Mbltsbh und
AuER '*} für Strychnin und Fluoreszin zeigten.
Zur Bohandlune: der Hydrozete benutzte RurKLE*'^) daa Adrenalin mit
gutem Erfolg; er indizierte nach der Punktion 2cm^ einer 0'ü2Voi(tön Adre-
nalinloaung und sah kein Rezidiv danach auftreten. Die Giftigkeit des Adre-
nalins soll der schlechten Resorbierbarkoit wegen bei innerlicher Eingabe
nach SiMiiNowiTSf 11 *'^) keine große sein, auch nicht hei Verletzung der Magen-
darmscliieimhaut, man kann os also in solchen Fällen unbesorgt geb^^n, um
ein Stehen der Blutung zu erreichen, ohne Allgemeineracheinungen befürchten
zu mQssen.
Als Herztonikum wandte Myrtlk *^) das Adrenalin an.
Eine Blutung sah E. H. Oppenkrimkr"*) in der ophthalmologischen
Praxis nach Adrenalinwirkung auftreten, weshalb er zur Vorsicht rät.
Aus einer Reihe von experimentellen L^ntersuchungen von L u. A.Lawex'*)
ergibt sich, daß das Kokain dif« Uefäßwirkung de^ Adrenalinn am wenigsten
stSrt^ und da das Kokain auch das wirksamste Lokalanästhetikum tat, so
ergibt sich daraus, daß die zweckmäliigste Kombinatiun mit Adrenalin die
mit Kokain ist
Auch gegen Hämaturie im Verlauf skarlatinöser Nephritis bewährte
sich nach Molnäk-") das Adrenalin, die Diurese soll dabei ansteigen bei
gleichzeitiger Abnahme des Etweißgehaltes.
Außer dem Adrenalin der P'lrma Parke, Davis & Ko. ist daa Supra-
renin Höchst im Handel. Neuerdings ist von Abdkkiialde.v und F^KHiJKLL-»)
ein Nebennierenpräparat hergestellt worden, Epironan oder Epinephrin,
das im Tierversuch sich ebenso wirksam erwies als die älteren Präparate,
]a etwas wirksamer war. Das Präparat ist rein weiß und färbt sich in der
gebräuchlichen Lösung 1 : 1000 selbst bei längerem Stehen an der Luft
nicht, sondern bleibt wasserklar. Ferner stellt Mkrck^'^J ein »Paranephrin«
ohne Hilfe von Säuren oder Alkalien her, das in Ol^oigör Lösung mit
O'GVo Kochsalz ohne Chlorelon (wie das folgende Präparat) in den Handel
kommt. Auch daa Präparat ist haltbar. Es wurde von Poltk-*) in der
Augenheilkunde mit gutem Erfolg angewandt. Außerdem fand ein Neben-
nierenpräparat, das Teno gen auprarenale Richter, vielfach An-
wendung, und zwar gab es Berrnd-*) bui Pertussis in dio Nase (4 bis
10 Tropfen) und bei der lilxstirpation adenoider Vegetationen. Auch bei post-
gonorrhoischem Katarrh aah Pohosz-**) gute Erfolge. Daa Tonogen hat folgende
Zusammensetzung: Nebennierenextrakt Ol, Chloreton 05, Natr. chlorat 0*7,
Wasser lÜÜ-0. ^^
438
Nebeanierenpräparate. — Nerv, Neuron.
Literatur: *) E. Frieduakn, Adrenalin. Hopkeistkrs Beitr., VI. — ') Back. Crllieb«
Einwirkung von Nebennifrenanbatana, nnnzkatcohin und Spprrain an! die Zirkulation. Berliner
klin. Woflienschr. , Nr. 4. — ',) W. EBBJttn., fber ArterienerkrMnkiing nach AdreaaliAhi-
jektionen. MUnehcner med. \Vochen*iphr., UKJ4, Nr. 17, pag.829. — *i Casimir v. RzvxncovKi.
AtbcromatosiB aort«tc bei Kaninchen nauh Intravenösen Adrenatininloktiouen. Berliner kÜL
WocbeuHchr.. 1904, Kr. 31. -~ '> J. LsflAQK. ExpcrimenteHe Untersuchungen über Adrenilb.
Ärcb. intfni. dv Pharm, et de Thärap., Vol. XIII, pag. 246. — "i V. NtnjBAK. Beitrag tur
*'ipurlmentellen UntvrRUcbung deH Adrenalins. Areli. intern, de Pharm, et de Th<:rap., Vol. Xlll
päg. 4ü- — ^) J. DE Vos et M. Ko<'uha»m. De la rapidite avee Uqnelle la principe adil den
capauleti aurr^nules, donui^ en injection intraocineuae , diaparait du H&ng. Arcfa. intern, de
Pharm, et de Tberap , Vol. XIV, pag. 81. — *)Lahz, Adrenalin. Weckbl. voor Gen«»*.,
Nr. 24, Kit. nach Hentsche raed. Wochenachr., 19IJ4, Nr. 2(j. pag. 963. — *> Hildrbraiidt
Adrenalin in der chirurgisoben Praxi». Berliner kün. Wochenschr.. Nr. 1. — '*) Dr«cw, Supra-
renin hin Follikulärkaufltik. Münchener med. WocheTiÄchr., Nr. 21. — '*) Frakcis, Adrt'ciaDit
bei HUmophilie. Hrit. raed. Jouro., Nr. 2265, ziL nach Dentflehe med. Wochenftchr., Ilfl04. Nr.24.
pag. 8^0. ^') AlACDoifALD, Näbennicrenextrakt gegen Hämoptoe. Brit. mud. Joum., Nr. 22fö.
zit. nach Dentnehc mol Wochenschr., 1901, Nr.24, pag. 890. — '*> Ddncanson, Oelähriich
fceit der Adrenalinht-handlung bei HUmoptoe. Hrit. med. Joum.. 12. März 1904. zit. nach Thenp.
Monatsb.» Juli U)04, pag. 1:170. — '*) MKi.TaKu und J. Ader, EinMaß des Nebennierenextnilit«!
aul Kekorptioii und Transaudation Z^tralbl. t. p»th. Auat., Nr. 21. — ") J. RrrrLK. Adreotlia
bei der llydrozelebt^hnndlanff. MUnühener med. Wochenschr.» UK)4, Nr. 48. — ") W. F. SoioK»-
wiTsra, Kuactki Wrattich, 1903, Nr.24, zit. nach Die Therapie der Gegenwart, Joli 1901.
pag. 318. — ">Mtrtie, Artn^nalin gegen Uerznearose. Hrit. med Jonm., Nr. 22G1, tit. nach
Dentache med. Wochea.scbr., 1904. Nr. 21, pag. 788. — '*J E. H. Ofpknbkimrk, Beitrag nr
Verwendung der Nebennierenpräparate. Denlsche med. Wochenschr., 1904, Nr. 41, pag. 1502.
'•) L. Läwkn, Quantitative Unlcrsuchnngen über die Ocfäßwirknng von Suprarenin. Arch. I.
experiro. Patb.f LI. — A. Läwen, Die Gclüßwirkung von Suprarenin in Verbindung mit SrtUdi
aniistheaten-uden Mitteln. Deuteebe Zeitscbr. f. Ghlr., LXXIV, H. 1 n. 2, Kit. nach Deutsche med.
WochensL-lir., l90-t, Nr. 38, pag. 1395. — «") MolnAä, Budapest! Orvoai Ujadg, 1904, Nr. 7.
zit. nach Die Therapie der Gegenwart, Februar 190.>, pag. 81. — '*) E. ABPKRaAr.DFX und
P. Bbroell, Cber du» Epinephrin i Epirenam. Milnehener med. Wochenßebr., 1904. Nr. 23. —
*'> E. Mkbck, Paranephrii], JahrtslMTiehte, 1^04, pag. I4ö. — "j Polte, Parnnepbria, m
neues NebennierenprAparat. Arch. f. Augenheilk., LI, zit. nach Deatscbe med. Wocbenftckr-,
1904, Nr. 62, pag. 1940. — ") Hkhenu, Badapeati Orvosi Ujsäg, 1904. Nr. 7. zit. nach Die
Therapie, der Gegenwart, Februar 1905, pag. 81. — **) Moaiz Poröse. Das Tonogen 8upr»-
renale aec. Richter. AdAtringonH nnd AniUthutiknm in der Urologie und Dermatologie. MonÄtsh.
t. prakt. Dermatologie. XXXIX. Nr. 11; Therap. MonaiÄh., Uai 19UÖ. p.ig. 2118. E. Fni
Vgl. auch Augenheilmittel, pag. 70.
PfeplirltiSi Kochsalzaaascheidung dabei, pag. 301 ff
^
k
TX^erv. Neuron* (Neuronentheorie.) Vor 5 Jahren schloß Verf
den (Jahrg. 1900) hier veröffentlichten Aufsatz über Nerv und Neuron mit
dem Satze, die Neuronenlebre stehe und falle mit der Zellentheurie. So
lange diese zu Recht besteht, können wir uns keine Nervenfaser ohne
Zeilen, d. h. Nervenzellen, denken, ebensowenig wie etwa eine Cilie ohne
den Zelikörper der dazu c:ehörig:en Fliminerzelle oder das Spermatozoon
ohne Schwanz. An dieseni Schlüsse haben die von den Qegrnern der
Neuronlehre verölfentlicbten Untersuchungen nichts ändern können , denn
keine hat die Gültigkeit der Zellenlehre zu erschüttern vermocht. Daß wir
aber die Notwendin:keit einer Revision der Zellenlehre nicht verkennen, mag
sogleich bemerkt werden, well gerade damit die tatsächlich sich vollziehende
Wandlung dos Nüuronbegriffes eng vorknöpft ist Dali alsdann bei der Kritik
des Neuronbegrirfea sich nicht ein Novum, sondern nur ein klareres, von
nebensächlichen Fehlern befroites Bild herausschält, welches in prinzipieller
Ubereinstimmano: mit der Definition Waldevkrs steht, muß besonders her-
vorgehoben werden. Ist doch gerade Vehworn, der mit zuerst Gegner wie
Anhänger der WALDEVEuschen Theorie davor warnte, auf nebeo sächliche
Sätze zu großes Gewicht zu legen, der Vorwurf gemacht worden, daß er
den Kern der Streitfrage vollkommen verkannt habe.
Außer den wichtigeren Dokumenten des Kampfes nm die Neuronlehre
seien in folgendem noch einige Arbeiten eingehender berücksichtigt, weil
Nerv, Neuron. ^^^^^BPI^^ 439
sie omfassend genug die verschiedenen augenblicklich diskutierten Meinungen
M'iederspiegeln und es unmöglich wäre, die gesamte, im Laufe eines halben
Dezenniums um einige hundert Nummern angewachsene Literatur hier
fifleichmäßig zu behandeln. Aul diese Weise wird es möglich sein, ein klares
Bild vom gegenwärtigen Stande der Neuronfrage zu geben, die, augenblick-
lich kaum weniger als vordem umstritten, gleichwohl mehr als in der Zeit
der Vorherrschaft der Goi.Gi-Methode, der definitiven Lösung nahe gekommen
zu sein Bcheint. In dieser Darstellung sollen daher besonders die Arbeiten
von Vkrworn (1900), Nissl, Bkthk (1903), 0. Schultzk, KiUliker (1904),
Ramos y Cajal, Held, Donaggio, Hakkison- i1904), Brais (1905), Bibl-
srHowsKY (1904), WoLFF (1903, 1905) beröcksichtigt werden.
Wenn wir zunächst untersuchen, inwieweit heute die Neuronlehre ganz
allgemein auf nervöse Dilfereozierungen angewendet werden kann, wu"^ und
in welcher speziellen Form uns diese auch entgegentreten mögen, so darf
nicht vergessen werden, dali, wie sogar Bkthe zugibt, die WAi.DEVERsche
strenge Formulierung des Neuronbegriffes im wesentlichen einzig und allein
eine Analyse des kompliziert gebauten Vertebraton Zentralnervensystems zu
geben bcmfiht war. Die Angriffe Ai'AThys und Bkthks, ebenso neuerdings die
von Oskar Schultzk u.a. bedeuten darum, weil sie von peripheren Befunden
oder von den Wirbellosen ausgehen, von vornherein einen Schlag ins Wasser.
Ist doch schon vor Verwur.n von vielen Forschern, sogar von Walu-
KVER selbst . die Kontiguität«frago als nebens'ichlich aus der Diskussion
ausgeschieden worden, so daß als Kern der Neuronlehre einzig und allein
die cytogenetische Einheit Übrig blieb. Kiner solchen widerstreitet aber die
Existenz von echten nervösen Netzen in keiner Weise und Kölliker hat
ohne Grund deshalb die Hichligkeit der ScHiLTZEschen Angaben, soweit sie
sich allein auf die Existenz peripherer echter Nervenzotlennetze (bei Am-
phibien) beziehen, angezweifelt. Kbensosohr ist aber von mancher Seite
verkannt worden, daß die Neuroiilehre wörtlich gehalten bat, was sie zu
geoen versprach: eine zutreffende morphologische Bewertung der langen
jntrazentralen Bahnen und der zu den Endapparaten und Plexus der Peri-
pherie ziehenden Nervenfasern. In dieser Beziehung hat der WAUiEYKRsche
Neuronbegriff in keiner Weise modifiziert werden müssen, und die Nouron-
lehre auch In diesem Sinne oufrecht zu erhalten, ist völlig berechtigt.
Die Meinungen Über das Neuron stimmen, wie oben erwähnt wurde,
heute nichts weniger als Qbcrein. Eines zeigen sie aber übereinstimmend,
ebenso da. wo sie konvergieren, als da, wo sie divergieren: daß man doch
nicht gan^ und gar ohne ]ed(?n aus vcrgleichend-morpholagischen Gesichts-
punkten und Überlegungen aufgebauten Gedanken und Plan an eine so
auUergewöbnlich verwickelte und darum so ganz und gar ausschtiej31ich
durch vergleichende Betrachtung, nicht durch bloßes Besehen und
Beschreiben lösbare Aufgabe herantreten sollte, wie sie gerade das Stu-
dium des peripheren Nervensystems darbietet, und ebenso wollen wir gleich
hinzufügen, des zentralen. Zeigt es sich doch, daß die von vergleichend-
morphologischen und -physiologischen Gesichtspunkten aus unternommenen
Untersuchungen (V^khworn, Braus, Heijj, Bielhchowsky und Wolfk) in den
wichtigsten Punkten übereinstimmen, ja teilweise zum selben Resultat auf
Grund von Befunden gelangen, die dem Gegner iu K-letcher Weise bekannt
waren und ihn dort zu entgegengesetzten Ansichten führten (besonders
Bracö-Harrisün).
Lassen wir nun im folgenden die Anschauungen der oben genannten
Forscher eine kritische Revue passieren.
* So konnten wir neuerdings, viv die GsaBNiiAUERScbe Theorie nicht undera crnrarteD
lieÜ. anch im Amnion der Ratze nerrSse Elemente nachweisen. Vg\. WoLrr , Anat. Adz.,
,lQ[)b, XXVI.
I
A
440
Nerv» Neuron.
k
Vkrworn hält an der Neuronlehre fest und sieht ihren wesentlicheo
Kern in dem Satze von der cyto^enetischen Zusarameng:ehörig'keit von
Nervenzelle und -FaHor. Der LEYDiG-NANSKNschon Auffassung, daß das eigent-
lich reizleitende Element das vom plasmatischen Wabenwerke umBchlosseoe
Hyaloplasma, mithin alles übrige, die Neurofibrillen mitinbegriffen, nur StQti-
Substanz sei, steht er sympathisch gegenüber, ebenso der Lehre vom kon-
tinuierlichen Zusammenhang der Neurone untereinander. Der perinukleäre
Teil des Neurons, der Zellkörper schlechthin, ist ihm im Gegensatz zq
Bethk u. a. keineswegs bloß ein nutritorisches, sondern gleichzeitig im bis-
herigen Sinne ein spezifisch nervöses Zentrum.
Verwokns Antipode Ist Nissl, der die zelluläre Zusammengehörigkeit
von Zellkörper und Fast-r bestreitet, ohne weiteres die Fibrillen als reiz-
leitend anspricht und In einem nichtzelligen Element der grauen Qewebe-
teile, dem sog. nervösen Orau, die funktionell wichtigste Komponente der
nervösen Zentralorgane sieht. Er kommt zu diesem merkwürdigen Schluß
auf folgende Weise; Dendriten wie Achsen'zylinder endigen in der Grao-
subatanz blind. Es muß daher etwas vorhanden sein, das zwischen das Ende
eines Achsenzylinders, das mit dem Aufhören der Markumscheidung iden-
tisch ist, und die Golginetze *ler in der Nilhe dos Achsenzylinderendes
liegenden Nervenzellen eingeschaltet ist und so die notwendige Verbindung
beider herstelle. Dieses Ktwas, von dessen Genese und Struktur auch Nissl
nichts auszusagen vermag, i&t das »nervöse Grau«. Die Existenz dieser
rätselhaften »nervösen« Substanz läßt sich aber nach NiSfL auch rechnerisch
testlegen. Hei Addition aller mit den bisherigen histologischen Methoden
darstellbaren Rindenelemente bleibt nach Nissi. ein großer Teil des Raumes
unbesetzt, der von NervenzelikÖrpern, Dendriten, Neuriten, Bindegewebe,
Blut- und Lymphgelößen erfüllt wird. Das Defizit läßt sich bei Anwendunir
aller die genannten Elemente darbte tlen den Methoden nicht decken und
kann daher nach Nissls Meinung nur durch eine besondere, mit diesen Me-
thoden nicht darstellbare Substanz^ eben sein nervöses Grau. ausge'QUt ge-
dacht werden. Nach Nissl träfe daher die Anhänger der Neuronlehre der
schwere Vorwurf, das wichtigste Element des ganzen Zentralnervensystems
vollkommen ignoriert zu haben.
Daß dieser Vorwurf völlig ungerechtfertigt war, haben Bielschowskv
und Woi.FK in ihrer Kieinhirnarbeit gezeigt. Bei Anwendung der Bielschowskv-
achen Silbermethode, welche Neurofibrillen und Plasma mit einer Klarheit und
Vollständigkeit imprägniert, wie sie bisher unerreicht ist. läßt keinen Raum
für ein »nervöses Grau* übrig und weist den kontinuieritchen Übergang von
Achsenzylinder-Fibrillen und -Plasma in peri- und intracelluläre Netze nach.
Viel näher als Nibsl steht, wenigstens in manchen Punkten, Bcthb
der neuronistischen An^chauungsweijke. Gibt er doch wenig:*tens eine direkt-
zelluläre, wenn auch multiple Genese des Neuriten zu. Es darf freilich nicht
verkannt werden, daß er damit, daß er z, B. den motorischen Neuriten aus
Zellreihen entstehen Ifißt, sich bis zur Identil&t der Ap.^thy-Dohrx-Kiu'ffer-
Nissi.schen Lehre nähert. Bktiir bleibt aber in seinen Ausführungen weit
davon entfernt, eine besondere, nicht zellulrlr differenzierte Substanz als
wesentlichen Faktor dem histologischen Bilde einzufügen.
Dagegen charakterisiert auch Bethks Angriffe in gleicher Weise wie
die anderer Gegner der Neurontehre das Mißlingen des einzig und allein
entscheidenden Gegenbeweises: daß nämlich eine sensoriscbe. zentripetale
Leitung ohne Vermittlung einer Ganglienzelle in eine zentrifugale, moto-
rische Bahn überginge. Ein solcher Befund wörde doch wenigstens die Un-
braucbbarkeit des Neuronbegriffes für die Physiologie und Histologie, wenn
auch nicht fOr die Histogenosc, dartun. Histogcnetlsch steht und fällt, das
muß immer wieder betont werden , der Neuronbegriff mit dem Zellbegriff
Nerv, Neuron. 44 1
Daß dieser zn modifizieren ist, etwa im Sinne der SACiisschen Energldcn-
lehre, ist von mehreren Seiten betont worden (Skdgwick, Braus, Wolpf)
und wird auch von Bktiip. selbst sympathisch beie:rüßt.
So liegt ein unleugbarer Widerspruch in Bkthes antineuronistischer
Stellung. Seine Abbildungen, die den zellulär-unabhängigen Verlauf der Neuro-
fibrillen üartuD sollen, entbehren der Beweiskraft ebenso wie die bekannten
Zeichnungen Apäthvs. Und selbst wenn wirklich motorische und sonsorische
oder besser gesagt, zn motorischen und sensorischen Bahnen gehörige
Neoronbrillen durch echte Netze im Neuropil miteinander in Verbindung
ständen, so wörde diese Tatsache an und für sich auch noch keineswegs
die Neuronlehre stflrzen. Denn dazu inößte erst zwingend bewiesen worden
sein, dab den Neurofibrillen die Funktion der Keizleitun^r wirklich zukommt.
Dieser Beweis steht, wie VVoli-k gezeigt hat. noch bis zum heutigen Tage
aus. Es gibt keine »nackten« Fibrillen, wie Apäthy. Bethe u. a, irrtüm-
licherweise angegeben haben. Held und Wolkf haben die durchgängige
Kontinuität des perifibriltären Protoplasmas allenthalben, in den Schnür-
ringen, dem Neuritenhalse. in den b^ndfOUen, da, wo der kontinuierliche
Übergang fremder Axone in das peri und intracoUuläre nervöse Netz bzw.
Terminalnetz und in einer Ganglienzelle erfolgt, nachgewiesen. So ist
die LKYDiG-NANSKNSche Hynioplasmatheorie morphologisch mindestens ebenso
gut, physiologisch zweifellos besser begründet, wie die Kibrillenlehre. Daran
vermag auch Bktmes geistvoll geschriebenes Buch nichts zu ändern. Um so
mehr, als sich Bkthe gerade in diesem Punkte mehrfach widerspricht. Ob-
gleich er sich mit ApAthys Lehre: »Der wesentliche spezifische Bestandteil
der Nerven und das Nervöse überhaupt sind die Neurofibrillen-^ vollkommen
identifiziert, sagt er an einer späteren Stelle : »Die Anwesenheit von
Fibrillensäure an den Fibrillen ist Bedingung der Nervenleltung. * Die
fibrilläre Herkunft der Fibrillensäure von den Fibrillen, etwa durch Abspal-
tung, darzutun, ist Bethe unserer Meinung nach nicht gelungen. Und auch
dann noch hätten Bethes Experimente, auf die im einzelnen hier einzugehen
der Raum fehlt, kaum beweisende Kraft. Denn seine primäre Färbung, so
scharfsinnig er auch seine Schlüsse aus ihrem Ausfall bei mannigfach ver-
änderten Versuchsbedingungen abzuleiten weiß, ist und bleibt nur eine
Färbung, wird aber in keiner Weise zu einer mikrochemischen Reaktion
von solcher Empfindlichkeit und Eindeutigkeit ausgestaltet, daß es gestattet
wäre zu sagen: Das, was sich bei verschiedenen funktionellen Zuständen im
Acbsenzylinder so oder so färbt, mu(i seinem ganzen Verhalten nach das
Substrat der nervßsen Leitung sein. Weder das färberische Verhalten der
Fibrillen, noch die von Bkthk entdeckte Tataachü , daß der Achsenzylinder
selbst dann ieitungsfähig bleibt, wenn man durch K'jmpression die Quer-
schnittsmenge der perifibrillären Substanz auf den sechshundertvierund-
fOnfzigsten Teil des normalen Quantums reduziert hat^ beweisen etwas für
die Fibrilleniheorie.
Sie beweisen nur, daß nach verschiedener experimenteller Vorbehand-
lung die Fibrillen oder ein an ihnen haftendes Etwas steh in charakteristi-
scher Weise primär tärbt. Daß ferner das Leitende oder wenigstens das,
was man aus verschiedenen morphologischen und physiologischen Gründen
mit großer Wahrscheinlichkeit als das Leitende ansehen kann, nämlich das
periribrilliire Neuroplasma, eine starke Kompression verträgt, ohne merklich
an Funktionsfähigkeit zu verlieren. Das kann Bkthe beweisen, mehr
aber vorläufig nichtl* Es ist also vorläufig alles, was auf Grund
"^ Das Gleit'liß gilt von den BFTnicschfn De- and K«'gcDeratiuDi«vt;rituchtiD, aul die htur
nicht nfther elDge(j;»n£f'n zu werden brauulit. Sie zeigen, lalU ifarp vun Mani-lieu aiiffezweüültea
Krgebni«»« ricbtit; Bind, nur, daü das k>.'rnloie Nearopla^nia elKientUuilich poUrieiert and
Bblbständiger, eine Zeitlang wenigsteos, ist» als wir bisher gedacht haben.
442
Nerv, Neuron.
von Fibrillenbildern ^egen die Neuronlehre ins Feld s^eführt
worden ist, belanglos für die wirkliche Neuronfrajr©-* Sollten aber
die Fibrillen jemals als reizicitende Elemente erkannt werden, so mOßlen.
um die Neuronlehre in ihrer histolojcischen Bedeutung zu stfirzen, die Ad-
ß:aben ArAiuvs, Bethes und Prentiss', betreffend den zellulär unabhängigen
Verlauf der Neurnfibrillen. hestÜtifft werden, was sie bis heute noch nicht
Bind Und dann bliebe immer noch, ohne dem Begriffe Zwang anzutun.die
Neuronlehre histogenetisch zu Hecht bestehen.
Die Stammeägeschtchte spricht unzweifelhaft für die histog:enetische
Göltigkeit der Neuronlehre. Wolff kommt in seiner Arbeit über das Ner-
vensystem der po]ypoiden Hydrozoa und Syphozoa zu dem Ergebnis, dat
jene mit zu den ältesten Metazoen gehörenden Stämme in beiden Keim-
blättern ein Nervensystem besitzen, das aus intraepithelia! gelagerten
Sinneszellen besteht und aus Nervenzellen, die ontogenetisch wie phylo-
genetisch in die tiefere, basiepithetiale Lage gorQckt sind.
Die Kiemente dieses Nervensystems sind primär untereinander und
mit den anderen Gewebselementen durch die ÜEGEXUAiRSchen Interzellular-
Htrukturen verbunden, stehen aber physiologisch Infolge mehr oder weniger
ausgebildeter Bahnung wenigstens zum großen Teil mit bestimmten End*
Organen re^i- deren Elementen in Konnex und veranlassen deren spezifische
Reaktionen. Ontogenetisch wie phylogenetisch sind die ihrer Lagerang nach
älteren Sinneszellen und die aus dem gleichen Oriinde eine jüngere Diffe-
renzierung darstellerden Nervenzellen aU aus indifferenten Zellen der beiden
primSren KcimhiiUtcr entstanden aufzufassen. Die bi- und multipolare Form
der Nervenzellen mit ihren langen Ausläufern sowie ihre basale Lagerung
ist das Resultat veränderter Druck- und Zugverhiiltnlsse, die durch die
frühzeitige Sistierung der V^ermehrungsfähigkeit der interzellular verbundenen
Nervenelemente bedingt werden. Wolff gibt, wie neuerdings auch Br.\1'9
und ebenso Bkodmann (nach mündlicher Mitteilung) und viele andere den
bisherigen starren Zellbegriff auf. Kr sieht als Zellen im energetischen
Sinne von Sachs um physiologische Zentren (Kern) sich gruppierende Plasma-
bezirke innerhalb eines sonst einheitlichen Plasmaleibes (Syncytium) an und
erkennt daher in den Elementen des Nervensystems der Hydroidpolypen
echte Neurone, die den Neuronen der V'ertebraten vollkommen homolog sind
als zellulare Einheiten im Sinne Vekwükxs und. wie gesagt, auch Wal-
DEVBR8. Anfänge primitiver, ringförmiger, den Urmund umgebender Dod
darum hehr wohl dem Medullarrohr der Vertebraten homologiaierbarer Zen-
tralisationen lassen nach Wolff deutlich die genetischen Beziehungen des
peripheren zum zentralen Nervensystem, und zwar den komplizierteren zen-
tralen Befund mit seiner besonderen Ausläuferdifferenzierung (Neuriten und
Dentriten) als eine höhere Entwicklungsstufe der monotonen Verhältnisse
an der Peripherie erkennen, der notwendig und physiologisch nachweisbar
lange Leitungswege fehlen.
Wir mochten es als sehr wahrscbeintich bezeichnen, daß, wie Oskar
ScHULT/.K meint, die im letzten Grunde molekulare Differenzierung, die den
interzellular- präformierten Nerven funktionsfähig und wohl für unsere
empfindlichen histologischen Methoden in elektivem Sinne zugänglich macht,
zent ri fugal fortschreit et. So würde wen igsten s der durch d ie allzu vor-
wiegende Beachtung von Golgihlldern von Ramun y Cajal. Hrs, LRNHi'igSßK,
Ri-;t/.]ij» und vielen anderen in die Neuronlehre getragene Irrtum (das Aus-
wachsen der Nerven vom Zentrum zur Peripherie) eine ungezwungene Er-
klärung finden. Bestimmte Beobachtungen darüber stehen noch aus, unmög-
lich ist es aber nicht.
Jedenfalls sind die interzellularen Verbindungen, darin hat Oskar
ScHULT/E zweifellos recht, da, wir haben zu keiner Zeit der embryonalen
Nerv, Neuron. ^^^r^ ^^g
und poBtembryonalen Entwicklung von einer Verbindung der nervösen
Kleiuente per conli{B:uitatem uns flberzeugfen können, uns ist stets nur ein
denkbar kontinuierlicher Zusammenhanjr zu Gesicht gekommen. Die ADfi;aben
Ramiin' y Ca.ials und Lexhösskkm. auf Grund von Präparaten nach der neu-
esten Ram')X y CAjALschen FibriUenmethode gemacht, sind direkt falsch, wie
Held und Wolff anabhänf2:ig: voneinander und fast gleichzeitig: nachgewiesen
haben. Die Kontinuität von Neuroplasma und Fibrille ist ein
Faktum.
Dajpef^en hat Oskar Sphultzb ebenso wenif? wie seine Vorgäng:er eine
genetische Beziehung zwischen ScHWANxschen Zellen und Axonen rosp.
AxonfibriUen beweisen können. Vielmehr ist es Hakrison fi^elungen, durch
Exstirpation der Scheidenanlage experimentell die Unabhängigkeit des Acbsen-
aylinder-'Wachstums« darzutun.
Daß den ScHWANNschen Zellen ein gewisser sekundärer, etwa trophi-
scher Einfluß auf die Nervenentwicklung zukommen könnte, wie auch Braus
anzunehmen geneigt ist. können wir nicht absolut nach dem augenblicklich
Bekannten in Abrede stellen. Es wörde damit ein weiterer Irrtum der
Neurongegner eine für beide Teile befriedigende Erklärung finden.
Die BHAUHsche Arbeit verdient Oberhaupt in mehr als einer Hinsicht
besondere Beachtung. Was die htstolopsche Technik wahrscheinlich niemals
wird leisten können, nämlich früheste Stadien der neurogenetischea Prozesse
nach der uns interessierenden Richtung hin mit greifbarer Deutlichkeit dar-
zustellen, das erreicht Brats in höchst origineller Weise durch seine ent-
wlcklungsgeschichtlich-exporimentelle Methode.
Für uns liegt in den RRArsschen Experimenten und Deduktionen der
exakte Beweis für die Richtigkeit der GEGKXBAfRschen Interzellularbrücken-
theorie, der wir uns von vornherein angeschlossen hatten^ teils aus theo-
retiscbeB Gründen, teils auf Grund von Beobachtungen an nieileron Everte-
braten. Die von Braus festgestellte Tatsache, daß in der überzählig
regenerierten Extremität (d. b, des Parasiten) die Nervenbildung ausbleibt,
ist mit den Theorien von His und Balkcivr unvereinbar. In dieser Beziehung
kommt Bral'.s zu folgendem wichtigen« ja, wie gesagt, entscheidenden Er-
gebnis. In implantierten Gliedmaßen (Bombinator-Larven) werden autochthon,
nicht durch Auswachsen, Nerven gebildet. Denn die Nerven des Parasiten
haben (etwa 3 Wochen nach der Inokulation) ein größeres Kalibor als die
benachbarten Nerven des Autositen, mit denen sie in Verbindung stehen.
Daraus würde sich scheinbar eine gewisse Unabhäagit^keit der peripheren
Nervenstücke im Sinne Balfoirs, Beakijs, Do»(rns, 0. Schlltzes u. a. er-
geben. Diese ist aber nur eine scheinbare. Denn, wie Harrisox gezeigt bat,
geht die periphere Entwicklung nicht von ScHWANN'schen Zellen aus Sie
bleibt außerdem ganzlich aus im vom Autositen superregenerierten Appendix,
dem doch das gleiche Zellenmaterial zu Gebote steht, während sie bei nicht ex-
perimentell erzeugten (oder mindestens dabei in loco verbliebenen) Polymelien
in beiden Extremitäten eintritt Hieraus ergibt sich, daß &^ nicht gleichgültig
ist, ob das einen Appendix produzierende Glied in loco bleibt oder nicht. Das
einfach bleibende Glied erhält auch nach erfolgter Transplantation stets ein
Nervengewebe, Daß nun die Hegeneralion in der Tat von den Nervenzellen
des Zentralnervensystems, nicht von peripheren Gebilden in letzter Instanz
abhSngt, hat Brals folgendermaß'^n bewiesen. Nach Resektion des Rücken-
markes von Bombinatorlarven, dte noch keine periphere nervöse Differen-
zierung erkennen ließen, kam es wohl zur Regeneration eines neuen RQcken-
Diarkea, dagegen blieb die Entwicklung von Spinalganglien und peripheren
Nerven vollkommen aus. Was ist es nun, was die aneurogenen Doppel-
bildungen in gleicher Weise wie die aneurogenen Larven charakterisiert':'
In beiden Fallen treten durch Inokulation resp. durch Regeneration fremde
1
n
4^4
Nerv. Neuron. — Neuronal.
periphere Gewebe in Beziehung^ zu fremden zentralen Geweben, derart, daü
beide in keinerlei primärer intrazellulärer Verbind untr gestanden haben
(zwischen Nervenzelle und Muskolzelle z. B.). Denn zur Zeit der Inokulation
hat noch kein Adnexblasteni, zur Zeit der LarvenkÖrperbilduog noch nicht
das »spätere« regenerierte Rückenmark, das erst durch den experimentellen
resektorischen Eiiig:riff g:eboren ist, bestanden. »Blasteme, welche niemals
In normaler Verbindung mit den ihnen zugehöng-en Teilen des Zentral-
nervensystems gestanden haben, sind bei Bombinatorlarven nicht imstande,
Nerven autogen zu produzieren.« Also: nur nervüs infiltrierte Protoplasma-
brQcken können zur Grundlage peripherer Nervenentwicklung werden.
Derartige Zusammenhange sind von Wolfk (190.H) und Schaici'PI (1904)
bei Cnidariern beschrieben und In ihrer phylogenetischen und histogenetischen
Bedeutuni^ ^^-ewürdigt würden, ebeneo von Kerr (llt04j bei Lepidosira
paradoxa.
So ist die Nenronlehre unerschütterlich basiert, nicht die
Neoronlehre von Ram<')N y Cajal, Lenh<'>spkk, Retzius u. a.. sondern die auf
die Zellenlehre gegründete Fassung WALUEVKua. Das Antlitz der Zellenlehre
hat sich nicht unwesentlich verÄndert. Die Schwenkung zum Syncytialbegriff
mitsamt dem präziseren V^ortreten des energetischen Faktors hat die Neuron-
lehre milmachcn müssen und können, da ihr Schöpfer sie nicht, wie viele
ihrer V'erteidiger, auf den Kontaktbegrilf und auf den ulten Zelibegriff Ober-
haupt eingeengt liatte. Ekthii: glaubte durch das Experiment die Nervenzelle
entthronen zu können. Das war ein großer Irrtum. Was wir rein histologisch
niemals mit absoluter Sicherheit zu erschließen vermocht hätten, ist Braus
gerade durch das Experiment geglückt: der Nachweis, daß das Neuron,
d. i. ein spezilisch nervöser Plasmabezirk, die conditio sine qua non für die
gesamte Neurogenese in allen ihren Teilen ist.
So Ifißt sich der augenblickliche Stand der Neoronlehre am besten zu-
sammenfassend charakterisieren mit don Worten GhUiKXBArRs:
»Das Empfindungsvermögen des indifferenten Protoplasmas bildet den
Ausgangspunkt jener Sonderung, die bei den Protozoen noch indifferent ist,
indem alles Protoplasma des Körpers in |eder Hinsicht sich gleich verhält.
Bei den Metazoen sind Forinelemente der Sitz der Empfindung. Aus einem
Teil derselben gehen unter einer anzunehmenden Potenzierung jener Funk-
tion Nervenzellen hervor, deren der Interzellutarstruktur entstammende
Fortsätze zu NervenfibrIUen oder summiert zu Nervenfasern sich ausbilden.«
Literatur bin Sornmer 19U5 ÜDilct sich tiiigiehf^nd berOck&ichtij^t nnd zitiert in:
A. ÜKTBK, Allf^fuieine Anatomie nml Piiysiologie de» NiTvensystem». Leipzig: 1903. — M.
BiEucRnw8Er , Die liistolojjiHche Seite der Nturonlehre. Joani. f. Pttyeh. o. Nearol.. 19Uä. —
H. Biuuft, Experiinentrlle Ikiträgf^ zur Frage nach der Entivicklnng peripherer Nerven.
Annt. Anz.. 11)05, XXVI. — A. KOllikeb. l'ber die H^nfwieklimg der NrrvenlaÄem. Anat. Ana.,
XXV. Erg.-H. 1904- — O. Sriim-TfE, f'lier die Entwicklnng des ppripheren Nervensystem«.
Ebenda. — M. Woifv, Zar Ktnotnla der HcLDBohen .Verven endlÜUe. Jonrn, f. P«ych. u. Nearol.«
1905, IV. Aar/ r. ßarticicbcn (Jenai nod Max Wo/ff iJena).
Nearitl«$ (bulbäre), a. Bulbärparalysen, pag. 125.
I
I
Pfeuronal. Neuronal ist dos ßromdiAthvlazetamid
C,Hj— C— CONH,,
an,/
welches sich bei einer Reihenuntersuchung: von Q, FrcHS und E. Schultze*)
als schlafmachend erwies; es ist ein weißes, kristallinisches Pulver, schmilzt
bei 66 — 67", löst sich leiclit in Alkohol, Äther, Benzol und Ölen, schwerer
in Wasser und hat einen bitteren, etwas kühlenden Qeschmack. Es rief nach
den Bertchten von SricuKm -), Bi.KinTRKi? *), Rasj^ hkow *), Weiffkn-bach *),
Neuronal. — Nitroglyzerin.
445
I
I
Stroux fl), Schulze") und Eixer*) in Dosen von 0*5 — 2*0 Schlaf von 5 bis
G Stunden hervor, und zwar bei essentieller Schlaflosig'keit sowohl wie bei
Aufre^ung:szustfinden, so daß dem neuen Mittel auch ein sedativer Einfluli
zukommt. Werfen dos hohen Bromgehaltos (JrVo) wurde es auch vielfach
in der Behandlung dor Epilepsie anf^owandt, im allgemeinen wird man hier
mit der Dose höher gehen müssen. Die Erfolgte bei Epilepsie waren recht
b«friedie:end. In einzelnen Fällen freilich lieü es im Stich. Ebenso versajfte
es als Schlafmittel ab und zu. Mit der Zeit scheint Gewöhnung" an das
Medikament einzutreten. Von Nebenerscheinungen werden Erbrechen, Durch-
fall erwähnt, auch Hauschzustfinde, taumelnder Qan^ (Ein.EK^).
Literatur: *> O. Fulus und E. Scurut«, Münchener med. Wochenschr., 1904, Nr. 25.
— «) SiKBKKT, Psycliiat.-iKiurolog. Woclienschr., 1904, Nr. 10. — ",) U Bliibteku, Erlahrnogen
Ober die Anwendung de« Neuronal. Mönchener med, Wocbeusfhr , I')05f Nr. 15, pag. 70,^. —
•) Kabcbkow, Neuronal, ein neue» Schlafmittel. Wiener kliii. UandBchan . Nr. 16, zit. nach
Deutsche raed. Wochen^chr.. 1903, Nr. 19, pag. 763- — *> Wkiffenbach, Zentrslhl. f. Nnrven-
heUk. nnd Psychiatrie, liK)5. Nr. 182. zit. nach Die Tbi'rapie der Gegenwart, MUrz 1905,
pag. 136. — *) H. ftTRonx, Neuronal. Deutsche med. Wochensuhr., \%iA, Nr. 41, pag. 1497. —
') K. ScstTLfE, Über Neuronal. Die Therapie der Gi^genwart, Jannar 1905, pag. 14. — •) Culbb,
Einige Erfahrangen mit Nenrooal. Therap. Honatah., April 1905, pag. 163. jE". Frey.
Nitroglyzerin. Auf Grund von Tierversuchen kommt BinzM zu
dem Schlüsse, daß die Giftigkeit des Nitroglyzerins stark uborschätzt wird.
Der Grund der Mißerfolge des Nitroglyzerins am Krankenbette war die
ungeei^ete feste Form der Anwendung. Bikz wies nach, daÜ die käuflichen
Nitroj^lyzerlnpastillen entweder p:ar kein Nitroglyzerin oder doch erheblich
weniger enthalten, als sie sollen. Dagegen ist Nitroglyzerin in alkoholischer
Lösung gut haltbar, wenn sie dunkel aufbewahrt wird. Eine etwaige Zer-
setzung erkennt man bei der Prüfung mit blauem Lackmuspapier. Als Ver-
ordnungsform schlägt Bixz vor: Rp. Nitroglycerin! 0'5, Alkohol absoluti 12*0,
Solve. D. in vitro patent, fusco. S. Täglich ein Tropfen auf Zucker zu nehmen.
Jeder Tropfen onthiUt 1 mg; wem dies zu hoch erscheint, der verschreibe
0"2 auf ll*-8, dann enthält der Tropfen \ i mg.
Da Nitroglyzerin die Spannung der QefätSwändo herabsetzt, hS.lt es
Elvy -) in allen Fällen von abnormer Spannung des Pulses fOr angezeigt,
ebenso bei beginnender Altersgangrän und lokaler Kongestion.
Literatur: 'j Hinz, Zur tbernpeutischin Anwendung den Nitroglyzerins. Die Therapie
der Gegenwart. Februar 1905. pag. 49. — "j Elvi-, Bedeutung des Nitroglyzerins, Brit. med.
Joam., Nr. 2297, zit. nach Deutsche med. Woobeoscbr.» 19Ü&, Nr. 3, pag. 114. E. Frey
o
I
Otirlabyrintli (Physiologie und Patholoj^ie desaelbea). D&s häutige
Ohrlabyrinth, als Träger der physiologischen Funktionen, ist umgeben von
dem knöchernen und setzt sich zunammen nun den im Vorhofe gele§^enen
beiden Säckchen ^ dem Sacculus und Utriculus, den Botengängen und der
Ochrtrschnecke. Indem wir die feineren anatomischen und hiätologiscben Ver-
bäitnisse des Ohrlabyrintlis, die teinere Struktur der einzelnen Teile als be-
kannt voraussetzen, wollen wir nur anlübren, dab innerhalb des häutig:ea
Labyrinths und zwischen diesem und dem knöchernen eine Flüssigkeit, die
Endolymphe und Perilymphe^ sich befindet, welche unter einem bestimmten
Drucke steht, dessen Huhe abhilngig ist vom intrakraniellen Drucke und
dem Blutdrücke, so daß die etwaigen Veränderungen der letzteren einen
gleichen auf den erstoren au»Uben können. An vier Stellen sind die sonst
starren Labyrinthwände als nachgiebig zu betrachten, und zwar an den beiden
Fenstern f der Fenestra ovalis und rotunda , und an der Schnecken- and
Vorhofswasserleitung, den Aquaeductus Cochleae und vestibuli und dienen
diese Vorrichtungen augensctieinlich zur Regulierung des iotralabyrintbärea
Druckes, wobei die, wenn auch kleinen Muskeln, Musculus tensor lympani
und stapedius unterstützend mitwirken. Der Gehörnerv, welcher In einen
Ramus anterior s. superior und in einen Ramus posterior s. inferior zerf&Ut.
hat beim Menschen und bei den Säugetieren t> Nervenendstellen, und zwar
eine in der ganzen Ausdehnung der Schnecke am Courischen Organ, '2 an
der Macula sacculi und utricalt und H an den H Ampullen der Bogeng^änge,
den Cristae ampullares.
Sind die histologischen Strukturverbällnisse des CoRTischen Organs,
die Nervenendapparate desselben, ganz und gar verschieden von denen der
Maculae sacculi und utriculi und derCristae, wie die bisherigen Untersuchungen
ergeben haben, so ist es auch leicht verständlich, warum den 3 Nervenend-
Btellon schon vom theoretischen Standpunkte aus und teleologisch eine \'er-
schledenheit der Funktionen zuerteilt wird. Dieselben klarzulegen durch
vivisektürEScbe Forschungen un Tieren , durch vergleichend - anatomische
UntersuchuDgeUf durch pathologisch-anatomische Befunde, im Anschluß, zum
Teil, an genaue klinische Beobachtungen, ist seit langer Zeit bereits ver-
sucht worden ; es wQrde weitaus den Rahmen dieser Umschau überschreiten,
wollte ich auch nur einigermaUen genau die Literatur und die hier in Betracht
kommenden Autoren namentlich anführen. Unsere Kenntnisse lassen indes
noch manches zu wßnschen übrig und es bleibt der zukünftigen Forschung
noch ein weiter Raum der Betätigung Ohng, allerdings auf dornenvollem
Wege, da die Ausbeute der letzten Jahre keine sehr ergiebige war.
447
Im allgemeinen werden unsere Anschauungen fiber die physiologischen
Funktionen des Ohrlubyrinttis derart zur Geltung gebracht, daß nach der
Ansicht der größeren Mehrzahl der Physiologen dasselbe ein Sinnesorgan
darstellt, welches '2 verscbiedenou Funktionen zu dienen hat, und zwar dem
Hörakt und der Erhaltung des Körpergleichgewichtos. Die OehÖrschnecke,
von der noch G. H. U'rbkr ^) glaubte, daü sie dazu diene, die Schallwellen
aus den Kopfknochen aufzunehmen, der am höchsten stehende Teil des
ganzen Labyrinths, wie dies auch durch das späte Auftreten derselben in
der Tierreihe bestätigt wird, in der die Nerven mit fast mathematischer Ge-
setzmäßigkeit zu einer IHmni langen Nervenplatte ausgebreitet sind (KOl-
LiKER'). ist das Organ, bestimmt und geeignet zur Aufnahme der Töne und
Geräusche, während die anderen Nervenendstellen vorwiegend statischen
Funktionen dienen, l'ber das >Wie< herrschen allerdings noch heute die
verschiedensten Ansichten , welche von den verschiedenen Autoren , von
Goltz') 1870 angefangen bis auf den heutigen Tag mit großer Schärfe des
Geistes und den schwerwiegendsten Gründen vertreten und verteidigt werden.
Besonders erwähnenswert ist die seit einigen Jahren von Kwalo^) begründete
Lehre von dem Tonuslabyrinth. Nach Kwald sind der Tonus der Muskulatur
und die feineren Bewegungen derselben vom Labyrinth abhängig. W(>boi das
Labyrinth auf die willkürlichen Muskeln des Körpers einwirkt und besonders
auf die Muskulatur der gegenQberliegenden äeite und hier besonders auf
die Muskeln, welche den Kopf und die Wirbelsäule bewegen. Und auch jetzt
scheint allmählich die statische Funktion des Labyrinths dahin ihre Deutung
zu finden, daß diese Nervenendstellen bedeutungsvolle reflektorische Funk-
tionen flbernehnien. welche uns unbewulit stets zugute kommen und zur
Erhaltung des Gleichgewichtes und zur Orientierung im Räume dienen und
nur in Störungen der nornialen Funktion uns erkennbar werden, und zwar
in Form des Schwindels.
Dieser dualistischon Auffassung widerspricht noch heute von den Phy-
siologen besonders Hessen t*), welcher trotz aller vorgeführten Tatsachen
den Standpunkt vertritt, daß alle Nervenendstellen im Ohrlabyrinth wesent-
lich oder vielleicht auch ausscfalieBUcb der Gehörfunktion und nur dieser
dienen. Ich ") selbst habe lange Jahre hindurch auf Grund experimenteller
Forschung und klinischer Beobachtungen den gleichen Standpunkt vertreten
wie Hknskn; ich habe indes zugunsten der oben angeführten Ansicht be-
züglich der reflektorischen {akustischen) Tätigkeit des Qbrigen Ohrlabyrinths
meine Anschauung ändern zu müssen geglaubt, so daÜ ich demnach in dem
Ohrlabyrinth nicht einen neuen sechsten Sinn, ein Gleichgewichtsorgan im
Sinne Goltzs sehe, sondern der Meinung bin, daß durch Vermittlung der
hier befindlichen Nervenendapparate auf reflektorischem Woge unsere Gleich-
gewichtslage unbewußt reguliert wird, sei es durch Einwirkung auf andere
Sinnesorgane oder auf die Muskeln. Wie die verschiedenen Autoren die
physiologischen Vorgänge sich zurecht legen, werde ich im folgenden dar-
zustellen versuchen.
Die hier in Frage stehenden physiütuglschen Experimente beziehen sich
auf alle Abschnitte de» Ohrlabyrinths, auf die Organe des Vorhofs, auf die
Bogengänge und die Gehurschnecke.
Die ersteren Organe lassen sich bei höheren Tieren und Säugetieren
experimentell nicht erreichen, sind aber bei niederen Wirbeltieren dem Ex-
periment zugänglich. Bei diesen und namentlich bei den Knochenfischen
fehlt die Schnecke der höheren Wirbeltiere. Dafür besitzen dieselben neben
dem Bogengangapparat mit den Ampullenleisten l\ Nervenendstellen mit
Otolithen, welche von wechselnder Größe sind, aus kohlensaurem Kalk be-
stehen und große Steine darstellen. Die experimentelle Untersuchung er-
gibt bei Wirbellosen und Fischen, denen die Otolithen beiderseits exstirpiert
448
Ohrlabyrinth.
I
sind, eine abnorme Lage auf der Bauchseite and ihre Rewegung^en haben
gegenüber der Norm eine derartige Veränderung erfahren, als ob sie Aber
ihre Lage nicht orientiert seien. Bei KrebHen ergibt die Entfernung der
Otolithen mit und ohne gleichzeitige Zerstörung der Otocysten eine dauernde
Störung in der Lage, so dali Bheukr"), Mach-| u.a. die Ansicht vertreten,
daß die Otolrthenapparate die Empfindung bei Progressivbewegungen ver-
mitteln können. Breikr versuchte diese Ansicht durch anatomische Unter-
suchungen noch besonders zu begrOnden. Er fand . daß bei Fischen und
Vögeln die drei Otolithenapparate in drei aufeinander senkrechten Richtungea
zueinander stehen, und zwar in denselben, in denen auch die Bogengang«
gelagert sind, und daß sie entsprechend ihrer Lage bei Bewegungen dee
Kopfes mit der an ihrer Unterseite gelegenen Furche hin und her gleiten
können, und zwar so, daß der Otolith des Utriculus in horizontaler Ebene,
jener des Sacculus in der Längsrichtung und jener in der Lagena in der
Vertikalrichtung des Kopfes hin und her gleiten kann. Auch beim Menschen
und den Säugetieren würden nach den Untersuchungen von Breuer, da die
beiden Maculae vollkommen senkrecht aufeinander sieben, aufeinander senk-
rechte Gleitrichtungen <ler Otolithenplatten sich ergeben. Aul diese Weise
wQrde nach der Vorstellung von Bhk^jer bei jeder Kopfstellung, da die Oto-
lithenapparate in drei aufeinander senkrechten Verschiobuns:srichtungen sieb
bewegen können, eine andere Art der Erregung zustande kommen.
Was nun die Bogengänge anlangt, so sind dieselben der direkten
experimentellen Untersuchung zugänglich. Die ersten Untersuchungen stellt«
bekanntlich Floirkxs ^) 18 id an^ indem er die Bogengänge bei Tauben
durchschnitt, wobei er die Beobachtung machte, daß nach Durchschneidung
der horizontalen Bogengänge pendelartigo Bewegungen des Kopfes in hori-
zontaler Richtung eintreten, Bewegungen, welche so stark auftreten^ daß
das Tier völlig das Gleichgewicht verliert und in seinen normalen Be-
wegungen gehemmt ist, nach Durchschneidung der vertikalen Bogengänge
Pendelungen des Kopfes in vertikaler Ebene auftreten und daß auch hierbei
das Gleichgewicht der Tiere verloren geht. Entfernt man beide Labyrinthe.
so zeigen die Tiere, nachdem sie vorher Bewegungsstörungen gezeigt hatten.
nach einigen Monaten noch eine mangelhafte Muskolkoordination bei Be-
wegungen, wobei die Muskeln eine gewisse Erschlalfung erkennen lasaeo,
bei der Nahrungsaufnahme der Kopf in abnorme Lage gerät und Versache
zum Fliegen nicht gemacht werden. Dieselben Versuche wurden in großer
Anzahl von anderen Forschern wiederholt, im wesentlichen mit denselben
Beobachtungsresultaten, und Goltz konstruierte aus denselben für die Bogen-
gänge den sechsten Sinn, den sogenannten statischen Sinn, welcher trotz
des W^iderspruches von Hexsen u. a. von der Mehrzahl der Physiologen auch
angenommen ist. Unterstützend kamen hinzu die vielfachen Untersuchungen
von Cyon "*), Cku.m-Brown, 13reier u. a., welche auf Grund der nach Reizung
und Pjxstirpation der Bogengangaapparate auftretenden Erscheinungen, aller-
dings in verschiedener Auffassung, das Vestibulum als ein besonderes Sinnes-
organ fflr dio W^ahrnehmung der Bewegungen des Kopfes und d«r Lage
desselben im Räume betrachtet wissen wollen.
Inwieweit diese bei Tieren gemachten Beobachtungen fQr den Menschen
Verwertung finden können, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Gleich-
wertige Experimente sind am Menschen nicht ausführbar und es werden
deshalb pathologische Erfahrungen herangezogen werden müssen. Bei etwaigea
Operationen am Ohrlabyrinth zeigen sich allerdings Erscheinungen, welche
Ähnlichkeit haben mit den Versuchsresultaten nach Reizung der Bogen-
gänge hei Tieren, indem hei Verletzung der Bogongänge des Menschen und
bei Reizung des häufig kariös gefundenen hori/^untalen Bogenganges des
MouHchen (Jansen) Nystagmus und bei labyrinthären Eiterungen Schwindel-
Ohrlabyrinth. 449
ersoheinungen, Erbrechen auftreten. Diese F&lle bedQrfen allerdings, wie wir
später sehen werden^ in der Deutung gewisser Vorsicht , da )a die Aas-
dehnuDg des Prozesses und die Lokalisation desselben nicht ohne weiteres
feststeht und dieselbe Vorsicht ist am Platz, wenn man die Resultate der
Drehversuche an Taabstummen, welche vielfach angeführt werden, hier ver-
gleichsweise heranzieht, da auch bei den Taubstummen der Bogengangs-
apparat nnd das Vestibulum nicht zerstört zu sein braucht.
Auffallend ist allerdings, dalt nach den Untersuchungen von W. Jamks i^)
von 57*J untersuchten taubstummen Nfenschen 18t] durch Rotation nicht
schwindelig zu machen waren, bei Drehungen, nach welchen von 200 jungen
Leuten nur einer fichwindelfrei blieb, und doli bei 109 untersuchten Taubstummen
infolge von Rotation sich 55mal kein Nystagmus einstellte, während bei
50 in derselben Weise untersuchten gesunden Personen sich 4'Jmal zuckende
Augenbewegungen einstellten (Gad'-K so daß ein Zusammenhang mit den
Bogengängen nicht ganz von der Hand zu weisen ist.
Hält man damit die Tatsache zusammen, daß in anderen, scheinbar
gleichen Fällen von Labyrinthaffektionen beim Menschen aber andrerseits
alle Ersch<?inungen fehlen, so ergibt sich daraus eino gewisse Vorsicht des Ur-
teils, und wir sehen, daß auch einzelne Ohrenärzte, welche sich mit dieser Frage
beschäftigt haben, unter Zusammenfassung aller Momente die Bedeutung
dea Ohrlabyrintbs für die Statik nicht als gesichert hinstellen (Bhuck''),
Passow), aber auch das Tonuslabyrinth im Sinne von Ew.vi.i» nicht als be-
wiesen bezeichnen (Passow '«). Hier werden weitere Beobachtungen und
namentlich mit sorgfältig ausgeführten Obduktionen noch erläuternd hinzu-
kommen müssen, wobei immerhin noch clie Unterscheidung zwischen etwaigen
vom Labyrinth ausgebenden Reizungs- und Lähmungs- rosp. Ausfallserschei-
nungen schwer erscheinen und deshalb der Auffassung des Autors mancher
Spielraum bleiben dürfte.
Ich komme nun zur Besprechung der Funktion der Gehörschnecke.
' Ea kann selbstredend nicht meine Absicht sein, hier die gesamte Hör-
tbeorie von v. Helmholtz "^) mit allen Feinheiten zu entwickeln; es würde
dies meine Aufgabe weit überschreiten ; es sollen hier nur die neueren
Kontroverspunkte ihre Erledigung finden, indem wir bezüglich der Physio-
logie auf die Lehrbücher verweisen. Bekanntlich war K. H. Wrukr der Mei-
nung, daß die Schnecke für das HSren durch die Ropfknochon diene und
später hat dann v. Hkluholtz in diesem Organ den Apparat für die Klang-
anaiyse angenommen. Nach dieser Theono belindim sich in der Schnecke
Organleile, welche auf einzelne Töne abgestimmt sind und nach dem Prinzipe
des Mitschwingens in Funktion treten. Die abgestimmten Organteile sind
die Saiten der Basilarmembran . welche die FZigentümlichkeit bat, daß sie
von der Schneckenbasis bis zur Schneckenspitze um mehr als das Zwölt-
fache an Breite zunimmt. Stellt man sich nun diese Membran als ein System
von gespannten Saiten vor, so werden jedesmal diejenigen Partien in Mit-
Schwingungen geraten, welche den zugeleiteten Tönen in ihrpn Rigentönen
entsprechen, und entsprechend dieser Broitenzunahme dürften demnach die
hohen Töne an der Schneckenbasis, die tiefen an der Schneckenspitze per-
zipiert werden.
Es würde also nach der v. HKLMHoLT/.schen Resonanztheorie verlangt
werden, daß die einzelnen Saiten isoliert mit nur einer Nervenendigung in
Verbindung stehen, deren Erregung auch ihrerseits wieder isoliert zum Ge-
hirn gelangt.
Obgleich in Versuchen an Hunden durch partielle Zerstörungen
der Gehörschnecke Tonlücken, vorübergehend und dauernd, erzeugt wur-
den, welche auf eine gewisse LokaÜsation der Tonempfindung in der Ge-
hörschnecke hindeuteten (B. Bagi.nsky ^t)) und Ewald *') und nbschon auch
I Eae/elop. J«brbftch«r. N. F. IV. (XtU.j ^
450
Ohrlabyrinth.
vereinzelte pathologische Erfahrungen zugunsten der v. HELMiiOLT/schen
Tontheorie zu sprechen schoinen, sind gpgen diese, wie es schien lealbe-
grOudete Theorie Kinwändü erhoben worden, und bei genauer PrOfung der-
selben läßt sich nicht leugnen, daß viele derselben nicht unberechtigt sind.
Ganz abgesehen davon, daß es dem Verständnisse fern bleibt, wie die korzen
Saiten der Membrana basilaris in der Länge von 0*04 bis höchstens 0*5 mm
resonatorisch in der endolymphatischen FlOssigkeit fungieren sollen, sind
es namentlich anatomische Bedenken, welche den Zweiflern zugute kommen.
Es wird, wie bereits bemerkt, nach der v. HEi.MHin.T/schen Theorie eine
isolierte Leitung verlangt, so daß jede mitschwingende Saite nur mit einer
Nervenendigung in Verbindung stehe. Die neueren anatomischen und hislo-
logischon Untersuchungen unterstützen indes diese Forderung nicht, da sieb
herausgestellt hat, daß die von den Ganglienzellen des Ganglion spirale aus-
tretenden Nervenfasern stets mehrere Haarzellen in den verschiedensten
Windungen versorgen.
Physiologisch betrachtet, würde demnach jede Gangllenzelle des Gan-
glion Spirale aus verschiedenen Teilen der Gehörschnecke ihre Erregung er-
halten können und man müßte sich vorstellen, daß bei joder Schallempfindong
der ganze Apparat der Schnecke in Tätigkeit tritt und daß jede Ganglien-
2elle in ihrer Erregung verschiedenen Funktionen dient, so daß je nach der
Art der Erregung durch Tonhöhe, Tonstärke und Klangfarbe die Erregungen
verschieden sind und auch die verschiedenen EmpÜndungen vermitteln. Un-
klar bleibt hierbei immerhin noch, wie die Verschiedenheit der Erregung
erklärt werden soll und namentlich in welcher Weise sich physikalisch die
hier in Betracht kommenden feineren Teile des CoRTischen Organs beteiligen.
Hasse und neuerdings v. Ebner ^^) betrachten die CoRrische Haut als direkten
Erreger.
Die Membrana Corti würde nach den VorslellungeD dieser Autoren
die f^ewegungen der Endolymphe mitmachen, und zwar am freien Rande,
wo die Membran beweglich ist, am größten und um so ausgiebiger, je breiter
die Membran ist. Am breitesten ist sie an der Schneckenspitze. Infolge
ihrer Bewegung würden die Haarzellen an ihren Haaren gereizt und da-
durch erregt werden ; naturgemäß würden die inneren Haarzellen und die
ilußeren Haarzellen anders erregt werden. Unter dieser Annahme wurde
die Raailarmembran, welche von Hknskn und vielen andern als die eigent-
liche schwingende Membran betrachtet wird, vielleicht zur Unterstützung
der Funktion der Coinischen Membran dienen können« welche letztere be-
kanntlich von Hknskn als Dämpfungdapparat für die Schwingungen der
Basilarmembran aufgefaßt wird. Die Verhältnisse sind, wie man sieht, außer-
ordentlich kompliziert und v. Eiknkk ist besonders deshalb geneigt, der Cokti*
-sehen Mefiibran vom anatomischen Standpunkte aus besonders physiologischf^
Funktionen zu vindizieren, weil diese Membran sich zunächst früh entwickelt
und namentlich auch bei Vögeln und Reptilien gut ausgebildet ist.
Inwieweit die gegen die v. HELMHOLrzscho Resonatorentheorio erhobenen
Einwände für die Dauer ihre Berechtigung werden behalten können und
die für dieselbe neu eingeführten Theorien (Ewalds Schallbildertheorie.
L. Herkmanns 10) Zählzellentheorie u.a. von Ebbixghals ") und Gray, von
VoLTOLiNi 31), M. Mkykr --) und Rutherkord) sich werden einführen , läßt
sich vorerst noch nicht übersehen; Stumpf, L. Herrmaxn, K. L. Schäper haben
sich bemüht, die gegen v. Hklmholt/' Theorie vorgebrachten Widerlegungen
in ein richtiges Licht zu .stellen zugunsten v He[.mhoi,tz\
Gehen wir nun nach diesen physiologischen Auseinandersetzangen Über zur
Pathologie des Ohrlabyrinths^ so werden wir auch hier auf viele und große
Schwierigkeiten in der Diagnostik stoßen, zumal entsprechend unseren physio-
logischen unsicheren Kenntnissen die PrQfuugs- und Untersuchungsoiethoden
Ohrlabyrinth.
451
■
■
■
nicht zuverlässige Resultate geben, weder mit Bezag auf die Erkennung der
labyrinthären Erkrankungen als solche, noch auf die Differenzierung dieser
Erkrankungen gegenOber den Erkrankungen der Gehörnerven und der Zentral-
or^ane und der Schalleitungsapparate, und die Schwierigkeiten sind be-
flonders deshalb so groß, weil viele Erkrankungen des Labyrinths nicht
isoliert auftreten, sondern induziert worden durch SchalEcitungs- und Zeutral-
erkrankungen, so daß also eine Trennong schon infolge des Verlaufs ihre
Schwierigkeiten bat.
Nichtsdestoweniger werden wir diejenigen Untersuchungsmethc^den zu
verwerten suchen, welche sich an der Hand der physiologischen, pathologisch-
anatomischen und klinischen Erfahrungen als beweiskräftig oder mindestens
als einigermaßen zuverlässig erweisen und erwiesen haben.
In erster Linie werden wir die Anamnese in Betracht zu ziehen und
zu berücksichtigen haben, welche Momente Veranlassung gegeben hüben zu
den etwaigen vorliegenden Störungen, ob irgend eine Verletzung, sei es
des Ohret*! oder des Kopfes oder irgend eine bekannte autlere Ursache
(Lues, Chinin oder Salizylsäure, Leukämie), in Mitbetracht kommt und nament-
lich auch, unter welchen Ptedingungen bezüglich des zeitlichen Verlaufes die
Alterationen des Geh5ra eingetreten sind. Von Bedeutung ist das Auftreten
von Schwerhörigkeit ein- oder doppelseitig zugleich mit subjektiven Geh5rs-
empfindnngen, Schwindel und Nystagmus. Dazu gesellen sich gewisse sub-
iektive Beschwerden, welche, wenn auch nicht strikt pathognomonisch für
Labyrinthaffektionen ^ da die näml]ch*>n Erscheinungen auch bei Schall-
leitungserkrankungen vorkommen können — , im Verein mit den angeführton
anamnestischen Daten einen gewissen Wert für die Diagnose der Labyrinth-
affektion erlangen können. Kopfschmerzen^ Belegtsein der Ohren, Hyper-
aesthesia acustica.
Von obiektiven Hilfsmitteln und Untersuchungsmethoden, welche hier
in Betracht kommen, gibt es gewisse, welche wir für die Diagnose verwerten
können, und wir unterscheiden einigermaßen sichere, wenn solche vorhanden
sind, und unsichere wahrscheinliche. Zu den orsteron rechnen wir L diejenigen
Erkrankungen der Uhren, bei denen die hohen Stimmgabeltone durch die
Luftleitung unverhältnismäßig schlechter gehört werden als die tiefen ; 2. wenn
Falschhören (Diplacusis dysharmonica) besteht und H. wenn die Herabsetzung
des Perzeptionsvermögeiis für verschiedene Töne der Skala unregelmäßig
und sprungweise erfolgt, so daß also partiale Tondefekte bestehen, also ein-
zelne Töne normal, andere Töne wieder gar nicht gehört werden.
Die unsicheren, aber vielfach wahrscheinlichen Befunde werden auch
für die Diagnostik der Labyrinthaffektionen herangezogen; da/ji gehören der
WKHKnschü Versuch, und zwar die Lateral isation des Stimmgabeltones naL'h
der gesunden Seite, der positive Ausfall des HiNNEschen Versuches auf dem
für die Sprache sehr schwerhörigen Ohre und der sogenannte S« HWAB.xrHache
Versuch, d, h. die verkürzte Perzeption des Tones einer auf den Scheitel
gesetzten Stimmgabel, imd endlich das Herabrücken der oberen Tongrenze.
Diese Befunde können für die Diagnostik der Ijabyrinthalfektionen nur mit
großer Vorsicht herangezogen werden, da dieselben auch bei Schalleitungs-
erkrankungon beobachtet werden können. In dieser Beziehung entscheidend
ist vielfach das Fehlen aller objektiv nachweisbaren Veränderungen am
Trommelfelle und den Tuben bei mehr oder weniger hochgradiger Herab-
setzung der Hurfunktion und besonders, wenn die Schwerhörigkeit plötzlich
eingetreten ist und die Untersuchung sogleich oder kurze Zeit nach dem
Eintritt der Krankheitserscheinungen diesen negativen Befund am Schall-
leitungsapparat ergeben hat.
Wenn wir demnach bei Labyrintherkrankungen des Ohres gewisse sub-
jektive und objektive Symptome für die Diagnose verwerten und, uns stützend
2a*
452
Olirlabyrinth.
auf die physiologischen Erfahrungen, auch bezüglich der Lokalisation des
Prozesses Anhaltspunkte gewinnen, so ist doch stets die Art und Form der
Erkrankung, welche vorliegt, unsicher und unbestimmt. Als Weg:weiser mösseo
hier dienen auch für die Vermutungsdiagnosen, wie bereits angegeben, die
Anamnese, die sich bezieht auf etwaige früher bestandene Allgenieinerkran-
kungen spezifischer oder nicht spezifischer Natur und auf die Art der Ent-
stehung des lokalen Leidens usf.
Gehen wir nun Aber zu den Erkrankungen selbst, so sind es in erster
Linie die HOgenannten Vitia primae formationia, die Mißbildungen, welche zq
betrachten sind. Dieselben sind nicht 8ehr häufig und jedenfalls seltener als
die des Schalleitungsapparates, mit denen ste vereint vorkommen können;
aber auch isolierte, kongenitale Mißbildungen kommen vor, indem entweder
einzelne Teile des Ohrlabyrinths oder auch das ganze defekt sind. Besonders
sind angeborne Defekte an den Bogengängen gefunden worden, so von Moos
und SteinbrCgge 2»), Sc^hwartzk -*). Voi.tolini '-') u. a., wobei auch Mißbildungen
des Nervus acusticus und günzliches Fehlen desselben konstatiert werden
konnte.
Diese Affektionen setzen naturgemäß je nach der Ausdehnung des
Prozesses mehr oder weniger hochgradige unheilbare Qehorstorungen,
welche in letzter Linie die völlige einseitige oder doppelseitige Taub-
heit leicht erklären lassen. Besonders erwähnenswert ist, daß in den Fällen,
in denen sich später Abnormitäten in den Bogengängen nachweisen ließen,
irgend welche Gleichgewichtsstörungen intra vitam niemals beobachtet
wurden. Wir betrachten weiterhin die Labyrinthläsionen. Wir unterscheiden
die direkten und die indirekten Verletzungen; erstere sind solche, bei denen
das Labyrinth direkt betroffen wird, sei es, dat^ fremde Kurper in dasselbe
hineingelangeu bzw. hineingestoßen werden oder daß es sich um das Ein-
dringen von Projektilen handelt, welche in verschiedener Weise das Laby-
rinth verletzen können. Bei den indirekten Traumen spielen besonders
Schädelkontusionen eine Rolle, wobei nur einfache Erschütterungen sich
aufs Labyrinth fortsetzen können, oder Schädelfissuren in das Labyrinth
hineingelangen. Aber auch Erschütterungen des ganzen Korpers durch Fall
auf die FOL^e kann eine Comraotio labyrinthi erzeugen. Wir wollen auch
noch hervorheben, daß heftige akustiache Einwirkungen ein- oder doppel-
seitig V^erunlassung zur Cümjuutio labyrinthi geben können. Patholugisch-
anatomlBch sind diese Fälle bisher nicht genügend geklärt. In den Fällen
von leichten Konimotionen handelt es sich wohl um geringfügige Verände-
rungen der labyrinthären Teile, manchmal auch um kleinere Blutungen im
V^orhof, den Bogengängen, der Schnecke und den Scheiden des Nervus acu-
Bticus, welche in Anbetracht der geringen Ausdehnung zunächst keine Er-
scheinungen zu setzen brauchen, im weiteren Verlaufe indes, wenn nicht
normale Resorption erfolgt, Veranlassung geben können zu entzündlichen
Reizerscheinungen mit nachfolgenden degenerativen Veränderungen in den
verletzten Organen von verschiedener Ausdehnuig.
Die klinischen Erscheinungen sind vertichieden^ je nach der Intensität
and Extensität der Erkrankung , bei direkter traumatischer Einwirkung
zeigen sich Erbrechen, Schwindel, Sausen und mehr oder weniger hochgradige
Schwerhörigkeit ein- oder doppelseitig, letzteres namentlich bei starken
Schädetkontusionen. Es kann die ganze Tonreihe herabgesetzt erscheinen,
aber auch nur einzelne Töne.
Die Stimmgabelprüfung ergibt, wenn auch nicht in allen Fällen, die
krantotympanale Leitung verkürzt, und bei einseitiger Erkrankung die Late-
ralisation derselben nach der gesunden Seite.
Die Diagnose ergibt sich aus der Anamnese, der Herabsetzung des
QehÖrs und der Herabsetzung der Kopfknochenleitung bei vielfach fast völlig
Ohrlabyrlnth.
458
I
negativem Befunde am Schalleitungsapparat. Eine Differentialdiagnose zwi-
schen einer einfachen Comniotio und etwaigen Veränderungen durch Blut-
extra vasate ist kaum zu stellen : es ist einleuchtend, daß Kommotions*
Bustände Im allgemeinen schneller vorQbergehen kunnen, als Extravasate
sur Resorption gelangen, daß en aber auch bei den Kommotionen auf die
Art und den Qrud derselben ankomiiiL da unter Umatflnden scheinbar leichte
Kommotionen schwerere und chrouischc Störungen hinterlassen können»
welche vorher nicht zu erwarten waren.
Der Verlauf gestaltet sich verschieden; es kann eine völlige RQck-
bildung eintreten in relativ kurzer Zeit, es können aber die Störungen
monatelang bestehen und nnr alimählich verlieren sich die Erscheinungen,
welche in schwereren Fällen dauernd bleiben. Ja, es gibt Fälle (traumatische
Neurose), in denen die zuerst geringen Symptome sukzessiv zunehmen bis
Bur völligen Taubheit. Auffallend ist, daß das Erbrechen, der Schwindet und
die Übelkeit vieKach schneller schwinden als die Hörstörungen.
Deraentsprechimd sind diese FILlle prognostisch mit Vorsicht zu beur-
teilen; im allgemeinen sind die leichteren Fälle günstiger.
Die Therapie hat für die Möglichkeit der Rückbildung der durch das
Trauma gesetzten Veränderungen Vorsorge zu treffen, zunächst natürlich durch
Fernhaltung aller Schädlichkeiten; es ist deshalb ein passendes Regime der
Ernährung zu empfehlen. Fernhalten aller Alkoholika uud des Tabaks und
»besonders Ruhe, Applikation einer Eisblase auf das Ohr und die benachbarten
Teile desselben oder kalter Umschlüge. Handelt es sich um eine Plethora,
80 ist wohl auch der Versuch mit einer Blutentziehung zu machen. Von
Mitteln sind empfohlen worden subkutane Injektionen von Strychninum
nitricnm in Fällen von Nerventaubheit^ äußerlich Jodkalium und, insoweit noch
etwa Schalleitungserkrankungen vorliegen, die Mitbehandlung dieser durch
den Katheterismus. Die galvanische Behandlung, welche in den verzweifelten
■ Fällen vielfach angewandt wird, hat erhebliche Erfolge kaum zu verzeichnen.
Von den Zirkulationsstörungen des Labyrinths nennen wir die Anämie
und die Hyperämie. Ob eine lokale Anämie des Ohrlabyrinths vorkommt,
ist bisher nicht erwiesen. Wahrscheinlich kommt sie vor im Anschluß an
allgemeine Anämie, sei es infolge plötzlicher größerer Blutverluste bei
Aborten, Entbindungen, starker Epistaxis, Magen- und Darmblutungen oder
im Verlauf akuter und chronischer abzehrender Krankheiten. Nachgewiesen ist
die Labyrinthanämie durch Verengerung der Arteria acustica interna oder
der Basilaris, durch Tumoren, welche komprimierend wirken, oder durch Gefäß-
erkrankungen (Endarteriitis chronica). Auch sollen bei Tauchern und Caisson-
arbeitern, wenn sie aus Räumen erhöhteren Druckes in die normalen Ver-
hältnisse zurückkehren, durch den veränderten Hlutgaswechsel Anämie des
Labyrinths entstehen infolge von Verdrängung dos Blutes durch die aas
demselben austretenden ßlutgase.
Die klinischen Erst^heinungen der Labyrinthanämie sind keine be-
stimmten und deshalb läßt sich die Diagnose mit Sicherheit nicht stellen;
es besteht Schwindel, Brechneigung, Ohrensausen, und was noch besonders
bemerkenswert erscheint, ist, daß die Erscheinungen bei horizontaler Lage
fiich zeltweiee zu bessern pflegen.
Die Prognose und Therapie schließt sich den zugrunde liegenden Ur-
sachen an; handelt es sich um allgemeiae Anämie, so wird durch Eisen-
präparate, Roborantien u. a. eine Besserung zu erzielen sein.
Die Hyperämie betrifft entweder das ganze Labyrinth oder nur ein-
zelne Teile und kann verschieden intensiv sein. Als Ursachen werden an-
geführt alle diejenigen Momente, welche Hyperämien des Gehirns erzeugen
können, weiterhin die große Gruppe der Infektionskrankheiten, Scharlach,
Diphtherie, Typhus usw., ferner solche Erkrankungen, welche Veranlassung
454
Ohrlabyrinth.
e:ebeD zu f^eetörter Zirkulation, wie Tumoren an der Sch&delbastB and am
Halse, welche auf die Vena auditiva interna und die Halsvenen drücken.
endlich können auch eitrige Mittelohraffektionen Labyrinthhyperämie er-
zeu(fen.
Die Symptome sind Schwindel, Sausen, Erbrechen, Herabsetzung des
Qehörs, Erscheinungen, welche wie bei der Anämie nicht charakteristisch
sind und auch bei Knn^eHtionen des Geliirns vorkommen« mit denen sich
die Labyrinthhyperäniie vielfach verbindet.
Die Prognose und Therapie richtet sich nach den vorliegenden Ursachen.
Gegen dieselben werden diejenigen Mittel angewendet, welche ableitend aufs
Labyrinth wirken können. Unter Umständen kann eine Blutentziehung am
Warzenfortsatz mit künstlichem oder natürlichem Blutegel am Platze und
von Nutzen sein und die öftere Wiefierholung sich als nötig erweisen. Ab-
leitungen auf den Darm und Anregung der Diaphorese, letzteres durch sub-
kutane Injektionen von Pilocarpinuni muriaticum. Ableitung auf die äußere
Haut durch heilte FuUbäder haben sich vielfach gut bewährt. Daß selbst-
verständlich das Regime, die Lebensweise sorgfältig geregelt worden, der
Genuß von Alkoholika, das Hauchen usw. verboten werden muß. bedarf
wohl kaum der Erwähnung. Mit innerlichen Mitteln (Brompräparateo,
kleinen Gaben Chinin usw.) kann die Behandlung mit Erfolg unterstützt
werden.
Tvaby rinthblutnngen. Dieselben können vorkommen nach Schädel*
Verletzungen mit und ohne Frakturen der Basis cranii oder starken
Kommutionen, ferner bei Entzündungen des Felsenbeins mit und ohne Karies
desselben, ferner im Verlauf vieler Infektionskrankheiten, im Anschluß an
eitrige Mittelohrentzündungen und im Verlaufe namentlich solcher Affek-
tionen, bei denen auch an anderen Körperstellen Blutungen aufzatreten
pflegen, nach Typhus, Meningitis, Pachymeningitis haemorrhagica., Purpurn
rheumatica. Tussis convulsiva u. v. a , bei Leukümie, bei v^lcher nach den
vorliegenden Untersuchungen Blütextravasate im Labyrinth als wesentlichste
Veränderungen sich nachweisen ließen; auf diese Affektion kommen wir
später noch zurück. Auch bei Caissonarboitern können, wie Anaemia., auch
Blutungen im Labyrinth vorkommen, namentlich wenn die Druckverhältnisse.
unter denen die Arbeiter tätig sein müssen, sich plötzlich ändern.
Pathologisch-anatomisch sind Blutungen des Labyrinths als selbständige
Erkrankungen oder im Anschluß an Entzündungen des Labyrinths fest-
gestellt- Besonders erwähnenswert ist der von Memirk beschriebene Fall,
betreffend den seinerzeit von ihm zuerst beobachteten MEMEREschen Sym-
ptonienkomplex, wobei es sich um eine Labyrinthblutung handelte, deren
ursächliche Entstehung allerdings nicht festgestellt wurde. Kleinere Extra-
vasate können wie übenill der Resorption anheimfallen, bei größeren tat
die Mitalteratiou der Nervenelemente and der Endapparate häufig, wie auch
Eiterungen den Blutungen nicht selten nachfolgen; auf diese Weise kann
durch Fortleitung der Entzündung aufs Gehirn der Tod eintreten.
Die Symptome sind je nach der Größe und Lokalisation der Blutungen
verschieden; es zeigt sich mehr oder weniger hochgradige Schwerhörigkeit
Ohrensausen, Schwindel, Erbrechen bei fast völlig negativem Befunde am
Schalleitungsapparat; in hochgradigen Fällen kann völlige Taubheit auf
einem oder beiden Ohren auftreten, während die Schwindelsyraptome ganz
ausbleiben können. Dieses Ausbleiben dürfte sich wohl durch den sogleich
im Bi-ginne der Erkrankung eingetretenen Lähmungszustand der Nerven und
den Mangel der Keizungsmöglichkeit erklären lassen.
Auch der Verlauf gestaltet sich verschieden. Es kann sich der AU*
gemeinzustand und das Gehör in relativ kurzer Zeit bessern, wenn die
Resorption des Blutes und der etwaigen exsudativen Produkte schnell er-
Ohrlabyrinth. 455
folget ohne Schädigung der funktionellen Apparate^ aber in vielen Kflllen
wird der Prozeß stationär oder zeijjt sogar infolge weiterer Veränderungen,
welche die Teile erfahren, eine Verschlimmerung.
* Die Prognose ist deshalb mit Vorsicht zu stellen. Die Therapie richtet
Ich gegen die zugrunde liegenden Trsachen. wenn dieselben erforscht werden
können; im allgemeinen ist Ruhe zu empfehlen. Vermeidung aller zu Kon-
gestionen führenden Momente, psychischer Erregungen, Alkoholika dringend
anzuraten. Zur Unterstützung der Behandlung sind empfehlenswert Kis-
umschläge auf den Kopf, Ableitungen auf den Darm und für den innerlichnn
Gebrauch Bromkalium, Bromnatriuni, Jodkalium u. a. Mittel, allerdings viel-
fach mit negativem Resultate.
Von den entzündlichen Erkrankungen des Ohrlabyrintha, zu deren
Betrachtung wir öborgehen. nennon wir zunächst die primäre Erkran-
kung der knöchernen Labyrinth kapsei. eine Aflektion, auf welche
POLITZEH durch Obduktionsbefunde die Aufmerksamkeit hinlenkte.
Bei derselben handelt es sich um mehr oder weniger scharf aus-
geprägte Knochenbildungen in der Umgebung der Nische des ovalen Fensters,
welche durch ihre blaligelbe, selten rötliche Farbe von ihrer Umgebung ab-
stechen, linsengroß und von normaler Schleimhaut Oberzogen sind. Diese
Protuberanzen sind am besten entwickelt an dor vorderen Gegend der
Fensternische, doch auch am vorderen and hinteren Abschnitt des ovalen
Fensters kommen sie vor und führen zur Auftreibung der ganzen Promon-
torialwand und zur Verengung der Labyrinthfenwter. Der Steigbügel wird
in die Erkrankung mit einbezogen, indem er beim Knofhenwucherungs-
prozeU in seiner Nabe im ovalen Fenster fixiert wird oder selbst in die
neugebildete Knocbenmasse mit aufgeht, wie dies Politzer in einem Falle
beobachten konnte. Die Veränderungen werden besonders in den tieferen
Schichten der knöchernen Labyrinthkapsel und nicht in der Nähe der
Schleimhaut angetroffen, auch in der Schnecke und in der Nähe dos inneren
Gehörganges, so dali Poiataku im Anschtul^ an andere, bereits früher be-
schriebene, aber anders gedeutele Befunde von Tuynbf.e, Moos u. a. diese
Affektion als primäre Erkrankung der knöchernen Labyrinthkapsel deutet
und beschreibt und dieuelbe aus der Gruppe dor sogenannten trockenen
chronischen Mittelohrkatarrhe, wozu sie augenscheinlich nach ihrem klinischen
Verlaufe gerechnet wurde, ausgeschieden wissen will.
Was die Ätiologie anlangt, so läßt sich ein bestimmtes Urteil nicht
abgeben, vielleicht spielen frühere Erkrankungen, wie Arthritis, Syphilis
hier eine Rolle: Politzek ist geneigt, die Heredität zu beschuldigen.
Der Verlauf der Affektion, welche besonders bei älteren Leuten beob-
achtet wird, ist ein langsamer, schleichender; es besteht hochgradige Schwer-
hörigkeit bis zur völligen Ertaubung und in der größeren Mehrzahl der
intra vitam beobachteten Fälle waren kontinuierliche subjektive Obrgeräusche
Gegenstand der Klage. Wie ersichtlich, sind diese eben angeführten Sym-
ptome hier charakteristisch, da ähnliche und gleiche auch bei der sklero-
sierenden Mittelohrentzündung vorkommen. Phlitzek ist geneigt, folgende
Momente dilferentialdiagnostisch für die Erkrankung der knöchernen Laby-
rinthkapsel anzuführen: »Der schleichende Charakter der Hörstörung ohne
die geringsten Zeichen einer Erkrankung des Mittelohres, normales Trommel-
felL durchschimmernde Rötung der Pro montorial wand bei normaler Tube und
erbliche Anlage.« Erfahrungsgemäß kommen aber alle diese Symptome auch
bei der einfachen Sklerose vor, wie dies durch Obduktionsbefunde von intra
vitam längere Zeit beobachteten Fällen erwiesen ist.
Die Prognose ist entsprechend der Schwere der Erkrankung ungünstig
und ebenso die Therapie erfolglos. Da die Diagnose nicht sicher zu stellen
ist, so wird man den Versuch machen mit derjenigen Therapie, welche für
456
Ohrlabyrinth
I
die Sklerose des Mittelohrea aufgewandt wird, und ie nach dem etwaigen
Erfolge bzw. der Krfolfflosißrkeit der Wirkung werden sich alsdann die weiteren
therapeutischen Malinahmen ergeben.
Von den ontzöndllchen Erkrankuni^en. welche das eigentliche Labyrioth
betreffen, unterscheiden wir die prim&re idiopathische Entzündung* desselben,
welche entsteht ohne äuUere Veranlassung, und die sekundäre Labyrinth-
entzQndung. Die Frage, ob es primäre, (renuine, nicht traumatische Labyrinth-
cntzQnduDgen gibt und ob dieselben häufiger vorkommen, ist bis jetzt noch
kontrovers, zumal Obduktionsbefunde, welche hier eindeutige Aufklärung
geben können (Gradenigo, SteinbrCgge. ß. Babinsky u. a ), nur in spärlicher
Zahl vorhanden sind und bei diesen noch manche Komplikationen im Befunde
selbst vorliegen, welche eben dem Zweifel und der Kontroverse Vorschub
leisten.
Bekanntlich hatte Voltolim eine bei Kindern plötzlich auftretende
Erkrankung beschrieben, welche er als genuine LabyrinthentzQndung ge-
deutet hat; dieselbe tritt auf plötzlich mit hohem Fieber, Kopfschmerzen,
allgemeiner Unruhe, Erbrechen, zu welchen Erscheinungen sich Krämpfe und
Bewußtlosigkeit hinzugesellen.
Diese Erscheinungen pflegen trotz ihrer Heftigkeit nach einigen Tagen
zu schwinden, es tritt eine gewisse Euphorie ein» das Bewußtsein kehrt
zurfick, dagegen bleibt eine meist doppelseitige komplette Ertaubung mit
Schwindelerscheinungen und gestörtem Gleichgewicht beim Geben, welches
später ebenfalis schwindet, zurück.
Obwohl durch Gottsteix, Moos, Stkixbrüggf. und neuerdings durch
SiEBENMAW gegen diese Erklärung Voltolinis Einwendungen erhoben worden
sind, so sprechen doch die vorliegenden, wenn auch noch spärlichen Obduk-
tionsbefunde sehr zugunsten der V^juTOLiNtschen Anschauung, welche durch
weitere Beobachtungen hoffentlich noch eine bessere StQtze erlangen wird.
Häufiger sind die sekundären Labyrinthentzflndungen akuter und
chronischer Natur, welche an die Eiterungen des Mittolohres sich ao-
Bchließen. zumal solchen, wie wir sie bei den schwereren Infektionskrank-
heiten Diphtherie, Skurlatina, Typhus, Pneumonie, Influenza und besonders
bei der Meningitis cerebrospinalis zu beobachten pflegen.
Der Oberleitungsweg der Mitteloh reiteruugen auf das Labyrinth ist
verschieden; entweder kann die Fortleitung der Entzündung erfolgen durch
Karies der Paukenhöhlenwände oder durch die Labyrinthfenster oder durch
Eröffnung der Bogengänge oder durch die Fissura potrosquamosa und bei
Kindern durch die Fossa subarcuata, welche einen gefäßhaltigen Kortsatt
der Dura mater enthält Bei den meningttischen Frozessen kann die Ent-
zündung ebenfalls auf verschiedeaen Pfaden vom Schfidelraum ins Labyrinth
übergeleitet werden, durch die Lymphbahnen, durch die Scheide des Nervus
acusticus, durch den Saccus endolymphaticus und durch den Aquaeductus
Cochleae. Außer den angeführten Möglichkeiten der labyrinth&ren Infektion
muß in einer Reihe von Fällen, namentlich bei den Infektionskrankheiten,
mit der Tatsache gerechnet werden, daß die Infektion eine direkt h&niato-
gene ist, indem dio Krankheitstnlger durch das Blut direkt ins Labyrinth
geführt werden und dort Veranlassung zu schweren Erkrankungen geben
können. ' •^'•>
Pathologisch-anatomisch sind von den verschiedenen Untersnchern fast
alle angeführten Momente durch Obduktionsbefunde bestätigt. Es wurde die
Labyrinthhöhie erfi^llt gefunden von eitrigen hämorrhagischen Produkten,
welche in frischen akuten Phallen auch vielfach den Weg der Entzündung
andeuteten und in chronischen Erkrankungen später die Residuen der
früheren Erkrankung deutlich erkennen ließen in Form mehr oder weniger
schwerer Veränderungen Im Labyrinth durch Bildung von Bindegewebs-
Ohrlabyrinth. 457
polstern, Verkalkungen und Verknöcherunp:en, welche schließlich den totalen
»Verschluß der Labyrinthhöhle durch die neu(febildete Knochensubstanz
herbeiföhren, oder endlich in Karies und Nekrose von verschiedener Aus-
dehnung.
Diagnose. Dieselbe ist für die LabyrinthentzQndung in den meisten
Fällen nur eine Wabrscheinlichkeitsdiagnose, zumal Hyperämie und Hämor-
rbagie des Labyrinths ß:leiche ErscheLnunii;en setzen können, und es ist nur
aus den anamnestischen Daten, der Feststellung der zugrunde liegenden Ur-
sachen, aus der Art des Verlaufes schließlich möglich, zu einem einlger-
» maßen sicheren Schluß zu gelangen.
Bei den vom Mittelohr sich fortleitenden Prozessen zeigen sich bei
Witbeteiligung des Labyrinths subjektive Symptome, welche vorher nicht
vorhanden waren, Ohrensausen, Schwindel, l'belkeit, Krbrecben und Nystag-
mus, und es gelingt manchmal, bei genauer Beobachtung des Krankheitsfalles
durch die Plötzlichkeit des Auftretens der eben angeführten Symptome das
Übergreifen des Prozesses vom Mittelohr anfs Labyrinth zeitlich zu be-
stimmen.
Die Untersuchung mittelst physikalischer Metboden, Stimmgabeln, er-
tgibt för die Diagnose keine sicheren Resultate An Autoren, welche die
Sdmmgabelprüfung für die Diagnose der hier in Betracht kommenden Affek-
ttonen verwenden zu können glauben, namentlich die Verkürzung der kranio-
tympanalen Leitung, den Ausfall des WRBBRschen Versuches, die Störungen
in der Perzoption verschieden hoher Stimmgabeln für Labyrinthaffektionen
pathognomonisch erklären, hat es nicht gefehlt und fehlt es auch heutzutage
nicht aber bei genauer Betrachtung der Verbältnisse sind im allgemeinen
^iiese Prüfungsresultate für die Diagnose nur mit gewisser Vorsicht zu ver-
» wenden.
Die Ausgänge der Labyrinthentzündung sind verschieden; entweder
findet eine völlige Rückbildung der pathologischen Prozesse statt, ohne daß
■die klinischen Erscheinungen einen besonderen Huckgang erkennen lassen;
oder es setzen sich die Erkrankungen des Labyrinths auf die Zentralorgane
fort und führen zu den verschiedensten Prozessen, zu extraduren Abszessen,
Meningitis serosa, Abszessen des Gehirns, Arachnoitis usw. Es kann auch
Nekrose des Labyrinths eintreten und dasselbe kann sich später exfoliieren,
sei es im ganzen oder in einzelnen Partien, wobei einzelne Bogengangs-
partien oder die Gehörschnecke sich ausstoßen. Die Prognose ist deshalb
mit Vorsicht zu stellen und im allgemeinen zweifelhaft.
Die Therapie der Labyrinthentzündungen, soweit sie genuin auftreten,
fällt zusammen mit fler bei Hyperämie des Labyrinths besprochenen. Bei
denjenigen Lah>rinthontzündungpn, welche durch Mittel ohreiterungen bzw.
•durch Fortleitung derselben auf das Ohrlabyrinth entstehen, ist den letzteren
besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden» sei es durch lokale medikamentöse
Behandlung, wie sie bei den Mittelohreiterungen in Anwendung kommt, oder
sei es, daß durch frühzeitigen operativen Kingriff, Eröffnung des Warzenfort-
satzes mit Entfernung der hinteren Gehörgangswand (Radikaloperntion) und
Ausräumung von sequestrierten Massen dem Prozeß entgegengetreten wird.
In manchen Fällen wird sich der operative Eingriff auf das Labyrinth weiter
ausdehnen müssen, wenn man den Patienten am Leben erhalten will.
Labyrinth Syphilis. Sowohl bei akquirierter wie bei hereditärer
Syphilis zeigen sich Erkrankungen des Ohrlabyrinths^ und zwar nicht selten.
Die Erkrankungen können in allen Stadien der Syphilis das innere Ohr be-
fallen ein- und doppelseitig, vielfach zu einer Zeit, in welcher anderweitige
syphilitische Erscheinungen am Körper vorliegen, und vielfach, ohne daß
irgend andere prädisponierende Erkrankungen des Gehörorgans seibat vor-
angegangen sind. In den wenigen zur Obduktion gelangten Fällen ergaben
458
Ohrlabyrinth.
I
die Befunde kleinzellige Infiltration des Endosteum, Neubildnnfr von Binde*
fj^ewebe, Hfiniorrhagrien, Verlötangen und Verwachsungen am Steigbügel, weiter-
hin schwerere Krkrankungron des Knochens selbst mit degenerativen Ver-
änderungen innerhalb des Nervenapparates, des Ganglion spirale u. df;;!.
Die Labyrinthveränderuugen bei der hereditären Syphilis bezieben sieb
ebenfalls auf Alterationen des inneren Ohres, auf Erkrankunf>:en der Labyrinth-
räume und des nervösen Apparates. Ks muß aber ausdrücklich hervorge-
hoben werden, dafS die durch die Obduktion festgestellten Befunde von
Moos, Stkin'buCgge, Qkal>enic»o, Walkkh Downie u. a. grobe Ähnlichkeit haben
mit denjenigen, welche im Verlaufe der Meningitis auftreten, so daß die
Befunde nur mit Vorsicht vorwertet werden können. Die Krschoinungen von
Labyrinthsyphilis, welche bei den akrjuirierten Formen auftreten, pflegen
ziemlich akut, ein- und doppelseitig »ich zu zeigen; meist tritt Herabsetzung
der Hiirfunktion mit subjektiven Ohrgeräuschen, Ohrentönen ziemlich plöti-
lich auf und die Symptome verschlimmern sich in relativ kurzer Zeit, ebne
daß in dem Schalleitungsapparat eine Affektion nachweisbar wäre. Hinzu
gesellen sich Schwindelersclieinungen. welche ohne Ursache auftreten, auch
kann das Krankheitsbild unter den Erscheinungen einer akuten Memäbb-
schen Attacke in Szene treten, wie eine Apoplexie.
Die Plötzlichkeit der Erkrankung und vielfach auch die Doppelseitig-
keit> die meist hochgradig einsetzende Schwerhörigkeit wird die Gedanken
des Arztes leiten und unter Berücksichtigung der Anamnese die Diagnose
stellen lassen; schon frühzeilig pflegt die kraniotympanale Leitung erheblich
herabgesetzt zu sein.
Die hereditäre Syphilis ergibt ein ähnliches Krankheitsbild. Kinder,
meist mit anderen hereditürsyphilitischen Erkrankungen behaftet, im Alter
von 4 bis IG Lebensjahren und darüber sind hochgradig schwerhörig, meist
doppelseitig und machen vielfach einen imbezillen Eindruck. Der Unter-
snchungsbefund an den Ohren ist negativ und dro Anamnese ergibt keine
weiteren Anhaltspunkte für antlere etwaige Ursachen. Vielfach zeigt sich
bei diesen Kindern Keratitis parenchymatosa und Defekte an den Zähnen.
Die Prognose der Labyrinthsyphitis ist im allgemeinen eine schlechte;
es ist zwar selbst in veralteten Fällen eine Besserung nicht ganz ausge-
schlossen, aber im großen und ganzen doch selten und in frischeren Formen
eher noch zu erwarten als in den veralteten. Dasselbe gilt auch für die
hereditären Formen; auch bei diesen wurden die Hoffnungen auf Besserung
oder Ausheilung gewöhnlich vereitelt.
Jedenfalls ist in allen Källen eine energische spezifische Behandlung
mit einer inunktionskur und Jadkalium zu versuchen- Politzer erwartet
nach seinen Erfahrungen in frischen Erkrankungsformen von subkutanen
Injektionen einer l^VuiK^Q f^il^^l^^rpinlösuDg giinstige Resultate, welche icb
persönlich bisher in keinem der von mir auf diese Weise behandelten Fälle
habe verzeichnen können ; aber auch von der lokalen Behandlung habe ich
in diesen Fällen von syphilitischer labyrinthärer Erkrankung eine wesent-
liche Besserung fast niemals gesehen.
Labyrinthtuberkulose. Dieselbe entsteht in den meisten Fällen im
Anschluß an tuberkulöse Erkrankungen des Organismus, und zwar durch
Übertragung der Tuberkelbazillen auf das Ohr durch die Tuba Kustachii
beim Schneuzen, Husten und Niesen, wobei die Tuberkelbazillen in die
Paukenhöhle gelangen und daselbst zur Bitdung von Tuberkeln Veranlassung
geben können, welche sich von hier aus alsdann weiter aufs Labyrinth er-
strecken. Diese Übertragung halten Hahkrmann und mit diesem Autor die
meisten Ohrenärzte für die häufigste» obschon die Möglichkeit, daß auch
auf hämatogenem Wege die Infektion des OhrlabyTinths erfolgen kann, wie
Barn'ICk nachgewiesen hat^ auch nicht von der Hand zu weisen ist Dieser
Ohrldbyrioth.
46»
[ ZusammeDhang^ ist annehmbar, namentHch wenn man das Zasamtnentrcffen
von TuberkuloBe der Knochen und Drüsen und von akuter MiliartuberkuloBO
mit tuberkulÖ8en Ohraffektionen zu beobachten Ueleg:ünheit hat. obschon
bei der tuberkulösen Meningitis die M^grlichkeit der direkten Infektion durch
den inneren GehörRanjc hindurch (GKADKNUio) nahe liegt. Ob es eine primäre
Tuberkulose des Ohrlabynnths gribt. ist bis jetzt nicht erwiesen; Ste[.v-
BRCr.GK ist iwar der Meinung, daß Fälle von wirklich primärer Tuberkulose
im Felsenbein vorkommen kannen ; aber auch hier ist die Beweisführung-
außerordentlich erschwert, auch dürften die Bedingungen für die Prira&r-
Infektion des Ohres nicht g:erade sehr günstige sein, da die Tuberkulose in
diesem Organ Überhaupt nicht häufig zur Beobachtung gelangt. Pathologisch-
anatomisch zeigen sich verschiedene große Zerstörungen im Knochen, ähn-
lich wie bei der Tuberkulose des Mittelohres» fernerhin Zerstörung der
labyrinthären Gebilde, Neubildung von Granulationsgewebe, Zerstörung des
Canalis Falloppit und ein Übergreifen des tuberkulösen Prozesses auf den
Meatus anditorins internus und auf die Scheiden der hier liegenden Nerven.
Habkrmann fand in einem solchen Falle Tuberkel in der Adventitia der
Karotis und am Sinus transversus. Rs kann sich eine Karies der Labyrinth-
kapsel entwickeln mit käsigen Massen und Granulationen und unter günstigen
Umständen kann sich das sequestrierte Labyrinth exfoliieren. Die Symptome
der Labyrinthtuberkulose können [e nach der Ausdehnung des Prozesses
verschieden sein sowohl bezüglich der Gehürfunktion , wie der sonstigen
Erscheinungen, welche, wie Schwindel, Übelkeit, unter Umständen ganz fehlen
können: Schmerzen sind meist nicht vorhanden.
Die Prognose ist ungünstig, schon deshalb, weit in den meisten Fällen
dor allgemeine OrganJHmus in seiner Gesamternnhrung vieles zu wünschen
übrig läßt. Die Therapie wird zunächst auf das Allgemeinbefinden einzu-
wirken suchen durch ein den V'erhällnisHon angepaßtes Regime, gute Er-
nährung, gute hygienische Maßre^reln in der Voraussicht. daU auch auf diese
Weise das Ohrleiden günstig beeinflußt werden kann. Sind die Körperkräfte
des Erkrankten gehoben und der Kranke etwas widerstandsfähiger, so wird
man trotz der relativ geringen Erwartungen in den Fällen, in denen das
Labyrinth tuberkulös erkrankt ist infolge einer tuberkulösen Mittelohreite-
rung, den Versuch machen müssen, das Leiden operativ zu behandeln, sei
es, daß zunächst durch Eröffnung der Mittelohrräume und durch Hntfernung
der krankhiiften Produkte ohne und mit Hinwegnahme der hinteren GehSr-
gangswand (Radikalüpcration) die zunächst liegende Ursache der labyrinthären
Eiterung entfernt wird oder daß zugleich mit dieser Operation der krank-
hafte Herd im Labyrinthe selbst, worauf wir später bei den Operationen
noch einzugehen haben werden^ beseitigt wird. Hier wird die Erfahrung des
Arztes und sein ärztliches Können das Kichtige zu treffen wissen und zu
richtiger Zeit dem krankhaften Prozeß trotz der Schwere der Erkrankung
entgegentreten; es sind in der Literatur Fälle verzeichnet, in denen durch
derartige Eingriffe dem rapiden Gowebszerfallo vorgebeugt und Abfafl des
Fiebers mit vorübergehender Besserung erreicht worden ist. Bleibt auch
meist ein dauernder Erfolg aus, so wird doch durch diese Behandlung ein
palliativer Nutzen gestiftet und dem Patienten manche Beschwerde erleichtert.
In den sehr schweren Fällen, in denen auch das Allgemeinbefinden kaum
einer Besserung fähig ist, wird man von operativen Kingriffen Abstand nehmen
müssen und durch geeignete interne Medikation die Leiden zu lindern suchen.
Zn den labyrinthären Affektionen rechnen wir hinzu den MEM^ueschen
Symptomenkomplex, welcher in einem besonderen Abschnitte früher seine
Bearbeitung gefunden hat, auf welche wir verweisen und unter dessen Krank-
heitsbild nach neueren Beobachtungen (PuLir/.t^R, GuAüENKiO^ StkinbrÜcuk^
ScHWABACH u. a.) die Leukämie am Gehörorgan symptomatisch auftritt.
460
Ohrlabyrinth«
Neben vielen anderen pathologisch ' anatomischen Veränderungen in
anderen Organen zeigen sich vielfach bei der Leukämie in den Markräainen
des Felsenbeines und am häufigsten im Nervus acuaticus Blutungen und
Lymphozytenanhftufungen , welche Veränderungen sich auch im Mittelohr
vortindon, so daß es sich vielfach um eine Komplikation von Erkrankungen
des Mittelohrs und Labyrinths handelt.
Die Symptome sind verschieden je nach der Akuität des Prozesses;
in einem Drittel der bisher beobachteten Falle wurde das Krankheitsbild
des MENifcRKschen Symptoroenkomplexes in akutester Form beobachtet, Ge
hörstörungen, Ohrensausen, Herabsetzung des Qehörvermogens, Schwindel
und Erbrechen, welche Symptome ganz plötzlich auftreten können. In den
mehr chronisch verlaufenden Fällen von Leukämie pflegen die Ohrerschei-
nungen eine langsamere Kntstehungsweise zu zeigen.
Die Therapie richtet sich ebenso wie gegen die Qrundkrankbeit gegen
die lokalen StSrun^^en, gegen welche neben der lokalen Behandlung der
innerliche Gebrauch des Jodkalinm am Platze ist.
Von den Nervenaffektionen, welche das Ohrlabyrinth in Mitleidenschaft
ziehen, nennen wir besonders die Tabes dorsalis. Diese Erkrankung beein-
flußt das Gehörorgan in verschiedener Weise. Bei den, wenn auch spär-
lichen Obduktionsbefunden wurde Atrophie der Nerv. acusUci (STRCfiii'ELL),
weiterhin Degeneration des Akustikusbfindel in der Modulla oblongata
(Oppenheim und SjEMEULiNr;), ferner Degeneration der Schneckennerven und
der Ganglienzellen in der Schnecke mit bindegewebigen Schwielenbildangen
{Habermann» HAni) gefunden, also ähnlich wie beim Optikus, welcher eben-
falls bei der Tabes erkrankt sein kann. Die Zeit der Nervenerkrankung der
Ohren bei der Tabes dorsalis schwankt und fst ganz verschieden; die Ohr-
erkrankung beginnt meist mit Herabsetzung der Hörfunktion und mit sub-
jektiven Ohrgeräuschen, Ohrentönen und Klingen in den Ohren, und zwar
können die Erscheinungen langsam sich entwickeln auf einem oder beiden
Ohren zugleich, was das Häufigere ist, oder es können auch die Krankheits-
symptome ganz plötzlich unter dem völligen Bilde des apoplektifornien
MEN'i&REBchen Symptomenkomplexes oder in der abortiven Form desselben
auftreten, wobei, während die subjektiven Ohrgeräusche und die Schwindel-
ersehe] nungen schwinden können, die Schwerhörigkeit progressiv werden
und sich bis zur völligen Taubheit steigern kann. Da die Tabes mit der
Syphilis In innigem Konnex ätiologisch steht, so ist die Differentialdiagnose
zwischen der tabischen und syphilitischen Labyrintherkrankung in den
meisten Fällen unmöglich. In vielen Fällen, welche ich selbst zu sehen
Gelegenheit hatte und In denen Syphilis als ätiologisches Moment zweifel-
haft erscbieni zeigte sich wiederholt ein Symptom, welches vielleicht ditfe-
rentialdlagnostisch zu verwerten wäre.
Bei den tabtachen Labyrjntherkrankungen zeigte sich vielfach ein
Wechsel der Erscheinungen und namentlich im Hörakt; das Gehör bessert«
sich in einigen Fällen von Tabes ohne jede nachiwetsbare Ursache innerhalb
gewisser Grenzen zeitweise und verschlechterte sich auch, während ich einen
gleichen Wechsel bei den rein syphilitischen Labyrinthaffektionen niemals
zu beobachten Gelegenheit hatte. Die Untersuchung mit Stimmgabeln er-
gibt in diesen Fällen gewöhnlich schon im Beginne der Erkrankung eine
starke Verkürzung der kraniotympanalen Leitung, als Zeichen der ver-
minderten Empfindlichkeit des Nervus acusticus und vielfach auch ein ge-
wisses Miliverhältnis in der relativ besseren Perzeption der tiefen Töne
gegenüber den hohen.
Der Verlauf gestaltet sich meist ungünstig, indem mit dem längeren
Bestände der Tabes die degenerativen Veränderungen in den Zentralorganen
auch diejenigen des Akustikus nachteilig beeinflussen. Die Prognose ist
Ohrlabyrinth.
461
I
UDgriliistie: und die Therapie dieser Zustände eine fast hoffnung^alose; alle
Heilmittel versagen; nichtadestowenigrer wird die Kunst des Arztes auch
bier sich in jeder Hinsicht bemühen > durch topiscbe Einwirkung aufs Ge-
hörorgan, schließlich mit dem elektrischen konstanten Strom einige Linde-
rung, wenn auch nur suggestiv, zu erbringen. Der innerliche Gebrauch von
Jodkalium, Bromkalium u. a. Mitteln wird »ich emprehlen.
Von den Neubildungen im Labyrinth, welcbe prim&r daselbst vorkommen,
sind nur wenige in der Literatur verzeichnet; meist handelt es sich um
solche Neubildungen, welche erst sekundär das Labyrinth befallen und ent-
weder vom Mittelohr oder vom Nervus acusticus, dessen Scheide oder vom
Gehirn bzw. Dura mator ausgehend aufs Labyrinth Obergreiten; aber auch
hier ist die wissenschaftliche Ausbeute nicht sehr grol^. Abgesehen von einem
von Moos beschriebenen Syphilom in der Labyrinthkapsel iinii einem von
PippL genauer angeführten tuberkulGstin Tumor, welcher, von der Dura mater
ausgehend, das Felsenbein durchwucherte und ins Mittelohr eindrang, sind
Bindegewebügeschwülste im Vorhofe (Schwart/k). ein fibromuskulärer Tumor
an der Schneckenkapsel (VoLTOLtMi. Exostosen und Osteophyten im Vesti-
bulum (Moos) und in der Schnecke und in den Bogengängen gefunden
worden. Myxosarkom und Fibrosnrkom, welche von der Schädelhöhle aufs
Labyrinth übergriffen, sind von Vkrmynr und Burkhardt-Mehiak beschrieben
worden, ein Karzinom in der Schnecke wurde von Püi.ltzkk beobachtet.
Die Diagnose dieser Fälle wird gewöhnlich erst auf dem Obdukttons-
tisch gestellt^ wenn nicht, wie bei den vom Mittelohr ausgehenden Tumoren,
während de» Lebens sich schon Krsctieinungen zeigen, welche auf die Exi-
stenz des Tumors hindeuten; Eiterungen, Herauswachsen des Tumors aus
dem Gehörgange und daä Hinzutreten von gewissen, aufs Labyrinth hin-
deutenden Symptomen läßt die Anwesenheit des Tumors vermuten. Das-
selbe gilt für diejenigen Tumoren, welche von der Qehirnseite her ins
Labyrinth hineinwuchern; hier wird die Berücksichtigung aller Erscheinungen
der Ohr- und Gehirnsyniptome die Stellung der Diagnose erleichtern können,
namentlich auch die Tatsache, daU hier vielfach Atrophie des Acusticus ein-
tritt, mit welcher sich Gehörsturungen hohen Grades bis zur völligen Kr-
taubung vergesellschaften.
Labyrinth-Operationen, Es ist bereits erwähnt worden, dali manche
Prozesse und besonders chronische Eiterungen des Mittelohrs und hier wiederum
besonders die auf Tuberkulose beruhenden durch Übergreifen auf die Laby-
rinth wand Veranlassung geben können zu einer Eiterung der Labyrinth-
räume. Auf welche Weise dies geschehen kann und auch wirklich statt-
findet, haben wir bereits angegeben. Hei diesen Prozessen besteht die groUe
Gefahr, ^ati durch kariöse Zerstörung des Knochens und des Labyrinth-
inhaltes, sei es partiell oder total, wobei sich nach den Beobachtungen von
Jansen häufig auch eine Nekrose des horizontalen Bogenganges nachweisen
läßt, infolge der Fortleitung der EntziSndung eine Infektion des Gehirns mit töd-
lichem Ausgang durch diffuse eitrige Meningitis erfolgt. Jede labyrinthäre Eite-
rung Ist, wie die Statistik ergibt), eine lebensgefährliche Erkrankung, der wir mit
allen uns zu Gebote stehenden Mitteln entgegentreten müssen. In vielen Fällen
erreichen wir schon einen guten und dauernden Erfolg durch die breite KrofCnnng
der Mittelohrräume und die Entfernung aller hier befindlichen krankhaften
Produkte (Sequester), besonders dann, wenn die labyrinthären Symptouie nicht
sehr intensiv auftreten. In den schwereren Formen wird ttetm Auftreten von
Schwindel Nystagmus, Übelkeit, Erbrechen und Schwerhörigkeit bis zur fast
völligen Taubheit die Frage in Erwägung zu ziehen sein, ob das Labyrinth
operativ xu behandeln ist. In den Fällen, in denen es sich nur um einen
kariösen Defekt des horizontalen Bogenganges handelt, ist nach den bis-
herigen Erfahrungen (Jansen, Lucae, Hkink, Hinsberu) die Erkrankung ge-
462
Ohrlabyrinth.
I
wohnlich eine zirkumskripte und die Ausheilung* nach Beseiti^n^ der
MittelohreiteruTiK- mit einig^er Sicherheit zu erwarten, oder es kann eine
vorsichli(fe Auskratzung des erkrankten Knochens vorg-enommen werden:
dies trifft besonders zu bei Fistelgängen der vertikalen Bo^eng^än^e. Zeifct
sich aber, daß der kariuse Prozeß bereits weiter in das Ohrlabyrinth vorgedrungen
iat und zur Eröffnung desselben g-eführt hat, so wird man« selbstverst^d-
lieh nach vorhenger Freilegung des krankhaften Herdes, durch Ausföhrunir
der sog. Radikaloperation, Eröffnun«: des Warzenfortsatzes und Antrums
mit Hinwegnahroe der hinteren Oebörg-angswand , die Granulationen mit
einem scharfen f^öffel vorsichtig" ausschaben hei sorgfältiger Beachtung der
Lage und des Verlaufes des Nervus lacialis, welcher geschont werden maß.
soweit die Verhältnisse es gestatten. In Frage gestellt ist die Sicherheit de§
Nervus facialis stets dann ^ wenn ausgedehnte tuberkulöse Prozesse in die
Tiefe dringen, oder auch bei Cholesteatomen, bei denen zeitweilig schon
vorher Reizungen und Lähmungen des Nerven bestehen können. Das Ein-
dringen in die Tiefe des Ohrlabynnths mit unseren operativen Instrumenten,
namentlich mit dem Meißel, involviert nach den Erfahrungen von Bkibger,
GRADKNHio, Hinsberg, Hkixe große Gefahren. HiNSHEKt; ist der Meinung,
daß schon durch die Erschütterung bei der vorbereitenden Operation der
Eröffnung und Freilegung der Mittelräume die Gefahr eines Fortschreitens
der Labyrintheiterung aufs Gehtm nahe liegt, wie er dies in einigen Fällen
mit Sicherheit konstatieren konnte. Es ist deshalb auch der Vorschlag ge-
macht worden, vom Meißel Abstand zu nehmen und dafür die Fraise za
benutzen; nach den Beobachtungen von Heine ist rndes der hier erreichte
Vorteil von nur geringer Bedeutung, da auch bei der Fraise Erschütte-
rungen sich nicht ausschließen lassen.
Die FrüffnuDg der Schnecke läUt sich am besten vom Promontorium
ausführen, inden^ man vor dem ovalen Fenster mit dem Meißel oder der
Fraise dasselbe entfernt und die krankhaften Produkte ausschabt. Daß hier-
bei die Karatis an der medialen Schneckenwand verletzt werden kann, sei
noch hervorgehoben. Es ist klar, daß, wenn es sich um einen tangdauernden
Eiterungsprozeß im Labyrinth handelt, welcher zur Loslösung und Seque-
strierung der kariösen Schneckenkapsel geführt hat, die Operation relativ
leicht sein kann {.)ansk\); aber Hinsbkkii bat unzweifelhaft Recht, wenn er
betont, daß bei Erhaltensein des Schneckengerüstes Schwierigkeiten ent-
stehen können, welche durch die besondere Enge und Kleinheit des Operations-
raumes gesteigert werden.
Die Zahl der in der Lfteratar verzeichneten Labyrinthoperationen ist
noch relativ gering; es lassen sich deshalb auch die etwaigen Heilresultate
noch nicht übersehen : aber aus den bisherigen Mitteilungen geht mit
Sicherheit hervor, daß, wie bereits angegeben, es sich bei diesen Operationen,
bei welchen wir ins OhHabyrinth eindringen müssen, um lebensgefährliche
Eingriffe handelt in Anbetracht der wichtigen physiologischen Funktionen
des Labyrinths und der Nähe des Gehirns, und «s wird deshalb unsere be-
sondere Aufgabe bleiben, bei allen denjenigen Affektionen, welche zu Laby-
rintheiterungen erfahrungsgemäß führen kßnnen, durch die Prophylaxe den-
selben vorzubeugen und namentlich den Mittelohreiterungen die genügende
and sorgfältige Behandlung zuteil werden zu lassen.
Literatur: *i Annotationen anntinmicnt^ et phy8inlflgic»e Lips. 1834. — ') Köllikku,
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469
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Lehre von der Klangwahroehmung. Ebenda, 1894, LVI ; EinlluU dvr Phasen uul die Klitui;-
larben. Wikdxu. Annalen, 189(j, LVIII. — *") Ehimobacs. Gnindzfigc der Psycholog!«', 1897.
— "> VoLTousii, AnatoiuischeM auH der Schnecke nnd über die Funktion derselben resp.
dea Gehörorgans. Viii<*howh Archiv, 1886. C. — ") Max Mkvbk. Zur Theorie de» lißrena.
PrLtJona Archiv, 1899, LXXVIIl. — "i SricixBnßaoK. Palhologi.Hche Anatomie dtr Gehör-
organ«. Berlin 1891 im Lebib. d, npfz. pathol. Anat. von Onrii. — **i Schwaiitxr , Patholo-
gtaohe Anatomie den Ohren, 1878 im Handb. d. pathol. Anat. von Ki.rbb, — **) Voltolini,
üehiirorgau eines HtmicepbalUR. Monatsachr. f. Ohrenhk.. 1870 — Die Literatur der Laby-
rintberkranlfUDgen iat derart angewachsen, daß in dem Raame dicfcr DarHtellung es nicht
angüngig würc, nlle Arbeit^'n im einzelnen aufzulUbren ; wir verweisen besonders aul die
Zusammt'otttetlung im LehrhuL-h iler Ohrenbfilkuode von L. Jacobso;« und L. Blad, B. Aufl.,
Leipzig 1902. um) auf dl« Einzelarbeiten im Archiv fUr Ohrenheilkunde und in der li^eit-
schrilt fUr Ohrcnheilknnde, in welch letzteren .lournalt-n auch die Iremdländische I^itf^ratar
in Referaten berücksichtigt wird. Kinznst*ht*D ist auch die Literaturiingabe in dfm Handbuch
der Ohrenheilkunde von 8rnwAKTZic, Lcipzifr 3892 , und bcztl^Uch dt^r Labyrinthoperationen
Jakskx. Labyrinthoperationen, in L. B[.*rs F.nzyklopUdit' der Ohrenheilkunde, Leipzig 1900,
pag. 202, nnd B. Heirx, Operationen am Ohr, Berlin 1904, pag. 109. .0. Bt^ginaky.
Orchipin s. Organotherapie mit Hodenflüssigkeit.
Organotherapie mit Hodenflßssi^keit. Nach Don*) grelinpt
es, im Tierversuch durch Kinspritzunp: von HodenfinsslGfkeit fla.s Knochen-
wachstum anfzuhnlten. Auch bei Gbermfit^ig:em Längenwachstum von Jünfif-
lingen kann man durch V'erabreichune* von Hoden tahletten dasselbe hemmen
und die damit verbundenen Krn]Qdun|2:szustände der Augen beseitigen.
Durch Orchipin, ein öliges Extrakt frischer Tierhoden, beseitigt Scial-
LEKO*) die Nerv*?ner8chÖpIunB: bei Neurasthenie. Auch erwies sich dies Prä-
parat als Antidot gegen Atropinvergiftung wirksam.
Literatur: M Dpr, Revint d. med., Kr. 10, zit. nach Deutncbe med. Wochenschr.,
1904, Nr. 49, p:i|?. 1819. — ') Sciallkko, Orchipin. Kifomi. med., Kr. 5, ait. nach ebendort.
£•. Frey.
Oxybuttersäure (Titrierung). D.aku.stAdtrr hat eine Methode
anpregeben, die darauf beruht, dali die Oxy buttersäure unter gewissen
Bedingungen , nämlich bei Anwendung einer genügenden Menge , etwa
&0%, Schwefelsäure vollsUludig (|uantitativ in Krotonsäure unifrewandelt
wird. Letztere kann titriert und daraus die Oxybuttersäure berechnet
werden.
Erfordernisse: 1, Natriumkarbonat; '1. Schwefelsäure von 50 — Sö'^'o Ge-
halt an H, SOj und '6. ' |o N.-Natronlauge (Oarstellung s. unter Acidit&t des
Harns).
Ansführung: \00 cni^ des zu untersuchenden Harns werden mit Natrium-
karbonat schwach alkalisch gemacht und auf dem Wasserbade bis fast zur
Trockne eingedampft. Der Rückstand wird mit 15U — 200 cm^ Schwefelsäure
von 50 — 55"/o Oehalt an H^SO« in einen Kolben von 1 Liter Inhalt gespült,
464 OxybuttersAure«
der mit einem doppelt durchbohrten Gnmmistopfen verschlosseii wird. Dieser
ist mit einem gebogenen Glasrohr mit Kühler nnd einem Tropftrichter ver-
sehen. Man erhitzt nun anfan^^ vorsichtig: mit kleiner Flamme, um das Auf-
schäumen der Flüssigkeit zu vermeiden, dann kr&ftlg: und läßt ans dem
Tropftrichter in dem Maße Wasser zutropfen, als dieses abdestUliert. Man
erhitzt so lange, bis etwa 300 — 850 cm^ Flüssigkeit fibergegangen sind,
was in 2 — 2Y, Stunden geschehen ist. ^
Das Destillat wird 2 — 3mal mit Äther ausgeschüttelt und lier Äther
abdestilliert Man erhitzt nun einige Minuten auf dem Sandbade auf 160*^
um etwa vorhandene Fettsäuren zu vertreiben, löst nach dem Erkalten in
50 cm^ Wasser, filtriert von ungelösten Substanzen ab and wäscht mit etwas
Wasser nach. Man titriert nun die wässerige Lösung der Krotons&ure mit
^/,o Normalnatronlauge, mit Phenolphthalein als Indikator. 100 cm* Via'
KNaOH entsprechen 0-86^Krotonsäare. Krotonsäure mal l*21=:0zybutter^
säure. (Zeitschr. f. physiol. Chemie, XXXVII, pag. 361.) ZueUv.
p.
Pankreatitis interstitialis angioBclerotica, s. Langerhans-
8che Inseln bei Diabetes, pog. 354.
Paraffin-Prothesen. Gersiny hat zuerst zur Herat«Uun(; sub-
kutaner Prothesen das Paraffin mit tCrfol; in die chirurgische Praxis eia-
gefflbrt. Wenn auch gleichzeitig mit ihm und uDabhäDj^ig allerdings im
wesentlichen zur Beseitigung eingezogener Narben DFXANfiRR in Belgien
Paraffin einspritzte, so fanden doch erst die QKRsrxYschen Vorschläge all-
gemeine Beachtung und Nachahmung, so daß man heute wenigstens in
Deutschland die Methode kurz die QBRSLiy^'sche nennt.
I Dieselbe ist der Hauptsache nach auch unverändert hinsichtlich der
^Technik geblieben, divergent sind lediglich die Ansichten Ober den besten
Schmelzpunkt des zur Verwendung kommenden Paraffins.
1. Qp.HStiNY verwandte zuerst V^aselin. also Paraffin von einem Schmelz-
punkt zwischen 36—40", somit von Körpertemperatur. Das Vas. atbum fst
den dunklen Sorten vorzuziehen, weit letztere nachdunkeln, durch die Haut
durchschimmern und dieser ein unansehnliches Äußeres geben. Das Paraffin
wird einfach sterilisiert, indem man es bis zum Siedepunkt Ober einer offenen
Flamme in einer Schale erhitzt und dann abkühlen lülit. Noch flQssig wird
fa es in eine gewT^hnliche pRAVAZsche Spritze aufgesogen. Erst wenn es soweit
' ftbgekOhlt ist, daU es aus der Kanüle als feiner Fad<*n hervorquillt, wird
die Injektion vorgenommen. Es genügt eine einfache PRAVAZsche Spritze; da
man indes mit der Unken Hand die Hautfalte emporheben muß, so empfiehlt
es sich, eine Spritze mit Querbalken zu benutzen, um mit der rechten Hand
allein dieselbe bedienen zu können.
2. Der Gedanke liegt nahe, daU bei hoher Steigerung der Körper-
wärme, z. B. hei einer Infektionskrankheit, das bei 37^ feste Paraffin in
seiner Härte nachläßt und so eine Uestaltveränderung eingeht. So ist in
der Tat ein Fall beobachtet, wo hei Typhus abdominalis bei einer durch
Paraffin korrigierten Sattelnase die Korrektur verloren ging. Hauptsächlich
I aus diesem Grunde empfahl Stkin eine Vaselin-Paraffin-Mischung von 42
■ bis 43^ Die Mischung vereint den Vorzug jeder einzelnen der beiden Sub-
stanzen, denn es besitzt die Geschmeidigkeit des V^aselins und damit eine
leichte Modellierungsfähigkeit und später die Härte des Paraffins.
t3. Eckstein hat das Hartparaffin in die Paraffintherapie eingeführt,
das heißt ein solches von 65 — 70^. Sein Vorgehen ist kurz folgendes: >Das
am besten fertig in 50 ^-Flaschen bezogene Paraffin wird in einem mit
wenig Karbol versetzten Woaserbade verflQssigt. Ist die Hälfte geschmolzen,
entfernt man die Flamme, da der Rest des Paraffins von selbst schmilzt.
B Masse wird dann auf 65" abgekühlt Über die mit einer Desinfektions-
Eoe^clof. J&hibucher. N. V. IV. (X.U1.) *^
466
Paraffin-Prothesen.
nOssigkeit (Lysoform) Bteriliaierte Spritze wird zum Schatz der eifirenen Hand
ein Qumniirohr |:ezo?en. Die Kaniile wird fest angfeschraabt and die Spritze
durch Aufsaugen von warmem Wasser angewärmt. Man saugt das Paraffin
durch die Kanüle ein, spritzt 1^ — 2 Tropfen wieder aus und zieht statt ihrer
heißes steriles Wasser auf, um so ein Erstarren äes Paraffins in dem un-
geschützten, leicht erkaltenden Kanfllenende zu verhindern. Unter möglichst
gleichmütigem Druck wird aladann das flüssige Paraffin injiziert, dem man
während des Krkaltens durch Kneten die gewünschte Form gibt. Der Grund,
weswegen Eckstbin das Hartparaflin einführte, ist im wesentlichen die Furcht
vor der Embolie. Bereits kurze Zeit nach der Veröffentlichung Qersi'xys
bekam Pfan.nenstibl bei einer Patientin nach einer Weichparaffininiektion.
die er wegen Incontinentia urinae machte, eine Lungenembolie, die mit nichr
sehr schweren Symptomen einherlief, schtießlich heilte. Noch verhängnisvoller
waren nach Injektionen bei Sattelnasen Fälle von Amaurosen durch Embolien.
ECKSTKIN glaubt nun. daß die Gefahr der Embolie dadurch verringert
wird, daß das zwar flüssig injizierte ParaFFin sofort zu einer zusammen-
bfingenden harten Masse erstarrt, die nicht mehr in die Blutbahn fort-
geschwemmt werden kann, während die weichen Sorten in ihrer weichen
Konsistenz über lange Zeit anhalten.
So kam ein Patient von Stein* zu EcKSTErN, bei welchem das Paraffin
auf dem Nasenrücken nicht gehalten, sondern heruntergerutscht war und zn
beiden Seiten der Nase Knoten gebildet hatte« die sich Patient selbst fort-
massiert hatte, so daÖ nach einem Jahr von der Prothese nichts mehr zd
sehen war. Demgegenüber behauptet Stein, gestützt auf die Erfahrungen
der Dermatologen, welche die Embolie bei Injektionen von Quecksilber-
Vaselinen stets im Augenblick der Injektion eintreten sahen ^ d&ß (Ch. C,
1903, pag. 635) aus diesem Grunde die Injektionen des flüssigen Paraffins
bei weitem gefährlicher sind, während die mehr weiche Konsistenz der
Vaseline später belanglos ist. Eckstk[.\ hat nachzuweisen gesucht, daß bei
allen beobachteten Fällen von Embolien bisher Weichparaffin zur V'erwendung
gekommen sei.
Dies trifft indes nicht ganz zu, denn in einem von Broeckabrtt ver-
öffentlichten Fall von Lungenembolie betrug die Temperatur der injizierten
Masse üO^ (C. f. Gh., l^Ob). Stkin sieht den Grund der Embolien darin, dafi
fast in allen Fällen sehr bedeutende Mengen in sehr venenreiche Gebiet«
injiziert wurden. !n dem Fall von Ppannenstiel ging die Patientin zu FaÜ
vom Operationssaal zu ihrem Rett. Er glaubt, daß man Embolien am ehesten
vermeiden kann unter folgenden Kautelen : » 1. Vermeidung von flüssigem,
zu heißom Material und Beschränkung der Menge desselben bei einer
Sitzung, :i. Vermeidung gefäßreicher Gegenden. 3. Absolute Bettruhe nach
der Operation.« Jedenfalls tut jeder Arzt, welcher diese Prothesen empfiehlt,
gut daran, seine Kranken auf die Möglichkeit einer Embolie und die sich
hieraus ergebenden Komplikationen in eigenstem Interesse aufmerksam zu
machen.
Es will mir auch erscheinen, daß man, solange diese Gefahr noch be-
steht, mit der Indikationsstellung recht vorsichtig sein sollte, besonders wo
es sich am rein kosmetische Zwecke handelt. Technisch schwieriger ist das
Vorgehen von Eckstein', es erfordert besundere Apparate, df» es fraglos
dem praktischen Arzte erschweren, die Prothesen zu machen.
Gersi'x^' sagte auf dem Chirurgenkongreß 1903: »Ich betone, daß
diese Methode so einfach bleiben soll, daß sie von jedem Arzt geQbt werden
kann. Ich möchte nicht, daß sie zum Monopol einer geringen Ansabl von
Ärzten werde, und daß sich eine Art von Virtuosentum ausbildet.«
Im einzelnen sind die Prothesen bei folgenden Erkrankungen empfohlen
worden :
Paraffin-Prothesen.
467
1. In der Chirurgie.
1. Zum Ausg^leich von Sattelnasen finden sie wohl die hänfigste An-
wendung.
2. Zar Beseitifcung: von Defekten Im weichen Gaumen, besonders In
den F&Uen, wo nach einer Operation der Verschluß in der Mittellinie ge-
lang;, hingegen an den Seitenrändern Defekte bestehen blieben, durch welche
dann die Sprache wesentlich erschwert blieb.
K 3. Zur Ausfilllung der Wundhohlen nach Kieferresektionen oder zum
B Verschluß von Fisteln am Kiefer, nach Kmpyemen der Uygbmorshöble oder
' vereiterten Frakturen.
^^ 4. Zum Verschluß von Bruchpforten.
!■ Gbrsunv hat die IniektEonen zuerst fQr Inguinal-, dann auch fQr Nabel*
^^hrQche empfohlen. Auf dem Chirurgenkongroß ]90'ä trat ErKsreix lebhaft
fOr diese Behandlung besonders bei Nabelbrüchen und Brüchen der Linea
alba ein, während seine Resultate bei Inguinalhernien nicht so günstige
I waren. Er empfahl für diese die subkutane Prothese kombiniert mit dem
Bruchbande. Er hatte besonders bei Kindern guten Erfolg, Einmal traten
indes wochenlang nach der Prothese Inkarzerationserscheinangen ein, die er
Auf ungünstige F'orm und schlechten Sitz der Pelotte zurückführte. Gehscxv
warnt vor dieser zu weit gehenden Anwendung und will die Prothesen nur
dort angewendet wissen, wo die Operation aus irgendwelchen Gründen un-
ausführbar ist.
IGanz abgesehen davon, daß sich bei kleinen Kindern alle Hernien er-
fahrungsgemäß leicht zurückbilden, daß die Operationsresultate keine
schlechten sind, beweist der eine Fall Eckstkixs die Gefährlichkeit der
lAethode.
Bei Prolapsus ani hat namentlich Karewski einen Paraffinring ober-
halb des Afters zwischen Haut und Schleimhaut angelegt.
2. In der Gynäkologie
sind Paraffindepots angebracht in der Scheide bei Prolapsus uteri und bei
Scheidenvorfall.
3. In der Ophthalmologie.
Ektropion, Entropien, Verschluß der Augenhöhle nach Enucleatio balbi.
4. In der Otologie.
Verschluß des Warzenfortsatzes.
5. Rhinologie.
Ausgehend von dem Gedanken, daß die eigentliche Ursache der Ozaena
^§in einer zu weiten Öffnung der Nase liege ^ versuchte man diese durch In-
jektionen unter die Schleimhaut zu verkleinern. Abgesehen davon, daß die
Technik bei der Atrophie der Schleimhäute schwierig ist, gehen die Ansichten
ober die Erfolge auseinander. So sah Cazknf.uvk im Gegensatz zu anderen
französischen Chirurgen nur eine geringe Besserung der subjektiven Be-
sehwerden, während die Borkenbtidung bestehen blieb.
IL 6. In der Neurologie.
Bei Neurotomieu hat man versucht, das Zusammenwachsen der Nerven*
Stümpfe durch Zwischenlagern von Paraffin zu verhindern. Mehr aus kos-
metischen Gründen hat man bei Hemintrophia facialis progressiva die Ent-
stellungen, welche durch den Schwund der Gewebe entstehen, durch Paraffin-
depots unterhalb der atrophischen üaatstelte zu beseitigen gesucht.
468
Paraffin*Prothc8en. — Parinauds Konjunktivitis.
Wer sich speziell fQr dieses Thema interessiert, findet die ausführ-
lichste Darstellung in einer Monographie von Stbin : Paraffininjektionen,
Theorie und Praxis. Stuttgart, Enke. Hier ist auch zugleich die ausgiebigste
Literaturangabe.
Literatur: GKRacitT, ParaftiiiKinHpritxuD(f bei IncoDtineDtU urinae. Zeotralbl. t. Gyn.,
lUOÜt Nr 48; Vhvr eiup flubkutiitiK Prothese, itcilscbr. I ileilkuiide, lyüO, Nr. 9; Chirargrn-
konffieß 1903. — Stbim, Über ftubkutane Far;irfinprother*p. Berliner klin. Wochenschr, lyOl,
Nr. 32. — Eckstein, Ühpr »ubkntnne und Kubmnknae ItartpHraffinprotheson. Deutsch«^ med.
Wocheoftchr, 19D2. Nr. Ii2; Über Ik- handlang von Üernkn mit IJartparatItninjektionen. Wiener
klin. RuDdscbnu, 1902; Cbinirgenkongr^'U 11)03. — Moskowicz, Tber aubkutaoe Paratfinpro-
theaen. Klinisch-thtrapentiache, WochenBchr, 1902, Nr. 43; Witner klin. Wochenschr., 1903,
Nr. 2. — CAztNKrvs, Dci injection» protb*:'ti<ineÄ de paradine en oto-, rhloo-i laiyngologie.
Ann. df'H maladit-a dr lorcille, 1903, Nr. 6. Coxit.
Paralysis ag^ltansy bulbärparalytische Symptomenkomplexe,
pag. 160.
Paranephriny s. Augenheilinitte1> pag. 70 und Nebennierenprä-
parate, pag. 437.
Paratyphus^ s. Abdominaltyphus, pag. 9.
Parinauds KonJunktlritlH. Unter dem Namen »Conionctivite
inlectieuse doriKine aniiuale^ hat bereits im Jahre 1889 Parinaud eine eigen-
tOtiiliche Bindehautentzündung beschrieben, die seither wiederholt beobachtet
und als PAHiXAinsche Konlunktivitis, Con]onctivite infectiense de Parinaud
oder Lymphomkonjunktivitis veröffentlicht wurde. Der erste Fall dürft« der
von Goj-DKiKHKR im Jahre lft82 als »Lymphadenitis conjunctivae« beschriebene
sein. Das Charakteristische der Krankheit besteht darin, daß gleichzeitig
mit der Entwicklung grolSer Lymphome der Halsgegend eine mächtig«
Wucherung; von kömigen und follikulären Gebilden in der Bindehaut der-
selben Seite entsteht unter meist mehr oder weniger heftigen Entzündung«-
erscheinungen.
Die Lider sind geschwellt, es besteht eine kolossale Schwellung und
Hyperämie der Konjunktiva, die Übergnngsfnlten springen als mächtige
Wülste hervor, es sind massenhafte, riesige Knopfe und Vegetationen vor-
handen, manchmal von hahnenkammähnitchem, bimbeerartigem Aussehen. Es
ähnelt das Bild einem akuten Trachom, nur fallen die Riesenfollikel auf,
wie sie beim gewöhnlichen Trachom nicht vorkommen. Diese Erscheinungen
bilden sich vollkommen srurück, nie kommt es zu Affektion der Kornea.
Betrelfä der Drüsengeschwülste handelt es sich nicht um einzelne ge-
schwollene präaurikulare oder inframaxiliare Drüsen, sondern um große
(kindsfaustgroße und größere) Lymphompakete-, die nur selten in Eiterung
Übergehen.
pAKtNAiu nahm ein tierisches Kontagium als Ursache an. Wenn auch
ein Teil der Erkrankungen bei Metzgern und Viehhändlern vorkam, fehlt
doch in den anderen jede Stütze für eine derartige Annahme. Bakteriolo-
gische Untersuchungen gaben bisher ein negatives Resultat; Tuberkelbazillea
wyrden nie gefunden.
Alle Autoren stimmen darin überein, daß es sich um ein eminent gut-
artiges Leiden handelt; die konjunktivalen Veränderungen schwinden, ohne
Narben zu hinterlassen. Die Halstymphome heilen rasch durch KesorpUon
oder Eiterung. Die interne Behandlung (Eisen, Arsen) spielt eine große Rolle;
die konjunktivalen W^ucherungen können unter Jodoform ^ Adstnngentien
zurückgehen oder werden mit Schere und Qalvanokauter entfernt. Reizmittel
sind nicht zu empfehlen.
Anatomisch handelt es sich um ein im höchsten Grade hydropisches,
netzförmiges Gewebe, in welchem wir die Lymphozytenanschoppungen, die
Follikelblldung, welche dem Trachom zukommt, vermissen. Beiden gemein-
": I
Parinauds Konjunktivitis. ~ Perverse Innervation.
469
sam ist die Neigung zu Epithelwucherunpr. welches hier eine ausg:e8procheDe
Neigung: zu 8chleim!e:er Kniartun^r besitzt.
AoUer Parinai;!) und Gold/ieher haben die Krankheit beobachtet
Dbspagnet, Wylib, Gifford, Domimqi'e, Jocqs, Chailloub und zuletzt
Matys.
Literatur: Matvs, Ein FbH tod pAnixArns Konjunktivitis. ZeiUchr. t. Aagenheilknnde,
1904, XII, Heft 4- — Goldzikhkb, Cber Lj^mphnnikonJanktiritiB. Zentralblatt f. prnkhsche
Augi>nhrilkunde, Jsnnar 1905. (Dort Literutnrangnbfn.) t-. Jieuss.
Paroxysmale Tachykardie, s. Herzarhythmie, pag. 256.
Peptonuiie^ s. Albumosurie. pag:. 19.
Perbydrol, s. Wasserstoffsuperoxyd.
PerltyphlitlSf s. Appendicitis, p&g. 35.
Perverse Innervation. Das Wesen der »perversen resp.
paradoxen Innervation«, wie sie HosEMiArH aufgestellt bat, bringen wir
uns am besten zur Anschauung, wenn wir von dem Begriff der Funktion
ausgehen Diese kann gestört sein, einmal durch die ungeeignete Beschaffen-
heit der synergisch zusammengefaßten Elemente eines Organs oder einer
Organgruppe, dann aber auch durch die Unmöglichkeit, die einzelnen Exi-
stenzen des organischen Komplexes zu der im Sinne des Ganzen notwendigen
Einheit zusammenzufassen. Während also im ersteren Kalle das richtige
Kommando, um einen Vergleich HosEMiAr-Hs* zu gebrauchen, nicht ausge-
führt wird, weil die Kummandiorten dasselbe miüverstehen oder in irgend
einer Weise unfähig zur Ausführung sind, ist im z^weilen F'alle — in dem.
80 paradox das klingt, alle einzelnen Leistungen der Kiemente für sich
physiologisch und im Sinne der elementaren Konstruktion tätig sind, aber
trotzdem da^ Resultat ein krankhaftes wird — ein falsches Kommando
ausgegeben worden.
k Abnorme Innervationsakte — denken wir z. B. an diejenigen,
lie mit Schwindelerscheinungi^n Hand in Hand gehen und die ihre Ursachen
n Störungen der Empfindung und Wahrnehmung, in einer Unterbrechung
«1er regulären Beziehungen der beiden Gehirnhälften oder deren innerer und
Äußerer Grenzflächen haben! — brauchen an sich nicht pervers zu sein.
Als solche hebt Hosenrach* vielmehr nur diejenigen abnormen Innerva-
tionsakte als eine besondere Gruppe heraus, bei denen das Pathologi-
sche in einer zweckwidrigen Form der Kombination gewisser
IMuskeln besteht. Als Paradigma gewissermaßen kann hier der Schreib-
krampf dienen.
Das gosetzmäBige Ineinandergreifen der Bewegungen einer bestimmten
Anzahl von Muskeln in be.stimmler Hf^ihenfulge und unter gesetzmäßiger
Verteilung der Kraft äußert äich darin, daß »die Bewegung das Ziel nicht
auf dem kürzesten W^ege und nicht mit dem gerade erforderlichen Kraftmaß
erreicht, ferner daß nicht nur die mit der Ausführung dieser Bewegung
betrauten Muskeln in Tätigkeit treten, sondern die Bewegungsimpulse auf
Afuskeln ausstrahlen . welche die gewollte Bewegung nicht allein nicht
»fdrdem. sondern sogar unter Umständen hemmend beeinflusaen«.
Nach dieser Definition Kuskmmchs ist also die KoordinatlonsstöruDg
die Folge der perversen Innervation, d. h. »einer ungleichmäßigen Fort-
ab' * Vgl. anch 0. Kobknbach, Warum sind wif^ftenaehaltHche •Srhlußlnlf^crunfrcn auf dem
KrGebiete) der Heilktind« so .schwierig und in wi^lchem UrafanKO können wesenllii-h« Feliler-
qoellen durch die betrit^bstechnische (enprgetiHche > BetrarhtungaweUo verminüert odtr be-
seitigt werdend Zeitschr. f. kUo. Med., 1903, L. and 0. Rosknuacii, Die Seekrankheit als
l'ypQfl der Kioetoscn. Versuch einer Uecbnnik des psychoiomatifichen Betribbes. Alfred
tülder, Wien 189G.
470
Perverse Innervation.
leituDg: eines Reizes, dessen Stärke ja eine ^enaa abg'emessene sein maß,
wenn der so oft erprobte Effekt erreicht werden soll«.
Durch die hier darpeleffte Auffassung wird, wie das auch Rosen'bach
selbst hervorhebt^ die Anschauung keineswegs tangiert, die als Ursache
dieser Veränderung der Innervationsverhältnisse eine primär leichte Ermüd-
barkeit oder eine funktionelle Schwache solcher einzelnen Muskelgruppen,
die eine funktionelle Einheit darstellen, betrachtet (wie z. B. bei der Mehr-
zahl der Fälle von funktioneller Stimmbandläbmung). Die perverse Inner-
vation kommt dann eben dadurch zustande, daü ietzt »durch den erregen-
den Impuls zu den schwächer oder weniger leicht in T&tigkeit zu ver-
setzenden Gruppen ein entsprechend stärkf^rer Impuls zur Peripherie gesandt
werden muti. Da nun bei allen Verrichtungen die Antagonisten gleichzeitig
innerviert werden oder wenigstens In einen besonderen Tonus versetzt sein
mOssen, so wird ein solcher Keiz jetzt, um denselben Effekt wie früher zu
erzielen, einen oder mehrere der mitwirkenden Muskeln in weit stärkerem
Maße treffen müssen, als das sonst nötig war; es wird deshalb im Einzel-
falle eine um so stärkere Störung des Mechanismus herbeigeführt werden,
je komplizierter der Vorgang an sich ist« Das heitit mit anderen Worten;
Nur dadurch, daß mit den motoriaohen zugleich tonische Impulse zur Peri-
pherie gelangen, nur dadurch^ daß mit der Mobilislernng einzelner Muskeln
einer Gruppe eine Anzahl abgentufter Hemmungen seitens ihrer Antagonisten
Hand in Hand geht, gestalten sich die Bewegungen zu koordinierten. Wenn
nun die Abtrennung bestimmter Muskeln in einer auf ein derartiges Zo-
sammenwirken angewiesenen Gruppe auf Widerstand stößt (oder ein solcher
in vielen Fällen auch nur vorausgesetzt wird], erfolgt die Beschickung der
letzteren mit einer gesteigerten Energiequote, um zunächst die widerwillig
gehorchenden Teile des Systems in Gang zu setzen. Eine nicht beabsich-
tigte Folge hiervon ist, daß auch das Maß von Energie für die die Bewe-
gung regelnden Antagonisten zunächst, und zwar so lange zu groß ausfällt,
bis das Individuum es gelernt hat. den Mobilisierungen und Hemmungen
wieder das richtige Verhältnis zu gehen. Das gelingt aber, weil glflcklicher-
weise der Spielraum für eine in sehr weiten Grenzen beliebige Kombination
von motorischen Effekten sehr groß ist : Nur lassen uns Übung und Ge-
wohnheit der Mannigfaltigkeit dieser Möglichkeiten nicht bewußt werden,
80 daß wir immer wieder die uns einmal vertraut gewordenen Pfade
einzuschlagen versuchen, auch wenn wir die Unzuträglichkeiten, die mit
ihrem Betreten verbunden sind, lange erkannt haben oder wenigstens er-
kannt haben könnten.
Die perverse Innervation der Ataxie hat nach Rosknbach nichts za
tun mit motorischer Schwäche, vielmehr werden die Bewegungen dort
kraftvoll, ja mit einer gewissen Verschwendung von Kraft ausgeföhrt Die
Ataxie kann allerdings mit motorischer Schwäche verknöpft sein; beide
Störungen sind aber dann als selbständige und voneinander unabhängige
aufzufassen. '
Nachdem Rosexbach seit annähernd '25 Jahren anf Grund
eines einwandfreien Beobachtungsmaterials immer aofs neue
darauf hingewiesen hat, daß dem Stadium der paralytischen
Degeneration eines Muskels die Kontraktion seines Antago-
nisten zu folgen pflegt, ist es nahezu unbegreiflich, daß immer-
während die sekunder stärker und oft pervers innervierten An-
tagonisten statt der gelähmten Muskeln für die durch Krampf
oder spastische Lähmung bzw. Kontraktur primär af fizierten
Organe angesehen werden. Bei einem Blick in die heutige Lite-
ratur stoßt man z. B. fortgesetzt auf diese Verwechslungen von
aktiver und passiver Kontraktur.
Pencrsc iDoervatioa.
471
I
I Im Gegrensatz za der paralytischen oder passiven Kontraktur,
der sekundären Anspannung, Verkürzun«: und Schrumpfung jener Muskeln,
deren Antagonisten gelähmt sind, bezeichnet man bekanntlich als aktive
oder spastische Kontraktur die höheren oder höchsten Qrade der »spa-
stischen Parese«, bei denen die Muskelspannungen zu dauernden Stellungs-
veränderungen in den Gelenken führen.
Der spastische Zustand aber , die Erhöhung des Muskeltonus . die
Muskelsteiligkeit, die Muskelrigidität gibt sich neben der Erschwerung der
passiven Bewegungen durch Steigerung der Sebnenphänomene zu erkennen
— die Abnahme des Muskeltonua durch eine Erleichterung der erstereo
und Abnahme oder gar Erloschensein der letzteren.
Wie die Pseudo-Kontrakturen , die aultreten» wenn dem Stadium
paralytischer Degeneration eines Muskels das der Kontraktur seines Anta-
gonisten folgt, sind auch die hysterischen Lähmungen, die hysteri-
schen Krämpfe und Kontrakturen nach RusKNnAfH nur stufenweise
Äußerungen derselben Schädigung und von den wirklichen Lähmungen^
Krämpfen und Kontrakturen als Akte pervorser Innervation, als Ko-
ordinationsstörungen durchaus zu trennen.
Es können aber, wie Hosenb.xch ausgeführt hat, auch sonst ganz
gesunde Muskeln infolge mangelnder Synergie (wegen Auüfalls des Anta-
gonisten) in Kontraktur verfallen resp. nach einem längeren oder kürzeren
Stadium der Kontraktur zugrunde gehen: >Die9e Inaktivitätsatrophie kommt
aber nur nach nionate- oder jahrelangem Beatehen der Kontraktur zustande;
in der Kegel bildet sich nur eine Hypolrophio, eine Volumsnbnahme des
Muskels aus, die mit Degeneration eigentlich nichts zu tun hat. da der
Muskel funktionsfähig bleibt und nach der Wiederherstellung normaler Ver-
hältnisse bei geeigneter Erregung schnell wieder sein normales Volumen
annimmt, ja hypertrophieren kann. Die Hypotrophie verhält sich zur De-
generation wie der wenig beanspruchte Muskel eines Gesunden zu dem
zirrhotischen bei unheilbarer peripherer oder spinaler Lähmung.«
Der Unterschied zwischen perverser resp. paradoxer Inner-
vation und Krampf beruht nach RosExnAcH grundsätzlich in dem
Mitspielen oder Außerhetrachtbleiben des Willensaktes und wird
gerade hierdurch auch therapeutisch zu einem fundamentalen.
'Während man uäuilich«, führt dieser Autor aus, >in dem einen Falle
von sedativen und die Heflextätigkeit herabsetzenden Mitteln einen Erfolg
erwarten kann, darf man in allen Fällen funktioneller Natur, in denen die
paradoxe Innervation die Hauptrolle spielt, einen Erfolg nur bei den Me*
thoden voraussetzen, die auf Grund eines eingehenden Studiums des Me-
chanismus der einzelnen Funktionsstörungen , durch rationelle Gymnastik
einzelner Muskeln und größerer funktioneller Einheiten, gewissermaßen
durch richtigere Direktive des Willens beim Patienten einen Aus-
gleich herbeizuführen versuchen, wie das ja empirisch mit gutem Erfolg
beim Schreibkrampf und mit ebenso gutem Effekt beim Stottern ver-
sucht worden ist.«
Im Gegensatz zur t]ypno8e. die bei derartigen Zuständen ia auch
▼erschiedeatlich zur Hilfe gezogen wurde und die den Kranken mehr oder
weniger untrer Zuhilfenahme eines mystischen Moments zum gefügigen
Werkzeug des ärztlichen Willens macht, weist Rosenbach mit Recht auf
die meist befriedigenden und dauernderen Erfolge der erziehlichen The-
rapie in solchen Fällen hin, in deren Ausübung der Arzt runter stetiger
Berücksichtigung der Individualität des Kranken durch methodische Be-
lehrung, durch Cbung der pervers agierenden Muskeln, vor allem aber durch
Kräftigung des Willens und der Widerstandskraft die Vorstellungen in die
richtigen Bahnen zu lenken sucht.«
472 Perverse Innervation. — Phosphaturie. H
Literatur: 0. IloBKNBjicHf Norvüse Zostilnde und ihr«* pftychische Beliandlane. 3. .Anfl
Berlin 1903, Fiai-bLTS meil. Bocbbandlang (U. Kornd'ld). — Derselbe, Zur Lebr« *on der
Bpiiiiilen muskulotonif^cbcn Insuflizienz (Tabfit dontalib). Deutsche lOf^d. WucheDdchr. , 18^9*
Nr. 10—12. — Derselbe, Ist der Satz von der verschiedenen VuloerabiUtät der Reknrruo«-
iMem beri'cbligt? Arch. I. Lnryogol , 1896, VI, H. 3. sowie die AnfnätEe Roiesdacbs in der
Breslaner ärztl. Zeitachr.. 1S80, Nr. 2 u. 3; Ze.itscbr f. klio. Med., 1880, I; Vibchows Arcb.
f. klin. Med.. 1885, XCIX; Berliner klin. Wochcoschr, 188Ö, Nr. 8; Denteche med. Wochm-
öchriU, 1890, Nr. 46; Arch. f. Laryngol., 1897, VI. H. 3. KtrUt.
Phenosalyl« Zur Behandlung der Kehlkopftuberkalose empfiehlt
M. W. Dempel das PhenosalyK das er in 3 — öVoiRör Glyzerin-, spSter Id
wässeriger Lösung anwandte, und zwar am Anfang der Behandlang nach
Kokainiflierona: der zu bepinselnden Steilen. Die Pinselungen wurden 2 — 3mal
wöchentlich vorgenommen. Die Erfolge waren durchaus ermutigend.
Literatur: M. W. Dkhpcl, Tber die Uebandlang der Keblkopltuberknlose mit Pbeno-
■alfl. Tberap. MonaUh., April 19U6, pag. 165 E. Frty.
Phenylpropiolsaures Natrium. Die PhenylpropiülBäure be-
sitzt die cLemiache Formel G^H., — C = C — GOCH, ihr Natronsalz stellt farb-
lose, in Wasser lösliche Kristalle dar. Bulling^) verwandte das phenyl-
proptolsaure Natrium zur Inhalation bei Lungentuberkulose. Er läßt täglich
zweimal \'., Stunde lang inhalieren, und zwar anfangs eine '/*** o'^o Lösung,
dann steigfind bis zu :VV„, Um dabei eine passive Hyperämie der Respira-
tionsschleimbaut zu erzicten, wählte er anfangs eine Temperatur von 25 bis
30^ später bis 42 — 43o. In den Fällen von nicht allzuweit vorgeschrittener
Kehlkopf- und Lungentaberkulose hatte er einen schonen Erfolg zu ver-
zeichnen.
Nach einer späteren Veröffentlichung desselben Autors-'} begann er die
Inhalationen gleich mit l'^/^igen Lösungen und stieg jede Woche um 1 bis
37o' Jedesmal gelangten 200^ zur Inhalation; selbst Hämoptoe bildet keine
Kontraindikation. Larynnphthise und die beiden ersten Stadien der Lungen-
tuberkulose sind für diese Behandlung geeignet.
Auch Ki.KAN" und WiksmOllek^) sahen gute Erfolge davon. In einzelnen
Källen trulen als Nebenerscheinungen Temperatursteigerungen auf.
Literatur: V) Bru.iiia, Inhalntion vou phenylprnpiol^iiiiretn Natrinin Kegeu Kehlkopf-
und Lun^enUilrerkiilnoe. MUncht-ner med. Wocbenftchr. , Nr. II. — •) Ehendort. Nr. 36. —
•) Ei.KAN lind VVif.smCi.i>:i<, InhrtlnfkjnHvcrBiichr mit pbeiiylpropiolsaareni Natron nach Dr. But-
LisQ. MdnL'hener mtd. Wocbenacbr, Nr. 18. E. Frey
Phosphaturie. Die Literatur über Phosphaturie hat, so zahlreich
auch die neueren Mitteilungen .sind ^ noch keine wesentliche Änderung in
der Auffassung dicHcr Anomalie herfiBizufilhren vermocht. Im wesentlichen
fassen wir die Phosphaturie ata den Ausdruck einer Stoffwechselkrankheit
auf. FitKruKMiERG lenkte durch seinen Vortrag im »Verein för innere Medizin«
zu Berlin im Mai l^OH von neuem die Aufmerksamkeit auf diese Harnver-
änderung, in der er ein Symptom der Neurasthenie, speziell der sexuellen
Neurasthenie zu finden glaubt. Kr unterscheidet drei Grade dieser Krank-
heit. Als erbten Grad bezeichnet er die manifeste Phosphaturie, charakte-
risiert durch die Entleerung eines diffus durch Phosphate getrübten Harnes:
als zweiten Grad die latente Phosphaturie, bei welcher der Harn klar ent-
leert wird, sich aber beim Erhitzen trflbt und ammoniakalisclie Reaktion
gibt. Als dritten Grad bezeichnet er die Ammnniurie. Hierbei wird der Harn
klar entleert, bleibt auch beim Erhitzen klar^ seine Reaktion ist sauer, doch
entweicht beim Kochen Ammoniak, kenntlich durch die Blaufärbung darQber
gehaltenen Lackmuspapieres.
Die Vermehrung der Phosphaturie als diagnostischen Symptoms kann
nur bedingte Geltung haben; denn die meisten Autoren geben der Ansicht
Ausdruck, daß es sich um kein abgegrenztes Krankheitsbild, sondern nor
PliospliaturJe.
478
I
liiD ein Symptom handelt, das man bei allen mög^lichen Krankheiten und
auch bei diesen nicht immer findet. Es );ibt kaum eine Krankheit, bei der
diese Phosphaturie nicht vorkommen könnte, und andrerseits gibt es viele
Fälle von Phosphaturie ohne jej^liche Beschwerden. Man fand die Phosphaturie
einhergehend mit allerhand nervösen Beschwerden, wie Gliederschmerzen,
Hautjucken. Parästhesien etc., einbergehend mit Störungen des Allgemein-
befindens, Abmagerung, Appetitlosigkeit, vor allem einhergohend mit Darm-
«törungen. Häufii^ finden sich Herzneurosen, mitunter auch anämische Herz-
geräuschc. Bei neurasthenisch veranlagten Individuen stehen im Vorder-
gründe der Erscheinungen Störungen resp. Beschwerden bei der Miktion.
In der Regel suchen solche Kranke die Urologen auf. Sie glauben, eine in-
fektiöse Urethritis zu haben und sind nur schwer von der Harmlosigkeit
ihrer Krankheit zu überzeugen. Oft bietet die Diagnose in «olchen Fällen
Schwierigkeiten; denn abgesehen von den Klagen des Kranken; Brennen
beim Urinlassen, häufiger Harndrang, Schmerzen beim Sitzen im After kann
man gelegentlich einen eiterflhnlichen Ausfluß konstatieren, der bei ober-
flächlicher Betrachtung an Gonorrhoe denken lassen kann. Untersucht man
diesen Ausfluß» in> findet man phosphoraauro Salze, vermischt mit Scbleim
und Epitbelien der Harnröhrenschlermhaut. Andrerseits finden wir oft im
Anschluß an Gonorrhöe, speziell im Anschluß an chronische Prostatitis hoch-
gradige Phosphaturie, die in der Behandlung und in der richtigen Beurtei-
lung des augenblicklichen Standes der Krankheit Schwierigkeiten bieten
kann. Finokr, Wos8Il>lo, Delbaxco, Galkwski. Whitkiieai» sprechen aus-
führlich Übrr dieses Vorkommnis.
Wollen wir das Wesen der Phosphaturie erkennen, so müssen wir
die interessanten Stolfwechaetversuche von Svictreer und Tohlkk studieren.
Die Untersuchungen dieser Autoren haben ergeben, daß in der Ausscheidung
des Stickstoffs, der Pliosphorsäure kein Unterschied vom normalen Stoff-
wechsel zu konstatieren ist. Hingegen ist die Kalkausscheidung enorm ver-
mehrt. In einem der mitgeteilten Källe war die Kalkausscheidung um ■-*l59*'/o
größer als bei der Kontrollperson. Man niöLite also folgerlchtiicer von einer
Kalkariiirie^ nicht von einer Phosphaturie sprechen, Rai.kr unterscheidet
zwischen Fallen« in denen Phosphatsed im ente Im Urin auftreten, die er als
Phosphaturie bezeichnet, und zwischen Fällen von wirklich vermehrter
Phosphordäureauaacheidung: letztere bezeichnet er mit Tkissiku als Diabetes
pho^phat^cus. Kine solche Vermehrung der Phosphorsäure hat Teissikh oft
gefunden bei Patienten, deren Krankheitssymptome an den Diabetes mellitus
denken ließen. Er unterscheidet vier verschiedene Gruppen dieser Krank-
heit; 1. Fälle mit Polyurie und ausgesprochenen Störungen des Nerven-
systems mit oder ohne organische Veränderungen desselben; 1* Fälle, in
denen sich eine letal endende Lungenaffektion entwickelte oder von vorn-
herein vorhanden war; 3. Fälle, in denen Phosphaturie uod Diabetes mellitus
kombiniert auftreten. 4. Fälle, die sich in die erstgenannten drei Gruppen
nicht einreihen lassen, in denen häufig gleichzeitig Oxalurie, vermehrte Harn-
säureauBscheidung auftreten. Fälle, die gewisse Bezii'hungen zur Gicht zeigen.
Die Behandlang der Phosphaturie gestattet sich schwierig in denjenigen
Fällen, bei denen die urethralen Beschwerden im Vordergrunde stehen,
•pesiell bei -der großen Gruppe der sexuellen Neurasthoniker. Dergleichen
Patienten drangen Oberaus häufig ihren Arzt zu instrumenteUen Eingriffen.
Sie sind in dem Wahn befangen, ein schweres organisches Leiden zu haben,
das durch einfache Verordnungen nicht zu beheben ist. Es kommt nun vor
Allem darauf an, das Vertrauen des Patienten zu gewinnen und ihn von
der Nutzlosigkeit, ja Schädlichkeit lokaler Prozeduren zu fiberzeugen. Ich
glaube, daß die Polypragmasie gewisser Urologen gerade bei solchen Patienten
ungeheuren Schaden anrichtet. Ich entsinne mich aus eigener Praxis auf
474
Phosphaturie. — Phosphors&urc im Harn.
eine Anzahl hochg^radig nervöser Herren, die viele Jahre hindurch ang:ebllcfa
an chronischer Gonorrhoe mit Sonden. Instillationen, Prostatamassa^e und
ähnlichen Dingen behandelt, man könnte sagen mißhandelt worden waren,
und die nach Verordnung einer geeigneten Lebensweise, nach Verabfolgang
von Urotropin , resp. Salol oder Acid. muriaticum ditot. iu wenigen Tagen
geheilt waren.
Was die Diät anlangt, so werden wir eine mögiichat kalkarme Di&t
zu verordnen haben. Milch ist möglichst zu vermeiden, ebenso gewisse
Früchte, z B. Himbeeren. Fbigen. Erdbeeren, auch Gelbeier sind xufotce
ihres Kalkreichtums zu verbieten. Als kalkarm sind erlaubt: Äpfel. Kar-
toffeln, Zerealien nnd besonders Fleisch, ferner reichlich Fett, Zucker^
Mehlspeisen.
Literatur: Toblkv. Arctr I. experm. Pathol., LH. — Delsavoo, Monatah. f. prAkt
Dermatolotfie, XXXVIII. - Whitkhkad, American Journal ol Dermatology, 1904, Nr. 1. Die
ÜlterP Literatur ctr. Simatob, Krankheiten der Nier«n, Wieu IRIK». Kan.
Phosphor. Schlossmann macht darauf aufmerksam, daß die Frauen-
milch recht geringe Mengen Phosphor im Vergleich zu der Milch der Eselin,
Kuh, Ziege enthält und daü sich das Kind bei verschiedener Ernährung des
Überschusses an Phosphor in der Nahrung rasch entledigt. Daher kommt
der Fhosphorgehalt der Milch nicht fOr das Entstehen der Rachitis in
Frage und die Schädlichketten der künstlichen Nahrung können nicht auf
ihrem Mangel an Phosphor beruhen, da das kOnetlich ernährte Kind immer
noch mehr Phosphor erhält als das natürlich genährte. Der interessanten
Zusammenstellung von Buxiii-:. wonach der Lecithingehalt der Milch der ver-
schiedenen Tierarten parallel geht ihrem relativen Hirngewicht, steht die
Tatsache gegenüber, daü sehr viele Kinder gedeihen, ohne merkliche Mengen
Lecithin In der Nahrang zu erhalten, da die nn sich schon lecithinarme Kuh-
milch durch das Kochen fast allen Lecithingehalt verliert.
Literatur: A. Sr[iLO!»sNA!(.<«. I^btr dtf Bedtfutnog des Phosphors in der Milch für den
•Siluglin^sor^anisinti!^. Med. Klinik, XI. pnif. 2-19. E Frvy.
Phosphorsäure im Harn. l. Prinzip: wird die heiße Lösung
eines phospborsauren Salzes bei Gegenwart freier Essigsäure mit einer Lö-
sung von Uranazetat versetzt, so entsteht sogleich ein Niederschlag von
Urauphosphat; die erste Spur überschüssigen Uransalzes ist durch die sehr
empFindJiche Reaktion mit ßlutlaugensalz, welches mit Spuren Uransalzes
Braunfärbung gibt, oder durch die grüne Färbung von Kochenilletinktur mit
überschössigem Uran, nachweisbar.
2. Bereitung der Lösungen: die Uranlösung muß auf eine Phosphat-
I5sung eingestellt werden, welche ungefähr soviel Phosphorsäure enthält, als
normaler Harn im Durchschnitt. Die Lösung soll deshalb in 50 c/?;' genau
Ol ij: P^: O^ enthalten. Man kann die DinatriumphosphatlÖsung durch Wägung
des Salzes oder durch Titrieren einer DinatriumphosphatlÖsung herstellen.
Das erstere Verfahren ist sehr umständlich, da das Salz wechselnde Wasser-
mengen und deshalb auch wechselnde P^Of^-Mengen enthält. Die letztere
Darstellung gestaltet sich folgendermaßen: man löst zirka V2 g käufliches
Dinatriumphosphat in I Liter Wasser und titriert mit NormalsaU oder
•Schwefelsäure unter Verwendung von Alizarinrot als Indikator; Der Phos-
phatlösung wird eine solche Konzentration erteilt, daß zu 38 c/??* lO'l cm^
oder zu 49 c//jB 139 c/n^ der Salzsäure verbraucht werden, um das einfach
sauere Phosphat in zweifach saueres überzuführen. Der Endpunkt der
Reaktion gibt sich kund durch Umschlag der bis dahin braunroten Lösung
in Zitronengelb.
'6. Eine Lösung von 100^ essigsaurem Natron und HO ^ Essigsäure
auf 1 Liter Wasser.
PhoHphorsAure im Harn. — PikrinsSure.
47&
I
I
4. Eine Lösung von FerricyankAlium 1 : 10 oder KochenÜletinktur, welche
durch Diftestion einiger Gramm gepulverter Kochenille mit '« Liter eines
Gemisches von 3 — 4 Vol. Wasser mit 1 Vol. Alkohol tn der Kälte bereitet
wird. Die Lösang wird abfiltriert.
5. UranoxydlÖBung : dieselbe boH im Liter 35*461^ Urannitrat oder
29*969 g Uranazetat enthalten. Man löst die ungefähre Menge des käuflichen
Salzes in nicht ganz einem Liter destillierten Wassers, das längere Zeit
gekocht bat. und erhält die Losung: mehrere Stunden im Sieden. Die nach
Erkalten abfiltrierte Lösung wird auf die titrierte PhosphatlOsung einge-
stellt, 80 dalS genau -*0 c/n' derselben 50 r//;" der Phoaphattösung fällen, und
daß somit 1 c/?i* der ersteren 5 m^ Pj 0-, anzeigt. Man mißt dazu 50 chj' der
Phosphatlösung in einem MeßkCilbchen ab. fügt 5 cm' der Azetatlosung
hinzu und erhit/t zum Sieden. Dann lälit man auf einer Bürette von der
UranlÖBung so lange zu der im Sieden erhaltenen LÜHiing hinzuflieUen, als
sichtbarer Niederschlag entsteht. Man prüft nunmehr nach jedem neu zu-
gesetzten ^3 ^'"^ indem man mittelst eines Glaast&bchens ein Tröpfchen der
Flüssigkeit aus dem Porzellanschälchen oder Kölbchen entnimmt und es
mit einem Tropfen der Ferricyankali'ümlÖsung auf einem weißen Porzellan-
teller mischt. Sobald diese Mischung die erste Spur von Rrnunfärbung zeigt,
ist die Endreaktion eingetreten. Benutzt man die Kocheniüetinktur als In-
dikator, 80 zeigt die dauernde OrQnfärbung der mit Kochonilletinktur ver-
setzten PhoBpha,tlÖsung die Endreaktion an. Es tritt nämlich eine bläulich*
grüne Färbung schon nach Zusatz der ersten Tropfen der UranloHung auf,
doch verschwindet sie wieder beim Um&chütteln. Eine einfache Berechnung
ergibt zum Schluß, um wieviel die Uranlösung eventuell verdQnnt oder ein-
gedampft werden muß, damit der oben erwähnte Titer erreicht wird.
Die Bestimmung der Gesamtphosphate im Harn gestaltet sich danach
folgendermaßen: 50 rm^ Harn werden in einem Por/.ellanschälchen oder in
einem ERLENMKYEU-Kolben geföUt, 1*5 cm* der Natriuraazetatlösung versetzt
und zum Sieden erhitzt. Man titriert alsdann wie bßi der Efnstellung der
Uranlösung, indem man zu dem siedend erhaltenen Harn so lange von der
Uranazetatlösung zufließen läßt, bis dJe Endreaktion erreicht ist. Jeder ver-
brauchte Kubikzentimeter Uranlösung entspricht 0*05 ^P^O...
Literatur: Nbübitbe nnd Voqel, Lehrbuch, heriinsgcgeben von Happbbt, WIkS'
baden 1898. G. ZufUcr
Phototlieraple, s. Lichtstrahlen (Therapie), pag. 373.
Pliytin. Phytin ist ein aus Pflanzen gewonnenes, organisches Phos-
phorpräparat. Nach Lükwknkeim kommt ihm ein starker tonisierender Ein-
fluß zu. und zwar bei allgemeiner Schwäche, Neurasthenie, Skrofulöse,
Rachitis, Tuberkulose und nervöser Impotenz.
Literatur : Lukwknheim, Phyttioliiginube unil tbi'ratieutiuübe Erfahrnng^en mit dem organi-
»cbenPboHpliur, iiisln-t^nntlere mit "PhyliiH. Berliner kUn. \Voeben»tcbr., U)G4, Nr. 47. E. Frey.
Pikrinsäure. Bei der Behandlung von Ekzemen machte Meyer
Ausgedehnten Gebrauch von der Pikrinsäure. Meist wandte er sie als Zu-
satz von V* — lV,> zu der Zink-Araylum-Paste an oder zu einem Gemisch
von stearinsaurem Ztnk und flüssigem Paraffin im Verhältnis 1 ; 1 ( — 2).
Besonders seborrhoische Kkzeme^ Trichophytie etc. reagierten auf die Pikrin-
sänre gut. Bei jiugendlichen Individuen ging er vorsichtig zu Werke, was
die Ausdehnung der auf einmal damit in Behandlung genommenen Oberfläche
betrifft. Kine Allgemeinintoxikation ist nur einmal vorgekommen, und zwar
als Symptom von selten des Verdauungstraktus und der Harnwege. Man wird
daher gut tun, sich vor Einleitung dieser Therapie nach den Verdauungsverhätt-
Hissen zu erkundigen und sich von der Intaktheit der Nieren zu überzeugen.
Literatur: Otto Metkb. t'ber Pikrjnsäareverwemluog bei Bautkrankhelteo , beson-
dert) bei fikzum. Tberap. Monatsb., Mai 1905, pag. 221. E. Frey.
476
Pilzvergiftung. — Polyzythftmie.
Pllzverg^lftnng» Über das Auftreten leichter Leukozytose mit reich-
lichem Vorkommen mehrkernig:er l^eukozyten in 4 Fällen akuter Pilzver-
giftung berichtet Qahbi. M Die mehrkernie:en weißen Blutkörperchen ver-
schwanden aus dem Blute mit dem Abkting^en der Vergriftun^ssymptome
Als solche werden besonders Mag;enerweiterunf!; und Leberanschwellun^ ge-
nannt. Leider kann Referent ans der ihm vorliegenden Besprechung der
ihm im Original nicht zugänglichen Arbeit nicht beurteilen, welcher Art die
giftigen Pilze waren.
Literatur
Kr. 37, pag. 135-1-
Gab», Rirortn. med., 1904, Nr. 33: r«f. Dentscbr med. Woohenacbr., 1904,
Kioakm.
Pneumin. Pneumin ist ein gelbliches Pulver, unlöslich in Wasser,
leicht lÖBlich in Alkohol und Äther. Es wird durch Einwirkung von Formal-
dehyd auf Kreosot gewonnen und ist nach Stekn ein Gemenge von Methyl-
Verbindungen der im Buchenholzteer sich vorfindenden Phenole. Im Tier
versuch hatte es sich als ungiftig^ besonders frei von Atzwirkungen er-
wiesen. Auch beim Menschen sind Reizerscheinungen von seiten des Magens
und der Nieren, wie sie bei der Anwendung anderer Guaiakolpräparate aul-
treton, nicht beobachtet wurden. Stkrn gab es dreimal täglich zu O'o aU
trockenes Pulver mit etwas Wasser. Der Appetit nahm zu und das Allge-
uieinbefindt^n besserte sich.
Literatur: Küht Stksk, Zur medikttmentÖeeD BehandluDg der Lunf^utuberkulo«?.
Therap. MoonUh., Mui 1^05, pa«. 344. E. Fnt.
Polioencephalltis acuta inferior,
pag. 123.
s. Bulbärparalyscn,
Polyzytliäiule. Während das Vorkommen eines erhöhten Hämo-
globingebaltes sowie einer Vermehrung der ßlutkörperchenzahl in der Kaum-
einheit unter dem P^inlluli von kongenitalen Herzaffektionen, andern Kreis-
laufsstörungen, chroniacher Dyspnoe sowie bei Einwirkung des Höhenklimas
schon lange bekannt ist, haben erst eine Reihe von Beobachtungen aus
den letzten Jahren gezeigt, daß es einen als ein neues klinisches Krank-
heitsbild Aufzufassenden Symptomenkomplex gibt, bei welchem die genannten
Blutveränderungen unabhängig von irgend welchen Zirkulationsstörungen
oder äußeren Einwirkungen als j>rimäre bestehen. Man hat diese Krankheit
»chronische Zyanose mit Polyzythämie« genannt und je nach dem Vorhan-
densein oder Fehlen eines Milztumors wohl auch zwei Abarten dieser Affek-
tion angenommen. Solche Falte sind beschrieben worden von Cabot, Vaqi'ez.
Saundby und Ri-ssel, Osler, Rendu und Widal, Montard Mahti.v und Lepas,
CoMiN'OTTi, TOhk. Schmidt, RosE\(;AnT, Prkiss, Caudy, \ff . Kek.v. Pakkbs
Webeu. Wkintkaid.
Die M( hrzahl der mitgeteilten Beobachtungen betrifft Männer, das
mittlere Lebensalter scheint bevorzugt zu sein. Gemeinsame ätiologische
Elemente haben sich bisher nicht eruieren lassen. Das auffallendste Krank-
heitssymptom ist die bisweilen außerordentlich starke Zyanose der Haut
und der Schleimhäute. Die Farbe wird meist als violett oder purpurn be-
zeichnet. Im Gesicht, den Händen, in den sichtbaren Schleimhäuten pflegt
die Zyanose am deutlichsten zu sein, in vielen Fällen machte sie sich bei
kaltem Wetter besonders bemerkbar. Sehr häufig waren zahlreiche kleine
erweiterte Hautvenen zu sehen, wiederholt sind auch Pigmentatfonen der
Haut beschrieben. Auch eine Hyperämie des Augenhintergrundes ist bisweilen
konstatiert worden. Das zweite auffälligste Symptom ist der Milztumori
der bisweilen so groß ist wie bei L.t*ukärnie, in anderen Fällen eben nur
noch gefühlt werden kann. Bisweilen ist auch eine Lebervergroßerung fest-
gestellt worden, frgend welche Stauungserscheinungen bestehen in unkom-
Polyzythflmie.
4T7
plizierten FAUen nicht; nur nach iahreUtDgem Beatehen der Krankheit
ist DyBpnoe. Herzschwäche und Hydrops festgestellt worden. Im Urin
wurde fast regelmätSi^r Eiweiß gefunden, aber nur in (geringen M6ne:en. Ge-
wöhnlich wurden vereinzelte Hyalinzylinder festgestellt, niemals Nlerenepitbelien.
Der Blutdruck ist« soweit er untersucht wurde, in einigen Fällen normal,
in andern erhöht gefunden worden. Die höchste Zahl der roten Blutkörperchen,
die festgestellt werden konnte, betrug 12 Millionen. Der Hämoglobingehalt
beträgt bis 'iOGw/t, (nach Gowers). Unterschiede in der GrÖÜe der roten
Blutkörperchen, Hoikilo-. Makro-, Mikrozytose sowie das Vorkommen kern-
haltiger Formen ist wiederholt beobachtet worden. Auch polychromatophile
Erythrozyten wurden gesehen. Die Leukozytenzahl war nur selten normal,
meistens erhöht. Vereinzelt waren ^fyeIozyten zu finden, die MastzeÜen
waren oft relativ vermehrt. Das spezifische Gewicht des Blutes wies, soweit
untersucht, stets abnorm hohe Werte auf, während das spezifische Gewicht
des Serums, soweit es untersucht wurde, erniedrigt war. TrockenrQckstands-
bestimmungen des Blutes in einem Falle Weintkalus ergaben an der oberen
Grenze der Normalwerte liegende oder höhere Zahlen. Der Trockenrückstand
des Serums war in den Fällen Wkintrauds erniedrigt. Dadurch ist also
jedenfalls erwiesen, dali die erhöhte BJutkörperchenzahl nicht auf einer Km-
dickung des Blutes beruhen kann, da dasselbe im Gegenteil wasserreich ist.
Die subjektiven Beschwerden dieser Kranken sind im wesentlichen nervöser
Art und auf Störungen des Kreislaufs im Gehirn zurückzuführen, nämlich
Schwindelanfälle, Kopfschmerzen und Ohrensausen, Außerdem klagen viele
Patienten über das Gefühl von Druck und Fülle im Leibe und leiden an
Verdauungsstörungen. Auch häufige Blutungen aus Mund und Nase werden
Sfters ang^egeben. Die ganze Krankheit, insbesondere die subjektiven Be-
schwerden, scheinen sich sehr langsam zu entwickeln. Viele der Patienten
gaben an, daU sie schon seit Jahren die blaurote Verfärbung des Gesichts
nnd der Extremitäten hätten, aber lange Jahre hindurch frei von erheblichen
Beschwerden gewesen wären,
^t Über die pathologische Anatomie dieser merkwürdigen Erkrankung ist
^ noch sehr wenig bekannt. Die in einigen Fällen festgestellte Tuberkulose
der Milz ist offenbar nur eine sekundäre Affektion. In andern Fällen ist
eine einfache Hyperplasie dieses Organs beschrieben worden. Leider ist nirgends
von eingehenden uiikroskopiscben Untersuchungen die Hede. Die Annahme
TCkks. dab es sich bei diesen Polyglobulien um eine wirkliche und echte
funktionelle Mehrleistung des Myeloidsystems, und zwar vorwiegend seines
erytbroblastischen Apparates handle, wird bestätigt durch einen Befund
Webers an Knochenmark sowie eine entsprechende, noch nicht publizierte
Beobachtung des Referenten. Daß die Vermehrung der roten Blutkörperchen
in keinem direkten Zusammenhang mit der Milzachwollung steht, wird da-
durch bewiesen, daß die Qröläe der letzteren mit der Höhe der Blutkörperchen-
zahl und der Hämoglobinwerle nicht parallel geht. Auch spricht eine Beob-
■ achtung Cominotti^^ dagegen, der 7 Jahre nach einer Milzexstirpation bei
einer Patientin noch Polyglobulie feststellen konnte. Ferner sprechen die
gleich zu erörternden Pralle von Polyglobulie ohne Milztumor dagegen. Nicht
zu dieser Gruppe gehören Beobachtungen über Polyglobulie bei \ ergiftungen,
wie sie Jaksch und neuerdings Reinhold nach Einwirkung von Kohlenoxyd
und früher schon v. Jaksch bei akuter Phosphorvergiftung beschrieben hat.
Vielmehr gleichen die Ffllte von wahrer Polyglobulie ohne Milztumor denen
mit Milztumor bis auf das Fehlen des letzteren vollständig. Ks kommen
offenbar alle Übergänge zwischen Polyglobulien ohne uad Polyglobulien mit
Milztumor vor. Die Ansicht von GeisBöck, der auf dem letzten Konj^reß
für innere Medizin in Leizig 11^04 Ober derartige Fälle sprach und behauptet,
dali sie als Erkrankungen sui generis aufgefaßt werden müssen, erscheint
478
PoIrzyUiflmie. — Psychomechanlk.
ziemlich unwahrscheiDlicb. Sehr bemerkenswert ist, dal) nach Berechnungen
Rkinkrts in 1 c/a^ BLot gar nicht mehr als 8,827.000 Blutkörperchen
Platz haben, während in den hier erwähnten Fällen bis zu 1-* Millionen ge-
zählt sind. Wie dieser Widersprach aufzuklären Ist^ läßt sich noch nicht
mit Bestimmtheit sajcen. Der REiVRRTBchen Berechnunfc ist die normale Ery-
throzytenform zugrunde ^elefirt und es wäre möglich, daß bei den Poly-
zythämien diese Zellen andere Formen und andere QrÖßen haben. Soweit
indessen aus den bisherigen Mitteilungen hervorgeht, können diese Unter-
schiede keine sehr erheblichen nein. Wichtig ist ferner, daß regelmäßig«
Zählungen bei den Polyzythämien außerordentliche Schwankungen der Blutr
kCrpercbenzabl in kurzen Zeiträumen ergeben haben.
Die Therapie hat bei diesen Zuständen bisher noch nicht viel ausrichteo
können. Die rationellste Behandlung acheinen ja Aderlässe zu sein^ and es wird
auch in einzelnen Fällen von guten Erfolgen berichtet. Aach ich konnte in
einem von mir beobachteten Fall zeitweilige Besserungen nach Aderläsaeo
feststollen. Von der Milzexstirpation kann man nach den Erfahrungen CoMi-
NOTTis und auf Grund theoretischer Überlegungen nichts erwarten. Angeregt
worden ist ferner die Verabreichung eisenaruier Kost sowie die vorsichtige
Darreichung von Blutgiften.
Literatur: Vaoker, Cyanosc accompagn^e d*hyperglohn]ic exceasive et peralstinte.
Sem. tned., 1892, pag. 195. — Rbhdü et Widal, SplenoraegJiIi« tuherculBiwe «ans leucemie
avec hy|Jt!r^lubulie et cyaaoae. Biill. eoe. med. d. Uup, 2. Juni 1899; äeni. med., 1899. pag- 198.
— MouLAHD-KLiitTiH t}t LKfAB, Tobercalose iHhnltire ttt uiumive de la vat«. Sem. m^., 1899,
9ig. 198. — Cabot, Boston med. Journ., 7. Dt-zember 3899 und 15. März 1900. — Mc. K«o.
Boston med. Joarn., 1901, pag. 610. — Saunubv a. HusätiL, An nnexplained condition ol chrooic
cyanoflis Lancet 1902. — Comisoiti, Hyperglobnlie und SpieDomeKAlie. Wiener kUn. Wochen-
flchrüt, 1900. — TöBK, Wieu«r klin. Wochenschr., 1902, pag. 372 und 1904, Nr. 6 u. 7- -
Schmidt. Wiener klin. Wocbenschr. , 1902, pag. 1Ü3. — Oslkb, Chronic cyanosis with poly-
cytbaemin and entarged aplcin; a ucvr clinical entity. Amer. Joam. oT med. scieDcca. Au^st
1903. — KosiNOABT, MilztDraor und Hy perglobuUe. Grenzgeb., 1903, pa^. 495. —
Pbkibh. Tber Hyperiflobulie. Deutsche med. Wochenacbr., 1904, Nr. 6. — Zaudt, Erythro-
KytoBe (Hyperglobulie) und Miltturaor. Miinciiener med. Wochenschr., 1904, Nr. 6, Vereioi-
beilage. — WKaim and Watson, Ctirociic }mlycytbäemiu with eulnrged spieen, probabla
diftease ol the one uiarrow. Brit. med. Journ., 2R. Milrz 1901. — Columä, Chronic oy
of the extreiulties with polycythaemia and enlarged apleen. Med. Record., 2I.Noreinber
Jimna Hinchf^M.
ytbro-
'am
Pros^essive Bulbärparalyse, pag. 126 ff.
Prostitution^ s. Geschlechtskrankheiten (Prophylaxe), pag. 225 tf.
Protylin, Wiederum wie im Voriahre (vgl. Ei^exbiros Encyclopä-
dische Jahrbucher, Nr. 7, IN. Jahrgg*. 1006, pag. 381) liegen eine Reihe loben-
der Berichte Über diese Phosphor-Eiweißverbindung vor. BCroer*) wandte
sie in Dosen von \- '2 g dreimal täglich nach den Mahlzeiten an und sah
einen »pezifischen Kinfluß auf rachitische Prozesse im Kindesalter und auch,
was wichtig erscheint, bei ÖHteomalazie. Ebenso spricht sich Kornfeld ^J
eoipTehtend Ober das Präparat aus.
Literatur: ^j Max HCbokb, Über Protyliu und ficinen Wert al4 Nühr- und Heilinitt»!,
iosbcsoDdere bei rachitischen Zuständen im KiDdesalteh Thcrap. Monatäh., Jnni ld04,
pag. S02. — *) KoiarctD, Wiener med. Preaae, 1904, Kr. 48. B. Frfj
Pseudobulbärparalysen, s. Bulbärparalysen, p^.460(f.
Pseudoleukämie (myelofde), s. Leukämie, pag. 357 ff.
Psyclionieclianik« Nur in ganz bedingter Weise vermag man
von einer Mechanik der psychischen V'orgänge im allgemeinen und der
Willensakte, in denen sie ihren Gipfelpunkt und Abschluß erreichen, im
besonderen zu sprechen. Denn das Ablaufaverhältnis von Reiz und Re-
aktion ist beim psychischen Geschehen, wie Rosenbach ausgeführt hat — im
in^^
P«y chotuech anik.
479
^POe^ensatz zam physiHchen — nicht ohne weiteres zu bemesseu oder gar noch
f Arten zu bestimmen. Wenn schon der Ablauf der Reaktion im Protoplasma
i nicht maschinenmäJii^ ist, weil die Qualität dos Reizes die Quantität ersetzen
^■iind Qberkompensieren kann, so sind ?anz besonders den bewußten und den
^^ Im Unbewußten wirkenden Einflüssen die psychischen Vorgänge nicht gleich-
zusetzen. Diese letzeren unterscheiden sich von den unter dem Begriff der
Umwelt im weitesten Sinne subsumierten physischen Reizen, d. h. den Wir-
kungen bewegter und ruhender Nfassen und der nicht spezifisch transfor-
mierten, also noch nicht wahrgenommenen Strome der Außenwelt (0. Hoskn-
bavh) schon insofern , als wir auf dem Gebiete der reinen Willenaaktion
nicht unterscheiden kOnnen , was eigentlich Reiz (Ursache der Willensvor-
U Stellung) und was schon Realisierung dieses Reizes (also Willensvorstellung
^ als Reizäußerung) ist. «Könnten wir,< sagt Rösbnbacii, > zwischen Reiz und
Reizäußerung in jedem der einzelnen Pralle so unterscheiden wie zwischen
»aomatischem Reiz und Reflexaktion, oder worden wir den Grund der
Willensaktion wenigstens so kennen wie den der sog. automatischen phy-
sischen Äußerungen — z. B. daß Veränderungen des Blutes Ursachen
rhythmischer Tätigkeit werden — , so würden allerdings die Fortschritte auf
IpsychologiHchem Gebiete ungeheuer sein.«
Das ist sicher, daß psychische Prozesse nur stattfinden, wenn be-
fltimmte materielle Vorgänge in der Hirnrinde sich abspielen. Identisch
mit diesen aber sind sie trotz eines solchen Parallelismus nicht.
Nachdem die Naturwissenschaft diese Bedingtheit des Geistigen durch
das Körperliche, die Abhängigkeit der geistigen Funktionen und speziell
des Willens von denen der Großhirnrinde erwiesen hat. muß es von größtem
praktischen Wert sein, diesen Zusammenhang im einzelnen zu verfolgen,
um Anhaltspunkte Ober Zeitpunkt^ Maß und Ziel der einsetzenden inner-
physiulogischen Kräfte und damit die Möglichkeit einer Regulierung der-
t selben durch die ärztliche Kunst zu gewinnen, wenn wir uns auch nicht
verhehlen werden, daß das äpiel der ineinandergreifenden Faktoren ein so
verwickeltes ist, daß wir uns mit einigen Anhaltspunkten da begnügen
mfissen, wo ein rollkommener Einblick in den Psychomechanismus uns bei
dem derzeitigen Stunde unserer Erkenntnismittel versagt ist. Immerhin
kann ja schon durch die KLarlegung solcher Anhaltspunkte, an denen der
Hebel in der Hand des Arztes (^und Erziehers) einzusetzen vermag, manches
Bigewonnen sein!
" Was zunächst den Grad der Bedingtheit der psychischen und speziell
der Willensvorgänge durch körperliche anlangt, so muß dieser schon auf
Grund der einfachen Überlegung ein beträchtlicher sein, daß der Ablauf
jeder Assoziation von vornherein durch zwei Faktoren gegeben ist: durch
die Anlage und durch äußere Einflüsse.
Während die zweite Komponente, die nur zu einem Teile in Gestalt
der als »Reize« einwirkenden Einflüsse durch den Zusammenhang der
äußeren Geschehnisse an sich bedingt ist, kommt fDr die erstere die An-
lage, die Disposition, d. h. die Reaktionsfähigkeit auf Reize, eben jene nach-
weisliche Gebundenheit an das psychische Organ - die Großhirnrinde —
in Betracht. Die Erkenntnis des Umstandes, daß eine ganze Reihe buchst
komplizierter und dabei auch durchaus zweckmäßiger Bewegungsvorgänge
ganz ohne psychischen Parallel prozeß verlaufen kann, hat der so verbreiteten
sog. »materialistischen^ (nach RosEXBArH richtiger »molaren«) Auffassung
den Boden vorbereitet. Diese will auch in den psychischen Vorgängen nur
eine Art von zu Bewußtsein gelangenden Refleworgängen sehen, welche
ansschließlich durch jenen Zusammenhang alles Geschehens bedingt würden.
Danach mflßte unter anderm auch die ganze Anlage dos einzelnen Orga-
nismus eine vom Anfang alles Seins her gegebene Größe repräsentieren.
I
480
Psychoniechanik.
Jene BewegcQn^en nun, die obno Mitwirkung' psychischer Par&Uel-
prozesse, d. h. eines zentralen Impulses verlaufen, unterscheiden wir in Re-
flexe und automatische Akte.
Unter Reflex verstehen wir den Eintritt einer unwillkürlichen, un-
bewußten Muskelaktion infolge einer Reizung sensibler Nerven.
Im Gegentiatz ZQ den eiatachtin Kt^fU'xeUf wie ein eolcber sich etwa im SoUeo-
reilex darstellt, gibt en nucli «ehr kginpliziurtc, lUr welche der Dachfttebeode, von Oou
beschriebene als Beispiel dieuen mag: Hat mar einem Frosch das ISroÜhirn lortgenommeo
und tM>rübrt onn die Cornea mit einer Siaruadel, so tritt zunächst ein einfacher, rctlektnri-
schür Liitschhiß e\T\ ■ wiederholt oder verstärkt man aber die Beiznng, so schlügt Am Tier
die Nadel direkt mit dem Vorderfnß der gleichen Seite (oit. Bei weiterer Steigerung dM
BeizcH ^vird auch KumpF und Kopf nach der entgegengesetzten Seite gewendet und bei aoek
ülterer Wiedeiholuog und Verstilrknng bewegt Pich daa großhirnrindenloäc Tier vom PUtu.
Bier begegnet man Aho komplizierten Bewegtingen von liüehaTer ZweckmiilJlgkeit und Ko-
ordination n«d doch fehlt ein psychiächer Parnllelprozefl, der bei einem Tier ohne Großhirn-
rhide ifar nivht In Frag« kommen kann.**
Gleichfalts ohne einen solchen psychischen Parallelprozeß verlanfen
die antomatischen Akte. Wahrend bei dem Reflex ein Reiz eine Be-
wegung auslöst, deren Ablauf unverilnderlich ist, wird der letztere beim
automatischen Akt durch interkurrente neue Reize modifiziert.
Operiert man z.H. einen Froi'ch in der Weise, daß man ihm die Oroßhirnrinde weg-
nimmt, Ihm aber die SehhUgel lüßt nnd Ihn durch Stiche mit einer Starnadel znm Fort-
liUpTen bringt, m weicht er sogar auf ihm in den Weg gestellte Uindemisse ans, läßt also
anf dieEJti interkurrenten neuen Heize eine Modilikation seiner Bewcgongen ointreteo. ohne
daß auch hier Willensakte oder überhaupt Vorstellungen an dem Zustandekommen der Be-
wegnngen beteiligt tein künnen rZiEHRN).
Augenscheinlich geht die Anschauunfr neuerer Autoren in dieser Hin-
sicht ZQ weit, die bei den Tieren mehr oder wcni§rer alle Bewegungen auf
Reflexe bzw. automatische Akte zurilckgefOhrt wissen will.
Allerdings hat es seine Schwierigkeit, hier eine feste Grenze zu
ziehen. Sicher i&t es aber, dal5 die Betätigungen der Tiere zu einem grotien
Teil auf Triebe und Instinkte zurCckzufQhren sind.
Der Trieb ist als ein innerer Vorgang zu definieren, der auch
ohne Bewulilwerden des Zieles zu einem ganzen System komplizierter
Bewegungsakte fOhrt und der sich dadurch vom Reflex und automatischen
Akt unterscheidet, daß der Zweck ein entfernter ist; in noch hSherem
Maße ist das bei dem Instinkt der Fall.
Instinkt Ist nach Hahtmanx ein bewußtes Wollen des Mittels zo
einem unbewußt gewollten Zweck und als solches nach Rkincke** die ür*
sache »maschinenmäßig intelligenter Handlungen*.
Auch beim Menschen sind viele Formen der Betätigung an sich auto-
matisch. Dahin gehören nicht nur die vegetativen Funktionen, wie Verdau-
ung, Blutumlauf, Atmung, sondern auch die elementaren Äußerungen alle«
geistigen Lebens, wie die Sinnesempfindung und das Gedächtnis, wenn auch
diese mit der Entwicklung des Ichbewußtseins allmä-hlich eine Modifikation
erleiden.
Außer den gt'nannLen Formen der BetStigutig gibt es aber auch sonst
zeitlebens als unwillkQrliche persistent bleibende Bewegungen unseres Kör-
pers, wie die Reflexbewegungen im engeren Sinne (Husten, Niesen, Blinzeln
usw.) und die sog. Auadrucksbewegungen (Lachen, Mienenspiel und Ver-
wandtes).
Wenn wir auf diese Art von Bewegungen allmählich (durch Lbung
und Erziehung) bald im positiven, bald Im negativen Sinne, d.h. durch
• ZixHU«, Leitfaden der physiologischen Psychologie. Jena 1893, 0. Fischer. — Der-
selbe, Psychiatrie, Wäkokks Samml. med. Lebrb.. Berlin 1894.
** RaiJicKK. Eiiilejtnng in die theoretische Biologie. Berlin 1901, Gebr. PaetrI. Vgl
anch Derselbe, Die Welt als Tat. 3. AuU., Berlin 1003, Gebr. Pactcl.
Päychomechanik.
481
förderndes oder bemaiendes Ein^rreifeD des Wnieos EinfluÜ gewinnen, so
trifft das doch in der frühen Kindheit niemals und im späteren Leben nicht
• bei allen Individuen und unter allen Umständen zu.
Beim Kinde haben auch die auf QehÖrs- und GesichtseindrQcke er-
folgenden Rewegfun^en pfanz den Charakter von reflektorischen, die bei den-
selben Reizen in jzfenau derselben Weise wiederkehren. Alle Bewegungen
des Neujrebornen entspringren entweder aus vegetativen Bedürfnianen . die
reflektorisch erfQUt werden (innere Reizbewegung), oder es sind unwillkür-
liche Haut- und SinnesreUexe. Die niederen (vegetativen) Triebe sind hier
zunächst physikalisch- chemische V'orgänge, welche jedes psychischen Cha-
rakters entbehren (ExkretionsbedOrfnis^ Hunger, Durst).
»Auch bei den tiefstehenden Idioten, deren geistige Entwicklung aur
der Stufe der frühesten Kindheit zurückgeblieben ist, kommen Handlungon
r— bei denen ein Willensakt die Voraussetzung ist — sehr selten vor,
während die automatischen Akte um so viel stärker entwickelt sind. Ab-
gesehen von den Kßbewogongen und dem Fixieren glänzender Gegenstände
ist wohl das meiste, was wir diese Idioten ausführen sehen, zu den auto-
matischen Akten zu rechnen.
Sie stecken alles Greifbare in den Mund, sind fast nie an Reinlichkeit
zu gewöhnen: ja^ bei einem Teil zeigen sogar völlig oder vorwiegend auto*
matische Akte eine defekte Entwicklung oder gänzliches V^ersagen, wie das
Saugen an der Mutterbrust oder später das Stehen und Gehen. Sie wackeln
automatisch tagaus, lagein mit dem Kopfe oder wiegen den Rumpf in dieser
oder jener Richtung. Auch eine triebarligo, d. b. von irgond wolcher Vor-
stellung nicht begleitete Masturbation tritt schon vom 4. Lebensjahr an
auf. Nur bei den schon etwa« höber stehenden Idioten kommt es später zu
■ bewußter Onanie und zu sexuellen Attentaten auf ihre Umgebung.
Ebenso finden wir bei den sekundären Formen des Schwachsinns,
namentlich bei den apathischen Zuständen der Dementia epileptica die will-
» kürlichen Akte fast ausschließlich durch automatische ersetzt.
Die Kranken , die stumm, zusammengekauert und regungslos in der
Ecke sitzen, lassen den Speichel aus dem Munde tropfen, Kot und Urin
unbeachtet abgehen. Sie kleiden sich von selbst weder aus ntjch an und
essen nur, wenn ibnen der Löffel in die Hand gedrückt und seine Führung
zum Munde erst als passive Bewegung vorgemacht wird; sind auf diese
Weise die Eßbewegungen erst einmal ausgelöst, so gehen sie eine lange
Zeit automatisch fort, auch wenn der Tetler längst leer ist.
In meinem speziellen Wirkungskreise habe ich fortwährend zu der
Beobachtung Gelegenheit, daü an primärer oder sekundärer Demenz leidende
Frauen, denen wir eine Beschäftigung in der Waschküche zuzuweisen
pflegen, die einfachen in Betracht kommenden Handgriffe mehr oder weniger
leicht erlernen, selbst wenn sie die zugrunde liegenden Voratellungskomplexe
nicht etwa noch au8 früheren besseren Zeiten hinübergerettet haben. Sie
pflegen aber die einmal eingeübte Hantierung an demselben Wäschestück
in infinitum fortzusetzen, wenn dieses ihnen nicht von den Aufsichtspersonen
aus der Hand genommen und durch ein anderes ersetzt wird.
Wie ist es nun zu erklären, dati die be i den Kindern anfäng-
lich in ähnlicher Weise zu beobachtende Automatie allmählich
unter den EinfluU des W'itlens kommt?
Bal'mann * sucht eine Erklärung — und das ist die einzige mir be-
kannte — darin, daß, sobald (mit einer Wertschätzung verbundene) Vur-
steUacgen sich mit einer zuerst spontanen Betätigung vorgosellschaftenf.
* Bauuaiin, rtier Wilk'Ds- und Cbarakterbildang saf phyalologifich-psychologlAcher
Grandlage. Berlin 1897, Utiuther & Keicbard.
Encyelop. J&hrbttelier. S. P. IV. (XtH.)
^V
482
P&ychomechanik*
allmählich die Bahnen, die erst nur zentripetal leiteten, nun auch in om-
urekebrter zentrifug^aler Richtung: frei gemacht werden, so daß diese in einer
bestimmten Weise bewerteten Vorstellung'en im Zentralorj^an nun auch
wieder die gleiche Betätigung^ anzuregen resp. einzuleiten Imstande sind,
die den ersten Anstoß zu ihnen ^ab. Es fände dementsprechend der gleiche
Vorgang statt wie bei der Assoziatton und der Reproduktion der Vor-
stellungen, indem auch hier nicht bloß eine Vorstellung eine andere damit
verbunden gewesene ins Bewußtsein bringt« sondern die Objektvorstellung
auch die mit ihr verbundenen GefQhle wieder in gleicher Weise anzuregen
vermag, wie das auf umgekehrt em Wege der Fall war.
Su dc'Dkeu wir, au fluifni Il:iu»e vurübtrgebvud, an d<*n darin einst geeeht^Beo Be-
woliuer, vietU'ielit eiutfn JuKcinUrL'Uod, dt* r uns ühh Glück uder MiÜgt'ttchick jener Tage wifdirr
in ErJoiieniDg^ UrLiigt : eine trübe Stininiung iu»c)it. dail wir an i-in trUbereif Unglück in
anserem Leben denken; and endlich wird ja auch dan UoKehren dnrch wiedererweckte Vor-
stellungen und (jelUhle hervorgerufen: die Krinnerung an eine Faßtour oder eloen Spazierritt
erweckt dir Ijust xn einer neuen Partie ubw.
Auf Grund dieser ParaUele glaubt Baumann sich berechtigt, Willen
und willkürliche Handlung als einen Vorgang zu definieren, bei dem aut
Vorstellung und Wertschätzung hin geistige oder leibliche Tätigkeit unter
der Vorauäsetzunp: eintritt, dali eine unwillkürliche Betätigung bereits vor-
aufgegangen ist. Ursprflnglich beruhen seiner Ansicht nach alle Bewegungen
der willkürlichen Muskeln auf bloßen automatischen Erregungen in den
Nervenzellen. Indem aber (Ina Bewußtsein allmählich den Vorstellungs- und
Qefühlszustund, welcher mit diesen Bewegungen verbunden war, beibehält,
kann es nachher bei Wiedererweckung dieses inneren Zustandes , d. h. der
betreffenden Vorstellungen und GefQhle die damit verbunden gewesenen
Körperbewegungen von sich aus erregen, falls und insoweit die Disposi-
tionen zu denselben im Zentralorgan und weiter abwärts vorhanden sind.
Auf unsere vegetativen Funktionen ganz ebenso wie auf unsere Sinnes-
empfindungen und Erinnerungen gewinnt, wie Balmann ausführt, der Wille
als bewußte Richtung auf ein Ziol bald einen mehr oder weniger großen
Einfluß. Alte jene Funktionen vollziehen sich nicht gleichmäßig; diejenigen
Fälle, in denen sie besonders glatt ablaufen, heben sich för Gefühl und
Vorstellung stärker hervor, werden für die letztere in anderen Fällen leichter
reproduzierbar und können so als Anregungsmittel zu gleicher Betätigung
nutzbar gemacht werden. Wir prägen uns. indem wir unsere Erfahrungen
in einen logischen Zusammenhang bringen, ein, wie wir uns zur guten
Abwicklung der verschiedensten Funktionen verhalten müssen und vermögen
diese Vorstellungen später wieder willkörlich zu reproduzieren. Das Originäre
beim Zustandekommen des menKch1lcht<n Willens sind nach Baukiann also
durchaus unwtllkQrlichef elementare Betätigungen, die die Sprache »Triebe«
nennt.
Die Triebe sind im Einklänge mit der schon oben vorgreifend ge-
gebenen Definition teils körperliche spontane Betätigungen automatischer
oder reflektorischer Art auf einen peripheren Sinnesreiz hin, teils dunkle
Bewußtseinszustände mit unmittelbarer Tendenz zur Handlung, die sich erst
durch ihre unwillkürlich ausbrechende Betätigung über sich selbst klar
werden (Grundlagen der Neigungen, der moralischen und CharakterzQge^.
Aus allen solchon unwillkÖrÜohen Betätigungen bildet sich der Wille dadurch
heraus, daß die auf sie bezüglichen Vorstellungen und Wertschätzungen,
die sich sogleich oder allmählich mit ihnen verbunden haben, das Accidens
werden und daß daraufhin der Entschluß zu innerer oder zugleich äußerer
Realisierung der Inhalte (immanenter und transzendenter Wille)
eintritt.
So können die anfangs rein reflektorischen Bewegungen des Kindes
aiJmählicb immer freier werden, indem der Zusammenhang zwischen der
Psychomcchanik.
483
V^i'i^^^^'^pfiQ^ui^S und der motorischen Reaktion auf dieselben ein 'freierer'
wird. Die Beweirungen der Extremitäten nnd ebenso der Sprachor^ane, die
in der ersten Jugend im Wachen fast unablassi^r und in mauni^raltifpster
Be^elloBiifkeit erfolgen, kombinieren sich allmählich mit den Vorstellungen
der Handlung", bis dann das anfaniz-s nur als Regleiterscheinunß: auftretende
BewuiJtsein nicht nur die Vorstellung: von den entsprechenden Rewepungon
selbetändifc übernimmt, soudorn auch in Gestalt des Impulses, des Sich-
anschickens oder inneren Verarbeitena 'Innervationsempfindung',
■ kinästhetische Kmpfinduna;) die führende Rolle Übernimmt.
Die kinästhetische Kmpfinduntr, aus Druck-, Muskel-, B&nder-
«mpfindunjET undBeweftunffsbildern bestehend, kommt uns als solche nur in
unbestimmter Weise zum BewuUlsein als ein »Zu Mutesein«, wie es Lotze
ausgedrückt hat. Sie ist auch insofern individuell verschieden, als bei dem
einen die Muskclbilder, bei dem andern die Gesichtsbilder die führende RoIIb
IAbernebmen.
Ähnlich ist die Verschiedenheit in bezuf? auf eine zu komplizierten
Bewegungen in BeziehunfiT stehende Funktion, das Wortj^edächtnis. Bei
diesem ist ein verbo -auditives (akustisches^ Gedächtnis und ein verbo-
visuelles Gedächtnis bzw. auf dos Subjekt bezogen ein Artikulations-
^edächtnis und ein Gedächtnis für das Schreibbild des Wortes zu unter-
scheiden. Die Faktoren konkurrieren bofm Menschen für das Zustandekommen
des Sprachgedftchtnisses, aber in der Weise, da(5 einer derselben entschieden
Oberwiegt. Bei Vorherrschen des verbo-visuellen Gedächtnisses prägt man
sich von einer fremden Sprache z. H leicht die Orthographie ein^ lernt aber
schwerer das geläufige Sprechen; das Umgekehrte ist bei dem der Fall, der
mehr ein Terboauditives bzw. ein Artfkulationsgedäehtnis besitzt.
Überhaupt scheint in der Reproduktion von V^orstellungen — also im
Ahlauf der Ideenassoziation — ganz individuell bald mehr das kausale, bald
mehr ein phoneti^sches (also mnskuHres), bald mehr ein lokales (also ge-
wissermaUen auch visuelles) Moment die führende Rolle zu Obernehraen. So
ist es meiner Erfahrung nach nicht selten, daU Menschen die Erinnerungs-
bilder an Gehörtes oder Gelerntes nur auf dem Wege über eine Vergogen-
wärtigung des Ortes, an dem sio da» Betreffendn gehört oder gelernt haben,
zu reproduzieren vermögen. Ein Schüler vermochte bei allem Gelernten, was
wirklich bei ihm dauernd haften blieb, nicht nur den Ort, wo ihm das Ge-
borte als Eindruck gegen übergetreten war, anzugeben, sondern er konnte
nicht anders die Erinnerung wachrufen, als indem er sich die Haltung und
den jeweiligen Platz des Lehrers im Schulzimmer vergegenwärtigte.
Dafür, dali das Dominieren einer der erwähnten Arten von Erinnerungs-
bildern bi.'i der Reproduktion von Bewegungsvorstellnngen in der Großhirn-
rinde nicht nur für die einzelnen Individuen, sondern unter Umständen auch
für die verschiedenen Muskelgrappen variiert, geht daraus hervor, daß unter
pathologischen Verhältnissen — wie das z. B. bei Hysterie häufiger beob-
achtet wird — mit dem Ausfall der einen Art der gewohnten Erinnerungs-
bilder nur ein teilweiser Verlust der Bewegungsfähigkeit, z. B. nur der oberen
oder unteren Extremitäten erfolgen kann.
Die kinästhetische Empfindung, in der gewissermaßen das erste
Stadium des Willensaktes seineu Höhepunkt erreicht hängt unmittelbar
mit dem psychischen Vorgange zusammen, den wir als Aufmerksamkeit
bezeichnen. Wenn nach Windt der Wille innere, namentlich innere ver-
stärkende Tätigkeit ist, als deren Typus ihm besonders die Aufmerksamkeit
erscheint, so wird man zugunsten der BAiMANNschen Anschauung — auch
wenn man Zikhens oben wiedergegebenen Standpunkt nicht teilt — geltend
machen können, daü man die Aufmerksamkeit selbst in eine willkürliche
und auwillkürliche unterscheiden muß. Die letztere betrachtet man als
484
Psychomechanik,
im »Interesse«, in einer «ursprflni^lichen Aufgelegtbeit ffir dies
oder jenes« wurzelnd. Daß aber auch sonst die Apperzeption, die RichtuDg
des Bewußtseins auf einen bestimmten Inhalt, an sich nicht eine fcewollte,
zielbewußte zu sein braucht, fifeht daraus hervor, daß sie uns oft genng
durch Unerwünschtes nur zu sehr abßrepreßt wird.
Wenn Bai'mann in dem Witlen den »appetitas rational is«. den
durch Krinncrung'sbilder beuiDflußten^ auf ein bestimmtes Ziel htnfz:erichteteD
Trieb, also die Vorwegnähme einer Handlung mit Lustgefühlen an derselben.
aber nur unter der Voraussetzung erblickt, daß eine unwillkQrliche
Betfiti^ung in gleichem Sinne voraufgegangen ist, so vermag ich hierin
eine Erklärung des für unsere Begriffe so schwer zu verdeutlichenden Vo^
gangen — gerade was den Kern des Rätsels anlangt — nicht zu erblickeo.
Daß gewissermaßen auf von früher her zentral aufgespeicherte Reize hin
die zentripetale Hfllfte eines Reflexbogens mit einem energetischen Substrat
beschickt werden karn. bedarf in diesem Falle doch woniger der Aufklärung
als der rätselhallo Vorgang dieser Keschickung nach dem Prinzip der in-
dividuellen Wahl, die deshalb immerhin ja noch keine unbeschränkte, »freie«
im eigentlichen Sinne des Wortes zu st^in braucht.
Wie man die Sache auch dreht und wendet, man kommt um die Ein-
schaltung eines transzendenten Faktors nicht herum. In welchem Momente
des psychomechanischen Aktes ist diese aber vorauszusetzen? Welcher Um-
fang kann ihrem Einflüsse zugeschrieben werden?
Das ganze Problem kann meiner Überzeugung nach nur an der Hand
der von Ottomau RusKNBAfH in so geistvoller und durchdachter Weise dar-
gelegten Beziehungeu zwischen dem psychischen und somatischen Betriebe
und zwischen dem zerebrospinaien (infrakortikalen) System und der Gehirn-
rinde, wenn auch nicht gelöst so doch unserem Verständnis näher gebracht
werden.
Nach den AusfOhrungen Rosexüachs, die in Anbetracht ihrer Wich-
tigkeit Im nachstehenden ausführlich wiedergegeben werden sollen, übt die
Rinde des Großhirns einen regulatorischen Einfluß auf die rein automatisch
fanktionterenden Huhkortikospinalen Teile des Zentralnervensystems (d. h.
Kiicküninark inklusive Goliirn mit Ausschluß seiner Rinde) aus.
>Dus Großhinirindensystem ist an die beiden anderen, übrigens in
antagonistischem Verhältnis zueinander stehenden zentralen Systeme —
das subkortikale oder zerebrale und mittelbar weiter peripher an das
spinale — in der Weise angeschlossen, daß immer mit der Einschaltung
des folgenden Systems ein Widerstand in den Leitungshahnen des voranf-
gehenden gesehalfen wird und so gewissermaßen mittelst Einfügung eines
Rheostaten oder Umschaltungsapparates der Impuls im Aufstieg oder Abstieg
seinen Weg durch das System der Anschlußleitung statt auf dem kürzesten
Wege durch den Querschnitt des nächstgelegenen Abschnittes des Zentral-
nervensystems zu nehmen gezwungen ist.«
W^as nun die Frage der Reizleitung anbelangt, so ist es nach
RosENUA( H wohl sicher, daß auch im Nervensystem wie in allem protoplas-
matischen Gewebe die Wellen der Energie sich von den Reservoirs, den
Akkumulatoren (den von Rosexbaoii als Energeten bezeichneten kleinsten
Protoplasmamaschinen) gleichmäßig nach allen Richtungen fortpflanzen. »Man
kann nicht nur au» Analogien, sondern auch aus direkten Beobachtungen
folgern, daß die Erregung vom Kerne aus sich auf die gesamte Umgebung,
von einer Ganglienzelle auf alles mit ihr in Verbindung stehende Nerven-
gewebe überträgt, ohne daß gerade ein Fortsatz nötig ist, der direkt mit
einer bestimmten Faser in Verbindung steht. Nur die Notwendigkeit, be-
sonders hohe Spannungen für außerwesentliche (interorganische) Leistangen,
z. B. die Fortleitung der Reize auf weitere Strecken und eine dauernde
Psychoniechanik.
485
gleichmäbige tonische Innervation zu erzielen, erfordert prfiformiRrte Bahnen,
resp. eine isolierte Leitan^.«
Die histologische und physiologische Einheit der nach Waldbybrs
Vorschlag als »Neurone« bezeichneten Komplexe nervOser Elemente fd. h.
einer QangÜenzelle rait dazu K^bOrijren Dentriten und den sich iri Teloden-
drien oder Kndbäumchen veirweiffendon Xeuriten), die, durch Anlegung und
Rontakt verbunden und in stufenweisor F'oise zu Netzen angeordnet nicht
nur die Leitung in den nervösen Zentralorganen ausschließlich ermöglichen,
sondern auch die physiologischen Zentren fflr automatische oder reflek-
torische Bewegung, für Empfindung und Seelentätigkeit, fOr trophische und
sekretorische Funktionen daratolion sollen, wird ja nicht nur von Bkthk,
Af'ATBY , Nissi, und anderen neueren Forschem bestritten , sondern ihre
hypothetische Annahme ist auch in keiner Weise imstande, auf die Vor-
gänge im Nervensystem ein nur in irgend einer Richtung klärendes Licht
zu werfen.
Die Nerven selbst sind nach der Lehre Roskxbachs nicht etwa ein-
fache Leitungsbahnen im physikalischen Sinne, sondern gleich den Systemen
des Gehirns und des HiJckenmarks Komplexe kleinster arbeitleistender
(kalorischer) Maschinen, welche die von der Außenwelt oder aus anderen
Geweben bezogene Energie fWärmej in die ihnen spezifische Form der
letzteren transformieren, aufspeichern und unter gewissen Umstunden weiter
geben; sie sind also zugleich Transformatoren und Akkumulatoren.
Es ist nach KoSENBAt h sehr wahrscheinlich, daß diese Maschinen schon
äußerlich gekennzeichnet sind, und dali wir in den RKxviERsrhen Ein-
scbnQrungen der peripheren Nervenstämme die markierten Grenzen der ein-
zelnen NervenmaschJne zu sehen haben. Die zwischen zwc^t solchen Ein-
BchnQrungen bpfindlichen Gebiete, die ja In der SciiwANNschen Scheide einen
großen Kern benitzen. repräsentieren dieser Auffassung nach bereits eine
größere Einheit der Norvenraaschine, indem der Kern, der durch die Gefäße
der Scheide mit Blut versorgt wird, schon die höhere Form der (Sauerstoff-J
Maschine, den kombinierten Betrieb, kennzeichnet. Vielleicht sind die
Schmidt -LANTEKMANXschen Einkerbungen ebenfalls das äußere Merkmal
kleinerer Maschinen.
Die peripheren aufsteigenden (induktiven) Nerven nun dienen nach
RosENBArn »als Bahnen einmal fQr die kralUiefernden Energiestrome der
Außenwelt, zweitens aber auch für die AuslÖBungsreize, die die Außenwelt
zum RQckenmarks-Akkuniulator sendet. Auf diesem letzteren Wege werden
somit die zentral aufgespeicherten KraJtvorräte ohne Intervention des Gehirns
zur direkten (reliektorischen) Arbeitsleistung gebracht.«
RnarNBATH glaabt eben nnnehniHn zu ililrfen, daß durch Jas ganze Nerven »yate in ein
Kreislftul ilcr Energie atnttlindi't. Der Strom der It^tütereii flifiüt voa dcT Außenwelt korainend
(an! drm Wege übi^r iü'w. Äuntripftalen Nerven der Haut uaü der Slnneüorgane , üi>er Uas
Rückenmark and Gehirn untl ihr. zi^iitriludalen, vor allem diö uiotoriach^'ii Nerven bzw. Muakelu)
wieder zu jener ab. Mit Erluig bat Kobksbach durch eine große Reihe eingehender Unter-
cncbnngen den Nachwei» zu lUhreu gebucht, duQ >alle LtlieosvorgÜnge an! der Tendenz be-
rubeDf eineraeitH die BeziehunjreD zur AuÜeuwelt, audrerseitH die spezifisch«! Maaaenbeacbaffen-
heit de« inneren Betriebes aulrecht zu erhaUen; letztere!) durch die jenem entnomm -nt'n , d.h.
hier tranaronuierten, urspriin^flich aas der Außenwelt bezogenen Kräfte« Deshalb hiebt dieser
Forscher die Bioene rgetik» d.h. dir Lehre von der UiJdung und Aufnahme, Umgestaltung
und Yeranagahnng der für d»n L*>hen c ha rakterh tischen Knergietormeii al^^ die Ba^i8 unnerer
ganceD physiologischen und pathotagiachen Erkenntnis an und au^H iWr ZeUnlar-Patbologie,
deren Ergebnisse mit dem Erbringen des Nachweiseä greifbarer Organverändernngen nur von
formalem« deikriplivem oder gar anatotnit^ebem InttreHSe nein kann, die Energuto-Patho-
logle, die Lehre von den BetriebBat Orangen des OrganiHmua entgegen, als deren
praktJBche Kooseqneni eine Verlchendigung der Diaimostik , eine Erleichterung der Prognose
DDd die Gewinnung fmehtbarerer Gesichtspunkte für die Therapie renultiert. Er begnügt
sich eben nicht mit der FtiHtbtellung dauernder Veränderungen, sondern macht, nach betriebti-
tecbniiieheu Prinzipien verlahrend, die Erforschung dcä SVerdeproiesses der SloruDg zu seiner
Aulgabe.
486
Psychomechanik,
•^Bei den hoher organisierten Wesen beschränken sich die Reflexe
auf gewisse Reize, die eine bestimmte Scliweile noch nicht Oberschreiteo
und die hoher aufwärts angeschtossene Zentrale (das Qehirn) noch nicht
anzuregen vermögen. Diese Anregung kann erst bei einer derartigen Stärke
des Reizes erfolgen^ dati durch ihn die Valenz der eigenen Spannungen in
den erwähnten angeschlossenen Zentralstationen — d. h. ihr Tonus — öber-
wunden wird< (0. Rosknhach).
Tonn« ist iiiich Kosexbach die Eigenschaft orffantsierter Gewebe, unter allpo Ver-
hSItnisHen eine bi?stimmt*^ mittlere SpannnnR za bewahren, d. h. bei der aktiven Verkleinerung
(Kontraktion, Systole) nicht verdichtet, bei der aktive« Äusdehnnng (Diastole) nicht gedehnt
zn werden. Ein kräftiger Tonu» in dieaem .Sinne ist alio nicht bloß die Fähigkeit, sich
eoergipch zu kontrahieren, sondern aaeh an» der mittleren (normalem Oleichgewichtfllage
ergiebige oyetoliscbe und dlantoUsehe Kontraktionen za machen, er ist alao dir Vorbedio-
gnng einer normalen ArbeitBleiätiing den ProtoplaBmafl im Sinne der
Funktion. DerTonim de« Nervenbyetems resultiert aus der tonischen Energie,
die ans der Hochspannung der im Kürper gebildetua Wärme im Medium des moleknUren
Sauerstoffes stammt {daher >oxygtine« oder »Sautrstotfenergiec). Sie Ist imstuide, die Aus-
dehnung wägbarer Uassen, die Diastole des Organgewebes, die reziprok an eine Systole
seiner Atomgriippen. der eigentlichen Moleküle gekuQpft ist, herbeizuführen (daher auch
»diastolischi!« oder »eipanHivet Energie!) und ihr verdankt das Nervensystem (ehen im Zo-
stande de» TonuH> die Fähigkeit, Ströme der Außenwelt anfznnehmen, sie za potenzieren
(hocbznspancen) und zu leiten. Der Tonus des Nervensystems für anßerwesentUcbe Leistunif.
lUr Betätigung in der Außenwelt, steht in Analogie eum diastolischrn Tonna des Herzens,
der die Möglichkeit Kur Erhöhung der KapaziiUt, zur Schaffung von Aspirationsriinmen, zar
Zufuhr des Energiebedarfes aller Form fUr diu Organe auf dem ftlutwegc bildet. Ein zweiter
Teil der im K'irper gebildeten, resp. im Nervensystem hochgespannten Energie wird zor
systolischen Spannung der motorischen Apparate, zur Bildung der für den zentrifagalL^n Be-
trieb nötigen Kraftsubütrate verwertet (»Ditrogene Energie«, weil aus dem molekularen
Stickstoff bezogen).
»Das Rückenmark bleibt auch bei den hßheren Organisationen nach
der Anlage des gauiton Betriebes das huuptHÜchlicfaste Innervationsurgan
der Beuger (resp. auch der Adduktoren und Spliinkteren). Steht der Or-
l^aniaiiius unter besiindi^ren Uujstanden nur unter detn vorwiegenden oder
alleinigen Einflute des Rückenmarkes bzw, seines Tonus, so sehen wir die
Beugestellung über die Streckung prävalieren bzw. allgemeine Reuge-
krämpfe eintreten.* iRosENBACHsches Gesetz.)
'Der Anschluß des subkortikalen Gehirns nun, resp. der tonische
F)tnfluß, den es eben schon durch diesen Anschluß auf die von der Peripherie
zu ihm und nach jener von ihm voriaufenclen Hahnen (also in zentrifugaler
Richtung auch in den zentripetal ziehenden!) ausübt, weist zunächst den
Hauptstroni der sensiblen Impulse im Aufstieg auf einen longitudinalen Ver-
iftuf durch das Rückenmark an. Dieser Aufstieg würde ohne Benutzung der
zum Gehirn (zunächst also dem subkortikaien) durch die Hinterstrange ver-
laufenden Bahnen nur bis zu den Ganglien der HinterhÖrner erfolgen; der
ungehemmte AbfluU — wenn wir die Analogie mit einem elektrischen Strome
beibehalten — über den Querschnitt des Rückenmarkes durch die Ganglien
der Vorderhörner zur Peripherie aber würde auch bei nur sehr mäßiger
Stärke der ursprünglichen Impulse jene fessellose Tätigkeit entfalten, die in
klonischen Zuckungen der zum Gebiet des betreffenden Bogens gehSrenden
Muskeln bzw. in Beugekuntrakturen der Gelenke zum Ausdruck kommen
muß.' Aber nicht nur in dieser Richtung vorgebeugt wird durch die Ein-
srbultung der Hinterstrangbahnen, sondern »auch eine positive Ausnutzung
großer, im Organismus parat gestellter Enorgievorräte dadurch ermöglicht,
daß der zentripetal aufsteigende Strom mit dem Abschluß vom kürzesten
Wege zugleich den ganzen angeschlossenen Bereich des Sympathikus durch-
fließen muß, ehe er zu den VorderhÜrnern gelangt. Bei der Passage des
Sympathikus mischt sich nun der aufsteigende Strom mit dieser Kraft-
station der großen parenchymatösen Organe, ehe er dem Hückonmark und
Psychoinechanik.
487
Gehirn — den Äkkamalatoren parater Nerveoenergie fn jeder Form —
zuf^eführt wir.I« (O. Rosenbach).
In zwiefach anderer Hinsicht noch ist der Anschloß des subkortikalen
Gehirns bzw. der von ihm ausfcehende Tonus auf die zu ihm und von ihm
durch das Rflckenmark ziehenden Leitun^sbahnen von f^rßUtem Rinfluti auf
den Ablauf der Impulse bzw. auf den (geschilderten Kreislauf der durch sie
Übermittelten Nervenener^ie. wenn dieser Einfluß auch erst nach einem
weiteren Anschluß des dem (synthetisch funktionierenden) subkortiko-
spinaten Systemenkomplex Qbergreordneten kortikalen Systems in
Kraft tritt:
»Einmal gestattet nämlich der vom subkortikalen Gehirn in zentri-
fugraler Richtung auf die e^leichseitiicren aufsteig:enden Bahnen (in den
Hinterstränjcen und den sensiblen Nerven) aus;7eubte Tonus bei einer (ge-
wissen Stärke seinerseits den Impulsen, denen er den Aufstieg in longi-
tudinaler Richtung nach dem Gehirn erleichtert, auch die differenzierende
Erregung einzelner Rindengebiete und damit die bewußte Wahrnehmung,
die Differenzierung der Erregungbimputse nach Art, Quantität und Qualität.
Es wird somit das feinere UnterHcheidungsvermÖgen, das wir als Resultat
der Aufmerksamkeit betrachten , nur dadurch ermöglicht, daß durch
starke zentrifugale Impulse die sensiblen Nerven für die Leitung feinster
Reize zum Organ der Apperzeption befähigt werden. Andrerseits aber er-
laubt der vom subkortikalen Gehirn auf die zentrifugalen, sog. >tono-
motorischen« in den Pyramidenvorderst rängen verlaufenden Hahnen ausge-
übte Tonus, indem er den Nervenstrom gewissermaßen aufstaut, ihn hoch-
spannt, seinen unemgedämmten Abfluß nach der Peripherie hemmt und die
zirkulierende Energie, ehe sie im Kreislauf des Kraftwechsels durch die
Muskeln wieder in äußere Arbeit umgesetzt wird, bis zum Eintreffen ge-
wisser von der Großhirnrinde ausgehender Signale zurückhält, jene beson-
dere Feinheit der Bewegungen, die wir bewußt koordinierte (Willens-
akte) nennen. Der Tonus des subkortikalen Gehirns gestattet mit anderen
Worten dem in der Rinde lokalisierten Willenaorgan so lange den in den
Rückenmarks-Akkumulatoren aufgespeicherten Strom zurückzuhalten , bis
von der Rinde selbst aus auf dem Wege der in den Hyramidenseiten-
strängen verlaufenden tonomotorischen Bahnen das Signal zur Auslösung,
zur Scbließung und zum Aidauf in die motorischen Nerven gegeben wird.
Der Tonus des subkortikalen Gehirns vermag aber andrerseits, wenn
er ungehemmt durch entgegenstehende kortikale Einflüsse in den motori-
schen Bahnen frei walten darf, durch funktionelle Bildung bestimmter
Strom bahnen von zweckentsprechender Spannung . durch Schaffung der
nötigen Oberflächenspannung resp. von Übergangswiderständen in allen be-
te! 1 igten A pparate n Massenverschiebungen von einer bestimmten
(gewollten) Form und Gr6ße vermittelst des auslösenden Witlensim-
pulaes nicht nur zu erzielen, sondern trotz stärkster Reize auch zu
unterdrücken.«
War das Rückenmark nach der Anlage der gesamten Maschine, als
die wir den Organismus ansehen dürfen, das vorwiegende Innervationsorgan
der Beuger (resp. auch der Addiiktoren und Sphinkteren), so hemmt die
tonische Innervation des subkortikalen Gehirns die Tätigkeit der
Sphinkteren (Kontraktoren), Adduktoren und Beuger, vorstärkt aber die
Ihrer Antagonisten, vornehmlich der Strecker und Abduktoren. vermutlich
auch der Diiatatoron (falls es besondere Apparate für die letztere Form
der Funktion gibt). Aus der harmonischen Tätigkeit der beiden unter sich
in antagonistischem Verhältnis stehenden Teile des nervösen Zentralapparates
resultiert der mittlere vitale Tonus, bei dem eine leichte Beugestellung (die
Rumplmuskulatur nicht ausgenommen) vorwaltet. Diese kann nur durch
488
Psychomechanik.
das EiD(^rei!en eines weiteren, den beiden koordinierten Systemen über-
geordneten Organs abgeändert werden: der Großhirnrinde.
»Dieses Elng^reifen des Hindenorgans ist es.* wenn wir RosENBArn
selbst wieder das Worc lassen, »welches den mittleren vitalen Tonus zd-
gunsten oder Ungunsten des einen seiner Faktoren zu verstarken oder zu
schwächen vermag, und zwar nach immanenten , qualitativ individuellen
Verhältnissen, die eben im »Willen« ihren Ausdruck finden. Schon dazu,
am die Prävalenz der 8pinaU>n Innervation der Beue:er und Adduktoren zu
überwinden, gehört eine Verstärkung des zerebralen (subkorttkalen) Im-
pulses durch den Willen. Während der mittlere vitale Tonus eine für die
Zwecke des Individuums vorteilhafte Mitte zwischen Beugung und Streckung
einhält, die der Ausdruck der zerebralen isubkortikalen) Bestrebungen ist.
dahingehend, die Herrschaft des Rückenmarks nicht zu groß werden zu
lassen, ist die aufrechte (steife) Haltung und die Fähigkeit, die Sphinkteren
willkürlich zu offnen, ebenso das Zeichen stärksten Willens (ätärkster
Lebensenergie) wie das des Todes, der ebenso wie der Wille die Herrschaft
des Rückenmarks aufhebt und die einfachen mechanischen, physikalischen
Verhältnisse Platz greifen läßt.
»Da der tonische Impuls auch für die sensiblen Nerven vom Zentrum
kommt, ist der ganze Vorgang der Innervation bei den höheren Organi-
sationen so zu denken, daß die die peripheren Nerven treffenden Reize bei
einer gewissen Stärke den ganzen atibkortikospinalon Apparat in Bewegung
setzen und mit diesem die mit ihm im engsten Zusammenhange stehende
Qehirnrinde, insofern diese einen gewissen Grad der Ausbildung erreicht
hat. Dieser letztere hängt von der generellen Entwicklung der Art wie in-
dividuell von der Entwicklungsstufe ab. So ist es auch, was den Menschen
anlangt. leicht zu erklären, daß, wo die Entwicklung der Rindenfunktion
noch nicht eingetreten ist (z. H. beim Neugebornen) oder wo sie gar nicht
oder nur in beschränktem Umfange eintritt (Idiotie), ihr tonischer Einfluß
auf die sensiblen und motorischen Bahnen nicht zur Geltung kommen kann
and der Botrieb der ihr untergeordneten lin sich antagonistischen) infra-
kortikalen Zweiheit in völlig automatischer Form überlassen werden mnß.<
Daß nichtsdestoweniger den untt^rgeordneton Leitungabahnen auch
eine selbständige Holle bei den hoher organiäierten Individuen zu spielen
beschiedeo ist, hängt mit dem Um&tande zusammen, daß die ihnen über-
geordneten , antagonistisch oder regulatorisch eingreifenden Systeme nur
durch stärkere Heize in Betrieb gesetzt werden.
Das subkortikale Gehirn und das Rückenmark sind nach RosBNnACH
gleichsam koordinierte Einrichtungen, deren Synthese (d. h. einheitliche
Fnnktion) erst im psychischen Orgnn^ d h, der* als Organ des Willens und
der Vorstellung (somit des Hewulitseins und des Denkens) funktionierenden
Orolihirnrinde in der Weise zum Ausdruck kommen kann, daU die gesamte
Rinde der einen Hemisphäre (oder wenigstens ein groUer Teil von ihr) als
Organ der Vorstellung, die andere (bzw. ein Teil) als Organ des Willens
fungiert: *Die beiden Rindenhälften regulieren die untergeordneten, nur eine
Seite des Betriebes zum Ausdruck bringenden subkortikalen und spinalen
Einrichtungen nach Prinzipien . die nur von der psychischen Organisation
and ihren Spannungen abhängig, dagegen immanent sind gegenüber den
reflektorischen Geschehnissen.«
»Die Aufmerksamkeit kommt, abgesehen von der früher erwähnten
Mitwirkung der Summe starkor zentrifugaler Impulse, die durch die zentri-
petalen (sog. sensiblen) Nerven geleitet werden, wesentlich durch die Be-
ziehungen der beiden Rindengebiete zueinander zustande.«
Nach RosE.VBACH^ Auffassung sind die den sogenannten »leeren« Raam
zwischen den Wettkörpern, ganz ebenso wie alle irdischen und autiertrdi-
Psychomechunlk.
489
sehen Massen durcbdring-enden Ströme leinster. noch qualitätloser
Materie die ausschlieliliche Ursache aller zutage tretenden
Energie, von der nur ein Bruchteil von uns als Licht. Wärme. Elek-
trizität usw. differenziert zu werden vermag, während fOr den gröUton Teil
»derselben noch die Bezeichnung als >dunkle Strahlen« herhalten niuU.
;»Dic Körper, an die uns gewisse Formen der Knergie in Form von Licht,
Wärme, Magnetismus^ Klektrizität gebunden erscheinen (wie die Sonne, der
magnetische Pol, die Elektrisierniaschlne). nlnd dementsprechend nicht
Erzeuger, sondern Transformatoren der (aus dem Weltall zuströmenden)
(Energie. <
r Indem nun der hochkomplizierte Organismus jene geopetalen feinsten
Btröme der Außenwelt, von denen er durchkreist wird, nicht nur transfor-
miert, sondern indem er sie durch Vermittlung seiner Großhirnrinde in eine
Art Relation zu sich bringt, sie zu differenzieren vermag, wird er, wie
RosKNBACH sich treffend ausdrückt, zum Spiegel der Außenwelt, zum Maß
aller ihrer Erscheinungen, zu ihrer Wage.
^L >E8 muß aber ein weiteres Maßinstrument, ein Registrierapparat
^pdieser Wage vorhanden sein, welcher die Größu der Verschiebungen (und hier-
mit auch die Spannungen der Außenwelt, die jene Wage in ihren Schwin-
gungen zum Ausdruck bringt) bewertet und sie in ein ideales Bild der
Wirklichkeit, in eine Kette von Vorstellungen überträgt«
Diesem Bedürfnis ist durch die erwähnte Kombination drr beiden
Gehirnhemisphären-Rindonhälften zu einer sich ergänzenden Einheit Rechnung
^getragen.
B- Die Bewegungen im Gebiet einer Körperhälfte kommen in der entgegen-
gtMtzten Großhimrindenhälfte zum Ausdruck. Üieaer Apparat unterliegt
zweifellos ebenso wie die Aufnahmestation einer tonischen Innervation,
welche er nur von außen durch einen transzendenten Vorgang erhalten kann.
Der Angriffspunkt dieser letzteren muß. weil er einerseits nirgends anders
als in der Gehirnrinde an sich, andrerseits aber keinesfalls in der primär
erregten (gekreuzten!, in ungeeigneter Schwin^'ungsphase sich befindenden
Henusphäro gesucht werden darf, nach Rosknb vcH unbedingt nur in der
gleichseitigen Hirnrindenhälfto Hegen.
»Hat man so allen Grund zu der Annahme, daß die gleichnamige Hemi-
sphäre auf das erste Signal eines Impulses einen tonischen Strom zur ge-
kreuzten Hemisphäre — wie übrigöns auch zur gleichnamigen Seite der
Peripherie — sendet und jene für die Wellen, die der erste gekreuzte
zentripetale Impuls angekündigt hatte, diese für weiter nachfolgende Im-
pulse schneller oder Inngsamcr ompffinglich macht, ao muß der zentrale
Empfangfinppflral seine Spannung periodisrh wechseln. Dadurch ist aber nicht
nur die Möglichkeit, sondern auch die auf analogen Erscheinungen bei
allen Lebensv urgängen basierende unumgängliche Konsequenz gegeben,
daß in der entgegengesetzten SchwingungBphase die gleichsoitige Rinden-
hälfte ebenso die in der rezlpierendon Hemisphäre zum Ausdruck kom-
menden Schwankungen der Wage (s. o,] registriert, d. h. zum Bewußt-
sein bringt, wie sie sie andrerseits in der ersten Phsse (und deren jedes-
maliger Wiederkehr) zu regulieren vermochte.
»So repräsentiert jede Rtndenhälfte sowohl das Tonometer wie den
TonomOtor ihres Partners. Die erste tonometrische Funktion wird durch die
gekreuzten zentripetalen und die bikortikalon bzw. intermediären Bahnen
(Balken- und Kommissurfasern) vermittelt, die zweite tonomOtorische durch
die nach der gleichnamigen Körperhilllte gehenden Pyramidenbahnen der
Vorderstränge. Durch die letzteren werden also zu einer koordinierten Muskel-
gruppe nicht motorische, sondern ausschließlich tonische (trophische) Im-
pulse geleitet, von denen die ganze Oberflächen- d. h. Enorgiespannnung des
490
Paychomechanik.
gesamten Betriebsbezirkes, die ganze Leistung der variablen funktioDellen
Einheit in direktem V^erbaltnis abhängt.
>Da der Widerstand auf dem Wege der tonomotorischen Bahnen an
bestimmten Punkten der Oberfläche besonders erhöht wird , so i&t durch
die Stärke der durch sie flietSenden Impulse auch die Große der Knergie-
quote gegeben, die als Willensinipuls zur Kr5ffnung der Bahnen dient,
aus denen die gespannte Energie für die Arbeitsleistung zum Werkzeuge
abströmt.
»Ein Überwiegen der tonomotorischen Impulse, die bei richtiger Re-
gulation dazu beitragen, die peripheren Vorgänge im Sinne der einheitlichen
und vollkommenen Funktion zu gestalten, kann also Hemmung resp. Er-
schwerung der funktionellen Leistung bewirken, indem an einer beliebigen
Stelle oder für eine beliebige Kombination von motorischen Effekten der
Einfluß des Willensimpukes vormindert oder aufgehoben wird. Es wirkt der
tonomotorische Impuls auf diese Weise in der Art eines Rheostaten, der
den Strom ablenkt oder mit verminderter St&rke in ein bestimmtes Gebiet
fließen läßt.
»Auf der anderen Seite wird durch einen zu geringen Widerstand
für die gekreuzt verlaufenden Willensirapulae der Wert der Leistung ver-
mindert, indem die Energie ganz ungehemmt, gewissermaßen diffus abfließt
(verpufft).
»Die Gehirnrinde bzw. das dort lokalisierte Substrat des Willens
lunktioniert also nur dann zweckmäßig, wenn annähernd gleichzeitig zwei
reziproke Innervationen von beiden GehirnhSIften gegeben werden.
'Durch die besprochf^nß Modifikation des einfachen, nur ein l ber-
trai;ung8zentrum erfurderndon Reflexes, die mittelst des tonomotorischen
Jmpulties bewerkstelligt wird, ist eomlt ein Vorgang getjchaffen, der dadurcb.
daU er auf einem außerwesentticben (nicht immanenten, sondern trans-
zendenten) Faktor basiert, eine beliebige funktionelle Verwendung der
disponiblen Energiemenge nach qualitativen — nicht einfach mechanischen
— Prinzipien gestattet.
>Eine unabweisbare Voraussetzung für die Regelmäßigkeit der dyna-
mischen Vorgänge muß es aber sein, daß die Spannungen in den beiden
Körperhälften nicht die gleichen: <J. h. daß sie nicht zeitlich und der Rich-
tung nach identiHch sein können. Daher ist es durchaus wahrscheinlich, daß
eine Hälfte stets fOr eine Form von Impulsen der Außenwelt die aktivere,
die mit größerer zentripetaler SchwingungsEähjßkelt ausgerüstete sein wird
und daß von dieser polar aktiveren Hälfte damit bei den ersten von außen
kommenden Impulsen das individuelle Leben beginnt. Im allgemeinen können
wir darauf schließen, daß beim Menschen der rechten Körper- und der
linken Gehirnhälfte die größere Höhe der Spannung und der Fähigkeit
zur Verschiebung auf Andrüngen von Wellen (d. h. also «nr Reaktion auf
die letzteren), der rechten Hemisphäre und der linken Körperhälfte
aber der geringere Masseiitonus und dafür eine größere Empfänglichkeit
für den Strom der Energie selbst zukommen wird. Es würde demnach
der Körper in der Regel von der rechten Hälfte her mehr mit Energieströmen
geladen werden, während er auf der linken für gespannte Oberflächen
(Wellen) empfindlicher ist.«
Hier alle Gründe zu wiederholen, durch die Rosbxbach es plausibel
gemacht hat, daß der innere Strom der Erregung im Gehirn i'fQr Vor-
stellungen) sich aller Wahrscheinlichkeit nach hauptsächlich von der rechten
Seite zur linken bewegt, würde wohl zu weit führen. Seinen Ausführungen
nach ist die recht« Rindenhälfte der Tonoregulator für die linke, so daß die
Hemmung der Willensimpulse haupl£)ächlicb von der ersteren aus erfolgt,
die ja auch nach der allgemeinen Annahme die Hauptstätte der eigent-
Psychoniechanjk.
491
Mrchen freistigen Produktion, der Bildung' von Vorstellangen ist, während
die linke demgeßrenOber als die Bildungsstätte der hauptsächlichsten sinn-
lichen Wahrnobmungen und der Willensimpulse angesehen werden muß :
I »Ana der Verbindung der Arbeit beider, die die mannigfachsten Kombi-
nationen ergibt, resultiert dann der höchste psychische Betrieb, die
Apperzeption. Assoziation und der bewut5te Willensakt.
»Die beiden Hemisphären atfben so im Verhältnis umgekehrter rezi-
proker Spannungen, in einem polaren Verhältnisse. Diese Einrichtung,
steht völlig im Kinklange mit dem ersten Grundsätze der Dynamik, der fQr
jeden Retrieb, för die Aktivierung jeder Einheit asymmetridche und dis-
chronisohe — d. h. eben polare — Spannungen erfordert, während für die
Gestaltung der formalen stabilen Einheit gleiche Spannung, d. h. Symmetrie
der Formen und geringste zeitliche Differenz in der Wirkung der Energie-
faktoren Bedingung ist.
»Durch die Anwesenheit einer dynamisch asymmetrischen Anordnung
einer zweiten Hemisphäre, die mit der Reize leitenden Oberfläche ebenso in
Verbindung steht wie mit der Oberfläche des Reaktionsapparates, ist die
Möglichkeit gegeben, iede Art der Hegulatiün zu bewerkstelligen, rl. h. am
schnellsten Wahrnehmungen Jeder Form zu ermöglichen, da immer ein fflr
jede Form der Schwingungen geeigneter Resonator vorhanden ist. Jetzt kann
jede der Hemisphären als Wage und Registrierapparat für die diskontinuier-
lichen Impulse dienen, und Indem sich beide ergänzen, funktioniert jede ab-
wechselnd als Reaktion»- i Reflex-) und als Registrierapparat, dem die Beob-
achtung obliegt : jede nimmt abwechselnd eine Form der Bewegung, den
Strom (von auben zufliebender geopetaler Energie) oder die Wellen (die
Fortpflanzung der Gleichgewichtsstellung der Umgebung) wahr und jede
reguliert die äußeren Impulse so zweckmäßig, daß die Kontinuität der Wahr-
n^hmunsen über die Relation der Obertluche zur Außenwelt gewahrt wird.
Es sind Bo zwei Beobachter mit der Registrierung der beiden
Formen jeder Bewegung, der Ströme und der Wellen beschäftigt,
und da sie ihre Wahrnehmungen identisch auf die Oberfläche QbertrageDf
so bleibt, da iene die räumlichen und zeitlichen Beziehungen zweier Beob-
achter und Objekte in sich schließen, die Einheit der Orientierung ge-
wahrt: es resultiert somit ein »^Ich«, das sich in bewußtem Gegensatze
zur Außenwelt befindet und infolge der Ermögticbung eines Vergleichs der
jeweils in zwiefactien Formen ihm zufliegenden Beobachtungsergebnisse mit
der Fähigkeit einer Analyse der transzendenten und inneren Verschiebungen
ausgestattet ist.
»Die Schaffung eines Einheits-Ich, d.h. die Feststellung der Zusammen-
gehörigkeit der beiden Beubflchter, deren Schicksale glrtch sind, erfolgt mit
dem Augenblicke der konstanten tonischen Syni^rgie und reziproken Erreg-
barkeit beider Körperhälften. Wenn jeder der beiden Beobachter festgestellt
hat, daß jedem äußeren Geschehnisse eine bestimmie Veränderung der ge-
samten Körperoberllfiche und der inneren, die H>mpfindung und Vorstellung
repräsentierenden Wagschale entspricht und daß schließlich jede innere Ver-
änderung sich durch eine Massenversehiebung in der eigenen Sphäre und in
den äußeren Beziehungen in Form der Reflex- und Willent^akte ausdrücken
kann, dann ist die Einheit der kürperlichen Vorstellung gegeben.
»Solange die Vorgänge in beiden Hemisphären eine annähernd gleich-
artige, ungemein schnelle, aber doch diskontinuierliche Spannung der Ober-
fläche ermöglichen, solange der Tonus der äußeren, d. h. der den Meningen
zugewandten Oberfläche und der Tonus der inneren Grenzfläche, resp. ihrer
Verbindungsstücke im Balken, der BrQcke usw. die richtigen Beziehungen
garantieren, d. h. also solange jede Hälfte in den Stand gesetzt Ist, den auf-
merksamen Beobachter der anderen und den Regulator aller Beziehungen
492
Psychomechunlk.
2a bilden, ist die Einheit der Orf^anisation, die einheitliche Vorsteilung der
Ich-benrußten Wahrnehmung garantiert.
»Überwiegt dagegen die Höhe einer Form der Spannungen, sei es durch
ungewohnte ntarke gleichartige oder gleichzeitige Reizung beider Hälften oder
durch ObermäUige Heizung einer Hälfte, liegt somit eine wesentliche Ver-
änderung des gemeinsamen Tonus vor bzw. die Unfähigkeit, ihn schnell
wieder herzustellen, so kommt es i*^ nach dem Grade seiner Veränderungen
zu abnorm starken Vorstellungen, zu motorischen Akten bei
mehr oder weniger erhaltenem Bewul^tsein oder sogar zu S 1 5-
rungen der einheitlichen Vorstellung, der Ich-bewaUten Wahr-
nehmung und der von dieser abhängigen, bewußten (gewohnten)
Willensakte. Tritt dann noch weiter dazu, daU die Schwingungen inner-
halb des Zwischenraums äquivalenter Phasen in den beiden Hemisphäreo.
die das ZeitmaÜ repräsentieren, nicht mehr ausgeglichen werden, daÜ aaf
diese Weise das gewohnte zeitliche Maß für die Erregungen und somit fQr
die Vorgänge, deren Beobachter und Regulatoren die Hemisphären abwech-
selnd sein sollten, verloren gegangen ist. so beginnt die Orientierang zq
fehlen^ indem der Inhalt des BewulUseins nicht mehr in gleicher, der Er-
fahrung entsprechender Beziehung zur Außenwelt steht: es tritt Schwindel
und echlielMich Bewußtlosigkeit auf, die bis zur Wiederherstellung des
normalen Tonus andauern.
*Da nur wegen der verschiedenen Valenz der Impulse bzw. wegen der
Wahrnehmung der Reihenfolge und der Unterschiede in den Spannungen der
innerhalb und außerhalb der Oberfläche gelegenen Teile der Hemisphären
die Vorgänge der Außenwelt different erscheinen, so geht aber andrerseits
daraus auch hervor, daß von der Spannung und Beschaffenheit der peri-
pheren Transformatfonsapparate ein wesentlicher Teil der Gestaltung de.i
Ichbewußlseins und des Mechanismus des Ich abhängen maß. Schon mit
dem Grade der Fähigkeit der Haut, resp. der Sinnesorgane, als Transforma-
toren oder Isolatoren zu wirken, also die Sphäre des Individuums von der
Außenwelt subjektiv und objektiv zu trennen, geht wohl meistens auch die
Möglichkeit Hand in Hand, bewußt zu differenzieren, also vermittelst der
Organisation des Gehirns die verschiedenartigsten Kombinationen von Bildern
und Vorgängen der Außenwelt zu schaffen, möglichst viele Formen des ein-
fachen und mechanischen Geschehens in der Außenwelt zu unterscheiden
>Dadurch, daß der Organismus für kleinste und größte Wellen
sowie für alte Ströme besonders empfindlich ist, wird er nicht nur zum
feinsten Reagens für alle Veränderungen der Außenweit, sondern er erdtreckt
den Kreis seiner Persönlichkeit ungemein weit, d. h. Ober die Grenzen der
Körperlichkeit hinaus.
• Der Apparat, welcher als feinstes Meßinstrument, als W^age fQr alle
Veränderungen der zeitlichen und räumlichen Beziehungen des Ichs (richtiger
des Körpers) zur Außenwelt dient, muß als subtilster Analysator aller Qua-
litäten der einwirkenden Substrate betrachtet werden, welcher die einzelnen
Faktoren, deren Vereinigung erst das mittlere Resultat, die Gestaltung des
Gesamteindrucks liefert. Er differenziert nicht bloß die Große und Wucht
des kinetischen Impulses einer Gosamtheib, sondern auch die Art der ein-
zelnen Schwingungen der Substrate, deren Resultat jene Massenwirkung ist,
nach Richtung, Zeitfolge und Form.
> Diese Reaktion auf qualitative Impulse im Gegensatz zu den quan-
titativen, die Reaktion auf Vorstellungen setzt ein in den Sitz dieser Vor-
gänge, in die Großhirnrinde eingeschaltetes Organ transzendenten
Ursprungs, eine Psyche voraus« (0. Rosknbach).
Wenn, wie oben ausgeführt wurde, durch Umstände verschiedener Art
der psychische Betrieb aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann, so
Psychomechanik.
498
»kann doch diese höchste Leistang: der Orfranisation, die die Einheit, den
Zweck zum Ausdruck bringt, nur durch die Beeinflussung: ihrer Grundlaßfen,
I nicht durch die Beansprachung des die Einheit gestaltenden transzendentea
Faktors in Mitleidenschaft ^ezo^en werden«.
äId eioH Verirrang (flaabt es Rownbach bezeichnen zu oiUfuten, weon man das Be-
dOrfoiH KelUblt bat, ili«^ anatomisch als letEte Endtitation des kortikaU'o Keflexbogenti, resp.
der Romatischen InnervationKvorgänge cbarakU*ri*»ierteD Ganglien üit Großhirnrinde durch
die ftbenno bin&ichtlicb ihrer B*'grtindnng in der Lult 8chwi;ltendcD, wie mit f*ioer durchaus
QDglOcklicb gewählten iJexeichnuDg bedachten »transkortikalen« Bahnen zn verbinden,
die entweder nnr »transzendentale« oder »interkortikale« Nein können
Nach RosENBACii niuB eben das Organ der Psyche in die Hirnrinde
eingeschaltet sein. d. h. — wenn ich in die ganze Tiefe der Ideen dieses
■ großen Forschers wirklich einzudringen vermocht habe — es muß gewisser-
maßen das Substrat einer höheren Spannungsnorm der Energie, eine im
feineren Aggregatzustande sich befindende Form der Materie an die zur
molaren (Rinden-J Masse verdichtete Zustandslorm der letzteren in ähnlicher
Weise gebunden, bzw. durch sie bedingt sein, wie der sich expandierende
Dampf im Maschinenkessel an resp. durch das in ihn als Spannkraftmatorial
eingefüllte Wasser.
B Das psychische Organ kann nicht, wie Hosenbach'*' ausführt, Über den
^ kortikalen Zentren stehen, sondern es maß sich zwischen ihnen befinden,
mit ihnen räumlich, wenn auch nicht dem Wesen nach identisch und un-
■ sichtbar an die sichtbare Materie der zentralen Masse geknöpft sein.
Das Verhältnis der Psyche zu ihrem Organ wird von Rosenbach in
folgender Weise charakterisiert:
»Die Psyche als solche kann nicht direkt (formal) nachweisbare, sen-
Borische oder motorische Bahnen besitzen, sondern muß als Repräsentant
einer unendlichen funktionellen Variabilität der Bildungen eine Verbindung
in dem Zirkel zwischen der im Organismus zu höherer Spannungsform
transformierten feinsten Materie der Außenwelt zu deren höchsten Span-
nungsformen darstellen, indem sie jene gewissermaßen vergeistigt.
>Durch die Verbindung physischer Maschinen in ihrer Mannigfaltigkeit
mit dem psychischen Faktor wird dann ein neues Element in die Organisation
eingeführt, das Ober das Ziel der Erhaltung der Existenz hinaas den trans-
zendenten Zweck der Organ isat in , die Idee der Beziehungen zur
Spezies, resp. dem Kosmos ^ d. h. den Zwockgodankon im höchsten Umfange
realisiert
>Das Organ des Bewußtseins liefert neben den Vorstellungen, bzw.
den psychischen Reizen, welche rein egoistischen, also wesentlichen Zwecken,
d. h. der Erhaltung der Existenz und der V^ervollkommnung des eigenen
(psychomotorischen) Betriebes dienen, auch außerwesentliche Reize, nämhch
(WillenH-)Vor8t6llungen. Diese lösen eine für das Individuum nicht direkt
produktive Tätigkeit aus. können vielmehr bei einer gewissen Richtung
des Denkens geradezu von einem transzendenten Zweck beherrscht werden,
and so kommt TQr das Organ der bewußt sich nach außen hin bet;ltigenden
(resp. die Außenwelt beherrschenden) Individualität der Körper in erster
Linie als einheitliches Werkzeug zur Erreichung bestimmter Zwecke in
jener Außenwelt in Betracht, in zweiter Linie erst als Mittel zum Zweck
der Erhaltung der eigenen Existenz.
»Infolge jenes geschilderten Kreisprozesses der Beziehungen zwischen
der höheren Organisation und der Außenwelt müssen die in der Konstruktion
der ersteren obioktlvtorten verschiedenen Qlcichgewichtszustande der Massen
in Kaum und Volumen bereits in der Idee eines bewußt gestaltenden
* Vgl. J. A. FeOhlicb, Der Wille znr höheren Einheit. K. Winter» UnlveraUätabacbh.,
Heidelberg 1905.
494
Psychoniechanik.
Prinzips, eines transzendenten, nach anderer Norm wirksamoc
Faktors voT^ebÜdet sein, der das Prinzip des relativ vallkomraeneti
inneren und äuliorn Oleichgewichts beslininiter Massen und Krärte-Koii-
struktionen in einem gog^ebenen Hahuien realisiert. «^
Der trans/ondente Faktor an sich, der die individuelle Organisation
regiert, ist nicht mit den Kraftquellen im energetischen Sinne, d. h. der motori-
schen Energie schlechtweg oder gar mit dem schöpferischen Prinzip identisch.
Die Gehirnerregungen — und hiermit komme ich auf die einleitend
als 80 große Schwierigkeiten bietend hervorgehobene Unterscheidung von
Reiz und ReiztiuUerung, von Ursache der Willensvorstetlung und Realisieruni?
dieser zurDck — , die der Willensäußerung als Basis und weiterbin als In-
strument dienen, sind schon sekundäre psychische Vorgänge, die also be-
reits der Reizäulierung entsprechen. *Den primären Reiz liefert«, wie Rosen-
bach sagt, >der transzendente Faktor, den man Psyche nennt und der in
weiten Grenzen schöpferisch, also nicht nach mechanischer Grandlage,
d. h. nach dem einfachen Prinzip des ((uantitativ und zwangsmäßig be-
stimmten Verhältnisses von Ursache und Kffekt wirkt. Schöpferisch aller-
dings! nur in heschninktem Sinne: in der Welt der Gedanken, in der Pro-
duktion von Vorstellungen und komplizierten Assoziationen, und soweit es
möglich ist, dem Gedanken in der Produktion entsprechender künstlicher
Organe (Werkzeuge) Ausdruck zu ^eben, durch die die Außenwelt nach
der Idee geformt werden soll ; schöpferisch aber nicht, soweit die Verände-
rung des eigenen Körpers in Betracht kommt. Mit anderen Worten; Der
mit Bewußtsein begabte Organismus des Menschen vermag zerstörte wesent-
liche Organe nicht zu ersetzen oder gar bisher noch nicht vorhandene t\x
schaffen, etwa so, dab uns Flügel wüchsen, aber er vermag in äutieren
Gestaltungen seine Idee des Fliegens zu realisieren. Selbst die Produktion
von seinesgleichen ist ein physischer Vorgang, für dessen Beginn und Ab-
lauf der Kinflub der Vorstellung wohl nicht erheblicher ist, als für den
Akt der Verdauung.«
Der psychische Faktor als höhere Norm handhabt, wie Rosexb \i h
verschiedentlich ausgeführt hat, das körperliche Werkzeug innerhalb der
gegebenen Norm und wird durch letztere In seiner Reaktion auf die Außen-
welt beschränkt. Das psychische Organ verhält sich demnach zu seinem
Werkzeuge, dem Körper^ und andrerseits zum schöpferischen Prinzip etwa
wie der Klavierspieler 7»m Klavier, resp. zum Erfinder des Klaviers, der,
zugleich Kchöpferischer Komponist, auch die Symphonie liefert. >Der Spieler
beseelt das Klavier, aber die aus den Noten fließende Inspiration und das
Klavier, das Werkzeug, durch das er sie kundgibt, entsprechen zwei der
Norm nach verschiedenen, wenn auch in der Wurzel gleichen, schöpferischen
Wlllensakten. Nur innerhalb der so gegebenen Formen, d. h in der Behand-
lung der realisierten, resp. objektivierten Willensprodukte einer höheren
Norm — gewissermaßen in der Interpretation — ist der Spielf^r selbständig.
Aber innerhalb gewisser Grenzen besitzt die Organisation ihre eigenen Oleich-
gewichlsverhältnisse und ihre eigenen Knergie- und Wärmespannungen. <
Kommt uns somit auch nicht ein absolut freier Wille im wahren
Sinne des Wortes zu. so haben wir doch eiaen individuellen Willen,
der als das Ergebnis der Individualität, der Persönlichkeit sich mit der
Fortentwicklung dieser dadurch immer freier macht, daß er sich in den
Geist der höheren Norm immer mehr zu versetzen und zu vertiefen weiß,
ein Entgegenarbeiten als Verfehlungen gegen diesen Geist anerkennt und
Mißgeschick und Schicksalsscbläge als Strafen, als die sich aus dem Zu-
sammenbange al]e.s irdischen Geschehens ergebenden Konsequenzen jener
mangelnden Übereinstimmung des individuellen Willens mit dem Weltwillen
geduldig auf sich nimmt.
Psychomechanik.
495
Dil
BS
I Einen sehr anschaulichen Ausdruck hat diesem Verhältnisse Fröhlich >)
^greben. der namentlich auch dem elektiven Moment, dem exkludierenden
Faktor, der in jenem zutage tritt, gerecht wird, wenn er sagt: 'Gerade in
dem Nichtwollen, in der Unterdrückung eines bestimmten Reizablaufes zeißrt
sich die Kraft des individuellen Willens nnd die Willensfreiheit scheint
durchaus an die Ausbildunf^ der orß:aniscben Hemmungen geknflpft. indem
dem erkennenden Willen der Zasammenhang des Geschehens sich immer
klarer enthüllt und das Gesichtsfeld der Motive sich mehr und mehr er-
weitert und vertieft, entzieht jener sich — mit Hilfe der organischen Hem-
mungen — dem Banne der Sonder- und Kinzelreize und befreit sich nach
Raum und Zeit vom unmittelbaren Zwang der Materie. Etwas freilich inuU
das Individuum hierfür in den Kauf nehmen; die Möglichkeit des Irrtums.«
In dieser aber sieht Fröhlich den sichersten Beweis unserer Willensfreiheit
gegenüber der unbedingten Tyrannei der physischen Kausalität. Dieser
glaubt er somit die geistige Kausalität mit der individuell-subjektiven
Spontaneititt als vollwichtigen Faktor des Geschehens an die Seite »oiien zu
Qsaen. Das Individuum handelt, wie es als solches handeln rouü: aber da
nur aus seiner Natur heraus handelt, ist ibm die Müglichkeit gegeben,
in seinem Handeln immer freier zu werden, d. h. immer weniger auf Wider-
stände zu stoßen, je mehr es seine eigene Natur und ihr Verhältnis zur
Umwelt durchschaut.
Es liegt schiießlich, wie Rosenbach sagt, überall eine Kausalität vor,
aber in vielen Fällen Ist sie eine bedingte, indirekte, indem eine ganze
Reihe von Faktoren den direkten, streng mechanischen (und darum auch
Keltlich zusammenhängenden) Ablauf der Ereignisse, den sichtbaren . sich
an den der Auslüsung anscblieUenden Vorgang der Entspannung der Energie
für Massenbewegung verhindert:
»Die Energie, weiche die latente Arbeit für die Bildung einer Vor-
stellung oder Vorstufe einer solchen leistet kann ja nicht verloren gehen,
wenn es auch fraglich ist, in welcher Form und vor allem nach welcher
Zeit sie schließlich als Vorstellung oder als in Massenverschiebung sieb
betätigende Willensäußerung zur Wahrnehmung kommt. Wir pflegen ja die
Wirkung zweier kinetischer Valenzen für gleich zu halten auf Grund einer
auf eine verhältnismüßig kurze Beobachtungsfrist basierten Abschiitzung
der außorwesentlichen Leistung; dieselbe braucht aber nicht in zwei F'ällen
gleicher kinetischer Valenz auch ihrerseits gleich auszufallen, wenn der
unserer Beobachtung zugängliche Vorrat latenter Energie in dem einen Falle
— im Gegensatz zum andern — sich nicht innerhalb einer verhältnismäßig
kurzen Reihe von Zeiteinheiten in kinetische Massenenergie umsetzt. Es
kann aber nicht nur eine primäre kinetische Beeinflussung beliebig lange
unmerkbar foVtwirkon , ohne bis zu den höheren Einheiten fortzuschreiten,
die der Sitz der Erkenntnis sind und deren Zusammenwirken das Bewußt-
sein gestaltet: es wird vielmehr die weitere Fortentwicklung in diesem Sinne
so lange ausbleiben müssen, bis auf einen bloßen Auslosungsvorgang hin
oder vielleicht zufällig, d. h. nur unter dem Einflüsse der zeitlichen Beziehung
im Zusammentreffen mit einem geeigneten Auslösungsvorgange, die Schwelle
der latenten Arbeit in irgend einer Form überschritten wird. Andrerseits
können auch unterhalb des Bewußtseins liegende Impulse durch intermediäre
Vorgänge so wesentlich transformiert werden, daß das schließliche Resultat
als Vorstellung, Reflex oder Willensakt in zwei anscheinend identischen
Fällen in verschiedent^r Form in Erscheinung tritt.
»Die Schwingungen einer vom w^wange der Massengestaltung und den
damit verknüpften irdischen Beziehungen befreiten psychischen Substanz
aber repräsentieren eine ideale apogeische Bewegung, die gewissermaßen die
Negation der irdischen Beziehungen darstellt und darum auch, losgelöst
4'JÜ
Püychomecbanik.
von den Gesetzen der Schwere, gewissermaßen ein virtuelles, ein Spiegrel-
bild alter irdischen au! Massenbewefi^ang beruhenden Verhältnisse wieder-
gebend, in einer sich stetig erweiternden Spirale in das Universum hin*
Qberreicht.
»Die Materie, die das psychische Substrat im Qegensats zur ai^gre-
gierten^ räumlich begrenzten (d. h. mit nach den drei Dimensionen gespannten
Oberflächen versehenen) irdischen Masse (Moles) repräsentiert kann keine
räumlichen, durch die Dimensionen bestimmten, sondern nur zeitliche Be-
ziehungen haben.
>Bei allen von der Oberfläche des Körpers her einwirkenden Impulsen
spielt die Wucht der Massen die Hauptrolle und hier ist für tinsere mecha-
nischen V^orstellungen, deren Grundlage die MaHHenwirkung ist, das Kau.ta-
litätsgosetz stets vollkommen deutlich. Beim psychischen Vorgang allein
scheint es aufgehoben, insofern der Ausldsungsvorgang in keinem erkenn-
baren ruumlicheD und zeitlichen Zusammenhange mit dent schließlichen Effekt
steht« (Rosemjac'h).
Nicht unerwähnt mag es bleiben, daß neuerdings Adamkirwicz* den
Willen als eine (mehr oder weniger direkte) elektrische Betätigung der
Ganglienzelten der Großhirnrinde ansieht,
Dieser Modus einer einfachen mechanischen Erklärung wörde auch
dann nicht akzeptabler sein, wunn nicht Hosexbach schon vor annähernd
einem Jahrzehnt der Abwägung der hier in Betracht kommenden energe-
tischen Verhältnisse besondere Aufmerksamkeit geschenkt und die Unwahr-
scheinlichkeit einer so verblüffend einfachen Krkläruntrsweise schon vor
ihrer Sanktionierung durch einen an autoritativer Stelle wirkenden Fach-
gelehrten dargelegt hätte.
Nach RoSENBACM zeigen die Vorgänge im Gehirn eben nur Analogien,
nicht Homologien mit der Bildung und Spannung elektrischer Ströme,
denn es handelt sich um eine ganz andere Form des Sub&trats der Strome
(feinster Materie): »Allerdings scheint dabei ein Prinzip ähnlich dem der
Induktion durch Verwertung des reumnenten Mai;:netismus hier in hohem
Grade wirksam zu sein und der kräftige (der Spannung groüer Oberflächen
entsprechende) 8o erzeugte Strom kommt dann im Willensakte zum Aoa-
drock, während die unbewuUten Hlrregungen etwa den AMPERBschen Strömchen
und die Bildung des Bewußtseins etwa der präzisen Polarität des Ganzen
zu vergleichen wären.«
Im weiteren Verfolg dieser Analogie -- die aber immerhin nur eine
solche bleiben soll und darf — »können wir uns die zerebralen Akte (un-
bewußte Empfindungen, komplizierte Keflexe) oder die rein psychischen (Vor-
stellungen und bewußte Wtllensaktc) nach dem Modus einer äußerst feinen
Induktionswage auBgetost denken, in der Weise, daU stets eine Stromschwan-
kung mit positivem oder negativem Ausschlag in der einen Körperhälfte
durch Vermittlung der Kreuzung der in Betracht kommenden intramediären
(assoziativen) Bahnen die Ursache der Auslösung entsprechender Ströme in
den angeschlossenen (zentrifugalen oder zentripetalen) Babnen ist Gewlsser-
maDen sind an diese in der Induktlonswago gebundene Stromkreise resp.
StromhUlflen der beiden Körper- resp. Gehirnhäuten zwei weitere Strom-
kreise, der eine nach dem eigentlich psychischen, der andere nach dem
peripheren motDrischen Gebiet hin angeschlossen.
»Die Unerregbarkeit kann man sich so als Anpassung an einen gleich-
artigen Stromdruck in beiden Körper- (resp. Geh im-) Hälften, d. h. als das
* A. AuAUKiemcz , Di« GroQtiirnriDdeiiganglitiDzelle des MenBcheo als selbständige«
Organ. Zeilachr. f. klin. Med., 1902, XLII , H. 3 u. 4. — Der»elbe, Wie verdcblct der
Wille mechanische Arlieit? Zoitsclir. I. klia. Med., 1903, XLV, H. 1 o. 2.
Psychoniechanik. 497
Ausbleiben jeden Ausschlages nach dem psychischen oder motorischen Ge-
biete hin denken: dieser erfolgt, wenn ein Faktor des Stroinpnarea, richtiger
eine der beiden Stronihälfton, die Starke verändert. Die Empfindung reap.
das Unlustgefübi beim Aufhören eines bekannten (bzw. gewohnten) Reizes
labt sich In Verfolg dieser Analogie leicht erklären.
Hei weiterer Ausführung des V'ergleiches würde sich nach Rosenbach
ergeben, daiS die Bahnen der Sinnesorgane den Leitungsbahnen entsprechen,
die von dem Klektroinotor zum Akkumulator führen, desgleichen die ein-
fachen psychischen Vorgänge dem elektromotorischen Prozeß bei der Ladung»
Im zentrifugalen SchlieÜungsbogen die Witlensvorgänge den Vorgängen bei
der Kntladung.
»Den Motor fQr die Aktivierung (Ladung) des organisierton Akku-
mulators, den beim künstlichen der primäre Stromgeber bildet, liefert die
Außenwelt. Ein in den Stromkreis des Akkumulators eingeschaltetes bzw.
an ihn angeschlossenes Galvanometer ist dann das (transzendente) regi-
strierende Organ <
Man sieht, wie diese so feinen und bis ins Detail ausgearbeiteten
Vergleiche Roskxbachs nicht nur den Umfang der Berechtigung zu dieser
Analogie zur Anschauung, sund(»rn auch ihren Zweck - den einer V"or-
deutlichung und Veranschaulichung des komplizierten Vorganges — zum
Bewußtsein bringen, in vollendetem Gegensatz zu den Ausführungen von
Ad.xmkikwicz, der nuf Grund einiger vereinzelter grober Tertia comparationis
ohne weiteres eine Homologie, nicht nur eine Analogie der Prozesse
proklamiert !
Auch die eingehenden Untersuchungen Rosknoachs Ober den Schlaf
ergeben in ihren Resultaten nicht nur wichtige Aufschlüsse über die
Psycbomechanik als solche, sondern auch für alle therapeutischen Bestre-
bungen die fundamentale Tatsache, dal) dieser Phase im Lehonsvorgange
eine ganz andere Bedeutung für den Knergiehaushalt im Organismus zu-
kommt, als man gewöhnlich annimmt.
Der Schlaf und — allerdings in weit geringerem Grade — die Ruhe
entfalten ihre restituierende Wirkung nur zum kleinsten Teile aaf Grund
einer Verringerung der Ausgaben, fn weit höherem Mabe vielmehr durch
Verstärkung der wesentlichen Arbeit, durch Vermehrnng der Leistung des
inneren Betriebes für Kraftbildung. Die Ruhe im Schlaf (zumal im nächt-
lichen j ist im Gegensatz zur aulierwesentlichen, kraftverzehrenden Arbeit
des Tages — die allerdings wieder mittelbar und unmittelbar zur Be
Schaffung des rohen Betriebsmaterials resp. zur Erhaltung gewisser Be-
triebsbedingungen dient — die kraftspendende, nicht btoU die kraft-
sparende Periode. Im Schlaf wird durch eine besondere Richtung der
Hautspannung, die man als diastolisch-aspiratorische bezeichnen kann, der
reichlichsto Zuflub der feinsten Energieströme der Aulienwelt (des Lichtes,
der Wärme und der schon erwähnten unbekannten Substrate, die man
wegen des Unvermögens, sie optisch wahrzunehmen, nicht sehr treffend als
»dunkle Strahlen« bezeichnet) begünstigt, während am Tage die Haut vor-
wiegend der Außenwelt eine straffe Einheit entgegenstellt . also systolisch
gespannt ist und auf die Weise nicht nur die geeignete Oberfläche für den
Angriff der auslösenden Wellenformen bildet, die wir als reflektorische resp.
Sinnesreizungen bezeichnen, sondern auch die Abgabe der strahlenden
Wärme begünstigt.
'Durch die reichliche Zufuhr betriebskräftiger feinster Ströme wird
die Erregbarkeit, d. h die besondere Aktivität der durch die Tageaarbeit
erschöpften feinsten Körperelemente — der kleinsten Protoplasmamaschinen,
der Energeten — wiederhergestellt und damit die Möglichkeit gegeben, die
große Zahl der transformatorischen , d. h. Betriebskraft bildenden Prozesse
Enej'loii. Jftlirbaober. N. F. IV. iXIII.I
498
Psycbomechanlk,
80 ZU fördern, daß beim Erwachen die Vorräte an parater, sofort auslfia-
barer Rner^ie erj^Snzt und die im Laufe dos Ta^es erschlafften Spannungen
in dem Betriebsapparato selbst au8g:eglichen sind. Die Phase innerer, endo-
somatischer und intraorganischer Arbeit, deren Resultat die hauptsäch-
lichste Grundlage der exosomatiachen, aulSerwesenttichen Betätigung:, d. b.
der sichtbaren LebensäuUerungen ist, dokumentiert sich während des
Schlafes auch in dem psychischen Organ, der Grollhirurinde.
»Wie in der Periode des Schlafes die gewissermaßen straffe Einheit
welche die Haut und die anderen Orß:ane während d*^s Wachens repräsentieren,
einem gewissen Zustande der Dissolutlon Platz macht . so wird auch in
seelischer Beziehung fflr eine nahezu vollständige Selbständigkeit in der
Funktion der Energeten, in welchen sich nun die intensivste Gewebsarbeit
vollziehen kann, Raum geschaffen. Auch hier wird eben die Einheit, mittelst
derer sich alle psychischen Vorgänge der Individualität, dem Ich und dem
es beherrschenden Willen unterordnen, aufgehoben. Das in die Gehirnrinde
eingeschaltete psychische Organ löst sich gleichsam von dem somatischen,
so daß für die psychosomatische Organisation die Möglichkeit, als einheit-
liches Werkzeug des Willens gegenüber der Außenwelt zu fungieren, auf-
gehoben ist.* Es schwindet im Gehirn vor allem mit der an die Periode
des W^achseins geknüpften aaßerwBHentlichen Betätigung die Spannungs-
differenz an der Oberfläche der beiden Hemisphären, an die nach den oben
wiedergegebenen Ausfübrun^ren RosENBArüs das Ichbewußtaein geknüpft ist
Bildet 80 der Schlaf als Periode der Energie bildung einen Gegensatz
gegen die Energie Verausgabung, gegen den Zustand rles Wachseins, so
unterscheidet er sich nicht minder von dem künstlichen Schlaf, der Hyp-
nose, bei der die energetischen V^erhältnisse prinzipiell keine anderen sind
wie während des Wachens, nur daß der Hypnotisierte ein menschlicbes
Wesen dar^iellt^ dem die zerübralo Individualität (eigene Initiative) fehlt.
>i Während der Schlaf bei auf niedrigerer Stufe stehenden Organismen
an den Wechsel von Tag und Nacht, d. h. an das Verschwinden der Sonne
geknüpft ist, hängt er bei dem hochorganisierten menschlichen Individuum
in letzter Linie auch von einem W^illensakte ab. Es handelt sich dabei
vor allem um eine Aufhebung der Erregbarkeit für periphere Reiie, um
eine willkürliche Hemmung der den Verkehr resp. Zusammenhang mit der
Außenwelt vermittelnden aufsteigenden, induktiven Bahnen, die dadurch zu-
fitando kommt, daß durch einen Willonsakt Impulse innerviert werden,
die den normalen entgegengesetzt und den gewiihnlichen Stromlauf um-
kehrend, die äußeren und inneren zentripetalen Bahnen für Sinneserregun-
gen verschließen, sie leitungsunfähig machen, d^ h. die Aufmerksamkeit
aufheben« (0. Rosknbach).
Zum Beleg dafür, daß eine derartige Beeinflussung der zentripetalen
Bahnen durch den Willensakt nicht nur möglich ist, sondern zu den ge-
wöhnlichsten Vorkommnissen gebort, braucht man nur daran zu erinnern,
daß nicht nur der Erwachsene, wie etwa der Gelehrte, der sich in ein
Problem vertiefen will, sich willkürlich gegen alle (störenden) Reize der
Außenwelt f namentlich gegen akustische und optische Eindrücke abzu-
schließen vermag« sondern daß auch das Kind schon imstande ist, sich einen
verhältnismäßig hohen Grad von WiUensbetätigung in diesem Sinne zo
43igen zu machen, wie z. B. wenn es, im Kreise seiner Geschwister sitzend,
seinen Schularbeiten oder der Lektüre obliegt und gewissermaßen absicht-
lich nichts bort und sieht, was in seiner Umgebung vorgeht. In diesem
Falle wird durch eine fortgesetzte Selbstdisziplinierung die Aufmerksamkeit,
allerdings nur partioll, für die außerhalb des gewollten Gebietes liegenden
Reize aufgehoben, um sie ganz auf jenes zu konzentrieren. Solchen Per-
sonen, die es in dieser Hinsicht zu einer großen Fertigkeit gebracht haben,
Psychomechanik.
499
k&DB diese anter Uraständen meiner Beobachtung; nach sugrar zaweilen
einen recht bösen Streich »pielen, indem sie ea unterlassen, durch einen
neuen Willensakt jenem Zustande auch immer zu rechter Zieit ein Ziel zu
setzen und bei Fortdauer desselben an unrechtem Platze (z. B. durch Unter-
lassen des OrQUens auf der StraÜe) VerstoUe t?egen die gute Lebensart
begehen oder den konventionellen Anfarderuni;&n durch eine Anzahl rein
Automatischer Akte Genüge leisten , die ihnen so wenig ins Bewußtsein
dringen, dalJ eine spätere Bezugnahme auf diese ihnen Verlegenheit bereitet.
■ Die Mehrzahl der durch die W'itzblätter gebrachten scherzhaften Proben von
^ >Qelehrten-Zer8treutheit* dürfte hierher gehören. .Jedenfalls scheint es mir
zweifellos, daß in dem erwähnten SinnE> die Aufmerksamkeit — wenigstens
in gewissem Umfange — durch den Willen zu erzielen ist, wenn auch andrer-
seits die diesem WÜlensakte zugewandte Aufmerksamkeit — selbst dessen
prompten Ablauf unter Umständen zu henimen imstande ist.
Die erwähnte willkOrliche Hemmung der Zuleitung zentripetaler Ströme
genfigt aber nun noch nicht vollkommen zur Krzielung des Schlafes —
es gehört nach Roskniu« h ein zwoitpr, gleichsam letzter Willensakt dazu,
auch die inneren Spannungen umzukehren, den reziproken Tonus der beiden
Hemisphären bzw. Hindengobiete zu nivellieren und mit diesem, der zugleich
die Grundlage des Urteils und der Wahl ^des Qualitätsbegriffes und des
Willens) ist^ auch das Ichbewußtsein aufzuheben: Nur der erwähnte Mecha-
nismus macht es erklärlich, daß ein normaler Mensch nach Beendigung
der Tagesarbeit oder auch beliebig einzuschlafen vermag, einfach durch den
Willen, jetzt zu schlafen.«
»Gegenüber der noch ietzt viele Anhänger zählenden Theorie^ die den
ßchlaf im wesentlichen als chemischen, durch Anhäufung von ErmÜdungs*
Stoffen bewirkten Vorgang, als Intoxikation oder als Analogon der Narkose
ansehen, bemerkt Rosf.nbach mit Recht, daß schon deshalb die Bildung von
ErmOdungsstofft'n nicht die letzte oder hauptsächlichste Ursache des Schlafes
sein kann, da gerade sehr starke Muskelanstrengungen und geistige Er-
regungen, welche ja ganz besonders Anlaß zur Entstehung derartiger Pro-
dukte geben müßten, den Eintritt des Schlafes entschieden erschweren.
Dieser könnte im Falle des Zurechtbestehens jener Annahme Ja auch nicht
durch verhältnismäßig leichte Reize, wie Anrufen, Berühren, Anspritzen mit
Wasser usw., sofort und oft för recht lange Zeit unterbrochen werden!
Ich darf diese Erörterungen nicht abschließen, ohne an den Ausgangs-
punkt derselben zurückzukehren und nochmals zu betonen, daß man nur
in durchaus bedingter Weise von einer Psychomechanik sprechen kann. Zu
verfolgen vormögen wir nur den Ablauf der Reizäußerung, d. h. um den
vorher angezogenen Vergleich mit dem Klavierspiel auszuführen, wir können
die Entstehung der Tone auf das Schwingen der Siiten zurückführen, aber
sind nicht imstande, auf die Einflüsse (bzw. die Handgriffe des Spielers)
Schlüsse zu ziehen, durch die die Schwingungen hervorgerufen werden. Ge-
rade die Psyche ist es, die der höchsten der uns bekannten Orga-
nisationen, der menschlichen, in gewissem Umfang ihren Platz
außerhalb des Bereiches des rein mechanischen Geschehens an-
weist.
»Während der Mechanismoa, der Automat.« sagt Rosenbach, »nur für
bestimmte Zwecke eingerichtet ist und zugrunde geht, wenn er im Sinne
seiner Mechanik allzusehr beansprucht wird, liegt in der bewußten Re-
aktion, die das Ziel voraussieht, die Möglichkeit vor, den Mechanismus
durch Abstellung, ja selbst bei abnormer Reizung gegen den eigentlichen
Zweck zu verwenden.
»Wie das harmonische Gleichgewicht der Organisation und Überhaupt
Jeder Konstitution, d. h. eines Jeden nach dem Prinzip des Zweckes gestal-
32*
500
PsychoiuechanJk. — Psychotherapie.
toten Gebildes darauf beruht, die itio in partes zu vermeiden, das Über-
gewicht einzehier Teile zng^unsten des großen Ganzen zu beschränken , so
erfordert es das kinematische Prinzip der uns bekannten höchsten Organi-
sation des Menschen , daß die einzelnen ßnergieanlagen sich durch Unter-
ordnung der einzelnen Faktoren zu denjenigen Leistungen vereinen, die die
Fortdauer der Existenz garantieren. Das ist aber nur dadurch möglich, daß
der psychische Faktor die Direktive flbemimmt, der alle Reaktionen zu
bewubten gestaltet.
»Um diese Richtung des Geschehens im Körper beurteilen und für
eine wahre Hygiene im Sinne einer präventiven Therapie verwerten zu
können, mul^ man nicht bloß Kenntnis des normalen, sondern auch Erfah-
rungen betreffs des pathologischen Betriebes haben und ganz besonders
auch den Einfluß der Psyche, der V^oratellungen und des Willen»
auf den somatischen Betrieb zu wUrdigen wissen. Nur dann wird der Arzt
als Vertreter eines höheren Prinzips, als Betriebsleiter und Ratgeber die
psychischen and somatischen Faktoren zweckgerafiü - — im Sinne des Indi-
viduums und der Allgemeinheit — benutzen zu lehren imstande sein •
Literatur: O. UntiKNBArii, Dii; Seekrankheit aU Tyjiufi der Kinftosen. Versncb einer
Mi'ohiitiik doR psychonuchaniHohpn Ketri>lu>ft. Wh^n 1896. Alfred Hülder ; Bemerkungen «nr
Dynjimik des Nerven Bysto ms. B*'rliner Klinik ^ IBllB, H. TOI: 7.v\r Lehre von der Hpinalea
muskulotoniBohen Insuffizienz (Tabes dorcalisj. Deutftche med. Woclienachr.. 1899, Nr. 10—13;
Die Org^niHulion als TranbforniaTor. Wioti4:r kliii. KiiiKlHehan. 1901, Nr. 41 (NomaAdFL-Fost-
nuramtTr; Enei^otherapeutiHtbe ßetr.ichtungHU über Morphium ;iU Mittel der Krnftbildunjr.
Bt'rUn und Wien 1902, Urban & Scliwarztuberjr; NenÖMe Anstände und ihre psychische Be-
handlung. 2- ÄuM. Berlin rJ02. Fi.u-hera med. Bnchliandl, (H Koroleldi; Energetik und Me-
dizin. (Die Organisation at» TninsTormLitor und Beirieh.} 2. ern^iterte Anll Berlin iy04, Ang.
liiitfchwald, Sjtrhle
Psychotherapie« Seitdem in diesen Jahrbüchern der letzte Artikel
Qber Sugfi^estion erschienen ist. sind eine große Reihe Arbeiten auf dem
Gebiet der Sujfprestion und der Hypnose verölfentlicht worden, Soweit
sie das medizinische Gebiet beireffen, handelt es sich wesentlich um eine
Vermehrunjc der Kasuistik . manchmal auch um eine dadurch bewirkte
schärfere Indikationsstellunjf. ich erwähne die Arbeit von Delius über die
Behandlung der Obstipation (Die Heilkunde, November 190B), die Arbeiten
von S'rtfJMANN, Oklitzky, Hybakdh' Ober die suf?g:cstive Kehandlunfr des
Alkoholismus, Bei der KTrötung-sifurcht hat KaiEtJUANnER (Zeitschrift för
Hypnotismus H'U4. X. H. I) pute Krfolffe pfesehen. (^ber Erfolge bei leichteren
Psychosen (Referat Zentralblat für Nervenheilkunde, ]^0?,, pag. 60/51) be-
richtete Frank auf der Versarnrnjuns? Sud westdeutsch er Irrenärzte 1^02, und
er beklaprte es dabei, daü die Arzte noch ao sehr die Suggestiv- und die
Psychotherapie verrachlässigten. Er ffihrte dies wesentlich darauf zuröck.
daß df'r Sug^estivtherapnut j^ewisse gleichkam kflnsllerische F&higkeiten
haben müsse, wie sie eben nicht jedor aufweisen knnn. Ein Schüler Bech-
terews, Pkwmzki (Journal für Pftychoiopie und Neurologie, 1904, 11, H. 6)
lenkte von neuem die Aufmerksamkeit darauf, wie es bereits frQher LiitREAULT,
Bernheim, Stkmbo, BRrHrEUEW. ich u. a. getan hatten, datJ man auch bei
organischen unheilbaren Krankheiten in der Hypnose ein symptomatisches
Mittel habe, das nicht selten gut wirkt. Er wies auf ^'älle von Syringo-
myelie, Tabes hin. Aul Theorien will ich hier nicht eingehen; es ist aber
eine Tatsache, dali mnn durch psychische Einwirkungen symptomatische
Besserungen erheblichen Grades bei organischen Krankheiten erzielt, ohne
daß damit die nrganischi^ Läsion geheilt oder gebessert wird oder auch
nur eine nachweisbare Heilungstendenz eintritt. Obschun nun die Kasuistik
auch sonst noch eine Bereicherung in den letzten Jahren zeigt, kann man
wohl annehmen, daü die Stellung allgemeiner Indikationen keine wesentliche
Bereicherung erfahren hat, und es ist. glaube ich, auch in nächster Zeit
aach dieser Bichtung hin nichts Wesentliches zu erwarten.
Psychotherapie.
501
I
Auch die Gegner des therapeutischen Hypnotismus machten sich wieder
bemerkbar, und zwar teilweise iiu AnHchluü an eine ßaquetc. die auf Ver-
anlassung den KutlusminititerH beim preußischen Arztekammeruusschub an-
gere^ wurde* und die die therapeutische Wirksamkeit des Hypnotiamus
bearteilen sollte. Eine Kommission, die von der Berlin-Brandenburger Ärzte-
kammer eingesetzt war, sprach sich ziemlich abfallig aus. Man darf wohl
annehmen, daß Mkn'Dkl den Haupteinfluß auf den Kommissionsbericht aus-
übte, zumal da vom tlen andern Mit^^Hiedorn der Kommission, wie Forei. mit
Recht in seiner Kritik dieses Berichts (MOnchener med. Wochenschr^ 1903,
Nr. 32) betonte, überhaupt nicht bekannt war. daü sie sich mit der Frage
je beschäftii^t hatten. Andrerseits wurde von Qi mpkrtz (Deutsche med. Presse
iy03, Nr. IT) darauf hingewiesen. dal3 MicNorx, der öffentlich gern gegen'
den therapeutischen Hypnotiamus Stellung nahm, keineswegs sich scheute,
einem seiner früheren Assistenten Fälle zur hypnotischen Behandlung zu
Cberweisen. d. b. Menokl setzt, wie Gimi'RHTZ mit Hecht sagt, die Meinung,
die er in Wort und Schrift vertritt, keineswegs in die Praxis um. Ich selbst
habe gloichfalla die Gelegenheit der Enquete benutzt, in der Berliner Arzte-
korrrespondonz (1902, Nr. J7) die allgemeine therapeutische Bedeutung der
Hypnose zu beleuchten und dabei auch über das hypnotherapeutische Spe-
zialistentum zu schreiben.
Abgesehen von der rein therapeutischen Bedeutung der Hypnose, ist
diese noch nach anderer Richtung bearbeitet worden. Kine Bereicherung
erfuhr unser Wissen von manchen abnormen bzw. pathologischen Krschni-
nungen der Hypnose durch Hirschlakf in seinem Buch (Hypootisnius und
Suggestivtberapie, Leipzig ILiOö) sowie durch Lowii.vfelu (Der Hypnotiamus,
Wiesbaden 1901). Als solche abnorme Erscheinungen tritt z. B. der Elokti-
vismus auf. indem dio Versuchsperson nur gewisse Suggestionen annimmt,
die andern aber zurückweist. Andermal kann es wieder vorkommen, daU
in der Hypnose hysterische Erscheinung*^n vorwiegen, Schluclizen. Zittern,
Herzklopfen, Zuckungen usw , oder es kommen spontan somnambule Phä-
nomene vor, indem der Betreifende an frühere Vorgänge, besonders auch
solche erotischen Inhalts, anknüpft und nun jene Phänomene autosuggestiv
erzeugt. Die beiden genannten Bücher bieten übrigens auch abgesehen von
den abnormen Erscheinungen der Hypnose manches Interessante , das
HitisrHLAKFs mehr nach der rein medizinischen, das Löwem-klus nach all-
gemeiner Richtung hin. Wesentlich das medizinische Gebiet behandelt
auch das Buch von Bramwkll (Hypnotisnius, London 11*0:)).
Spezialf ragen der Psychopathologie erörtern einige andere Forscher,
80 die Frage, ob tn der Hypnose Vorgänge aus Zuständen von Bewußtseins-
etörung wieder reproduziert werden können, während im normalen Leben
keine Erinnerung dafür besteht. Unter den Autoren, die hier gearbeitet
haben, sind Naef, Ürakter, Hilgkr, v. Mlralt, Heilbronner, Binswamjkh,
RiKLiN, Vogt zu nennen. Während einige, speziell Binswan<jeh und Hku.-
UKON.XEB annehmen, daß die epileptische Amnesie im Gegensat'« zur hyste-
rischen nicht beseitigt werden könne, kommt Hiklin auf Grund gewissen-
hafter Untersuchungen zu dem Resultat, dalS auch die epileptische Amnesie
in der Hypnose schwinden könne.
Auch außerhalb der Medizin ist die Literatur des Hypnotismus wesent-
lich vermehrt worden. Die Beziehungen des Hypnotismus zur Kindererziehung
wurden in einer Enr^uete des Niederländischen Bundes für Kinderachutz WiOZ
zur Diskussion gestellt, indem sich dieser Bund an die Herron Winkler.
ScHrYTK.N und \'.*\ Rentekghem wendete. Wilhrend RENTER(iHE.M bei allerlei
üblen Gewohnheiten z. B. in manchen Fällen von Onychophagie, Masturbation
usw. recht gflnstige Erfolge gesehen hat, spricht sich Wlvkler unjrünstig
aus. Er fürchtet, daß, wenn man einem verbrecherischen Kinde die Suggestion
502
Psychotherapie.
iy;äbe: Du süHst nicht stehlen, es dann nur das Wort »stehlen« im Qe-
dächtni» behalten würde. Schlytex lehnt eine Beantwortung der Fra^ des-
wegen ab, weil er keine Errahrnng; besäße, spricht sich aber doch dabei
gleichzeitig ziemlich skeptisch über die BenutKung der Hypnose ans. Große»
Aufsehen machte der Hypnotismus in Deutschland in einem andern Fall,
der gleichfalls nichts direkt mit der Medizin zu tun hat, nämlich beim Auf-
treten der Schlaftftnzerin, Frau Magdeteine^ die durch v. Schrentk-Notzixo
in MQnchen eingefGhrt wurde. Die Schlattänzerin sollte imstande sein, in
vollendetster kflnstlerischer Weise w&hrend der Hypnose durch Tanz, ganz
besonders aber durch Mimik und Körperhaltung allerlei Affekte und Gefßhle
darzusi eilen, die, sei es in der Musik, sei es in Gedichten ausgedrückt wurden
Es läßt sich leider nicht verkennen, daß die Art und Weise, wie Schrexck-
NoTziNu das Aultreten arrangierte, dem Ganzen einen sensationellen Bei-
geschmack geben mußte, während in Wirklichkeit die Versuche fQr die
Wissenschaft nichts zu bedeuten hatten (ob für die Kunst, das will ich
hier nicht erörtern). Ich lehnte deshalb es seinerzeit auch ab, mich an einer
Kommission zu beteiligen, die die Kchthelt der Hypnose untersuchen sollte
Daß jemand in Hypnose kommt, ist nichts Wunderbares; daß jemand in
Hypnose tanzt und Affekte zeigt, tat ebenfalls nichts Neues. Weiteres ließ
bicb aber durch eine solche Untersuchung nicht feststellen, insbesondere
nicht die Frage, ob tatsächlich die Schlaftänzerin gleich beim ersten ent-
sprechenden Versuch in vollendetster Weise alle Affekte in Hypnose aas-
gedrückt hätte und eine Übung in der Hypnose nicht stattgefunden hätte.
V. ScHRENK-NoTZiNG behauptete es, er ist aber den Beweis för die Behauptung
schuldig geblieben. Sein Gewährsmann war der Pariser Magnetopath, der
mit Frau Magdeleine herumreiste. Die Einzelheiten über die Erscheinungen
bei der ächlaltänzertn »ind außer in zahllosen Zeitungsartikeln in zwei
Broschüren (Die Traumt3.nzerin Magdeloine ü. von v. Schkenck-Nvit/iag,
Stuttgart U)04 und Hypnose und ivunst von LOwen'PRLD, Wiesbaden 1904)
niedergelegt. Es ist mir natürlich nicht möglich, auf die Hunderte von
Arbeiten, die auf dem Gebiete des Hypnotisnius erschienen sind, hier ein-
zugehen. Erwähnt sei nur noch kurz, daß das trefiliche Buch von Stoll
(Hypnotisraus und Suggestion in der Völkerpsychologie) 1904 in zweiter
Auflage erschienen ist, und daß 1900 ein zweiter Kongreß für Hypnotismns
in Paris stattfand, wo über die wichtigsten einschlägigen Fragen medizi-
nischen, pädagogischen, psychologischen Inhalts gesprochen wurde. Die Ver-
handlungen gaben einen ungefähren Stand von der damaligen Sachlage und
sind vcrulfentticht im DeuxiOmeCongres international de Thypnotisme, Comptes
rendus, Paris 1902.
Wenn ich hiermit auch die Besprechung der unmittelbar den Hyno-
tiatnuB betreffenden Arbeiten abbreche, so muß ich doch erwähnen, daß der
Hypnotisnius nach andrer Richtung eine ungeheure Bedeutung für die Me-
dizin gewonnen hat. Der Hypnotismos hatte zunächst gezeigt, wie groß die
Wirkung der in der Hypnose suggerierten Vorstellungen sein kann. Nur ein
kleiner Schritt, den auch die Nanziger Forscher sehr bald taten, war es
dann bis zu der Erkenntnis, daß die Suggestion auch außerhalb der Hyp-
nose eine große therapeutische Bedeutung hat Und dies führte dann zu der,
weiteren Erkenntnis, daß nicht nur die Wachsuggestion, sondern auch an<
dere psychische Einflösse, die von der Suggestion zu trennen sind, thera-
peutischen Wert haben. Von den Praktikern waren ja die verschiedenoten
psychischen Einwirkungen von jeher ausgeübt worden. Aber man war sich
oft darüber gar nicht klar, daß es sich um psychische Einflüsse handelte.
Vieles wurde auf chemische Wirkung bezoiEfen, was tatsächlich nur psychisch
bewirkt war. Ich brauche nur an die zahltosen Arzneimittel zu erinnern,
die unseren V^orfahren so gute Dienste geleistet haben, und die heute voll*
Psychotherapie.
5oa
ständig: aas dem Heilecbatz verschwunden sind. Man wird nicht fehl ^ehen,
wenn man bei vielen dieser heute vergessenen Mitteln annimmt, dali sie
einstens ihren großen Ruhm der unbewußt damit verknüpften Suggestion
verdankten. Haben also auch die psychischen Hillsmittel von jeher prakti-
sche Verwendung in der Therapie gefunden, so ist es doch etwas anderes
mit ihrer wissenschaftlichen I^rforschung und Erkennung. Oft war gerade das
Wirksame der Umstand, daß man die psychische Wirkung nicht erkannte;
ein Heilmittel verliert sehr leicht seine Wirksamkeit, wenn der Hatient
weiß, daß es nur suggestiv wirkt. Immerhin muß anerkannt werden, daß
auch theoretisch keineswegs die Psychotherapie ignoriert worden war. Wir
finden Andeutungen Ober sie schon bei Hipi'OKKATES und Qalf.n, bei Sk-
XECA und ÜESi'.MiTKS, ebenso wie bei den arabischen Ärzten und bei denen
der Schule von Saierro. Aus den späteren Jahrhunderten nenne ich beson-
ders Alberti und Hilschbr, aus deren Schale eine große Anzahl Abhand-
lungen psychotherapeutischen Inhalts hervorgegangen sind, und Kaxt (Macht
des Gemütes, durch den bloßen Vorsatz seiner krankhaften Gefühle Meister
zu seinj. Auch im It». Jahrhundert finden wir einzetne Forscher, die die
Bedeutung psychotherapeutischer l-'^inflüsse anerkannten. Ich nenne willkür-
lich von der Mitte des U). Jahrhunderts an Wilde (Die Zerstreuung als
mediziniachos Heilmittel, Berlin 1830), Brigham (Einfluß der Verstandes-
btlduDg und geistigen Aufregung auf die Gesundheit. Aus dem Englischen,
Berlin 18ä6), Tr.mbbr (De cura psychica, Inaug.Dissert. Wien 1841). Dom-
rich (Die psychischen Zustände, Vermittlung und Wirkung in Erzeugung
körperlicher Krankheiten, Jena 181".»)^ Mooue (Die Macht der Seele Ober
den Körper. Aus dem Englischen, Leipzig 1850), Satilkr (Über die Macht
des ärztlichen Gemüts zur Heilung von Krankheiten, Leipzig 1856), Pa-
DiDLEAi' (Üe la M*5decine murale, Paris 186-1) und endlich das reichhaltige und
psychologisch anregende Werk des verstorbenen Psychiaters Hack Tuke:
Über den Einfluß des Geistes auf den Körper.
Wenn es aber auch von jeher einzelne Autoren gab, die den thera-
peutischen Wert psychischer Einwirkungen anerkannten, so war doch ein
organischer Zusammenhang zwischen Psychotherapie und medizinischer
Wissenschaft nicht geschaffen worden. Die Anerkennung der Bedeutung der
Psychotherapie blieb auf wenige Kopfe beschränkt. Erst das Studium de»
Hypnotismus, das ans seit 1S8T durch das Aufblühen der Nanziger Schule
den Wert der Suggestion zeigte, sollte die Aufmerksamkeit auch auf die
anderen zahlreichen psychischen Hilfsmittel lenken. Mag man dem Hypno»
tismus selbst noch so feindselig gegenüberstehen, so kann doch die Tat-
sache, daß er zur modernen Psychotherapie geführt und diese mit der Medizin
mehr und mehr organisch verschmolzen hat, nicht geleugnet werden. Zu
dieser Überzeugung wird man auch dann kommen^ wenn man zugibt, daß
einzelne Autoren anscheinend unabhängig vom Hypnotismus ihre psycho-
therapeutischen Anschauungen entwickelt haben. Denn auch sie haben An-
erkennung erst dadurch gefunden, daß der Hypnotieraus die Bedeutung psychi-
scher Einwirkung zeigte. Sie waren vorher von der offiziellen Wissenschaft
ignoriert worden^ und man betrachtete die Arbeiten dieser abseits von der
Heerstraße Wandelnden oft genug mehr als Curiosa, denn als wissenschaft-
liche Leistungen. Ein Vergleich der modernen Werke über Nervenkrank-
heiten, über Hysterie und Neurasthenie mit den vor 25 Jahren erschienenen
belehrt uns sofort über die Steigerung, die die Wertschätzung der Psycho-
therapie erfahren hat.
Nachdem man längere Zeit wesentlich über die Bedeutung der hyp-
notischen und besonders auch der nichthypnotischen Suggestion gestritten
hatte, wird in neuerer Zeit auf die Belehrung und Aufklärung bei der
Behandlung Wert gelegt. Besonders hat Rosenbach diesen Standpunkt ein-
504
Psychothc ra pie.
genommen^ und zwar in zahlreichen Einzelarbeiten, die er ^esammeU In
einem Buche: Nervöse Zustände und ihre psychische Behandlung (2. Aufl..
UerLlo 1903) herausgegeben hat Auch Dl'Bois le^ in seinem Werke (Les
PsychonövTOses et leur traitement moral, Paris 1004), das bereits in zweiter
Auflage und auch in einer deutschen Obersetzung: erschienen ist, Wert an!
die Aufklärung^ aUordinga ohne daß er die grotlen Verdienste Hosi:Nß.\4'Hs
in dieser Frage würdigt^ der doch lange vor ihm diese Anschauungen ver-
treten hat Da übrigens Dubuis, ebenso wie andere^ bei seiner Begeisterung
fdr die Belehrung gänzlich übersieht, daß doch noch zahlreiche andere Ein-
flösse bei seiner Belehrungstherapie mitwirken und deshalb zu fürchten ist.
daß die Belchrungstherapie ähnlich ein Schlagwort etwa werde, wie es
längere Zeit mit der Suggestion gewesen ist, so möchte ich doch einige
Bemerkungen hierzu machen. Es ist sehr richtig, daß man der Belehrung
des Patienten seine Aufmerksamkeit zuwendet, und ich glaube^ daß es eine
große Reihe von F^lllon gibt, wo man hierin ein psychotherapeutisches
Mittel ersten Ranges erblicken muß. Wenn aber einzelne mit der Aufklä-
rung allein zum i^iele zu kommen und dabei die Suggestion auszuschließen
gtauben, so muß man ihnen zurufen , daß sie suggerieren, ohne es za
nierken. Ein Typus dafür ist offenbar Di'iious. Mag man den Begriff der
Suggestion noch so eng fassen, und er muß weit enger gefaßt werden, als
es die Nanziger Forscher zuerst taten, so ist trotzdem der soggesUvc Ein-
fluß bei der Belehrungstherapie gar nicht auszuschließen, ja. ich halte es
sogar in vielen Krillen für etno auf die Spitze getriebene Suggestion, dem
Patienten vorzureden, daß er von der Belehrung gesund wird. Freilich wird
diese von ihm niclit durchschaute Suggestion dem Patienten sehr sym-
pathisch sein, es wird ihm schmetcbeln, wenn man ihm sagt, daß er durch
Belehrung und Aufklärung gesund werde, nicht aber durch Suggestion. Und
wie machtige Suggestivwirkungen empfiehlt Dl'üois weiter besonders dem
therapeutisch noch nicht so erfahrenen Arzt. Er soll vom Dyspeptiachen
einen Aufenthalt von 2 Monaten in einer Klinik verlangen, desgleichen eine
sechswöchige Bettruhe und auch Isolierung. Zwar sucht DuBois nacbzo*
weisen, weshalb dies alles notwendig sei. Er vergißt aber, wie zahlreiche
änderte psycliiscbe Kin Wirkungen In solchen und in anderen Fällen beim
Patienten außer der Belehrung stattfinden. In einem kleinen Aufsatz über
die psychischen Einflüsse auf Patienten in offenen Heilanstalten hat Wikdb-
BL7RG (ZeUschr. f. diätet. u. physikal. Therap., 1900/01, IV» H. 6) darauf hin-
gewiesen, wie stark die psychische Wirkung ist, die auf den Patienten aus-
geübt wird, wenn er schon den Entschluß faüt, die Heilanstalt aufzusuchen.
Und genau dasselbe ist der Fall, wenn der Patient zum Arzt gebt, der ihn
durch die Belehrung heilt Der Patient hat von den Erfolgen des Arztes
oder der Anstalt gehurt. Der Arzt, zu dem er kommt, oder die Anstalt
macht einen Eindruck auf ihn, der zunächst mit der Belehrung rocht wenig
zu tun hat. Kuiz und gut, die mächtige Suggestionswirkung ist, selbst
wenn der Belehrung ein weiter Raum in der Behandlung zukommt, gar
nicht zu vermeiden, und deshalb muß man den Angaben jener Leute, die
bloß durch die Belebrang heilen, und die dabei glauben, das suggestive
Moment ausgeschlossen zu haben , einstweilen noch ebenso mißtrauisch
gegenüberstehen wie jenen Ärzten, die irgend ein anderes, Eindruck machen-
des Heilmittel eoiplehlen und bei Ausschluß der Suggestion zu wirken
glauben.
Aus den vorhergehenden Ausführungen hi»11 man nicht etwa schließen,
daß ich die Belehrung und Aufklärung für nebensächlich halte. Sie kann im
Gegenteil in vielen Fällen dem Patienten wesentlichen Nutzen bringen. Nur
gegen Übertreibungen wende ich mich, und zwar besonders dagegen, daß
einzelne nun glauben, bei ihrer Belehrungstherapie die Suggestion ausge*
Psychotherapie.
50fi
ficfalassen zu haben. Gewiß können und mflsHen wir die Belehrung von der
Suggestion theoretisch trennen; aher praktisch ist die Trennunp: in vielen
Fällen unmöglich. Und eine ganze Reihe von KrankengeBchichten , die den
Einfloß der Belehrung beweis-en sollen^ beweisen höchstens, daß neben zahl,
reichen anderen Einwirkungen, besonders solchen suggestiver Natur, die
Belehrung angewendet wurde, wobei es oft genug noch fraglich ist, ob ihr
die Hauptbedeutung am Erfolg zukam Freilich wird man oft ohne Be-
lehrung feein Ziel nicht erreichen Beispielsweise nniß man manchen, der
sich für erblich belastet und deshalb für unheilbar hält, über die wahre
Bedeutung der oft übcr^chUtzten erblichen Belastung aulklären. Man muß
solche, die ihr Leiden für angeboren und ileshatb für unheilbar halten, z. B.
sexuell Ferverse, darüber aufklären, daß, selbst wenn die Anlage zur sexuel-
len Perversion angeboren ist, daraus noch nicht die Unabänderlichkeit des
perversen Triebes folgt. In anderen Fällen wird man, und hierauf hat 0. Ro-
öENBACH besonders hingewiesen, dem Patienten , der sich irrtümlich für or-
ganisch krank hält, zu beweisen suchen , daß bei ihm nur eine funktionelle
Erkrankung vorliegt. Man wird einem, der sich für herzkrank hält, zeigen
können, daß unter normalen Verhältnissen gewisse Schwankungen dos
Pulses, z. H. bei angespannter Jienbachtung oder bei veränderter Lage oder
bei leichter Korpertätigkeit vorkoninu'n. Man wird, um ein von mir oft be-
obachtetes Beispiel zu erwähnen, einem Patienten, der Brustschmerzen hat
und der sich deshalb für lungenkrank hält, sehr oft, wenn man ihm den
Muskel als auf Druck schmerzhaft erweist, zeigen können, daß nicht die
Lungp, sondern nur der Muskel affiziert ist. Es kann auch wünschenswert
sein, dem Patienten eine ganze Theorie über die Entstehung gewisser Krank-
heitssymptome auseinanderzusetzen, um ihn dazu zu bewegen, daß er an
^ercn Beseitigung selbst mitarbeitet. Oi^hf'nmkim (Zur Prognose und Thera»
pie der schweren Neurosen, Halle WH)'}] hat z. B, in einzelnen Fällen von Aki-
nesia algera gezeigt, wie man erst den Patienten über die Natur des Leidens
aulklären muß, um ihn überhaupt gefügig für ärztliche Anordnungen zu
machen. In einem anderen Falle ist es notwendig, den Patienten darüber
aufzuklären, daß eine bestimmte Wirkung, die er von einem Nahrungs- oder
Heilmittel zu haben glaubt, in Wirklichkeit nur autosuggestiver Natur ist.
z. B. eine Diarrhöe, die räch Kaffeegenuß eintritt Auch kann es notwendig
sein, dem Patienten klar zu machen, daß eine zettweise auftretende Ver-
fichlimnipning der Symptonae nicht der Zunahme der Krankheit entspricht,
sondern durch die periodischen Schwankungen der Krankheit begründet ist.
Ebenso wird es, um hior schon auf die Beschäftigungstherapie hinzuweisen,
wünschenswert sein, dem Patienten die Notwendigkeit einer Tätigkeit nach-
zuweisen, um ihn überhaupt zur Befolgung dieses Rates zu veranlassen.
Kurz und gut, die Aufklärung und Belehrung ist in zahlreichen Fällen un-
amgänglich nötig. Nur wollen wir uns hüten, alles auf die Belehrung zu
schieben, was bei Anwendung derselben erreicht wird, wenn gleichzeitig
zahllose andere psychische Kinwirkuntren. z. B. solche suggestiver Art statt-
finden. Je mehr man sich in neuerer Zeit mit Kecht homuht hat^ den Be-
griff dor Suggeslion einzuschränken und nicht die Belohrungstherapie unter
den Begriff der äug;jr^stionstherapie zu bringen, um so sebr müssen wir uns
Auch hüten, da ausschließliche Einwirkungen der Belehrung zu suchen, wo
auch nachweisbar andere Einwirkungen stattgefunden haben.
Wie leicht ein Irrtum über die wirksamen Prinzipien bei der Behand-
Jung möglich ist, zeigt sehr deutlich die Geschichte der Isolit'rung.sthe-
rapie, die besonders in Verbindans: mit der WKtH-MiTrHF.i.i, sehen Mastkur
Jingowendet wurde. Drnois weist darauf hin, daß die Deutschen hierbei zu
sehr auf die Mast und die Engländer auf die Rast Gewicht legen. .leden-
ialls kann man nicht leugnen, daß das rein pj^ychische Moment sehr wichtig
506
Psychotherapie.
ist und die vielen anderen diätetischen, elektrischen Einwirkungen sowie
die Massage dabei olt ganz nebensächlich sind. Zwei Schüler von DtJi-^RiNB,
Camcs und Paonikz, haben in einem lehrreichen Buche (Isolement et Psycho-
therapie, Paris 1904) eine große Heihe Krankengeschichten gezeigt, um den
Wert der Isolierung zu erweisen. Gs ist ihnen auch nicht dabei entgangen,
wieviel einzelne psychische Einwirkungen dabei stattfinden.
Auch sonst acheint es mir, dati man gewisse psychotherapeutische
Prozeduren nicht hinreichend tri<nnt und sie bald mit Suggestion, bald mit
Belehrung zusaiiinienwirFt. Die Willensgy riinastik z. B. kann zwar oft
nur angewendet werden, nachdem der Patient über ihre Bedeutung belehrt
worden ist. Aber sie ist ein von der Belehrung ^u trennender psychischer
Faktor, was manche nicht hinreichend betonen. Bei der Willenslätigkeit
haben wir die äußere und die innere zu unterscheiden. Erstere beeinnufit
die Bewegungen, die sie entweder hervorbringt oder hemmt. Die innere be-
zieht sich auf die psychischen Prozesse, Vorstellungen, Gefühle, Affekle, die
der Wille in begrenzter Richtung beherrscht, indem er diese Prozesse bald
erzeugt bald unterdrückt. In vielen Fällen von Tics kann z. B. die Willens-
therapie einen großen Nutzen gewähren- Der Patient muß versuchen, zunächst
wenige Sekunden den Tic zu unterdrücken, und diese Zeit wird allmählich
verlängert. Meige (Journ. f. Psychol. u. Neurol , II, *2 u. 3 ; Mkigk et E. Fkindel,
Les Tics et leur traitement, Paris 1902) r&t dringend dazu, diese Übung
unter SpiegelkontroUe zu machen^ weil sehr häufig der Patient gar nicht
wisse, daß er diese unwillkürliche Bewegung ausübt. Die Obungstherapie
bei Tics wird auch von andern, z. B. von Brissaud und Oppevhkim, sehr
empfohlen. Es wird auch geraten^ nicht nur die unwillkürlichen Bewegungen
durch Übung zu unterdrücken, man solle vielmehr auch allerlei verschiedene
Bewegungsformen üben. Man solle versuchen, eine anbefohlene Bewegung
plötzlich anzuhalten und tfabui durrh den Willen eine weitere unwillkürliche
Bewegung zu bekämpfen. Ich glaube, daß manche Besserung der Suggestion
zugeschrieben wird, die in Wirklichkeit der geschilderten Willensgymnasttk
zu danken ist. Z. B. scheint mir dies der Fall zu sein bei manchen Fällen
von chronischer Chorea, die suggestiv geheilt sein sollen, während anscheinend
der Wille durch allmähliche Stärkung es lernte, die unwillkürlichen Zuckungen
zu unterdrücken. Auch bei vielen Handlungen, die durch Angst- oder Zwangs-
vorstellungen erschwert werden, kann man durch die Gymnastik des Willens
viel erreichen, z. B. bei der Kisenbahnangst, bei der Platzang:at. Ahnlich wie
mit der äußeren Willenstätigkeit liegt es auch mit der inneren. Z. B. können,
worauf ich selbst an verschiedenen Stellen hingewiesen habe, sexuell per-
verse Etnpfindungen dadurch mit der Zeit ausgeschaltet werden, daß die
innere Willenatäliykett in Funktion tritt, d. h. sich der Perverse bemüht,
alle willkürlichen perversen Vorstellungen zu unterdrücken und mehr und
mehr seinen Willen nach der Richtung trainiert, zur Unterdrückung unwill-
kürlich auftauchender perverser Vorstellungen fähig zu werden. Wenn man
diese Übung vornehmen läßt, solange die Perversion noch nicht zu sehr ein-
gewurzelt ist, und sie gleichzeitig mit möglichster (Einwirkung normal sexueller
Reize verbindet, so kann man in einer Reihe von Fällen die Perversion
ohne hypnotische Suggestion heilen.
Aus dem vorhergehenden wird schon einleuchten, daß die verschiedenen
psychischen Vorgänge miteinander in Zusammenhang stehen. Wir können
sie oft nur theoretisch trennen, während in praxi gewöhnlich mehrere
psychotherapeutische Maßnahmen gleichzeitig angewendet werden. Ich habe
bereits hei der Belehrungstherapie darauf hingewiesen, wie schwer es ist,
die Suggestivwirkung dabei auszuschalten. Ahnlich liegt es bei der Ab-
lenkung der Aufmerksamkeit^ die in der Psychotherapie eine überaus
große Holle spielt. Sie erfolgt oft durch einen Willensakt. Man wird aber
Psychotherapie.
607
I
I
den Patienten am ehesten dazu brintcen^ sich von seinen krankhaften Ideen
abzulenken, wenn man ihn vorher Ober die Bedeutunj? dieses Heilfaktors
aufklärt, d. h. auch hier spielt wieder die Aufklärunfz-stherapie eine Rolle.
Die Ablenkung darf aber auch nicht immer dem Patienten allein überlassen
werden. Wer an Zwang'svnrstellangen leidet, kann sich nicht ablenken, weil
sich ihm die krankhafto Vorateiluni^ iiiimür wieder aufdrang. Weit besser
ist es. einem solchen Patienten zu sag^en, was er tun soll^ z. B. die Beschäf-
tigung und Tütigkeit vorzuschreiben, um ihm auf diese Weise den We^ zur
Ablenkung zu zeigen. Damit komme ich zur Beschäftigungstherapie.
Die Beschäftigungstherapie ist in den letzten Jahren ebenfalls
sehr ausgebildet worden, und zwar in Anstalten. Man hatte ja die Beschäf-
tigung des Patienten bereits früher Öfter geregelt, indem man ihm etwa
eine Stunde Gartenarbeit oder eine andere TÄtigkeit aufgab. In neuerer Zeit
aber handelt es sich bei der Beschäftigungstherapie in den Nervenanstalten
nicht bloü darum, daß der Patient vorübergehend durch die Arbeit abgelenkt
wird, sondern darnm^ dali er selbst wieder arbeiten lernt, eine Fähigkeit,
die ihm mitunter durch sein Nervenleiden verloren gegangen ist. Hier bildet
die Beschäftigung dos Patienten nicht nur einen kleinen Teil der Therapie,
sondern deren Kernpunkt. Gerade bei den Nervenheilanstalten fOr Unbe-
mittelte, für die zuerst Bknda (Öffentliche Nervenheilanstalten, 18!>1 1 so
warm eintrat, dann außerdem KRAFKT-KßiNG, Eiu.RNnruG, ganz besonders
aber M^biüs (Über die Behandlung von Nervenkranken und die Errichtung
von Nervenheilanstalten, I89G), Sohwafiz (Lber Nervenheilstätten, Leipzig
1903), Qkoiimann (Technisches und Psychologisches in der KeschKftigung von
Nervenkranken, 189lf) ist auf die Arbeit das Hauptgewicht zum Segen der
Kranken gelegt worden.
Aber nicht nur in der Anstalt ist Gewicht au! die Beschäftigung zu
legen, sondern auch außerhalb derselben. Zur Beschäftigung geb^irt natür-
lich nicht nur die Arbeit, sondern auch die Lektüre, auf deren Wichtigkeit
Laquer hingewiesen hat, Theater, Sport, Spazierengehen, endlich aber auch
in allererster Linie die Berufsfrage. Eine der Individualität des Menschen
zusagende Berufstittigkeit ist oft eine Vorbedingung fllr die GoÄundheit,
und FoKEi. hat mit Recht darauf hingewiesen i Zeitschrift für Hypnotismus,
N, U. 1). daU viele Nervöse sofort gesund wurdt^n, wenn man einen ihrer
Individualität zusagenden Beruf findet. Nicht der Müßiggang und das Aus-
ruhen ist bei vielen Kranken angezeigt, sondern Tätigkeit und Berufsfreudig-
keit. Es ist besonders zu berücksichtigen , daß die Berufsfrage nicht nur
bei Kindern, sondern auch später noch eine Rolle spielt. So wird man z. B.
bei vielen weiblichen Patienten, die sich dem Müliiggang ergeben und da-
durch erkranken, auch später noch auf eine entsprechende Tätigkeit hin-
weisen dürfen. Ganz besonders aber wird natQrlich in jüngeren Jahren ge-
wissermaßen prophylaktisch die Berufswahl eine Holle spielen.
Auch nach anderer Richtung wird man in jüngeren Jahren die Psycho-
therapie in der Form einer Prophylaxe schon dann wirken lassen, ehe
die Krankheit selbst vorhanden ist. Binswangkr (Die Hysterie. Wien 1^04,
pag. 850ff.! hat recht, wenn er bei Kindern, die zur Hysterie disponiert
sind, bereits in der Kindheit mit der psychischen Abhärtung zu beginnen
rät. Man solle möglichst zeitig die häufige Ängstlichkeit und Schreckhaftig-
keit bekämpfen , Einzelunterricht solle möglichst vermieden werden, weil
nur im steten Wettbewerb mit Altersgenossen die krankhafte Eigensucht
und der Eigenwille bezwungen, dfe Empfindsamkeit auf einen naturgemäßen
Grad herabgemindert werden. Viele der modernen Bestrebungen, die eine
Überlastung der Schüler zu bekämpfen wähnen, haben, worauf ich (Einfluß
der Großstadt auf das Nervensystem, Berlin 1902) bereits hingewiesen habe,
in dieser Beziehung die allerbedenklichsten Folgen. Es sind mir Fälle be-
508
Psychotherapie. — Puerperalfieber.
kannt, wo Kinder ihre Faulheit damit entschuldigten, daß auch von ärzt-
licher Seile die rberbürdunff ro sehr bekämpft würde. Es ist noch sehr
fraglich, ob nicht, was man nach der einpn Spite nutzt, durch diese zum Teil
übortriebennn, brsonders die öffentlichen Krörterungen flher die CberbGrclunjra-
Irago den Kindern g:escbadet wird. Wonn Marcinuw^ki (Im Kampf um s:©-
sunde Nerven, L^ Aufl., Berlin 1905) auch bei allerlei kleineren Beschwerden,
z. B. bei tresteigerter Reizenipfindsamkeit enipfielilt. sich durch allmähliche
Steigerung von Geräuschen und besondere der unangenehmen Eindrucke
abzuhärten, so ist es auch notwendig", eine solche Abhärtung bereits mög-
lichst in der Kindheit zu beginnen.
Die vorhergehenden Andeutungen werden wohl getiQgend zeigen., wie
zahllos die verschiedenen psychotherapeutischen Einwirkungen sind. Eine
programmaiisciio. nicht für dff^ Pra\iü bestimmte, sondern mehr theoretische
Übersicht hat Xinir (ZeilschriTt für Hypnotfsmus, IX. u. X. Band und Journal !ür
Psychologie und Ncurülogic, I, Hand) gegeben, während ZiF.HKX in seiner Arbeit
(Psychotherapie. Lehrbuch der allg(»inpinen Therapie, herausgegeben von Eui.EN-
BURG und Samukl, H, Band. Wien 1H\*^) mehrdieprnktische Seite beröcksichtigte.
ich in der ärztlichen Klhik (i?tuttir:*rt 1^02) die ethischen Fragen erörterte
und Lr.wENFKi.D in dem ly^iT erschienenen Lehrbuch der gesamten Psycho-
therapie eine allgemeine Darstellung derselben vom theoretischen und prak-
tischen Standpunkt aus gab. Es ist anzunehmen, daß sich in nächster Zeit
die Psychotherapie thnoretisch und praktisch weiter entwickeln wird, und be-
merke ich Kuni Sclilulj noch^ das i<'h im vorhergehenden nur einen kleinen Teil
der hierher gehörigen bisher erschienenen Arbeiten erwähnt habe. A/bert Jfw;.
Puerperalfieber« Die heutige Prophylaxe und Therapie
des Puerperalfiebers. Aus deu5 großen Rahmen des Piierperalfiebers
sollen hier nur diejenigen Abschnitte hervorgehoben werden, die ein klinisches
und vorwiegend praktisches Interesse haben, also die Prophylaxe und Therapie,
und zwar soweit sie durch die neueren Bestrebungen gesichert sind oder
noch weiterer Klärung bedürfen. Die Ätiologie und Pathogenese und speziell
die Bakteriologie sollen nur insoweit berührt werden, als dies für das Ver-
ständnis dcM' klinischen Fragen notwendig erscheint.
Sind nun die vielseiligtm neueren Bestrebungen, das Wochenbettfieber
zu verhüten oder das ausgebrochene zu heilen, von so bemerkenswertem
Erfolge gewesen, dali sich eine zum Teil durchgreifende Änderung der bis-
herigen Methoden auf dieser neuen Grundlage empfiehltV Es wird dies von
verschieden-^n Seilen gar nicht oder nur in sehr beschränktem Umfange zu-
gegeben. In den Arbeiten des letzten Dezenniums, die sich mit der Statistik
des Puerperalfiebers beschäftigen, findet man vielfach die Angabe, daß zwar in
den geburlshilflichen Kliniken und Qebäranstallen. die doch nur l'Vo aU^r
Geburten umfassen, dank den Fortschritten der Anti- und Aseptik . sowohl
die GesamtmorbidJtät^ als auch ganz besonders die Summe der schweren
Erkrankungen und die Sterblichkeit an Sepsis im Wochenbette sehr bedeutend
abgenommen habe, daß dagegen in den übrigen SÖ^/o' ^^i ^^^ Geburten im
Privnthause, noch keine erhebliche Besserung der puerperalen Infektion
erreicht worden sei.
Dem widerspricht zunächst die Tatsache, daß nach der Statistik
BoKHRS^) noch im Jahre 1875 in Preußen an Kindbettfieber 8000—9000
Frauen (bei den bekannton Fehlerquellen aller olfiziellen Statistiken höchst-
wahrscheinlich weit mehr) starben., dagegen nach Ehlers^) iu den Jahren
1877— ISyii durchschnittlich nur 4U0Ü--riL»O0 iährlich = 0*502^0 der Wöch-
nerinnen, und daß die Abnahme von 1S77/1881 zu 1892/ltf96 20-97V»
beträgt, för Berlin für das Dezennium 1885/86—1895/96 sogar 24V.i- Aller-
dings bestehen in dieser Besserung der Sterblichkeit im Kindbett große
Puerperalfieber.
509
I
I
I
Unterschiede zwischen den Stadt- (32'5%) nnd Landgemeinden (15°/u); sie
ist auch in den einzelnen Provinzen des Staates ungemein verschieden und
abhängifi: von den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. So betrug
2. B. in Ost-, Westpreulien und Posen, den wirtschaftlich am schlechtesten
(gestellten Provinzen der Monarchie, die Sterblichkeit »im Kindbett« bis zu
80% (') aller Todesfillle der Frauen im Alter von 25 — 40 Jahren. Indessen
haben sorgffältiKe Keobachter. die in der La^e sind, längere ZeiträuDi» zu
fiberblicken und einen Vert^leich zwischen den Ergebnissen der klinischen
Tätigkeit und der Privatpraxia zu ziehen« wie Olshausen^) und Lr)HLEi.\ i*),
gleichfalls den Eindruck, daU auch in der letzteren das Puerperalfieber ab-
genommen hat^ obschon der Prozentsatz der Mortalität und Morbidität
(d. h. die Wochenbetten mit Temperaturen über 3B"C, in der Achselhöhle
gemessen) für unsere antiseptische Zeit noch recht hoch ist. Auf zwei
Punkte haben sich in den letzten Jahren die Bemühungen der Kliniker
ganz bosondors gerichtet: auf die Mortalität der an Puerperalfieber Er-
krankten, die nach Kehlinc*) noch immer etwa I8o/„ beträgt, und auf die
Bekämpfung der Morbidität, die bis jetzt, allen Maßnahmen zum Trotz,
auch in den besteingerichteten und geleiteten Anstalten sich unter einen
gewissen, noch relativ hohen» in den einzelnen Anstalten zwischen 12 — 38%
Qesamtmorbidität schwankenden (KrOmkr") Prozentsatz nicht hrrabdrQcken
lassen will. Wenn nun auch die Gesamtmorbidität^ d. h. die Summe aller
Fieberfälle, nur einen minimalen Prozentsatz ausgesprochener und den
Heilungsverlauf wirklich störender Wundinfektionen, die wir als Wochen-
bettftober zu bezeichnen gewohnt sind^ enthält, wenn ferner auch alte
akzidentellen Erkrankungen im Wochenbett (Anj^ina^ Influenza, Tuberkulose,
Bronchitis, Pneumonie. Typhus etc.) darin mit inbegriffen sind, so bleibt
doch noch eine große Zahl prognostisch allerdings absolut günstiger^ so-
genannter «harmloser Genitalfieber«, auch »Eintagsfieber« genannt (10 bis
15%), die sicher genitalen Ursprungs sind und sich bisher durch keinerlei
Maßnahmen beseitigen lietSen.
Die Erklärung für diesen unausrottbaren Rest puerperaler Morbidität
hängt aufs engste mit dem Problem der Selbstinfektton zusammen. Die
Zahl derjenigen, die behaupten, daß jede puerperale Infektion durch Kontakt
von aulSen bedingt sei^ hat in der letzten Zoit sohr abgenommen. Die Beob-
achtungen KhOmg^)-Scanzoms^), daü auch bei normalen Spontangeburten,
bei welchen sicher keine Hände die Wöchnerin bzw. Kreibende berührten,
die Morbidität noch 10*8% (l l-f»"/!,') beträgt, desgleichen die Erfahrung, daI5
trotz der absoluten Händesterilisalion, welche durch die FaiHnRtCHschen
Gummihandschuhe wenigstens für die innere Unfcrsuchiing ermöglicht wurde,
sich die Morbidität nur unwesentlich ändern ließ (SrirHKK^). Stolz«), wiesen
auf die Möglichkeit einer besonders von Aiilfkli)1°) und Hokmeikk^'J ver-
fochtenen Autoinfektion durch Keime, die natürlich immer von außen
stammen, aber bereits vor und während der Geburt in der Scheide vor-
handen waren, hin.
Allerdings geben auch diese Vorkämpfer der Selbstinfektion zu« daU
sie gHgenOber der Kontaktinfektion selten ist^ wie auch andrerseits nach dem
augenblicklichen Stande der bakteriologischen Forschung und der klinischen
Untersuchungen anerkannt werden muß. daß zwar nicht — wie Bumm '-)
behauptet — alle schweren, gefährlichen WochenbetÜnfekt'Onen von außen
her veranlaßt werden, daß aber Ausnahmen hßchst selten sind, und daß in
vielen Fällen, wo eine Selbstinfektion angenommen wurde, bei genauerer
Nachforschung die Möglichkeit einer Außeninfektion sich herausstellte. Mit
der Möglichkeit der Selbstinfektion eng verknüpft ist ferner die F'rage nach
der Natur und Herkunft der Scheidenkeime. Die für normale Verhältnisse
nicht zutreffenden Untersuchungen von DOderlein und Kkönig-Menge, wo-
SlO
Puerperalfieber.
nach alle im normalen Vaginalsekret lebenden Bazillen and Kokken darcb
ihr endogenes WachBlam fakultative und obligate Anaeroben Hind^ welche
an sieb für den Organismus der Trägerin harmlos sind, \& sogar ein Schutz-
wall gegen die Invasion fremder Keime sein können (»Selbstreinigung der
Scheide«), gelten nicht allgemein für Schwangerschaft, Geburt and Wochen-
bett. Aus dem Scheidensekret von Schwangeren, das man klinisch als nor-
mal bezeichnen muüte, Heiden sich wiederholt Staphylo- and Streptokokken
züchten, welche bei den Üblichen Virulenzbestimmungen und mit Rücksicht
-auf die Arteinheit der Streptokokken von den schweren Eitererregern nicht
zu unterscheiden waren. Ebeaso finden sich nach Btmm (1. c.) im Lochial-
sekret gesunder, nicht fiebernder Wöchnerinnen vom 2. — 3. Wochenbettage
an in 75Vo Streptokokken, die im Tierversuch oft schwer virulent sind,
während die Wöchnerin selbst nicht darauf reagiert. Bei aller Wertschätzung
der großen Fortschritte, welche wir der Bakteriologie in der Erkenntnis des
Wocbenbettliebers verdanken, müssen wir doch zugeben, dalS sie allein nicht
imstande ist, die Frage der Seibstinfektion zu entscheiden, ebensowenig wie
die andere, auch praktisch sehr bedeutsame, ob die das Hauptkontingent
der großen MorblditÄtaziffern stellenden, sehr zahlreichen leichteren und
rasch vorübergehenden TempcratursleigBrungen bei sonst völlig ungestörtem
Wochenbettverlaufe (»Eintagäfieber. Kebricnlae«) eine nur graduell vom
schweren Kindbettfieber verschiedene Erkrankung darstellen oder ob sie
überhaupt qualitativ davon verschieden sind.
Die praktische Konsequenz der ersteren Annahme muß eine verschärfte
A- und Antisepsis, desinfizierende präliminare Reinigung der Scheide vor
und nach jeder Untersuchung einer KreilSenden, eventuell auch schon in der
Schwangerächaft, die der letzteren nur eine stärkere Betonung der subjek-
tiven und objektiven Asepsis sein. Nach den Untersuchungen von BinuM il. c.)
und Zan^jKMKIstkh^^) ist es allerdings sehr wahrscheinlich, daß die meisten
unserer heutigen Woclienbettfieber, die »Eintagslteber«, nicht durch genitale
Infektionen intra partum bedingt sind, vielmehr durch Resorptions
Vorgänge, welche sich von den puerperalen Wunden des Dammes, der
Scheide, der Zervix und der Plazentarstelle ans, insbesondere aber von der
Zervix aus nach Zersetzung der Lochialsekrete durch Saprophyten voll-
ziehen. Unsere prophylaktischen, antiseptiachen Maßregeln bei der Qeburts-
leituMg vermögen also wohl auf die septische Infektion (ausgedruckt durch
die Mortalität plus flem geringen Prozentsatz der wifklich schweren Wochen-
botterkrankungen). nicht aber auf das Hosorptionsfiober, den Hauptfaktor
der Morbidität, einen Einfluß auszuüben.
Eine sicher nachgewiesene, aber seltene Art der » Selbstinfektion v — aller-
dings nicht im gewöhnlichen Sinne verstanden — ist die sogenannte hämato-
-gene oder endogene puerperale Infektion, bei der die Keime von einem
im Körper vorhandenen Mikrobenherd herrühren und auf dem ßlutwege nach
dem Locus minoris resistentiae, das ist bei der Puerpera der wände Genital-
kanal, verschleppt werden. Auf dem daselbst gefundenen guten Nährboden kßnnen
sie sich rasch vermehren und so eine Art metastntischer Infektion erzeugen.
Diese hämatogene Infektion findet sich bei akuten Infektionskrank-
heiten wie Erysipel, Scharlach^ Typhus. Angina (BCrrNKR*^) und besonders
bei Pneumonie. Solche Fälle von Pneumokokken-Allgemeininfektion sind von
BuRCKHAKDTi«) Und MoHRMANN »') (uus der Marburger Klinik), ferner von
Foulerton und Bonnkv "*) und von Jeksen^") nachgewiesen worden, nach-
dem auch schon Aufrecht-'*) auf die nahen Beziehungen zwischen dem
Pneumokokkus und dem Erreger des Puerperalfiebers hingewiesen und daraus
therapeutische Konsequenzen zu ziehen versucht hatte.
Ein weiterer infektionsmodus ergibt sich, wenn man die Zeit der Gebnrt
für die Infektion beiseite läßt und das Wochenbett bei der Entstehung der
PuerperalHeber.
511
Infektion betrachtet: die sekundäre Wocfaenbettinfektion. Sie erklärt
(nach Franz •>) die meisten leichten TemperatursteigerunRen; doch auch
schtverere Erkrankungen künnen auf diese Weise zustande kommen. Die
mannigfaltigen Keime^ die von der Haut, der Wfische, der Luft, den Händen
des Pflegepersonals, von Instrumenten in die mit der Außenwelt kommuni-
zierende grotie Höhlenwunde, welche Uterus und Vagina zusammen im
Wochenbett darstellen, gelangen und sich daselbst entwickeln, bleiben zu-
nächst unschädiicb. Sie werden erst wirksam^ wenn das Wundsekret nicht
abfließen kann, sei es. daß ein Kihautfetzen oder ein Blutkoa^ulum den
Zervikalkanal verstopft oder die gefüllte Blase ihn komprimiert, sei es, daß
68 sich um eine Abknickung des Korpus gegen die Zervix handelt, welche
zur zeitweiligen Verhaltung und Stauung der I>ochien (Lochiometra) führt.
Erst durch die Retention werden die Keime virulent, und es kommt zum
allerdings meist leichteren und raH<'h vorübergehonden Kleber. Selbstver-
ständlich kann auch durch direkte Einimpfung pathiigcner Keime in die
Oenitalwunden einer Wöchnerin sekundäre Wocheribettinfeklion und schwere
Sepsis entstehen.
Ausgangspunkt der Infektion kann jede Stelle des Qenitaltraktus
sein, an der sich Geburtswunden befinden, also Vulva, Damm, Scheide,
Zervix und üterushOhle. Nächst der Menge und Virulenz der betreffenden
Keime ist es hauptsächlich die Beschaffenheit des umgehenden Gewebes,
welche über die mphr oder mindor schweren Folgen der Infektion ent-
scheidet. Wenn auch unter Umständen selbst von einer Wundi^ des Dammes
eine allgemeine Sepsis ausgehen kann, so sind doch gan^ besonders die-
jenigen der Zervix und die Wundfläche des puerperalen Uterus und hier
vor allem die Plazentarstelle die häufigsten und gefährlichsten Eingangs-
pforten für pathogene Mikroorganisuien.
Der Erforschung der letzteren, der Rolle, die ihre verschiedenen Arten bei
der Infektion spielen, dem Keimjrehalt des Geburtskanales in gesunden und
kranken Tagsn galten die vielTachen bakteriologischen Untersuchungen der
letzten Jahre.
Neben den schon erwähnten Ergebnissen der bakteriologischen For-
schung, wonach die Möglichkeit einer Autoinfoktlon zugegeben werden mußte,
und der im Zusammenhange mit dieser Krage ermittelten Tatsache der
Unmöglichkeit einer vollkommenen Desinfektion der Haut der Hände und
des Operationsgebietes, waren es besonders Untersuchungen dos Keim-
gehaltes der Lochien und des Blutes, durch die man eine sichere Basis
für die Diagnose, Prognose und Therapie des Puerperalfiebers zu gewinnen
hoffte.
Indessen sind die Resultate der bakteriologischen Untersucbungs-
metboden so wechselnde und einander widersprechende, daß aus ihnen eine
sichere Direktive für unser praktisches Handeln nicht zu gewinnen ist.
Schon die von Döüerlein*"*), Krönig*") und Mengk^*) für den normalen Zu-
stand festgestellte sogenannte «-Selbstreinigung der Scheide« wurde als nicht
unter allen Umständen gültig nachgewiesen. Die Menstruation, viel mehr noch
die Ausübung der geschlechtlichen Funktion miiü die mechanischen, chemi-
schen und bakteriellen Verhaltnisse alteriercn (v. Riisthokn^-'j. Ebenso er-
wies sich die Unterscheidung des Vaginalsekretes in normales und patholo-
gisches (DuDEi^i.KiN, I. c.j in der Schwangerschaft in bezog auf den Gehalt
an pathogenen Keimen als unzulänglich. Denn es können aus normalem
Sekret pathogene Keime gezüchtet werden und pathologisches Sekret kann
frei von solchen sein. Streptokokken im Scheidensekrel bedingen ebenso-
wenig ein fieberhaftes Wochenbett, als Fehlen derselben Fieberfreiheit
garantiert; auch die bakterizide Kraft der Scheide, wenigstens in dem
DödKKLKiNschen Sinne, hat sich Stolz (1. c.j and anderen Untersuchern
512
Puerperalfieber.
nicht bew&brt. Ebenso ist DOderleixs Satz von der Keimfreibeit des Uterus
im normalen Wochenbett ond)>:üHifC widerlegt: für die ersten Tage bat
Franz (I. c.) einen Keimgehalt von 2U — G-^^/o nachgewiesen. Bumm sogar 75«,.
Der Befund von Keimen im Uterus afrebriler Wöchnerinnen hat nichts
Pathologisches: die Anwesenheit der Keime allein kann auch nicht die Ur-
sache des FieberH und der Infektion ab^ebon. es müssen noch andere
Momente dazukommen. Auch die Virulenz der Keime genügt nicht znr Er-
klärung, da lieberlose Wöchnerinnen ebt-nso virulente Streptokokken In
ihren Lochien hatten, wie schwere Fieberlälle- Es kommen da noch andere
Umstände in Belracht: Zeit und Art der Übertragung, besonders auch die
Zahl der eingeführten pathogenen Keime, sodann die ßlatfülle des Uterus,
welche die bakterizide Kraft desselben bedingt, ferner die mechanische Ent-
fernung eingedrungener Keime durch den Hlutaustritt und die starke Wund-
sekretion, der Zustand der schon am f). Tage sehr wirierstandsffihigen W' unde,
der Kontraktiünszustand und etwaige Verletzungen des Uterus sowie die
Spannung, unter der das Sekret steht — Momente, die klinisch die »Dis-
position zur Infektion« darstellen und sich leicht erklären bei langer Qe-
burtsdauer. vorzeitigem ßlasensprung, schonungslosen Untersuchungen,
Zurückbleiben der Eihäute und Behinderung des Locbienabflusses etc.
(Stolz, I. c).
Auch das Lochialsekret normaler Wöchnerinnen, auf das diese selbst nicht
reagieren, ist für andere schwer infektrö^: jode Schwangere bzw. Kreißende
und Wöchnerin verträgt nur ihre eigenen Streptokokken, reagiert aber auf
ekto^ene pathogene Keinio, die etwa durch Arzt oder Pflegerin. schlieUlich
durch den Finger der Frau selbst eingeschleppt werden, mit der Sicherheit
des bakteriologischen Versuches. Aus dem bloßen Bakterienbefund Im
Lochialsekret lassen sich also keine entscheidenden Schlüsse ziehen und
die an und für sich nicht ungefährliche Entnahme von Lochien aus dem
Uterus ist nicht erforderlich (Krö.ukh, I. <•-. pag. 184).
Ebensowenig wie die einseitige Verwertung des bakteriologischen Be-
fundes von Lochialsekret lütJt der HlutbeTund einen sicheren Schluß auf die
Diagnose und den Ausi^rang der Krankheit oder auf die Indikationsstellung
zu. Die sehr bestimmten Angaben von Prol'Howxick •*) über die Ergebnisse
seiner systematischen Blutuntersuchungen bei puerperaler Pyämie und die
Begründung schwerwiegender operativer Eingriffe auf Streptokokkenbefunde
im Blute wurden von Opitz-') durch den Hinweis auf die entgegenstehenden
Rt'Bultate dtr Versuche von H.xrsEu und KThnac und auf die Möglichkeit
von Fehlern in der Methodik Pkochownicks erschüttert.
Die sehr zahlreichen und zuverlässigen Untersuchungen von Lenhartz**)
bestätigen die Unsicherheit der leriig-licli auf Blutkulturen basierten Schlösse.
Neben positiven Befunden vun (Überwiegend liäuTiK:) ausschlieÜlich Strepto-
kokken im Blute Schwerkranker und daneben ganz vereinzelt von Koli-
bazilten, Proteus und dem FuARNKKLschen Qasbazitlus intra vitam und post
mortem ergab sich in mehr als einem Drittel der Fälle auch bei mehrfacher
Wiederholung ein negativer Befund, der sich meist auch posl mortem be-
stätigte. Auch Pryor^j) fand nur in einem Drittel der t5dtichen Puerperal-
fieberfälle Streptokokken im Blute. Immerhin ist der Bakterienbefund im
Blute ein, wenn auch nicht ausschlaggebendes, doch sehr wichtiges Symptom,
bei dessen prognostischer Verwertung allerdings gr5ßte Vorsicht und die
Berücksichtigung vieler anderer Momente, wie Widerstandskraft des Indivi-
duums, Stadium und Art der Erkrankung, Art der Bakterien etc., geboten
ist. Entscheidend kann die Blutuntersuchung allerdings werden durch den
Nachweis der WiDALschen Reaktion für die zuweilen recht schwierige
Differentialdiagnose zwischen typhöser und puerperaler Infektion
in ihren Anfangsstadien (v. Rosthorn, I.e. pag. 39 D und JrNG**»).
Puerperalfieber.
51S
Als Träfcer der Infektion kommen eine ganze Aozahl von Reimen
in Betracht, alten voran der Streptococcus pyogenes^ der fOr sich allein
imstande ist, eine Puerperalpyfimie hervorzuruten (>Streptokokkie«) oder bei
gfleichzeitigem Vorkommen von anderen Mikroben (Staphylokokken, Bac-
terium coli u. a.), *Mi8chinfektion<.
Ihm zunächst, auch in bezu^ auf die F&hi^keit der selbständigen
Krzeugnng einer pyämischen Infektion, steht der StaphylDcoccus pyugenes
aureus und albus, der ebenso im hochialsekret, im Blut und den metasta-
tischen Abszeshen Fyämischer nachgewiesen ist, als alleiniger Erreger mit
Sicherheit allerdings erst in fQnf Fällen (v. Ma(;ni;s>Mi einer verschwindend
kleinen Zahl gegenüber den »icher konstatierten reinen Streptokokkeu-
pyäniien. Außer und neben diesen beiden in Miscbinfektion werden noch das
Bacterium coli, der Pneumokokkus Frabnkrl, Proteus und der Bacillus per-
Iringens von Vkillon und Zuher |ßac. phlegmonös emphysematosae, Gas-
bazillus von Fkahnkel, Bac. a^>rogenes capsniatus (Jraxnin, I.e.)] gefunden.
För den letzti^enaiinten, den Ukkkxheimkh^-) irrtflmlich fOr einen neuen,
»Schaumorgane < intra vitani produzierenden Bazillus hielt, sowie überhaupt
für alle Erreger der sogenannten (iassepsis hat WESTENHriKKKR^-^) nach-
gewiesen, daß es bedingungslose , durch eigene Macht Krankheit erregende
Qasbazillen für den Menschen nicht gibt^ dal) sie vielmehr nur sekundär
auf nekrotischem Gewebe als reine Saprophyten Gas zu bilden vermögen.
Die Art der im Lochialnekret. Blut oder in einem metastatischen Eiterherd
sich vorfindenden Mikroorganismen übt. vielleicht mit Ausnahme des Gas-
bazillus, keinen KinTluß auf den Verlauf der Erkrankung, die Symptoma-
tulügie und die Prognose aus.
Eine Sonderstellung in bezug auf diese Punkte nehmen die gonor-
rhoiscben Erkrankungen im Wochenbette ein, die deshalb von
manchen (Olshai'sen, Blmm) vom Puerperalfieber gestrichen werden — mit
Unrecht, wie Fehli.nü (V'erh. d. deutschen Ges. f. Gyn., VllI, pag. 320) zu-
treffend bemerkt; sie gehören dazu mit demselben Hechte, wie die durch
Bacterium coli, Pneumokokkus bedingten Erkrankungen. Die Parametritts
gonorrhoica ist zudem spezifisch ftlr das Wochenbett und kommt ohne das-
selbe nicht vor. Dan Verhältnis der puerperalen Gtjnorrhöe zum Puerperal-
fieber ist mithin ein wesentlich intimeres, als das der nur gelegentlich dabei
vorkommenden Diphtherie-, Typhus- und Tetanusbazillen; sie tritt entweder
in den ersten 14 Tagen als rein gonorrhoische Infektion auf oder in einer
Mischform mit Staphylo- und Streptokokkeninfektion ^ die sich auf dem
Boden der bestehenden Gonorrhöe entwickeln (Accidents parablennorrhagiques
nach FrI^hinsholz ' ■) und An'dkbkrt.^")
Im klinisch-therapeutischen Interesse Ist es wichtig, fOr das Wundfieber
im Wochenbett, i. e. »Rindbettfieber«, nach ßi mms Vorgang die Unterschei-
dung zwischen putrider Intoxikation (Sapiämie nach DuN('a\^ Resorptions-
fieber) und septischer Infektion aufrecht zu erhalten. Zur letzteren rechnet
man nach Blm.m als lokale Prozesse die Infektion der Wunden des Dammes,
der Scheide, der Zervix und de» Endometrium, als Allgemeinerkran-
kungen: die auf dem Wege der Blutbahn zustandekommende Thrombo-
phlebitis und Pyämie und die nur selten beobachtete reine Septikamie (Bak-
teriämie oder Streptokokkämie nach Kocher und Tavel), ohne sonstige
lokale Veränderungen (K.nkisk^*), sowie diejenigen, die in den Lymphbühnen
sich weiter verbreiten: Metritis dissecans, Para- und Perimetritis und Peri-
tonitis. K
Auf diesem so umgrenzten Gebiete, in dem allerdings durch die wech-
selnden Ergebnisse der bakteriologischen wie der klinischen Untersuchungen
noch große Unsicherheit herrscht, haben sich die prophylaktischen
Maßnahmen, auf die mit Recht heutzutage das Hauptgewicht gelegt wird,
Kaejrdop. Jftbrbaobvr. K. F. IV. (ZIHO ^.
514
Puerperalfieber.
zo bewegen. Das all8eitig:e Bestreben, die Morbidit&t in gleicher Weise, wie
dies mit der Mortalität im Wochenbett erfolgreich durchgeführt ist, ant ein
Minimum herabzudrOcken, war bis jetzt — wenigstens für die harmlosen
»Eintagsfieber« — vergeblich. Schwere Infektionen sind indes nicht nur in
der Klinik, sondern auch Im Privathause seltener geworden.
Die Erkenntnis, daÜ diese schweren Infektionen meist extragenitalen
Fieberquellen entstammen und besonders durch die Hände der Arzte und
Pflegepersonen verschuldet werden, föhrte zunächst zu den mit unendlicher
Mühe durchgeführten, äußerst zahlreichen Versuchen, eine absolute Keim-
freiheit der Hand herzustellen. Sie müssen trotz der entgegenstehenden
Behauptungen Ahi.fklds und Schäffbrs als endgültig gescheitert betrachtet
werden : eine im bakteriologinchen Sinne vollkommene Desinfektion der Haut
der Hände ist unmöglich. Daraus entwickelte sich logischerw^eise der Vor-
Echlag, bei inneren Untersuchungen und Operationen Gummihandschuhe,
die durch Auskochen sterilisiert werden können^ zu gebrauchen.
Andrerseits wurde aus der Tatsache, daü eine große Zahl der Fälle.
welche sub partu nicht berührt wurden, dennoch fieberten, gefolgert, daß
wir bei der Fürsorge für einen normalen Wochenbettverlauf es nicht allein
mit der Abwehr einer während des Geburtsaktes oder im Wochenbett frisch
entstandenen Außeninfektion zu tun haben, daß es vielmehr auch eine Art
Autoinfektion gebe, die ihren Ausgangspunkt in Keimen finde, die schon
vorher in die Vagina importiert waren und dort lagerten. Die KonseqneDi
dieser Anschauung waren die prophylaktischen Spülungen und Auswaschungen
der Scheide vor und während der Geburt.
Um diese beiden Kardlnalpuukte der Prophylaxe bewegte sich der
Kampf der Meinungen im letzten Dezennium. Auf dem Gebiete der Hände-
desinfektion haben die kritischen und experimentellen Untersuchungen Afil-
FELhs'"') und SfHAFFEFts *") allerdings der Tatsache Anerkennung verschafft,
dal5 dorn Alkohol die Hauptwirkung bei der Desinfektion zuzuschreiben ist.,
und wenn man auch nicht so weit geht wie Ahlkkld ''*'''). der vom 96%igen
Alkohol behauptet, daß er alle im gewohntichen Krankenhausbetriebe dem
Arzte ankommenden pathogenen ßakterienarten töte und daß durch die
Heißwasser-Alkoholmethode eine »tiefgehende Sterilisierung der Hand« er-
reichbar sei, so kann man doch SrHÄFFEu'^) zugestehen, daß dieses Ver-
fahren zu der für die Praxis völlig genügenden »Keimarmut« der Hände
führe, zumal wenn man nach der mindestens 3 Minuten dauernden Alkohol-
waschung die Hände zur AbspÜlung der aus dem infizierten Alkohol etwa
verschleppten Keime in einer zuverlässig sterilen Flüssigkeit, am besten in
^Voü'B'*''* Sublimatlüsung bade — im großen und ganzen also eine etwas
modifizierte FCKBRiMiHKsche Desinfektionsmethode. Aus dem Widerstreit der
Anschauungen dieser Autoren und derjenigen Schu{JMACHBR*'^)-Ff.hu.n6S, die
nur in etwa 20^',, der Fälle die Hände keimfrei machen konnten, sowie
FOths und MoH.Ai'i'Ts^^) u. a. mit gleichfalls negativen Sterilisierungs-
erfolgen, hat sich als ein der Wahl einer Desinfektionsmethode mindestens
gleichwertiger Faktor für die Erzielung der subjektiven Anti- and Asepsis
ergeben: Das Gesetz der Abstinenz oder NonInfektion (Mbkge).
Da eine Schnelldesinfektion der Hände recht schwer, resp. unmöglich
Ist, so genügen prophylaktische antiseptische Maßnahmen bei Möglichkeit
oder Wahrscheinlichkeit einer Infektion für sich allein nicht; sie müssen
noch durch eine mindestens 24stündige Karenzzeit verstärkt werden. Bei
der UndurchfÜhrbarkeit einer solchen Suspension für die allgemeine Praxis
muß sie durch die Nonlnfektion und den Gebrauch der FRiEDRicHschen
Gummihandschuhe ersetzt werden. Sie sind von unschätzbarem Wert in
all den Fällen, wo eine Verunreinigung der Hilnde mit infektiösem Material
entweder tatsächlich stattgefunden hat oder wo auch nur der Verdacht auf
Puerperalfieber.
615
I
die Möglichkeit einer solchen besteht. Ihr Gebrauch ist geboten, sobald es
eich um BerQhrung mit eitrigem Sekret, WochenMoÜ, AusnOsaen bei stinken-
dem Abort, Karzinom oder verjauchendem Myom etc. handelt, ebenso bei
jeder Mastdarmuntersuchung, wobei der Gebrauch von einlachen Condom-
Fingerlingen zum Schutz der Hand nicht genügt Dadurch ist es ermöglicht,
jederzeit für geburtshilfliche Untersuchungen und Eingriffe relativ reine
Hände zu bewahren, und die trotzdem — schon wegen der Möglichkeit des
Zerrelßens der Gummihandschuhe während der Manipulationen — vorher
noch vorzunehmende Desinfektion der Hand nach FruBRiNOSR gibt um so
bessere KesuUate (Feielinc;, I. c). Wenn der Arzt in der Privatpraxis stets
2 — 3 Paar solcher Gummihandschuhe mit sich führt und sich derselben bei
allen schmutzigen, ja nur verdüchtigen Berührungen bedient, so halt er seine
Hände im Sinne der Noninfektion und übt eine vernünftige Prophylaxe im
eigenen und der Kranken Interesse aus.
Muß der Arzt sich durch intensive und langdauernde Berührung mit
infektiösen Stoffen dennoch einmal für infiziert erachten, so kann er aus-
nahmsweise kleinere Eingriffe auch in den leicht und zuverlässig sterilisier-
baren Handschuhen ausführen. Für größere geburtshilfliche Operationen, vor
allem für die PlaznntarlÖsung, die ein sehr feines Tastgefübl erfordert, eignen
eich dieselben allerdings nicht. Hier empfiehlt sich nach sorgfältiger HeiU-
wasaer-Alkohol-Sublimatdesinfektion der Hand, diese letztere mit einer Schicht
des desinfizierenden Mittels bedeckt, also von der Sublimatlosung triefend«
in den Genitalkanal einzuführen, um damit die etwa noch vorhandenen oder
beim Passieren der V^ulva frisch eingeschleppten Keime einzuhüllen und in
ihrer Virulenz abzuschwächen.
Die Desinfektion der Gummihandschuhe geschieht am sichersten
durch Auskochen. Da sie aber dadurch rasch an Haltbarkeit und Elastizität
verlieren, zuweilen auch keine Zeit oder Gelegenheit dazu ist, so erhöht
die Möglichkeit, sie infolge ihrer glatten, (altenlosen Oberfläche durch ein-
fache mechanische Reinigung mit Heibwasser und Seife vollkommen keimfrei
zu machen, ihren Wert für die Praxis ganz bedeutend. Nach den Versuchen
von Wandel und Hühxr*") ist die Steriliaierung der Gummihandschuhe an
der Hand durch Waschen mit Seife und Wasser, auch ohne Anwendung der
Bürste, in 2'/a Minuten möglich; nach Hammrrfahr'^) ist es allerdings er-
forderlich, die Handschuhe an den in üblicher Weise desinfizierten Händen
10 Minuten lang in flieBendem Heißwasser abzuseilen und dann noch je
3 Minuten lang in Alkohol und Sublimat zu bürsten. Auch KnoMMF: and
Gawroxsky **^) fanden bei ihren nachprüfenden Versuchen, daß eine sterile
Handachuhobernäche durch einfache Heißwasser-Seifenwaschung von 4 Mi-
nuten zwar nicht erreicht werden kann. daU aber durch eine anschließende
Sublimatwaschung von !2 Minuten absolute Keimfreiheit zu erzielen ist, und
dies dürfte wohl als das Normalverfahren anzusehen sein.
Nach dem Gebraucli sind die Handschuhe zuerst an der Hand and
dann nach Abziehen durch UmstÜtpen auch an der Innenfläche mit Seife
und Bürste zu säubern und durch Füllen mit Flüssigkeit auf etwa entstan-
dene Zerreißung zu prüfen, dann zu trocknen und mit Talkum eingepudert,
trocken — jeder einzelne in sterile Kompressen eingehUUt — aufzubewahren.
Das Anziehen der Handschuhe kann, wenn dieselben mit Talkum eingepudert
sind, ebenfalls trocken geschehen ; leichter ist es^ wenn der Handschuh vor-
her mit gekochtem Wasser oder LysollÖsung gefüllt wird. Man muß ihn
dann beim Anziehen so lange nach unten halten^ bis die von oben hinein-
gleitenden Finger die Fingerlinge ausfflUen.
Die Einfachheit und Sicherheit, mit der durch den Gebrauch der Gummi-
handschuhe Keimfreiheit der Hände erreicht werden kann, veranlaßt DOkke.kr**)
fiogar siu der Forderung ihrer obligatorischen Einführung für die Hebammen,
51G
Puerperalfieber.
deren Hfinde er für die HauptinfektionBtrfifcer am Kreiß- und Wochenbette
erklärt. Die Herstellung starker, baltbarür und dabei verhältnismäßig billiger
Gunmiibandachuhe (Stiefenhofer, MQnchen) ermöglicht die praktische
Durchführung^ dieser prophylaktisch sicher sehr wirksamen, aber in abseh-
barer Zeit kaum zu erreichenden Maßregel.
Im Gegensatze zu der allgemeinen Übereinstimmung betreffs der pro-
phylaktischen Grundsätze der Noninfektlon und der Reimfreiheit der Hfinde
durch Gummihand-^chuhe gehen in der Frage der objektiven Desinfek-
tion, der Reinigung der Kreißenden imd unter Umständen auch der Schwan-
geren und Wöchnerinnen die Meinungen weit auseinander. Vor allem sind
es die präventiven Scheidenspülungen, bezüglich deren im Zusammenhange
mit der Frage nach der Außen- und Autoinfektion und nach der eventuellen
Virulenz oder Unschädlichkeit der Scheidenkeime die Parteien sich noch
immer schroff gegenüberstehen; auf der einen Seite Hopmeif.r als Haupt-
vertreter der vor jeder Entbindung vorzunehmenden prophylaktischen
Scheidendesinlektion, auf der anderen KrÖm« und Mknge als Verfechter
der Asepsis bzw. Autosterillsatron des Genitaltraktes und als Geg^ner der
Beeinträchtigung seiner natürtichtn Schutzmittel durch antiseptische, intra-
vaginule Maßnahmen, die sie für zwecklos, \a. für schädlich erklären. In
einem Punkte allerdings scheint eine Einigung angebahnt zu sein, in der
Anerkennung der Notwendigkeit prophylaktischer Behandlung der Scheide
schon in der Schwangerschaft, aber nur auf Indikationen hin. bei deutlich
pathologischem Scheidesekret, also etwa in einem Fünftel der Fälle (KrOuer,
1. c, Pfaxnenstiel"), vor allem bei Gonorrhoe (Taussig*'^), Aioebkrt, I. c),
dann aber auch unter der Geburl hei infizierten oder auch nur verdächtigen
Fällen ; ob auch ausnahmslos vor Operationen, ist noch nicht unbestritten.
Vor intrauterinen Eindrillen, besonders vor der Plazentarlösung. ist die Not-
wendigkeit einer präliminaren Scheidendesinfektion ziemlich allgemein an-
erkannt, ebenso wie diejenige einer nachfolgenden reichlichen Uterusaas-
spQlung, die letztere allerdings nur mit sterilem Wasser oder oC^/oigem
Alkohol. Einig sind ferner alle darin, daß. um eine Einschleppung von auüen
möglichst zu vermeiden, bei sämtlichen Gebärenden die Schamhaare rasiert
und eine gründliche Desinfektion der Vulva vorzunehmen ist. Bei der Un-
möglichkeit, hier Keimfreiheit zu erzielen oder im V^crlauf der Entbindung
zu erhalten, scheint das Verfahren DArfleks (1. c.) rationell, nach Desinfek-
tion der Vulva ein aus|L:ekochtus, steriles Scblttzluch über diese und )r ein
steriles Tuch über die Innenfläche der Oberschenkel vor Vornahme einer
inneren Untersuchung zu binden. Die Spülungen sollen nur von aseptisch
geschulten Personen, also möglichst vom Arzte selbst gemacht werden, unter
der Geburt und im Wochenbett möglichst ohne manuelle Berührung der
Vulvaregion und unter niedri^jem Druck. Das Einführen von Spekula und
das Austupfen der Vagina in der Gravidität ist nur bei Fällen von Soor-
infektion nötig. Als SpÜlflüssigkeit für Vulva und Vagina ist nach Hofmkikus
Erfahrungen bei 7Ü00 — 8000 Geburten im Laufe von 15 Jahren Sublimat-
lösung (10:2000) in der Schwangerschaft und unter der Geburt das beste
und auch unschädliche Propbylaktikum. Auch Krömer konnte bei zahlreichen
prophylaktischen Scheidenspülungen Schwangerer eine Vergiftung durch
Sublimat niemals beobachten und ebensowenig ein Brüchigwerden der
Schleimhaut oder eine Steigerung der Zahl der Dammrisse nach EinfOhrang
der liulierlichen Sublimatdesinfektion bei der Geburt.
Bei der Untersuchung nach der Natur und Herkunft der Scheiden-
keime und der ZweckmIiJiigkeit der auf ihre Vernichtung abzielenden ob-
jektiven Desinfektion richtete sich die Aufmerksamkeit auch auf das bisher
wohl allgemein Qbtiche Vollbad der Kreiüenden als eine mögliche Quelle
des Keimimportes in die Scheide. Sticuer (1. c.) und Strogakokf'*^^ nehmen
Pucrpi^ralficber.
517
auf Grund experimenteller Untersuchan^en an , daß das Badewasser and
mit ihm pathogene Keime in die Scheide von Schwangeren oindrint^en
können and daher das Bad bei der Vorbereitang: der Kreißenden bedenklich
oder unzulässii? sei, sobald es einer als »aseptisch- intendierten inneren
Maßnahme, wie der inneren Untersuchung: oder einer g;ebartshiinichen Ope-
ration vorausgeschickt werde.
■ Aus diesem Grunde sah sich Stroganopf veranlaßt^ die Wannenbäder
durch Abwaschung'en zu ersetzen und glaubt dadurch die Morbidität seiner
Wöchnerinnen von 15''/,, auf ""'o vermindert zu haben ^ während Ki'stnkk
in Konsequenz der SriCHERschen Versuche empfiehlt, dem Wasser entweder
ein wirksames Antiseptikum zuzusetzen oder während des Bades die Vagina
durch Einführen eJnos antiseptisch imprägnierten Tampons gegen die In-
v&sion von Keimen zu schützen. Indessen stehen die Krgebnisse der che-
mischen Untersuchungen Stroganoffs zu denen von Winteknitz *') ebenso
in Widerspruch, wie die bakteriologischen Stichehs mit Prodigiosuskulturen
H zu den Resultaten von Hertzka *^), so daß das Kindringen von Badewasser
^ in die Scheide nicht sicher nachweisbar ist und daa Baden als ein Teil der
prophylaktischen Vorueroitung für die Geburt nicht aufgegeben zu werden
braucht, wenn dabei bestimmte hygienische Maßregeln beobachtet werden,
die wir bei der Leitung der Geburt an die Desinfektion der Hände. Instru-
mente und alles dessen, was an die Kreißende herangebracht wird, ver-
langen. Eine Reinigung der Badewanne vor und nach jedem Bade — am
besten durch Ausreiben mit Spiritus — ist von diesem Gesichtspunkte aus
ebenso selbstverständlich wie die nur einmalige Benutzung eines und des-
eelhen Bades. Wenn allerdings, wie dies Biitka*'*) aus Chrohaks Klinik
berichtet« an einem Tage 8 — 10 Gebärende in einer einzigen Budewanne
baden müssen, dann ist STKriOANOFFS Hinweis auf die Gefahren des Voll-
bades und die von ihm und Chhobak eingeführte Neuerung des Ersatzes
desselben durch Waschungen mit Schmierseife und Hotzwotlebäuschchen
anter fiiebendem W^asser auf einem flachen Blechbecken vollberechtigt und
in ihren besseren Resultaten für die Morbidität der Wöchnerinnen ver-
ständlich.
Aber auch ein unter allen Vorsichtsmaßregeln gegebenes Bad genügt
nach allgemeiner Annahme fHr sich allein für die aseptische Vorbereitung
nicht. Da durch die Kreißende selbst das vorher keimfreie Badewasser mit
Bakterien verunreinigt wird und da diese Keime mit den äuüeren (Jeni-
talien in Berührung kommen, so empfiehlt sich deren besondere Desinfektion
nach dem Bade (Wentehnitz). Bei Fraaen mit schlecht geheilten Damm-
rissen und klaffeDdem Scheideneingange, bei denen Schumacher ^'^) das Auf-
steigen von Prodigiosuskeimen in die oberen Scheidenpartien nachweisen
konnte, sind noch desinfizierende Scheidenspülungen hinzuzufügen.
Eine weitere VorbeugungsmaÜregel gegen die Morbidität und Mortali-
tät im Wochenbette folgerte jüngst ^wkifel aus den günstigen Erfolgen
seiner Beobachtungen an dem Material der Leipziger Klinik, wonach
das Fieber von der Zersetzung der im Scheid engrunde liegen
gebliebenen^ etwa walnuUgroÜen Blutklumpen (Hetentions-
koaguta) entstehe. Die diese Gerinnsel zersetzenden Keime — meist
Fäulnis-, vielfach aber auch Eitererreger, insbesondere Streptokokken —
gelangen ohne Kont-aktintektion durch eine Spontanimmigration zu den Blut-
koagula, oder sie waren schon vorher in der Scheide vorhanden. Lebens-
gefährliche, selbst tödticho Erkrankungen können ihren Ausgangspunkt von
diesen Blutklümpchen nehmen; folglich sei ihre Wegräuraung gleich nach
der Niederkunft ein Teil der Verhütung des Wochenbettfiebers. Das Weg-
tapfen der Gerinnsel soll nach genauester Desinfektion der äußeren Geni-
talien in Seitenlage oder im Querbett unter Anwendung von besonders
518
P ue r pe ra 1 fiebe r.
langen, schmalen Platten oder großen TR^LATschen Spiegeln mit trockenen
Tupfern, zunächst allerdings nur von Ärzten, aasgefflhrt werden.
Lebhafte Proteste rief diese Übertragung des chirurgischen Grund-
satzes der blattrockonen Asepsis auf die Geburtshilfe nnd vor allem die
Empfehlung des Verfahrens ftlr die geburtshilitiche Privatpraxia hervor.
BoKBLMANX ^*) betonte mit Recht, daß nach der Entfernung des ersten ge-
bildeten Koaguluma sich immer neue bilden können und dab in dem Frei-
legen der Vagina und Portio und dem Auseinanderzerren der frisch ver-
klebenden Wunden eine Stunde post partum — abgesehen von der In-
humanität gegen die nach langen Schmerzen endlich zur Ruhe gekommene
Wöchnerin — eine eminente Infektionsgefahr liege. Entbundene sollen fOr
den Praktiker nach wie vor ein Noli me tangere sein und die durch den
Gehurtsakt herbeigeführten Wunden nach den alten und bewährten chirur-
gischen Maximen sich selbst überlassen bleiben. In gleichem Sinne sprachen
sich V. RosTHDKN 2*' ^) und Pfannenstikl **) aus. Die wenigen, nach den
ZwEiFKLschen Vorschriften von dem Erstgenannten ausgeführten V^ersuche
ergaben in bezug auf Fieberfreiheit kein gQnstiges Resultat. Nur in der
Hälfte der Fälle kam es überhaupt zu einer Bildung solcher Koagula. und
endlich sei auf die Analogie mit der Zurückhaltung von Eihautresten hin-
zuweisen, von deren jedesmaliger Entfernung man bisher, trotzdem sie an-
erkanntermaßen eine Fieberquelle bildeten, mit Vorteil abgesehen habe. Ob
das von ZwKiFr.r. (1. c. pag. r>90) eventuell statt des trockenen AuBtnpfens
in Aussicht genommene Ausspülen der Scheide nach der Geburt mit ab-
gekochtem Wasser oder steriler physiologischer Kochsalzlösung zur Ent-
fernung der Gerinnsel und als Schutz gegen die fieberhaften Störungen des
Wochenbettes ausreicht, bleibt abzuwarten. Jedenfalis muß man seinen
ersten Vorschlag als abgelehnt bezeichnen.
In die Kategorie der prophylaktischen MaßregeUi nach der Geburt
gehört auch der Vorschlag Bumms »«'). Streptokokkensernminjektionen auch
prophylaktisch in Fällen schwerer geburtshilflicher Eingriffe anzuwenden.
Mitteilungen Über praktische Erprobung dieses Vorschlages liegen bisher
nicht vor; indessen erscheint derselbe angesichts der neuerdings mit dem
verbesserten ARONSONscfaen und PALTAUFschen Serum bei schweren Puer-
peralfieberfällen erzielten günstigen Resultate (s. unten Therapie) beherzigeoB-
wert für Fälle von operativer Beendigung tangdaaernder oder bereits in-
fizierter, fieberhafter Geburten.
In prophylaktischer Hinsicht beachtenswert sind die Beobachtungen
von Albert ß'), der für diejenigen Puerperalfieberfälle. für die eine Infektion
von außen auszuschalten ist, eine latente Mikrobeninfektion des Endo-
metriums vor Begfnn der Geburt, vielleicht schon vor Eintritt der Schwan-
gerschaft annimmt. Da die Vagina stets keimhaltig ist und sehr oft neben
den Dnniviu.KiN'schen , als normal zu betrachtenden Scheidenbazillen andere
Keime enthält, so können diese letzteren zu jeder Zeit, besonders aber vom
Beginn der Menstruation an Zervix- und Uterushöhle infizieren. Diese In-
fektion kann nach oft nur kurzem und leicht verlaufendem akuten Stadium
latent werden and hindert alsdann die Konzeption nicht. Eine rationelle
Prophylaxe des Puerperalfiebers muß nach Ai.bkut also viel früher einsetzen,
als bisher öblich: V^ermeidung der Infektion durch Straßen- und Zimmer-
staub (Tragen geschlossener Beinkleider), sorgfältige Beachtung der geringsten
Symptome, welche auf ein© Infektion der Scheide oder des Uterus hinweisen
(Fluor , Menstruationsstörungen) und energische Behandlung derselben , be-
sonders auch während der Gravidität und im Wochenbett. Ahnliche An-
schauungen vertrat früher schon Gille*^*) für die unter der Bezeichnung
>Autoinfektion< im weitesten Sinne des Wortes zusammengefaßten
Puerperalfieberfälle. Er nahm an, daß die rein entzündlichen Erkrankungen
P ue rpe ral fie be r.
619
^Vdes Uterns ddü seiner nächsten Umgebung (Vulvitis, Bartholinitis, VaglnitiSf
Metritis cervicalis, Salpingoophoritis, Pelveoperitonitis) im chronischen Stadiam
. Keime mit latenter Virulenz beherbergen, die während der Schwangerschaft
ala Folge der serösen Durchtränkung und Hyperämie der Qenitalorgane und
der dadurch bewirkten Lockerung des die Keime abgrenzenden Qranu-
lationsscbutKwalles hochvirolent werden und die Geburtswunden invadieren
^ können. Die Prophylaxe der Folgezastände im Wochenbett besteht in der
I Behandlung dieser Affektionen vor und während der Schwangerschaft;
während der letzteren sind natürlich nur die unteren Abschnitte des
Gonitalkanales bis einschließlich der Zervix der Lokaltherapie zugänglich.
Unter der Geburt ist genaue Desinfektion der Vulva und Vagina, nach
derselben eine intrauterine SpOlung geboten (Fkommrls Jahresber. , 1900,
pag. 869/870).
■ Wenn die im vorstehenden besprochenen prophylaktischen Maßnahmen
zur Verhütung puerperaler Infektionen sich in erster Reihe auf die unter-
suchende Hand, auf den Körper der Gebärenden selbst und auf dessen
unmittelbarste Umgebung (Kleid, Bett, Wäsche etc.) bezogen, ho sind doch
noch eine Reihe von Vorbeugungsmaßregeln von Wichtigkeit, deren Durch-
führung zur Besserung der Morbidität»- und Mortalitätszahien in den letzten
Jahren nicht unwesentlich beigetragen hat. Als solche sind besonders her-
H vorzuheben; Beschränkung der inneren Untersuchung auf das zulässige
™ Minimum (Lkoi*oldJ» Verhütung eines frühzeitigen ßlasensprunges, strenge
Indikationsstellung für operative Eingriffe und schonende Ausführung der-
selben, Vermeidung von Dammrissen durch geeigneten Dammschutz (ß. S.
Schultzk), die sofortige exakte Naht jeder Geburtsverletzung, abwartendes
Verhalten in der Nachgeburtsperiode (Ahi-kkij)), exspektatives Verfahren
bei Kihautrctention (nur Seeale), rationelle Wochenbettshygione zur Ver-
hütung der »Spätinfektion« , die entweder auf Verunreinigung neu ent-
standener kleiner Verletzungen durch das Scheidensekret oder auf Gonor-
rhöe oder auf nachträglich von außen her eingebrachte pathogene Keime
zurückzuführen ist, endlich auch durch die gesetzliche Feststellung der
Anzeigepflicbt für alle Falte von Puerperalfieber (Hopmeier >>'') und durch
die Ermöglichung prophylaktisch-hygienischer Fürsorge für die Entbindung
nnd das Wochenbett von Frauen der ärmeren Bevölkerungsklasee durch
die Einrichtung von Wöchnerinnen- Asylen (BriENNKKK, Benckiskh) und
die für das Privathaus wichtige Schulung von Wochenpflegerinnen in
solchen (QfEISNKK ^6).
Die neueren Bestrebungen in der Behandlung des Puerperal-
fiebers mußten — entsprechend seiner Auffassung als Wundinfektions-
krankheit auf dem Boden des durch die Schwangerschaftsveränderungen
In besonders günstige Aufnahme- und V'^erbreitungsbedingungen gesetzten
und dnrch die Geburtsvorgänge vielfach verwundeten Genitalkanales —
darauf gerichtet sein, den Kampf gegen dasselbe je nach dem Infektions-
modus, d. h. nach der Art und dem Ort der Keiminvasion und nach dem
Aultreten des Prozesses als nur lokale oder mehr allgemeine Affektion durch
lokale oder allgemeine Maßnahmen oder durch beide geraeinsam zu führen.
Dabei war aber stets darauf Rücksicht zu nehmen, die natürlichen Wehr-
kräfte des Organismus gegen die eingedrungenen pathogenen Keime und
ihre Stoffwechselprodukte zu schonen bzw. zu erwecken und zu stärken,
also vor allem den am Ort des Eindringens der Keime rasch sich bildenden
Leukozyten-Schutzwall und die bakteriziden Kräfte des Blutes.
Ana der Unmöglichkeit^ auf Grund der ersten Erscheinungen fieber-
hafter St5rungen im Wochenbett durch die bisher übliche klinische Unter-
suchung (Puls und Temperaturbeobachtung, Inspektion des Dammes, der
Vulva und des Entroitus vaginae, Tuschieren bzw. kombinierte Untersuchung)
520
Puerperalfieber.
allein den Orand des Fiebers und damit die wahre Natur der Erkrankung
festzustellen, ergab sich mit Notwendigkeit die Forderung, eine genaue und
möglichst frühzeitige Inspektion des ganzen Qenitaltraktus und eine bak-
teriologische Prüfung der puerperalen Sekrete vorzunehmen. Gegenüber dem
Widerspruch Ahlfkldsi«^), der für absolute Ruhestellung der Qenüalorgane
Fiebernder im Wochenbette ist und deshalb nicht nur die lokale Behandlung,
sondern auch die Spekularuntersachung und die Entnahme von Lochien
verwirft, hat heutzutage die große Mehrtieit der Kliniker (v. Rosthorw**').
BUMM '*'), MaKTIN, LeNHARTZ (l. C), WiNTERN'tTZ *^''). WaDSWORTH ^'), WlOGIN »*)
u. a.) im Vertrauen auf die gegenwärtig geübte strenge Asepsis durch Be-
nutzung keimfrei gemachter Instrumente und Gummihandschuhe die Scheu,
den wunden Qenitalschlauch zu berühren und eine fiebernde Wöchnerin
genau zu untersuchen, Oberwunden und begnügt sich nicht mehr mit der
Besichtigung der Vulva und des Dammes und etwaiger dort sitzender in-
fizierter Wunden. Sie entfalten violmehr nach raöglichstör Reinigung nnd
Desinfektion dieser Teile mit einem sterilen Spiegel die Scbeidenwand und
besichtigen diese sowohl wie die Portio. Sind Damm, Scheide und Scheiden-
teil intakt, dann kann angenommen werden, daß der Ausgangspunkt in der
wunden Gebürmutterhöhle allein zu suchen ist Zur Orientierung ijber die
Qualität der Infektionserreger, eventuell das bakteriologische Verhalten der
Uterualochlen wird unter den üblichen Vorsichtsmaßregeln mittelst eines
sterilen Di'mKRLKiNscben Rohrchens aus der Gebärmutterhohle etwas Lochia!-
Sekret entnommen. Besichtigung des Deckglasprftparates und des späteren
Kulturergebnisses sichern so einigermaßen die Krkenntnis, welche ßakterien-
art als Krreger bezeichnet werden kann. Wenigstens lälSt sich feststellen,
ob eine Misohinfektion vorliegt, ob Streptokokken präralieren bzw. nur
Gonokokken vorkommen etc. (v. Rosthorn^ I. c).
Die große diagnostische und prognostische Bedeutung der mikro-
skopischen Untersuchung des Lochialsekretes ist neuerdings wieder von
Leo''^) hervorgehoben worden» zugleich aber die Wichtigkeit der Beachtung
der Phagozytose (Einschluß von Bakterien in Phagozyten).
Streptokokken freiheit der Scheiden- und somit der Uteruslochien
schließt mit Sicherheit schwerere Affektionen des puerperalen Genitaltraktus
aus und läßt somit die Prognose bedeutend günstiger erscheinen. Positiver
Streptokokkenbefund, selbst zahlreicher und längster Ketten, wie er sich
im Uterinsekret allerdings nur bei Fieber findet, gestattet dennoch für sich
allein nicht einen Schluß auf die Schwere des Falles.
Hingegen verschlechtert das Ausbleiben der Phagozytose die
Prognose, welche wesentlich ungünstiger wird , wenn die Sekretentnahme,
die in den ersten Tagen post partum erfolgte, bereits einen bedenklichen
mikroskopischen Befund ergab. Es wird sich vielleicht aus dem Verhalten
der Leukozytose und aus der Zahl und Beschaffenheit der roten sowie ins-
besondere der polynukleiiren und eosinophilen weißen 131utk5rperchen und
aus dem gegenseitigen Verhältnis derselben eine Bestimmung der Wider-
standsfähigkeit des Organismus (Cahton"°). Mc»rciiOTTE''M und damit eine
höhere Sicherheit des Entacheides für die Prognose und Therapie herleiten
lassen , als ihn bisher die bakteriologische Untersuchung der Lochien und
des Blutes gestatteten.
Viel weiter gehend in ihrem diagnostischen Bestreben und zugleich
zur Therapie Überleitend ist die Forderung von QLrEigNKR^"") und Skmox**"),
in jedem ernsteren Falle von Puerperalfieber bei der Nf5glichkeit von Zurück-
bleiben von Plazontarrestcn im Uterus und bei Durchgangigkeit der ZerA'ix auch
das Uteruscavum auszutasten und zugleich die Reste manuell zu entfernen.
Diese letztere, offenbar viel zu weit gehende diagnostische und thera-
peutische Maßnahme begegnete jedoch lebhaftem Widerspruch, insbesondere
Puerperalfieber.
521
darch Winter, Hammerschlag, v. Magnus, Robi.nski nnd KOstlix*i*)« die jede
unnotigre Berührung' des puerperalen Uterus, auch eines infizierten, vermei-
den und die Suche nuch einem Plazentarstflck nur vornehmen wollen, wenn
die Annahme einer Retention eine bej^rOndete ist. d. i. bei nachweisbar un-
vollständiger Plazenta oder bei Auftreten starker akuter Blutungen oder bei
starker, wnrhenlang nach der Geburt auftretender und längere Zeit bestehen-
der Jauchung auK dem Uterus. Ein schweres Puerperalfieber, welches seinen
Ausgan:^spunkt von einem zurückgehaltenen PJazentarätück nahm, bat
Winter (l. c.) nie beobachtet; jedenfalls dürfte es äuUerst selten sein und
also nur ganz ausnahmsweise ein Abweichen von dem Grundsatze möglichster
Vermeidung intrauteriner Untersuchungen und Eingriffe tm Wochenbett in-
dizieren.
Hier, wie so oft in der Gynäkologie^ sind die diagnostischen Bestre-
bungen selbst entweder gleichzeitig therapPutiHche Maßnahmen oder Hie sind
unmittelbar von ihnen gefolgt. Die Lokalbehandlung der schwereren Formen
der Krkrankung wird fast allgemein mit Uterusspülungen eingeleitet. Es
war die Erkenntnis, dal) die seit langem bei Puerperalfieber üblichen Scheiden-
irrigationen weder eine absolute Reinigung bzw. Sterilisation der Scheide,,
noch eine Vernichtung der von oben, aus der infizierten Uterushöble mit
der lochialen Nährflüssigkeit stetig nachrückenden Keime erzielen konnten,
die in Analogie mit der erprobten antiseptischen Behandlung infizierter
chirurgischer Wunden zu einom direkten Angriff auf die Haupteingangs-
pforte und den Sitz der Infektion, die Uteruahöhlo, führte. Wenn auch die
Mittel fehlten, um die in die tieferen Gewebsschichten eingedrungenen Keime
und ihre giftigen Stoffwechselprodukte zu vernichten, so schien es doch
rationell, durch Beförderung des Abflusses der im Uterus angesammelten
Exkrete diejenigen Stoffe, deren Resorption gefährlich werden kann, wegzu-
schaffen. Die Uteruaspülungen verfolgten ferner den Zweck, die noch in
der Uterushöble und auf der Oberfläche der Schleimhaut befindlichen In-
fektionserreger und ihre Toxine fortzuschaffen bzw. abzutöten oder wenigstens
ahzu8chw5chen, ia sogar durch Resorption bakterizider ZusÄtze zu der SpOI-
flüssigkeit eine noch nicht tiefer gehende Invasion In die Gewebe in ihrem
Fortschreiten aufzuhalten (Hkgar*"'), Fhitsi^h'^''). Die anfänglich mit Enthu-
siasmus aufgenomuienen intrauterinen Spülungen erwiesen sich, wenn auch
in vielen Fällen heilsam, doch in zahlreichen anderen als nicht ungefährlich
{Schüttelfröste mit Temperaturerhöhung und Verschlimmerung des Zustandes
durch Verschleppung von Thromben, KolLapsanfälle, Intoxikationen besonders
durch Spülungen mit Sublimat- oder Karbollösungen. Eindringen von Flüssig-
keit in die Venen und Luftembolien und plötzliche Todesfälle). Zum Teil
war mangelhafte Technik Ursache der üblen ZuIiiUe, zum größeren Teil
aber eine kritiklose routinemäßige und im einzelnen Falle übertriebene An-
wendung der Ausspülungen. Ibre Gegner heben hervor, daß sie in schwereren
Fällen nutzlos und dabei ntclit ungefährlich sind, während in leichteren die
Heilung ohne jede lokale Therapie erfolgt. Schon in das Gewebe einge-
drungene Mikroorganismen vermag der Irrigationsstrahl natürlich nicht zu
treffen {Hammerschlag, I. c). Zudem fand Stolx (l. c), der bei einer großen
Anzahl fiebernder Wöchnerinnen Uterus^pülungen mit 1 — 2V^igen Wasser-
stoffsnperoxydlösungen machte, daß dadur<*h in den Lochien weder die Zahl
der Keime noch die Virulenz der Streptokokken im mindesten beeinfloßt
wurde. Aber auch eine intensivere Einwirkung auf die erkrankte Uterus-
innenfläche, wie sie besonders Hbgar (I. c.) und Cakossa'") durch die Befür-
wortung der permanenten Drainage bezweckte, ergab neben sehr guten,
von Lenhartz (1. c.) und Gmtsch*»*') bestätigten Resultaten, bei ihrer altge-
meinen Anwendung neben gewissen Übelständen und Gefabren der Methode
(Umständlichkeit des Verfahrens, zuweiten Störungen der Herztätigkeit,
522
Puerperalfieber.
Möglichkeit stellenweiser Qangrän durch dea Druck der IntrauterinkanQle,
PouRTALfes*8) vor allem ihr Versagen in Fällen wirklich schwerer Infektion.
Da, wie Hegau selbst zugibt, die Differentialdiaguose gegenüber dem Re-
aorptioDsfieber nicht immer gelingt, so dürfte ein nicht unerheblicher Teil
der durch die permanente Drainage erzielten Heilerfolge auf solche F&lle
zurückzuführen sein, die hiiufig auch spontan heilen und in denen eine all-
gemeine Behandlung (Begünstigung der Ausscheidung des Giftes durch die
Haut, Krgotin, energische RrnÄhrong) meistens genügt.
Trotz aller dieser gegen die dBHinlizierenden Intrauterinspülungen
sprechenden Gründe sind sie, allerdings nur unter großer Einschränkung
der Indikationsgrenze und bei Beobachtung strenger Kautelen, von der
Mehrzahl der Geburtshelfer bis jetzt beibehalten worden, hauptsächlich wohl
in der Idee, daß sie prophylaktisch günstig zu wirken und das Fortschreiten
des Prozesses zu hemmen imstande sind. Bei Eintritt von höherem Fieber,
das nicht sicher extragenitalen Ursprungs ist, oder nach dem ersten Schüttel-
frost (Leopold''^), ferner boi fotiden Lochien und Verdacht aaf Retention
derselben (Lochiometra) und endlich nach Entfernung fauliger Eireste wird
eine ein> böchstens zweimalige Ausspülung des Uterus mit mehreren Litern
Flüssigkeit ziemlich allgemein empfohlen. Asch ist für eine Wiederholung
der Spülung nur bei deutlichem Erfolg der ersten und wenn bei Wieder-
anstieg der Temperatur und des Pulses eine erneute Ansammlung zu ver-
muten ist. Zar Spülung werden steriles Wasser, physiologische (09) Koch-
salzlösung^ Chlorwasser (1 : 3), Wasserstoffsuperoxyd, Lysol, CoUargol (1 : 600,
QucisNBK) und neuerdings besonders Alkohol (zuerst durch Carossa'")
25'» yiger. dann von Ahlpei.d-Ki.rin'"') und LEOfoi.n (I. c.) SOVo»?©'', IQngst
von SrTsiNSKY^^) ÖüVo'Rö'*) u. a. m, verwendet. Vor der Anwendung konzen-
trierter Karbol- und vor allem SublimatlÖsungen wird wegen der hohen In-
toxikationsgefahr eindringlich gewarnt Will man wegen der antiseptischen
und bakteriziden Eigenschaften des Sublimats auf seinen Gebrauch nicht
verzichten, so muß man, wie P. MOller^^), sofort eine Spülung mit Koch-
salzlösung nachfolgen lassen oder, wie Sitsinskv (1. c), nach einer Moment-
auswaschung (1 — 2 Minuten) der Gebärmutterböhle mit Sublimat (1 : 1000)
unmittelbar darauf eine solche mit heißem (50*^ C), sterilisiertem Wasser
oder Borsäurelösung vornehmen. Eine der Hauptbedingungen des Erfolges
dieser wie ieder anderen Lokalthorapfe des Pnerperalficbers ist möglichst
frühzeitige Anwendung der Spülungen. Kontraindiziert sind sie bei
akuten Entzündungen des Parametrium und bei zirkumskripter oder diffuser
Peritonitis, ebenso bei Gonorrhöe im Wochenbette wegen der Verachleppungs-
gefahr der Gonokokken in die Tuben. Taussig (1. c.) allerdings macht auch
hierbei 1 — 2 Intrauterin* und fleißige Scheidenspülungen, da seines Eracbtens
eine vorsichtige Uterusspulung weniger zur Weiten'erbroitung der Gono-
kokken auf die Tuben beiträgt, als die so oft beobachtete Stauung der
Lochien.
Eine etwas komplizierte^ aber anscheinend wirksame und auch im
Privathause durchführbare Methode der Behandlung septischer Puerperal-
erkrankungen in der Gebärmutterhöhle wird aus v. Otts Klinik in St. Peters-
burg durch SiTsiNSKY'^) berichtet. Sie besteht in einer sehr kurzdauernden
(l — 2 Minuten) Auswaschung der Gebärmutterhöhle mit Sublimat l : 1000,
einer zur Verhütung toxischer Wirkung des Sublimats unmittelbar darauf-
folgenden heißen {bO° C) Spülung mit sterilem Wasser oder Borsäurelösung,
darauf Austrocknen der Gebärmutterhohle mit steriler Gaze und endlich^
um in die Tiefe zu wirken, Ausspülung mit ^O^'/Jgem Alkohol. Nach noch-
maliger Austrocknung Drainage der Gebärmutterhöhle durch einen Streifen
steriler oder )odoformierter Gaze. Die Behandlung erfolgt bei durch Rinnen-
spekula entfalteter Scheide^ aber ohne ein Herabziehen des in situ bleiben*
Puerperalfieber.
623
^P den Uterus, ist also zu jeder Zeit der Erkrankung: im Wochenbett möglich.
' Wönschenswert für einen raschen und durch^rreifenden Erfolg- ist natOrlich
ein möglichst frühes Eingreifen bei den ersten Symptomen einer beginnen-
den Infektion. Doch soll mit der Bebandlungsweise nicht nur bis zum Auf-
boren des fieberhaften Zustandes, sondern so lange fortgefahren werden, bis
die Ausscheidungen ein normales Aussehen gewinnen ; denn erst dann kann
^ man die Kranke für genesen halten.
H Die Drainage des puerperalen Uterus wird selten fflr sich allein
ausgeführt, gewöhnlich im Anschluß an eine Ausspülung oder an eine —
bald zu besprechende — Auskratzung oder Ausbürstung desselben. Die
meistens dazu benutzte sterile oder Jodoform-Gaze soll bei Eiatrttt von
Fieber in die Uterushöhle eingeschoben und ein- bis zweimal in -'4 Stunden
gewechselt werden. Einzelne tränken die Gaze noch mit Forraalin- oder
■ 6 — lO^/o^R^r Rarbolsäurelösung IDraghiescu'*), um neben der Drainage
durch den langen, innigen Kontakt mit der Innenfläche des Uterus dieselbe
leicht zu kauterisieren. Gegen die Drainage gelten die gegen die perma-
nent« Irrigation der Uterusböhle geltend gemachten ßadenken in noch er-
höhtem Maße; es kommt die Notwendigkeit dos vielfachen Manipulterens
in dem wunden Genitalkanal und die hierdurch und durch die bei Einführung
der rauhen Gaze gesetzten kleinen Verletzungen gesteigerte Infektionsgefahr
hinzu. Höchstens nach der Curettage wird der Uterus noch mit einem nach
24 Stunden zu entfernenden Jodoformgazestreifen drainiert ; für andere
Zwecke ist das Verfahren als meist erfolglos und dabei nicht ungefährlich
aufgegeben.
Nächst der Uterusspülung und Drainage ist das einfachste und leich-
teste und deshalb bei den Praktikern beliebteste Verfahren die Curettage
(Pixard und Wallich""), die Auskratzung, und Ecouvillonage (Bi'Din'^),
die Ausbürstung der infizierten Uterusböhle^ sowohl post abortum als auch
— leider immer noch — post partum maturuni. und die Curagc, die Aus-
tastung und manuelle Ausräumung zurückgebliebener Plazentareste und
Eihäute.
Gegen die routinemäßige Ansschabung bei Auftreten von Fieber post
partum maturum, wie sie besonders in Frankreich {Pinard, Blidin), Italien
(La Tohuk) und Amerika (Vinkberg, Pryor, Htntkk Rohu) geübt wurde,
erhob sich — gestützt auf die Erfahrongen der großen Kliniken — eine
heilsame Reaktion (Olsiiausbn, BiiMM, v. Hmrfk^ Winter u.a.), die, die Un-
möglichkeit eines Rupierens des septischen Prozesses und die große Ge-
fährlichkeit eines hyperaktiven Vorgebens erkennend, zu einer Einigung,
wenigstens der deutschen Geburtshelfer, betreffs Verwerfung der Curettage
geführt hat.
Zu welchen Konsequenzen man bei der Befolgung der angedeuteten
extrem aktiven Therapie des Puerperalfiebers gelangt, erhellt aus dem Ver-
fahren Vinkbergs'*'), eines ihrer energischesten Verfechter, der bei septischer
Endometritis zunächst intrauterine Spülungen macht, dann bei Nutzlosigkeit
derselben curottiert und^ wenn auch dadurch keine entscheidende Besserung
erzielt wird, sofort laparotomiert^ um — je nach Befund — isolierte Ab-
szesse zu eröffnen und zu drainieren oder entzündete Adnexe zu entfernen
oder endlich den ganzen Uterus, falls derselbe entzündlich verändert, zu
exstirpieren. Andere begnügen sich nicht mit einer einzigen Ausschabung.
Statt bei Fortdauer des Fiebers sich zu sagen, daß auf diesem Wege die
Beseitigung der Hauptgif trjuelle unmöglich sei, weil einmal das ganze Endo-
metrium nicht entfernbar und andrerseits die Keime bereits in die tieferen
Schichten der Uteruswand eingedrungen seien, versuchen sie durch »ener-
gische, wiederholte Auskratzungen« die Uterushöhle gründlich zu reinigen.
So hat La Torrc^') in 4 Fällen vier- bis sechsmal, in einem Falle sogar
524
Puerperalfieber.
15mal (!) den Uteras mit Erfolg^ curettiert. Noch viel eing^reifender ist die
von PiivoR") seit 1895 g:eübte und von Fräser'») und Hünter Robb")
noch weiter ausgestaltete Methode:
Er kratzt bei Eintritt von Fieber den Uterus aus, eröffnet breit du
hintere Scbeidengewölbe und tamponiert den ganzen Douglas und die Ge-
bärmutterhohle (est mit Jodoformgaze. Durch die Zersetzung des Jodoforms
in Methyl und freies Jod und dessen, durch die geschaffenen großen
Wundflächen vermittelte rasche Resorption, die 2 — 3 Stunden post ope-
rattonem im Urin nachweisbar ist, sollen die vorher vorhandenen Strepto-
kokken abgetötet und bereits nach dem 2. — 3. Verbandwechsel stets ver-
schwunden sein. Durch intravenöse und rektale Kochsalzeingießungen soll
außerdem die Ausscheidung der Toxine and des Jods befördert werden.
Dali solche und ähnliche eingreifende Verfahren, wenn sie auch in der
Hand Erfahrener und technisch besonders Geschickter vereinzelte günstige
Erfolge erzielten, doch in der allgemeinen Praxis steh entweder als undarch-
ftlhrbar erwiesen oder von den übelsten Folgen begleitet sein mußten, liegt
auf der Hand. Auch in Frankreich (Aiv.ard, Acdebert, 1. c.) und in Amerika
(Bf>j.nT9\), Grandinö^), welch letzterer dort 1886 zuerst die Curette empfohlen.
Wethkhjm.*'*) und Wilijamh^^) wird jetzt energisch gegen Ausschabungen
des septischen puerperalen Uteras Einspruch erliobon und Williams be-
hauptet nicht mit Unrecht, daß die Curette mehr Frauen getötet als ge-
rettet hat.
Jedem Praktiker sind solche Fälle von Verschlimmerung durch Hin-
zutreten von Peritonitis, Thrombophlebitis. Pyämie und von tödlichem Aus-
gange septischer puerperaler Endomelritiden nach Auskratzung aus der
Erfahrung früherer Jahre in Erinnerung geblieben. Ganz abgesehen von der
Perforatfonsgerahr durch das Instrument wird durch den lokalen Eingriff
der Uterus in seinem Selbstschutz ^ der hei den immer zum Vergleich
herangezogenen »chirurgischen Höhlen wunden« in analoger Weise nicht
vorhanden ist — gestört, es wird der physiologische demarkierende Schutz-
wall aus jungen, reichlich mit Leukozyten durchsetzten Bindegewebszellen
durchbrochen und hierdurch wie durch Schaffung vielfacher anderweitiger
kleinen Wunden und durch Wiedereröffnung von Gefäßlumina dem erneuten
Eindringen septischer Keime Vorschub geleistet. Bei der Unmöglichkeit, die
puerperale, noch dazu erkrankte Scheide keimfrei zu machen, werden weder
der Auskratzung vorausgeschickte Spülungen, noch rler Gebrauch steriler
Gummihandschuhe den Import solcher Keime in die Uterashöhle and ihr
Eindringen in die neugeschaffenen Wunden hindern können.
Dieselben Erwägungen sprechen ebenso gegen den Gebrauch der
a priori weniger verletzender scheinenden stumpfen wie der scharfen Curette.
Als ganz besondere Kontraindikation gegen jede Art der Auskratzung wird
neben der Streptokokkenendometritis auch die puerperale gonorrhoische von
verschiedenen Seiten (Taüssig, Al'debhrt, I. c.) hervorgehoben.
Es bleibt dem Gebrauch der Curette höchstens noch das kleine Ge-
biet der mit anhaltender, starker Jauchung, eventuell auch Blutung und
Resorptiüusfiober verbundenen Ffille von Retention und Zersetzung- von
Plazenta- und Eiresten. die durch das schonendere Verfahren der manoellen
Ausräumung nicht entfernt werden können, vorbehalten.
Angeblich schonender and ebenso wirksam als die Curettage ist das
von Bi*i>iN selb 1892 geübte Veifahren der Ecouvillonage (Ausbürstung
des puerperalen Uterus): In jedem Falle von Fieber im Wochenbett wird
die Innenfläche der Gebärmutter beim Vorhandensein von Plazenta- oder
Eihaulresten oder bei weicheren, ablösbaren Höckern an der Plazentarstelle
nach Garage und Hccurage (manueller Ausräumung) und Ausspülunjc mit-
telst seiner Flaschenbürste, einem Instrument, ähnlich einem Lampenzylinder-
P uerperaJ li eber .
525
patzer, an dem aber die zu weichen Borsten durch Federkiele ersetzt sind,
wiederholt energisch reingefegt, nach nochmaliger Spülung mit 2Q^jQ\gem
Kreosotglyzerin ausgepinseit und (bei häufig eintretender) Blutung die
Uterushöhle tamponiert. Hauptbedingung fGr den Erfolg dieser Therapie ist
frQhzeilige Anwendang: Budin empfiehlt sie sogar prophylaktisch bei Ei-
haut retention in suspekten Fallen (übelriechenden Lochien etc.).
Tatsfichlich hat dieses Verfahren nicht geringere Übelstände und Ge-
fahren im Befolge als die Auskratzung, Die Notwendigkeit der Narkose,
des Herunterziebens des entzündeten Uterus und seiner zuweilen schon eitrig
infiltrierten Parametrien und Adnexe durch Mu/Kuxsche Zangen . die häufig
nachfolgenden starken Blutungen und Schüttelfröste, die nicht selten er-
forderliche Wiederhtjlung des Eingriffes ungeachtet schlieÜHcher Frucht-
losigkeit lassen seinen therapeutischen Wert ebenso zweifelhaft erscheinen
wie seinen prophylaktischen.
Denn Fälle von Eihautretention und übelriechende Lochien bei Fieber-
losigkeit gehen unter exspektativem Verfahren und unter Ergotlngaben
darch Spontanausstoßung der Eihäute fast rogolmäi^ig in Heilung übrr; bei
Eintritt von Fieber aber genügt nach manueller Entfernung der Eihäute
eine ein-^ höchstens zweimalige Uterusausspülung mit bO^^/^igesn Alkohol zum
Fieberabfall.
Tritt letzterer ausnahmsweise nicht ein, so ist jede lokale Behandlang
nutzlos, ja scbädlich; es sind dann die patbogenen Keime bereits in tiefere
Schichten eingedrungen, wohin ihnen ebensoweng wie die SpüUIÜssigkeit
oder die Curette die Flaschenbürste nachfolgen kann.
Daß bei infektiöBem Abort alle diese Maßnahmen weniger gefähr-
lich sind als post partum maturum , liegt auf der Hand. Indes auch hier
geht auH vielfachen Erfahrungen hervor, duß die Entfernung jaui^hender Ei-
reste aus der L'teniMhöble viel sicherer unil voltötändiger und dabei scho-
nender mit dem Finger als mit irgendwelchen Instrumenten gelingt. Die
für die Einführung eines Fingers erforderliche Erschließung der Qebär-
mutterhöhle durch Laminaria in Kombination mit den H&OARschen Bougies
erfordert höchstens '24 Stunden Zeit. In zahlreichen Fällen (auch aus des
Verfassers eigener Praxis) konnte der Finger mehr oder weniger umfang-
reiche Eireste ausräumen, deren Entdeckung und Entfernung mittelst
Uterusaonde und stumpfer oder scharfer Curetten unmöglich war. Der um-
gekehrte Fall, daß die Curettage Platz greifen muß. weil die digitale Ent-
fernung sich als unmöglich erweist, ist viel seltener. Die Curettage könnte
hier höchstens bei solchen Personen in Frage kommen, bei denen die für
die manuelle Ausräumung meist notwendige Narkose aus anderen Gründen
nicht anwendbar ist.
Die manuelle Lösung zurückgebliebener Plazenta- und Eihautreste
(Cnrage) post partum maturum ist dagegen meist ohne Narkose möglich
und der Exkochleation, die z B. bei Spätblutungen in der 2. — 3. Woche von
Wormskk'^') noch emplohlen wird, bei weitem vorzuziehen. In diesem Sta-
dium des Wochenbettes, wo sich der Verfettungsprozeß der Uterusmusku-
latur auf seiner Höhe befindet, tritt fOr die Auskratzung eine neue Gefahr
bin/u: die Durchbohrung des Organs durch die Curette.
Die vielfach zu diagnostischen und gleichzeitig therapeutischen Zwecken
geübte, neuerdings von Qleisnek, Semon und Bakth (Disk. zu Queisnkrs
Vortrag; Monatsschr. f. Geburtah. u. Gyn., 1D04 , XIX. pag. 133 — 140) emp-
fohlene Austastung bzw. Ausräumung der Uterushöhle in jedem ernsteren
Fall von Puerperalfieber, wo nur ein Verdacht auf Zurückbleiben von
Plazentarpsten besteht, ist von Wintkr, Rosinski, v. Mag.nts, Köstlin und
Radtkk (ibid. und Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gyn., 1905, XXI, pag. 108 bis
110) als QberllüBsig und schädlich gekennzeichnet worden. In den Fällen«
526
Puerperalfieber.
wo die Nachgeburt za Gebote steht, haben wir in ihrer Besichtigrung ein
abaolut sicbereH Zeichen, ob etwas fehlt oder nicht: aach bei Zurückbleiben
einer Placenta auccenturiata kann man die Lumina ihrer zerrissenen Ge-
fäße am Rande des Hauptkucbens — in den extrem seltenen Fällen von
gleichzeitiger velamentüser Insertion der Nabelschnur — an dieser oder
zwischen den Eihäuten linden. Auch fohlt an der Stelle, wo ein Neben-
mutterkuchen gesessen, eine seiner Grüße entsprechende Chorioninsel an
den entfalteten Eihäuten (v. Klkin, ibid., XIX, pag. 136). Steht die Nach-
geburt nicht zur VerfQgang, so müssen deutliche Retentionssymptome
(Blutungen, starke anhaltende .laurhung, hSheres Resorptionsfieber, man-
gelnde Involution des Uterus mit Offenbleiben dos inneren Muttermundes
längere Zeit post partum) vorhanden sein, um eine Austastunii^ zu recht-
fertigen.
Zur Entscheidung der Frage , ob ein retiniertes Plazentarstflck eine
Ursache för schweres Puerperalfieber sein könne und ob eine Austastung
des Uterus zwecks seiner Entfernung gerechtfertigt sei, hat Winter (ibid..
XXI, pag. 109) {Qngst das Material seiner Klinik (200 Puerperalfieberfälle)
durch Rat)Tke: bearbeiten lassen und kam dabei zu dem Schluß, daß von
einem zurückgehaltenen Plazentarest schwere Allgomeininfektionen nur
hOchst selten, nach seinen persönlichen Beobachtungen niemals ausgehen
können. >Es ist daher nicht begröndetf bei Puerperalfiober den Uterus ab-
zusuchen , ob etwa ein Plazentarstflck dasselbe veranlaßt haben könnte.
Jede unnötige Berührung des puerperalen Uterus , auch eines infizierten,
ist zu vermelden. Nur wenn die Plazenta nachweislich unvollständig war,
wenn starke akute Ftlutungen auftreten oder wenn wochenlang; nach dem
Partus eine starke Jauchung aus dem Uterus längere Zeit bestehen bleibt,
ist ein intrauteriner Eingriff gerechtfertigt.« Die zweite von Winter forraa-
lierte Frage, ob überhaupt durch lokale Behandlung des Uterus die Pro-
gnose des Puerperalfiebers gebessert werden kann, beantwortet er dahin,
daß sie bei den leichten Resorptionsfiehern unnötig ist, weil sie innerhalb
einiger Tage spontan abfallen; selbst bei Verhaltung des Sekrets (Lochio-
metra) ist Ausspülung oder Drainage unnötig, weil das Sekret seinen Aus-
weg doch bald findet. Wenn Streptokokken im Gewebe sitzen, selbst nur
in der Decidua, so ist eine Beseitigung mittelst Spülungen unmöglich
Richtiger ist es, den Uterus fn seinem Selbstschutz nicht zu stören, son-
dern denselben durch Belebung des ganzen Organismus zu stärken.« Und
in diesem definitiven Verzicht auf eine aktive Lokaltherapie des Uterus bei
schwereren Formen des Puerperalfiebers stimmen Winter und seiner Schule
zahlreiche hervorragende deutsche Kliniker (Olsh.\1!SKn> Mautin, v. Hkrff
u. a.) bei und auch im Auslande macht sich eine gesunde Reaktion dagegen
(BoLDT, Graxdin, ArvARi)) geltend.
Völlig aufgegeben ist auch die Vaporisation resp. Atmokaosis
von Snegiu.ieff und Pi.vcus **•*), von letzterem ausschließlich für die Behand-
lung putrider Aborte empfohlen, aber von ihm selbst jetzt wohl schon ver-
lassen, von Kahn"') mit durchwegs ungönstigera Erfolge bei septischer
puerperaler Endometritis angewendet. Entweder man verbrüht die Schleim-
haut samt den Bakterien so intensiv, daß späterhin keine Regeneration der
ersteren mehr eintritt, oder man wendet geringere Spannung und Hitzegrade
des Dampfes an und schafft dadurch in der Uterushöhle eine das üppige
Wachstum der Keime geradezu begünstigende Bouillonkultur. Die Atmo-
kausis ist in der Behandlung ht^morrhagischer Endometritis im Klimax ein
wertvolles Mittel, fÖr die puerperale septische Form der Erkrankung ist sie
ganz und gar ungeeignet.
Gegenüber diesen wenig ormutisrenden Resultaten der lokalen Thera-
pie gewann die allgemeine und medikamentös-interne Behandlung der
Puerperallieber.
527
I
puerperalen Prozesse, die eine Zeitlang schon in den Hinter^rand ge-
treten war, wieder an Bedeutung'.
An der Spitze der medikamentösen Mittel steht, gestOtzt durch
die Autorität Curschmanns /«) das Antipyrin, das er auf Qrund seiner
reichen. Ober einen Zeitraum von fast 20 Jahren sich erstreckenden Er-
fahrungren, in protrahierter Darreichung für ein Mittel von (geradezu
spezifischer Wirkunf^ auf septlko-pyümiBche Zustände, besonders puorperalea
Ursprungs hält Nach den von CifHoiiirs**) veröffentlichten Resultaten aus
seiner Klinik wurde in der Hälfte der Fälle Heilung erzielt, und auch
ZwKiPRi.^^). dem bei Thrombophlebitis frQher alle Fälle starben, hat durch
den Gebrauch von Antipyrin eine Besserung: der Mortalität erreicht. Nach
der Zusammenstellung von Zikrhold"') aus seiner Klinik war die Mortalität
dabei 50Vo^ allerdings immer noch recht hoch. Curschmann gibt täglich
2 — 4^ Antipyrin in Dosen von 05^ neben den allgemein feststehenden
Grundsätzen betreffs vorsichtigster, nicht verletzender Aoarfiumong und
Spülung, sowie dem bei Hochfiebernden üblichen allgemeinen Verhalten. Das
Mittet wird meist in bezug auf das Herz gut vortragen, bei den Schwerst-
kranken natürlich unter tüchtiger Mithilfe von Analepticis. Alkohol^ Kampher,
Koffein. Wegen etwa auftretender Antipyrin- Exantheme ist sein Gebrauch
nicht zu unterbrechen; sie heilen auch so ohne Schädigung ab. Die Tempe-
ratur sinkt bald nach seiner Darreichung stark ab und geht bei fort-
gesetztem Gebrauch allmählich zur Norm zurück ; Puls und Respiration
werden in gleicher Weise günstig beeinflußt. Nach zu frühem Aussetzen
steigt das Fieber unter Wiederholung der Froste wieder an.
Die Wirkung des Antipyrins besteht in keinem bloßen Herabdröcken
der Temperatur, sondern sie macht sich auf den Infekti5sen. fieberhaften
Prozeß im ganzen geltend.
Rein symptomatisch verwenden Leopold") und OsTERLOH ■') bei hohem
Fieber und besonders bei beginnendem Wiederaostieg desselben Phenacetin
(Ob pro dosi) und P. MCller") bei längerem Fieber ohne objektiven Befund
Chinin. Die günstigen Erfolge der subkutanen Anwendung des letztgenannten
Mittels bei Pneumonie und die nahen Beziehungen zwischen dem Pneumo-
kokkus und dem Erreger des Puerperalfiebers veranlaßten Aii'RFrHT ^"), es
auch hiergegen zu versuchen. Er iniizierte einmal täglich */j^ Chinin, hydro-
chloricum (1 : 34 Aq., warm gelöst, ohne Zusatz) In die seitlichen Partien des
Abdomen, und zwar genügten gewr^hnlich 3 Injektionen an uufeinander-
folgenden Tagen. Seine gÜDHtigen Erfolge wurden jedoch von anderer Seite
nicht bestätigt; ebensowenig die von Frank empfohlenen subkutanen Kreosot-
injektionen. Als Herztonikum wendet v. Herfk"M neben sonstiger sympto-
matischer allgemeiner Behandlung kleine Stry chnindosen an, während
Sahli»'^) dieselben verwirft und mehr zu Digitalis und KoffeYn, Marsoh-
NER ") zu Kampherinjektionen rät Auch die bakteriziden Krnfte der
Hefewirkung sind von Hager*»^) zur Bekämpfung der Infektionserreger
des Puerperalfiebers vorgeschlagen und von A. H. Simpson in 3 Füllen durch
Darreichung von Levurine (dreimal täglich ein Eßlöffel) angeblich mit
günstigem Erfolge erprobt worden.
Aus dieser Vielfältigkeit der Mittel und dem Widerstreit der Meinungen
geht nur das eine hervor, daß es keine spezifische Behandlung des Puer-
peralfiebers gibt, und daß bei den nach Art und Schwere der Infektion und
Widerstandsfähigkeit des Organismus höchst wechselvollen Formen der
Erkrankung bei der Anwendung innerer medikamentöser wie aller anderen
Maßnahmen streng individualisiert werden muß.
Ein einziges, innerlich oder subkutan angewandtes Medikament, das
allerdings nicht — wie Solt"^) meint — »als Spezifikum zur Verhütung
and Heilung von Puerperalfieber« gelten kann, bat als rationell und nützlich
528
Puerperalfieber.
von altersher in der Behandlung: der verschiedenen Formen des Wocheo-
bettfiebers allgemeine Anerkennung {gefunden: das Seeale und seine PriL-
parate, besonders das Krgotin. Die Sorge für g^ot« Utercskontraktion be-
zweckt, an dem durch die Erkrankung: nieist erschlafften Organ einen festeren
Verschluß der Blut- und Lymphgefäße herbeizuführen und so dem weiteren
Vordringen der Entzündungserreger Widerstand zu leisten- Heiße Scheiden-
duschen (50° C, Knapp ">') und die Eisblase auf den Unterleib (diese aber
mit Vorsicht gegen Erfrierung der ISauchdecken angewandt) können gleich-
falls kontraktionsbefördernd wirken, die Kälteapplikation zugleich noch antl*
phlogistisch und subjektiv schmerzlindernd gegen die als erstes Zeichen
der Metrolymphangitis sich bemerkbar machende Druckempfindlichkeit des
Uterus.
Unter den allgemeinen Maßnahmen^ die bei schweren, jedeo ört-
lichen Eingriff kontraindizierenden Erkrankungsfornren in Betracht kommen,
steht neben der Sorge für kräftigende, abwechslungsreiche Ernährung die
hydrotherapeutische Behandlung. In Form von lauen bis kühlen Voll-
bädern, verbunden mit sehr reichlicher Alkoholdarreichung und forcierter
Ernährung ist dieselbe seit langem durch RrNGB^""^) eingeführt und in zahl-
reichen schweren Fällen puerperaler Septikopyäroie als wirksam bewährt.
Aber auch hier hat sich der Enthusiasmus, mit dem diese neue kombinierte
Methode der Wochenbettfieberbebandlung anfänglich begrüßt wurde, all-
mählich abgekühlt. Zunächst ist es das große Gebiet der entzündlichen
Genitalaffektionen. die diffuse septische Peritonitis, die zirkumskripte Pelvi-
Peritonitis, die akute Phlegmone des Beckenbindegewebes und die Ent-
zündungen der Adnexe, die die absoluteste körperliche Ruhe bedingen und
deshalb nicht nor Bäder, sondern im Beginne sogar Ganz- oder Halb-
Packungen verbieten. Abfr auch bei Thrombophlebitis kann es durch die
beim Baden unvermeidlichen KfJrperbE^wegungen zu Kollaps oder Invasion
abgelöster Teilchen der inÜKiorton Thromben in den Blutkreislauf mit
Embolien und neuen Schüttelfrüsten kommen, und so bleibt nur noch das
beschränkte Gebiet der mehr chronischen Fälle, insbesondere in der Form
von Septikämie oder reiner Bakteriämie für die Hydrotherapie übrig.
Ob man im (ibrigen mit lauen (25^ C, 10 — 15 Minuten lang dauernden!
Bädern mit allmählicher Abkühlung (bis auf 1*2 — 20" C) oder mit kühlen
Übergießungen oder ob man sofort mit kühlen, alsdann aber nur sehr kurz*
dauernden Rädern vorgehen will, ob man ferner dieselben (nach Rl'NGR) bei
jedem Anstieg der Temperatur auf 8i)° C Tag und Nacht wiederholen oder
auf ein- bis zweimalige Anwendung in 24 Stunden beschränken soll, hängt
hauptsächlich von den Korperkräften und i\i^v Empfindlichkeit der Kranken,
dann aber auch von äutieren Umständen (genügendem Pflegepersonal etc.)
ab. Sind Bewegungen den Kranken sehr schmerzhaft, so sind die ß&der
durch küble Packungen und sonstige temperaturherabsetzende Maßnahmen
der Hydrotherapie zu ersetzen. Die Kaltwasserbehandlung ist nach P. MCixer
(1. c.) auch noch in prognostischer Hinsicht von Wert, da eine durch sie er-
zielte energische* Tomporaturherabsetzung ein gutes Zeichen ist
Die Ausscheidung der Toxine durch die Haut sucht man durch An*
regung der Diaphorese zu erreichen, am besten durch tägliche beiße
Bäder (36 — 38" C) mit nachfolgender 2 — astündiger feuchtwarmer Ein-
Packung (Queisner, I. c) worauf nach Abtrocknung der stark schwitzenden
Kranken 1 — 2 Liter physiologischer Kochsalzlösung per rectum eingegossen
werden.
Diese Salzwasserinfusionen (subkutan^ per rectum und intravends),
die in einer Konzentration von 0*6 — 0'9"/o schon anderweitig bei Intoxi-
kationen (Urämie, Eklampsie) und septischen Erkrankungen versucht worden
waren, sind für die Behandlung der puerperalen Sepsis, und zwar durch
Puerperalfieber-
»29
(vom Arzt selbst vorzunehmende) ganz langsam, allmählich und nnter ge-
ringem Druck ausgeführte Eingießung großer Mengen \', — l%iger Koch-
salzlusung in den Mastdarm zuerst von Wkrnitz^**^) empfohlen worden. Bei
*/, — Istündiger Dauer der Prozedur wird ungefähr '/j — 1 Liter Flüssigkeit
resorbiert und dadurch zunächst Befreiung des Dcrmkanales von seinem
Inhalt, Vermehrung der Se- und Kxkretiun desselben, Steigerung der Harn-
und SchweiÜsekretion und — weni;^8tens nach Ansicht des Autors — eina
diluierende Wirkung und dadurch vermehrte Saftstromung, »ein Auslaugen
des Körpers« erzielt. Die von Wkrmtz besonders bei schweren akuteo
septischen Infektionen ohne nachweisbaren Lokalberd berichteten guten
Erfolge wurden bald von verschiedenen Selten bestätigt (Lenhaktz (1. o.),
Bkhm'"-), Diret"^») u. a.) und modifiziert; AßRL»*") hatte gute Resultate bei
Verbindung derselben mit Sauorstoffinhalationen.
PKTRrscHKY^*'), der im Verlauf seiner Versuche mit Antistreptokokken-
aerum große Serumdosen vorbebandelter und nicht vorbehandelter Tiere einen
gewissen Einfluß auf den günstigen Verlauf der Streptokokkenkrankheiten
ausüben sah, schloß darauf auf eine nichtspezifische Wirkung der Sero-
therapie, die auf der Zufuhr von Alexinen, von nichtspezifischen Rezeptoren
im Sinne Ehrlilhs zu beruhen schien. Diese Erwägung und die Absicht,
das Auftreten der unangenehmen Serumexantheme zu vermeiden, veranlagte
ihn zur Anwendung von Bleibeklistieren mit normalem Pferde- oder
Hammelserum, dum zur Haltharkeit 0'5Vo ^^^'^^^ ^^^ zwecks Steigerung
der antibakteriellen Wirksamkeit 1% Natr. carbonicum zugesetzt wurde.
Seine Vorschrift lautet, von einer Losung von Solut Natr. carbonic. 10%
10^, Solut. Acid. carbolic. 5"/y 10^, Seri ovilis ad lUU^ täglich drei- bis
viermal nach vorausgegangener warmer Darmauswaschung, Bletheklistiere
zu geben und so die Zufuhr der Alexine vom Rektum aus zu den benach-
barten Lymphbahnen der erkrankten Organe (Douglas. Parametrien) auf un-
ftchädliche Weise zu vermitteln.
Andere (Perkk'i'"^) in Bi iiixs Klinik) bevorzugten die subkutane
Salz wasaerinfuöiün und iniizierten 250 — 500 ;f, wenn nötig mit täglicher
Wiederholung. Ein nicht zu unterschätzender Nachteil der subkutanen Koch-
salzinfusion ist allerdings ihre Schnierzbaftigkeit, die meist auch die fort-
gesetzte Anwendung verhindert.
Auch die infolge von Sepsis nicht seltene Herzschwäche erfordert
Vorsicht gegen zu rasche und zu abundante subkutane Einverleibung von
Flüssigkeit, da man sonst durch Cberbürdung des Herzens das letale Ende
nur beschleunigt. Diese Gefahr ist zwar bei rektalen Eingieliungen nicht in
Go hohem Maße vorhanden; um ihr indes vollständig zu begegnen und um
das bei benummenon, willpusschwachen und kollabierten Kranken zuweilen
schwierige Zurückhalten größerer Rektalein laufe zu umgehen, ist von
T. Klein (I.e.) vorgeschlagen, dieselben öfter und in kleineren Mengen
»refracta dosi«, 300 — 500^^ zu geben und nach v. JaworskP") wirkt gerade
bei Puerperalinfektion die »Serotherapia minima«, d.h. beständige und
häufige Injektionen zu 10, 20, 30, 50 und ausschLießlich zu 100 j^^ ein- oder
zweimal täglich, viel besser und errolgreicher als das Hineinführen von
großen Mengen.
Jedenfalls können wir die Salzwasserinfusionen, wenn auch nicht al»
ein direktes HeilmitteU so doch als ein gutes und bei richtiger und vor-
sichtiger Anwendung unschädliches Adjuvans bei der Behandlung der Puer-
peralinfektion, insbesondere bei chronischem Verlauf derselben and nach
starken Blutverlusten bei der Entbindung, bezeichnen.
In Verbindung mit anderen Methoden, besonders mit der von HoF-
BAi'ER"^") empfohlenen und in der Klinik von Schaita erprobten Anwendung
von Nuklein scheint es sogar sehr günstig zu wirken.
Kneyclop. Jahrbtioher. N. K. IV. (Xlll). 34
530
Puerperalfieber
Die Anwendung des Noklein bei puerperaler Sepsis ist eine auf die
neueren biologisch-chemischen Anschauungen sich grundende Art der All-
gemeinbehandlung. Sie basiert auf der spezifischen Affinität der Nukleine
zum Knochenmark, als dem wichtigsten Organ fQr die Blutregeneration and
dem Sitz und der Ursprungsstätte der Immunkörper (Zwischenkörperl. Die
durch Nuklein erzeugte Knochenreaktion bewirkt einerseits raschen Ersatz
<ler durch die Affektionserreger zerstörten roten Filutkorperchen, andrerseits
eine energische Hyperleukozytose, wie es sich in dem dadurch veränderten
Blutbilde durch das Auftreten von kernhaltigen ^Erythrozyten und der ver-
schiedenen Formen myelogener, poly- und monunukleärer Leukozyten zeigt.
Da den letzteren als Trägern der bakteriziden Alexine (Komplemente) im
Sinne Bcchnkrs, Ehrluhs, Bkhkings u. a. unter den natürlichen Schati-
mittcin eine grolie Bedeutung zukommt, so ist die günstige Wirkung der
Nukleinbehandlung verständlich. Die Kochsalzinfnsionen haben neben einer
Verdünnung der Toxine und dadurch vermehrter Saftströmung hauptsäch-
lich den Zweck, den Kochsalzgehalt des Serums auf seiner Höhe zu er-
halten, weil die Alexino ihre Tätigkeit als bakteriologische Fermente nur
bei Anwesenheit von Neutralsalz richtig zu entfalten vermögen.
Das Nuklein wurde von Hofbauer in Dosen von 5 — Gg alle \'2 bis
24 Stunden gereicht, bis (als Ausdruck der Nukleinreaktion] Knochen-
empfindlichkeit eintrat Gleichzeitig kommen Kochsalzinfusionen von 600 bis
GOOr/A^ einige Tage hindurch zur Anwendung. Die günstigen Heilerfolge
der Methode ermuntern iedenfalls zu ihrer fortgesetzten Erprobung.
Ein weiteres > fast nur in Frankreich und Rußland gebräuchliches
Unterstützungsmittel örtlicher Maßnahmen oder allgemeiner und innerer Be-
handlung ist die Erzeugung künstlicher Abszesse (Ab bc^s & fixationt,
die von Fochikh 1891 zur Heilung von Krankheiten pyogen-infektiöser Natur
und dann speziell für solche Fälle von Puerperalfieber empfohlen wurde,
deren Verlauf ein langsamer und progressiv schlimmer werdender ist und
wo die übliche Therapie erfolglos blieb.
Nach der von Fochikr»*») angegebenen Technik wird l cm^ sterili-
sierten Terpentinöls in die Lendengegend öder am Oberarm subkutan in*
iiziert, worauf sich nach 5 — 6 Stunden lokale Röte und Druckempfindlich-
keit entwickeln, wührond die Vereiterung, die nur in den günstig verlaufenden
Fällen eintritt, gewöhnlich am 5. Tage doutlich vf^lrd. Wenn in der Bildung
■des Abszesses eine Stockung eintritt, ohne daß das Allgemeinbefinden sich
bessert, so wird eine zweite Injektion an anderer Stelle vorgenommen.
Die Abszesse werden chirurgisch behandelt und eröffnet; das völlige
Ausbleiben der Eiterung ist prognostisch sehr ungünstig.
Verfasser sah gelegentlich von Konäultationsreisen in Russisch-Polen
mehrere solche mit Kixationaabszessen bebandelte schwere Fälle von puer-
peraler Thrombophlebitis und Pyämie, die allerdings zur Heilung kamen, die
aber außer dieser Behandlungsweise noch anderen örtlichen und allgemeinen
MatSnchmeo unterzogen worden waren, so daß der Erfolg nicht mit Sicher-
heit der Methode von FoniiRR zuzuschreiben ist. Jedenfalls ist dieselbe,
wenn auch schmerzhaft, so doch ungefährlich und deshalb, da verschiedene
Autoren (Rion">»), CHtROf^- ""), KossowsKii") bei Fällen, die sonst als ab-
solut verloren galten, Günstiges darüber berichten, eines Versuches wert.
Die von Runge und Bhklsky inaugurierte Verwendung großer Mengen
von Alkohol bei der Behandlung septischer und pyamischer puerperaler
Prozesse hat neuerdings — vielleicht unter dem Drack der allgemeinen
Antialkoholbewegung — ^ wesentlich an Anhängerschaft verloren. Es wird darauf
hingewiesen^ daß zwar nach den neueren Untersuchungen von Rosbhanh*
• Pri^ous Archiv, Bd. C, pag. 348.
Puerperalfieber.
531
Alkohol in geringen Meng:en beim ^esanden Menschen nach einer Reihe
von Tagen etwas eiweißsparend wirkt und auch den Fettansatz fördert, daß
aber bei hoch Fiebernden, die Alkohol in enormen Men^ren vertra^n, bei
Verbrauch g^rößerer Quantitäten nach Ablauf der exzitierenden Wirkung die
Herztätigkeit schlechter wird und der Appetit ganz verloren geht. Das Herz
aber hat die grCßte Arbeitsleistung während der fieberhaften Erkrankuner,
und ohne Zufuhr neuer Nahrung muß es erlahmen (Opitz**'*).
Diese Erwägungen haben eine große Anzahl Kliniker (P. MOllrr ^^),
V. Herff«*), A.Martin*«''), Hükbai'erio^), Opitz [Lc] u.a.) bestimmt, in der
Behandlung des Puerperalfiebers den Alkohol ganz wej^zulassen oder wenig-
stens sehr einzuschränken.
Allerdings wird bei dieser Betonung der schädigenden Wirkung des
Alkohols auf das Herz meist aus dem Auge gelassen, daß die von Klinge
empfohlene, auch von dem Verfasser in vielen schweren Fällen mit günstigem
Erfolge angewendete Behandlungsweise des Puerperalfiebers keine ausschließ-
liche Alkoholbehandtung ist, sondern auf der gleichzeitigen, die Temperatur
herabsetzenden und den Appetit anregenden Wirkung lauer, allmählich abge-
kühtterVollbäder bzw. Einpackun^en beruht. Die hoch Fiebernden vertragen bei
dieser kombinierten Methode nicht nur, ohne berauscht zu werden, enorme
Mengen Alkohol sehr gut. sondern auch ihr Appetit leidet in keiner Weise,
ist oft sogar ein gesteigerter, infolgodesson wird auch durch den Alkohol
die Herztätigkeit nicht geschädigt Zur prompteren und nachhaltigeren
Wirkung auf die letztere werden von den Alkoliolgegnern gewisse Herz-
tonika (Strychnin in kleinen Dosen von v. Herfk, Koffein und Digitalis von
P. MPllrr usw.) empfohlen, die mindestens in demselben Maße wie Alkohol
den Appetit vermindern.
Als prompt wirksames Exzitans und als Adjuvans anderer örtlicher
und allgemeiner therapeutischer Maßnahmen, ferner gelegentlich als Oe
schmackskorrigens und in Form von Wein in kleinen Gaben zur Erzeugung
emer gewissen Euphorie dürfte der Alkohol seinen Platz in der Behandlung
des Puerperalfiebers wohl dauernd behaupten. Zu seinem Ersatz wird neuer-
dings als leicht assimilierbarea und verbrennbares Nahrungsmittel der Zucker,
und zwar speziell der Traubenzucker, der bei geringerer Süßkraft in
größeren Quantitäten gegeben und eine gewisse Zeit ohne Widerwillen ge-
nommen werden kann, angewandt (Gauss, Opitz, v. Ki>bix"-).
Selbstredend wird der Zucker nicht in Substanz, sondern in Form von
Getränken, Fruchtsäften, Breien, Eierspeisen etc. den Krankon verabreicht.
Eine g'Onstige Nohenwirkung des Zuckergenusses ist das vermehrte Durst-
gefühl das wiederum reichliche Flüssigkeitszufuhr per os (am zweck-
mäßigsten Milch mit verschiedenen Zusätzen; sehr gut vertragen wird kalter
russischer Tee, zu gleichen Teilen mit abgekochter kühler Milch vermengt),
eine gute Durchspülung des Organismus und die Entfernung der bakteriellen
Stoffwechsel- und Zerfallsprodukte durch die Nieren aus dem Körper be-
dingt (Opitz, I. c).
Ein Heilfaktor im Kampfe gegen das Puerperalfieber, wenn auch sicher
kein Spezifikum, ist das von CFtEn^':^'') zunächst gegen sepiische Infektion
in chirurgischen Fällen, dann Hpezioll bei Puerperalfieber unter dem Handels-
namen »Collargol« empfohlene wasserlüaUche melalÜBche Silber, Argentum
colloidal«. Die im Anfange von einzelnen, nur über wenige Beobachtungen
verfügenden Ärzten berichteten Heilerfolge hatten keine genügende Beweis-
kraft. Denn gerade bei puerperaler Sepsis erschweren die nicht selten
spontan und ganz plötzlich sich einstellenden Wendungen im Krankheits-
bllde die Beurteilung jeder therapeutischen Maßregel. Nachdem aber Jetzt
von Klinikern, wie Fehling, v. Rosthorn, v. Hkrkp, Lenhahtz (1. c.) u. a.
größere Beobachtungsreihen vorliegen, nach donen die mit dem Mittel er-
532
Puerperal fieber.
zielten Resultate, wenn auch schwankend, so doch in vielen Fällen gOostt^f
jedenfalls aber (mit einer Ausnahme)* flble Einwirkungen nie nachzuweisen
waren, so ist es bei der Unsicherheit unserer sonstigen Mittel geboten, tu
passenden Fällen dieses Adjuvans der sonstigen allgemeineD und medi-
kamentös internen Therapie nicht von der Hand zu weisen.
Theoretisch ist allerdings die Wirkungsweifie des Coltargols wie Ober-
haupt die der kolloidalen Metalle noch nicht hinreichend geklärt. Die Ver-
suche, durch das Tierexperiment die Wirkung: des Cnllnrgols auf die Bak-
terien, speziell auf Strepto- und Staphylokokken zu ermitteln, ergaben
widersprechende Resultate.
Während Coiin^'*) und Trommsüorkf '*^) besonders in Hinsicht auf
seine bakterizide Kraft zu negativen Ergebnissen kamen, erwies sieb
Schlossmann '1") das kolloidale Silber gegen pyogene Kokken und gegea
die Bazillen der Koligruppe als äuUerst wirksam und das Sublimat Ober-
treffend, und nach Bkyecr "') stellte sich schon ü Stunden nach der intra-
venösen Injektion eine allmähUch zunehmende Leukozytose ein, die ihr
Maximum nach 24 Stunden erreichte. »Das Silber wird in den Btatstrom
aufgenommen und vorwandelt die KorperflÜbsigkeiten in antibakterielle
Losungen, die direkt oder indirekt auf Spaltpilze einwirken, und zwar wirkt
das Silber auf die Bakterien uiehr hemmend als abtütend. Deshalb ist der
Körper lange unter Silberwirkung zu halten.« Die Auffassung Bambergers ""X
daß ein Teil der Wirkung des Argentum Crede auf seine ausgesprochenen
katalytischen Eigenschaften zurückzuführen sei, ist zunächst wohl rein hypo-
thetisch. Der neueren biologisch-chemischen Anschauungsweise angepatU ist
Bambergers Erklärung der Wirkung des Collargols als zwar nicht bakteri-
zid , aber auf chemotaktischem Wege die Entwicklung der Bakterien
hemmend. Zur Beseitigung des im Körper ausgefällten Silbers werden un-
geheure Mengen von Leukozyten aufgerufen, die durch gesteigerte Aktion
der blutbildenden Organe zu liefern sind (Leukozytose). Versagen diese
Organe, z. ß. bei zu später Anwendung des Mittels, so vermag es nicht
mehr, die Bildung neuer Leukozyten anzuregen, und so erklären sich viel-
leicht die Mißerfolge in der Praxis.
Die ursprüngliche Anwendungsweise des Collargols war in Form
der Inunktion einer 15%igen Salbe, annlog der älteren Behandlungsweise
des Puerperalfiebers mit Unguent. hydrargyr. einer, (kombiniert mit innerer
Anwendung von Kalomel bis zur Salivation, nach Trai:hk). Nach gründlicher
Säuberung und Entfettung der Haut der Inunktionsstelle (Oberschenkel,
Rücken etc.. bei Entrundung der Beckenorgane jedoch nicht die Baucbhaot)
werden größere Dosen der Salbe (8 — C — \) g taglich bis zu im ganzen 50^)
durch 10 — 15 Minuten gut verrieben und die Stelle mit einem Deckverband
versehen. Indessen erwies sich dieses Verfahren als ungeeignet für die über-
wiegend häufigen Fälle mit I^okalisation des septischen Prozesses und trots
einzelner enthusiastischer Zustimmungen, die bei Empfehlung eines neuen
Mittels zunächst nie ausbleiben, in größeren Beohachtungsreihen und auch
bei mehr chronischen Fällen als zumeist wirkungslos.
Credk selbst gab sehr bald wegen der sicheren and rascheren Wir-
kung der intravenösen Anwendung den Vorzug, indem er 5 — 20 c/n*
einer V« — iVoiS^^^ Lösung in eine größere Hautvene iniizierte und die«
wegen der relativ raschen Ausscheidung wiederholte.
I
* Bauhm bericbtett^ in der Sitzunif der Breslauer jfynilkologisclien GeKibcliAtt
Vom 21. Mai l^ö Über t-inen Fall von tit;Tgeht*Dder VVeicbteilaekro»c am Arm nach iotra-
venöwr luieklioa einer 10t I/'/i,igen CollargollÖKDng. Die tJchuld scheint hier eotwvdor an
d^r EQ hocbgradigen Konzentration deä Mittels oder an eio«ai Fehler in der Antiaeptik in
Ikgen.
Puerperalfieber.
533
tM Daa neuerdings verbesserte Collargol (ehem. Fabrik. Heyden) ist in
"'^ fieinem 20fachen Volumen Wasser löslich, haltbar, teroperatarbeBtändig, ver-
trag das Kochen und bleibt steril. Man g-ing mit der Konzentration der
Lösung altniählich auf 2^ ,„ einzelne bis auf h'^/^ hinauf. Darüber hinaus zu
steigen, dürfte nach den Erfahrungen Balmms (s. oben) nicht ratsam sein.
Die Technik des Verfahrens ist sehr einfach: Vorbereitung wie zur Venae-
sectio. Die betreffende Extremität (am besten Kubitalgegend, Vena mediana,
bei Wiederholungen auch am PußrQcken) wird desinfiziert und mit einer
Binde, am zweckmäßigsten einer leicht zu lockernden Gummibindo derart
komprimiert. daÜ der venöse Abfluß gehemmt wird, der Radialispuls aber
fühlbar bleibt. Tritt ausnahmsweise bei sehr starkem Fettpulster die betreffende
V^ene nach der Abschnürung nicht genügend deutlich hervor, so muß sie durch
einen kleinen, später durch die Naht zu schließenden Einschnitt freigelegt
werden. Die mit \0 cm^ einer 2%igen Lösung gefüllte und mit der fest
aufsitzenden Kanüle armierte , sterilisierte Spritze wird nach sorgfältiger
Entfernung der liuftblasen aus ihr und nach Lockerung der Binde an der
»über die Horizontale erhobenen Extremität etwa 5 mm weit in das Lumen
der Vene, parallel zum Verlauf derselben, eingestoßen. Zum Zeichen, daß
man sich in der Vene befindet, fließen einige Tropfen Blut die Kanüle ent-
lang herab. Man injiziert nur sf'hr langsam , mit Vorrücken des Spritzen-
stempels alle 5 — 10 Sekunden um 2 Teilstriche, pro dosi 005 — Ol Collar-
gol. Bei iedem neuen Anstieg des Fiebers und bei Wiederauftreten von
Schüttelfrost kann die Injektion wiederholt und ohne Schaden längere Zeit
hindurch fortgesetzt werden. Klinisch sind vielfach von zuverlässigen Autoren
(Fehung, I. c-, 0. a.) unmittelbar nach jeder intravenilsen Kinsprilzung be-
deutender Temperatur- und F^ulsahlall und — was besonders zu betonen
— große subjektive Erleichterung, besHerer Schlaf und Appetit beobachtet
H^Worden. und dieselbe Wirkung wieilerholte sich nach jeder neuen Injektion.
'^ Bei sehr fetten Personen oder bei fortgesetzter, häufiger intravenöser
Applikation und dadurch verursachter Schwierigkeit in der Auswahl der
Injektionsstellen sowie bei großer Empfindlichkeit der Kranken erscheint
dfe von Lokiil'^") für die allgemeine Praxis empfohlene Verwendung von
Collargol- Klysmen (zweimal täglich 0 15— 0'3— 0*37 : 75 Aq. dest) als
[ nicht unzweckmäßig.
H Dagegen ist die subkutane Injektion des Collargols wegen
ihrer Schmerzhaftigkoit und des Zurückbleibens von empfindlichen Binde-
gewebsindurationen allgemein verlassen. Dasselbe gilt für die intrauterine
Anwendung in Form von Pillen (Woyek **o) und für die Darreichung
per OS. Ohne Nachahmung geblieben ist bis jetzt der Vorschlag Qi'eisnfjcs
(I. c.) zur Verwendung des Mittels in einer Lösung von 1:500 zur intra-
uterinen Spülung bei septischer Endometritis.
Bemerkenswert ist der jüngst von Crrüi?: ^^^'^) gemachte Vorschlag,
prophylaktisch, analog der Arg. nitricum-Einträufelung in die Augen der
Neugebomen, neben den sonstigen erprobten, vorbeugenden Maßregeln mög-
lichst in jedem Falle, unbedingt aber in ^en schon erkrankten unmittelbar
nach der Geburt und der Reinigung der Frau, noch auf dem Ueburtsbette,
hoch in die Scheide, eventuell bis in die offene Zervix oder die Qebär-
mutterhohle eine Collargol -Vaginalkugel (Collargol 05 — 10, Ol. Cacao 18
bis l9jg) einzuschieben und den Scheideneingang dann mit steriler Gaze
lose auszufüllen. Nach Bedarf kann Qlobulus und Gaze erneuert werden.
Das Collargol löst sich langsam, dringt in alle Risse nnd Spalten ein, ohne
der lebenden Zelle zu schaden, sterilisiert die Sekrete und wird zum Teil
resorbiert- Wenn man auch nicht jede Infektion verhindern kann, so wird
doch eine Milderung und Verlangsamung der Erkrankung zu erzielen sein.
Treten örtliche oder allgemeine Infektionserscheinungen ein, so beginnt
534
Pucrperalficher.
CREnt mit AusspüIuDgen von Collargolwasaer 1 — 2:5000 und le^ darauf
wieder einen Globulus ein, der bis zur nächsten Ausspülung desinfizierend
wirkt, oder er ]egt bei stärkerer Beteiligung des Ut«rua selbst täf^lich eln-
bis zweimal ein Collargolstäbchen (von Ki.rrN oder Nofpke) in denselben
ein. Bei allgemein septischen KrBcheinungcn beginnt er sofort mit der
Silberschmierkur oder mit Collargolktysmon oder in ernsteren Fällen mit
intravenösen Injektionen von zunächst je 8 — 10 cn/* der ä'/nigen Lösung.
Nach Laparotomien begielH er alle freigelegten Teile der Bauchhöhle sowie
andere Höhlen und Wunden mit P/^iger Collargollösung. Es bleibt abzuwarten,
ob diese allerdings konsequente Ausdehnung der Collargoltherapie auf alle
Gebiete der Chirurgie und Geburtshilfe die erhofften Krfolge bringen wird.
Während man die am raschesten und sichersten wirkende intravenöse
Kinverleibung von Collargol wenigstens als absolut unschädlich anerkennen
muü, so ist dies nicht der Fall bei der von Bahrows^^'J in die Therapie
des Puerperalfiebers eingeführten Intravaskulären Antisepsis. Er in-
dizierte intravenös 650 c/;;3 einer Form alinlösung 1:5000 und sah da-
von in Fällen schwerer Slreptokokkeninfektion angeblich gute Erfolge. Die-
selben wurden jedoch in einer Diskussion in der New-Yorker geburtshilf-
lichen und medizinischen Gesellschaft '--), an der sich fast alle hervorragenden
Praktiker beteiligten, nicht nur von keiner Seite bestätigt, sondern im
Gegenteil von Waitzpelper 's'j, der >aus Versehen« eine ForraalinlGsung von
1:2500 eingespritzt hatte, deren »nicht ganz harmlose Folgcn<, bestehend
in Verminderung des Hilmoglobingehaltes des Blutes und Andeutung von
Schrumpfung der roten Blutkörperchen, hervorgehoben. Auch die ex^erimeD-
telle Begründung der Methode versagte^ indem die Versuche von Fortesclx-
Brk'Küale 1='^) beweisen. daU bisher keine Möglichkeit besteht, Septik bei
Tieren durch intravenöse Applikation antiseptiscber Substanzen zu beein-
flussen und daU bei Überschreiten nicht toxischer Dosen lediglich der Tod
beschleunigt wird. Das Formaldehyd verbindet sich mit dem Eiweiß sowohl
der Bakterien als der Blutzetlen; nur erholen sich die Bakterien viel
schneller als die Blutzellon. Der außerdem durch die intravenös in|izierte
FIQssigkeit erreichte günstige Effekt einer Verdünnung der Toxine wird
durch die Einspritzung pb.vHiologischer Kochsalzlösung ebensogut erzielt
und mit weniger Gefahr der Schädigung der Blutkörperchen; dieselben Be-
denken bestehen gegen die von Moritz i^^) vorgeschlagene intravenöse
Goajaaunol-Injektion.
Wenn also auch unter allen bisher versuchten chemischen Mitteln
da« Collargol hervorragend befähigt scheint, bei septischen Erkrankungen
den Organismus im Kampfe gegen die Infektionserreger zu unterstützen,
BD kann es doch nicht als ein Faktor einer stets im Auge zu behalt-enden
wirksamen kausalen Therapie gelten. Eine solche muß auf die Tötung
der eingedrungenen palhogenen Keime — beim Puerperalfieber Qberwiegend
nach Zahl und Bedeutung Streptokokken — und auf die Neutralisierung
der von ihnen produzierten Toxine durch Zuführung präparierter Schutz-
stoffe, die die natürlichen Webrkfäfte des Körpers unterstatzen, abzielen.
Dies führte nach den glänzenden Erfolgen bei Diphtherie und Tetanus zur
Serumtherapie auch des Puerperalfiebers, die als erster Marmorer
durch Empfehlung seines An tistreptokokkenserums 1895 inaugurierte.
DaBselbe stellt sich als ein auf besonderem Wege durch Tierpassage und
Kultur in seiner Virulenz erhöhtes Streptokokkentoxin dar. vormittelst
dessen bei Pferden ein Antitoxin gewonnen und in der Therapie mensch-
licher Streptokokkeninfektionen als gemischt antitoxiscb - antibakte-
riellea Serum verwendet wird.
Zum Verständnis dieser Klassifikation des MARMOKBKschen Serums
führt die Kenntnis der Darstellungsweise eines gegen menschliche Strepto-
Puerperalfieber.
535
kokken wirksamen Serums. Nach der einen Methode sucht man, wie bei
Diphtheritis und Tetanus, die von den Bakterien produzierten Toxine zu neu-
tralisieren. Ein solches antitoxisches Serum ist aber im Kampfe ^egen
die Streptokokken unwirksam; da Filtrate von diesen und abgotStete Bak-
terienleiber keine Giftwirkun? haben und da bei der Neigung- der Strepto-
kokken zu massenhafter Vermehrung im Organismus (im Gegensatz z. B.
zu den Tetanusbazilten) an die lebenden [Bakterien gewisse den Organismus
schädigende Fermentwirkungen, wie beispielsweise die stark hämolytische,
geknüpft sind. Es waren daher die Bestrebungen der meisten Forscher
darauf gerichtet, auf dem Wege der Hämolysine, Bakteriolysine usw. Schutz-
stoffe gegen die Bakterien als solche, i.e. ein antihakterielles oder
bakterizides Serum zu gewinnen (Mknzkui^^). Typische Vertreter dieser
Gruppe sind das Cholera- und Typhussernm^ bei denen man sich die Wir-
kung so vorstellt, dal5 durch die in ihnen enthaltenen Immunkörper die
aktiven Beatandteile dos menschlichen Blutserums, die Euklk iischen Kom-
plemente, i. e. fermentartig wirkende Körper, an die Bakterien herangebracht
werden und diese zerstören. Diese auf das Streptokokkenserum Übertragene
Wirkung des Cholera- und Typhusserums stützt sich also zunächst auf die
Einwirkung des Blutserums auf die Streptokokken außerhalb der Zellen
(Degeneration derselben). Das Antistreptokokkenserum wirkt aber weiter^
hin, und zwar in ganz hervorragender Weise, wie im Tierversuch so auch
beim Menschen durch Anregung der Zellen in ihrer Fähigkeit der Phago-
zytose gegcnübiT den Streptokokken und durch Vermehrung der phago-
sytisch besonders tätigen mujtrnuklefiren Leukozyten (Buhoet ***).
Das Ausbleiben der Wirkung eines Heilserums auf den infizierten
tierischen oder menschlichen Korper kann mithin auf seinem >NIchtadäquat-
sein« beruhen, d. h. auf dem Fehlen geeigneter oder passender Komplemente
nach Injektion einer einzigen ßakterienart der einen Tierart gegenüber den
bei einer anderen Tierart erforderlichen vielfachen anderen Antikörper. Es
kann ferner bei schwerer Erkrankung der Körper nicht mehr imstande
sein, seine im Kampfe mit den eingedrungenen Mikroorganismen verbrauch-
ten bakteriziden Stoffe, d. h. die Komplemente, zu ersetzen; hier nützt die
Injektion des Serum und damit das Einbringen von Immunkörpern nichts^
weil eben die notwendigen Komplemente nicht mehr vorbanden sind (Bcrck-
HARD»«'), pag. 493).
Oder endlich, es bleibt trotz der Überzahl der Leukozyten ein Anzahl
Streptokokken frei zwischen denselben, die sich in ungünstigen Fällen ver-
mehren und zahlreich als Diplokokken oder kurze Ketten auftreten (»die
Streptokokken üben auf die Zellen einen negativen chemotaktischen Ein-
fluß aus-t (BoRDHT) und im weiteren Verlauf des Kampfes in die Hlutbahn
dringen. Der Organminus mulJ also das zum Kampf erforderliche Zellen-
niaterial hergeben können und endlich filllt tbni die Kesorption der Abfall-
Stoffe zu. Bei zu grolien Mengen der letzteren droht durch Resorption
reichlichen Eiters die Gefahr der EiteriDtoxikation, der das Antistrepto-
kokkenserum mangels antitoxischer, das Bakteriengift neutralisierender
Eigenschaften nicht gewachsen ist.
Die verschiedenen Erscheinungsformen der Streptokokkeninfektionen
im Verein mit der häufig beobachteten Unwirksamkeit der Injektion einer
einzigen Raklerienart der einen Tierart auf eine andere legten nun den
Gedanken nahe, daß jedem spes^ifischen Krankheitsbilde ein spezifischer Er-
reger zugrunde liege. Demgegenüber stellte zuerst Marmohek das jetzt all-
gemein anerkannte Prinzip der Arteinheit der Streptokokken auf und
Me.vzeh zeigte, daü die bei den verschiedenen Infektionen der Menschen in
Betracht kommenden Streptokokken höchstens, je nach dem Infektions-
prozeß, von dem sie frisch gezüchtet wurden, graduell verschiedene Er-
536
Puerperaißeber.
Scheinungsformen und fermentative Eigenschaften, im wesentlichen aber allen
(i^em einsame biologische Wirkungen, z. H. diejenige der Hämolyse haben.
Der Verschiedenheit der Virulenz der Streptokokken, die man
das eine Mal ala tödliche Krankheitserreger, das andere Mal als barmlose
Saprophyten fand, suchte Marmokrk dadurch zu begegnen. daU er zur Ge-
winnung eines wirksamen Serums kOnstlich die Virulenz seiner Strepto-
kokkenstÄmme durch wiederholte Tierpassage derart steigerte, daß eine
minimale Dosis einer Kultur seines ursprQnglich monovalenten Serums
tödlich auf das Versuchstier wirkte. Im Gegensatz dazu suchten Dknys und
VAN DF.R Vri.df. ^-'*) durch Verwendung der verschiedenen, bei allen möglichen
Krankheitsprozessen gefundenen Strc^ptokokkenarten zur Immunisierung der
Tiere ein polyvalentes Serum zu gewinnen. Es wächst dadurch die
Wahrscheinlichkeit, dali die Zahl der Immunkörper eine gröbere wird und
dal5 sich darunter auch solche finden, die auf geeignete Komplemente ein-
gestellt sind.
Nach den Versuchen von Koch und Pftruschky '*») sowie besonders
von Tavel '"') ließ sich ferner feststellen, daß die Streptokokken durch den
Durchgang durch den tierischen Körper ihre Virulenz für den menschlichen
Körper abschwächen und daß die Immunisierung großer Tiere mit möglichst
vielen, frisch vom Menschen gezCIchteten, keiner ihre Virulenz abschwächen-
den Tierpassago unterworfenen Streptokokken erfolgen muß. Tavel benutzte
als erster zur Bereitung seines Serums nur menschenpathogene Stämme
von möglichst verschiedenen Provenienzen und konstatierte femer, dafi ein
polyvalentes Streptokokkcnserum auf die homologen Stämme intensiv und
auch auf heterologe Stämme besser wirkt, als ein heterologes, monovalentes
Serum. Aus der Nichtbeachtung dieser Grundsätze erklären sich die Miß-
erfolge des Serums von Mahmorek bei der Behandlung des Puerperalfiebers,
während die nnch diesem Prinzip hergestellten Tramunsera von Tavkl (In-
fetitut für InfektionKkrankheiten in Bern), Ahonson'*') (Scherings Werke,
Berlin), Muskr (Hoechster Werke), Mk.nzkr (Merck) und Paltavf (Serum-
institut, Wien) bessere » wenn auch häufig noch schwankende Erfolge aut-
zuweisen haben. Insbesondere Ober die Verwendung des AKOXsoNschen Anti-
atreptokokkenaerura bei Puerperalfieber liegen von Blimm"-) sowie Aber
diejenige des PALTAUFschen von Pehami^*) (Klinik Chrobak) auf größere
Beobachtungsreihen gestützte günstige Berichte vor. Die Herstellung dieser
Sera ist im wesentlichen derart, daß Pferden subkutan oder intravenös in
steigender Dosis (70 — 250 cm*) abgetötete, später vollvlrulente oder gleich
von Anfang an lebende Bouillonkulturen der verschiedenen, von den schwer-
sten septischen Prozessen am Menschen (Angina, Phlegmone, Erysipel, Peri-
tonitis, Abszessen aller Art, Puerperalfieber etc.) stammenden und zum
Teil aus der frischen Leiche, zum Teil vom Lebenden entnommenen Strepto-
kokkenstSmme in achttägigen Intervallen so lange (2 — -3 Jahre) einverleibt
werden, bis auch bei der stärksten keine Reaktion mehr sich bemerkbar
macht.
Da nun der endgültige Ausgang der Streptokokkeninfektion abhängig
ist von der Summe der im Organismus verfügbaren bakteriziden Kräfte.
welche im Verhältnis zu den sich endlos vermehrenden Streptokokken stets
eine begrenzte sein wird, so ist eine vollständige Hemmung in der Ent-
wicklung neuer Streptokokkengenerationen nur dann möglich, wenn die anti-
bakterielle Schutzwirkung des Serums in genügend großen Mengen und sn
einer Zeit eintritt, in welcher die Streptokokken sich weder ins Unendliche
vermehrt — also im Beginn einer Infektion — , noch zu großen Kolonien
(Eiterherden) entwickelt haben. Im letzteren Palle würde durch die Masseo-
abtötung von Streptokokken ein entsprechend großes Quantum toxischer
Proteine aus den zugrunde gegangenen Bakterien und Zellen in Lösung und
Puerperalfieber.
53
^
I
zur Resorption gelangen und durch ihre toxische Einwirkung (Toxinäniie)
den Organismus schädigen (Walthard ""'^). In den Fällen alao, in welchen es
zu abgeschlossenen Eiteransammlungen kommt, ist ohne chirurgischen Ein-
griff das Streptokokkenserom kontraindiziert, da es die Resorption der
giftigen Eiterstofle steigert. Das Streptokokkenserum wird in den
Fällen beginnender akuter Streptokokkäm ie in hoher Dosierung
die besten P>foIge herbeifflhron können, nach Mknzku (I. c. pag. 1 1Ü8),
aber auch, und zwar besonders aussichtsvoll, in der nach dem einzelnen
Fall zu bemessenden Dosierung bei chronischen Streptoi^okkeninfektionen.
Zur Behandlung mit Streptokokkenserum geeignet sind natürlich nur solche
Fälle, wo der sicltere Nachweis von Streptokokken im Uterussekret oder
im Blut erbracht worden kann; aber auch bei den nicht durch Strepto-
kokken bedingten FäUen und selbst da. wo sie prophylaktisch ausgeführt
wurden (Peham), sind die Seruminiektionen unschädlich geblieben. In dem
einzigen Falle von Injektion bei Mischinfektion (Streptokokken und
Stäbchen), der von Bokck*'"} ans BrwM.s Klinik berichtet wird, war das
Resultat der Serumthernpie gleichfalls befriedigeni], während Pbham in einer
größeren Anzahl von Mischinfektionen gar keine Wirkung des Serums wahr-
nehmen konnte. Derselbe injizierte ausnahmslos 100 cm^ auf einmal, und
zwar auf die Innenfläche jedes Oberschenkels je bO cm''; Aronson empfiehlt
je nach der Schwere des Falles (und dem Alter der Patienten) 20 — 60 cm*
und, falls das Fieber nicht nachgelassen oder das Allgemeinbefinden sich
nicht gebessert hat, die Wiederholung der Injektion an den beiden folgenden
Tagen. Dieselbe ist stets unter den flblichen antisepl Ischen Kautelen und
subkutan, nicht intrakut-an zu machen; für schwerere Fälle wird von ein-
zelnen die intravenöse Injektion bevorzugt, von Bumu hingegen als nicht
unschädlich verworfen.
Die Feststellung der Indikationen und Kontraindikationen für
die Serumtherapie begegnet grollen Schwierigkeiten. Am einfachsten
scheint es nach dem Vorgange von Blmm (1. c). die Fälle vom anatomischen
Standpunkte aus einzuteilen. Er schließt wegen gänzlichen oder überwiegend
häufigen Versagens die Fälle von septischer Peritonitis, von reiner Septi-
kämie (Streptokokkämie)^ septischer Endokarditis und reiner Pyämie
(Thrombophlebitis purulenta) von der Seronib^handlung aus und ferner
grundsätzlich die Para- nnd Perimelritis, weit diese lokalisierten Prozesse
durch die Naturkraft zur Heilung kommen, und beschränkt sich auf die
Endometritis btreplococcica (5^ Fälle, darunter 32 schwere mit dicken Be-
lägen der Wunden und des Endometriums; unter 17 Blutuntersuchungen
r2mal Anwesenheit von Streptokokken, b Todesfälle, 9mal kein konstanter
Einfluß, 21 mal nach dem klinischen Eindruck und der Temperalurkurve
gönstige Wirkung). Für die Wirksamkeit erblickt er außer den subjektiven
und objektiven klinischen Symptomen noch ein anderes Merkmal in der
Beschaffenheit des Lochialsekrets bei dieser Krkrankung. Während sich in
den Lochien des infizierten Uterus die Streptokokken in langen Ketten
zwischen den EiterkÖrperchen finden, tritt bei günstiger Einwirkung ein
Umschwung, oft kritisch, ein^ indem die Ketten kürzer werden und sich
nunmehr i o den Leukozyten finden. Diese Phagozytose bedeute, daß nunmehr
unter dem Einfluß des Serums der Organismus dasjenige zu tun befähigt
wurde, was er bei Spontanheilung von selbst zu tun imstande ist und tut.
In Fällen, wo diese Phagozytose spontan nicht eintrat, sah man sie nach
der Serüminjektion innerhalb 1:^ Stunden in exquisiter Weise. BrMM resö-
miert sich dahin, daß das Serum, wie wir es beute haben, speziell das von
ihm verwendete ARoxsoxache, unwirksam sei in schweren Fällen, wie all-
gemeiner Peritonitis, Thrombophlebitis ; da es aber auch hier nicht schade
{außer bei intravenöser Anwendung), sollte man es auch hier weiterbin vor-
538
Puerperalfieber-
sachen ; bei septischer Endometritis, besonders bei Anwesenheit von Strepto-
kokken in den Uteruslochten und bei Lokalisation an den Ein^an^pforteo,
sei es unbedinfft anzuraten. Doch nütze eä nur in (ifroßen Dosen, 1 g auf 1 kg,
und frühzeitif^ anfcewendet^* Auch prophylaktisch Bei das Serum anzuwenden
in Fällen großer geburtshilflicher Einpriffe. In der an diesen Vortra|f sich
anschließenden Diskussion machte W. A. Fkbund treffend auf die Schwierigkeit
der Diagnosen- und iDdikatlonästoUung nach Bi mms Einteilung durch die
Frage aufuierksani, woran man erkenne, daß eine lokalisierte Endometritis
septica vorliege und der ProzelS noch nicht über die Schleimhaut hinaus
in tiefere Schichten gedrungen sei. Btmm erwiderte , er schließe (wie aucb
Walthard, 1. c, pag. 484) auf eine lokalisierte Endometritis aus der Inspek-
tion der Genitalien, dem Belag und der septischen Entzündung der Wunde
sowie aus dem Fehlen aller anderen septischen Erscheinungen im Körper,
also: negativem Ausfall dor In jedom schweren Falle aus der Arm- oder
Ohrvene entnommenon Blutprobe, Auäbleiben der Entwicklung von Exsudaten,
von Lokalisatiunen an den V^enen oder am Endokard. — Aber die Mehrzahl
dieser Momente zur Begründung einer solchen Diagnose per exciusiunem
bedarf zu ihrem Manifestwerden eines nicht immer ganz kurzen Zeitraumes,
und dieser Zeitverlust steht im Widerspruch mit der Forderung der mög-
lichst frühzeitigen Einverleibung des Serums. Und dies zusammengehalten
mit der Erfahrung, daß Streptokokkenkrankheiten, die mit den schwersten
Anfangserscheinungen einsetzen , nicht selten spontan und plötzlich einen
günstigen Verlauf nehmen^ erschwert ein endgültiges Urteil Ober die Wirkung
des Serums um ho mehr, als wir nicht imstande sind, wie beim Tierexperi-
ment Kontrollversuche anzustellen. Aber die vielfach beobachtete Entfiebe-
rung bei Anwendung den Mittels, der erneute Temperaturanstieg nach Aus-
setzen und die abermalige Entfieberung nach nochmaliger Iniektion (er die
Fälle von Burckkarü'^^) drängen bei aller gebotenen Skepsis zu der Über-
zeugung, daß das Serum einen spezllischen Einfluß auf den Krankheits-
prozeß ausübt. Auch Klkin"*) zieht aus seinen Erfahrungen mit Aronsos-
schem Sorum den Schluß, daß ein kaüsator Zusammenhang zwischen
Seruminjektion und Heilung vorzuliegen scheint und daß damit der Wunsch
berechtigt tst^ bei schweren Infektionszuständen, die klinisch selbst nur ein
dem septischen Charakter ähnliches Bild zeigen und bei denen die sonstigen
therapeutischen Maßnahmen im Stich lassen, das Serum anzuwenden.
Von den von Blumbkiu;'^**), Pethl'Si hky '3^) und Walthard erwähnten
ungünstigen Nebenerscheinungen : Serumtieber, Pulssteigerung, lokalen und
allgemeiner v^erbreiteten Erythemen und Exanthemen und starker Qaaddel-
bildung, Nephritis und sonstigen bleibenden Schfidigungen an der Injektions-
atelle und an anderen Stellen des Körpers haben Mknzkh, Btmm. Tavkl,
Paltaup u. a. in großen Beobachtungsreihun keine oder nur ganz unschädliche,
rasch vorübergehende Nebenwirkungen hei Anwendung der verschiedenen
Antistreptokokkensera gesehen. Paltauf (I. c, pag. til) konnte in einigen
Fällen am '1, — 3. oder 5. — ö. Tage eine unter leichten Temperaturateige-
rungen sich einstellende Erythembildung beobachten, die aber ohne jede
weitere Therapie wieder zurückging und nur einmal zu leichten, rasch wie-
der verschwindenden Gelenkschmerzen führte. Niemals jedoch kam es zu
entzündlichen Veränderungen oder gar zur Abszeßbitdung an den Injektions-
stellen. Trübes, einen Niederschlag bildendes Serum soll die Exanthembildung
begünstigen, ohne jedoch eine üble Nachwirkung auszuüben. Im übrigen
lassen sich nach Blumberg auch diese unschädlichen Nebenerscheinungeu da-
durch vermeiden, daß man das Serum ausschließlich in das lockere, subkutane
Bindegewebe^ nicht etwa in die tieferen Schichten der Kutis selbst einspritzt.
* Kef<>r. d. Vortrages in der Berliner med. GeHellsohalt. Deutaoho med. Wochei)tcfar.|
1904» pag. 1011, und Müncbener med. WocheuBchr., 1904, pag. 1126.
Puerperalfieber.
58^
Die Erkenntnis »Kindbetttieber ist Wundfieber« führte logischerweise
zu der Forderung;, die puerperale Infektion sowie jede andere chirurgische
durch ein chirurgisches Verfahren , d. h. operativ, zu behandeln.
B. S. ScHi'LTZE '*-) war der erste, der dieses aktive chirurgische Vorgehen
durch eine erfolgreiche supravaginale Amputation eines puerperalen Uteru»
bei fauliger Zersetzung der retinlerten, anderweitig nicht entfernbaren Pla-
zenta und puerperaler Sepsis inaugurierte. Er stellte für ein derartiges Vor-
gehen die Forderung auf. dati im Uterus eine fortwirkende Quelle von In-
fektion erkannt sein müsse, der auf genitalem Wege nicht erfolgreich bei-
zukomuien sei, dalS ferner im Uterus die einzige Quelle toddrohender
Infektion festgestellt sei und daU endlich weiter zentralwärts schon depo-
nierte Herde septischer Infektion, als Thrombosen. Embolien mit Wahrschein-
lichkeit auszutichließen seien. Die Schwierigkeit, besonders der zweiten und
dritten dieser Indikationen zu genügen, war wohl die Ursache, daß erst
lÖ'.U in einem zweiten Falle von Sippel**^) wegen bestehender puerperaler
Sepsis ex indicatione vitali der erkrankte Uteruskörpor entfernt wurde. An
diesem Mangel einer präzisen Indikationsstellung, an der Schwierigkeit der
Entscheidung, ob die Infektion noch auf den Uterus lokalisiert ist oder nicht,
leidet die Hysl^erektomie bei puerperaler Infektion noch heute. Es
ist natürlich untunlich, eine so eingreifende und verantwortungsvolle Ope-
ration nur nach dem Gefühl und subjektivem Ermessen vorzunehmen. Weder
die klinische Beobachtung, noch die Bakteriologie, noch die pathologische
Anatomie sind bis jetzt imstande, die Frage zu entscheiden, ob der Uterus
der alleinige Infektionsherd sei und ob die uterinen Laalonen jeder anderen
lokalen Therapie außer der Hyaterektomie unzugrmglich seien. Pixard ***) konnte
in keinem Falle bei der Autopsie die Indikation für eine Uterusexstirpation
in Form eines auf den Uterus allein beschränkten Prozesses finden, und
auch Kt'STNER ^*^) hatte bisher noch nie Gelegenheit, die Indikation zur
Hysterektomie wegen einer Puerperalfiebererkrankung zu stellen und hat
kaum einen Fall auf dem Obduktionstische gesehen, welchen nicht operiert
zu haben er bereut hätte. Eingehende Diskussionen auf den internationaiea
medizinischen und Qynäkologenkongressen zu Rom (1902) und Madrid (1^03),
an denen sich hervorragende Gyn&kologen und Chirurgen aller Länder be-
teiligten, und ebenso in den verschiedensten gynäkologischen Gesellschaften
vermochten in der Frage keine Einigung herbeizuführen. Während die Ver-
teidiger der Totalexstirpation bei Kindbettfieber, meist amerikanische und
französische Ärzte (Tufkier und Rüchakd**»), Puyiife'*'), ÜEL^rHRz'^"), von
Deutschen Prochownick»"'), Sippel^*») und neuerdings Asch '"^'j-Graden-
W'rTZ>°*), die Operation als ultimum refugium bei den mindestens lO^n dem
Tode sicher verfallenen Frauen und als vollberechtigt, weil in manchen Fällen
lebensrettend, hinstellen, begründet Asch seine »Hadikaloperation«, d.h. neben
der Entfernung des Uterus die Herausnahme der Adnexe, der Parametrien
zugleich mit der Entfernung etwa bestehender pertmetritischer Exsudate,
Abszesse, Schwarten, vereiterter Lymphgefäße wie thrombosiorter Gefäße
damit, daß in Fällen von Saprämie beim Versagen aller anderen chirurgischen
Maßnahmen, aller desinfizierenden Enchetresen die Entfernung des Brutherdes
angezeigt sei, um die stete Quelle abzusperren; doch hat man hier zum
Abwarten Zeit, selten kommt die Exatirpation zu spät. Bei der viel rascher
verlaufenden Septikämie ist trotz der raschen Verbreitung der Streptokokken
In der Blutbahn und Schaffung neuer Herde die Entfernung des primär in-
fizierten Organes nicht aussichtslos, da — nach Analogie mit den Gono-
kokkenmotastasen in den Gelenken, die oft erst nach gründlicher Be-
handlung der Gcnftalinfektion ausheilen — alsdann der Organismus der
emboliscben Prozesse Herr werden kann, wenn nur nicht von der erstbe-
fallenen Brutstätte mit ihren gOnstigsten Chancen für die Entwicklung der
540
Puerperalfieber.
Streptokokken stets neue Angrifle erfolgen. Fflr die F&lle von Thrombo-
phlebitis (P.vfiniiej endlich will sich Asch nicht mit der alsbald zu erwäh-
nenden TKEXDKi.KNBi'Rdschen Operation der Resektion bzw. Unterbindung der
thrombosierten Venen begrnügen, sondern auch hier radikal vorf^ehen aod
jede mögliche Quelle erneuter Infektion, also Uterus und Adnexe, naitent-
fernen. Auch den Einwand Br&iMS, daß die Entferaang des Uterus hei
Streptokokkeninfektion desselben nur selten Rrfoljr habe, weil bei der Ope-
ration die hi>chviru]pnton Keime in die frisch gesetzten Wunden eingeimpft
werden und die Patienten meist rasch an Pelviperitonitis oder an septischer
Phlegmone der Parametrien zugrunde gehen, sucht Ascu dadurch zu ent-
kräften, daU er durch technische MaBnahmen (Operieren mit dem QtQheisen.
nachfolgende antiseptische Dfainage, meist abdominales Vorgehen mit Schau
der noch nicht infizierten Abdorainalorgane durch dichte Sen*ieiteni da«
neu verwundete Gewebe vor Infektion zu schätzen sucht. Von 10 nach diesen
Grundsätzen operierten Frauen starben 3.
Dem gegenüber weisen die Gegner der Hysterektomie, und zwar die
meisten auf Grund eigener ausgedehnter Erfahrungen: Pi.VAKD'^ii), TissiKR'^*'t
BoLDT'**) (ein froherer Verteidiger), Grandin'**), Trkub*^'*) und in seltener
Übereinstimmung die deutscheu Kliniker (Bumm*^**), Kbhling*), KCstner (l.c),
Leopold*'«, v. Rosthorx'^^), Martin-'" ), Pfannrnstikl'"), Hofmeibr »'*"') u. a.)
in erster Reihe auf die Unmöglichkeit hin, bei septischer wie bei pyämiscber
Infektion mit unseren derzeitigen klinischen Methoden den richtigen Zeitpunkt
zur Operation zu wählen. Um nützlich zu sein, müßte bei Sepsis diese
Operation fröhzeitig, bei den ersten Anzeichen einer AUgemelninfektion. aus-
geführt werden: dann worden aber der Operation viele Fälle anheimfallen,
die spontan und oft ganz plötzlich in Genesung übergehen. Wartet und
beobachtet man aber längere Zeit den Krankheitsprozeb. wie dies als Grund-
lage fQr eine rlcbti}<e IndikationHsteltung erforderlich ist^ oder versucht man
zunächst — wie dies angeraten wird — allerlei konservative, nntiseptische
Maßnahmen und entschließt sich erst bei deren Erfolglosigkeit und bei
stetig zunehmender Verschlimmerung des Zustande» zur Operation, dann
kommt man regelmäßig zu spat, indem der Prozeß längst nicht mehr
lokalisiert ist. Sehr treffend sagt Tissier (L c.) — wie dies DuufcRis von
der Curettage getan - von der Hyaterektomie: »Sie geht hinter dem
Feinde her. entfernt ein Organ, das ihm als Eingangspforte gedient hat,
das aber längst überschritten ist.« Die Schwierigkeit der Prognose und die
Unmöglichkeit einer FrQhdiagnose stehen einer Erfolg versprechenden Früh-
Operation im Wege. Aber selbst wenn man bei Pyämie, bei der man
übrigens nicht selten Spontanheilung beobachtet, den ursprünglichen Infek-
tionsherd, den Uterus oder (nach Ascii) »radikal« auch die Tuben, Ovarien
samt Parametrien oder alle zusammen entfernt, bevor noch eine Allgemein-
infektion nachweisbar ist, so bleibt immer noch die Möglichkeit, daß meta-
stattsche Thrombosen, versteckte Herde Im Lig, latum. retrocoecal usw. die
Vergiftung des Organismua unterhalten. Die Indikationen, welche die Ver-
fechter der Operation aus den klinischen Symptomen herleiten, sind sämt-
lich unhaltbar; Weder die Frequenz des Pulses, noch das Verhalten der
Temperatur oder das gegenseitige Verhalten beider, noch der Allgemein*
zustand, noch die Subinvolution des Uterus (langes Offenbleiben des inneren
Muttermundes), noch endlich graugelber oder speckiger Belag um den
äußeren Muttermund herum geben genügenden Anhalt.
Ebensowenig kann die bakteriologische Blutuntersuchung, der Nach-
weis der Anwesenheit oder des Fehlens der Streptokokken im Blut einen
Fingerzeig für die Schwere des Falles abgeben, da viele Fälle sowohl bei
Fuerperalinfektion als auch bei anderen infektiösen Krankheiten in Genesung
Übergehen, trotzdem Streptokokken im Blute gefunden wurden, während
Puerpe ral lieber.
541
I
andere zugrunde gehen, ohne daU ein solcher Nachweis möglich geweaen
wäre. Etwas besseren Aufschloß kann man vielleicht von der leukozytären
Formel des Blutes erwarten, insoFem eine mäßige Polynukleose und deut-
liche Eosinophilie auf eine gewisse Widerstandskraft und eine zu erwartende
heilsame Reaktion des Organismus hinweist, während eine sich bis zu 25.000
und mehr erhebende Leukozytose bei FortbeHtand einer Polynukleose von
90°/o oder einem fortschreitenden Ansteigen der polynukleären Kurve, an-
haltendos Verschwinden der Eosinophilen und Fehlen der Basophilen auf
einen schlechten Ausgang der Krankheit hinweisen (Cristkanc'^^^j^Lbmoixk'*^),
Cauton*'^), MorcHOTTE"'); durch eine Operation und durch die mit ihr ver-
bundene allgemeine Schwächung und den Shock konnte also der tödliche
Ausgang nur bchchleunigt werden.
Noch weniger stichhaltig sind die aus der bakteriologischen Unter-
suchung der Uterussekrete hergeleiteten Indikationen, da es sich nicht
immer um dieselbe Mikrobenart handelt, auch die Virulenz derselben eine
wechselnde Ist und wahrscheinlich durch die Symbiose mehrerer Bakterien-
arten gegenseitig gesteigert wird. Rechnet man dazu die hohe Mortalität
der Operation (Cristeani: 76'5'Vo^ Fehling 55-7'*/y) ««egentlber der allerdings
sehr schwankenden allgemeinen Mortalität beim Puerperalfieber (50^0 bei
OsTERi-OH, 18% bei Fehlin«), so erscheint der Ausspruch Pfanven.stikls
(Monatschr. f. Gebh. o. fiyn., XVIl^ pag. 700) verständlich und gerechtfertigt,
daß er noch niemals eine Indikation finden konnte, wegen puerperaler In-
fektton den Uterus zu exstirpieren, und daß er diesen Eingriff bei eigent-
licher Infektion fOr nutzlos^ ia geradezu für gefährlich durch Schädigung
der Wehrkraft des Organismus gegen die Infektion hält.
Nur Qber gewisse Ausnahmefälle als zulässige Indikationen
zur Hysterektoniie bei Puerperalinfektionen hat man sich geeinigt:
In erster Reihe dort^ wo tatsächlich der Uterus anhaltend der einzige Herd
der Infektion ist, also bei Saprämie durch Retention verjauchter Massen im
Uterus (faulender Nachgeburt»- oder Kiteile, wie in den Fällen von SiHin.TZE
und Sippel), deren Ausräumung aus irgend einem Grunde auf dem gewöhn-
lichen Wege nicht gelingt, oder Anwesenheit jauchender Neubildungen der
puerperalen Gebärmutter [Karzinom, Myom), deren radikale Entfernung
samt dem Uterus an und für sich schon erforderlich ist; ferner noch bei
ausgedehnter Uterusruptur, Gangrän des Invertierten oder prolabierten Or-
gans Qiid bei Blasenmole, wenn ihre gründliche Enfernung unmöglich ist.
Indc>ssen auch diese Indikationen sind gegenüber der heutigen ver-
besserten Technik nicht mehr ganz haltbar. Sofern es sich um die Retention
unerreichbarer« oder in Fäulnis übergegangener Plazenten oder Nachgoburts-
teile handplt, wird man in der Hegel durch den engen Zervixkanat hindurch
die Nachgeburt Instrumenten in Stücken entfernen können, und wo dies
nicht möglich ist, wird vor der Totalexstirpation des Uterus erst noch der
V^ersuch angezeigt sein, die Ausräumung in der Weise zu bewerkstelligen,
daß man nach Eröffnung des vorderen Scheidengewölbes die Blase von der
Zervix ablöst und durch eine mediane Spaltung der vorderen Zervixwand
bis In das Kavum hinein einen breiten Zugang zu den retinierten Teilen
herstellt (Fkanxknstikl, I.e.). Dasselbe Verfahren (Koipo Hysterotomie nach
DCHRäSKN und Hpmm) ist auch zur Entfernung submukitser verjauchter Uterus-
myume, die auf dem gewohnlichen Wege nicht erreichbar oder nicht in toto
entfernbar sind, zu versuchen.
Ein Streitobjekt unter den Indikationen für die Hysterektomie bildet
noch die übrigens ziemlich seltene Komplikation der puerperalen Infektion
der Metritia dissecans (puerperale Uterusgangrän nach Beck-
MAN\'«*) und des Uterusabszesses. Auch hier wird von den Vertretern der
exspektativen^ konservativen Richtung betont, daß das Symptomenbild zu
^43
Puerperalfieber.
wenig charakteristisch sei, um eine sichere Dia^ose und exakte Indikations-
Stellung zu erlauben, und daii es durch die spontane Abstoßung der nekro-
tischen Sequester überwieg^end häufig zu einem günstigen Ausgange komme
(FSlle von Gottschalk'***) und Doschkekwitsch'"«), erhärten die Anhänger
eines aktiven, chirurgischen Vorgehens die Berechtigung desselben durch
eine Anzahl guter Erfolge in Fällen von schwerer, sonst sicher letal ver-
laufener Sepsis (Dröse*«^) ans der Dresdener Klinik, Monzik»«^), Liep-
MANN»*"») aus BuMMS Klinik, v. zrR Mühlen '^''), Maygrieri^»), Hirst"").
ViNEHERG'T») und V. Franquö''«), gje erklären das Abwarten, bis der
nekrotische Sequester der Uteruswand ausgestoßen oder ein Abszeß sich in
<]a8 Kavum entleert hat, für unsicher und gefährlich; es komme viel häufiger
als zur Spontanheilung zur allgemeinen Sepsis oder durch Durchbrucb in
die freie Bauchhöhle (Fälle von Saxingkr und S.vnxoxi . s. v. Franqv6, 1 c.
pag. 446/47) zur septischen Peritonitis. Auch sei es richtiger, bei tief-
greifender Uterusgangrän, die oft durch infizierende Verletzungen bei Ein-
leitung des Abortus (criminatis) oder intra partum entstehe, durch ganze
oder teilweise Kntfprnung des Organs reine Wundverhältnisse zu schaffen,
als die sehr zweifelhafte Demarkation abzuwarten. Ans diesen Erwägungen
rät V. Franqu^ entgegen älteren Anschauungen, größere Uterusabszesse,
sofern sie Oberhaupt diagnostiziert werden können, zu operieren, und zwar
per laparotomiam. Sie altein schafft bei der Unsicherheit der Diagnose die
nötige vollkommene Übersicht, sie gestattet, genau den Sitz des Eiters
festzustellen und danach sein Handeln einzurichten, sie ermöglicht es in-
folgedessen, unter Umständen auch konservativ zu verfahren und. wenn sich
nach Kröffnung der Bauchhohle ein isolierter Abszeß des Uteras bei ge-
sunden Adnexen beider oder wenigstens einer Seite zeigt, durch die par-
tielle Hystorektomie (TRPA'n'"). Niible^^**), Hirst, Vixeberg : Exzision
■des ganzen Herder Atzen der Wunde mit konzentrierter Karbolsäure, Tam-
ponade der Höhle mit Jodoformgaze und Drainage nach außen) der Patientin
die Konzeptionsfähigkeit zu erhalten. Ist dagegen die Exstirpation der beider-
seitigen Adnexe erforderlich oder sind multiple Abszesse in der Uteruswand,
dann ist die abdominale Ralikaloperation bzw. die aupravaginale Amputation
mit nach folgender Drainage der Bauchhöhle am Platze.
Genau dieselben Erwägungen sprechen bei der Wahl der Operations-
methode bei der Entfernung nicht bloß des gangränösen, sondern Oberhaupt des
septisch infizierten puerperalen Uterus für den abdominalen und gegen den
vaginalen Weg. Bei aller Anerkennung der Vorteile, die die Möglichkeit der
glatten Durchführung einer vaginalen Uterusexstirpation in wenigen Minuten
und die dadurch erzielte Herabminderung der Shockgefahr bietet, wiegen
sie doch nicht den nur durch die abdominale Laparotomie zu erzielenden
Überblick über die gesamten Beckenorgane auf und das nur auf diesem
Wege zu erreichende Urteil über die Ausdehnung der entzündlichen Ver-
änderungen auf die Adnexe, Parametrien, über Thrombosen der Beckenvenen.
Adhäsionen der verschiedenen Organe untereinander und mit dem Darm
und Netz sowie über etwaige Erkrankungen des Proc. vermiformis, die
seine Mitentfernung erforderlich machen. Sehr lehrreich ist in dieser Be-
ziehung der von Mai*t£ beobachtete Fall von Appendizitis und Puerperal-
infektion, wo am 18. Tage des Wochenbettes durch Tuffier eine vaginale
Totalexstirpation gemacht wurde, das Wochenbettfieber aber weiterging und
erst auf dem Obduktionstische die Quelle der Infektion in einer primären
Appendizitis erkannt wurde, die bei abdomin.tler Laparotomie nicht wohl za
{Ibersehen gewesen wäre.
Die chirurgische Behandlung der diffusen eitrigen puer-
peralen Peritonitis durch die Cueliotomie wurde nach dem Vor-
g&nge von ßouiLLY und Kokte 1891) von v. Winckel*'') wieder angeregt.
Puerperalfieber.
549
Wenn er und andere auch die breite Eröffnung:, eine sorgfältige Peritoneal-
toilette und Drainage der Bauchhöhle, sei es von der vorderen Bauchwand
oder vom Doug:las aus, sei es ohne oder mit g:leichzeitiger Entfernung des
erkrankten Uterus und seiner Adnexe (Boldt»''* ^ ^^8) als in ihren Fällen
lebensrettend bezeichneten^ so überwogen doch in zahlreichen anderen Fällen
die Mißerfolge ganis bedeutend.
Einerseits ist in den meisten Fällen durch die Resorption grdUerer
Eitermengen, wie sie sich bei der dilfuaen puerperalen Peritonitis finden,
bereits Eiterintoxikation des Organismus eingetreten . dem derselbe trotz
der Entleerung des Eiters nachträglich noch erliegt; andrerseits ist es bei
dieser Erkrankung, wo es sich um eine diffuse Dnrchwucherung der Lymph-
gefäße des Bauchfelles mit Streptokokken handelt und in einem durch
Eitergift geschädigten Organismus sehr wahrscheinlich, daß die durch die
Operation nicht vernichteten Mikroben ihre Fähigkeit zu aktivtjr Vermeh-
rung veiter entfalten und, soweit es nicht schon zur Allgemeininfektiun auf
dem Wege der Lymphbahnen gekommen ist, dieselbe bald herbeiführen. In
der Tat gingen die meisten wegen diffuser eitriger Peritonitis operierten
Wöchnerinnen kurze Zeit nach dem Eingriff unter d* m Bilde entweder der
Toxämie oder einer fortgesetzten diffusen phlegmonösen Entzündung des
Bauchfelles zugrunde, so daß man heutzutage ziemlich übereinstimmend von
einer chirurgischen Behandlung der diffusen septischen PeritonItfH absiebt
und nur bereits abgegrenzte Eiterhöhjen inzidiert und drainiert. Vielleicht
wird es gelingen, durch eine Kombination des chirurgischen Eingriffes mit
der Anwendung eines wirksamen Antistreptokokkenserums der weiteren
Vermehrung der Mikroben Einhalt zu tun und die Schutzkräfte des Orga-
nismus derart anzuregen, daß er der Resorption der zugrunde gegangenen
Bakterien und Zellen gewachsen ist.
Rationeller und aussichtsvoller ist die aktive Behandlung der
Pyämie durch Venenresektion. Da die puerperale sowie jede andere
Pyämie immer von zunächst ganz lokalen Veränderungen, von einer septi-
schen Thrombose der Venen in der nächsten Nähe der Wunde, also hier
der puerperalen Uteruswunde, ausgeht und da sie nur durch kontinuierliche
Fortpflanzung der Thrombose und durch wiederholte Verschleppung von ab-
gelösten ThrombusstQcken durch den Blutatrom, und zwar auf dem Wege
der abführenden größeren Venen zur tödlichen AUgenieinkrankheit wird, so
lag der, Gedanke nahe, die Krankheit durch mechanische Beseitigung der
primären Thrombose und durch Absperrung der ableitenden Venenstamme
zu kupieren. Aus dieser Erwägung und gestützt^ auf Sektionsbefunde ver-
suchte zuerst (181)6) W. A. Frkitnd i^^) in zwei Fällen die Pyämie durch
Exzision ausschließlich der Vena spermatica und Entfernung des erkrankten
Lig. latum von der Peritonealhöhle aus anzugreifen, jedoch beide Male ohne
Erfolg. Einmal reichte die Thromboso bereits in die Vena cava und in dem
anderen Falle fand sich gegen die Voraussetzung schon der ganze mittlere
und untere Venenbezirk am Uterus thrombosiert.
Einen gleichen Mißerfolg hatte Bumm '»o) in 3 Fällen durch Unterbin-
dung nur der Spermatica. Theoretisch hatte Sihpkl^*') schon 1894 vorge-
schlagen, bei Thrombophlebitis purulenta puerperalis die Uterusexstirpation
nnter gleichzeitiger Resektion der Ven. spermatica interna und uterina vor-
zunehmen. Die Vena hypogastrica war für beide ein Noli me längere und
doch spielt sie — wie di^ Zusammenstellungen Trentielenblirgb und Ne-
BPXS^'^^) aus den Obduktionsprotokollen des Leipziger pathol. Institutes be-
weisen — bei der puerperalen Pyämie eine noch wichtigere Rolle als die
Spermatica. Dies und die glänzenden Erfolge der Ausräumung der Thromben
aas dem Sinus transversus und der Unterbindung der Vena jugularis in-
terna bei der pyämischen Thrombose des Sinaa infolge von eitriger Otitis
544
Puerperalfieber.
(Zaufal, 1884) führten Trkndelknbl'rq i^*) 1^02 dazu, in analofcer Weise
zunächst die Hypogantrica der nachweiBlich erkrankten Seite und — wenn
notig: — alsdann auch die Spermatica zu unterbinden und in etwas
frischeren Fällen die Thromben, soweit dieses möglich, auszuräumen, in
älteren dagegen wegen der Gefahr der Infektion und der Blutung sich auf
die Unterbindung der beiden abführenden großen Venen zu beschränken (n
zweifelhaften Fällen, d. h. solchen, wo sich der Sitz der Erkrankung nicht
mit Sicherheit feststellen läßt oder wo die zweimal so häufige doppelseitige
Thrombose vermutet wird, rät er, zunächst beide Hypogastricae zu unter-
binden and, kommt die Pyämie danach nicht zum Stillstand, die Unterbin-
dung der einen oder anderen Spermatica nachzuholen.
Die Aufsuchung und Unterbiodung der versteckt liegenden Venen-
stämme ist keine leichte. TRt:M}KLKNBi'K<i macht in Beckenhochlagerung den
bekannten Schnitt zur extraperitonealen Unterbindung der Arter. iliaca ex-
terna, etwa einen Daumen breit oberhalb des Ligam. Poupartii und dringt
nach stumpfer Ablösung des Peritoneums von der Fossa iliaca zur Art. und
Vena hypogastrica vor. Durch V'erlängerun^: des Schnittes bis zur 11. Rippe
und weitere Ablösung des Peritoneums in der Richtung auf die Wirbel-
säule gelangt er zu der Spermatica, die vor dem Ureter, ihn im spitzen
Winkel kreuzend, liegt. Das anscheinend sehr eingreifende Verfahren wird
durch die puerperale Schlaffheit der Baucbwand und Leere der Bauchhöhle
bald nach der Geburt wesentlich erleichtert. Sodann wird die Vene ober-
•
halb des Thrombus unterbanden und die Thromben, soweit als möglich,
ausgeräumt. Die Unterbindung der beiden abführenden großen Venen ver-
hindert das Weiterkriechen der Thrombose nach dem Herzen zu und ver-
sperrt den Emboli den Weg nach den Lungen. Damit ist Zeit gewonnen
und die Möglichkeit gegeben, dali die Thromben veröden und die Kokken
absterben, derselbe Vorgang, durch den auch in chronischen Fällen von
Pyämie Spontanheilung eintritt Einen von fünf in dieser Weise durch Un-
terbindung der Hypogastrica operierten und gebeilten Fällen von chronischer
Pyämie — den ersten Fall von puerperaler Pyämie, der durch
Venenunterbindung geheilt ist — stellte Tresdelenburg in der Leip-
ziger medizinischen Gesellschaft am IM. Februar 1902 vor.
Ihm folgte BiiMM '-***'') mit der intraperitonealen Aufsuchung und
Unterbindung (ohne AuTschneiden und Ausräumen) der beiden Sperinatikat-
venen und anschließend der transperitonealen beider Hypogastricae in je
einem Fall von chronischer und akuter Pyämie mit günstigem Oporations-
erfolge ^Sitzung der Berliner Ges. f. Geburtsh. u. Gyn. vom II. Nov. 1904)
und MicHRLs^^*) mit extraperitonealer Freilegung und ausgedehnter Aus-
räumung und Resektion der linken, einen verrauchten Thrombus enthaltenden
Spermatikalvene, gleichfalls mit Ausgang in Heilung. Lenhartz'^^) operierte
in einem Falle ohne Erfolg. Die äußerst geringe Zahl der seitdem nach
dieser Methode operierten Fälle von puerperaler Pyämie hat ihren Grund
nicht bloß in der schwierigen Technik und der Gefahr der Übertragung des
infektiösen Inhalts der Venen auf die Umgebung, die ja durch die bloße
Unterbindung ohne Ausräumung und Hesektion einigermaßen umgangen
werden kann, sondern in der viel größeren Schwierigkeit der richtigen Aus
wähl des Falles und des Zeitpunktes für die Operation. Allerdings wird
sich das Krankheitsbild der thrombophlebitischen oder pyämischen Form
des Wocbenbettfiebers auf Grund des bekannten klinischen Symptomen-
komplexes (wiederholte Schüttelfröste^ starker Abfall und plötzliches steiles
Wied£ransteigen der Temperaturkurve, Neigung zur Bildung von Meta-
stasen in dem subkutanen und intermnskulären Bindegewebe, in den Ge-
lenken, serösen Häuten, Augen. Mangel des Auftretens von Intoxikations-
erscheinungen und der für Thrombosen charakteristischen hoben Pulsfreiiueuz)
Puerperalfieber.
545
unschwer feststellen lassen. Aber einerseits kommen nach Bucuras 'si'^ Un-
tersDchungen auf Grund von 28.758 Gebnrts^eachichten aus der Klinik
Chrobak and nach der Zusammenstellung: von Schergoff i*^^) sehr häufig;
Fälle von Pyämie auch ohne SchQttelfroste vor und andrerseits berechtigt
das Auftreten von mindestens zwei schwereren Schüttelfrösten außer dem
palpatorischen Befund noch nicht zum operativen Vorgehen im Sinne Trev-
DELEKBiiRGs. Es kamen mehr als 2 Schüttelfröste (allerdings nicht häufig
wiederholte, nicht Über bl) nach Bl'cirv nicht nur bei Pyämle, sondern auch
zuweilen bei Septikamie , Para- und Endometritis , Ulcus puerperale sowie
bei Fäulnis retinierter Plazentaresto vor und es gelangten nicht wenige
Fälle von Pyämie mit zahlreichen schweren Schüttelfrösten und mehrfachen
Metastasen (Zwkifkl in der Diskussion zu TRENUKi.ENBrHGs Vortrag und
mehrere eigene Beobachtungen des Verfassers) schließlich doch noch zur
Spontanheilung. Außerdem ist nach den anatomischen Befunden von Gross-
M.XNN die Mischform von Lymphangitis mit Thrombophlpbitis sehr häufig
und dementsprechend das Symptomenbild beider ineinander übergehend und
weniger charakteristisch. Und endlich bestätigt die Angabe desselben Autors,
daß unter 14 Fällen von reiner Thrombophlebitis mit nur einer Ausnahme
außer den betreffenden Venae hypogastricae und spermaticao noch andere
Venen, darunter dreimal die Cava, ebenfalls thrombosiert waren, die auch
intra operationem und hei der folgenden Autopsie mehrfach gemachte Er-
fahrung, daß in der Mehrzahl der Fälle die Venenunterbindung aussichts-
los war. Die von Trendelenburg aulgestellte, an sich bereihtigte Forderung
einer möglichst frühzeitigen Operation nach dem dritten Schüttelfrost ist
nach Zweifel (Diskussion zu Trendelenbirgs Vortrag, MOnchener med.
Wochenschr. , 1902 ^ pag. 638) nicht durchführbar, weil man In so froher
Zeit des Puerperalfiebers noch gar nicht im klaren sein kann , ob es sich
um eine Metrophlebitis oder nicht um kompliKierendo Peritonitis handeln
könne , bei der die Operation auch bei extraperitonealem Vorgehen schäd-
lich wirken würde. Nach 3 Schüttelfrosten können die Kranken noch recht
gut ohne Operation heilen ; es können Wochen zwischen den einzelnen
Frösten liegen, wodurch die Entschließung zu einer Operation eminent er-
schwert wird, weil man sich immer sagen kann, daß vielleicht Schüttelfrost
nicht mehr wiederkehrt. Andrerseits kann — wie dies iilngst v. Hosthors
{Deutsche med. Wochenschr., 1905, pag. 001) gelegentlich einer Obduktion
beobachtete — der Thrombus schon in den ersten Tagen, nach den ersten
Schüttelfrösten bis in die Cava aszendiert und damit der Erfolg selbst einer
Fröhoperation illusorisch geworden sein.
Die zweite große, auch von Zweifel hervorgehobene Schwierigkeit
für die Venenunterbindung liegt darin, diejenige Seite zu bestimmen, in
welcher die infizierte Vene Hegt.
In manchen Fallen ist dies allerdings durch genaue, kombinierte Pal-
pation, durch Abtasten einer auf eine beschränkte Resistenz (Michels, 1. c.)
oder Empfindlichkeit, durch das Bestehen einer einseitigen Phlegmasia alba
dolens oder den Nachweis einer Erkrankung der Tube und des Ovariums
einer Seite bei Abwesenheit peritonitischer Komplikationen möglich, in an-
deren Fällen aber gelingt es trotz sorgfältigster, wiederholter Untersuchungen
selbst in Narkose nicht, wie sich Verf. vor Jahren in Geiueinschalt mit Fiursou
in einem Fall von Metrophlebitis mit Metastasen in der Lunge und Pleura und
]QngBt in einem zweiten analogen mit Metastasen in den Gelenken und im
Bulbus Überzeugt hat, die beide nach mehr als 20 Schüttelfrösten und nach
monatelanger Dauer schließlich ohne Operation zur Heilung kamen. Ange-
sichts dieser schwierigen Indikationsstellung bezüglich der Krankheitsform
und des Zeitpunktes der Operation sowie der gerade bei der puerperalen
Pyämie nicht seltenen Spontanheilung muß man sich bei letalem Ausgange
Enojrclop. Jftlirbach«r. N. F. IT. (XIU.) Vfo
546
Puerperalfieber.
I
fragen, ob es nicht ohne Operation besser gegangen wäre. Bezüglich der
Technik schlägt übrigens Zvvrifki. für Fälle der Ungewißheit über den Sitz
der Venenthrombose vor, die Laparotomie in der Linea alba und dann den
transperitonealen Weg zu wählen , und Bl'mm (1. c.) ist bei seinen beiden
erfolgreich operierten Fällen in dieser Weise vorgegangen.
Aus allen diesen Gründen ist anzunehmen, dal3 die an sich voll-
berechtigte Behandlung der puerperalen Pyämie in Form von Unterbindung
oder Entfernung der frkrankten Venen nach Trend el ex bckg, mit (nach Ascb
und Sippel) oder ohne Totale xstirpation des Uterus bis jetzt nur in Aus-
nahmefällen anwendbar ist und nicht eher eine größere Verwendung in der
Praxis finden wird^ bis die dtagnoBtischen Schwierigkeiten überwunden sein
werden. Vorläufig sind wir noch nicht imstande, die eine abwartende Be-
handlungsweise Bevorzugenden — und das ist derzeit die große Mehrheit
der deutschen Gebartshelfer — und ihre Behauptung, daß bei konser-
vativem Verhalten nicht mehr Wöchnerinnen sterben als bei aktivem,
chirurgischem Vorgehen, durch zahlreiche und unanzweifelbare Heilerfolge
zu widerlegen. Das Hauptgewicht bei der Bekämpfung des Puerperalfiebers
ist nach wie vor auf die Prophylaxe zu legen. Bei ansgebrochener Erkran-
kung sind neben möglichster Ruhelage und raffinierter Ernährung die
Widerstandskräfte des Organismus durch subkutane oder rektale Kochsalz-
eingießungen, durch systematische Anttpyrin- und Nukleindarreichuog,
hydrotherapeutische Mal^nahmen. durch intravenöse Collargolin|ektionen und
durch subkutane Infusion eineti als wirksam und unschädlich erprobten
Antistreptokokkenserums wachzurufen und zu unterstützen.
LEteratur: ') B5a&, UntcrBDCfanngen über die HäofiKkeit dea Todea im WoebeobtiU
in Preußen. Üuitöchr. I. Gebh. q. Gjti-, 1878, Hl, pag. 1. — 'i Edlbbb. Diu Sterblichkeit »im
Kindbett« in Berlin ood in PreuÜen IK17 — 1896. Stuttgart, Furd. Enke, 1900. — =) Ols-
BAU9EN, Di»kuH8ion zu BcMus Vortrag UUlt >Seruinl)C'baDdluag tltts Puerperalüebera« io der
Berliner med. Ge»elUebaIt am lö. Juni 11K)4. Referat in iler MUnchener med. Wocbenficbr,
iy04, pajj. 1127. — ') FKHLiKa, Zur PropbyUixe und Therapie des Pnerperalfiebera. Münchener
med. Woühenschr, 19Ü3, paff. 1409. — ^) Rbömeh, Die Prophylaxe der Wochenbettmorbiditdt
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tu dem Aufsätze von Stichib >Httn(le8toriIißation usw.«. Zeitschr. f. Gebh. u. Gyn., XLVI,
pag. 458. — ') V. ScANzoHi , Über den Wochenbeltverlauf bei präzipitierten Geburten nsw.
Archir I. Gyn., LXIII, pag. 80. — ■)8tichkb, »; Die Bedeutung der Scbeideukeime in der
Gebartshilfe. Zeltäcbr. I. Gebh. u. Gyn., XLIV, pag. 117; b) H&Qdedeainfektion und Wochen-
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teriologie des Genitalkanalea in der Schwangerschaft and im Wochenbett. Stutietiscbei.
SeUi»ttufektion. Graz T902; b) Stadien zur Bakteriologie des Genltalkanales. NaturTorscher-
verBatjimlung in Karlubad 1902. Zeutralbl, I. Gyn., 1902, pag. 1137. — »"j AuLricLü, m) Lehr-
buch d. Gcburtsliilfe. Leipzig 1903; b'> Klin. Beitr. sar Frage von der Entstehung der fieber-
haften Wocbenbetterkraukungen. Zeitschr. t. Gebh. a. Gyn., XL, pag. 390; XLl , pag. 1 and
XLifl, pag. 191 ; c) Die Desinfektion der Hände des Geburtshelfers und Chirurgen. Vols-
MAjnis Sammlung, N. F., >'r. 310/311; dj Bändedesinfeklion. Verhaodl. d. deutj^cben Ges. I.
Gyn., IX, pag. 23&; <>; Aphorinnjen über Pathogenie nnd Prophylaxe des Fiebers im Wochen-
bett. Verhandl. d. Dentachen OeH. f, Gyn,, VIII, pag. 2Gß imd Diskussion zu dem Vortrage
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591; d) Die Verhütung puerperaler Iiifi-ktion. Deutsche Klinik, 1901, Lfg. 7— 9. pa«. 33. —
")BuMM, a) Cber die Beztehungen des Streptokokkus zur pnerperaleu Sepsis. Verhandl. d.
Deutscheu Ges. I, Gyn., 1903, X, pag. öHO; *) Über Ätiologie und Pathogenese des Kindbett-
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MUnchener med.Woehenschr., 1904, pag. 1126. — ^'; Zahqkmbistcb, Klin. Beitr. zor Krage
der WochenbettmorbiditHt. Zeitschr. I. Gebh. n. Gyn., 1902, XLVU, pag. 440. — "tLöHtJtui»
Diskussion über das Wocbenbettfieber. Verhandl. d. Deutschen Ges, f. Gyn., 1899, Vlll,
pag. 408. — "} BtJiTMKR, Quellen und Wege der puerperalen Infektion. Monatscbr. I. Gebh.
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*^) MoHRUAKN, f^ber die Entstehung des Puerperalfiebers auf b&matogcncm Wege. Inang.-
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Puerperalfieber.
547
iperal ntems by diplococcas pnenmooiAe. Ueferat in Fkommkls Jahresbericht, 1903, pag. 923
Bnd DcntAche med. Wochenftchr., 10O5, Nr. 18, pag 726- — **) JuncN, über Pneamokokken*
peritonilU. Archiv f. klin. Chirnrgie, LXX, Helt 1, pag 91. — ■•) AoFtitcHT, Zur Bebandlnng
de« Pu(Tppralfieber8. Thfrap. Monateheltt«, 1901, pag. 222. — ") Fkamz, Zur Bakteriologie dea
Poerpcralliebers. Verbandl. d. Deutscheo Ges. I. Oyn., VIII, pag. 320. — "jDödkhijiin, aj Daa
Scheidcnsckret und seine Bedeutung lUr das Puerperalfieber: />; UuterHUchung Über da;* Vor*
kommen von Spaltpilzen in den Lochien des Uterus und der Vagina getjunder und kranker
Wöehnerinnen. Archiv !. Gyn., 1887, XXXI, pag. 412; c) Die ScheidensekretuntersnebaDgen.
Zentrulbl, f. Gyn., 1894, pag. lU; dj Zur Entstehung und Verhütung des Puerperalfiebers.
Verhandl. d. Deutschen Ge». f. Gyn., X, pag. 563 und Diskussion; e) Über Entstehung, Ver-
broitang und Behandlung de« Pnerperaltiebers. Monatschr. f. Gebh. u. Gyn., XVIII, pag. 480. —
") KiOnio (und Mknoki, a,- Die Bakteriologie Af* weiblichen Genitalkanales. Leipzig 1897;
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»chrill, 19U1. Nr. 1; r) Znr Frage der Selbstinlektion in der Geburtshilfe. Ebenda, 1W2,
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Mlinuhener med. Wochenschr., 1902, pag. 513 tmd Diskussion dazu ebenda, pag. 638. —
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***) BrcuBA. über die Htdeutnng des SthüttelFroates im Wochenbett mit besonderer BerOok-
aichtigung der Pyämie. Monatflchr. f. Gebh. n. Gyn-, XVI, pag. 70.T. — **')8cHKaQofT, Über
die Bedeutung des Schüttellrofltes im Wophenbett. Diss , Berlin 19tU. — *") Gbossvaäb, über
puerperale Metrophlebiti«. Arch. f. Gyn., 1908, LXX, pag. 538. — *•') LcNnj^BTs, Die sep-
tischen Erkrankungen. Notbbaobls spez. Pathologie und Therapie, Wien 1893. III, IV. Teil,
I.Abteil. S.Frmeakel (Breslan),
Pulsus b ige min US, s. Herzarhythmie, pag. 253.
Purj^eUf ein neues AbfQhrmitteL wurde von Vamossy in Budapest
untersucht und von Blum ^) in d&n deutschen Heilachatz eingefQhrt. Che-
misch ist es Dihydroxyphtalophenon , dessen wirksames Prinzip, das Para-
phtalein. aus gereinigtem Fhenolpbtalein hergestellt wird. Es gehört also ebenso
wie das vor 2 Jahren eingeführte Purgatin (s. Encyclop. Jahrb. , N. F.,
III. Jahrg.. pag. 382) zu den Anthrazenderivaten. Die Strulcturtormel des
neuen Körpers weist ebenso wie die des Anthrapurpurins (=: Purgatin]
3 miteinander vorkettete Benzolringe auf.
Purgen. — Pyrenol.
551
OHC
COH
C C C
HÖH
Purgatin
HC
OH
C
/\
HC CH
I I
HC CH
\/
C H H
H I /O— Cv
0 C— C< >COH
/\/ \c-c/^
H H
0
HC C
\/\
C CO Purgen
H
Die Wirkung ist eine angenehme. 02^ erzeugen bei Erwachsenen eine
breiige Stuhlentleerung ohne jede Kolikschroerzen. Eine Rotfärbung des
Urins, wie sie nach Purgatin auftritt, wurde nicht beobachtet. Es sott ihm
jede Reiz Wirkung auf die Niere fehlen. Das Präparat wird in Tabletten zu
O-l ^ fflr Erwachsene und zu 005^ für Kinder (BabypurgenJ in den
Handel gebracht. Außerdem gibt es zur Erzeugung einer drastischen Wir-
kung »für bettlägerige Kranke« Tabletten zu 0 6 g.
Von therapeutischen Berichten über dieses Mittel Hegt bisher nur
noch eine Mitteilung von Oundhum >) vor. Derselbe empfiehlt es als leichtes
und zuverlässiges Abführmittel. Es ist nach ihm wahrscheinlich, daB Pnrgen
nnresorbiert den Ktirper verläßt.
Literatur: ') K. Ülvh, Thrrap. Monatib., SL'pteiuber UX>4, pag. 468- — ') Gumdhuu,
Wiener klin. KundKcliau, 1904, Nr. 36. Kionk».
Pyreuol« Diese Vereinigung von Benzoesäure, Salizylsäure und
Thymol als Natronsalz hat sich auch fernerhin bewährt, besonders in der
Behandlung des Asthma bronchiale und des Keuchhustens. Aber auch sonst
soll es Komplikationen von selten der Lunge verhindern, die Expektoration
erleichtern, z. H. bei Bronchialkatarrh. Ebenso entfaltet es einen sedativen
Einfluß bei Angina pectoris. Auch bei Phthisikern kann Pyrenol angewandt
werden, doch tut man gut, es bei drohender Hämoptoe zu vermeiden. Maa
gibt es in Tablettenform oder zu 10 g in kaltem Wasser gelöst, Kindern
nach der Formel: So!. Pyrenoli 30 : lOOO, Sir. Ruh. Id. 20*0. M. D. S. zwei-
bis sechsmal einen Teelöffel.
Literatur: F. BritriiAMu, Pyrenol bei Herxnearosen. Die Therapie der Gegenwart,
April 190Ö, pag. I8l>. — Lobb, Berliner klin. Wochenschr, 1904. Nr. 41. — Lkwitt, Pyrenol.
Tberap. Monattih., Jan! IDOl, pag. 306. — Lewitt, Pyrenol. Therapie der Gegenwart, Febniar
1905, pag. 89. £. rny.
Q-
Quecksllberjodid-Jodfeallumlösnnsf bei Syphilis empfiehlt
Penzold. Er sah in vielen Fftllen diese Kombination rascher und energisdier
wirken als Jodkalium oder Merkar allein, hauptsächlich bei ^mmösen Pro-
zessen der Haut und der Schleimh&ute. Nebenwirkungen sind bis auf leichte
Magen-Dartn Störungen nicht vorgekommen. Pbnzold verordnet grewöhnlich:
Hydrargyr. bijodat. 0*2, Kai jodat. 100, Aq. dest. 3000 M. D. S. 3mal tfiglieh
ein EßlSffel.
Literatur: F. Pemzold, QaeckBilbeijodid-JodkaliainlOsaDg bei Syphilis. Die Tlierapie
der Gegenwart, Januar 1905, pag. 23. B. Fnj.
QueckSilberwlrkuns^. Die Wirkung des Quecksilbers wird von
Schade ^) auf seine Fähigkeit, die Oxydationen katalytisch zu beschleunigen,
zurflck^fflhrt. Diese sauerstoffObertra^rende Kraft kommt, wie Schadb zeigen
konnte, nicht bloß dem Quecksilber, sondern auch dem Eisen, Mangan, Kupfer,
Aluminium, Platin, Gold, Silber zu. Bei dieser katalytischen Wirkung kommt
es nicht so sehr auf die Menge als auf die Oberfläche an, daher können
sehr geringe Massen genügen, eine Wirkung zu entfalten. Dieselbe Sauer-
stoff Übertragung, beobachtet an der Blaufärbung eines Quajaktinktur-
Terpentingemisches, tritt auch bei Verwendung von Quecksilberalbuminat
auf. Deshalb glaubt der Verfasser, die Wirkung des Quecksilbers im Orga-
nismus sei z. B. in therapeutischer und toxischer Hinsicht eine ähnliche.
Literatur; Scru>i, Die elektrokatalytische Kraft der Metalle. Leipzig, Vogel, 1904.
— ScHADR, Über die Metall- und Jodionenkatalyse. £in Beitrag zur ErUämng der 8Ube^,
Eiaeo-, Quecksilber- and Jodtherapie. Zeitschr. f. exp. Patliol. a. Therap., März 1900, Bd. I,
pag. 603. — Vgl. aach £. von DfjiuHo, Über QaeckBilberwirknng. Httnoheser med. Wochea-
Bchrift, 190Ö, Nr. 11, pag. 489. B. rrty.
Vgl. auch den Artikel »Syphilis«.
R
Radium Sir atilen. Die im vorigen Band der Encyclopädischen
Jahrbflcher niedergelegten Krfahpangen wurden seitdiem immer wieder be-
stÄtigt, weniger vermehrt; die Versuche, die Kmanatlon für die The-
rapie nutzbar zu machen, beanspruchen wf)hl in erster Linie die Aufmerk-
samkeit de« Praktikers insofern ^ als es möglich ist, die Anwendungaweise
der Emanation den verschiedensten Verhältnissen anzupassen. Diese ist ein
radioaktives Gas^ das vom Radium beständig abgeschieden wird. Sie wird
von vielen Körpern, am besten in eiuem geschlossenen Luftraum, angezogen
und verleiht ihnen dann sogenannte induzierte Hadioalctivität. welche aller-
dings leicht verfliegt. . Poröse ivörper, wie Watte und Pulver, können be-
sonders leicht und für verhäJtnismäßig lange Zeit aktiviert werden.
Destilliert man eine Losung von Radium in Wasser, so erhftlt man
das Radium unversehrt zurück und das Destillat besitzt starke Radioakti-
vität. Die Aktivierung der Körper wird noch beschleunigt, wenn man die
Luft des abgeschloHHenen Raumes etwa durch einen Qummiballon kräftig
hin und her bewegt Soll die induzierte Aktivität eines Körpers längere Zeit
erhalten bleiben, so muß man ihn in einem hermetisch verschlossenen Raum,
etwa einem zugeschmolzenen Gasrohr, aufbewahren. Watte behält so ihre
Emanation 3 — 4 Tage. Flüsaiffkeiten aller Art lassen sich auch durch Ein-
tauchen der bekannten Radiumkapsetn aktivieren, wobei man den V^organg
durch Ultraviolettbestrahlungen oder durch Entladungen hochgespannter
Ströme beschleunigen kann. Ein anderes Verfahren, Lösungen zu aktivieren,
besteht darin, daß man aktivierte Watte in sie hineinbringt, wobei die Ema-
nation schnell in die Lösungen übergeht.
Wir verfügen also über eine Reihe Methoden, sowohl Lösungen wie
festen Substanzen Radioaktivität zu induzieren — Methoden, die von Londoic,
BorcH-ARD, Curie, Balthazerd, Grke.v, Brainstein, Trahy u.a.') ausgebaut
wurden. An dieser Stelle sei nebenbei erwähnt, daß auch ganze Tiere und
Mikroorganismen auf dem eben angegebenen Wege die Emanation aufnehmen
und daß Haare diese besonders festhalten.
Bevor man an eine therapeutische Verwertung der Emanation
ging, hatte man sich überzeugt, daß sich ihre Strahlung im wesentlichen
wie diejenige des Radiums selbst verhält. Die meisten therapeutischen Ver-
suche hat bisher Br vrxsTEiN angestellt. Er spritzte radioaktiviertes Wasser
in Tumoren und gab aktiviertes ßismutum subcitricum per os für Carci-
noma ventriculi etc. oder puderte es auf die zugänglichen Tumoren. Abge-
sehen von vorübergehenden ziehenden Schmerzen und Brennen, traten keine
Nebenerscheinungen auf. Der Erfolg war, soweit man bisher urteilen kann,
ein günstiger, v. Pi>f,hl hat mit v. Takchakofk*) seine Organpräparate (Mami-
Dum, HopLitinum etc.) sowohl im festen Zustand als auch in Lösung akti-
viert, sich davon überzeugt, daß sie selbst dadurch nicht zersetzt werden,
und dann klinische Versuche begonnen.
554
Radiumstrahlen.
fc
Seit HiMSTEOT wissen wir, daß in zahlreichen Thermalwässern die
Emanation enthalten ist> die aber natOrlich schnell nach Entnahme des
Wassers verschwindet. Nach Bbrgklk und Bickei/-) hemmen nun die frischen
Brunnen die peptische Eiweißverdauung: erheblich weniger als das Wasser,
das schon längere Zeit die Quelle verlassen hat, durch künstliche Aktivie-
rnne: kann aber dann der hemmende Einfluß g:emindert, ja in das Gegenteil
verkehrt werden. Die Versuche wurden mit dem Wiesbadener Kochbranneo
angfestoUt. Rosrnfeld^) stellte fest^ daß die Moorerden von Karlsbad und
Franzensbad im Gegensat;; zu den Thermaltjuellen und ihren Sedimenten keiae
Radiumstrablen aussenden. Diese Tatsache ist besonders deswegen von
Interesse, weil sich der vulkanische Schlamm Fang:o stark radioaktiv verh<.
Von Thermen^), die nach den neuesten Untersuchunjren Strahlen aus-
senden, seien g:enannt die in Baden-Baden. Franzensbad, Nauheim, Karlsbad.
Kreuznach, Wiesbaden.
Es hat nicht an BemUhung^en gefehlt, die Substanz des Radium selbst,
die fast ausschließlich in Kapseln mit kleiner Ausstrahlungsfläche ver-
schlossen wird, in brauchbarere Anwondungsformon zu bringen. Damit die
Wirkung des Radiums nicht allzulange auf sich warten läßt^ müssen wir es
wegen der geringen Kraft seiner Strahlung ganz nahe auf die zu beeinflussen-
den Stellen bringen. Die Kapsel bestrahlt daher immer nur ein sehr kleines
Feld. Bei ausgebreitetem Hautleiden z. B. wird dieser Umstand recht unan-
genehm empfunden , weil er die Behandlung ungebührlich verlängert. Es
wurde deswegen das Radium feiner als bisher über eine größere F*lfiche
verteilt, in Form eines Pflasters gebracht, das mehrere Qoadratzentimeter
groß ist. Blaschk(j ^) hat in einigen Fällen (Psoriasis, Lupus) gute Erfolge
damit erzielt.
Mit Radium gelingt es in relativ einfacher Weise, kleine Kankroide
und Lupuaherde auch an ungünstig gelegenen Stellen (Augenwinkel
Schleimhaut etc.) zur Heilung zu bringen. Auch bei vielen noch nicht ge-
nannten Hautkrankheiten (Akne, Keloide, Naevi) hat man Gutes von der
Wirkung des Radiums gesehen. KarzinomatÖse Geschwüre worden auch in
inoperablen Füllen günstfg beeinflußt. Wenn die Geschwüre ausgebreit-et
sind, so verdient die Rr>ntgenbehandlung den Vorzag vor der Kadiam-
bestrahlung. Es liegen Berichte vor, in denen die Heilung von Kankruiden
durch Radium bereitn über ein Jahr Bestand hielt*), länger konnte bei der
Neuheit der Methode die BeobacbtuiigBzeit nicht dauern.*}
Die Tiefenwirkung der Radiumstrahlen beträgt ca. 1 cm ( Werner
und HiRSt HFEH) '), Plauel^'), Apolaxt»), die Dicke eines Kaninchenohres ab-
sorbiert 50%, die doppelte Dicke 70 — 75**/o der Strahlen. Wir können daher
nicht darauf rechnen, tiefergehende Geschwülste durch Bestrahlung von außen
zu beeinflussen. V^ielleicht liefert aber die Injektion aktivierten Wassers
brauchbare Ergebnisse.
Es werden immer mehr Tatsachen bekannt, die beweisen, daß die
Wirkung der Radi umstrahlen mutatin mutandis derjenigen der Röntge o-
strahlen gleicht. An Tieren, die durch Radiumstrahlen get5tet wurden,
fand Hkineke«) das lymphoide Gewebe in der Milz zerstört. Lont>on hatte
schon bemerkt, daß bei solchen die Milz verkleinert ist. Soudix') brachte an
Meerschweinchen durch Radium von der Haut aus das spezifische Kanälchen-
epithel des Hodens zur Zerstörung. Pi.al'RL^) stellte fest, daß das spezi-
fische Nierengewebe durch Radium schneller beeinflußt wird als die Stütz-
substanz und die Kapillaren. Andere^} beobachteten Störungen der Zellen-
teilung, wie der embryonalen und regenerativen Entwicklungsvorgänge
als Folge der Radiumstrahlung. Zuerst leidet das Nährmaterial der Zellen,
der Dotter« später wird erst die lebendige Eiweißsubstanz in Mitleiden-
schaft gezogen.
Radiumstrahleu. — Rettungsweseo.
555
FOr die Ansicht von Schwarz, daß die Radiumwirkuni^ dadurch zu-
etande komme, daß das im Körper weitverbreitete Lezithin zersetzt werde,
sprechen einifce neue Tatsachen. Es gelingt, durch Injektion bestrahlten
Lezithins dieselben Krscheinuni^en auf der Haat hervorzurufen wie durch
direkte Bestrahlung (Werner^). Das Lezithin scheint dabei lediglich die
Bolle eines SauerstoffQberträgers zu spielen, da andere Saner8toffQbertrfi.ger,
wie ozonisiertes Lezithin, Ölsäure, Terpentin, ähnliche Reaktionen hervor-
rufen. Allerdings fanden Niutukiig und WoHi.^iKMrrn ''), daß frische Substanzen
inklusive Lezithin durch Bestrahlung nicht beeinflußt werden^ dagegen eine
schon begonnene Autolyse dadurch beschleunigt wird. Dieser Befund laßt
sich mit obigen Erklä-rungen in Einklang bringen, da das Lezithin auch in
den lebenden Zellen oft im Beginne einer Zersetzung begriffen sein dürfte.
Literatur: 'j Bodcbabd, CrBiR et Balthazbrd, Wirkongcn rler Emanatioa. Compt rend.
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Retentlouskoagula^ s. Puerperalfieber, pag. 517.
Rettnn^^s^esen* Im Anfange meine» Aufsatzes «Rettunfswesen«
in den »Kncyclnpädischen Jahrbüchern«, Neue Fol^e, I. Hand, habe ich darauf
hingewiesen, daü, wenn es gelänge, in Berlin ein Lokalkomitee als eine
AbteiEun^ des Zentralkomitees für das Hettungswesen in Preuüen zu
Bchaffen, Hoffnung vorhanden sei, daB auch in der Heichshauptstadt ein
einheitliches Rettunf^sweseii hergestellt werde. Wie aus der Einsicht der
Leitsätze und GrundzOge. welche vom Zentralkomitee für das Rettungswesen
in Preußen aufgestellt waren, ersichtlich ist, entsprechen die Grundsätze
des Zentralkomitees im wesentlichen denen der Berliner Rettungsgesellschaft
und dem überwiegenden Teil der Rettungsvereinigungen In Deutschland.
Es sind aber auch die von anderen Körperschaften vertretenen Grundsätze
nach Möglichkeit berücksichtigt worden.
Die drei In Berlin das Rettunß:swesen ausführenden Gesellschaften,
die Sanitätswachen, die UnfallHtationon vom Roten Kreuz und die Rerliner
Rettungsjjfesellsi^haft sind nach vielen Verhandlungen zu dem »Verband für
erste Hilfe« zusammengetreten. Die drei Gesellschaften haben ihre Selb-
ständigkeit vollkommen beibehalten, haben sich aber Aber einzelne Punkte,
welche sie gemeinsam zu betreiben beabsichtigen, geeinigt, so über die An-
kündigung ihrer Hilfsstellen, ferner über das Verhalten bei Masse nunfälleo,
die Regelung des Krankentransportwesens (s. unter Krankentransport) etc.
Sicherlich ist hierdurch ein Schritt vorwärts geschehen, da der Gegensatz
der Goselläcbaften untereinander, besonders der Unfallstationen und der
RettungsgesellKchaft, bisweilen nach außen nicht sehr angenehme Formen
556
Rettnngs^vesen.
angenommen hatte. Um eine größere Gleichmäßigkeit der Einrichtungen
dem Publikum geg^enüber zu schaffen, heißen sämtUche Rettungrswachen des
Verbandes für erste Hilfe >H[IfssteUen« und führen als gemeinschaft.Hcheä
Zeichen das Genfer Kreuz und das Zeichen der Berliner Rettungsgesellflchaftf
einen roten Stern mit schwarzem Bären.
Aus dem Bericht des Zentralkomitees für das Rettungfswesen in
Preußen über den Stand des Kettungs- und Kranken beforderungswesens
wird ersichtlich werden, in welcher Weise in den einzelnen Ortschaften des
Deutschen Reiches die Versorgung Verunglückter und Verletzter organisiert
ist. Das Material, welches in dem Bericht zusammengetragen worden ist, wurde
nach Fragebogen zusammengestellt, welche auf Anregung des Zentralkomitees
für das Rettungswesen in Preußen von den Behörden versendet worden
waren. Der Fragebogen hat folgenden Wortlaut:
L Allgemeines.
für Leistung erster Bille
bei Unfällen ond plötzlicbfn
I
Bestehen besondere Vorkohningen
Erkrankungen?
Sind diette zu ständigen Einrichtnngen znaammcngcfaßt?
Namen dereclben?
Zahl derselben?
Gehört die Einriuhtung (Vereis, OeHellBchalt) irgend einem Verbände (Rotes Krenz. Somz-
riterbund, Feuerwehr etc.j an?
Sind die Einrtcbtnngen behurclliche otler private ?
Wer trägt die KoAten derselben?
Wenn privat, wird von den Beh5rden ein ZoschaB geleistet?
In welcher nöheV
Wieviel Mitglieder hat der Verein > Gesellschaft etc.)?
Wer lUhrt den Vorsitz nnd die Leitung?
Wie hoch tat der Jahresbeitrag?
Ist der Verein rechtaffthig eingetragen?
II. Krankenhäuser.
Zahl derselben?
Sind in dieHen eigene Vorkehrungen für Leietung erster Hllle bei UnCllUen und plützlichco
Erkrankungen vorhanden?
In allen oder nur in einzelnen?
Sind eigene Arzte bierlUr vorbanden oder wird der Beltnngsdieaat mit von den UiUsärzten
versehen ?
Wird aach erste Hille außerhalb des Krankenhauses (anch in EinEeltAllen dringende Be-
sache) geleistet?
Wird die Leistung erster HUIe von den Patienten bezahlt?
Erhalten die Ärzte oder ÄUHtalt^'n das Geld?
Sind eigene Vorkehrnn^ifen (Räume, Personal etc.) zur Aufnahme nnd Bergnog BewDÖtlOKt
(Epileptiker, Alkuboliker) vorhanden?
Wie hoch ist die Inauspruchnahnie der eiuzdnen Krankenhäuser für erste Hilfe im Jahre?
Yf\e hoch seit Beatehen der Anstalt?
III. Besondere Rettungswachen.
Sind eigene Rettungswachen (Sanität^wacheUf -SL'itionen, Unfall- etc.i vorhanden?
Sind dieselben in eigenen KHumen oder In Yerhindnng mit uffentlichen Anstalten iPoliiei,
Fenerwuchcn, Markthallen, Schlachthof, Rathaus etc.) untergebracht?
Ist ständiger ärztlicher Dien«it auf den Wachen selbst?
Oder halten sich die Ärzte zu bestimmter Zeit zu UausCf um nach der Wache geruteji zn
werden ?
Wird der Dienst durch ausgebildete Hilfsmannscbaft (Sanitätsbeamte , Heilgehilfen, Feuer-
wehrleute, Mitglieder von Sanitittskolonneu) auHgeUbt?
Wird die Leistung erster Hilfe vorn Publikum bezahlt?
Sind die Ärzte fest angestellt, oder kGonen sich alle Ärzte am Wachdienst t>eteüigeo?
Zahl der auf jeder Wache Dienst tuenden Ärzte?
Wie findet die Bezahlung der Ärzte statt?
Sind außer den Ärzten andere Personen (Heilgehilfen, Pflegerinnen usw.) auf den Wachen
tütig?
Werden auf den Rettungawachen Pfleger und Pflegerinnen ausgebildet?
Ans wieviel Bftnmen bestehen die Rcttnngswzchen?
^^^■^^^^^^^^^^^ Rettungawesen. 667
Sind tiesonderc Kttamc oder Vorkehmn^en zur Änfnalimti and Bergvog Bewutitlo0«r vor
banden ?
Wieviel Waofaen sind in dem Orte rurlinnden?
Wer bvaaf«ichtif{t den ärztlichen WachdicaKtV
Wer tragt die Kosten tür die ErhaltunR der Wachen?
Wie hoch ist die Inanspruchnahme dt>r R^ttnngBvrachen im Jahre?
Wie hoch seit Bestehen der Einrichtung?
IV. Rettungswesen am Wasser.
Falls in oder bei der Stadt Oewüsser (Flufi, Seen, Meer) vorhanden.
Bind Einrichtungen für WaseerreninglUckte vorhanden?
Wo sind dieselben angebracht?
Wflcher Art sind dieselben?
Sind direkte Anweisungen xur Rettnng Verunglückter dabei?
Sind in Bade- nud Schwimmanstalten besondere Vorkehrungen xnr Bettang VemnglUokter
vorhanden V
Welcher Art sind dieselben?
Ist daü Personal (Schwimmeister , Bademeister^ UcUgehlllen) schwimniknndig und in der
ersten Hilfe besondcrd ausgebildet/
V. Krankentransportwesen.
Ist das Krankentransportwesen von den Behörden (PoIieq! oder Gemeinde) und auf deren
Kosten organisiert?
Sind Krankenwagen mit Pferden bespannt vorhanden oder nur RSderbahren etc.?
Sind die Krankenwagen nnd Plerdt* an denselben Plätzen nntergebraeht?
Werden erst die Pferde zn jedem Transport heslellt?
Sind W.igen und Pferde Eigentum der Behiirden oder nur die Wagen oder nur die Pferde?
Wird der Transport von Privatfahninteruehmero ausgeführt?
Wird fUr den Krankentransport bezahlt?
Wieviel betragen die Kosten fllr AusIUhrang eines Krankentransportes?
Werden auch ansteckende Kranke befördert?
Sind hierfür besondere Wagen vorbanden?
Werden dieselben dei^infiziert und wo?
Sind besonders ausgebildet? Krankenträger vorhanden?
Ist jeder Transport von einem solchen oder einer Pflegerin begleitet?
Haben die Träger beim Transport besondere Kleidung?
Wird diese Kleidnng nach jedem Transport desinfiziert oder nnr nach Transport anstecken-
der Kranker oder gar nicht?
Sind godruekte Aufnabtueschcine mit Namen der Krankheit oder Vorschrift der Art des
Krankentransportes in die Krank^^nbünaer vorhanden?
Besteben besondere Vorscbrüten Idr den Transport ansteckender Kranker?
VI. Samariterunterricht.
Wird Unterricht in der ersten Hilfe erteilt?
Wer erteilt den Unterricht (Arzte, Heilgehilfen, Samariter usw.)?
An wen wird Unterricht erteilt f Beamte der Polizei, Feuerwehr, Elsenbahn, Werkmeister
der Fabriken, Badediener, Schwimmlehrer, Turnlehrer, Scbollehrer, Schlensenmeiater,
Mitglieder von 8portverein(>n , in Fach- und Gewerbeschulen usw.)?
Wieviel Kurse worden im .lahre gehalten?
Wieviel Htonden dauert ein jeder Kursus?
Wieviel Fereoncn nehmen au den Kursen teil?
Wieviel Personen sind bis Jetzt im ganzen ausgebildet?
Haben die Teilnehmer für die Kurse zu bezahlen nnd wieviel?
Erhalten die Kurslehrer fUr Erteilung der Kurse Bezahlung nnd wieviel?
VII. Meldewesen.
In welcher Weise erfolgt die Meldung von Unfällen und Erkrankungen (Femsprecher,
Telegraph, schriftllfsh, dorch Boten) ?
Haben die Kettnngsanstalten und -wachen Femsprcchansobloß an die Stadtleitnng oder
direkte Fernsprechverbindung untereinander nnd mit besonderer Zentralstelle?
Wird die Zahl der in den Krankenhäusern leer stehenden Betten täglich einer Zentralstelle
ge meidet ?
Rettun gswesen.
^
Nach erfolgtem Druck des Berichtes des Zentralkomit'ees lür das Rettungs-
weaen in Preußen wird der weitere Arbeitsplan desselben rüstig weiter be-
trieben werden.
Das Zentralkomitee, zu dessen Mitgliedern das Zentralkomitee der
Preußischen Landesvereine vom Koten Kreuz sowie der Deutsche Samariter-
bund gehören, kann besonders mit dem letzteren bei der Ansfahrun^
seiner Tätii^keit Hand in Hand g;ehen. Eine Vereinigung^ zu einer er-
gänzenden Tätigkeit ist hier sehr wohl möglich. Den zum Deutschen
Samariterbunde goh5rigen Gesellschaften und Vereinigungen obliegt die
praktische Ausführung des Rettungswesens. Das Zentralkomitee ffir das
Rettungswegen in Preußen hat ganz besonders die Aufgabe, die Erfahrungen,
welche die einzetnen Gesellschaften in der Ausfibung ihrer Tätigkeit ge-
winnen, zu sammeln und hiernach für alle übrigen Ortschaften und besonders
ffir das flache Land brauchbare Ratschläge und Grundsätze aufzustellen,
nach welchen die erste Hilfe auszuüben ist.
Wie aus dem Samaritorwesen, d. h. der von Laien in Abwesenheit von
Ärzten ausgeübten ersten Hilfe schließlich das Rettungswesen, d. h. die organi-
sierte Bereitstellung von HiUsleistungen unter ärztlicher Leitung, die erste
ärztliche Hilfe hervorgegangen ist, beweist das Beispiel der RettungsgeseU-
scbaft >Samariterverein zu Leipzig«. Es ist kennzeichnend für die Ver-
hältnisse, welche auf dem großen sozial-humanitären Gebiete jetzt herrschen,
daß der Leipziger Samariterverein, welcher als einer der ersten die von
Friedrith v. Esmakch vorgeschlagenen Gedanken weitertrug, als Zusatz zo
seinem Namen das Wort »Rettungsgesellschaft« gefügt bat. Es soll nicht
verkannt werden, daß in Leipzig dank der unermüdlichen Tätigkeit von
Kahl A^smus zuerst der Samaritergedanke in die Tat umgesetzt und durch
die Einrichtung ständiger Wachen weiter gefördert wurde. Aber andrerseits
ist nicht zu leugnen^ daß den Gedanken für eine Zentralisation des Rettungs-
wesens in einer Stadt zuerst die Berliner Rettungsgesellschaft im
Jahre 1897 verwirklicht hat, indem sie eine Zentrale von gewaltiger Aus-
dehnung schuf, wie sie bis jetzt noch in keiner anderen Stadt der Welt
mit gleicher Tätigkeit vorhanden ist.
Auf dem VII. Deutschen Samaritertage in Kiel 1905, wo Friedrich
V. EsuARCH und Ernst v. Bgkumann anwesend waren, kam zum Bewußt-
sein, dalS auf den Wurzeln des von Esmarcu eingeführten Samaritorwesens
das ärztliche Reitungswesen unter Ägide von Ernst v. Bergmann aufgeblüht
ist. Mit ähnlichen Worten bat der Verfasser bei der Feier des 80. Geburts-
tages Friedrich v. Esmarchs diesem sein Werk »Erste ärztliche Hilfe«
gewidmet.
In vielen deutschen Städten sind mehr oder weniger bedeutende Fort-
schritte in den Einrichtungen des Rettongswesens zu verzeichnen. Ich habe
dieselbe im Handbuch der Krankenversorgung und Krankenpflege (Fürsorge
auf dem Gebiete des Rettungswesens) eingehend dargelegt.
Die bereits erwärmte Zentralisation des Rettungswesens, welche in
ihrer stärksten Form in Österreich-Ungarn auftritt, wo eine einzige >Zentrftl-
sanitätsstation« in den meisten Städten, wo Rettungseinrichtungen vorhanden
sind, besteht, ist jetzt in Wien durchbrochen worden.
Auf dem Samaritertage in Kiel hatte Verfasser Gelegenheit, darzulegen,
daß Zentralisation des Meldewesens und der Verwaltung der Rettungs- und
Krankentrausporteinrichtungen in einer Stadt erforderlich ist, jedoch Dezentra-
lisation der einzelnen Rettungswachen selbst und der Hilfeleistungen. In
Wien ist jetzt vor einigen Monaten eine zweite Rettungsstation er-
richtet und hiermit zum Ausdruck gebracht worden, daß das Vorhanden-
sein einer einzigen Station in einer großen Stadt dem Bedürfnisse des
Publikums auf die Dauer nicht genügen kann. Es ist ja dann erfürderlich, daß
Rettungswesen.
559
bei jeder Inanspruchnahme der Rettungswachen, welche bei einer ^roUeren
Zahl von Stationen zu einem großen Teile innerhalb der Rettungswachen
erfolgen würde, das Personal sich mittelst Wagens an den Bestellungsorb
begeben muß, um den Patienten zu versorgen, weil dieser bei der weiten
Entrernung der einzigen Station in der Stadt gar nicht in der Lage ist,
diese aufzusuchen.
Während dem Rettungswesen auf dem Lande jetzt wohl überall große
Aufmerksamkeit entgegengebracht wird and auch das Rettungsweaen an
den Küsten in vortrefflicher Weise in den meisten Ländern geregelt ist, ist
das gleiche von den H^inrichttingen zur ersten Hilfe fQr Krtnnkende an
Binnenwiissern bisher nicht zu sagen. Die hiervon vorhanrienen Ausnahmen
sind gleichfalls bereits im Handbuch der Krankenveräorgung und Kranken-
pflege beschrieben. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, djxü die EJnnchtungen
zur Rettung Ertrinkender an Binnenwässero einzuteilen sind, je nachdem
sie an Flüssen und Seen. d. h. also offen, oder in geschloaseoen HäumeDi
d. h. in Badeanstalten, bestehen.
In erfreulicher Weise hat sich die Tätigkeit der Rettungsgesell-
schaft der Wassersportvereine von Berlin und Umgebung ausge-
dehnt. Bis Mitte des Jahres 1005 sind durch die Bemühungen der Gesellschaft
43 Menschen aus den Fluten des Müggelsees gerettet worden. In ganz
hervorragender Weise hat auch die Gesellschaft bei ihren KettungsQbungen
gezeigt, in welcher Weise Einrichtungen für erste Hilfe für Ertrinkende an
einem großen Binnensee und besonders unter Benutzung der in den Sports-
booten vorhandenen Gegenstä-nde herzustellen sind. Bei der diesjährigen
Eaiserregatta in Grünau , bei welcher mehrere tausend Menschen an den
Ufern des Sees sich aufhielten, hatte genannte Gesellschaft in besonderer
Weise Vorsorge für die erste Hilfe getroffen, indem ein großes Verbandzelt
mit Betten und allen erforderlichen Gerätschaften am Ufer des Sees aufge-
richtet und ständig mit ärztlichem und Samariter-Personal besetzt war.
Gleichzeitig kreuzte ständig der Rettungsdampfer der Gesellschaft mit einem
Arzt an Bord, während entlang der Ufer und der als Tribünen hergerichteteu
großen Schiffe zahlreiche Mitglieder der freiwilligen Samariter der Gesell-
schaft sich bereit zur ersten Hillsleistung aufhielten. In über 20 Fällen wurde
an den beiden Tagen von der Gesellschaft Hilfe geleistet.
Die Einrichtungen der Gesellschaft haben Anregung zur Begründung von
Stationen an anderen Orten bereits gegeben. So ist jetzt in Hamburg eine
Rettungswache am Haien errichtet worden ^ und auch von einigen anderen
Orten wurden Beschreibungen der Einrichtung der Station erbeten. Unter dem
Namen »Rettungsgesetlschaft für die Gewässer von Spandau und Umgegend«
ist in Spandau eine GeBeltschaft gegründet worden, deren tätige Mitglieder
Mitglieder der Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger im Kriege sind.
Die Satzungen der Gesellschaft, bei deren Begründung auch der Vorstand
der Rettungsgeaellschaft der Wassersportvereine von Berlin und Umgegend
vertreten war, sind den Satzungen der letzteren nachgebildet, und es ist ein
einmütiges Verhältnis zwischen den beiden Gesellschaften hergestellt, indem
die letztere Gesellschaft ihre Wirksamkeit besonders auf Rettung bei Unfällen
auf der Havel sowohl im Sommer als auch im Winter beim Eislauf ausdehnt.
Sehr originell ist die Art und Weise, in welcher die Kleidungsstücke.
mit welchen die Verunglückten in der Rettungsstation am Müggelsee ver-
sehen werden, verpackt sind. Man hat den Grundsatz der Verbandpäckchen
gewählt und wollenes Unterzeug, Beinkleider, ferner Sweater und Havelock
für Männer, Jacke, Hosen und Morgenrock für Fraaen, in Oltuch verpackt,
welches mit einer Papierhülle versehen wurde. Diese ist mit starkem Bind-
faden umhdnden und außen genau mit der betreffenden Bezeichnung »Klei-
dungspäckchen für Männer« oder »für Frauen« versehen.
560
Rettungswesen,
Ea steht wohl zu erwarten, daß die Einrichtungen der Gesellschaft
noch an anderen Stellen unseres Reiches zur Beg:rundanK von Wachen Ver-
anlassung jreben werden.
Außer den genannten Einrichtungen fflr Unfälle an Seen sind Ein-
richtungen zur Hilfe bei Wassersnot, die sogenannten Wasserwehren . und
Einrichtungen für Ertrinkende an Flüssen wichtig. Die Wasserwehren be-
stehen an verschiedenen Orten des Reiches, besonders in Westpreußen und
Schlesien. P^s sind hier uniformierte Kolonnen vorhanden^ deren Angehörige
gleichzeitig Mitglieder der Feuerwehren sind. In Preußen bestehen eigene
Rreiswasserwehren. Die Gesellschaften sind mit allen erforderlichen Rettungs-
einrichtungen, besonders Pontons und anderen Gerätschaften, Haken, Werk-
zeugen etc., versehen.
An den Ufern von Flüssen sind in Stfidten vielfach Kähne. Ringe,
Bälle und dorgleichen befestigt, und fflr ihre Anwendung sind auch häufig
Biechtafelu aufgestellt, welche vom Kieler Samariterverein gestiftet sind.
Es besteht der Plan, auch alle die auf diesem Gebiet vorhandenen Ein-
richtungen zu zentralisieren, was in Anbetracht des noch sehr wenig auf
und an Flüssen ausgebildeten Rettungswesens nur mit Freuden begrüßt
werden kann.
Für die Rettung Ertrinkender tat wichtig die Art und Weise, die Ver-
unglQckten zu erfassen. Es ist ja bekannt, daß der Ertrinkende sich an
seinen Retter anklammert, wo er ihn gerade ergreifen kann, und daß häufig
Verunglückter und Retter zusammen versinken. Die im Jahre 1891 in
London begründete Life Saving Society hat es sich zur besonderen Aufgabe
gemacht, Verfahren zu ersinnen, auf welche Weise es zu erreichen ist,
da(j ein Retter sich einem Ertrinkenden so naht, daß er ihn in möglichst
bequemer Weise erfassen und ans Ufer befördern kann. Diesem >Het*ungs-
schwimmen« hat nnn der Deutsche Samariterbund besondere Aufmerksam-
keit geschenkt. Es soll der von der engliHchen Gesellschaft herausgegebene,
mit Abbildungen verscheno Leitfaden ins Deutsche übersetzt und den interes-
sierten Körperschaften zugängig gemacht werden. Auf diese Weise wird es
hoffentlich gelingen, die Zahl der Fälle von Tod durch Ertrinken, welche
leider sehr häufig sind, zu verringern. Es ist allerdings nicht zu vergessen,
daß das Rettungsschwimmen wohl nur in ruhigem Wasser wird Anwendung
finden können, d. h. nicht auf stürmischem Meere, sondern nur auf und an
Binnenwässern, Flüssen und Seen.
Die Verunglückung im Wasser stellt eine der bedeutendsten und
wichtigsten Ursachen der Bewußtlosigkeit dar, zu deren Bekämpfung eines der
hervorragendsten Mittel die künstliche Atmung ist. Man muß betonen, daß
dieselbe am allerbesten mit den Händen ausgeführt wird, und daß die Aus-
Übung der künstlichen Atmung durch oder mit Unterstützung von Apparaten
erst in zweite Linie zu setzen ist. Hauptsächlich ist hierfür maßgebend der
Grund, daß die Apparate nicht überalt zur Hand sind oder zur Hand sein
können, während mit den Händen jedermann in der Lage ist, die künstliche
Atmung an jedem Orte rationell auszuführen. Ich habe mich besonders be-
müht, auf die Wichtigkeit der Haltung des Körpers des Retters and seiner
Hände hinzuweisen. Besonders bei der künstlichen Atmung nach Syiakstkr
ist es wichtig, einen Wechsel des Handgriffes für die Aus- und Einatmung vor-
zunehmen. Während der am Kopfende des Verunglückten kniende Retter
für die Einatmung die Arme des Verunglückten am Oberarm dicht über
dem Ellbogengelenk so erfaßt , daß seine vier Finger an der Innen-, der
Daumen an der Außenseite des Oberarmes des Verunglückten liegen, maß
bei der Rückführung der Arme der Handgriff gewechselt werden, indem der
Retter seine Hände am Unterarme dicht unterhalb des Ellbogengelenks
des Verunglückten so anlegt, daß seine vier Finger nach außen, der Daumen
Rctt ungs wesen.
561
>•
nach innen am Unterarme liegen. Auf diese Weise ist der Retter imstande,
die Wirkung des Ellbofrcngelenks beim ersten Handgriff auszuschalten und
dadurch allein auf das Schultergclenk sowie die Brust- und Schultermuskeln
einzuwirken. Bei dem zweiten Handgriff hingegen soll durch Erfassen des
Unterarmes unterhalb des Ellbogengelenks erleichtert werden , die Arme
gleichzeitig gegen den Thorax zu drücken und mit den Unterarmen einen
Druck auf den Brustkorb nach unten und hinten auszuüben, was natürlich
nur bei genannten Hamlhaltungen ausführbar ist.
Die V'ersorgung der Bewußtlosen ist besonders in Großst&dten eine
recht schwierige. Nicht nur handelt es sich hier um Bewußtlosigkeit durch
Ertrinken, V'erscbflttung, durch Blitzschlag, Hitzschlag und diejenigen Natur-
gewalten, welche vor mehr als iOO Jahren am meisten auf dem Gebiete
des Rettungswesens eine Rolle spielten, sondern viel häufiger bandelt es
sich ZQ unseren Zeiten für das Rettungsweaen um die Versorgung der
durch Alkohol oder durch andere Vergiftungen sowie durch Epilepsie Bewußt-
losen. Man huldigt noch häufig in Großstädten dem Grundsatze, daß ein
Betrunkener in dem Gewahrsam einer Polizeiwache seinen Rausch ausschlafen
könne. Es haben aber doch die nicht vereinzelt gebliebenen Erfahrungen
gezeigt, daß diese Orte keine Aufenthaltsorte für Bewußtlose sind. Ein Be-
wußtloser, also auch ein durch Alkohol vergifteter Mensch, ist als
ein Kranker im ärztlichen Sinne anzusehen, und Kranke bedürfen, falls sie
keine genügende Verpflegung in anderer Haushaltung haben können, der
Versorgung in eigens hierzu eingerichteten Anstalten. Auch der Betrunkene
muß in eine solche Versorgung kommen, und wenn nicht in Krankenhäusern
genügende Vorkehrungen vorhanden sind, so müssen besondere Käuine
in den Krankenanstalten selbst oder an anderen Orten hierfür
eingerichtet werden. Es ist nicht zu leugnen, daß die Unterbringung
von tobenden Geisteskranken in Krankenanstalten mit vielerlei Unzuträg-
lichkeiten verbunden ist. so daß als bestes Mittel die Unterbringung der
Bewußtlosen in besonderen Überwachungs , Aufnahme- oder Beobachtungs-
stationen oder -wachen zu empfehlen sein dürfte.
In einer solchen Anstalt muß das für den einzelnen Fall erforderliche
Personal vorhanden sein , denn unter Umständen bedarf ein Bewußtloser
einer ständigen eachverständtgen Beobachtung. Nach dieser Richtung wären
also in vielen Städten Neuordnungen erforderlich.
Allerdings ist die Ausführung solcher Einrichtungen mit Kosten ver-
banden und wohl kaum zu erwarten, daß von freiwilligen Körperschaften
durch Mitgliederbeiträge und Wohltätigkeitsfeste genügende Mittel beschafft
werden kennen, um solche und andere Einrichtungen in einer Großstadt
in ausreichender Weise herzustellen. Es ist daher erforderlich, daß die Stadt-
gemeinden überall die freiwilligen Gesellschaften mit so ausreichenden Mitteln
unterstützen, daß sie das Rettungswesen zweckmäßig einrichten können.
Das Vorhandensein der Freiwilligkeit für eine so eminent humane und huma-
nitäre Tätigkeit wie die Leistung der ersten Hilfe ist von hoher Bedeutung
ffir deren Gedeihen. Sicherlich ist es möglich, eine Organisation herzustellen,
bei welcher die Freiwilligkeit der gesamten Einrichtungen erhalten bleibt,
die Stadtverwaltungen aber in genügender Weise die Gesellschatten unter-
stützen und sich auch ausreichenden Einflusses in der Leitung nnd dam
Vorstande der Gesellschaft versichern.
Wohl mit zuerst hat die Berliner Rettungsgesellschaft bekanntlich
den Grundsatz durchgeführt, das Rettungswesen an die Krankenhäuser
anzugliedern, weil dort ständig genügendes Personal und Material für
die Leistung der ersten Hilfe und für Unterbringang der Bewußtlosen
vorhanden ist oder unschwer bereit gestellt werden könnte. Das erste
Krankenhaus, in welchem jetzt eine eigene Rettungswache am Eingange erbaut
SnejreJop. Jahrbueher. N. V. IV. (XUII S6
562
Kettungswesen. ~ RheumaaaD.
ist, in welche die Verungflückten eingebracht, verbunden und entweder entl&ssen
oder nach dem angrenzenden Krankenhause gebracht werden, ist das neue
Charlottenburger Krankenhaus. Die Einrichtung dieser Rettungswache ist
nach jeder Richtung hin wie das gesamte Krankenhaus als mustergültig zu
bezeichnen. Es hat diese Einrichtung den groUen Vorzug, daß Verunglückte mit
ihren verunreinigten Bekleidungen nicht in die Operationssäle des Kranken-
hauses hineinkommen, sondern in diesem Vorraum zunächst verbleiben. Ein
Teil der Verunglückten braucht ja überhaupt nicht in das Krankenhaus
selbst übergeführt zu werden.
Die bei der Berliner Rettungsgesellscbaft durchgeführte Zentralisation
des Meldewesens ist als mastercrültig anzusehen.
In den letzten Jahren sind zur ersten Versorgung Verletzter von zahl-
reichen Seiten Verbandpäckchen angegeben worden, mit welchen jetzt auch
Verbandkästen ausgerüstet sind. Wohl als die ersten haben S(»ltsikn und
Verfasser lbV»8 Verbandpäckchen in vi/sr Größen, lür verschieden Körper-
teile passend , hergestellt und Verbandkästen^ mit diesen Verbandpäckchen
versehen, anfertigen lassen. Die vier Grölien sind: 1. für Gesiebt, Ohren und
Finger, 2. für Kopf, Hals, Hände, Fülie, 3. für Arm und Bein, 4. für Brust.,
Bauch, Rücken. Die Päckchen unterscheiden sich durch Breite der Binde
und Menge der KrüUgaze. Da die Päckchen nur für Versorgung kleinerer
Verletzungen ausreichen, so sind in unseren Rettungskästen auch noch Vor-
räte von Verbandmull, -watte und Binden vorhanden. Die Verbandpäckchen
sind in Papier eingewickelt, auf dessen Innenseite folgende Gebrauchsan-
weisung sich befindet:
Durchlesen !
Inhalt:
Kegel:
ßubUmat-KrUllffaze (rot gefärbt),
Komprlmirte Mullbinde, 5 m lang,
Wasserdichtor Stoff,
Sicherheitanadelo.
1. Vor Anlf^en den Vi^rbandes sind die Hände mit S«ife, Bürste und, wenn
möglich warmem, Wasser gründlich zu reinigen.
2. Eine Wunde darf nicht mit den Findern berührt werden.
Anwendung : Man fasse di«' KrüUgaze au einer bdiehijfen Stelle und lasse den flbrigfo
Teil derselbtjin zuerst von oben her aaf die Wunde fallen. Hieranf bedecke
man die Krüllgaxf! mit dem wasH^rdiahten Stoffe nnd befestige b«id«a mit
der Binde.
Sobald wie möglich ist ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Die Verbandstoffe selbst, leicht rosa gefärbte Sublimat-KrQllgaze und
eine Binde, beides komprimiert, sind in Mosetigbatist eingehüllt, welcher mit
Bindfaden, an dem eine Sicherheitsnadel hängt, verschlossen ist. Die Form
der Verbandpäckchen zeichnet sich durch groüe Einfachheit vor vielen
anderen aus. Oeorg« Mttytfr.
Rhenmasan. Die guten Erfolge, welche KOb!S( h ^) mit Rheuma-
san, einer überfetteten Seifencreme mit 10"/oiger Salizylsäure, bei Poly-
arthritiden. Ischias, Neuritis, Neuralgien gesehen hatte, sind vielfach bestä-
tigt worden. Auch Bkhk=) massierte 5 — 10^'- des Rheumasans in die Haut
fiber der schmerzhaften Stelle ein ^ und zwar täglich einmal. Er hebt als
Vorzflge dieser Behandlung die Schonung des Magens, die Kombination von
Medikament und Massage und die suggestive Wirkung durch die Örtliche
Behandlung der erkrankten Stelle, Ebenso spricht sich Fkaenkki. 3) lobend
Über das Präparat aus. Demgegenüber hält F, Müller*) bei dem geringen
Salizylsäuregehalt eine intensive Wirkung für zweifelhaft.
Literatur: *) K^uiscu, Über Klieumasan. Deutsche med. Wochenecbr., 1903. Nr. 38,
pag. fiHH. — ^) Max Bkhii, Die BebandluDg gewisser innerer Erkrantcanj^on durch Anfierlicbe
AnweDdaog des Öalizyls in Fona von >Ufaeamaaaa«. Therapeutische Monatshefte, H^ 11
Rhtfumaaan. — Röntgenbehandlung.
563
i
pag. 231. — *) Uamprkd FftAKNKn. . Ober RheumBsan nnd EstordfriuAiian. DeatAChe med.
Wochenftchr., 1904, Nr. 31» pag. 1138. — *) PAia MClubh, Nene Salizylpräparat« und neue
Änwt^ndungftformen der SalizyUaure. Dt^ntscbe med. Wochunscbr., 1904, Kr. 37, pag. 1350.
E. Frey.
Rodag;en, s. Antithyreoidserum, pa^. 32.
Rönts;dibetaan€llung;. Während Scholtz l C)04 In den vor-
liegenden Jahrbüchern die Verwendung der Röntgenstrahlen bei der Be-
handlang von inneren Krankheiten mit Recht ganz nebenbei erwähnt,
hat diese jetzt fast ein größeres Interesse gewonnen, als die Behandlung
der Hauterkrankungen. Ganz besonders die Btutkrankheiten, unter ihnen
vornehmlich die Leukämie undFseudoleukämie, werden, wie sich heraus-
gestellt hat. in überraschender Welse durch die Röntgenstrahlen beeinflußt.
Die Literatur über diesen Gegenstand ist bereits stark angewachsen; selbst
eine Reihe Sammelberichte und zusammenfassender Artikel sind schon er-
schienen. Eine Auswahl findet sich am Ende dieses Artikels unter Literatur.
Bei Leukämischen wird in erster Linie die Zahl der weißen Blut-
körperchen durch Köntgenbestruhtuiig wesentlich herabgesetzt. Nur in
wenigen KälEen bleibt diese Wirkung aus; doch werden nicht alle Leuko-
zyten gleichmäßig beelatlußt , und zwar verhalten sich die Lymphozyten
widerstandsfähiger als die Myelozyten. Bei der myelogenen Leukämie werden
oft alle pathologischen Formen der Blutkörperchen zurückgedrängt, so daß
die polynukleären Zellen Überwiegen. Bei der lymphatischen Leukämie pflegen
die Lymphozyten dagegen die Übermacht za behalten.
Die roten Blutkörperchen vermehren sich; der Hämoglobingehalt und
das spezifische Gewicht des Blutes nehmen zu.
Die ersten Beobachtnr hat schon neben den Veränderungen des Blutes
das Zurückgehen selbst großer Milzschwellungen in Erstaunen versetzt.
Oft muß lange bestrahlt werden, ehe dieses Ereignis eintritt; aber herbei-
führen läßt es sich fast immer. Übrigens wirken die Strahlen, falls die Be-
handlung ausgesetzt wird , noch eine Zeittang nach , Rezidive der Milz-
schwellungen sind bisher fast nie gesehen worden. Allerdings liegen, wie es
sich bei der Neuheit der Sache von selbst versteht, meist nur kurze Beob-
achtungszeiten vor.
Bei myelogenen Leukämien pflegt einer geringen Abnahme eine
stetige Zunahme des KSrpergewichtes zu folgen, während Lymphatische
wohl meist abmagern.
Da der Stoffwechsel auch nicht behandelter Leukämie großen
Schwankungen unterworfen ist^ so darf man nur aus groben Veränderungen
Schlüsse ziehen. Gleichwohl konnte in einigen myelogenen Leukämien nach-
gewiesen werden, daß mit dem Zerfall der Leukozyten und Abschwellen der
Milz eine erhöhte Ausscheidung von Harnsäure und Purinbasen einherging.
Ebenso wie die Milz gehen auch die bestrahlten Lymphdrüsen zurück.
Das subjektive Befinden wird durch die Röntgentherapie in der
Regel sehr bald gebessert. Appetit , Arbeitsfreude , Selbstbewußtsein etc.
nehmen zu. Einige Patienten nehmen die Arbeit wieder auf, während sie
vorher lange pausieren mußten.
Unter den schädlichen Nebenwirkungen lassen sich die an der
Haut ganz vermeiden. Einige Male sah ich, wie auch andere berichten, heftige
Diarrhöen vorübergebend bei Bestrahlung der Milzgegend auftreten, ohne
daß jedoch ein größerer Schade dadurch entstand. Wir können allerdings
nicht mit Sicherheit behaupten, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen
den Durchfällen und den Röntgenstrahlen besteht, obwohl die Wahrschein-
lichkeit dafür spricht. Noch zweifelhafter aber ist ein solcher Zusammen-
hang zwischen den Bestrahlungen und allgemeinen Zufäll^^n, die Übrigens
nur selten dabei aufgetreten sind. Immerhin beweisen einige Tatsachen, die
5tii
Röntgenbehandlung.
später karz besprocfaen werden sollen, die Möglichkeit, daü auch die Röntgen-
strahlen, in zu ßfroßen Mengren dem Körper einverleibt, erheblichen Schaden
stiften niOssen. In der 3ehandlang:sn)ethode muß und kann darauf Rücksicht
genommen werden.
Andrerseits sind bisher noch keine vollständigen Hei langen,
sondern lediglich Kosserungen mitgeteilt. Diese springen aber, wie auch
ich bestätigen kann, 80 in die Augen. daÜ bei der Aussichtslosigkeit jeder
anderen Therapie die Hontgenstrahleu zurzeit nicht dringend genug gegen
die Leukämie, besonders die myelogene empfohlen werden können.
Ganz vereinzelt wurde bisher auch bei den anderen, noch nicht ge
nannten Blutkrankbeiten die Röntgentherapie, und zwar mit wechselndem
Erfolge versucht. Genannt seien; Anaeroia splenica, Baxti, Mikitlicz, Lympho-
matose^ Anämie und Polyzythämie mit Milztumor.
Der Amerikaner Skss ') hat zuerst den Kinftuß der Röntgenstrahlen
auf lieukämiflche und Pseudoleukämische beschrieben. Durch den Ahrkxk-
Bchen Fall wurden die Augen der deutschen Arzte auf diese Tatsache ge-
richtet. Die Tierversuche von Heikecke ^) brachten aber zuerst die Vor-
gänge, welche sich dabei abspielen, unserem Verständnisse näher. Schon
nach verhältnismäßig kurzen Bestrahlungen, die noch nicht eine Dermatitis
herbeiführen, kommt es zum Schwund der Milzfollikel wie aller
anderen Lymphdrusenapparate (Darmfollikol etc.) und der Thymus.
In den Lymphdrüsen wurden auch die ganze Rindensnbstanz und Mark-
stränge verändert. In der Milzpulpa und im Knochenmark wird aller*
dlngs erst durch stärkere Einwirkung ein grober Teil der spezifischen Zellen
durch Fettzellen ersetzt.
Nach MiLriiNEB und MossE '•) werden im Knochenmark nur die
weißen Blutkörperchen betroffen, während die häinoglobinhaltigen Elemente
unversehrt bleiben.
Das kreisende ßlut soll nachHEiNKCKH nicht direkt beeinflußt werden,
während Hkkhrr und Li.vskr -) in diesem gerade den Hauptangriffspnnkt
fflr die Röntgenstrahlen sehen, und zwar wird nach ihnen die Kernsubstanz
der weißen Blutkörperchen zerstört, während die roten Blutkörperchen nicht
wesentlich geschädigt werden.
Barmann und Llnsrr') stellten an einigen stark bestrahlten Patienten
2 — 3 Tage vermehrte Stickstoffausscheidung, meist mit abendlicher
Temporatursteigerung verbunden, fest und nehmen an, daß ein durch
Gewebszerfall entstehendes toxisches Agens die Ursache hierfür bildet. Die
oben angeführten toxischen Symptome (Schwindel, Herzpalpitationen,
Kollaps), die einige beobachtet haben, würden also leicht erklärt werden
können.
Oh.awitz^) sab, daß sich nach zu starken Bestrahlungen die weißen
Blutkörperchen vermehren können.
Die Technik '^) der Röntgenbehandlung bei BInterkrankungen
unterscheidet sich wesentlich von derienigen bei Hautleiden. Hier sucht
man möglichst viele Strahlen auf die Haut zu bringen , dort will mian die
Haut möglichst entlasten, um gehörig in die Tiefe wirken zu können. Außer-
dem darf nicht anßer acht gelassen werden, daß Allgemeinwirkungen auf-
treten können, und daß diese Gefahr wuchst, je größere Hautflächen be-
strahlt werden (Lkvy-Dokx). Ich werde die Methode so darstellen, wie ich
sie in meinem Laboratorium ausgebildet habe.
Die Entfernung der Antikathode von der Haut beträgt 30— 4Uc/i3.
Je weiter man nämlich das Rohr der Haut nähi^rt, desto mehr Strahlen
treffen nicht nur absolut, sondern auch relativ die Haut (im Verhältnis zur
Tiefe). Steigert man bei nahe stehendem Rohr die Intensität der Strahlen
bis 2uzn höchsten zulässigen Grade, so dringt ein erheblich kleinerer Teil
RCntg^nbehandlung.
565
in die Tiefe, als wenn man dasselbe in grroßerer Fokusdistanz ausführt.
Hierin lie^t^ nebenbei bemerkt, auch der Grund, weshalb das auf die Haut
g^elesrte Hadium nie eine erbebliche Tiefenwirkunti: entfalten kann, auch
wenn es (i:rößere Geschwüre und Gangräne hervorruft; denn obißfe Betrach-
tung: gilt für sämtliche Strahlen^ruppen. Entfernt man das Rohr weiter als
oben angegeben, so mObte man es — beim jetzigen Stand der Technik
wenigstens ~ zu sehr anstrengen, um überhaupt noch Wirkungen zu erzielen.
Man gebrauche mittelharte bis harte H5hren. weil die Absorption der
Strahlen mit dem Härtegrad abnimmt. Leider verlieren sie zugleich dabei
an Wirkung, so daß man doch gut daran tat, die höchsten Härtegrade zu
vermeiden.
Will man ein Organ, etwa die Milz, besonders stark beeinflussen, so
bestrahle man von 2 Seiten, das einenial von vorn, das anderemal von
hinten. So gebietet das Verhalten der Haut der Behandlung nicht so schnell
Halt. Aus denselben Gründen wende man in geeigneten Fällen die radiäre
Bestrahlung von mehreren Punkten an. Eine vorsichtige Abbiendung ist
hierbei besonders nötig, damit nicht dieselben Hautstelleo von verschiedenen
Punkton aus bestrahlt werden.
Durch Kompression läüt sich besonders am Abdomen die Tiefenwir-
kung steigern.
Die allgemeinen Wirkungen der Röntgenstrahlen, auf die natürlich
während der ganzen Behandlung sorgfältig geachtet werden mnß« hängen
nicht aHein von der Intensität der Strahlen ab, sondern auch von der Größe
des Körperareals, das sie durchstreifen (Lev>'-Doun). Da die Strahlen eine
elektive Wirkung haben, so kann es auch nicht gleichgültig sein, in welcher
Körpergegend sie angewendet werden. Je geringere Strahlenintensitäten
man gebraucht, desto größere Hautflächen darf man bestrahlen. Die ener-
gische Bestrahlung einer Hautfläche von 2u cw- wird nach meinen Er-
fahrungen noch gut vertragen. Ich bin bisher nicht darüber hinaus gegangen.
Mit Rücksicht auf die Möglichkeit, daß toxämische Zustände auftreten
können, gebe ich häufigen kleineren Sitzungen vor wenigen großen den Vorzug.
Der wichtigen Aufgabe, die Intensität der Röntgenstrahlen ge-
nau zu bestimmen<>), wurde viel Arbeit gewidmet. Das HoLZKNiccHTsche
Chromoradiometer wird meist gerOhmt, oft aber zugleich hinzugesetzt,
daß es zu kostspielig sei, um allgemein eingeführt werden zu können. Der
Preis von 1^0 M. würde meines Erachtens kein so hoher sein, daß das In-
strument nicht allgemein eingeführt werden konnte, da es in der Tat
einem Bedürfnisse entspricht. Weit schwerer aber wiegt der Umstand, daß
man beim besten Willen schon seit recht langer Zeit kein brauchbares
Exemplar erhalten kann. Dasjenige , welches mir nach unendlich langem
Warten geschickt wurde, die sogenannte Type III, die sogar eine Verbesse-
rung des ursprüngiicben Chromoradiometers darstellen trollte, bat sich in
keiner Weise bewährt, und ich hätte unter seiner Anleitung meine Patientin
gehörig verbrannt, wenn ich mich nicht nach meinen alten Erfahrungen ge-
richtet hätte. Alterdings schrieb Herr Holzk.nbcht, daß die Type III einge-
zogen sei. und die wenigen Exemplare, die bereits in andere Hände ge-
kommen wären, von der Firma umgetauscht würden. Da dies bisher noch
nicht geschehen, so ist es, selbst die größte Vollkommenheit des Cbromo-
radiometers vorausgesetzt, am Platze, sich nach anderen Wegen umzusehen,
um sich zu helfen.
Das Radiometer von Saboliband und Noirk •*) beruht auf dem Holz-
KNR4'HTBchen Prinzip und ist erheblich billiger. Als Indikator dient ein
Reagenzpapier mit BariumplatincyanÜr; färbt sich dieses rot, so ist für eine
Hautstelle, die doppelt so weit von der Antikathode entfernt ist. wie das
Reagens, die Maximaldose erreicht. Mithin muß derienige, der kleinere Dosen
566
Röntgenbehandlung.
i
messen will, das Rohr weiter, als sonst nötig, von der Haut entfernen, also
den Verbrauch desselben unnutz bescbleunig:en.
Fkpai.vd") empfiehlt als Reagens für die Radiometrie eine 2Voige
Losung von Jodoform In Chloroform, die sich unter dem Einfluß der
Röntgenstrahlen durch 'Freiwerden von Jod rot färbt und mit Lösungen
von bekanntem Joflgehalt leicht verglichen werden können.
Köhler'^) bestimmt die Intensität der Strahlung nach den Wärme-
graden, welche die fier Antikathode gegenOberllegende QlaHwand annimmt
und hat ein entsprechendes Röntgenrohr mit Thermometer anfertigen lassen.
Vielleicht erreicht man nach Walter'') eine einfachere Warmemessung,
wenn man ein Thermometer in die hoble Antikathode eines WasserkQhl-
robres versenkt und dafür sorgt, daß immer dieselbe Menge Wasser vor-
handen ist. Kine Eichung solcher Röhren hat meines Wissens noch nicht
stattgefunden.
KiRNß^cK undBBRGER*^) gebrauchen als Reagens photographische
Papierstreifen, welche allerdings iedesmal entwickelt werden mflssea, da-
für aber die feinsten Ausschläge geben sollen.
Levy-Dohn ") gibt die 2 0 f ac h e Menge Röntgenstrahlen . die bei
Beckenaofnahraen Erwachsener die Platte trifft, als höchste absolut
ungefährliche Dosis für die Haut. Da der Rüntgenologe schon des diagnosti-
schen Verfahrens wegen diese Dosis genau kennen muß und genau weiU,
wie sein Apparat dabei einzustellen ist. so liegt in der Tat dieses Metiver-
fahren nahe genug, zumal neuerdings durch ein Milli-Ampere-Meter im Sekon-
därkrels die richtige Einstellung des RÖntgenapparates erleichtert worden
ist. Etwa das Doppelte jener Dosis ruft sicher Dermatitis hervor.
Ans den obigen Ausführungen geht hervor, daß die beliebte Angabe
über Länge und Zahl der therapeutischen Sitzungen nichts /u bedeuten hat,
wenn die anderen für die Behandlung wichtigen Faktoren mit Stillschweigen
übergangen werden.
Wir wollen nun die Röntgentherapie der lokalen Leiden be-
sprochen. Für tiefer Hegende oder gehende Geschwülste (z. B. gewisse
Sarkome, Lymphome, Karzinome) gelten im wesentlichen dieselben Grund-
sätze, die vorhin geschildert wurden. Für die Bestrahlung oberflächlich
sitzender Erkrankungen braucht den in den Jahrbüchern früher angegebenen
Weisungen nur weniges hinzugefügt zu werden. Durch künstliche Blutleere
soll nach Hahx^) die Wirkung der Röntgenstrahlen wesentlich verstärkt
werden.
Man lege ie nach der Lokalität entweder die EsMAR^Hsche Binde an
oder injiziere Eucain-Adrenalin.
Um die Röntgenröhren möglichst auszunutzen, haben sich viele Autoren
daran gewöhnt, die Röhren nahe an die Haut zu bringen. Die Intensität
der Strahlen nimmt ja mit dem Quadrat der Entfernung ab. Unebene Körper-
teile oder größere Krankheitsherde werden aber aus der Nähe in ihren ver-
schiedenen Teilen sehr ungleich bestrahlt. Holzknecht 7) gibt an, wie dem
L^belstand abzuhelfen sei. Ich kann aber empfehlen, die Haut auch in den
genannten Fällen nicht aus sehr großer Nähe zu bestrahlen.
Ober den Wert der X-Strahlen bei den mannigfachen Krank-
heiten gewinnen wir mit dem Zunehmen der Kasuistik durchaus nicht
immer ein klareres Bild. Viele Berichte sind zu unvollständig und kritik-
los. Gleichwohl besteht über einzelne Punkte heute schon bei den meisten
Übereinstimmung.
Cancroide^), auch solche von größeren Dimensionen, können mit
vorzüglicher Narbe zur Heilung gebracht werden. An einzelnen Stellen des
Körpers, besonders des Gesichtes, wo die Operation entstellend wirken
würde, verdient die Röntgentherapie sogar den Vorzug vor ihr. Sonst mache
Röntgeobehandlung.
567
man sich zur Regel , eine dringende Operation niemals dem Röntgenrer-
fahren zuliebe aufzuschieben.
Tiefer sitzende Karzinome und Metastasen werden durch die
Röntgenstrahlen gar nicht oder unweaentUch beeinflußt. QQnstige Berichte
liegen nur vereinzelt vor. Dagegen lassen sich bei inoperablen Karzinomen*^)
die offenen, ulzerierenden und gangräneszierenJen Stollen zum ächlielien
bringen. Hierdurch wird nicht nur dem Kranken seibat sondern auch seiner
Umgebung: eine Wohltat erwiesen.
Nach der Krebsoperation sollte man periodisch prophylaktische
Bestrahlungen vornehmen. Es ist mir wahrscheinlich, daß unsere An-
sichten Über die Tiefenwirkung der Röntgenstrahlen bei Karzinomen
eine Änderung erfahren werden , wenn wir alle oben angegebenen Punkte
für <lie Behandlang genügend berücksichtigen. Nach den bisherigen histo-
logischen Untersuchungen soll steh der heilbringende Einfloß der X Strahlen
im Krebsgewebe nur ca. h mm tief geltend machen.
Was die Sarkome^) anbetrifft^ so lassen sich einzelne, auch größere
Tumoren, wie ich mich wiederhoU überzeugen konnte, merkwürdig leicht
durch Röntgenstrahlen verkleinern und selbst zum Schwinden bringen, wäh-
rend andere Formen ihnen hartnäckig widerstehen. Es ist noch nicht mög-
lich, mit Zuverlässigkeit unter den Sarkomen die richtige .\uswahl für die
Behandlung zu treffen. Anscheinend geben aber die zellreichen Geschwülste
die besten Chancen. Wir stehen auf dem Standpunkt, ]edea Sarkom, das
aus irgend einem Grunde nicht operiert werden soll oder kann , zum
Rontgenisleren zu empfehlen.
Eine recht bemerkenswerte Wirkung der Röntgenstrahlen besteht
darin, daß sie, wie Ai.bers-Schönhkrg *") entdeckt hat und von anderen
wiederholt bestätigt wurde, schon in geringer Intensität die spezifischen
Hodenepithelien vernichten. Die ursprünglich an Tieren erhobenen
Befunde wurden bereits am Menschen bestätigt. Man kann in der Tat einen
Marin mit Röntgenstrahlen steril machen, ohne daß der irapetus coeundi
leidet, und zwar gelingt e», ohne soviel Strahlen zu applizieren, daß die
Haut sich entzündet. Die Azospermie tritt erst viele Monate nach der Be-
handlung auf. Um einem Mißbrauch dieser Eigenschaft der Röntgenstrahlen
vorzubeugen, teils allerdings auch aus anderen Gründen, wurde auf dem Röntgen-
Kongreß zu Berlin folgender Antrag gestellt und angenommen; »Die Unter-
suchung und Behandlung mit Röntgenstrahlen ist eine ärztliche
Leistung. Dieser allgemeine Satz sollte von der allgemeinen wie
medizinalen Gesetzgebung berücksichtigt worden. Arzte, welche
von anderen Röntgenaufnahmen anfertigen lassen, dürfen damit
nicht Techniker, sondern nur Röntgenärzte betrauen.«
Die X-^trahlen scheinen einen ähnlichen Einfluß wie auf den Hoden
auch auf die Ovarien^') zu besitzen. Bisher Hegen nur Tierversuche vor.
In Einklang damit steht ihre W^irkung auf die ScbweiÜdrflsen.^')
Hyperhidrosis localis wurde bereits wiederholt mit Röntgenstrahlen erfolg-
reich behandelt , von anderen werden aber auch negative Resultate be-
richtet.
Gegen Lupns können die Röntgenstrahlen besonders dann mit be-
sonderem Vorteil gebraucht werden, wenn es sich um sehr ausgedehnte
ulzerierte oder hypertrophische Formen handelt. Die Finsenbehandlung wurde
dann zu viel Zeit beanapruchen , muß aber oft später noch eingreifen, um
die Kur zu vollenden. Das Köntgenverfahren wird oft zweckmäßig mit an-
deren Maßnahmen (Pyrogallussäure etc} kombiniert. Diese Beschränkung
des Röntgenverfahrens bezüglich bestimmter Lupusfälle ist vor allem des-
wegen angebracht, weil die kosmetischen Ergebnisse bei »Einsen« besser
ausfallen als bei >Röntgen«.
563
RöotA^nbehandlung.
Oejren Lopus erythematodes, Ang-iomOf Teleanfi:iek.tasien
kommen die Röntgenstrahlen nor als Versuch in Betracht, besonders wenn
andere Methoden im Stich lassen; denn hier geben die XStrahlen durchaus
zweifelhalte Resultat«.
Warzen und Keloide, insbesond ere Akne-Keloide, bilden eine
empfehlenswerte Anzeige für die Röntgentherapie, falls man nicht auf ein-
facherem Wege — »operativ« — zum Ziele gelangt
Bei sämtlichen Haarkrankheiten, wo eine länger dauernde ener*
gische Kpilation am Platze ist, leisten die X-Strahlen Vorzügliches (Fa-
vus, Trichophytie, Sykosis, Herpes tonsurans, Acne vulgaris,
Hypertrichosis). Ist das Gesicht betroffen, so darf man nicht vergessen,
daU häufige Bestrahlungen zu entstellenden Pigmentationen nnd Atrophie
der Haut führen können.
Mindestens empfiehlt sich zugleich eine Behandlung mit anderen
Mitteln , wie Salben. Hypertrichosis nnd Acne facies sollten daher nur mit
Auswahl, z.B. bei dichtora Stand kräftiger Haure über gröbere Oesichts-
teile, der Röntgentherapie unterworfen werden, zumal diese hierbei recht
lange fortgesetzt werden muü.
Entzündliche Hautkrankheiten (Ekzeme. Psoriasis, Liehen)
werden vornehmlich in ihren mit Schuppung einhergehenden Formen durch
die Röntgenstrahlen in ihrer Heilung gefördert. Sind die Affektionen sehr
ausgebreitet, so bestrahle man schwach und benutze nebenbei die alten
Mittel; beschränktere Gebtete können energischer angegriffen werden. Sehr
angenehm wird empfunden, daß der Juckreiz meist schnell gemildert
wird Dieser symptomatische Erfolg wird öfter auch bei den Prurigo und
Pruritus beobachtet.
Mit grober Skepsis müssen noch alle Berichte aufgenommen werden,
die sich auf wesentliche Besserung und Heilung von Tuberkulose der Ge-
lenke, des Larynx oder gar der Lungen durch Röntgenstrahlen beziehen.
Außerdem wurde GÜnsttgea nach Röntgentherapie bei Lipom, tra-
chomatöser Infiltration, Pyorrhoea alveolaris, Uterusfi broid,
Uterusmyome, Struma etc. gesehen.**)
Unter dem Namen Vor- oder FrOhreaktion wird eine Hautröte be-
schrieben, die öfter nach relativ schwachen Bestrahlungen — sehr bald nach
ihnen — auftritt, mit eigentlicher Köntgendermatitis nichts zu tun hat
und harmloser Natur ist. Über ihre Ursache herrscht noch keine Oberein-
stimmung. Ks wird auch in Zweifel gezogen, ob die Röntgenstrahlen selbst
Schuld daran sind und nicht vielmehr die von der Röhre ausstrahlende
Wärme oder ein unbekanntes Agens, das in alten Röhren mit verfärbter
Glaswand auftritt. '')
Als Angriffsp unkt der Runlgen»trahlen in den Körper-
geweben wird jetzt vielfach da» Cholestearin angesehen. Während es im
frischen Zustande durch Bestrahlung nicht zersetzt wird, befördert die Strah-
lung eine schon begonnene Zersetzung (Autolyse'*)), wie sie häufig besteht.
Injektion von bestrahltem Lecithin'**) ruft ähnliche Zustände hervor wie die
Bestrahlung selbst Auch das Colin, ein Abspaltungsprodukt des Lecithins,
verhält sich wie bestrahltes Lecithin. Es besteht in dieser Hinsicht eine
Obereinstimmung mit dem Radium.»") Eine andere Frage aber liegt vor,
falls wir die histologischen Elemente ins Auge fassen, die zuerst auf
Röntgenbestrahlung reagieren. Diese Frage mub verschieden beant-
wortet werden« je nachdem wir normale oder pathologische Gewebe, die
Haut oder das KOrperinnere betrachten. Aus obiger Darstellung ergibt sich
die Antwort zum Teil von selbst. Was die gesunde Haut anbetrifft, so scheint
ihre Reaktion nach den neuesten Untersuchungen in der Gefäßintima, nicht
in den Epithelzellen zu beginnen. i°)
Röntgenbehandlung.
569
Man kann die Röntf^entherapeuten nicht f^ena^ ermahnen, sowohl
den Schutz ihrer Klientel, als ihren eigenen stets im Auj^e zu be-
halten.'") Die Schntzmabregeln sollen nicht nur sicher, sondern auch bequem
sein. Man behellige die Patienten ao wenig wie möglich mit Masken aus
Blei oder dergleichen, sondern gebranche Blendenapparate mit eigenen Trägern
and SchutzhQUen aus Bleiglas mit rohrförmigen Ansätzen, die um die Röntgen-
röhre gelegt werden, oder ähnliches. Der Schutz des Untersuchers wird durch
die Blendenapparate zugleich mit erreicht oder durch besondere Vorrich-
tungen herbeigetOhrt (Schutzkästen, -hüllen, wände etc. ^^).
Literatur: ') Blnt«rkraDkangen: Sknn, New York med. Journ. , 1903; Cahk»,
Müuchenvr med. Wocheuacbr., 1904. Nr. 4; Aiiuiuts, ibid.; Qkawitz, Bertiner med. Getiellscb.,
23. N*»v. 11)04; Lkvv-Dobm, ibid.; Stühr, Journ. ot Ämeric. Assoc Kj. JUaner 1904; Capp«
Dnd Smith, ibid., Nr. 13: Wimkelmabn, Therap. Monatah. , Mai I90Ö; Sblio, Prager med.
Wochenathr. l'H)5; Keai-be. FotUchr. a d. Oeb. d. Röntgenstr., 1905, VUI, Nr. 3 u. 5; Scbib-
HKEi. Zentralblatt f. d. Grenzgeb. d. Med. a. Cbir., 19Ü5, Vlll. H. 1—3. — ') Qsimskk, MQo-
chfncr med. Wocheniichr., 1'JÜ4, Kr. 18: Fortachr. a. d. Oeb. d. Küorgcostr., VIII, B.2; Grcnzgeb.
d. Med. u. Chir., 1904: Milcumrb and Mossb, Berliner klin. Wochenflchrift, 1904, Nr. 49;
Hklobe und Likakr. MUnchcner med. WochetiHehr.. 1905, Nr. 15. — ') BXrma.vn oml Linbrb,
ibid.. 1904. Nr. 21. — *) Grawitz. Rönlgeo-Kougreß, Berlin 1905; dgl. Deatwhe med.
Wochenrchr., Nr. 20. — *f PmTaR«, DarcbhUsigk. d. Gew. I. Köntgencttr. Fortsclir. a. d. Geb.
d. Kdntxenstr., VIIl, H. 1; Uolxkiiiicbt , Pby«-med. Monatsfa., 1904. U. 1 u. 2; Lkvy-Uobk,
berliner med. Gesellaoh., 23. Nov. 1901, und Uüntgea- Kongreß Berlin 1905. — *.t Fbromd,
Wiener klin. Wocheuacbr., 1904, Nr. 15; Köhlbb, MUnchener med. Wochenflchr., 1905, Nr. 2;
Sabourard und Noir£, vgl. Scsmidt, Fortachr. a. d. Geb. d. Köntgenstr., Vlll, H.4; DesHArEBf
Ibid.f Nr. 9; Waltsb, Ibid., Nr. 13: KikmbCck und BERaKu, Rnntgen-KonffrcQ Berlin 1905;
Levy-Dobb, Deutsche med. Wochenschr., 1903, Nr. 49. — ^) Hahb, Fortftchr. a. d. Oeb. d.
Röntgenstr., VIII, H. 2; HouiBKEcaT, ibid. — *) Fittiq, Bbdkb Beitr. z. klin. Cbir., XUI,
H. 2; TtipiER und FUüet, Areh. d'^lectr. m^d , 1843, Nr. 154; SchXb. Behandlung bOsartiger
Erkranknnf^en, Monoffrapbie; Labsab, Chlr.-Kongr. 190-1; Berliner med. Oeselliich.f 4. Mal
und 14. Dez. 1904; Vobu und Hove, llarard med. achaol, 190r), Bericht d. Krebakommiiisioa;
Clkvhlaru and Dat, Ürit- med. Journ., 1905, Nr. 2313; LEvr-DoBS . Berliner klin. Wochen-
sclirilt, Nr. 38; Baoob, Hygiea, 1905. Nr. 2; Unukh, Larsar. VVouLoicutTB, i^jOoHKK. Köntgen-
KoDKreü 1905- — ^) Coi-let, Med. New«, 7. Febr. MtU4; Mrrtebs, Deutache med. Wochen-
schrilt, 1905, Nr. 13; Sjögren, Alukks-ScuDnbrro. Köntgen Kongreß Berlin 1905. — '"> Albbrb-
ScuAkarho. Mflnchener med. Woeheni*chr , 1903, Nr. 43; Skldin , Fortwhr a. d. Oeb, d.
Rüntgenfttr., VII, It. (>; Piiiupp, ibid., VIII, H. 2; BrarnKt, ßerliner med. GeftelUeb., 18. Januar
1905; Deutsche med. Wochemichr., 1905, Nr. 13. — *') Halbebätadter, Berliner klin. Wochen-
schrift, 1905, Nr. 3. - '*> Bubchbb und Schmidt, Deutsch? med. Wochenschr., 190.% Nr. 13.
— ") FaKrifD (Lupus), Wiener klin. -therap. Wochenschr, 1904, Nr. 9; Fbednd and Oppbk-
OBiM, Wiener klin. Wochenschr, 1904, Nr. 4 (Bleibende Ilautverändt^run^en nach Be»trahUm(r);
STiNTEiHfi, Med.naturw. Qesellach. Jena, 10. Nov. 1904 ('Keioi'li; Levkddb, Accad. d. Med.,
1905, IV (EltBem); Bodin, Societe de Chirurg, ä Paris, 1904, XU (Herpes tonsnmuB); ijabou-
RAHD , ibid. (Favus); KiebbOck, FortHcbr. a. d. Oeb. d. Hünt^eoBtr., VII, H. 6 fÜbemichtj;
ScBOLTz, ibid., VIII, II. 2 (dtto.); Püsbt, Jouro. of Araeric. Associat., 1905, Nr. 19 (dtto.). —
") BoKORT, Lyon m^td., 31. Juli 1904 (Lipome); Gou»ztBUBR, Wiener med. Wochenachr., 1904.
Nr. J9 iTrachom); Waii.tijtirski, RuBük. Wratach, Nr. 1 (Trachom); Phici, Arch. ol eleciral
and radial, IV, Nr. 3 (Pyorrhoea alveol.i; DBuracn, MUnchener med. Wochenacbr., 1004t
Nr. 37 (UterusgeHchwülstei; Trasv, Med. News, 14. Nov. 19(0 (dtto.). — ") Köolkr, Fortachr.
a. d. Geb. d. Käntgen»lr.,VII, pajj. 193; Deutselit^ med. Wochenschr , 1904, Nr. 35; FIolzicbecht,
Arch. I. Dermatol. u. Syphi!., 1904; Schmidt, Deatache med, Wochenschr., 1904, Nr. 20. —
*•) Wrrbsb, Deutsche med. Wochenschr., 1905, Nr. 2, 17,27; Hoffmass und .Schulz, Wiener
klin. Wochenschr, Nr. 5; Beilb, Zeitschr. f. klin. Med., LV; Exnek und Zdabkk, Wiener klin.
Wocheuacbr., 1905, Nr. 4; Frkuxd und Oppkrhgiu, ibid., 1904, Nr. 4; Linjibr, Fürts^chr. u. d.
Geb. d. Köntgenstr., VIII, H. 2; — ") Levt-Dorn, Deutsche Ärzte-Ztg., liK)4, H. 8, und
Fortachr. a, d. Geb. d. Röntgenatr., VIII, H. 5; ALBEBS-ScBßNBBao, Fortscbr. a. d. Gel», d.
Rüntgenatr, VII, U. 3; Belot, Arch. d'dectr. ro^d., Nr. 144; Exbrr, Fortschr. a. d. Geb. d.
Riintgenstr., Vll, H. 3: Steormamh, Wiener klin. Wochenschr., 1904, Nr. 43; Kienböck, ibid.,
1904, Nr. 51. Lev^Dorn.
Vgl. auch Lupus, pa?. 389.
s.
Sadismus^ ».Geschlechtstrieb, pa^. :>S7.
Sän^lingsernührung^. >) Die Milch der eigenen Mutter
ist das natOrlirhe und zweifellos auch das beste Nahrungsmittel
für den Säugling;.
Gewisse Eigenschaften geben der Frauenmilch als Nahrung des
menschlichen Säuglings unbedingt den Vorzug vor der fremden Tiermilch.
Die Menschenmilch wird roh genossen und in diesem natürlichen Zu-
stande erfolgt der Übergang «lebendiger Kräfte< (Alexine-), Antitoxine*),
zahlreicher Fermente*) auf das Kind, welche demselben für die Verdauungs-
arbeit große Vorteile bringen und ihm unter LJmstiLnden eine gewisse Im-
munitRt gegen Infektionskrankheiten verleihen.
Die Menschenmilch ist in gewiäseui älnne keimfrei und gelangt auch
in diesem Zustande in den Magen des Kindes, da sie direkt von der Brust
abgetrunken wird.
Da zwischen Milchbestandteilen und NabrungsstoffbedUrfnIs der wach-
senden Säuglinge derselben Gattung eine eigentümliche Anpassung (Bcngb "i
besteht, so ist auch diese KtgentUmlichkeit ein Grund für die Empfehlung
der Ernährung des SJiuglings durch Menschenmilch.
Gans: besonders zwingt un^ aber die praktische Erfahrung, in erster
Linie der natürlichen Ernährung das Wort zu reden. Mit Krauenmilch er-
nährte Kinder gedeihen viel besser und leichter als künstlich ernährte.
ErnährungHstörungen und Verduuungskrankheiten sind bei weitem seltener,
die Mortalität bei ersteron verschwindend kisin gegenüber der hohen bei
Tiermilchernährung.
Daher soll die natürliche Ernährung unbedingt von jeder Mutter in
erster Linie erstrebt werden und für den Fall künstlicher Ernährung als
Richtschnur dienen. Erziehung des jungen Mädchens für ihren zukünftigen
Mutterhoruf durch gesunden Spurt und zweckmüüige, die Organe nicht be-
engende Kleidung; Vorbereitung der Brüste, Alkohotwaschungen etc. wäh-
rend der Gravidität.
Nur unter bestimmten Bedingungen darf oder muß man von dieser
Ernährung absehen, nämlich wenn:
I. die Milch in nicht genügender Menge vorhanden ist. Die Qualität
der Frauenmilch ist selten so mangelhaft, daß hierdurch eine Kontraindi-
kation der natürlichen Krnäbrung gegeben würde. Auch bei unzureichender
Milchsekretion ist es das Beste, soviel von der Mutterbrust abtrinken zu
lassen, als dieselbe hergibt, und daneben die Flasche mit Kuhmilch ku ver-
abreichen (Allaitement mixte);
SAugUngsernfihrung.
571
I 2. die Mutter tuberkulös oder tuberkulös veranlaget ist. Lues cougenita
fdes Kindes bei gesunder Mutter und umer^kehrt Lues der Mutter mit g-e-
■undem Kind (i:eben keine Kontraindikation fQr die Mutter ab, ihr Kind selbst
zu stillen. Andere Erkrankung^en, insbesondere Infektionskrankheiten, sind kein
absoluter Qrund zum Absetzen des Kindes, ebensoweniif kleine Warzen,
wieder eintretende Menses, neue Schwanf^erscbaft (Be.vdix"). Kreuz- oder
BrustHchmerzen beim Saugen des Kindes oder längere Zeit nach dem Trinken
anhaltend, Schwache bei chronischen Krankheiten (Herz-, Nieren-, Nerven-
erkrankungen) gehen gleichfalls keine absolute Kontraindikation fDr das
Stillen ab, doch kann unter Umständen der einzelne Fall dazu angetan
sein, von der Ernährung durch die Mutter abzustehen.
Gesunde Mattcrmilch ist weiß, reagiert alkalisch, hat ein spezifisches
Gewicht von ca. 1030, enthält 1-03«/.. Eiweiß. 4'07«/oFett. l-03% Zucker,
0'21o 0 Salze (Hei bnkr^), ist last frei von Mikroorganismen, Wenngleich auch
die Frauenmilch nicht vollkommen steril (Xeimaxn^) ist, so ist die Menge
der Keime, welche von außen in die ßrastdrflse eingewandert sind, nur in
den zuerst entleerton Milchmengen vorhanden und außerdem so gering, daß
sie weder eine Zersetzung d(T Milch, noch eine Schädigung des Säuglings
hervorruft. Die Milch der ersten Tage nach der Entbindung (Colostrum) ist
reicher an Eiweiß (3 — ^^foh dessen Gehalt von da ab gleichmäßig und nach
ganz beistimmten Gesetzen abnimmt. Am 0. — 8. Tage ist dieser schon auf
etwa l"8 gesunken, im 5. Monat erreicht er mit 10 — 0 75"/„ sein Minimum,
steigt dann wieder bisweilen ein Geringes an, um dann, in gewissen Grenzen
wenigstens, konstant zu bleiben. Auch ist die Milch in den ersten Tagen
reicher an Salzen (0 ii'^/o)! ärmer an Fett {2*5Vo)f ärmer an Zucker (3 ('VoJ-
Doch scheinen die Schwankungen für Zucker, Fett und Asche nicht nach
gleichmäßigen und bestimmten Gesetzen zu verlaufen (Schlossmann ^).
Die chemische Zusammensetzung der PVauenmilch zeigt Variationen
selbst während der einzelnen Mahlzeit und vor allem Tagesschwankungen
(J0H-\.\.\ESSK.N»'>).
Die Milch gut ernährter Frauen ist fettreicher als diejenige schlecht
ernährter die Milch alter Frauen ist fettärmer als diejenige junger. In der
Frauenmilnh kommt auf 1^ stickstoffhaltiger Substanz 7'6 ^ stickstofffreie
organische Substanz (Sc'hi,ossm.\n\ "). Das Eiweiß ist in der Frauenmilch in
zwei Formen vorhanden, einmal als phosphürretclies Kasein und zweitens
als gelöstes Eiweiß, al» Albumin (eine den Albuminkörpern des Blutserums
und des Hühnereiweißes nahostelionde Proteinaub»tanz). welches Schwefel
in gelöster Form enthält
Wahrscheinlich ist auch noch das Vorhandensein eines dritten Protein-
körpers , des Gtabulins. Das Verhältnis von Kasein zu Albumin in der
Frauenmilch ist 12:5. Außer an das Kasein ist der Phosphor in der Frauen-
milch organisch gebunden in der leicht resorhlerbaren Modifikation der
Nukleono und Lecithine enthalten (SiKcritiED und Stoklasa*'). Neuere Unter-
suchungen SrHi.ossMANNsi«) scheinen allerdings hiermit nicht übereinzustimmen.
Der Eisengehalt der Frauenmilch (Frieüjl'.vg **), Arch. f. Kindorheilk..,
lüOl, XXXII, pag. 08) belauft sich zwischen 3-52 und 1-21 mg im Liter mit
einem Durchschnittswert \onb-KS*dmg, Eine progressive Abnahme des Eisen-
gehaltes der Frauenmilch während des Stillens l&ßt sich nicht nachweisen.
Die Azidität der Frauenmilch beträgt 010.
Verdaut wird die Frauenmilch etwa zu 98^/o. der Zucker fast voll-
stündig, das Eiweiß im Mittel zu 90% i^'^t einem Mtnimalwert von 83'12**/o
und einem Maximalwert von 99*57o)i das Fett zu 94—97%. die Salze zu
80Vo.")
Das erste Anlegen des Neugebornen soll schon am Tage der Geburt
erfolgen, Gewöhnung des Kindes an das Saugen und Verhütung der Stau-
572 SäuglingsernAhrung. V
ung des Sekretes bei der Matter. Ist um diese Zeit noch keine Mich vor-
handen, sn reicht man, bia sich dieselbe einstellt, kleine Mengen sterilisierter
Kuhniilch von 1:8 mit Wasser verdünnt oder einen schwachen Aufgoß von
Fencheltee mit Milchzusatz^ am besten löffelweise, nicht aus der San^flasche,
weil das Kind, einmal an den Saugrer gewöhnt, schwerer die Brustwarze
nimmt.
In der nachfolgenden Zeit läßt man den Säugling in 24 Stunden im
Durchschnitt siebenmal aniepen und sucht frühzeitig größtmögliche Kegel-
mäUij>:keit der Mahlzeiten einzuführen. Das Anlegen erfolgt dreistündlich.
Die Dauer jeder einzelnen Mahlzeit wfihrt etwa 20 Minuten. Das Kind maß
sich aatt trinken. Ist es ges&ttigt, so fällt es sozusagen ab von der Brust
und verweigert diese beim weiteren Hinreichen. Manche, besonders schwache
Kinder, zumal bei schwer gehender Brust ermüden leicht beim Saugen und
müssen diese durch Befeuchten des Gesichtes mit einem nassen Schwamm
od. dgl. öfters ermuntert werden. Recht häufig ist aber auch das Nach-
lassen des Saugens ein Zeichen dafür, daß die Brust nicht genügend Koh-
rung enthält, die Kinder ziehen erfolglos, und die Fruchtlosigkeit ihrer
Bemühungen einsehend, gehen sie nicht mehr an die Brust heran. Dasselbe
ist der Fall, wenn das Mißverhältnis zwischen der Saugkraft des Kindes
und dem Abfluß der Milch ein zu großes ist.
Möglichst früh schon soll man dem Kinde in der Nacht das Milcb-
trinken abgewöhnen.
Die Monge der Tagesaufnahme beträgt im Durchschnitt *•):
im 1. Monat (Ende) 7—8 Mahlzeiten ä, 60 — 70^— 250—560^
* 1>. . 6 > » 120—150 » — 760—900
» 3. » 5 - » 150^ = 900^
• 4. . 5—6 . • löO • =r 960 .
» 5. » und folgende 5 • • 200 • = 1000 »
Als gute abgerundete Mittelzahlen, welche ich nach dem in der Lite-
ratur vorhandenen Werte und nach zwei eigenen Beobachtungen berechnet
habe, dürfen folgende Werte gelten:
Das Brustkind trinkt:
Ende der l. Lebenswoche 250^
» . 2. » 500 »
. » 3. » 550 »
. . 4. » 600 •
• 8. • 800 '
• »12. • 850 -
» > 16. » 860 *
»20. - 930 •
» » 24. «> 1000 •
Indessen kommen ziemlich große individuelle Schwankungen sowohl
nach unten wie nach oben vor, hauptsächlich auch in den ßinzelmahlzeiten
(60 — 70 — 250^); doch liefern die gegebenen Durchschnittszahlen einen guten
Anhalt für die Frage, ob eine Brust genügend Milch liefert. Die Ermittlung
dieser Mengen findet statt durch Wägungen des Kindes vor und nach
jedem Trinken an der Brust in derselben Bekleidung. Aus der Ditfereni
beider Qewichtszablen ergibt sich das getrunkene Milchquantum.
Zur Entscheidung der Frage nach der Milchmenge muß das Kind der
erwähnten Schwankungen wegen mehrere Tage vor und nach der Mahlzeit
gewogen werden. Neben der Beurteilung der Milchmenge steht natürlich
immer das Gedeihen des Kindes im Vordergrunde. Das Verhältnis von
Körperwachstum und Nahrungsmenge bezeichnet man als »Nährquotient^ns
der einen Bruch darstellt, dessen Zähler den Qewichtszuwachs und dessen
SflugllDgsernAhrung.
573
Nenner die zuf?efGhrte Nahron^snien^e anzei^ Der Nährquotient erscheint
um so gflnstifcer, ie niedriger die Nahrnng^Rmenge im Verhältnis zam Waeba-
tuni ist.
Unter »Energiequotienten« versteht man nach Ueitbxer die Anzahl
der Kalorien , welche ein Individuoro mit der Nahrung im Tage pro Kilo
Körpergewicht aufnimmt.
Zur Feststellung der körperlichen Entwicklung des Säuglings dient
eine gnt funktionierende Wage. Häufigere als Stägige Wägungen sind zweck-
los und geben nur zur Beunruhigung der Mutter Veranlassung.
Die Entwöhnung <') wird am zwockmäUigeten zwischen dem 8. und
10. Lebensmonat vorgenommen, und zwar, wenn möglich, nicht plötzlich,
sondern allmählich im Verlaufe von 2 — 3 — 4 Wochen. Plötzlicher Übergang
wird notwendig, wenn das Kind neben der Brust die Flasche verweigert
oder diese Oberhaupt gleichwie andere Nahrung zurückweist. Ist kurz vor
der genannten Zeit die Gewichtszunahme subnormal, so kann man schon
früher entwöhnen. Konstatiert man eine nicht ausreichende Gewichtszunahme
bereits im 5. oder t>. Monat und sieht man den Grund hierfür in sinkender
MUchsekretion, so ist es geraten, falls die Milchmenge unter ein Minimum
(Vi — Vi 0 heruntergeht, für eine bessere natürliche Ernährung Sorge zu
tragen.
Hält sich indessen die Menge noch in den angegebenen Grenzen , so
ist es vorteilhaft, das Kind an der Brust zu lassen und einige Flaschen
Vollmilch zuzugeben. Mit dieser Krnährungsmethode, dem Altaitement mixte
der Franzosen, hat man häufig dieselben günstigen Erfolge wie bei einer
natürlicher Ernährung.
In der Abstillungsmethode empfiehlt es sich , nach folgendem Regime
zu verfahren: Die erste Woche für eine Brustmahlzeit eine Flasche Kuh-
milch einzuschieben, in der Hälfte der zweiten Wocho auch die dritte Brust-
mahlzoit zu ersetzen, und zwar durch OrieU, Heia oder Sago, Bouillon,
später mit Ei abgequirlt, oder durch Ki mit folgender F'laache oder Bouillon
mit Fleischsaft, am Ende der 2. Woche abends für die Brust einen Mehl-
oder Zwiebackbrei, mit Milch gekocht zu geben and schließlich in der
3. und 4. W^oche auch die noch übrigen Brustmablzeiten durch Kuhmilch zu
ersetzen.
In seltenen Fällen treten Verdauungsstörungen an der Mutterbrust
auf, welche sich mit keinem der zu Gebote stehenden Mittel beseitigen
lassen. Nützt dann ein- oder zweimaliger Ammenwpchsel nichts, so ent-
wöhnt man und sieht in solchen Fällen oft. daü die künstliche Ernährung
recht Erfreuliches leistet. Die Entwöhnung ist nicht in der heißen Jahres-
zeit vorzunehmen.
Die Ernährung an der Ammenbrust '^) sollte nach dem vorhin Ge-
sagten nur in Frage kommen, wenn die eigene Mutter nicht stillen kann oder
darf. Leider kommt es in unserer modernen Zeit auch vor, daß die Frau der
besseren Stände mit Rücksicht auf gesellschaftliche Verpflichtungen und
kleiner Unbequemlichkeiten wegen ihr Kind nicht stillen will. Diesem
Ubelstande des modernen Kulturlebens soll der Kinderarzt energisch ent-
gegenzuarbeiten versuchen.
Bei der ärmeren Bevölkerung scheitert oft der gute Wille der Mutter
an der sozialen Not insofern, als sie außerhalb des Hauses miterwerben
muß und ihr keine Zeit bleibt, ihr Kind zu stillen. Hier sollten humanitäre
Bestrebungen durch Unterstützung armer Wöchnerinnen helfend eintreten.
Den Ärmsten der Armen, insbesonders unehelichen Kindern, bieten die Säug-
lingsheime, Gründungen der neuesten Zeit, ihre Entstehung meist privater
Wohltätigkeit verdankend, zusammen mit der Mutter als Ernährerin eine
mehrmonatliche Unterkunft.
574
Säuglingsernährung
Bei der Wahl einer Amme Bind zwei Momente aas8chla^g:ebend:
1. Die Amme muß absolut gesund, vor allem frei von Tuberkolose
und Syphilis sein. Kflr letztere geben Geschwüre » Condylomata^ DrOsen-
schwelluDgen, Narben^ PigmenÜlecke, pigmentfreie Stellen, Knochenauftrei-
bungen, sowie das Aussehen des Kindes der Amme bei der Untersuchung
einen Wink. Scabies, Pediculi, Phthirius aollen vor der Aufnahme beseitig
sein, bilden aber keine Kontraindikation für die Aufnahme. Ammen mit
schweren akuten sowie chronischen Erkrankungen sind auszuschließen. Ein
luetisches Kind an die Brust einer gesunden Amme anzulegen halte ich
für unerlaubt. Manifestiert sich die Syphilis des Kindes erst zu einer Zeit,
wo es bereits von der Amme genährt wird, so ist letztere nur nach Ein-
weihung in die Verhältnisse zu behalten oder das Kind künstlich zu ernähren.
2. Die Milch muß in genügender Monge vorhanden sein. Auf leichten
Druck, indem man mit beiden Händen die Hrust umfaüt und sie von der
Peripherie nach dem Zentrum zu streicht, soll sich die Milch im Strahl ans
vielen ÖlfnuDgen ergielien. Sicher entscheidet die Wage die Quantität. Ab-
wägen, des Säuglings vor und nach dem Trinken. Später labt das Befinden
und Gedeihen des Kindes ein Urteil zu
Die Qualität der Milch kommt, wie oben erwähnt wurde, wenn die
Menge ausreicht, wenig in Frage, da dieselbe meist von der dritten Woche
der Laktation an in gewissen Grenzen konstant ist. Mikroskopische oder
gar chemische Untersuchungen zur Fedtstellung der Beschaffenheit sind da-
her ziemlicli nutzlos. Eine Ausnahme macht der Verdacht auf Stauungs-
iColostrum-l Milch, worüber das Mikroskop ohne weiteres AufschluÜ gibt
Vorteilhaft ist es, eine Amme nicht zu iung (nicht unter 18 Jahren)
und nicht zu alt zu wählen; auch nicht zu früh nach dem Wochenbett, am
besten erat in der sechsten Woche der Laktation, da Blutungen vor dieser
Zeit noch häufig sind und oft auch in der allerersten Zeit die Milclisekretion
plötzlich wieder aufhürt. Auch tritt die erste Menstruation — wenn sie
überhaupt während der Laktation eintritt — gewöhnlich am das Endo des
zweiten Monats ein und damit versiegt die Milchabsonderung in einzelnen
Fällen ganz plötzlich wieder. Unter 140 Frauen, welche ich ='°) untersucht«,
hatten 85 (60*>/o) während der Laktation regelmäßig ihre Menstruation und
unter den 65 Frauen trat die erste Menstruation bei 45 vor Ablauf des
dritten Monats ein. Die bloße Tatsache des Vorhandenseins der Regel bei
der Amme ist an und (Or sich kein Grund, eine Amme nicht zu engagieren,
ebensowenig das Auftreten der Menstruation während der Laktation ein
Grund, abzusetzen. ZweitstiUendc geben größere Garantien für reichliche und
dauernde MilchHekretion als Erststillende. Zu alt in der Laktation (über den
1. — 8. Monat hinaus) soll die Amme wegen des abnehmenden Fettgehaltes
nicht sein, auch versiegt um diese Zeit die Milch schon oft. Ob die Amme
annähernd um dieselbe Zeit entbunden hat wie die Mutter, deren Kind sie
nähren soll, ist ziemlich belanglos. An entwickelten Warzen saugt das Kind
leichter als an flachen und Uohlwarzen. doch ziehen die Kinder dieselben
meist nach einigen Tagen heraus^ eventuell muß ein Sauger, am besten die
gewöhnliche, bekannte Milchpumpe auf einige Zeit verwendet werden^ welche
die Warze herausholt. Eine Papilla circumvalata obtecta, hei welcher Form
die Warze im Warzenhofe unverrückbar festsitzt, ist zum Stillen ungeeignet.
Die Form der Brust ist bezüglich des Milchreichtums ziemlich ohne Bedeu-
tung, vorzuziehen sind die walzenförmigen Hängebrüste. Von nicht zu unter-
schätzender Wichtigkeit ist es, für ein schwaches Kind eine »leichtgehende«
Brust^ für ein kräftiges Kind eine > schwergehende« Brust zu wählen. Nimmt
man hierauf keine Rücksicht, so kommt es im ersteren Falle leicht zu für
das Kind unzureichendem Milchabfluß, Milchstauung und Versiegen der Milch,
im letzteren zur Überernährung des Kindes und deren Folgen.
SfiuglingscrtiAhrung.
57&
Eine reichlich vorhandene Milcbsekretion wird bei der Amme am besten
erhalten, wenn man an der Amme Gewohnheiten nichU ändert. Es tat daher
nicht richtig, fQr sie eine besondere KQche einzurichten, sondern einfache
Hausmannskost ist gerade recht. Aach sorge man für reichliche Bewegong
durch Anfenthalt im Freien and durch Bcsch5.ftigung im Hause (Reinigung
des Kinderzimmers, Kinderwäflche etc.). Wir sind nichl [mstundc, durch eine
besondere Diät der Stillenden einen deutlichen Eiiüluli auf die Zusammen-
setzung der Milch auszuüben (Johannessen, BAL'M.^x\N und Illnek, Schloss-
mann »0-
Dagegen steigert reichliche F'lOssigkeitszufuhr die Menge der Milch.
Laktagoga, sogenannten miichtreibenden Mitteln (Somatose, Laktagol,
HEYDENscher Nährstoff), stehe ich mit groliem Skeptizismus gegenüber. Der
Übergang von Arzneiatoffen von der Mutter auf das Kind durch di« MItch
geschieht in so kleinen Mengen, daU er für das gestillte Kind belanglos ist.
Nervöse Einflflsse, psychische Erregungen. Depressionszustände Qben nach
meiner Meinung zweileilos einen KinflutS auf die Sekretion der Mflch aus.
Künstliche Krndhrung. Ist die natürliche Ernährung nicht möglich,
so ist man gezwungen, den Säugling kQnstlich aulzuziehen, ein nur unvoll-
kommener Ersatz (Surrogat) der Frauenmilch. Das beste Material für die
künstliche Ernährung ist Tiermilch und von den Tiermilcharten ist aus
praktischen Gründen die Kuhmilch am meisten zu bevorzugen. Eselinnen-
und Stutenmilch, wenngleich in ihrem EiwelUgehalt der Frauenmilch nahe-
stehend und die Tiere meist tuberkulosefrei, sowie Ziegenmilrh sind t^ils
teurer, teils schwerer zu beschaffen. ^^) Als erstes Prinzip jeder küustlichen
Ernährung mul5 es gelten, dieselbe möglichst genau nach dem Muster der
natürlichen Ernährung durchzuführen.
Die Kuhmilch unterscheidet-'^] sich in zwei Punkten wesentlich von der
Frauenmilch, nämlich in bezug auf ihre bakteriologische Besc^haffeuheit (Un-
reinheit) und zweitens beziehentlich ihrer chemischen Zusammensetzung.
Was den letzten Punkt anbetrifft, so hat die Kuhmilch beinahe dreimal so-
viel Eiweiß als die Frauenmilch, nur zirka die Hälfte Zucker, dagegen aber
dreimal soviel Salze. Außerdem gerinnt das Kuhmilchkasein, in den Magen
gelaugt, durch den Labsaft in dcrbertia Flocken als das Frauenkasein und
wird daher durch die Verdauungsäfte langsamer gelöst. Trotzdem kann man
von einer Schwerverdaulichkett des Kuhmilchkaseins nicht sprechen, da die
Ausnutzung dieses Stoffes im normalen Säuglingsdarm eine ebensogute Ist
als die des Frauenmilchkaseins (RrBNER, Heubneh, Bexdix): auch hinterläßt das
Kubmilchkasein bei einem vollkommen gesunden Säugling nicht mehr
phosphorreiche V^erdauungsrückstände als das Frauenmilchkasein (MOllkr,
K.NÖPKELMArJlKll-*).
Immerhin wird man angesichts der schlechteren Ernährungsresultate
bei küDStlicher Ernährung zu der Vorstellung gezwungen, daß die Ver-
arbeitung der Kuhmilch im ganzen eine größere Leistung darstellt als die
der Frauenmilch. Nach HECBNEri'*'*) beruht die Minderwertigkeit der Kuh-
milch in der ungünstigeren Gestaltung des Kraftwechsels (bei gleicher
Energiezufohr geringerer Anwuchs mit größerem Verbrauch der eingeführten
Spannkräfte für die Arbeit | Wärmeerzeugung, Verdauung, Bewegung]).
Im Einklang mit dieser Theorie würden auch die neueren Anschauungen
Ober die in der Milch gefundenen Fermente (Kslhkkuh, Marfan, Cünxetti,
Spüi.verim, Moku etc. ^"j stehen, durch deren Übergang auf das Kind durch
stimulierende Wirkung auf die assimilierenden Faktoren die Verwertong
der Nährstoffe belördert wird (Escherisch^'), wofern man voraussetzt, daß
die Fermente der Frauenmilch in wirksamerer Weise vom Kinde verwertet
werden als die der Kuhmilch. Czerny und Keller (Des Kindes Emährang
usw., 1^J02, Kap. 19) bestreiten die größere Arbeit des Säuglings bei der
57«
Sftuglingserafihrung«
KohuiitcheruähruD^. da einzelne Kinder bei der Flasche gleich g'nt wirt-
Bchaften wie Brustkinder.
In ähnlicher Weise könnte die sich an die Forsch ungsresultate ober
die biologischen spezifischen Unterschiede zwischen dem Kuh- und Frauen-
mUcheiweiß (spezifische Präzipitinreaktion*) anlehnende Anschauung der leich-
teren Assimiiaiion des arteigenen homologen Frauenmilcheiweilies gegenüber
der mehr Arbeit oder Fermenttäti^keit erfordernden des artfremden het^po-
logen Tiermilcheiweißes fOr die von Hki'kxkk erschlossene Mehrleistung des
Flaschenkimles herangezogen werden.
Auch der von Moro^^j (Untersuchung Ober die Alexine der Milch.
J. f. K., 1902, LV) erhobene Befund, daß die ersten Gaben von Kuhmilch
bei vorher allein an der Brust genährten Säuglingen den Oehalt an Alexinen
und Zytotoxinen im Blut akut absinken lassen, wird von Wassermann'")
(Deutsche med. Wocheoschr., 1903, 1) dahin gedeutet, daß diese beim Brust-
kinde frei verfügbaren Komplemente zur Umwandlung des tierischen (art-
fremden) Eiweißes verwertet werden.
Von anderen Unterschieden zwischen Frauen- und Kuhmilch seien noch
erwähnt: Die festere BeHchaffenheit der P^äzes bei Kuhniilchnahrung, ihr^
Neigung zu alkalischer Reaktion, das Auftreten einer üppigeren (LANGKKMAMf)
und artenreichen Bakterienflora unter Zurücktreten der beim Brustkind vor-
handenen Spezies (Tissier, Moro. Rodbei^a, Schmidt und Stkassburger) and
ein höherer Gehalt an organischen Substanzen rHErBVEK).
Bei dem geringen SalzsÄureverbindungsvermögen der Frauenmilch ent-
wickelt sich im Magen des natürlich ernährten Kindes frfiher freie Salzsäure,
und mit ihr treten auch die bakeriziden Eigenschafton derselben schneller
in Aktion. Das Verhältnis vom ungol5ston Kiweiß, dem Kasein, zum gelösten,
dem Albumin, ist in der Kuhmilch ein ungünstigeres als in der Frauenmilch.
In der Kuhmilch verhält sich Kasein : Albumin — 10:1. Die Verdaulichkeit
der Kuhmilch, resp. ihre Ausnutzung bleibt hinter der der Frauenmilch
etwas zurück. Die Kuhmilch wird zu zirka 93V0 ausgenutzt: der Zocker
wird fast vollkommen, das Eiweiß zu 95 — 98%, das Fett zu 93 — 9b°/^, die
Salze aber nur zu 60 — 70°- n (die Kalksalze nur zu 30%) verdaut.
Um die Differenzen zwischen Kuhmilch und Frauenmilch auszugleichen,
w&pe zu fordern :
1. Möglichste Befreiung der Kuhmilch von bakteriellen Verunreinigungen
(Qärungs- und Faulniscrregern ^^) und pathogenen Keimen.
2. Zu versuchen, in bezug auf Verdaulichkeit, Nährwert, chemische
Zusammensetzung, Menge und Temperatur annilhernd die gleichen Verhält-
nisse wie bei der Frauenmilch herzustellen.
Für den Punkt 1 ist erforderlich :
a) Milchgewinnung von nur gesunden Kühen. Milch von perlsüchtigen,
mit Milzbrand, Lnngenseuche, Maul- und Klauenseuche behafteten Tieren
ist zu verbieten.
//> Schutz der Milch vor Infektion, Musterställe, penible Sauberkeit
der Kühe selbst, ihrer Spreu^ des Futters, der Melker, der Gefälle etc.;
ferner im Qrolihandel Reinigung durch Zentrifugieren, Leitung durch Kühl-
rühren, baldiges Sterilisieren nach dem Gewinnen und Kühlung bis zur Ab-
gabe ao das Publikum.
c) Vernichtung der bereits in die Milch gelangten Keime. Dasselbe
geschieht durch die einfache Steritisation (einmaliges '/^ — %stündige8 Kr-
hitzen der Milch bis zu 100° C) oder noch sicherer durch die fraktionierte
* Man versteht hierouter, daß da» Semm von mit Kuhmilch bzw. Menschenmilch
durch Injektion vorbehandelten Tieren in ^pezilischer Weise nnr die Eiwi'ißkörper der MÜcb-
art fUUt, ^v^che dem Tiere cioverleibt wurde (VVa&sxrka.*«», Scurtzs, Moko, UambobobhJ.
SfiugliugsenifthruDg.
577
I
Sterilis&tioD (derselbe Vorspann an drei aufeinanderfolgenden Tagen) in den
großen Milchkuranstalten, wie sie sich jetzt fast in allen größeren Städten
befinden. Schon die einfache Sterilisation genOgt, am relativ sterile Milch
(frei von pathogenen und Gärungskeimen, wenn auch nicht frei von allen
Sporen) zu erbalten. Dieselbe ist ausreichend als Kindernahrung, falls sie
auf dem Transport und auch im Hause bis zum Verbrauch (längstens nach
24—36 Stunden) kObI (16" C) gehalten wird.
Ffir den Haushalt eignet sich zum Sterilisieren am besten der Soxhlet-
apparat^*), bei dessen Verwendung es vor allem auf Sauberkeit ankommt,
5 — 10 Minuten kochen vom Beginne der Siedehitze. Tagesgebrauch wird auf
einmal in Einzelportionen zubereitet. Längeres als ^ »ständiges Kochen
schadet der Milch (Farbe-, Geruch-, Goschmackvoränderung, Aufhebung der
feinen Kmulsion des Milchsaftes, wenngleich chemische Veränderungen bei
Temperaturen von 100^ C in ihrer Zusammensetzung nicht nachweisbar
sind) und hat eine Herabsetzung der Verdaulichkeit zur Folge (Bknuix ''^).
Nach dem Kochen schnelles Abkühlen. Aufbewahren bis zum Gebrauch in
Eis. Es genOgt auch als Notbehelf ein Topf (Wasserbad) als Sterüisatlons-
apparat.
Die Hauptbestrebungen der Hygiene in bezog auf Milchversorgung der
Stfidte für die Sänglingsernährung müssen darauf gerichtet sein . die Milch
von der Kuh steril zu gewinnen und bis zum Gebrauch steril zu erhalten,
ohne künstliche Sterilisationsmethoden^^), denn man neigt sich in neuerer
Zeit mehr und mehr der Ansicht zu, daß durch die Sterilisation manche,
vielleicht schädliche Veränderungen in der Milch vor sich gehen.
Von einzelnen Autoren wird auf die Zersetzung der in der Milch vor-
handenen organischen P.-Bindungen , Lezithin und Nukleon, wodurch der P.
derselben für die Aufnahme in den Körper ungeeignet wird, durch die Sterili-
sation aufmerksam gemacht. Auch werden gewisse fermentative Eigenschaften
der rohen Milch durch den Kochprozeß zerstört.
In manchen Fällen wird z. B. für das Ent.stehen von BARi.owscher Krank-
heit die lange Zeit fortgesetzte Ernährung mit sterilisierter Milch verant-
wortlich gemacht.
Die Saugflasche sei genau graduiert, peinlichst sauber gehalten, des-
gleichen das Saughütchen (keine Rührenflaschen).
Die gegen das Sterilisationsverfahren geltend gemachten Bedenken
lassen in den letzten Jahren wieder die schon vor langem angewandte
Pasteurisation — Anwendung von Hitzegraden von 68--70°C zur AbtÖtung
der Keime in der Milch — von neuem empfehlen. Wenngleich auch hier-
durch die Milch von pathogenen Keimen befreit, vielleicht der Rohgeachmacfc
der Milch erhalten wird und die Resultate mit der pasteurisierten Milch
gute sind, so hat das Verfahren die gewöhnliche Sterilisation noch nicht
verdrängen können. Empfohlen wird die Pasteurisation von Oppbnheimer,
von SiEGERT, von KOBR.^K. '*)
Rohe Milch darf bei der noch unsicheren Asepsis der Milchgewinnung
allgemein als Säuglingsnahrung nicht empfohlen werden, sie findet ihren
Platz in der Diätetik des Säuglingsalters nur in ganz bestimmten Fällen.
Das vom Ingenieur Helm beschriebene Verfahren der Tiefkühlung (Abkühlung
bis wenig über 0^) einer tadellos gewonnenen und gehaltenen Milch dürfte
in Zukunft vielleicht imstande sein, eine einwandfreie Säuglingsmilch mit
Erhaltung auch ihrer biologischen Eigenschaften zu liefern (cf. Spehk,
Sbipfert).
Punkt 2, zu versuchen: die Kuhmilch in ihrer chemischen Zusammen-
setzung der Frauenmilch möglichst ähnlich zu machen, gelingt nur teilweise*
Denn die Nahrongsstoffe der Kuhmilch sind nicht bloß prozentual iter anders
verteilt, sondern sie sind zum Teil, insbesondere die Eiweißstoffe, differente
Eaeyelop. Jkhrbflebcr. N. V. IV. (XIU.) 37
578
Säuglingsernährung.
Körper, welche auch in bezug auf ihre VerdauHchkeit, Löslichkeit und
Resorbierbarkeit Verschiedenheiten zeigen. Indessen scheint es doch weniger
darauf anzukommen, das Kasein verdaulicher zu machen — hiermit wird
der gesunde Säu^lin^smagen schon fertig' — , als das ungrleiche Verhältnis
der einzelnen Nährstoffe in den beiden Milcharten, speziell des Kaseins.
durch entsprechende VerdÖnnung mit Wasser resp. Gersten- oder Hafer-
Bchleimlosung-en einigermaßen auszugleichen.
Methoden der kÜnstlichenKmäbrnng. Von den einfachen Methoden,
welche in VerdDnnung der Milch und Zuckerzu^alz bestehen, verdienen drei
ganz besonders hervorgehoben zu werden:
1. Die volumetrische Methode (EsCHKRiCH*^). Dieselbe geht von der
Idee aus^ bei der künstlichen Ernährung gleiche Volumina wie bei der
natürlichen zu verabreichen, mit Einstellung annähernd auf denselben EiweiB-
gehalt. Bei dieser Art der Ernährung ist das Fettmanko ein bedeutendes,
wenn den EsoBERiCHschen hohen Eiweißwerten, welche den PpEiPFERschen
Zahlen entstammen, die ntedrigen und heute als richtig angenommenen ein-
gofijgt worden. Dem Ausgleich dieses Fehlers trägt eine Modifikation der
urprünglich von Escherich eingeführton Nährmethode Adams 3'"') Hechnung.
bei welcher im Hinblick auf die individuellen Körpergewichtsachwaokungen
nicht nur das Volumen nach dem Alter, sondern auch die Nährstoffmenge
nach Alter und Gewicht des Säuglings berücksichtigt wird. Die erforderliche
Milchmenge wird bei dieser Art der künstlichen Ernährung gewonnen, indem
man das Tagesvolumen multipliziert mit dem Kindusgewicht und durch 10
(resp. 7) dividiert.
Also z. B. , wenn ein Säugling von 5 Wochen 700 cm* an der Mutter-
700 : 3-7
brüst trinkt und '6'1 kg wiegt, so gebraucht er — — — = ^60 cm* Milch.
Dieses Quantum wird durch Zusatz von 440 cm' einer 6Voigen Zuckerlösung
(oder von 220 Rahm und 220 Zuckerlösung] auf das erforderliche Volumen
von 700 gebracht.
Die beiden folgenden Methoden haben sich allgemein Eingang in die
Praxis verschallt und behaupten ihren Platz in der Säuglingsdiätetik.
2. Die prozentische Methodo (Biedert*^). Dienelbe, von der Schwer-
verdaulichkeit des Kuhmilchkaseins und Hilüung oines schädlichen Nahrungs-
fltoffes ausgehend, empfiehlt als rationelle Säuglingsnahrung eine noch nicht
l°/oige Eiweißlösung. Mangel dieses Verfahrens ist das groüe Fettdefizit.
Genauere Vorschriften für die BiKUF-RTsche Ernährungsform:
Woche (Monat) MtlchnK'o^'e uud ZnsatzIlUääigktiit
1—3
i
3—4
4—8
1
2
8—12
1
1
4—6
-1
1
7—8
3—4
1
8—12
Vollmilch
—
Als Zusätze verwendet BiEnEnr aus dextrinisierten Mehlen gewonnene
2^oiGf& SchleimlÖsnngen. Auf 100^ Zusat^^flüasigkeit werden 4^ Zucker zu-
gesetzt. Als Tagesmengo der obigen Mischungen rechnet Bibdbrt 150 bis
200 cm^ auf das Kilogramm Körpergewicht.
3. Die kalorimetrische (s. physiologische) Methode (Hel'onbr'*).
Beudner wählt eine möglichst geringe Vordönnnng der Milch und sucht das
Nahrungsgemisch in seinem Kaloriengehalt (Energiewerl) dem der Frauenmilch
möglichst nahe zu bringen. Die Verschiedenheit im Kaseingehalt beider Milcbon
halten wir für ziemlich unwichtig, da eine Schädigung des Organismus selbst bei
3%igen EiweiÜlösungen nicht zu beobachten Ist (ÜelBiNEk, Bendix. Keller).
SftuglingseruAhruQg.
57»
Zur besseren Übersicht der Zusammensetzung von Frauen- und Tier-
milch diene folgende Tabelle.
Eiweiß
30
10-2
85
•23
1 Liter Kuhmilch enthält
Frauenmilch
Ziegenmilch
Kselmilch
Stutenmilch
Fett
Xaclier
SalEe
Kalorien
34
45
70
650
35
70
2-0
700
39
44
8-0
686
17
60
5 0
479
12
57
40
420
Nach der HRiBNERschen Methode erhält das normale uud gesunde Kind
schon im ersten Monat ein Nahrungsgemisch, welches aus -/.^ Liter guter
Kuhmilch und '/j Liter einer 12*3'*/oigen Milchzucker-, 1 — 27oigen Hafer-
{Gersten-j Schlelmlusung besteht.
Uk Diese Verdünnung hat folgende Zusammensetzung im Liter:
^^^^_ Kiw«>iU Fett Zucker K»lorieu
^^^ß ' 23*7 24-6 76*3 640
Diese Zufuhr entspricht an Kalorien soviel, als ein Kind in zirka 850 — 900j^
an der Mutterbrust erhält; hiermit kommt das Kind bis zum 5. Monat aus
und von da an muß man, um auf zirka 700 Kalorien zu kommen, anstatt
1 Liter Flüssigkeit: 800 Milch, 400 Haferschleimlösung. öO g Milchzucker
geben. Pro Kilo Körpergewicht erhält der Säugling zirka 100 Kalorien,
häufig genug reichen aber auch schon 90 und selbst 70 Kalorien aus.
Mit Berücksichtigung der FtOssigkeitamongen, welche das gesunde
Brustkind in den einzelnen Lebenswochen trinkt, läßt sich folgendes Maß
für die künstlichen Ernährungsmethoden nach Heubnek aufstellen;
U r u s I k i II d
L«l»«niwo«ba
Matlarmilob
FlAaohuukiad
Kiibmilcb
kubik»0Dllm*t«r
Milebnekar
Onrnn
2 .
3 .
4 .
5 -
6 .
7-8
9-12
13-16
17-30
21-24
300
550
600
650
700
750
800
826
875
925
lÜOU
60-200
350
m}
400
460
ÖOO
600
550
600
650
650
100
200
200
250
250
250
300
300
300
350
350
12
24
24
30
30
30
37
37
87
43
43
Es kann nicht oft und ausdrücklich genug hervorgehoben werden, daß
es eine Schablone für die Ernährung des Säuglings nicht gibt, weder be-
züglich der Menge der Milch, noch dos Grados der VordOnnung.
Ks heißt hier wie in vieinn Dingen nicht schematisieren, sondern viel-
mehr individualisieren. Und Inäofern ist auch diese Tabelle nur cum grano
salis zu verstehen: das gesunde Kind richtet sich naturgemäß, nicht nach
diesen durch die Berechnung gewonnenen Mittelzahlen, Und doch haben
diese Normalwerte als maximale Mengen, über die man nicht hinausgehen
sollte, einen großen Wert. Unter diese Mengen herunterzugehen, ist schon eher
«rlaubt.
So gut wie es kräftigere Kinder gibt, die schon im zweiten und dritten
Monat mit reiner Kuhmilch fertig werden, ebensogut kommen schwächliche
Kinder vor, denen die * j-Milchmischung zu viel V^erdauungsarboit auflegt,
in solchen Fällen greife man dann zu schwächeren (Y^ Milch, ^/^ Haferschleim
37»
580
Säuglingsernährung.
oder Vs Liter Milch za \'; Liter Hafermehlabkorhungl VerdOnnungen. Bei
diesen setzt man dann etwas mehr Zucker zu. Im groben und ganzen aber
empfehle ich von der 3.^4. LeUenswoche an sowohl nach meinen jahre-
langen Erfahrungen an einem groben poliktinischen Material, wie auch in
der Privatpraxis, die V;rMilchmiachung auf wärmste. Die Resultate sind
häufig vorzügliche. Dünnere Konzentrationen sind während der ersten Lebens-
Wochen zu empfehlen: 1. Woche: Va Milch — 650 Schleim und 350 Milch
und 4-^g Zucker (d. h. 8o/o), 2., 3- {■*•) Woche: V* Milch = 500 Schleim und
500 Milch und 50^ Zucker (d. h. lO^o)- Diese Verdünnungen, welche sich
Im Prinzip den BtKUERTschnn Mischungen nähern, kommen auch in Betracht
für schwächliche Kinder mit niedrigum Körpergewicht, oder auch fflr voll-
kräftige^ die bei der sogenannten • .^-Nahrung nicht gedeihen wollen.
Die Temperatur der Kuhmilchnahrung suU annähernd '6S°C betragen.
Die Zahl der Mahlzeiten soll bei Kuhmilchernäbrung nicht häufiger sein
als bei natürlicher Ernährung (5 — ty — 7); insbesondere dürfen die Intervalle
nicht kürzer (frühestens ^stündige) sein, da die Kuhmilch langsamer den
Magen verläßt als Frauenmilch. Die Menge der Einzelraahlzeit (100 — -150 bis
200 cm*) ist nur um weniges h5her zu berechnen als bei Brustkindern. Im
dritten Vierteljahr ist Vollmilch zu geben.
Die gewöhnliche HEiBNEUsche Mischung (^., Milch, ^/j Haferschleim)
wird bereitet, indem man 10^/ (il Teelöffel) dextrinisiertes Mehl oder
Milchmehl mit reichlich '^ Liter Wasser verröhrt, zirka Vs 3^"°<'® b>*
zur dünnen Schleimkonsistenz kocht und gegen den Schluß 4:^ g Mich-
ZQcker zusetzt, dann gießt man diese Schleimtüsung, die bis auf 350 cm^
eingekocht sein soll, in ein Meßgefäß, setzt 650^ Milch zu und kocht
noch einmal 10 Minuten , nachdem eventuell bei Benutzung eines Soxhlet-
apparateR die Gesamtmenge auf die einzelnen Flaschen verteilt ist
Für das bessere Publikum ist es ratsam^ einen Meßzylinder anzu-
schaffen, für das ärmere Volk soll der Arzt die Mischungsverhältnisse nach
Eßlöffeln angeben oder Scfaleimlösung und Milch in getrennten Qefäßen kon-
servieren lassen und in die sogenannten > Strichflaschen < Milch und Schleim
nach der beabsichtigten Konzentration 1 : 2 oder 1 : 1 oder 2 : 1 etc. ver-
teilen lassen. Der Mehlzusatz befördert durch Zwischeniagerung der Eiweiß-
moleküle die Eiweißverdauung insofern, als das Kaseingerinnsel feinflockig
wie bei der Frauenmilch wird. Bei Verabreichung von zu viel Flüssigkeit
oder zu viel Milch kommt es sehr bald zu schweren Schädigungen des
Magens und zu Stoff woch.selerkrankungen (Überernährung). Von einzelnen
Seiten spricht raan sich gegen den Milchzuckerzusatz aus ( Jacobi), der bei seiner
Zersetzung unter Bildung von Milchsäure durch diese dem Kasein das Calcium-
phosphat entzieht und hierdurch ersteres schwer verdaulich machen soll-
Zur Warmhaltung von Milch, besonders während der Nacht oder auf
Reisen darf man sich ohne Furcht vor Vermehrung der Keime oder Sporen
der Milchthermophore bedienen.
Gegenüber der Empfehlung von Vollmich als Säuglingsnahrung (Bvdin,
DE Rothschild, Oppenheimer, ScHi.KsiN(iKR), bekennen wir, nach praktischen
Erfahrungen in frühen Monaten davon Abstand nehmen zu müssen. Auch
jACOni und Schlossmanx haben mit unverdünnter Milch keine Erfolge za
verzeichnen (Monti ^•). Über die Mischung von Molke und Milch, ein Vor-
schlag, der als künstliche Säuglingsnahrung nicht unrationell erscheint, fehlt
mir die Erfahrung.
Neben den Versuchen, durch Verdünnung die Kuhmilch der Frauen-
milch ähnlich zu machen, hat man seit langem dies Prinzip zu erreichen
gesucht durch Herstellung von Nährpräparaten, welche hauptsächlich auf
höheren Fettgehalt oder leichtere Verdaulichkeit des Kuhmilchkaseins hin-
zielen. Diese Präparate sollten nach unserer Meinung Verwertung nur finden:
SAuglingseriiälirung,
581
1. Wenn Rinder bei verdünnter Kuhmilch nach Durchprobieren der
einzelnen VerdQnnungHmethoden nicht gedeihen wollen.
"2. Als Versuch bei Rekonvaleszenten und achwachen Kindern.
3. Als Ruhediät; kurze Zeit hindurch bei magendarmkranken Kindern.
Die wichtigsten und gebrauchlichsten dieser Mittel*, Ober welche
zum Teil für die erwähnten Indikationen gute Resultate vorliegen, lassen
sich zum Teil wenigstens nach bestimmten Gesichtspunkten ordnen (vgl.
B. Bendix*«).
I. Gruppe: Milchen mit vermindertem Eiweißgehalt. Fettan reicherang:
1. BiKDEKTsches Rahmgemenge (natürliches, künstliches) s. Ramogen.
2. GÄKTNEKsche Fettmilch.
3. Lahman'ns vegetabilische Milch (Prinzip des Rabmgemenges mit vege-
tabiUschem Eiweiß und Fett als Milchzusatz durchgeführt).
4. Kondensierte (Schweizer) Milch.
IL Gruppe: Verdünnte, durch Fett angereicherte Milch, deren Eiweiß-
körper bereits vorverdaut und mehr oder weniger gelöst sind.
1. BACKHACSsche Milch (Rahmzusatz, Lösung eines Teiles des Kaseins
durch Trypsin).
'2. VoLTMKKs Muttermilch fUm Wandlung des Kuhin ilchkasoins durch
Zusatz von Pankreasferment in Pepton, sonst die Zusammensetzung analog
der Muttermilch).
3. Di'NGEKNscbe Labmilch (Zusatz einer Messerspitze >PegQin< (Höchster
Farbwerke) zu 200^ unverdünnter Milch.
IIL Gruppe: Herabsetzung des EiweiÖgehaltes durch Verdünnung, Fett-
anreicherung, Ersatz des EiweiUdefizits durch lösliche Albuminate oder Peptone.
1. RiRTHsche Alburaosenmilch (Ersatz des Kaseins durch eine aus dem
Hühnereiweiß durch Erhitzen hergestellte, nicht gerinnende Albumose); Zn-
satz von Kahm und Zucker. Ähnlich HARTMANNsche Somatosonmilch.
2. HE&iPEL-LEHMANNHche Milch (Verdünnung der Kuhmilch bis zu einem
Kaseingehalt von 0'75%. HiuzufÜgon eines Ktdottera (Phosphor -f Eisen)
und des Weißen eines Eis. Anreichern mit Fett und Hinzugabe von Milch-
zucker geben ein Nahrungsgemiscli, welches in der quantitativen Zusammen-
setzung der Frauenmilch ähnlich ist).
IV. Gruppe: Fettarme, aber zuckerreicbe (insbesondere Malzzucker)
Gemische.
1- LiKBiGsche Suppe (Diaslasierung des Mohls durch Malz).
2. KKLi.EKsche Malzäuppe (ftö^ Weizenmehl -h OoO Wasser, 100^ Löf-
li;nds Malzsuppenextrakt + 350 Milch).
3. AiXKXBrRYS Kindernahrung Nr. III (Malted food).
4. Liebes Neutralnahrung (Dreädenj.
5. So.MiLETS Nährzucker.
6. BRt?NNKXGKABERS (Rostock) Malzpulver.
V. Buttermilch.
VL Odda nach v. Mehring (Kohlehydrate durch Diastasierung gelöst
and durch den Backprozeß aufgesch losen. Mineralstoffe zur Hälfte aus Phos-
phorsäitre und Vi ^^^ Kalziumoxyd bestehend, anstatt des ButterfeLtos aus
Eidotterfett mit Lezithin- und Vitatlingobalt und Kakaufetti.
Kindermehle. Die in den Handel gebrachten Kindermeble sind nicht
als der Frauenmilch gleichwertig zu betrachten. Denn sie enthalten zu wenig
Fett, ZQ viele Kohlehydrate und fast alle einen erheblichen Teil der letzteren
* BezugtHiaelleo: BitoBiiTscfaeA Bubmgemt^Dife, Deniache Milchwerke hi Zwingenberg*
OlRTKEBMcbe FettDirk-}], Scbweiserbot, Berlin, Emdt^nfrstr. 40/41. B&atuAussche Miluh, l^erlia
N., Ja^owAtr. 20, Dr. Cvbülski, Apoth«k(!r KoliUtock, Muütermolkvrei, äufawedt a. 0.. Anstalt
Mr Albamo8e*Sil»frlin((Saiikh. UiKTiiHcbe Milch. VoLTMKHa Mnttermileh bei LnboianD, Bamburn-*
Altena. HsMPKL LKOUANNtiohfla Milcbpulver bei Gebr. PIniid, Dresden.
582
SäugUngBernfthrung.
in Form von Aroylam. Die Rindermehle sind zusammengesetzt meist aas
Zwieback, kondensierter Milch, Zucker und sind fQr den Oebraoch auf
1 ; If) zu verdünnen. Sie eignen sich fQr das gesunde Kind nur als Beigabe
(nach dem ersten Vierteliahr) und dann nur auf kurze Zeit; eine wichtigere
Rolle spielen sie in der Krankenernäbrung. Die bekanntesten sind die von
Nk8Tl£, Radkmann, Kufeke, Thkixhardt, Mbi.lixs Food, Allenbitry, Odda etc
OpEi.scher Nährzwleback als Ersatz fQr die Haferschleimzogabe zur Milch
scheint sich gut zu bewähren. Zu den einfachen Mehlen gehören außer
Gersten- und Hafermehl das Reismehl, Maizena. Tapioka. Mundamin, Ar-
rowTf/oty KNORRsches Hafermehl u. a.; sie stellen weiter nichts dar als mög-
lichst fein gemahlene einfache Mehle (ohne Milchzusatz)-
Als Warnung mögen dem Praktiker die mehrfachen Beobachtungen
dienen, daß nach länger fortdauernder Darreichung von künstlichen Nähr-
präparaten, nach käuflicher, energisch sterilisierter Milch sowie nach Milch-
konserven Fälle von BARLOWscher Krankheit beobachtet werden sind.
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Encyclopad. Jahrbücher. 1900, IX. Jahrg., pag. 249. B. BenJix.
Sallcylarscnatc de mercure (EiK^sol). Das ist eine von
CoiGNET V) empfohlene Verbindung, weicht« sowohl Arsen als Quecksilber in
'-•iner Form enthält, in welcher sie durch chemische Reagentien nicht ohne
weiteres nachweisbar sind. Das Präparat ist wasserlöslich und dient zu In-
jektionen bei SyphiUs, wobei das Arson stimulierend auf den Organismas
wirken soll. Die Injektionen sind nicht schmerzhaft. Sie werden täglich in
üblicher Weise gemacht, und zwar zu Q cg. 20 — 30 Injektioueu sind für eine
Kur erforderlich. Das Präparat besitzt eine große Wirksamkeit.
Auch HabruhS) hebt als Vorzöge dieses Präparates hervor: Das rasche
Vorschwinden der Syphilissymptome. Dabei kann man wegen der geringeren
Giftigkeit größere Dosen Quecksilber geben. Schmerzen treten an den In-
jektionsstellen nicht auf.
Ebenso spricht sich Breton*) ans, der besonders Erfolge bei Lues des
Nervensystems sah.
Literatur: 'j Coiokkt, Lyon, m^d., Nr. 23, zit. nach Therapie d. Gegenw., September
1904. pag. 430. — ') HAnaicn. »Ku^soU. Wiener klin. Riindsch., 1905, Nr. 14, Jßlt. nach
DeutBche med. WochenHcbr, 1905, Nr 17. p.ig. 682. — *f Brkton, Oaz. de hflp., Nr. 79, kU.
nnch DcntAche med. WochenBcbr.. 1901, Nr. 33, pag. 1179. E. Fny.
Salizylsäure. An Stelle der Anwendung per os setzte Menhei. *)
die intravenöse Injektion. Er gab in Intervallen von 12 Stunden bis 3 Tagen
2 cm^ — in schweren Fällen auch mehr, bis 4 cm^ — einer Lösung.
Rp, Natr. salicyl. 8 0, Coffein, natrio-saücyl. 2 0, Aq. dest. ad. 500, oder Natr.
»alicyl. 8 75, Coffein. 1'25, Aq dest ad. öO 0. Da sich diese Lösungen nicht
halten, bringen die Vereinigten Chemischen Werke in Charlottenburg "J g-
Ampullen steril in den Handel^ und zwar unter dem Namen »Attritin«.
Nach Mf.nue), leistet die intravenöse Injektion folgendes : »Sie besei-
tigt besonders bei fieberlo« verlaufenden Fällen aufs schnellste und sicherste
alle rheumatischen Schmerzen und flüssigen E.xsudationen in den erkrankten
Gelenken. Sie ist auch noch in solchen Fällen wirksam, wo die interne und
externe Therapie versagt. Sie ist frei von all den unangenehmen Neben-
wirkungen, welche der internen Salizyltherapie anhaften.« Ferner kann das
augenblickliche Schwinden der Schmerzen und der Schwellung differential-
diagnostisch von Wichtigkeit sein. Ebenso lobend äuliert sich über die
intravenöse Form der Sulizylbehandlung RiruBNs. -) Dagegen leistete sie nach
Bkuusch *) keineswegs mehr als die interne Therapie und ist zudem oft
recht schmerzhaft Die nierenschädigende Wirkung kommt beiden Arten der
Applikation zu. Besonderen Wert legt Naumakn *) darauf, die Salizylmedi-
kation auch in der Nacht fortzusetzen.
Als Desinfiziena der Gallenwege verwandte Kuhn") die Salizylsäure,
sie leistete darin mehr als andere Mittel, wie Menthol und Thymol.
Durch fortgesetzte kleine Salizylsäuregaben wurde selbst nach Ober-
standener Nephritis die Niere nicht gereizt. Die Gaben waren so klein, daß
die Salizylsänrereaktion nur In einzelnen Fällen im Harn auftrat. Durch
684
Salizylsäure. — Sapal,
diese Prüfung konHtatierte Mamlock^)« dali der Salizylgehalt, wie er zur
Konservierung von Fruchtsäften benutzt wird, nicht als nierenscbädigeod
in Betracht kommt.
Mit der Nierenschädij^ung nach Salizylgaben bescbäftifcten sich ferner
noch eine Reihe von Arbeiten. Die in El'lexburgs EncyclopSd. Jahrb., N. F.,
IH. Jahr^., 1905, pag. 401 erwähnten Veröffenttichunfren haben durch Knecht";
eine Bestätigung- gefunden. Auch Qiteenstept'^) fand in den meisten Fällen
nach Salizylgaben Eiweiß und Zylinder im Harn. Aber er sah diese Nieren-
reizung schnell nach Aussetzen des Mittels wieder vorschwinden und glaubt
deswegen, daß der Salizyltherapie keine Bedenken im Wege stehen. In einer
Experimentaluntersuchung stellte E. Frey ^) fest, daß die Nierenreizung, das
Auftreten von Eiweiß und Zylindern im Harn an die saure Reaktion des
Urins gebunden ist, dagegen im alkalischen Harn auch bei sehr großen
Gaben wegfällt; er empfiehlt daher, wenn man gezwungen ist, große Salizyl-
gaben zu verordnen, gleichzeitig den Harn alkalisch zu machen.
Literatur: V' Fklix Mknukl, Die iutravenOs« Kalizylbeliundluog and ihre diagnosti-
«che Bedeotuiig. MUncheuor nied Wocbenschr. , 19<J5, Nr. 4, pug. 165. — *) Koben«, Die
intravenöae Salizylbebandlung. DeoUcbe med. Wochrnscbr. , 1905, Nr. 3, pag. 106. —
■> Tu, Bbiig8<-u, Weitere Üeobachtimjfrn znr SaliÄylbebandlnng (die iotravenö»« Injektion).
Di« Therapie der Gegenwart , Februar 1905 , pag. 63. — *) NArMAwx , Ein Wort znr Sali-
syltberapie rhei]mati3<!ber Krifrankucgen. Die Therapie der Gegenwart, Mai 190i>, pag 239.
— •) KmiN, Desinfektion der Gallenwege nn«i innere Antisepflia. MUnch(*ner med. Wocheo-
sohrift, 1904, Nr. 33. — *j H. L. Maulock, Zur Frage der Salizylwirkung. Med. Klinik. 1905,
Nr. 21, pag. 523. — ") E. Kkk(iit, Wirkang des Natriom tialicylicum auf df'n Harnupp
Müneheiier med. Wocbensehr., 1904, Nr. 22. — ^) Qkbsi8Tppt. Einwirkung von SalizylprÄ
raten auf die Nieren. Die Therapie der Gegenwart, MUrz 190j. pag 97. — ") E. KaK?, Die
Vermeidung der Nierenreizung nach groBm Salizyl^abeu. Müncbener med. Woebenschr.,
190Ö, Nr. 28, E. JTny
Salit. Salit ist der Salizylsjlureester des Borneols, C,o H^ OCOC« U« OH.
Es ist eine oli^e, in Wasser unlösliche, leicht in Alkohol« Äther und Ölen
lösliche Flüssigkeit. Mit Öl zu gleichen Teilen hat MDllek das Salit zur
äußerlichen Behandlung rheumatischer Erkrankungen mit sehr g:utem Er-
folge anjrewandt. z. B. Tendovaginitis , Pleuritis, Neuralgrien. Es trat zwar
auch nach Saliteinreibung^ eine Hautreizunjc auf, die in manchen Falten zu
EkzembildunfT führte, aber viel seltener als nach Mesotan , auch wenn das
Salit einmassiert wurde.
Literatur: 0 Fall MCluek, 8alU (von Heyden), ein neuer Salizylsünreeater Ifir die
Inhorporiernng dareh die Haut. MHntrhener med. Wochenscbr., 1904, Nr. lö. — Derselbe,
Neue Salizylpräp.ir.'ite und nene AnWL'ndungHlornieD der Salizylsäure. Deutacbe med. WochCD-
aehrift, 19(14, Nr. 37. pag. 13J0. £. Kn}.
Salz^asserinfusloiif bei Puerperalfieber, paj;. 528(f.
Sang^inalt s. Eisenpräparate, pag:. I!i3.
Santouln, Da Sanlonin von den Ein^ebornen in Taschkent gej^en
Lungentuberkulose gebraucht wird, studierte Toli.kns den Einfluß des San-
tonins auf die Körpertemperatur , die Atmanj^ und die Leukozytose. Es
zeif^e sich, daß schon kleine Gaben von Ol j^' santoninsaurem Natrium die
durch Wärmestich erhöhte Temperatur bei Kaninchen herabsetzen, ferner
daü das Atemvolumen unter SantonineinfluB zunimmt bei gleichzeitiger Ab-
nahme der Atemfrequenz und daß femer eine Vermehrung: der Phagozyten
eintrat.
Literatur: Kasl Tollbns, Über die Verwendung dee Santonins gegen Lungentobcr-
kaloae. Müncbener med. Wochenachr. , 1S)0Ö, Nr. IC, pag. 764. S. ^my.
Sapal* Nach Falcks theoretischen Überlegungen und experimentellen
Untersuchungen sind 2 Punkte fflr die Hflndedesinfektion maßgebend, das
ist das Eindringen des Desinfizions in die Haut und darauf das Abschäumen,
wodurch mechanisch die Keime hinausgeschwemmt werden. Dazu eignen
^
Sapal. — Saucrstoffbflder.
585
sich Spiritusaeiten mit g'eringrem Wassergehalt. Das Verfahren der Reinip^ung
ist also folgendes: 2 Minuten Einreiben der Seife an der Luft. 4 Minuten
Bürsten der Hände in 2Vo»ffer Lysollösung. Die Seife ist unter dem Natnen
»Sapal« zu haben.
Literatur: Falck, Aicb. (. klin. Chir., XXUI, H. 2. E. Frey.
Sarkome^ Behandlunf? mit Röntgenstrahlen, pag. 567.
SAUCrstofir« Immer zahlreicher werden die Mitteilungen aus der
Praxis, welche über gute Erfolge mit Sauerstofftherapie berichten. So
beschreibt Croff*) zwei Fälle von Larynxdiphtherie an Kindern, bei denen
er durch Sauerstoffinhalationen sofort die bestehende hochgradige Dyspnoe
zum Verschwinden bringen und einen eklatanten Krfolg erzielen konnte.
Dagegen fehlt es in violer Koziehunjc^ noch immer an einer aus-
reichenden physiologischen Begründung für die t herapeu tische Ver-
Wendung dos Sauerstoffes. So kommt in einer kritischen Besprechung, in
der alles zusammengefaßt ist, was wir zur Zeit über die Physiologie der
inneren und äußeren Atmung wissen, Anox-) za dem Schiasse, daß vom
physiologischen Standpunkte aus noch sehr viele Bedenken bestünden gegen
die Wirksamkeit der SauerstoFfinhalationen überhaupt bei Kohlensäurever-
giftungen des Körpers, sei eg, dal) diese durch Gifte, durch behinderte
Atmung oder durch starke Blutverluste herbeigeführt seien.
Inzwischen schreitet die Methodik der Sauerstofftherapie in ihrer
Ausbildung immer weiter. Von Brat') ist ein neuer Sauerstoffatmungs-
apparat beschrieben. Pi.eisi-hkk*) empfiehlt die Einatmung durch ein Nasen-
loch mittelst eines olivenförmigen Ausatzstückes statt der sonst Üblichen
Einatmung des Sauerstoffes vermittelst eines Mundstückes per os.
Die intravenöse Sauerstoffinfusion ist von Nel'uÖrpkr'') bei
hochgradiger Dyspnoe mit glänzendem Erfolge verwandt worden, ohne daß
die geringsten unerwünschten Nebenwirkungen auftraten.
D^cgon kann man sich nach den Unternuchun^en von Salomon") von
einer rektalen Sauerstoffzufuhr absolut keinen therapoutischt^n Erfolg ver-
sprechen, ebensowenig wie von einem Aufenthalt in einer Sauerstoff-Atmo-
sphäre.
C^ber die Sauerstoff -Chloroformnarkose und die Sauerstoff-
Chloroform -Äther-Narkose siehe unter Mischnarkose.
Literatur: ^ J. Cnorr, MünchiMior uhmI. WocbenRchr.. 1004, Nr. 3. pa^. 14ö und Nr. 8,
pig.SftS. — ')Ahdä, DeutBch« med, Wot-bcnsobr. . 1904, Nr. 53. p:ig. 1957. — *J H. Bhat,
ebendort. 1905, Nr. 15. pag. 594. — ^j Flkisuukk, Wiener iiitd. Wocbenscbr , li>l)5. Nr. 7. —
*) NeuuORTKK, Wit'uer kita. Wocfaenschr., 1905, Nr. 4- — 'l H. Salomo«, ZeiUcfar. I. diäti't. n.
physikal. Therapie, 1904, VU. Heft 10. KJonkm.
Sauerstoff bäder. Die Wirkung der Kohlensäurebäder auf die
menschliche Haut betrachtete man seit den Untersuchungen von Goldscheider
ziemlich allgemein als eine spezifisch chemische Wirkung cinerseit-s des
Kohlensäuregases, andrerseits der Mineralwässer auf die sensiblen Nerven-
endigungen der Haut. Dagegen ist mit Recht aufmerksam gemacht worden,
daÜ die beiden einzelnen Faktoren, das Kohlensäuregas sowohl wie das
gasfreie Mineralbad, jedes für sich eine so geringe Reaktion hervorrufen,
daß man die bekannte mächtige Wirkung der Kohlensäurebäder kaum auf
diese Weise erklären kann. Sen-\tok und Fk.ankenhäi'SEk haben eine physi-
kalische Erklärung des Reizeffekts gegeben, welche in der Tat befriedigender
Ist. Das Kohlensäuregas nämlich hat eine W^ärmekapazität und besonders
ein Wärmeleitungsverniögen, die um vieles geringer sind als die des Wassers.
Es liegt dahtjr die adäquate Temperatur, welche auch Indifferonzpunkt der
Temperatur genannt wird. d. h. diejenige Temperatur, welche auf der Haut
keine Temperaturempfindung auslOst für die Qase, speziell für das Kohlen-
Ö86
Sauerstoffbftder. — Sepsis.
säuregas viel niedriger als für Wasser. Steigt jemand daher in ein koblen-
säurebaltiges Bad von beispielsweise 28^ C, so empfängt er von dem Wasser,
dessen Indifferenzpunkt bei 848 bis 364'' C liegt, einen entschiedenen K<e-
reiz. Die Stellen hingegen, die sich mit Kohlensäuregas bedecken t dessen
Indifferenzpunkt bei zirka 20** gelegen ist, empfangen einen Wärmereiz Da
nun die Koblensäurebläschen auf der Haut Im Bade einem dauernden und
schnellen Wechsel unterworfen sind, so empfängt die Haut dauernd hinter-
einander Kälte- und Wärmereize. welche durch die Kontrastwirkungen des
schnellen Wechsels noch verstärkt werden.
Wenn die KohleDsäurebäder durch derartige physikalische Wirkungen
und nicht durch spezifisch chemische Reize ihre starken Reaktionen aus-
Oben, 80 ist es ziemlich gleichgültig, ob die Glasbläschen aus Kohlensäure
oder einem anderen Oase bestehen. Senator und Fraxkekhäuser heben
denn auch hervor, daß andere Gasbäder, wie Sauerstoff-, Luft-, Schwefel-
wassorstoff- und noch sonst welche )]:asha1tigen Wasserbäder dieselben ther-
mischen Reize auszuüben imstande sind.
Von diesem Gesichtspunkte aus sind die Sauerstoffbäder^ welche in
den letzten Jahren in die physikalische Therapie aufgenommen sind, den
Kohlensäurebädern bezüglich ihrer Wirkung gleichzusetzen.
ZiEGKLROTK hat Sauerätoffbäder in der Weise hergestellt, daß er aus
einer Sauerstoff bombe das Gas durch Höhren zuleitet und aus feinsten
Öffnungen entweichen läßt. Das Verfahren kann nicht als eine sehr glückliche
Bereicherung der Gasbäder angesehen werden, weil es selbst mit den feinsten
Poren nicht möglich ist, so feine Bläschen zu bilden, wie dies bei der natür-
lichen Entwicklung der Kohlensäure in den bekannten COj-B&dern der Fall ist.
Bei den sogenannten Ozetbädern hingegen, welche L. SARASi)N ange-
geben hat (Chemische Fabrik Grünau) ist dieses Problem der feinsten Gas-
bläeehenentwicklung in ausgezeichneter Weise gelost. Zur Entwicklung von
Sauerstoff im Bade werden nach Sarason Superoxyde, in erster Reibe
Wasserstoffsuperoxyd im Badewasser aufgelöst und der labile »Übersauer-
stoff< wird durch weitere Hinzugabe von katalytisch wirkenden Substanzen
abgespalten. Während 20 — 30 Minuten findet eine moussierende Entwicklung
unzähliger, ungemein kleiner Sauerstolfbläschen statt.
Als V^orzug dieser Sauerstaffbädor vor den Koblensänrebftdern ist ein-
mal der Fortfall jeder ätzenden oder riechenden Säure bei der Zubereitung
des Bades hervorzuheben. Ferner der Umstand, daß sich über dem Wasser-
spiegel keine Kohtensäureschicht bilden kann, die von vielen Patienten in
Kohlensäurebädern sehr unangenehm empfunden wird. Es ist weiterhin nicht
unwahrscheinlich, daß der Sauerstoff in statu nascendi gewisse vielleicht
bedeutsame oxydierende und desinfizierende Eigenschaften entwickelt, die
auf den Stoffwechsel der Haut zu wirken vermögen. Endlich hebt Sarasox
hervor, daß die Sanerstorfbläschen zirka :^- r)mal kleiner sind als die Kohlen-
säurebläschen. Im Sinne der phyHikalischen Wirkungsweise der Gasbäder muß
diese Eigenschaft der Ozetbäder ihnen, wie Sahason es ausdrückt, als der
stärkeren »GasbÜrste« eine Überlegenheit vor den Kohlesäureb&dern sichern.
Literatur: FBAKRE»HÄr6Rtt o. Sswatob, Tbentpie d. Gegeow., 1904, 1. ~ L. SAhAtoü,
Deatflclie iin^d. Wochenschr., lyt>4, Nr. 15. G. Zatlter.
Scliarlachsemm s. Antistreptokokkenserum, pag. 30.
Scilla!*, s. Psychomcchanik, pag. 4i)7.
Schlafkraiiklieity s. Trypanosomenkrankheit des Menschen.
Schnecket Funktion, s. Ohrlabyrinth, pag. 449ff.
Schutzlmpfunsi^y bei Abdominaltyphus, pag. 11.
SelbHtinfektiotiy s. Puerperalfieber, pag. 509.
Sepsis^ S.Behandlung mit Antistreptokokkenserum, pag. 31.
^^^^H Serum th er aple. — StickstofTbestimmung. 587
Sernnitlierapte, bei Puerperalfieber, pag. 534fr.
Sexuelle Anästliesief s. Geschlechtstrieb, pa^. 230.
Sexuelle PerverNlonen, s. Geschlechtstrieb, pag. 229 ff.
Sinj(Ultus. Viel neues zur Kenntnis dieHes quälenden Symptoms
haben die letzten Jahre nicht beigebracht. Man inuli zwei verschiedene
Formen des Sin^ultus unterscheiden: den mechanischen und den ner-
vösen. Der erstere tritt als Komplikation verschiedener Affektionen auf,
die sich am Diaphragma und in der Nähe desselben abspielen: Pleuritis,
Perikarditis t Tumoren der ßrust- und Bauchhöhle, die auf das Zwerchfell
drücken, mit demselben verwachsen sind u. d^l. m. Hier erzeuf^t die Reizung
des Nervus phrenicus den klonischen Zworchfellkrampf. Im Gegensatz dazu
steht der reflektorisch ausgelöste Singultus bei Erkrankungen des Magens,
Darms und Peritoneums u. dgl. Auf direkte Reizung des Zentralnerven-
systems ist der Singultus zurQckzufQhren, welcher bei Erkrankungen des
Rückenmarks (z. B. Myelitis) und des Gehirns (z. B. Apoplexie) beobachtet
worden ist. Endlich gibt es eine Form des Singultus, die ausschlielilich
psychischen Ursprungs ist : bei Hysterischen. Sie wird in der Praxis wohl
am häufigsten beobachtet. Die Prognose des Singultus ist eine sehr ver-
schiedene. Während er zuweilen schnell vorübergeht, besteht er in anderen
Fällen Tage, Wochen und Monate; er kann eines der hervorstechendsten
Symptome der Krankheit sein und den Gegenstand des hauptsächlichsten
Leidens des Kranken bilden. Wn er durch organische Erkrankungen be-
dingt ist. kann nur von der Heilung des Qrundleidens ein Verschwinden
des Symptoms erwartet werden. Im übrigen ist man auf Versuche mit den
verschiedensten Mitteln angewiesen, von denen bald das eine, bald das
andere, bald keines hillt: Anhalten des Atems, Pressen bei geschlossener
Glottis, Klopfen auf den Rücken u. dgl. Sehr empfohlen wurde in neuester
Zeit das rhythmische Herausziehen der Zunge, Immer eine Minute anhaltend
(Labordg, Noir u. a.). Auch die Faradisation des Zwerchfells bzw. des Nerv,
phrenicus bewährt sieh oft. Bei den Hysterischen bewähren sich die Nervina,
besonders Valeriana in ihren verschiedenen Präparaten (neuerdings haupt-
sächlich in Kapselform als Validol, Valyl, Bornyval u. dgl.). In schweren Fällen
muß man zur Anwendung von Narkotizis die Zuflucht nehmen (Opium,
Chloroformeinatmungen u. dgl.), AJhu.
Skopolamlüy s. Augenheilmittel, pag. 70.
Spannunifslrreseiny s. Katatonie, pag. 296.
Spirltusverbünde, s. Alkohol, pag. 25.
Sta|s;uiu« Stagnin ist ein aus frischer Pferdemilz unter aseptischen
Kautelen hergeKtetItes Präparat, welchem eine styptische Kigenschaft, be-
sonders auf kapillare Blutungen, zukommt. Bei Blutungen aus den weib-
lichen Genitalien war der Krfolg befriedigend. Man gibt von der klaren,
geruchlosen, bellgelben Flüssigkeit am ersten Tage Ic^n^, am folgenden
2 cm^ intramuskulär in die Glutäen.
Literatur: Th- Lakdau, Etn neues durch Antolyse der Hils gewonnene» Blatstillanf^e-
mittel (Stairniui. Btrliiier kliiiWücht^Daelir-, 1904, Nr. 22- — Birkch, Darstt^llung eines aUM
der Milz gewonnenen Extrakt«*» CStag^nin), »eine Äuwendunga weise and iherapeoti^eben Er*
folge. Ebentlort. E. Frey.
Starkstroniverletzungen, pag. 193 ff.
Stickstoff bestlmmung; nach Kjbldahl. Prinzip: Die orga-
nischen Substanzen des Harns werden durch Erhitzen mit konzentrierter
Schwefelsäure zerstört, wobei der Stickstoff derienigen Substanzen, welche
ihn nicht als Sauerstoff enthalten, als schwefelsaures Ammoniak erscheint.
588
Stickstoff b<:stiniTuuag.
Das Ammoniak wird alsdann abdestilllert und in eine vorgelegte Normal-
säure aufgefangen und durch Titration der Überschüssigen Säure bestimmt.
Von den verschiedenen Modifikationen, nach denen dieses Priniip in
praxi ausgeführt wird, sei das Verfahren von Salkowski, Praktikum der
physiologischen und pathologischen Cbenn'e, hier mitgeteilt.
Erfordernisse: 1. Konzentrierte reine Schwefelsäure. 2. Kupfer-
sulfatlösung. 8. Natronlauge vom spez. Gew. 1034. 4. Halbnorm&loxatsäure
(oder SchwefeUäure). Die Oxatsäuretösung wird bereitet, indem man 3r5 v
gut kristalh'sierter, nicht verwitterter, chemisch reiner Oxalsäure abwägt
und in genau einem Liter destillierten Wassers auflöst. 5. Rosolsäure oder
PhenolphthaleinlÖBung. 6. Halbnornialkalilauge: dieselbe soll 56/2 — '2S g KHO
im Liter enthalten. Man bereitet sich zunächst eine Losung von reinem, kohle-
aäurefreiem Atzkali, die im Liter etwa 30 — 35^ enthält. Um die genaue Stärke
festzustellen, bringt man 10 cm-^ der erwähnten HalbnormaloxalsäurelÖsung
in ein Becherglas, setzt einige Tropfen Phenolphthalein hinzu und läßt aus
einer Bürette so lange von der hergestellten, gut durchgeschüttelten Alkali-
lÖsuDg hinzufließen, bis der erste Tropfen eine Hotfärbung, die bei Um-
schütteln nicht mehr verschwindet, auftreten läßt.
Die Lauge muß nunmehr soweit verdünnt werden, daß genau 10 cm'
der angewandten Säurelösung lOcrtt^ der Lauge entsprechen. Hat man bei-
spielsweise H'\) cm^ Lauge zur Neutralisation der 10 cm* Säure verwendet.
80 müssen SDOcv/i^ Lauge auf i Liter genau aufgefüllt werden; nach der
Formel 10:8 9 wie 1000 :X.
Ausführung: 10('//?>Harn werden in ein Kölbchen von hartem Glas
mit langem Hals, sogenannten Kiednhlkolben, der zirka 200 — 300 cm^ faßt,
gebracht, mit lOcJu^ der konzentrierten Schwefelsäure und einigen Tropfen
derKopfersulfatlösung versetzt und so lange erhitzt — es sind dazu besondere
Vorrichtungen konstruiert worden — . bis die Mischung vollkommen farblos,
resp. infolge der KupforsulfaTlösung leicht grünlich gefärbt erscheint;
08 dauert dies zirka eine Stunde. Man läßt dann völlig erkalten und setzt
bOcitt" Wasser hinzu, was eine starke Erhitzung zur Folge hat. und läßt
wiederum erkalten,
Zum Abdestlllieren des gebildeten Ammoniaks in die vorgelegte Säure*
menge benutzt man den sogenannten Kjeldahlapparat, welcher aus einem
Destillationskolben. Kühlgefäß und Vorlage besteht. Man bringt zunächst
20 cm^ der Halbnormaloxalsäure in das Vorlagegefäß und soviel Wasser, daß
die Spitze des Destillationsrohres eintaucht. Man tut gut, sofort einige Tropfen
Phenolphthalein hinzuzufügen, damit es eventuell während der Destillation
Bchon erkennbar wird, ob genügend Säure vorgelegt ist oder nicht. In dem
Moment, wo das übergehende Ammoniak keine Säure zur Bindung mehr vor-
findet^ färbt sich die Vorlageflüssigkeit rot. und man ist in der Lage, durch
weitere Vorlage von Säure die Bestimmung fortzuführen. Man gießt nun-
mehr den Inhalt des Kjeldahlkolbens quantitativ in den Destillierkolben und
spült den ersteren so lange mit Wasser nach, bis die SpülflQssigkeit auf
Lackmus nicht mehr sauer reagiert. Nunmehr gießt man iOcm^ der kon-
zentrierton Natronlauge möglichst schnell in den Trichter und verbindet den
Destillierkolben rasch ntit dem Destillationsrohr. Das Ende desselben hat
man bereits vorher in die säurehaltige Vorlage eintauchen lassen. Man er-
hitzt den Destillierkolben und destilliert so lange, bis die Flüssigkeit durch
beginnende Ausscheidung von Natriumsulfat zu stoßen beginnt, resp. bis
kein Ammoniak mehr entweicht. Letzteres kann man prüfen, indem man ein
mit phenolphthaleinhaltigem Wasser beschicktes Reagensgläschen einen
Augenblick vorlegt oder Indem man einen mit Salzsäure befeuchteten Glas-
stab vor das Destillationsrohr hält. Strömt mit dem Dampf noch Ammoniak
aus, so bilden sich die bekannten Salmiaknebel.
StickstoffbestliuniuDg. — Suprarenin,
f>89
Ist die Destillation beendet, so eutfenit man den Stöpsel vom Destil-
lationskolben, spOlt die in die Vorlage eintauchende Röhre g^ut ab, bevor
man sie herausnimmt und titriert die unverbrauchte Säure mittelst Halb-
normalkalilaugre zurück in derüielben Weise, wie die Titration bei der Ke-
reitun^ der Losunjä: beschrieben worden ist. Man zieht die verbrauchten
Kubikzentimeter Titrierflfl3siß:keit von der vorgelegten Mon^e Haibnormal-
säure ab; die Differenz multipliziert mit 0007 gibt den N-Gehalt der ver-
wendeten Harnmenge in Grammen an. G. Zwher.
StOTaltiy S.Lokalanästhesie, pag. 381.
!Streptokokkiey S.Puerperalfieber, pag. 513.
Styrakol. Styrakol ist der QuaiakolZimmtsäureester, bildet farb-
lose, gerueh- und geschmacklose Kristalle, welche in Wasser und verdünnten
Säuren und Alkalien unlöslich sind. Es soll nach Kngels M vollkommen ungiftig
sein, auch den Nieren nicht schaden. Nach den Untersuchungen von Kn.^hhe
und Si'TKH *) wird es gut resorbiert, und zwar in arzneillcher Oabo fast
vollständig in den ersten t?4 Stunden. Das Anwendungsgebiet ffir das Mittel,
das in erster Linie gegen Tubürkulose in Betracht kam, hat E\gels dahin
erweitert, dati er es bei Majjen Darmkrankheiten gab, und zwar bei Ente-
ritis der verschiedensten Herkunft, die Stühle wurden bald besser, das All-
gemeinbefinden und der Appetit hob sich. Er gab bei Säuglingen viermalige
Tagesdosen von 0"2b, bei älteren Kindern dreimalige von 0*5, hei Erwach-
senen drei- bis viermalige von 1*0^. Sobald Verstopfung eintritt, ist das
Präparat auszusetzen.
Literatur: '> H. Enoxls, Styrakol, eine Verbindung von Zimtstlure und Unajakol,
als innerem DttBinfiziens und AntidiArrhoikum. Die Therapie der Ueg(*nnrart, August 19U4,
pag. 362. — *) Khapp und Bctu, Arcb. I.experini. Puth. u. Pharm., 1903, h, p»g. 332.
Sublimat« Daß die Giftwirkung von Sublimat eine quantitative
chemische lieaktion Ist. zeigte Bokorny i) dadurch, daß Spuren von Algen
schon durch sehr verdünnte Sublimatlösungen geschädigt werden (1:1000
Millionen), während 10^ Algen durch eine Konzentration von 1: 10.000 erat In
2 Stunden getötet wurden. Das Gift wird also durch die Zellen aufgespeichert.
Damit in Einklang stehen die Versuche von Dkthk und Ski.lei 2),
welche sich mit den hämolytischen Kigenschaften des Sublimats beschäftigten.
Das Gift wird durch die Lipoide, d. h. im tilutserum vorhandene, in Äther und
Chloroform lösliche Substanzen gebunden. Daher wirkt Blutserum tschOtzend
auf die Blutkörperchen. Forner zeigten diese Autoren, dab der Angriffspunkt
der Sublimatwtrkong nicht das ZelleiweiÜ ist, sondern dali der Lecithin-
Cholesterinkomplex mit dem Quecksilber eine giftige Verbindung eingeht.
Ais Ursache des Üborgehens von Sublimat bei der akuten Sablimat-
vergiftung von der Mutter auf den Fötus sind nach den histologischen
Untersuchungen von Maiix und Sorgi:*} ausgedehnte Zellnekrosen der Pla-
zenta, die auf den fötalen Teil derselben übergreifen^ anzusehen. Bei kleineren
Gaben, die das Mattertier schon toten können, fehlt der Übergang des
Giftes, und in diesem Falle bleiben anch die Epilhelien der Grenzzonen In
der Plazenta intakt
Literatur: V» Bokormt, Erklftrnng der heftigen Giftwirkung voo Sublimat. Müncbenvr
med. Wocbfnpcbr., 1005, Nr. 20. — '» Djcte« und Skluei , HamolyttHchL' Wirkun^r des 80b-
limatB. BerliDcr kliu. Wochrnachr., 1904, Nr, 30. — ") Diese lln-n. Häniolytiscbt? Wirkung
des Sublimat« Wient* r klln. Wochenachr., 1905, Nr. 46/46 — *» H. Marx und Ä. Sobqe, Hi-
Btologiecbti ViTÜnderuni; der Plazenta bei der Sublimatvergiflung. VitirteljabreMcbr. I. se-
riohtl. Mfd., XXIX, U.l. E. J^rtj.
Sus^S^stlon, S.Psychotherapie, pag. 500 ff.
Suprarenin, b. Lokalanästhesie, pag. 382.
590
SyphtlU.
Syphilis (QaecksilberwirkuDip). Die bis jetzt vor1ieß:enden Ver-
suche, das »Wie« der Hg-Wirkun« bei Syphilis zu erklären. dQrrten wohl
kaum irgfend icmandon befriedigt haben. Uaü es wirkt, daß wir im Queck-
silber eines der wanderbarsteu Spezifika haben, darüber sind sieb nun bald
die nfichternen Arzte mehrerer Jahrhunderte einig — alles Geschrei der
Antimerkurialisten hat das Quecksilber nicht aus unserem Arzneischatz zu
streichen vermocht!
Aber wie es wirkt, darüber schweigen sich die meisten Spezialwerke
über die Pathologie und Therapie der Syphilis aus; man schlage einmal die
gangbarsten Bücher darüber nach — man wird zum Erstaunen finden, daß
meist gar nichts darüber gesagt wird. Das läßt darauf schließen, daß man
nichts zu sagen weiß, oder von dem, was gesagt wird, nicht befriedigt ist.
Schließlich findet man nicht viel mehr, als daß es nach dem einen parasi-
tizid wirkt, nach dem anderen die Autitoxinbildung unterstützend; daß es in
der Weise wirke, daß in Berührung mit chlornatriumhaltigen Gewebss&fteD
und mit Kurpereiwetß aus den verschiedenen Präparaten Sublimat, Queck-
silheralbuniinat gebildet werde. Wie wir uns nun aber die antiparasitäre
Wirkung des Hg in unendlichster Verdünnung und in kleinster Menge auf die
doch wahrscheinlich ÜberaJI im Organismus vorhandenen Syphiliserreger zu
denken haben. darQber suchen wir vergeblich nach Aufklärung. Jedenfalls
dürfen wir uns die Hg-VVirkung nicht als eine einfach bakterizide, anti-
parasitäre denken, d. h. nicht in dem Sinne, daß das zirkulierende Hg ge-
eignet und imstande sei, den angenommenen Syphilisparasiten zum Absterben
zu bringen. Man denke nur an die Schwierigkeit, mit antiparaaitären ^fittelD
eine Desinfektion freier Flächen zu erzielen, z. B. die Desinfektion der Hände.
Und wie viel günstiger sind hier die Bedingungen. So hat Schltlz* voll-
kommen rocht, wenn er darauf hinweist, daß eine Desinfektion innerer
Schleimhäute, auch z. B. der des Kachons, durch rein örtlich wirkende Mitte!
nicht mOglich ist; wenn sie wirklich einmal einen Erfolg zeigt, so ist dieser
auf andere Weise zu erklären. Also ist — man gestatte den Ausdruck —
die Annahme einer antiparasitären Wirkung des Hg im Körper eigentlich
nur eine Phrase.
Was ich nun hier ausführen will, ist weder alles neu, noch ist es mein
originelles Eigentum. Aber gerade weil ich mich nach Durchsicht fast aller
Lehrbücher Ober Syphilis und Arzneimittellehre überzeugt habe> daß das im
folgenden enthaltene Bekannte übersehen ist und daß das Neue die schon
ausgesprochenen, nicht genügend beachteten Ansichten noch weiter zu erklären
vermag, möchte ich diese referierende Arbeit als nicht ganz nutzlos ansehen.
Nicht einmal darüber, in welcher Form das Quecksilber im Organis-
mus in Wirksamkeit tritt, herrscht Einigkeit. Wie sich Chemiker von Fach
zu den Anschauungen unserer physiologischen Chemiker und Pharmakologen
stellen, will ich dabei gar nicht einmal fragen ; mir tont da immer der Aus-
spach eines unserer ersten Chemiker in den Ohren: Die Physiologen bauen
Häuser mit erster Ftage, von denen ihnen das Parterre Überhaupt fehlt!
Gehen wir zunächst aus von den Ansichten Ober die Aufnahme des Hg
von der äußeren Haut aus. Nach allgemeiner Annahme sind hier mehrere
Faktoren beteiligt. Kinmal ist zweifellos der durch Verdunstung in die Luft
Übergehende Hg Dampf von Bedeutung (Husemann. Liebreich, MOli.br, Schilz
u.a.). In jedem Haum, in dem überhaupt mit Hg gearbeitet wird, findet
sich in der Luft das verdampfende Metall vor, höhere Temperaturen sind
dazu nicht notig (Schulz). F. Müller konnte durch Aufhangen eines Merkur-
iappens fm Saale Hg im Urin der Patienten nachweisen. Hi:skm.\nn weist
* H. Schulz, Pbannakotherapfe (in Ei;LKMBUso-SAHDiu.fl Bandbuch der Therapie),
pag. 588.
Syphilis.
691
darauf hin. dali die Aufnahme in Daoipfform dadurch wahrscheinlich isreniacbt
werde, daß Quecksilberdampt Qoldschtägerhäutchen und andere Membranen
mit grober Leichtigkeit durchdrin^.
LiBBnKicH* 8ag:t: »Man findet zuweilen die Behauptung aufgestellt^
daß das dampfförniigfe Hg sich in den Lungen niedergeschlagen habe ; dies
iät, falls richtig^ physikalisch schwer versländlich, da die Bedingungen für
die Kondensation des Dampfes fehlen. Das Hg kann also nur daropfföruiig
in den Organismus eintreten^ odor es wird, was das wahrscheinlichste ist,
von der wässerigen FlQssigkeit gelost. Daß sich Hg-Dampf In Wasser löst^ tat
von Qmelin und Wings nachgewiesen wordon.« Übrigens hat Ostwald nach-
gewiesen, daß Hg. besonders bei höheren Temperaturen, in Wasser in meß-
barer Menge löslich ist. Das feinverteilte, dampfförmige Hg kann also an
sich oder sicher in der Lunge als zum Teil gelöst angesehen werden.
Für die Aufnahme des in die Haut eingeriebenen oder im Gewebe
deponierton Quecksilbers nimmt man an. daß in Wasser lösliche HgSalze
unter Freiwerden der betreffenden Säure mit F^i weiß zunächst Verbindungen
eingehen; diese sind, teils im Überschuß von Eiweiß, teils durch Hinzu-
treten anderer Substanzen, Chlornatrium. Salzsäure usw. löslich, so daß der
Übergang ins Blut als lösliche Albuininate wohl verständlich ist. Die In Talg-
und Schweißdrüsen der Haut und in Haarfollikel eindringenden, mikrosko-
pisch nachweisbaren Hg-Kügelchen werden allmählich in lösliche Verbindungen
(Hg Oxydatsalze) Übergeführt
Die in Wasser anlöslichen Verbindungen. Calomel und Jodür, gehen
unter dem Kinfluß von (zumal lebendem) Eiweiß bei Anweäenheit von Chlor-
natrium wohl zunächst in Sublimat Ober und bilden jedenfalls dann wie
dieses mit dem Kiweiß (Halzsäurefreie und chlorfreie) Quecksilberalbuminate;
Analoges gilt von den Oxyden; das Jodid hat zum l'bergang in Sublimate
and von diesen in Qnecksilberalbuminatc alle Gelegenheit [Cloetta-Fu.ehnb).
Das entspricht wohl im wesentlichen der heute allgemein angenom-
menen Ansicht darüber, in welcher Form das Hg im Körper zur Wirkung
kommt. Diese Annahme V^oits. daß also die Quecksilberverbindungen sowie
Kalomel durch Oxydation in Gegenwart von Kochsalz in Sublimat übergehen,
ist, wie LiKBKEiOH treffend sagt, zwar verfObrerisch und durch Versuche
außerhalb des Organismas wahrscheinlich gemacht — zutreffend kann sie
aber nicht sein, denn die Wirkung verschiedener Präparate ist zu verschie-
den, die des Kalomel stimmt z. B. mit der des Sublimat nicht überein (1. c,
pag. 465): »Sublimat erzeugt keine Diurese wie Kalomel, der Speichelfluß
tritt nach Sublimat bedeutentl schwerer ein.« Also ist die Frage, in welcher
Form das Hg im Organismus seine Wirkung ausübt, doch noch keineswegs
als gelöst zu betrachten.
Ich mochte hier eine Stelle aus Schulz einfügen, bei der er zwar
nicht speziell über die Form spricht, in der das Hg im Organiamaa wirksam
ist, aber wohl über die Art seiner Wirkung Oberbaupt, die sich in bestimmter
Weise auch auf die Hg- Wirkung im Organismus übertragen läßt.
Er sagt**: Unter der großen Zahl der Antiseptika. Antifermentativa,
Antizymotika etc. steht .... hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit das Chlor
an der Spitze.
.... Die als Sublimat bekannte Chlorverbindung des Qaecksilbers ist
die für den Gebrauch geeignetste und leistungsfähigste.
.... Der Grund, weshalb gerade Sublimat so geeignet sich erwiesen
hat, durch Mikroorganismen bedingte Folgeerscheinungen zu verhüten, ist
wohl dieser: Bei Gegenwart von Chloriden, speziell von Chlornatrium, was
* BncyclopÜdie <ler Therapie, III, p«g. 461.
** I, c, pag. 611.
592
Syphilis.
keiuem Gewebe fehlt, und gleichzeitiger Anwesenheit lebendiger Materie
wird, wie das Experinient zeigt, doa Qaecksilberchlorid zu dem entsprechen-
den ChlorOr reduziert, mit anderen Worten: Aas Sobhmat wird KalomeL
Kalomel aber geht unter denselben Umständen in Sublimat fiber. Daß bei
diesem doppelseitigen Vorgange in dem Medium, welches die eine oder
andere Quecksilberverbindung von vornherein enthielt, eine sehr lebhafte
Chlorbewegung auf diese Weise entstehen muß, liegt auf der Hand. Die Er-
fahrung zeigt nun weiter, daß unter solchen Bedingungen die Mikroorganismen
sich in ihrer Lebenstätigkeit gegen vorher verändert verhalten und, falls
geni)gende Mengen Sublimat dem sie enthaltenden Medium zugesetzt waren,
zugrunde gehen. Darin liegt aber der Hauptwert des Sublimats für die
Praxis, daß seine Umgestaltung in Kalomel und dessen Rückbildung zu
Sublimat, also die gesteigerte Chlorbewegung, so lange sich vollziehen kann,
als überhaupt Quecksilberverbindnng vorhanden ist. Das im Chlorwasser
enthaltene freie Chlor tut seine Dienste einmal gründlich und dann nicht
mehr, weil es nachdem gebunden und dadurch für seinen eigentlichen Zweck
unwirksam gemacht wird. An Quecksilber gebunden dagegen macht es einen
fortgesetzten Kegenerationsprozeß durch, es wird immer wieder chlordispo-
nibel. Es ist außerdem aber auch noch möglich, daß das Metall, das Qaeck-
silber selbst, für sich eine Rolle spielt. Die bekannten Versuche and Beob-
achtungen von Nägele und die neueren Beobachtungen von Cred£ weisen
darauf hin, daß bestimmte Schwermetalle durch ihre Anwesenheit an sich
auch schon alterierend die Existenzbedingungen kleinster Lebewesen beein-
flussen können .... Jedenfalls aber — und das gilt für alle äußerlich be-
nutzten Antiseptika — ist bei der Überlegung, wie sie eigentlich wirken,
stets der wichtige Umstand fest im Auge zu behalten, daß sie nicht nur
die Mikroorganismen» sondern mit ihnen auch das von diesen befallene
lebende Gewebe treffen. Dies reagiert ebenso gut. ja, wie es sich heraus-
gestellt bat, recht oft noch viel intensiver auf alle diese Stoffe wie die
kleinen Lebewesen selbst.
Schulz gibt nun über das Wie? der Hg-Wirkung im Organismus eine
Erklärung, die meiner Ansiebt nach außerordentlich vieJ befriedigender ist
als alle unsere bisherigen dahinzielenden Vorstellungen.
Schulz gründet seine Ansicht auf R Akndts biologisches Grundgesetz:
Kleine Reize fachen die Lebenstätigkeit an, mittelstarke fördern aie^ starke
hemmen sie und stärkste heben sie auf, aber durchaus individuell ist, was
sich als ein schwacher, ein mittelstarker, ein starker oder sogenannter
stärkster Reiz wirksam zeigt.
Wir müssen das Gesamtbild der Quecksilberwirkuag im Organismus
immer als das folgende erkennen: An den einzelnen Organen entwickelt
sich ein Reizzustand, auf den sie seiner Intensität und ihrer eigenen ana-
tomischen Struktur und physiologischen Stellung entsprechend reagieren.
Könnten wir den durch das Hg auszuübenden Reiz sn abstufen, daß es nur
heilbringend wirkt, dünn hätten wir ein ideales Medikament im Quecksilber.*
»Wenn das Quecksilber in bestimmter Dosis ein Gift für das organische
Leben ist, so muß es in hinreichend herabgesetzter Menge nur noch so
wirken können, daß seine eigentliche Energie zwar erhalten bleibt, der von
ihr betroffene Organismus aber nnr noch so weit durch dieselbe beetnflolit
wird, daß nur eine »Anregung* zustande kommt. Mit anderen Worten : Das
Organ muß sich durch Quecksilberwirkung bis an die Grenzen seiner physio-
logischen Leistungsfähigkeit heranbringen lassen, ohne dieselben zu flber-
scbreiten, was mit einer pathologischen Beeinflussung identisch sein würde.
* DaB Voriit(!heiidv and Folgende nach Schvlz, Qnecksilber in Eclunbuhos Real-Encyclo-
pme, XX, pag. 127».
Syphilis.
593
D&ß diese Anschaaung richtig ist^ läßt sich experimentell dartun. Bekannt-
lich ist eine 1- oder OP/o^K^ Sublimatlösung eines der sichersten Mittel,
niedere Org:anisinen tierischer oder pflanzlicher Art zu vernichten durch
Zerstörung: ihrer Lebensfähigkeit. Die Hefe gibt uns durch die Bestimmung
der von ihr gelieferten Kohlensäure ein Maß an die Hand, das uns einen
Schluß auf ihre Lebensenergie gestattet. ScHLfLz hat nun vor längerer Zeit
dchon den Reweis erbringen können, daß Sublimat^ im Verhältnis von
1 : 700.000 in Wasser gelöst, die Kohlensäureproduktion zu einer ganz
exzessiven Hoho zu steigern vermag, ein Ergebnis, das von anderer Seite
her seine Bestätigung gefunden hat. Wir sehen mithin, wie die Wirkung
eines und desselben Giftes, des Sublimats, auf dasselbe organische Substrat,
die lebende Hefezelle, sich in total verschiedener Weise äußert, \e nach der
Dosis, in welcher wir das Qift wirken lassen.«
Wir können kurzweg sagen , daß das Quecksilber lür das lebende or-
ganische Gebilde ein Reiz ist. Je nach der Stärke dieses Reizes sehen wir
Im Organismus die Wirkung des Hg. Im Beginne sehen wir vermehrte
Sekretion der Drüsen, besonderw der Speicheldrüsen; charakteristisch ist
besonders die vielfach, z. B. von Stlkovenkokf nachgewiesene Vermehrung
der roten Blutkörperchen im Beginne der Hg-Behandlung; sie ist, wie Schulz
richtig betont, als ein Ausdruck gesteigerter Tätigkeit der blutbildenden
Organe aufzufassen. Nach einmaliger zu starker oder längere Zeit fort-
gesetzter gehäufter Wirkung kleinster Quecksilbermengen sehen wir »die
vermehrte Tätigkeit der Organe die physiologische Breite Oberschreiten,
pathologische Reizwirkungen sich entwickeln«.
ScHiLZ hat für die spezifische Wirkung bestimmter Mittel auf be-
stimmte Organe, bestimmte Oewebe, den Begriff der Organtherapie auf-
gestellt; es soll also darin eine bestimmte Beziehung zwischen Arzneistoff
und Organ ausgedrückt werden.
Er führt — die Tateächlichkeit seiner Begründung ist nicht anzu-
zweifeln — an anderer Stelle* aus, daß die »außerordentliche, fast nicht
zu unterscheidende Ähnlichkeit des Krankheitsbildes, die durch die Lues
einerseits und das Quecksilber andrerseits hervorgerufen werden (eine Ähn-
lichkeit, die so groß ist, daß man oft geradezu fragen kann: Was ist hier
noch Lues und was ist schon Hg-WirkungV)**, zu dem Schluß führt, daß
es sich hier nur um Organtherapie handeln kann. Energische Anregung der
durch das Luesgift veränderten Funktionen des Gewebes ist es, worauf es
Ankommt. Die Unterstützung der einzelnen Organe in ihrem Bestreben, zur
physiologischen Norm zurückzukehren mit Hilfe des Mittels, dessen aus-
gesprochene Beziehungen zu den kranken Teilen wir kennen and ausnutzen,
bildet hier wie überall den springenden Punkt
Die Lnes hat, wie er an anderer Stelle*** ausführt, »in einem bestimmten
Stadium ihres Vorhandenseins mit dem gegen sie angewandten Quecksilber
dieselben Angriffspunkte im Organismas des Menschen gemeinsam. Wir
kennen bis heute das luetische Gift nicht sicher, wissen auch nicht, ob es
unter der Einwirkung des Stoffwechsels der Gewebe nicht selbst noch weitere
Modifikationen durchmacht. Jedenfalls aber haben wir nicht das Recht zu
der Annahme^ daß das Quecksilber das Virus selbst irgendwie beeinflusse.
Die Ansicht von der Möglichkeit des Entstehens irgend einer neutralen,
dem mensrhHchen Körper gleichgültigen Verbindung ist nach Lage der ganzen
Sache so hypothetisch wie möglich. Will man aber zugeben, daß das Metall
die Organe, die es trifft, erregen und damit zu vermehrter Leistung bringen
kann, dann erklärt sich die scheinbar dunkle Angelegenheit schon leichter.
♦ Em*«N»uBo-.S*«rKL, Phnrmakotherapie. Ij pag. 549.
** Z. B. anf der Svhletinhaat des Mondea.
**♦ L. c, pag. 608.
£aa/elop. Jahrbacliar. N. F. tV. (XJH.) SA
594
Syphilis.
Es würde sich wiedenim handeln am eine UnterstQtzuDg: des befalleneD
Qewebes im Kampfe geji^en da» Gift. Sind die von ihm gesetzten Schädi-
gungen noch der Art, dali die vom (Quecksilber überhaupt zu leistende Hilfe
noch genQgtf an können die befallenen Organe damit auskommen und den
ihnen von der Natur innewohnenden Trieb zur Verheiliing mit ICrfoIg be-
tätigen. Es erklärt sich an der Hand dieser Auffassung weiter, warum dati
Quecksilber nicht das einzige Antiluetikum ist und auch nicht sein kann.
Extensiv und intensiv ist seine Arbeitskraft schließlich ebenso an gewisse
Grenzen gebunden wie die jedes anderen Arzneistoffes auch. Hat die laetische
Infektion von vornherein oder im Laufe der Zeit einen Charakter ange-
nommen, dem gegenüber das Quecksilber ohnmächtig ist, so greift die
Therapie zum Jod oder zu der vor längerer Zeit warm empfohlenen Chrom-
säure. Ja, man hat sogar wiederholt den Versuch gemacht, bei besonders
hartnäckigen Fällen mit Hilfe ihrer eigentlichen Wirkung nach noch kaum
gekannter, pflanzlicher Stoffe, dem Guaiak und der Sarsaparille, allgemein
anregend auf die körperlichen Funktionen einzuwirken. Die Auffassung, daß
es dabei überall schließlich darauE herauskommt, die Organe und den ganzen
Organismus im I\ampfe gegen das Virus nach besten Kräften zu unter-
stützen, ist, wenn ich nicht irre, auch von anderer Seite ausgesprochen.«
Ich habe die ScHri.zschen Ausführungen hier in extenso wiedergegeben.
Sie enthalten meiner Ansicht eine, im einzelnen nicht neue, in der Gesamt-
auffassung aber durchaus eigenartige Auffassung der Hg Wirkung, die mir
jedenfalls viel ansprechender erscheint als die bisher gegebenen.
Aber immerbin ist Schilzs Erklärung durchaus theoretisch, ebenso wie
die Annahme einer bakteriziden oder antitoriiachen Wirkung und hat auch
deshalb wohl bisher die verdiente Aufmerksamkeit nicht gefunden.
Erst durch die ScHADKschen* Versuche und durch die aus ihnen ab-
geleiteten Erklärungen für die W^irkong des Hg im Organismus werden
auch die ScHUi.zschen Anschauungen verständlich. Schade sieht nämlich die
W'irkung des Hg auf die üewebe als eine katalytische an, nnd zwar nimmt
er eine elektrische Kraftwirkung als Ursache der Katalyse an.
Sind die ScBADEschen Versuche schon an sich sehr interessant und
eröffnen uns auf alle FgUe eigentümliche Ausblicke zum V^erständnis der
Hg-Wirkung im lebenden Organismaa, so ist besonders seine Erklärunga-
weise jedenfalls eine durchaus originelle. Sache der Chemiker und Physiker
wird es sein, dieselbe auf ihre Berechtigung zu prüfen.
Nach Oswald ist unter Katalyse »die Beschleunigung eines laogsam
verlaufenden chemischen Vorganges durch die Gegenwart eines fremden
Stoffes« zu vorstehen.
ScHAHR ist davon ausgegangen, daß die industrielle Chemie einen ihrer
>letzten großen Triumphes die Synthese des Indigos, nur feiern konnte
auf Grund einer unentdeckten Katalyse vermittelst Quecksilbers. Die Oxy-
dation des Naphthalins durch Schwefelsäure, die bis dahin wegen der
Schwierigkeit ihrer Reaktion keine praktische Bedeutung für die künstliche
Gewinnung des Indigos erlangen konnte, ist infolge einer durch Zusatz von
Quecksilber erreichten kataly tischen Beschleunigung derartig schnell und
glatt durchführbar geworden, daß sie mit einem Schlage die frfihere Ge-
winnungsmethode, bei welcher der Farbstoff aus den pflanzlichen Rohpro-
dukten dargestellt wurde, bei Seite zu drängen vermocht hat. Nach der
chemischen Auffassung geht diese katalytische Oxydatiunäbeschleunigung
durch das sich bildende Quecksilbersutphat vor sich. Schade wollte nun
* tfcBADK, ütiar die Metall- und Jodiononkatalyac. Ein BoitrAg zar Erklirang der
Silber-, EineD-. QnttcksilUer- und •Todtfacraplc. Zcitncbr. f. rxp. Pathologie u. Therapie r, Keac»
u. Brikoeb. März 19(>5. — Siebe auch Scuade, Die elcktro-katalytische Kraft der Uetatle.
Leipaig, Vogel, liKH.
Syphilis.
595
prüfen, ob diese Beschleunigung eine für die Mischonsr jener drei Substanzen
spezifische ist oder ob ihr eine allgemeine Bedeutung zukommt. Vor allem
lag es ihm daran, zu prüfen, ob diese oder ähnliche Qoecksilberkatalysen
im menschlichen Körper möglich seien.
Die Einzelheiten der SrHAUEschon Versuche müssen Im Original nach-
gelesen werden. Ihr KeHultat besteht darin, daü er nachwies, dal3 Queok-
Silber, Platin, Gold, Silber, Eisen, Mangan, Kupfer. Aluminium als Sauerstoff-
Überträger im Sinne der Katalyse eine Blaufärbung der mit Terpentiu zu
sammengebrachten Quajaktinktur bewirkten. Noch einwandsfreier läUt sich
diese Sauerstoffübertragnng durch die erwähnten Schwermetalle nachweisen,
wenn man die leicht oxydierbaren Stoffe: Guajakol oder 10% wässerige
NaphthollöBung mit Terpentin zusammenbringt. Allein zusammengebracht,
wird nur sehr langsam die durch den Farbenumschlag zum Rot resp. Gelb-
grün sich kundgebende Oxydation eingeleitet. Hingegen bewirkt der Zusatz
der obigen Schwermetallpulver, ohne eine direkte chemische Reaktion mit
diesen Flüsäigkeiten einzugehen. regelinäUig eine deutliche Oxydations-
beschleunigung.
Schliei^lich hat Schade noch statt des Terpentinöls Wasserstoffsuper-
oxyd benutzt, welches mit den genannten zu oxydierenden Substanzen an
sich keine oder doch nur eine minimale Oxydierung bewirkt. Auch bei diesen
letzteren Mischungen läßt sich durch den Zusaz der Metalle eine prompte
Aktivierung erzielen. SriiADK weist nun nach, dali diese katalytische Kraft
der Metalle weder eine, durch die bei Pulvorisierung erreichte ungewöhn-
liche Oberflächenentfaltung, Folge der Stoffverdichtung an der Ober-
fläche ist, noch da6 es sich etwa um zufällige Beimischung von Oxyden
zu den betreffenden reinen Metallen handeln konnte. Speziell für letzteren
Punkt absolut beweisend ist, daß bei drei parallelen Versuchen mit Queck-
silberoxyd, Queckailberoxydul und reinem Quecksilber nur bei letzterem in
dem Gemisch von Guajaktinktur and Terpentin prompte Bläuung eintrat.
Auch die Annahme von »Zwischenreaktionen« weist Schaihc als hinfällig nach.
Er glaubt nun eine Erklärung dieser Vorgänge darin zu finden, daß er
die Elektrizität als das ursächliche Moment dieser Katalyse erkannt — die
Beziehungen des Sauörstoffa zur Elektrizität geben ihm eine Erklärung für
diese tatsächlich leicht nachzuweisendekatalytische Wirkung derSchwermetalle.
Er sagt: »Die von mir verwandten Stoffe — bei fast allen Versuchs-
anordnungen Nichtleiter der Elektrizität — sind bei dieser Betrachtung in
zwei Gruppen zu gliedern: einerseits die Lieferanten des Sauerstoffs, Ter-
pentinöl und Wasserstoffsuperoxyd und andrerseits die Saaerstoffakzeptoren,
die Guajaktinktur und das Giiaiakol. Dieser Einteilung entspricht In einer
auffallenden Weise das elektrische Verhalten der Stoffe. Denn die erste
Gruppe ladet sich beim Metallkontakt nach Ausweis der Literatur negativ,
von der zweiten Gruppe der Alkohol (der Tinktur) positiv, während ich
vom Guajakol keine Angabe über elektrisches Verhalten habe finden können.«
Die außerordentlich frappierenden Versuche, die Scuadb für seine
Ansicht bringt, durch die bei positiver Ladung sich einstellende eigentüm-
liche Konsistenz- und Formveränderung der Qaecksilberkugel, müssen, wie
die ganzen Anaftihrungen S<'HaüE9, im Original eingesehen werden. An der
Tatsächlichkeit der Kxporimonte, die ScuAriK vor mir ausgeführt hat, ist
nicht zu zweifeln. An der Kritik der theoretischen Begründung, die Schauk
seinen Versuchen gibt, mdgen sich die Physiko-Chemiker versuchen, das liegt
außerhalb unserer Kompetenz.
Eine Quecksilberkugel in Terpentin oder Wasserstoffsuperoxyd ge-
bracht, flacht sich fast sofort deutlich ab, und das Quecksilber verwandelt
sich in eine schwerfließende, geschmolzenem Blei ähnliche Masse, die ver-
mittelst eines Holzstäbchens wie Wachs in jede beliebige Form gebracht
596
Syphilis.
werden kann; es hat eine ansg^eaprochen positive Ladung des Metaltes statt-
f^efunden. In Quajaklinktur oder Guajakot gebracht, nimmt das Quecksilber
in kflrzester Zeit seine gewrihnlichp Form und Konsistenz wieder an.
Diese, wenn auch an ELektrizitätsmengre g'eringen^ elektrischen Ladungen
sollen nun nach Schade sämtlich in dem is-leicJien, die SauerstoffQberwanderung
unterstützenden Sinne für die Metall katalyse wirken, nach 0.stwald3 Aus-
druck das Schmiermittel bilden, dessen die chemische Maschine bedarf, um
den Sauerstoff aus dem Terpentin, resp. dem Wasserstoffsuperoxyd in die
Quajaktinktur oder das Ouajakol in der einen prompten Farbumschlafi; be-
wirkenden Menjfe hineinzubrinK-en.
Für die praktische Bedeutung dieser elektro-kataly tischen Metall -
wirkunjf ist es von RToßer Wichtigkeit, um Analogien mit den Körperver-
hält nissen finden zu können, daü die Kraft beim Dazwischentreten des
Wassers nicht aufgehoben wird; ferner, und das scheint mir das W'eaent-
liche, daß es weniger auf die Menge als auf die Art des Metalles ankommt;
nnd endlich, daß dem Grade der Oberflächenentfaltung die allergrößte Be-
deutung zukommt — je feiner verteilt das Hg ist, desto schneller tritt die
Katalyse ein — . ein minimale Menge des Hygrol — kolloidalen Queck-
silbers - in Wasser gelöst (1 : 1000) bewirkt schon in wenigen Minuten die
ßlaufärhunß: und selbst Lösungen von 1 : 50.ü0ü lassen noch deutlich die
beschleunigende Kraft erkennen. Es lÜßt sich durauH folgern, daß zum Zu-
standekommen einer möglichst großen Polarisationsfläehe die maximale Ober-
flächenentfaltung des Metalles die notwendige Vorbedingung ist.
Daß sich Hg-Dampf im Wasser löst, haben schon Gmelix und W[ng8
nachgewiesen (s. LiKBKEitH, I.e.)- Auch Oswald* teilt mit, daß Quecksilber
sich in nachweisbarer Menge in Wasser lösen kann, ein Vorgang, der eine
Folge darstellt von dem schon bei Zimmertemperatur eintretenden Ober-
gang des Metalles in Dampfform.
Danach kann also nicht nur den Metallverhindungen, sondern auch
den Metallen selbst die Fiihtgkeit zur Entfaltung katalybischer Kräfte zu-
gesprochen werden. Nach Schades Versuchen kommen den Metallen, ihren
Salzen und auch den Albuminaten die Eigenschaft katalytischer Oxydations-
beschleunigung zu. Setzt man einer unter leichtem Erwärmen bereiteten
Lösung von Qaecksilberaibuminat z. B. einige Tropfen Quajaktinktur und
etwas Terpentin zu, so zeigt sich nach einigen Minuten regelmäßig eine
deutliche Umfärbung zum Blau.
Wie oben das Hg.-Sultat als Katalysator zwischen Naphthalin nnd
Schwefelsäure erwähnt wurde, so gibt es in der Technik eine ganze Reihe
von Reaktionen, bei denen Quecksilber und Hg-Salze als Katalysatoren ihre
Verwendung finden. Auch mit Kalomel kann man eine Oxydationsbeschlea-
nigung der Quaiaktinktur bei Gegenwart von Terpentin erzielen.
Ohne mich auf die ScuADKschen Schlußfolgerungen im einzelnen ver*
pflichten zu wollen, muß ich sagen, daß seine Übertragung dieser im Ex-
periment festgestellten katalytischen Wirkungen gewisser Schwermetalle auf
die im lebenden Körper nachweisbare Wirkung dieser Metalle, resp. ihrer
Salze im lebenden Körper, etwas sehr Überzeugendes haben; er bespricht
diese Wirkung besonders für Eisen, Silber und Quecksilber. Uns interessiert
hier natürlich gerade das letztere.
Es ist nicht zu leugnen, daß die kurz erwähnte ScHiLZsche Anschauung,
daß das Quecksilber in sehr großer Verdünnung als Reiz auf das Gewebe
wirkt, in den SrHADKschen Ausführungen eine Stütze und Erklärung findet.
Die (durch die katalytischen Eigenschaften) stoff umsatzfordernde Kraft des
Quecksilbers bildet eben den Gewebsreiz, der nötig ist, um die durch das
* Ovwii^, Cirundlia. der äDor^aulacbeu Cbeuiie, 1901, pag. 677.
Syphilis. — Syzygium janibolanum.
597
Syphilisvirus geaetzten Schädigungen auszugleichen: »die Quecksilberkatalyse
ist ein geeignetes Mittel, um sowohl im Blut wie im Qewobe die erforder-
lichen Oxydierungen und Reduzierungen zu ermöglichen« (Schade).
Die Tatsache, daß ein starker Reiz im Gegenteil den Qewebstod zur
Folge bat, läßt sich nach Si hadb auch so erklären, daß die Qbermäßige
Oxydattonsbeförderung zu einer Hyperfunktion, schließlich zum Zelltod, zur
Nekrose fuhrt.
Mit der Annahme einer katalytischen Wirkung des Quecksilbers im
OrganlamuK läßt sich auch die Wirkung so minimaler Qnecksilbermengen
verstehen, wie sie sich z. B. durch Tragen oinGS Merkolintschurzes. durch
Aufklatschen, durch Aulhängen eines quecksilberbedeckten Tuches im Zimmer
erreichen lassen. Es ist, wie Schade: ausführt, bei katalytischen Prozessen
eine gewöhnliche Erscheinung, daß die Knergiebeschleunigung sich so gut
wie anabhängig von der Katalysator menge erweist and schon bei mini-
malem Zusatz der beschleunigenden Substanz in ausgesprochenem Maße
zutage tritt.
Beiläufig will ich er^'ähnen, daß nach den ScHAneschen AusfOhrungen
eine zwar nicht antitoxinbildende^ aber eine toxinwidrige Wirkung dos Hg
im Körper anzunehmen ist. Er nimmt an, daß die katalytischo Kraft des
Quecksilbers, analog der dos Silbers, etwa vorhandene Ptoiuaiae durch
Oxydierong in ungiftige Substanzen umzuwandeln vermag.
Außerordentlich interessant ist. worauf ich zum Schlüsse noch hin-
weisen will, daß eine von Sihape angeführte Arbeit Waltons (aas dem
ßicEniGschen Institut) zu dem Resultate kommt, daß dem Jodkali und an-
deren Jodverbindungen eine im Effekt der von Schaük beim. Quecksilber
beobachteten Kraft analoge Fähigkeit katalytischer Oxydationsbeschleunigung
zukommt.
Wir befinden uns hier in atlen diesen Fragen auf einem Gebiet, auf
dem wir Mediziner im allgemeinen zweifellos nicht voll kompetent sind und
uns also unbedingt vor eilfertigen Schlüssen außerordentlich hüten müssen.
Die entscheidende Kritik steht, wie gesagt, bei den Physiko-Chemikern.
Andrerseits, wie wir durch die Arbeiten derselben so mannigfache und reiche
Anregung und Herelcberong unseres Verständnisses für organische Vorgänge
empfangen, kann für sie der Versuch einer Erklärung, einer Anwendung
ihrer Entdeckungen auf nur im Endresultat bekannte organische Vorgänge
befruchtend wirken.
Jedenfalls ergeben die ausgeführten Ansichten und Experimente zu-
nächst die Möglichkeit einer wenigstens etwas befriedigenderen Erklärung
unserer therapeutischen Erfolge mit dem Quecksilber bei der Syphilistherapie,
als es meinem Wissen nach bisher möglich war. Voreilig wäre es natürlich,
Bo nahe die Versuchung liegt, weitgebende, bindende Schlüsse daraus ziehen
zu wollen über die Art der wirksamsten Syphilistherapie. Düring.
Syting;oniyelle , bulbäre Symptome , s. Bulbärparalysen^
pag. 15öff.
Syzy£;:luiii Jambolanum, s. DJoeat, pag. 187.
Tabes dorsall.Hf bulbärparalytische Symptome, paf?. 152fr.
Tetanusantitoxin. Über zwei interessante Darreichun^weisea
dieses Serums ^ welche mit Erfolge angewandt werden, wird berichtet. Mun-
sarrat') amputierte einem lOjäbrig^en Knaben, bei welchem sich 9 Tage
nach einer Fingerquetschung^ die ersten Erscheinungen von Trismus bzw.
Tetanus zeifrten, in der Narkose die verletzten Finger und legte zugleich
eine TrepanationsÖfEnung an. Durch diese wurden G (//j« Tetanusserum unter
die Dura eingespritzt. Da in den nächsten Tagen zahlreiche, wenn auch nicht
schwere Kranipfanfalle auftraten, wurden noch weiter täglich IOojm^ Sernm
iniiziert. Alsdann verloren sich die Krumpfe. Nur einmal noch, 3 Tage später,
trat ein heftiger Anfall ein, der eine we*itero [njektion nötig machte. Alsdann
nahm der Heilungsverlauf seineu normalen Weg.
Küster^) in Marburg hat einen Aufseiter im v. ßEiiniNGScheD Institut,
der schon zweimal Tetanus überstanden hatte und sich wiederum an der
Hand mit sehr virulenten Kulturen nach einer Verletzung infiziert hatte,
die gereinigte Wunde mit Tetanusantitoxin berieselt. Da bald darauf aus-
gesprochener Tetanus des betreffenden Armes ausbrach, wurden die Nerven
in der Achselhöhle freigelegt und in jeden Nervenstamra in die Mitte des
Nerven hinein Antitoxin gespritzt, bis dieser deutlich anschwoll. Jetzt gingen
die Erscheinungen schnell zurück und nach 12 Stunden bestand keine Muskel-
starre mehr.
Literatur: *)MoMaABRAT, Brit. med. Jouni., 24. Decerab«r 1904. — *jKOffTKii, MUn-
chcner mi'd. Woehensehr , 19()5, Nr. 18, pag. 880. Kioak:
Tlieocin. Als Diuretikum in der Kinderpraxis leistete das Theocin
nach GuTM.-\N.\ *) bei kardialem Hydrops gute Dienste, wenn die Herzkraft
nicht allzusehr geschwächt war, aber selbst in Fällen, wo Digitalis und
Diuretika versagten. Qitmanx gab 0-H g 2 — 3mal am Tage. Von Neben-
erscheinungen sind nur Magenstörungen und Erbrochen aufgetreten.
Ebenso erwies das Theocin sich bei gesunder Niere nach Foa ') als
günstig wirkend auf die Wasser- und Chlorausscheidung. Der Einfluß ist
schnell und rasch vorübergehend.
Die Nebenerscheinungen des Theocins lassen sich nach Schlesinger')
in den meisten Fällen vermeiden. Er sah meist Prodromaleracheinungen auf-
treten, die er sorgfältig beachtet wissen will. Denn sonst kann es leicht zu
epiiepttformen Krämpfen kommen. Daher verordnet er als Maximaldosis pro
die 10^ Theophyllinum purum oder l'b g Theophyllin-Natrium oder Theo-
phyllin-natrio-aceticum in wäHseriger Losung und läßt das Mittel nie zwei
Tage hintereinander nehmen. Sofort ausgesetzt muß werden, wenn die Pa-
tienten Kopfschmerz oder Übelkeit bekommen.
Theocin. — Thiosiuamin«
599
Allard *) sah bei 2 Kranken in vorgeschrittenem Stadium der Herz-
erkrankang: einnaal nach 06^ im (ganzen, das andere Mal nach l'b g The-
ocin den Tod eintreten. Es kam zu epileptiformen Krämpfen und Bewaßt-
(osigkeit und bei der Obduktion fanden sich Blutungen and hämorrhagische
Erosionen der Magenschleimhaut. Auch in Tierversuchen sah Allard die
gleichen Erscheinungen, auch trübe Schwellung und Zerfall der Hamkanäl-
chen in der Niere. Hierzu bemerkt KLi:MF»EREK t^). daß er Gaben von 03^
Theocin für indiziert halte, wenn die anderen Diuretika nicht mehr helfen.
Auch SrnMiEornERü '^l empfiehlt in Fällen, wo eine möglichst starke Dlurese
erwünscht ist, kleine Gaben von Theophyltln (2mal täglich 01^), an den
folgenden Tagen kann man allmählich mit der Dosis steigen.
Genaue Untersuchungen über die Ausscheidungsverhältnisse nach
Gaben von Theocin-natrium acettcum liegen von Meinertz^I vor.
Dieses neue Theccinpräparat hat nach diesem Autor weit weniger üble
Nebenwirkungen als das ältere Theocin, Im Harn wird in hervorragender
Weise der Kocbsalzgehalt gesteigert, was eine besondere therapeutische
Bedeutung besitzt, und zwar hauptsächlich bei kardialen Hydropsien, wo
eine Kochaalzretention stattgefunden hat.
Desgleichen spricht sich Halkl^) lobend über das neue Präparat aus.
Literatur: \< Gitmakn, Arch. f Kinderlik., XXXVÜl, H. 3 u. 4 , zit. nach Die The-
MpiA iler Geift'nwart, Juli 1904, paff. 330. — *) Foa, Tbeocin als Oiareiikntn. Riforma med.,
Nr. 19, zit. nat'h DeutRcliR med. Wochfn»chr, 1904, Nr. 23, pag. 858. — 'i U. ScHLtsixomi,
Znr Frage dtT Fol^i'^raebeiDungfü], namenTlicb der KrampfsaslUndä nach Tbeopbyllingübrunch.
MÜDchtntr lui-d. Wochenachr., 19t)ö, Nr. 23, pag. 1095. — *) Allard, Über Tbeoeinvergif-
tnng. Df.atHL'hes Arch. f. klin. Med., 1904, LXXX, zit nach Di« Tbt^rapie der Gegenwart,
AugDht 1^04, pag. 379 — S Ki.kmpk&bb, ebfodort. — •) SrnuiEOEBtno, Theophyllin aU
Dliiretikoin. Deutfches Aroli. f. klin. Med.. LXXXII, H. 3 u- 4, sit. nai'h DeuUvbe meUisinii^cb«
Woclieimchr, 1906, Nr. 8, pug. 315. — ') J. MtumiTz, Veraucbe Ülit-r Diurese, innbeitoiidere
Qber dk* Wirkung de» Thco<:innatriam aceticnm. Thfrapeiitischu Monatttht-lttt, Juai 11)04,
pag. 275. — ") M. HAcrBL. Theodnnatriain aceticnm, tine wesentliche Verbes.ierang des alten
Thtocinü. Die Therapie der 0«genwart, Dezember 1904, pag, 5ti7. ß Fny.
Thlolan. Thiolan ist nach Vörner eine Salbe . welche teils den
Schwefel f^elösts teils in einer äußerst feinen Weise darin verteilt enthält.
Diese Salbe, auch Ur^uentum suUuratum mite genannt, leistete nach VArnkr
bei der Ekzembehandlung, Acne rosacea, Psoriasis gute Dienste.
Literatur: H. VOrnek, über Ungaentam sullaratam mite = Tbiolao. MQoobener
med. WoLbenfiflip, I9rin, Nr. 16, pag. 751. £". »r/.
Thioslnamin. Das Thiosinamin, der Allylthioharnstoff , welchem
eine narbenerweicbende Eigenschaft zukommt, ist wieder häufiger angewandt
worden. Bei narbiger Pylorusstenose sah Glogner ^) neben 2 negativen Re-
sultaten einen schönen Erfolg. Ebenso berichtet \i.\mz -) von einem Dauer-
erfolg bei Pylorusstenose, wobei besonders die Hebung des Allgemeinzustandes,
die Erleichterung der Nahrungsaufnahme und die stetige Zunahme des
Kurpergewichtes wichtig ist. Als Adjavans bei Sondierungen der Ösophagus-
strikturen betrachtet Kircz*) das Thiosinamin, auch Hkrczel*) fand, daß
es die orthopädische Behandlung der Gelenkkontrakturen wirksam unter-
stütze. Das Gleiche bf.»obachtete Lkngkmann^) bei Dtft'VTRKNSchen Kontrak-
turen. Einen schönen Erfolg bei V'erbrennungsnarben sah Mellin "X während
M.\.\KiE\virz und Lexek ') nur vorübergehende Kesserungen der Narben-
kontrakturen verzeichnen konnten. Auch Baumstark **) sah nur vereinzelte
Erfolge bei Pylorusstenosen, und zwar war in Fällen von Karzinombildung
ein günstiger Ü^influß nicht zu konstatieren, aber auch nicht stets bei Pro-
zessen gutartiger Natur. Nach alldem haben wir im Thiosinamin ein Mittel,
welches imstande ist. Narben zu erweichen, die Dehnung der Narbe aber,
welche auf mechanischem Wege zu erfolgen, ist für das Resultat der Be-
handlung maügebend, und je nach der Möglichkeit, einen dehnenden Ein-
600
Thiosiuamin, — Titriermethoden.
fluß wirken zu lassen, werden sich die Krfolge richten. Aber ein wlrkfiameä
Adjuvans stellt dan Thiosinamin dar. Siebe auch Fibrolysin.
Literatur: V M. G^nonKR, t'bor den Einfluß des Tbyoainainin« auf llageoer weite -
rnnueD intolge oarMt^er Pyloruflatenoac. Die Therapie der Gegenwart. Joli 19(M« pag.331.
— *> A.Uartk, Über Bt^handlung »finer PylorasHtenoae mit Thyosinamin. Deat»obr med.
Wodn^nHchr., 19<)4, Nr. 8, umi 1905, Nr. 1;^. — ^ Kikiz. Budapvsti Orvosi UisAg . 1904,
Nr. 24, »it. nach Die Therapie der ÜBgtnwart, Febraar liK>y, pag. 92. — *) Hbkczel, ebrn-
dort. — ^) P. Lkhukmann, Zur TbioVinamlnbi'haiidlunK von Kontrakturen. Deutsche med.
Wochf Dschr. , 1904, Nr. 13. — *) Mkli.in, ThioHinamin bei Narbeiikontraktaren. Deutsch«
me<l. Wochenschr. , IQUö, Nr. 5. paj?, 17i>. — 'i Mankikwicz and Lexbr , Üiaknssionsbemcr-
knng dazu. DentscliB med. Worht'iischr., UüOo, Nr. 4, pag. Ißl. — *> Bapustark, Thioüinamhi-
wirknng bei Erkrankungen dec Verdanangawege. Berliner kUcWochenachr.» 1904, Nr. 34.
Thrombose der Nabelarterlen, s. Blut des Säuglings, pag. 9^.
Tliyreoidserum h. Antithyreoidin, pa^^. 32.
Thyreotoxalbumin, ». Intraglanduläre Entgiftung, pag. 269.
Xltrlermetlioden. Die quantitative Analyse, welche die Ermitt-
lung der Mengenverhältnisse, in weichen die einzelnen Stolle in einer Ver-
bindung^ usw. enthalten sind, bezweckt^ bedient sich dazu hauptsächlich
zweier Methoden, erstens der Gravimetrie oder Gewichtsanalyse, zweitens
der Titrierniethode , auch Volumetrie oder MaUanalyse genannt. Die erste
der genannten Methoden beruht daraul^ daii der quantitativ zu ermittelnde
Stell als Ion aus seiner Verbindung abgeschieden and nach entsprechender
Vorbereitung gewogen wird.
Die Tttriermethoden bedienen sich gewisser, durch den Augenschein
leicht erkpnnbarer Reaktionen, welche das Endo der quantitativen Analyse
anzeigen. Ulo F]Qssigkeitl^n, welche diese Reaktionen auslösen, haben einen
bestimLiiten Gehalt oder Titer — woher der Name Titriermethode; aus dem
Verbrauch dieser Flüssigketten laut sich daher mit vollkommener Genauig-
keit die unbekannte, i. e. die gesuchte M'^nge der auf die TitrierllQssigkeit
reagierenden Körper, modemer ausgedruckt Ionen, messen und berechnen.
Die Titriermethode ermöglicht es, in viel kürzerer Zeit und mit viel
geringerer Mühe eine großo Anzahl von Analysen auszuführen ; da schon
durch diesen Faktor allein, wie Mokk hervorhebt, die Maßanalysen viel we-
niger ZuInlligkeitoD und Unfällen unterworfen sind wie die gravimetrischen.
so sind ]ene mit einer weit grulieren Schärfe und Übereinstimmung auszu-
führen als letztere. Mit einer Wägung. deren man bedarf, um einen oder
mehrere Liter ProbellÜssigkeit herzustellen, ist man imstande, Hunderte von
Analysen durch die Titriermethode auszuführen ; in diesem Sinne iflt »Ti-
trieren eigentlich ein Wägen ohne Wage«.
Die Volumetrie zerfällt wiederum in mehrere scharf voneinander zn
trennende Gruppen :
1. Die Alkali metrio und Acidimetrie. Diese Gruppe umlaUt alle
Aulgaben, welche sich auf die Operation des Sätttgens von Alkalien und
Säuren gründen. Je nachdem man den Gehalt einer Flüssigkeit an Säure
oder an Alkali zu prüfen hat, titriert man mit einer bestimmten Alkali-
oder Säurelosung. Da der Moment^ in welchem das NeutraUalz, welches
durch die Sättigung des Alkalt durch die Säure und umgekehrt entsteht,
gebildet wird, an sich äulierltch nicht sichtbar ist, bedient man sich zum
Anzeigen der Beendigung der erwähnten Reaktion sog. Indikatoren. Bs sind
dies gewisse Pflanzenstoffe oder künstlich erhaltene Farbstoffe, welche durch
ihre Farbenvoränderung das Vorwalten von Alkali oder Säure anzeigen. In
der Acidimetrie benutzt man vorwiegend da» Phenolphthalein, einen schwach
sauren Indikator, welcher in saurer Lösung farblos, in alkalischer hingegen
intensiv rot gefärbt erscheint. In der Alkalimetrie verwendet man einen etwas
■p Titriermethoden. ^HBHIP ^^^
stärker sanren Farbßtolf, das Methylorange, welches in alkalischer Lösang
gelb, in saurer Losung rot gefärbt ist. Von anderen Indikatoren seien hier
noch erwähnt der Lackinasfarbstoff . welcher durch Säuren rot, durch Al-
kalien blau gefärbt wird, die Rosolsäure, welche in saurer Ldsang btaügelb,
in Alkalien rosenrot erscheint.
2. Die Oxydimetrie umfaßt die Oxydations- und Heduktionsanalysen.
Dieselben beruhen auf der Tatsache, daß beBtinimte oxydierende oder re-
duzierende Stoffe durch reduzierende oder oxydierende Löaunijen unter
deutlicher Kndreaktion reduziert resp. oxydiert werden. Als Paradigma der
Oxydationsmittel kann das Übermangansaure Kalium dienen, welches in dem
Momente, wo es seinen Sauerstoff abgibt, farblos wird. Die Reaktion erfolgt
nach der Gleichung lOFeSO^ -i- 12 K MnO^ -i- ö SO, H, = 5 Fe, (SO,), -f Kj SO,
-f 2MnS0, -f SHjO; das Ferrosulfat wird also zu Ferrisulfat oxydiert und
dafür das Kaliumpermanganat zu Mangansulfat reduziert.
'A. Die Jodometrie. Diese eleganteste und schönste aller maßanaly-
tischen Methoden, wie sie Mohr mit Recht bezeichnet, beruht auf der oxy-
dierenden Wirkung des Jods, analog wie die Oxydimetrie auf der oxy-
dierenden Wirkung des Sauerstoffes. Die Wirkung des Jods ist durch die
folgende Formel zu veranschaulichen : 2 Na^ S^ 0^ -f Jg = Na, S^ O^ + 2 Na .1.
Die Kndreaktion ist an sich durch das Verschwinden der braunen JodlÖsung
erkennbar Man kann sie noch deutlicher machen, indem man Stärkemehl,
das durch freies Jod intensiv blau gefärbt wird, zu der zu titrierenden Flüssig-
keit hinzufügt.
4. Die Fällungsmethoden. Sie beruhen darauf, daß aus der Titrier-
flüBstgkeit und der quantitativ zu bestimmenden Substanz durch doppelte
Zersetzung ein unlöslicher Körper ausgeschieden wird. Die Fndreaktion wird
entweder dadurch sichtbar, daß der fernere Zusatz der TitrlerfiÜasigkeit
keine weitere Trübung in der eventuell filtrierten Analysenflüsaigkeit er-
scheinen läßt oder aber so. daß der erste überschüssige Tropfen des Fällungs-
mittels mit einem zugesetzten Indikator eine durch Farbenunischlag er-
kennbare Reaktion gibt. Als Beispiel diene die Titrierung des Silbers
mittelst Rhodanammonium nach der Gleichung: AgNO, -f NH, CNS =
=.AgCNS + NH^NOj. Hat man Ferrisulfat als Indikator zugesetzt, so tritt
gleichzeitig eine blutrote Färbung durch Bildung von Eisenrhodanid ein.
Als Titrier- oder Matiflüssigkeiten benutzt man entweder Bystematiache
oder Normalflüssigkeiten oder aber empirische Flüssigkeiten. Die Normal-
lösung ist eine Bolche, welche im Liter von dem betreffenden Reagens die
1 g Wasserstoff äquivalente Menge, d. h. das Äquivaleotgowicht in Grammen
ausgedrückt enthält. Eine Normalsalzsäure enthält demnach, da das Aqui-
valentgewicht der MC\~'66'b (1 + 35'5) ist, 365^ HCl im Liter; eine
Normalnatronlauge (Na OH =40 [23 -f 16 -f 1]) 40 g Na OH im Liter; die
98
(zweibasischö !) Normalschwefelsäure, deren Äquivalentgewicht — — — ist,
49 g Hg SO« usw. Eine Fünftel-, Zehntel- etc. -Normallösung ist eine om das
Fünffache, Zehnfache etc. verdünnte Normallösung.
Je 1 cw^ Normalsäure entspricht je Icni^ Normallange und umgekehrt.
Die empirischen Lösungen sind solche« welche entweder im Liter
das Gewicht der wirksamen Substanz in einer runden Zahl (etwa 10^)
enthalten oder aber solche, welche mit 1 cm'-^ eine runde Zahl (z.B. lOmg)
von der zu bestimmenden Substanz, z. B. Kochsalz, anzeigen.
Endlich ist bei den Titrationen zu unterscheiden: die direkte Bestim-
mung und die indirekte Bestimmung, d. i. dieientge durch Restmethode.
Will man z. B. den Säuregehalt einer Flüssigkeit bestimmen , so gibt die
Anzahl der verbrauchten Kubikzentimeter Lauge die gesuchte Säuremenge
in direkter Weise an. Zur Illustration der Kestmetfaode diene die Kochsalz-
602
Titriermcthoden. — Traubenzuckertitration.
bestimmung nach Volhard. Man setzt zq der zu untersuchenden kocbsalz-
halti^en FIQssifckeit einen bestünraten Überschuß an Silberlosanjc hinzu und
titriert diejeniKe Siibermenyre mittelst Rhodanairmonium zurück, welche nicht
zur Ausfüllung von Chlorsilber in Anspruch genommen wurde. Die Differenz.
gesamte angewendete Silberlösung minus die durch Rhodan titrierte Menge
entspricht dem gesuchten NaCl-Qehalt
Zum Ausführen der Titrationen benötigt man folgende geeichte Maß-
apparate: Pipetten, Büretten^ MaÜflaschen und Maßzylinder.
(Die Titratiensmethoden für die einzelnen Stoffe s. unter diesen.)
G. ZaeUv.
Tonog^en, s. Nebennierenpräparate, pag. 437. ■
TonuSv s. Psychoxnechanik, pag. 486. I
Tonuslabyrinthy s. Ohrlabyrinth, pag. 447 ff. ■
Toxine, 8. Blutgifte, pag. 111. '
Traubenzackertitratlon. l. Nach Kkhlixg-Soxlrth. a; Prinzip
Dasselbe beruht darauf, daß Harnzucker aus alkalischer Cuprisulfatlösung
das Kupfer als rotes Kuprooxyd fällt. £s ist also das Prinzip der Trohmbr-
schen Probe, und zwar erhält man nach Soxletm nur richtige Resultate^
wenn die FEHLi\G9che Losuntr auf das Fünffache mit Wasser verdünnt ist
und die Zuckerlösung nicht mehr als I'^Iq Traubenzucker enthält b) Berei-
tung der Lösungen: 1. KapfervitriollÖsung 34*64 ^^ reinstes, kristallisiertes,
nicht verwittertes Kupfervitriol In 500 cm» Wasser enthaltend. Das Salz soll
genau 5 Mol. HaO == 36087Vo Wasser enthalten und bei 100—110" genau
4 Mol. HO=^28 87";(, verlieren. 2. Seignettesalzlösung: Sie enthält 173^
Seignettesalz (Tartarus natronatusj und 100 c///^ Natronlauge. 134 spezifisches
Gewicht oder 50^ Natriumbydroxyd in 500 cm^ Wasser. Die beiden Lösungen
bilden zu gleichen Volumteilen <;emischt die FciiLiNGsche Lösung und erst
unmittelbar vor dem Gebrauch sind dieselben in gleicher Menge zu mischen.
1 cm* der Lösung zeifft ^ mg Traubenzucker an.
Man kann bei der ZuckerbeHti'iimLing im Harn die Zuckermenge nicht
wie bei reinen Zuckerlö»ungen aus decu Gewicht des ausgeschiedenen Kupfer-
oxyduls bestimmen, weil dai^i beim Erwärmen des Harns mit FEHLixcscher
Lösung sich entwickelnde Ammoniak stets einen Teil des Kupferoxyduls in
Lösung hält Man ist deshalb darauf angewiesen, das H)nde der Titration
durch den Augenschein zu bestimmen. In dem Moment nämlich, wo alles
Kupfersulfat reduziert ist, hört die FKHi.iNGsche Lösung auf, blau zu erscheinen.
Kb ist klar, daii dieser nicht franz leicht zu bestimmende Punkt nicht bei
einmaliger Titration erreicht werden kann, man muß <leshalb gleich mehrere
Bestimmungen hintereinander ausführen.
Man »tettt sich zunächst eine passende V^erdünnung des Harns her;
dabei kann mau sich ungefähr von der Dichte des Harns leiten lassen , in-
dem annähernd der Zuckergehalt der Harnkonzentration entspricht, und
zwar genügt als allgemeine Kegel, einen Harn von 1030 auf das Fünffache,
einen konzentrierten Harn auf das Zehnfache zu verdünnen; eventuell muß
nach der ersten Titration, die ein ungefähres Resultat ergibt die Verdünnung
von neuem vorgenommen werden, so daß der Harn ungefähr 1% Zucker-
lösung darstellt. Man nimmt Je 5 cra^ der Lösung 1 und Lösung 2 in einem
MelSkölbchon ab und verdünnt auf 50 cm^ und erhitzt zum Sieden. Man
läßt nunmehr auf einer Bürette kubikzentimeterweise von dem verdünnten
Harn hinzufließen, während man die FEHLiNGsche Lösung in leichtem Sieden
erhält und dies so lange, bis die stark blaue Farbe verschwunden ist und
sich ein starker roter Niederschlag von Kupferoxydul gebildet hat. Nunmehr
setzt man tropfenweise den Harn zu, bis der obere Meniskus der Flüssig-
Traubenzuckertitration,
603
keit keinen blauen Schimmer mehr zeig-t. Um dies genau zn erkennen^ bringt
man den Kolben in Augenhöhe und betrachtet ihn gegen das Licht. Man
wiederholt nunmehr die Titration, indem man auf einmal 1 cm^ weniger^ als
die bei der ersten Titration verbrauchte Harnmenge betrug, hinzufließen
läl5t und aufkocht. Ist jetzt der beschriebene Meniskus noch bläulich, so
wiederholt man den Versuch mit einer um ein geringeres größeren Harnmenge,
bis man zwei um 1 cm'^ differierende Proben bekommt, von denen die eine
bereits eine Entfärbung, die andere einen noch bläulichen Schimmer aufweist
Ks empfiehlt sich nicht, im Endversuch 6\ii Entfärbung durch Abfiltrieron
einer kleinen Menge in ein Reagensglas zu bestimmen, weil stets dabei eine
geringe Menge des Kupferoxyduls vom Sauerstoff der Luft oxydiert wird;
ebensowenig darf man aus demselben Qrunde abwarten, bis der gesamte
Niederschlag sich am Boden festgesetzt hat. Doswegen ist auch die Titra-
tion in einem Forzellanschätchen, in welchem der bläuliche Schimmer sich
sonst besser abheben würde, unzweckmäUig. Man soll vielmehr nicht die
MOhe scheuen, sich auf die Erkennung des beschriebenen Meniskus, die an^
fangs gewisse Schwierigkeiten macht, einzuüben.
Die Rprechnnng der Titrationsreaultate ist sehr einfach. 10 cm' Fehlixg-
scber Lösung werden durch 005 j4 Traubenzucker reduziert. Nehmen wir
an, dal5 8 cm* des lOfach
Fehling verbraucht worden
Zucker; der ProzentgehaEt
nach der Formel Ü*8 : n05,
verdünnten Harnes zur Reduktion der 10 cm^
sind, 80 enthalten 08 cm» Harn 005 ^ Trauben-
dos Harns an Zucker berechnet sich nunmehr
= 100 : X.
ÖT, = «-25
der Harn enthält also 6*25°/o Zacker.
Kine andere Traubenzuckertitrfttion nach Drizchsel-Klimmeu hat Sahli
in der neuesten Auflage seines Lehrbuches der klinischen Untersuchungs-
tiiethüden mitgeteilt. Sie sei wörtlich zitiert:
D'm Methode beruht darauf, daU das bei der TROWMERschen Probe ge-
bildete Kupferoxydul bei Gegenwart von Ouanin mit diesem eine weniger
leicht axydirbare Verbindung von weißer Farbe bildet, so daß bei der Titra-
tion mit FEHi.iiVHscher Lösung, welcher Guanin in einer gewissen Monge zu-
gesetzt worden ist, man 4^^ Flüssigkeit von dem gebildeten Nieder-
schlag abfiltrieren und auf Kupfer prüfen kann, was sonst nicht zu-
lässig ist. Für klinische Bestimmungen genügt es, wenn man als End-
reaktion die Entfärbung der filtrierten Flüssigkeit annimmt, während da, wo
große Genauigkeit erforderlich ist. das Filtrat nach dem Ansäuern durch
Zusatz von Ferrozyankalium auf Kupfer untersucht werden kann (brauner
Niederschlag von Ferrozyankupferi. Die Filtration muß durch ein doppeltes
Filter vorgenommen werden. Eiweißhaltiger Urin ist vor Ausführung der
Titration zu entei weißen. Zar Ausführung stellt man eine \ »^-Normal-
guaninlösung her durch Auflösung von ".i375 g salzsauren Guanins
in 1000 cm^ iVo^gre»" Natronlauge, so daß 1 cm^ ^/jü-Nornialguaninlösung
0007f>f) reines Guanin (die Basis) enthält. Für den Gebrauch werden von
dieser Guaninlösung 15 cm* zu 10 cm^ FEiii.iNGscher Losung zugesetzt und
die Mischung noch mit 25 cm destillierton Wassers verdünnt. Zur Titration
wird auch hier dor Harn am besten so weit vordünnt, daß er nicht mehr
als 0'5 — 1 0°/o Zucker enthält. Die bis zur Endreaktion verbrauchte Ham-
menge enthält auch hier öVbg Traubenzucker (resp. 00473 nach Soxleth).
Falls die Reduktion mit roter Färbung erfolgt, muß die Titration mit etwas
stärkerem Guaninzusatz wiederholt werden. Für ganz genaue Bestimmungen
muß, um den Fehler, der von den übrigen reduzierenden Bestandteilen des
Harns herrührt, zu eliminieren, die Titration vor und nach der Vergärung
vorgenommen und die Differenz der in beiden Fallen verbrauchten Ham-
mengen der Berechnung zugrunde gelegt werden.
604
Traubenzuckertitration.
b
Die Methode ist e:at, jedoch nur bei Anwendung: ganz reinen Ooanins.
Titrationsmethode nach Knap*p: Die Methode beruht darauf, daß
Traubenzucker aus alkalischer Mcrkuricyanitlösung in der Siedehitze alles
Quecksilber als Metall reduziert.
Bereitung: der Losungen: 1. Die KxApPSche Lösung soll im Liter 10^
chemisch reines, im Vakuum getrocknetes Quecksilbercyanid enthalten. Das-
selbe wird im Wasser gelöst und zur Ldsung 100 cm* Natriamhydroxyd von
1145 sper. Gew. (^ 13*3 g Na Ho) und Wasser bis zu 1 Liter hinzugefüa:t
20 cm* der KxAPPschen Lösung worden durch 0'05 g Traubenzucker reduziert.
2. Alkalische ZtnnoxydulIÖsung : Man 15st bO g käufliches ZinnchlorOr
in Natronlauge und verdünnt zum Liter. Die Losung, die an der Luft sich
leicht oxydiert und unbrauchbar wird, [aßt sich durch Zusatz von metal-
lischem Zinn (Zinnfolie) in verschlossenen Gefäßen aufbewahren. Diese Li^sung
dient zur Feststellung: der Kndreaktion ; enthalt die zu untersuchende
Mischung noch Quecksilbercyanid. so färbt sich der Tropfen grau.
c) Ausführung: Wie bei der FEHLiNGschen Titration wird auch hier
der zuckerhaltige Harn verdünnt, und zwar so, daß er 0*5 — 1^/^ Zucker
enthält. Die Titration selbst wird in derselben Weise vorgenommen wie die
FEHLiNGscbe. Es wird durch hintereinander ausgeführte Titrationen probiert,
wieviel von dem verdünnten Harn '20 rrn'^ der KNAPPschen L5sang. die auf
das Zwei biä Dreifache mit Wassor verdünnt ist, auf einmal zugesetzt
werden muU, so daÜ gerade kein Quecksilbercyanid mehr vorhanden ist.
Von 2 um Ol verschiedenen Proben, von denen die eine noch eine deut-
liche Graufärbung des Zinnchlorürs, die andere keine Färbung mehr bedingt.
nimmt man das Mittel als wahren Wert der verbrauchten Harnmenge an.
Die Berechnung ist analog der Ft:tiiJNGschen.
Jodometrische Trau benzuckertitratiou nach Lehmann und
RiECJLER. Prinzip: Eine bestimmte Menge FEHUNGScher Lösung von genau
bekanntem Kupfergehalt wird durch eine abgemessene Menge zuckerhaltigen
Harns reduziert. In einem aliquoten Teil des Filtrats wird nunmehr eire
jodometrische Kuplerbestimmung nach UK Hakn ausgeführt.
fi^ Prinzip: Das A[,MH\sche Zuckerbestiuimungsverfahren ist dahin at^
geändert, daü nicht der Kupfergehalt des Niederschlages, sondern die im
Filtrat bleibende Menge von Kupfer auf jodometrischem Wege nach Dk Haen
bestimmt wird. Eine einfache Berechnung, die zur Voraussetzung hat. daß
der Kupfergehalt der angewandten Menge der PHiiLiNOscben Lösung bekannt
ist, ergibt, wieviel Kupferosyd vom Zucker reduziert wurde ; die ALLiiiNscheo
Tabellen gestatten dann eine direkte Ablesung der Zuckormonge. Die De
HAKxsche Kupferbestimmung gründet sich auf die Formel 2 Cu S O4 -f 4 J K
= 2K5 SOi -f 2Cu S + J.. ; d. h. bei Einwirkung von Jodkalt auf Kupfersulfat
in saurer Lösung wird eine der Menge des vorhandenen Kupfers proportio-
nale Menge Jod frei. Letztere wird durch die Titration mit Natriomhypo-
sulfit unter Zusatz von Stärke als Indikator titriert.
h) Erfordernisse: l. FEHLixGsche Losung (s. 0). 2. Normalnatriutnthio
sutfatlösung : Man löso 24 8 ^ Natriumthiosulfat. das durch Umkristallisieren
leicht vollkommen rein zo erhalten ist, In 1 Liter Wasser. Die Lösung muß
gegen dns Licht geschützt bewahrt werden. H. Jodkali. 4. Stärkelösung.
c) Ausführung: 60 cm^ FEHLixGscher Lösung werden gekocht, dann
mit 25 c/?3* Harn, dessen Zuckergehalt '/.^ — iVo beträgt (s.o.), versetzt
und noch einige Minuten im Sieden erhalben. Dann wird durch ein doppeltes
schwedisches Filter der Niederschlag abfiltriert, das Filter mit Wasser ge-
waschen. P^iltrat und Waschwasser auf 250 crn^ aufgefüllt. In einer bestimmten
Menge des Filtrats, z. B. in 50 c//i^ werden nach Zusatz von Schwefelsäare
bis zum Auftreten der sauren Reaktion 2 — 3^ Jodkali in Wwaer gelöst.
Es tritt jetzt sofort durch Jodabscheidung eine Braunfärbung ein. ZurTitni-
^^^^^^^^^^^^H ^^^^^^y ^^M
^^^^^^^^ Tabelle ^H
zur Ermittlung: des Traubenzuckers aus den g'ewichtsanalytisch ^^H
be&titnniten Kupfermengien. ^^H
Ca
rrbz.
Cu
Trbz.
Cu
Trbi.
Cu
Trbi
Cu Trbi.
Cu
TrbE.
Cn Trbi.
Ca TrbE.
1
U i 1 1 i V r k ra n
10
61
67
343
124
631
181
926
2381 122-8
295
153 8
352
1854
408
217-5
11
6*6
6B
348
125
637
182
93 1
239 123 4
296!
1543
353
1860
409
218-1
^m
12
71
69
35-3
126 1
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183
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24U
1239
297 1
1549
354
186 6
410
2187
^M
13
7-6
70
35-8
127
647
184
94 2
241
124-4
298
15.V4
•Abb
1872
411
2193
14
8-1
71
36-3
128
652
18;)
94-7
242
1250
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156 0
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187-7
412
219-9
1
Ib
8-6
72
36-8
129
6Ö-7
186
9.) -2
243
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301 ;
1571
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1
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246 1271
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77
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978
248
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159 3
362
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418
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1
21
115
78
398
135
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192
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249
128 7
306
159-8
363
191-7
419
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1
22
12-0
79
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136
69-3
193
989
250 1292
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192 3
420
-2245
23
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1
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13 5
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139
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140
83
42 3
140
71-3
197
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254 131-4
311
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424
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1
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141
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198
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131-9
312
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369
195- 1
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28
150
85
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142
72-3
199
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256
132-4
313
163-7
370
195-7
426
228*0
29
15-5
86
43-9
143
72-9
20O
U»2-6
257
133 0
314
HU -2
371
1963
427
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30
160
87
444
144
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133 5
315
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372
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428
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31
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88
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145
73-9
202
1037
259
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316
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373
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2298
32
170
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146
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203
1042
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134-6
317
1659
374
1980
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230-4
33
175
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45-9
147
74 9
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1047
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105 3
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135 7
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376
199 1
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149
760
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2^13 136 2
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433
2H2-2
36
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^»3
474
150
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207
106-3
204^ 136 8
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434
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37
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267
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324
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351
184-9
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606 Traubenzuckertftration. — Trypanosomenkrankh. d, Menschen.
tioD mit NatriamthiosQlfat empfiehlt es sich, jetzt einigte Kubikzentimeter
Stärkelösanp: hinzuzufüj^en. Die noninehr blaue FlQssitrkeit wird mit der
Natriumthiosulftitlnsiin^, die man aus einer Bürette zufüeben läBt, bis zum
Auftreten der Kntfärbung titriert. Der Umschlag' ist sehr scharf.
Berechnung; Die angewandte FEHLiNGsche Losung muß ein- f3r alle-
mal auf ihren Kupfergehalt titriert werden. Ka entspricht je einem Kubik-
zentimeter der Normalnatriumthiosulfatlösung 1 cm^ Normaljodlösung. Femer
entspricht jedes frei gewordene Atom Jod einem Atom Kupfer in der Feh-
LiNGschen Lösung (s. obige Formel), also je einem Kubikzentimeter der Jod-
lösung 00003 g Kupfer. Die Anzahl der verbrauchten Kubikzentimeter
Normalnatrlumtbiosalfatlöäung muß also mit 6*3 multipliziert werden, um
die Anzahl der Milligramme Kupier anzugeben. — Nach der gleichen Be-
rechnung wird im Filtrat die Menge Kupfer durch Multiplikation der ver-
brauchten Anzahl Kubikzentimeter der Thiosulfatlösung mit 0*0063 ausge-
drückt. Die Differenz der Gesamtmenge des angewandten Kupfers minus
des im Filtrat gefundenen ergibt die Menge des durch den Zucker redu-
zierten Kupfers. Die ALLiHXschen Tabellen (s. unten) gestatten, aus der ge-
fundenen Kupfenuenge sofort den Zuckergehalt abzulesen.
CiTKON hat diese Methode durch Konstruktion eines besonderen Appa-
rates vereinfacht. Er verfährt folgendermaßen: Er bringt 1 cm^ Harn mit
20 cm^ FEHLiNGscher Lösung in einem Porzellanschalchen zum Sieden, filtriert
durch ein Filter, auf dem sich etwas Bimsstein befindet; durch eine beson-
dere Absaugvorrichtung beschleunigt er die Filtration noch wesentlich. Das
Filtrat wird mit Schwefelsäuro angesäuert, danu fügt man 1 ^r Jodkalium
hinzu, es scheidet sich gelbes JodQr ab. Darauf setzt man StärkelÜsung
hinzu und läßt aus einer Bürette mit \/^,^-Normalnatriumthiosulfat so
lange zufließen, bis der schwarzblaue Niederschlag plötzlich in Weiß um-
schlägt. Die Bürette ist so graduiert, daß man aas der Menge der ver-
brauchten Kubikzentimeter Natriumthiosulfai direkt den Prozentgehalt an
Zucker bestimmen kann. Bei vergleichenden polarlmetrischen Untersuchungen
hat sich keine Differenz in vielen hunderten Fällen ergeben. ZumUer.
Trepanation der Sklera, bei Glaukom, pag. 240.
Triebe, s. Psychomechanik, pag. 482.
Tris;eniln, s. Augenheilmittel, pag. 70.
Tropakokaln, s. Lokalanästhesie, pag. 380.
Tropische Splenome£;alle, s. Kalaazär-Krankheit, pag. 275.
Trypanosomenkrankhelten des 9Ienscben. Die An-
sichten der meisten Forscher ober die Trypanosomcnkrankheiten des Menschen
berühren sich neuerdings in dem Punkte, daß das Trypanasomafieber (siehe
Encyclopäd. Jahrb. , 1904) und die Schlafkrankheit zwei Stadien desselben
Leidens sind, indem das letztere aus ersterem — bei Schwarzen oft im
Laufe mehrerer Jahre (bis zu 6 Jahren^ bei Weißen meist im Laufe von
lYa Jahren sich entwickelt*--^), indem die Trypanosomen schließlich die
Hirn-Rückenmarksflüssigkeit zu ihrem Hauptaufenthaltsorte und Nährbuden
wählen. Unklar ist dabei noch, in welcher Weise die Trypanosomen die
Krankheitserscheinungen verursachen; Toxine sind an ihnen und aus ihnen
noch nicht darzustellen gewesen; deshalb wird von dem einen oder anderen
Forscher an Verschlüsse von Kapillaren des Hirns durch Trypanoaomen ge-
dacht; es wird versucht, mit den hierdurch bewirkten Stauungen die starke
Vermehrung des Liquor cerebrospinalis zu erklären. Andere sehen hin-
wiederum immer noch in den bei etwa 30% der an Trj'panosomenkrankheit
(Schlafkrankheit) Verstorbenen gefundenen Diplokokken die ausschlaggebende
Trypanosomenkrankheiten d, Menschen. — TyphusdIagnosHkum. 607
Komplikation für das letzte Stadium. So besteht also in diesen wesentlichen
Punkten zurzeit noch keine Übereinstimmung^.
Doch nicht allein hierin herrscht gegenwärtig noch ziemliche Unklar-
heit, sondern es ist auch das Stadium der Entwicklung der Trypanosomen
in den Glossinen und vor allem die Therapie des — nach Ansicht der
meisten Forscher — stets tödlichen Leidens gegen das Vorjahr um keinen
Schritt weiter vorwärts gekommen. Hingegen tritt mit immer größerer
Deutlichkeit die Tatsache in den Vordergrund*'^*"), daß von Jahr zu Jahr
mehr Europäer der Schlafkrankheit in den Gegenden, in denen sie herrscht,
vor allem im Eongobecken und in Uganda, zum Opfer fallen — eine ernste
Mahnung zur gründlichen Erforschung ihres Wesens, ihrer Heilung und
Abwehr.
Anmerkung: Inzwischen ist Kala-azär, fieberhafte tropische Spleno-
megalie Indiens (s. d.), durch Rogers als eine weitere Trypanosomenkrankheit
des Menschen festgestellt worden.
Literatur: ^) BaDCx, Nabjubbo and Qbsio, The etiolo87 of sleeping siokness. Lanoet,
19. December 1903^ pag. 1730. — *) Sahuoh, Jonm.of. tropical medicine, 1. März 1904, VII,
Nr. 6, pag. 74. — *) Robebt Kocb , Über die TrypsnoBomeokrankbeiten. Deutsche medizin.
Wochenschr., 1904, Nr. 47, Sonderabdruck, pag. 7. — *) Datton discovered tryponosoma in
a Earopaean. Telegramm von Ronald Boss 1901 an das Institat fOr Intektionskrankhelten in
Berlin. — ') Bbodkr, Un cas d'inlection da sang chez J'Enropdan par da tr3rpano8ome.
CJommanic. pröliminaire LeopoIdviUe, 15. Febraar 1903. — *) Hahsoh, Sleeping sicknesa and
trypanosomiasis in a Knropean death. Preliminarj note. Brit. med. Joam., 5. Dezemb. 1903,
pag. 1461. — *) GüHTHKB and Webeb, Ein Fall von Trypanosomenkrankheit beim Menschen.
MUnchener med. Wochenschr., 1904, Nr. 24. Sricb M^Hini.
TuberkuUiiy s. Lupustherapie, pag. 885.
Xyphnsdiajpiostifeniu (Pickbr) , s. Abdominaltyphus, pag. 7.
u.
UrAmle^ s. Epileptische und urämische Krämpfe, pagr. 202.
Urotropin* Es liegen wieder eine Reihe von Empfehlongen des
Urotropins bei Scharlach zur Verhütung: der Scharlachnephritis vor. Nach
Preisich ^) läßt sich die Häufigkeit der Scharlachnephritis um 50Vo ^^i^-
ringem; er gibt es am Ende der 1. und 3. Krankheitswoche Je 3 Tage lang.
Patschkowski ^) gab es mit Unterbrechungen je 4 Tage lang, Butter-
sack'') längere Zelt, jedenfalls aber, sobald Spuren von Eiweiß im Harn
auftraten.
Bei der Behandlung der Cystitis ziehen Nicolaier *) nnd Posnbr ^) das
Urotropin seinen neueren Ersatzmitteln vor.
Literatur : *) K. Pbbistcb, Der EinHaß des Urotropins aa! die Entstehung der akarUti-
nösen Nierenentzttndnng. Die Therapie der Gegenwart, Mai 1905, pag. 211. — ') K. Patsch-
kowski, Urotropin als Prophylaktikum gegen Scharlach nephritis. Therapentische Monatshefte,
Dezember 1904, pag. 620. — *) Bdttkrback, Urotropin bei Scharlach mr Verhfltnng von Ne-
phritis. Dentaches Arch. f. kün. Med., LXXX. — *) Ä. Nicolaxui, Über Urotropin, Methylen-
zitronensäare nnd methylenzitronensanres Urotropin. Ebendort, LXXXI. — *) G. Pomm,
Praktische Ergebnisse ans dem Gebiete der Urologie. Berliner klin. Wochenschr., 1905, Nr. 3.
V.
'alyly s. Baldrian, pag. 74.
Validol« KoKi'i^E^ wandte das Validol irefren Seekrankheit an. und
Ewar gab er 10 — 15 Tropfen auf Zucker und lieli die Patienten eine halbe
Stunde sich hinlegen. In schweren Fällen ist l&ngrere Bettrahe geboten.
Das Validol versagte nur selten
Bei dem Erbrechen Schwangerer versuchte EHKnALO'-') das Validnl zu
Smal tfiglicb 10 Tropfen; der Zustand der Graviden wurde erträglicher.
Literatur: '> K. Kokpkb, Vjilidol nnd Seekrankheit. TherapetitiscIiK Monatfthcfto,
Jnui rjOl. p»g. 2%. — ') I* Ehroalo, Validol gegen das Erbrechen der Schwani^orcn.
Therapeutische Monatshefte, Jnli 1904, pag. 382. E, Fny.
Telosan« Velosan stellt eine Salizylsalbo dar, deren Grundlage
Fetron ist. Hautroizungen sollen sich nach Jaiobson danach nicht gezeigt
haben. 25"/a des eingeriebenen Salizyla lassen sich im Harn nachweisen.
Literatur: J. .TiruBNON, Veloann, ein neues SalizylprHparat eq änäerlichero Gebrauch.
TherapentiHcho Monat-»h.rft*', Dtjsemher 1004, pag. 659. A". Frey.
Venenre.sektlon, bei Pyftmie, s. Puerperalfieber, pag. 4ß3.
Teronal. Die Literatur aber das so vielfach angewandte Schlaf-
mittel hat einen erheblichen Umfang erreicht. Im allgemeinen nird das
Mittel bei relativer Ungefährlichkelt für ein zuverlässiges Hypnotikum ge-
halten. Von neuen Indikationftgebieten sei erwähnt, daß HoMRCiuiER '), der
Veronal in Verbindung mit kleinen Dosen Morphin anwandte^ daß Fiiaknkkl ^)
gute Erfolge bei Keuchhusten mit folgender Medikation sah : Veronal
1-5/75 Aqu. (fervid), Aqu. Valerian. 200, Sir. Alth. ad 1200. D. 28tflndlich
1 Kinderlöffel in Milch, und daß Ulrici^) mit der halben schlafmachenden
Dosis die Nachtschweiße der Phthisiker mit Erfolg bekämpfte.
Außer den schon früher erwähnten Nebenwirkungen, wie Exanthem
(Kuhn*), Davids*^), traten auch Zustände von Schlaftrunkenheit auf (Abra-
ham*"), Kkkss^), ferner Zirkulationsstörungen (Sknator**) und delirCse Zu-
stände (Altkh*'). Alti^k berichtet auch von einem Todesfall nach 10^ Ve-
ronal, allerdings bei einem schweren Epileptiker.
Demgegenüber erwähnt Held '*') einen Fall, in welchem eine SOiährige
Frau 90^ Veronal genommen hatte und nach 4 Tagen wieder hergestellt war.
Überblickt man aber die vielen lobenden Berichte, so müssen die er-
wähnten Nebenerscheinungen wohl ziemlich selten sein, besonders in Anbe-
tracht der Gefahren, welche den anderen Schlafmitteln innewohnen.
Literatur: ') Houiilhoku, Cher Bedingungen und Grenzi'u der Wirksamkeit schwer-
löslicher Uypnotika (Trional und Veronal) mit besonderer Üertiekslehtigung der artt^rioakl«-
rotiscben Schlalstöningen. Die Therapie der Gegenwart, Juli 1904, pag. 299. — 'i M. Fbam-
KiL, Über Veronal bei Kenchhusten. Deutsche med. Wocheniwhr., 1905, Nr. 6, pag, 226. —
Encyclop. Jafarbuchcr. N. F. TV. (XIII.) 39
610
VeroDHl
Vibratfonsgefühl.
') H. Ulbici, rtjer NuchtBchweiße bei Lnnffcntnbf rkaloitf* and deren Bekiimpfnn^ , iniibeAOD-
der« durch Veron«!. TherJipeutlsche Monatshefte, Derember 1904. pag. 614. — *} Ken«,
Veronalvergiftung. Houp. Tid. . Nr. 2, «it. nach Deatsche med. Wowhenaehr , lOOö, Xr. II,
pag. 435. — ^) H. Davips, Einige BvobacbtDDjfHii über Verona). Berliner klin. Wocheoschr.,
1904. Nr. 31. — *> Aiibaham. Zoitüchrilt Tür Psychiatrie and Nervenheilkunde, 1904,
Nr. 170 , litiert nach Die TherapiP dtr üeRr-nwart , Juni 1904 , pag. i?82. —
',» KsKSB, Beitrat; zur Wirkiioff dpa VcronaU. Therapeutische Monatshefte, jjuiaar 1905,
pai;. 37- — *) M. Skmatöb. Eine Beob;ich1i]ng tlber Zirknlattoniutümng nach Verona!. Deutsche
med. Wochenflchr., 1904, Nr. 31, pa^r. 1137. — •) W. Ai.TXitt Znr Kasuistik über das Vcro-
nal. Münchener med. Woehensehr., 190fi, Nr. 11, pag. 514. — *•*) P. T, Hkld, Ein Fall »od
Veronalver^iftuDg. Zentnilbl. 1. Nen'enhk. u. Pnychiatr. , Nr. 173, zit. nach Therapeutische
Monatsfaelte, November 1904» png. fiOO. — ") P. Kleist, Pber die physiologische Wirkung
des Veronal». Die Therapie der Gegenwart, August 1901^ pag. 354, — '*} Fb. ScatrFBS. Ve-
rooal in der Kinderpraxia. Deutache med. Wochenschr., 1904. Nr. 25, pag. 920 — '■) Th.
PiBARhKi, Tber Vercnal ala neue» Schlafmittel Therapeutische Monatshelte, Oktober 1904,
pag. 501. — ^*) Derselbe, Veronul, ein neues Hypnotikum. Przcgiad lekarski, Nr. 31, xit.
nach Deutacbo med. Wochenschr , 1904, Nr. 34, pag. 1250. — **) Derselbe, Veronal, eiu
neues Schlafmittel. Przeglad lekarski , Nr. 30, zit. nach Dentscbe med. Wochenichr. , 1904,
Nr. 33, pag. ISIB. — ^*) Masat und DRAi'i*rRR . Veronal Jonm.de Bmxelles, Nr. 25, liticrt
nach DenUche med. Wochenschr.. 1904. Nr. S9, pag. 1074. — *'i H. v. Kaüt, t^er Veron;il
Therapeutische Monatshefte, September 1904, pag. 4.')8 — '"» H. Eilkr, Einiges Über die
bis jetxt mit Veronal gemachten Erfahrungen. Therap. Monatsh., September 1904, p:ig. 4til-
— '•) F. PaüLss, Erfahrungen der Landpraxi« mit Veronal. Therap. Monatsh., Februar I9ll5,
pag. 77. — "^) Cavazca»!. Veronal. Oazz. dcgii ospedali, Nr. 145, zit. nach DentÄche med.
Wochenschr., 1904, Nr. 52, pjig. 1940. — "i J. .Iolowilk. Cber Veronal Deatsche med.
Wocbenschr.. U)04, Nr. 22, pag. 803. — ") van Bremen, Veronal. Weekbl. voor Geneenk,.
Nr. 19, Sit. nach Deutsche med. Wochencchr., 1<»04, Nr. 22, pag. 818. — ") pFKirFsa, Wei-
tere Beobachtungen Aber Veronal als Schlafmittel. Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 20,
pag. 740. — '') Derselbe, Weitere Mitteilung Über die Wirkung des Verou.il. DentMb«
med. Wochenschr., 1904, Nr. 51, pag. 1882. — *^) Stria, Veronal bei internen Kranken.
Prager med. Wochtinschr., Nr 41 u. 42, zit. nach Dentache med. Wochenschr., 1904. Nr. 45,
pag. 1654. K. Jf*rt>y.
Tibratlonsg^efühl. Über die PrOfungr des sogenannten »Vibra-
tions^effihls der Haut- mittelst aafg:esetzter schwingender Stimmgrabeln
haben zuerst Trkitel (1897) und nach ihm Eüoer und Minor interessante,
jedoch bisher noch nicht zu befriedigendem Abschlul^ gelangte Untersuchungen
veröffentlicht. Tmkitkk hatte sich zuerst davon tiberzeugt, daß von gesunden
Individuen die Vibration der SUmm^rabcI an fast allen KOrperstellon, wenn
auch flicht flhorall in gleicher Oeutlichkt'it und Dauer, wahrgenommen werde;
er konnte fflr die Dauer der Wabrnehmune; eine ziemlich konstante Skala
auTstellen (un den Fingern '20 Sekunden, am Handrücken 14 — 16, am Unter-
arm Itl — 14, am Oberarm 7—9. am Thorax vorn 9 — 11, hinten 8 — 10, am
Oberschenkel 6 — 18 Sekunden usw.). Da diese Verhältnisse mit denen der
gew5hnlichen taktilen Sensibilität nicht uberoinstimmten, gelangte Tueitel cd
der Annahme einer spezifischen Empfindungsqualität der Haut för Vibrationei
und er Fant) in pathologischen Fällen^ bei Tabes und Polyneuritis, hochgradig«'
Störungen dieRes VibrationsgefQhls an Hautterritorion, die mit denen der tak-
tilen Hautanästbesio häufig dissoziiert waren. Abweichend von Treitel wollte
dagegen Egger (1899), der unter Ü^j^rixe in Paris seine Untersuchungen
anstellte, dies von ihm neu beschriebene GefQhl als von der Haut gänzlich
unabhängig, als Knocbengefühl (sensibilite osseuse, sensibilite du squelette)
und die Störungen dieses Gefühls als Knochenanästhesie aufgefaßt wissen, dia,
er bei Tabes und auch bei BRowN-SKgi'Aunscher Lähmung, bei dieser stets auf
der Seite der motorischen Lähmung, beobachtete. Den Ansichten von Eggbr
schlössen sich spätere Untorsucher (Dwoitschenko , Ryi>kl und Sf.yfpk,
Schtscherbak) im wesentlichon an, während MisnK auf Grund eines sehr
umfassenden Untersuchungsmatoriala ihnen nur teilweise beizustimmen ver-i
mag. Er konstatierte unter anderem, daß sogar tiefe Allektionen des Periostal
und der äußeren Knochenschichten noch nicht imstande sind, Verlust deal
VibrattonsgefQhls hervorzurufen. Es muß also dieses Gefühl entweder nicht
ausschließlich vom Periost empfunden werden — oder es muß von der
Vlbratinnsgefßbl. — Vibrationsinassage.
611
kranken Stelle bis zu den gesunden Teilen fortg^eteitet werden. Bei kom-
plizierter Fraktur mit entblößtem, der Untersuchung unmittelbar zu^Äng;-
lichem Knochen und selbst bei nekrotischen oder als Sequester sich prä-
sentierenden Knochenteilcn ließen sich die VMbrattonon der Stimmgabel noch
ganz auFgozoirhnet wahrnehmen. Solche Fälle beweiHen nach Minor, daß die
Knochen vor allem behr (rute Leiter der Vibration sind, gestatten aber
keineswegs, den Schluß auf eine spezifisch physiologische Beziehung der
Knochen, bzw. des Periosts zum Vibrations^efühl zu ziehen. Man kann
danach wohl von einer >transmis9ibilite osseuse«, nicht aber von einer
spezifischen »sensibilitö osseuse« im EoGKRschen Sinne reden. — Die neuro-
pathologische Verwertbarkeit des sogenannten Vibrationsgefühls muß unter
diesen Umständen einstweilen dahingestellt bleiben.
Literatur: Treitki.. Archiv f. Psych., XXIX, Heftig. — Eooer. .louraal de phys.,
1899, pog. 611; Heva« neumlogique. 1902. Nr. 12. — I)woit»chex«o. Mnüxinsko« obosrenye,
1900! — Utd«l und SKrrrB. Archiv f. Psych., 1903, Heft 2 (Neurol. Zentral bl., 1903»
Nr. 7). — MiMoa, Ncarolog. Zentralhl., 1904, Nr. 4. A. EuJeaburg,
VibrationAmassasre. Die »Vibration«, mit welchem Ausdrucke
die intermittiLTt'ncie ICrschütterung der Gewebe bezeichnet wird (vergl. Me-
chanotherapie, \V. pag. 11 der Real-Encyclopädie, '6. Aufl.), billet einen der
elementaren Handgriffe der Massage. Er übt eine dehnende und drQckende
Wirkung auf die welchen Qewebe desK5rpers aus, erregt gleich der Klopfung die
Muskulatur (HerzerschÜtterung) und beeinflußt neben Förderung derZirkulation
in den Kapillaren, Lymphgefäßen und Saftkanälen (G. Zandkk) periphere,
seiner Wirkung direkt zugängliche Nerven im Sinne eines Reizes. Ob die
auf Tierversuche gestützte Annahme von Istomow und Tarchanow einer Be-
einflussung der Vasokonstriktoren und Vasodilatatoren durch ach wache
bzw. starke mechanische Reize und die Ergebnisse der Untersuchungen
CoLOMBOs über den Einfluß von Erschütterungen auf Sekretionsnerven (Magen-
schleimhaut, Leber. Speicheldrüsen, Testikel etc.i therapeutisch verwertbar
sind, wollen wir derzeit nicht entscheiden. Sie scheint in Form der Er-
schütterung der Nierengegend die Dnrchtrelbnng von Nierensteinen durch
den Ureter zu begünstigen (G. Ki.emfkkkh). Nach den Erfahrungen einzelner
Autoren wirken technisch korrekt vorgenommene Vibrationen schmerzstillend
und beruhigend.
Die Vibration gehört zu jenen wenigen Massagehandgriffen, die, weil
sie palpatorische Massage nicht peremptorisch bedingen, gegebenen Falles
durch Apparate vorgenommen werden können. Keinesfalls aber soll die in-
strumentelle Vibration an Stelle der manuellen ^Erschütterung, deren Technik
I.e. pag. 11 u. f. nachgelesen werden kann, ausgeführt werden, ohne daß
derselben eine eingehende palpatorische Untersuchung vorausgeschickt
worden ist.
Die Verwendung von Vibrationsapparaten an Stelle der manuellen
Vibration (und zum Teil auch der manuellen >Klopfung<, Tapotement) hat,
gefördert durch die Industrie, eine wissenschaftlich durchaus nicht einwand-
freie »Vlbrationstherapie« geschaffen, deren allgemeine Zugänglichkeit, die
lediglich den Besitz eines »Apparates« voraussetzt, dazu verführt.» die »Vi-
brationstherapie« an Stelle der manuellen Massage in Anwendung zu
bringen — nicht zum Nützen der Methode und ihrer therapeutischen Leistung.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Vibration sich — die angeführten
Kautelen vorausgesetzt — durch gute Apparate maschinell ausführen läßt,
daß es aber nur ein Massagehandgriff ist. der hierdurch ausgeführt wird.
Wenn wir von den die Erschütterung einzelner Körperteile sowie den
ganzen Körper selbst vermittelnden Apparaten, welche den heilgymnastischen
Systemen von G. Zanuer und M. Hekz angehören, sowie von den von
Charcot angegebenen »Zitterhelm« und > Zitterstuhl« (Casque und Fauteuil
612
VIhrationsmassage.
vibratoire) absehen, so sind als die ersten »Vibrationsapparate« die von
LiBDBRCK in Stockholm und Ewer in Berlin ao^efrebenen zu erklaren.
Der ursprünglich mit Handbetrieb, später mit Futibetrieb versehene,
jetzt mittelst Motors in Bewegung gresotzte und erhaltene LiK-OBKCKsche
Vibrator besteht aus einer mittelst des Treibmechanismus in Rotation zu
versetzenden biegnamen Achse und einem HandstQck, in welchem ein Ex-
zenter durch die Rotation in Zitterbewegung- versetzt wird. Dieser Exzenter
nimmt die verschieden gestalteten Pelotten auf, durch welche die >Vibraiion«
auf den Körper des Patienten übertragen wird.
Der EwKRsche Concussor wird durch Treten mit dem Fuße in Be-
wegung gesetzt. Eine in Rotation versetzte biegsame Welle trägt Ansilize
aus runden oder geschweiften Ebenholzplatten. Auf diesen Platten ist eine
kleine Stahtplatte befestigt, die in ihrer Mitte eine Vertiefung besitzt, in
welcher sich der etwas exzentrisch sitzende kugelförmige Knopf des An-
satzes bewegt, so daU er bei Rotation der Achse die mit ihm verbundene
Platte in Schwingungen versetzt, deren Intensität von der Zahl der Umdre-
hungen der Achse in der Zeiteinheit, also von der Schnelligkeit des Tretens,
abhängt (Ewkr).
Die Fortschritte auf dem Gebiete der elektrischen Kleinmotoren und der
instrumenteilen Technik haben zu wesentlichen technischen Verbesserungen
der Vibratoren geführt Einer der empfindlichsten Nachteile des EwERschen
Concussors und anderer Apparate bestand darin, daß die rotierende Be-
wegung der Achse in dem Augenblick abgeschwächt wurde, in welchem die
Pelotte auf don Korper des Kranken aufgesetzt wurde. Man suchte diesem
UbelstanUe durch Trennung der die Vibration erzielenden Vorrichtung (Ex-
zenter) von den die AufpatzflÄchen bildenden Platten in der Weise vorzu-
beugen, daü kleine Elektromotoren em einseitig belastetes Schwungrad
bewegten und durch einen Mantel verschlossen waren, der von der rotierenden
Achse isoliert war, so daß er nur die durch die Bewegungen erzielten St^üe
des seitlich belasteten Rades aufnahm; diese wurden dann von dem Mantel
auf die Aufsatzflücho übertragen. Später nahm man größere Motoren, welche es
ermöglichten, daß die biegsame Welle allein das einseitig belastete« gegebenen
Falles schwerere Schwungrad bewegte.
Ein weiterer Übelstand — das sofort mit voller Kraft erfolgende Ein-
setzen der festen rotierenden und einseitig belasteten Körper beim Anlaufen
des Motors und die hierdurch bedingte Schädigung der biegsamen Welle and
der verschiedenen Befestigungsvorrichtungen — wurde von W. A. Hmsrn-
MANx dadurch beseitigt, daß bei seinen Apparaten der rotierende Körper
durch einen nur wenig exzentrisch angeordneten Hohlraum gebildet ist, in
welchem sich ein bestimmtes Quantum Quecksilber wohlvcrschlosson befindet.
In der Ruhetag€> des Apparates befindet sich das Quecksilber am Boden
des Hohlraumes fast konzentrisch zur Achse; erst durch Inbetriebsetzen des
Motors bewegt sich dasselbe seitlich an den äußersten Punkt der Peripherie
des Hohlraumes und bringt dann mit voller Kraft die erforderliche Vibration
zustande. Der gleiche Vorgang wiederholt sich umgekehrt beim Unterbrechen
der Bewegung, indem das Quecksilber wieder langsam zur Alitte zurück-
fließt. Der den rotierenden Körper umgebende Mantel trägt an seiner oberen
Fläche eine Vorrichtung zur Befestigung der verschiedenen Ansätze, die in
jedem beliebigen Winkel zur Achse angebracht worden können (Fig. 31). Bei
rechtwinkeliger Einstellung der Ansätze erfolgen stoßende, bei Einstellung
in der Längsachse rotierende Bewegungen (A. Eijlexburg).
Fast alle jetzt gebrauchten »Vibratoren« bestehen aus dem mit Rhei
Btat versehenen, auf fahrbarem und in der Höhe verstellbarem Stativ mon-
tierten Motor für Straßen-Gleich- oder Wechselstrom von 110 — 120 Volt
oder für Akkumulatorspeisung (A).hekt), der biegsamen Welle und
Vibrutlonsmassage.
613
HandstOck. Die Welle wird aas einer mehrfachen, dicht zasaiumecgedrehten
Stahlspirale gebildet, die bei der Umdrehung g:enaa zentrisch laufen maß.
Das HandatQck, welches mittelst einer Arretiervorrichtuni; mit der Welle
in Verbindung ist, bring:! die Vibrationen dadurch zustande, daß ihr ex-
Fiff. 51.
zentrisch abirebogenes, kogelförmiges Ende, welches im Lager des Massier-
körpers läuft, bei der Rotation eine Stoßwirkung: auf diesen ausübt. Bei den
Fi«, ni.
Fig. SB.
PiK- 84.
neuesten »Zentrirugalvibratoren« kann das Im Innern des Handstäckes be-
findliche exzentrische Gewicht durch eine außen am Orlfl befindliche Mutter
FiK-3ö.
FiK. Sfl
mehr weniger gehoben und gesenkt werden, wodurch die Intensität der
Erschütterung eine Änderung erfährt Von den aberaus zahlreichen Formen
der Massierkdrper (Ansätze) seien nur einige Typen reproduziert (Fig. 32 — 36).
Die Bemühungen der Technik, außer der »Vibration« noch andere
Handgriffe der Massage, so die Klopfung und Reibung, zu imitieren, sind
614
VibratlonsmaKsage.
nicht erfolglos geblieben. So besitzen wir in dem von der Firma Reiniger.
Gebbert & Schall nach J. C. Johassen (Kopenhagen) konstruierten ^UmVer-
FiB. 87.
Fig. üä.
7 9
sal-Vibrator- einen Apparat, der sehr kräftig arbeitet und die genannten
Eocheiresen tatsächlich befriedigend erzeugt. Der runde Schenkel des
Apparates (Fig. ^7) enthält die mit der biegsamen
Welle zu kuppelnde, in Kugellagern laufende Achse,
welche oben eine Stahlplatte mit mehreren in ver-
schiedenem Abstand vom Mittelpunkt der Platte ge-
bohrten Löchern trägt. Jo nach dem gewünschten
Massagehub (Radius 3 — 11 niiii) wird der im Bild sicht-
bare Kurbelzapfen in eines dieser Löcher nach Aas-
einanderklappen der aus zwei Teilen bestehenden
flachen Hülse gesteckt und hierauf ein Verschlußring,
welcher die Hülse zusammenhält, nach vorn geschoben,
bis er in einen Federhaken einschnappt. Mit dem auf
der Verlängerung des Kurbelzapfens sitzenden Ansatz
wird die Friktionsmassage, mit dem auf dem links
sichtbaren festen Ansatz an der flachen Hülse be-
festigten Massierkörper Vibrationsmassage und mit
dem aus dem Knde der Hülse hervorragenden, an
einem von der Kurbelstange angegriffenen Hebel
sitzenden Hammer Klopfung ausgeführt.
FGr die Schleimhaut-Vibration bedient man
sich leichter elastischer Sonden, die, in das HandstOck
eingesetzt, um ihre Längsachse rotieren ^ so daß der
Sondenknopf kreisförmige Exkursionen vornimmt. Der
in Fig. 38 reproduzierte Apparat enthält in seinem
zylindrischen Teil einen Mechanismus, welcher, in das
HandstOck eingesetzt, die rotierende in eine stoßende
Bewegung verwandelt.
Als eine Art »verschämter« maschineller Vibration,
welche die Vorzüge der direkten Berührung und Fal-
pationsmoglichkeit der ärztlichen Hand mit der Kraftschonung des Arztes ver-
einigt Ist die Benutzung der »Handvibratoren« zu betrachten; dieselben flber<
'tKW
Vibrationsmafisage.
615
tras^en die SchwinguDgen eines Apparates auf die Hand des Arztes; sie werden
an dessen Hand oder V^orderarm befestigt und besitzen entweder einen kleinen,
auf das Handstück, selbst montierten Motor oder stehen mittelst einer biegsamen
Vi« an.
Welle mit einem auch zu rein maschineller Vibration dienenden Apparate in Ver
bindunt;. In die erstgenannte Kategorie gehört der von Natvig (Cbristiania) an-
Fi». 40.
gegebene Handvibrator (Fig. 39). Derselbe besteht aus einer metallenen Kapsel,
die durch ein elastisches band am Dorsum manus befestigt wird. Durch An-
schluß an eine Lichtleitun": oder eine Akkumulatorenbatterie wird in der
616
Vibratlousmassage. — Viszcralptosis.
Kapsel ein Doppelfaamroer in Bewefcang: (gesetzt, welcher der Hand eine
schnelle Zitterbewegong mitteilt.
Die zweite Gruppe repräsentiert der an den Vorderarm des Arztes
anachnallbare »Zentrifug^alvibrator« nach Kosell (Fig. 40).
Die Technik der Anwendung der VibrationsmasBage mittelst Vibratoren
ist eine sehr einfache. Der Arzt hält das Handstück fest in der Rechten, die
Linke zur Einschaltung des Stromes und zur Bedienung des Rheostaten
benutzend . und drückt das entsprechend gewählte Ansatzstück möglichst
senkrecht auf die (eventuell leicht bekleidete) Körperoberfläche des Kranken.
Das Ansatzstück wird — je nach der vorliegrenden Indikation — entweder
ruhig gehalten oder auf dem Kr>rper des Patienten (dem Verlaufe eines
Nerven, des Dickdarmes etc. entsprechend) bewegt, wobei Knochenvor-
Bprünge zu vermeiden sind, da ihre BerOlirung mit dem erschütternden An-
sätze scfamerzhaft ist. Es empfiehlt sich, zunächst mit einer geringen
Tourenzahl des Motors zu beginnen , durch Verschiebung des Rheostaten
die Tourenzahl allmählich zu erhöhen, gleichzeitig auch den Druck mit dem
Handstücke zu steigern und vor Schluß der 3 — i*) Minuten währenden
Sitzung in derselben Weise abzuschwellen. Einige Vorsicht erheischt die
rasche Bewegung der rotierenden Welle, welche, wenn nicht durch einen
nichtrotierenden Überzug geschützt, Wäschestöcke, Bänder, ja selbst Haare
des Patienten aufrollt und abreißt. Um die Vibration gleichmäßig und un-
gestört zu erhalten , ist endlich die Einhaltung einer bestimmten Distanz
zwischen Motor und Handstück notig, da allzu großer Schlaffheit der Welle
ein Einrollen derselben folgen kann.
Literatur: A. Evi.KHueiKo, Ein stationäreB iDstramentannm xar VibrxtioDsmassig«.
Deatticht: med. WochcDHclir., 19(XJ, Nr. 10. — Lanob, über die VibrationsmasMige, BpcKiell
bei Frauenkranklieiten. B«rlin ISyy. — Acbbrt, über die inetruwenti-Uu Vibratiunainftssafcä
Toit Elektromotorenbetrieb. Zeitschr. f. diät. u. physikal. Therap., iyUO/l)l , U. 5. — A. Bm,
Handbuch der Maüsaj^e and H<*ilgymnastik. Berlin und Wien 1^02. — 0. Klchfebsb, Vibrs-
tionstnasfMge zur Dnrchtreibunf^ von Nierenttteinen. Die Therapie der Gegenwart , 19<!>ä,
Heft 10. — R. Natvio , Ein nandvibrator. Monatsichr. f. orthnp. Chir. n. physikal. Heilmetli.,
1903, pag. 161. — R. Ledebmasn, Über die Verwendung der Vibratlonsmaasage snr An»-
flihmng von Schmicrknreu. Dent^iche med. Wochenechr,^ UK)4, Nr. 42. — L. Ewu, Mustge,
Gymnastik etc. in O. HABscRe, Die physikal i scheu Eeümcthoden. Leipzig und Wien 190Ö.
A. Biuu.
Vierte Kranklielty s. Filatow-Dukessche Krankheit, pag. 2'22.
Viferral. V^iferral stellt eine polymere Modifikation des Cbloral-
hydrates dar, wodurch die ätzenden Eigenschaften des letzteren in Wegfall
kommen. Zu 10 — '2'0 g gegeben, Qbt es dieselbe sichere Schlafwirkunfs: aas
wie das Chloralhydrat.
Literatur; K. Wi-rrnAtivR und ,1. GXrtnku, Die hypnotischen EigenBchalten ein
Denen Polyehlorals (Vilerral). E. Frey.
Tiszeralptosis. Seit der französische Kliniker Ql^nard anfaos:8
der achtzij^er Jahre die Aufmerksamkeit der Arzte auf dieses Krankheits-
bild gelenkt hat, ist die Bedeutung desselben immer mehr erkannt worden.
Rs ist eine ganz unübersehbare Literatur darüber entstanden, welche aber
anscheinend auch bis zur Stunde das Thema noch nicht vollkommen er-
schöpft hat. Was darüber bekannt ist^ soll in kurzem Abriß hier mitgeteilt
werden (unter gleichzeitiger Verwertung der eigenen Erfahrungen und An-
schauungen des Referenten).
Die Viszeralptosis ist ein außerordentlich weit verbreitetes Leiden bei
Stadt- und Landbevölkerung in allen Ländern der Erde. Sie erscheint fast
als eine soziale Krankheit, insofern sie nämlich hauptsächlich bei Leuten
getroffen wird, welche infolge schlechter Ernährungsverhültnisse oder aon-
Viszeralptosls.
617
Bti^r auf ihr Privatleben ungQnstig einwirkender Faktoren sehr herunter-
g-ekomiiien sind. Wenn die Viszeralptosin vielfach als ein erworbenes Leiden
betrachtet wird, weil es meistens erst im 8. — 4. Lebensjahrzehnt sich gel-
tend macht, so ist dagegen einzuwenden, daü die Anlage dazu augenschein-
lich meist angeboren bzw. ererbt ist. Die latente Disposition wird oft
jahrzehntelang getragen. In der Mehrzahl der F&lle wird aus dem patho-
logischen Znstand erst durch Gelegenheitsursachen eine wirkliche Krankheit.
Stiller in Budapest, der sich in den letzten Jahrzehnten das gri)l5tB Ver-
dienst um die Kenntnis der Ursachen und des Wesens dieser Krankheit
erworben hat, hat sie mit voltem Hecht als eine Konstitutionsanomalie be-
zeichnet, deren letzten Grund er in einer »Aathenia congenita universalis«
sieht. In der Tat stellen diese Kranken einen ganz besonderen Typus der
nienscblichen Gestalt dar, welche für den Krfahrenen auf den ersten Blick
kenntlich ist: es sind immer hagere Personen mit langgestrecktem grazilen
Knochenbau, bei denen sich der Körper mehr in die Länge als in die Breite
entwickelt hat. Der Typus ähnelt sehr dem bekannten Habitus phtbisicus,
der wahrscheinlicfi auch einen Cbergang dazu bildet. Viele Kranke mit
Viszeralptuse bergen den Keim zur Tuberkulose in sich oder erkranken
später daran. Bei anderen freilich läßt sich niemals, auch bei iahrolangein
unveränderten Furtbestehen des Krankheitstypus der geringste Anhalts-
punkt für Tuberkulose entdecken. Das Genieinsame beider Krankheitstypen
ist augenscheinlich die mangelhafte Entwicklung des Gesamtorganismus.
Bei der Tuberkulose stellen der Brustkorb und die Lungen den hauptsäch-
lichsten Locus minoris resistentiae dar, bei der Viszeralptose erstreckt sich
dagegen die schwächliche Entwicklung ohne besondere Bevorzugung eines
Orgnna in last gleicher Weise auf den gesamten Körper. St[li-Eh hat den
Körperbau dieser Menschen ala »Habitus onteroptoticus« bezeichnet mit
Rücksicht darauf, daß sich die Krankheitserscheinungen hauptsächlich am
Darm geltend machen. Als besonders glücklich und chnrakterlstiscb kann
aber diese Bezeichnung nicht gelten. Zutreffender erscheint dem Referenten
der Ausdruck »Degenerationstypus« , weil diese Körperform ohne Zweifel
die Folge einer Entwicklungsentartung auf angeborner Grundlage ist. Denn
der charakteristische Körpertypus läßt sich vielfach schon im frQhesten
Rindesalter nachweisen, oft genug auch bereits in Begleitung von Krank-
heitserscheinungen, die darauf zuritck7.ufithren sind. Aus der angebornen
Minderwertigkeit der körperlichen Entwicklung wird oft ein Krank-
heitszuätand, wenn solche Individuen den Anforderungen des Lebens, die an
sie herantreten, sich nicht gewachsen erweisen: die Anstrengungen der Be-
rufstätigkeit, die Aufregungen des Er^verbslebens. die unzureichende Ernäh-
rung, die unhygienische Lebensn^eise und dergleichen Faktoren mehr werfea
den labilen Gleichgewichtszustand um, in welchem sich solche Körper
jähre- und jahrzehntelang halten.
Solche Personen bieten dem erfahrenen Beobachter eine Reihe außer-
ordentlich charakteristischer »Stigmata« dar: der dünne Knochenbau, der
lange Hals, der flache Thorax mit geringer Tiefen- und Breitenentwicklung,
die Costa deciuia Iluctuana (Stillkr), das flache Abdomen mit den schlaffen,
weichen, leicht eindrückbaren Bauchdecken und der geringen Spannung des
Bauchlnhalie. Die Senkung der Bauchorgane ist durch die fettarme Haut
oft leicht sichtbar, besonders durch den stärker hervortretenden Unterleib,
während der oberhalb des Nabels gelegene Teil des Abdomens eher etwas
eingezogen erscheint. Dazu gesellt sich als ein pathognomonisches Kenn-
zeichen im Abdomen olt noch die sieht- und föhlbare Pulsation der Bauch-
aorta. Bei genauerer Untersuchung der Bauchhöhle läßt sich ein Tiefstand
des Magens, des Darms, besonders des Querteils des Dickdarms, ein Tief-
stand der Nieren, der Leber und der Milz feststellen. Ohne auf die Metho-
618
Viszeral ptosiä.
den zum Nachweis dieser Lageverändoran^en der Unterleibsorg^ne hier
näher einzugehen, sei nur erwähnt, daß sich die erwähnten Senkungen nicht
immer sämtlich vereint finden, sondern bald Magen-, bald Darm-, bald
Nierensenkungen hauptsächlich in die Erscheinung treten. Leber und Milz
werden seltener betroffen. Auch die Intensität der Entwicklang des Tief-
standes der Organe ist eine sehr verschiedene. Die Lageveränderung des
Magens ffihrt dazu . daß er aus seiner gewöhnlichen horizontalen in eine
mehr vertikale Stellung übergeht, wobei sich beide Kurvaturen um 2 — 5
Fingerbreite nach unten verschieben. Die Konturen des Magens sind bei
hochgradiger Entwicklung einer solchen Qastroptose oft durch die Haut
hindurch deutlich zu erkennen und ebenso auch die Bewegungen des Magens
bei tiefer Ein- und Ausatmung. Bei tiefer Senkung des Magens erscheint
die kleine Kurvatur in Nabelhöhe. Verwechslungen der Qastroptose mit der
Oastrektasie kommen in der Praxis häufig vor zum Schaden für die The-
rapie. Auch die Enteroptose ist zuweilen schon dem Auge erkennbar, be-
sonders im Querkolon, welches in Nabelhöhe von einer HQfte zur anderen
herüberzieht. Das gesenkte Konvolut. der Darmschlingen macht sich zuweilen
durch eine gesteigerte Peristaltik erkennbar, wobei die Kontraktionen der
Darmschlingen den Bewegungen eines Regenwurmes gleichen. Öfters sind
die Darmschtingen auch als fingerdicke Stränge palpabel. wenn sich näm-
lich an Stelle der gewöhnlich vorhandenen atonischen Obstipation Spasmen
in der Darmmuskulatur entwickelt haben.
Dem Laienpublikum ist aus dem Krankbeitsbilde der Viszeralptose
die Nephroptose am meisten bekannt geworden unter der Bezeichnung der
»Wanderniere«, die aber als eine äußerst verfehlte zu erachten ist. Denn
der Lagewechsel , welcher eine Folge der eingetretenen abnormen Beweg-
lichkeit der Niere ist, führt niemals zu ausgedehntem Ortswechsel, sondern
nur zu Verschiebungen in der Lage um etwa Handbreite und zuweilen auch
etwas drüber nach unten und häufig auch nach der Mittellinie zu. Sehr oft
gelingt es, die Niere in dem totalen Umfang zwischen die Hände zu nehmen,
hin und her zu schieben und auch an ihren ursprünglichen Ort zu repo-
nieren, meist freilich nur für die Dauer des zurückhaltenden Händedruckes.
Die bimanuelte Untersuchung erweist sich weitaus am geeignetaten für den
Nachweis einer Ren mobilia. Weshalb die rechte Niere so unendlich viel
häufiger aus ihrer Lage sich verschiebt als die linke, ist viel erörtert, aber
nicht vollständig aufgeklärt worden. Wahrscheinlich ist doch die raum-
beengende Nähe der schworen Leber die hauptsächlichste Ursache fflr die
leichtere V^erdrängung der rechten Niere aus ihrer Lage. Daß die Nieren
überhaupt so auüerordentlich leicht von ihrer Unterlage abgleiten, ist durch
den von Wolckow und Delitzin erbrachten anatomischen Nachweis der
prävertebralen Nischen verständlich geworden.
Gerade an dem Beispiel der Nephroptose laßt sich am besten beweisen^
daß für das Zustandekommen einer aolchen Senkung in der Bauchhöhle die
Disposition einer besonderen Kßrperkonstitution vorhanden sein
maß, für die Bfk/hkr und Lbnnhofk als charakteristisch einen »Index« an-
gegeben haben, welcher das Verhältnis der vorderen Rurapflänge zum Brust-
umfang ausdrückt. Bei gut ernährten, voll entwickelten Individuen findet
sich dieser Index oder ein noch ungünstigeres Zahlenverhältnis niemals und
dementsprechend auch keine Nephroptose. Dieser Index erschöpft übrigens
noch nicht einmal die Charaktere der körperlichen Entwicklungsstörung sol-
cher Individuen.
Auf die Komplikationen, welche die Nierensenkungen gelegentlich durch
Kompression, Abknickung oder Torsion des Ureters zur Folge haben, kann
hier nicht näher eingegangen werden. Es ist bekannt, daß es eine inter-
mittiereude, seltener eine permanente Form der Hydronephrose infol^ Ton
Viszeral Ptosis.
619
I
Nephroptose g^ibt. Der Eintritt einer solchen Komplikation erklärt das nicht
seltene Vorkommen aufrällig:er Vergrößerungfen einer ptotischen Niere. Die
veränderte Lafce der Niere führt nicht selten zu diag^nostischen Verwechs-
Innren mit entzündlichen Schwellunf^en und Tumoren der Gallenblase, der
Leber (Schnürlappen der Leber) und anderen Geschwülsten der Bauchhohle.
Diese Differentialdlajifnose kann hier nicht erörtert werden. Zumeist ist die
Niere durch ihre Form, ibre leichte Äbgrenzbarkeit, ihre Konsistenz und
ihre Oberfläche unschwer zu erkennen.
Die Lebersenkun^en erreichen zuweilen einen so hohen Grad , daß
Schwellungen und Geschwülste der Leber vorgetäuscht werden. Abgesehen
von der Differenz der Konsistenz und der Oberfläcbenbeschaffenhelt bietet
die Feststellung der Leberlungengrenze ein wertvolles Kennzeichen zur
Unterscheidung. Auch die Milzsenkung kann zu Verwechslungen mit
Schwellongen und Tumoren des Organs Veranlassung geben.
Dem gekennzeichneten objektiven Krankhoitsbilde entspricht nun
keineswegs ein charakteristischer subjektiver Symptomonkomplex, vielmehr
sind die Krankheitserscheinungen auUerordentUch mannigfach, inkonstant
und auch in der Intensität sehr schwankend. Es sind in der Mehrzahl der
Fälle rein nervöse Symptome, welche die Kranken darbieten: allgemeine
Körperschwäche, Mattigkeit, Hinfälligkeit, schnelle Ermüdbarkeit, Schwäche-
geffihl im Leibe , zuweilen Druckgefühl oder das Gefühl der V^ölie , der
Schwere, seltener die Empfindung der gesenkten Organe selbst oder gar
der Beweglichkeit derselben, häufig Appetitlosigkeit, Cbelkeit, Aufstolien,
Stublverstopfung, Kopfschmerzen, allgemeines Unbehagen. Das subjektive
Befinden der Kranken wechselt von Tag zu Tag, zuweilen bleiben die
Beschwerden auch tage- und wochenlang aus, durch körperliche Über-
anstrengungen oder geistige Aufregungen, Kummer, Sorgen oder dergl.
verstärken sie sich für kürzere oder längere Zeit. Ein großer Teil der
Kranken wird vorübergehend arbeitsunfähig, andere suchen während des
Sommers durch eine mehrwöchentliche Ruhepause und Erholung die Er-
schlaffung auszugleichen, zuweilen mit Erfolg. Meist stellt sich die Ver-
schlechterung des Befindens aber nach kürzerer oder längerer Zeit immer
wieder ein.
Krankheitserscheinungen, welche auf eine der Ortlichen Erkrankungen,
mit denen die Viszeralptose etnhergeht, zu beziehen sind, treten selten auf.
Die Magensenkung macht meist erst dann lokale Beschwerden, wenn sich,
was allerdings häulig der Fall ist, dazu noch eine Atonie des Magens in-
folge von Erschlaffung und Dehnung der Magenwandmuskulatur gesellt. Das
sind die Fälle, in denen man meist auch das PlätschergefÜhl im Magen
auslösen kann, das eine Reihe der Kranken auch selbst erzeugt und emp-
findet. Ebenso selten ist es, daß die Nephroptose an sich Krankheitser-
scheinungen hervorruft. GKUHAnDT hat mit Recht vor einer Reihe von
Jahren einmal betont, daß die sog. Wanderniere meist dann erst Erschei-
nuDgen macht, wenn die Kranken von ihrer Existenz erfahren! Oft verfolgt
das Schreckgespenst dieses Namens die nervösen Patienten jahrelang. Es
soll nicht geleugnet werden, daß eine hochgradige Beweglichkeit der Niere
zuweilen lästig empfunden werden mag, aber die angebliche Zerrungswir-
kung auf die Nachbarorgane ist ein Fhantasiegebilde. Die bezüglichen Be-
schwerden der Kranken sind vielmehr als nervöse zu betrachten, im besten
Falle als eine Folge der Reizung der sympathischen Verzweigungen in der
Bauchhöhle. Nur beim Eintritt der oben erwähnten Komplikationen der
Nephroptose wird sie der Ausgangspunkt bestimmter lokaler Krankheits-
erscheinungen.
Auch die Enteroptose und Coluptose speziell machen sich nur durch
den Folgezustand der Obstipation für den Kranken bemerkbar.
■
620
Vfszeralptosis,
Die Viszeralptose erzeugt ein häufig schweres Krankheitsbild nicht
durch sich aliein, sondern weil sie sehr regelmäßig noch mit einigen anderen
Krankheitszuständen verbunden ist: das ist die Trias der Unterernäh-
rung, Anämie und Neurasthenie, welche sich oft miteinander vergesell-
schaftet finden. Ursache und Wirkung gehen hier meist beständig untrenn-
bar ineinander über. Das ist auch In bezog au! das ätiologische und chro-
nologischo Verhältnis der Viszeralptosis zu den eben genannten drei
Krankheitszuständen zu sagen ! Das Wesen der Viszeralptose ist eine Er-
schlaffung und Dehnung aller Qewebsfasern, dtr Nerven, der Muskeln und
des Bindegewebes, und zwar nicht nur der Aufliängebänder der Unterleibs-
organe, wie man gewöhnlich in den Lehrbüchern liest, sondern auch der
Organgewebe selbst. Diese Alonie der Gewebe der Unterleibsorgane ist stets
nur eine Teilerscheinung der allgemeinen Erschlaffung des Gewebs-
tonus bei solchen Individuen, die sich an den V^iszeralorganen nur den
Sinnen des untersuchenden Arztes am deutlichsten erkennbar macht. Mit dieser
Kennzeichnung des Wesens der Viszeralptose ist aber Ober die ursächliche
Entwicklung des Leidens nichts gesagt. Referent selbst neigt der Ansicht
zu, daß eine allgemeine nervöse Depression als das Primäre zu betrachten
ist, d. h. eine mangelhafte motorische und sensible Funktion des gesamten
Nervensystems ruft den Zustand reizbarer Schwäche hervor, welcher seine
Wirkung auf die Organe in Form einer Erschlaffung seiner Gewebe ansQb
Mangelhafte Innervation in der Richtung der Bewegungs- wie tnsbe*
sondere der Kmpfindungsfnhigkeit — das ist das ursprüngliche Kennzeichen
dieses Krankheltszustandes. Diete Depression des Nervensystems kann an-
geboren sein und erst im Laufe von Jahrzehnten manifest werden. Dann
sieht die allgemeine Funktionsätarung allmählich auch lokale und anatomi-
sche Veränderungen nach 6ich.
Bei der eben gegebenen Darstellung der Ursache und des Wesens der
Viszeralptose leuchtet es ohne weiteres ein^ daß die Therapie derselben
nur in einer Allgemeinbehandlung zu suchen ist. Das Ziel der Behandlung
muß die Beseitigung der allgemeinen Erschlaffung des Gewebstonus sein,
mit anderen Worten die Hebung des Kräfte- und Ernährungszustandes des
Patienten. Das ist nicht mit Medikamenten zu erreichen, sondern nur mit-
telst einer physikalisch- diätetischen Therapie, welche unter L^mständen
allerdings sehr störend in die sozialen Verhältnisse des Patienten eingreift. Bei der
ärmeren und auf anstrengende tägliche Berufsarbeit angewiesenen Bevölke-
rung stellt die Heilung der Viszeralptosis eine geradezu unerfüllbare Auf-
gabe dar. Bei Kranken, welche nicht in der Lage sind, sich ausruhen und
schonen und eine bessere Ernährung sich verschaffen zu können, sind meist
die ärztlichen Bemühungen von vorübergehender und geringer Wirkung.
Die Besserungen, welche erzielt werden, gehen meist schnell wieder ver-
lustig, sobald die Kranken in ihre Häuslichkeit mit ihren nach jeder Rich-
tung hin beschrankten Verhältnissen bzw. in das Körper oder Geist über-
mäßig in Anspruch nehmende Erwerbsleben zurückkehren. Die Grundsätze
der Therapie der Viszeralptose sind folgende: wenn irgend angängig, ist
der Kranke aus seiner Berufstätigkeit herauszunehmen, von körperlich an-
strengender Arbeit zu befreien, eventuell auch in ein anderes Milieu als das
häusliche zu versetzen. Die Veränderung der äußeren Lebensverhältnisse i
oft die Grundbedingung für einen Erfolg der Behandlung. Wo die wi
schaftlichen oder familiären V^erhältnisse des Kranken das nicht zulasse
trifft nicht die ärztliche Kunst der Vorwurf des Mißerfolges, da sich ihre
Aufgabe leider nur selten mit einer sozialen Hygiene deckt. Körperliche und
geistige Ruhe dem Kranken zu verschaffen, damit muß die Behandlung
einsetzen. Dazu kann ein mehrwöchentlicher Aufenthaltswecbsel benutzt
werden, der entweder in einem geeignet gelegenen Luftkurort oder in einem
n
Viszeralptosis.
621
Sanatoriani und dergl. zu nehmen ist. Bei Aruien hilft oft schon die Unter-
bringung in einem Krankenbause, weil damit auch die Ausspannunjcf und
Hube verbunden ist. In Fällen bochgradi^erer Erschöpfung ist unbedingte
Bettruhe wochenlang erforderlich, in anderen Fällen genügt regelmäßiger
längerer Aufenthalt im Freien, wobei man auf das Liegen größeres Gewicht
legen soll als auf das Gehen. Mit der Liegekur verbindet man zweckmäßig
eine Mastkur, weiche aber nicht schematisch nach den ursprünglichen Vor-
schriften von Wkir-Mitchkij. und Playkaik und deren Modifikation durch
Bi\swAN*nKR auszufahren ist. sondern ganz individuoll je nach den Bedürf-
nissen und Gewohnheiten des einzelnen Kranken abgeändert werden kann.
Meist empfiehlt es sich, bei möglichster EinschrÖrnkung der Fleiscbnahrung
die allmähliche Vermehrung der Kalorienzufuhr (bis auf 3000 — 4000 Kai.
pro die je nach dem Einzeltall!) durch Steigerung der Milchration bis
auf 2/ durch Verabreichung von konzentrierten nahrhaften Suppen und
durch reichliche breiförmige, mit Zusatz von Butter, Sahne, Mehl und dergl,
hergestellte Gemüse- und Obstnahrung anzustreben. Auf nähere Einzel-
heiten der Technik der Mastkur kann hier nicht eingegangen werden.
Meist gelingt es in etwa 4 Wochen Körpergewichtszunahmen von 10 bis
15 Pfund zu erzielen, der eine erhebliche Besserung des Allgomeinbefindens
zu entsprechen pflegt Die nervösen Symptome treten immer mehr zurück
bis zum vollständigen Verschwinden. Je länger eine solche Liege- und
Mastkur ausgedehnt werden kann, ein desto besserer Erfolg Ist für den
Patienten zu erwarten. Zuweilen empfiehlt es sich, sie jährlich einmal zu
wiederholen. An die Liege- und Mastkur ist Immer noch eine mehrwöchent-
liehe Schonung der Körper- und Geisteskräfte anzuschließen, wie überhaupt
dem Kranken eine größere Berücksichtigung seiner individuellen Schwäche
dringend ans Herz zu logen ist.
Mit der Allgemeinbehandlung, wie sie bisher geschildert worden iat^
ist meist mit Vorteil auch noch die Anwendung der Massage zu verbinden,
die sowohl sich auf die allgemeine Körpermuskulatur erstrecken als auch
auf die Unterleibsorgane ausgedehnt werden kann. Letztere ist in sach-
gemäßer Weise stets nur durch einen Arzt auszuführen , besser mit der
Hand als durch einen Vibralionsapparat. Sie ist am wirksamsten bei leerem
Magen und Darm und deshalb am zweckmäßigsten früh morgens im Bett
vorzunehmen. Die spezielle Technik dieser Mnssage kann hier nicht erörtert
werden.
Auch von der Hydrotherapie kann zweckmäßig Gebrauch gemacht
werden, und zwar von den verschiedensten Formen derselben. Als Beispiele
geeigneter Applikationen seien genannt : die lauwarmen Bäder mit kalten
Übergießungen des Humpfes, kalte Abwaschungen und Abreibungen des
ganzen Körpers, wobei auf die Wärmereaktion das größte Gewicht zu legen
ist, Humpfduschen mit nachfolgender Frottierung und für die Kräftigung
der Muskulatur der Unterleibsorgane inabesondere die Anwendung der
schottischen Dasche. Auch kohlensaare Bäder und Fichtennadelbäder be-
währen sich.
Die Regelung des Stuhlganges ist, soweit die oben erwähnte Diät
nicht ausreicht, durch Öl, Seifwasserklystiere und dgl. zu erstreben.
Ein nicht zu unterschätzendes Moment in der Behandlung solcher
Kranken ist stets die psychische Beeinflussung derselben. Die Auf-
richtung des meist deprimierten Kranken, der mutige Zuspruch des Arztes;
die Aussicht auf Besserung und Heilung sind oft der halbe Weg zur Hei-
lung dieser Kranken.
Dagegen Ist eine chirurgische Behandlung, die in neaerer Zeit
vielfach, besonders in Frankreich, versucht worden ist, nicht nur unnötig,
sondern meist auch ganz zwecklos. Die Auf- und Annähung der gesenkten
622 Viszeralptosis.
Organe heilt — h&afig Bog&r nur vorfibei^eheod ! — die anatomisch»
Dislokation der einzelnen Organe, aber nicht die nervöse Disposition
and die allgemeine Gewebserschlaffung. Hoffenth'eh gehören Gastro- und
Nephropexie als irrationelle , unphysiologische Operationen recht bald der
Geschichte an.
Literatur: Bbchbb and LiMvuoFr, Deatsche med. Wochenschr., 1898, Nr. 32; XVII.
nnd XYIII. Kongr. f. innere Med., Wiesbaden 1899 n. 1900. — C. A. Ewald, Berliner klio.
Wochensohr., 1900. — GLiNABD, Gas. hebdomad. de m^d. et cMr., 1899. — Lramorr»
XX. KongT, f. innere Ued. , 1902. — F. Hartics, Patboffenese innerer Krankheiten. 2 Bde.
Leipzig 1899. — Hbltzino, Arch.I. Verdannngskrankh., IV, 1899. ~ Stillbb, Wiener med.
Wochenscfar., 1879; Berliner kUn. Wochensohr., 1899, Nr. 35 und 1901, Nr. 39Q.&0. -
WoLKow nnd Dbliteim, Die Wandemiere, Berlin 1899. Alba.
w.
W^andermllZf s. Milzchirurgie, pa^. 427.
^Vasserstoffsuperoxyd. Unter dem Namen »PerhydroN bringt
neuerdings Merck sein reines ao^'/oiges Wasserstoffsaperoxyd in den Handel.
Die gebräuchliche 3° oif?^ Lösung stellt man sich daraus durch Verdünnen
her, haltbar jedoch ist diese Verdünnung nicht.
In der gyn&kologischen Praxis wandte Walthkr ') das Wasserstoff-
superoxyd an, und zwar bei katarrhalischen, eitrigen, besonders gangrflnösen
und iauchigen Absonderungen. Ka wirkt dabei dosodorierend und reinigend
und regt die Epithellalisierung an. Er verwendet es: 1. bei allen eitrigen
und geschwflrigen Prozessen der Vulva und Vagina, einschließlich der Vulvo-
vaginitis kleiner Mädchen sowie bei eitriger Kolpitis in der Schwanger-
schaft ; 2. bei allen geschwürigen und jauchigen Prozessen in der Scheide
und am Zervix, z.B. DekubitalgeschwQre, stinkender Ausfluß bei Blasen-
scheidenfistel, verjauchtem, inoperablem Carcinoma uteri wie vaginae: 3. bei
einfacher Krosionsbüdung und starkem Fluor; 4. bei putreszierenden Ent-
zündungen des Endometriums, besonders nach Fehlgeburt, sowie bei puer-
peralen Geschwüren.
In der Dermatologie und Urologie hat ScBOLTZ') das Wasserstoff-
superoxyd mit gutem Erfolg bei ulzerösen und gangränösen Prozessen der
Haut angewandt, bei Stomatitis mercurialis, bei Ulcus molle, bei Leuko-
plakia oris, ferner bei chronischer Cystitis in Form von Spülungen (1:100
bis 1:300) und besonders bei chronischen postgonorrhoischen Urethritiden
als Injektion '/^ — P/oigor Lösung mit einem Argentumzusatz von 1: 1000
bis 1:4000.
Ebenso sah Oppbnhelm >) gute Erfolge sowohl von der konzentrierten
(30Vo) oder verdünnten Lösung bei Ulcera gangraenosa, Oummata exulcerata
und Stomatitis mercurialis ulcerosa.
Auch in der chirurgischen Praxis leistete nach Fra.vk *j das Perhydrol
als I- oder 3- oder IC/nige Losung gute Dienste, besonders bei stark
eiternden Wunden, Phlegmonen, Osteomyelitiden, Empyemen, Ohreiterungen.
Dabei ist zu bemerken, daß die Bettwäsche bei häufiger Benutzung ange-
■ griffen wird.
Nach Altdobfer^] ist einmal eine Flasche, welche zur Hälfte ausge-
braucht war, ohne äußeren Qrund zerplatzt. Altdorfer schiebt dies auf
den hermetischen Hebetverschluß.
Zum Betupfen bei Augina lacunaris, Rhinitis, Pharyngitis und Laryn-
gitis sowie zur Nachbehandlung von Kehlkopf- und Rachenoperationen
^1 wendete Sa enger*') das Wasserstoffsuperoxyd an. Auch bei Eiterungen der
^m Naaennebenh^Shlen sah er von diesem Mittel Nutzen.
624 Wassei^toffsuperoxyd. — Zyanose.
Baumann ^) prüfte das Wasserstoffsuperoxyd in dem FRABNKELschen
Institut als konservierenden Zusatz zur Milch. Es zeigte sich, daß durch
einen Zusatz von 0*35^00 H, 0« die Milch keimfrei zu machen ist, wenn
eine gleichzeitige Erhitzung auf bO^ stattfindet. Auch kflnstlich der Milch
zugesetzte Bakterien, Typhus, Cholera, Ruhr und Tuberkulose, werden durch
diese Behandlung vernichtet, also die Keime, ffir welche die Übertragung
durch Milch in Betracht kommt Dieser geringe Zusatz von H^ Oj wird
durch die Milch fast ganz zerlegt, und zwar sowohl durch die in ihr ent-
haltenen Keime als durch die Enzyme der Milch. Die Gerinnung wird durch
den Hj Oj-Zusatz etwas verzögert, die Gerinnsel werden dabei aber fein-
flockiger. Die Wirkung der Pepsin-Salzsäurelösung geht in der Milch mit
Hg Oj Zusatz schneller und stärker vor sich als bei der rohen Milch. Diese
Versuche sprechen also ffir die Anwendung des Wasserstoffsuperoxyds als
Konservierungsmittel der Milch, und zwar, wie der Verfasser meint, nicht
nur fflr die Kinderernährung, sondern auch zur Versorgung von Heer und
Marine sowie zur Verwendung in den Tropen.
Literatur: *) H. Walthrb, WasserBtoffsuperoxyd Herck (Perbydrol) in der gynäko-
logischen Praxis. Med. Klinik, 1905, Nr. 3, pag. 61. — ') W. Scholtz, Arch. f. Dermat.,
LXXI, H. 2 u. 3, zit. nach Münchener med. Wochenschr., 1905, Nr. 3, pag. 149. — ') Oppek-
HEiM, Wiener med. Wochenschr., Nr. 5, zit. nach Die Therapie der Gegenwart, Angnst 1904«
pag. 381. — *) A. Fbamk, Über die chirurgische Verwendbarkeit von Perhydrollösungen
(Merckscbes Wasserstotfsnperoxyd). Allg. med. Zentralztg. , 1904, Nr. 47, zit. nach Therap.
Monatsh., April 1905, pag. 213. — ') Altdobprb, Ein Erlebnis mit dem Wasserstof Isnper-
oxyd Herck (Perhydrol). Therap. Uonatsh. , Uai 1906, pag. 275. — '> Saengbb, Deutsche
Ärzteztg., 1904, H. 22, zit. nach Münchener med. Wochenschr, 1905, Nr. 2, pag. 103. —
'') E. Baumahh , Über die Konserviernug der Milch durch Wasser stoüsuperoxyd. Mflnchener
med. Wochenschr., 1905, Nr. 23, pag. 1083- ^. i^«/.
^Foclienbettliifektion (sekundäre), s. Puerperalfieber, pag. 5 11.
Wuk, 8. Hefepräparate, pag. 248.
'Wurmfortsatz s. Appendicitis, pag. 35 ff.
Y.
Yohimbin^ s. Johimbin, pag. 273.
Z.
Zyanose (chronische), s. Polycythämie, pag. 476.
^
Index.
■
A.
Adrenallnum cryst. Pohl 70.
Alterserkrankangea 55. ^^H
Adrenaliniiinhydrochlortcnm 71.
Altersgangrttn 445. ^^H
Aalhliitrterum 114.
AUrenalon i'My.
AUtoberknlin 385. ^1
Ahtlominaltyphiifl 1, 20, 304.
Apiel 474.
Alnminiam acetictim 27. ^^^|
Aljführmitt.'I 212, 223, 550.
Aerophagie 419.
Alyplii 3H1. ^^M
Abhiirtunyrtkaren 374.
Äther 433, 435.
AraauroBe 55, 83, 85, 466. ^^M
Abhetzangskrankheit, moderne
Atther ohlonitns s. Lokalun-
Amaurose, arteriosklerotische ^^^|
Öü.
ästbeaie.
^H
Ablenkharkeit 406, 410.
.\thurin]ektionen 122.
AnieiBenkriechen 153. ^^^H
Ablenkung 309.
.Xlhernarkoae 17.
p-AmidobenzoesUurecBter 112. ^^H
AbmaKtrunff 54, 473.
Athextroplnarkose 17.
Amidophenol 113. V
Äbnabt-lunK 97.
Athyk'lilorid 379-
Aromen brast, Kruiibrang un d«r ^^h
AbnatznngHkrankheit^n 65.
AthylhydrflKin 113.
^^M
Abort 84, 453.
Aihylun-thnn 1R7.
Ammoniak 588. ^^M
Abort, ißfektiöftpf 525.
Affektive InsulfizienE 404.
AinmoniakbeHtimmiirt; 27- ^^^|
Abortivtyptans 9.
Agrypnie 417.
Ammoniurii! 28. 472. ^^^|
AbBcease 37.
AfcTiirin 18.
AtnOhendyttt^nterie 1S8. ^^H
AbflcesaejErzengnng künstlicher
AkkuuimadutlonHllihmung 83<
AtnylDitrit 29. 56, 113. ^H
530.
Akne b. Acne.
Anaeniia pseudoUukaetrrica in- ^^H
Abscenas »icuuti 263.
AkreuninHeife 88.
Iimtuni 111. H
AbBtinenz 4lt9.
Athargin 18-
Anaemia »pUniea 357, 564. B
Abuliftch.- Insurfizienz 43, 406.
AlbinisiDUö 257.
AD»niie 54, 111. lf>8. 203, 221, ■
AbnlUche Inautlizienz, perseTe-
Alboferrir» 19.
374, 424. 430. 453. 564, 620. ■
rative 311.
Amiiminurie 03, 114, 120,208.
Anämie hei Kindern 416. 1
Acetomiliri. raethyliertes 418.
AlhHnionpn 19, 114.
Anämie, pernizidae 54. ^^^|
Äcetonhi'stinimung nach Maa-
Albumoaufie 19.
Anämie, >wirkliche« 54. ^^^|
BIMOKR 15.
Alhiimo.inrle. alimenlilrc 19.
Anaeathesia doloroan 116. ^^^|
Aciilliuetric UJ. 600.
Alliumosuriü, endogene 19.
Anästheuie, lokale 381. ^^M
AoiditHt ded Harns 16.
Albunioflurie, enterogene 19.
An.Halhe^ierung, lokale 437. ^^^|
Acidoais 244.
Albnmoaaiie, hUraatogene 19.
AnaeatheRin b. LokalaiiUrttheBie, V
Acidam citricum 16.
Albumosarie pyogene 19.
Anaestheticum hydrochloricam ^^^|
Acidam bydrochloricum 17.
Alüxie 103.
^H
Acne 248, 378, 554.
Alizarinrot IG.
Anaeathol Dr. Speier 380. ^^H
Acne faciei ö68
Alkalimetrie 16. 600.
Anaeäthol b. Lok.ilaniL9the8ie. ^^^|
Acne roMic«a 377. 599.
Alkalische Wiisser 61.
Anarthrie ISO. ^^B
Acne vnlgaria 568.
Alkohol 22, 417, 453, 527.
Anasarka 264. ^^B
Acne-Kiiloide 5Ö8.
Alkohol, äußerliche Anwendnng
Aneurysma der Aorta 34, 56. 1
AeoYn 38U.
des 25.
Angina 31, 75. 224. 307, 509. ■
AcoTn s. LokalaniUtbeale.
Alkohol, Intoleranz gegen 44,
Angina laeanaris 623. H
ADDwoMsi'he Krankheit 111.
58.
Angina pecturia 551. ^^^t
Adenoide Vegetationen, Exatir-
Alkofaolcellie 25.
Aogiome 56ß. ^^^|
patiüTi von 437.
Alkohotismns 23. 44.
Angiorhigosis 56. ^^^|
Aderlaß 210, 307.
AlkoholiniUbrancb 55.
AngBt 4(>i. ^^1
AdipORJUti cordis 215.
Alkoholverbünde 25.
Angstgefühle 205. ^^M
Adoni» vernaJis 17, 240.
Alkoholvergiftung 124.
Anilin 11.3. ^H
Adorin 17.
Ai.LKKBCKTH Klndemahmng 681 .
Anilinvergiftung 29. ^^^|
Adrenalin 13, ÖG, 380, 381,436.
Alloxnrkürperbci^timmung 246.
Anis 420. ^^1
AdrenaMnat« Clin 70.
Alopecie 378.
AnopbelcB 399, 401, ^^1
Knoffllop. Jahrbaehvr. N.f. IV. C
cm.)
40 ^H
^^^^^IndM^^^^^B
■I^^^H
^^ Anthrapurparin ö50.
Arteria acnstica ioterna, Ter"
»HBeno^^W^^^^^^^^^^^B
ÄnthraBul 31.
engerang der 453.
Bakterizidie ^^H
Antimellin 39, 1S7.
Arteria vertebralis und hasi-
Baldrian 74. ^^H
Antipyrellci 12, 73.
lari«, Ancurynraen der 151.
BaldrianprUparate 114. ^^^|
Antipyrin 1$, 29, 113, 125, 527.
ArteriensyphiliH 164.
ßaldrianvrirknng 74. ^^
AntiReptika 27B.
Arterio.^klcro«e 66, 186, 215,
Balsamika 241.
ÄntlBeptika, llnaerlicbe 262.
221. 272.
Balsamum pcravIanDm 74.
ÄntisklcroBintiiblftten 61.
Arthropathie 153.
Bandwurmkur 223.
ÄntiKtreptokokkeiisurum 29,
Askese 226.
ßANTiBcbe Krankheit 424, 564.
536.
Aspbyxie 139, 421.
iUBi-owscbe Krankheit577, 582.
Äntitbyreoldin 80.
Aspirin 62, 125, 170.
Bartholinitis 54, 519.
Antithyrtioidio Blot'bius 32.
Aatbenia congenita uoiverBalis
Barutin 75.
Auas praetcraatnraÜH 423.
617.
Barynra 76.
Aorta abdomiDiHs, Ptosis der 33
Asthenopie 213.
BaryuQ) cbloratnm 75,
Aorta, Dehnnng der eräch1atft£D
Asthma bronchiale 551.
Basedovrkrauke, Blutdruck bei
Mnakelwand der 34.
Ataxie, aknte zentrale 158.
76.
AortaptDAe 33
AtemlUhmung 158.
BABsnowsche Krankheit 32, 76.
Aorttmfitonoae 240.
Aiberonifttose 119.
BasilartBf VerengoniDgen der
Apathie 404.
Atherosklerose 56.
45.^
Aphasie 5, 8ti. 163.
Athetose 163.
Batbykardie 33.
Aphasie, motorisohe 307.
Atninng, Chemisrnns der 68.
Bauchaorla, Anenrysma der 34-
Apbaait), optiache lfJ3.
Atmung des SHaglings 62.
Bauchfi^llentziiadangen 26. ^m
Apocyuam Cannahinon) 36-
Atmangsorgane, Erkraukuugen
ßaziltenrlysenterie 187. ^^^|
Apoplektiforme AnfälU- 157.
der 18.
Bazitlenrahr 190. ^^M
Apoplexie 56, 186, n87.
AtmaDgsstiH»taad 18.
Betehlüautomatie 298. ^^H
Apoplexie dca OroßhirnB 119.
Atoxyl 54, 55.
Beiuliehtbad 373- ^
Appendicltie 35, 422.
Atoxyl s. Arsenik.
Belladonna 37, 83.
Appi'ndicitis apouti'uiatoaa
Atropin 83, 87, 114, 132, 212,
Belladonnapräparate 212.
c'ir(*ainß(*ripta 36.
257, 262, 274.
Belladonnavergiftang 83.
Appcndicitia gangraetioea 36.
AtropinvergiltUDg 463.
Bbhck - Joitsaache Albamosaric
Appendicitis pertorativa 36.
Attritin 583.
22.
Appendidtis, Bcbleicbeode 41.
Aarbranchfikrankbeitea des
Beniin 83.
Appendicitis simplez catarrbali»
Nervensystems 126.
Beuzol 112.
36.
Aufmerksamkeit 483, 506.
Beschartigungatherapie 308, 507.
Appendicitis Bimplex serosa 36.
AuIregungszustÜDde 445.
Betittigungsdrang 410.
Apperzeption 491.
Auge. Auästbeaiernng de» 380.
ßettbäder 13.
Appetitlosigkeit 83, 473.
Augen, verschiedene Färbung
Büugerkontraktaren 201.
Appetitna rationalia 484.
der 257.
BiEHKRTsehes ßahmgemenge
Apronexie 406.
AngenhiMlmittel 70.
fi81. ^
ArachDoitis 457,
Augenbiut(»rgrund , Hyperämie
Bienengilt 112. ^^M
Arbeil. Erzlehuug znr 43» 183.
dm 47H.
liierbele 247. ^^M
308.
AugenmuHkelkriloipfe 84.
BindegewubswDcherDDgen 60. 1
Arbeitsinascbincn 221.
Augeaiuutikelläbtuungeu84, 159.
BtDdeliautaffoktioneD 72. ^^M
Arbfitttsanatorien 43>
Allgensalben 71.
BiadelL-iutsack 2U. ^^M
ArbeitHtberapie 309.
Augenathuierzeu , li^'IUegunde
Bioferrin 193- ^H
Argfutum Cred^ ö32.
18Ö.
Bloplastin 83- ^^^M
Argentaoi nitricam 190, 228-
ÄTigenapiegel 58-
BioBon 83. ^^^H
ArgentuiiLspülungeD 19-
Augenvergiftung mit ßlei 84-
Birkenbtättertee 84- ^^H
Arbovin 63.
AugonrcrletKungen nach lilitz-
BisexualitMt 236. ^^H
Aristochin 1G8.
achUg 9.^
Bisrantose 84- V
Arintochin a. Chinin.
AaflR(;blHge, stark Jnekende 62.
Biamutura subnitricnm 84. ^^H
ArlBtolöi 71.
Automatirtehe Akte 480.
Bitterstoffe 84. ^^1
Annlichtbad 373.
Azetopyrin 73.
BitterwaBser 223. ^^H
ABOMnoMsehes Antiatreptokok-
Azetylsalizylsäure 62.
Bläbangen 404. ^H
ken&erura 30, 518.
Azoospermie 5ö7.
Blässe 57. ^H
Arrhenal it. Arsenik.
Blase, Druckerscheinungen anf
Arrowroot 582.
die 38.
Areen 54. 112. 132, 468.
B.
Blasen inolo 541.
ArHengegenmittel ö5.
Blasenscheidenfiatel 623.
Ar«enhallige8 Wasser von Val
nabypnrgen 551.
BLAUDJ^cbe Pillenraischung 102.
Sinestra 54.
lUf^KHAvriiiiche Milch 581.
Blanääurevergiftung 113.
Arsenpräparate 54.
Bactcrium eoli 20.
Blei 84, 112.
ArAcnwasHiTstoIf 112.
Hiider, knhiensaure 420.
Bleib(!kli6tiere 529.
Arsenik 64.
Bilder, lano 417.
Bleikolik 85.
ArBcnikvHrgiftung nach Atosyl-
Bakteriämie 513.
Bleisaum 85.
gubraueh 55.
1
Bakterieugifte 418.
Bltiivtrgiriung 86. 113, 127.
1
^^^^^
Index. 627 ^|
1 Blendnog 378.
Brustkorb, meoHchUcher 62.
Chorea mollis 160. ^^H
Blepharitis 71. 72.
Babooen 26.
Chorea paralytica 160. ^^^H
1 Blk-k]j.ireBe 122.
Barsten dea Kftrper» 418.
Chorea, poatbeniiphlugische 163. ^M
BlimMarmentzUndangf akute
fiulbärapoplexie 164-
Cborioidea, Ruptur der 93. ^^M
r^2.
Bnlbärmyelitis 123, 149.
Chroin 170- ^^H
BHaddarmerkraDkaDgeD 3ö.
Bnlbürparalysen 116.
Chromotherapie 374. ^^^M
Blinddarmerkrankungen, chro-
BnlbUrparalyae, akut« vaskn-
Chromsllurc 594- ^^^|
nische 41.
liire echte 164.
CiliarAchmcrzen 70. ^^^|
Blinddartnerkrankniigen h. Ap-
Balblirparalyfle.astheniAchc 118.
Citarin 170. ^^H
pendicitiH.
BuIbHrpuralvHC im Kindeaalter,
Citrophen 12. ^^H
Hlindht^it, vortt hergehende 84.
progroßnivB 118, 132.
Clandication intermittente 57. ^M
Blitzn^nren 90.
Balhitrparalyse, progressive
CocalTnTergiftung 171. ^^^|
BlitZBohlafTverletznu^en 89.
aniyutrophiHcbe 126.
Coeliotaraie 542. ^^H
BliUsehlijgvfrletzuDffcn, äuüere
Bulbärparalyse. zerebrale 160.
Coffein 171. ^^H
90.
Bursitis praepatellari» 26.
Coffeiuprilparate 185. ^^H
J3Iitz»cblaf(Terietzanffen, luaere
Buttermilch 581.
Colica natulenu 420. ^^H
yo.
Batylchloralhydrat 7U.
Colin 568. ^^1
BtitzwirkangeD. echte 89.
Üotitiden 36. ■
Blitzwirknng^n, talsehft 89.
Collargol .031. B
Blut di^s Siink'lingH 94.
0.
Collargol-Klyamen 533. H
hlutaiistritte 90.
CollifialiM seminalis, Kanstik H
Blutdruck, arterieller 84.
Caiasonarbeiter 454.
dea 437. ■
Blutdruck, Bentiminuiig des Ö7.
Cancroide 566.
Coloptoae 619. ^^M
Blutdruck, hoher 56.
Cancroiu 167.
ColütyphuH 4. ^^^H
Blutetfclextrakt 114.
CarbauiiuüUure 27.
Couimoti« labyrinthi 452. ^^H
Bluteibrt'chen 59.
Carcinoma uteri 623.
Coudurango-Etixir 171. ^M
BlutrarhutorfgiUe XU.
Cavam Donglasü 38.
Coniouctivite iufectieuse d'ori- ^^^B
Biat^erinnoDg 22b.
Cepbalaea 148.
giue aniraale 468. ^^^H
Bliitfff rionung , Uemmaog der
Chalazioü, Exatirpatioo von 71.
Creulin 191. ^^H
114.
CaAMBBaLAKDSche Kerzen 9.
Cnirin 171. V
Blut^irte 111, 478.
CH«Y«E-STOKK88cher Atmungs-
Oryogenin, LcMifcaxaches 12. ^^^|
Blutkikperchengifte 111.
lypuH 120.
Cneumoa coloeyutbis 343. ^^^|
Bliitkr^inkheite.n 563.
Chlnaeitvenbitter 168.
Curage 525. ^^H
Blutungen nach Blitzschlag 93.
CfainaphcnlD 12.
Cnrettage 386. ^^B
Blutungen, kiipillare 587.
Chinarinde 171.
Cyanbämoglobin 113. ■
Blutungtn de» Labyrinth» 4ö4.
Chinin 13. 114, 125,167, 190,
Cyanose a. Zyanose. ^M
Blutangen ia daH verlängerte
276, 400,401. 434. 451, 4.-)4,
Cyclitia. aohwere 70. ^
Mark 77.
527.
üyllin 171. ^^1
Bopenlicht , UDkoDzentriertea
Chimnprüparate 167.
Cyätitia 53, 608. ^^M
374.
Chiuinnm flulfuricum 167.
Cystitis. chroßiBche 623. ^^^H
Bogenlichtbader 374.
Chinolin-WisrnDt-Khodanst 171.
Cyatitis non gonorrhoica 249. ^M
Bogenlichtbebandlung 367.
Chinone 113.
Cytodiagnoatik 172. ^^H
}lorax 114.
Chlor 266, 591.
^^^^M
Boraxpaste 115.
ChloriUhyl 17. 379, .S86.
^^^1
Bornyval U4, 420, 587.
Chloral 417.
^H
Borsäure 27, 114.
Chlonilhyürat 417, 616.
^^^H
BorBÜiire, Vergiftungen mit 115.
Chlorbfiryura 75.
Dakryozystitis 267. ^^^|
BuTBalhti 384.
ChlorbL'Htimmnng 168.
DammriQ 516- ^^^H
Bor8albuverl>.inde 386.
Chlorcaicium 169.
Damm»chutz 519. ^^^H
Brandwunden 26, 91.
Chlorkalk 191.
Darm. Alfektlouen dea 59. ^^^|
BreuhanfUlle, 155.
Cliloniatrinm 168.
Darm, Meteoriamua des 419. ^^^|
BreiniD!<chiage 42
Chl<jrolorm 169, 380, 435. 587.
Darmanaapaiungeu 420. ^^^|
Brenzkatechin 436.
Chlorolonnnarkose 169. 247.
Darmblähuog 422. ^^H
Brom-Eigon 192.
ChioroformtroplnarkoÄe 18.
Darmblntungtai 4, 6, 13, 453. B
Bronikaliam 455, 461.
Chlorom 363.
DarmfiLulnU 12. ^^H
BromltJL-ithln 355.
Chlororayelosarkomatose 367.
Darmkolik 36. ^^^|
Bromnatrium 192. 455.
Chlorose 54, 374.
Darmkontraktion 423. ^^H
Bromprilparate 35, 454.
Cbotelitbiafiis 35.
Darmkontraktionen, kolikartige ^M
BroTüpt*ptü-Eigon 192.
Choldyäin 170.
^^
Bronchialkatarrh 551.
Cholera 240.
Darmkriacn 154. ^^^H
BroüchiÜa 18, 418, 509.
Choleraseruro 535.
Darinljihmuag 59. ^^^^|
BroDchitiskeuel 18.
Choleatearin 568.
Daruimusknlatur, Lähmung der ^H
BKowH-8il:qDAKP»clie Lähmuug
Cbolcateatom 149, 462.
^^
610.
Chondrosarkome 150.
Darmparalyae, postoperatire ^^^H
Bruchpforten 467.
Chorea, chroniBche 506.
^^1
BRüEfHEX0RiBEKHMalzpalTer581. 1
Chorea minor 118, 160.
Darmpareae 37. ^^^H
^H
^F 6^8 ^HJF
Index.
^^^^^
Darmpcrforatiftn 3, 12, 13.
Digitoxin 184.
Eisblase 37. ^^M
Darin schlinge, RßBektioD der
Dijodrlilhymol 71.
Eisen 112, 171, 468. ^^M
432.
Dilat'eration 383.
Eisen, nukleinNanres 192. ^M
Darmschlingen, Ponktion ge-
Diniethylamidoantipyrin 70.
Eisenlichl 389. S
blähter 423.
Dionin 70, 186.
Eisenmanganpppton l'JB. ■
DaruiHteiioee 421.
Diphenylamin 53.
Eisenpräparate 83, 192, 453. ■
Daruj» tun tilgen 473.
Diphtherie 224, 307, 453.
Eisentropon 193. ■
Darnityphiift 9.
Diplaeusia dysbarmonica 451.
Eisenwa^ser 78. H
Uartiivir?chlinKangcii 423.
Diplrgia cerebralia infuntiÜR 165.
Eiaumschläge auf den Kopf 455. H
Dauerbildi-r 417.
Diplokokkie 6.
EiweiÜabbau , qualitative Ä^^M
Üaumert , Einnchlagen der 206.
Dip&omaDie 44.
demng des 20. ^^^H
Debilitiit 179.
DiBsoziation 406.
Eiweiflansatz 355. ^^^M
Degeneration 23.H.
DistinktiTe Ineuttizienz, scknn-
EiweiQpräparate 83. ^^H
Degeneration Rtyima fil7.
dÄre 405.
Eiweißvcrdauung 19. ^^^H
Degeneralive In»ulfizienz 44.
Diuretin 18, 61, 187, 305.
Ejaculatio praecox 230. ^^H
De^flutition, Störungen der 120.
Diuretiaehe Prüfung 186.
Eklampsie 85. H
Deknkt 248.
DJoeat 187.
Eklamptische Krampte 208. ■
DekubiUlBeschwüre 623.
DaiaALöKiöcher Nährboden 8.
Ektogan 262. ■
Delirien, leichte ti3.
DniseDu^rkraiikungeu von
Ektropion 467. ^
DelirÖse Zustände 609.
F'Ierden 31.
Ekzem 199, 378, 436, 566, 584,
Dementia praecox 297.
DucHEMMEöche chroniach - pro-
599. _
Dementia sirnplex 297.
gressive llnlbarparalyse 118.
Ekzem, chronisches 248. ■
Deraenz, aknte 296-
Uüoudarmmeteoriamiifl 42t.
Ekzeme, seborrhoische 475. S
Demenz, apoplektiache 163.
Dünndarmstenosen,OrgetpleiIeD-
Ekzem, trockenes 114. ■
Demeu«, paranoische 297.
typus bei 422.
Elektrische Hantverändernngen, 1
Demenz, aenilc U>3.
DuMOKUNSChe Labmilch 581.
spczllisch 197. ■
Denkhemmung 406.
Daodetialstenose 420
Elektrische Kleinmotoren 612. ■
DEHTst^ches Antifttreptokokken-
Duodennm,AbkniekungdeB 420.
Elektrische Starkstrom- ■
sernrn 30.
DcMiTTRRMßcbe KontraktuiKu
Verletzungen 193. f
Depresttioo, allgemeine primäre
599.
Elektrische Traumen , Nerven-
404.
Daralcol 25.
und Geistesstörungen nach
Depression, hypocbondriHche
Dnralcol. s. Alkohol.
197.
Form der 4Ü4.
Durchrall 12, 427, 445.
Elektrische Unfälle 199.
Dt'preasioa, kraokbaUe 4C>4.
DurchfaU bei Phthise 84.
Elektrizität bei Morbus Bam-
Depressive Znt^titnrie 417.
Dusche, schottische 420, 621.
dowü 78.
Dermalitifl 171.
Dyaarthrie 120.
Elektrizität, statische :^6.
Dermo-Lampe 389.
Dysenterie. 187.
Elektrizität, Übergang Ton —
Dermoidzysten A2h.
Dysenterie , spezilisclio ßlnt-
aul den Organismus 89.
Def>et|uilibralion 179-
seramtheraple dwr 190.
Emboli« 427, 466.
DeBinfektionnanKt:ilten 326.
Dyspepsie 307, 418.
Embryo. Physiologie des 103.
DeBinfektionÄflüaaigkeiten 418.
Dyspeptine 399.
Empyem 126. 623.
DeftinfektionÄmiltel 171.
Dyspepline s. Magensaftpräpa-
Empyem der Higbroorsbfihle 467.
Detumozenztrieb 229.
rate.
Empyema chronicum proccssus
DiabetcB 2U, 29, 60, 75, 76, 1 1 1 ,
Dysphagie 120.
vermiformis 41.
119, 187, 243, 347, 418
Dyspnoe 59, 157, 163, 184, 920,
Empyrciform 199.
Diabetes mellituä 147, 473.
477, 585.
Encephalitis acuta bacmorrha-
Diaphore.£e, Anregung der 528.
Dyspnoe, chronische 476.
gica 125. dl^H
DiarrbHi! 425, ö63.
Dyspragia iDterinittecs aogio-
Encephalitis bolbt 123. ^^|
Diarrhöe, chronische 248.
acli-rotica 59.
Encephalitis bulbi. subakate 139.
Dickdarmkatnrrh 36.
Dyethymle 4Ü4.
Encfphalitia pontis 144.
Dickdarmmeteori»mu(? 421.
Dystrophia nmsculari«, progres-
Encephalorayelitis disseminata
Dickdarnimuskulatur, toxische
sive 118, 144, 159.
acuta 118, 158.
Liihmuug der 421.
Eudarteriitis 240.
DickdartuHtenoHeu , Flanken-
Endarteriitis chronica 453.
meteorismu» bei 422.
E.
Eudarteriitis, syphilitische 122.
Irtckdarm%er8chlnfl 423.
Endometritis streptoeoccica 537.
Digalcn 184.
Eclampsia gravidarum et
Endotheliome 149.
Digalen-Digitoxinnm soiubilc
puerpcrarura 208.
Enesol s. .Salicylarstinate de
Cloi^tta 184.
Ecmivillonage 524.
mercure.
Digitalinum Kiihrirger 185.
Eigon 192.
Entamoeba coli Lösch 189.
Digitalia 25, 185. 240, 2ö7, 305,
Eihautretcntion 519-
Entamoeba hlstolytica 189.
627, 698.
EinpackuDgen , feuchtirarme
Entartung S33.
Digitalis-CoIIein-Medikatioo,
417.
Entbindung 453.
kombinierte 171.
Kinpacknngen, feuchte bei
Enteritis 55. 589.
Digitalisdialyaat Oolaz 18&.
DigitaÜBtherapie 17.
i
Morbus Basedowii 78.
Enteritis, chronbche and akoie
EiDtagsfleber 509.
189. ■
^^^^^^
Index.
^^^^^^^^62^^^H
Enteritis irtenibraulacea 248.
EwERscher Coucussor 612.
Fötaler Kreislauf 94. ^^M
Enteritis tabercnloaa 84.
Exaltation, krankhafte 404.
Folie ralsonnante 411. ^^^|
Enteropioae 33. 428, (il9.
Exaltation, priuittre, motivlose
Folliknlarkatarrh 73. ^^^|
EotfL'ttnng, Fottßucht nnd 214.
404.
Folliknlitis 248. ^^H
EntropioD 467.
Exanthem 62, 60!).
Fonualdehyd 113. ^^H
EntschlieQaofr 409.
Exantheme, polymorphe 7.
Formaldehyd s. Formalin. ^^^|
EntzUodungt^n 436.
Exhibitionismus 182, 239.
Formalin 223. 384. 418, 534. ^V
Etiuclealio biilbi 467.
Exotliti 212.
FormallnpinBelunp 17. ^t
Eüur^fli« 114.
Exopbthainms 79, 140
Formamint s Formalin. ^^^M
KoBiR 370,
Ex- und Tran»i«udate , Morpho-
FormamiDttabk'tteii 224. ^^^|
Eosinophilie 113.
logie der 173.
Formol s. Formalin. ^^^H
Eoaot 346.
Extrasystolen 250.
Frakturen, komplizierte 26 ^M
Epilt^p«« 54, 114, 165, 321,
Exzitantien 24.
Fralcturen. vereiterte 407. ^^^M
445, 609.
Eyestrain 213.
Frauenmilch 474. Ö70. ^^^|
EpÜi'pftie, genoint* 303.
Frauenpillen 84. ^^^|
Epilt'ptiftche und urUmisch«
Frigotherapie prticordlale 13. ^|
Krüuipfe 190.
T.
Frühgeburten 84. ■
Epileptischer Schrei 205.
Frühoperation bei Appendizitis H
E[.i.ie,phrin 70, 437.
Faobioger Wasser 61.
38. ■
Epiphora 76.
Failnngsmethoden 601.
Fucol 224. ■
Epireiian Abderhalden 70, 437.
Falflchhören 451.
FunkenstrOme , hochfrequente H
Epi«klerltis 73.
Faradisation 147, 420.
386. ■
Epirtfaiirt 453.
Favus 568.
Farohenkeratitis , chronisobe ^^H
EpitheliaÜHicnin^ 6:>3.
Fehrieulae 510.
periphere 262. ^^^t
Epittifliome, heterotope 27U.
Fehlgeburtin 84.
Fnrnnkel ^^^H
Epilhvliom, malignes 271».
FeigcD 474.
FarunkuloBti £48. ^^H
Epityphlitis 427.
Felsenbein. Entzündung des 454.
Fnetbfcdcr, heiße 454. ^^M
Eqalsftutn arvenee 211.
Fenchel 420-
Fnßballaport 221. ^^H
Erbliuduog afi.
Fermente 114.
Fnßgeschwüre 75, 378. ^^H
Erbrechen 18, 36, 427, 430,
Ferrlcyankaliumlösung 475.
FuQliebtbad 373. ^^H
440, 44y, 454.
Ferrisaceharit 193.
^^^H
Erdiweren 474.
Fersan 192.
^^^1
Erfrierung, Lupoabehandlang
Fetischismus 182.
^H
dnrch 386.
Fefron 71, 214.
^^^H
Ergoatat 2M1.
Fetronuni puriBsimuro Liebreich
GÄBTHBBSCbe Fettmilch 581. V
Ergotin 528.
71.
Qallenafinrcn 112 ■
ErkiUUlug 427.
Fettleibige , körperliche Be-
Gallenstein. Lösung des 170. H
ErkältuDgaeiDriüsse, Furcht vor
wegung der 219.
Gallensteioorkrankung, cbroni- H
311.
FettUibißkeit 374.
sehe 42. ■
ErkaituDgKnepbritlB 264.
Fettsucht und Entfettung 214.
Oallenwege , Desinfektion der H
ErmÜdungsorsoheinungen 145.
Fibrin 21-
583. ■
ErnähruDg. künstliche, dva
Fibrolysin 22t
OalvaniHation bei Morbus Baae* ^M
Säuglings 575.
Fichteonadelbäder 420. 621.
dowii 78. ^^M
ErAchOpliing, akute 316.
FicKEusebes Typhnsdi.ignosti-
Gangrän 4. ^^^|
Erschöplung, nervöse 316.
knra 7.
Gartenarbeit 319. ^^^|
Erst« Hille 555.
Fieber 242.
GaühUder 586. ^^^|
Erstickung 2t'»3.
Fieber, aH^iitiBche 20.
GaRtroonteritia 272. ^^H
Ertaubung 455.
Fieber. EiweiOabbau Im 20.
Gastropexie 622. ■
Erysipel 31, 224, 247, 307.
Fiebermittel 418.
Gaswecbsel bei Morbi.ui Base- H
ErysipelilbertraguDg 385.
FiLiTow-DL'KKVsche Krankheit
dowii 76. H
Erythem 93, 374.
222.
Gaumensegel, Lfthmnagde« 116. H
Erythropsio 378.
Filix 223.
Gebärmutter 27^. ■
Erziehlich*^ Therapie 471.
Fili\extrakt. ätherischer U2.
Gebärmutterblutungen 84. ^^^t
E»erin 2U.
Filmaron 223.
Gedftchtnitschwüehe 58. ^^^M
EsMARtiiHche Hinde 566.
Finsenlichtbehandlung 37C, 386.
Gefäßerkrankungen 374. ^^^|
Eucain-Adrenalin 566.
FiNSKN-HKVKscher Apparat 378.
Oefäükrampf 59. V
Eiicainuni laoticuni 3t^Q.
Fixationsabszefise ö30.
Gefäßzerreißung, apopiektiaohe ^^Ä
Euchinin 167.
Fletsch verjfiftnng 9, 124.
Blutungen durch 118. ^^^|
Eagafttrm 211.
Flnghauthildung 134.
Gehirn, Abszesse de» 457. ^^^H
Eukain 437.
Fluor 623.
Gehirn, Hyperämie des 4Ö3. ^^^|
Eukain s. Lokalanästhesie 212.
Fluoreszierende Stoffe 375.
Gebirnauämie 203. ■
[;-Eukain 380.
Fluoreazin 437.
Gehirnarterioakleroso 58. H
Eukodiu 212.
Fluomatrinm 385.
GebirnlUhroang 201. H
Eumydrin 212.
Flnorolorui 223.
Gehirnrindenerkr-inkung, pro- H
Eusemin 7l<
FlnßkrankeutTausportdienst
gressire 198, ^t
Euüemin s. Angenbeilniittel.
3;^.
Gehörschnecke 417. ^^^t
^^^6S^^^^^^^^
Index.
^^^^IH
GeiBteskrankheiten 28.
GraTimetrie GOO.
Hebephrenie 297. ^^H
0€i8teaatürnn(r,paralyti8che412.
Griserin 241.
Hedoual 247. ^^H
Gelatina »'teriliaata 225.
GroBhirneneephalitiB 161,
Hedonal- Chlorolormnarkoae ^^^B
Gelatine 226.
Groühimrinile 488-
247. M
Gelaioseaüber 18.
GaiBKR-WiDALBche Probe 7.
Hedonairergiftung 247- ^^^M
Oelbeier 474
Gij.ijaeol 12, 242.
Hefe ^^H
GelenkenteHndiinffen 26.
1 Giiajakolpräparate 476-
Hefepräparatc 247. ^^^|
GplenkerifUÄMe 175.
Guajrtsanol 534.
Here.seife 248. ^^H
Gcknkkontraktnren 599.
j Guberquelle 54.
Heidelbeerdukokt 248. ^^H
Gelcnkrhpumatisnius 16, 418.
Guderin 198.
Heilf^ymnastik 314. ■
GelonkrheiimaÜRraua , obroni-
Ganimata eiulcerata 623.
HtHUtJittenbebaudlnng dee Alko- ■
hcher 7*j.
Giiiniaihandtii.'hiihe 514.
holiiimus 25. B
Gelf nkrheiimatismos , eitriger
Gymnastik 220, 315.
Heininfttiltder 371. ■
ly.
HeiOluftbehaudlnng 386. ■
GelenkBchwclInngen 17, 93.
H.
HeiÜlaftverrahren, Hollakhdkk- I
GeneaunKsht^lrae für Lungen-
Bches 383. I
kranktf 43.
HaHrfärbeniittel , anilinhaltige
Heiüwasaer-AJkoholniethode ^^B
Genttallielier, hÄrmlose 509.
29.
^^1
Geosot 34B.
Haarkpnnkheiten 668.
Heimitol 248. ^^M
Gerbfiüiiri' 17.
Haarversengungen 9fJ.
HßlTellasäure 112. ^^M
GerstonraoKl 582.
Hämatin-Albumin 243.
Hemialbumose 114. ^^^H
Gesanff, Pflege de^ 328.
Häraatoxylin-Eoöin 173.
Ht-mianaesthesia cruciata 116.
Geacliteclitaenipnndnng, niangel-
Hämaturie 437.
HemiaDääthesic 163
hafte — beim Weibe 230.
HÜmoglübiDurie 112.
numiauopaie, homonyme 163.
GcachiechtHkraiikbeiten , Pro-
H^luiopbilie 437.
Hemiatrophia laeialLi pro-
phylaxe der 225-
Hämoptoe 29. 437, 472. 551.
gressiva 467.
Geschlechtstrieb 229.
HÄmorrbagien 92.
Hemibyperaesthesia cmoiata
Geschlechtötrieb, diWereniierter
Hümorrhjigiecher Typhus s. Ab-
121.
232.
dominaltyphus.
Hemikranie 29.
Geschlechtstrieb , undifferen-
HiimorrhoidalblntnngeD 169.
Hemiplegie, altemierendf* 116.
zierter 232.
HUmorrlioiden 243.
Hemiplegie, apoplektiache 93.
Geschwülste 424.
UUiiiorrhoiaid 243.
Hemlple^en der Arme und
Gesichtsaiiüstheflie 120.
nUinoHtatldche Präparate 436.
Beloe 120.
GeBichtÄPtarre 134.
Uiindedesiufektion 514, 584.
Hemisin 70.
GewebMiekroseu 437.
Haferkuren 243.
Hemisyatolie 253.
Gewebi»tonuB, EröchlaffODg des
Uaferniehl 582.
Hiu{fKL-LBUHAM.fscfae Müflh Ö81.
620.
Haibbäder 417.
Hering«5alat 223.
Gicht 115, 170, 24Ö, 374, 483.
Halbbilder bei Basedow 78.
Hermen 467.
Glandula pttuitaria, Atrophie
UalBwirbel. Karies der obersten
Herpes tonsurans ö68-
der 77.
162.
Herz, Bigeminie des 253.
Olaakörperblntnng 93.
HaitloH^jfkeit 183.
Herz, kindlichea 107.
Glaakörpertrlibnngen 267.
Handvibratoren 614.
Herz des Siinglings, physikali-
Glauberaalz 190.
Handwerksbetriebe 319.
scher Befund des 107.
Glaukom 239-
Hanf, kanadischer 36.
Herz und Puls dea Säuglings 103.
Glaukouiaiifülle. akule 70.
Harn, Aclditiit des Iß.
Herz, Tiefhtand de^ 33.
GL^NAKDHche Krankheit 428.
Harn. Jüdaus&eheidnng aas dem
Herz, Wach.'itumaverhiUtnisae
Glieüemcbmerzeu 473-
272.
des — beim Siingling 104.
GliomatoNe, diffuHe 147.
Harnnoalyne 224.
Horiaffektionen 315.
GloBSOpliaryiigalabialparalyiie
Harnantlseptika 958.
Herzaffektionen, kongenitale
159, IUI.
HarnsiLure 246.
476.
Glottisodem 75.
Harusäureausaiiheidung 248.
Berzaffektionen, organische
Glilhlichthäder 3G7.
HarnsänreauHcheiduug, ver-
110.
Glykümie 271.
mehrte 473.
Herzarhythmie 249.
Glykosnrie 60, 243.
Hurusäaretitration 245-
Berzbe,8chwerden der Fett-
QlykosDrie, alimentäre 76.
Hiirlparaffin 465.
leibigen 214.
1 Glykosnrie. hepatogene 349.
HaaswirtBchatl 321. '
Herzbeschwerden, nervöse 114.
Glyzerin 112.
Haut, lochfürmigo Durchtren-
HerzdÜmpfuDg im SUagUngs-
1 Gonorrhöe 18, 27, Ö3, 171, 228,
241, 248, 249, 513.
niing der 92.
alter 108.
Hauterkraiikungen, eitrige 6.
Uerzerkraukungen 18, 374. 599.
Gonorrhöe , postgonorrboiecber
Hautjuckeu 473.
Herzge rausche, ecdokanUal«
Katarrh 437.
Hautkrankheiten 212.
109.
Gooosao 241.
Hautkrankheiten, entzündliche .'
Herzhypertrophie 57, 185.
GrabesBtimrae 127.
568.
Herzinsuffizienz 60.
1 Gransarnkeit 183.
Hautödem 5.
Herzkollap» 421. ^M
Graviditnt 142, 419.
Haatreizimgen 419.
Herzkrankheiten 304. ^^H
Gravidit^ hysteriquc 421.
HautverbrennuDgen 90.
Herzmittel 75. ^^H
Index.
631 J
nerzneurosen 371, 473.
Hypochoudrie 44, 419.
^H
Herzschwäche 13, 42, 122, 477.
HypolenkoxytoHe 6, 113.
^^^H
Hftrstod, rm'fhaiiiHc.hfir 422.
Hypomanift 411.
Jeqniritol 267. ^^^|
HeterophthnlmnA 267.
HypopUsip 134.
jKzecber Typhuäextrakt 12. ^^^|
HetorosexnalitUt 233.
Hypopyon 70. 93. "
Jod 272, 594. ■
Hetol 258.
Hypopyonkeratitis 307.
Jod bei Arteriosklerose 114. ^^H
Hetralin 268.
Hypopyum 262.
JodgebrHuch, BAgKXwwsche ^^^|
Hetili*!ber 258.
Hysterektonii« 539.
Krankheit nach 75. ^^H
Ht^nfleram 268.
Hysterie 54, 114, 140, 419.
Jodbehandlang des Typhus 12. ^M
Hg-IdioBynkraflie 278.
Hysteronearastbeoie , viscerale
Jodcaicium 272. ^^H
HiÄhmor»höhle, Empyem der
42.
Jodfersno 19.'). ^^^|
4Ö7.
Jedipin 272. ^^1
Himbeeri?n 474.
Jodkali 60, 132, 152, 272, 453, ^W
Hinkf-n, intermittierendea 57.
1.
455, 458, 461. ■
Hirnembolie ll46.
Jodkali l)ei Bleivergiftung 87. ■
Hirnpiinktion 268.
Icbthoform 267.
Jodnatrium 60, 272. ^|
Illrndin 225.
Idcenilucht 406, 410.
Jodoform 273, 468. ^^^|
Hodeni^pithelien, HpezifUche
IkttruB 93. 112, 347.
JodororniUther 78. ^^H
ÖG7.
IleotyphuB 427.
Jodolorrualin 267. ^^^H
HüilenfKUHigkeit, 463.
Ileas 424.
Jodometrie ^'ii)\. ^H
Hüdentaljlytten 463.
Illasiooen 405.
Jodometrie s, Titriermuthode 1 5. H
Iimu-wklimn 476.
Impizwang 338.
Jodothyhn 268- H
HöhlenergU*»e 303.
Impotenz 273.
Jodpr-iparale (>Ü, 273. ^^H
HoltensteinlöHnDK 170.
Impotenz, nervöse 475.
Jodtinktur 267. ^^H
HörstÖrnDj^en löö.
Impuls 483.
JodvaHOgen 61. ^^^^|
HoHENLoHxacbc Haffertlockcn
InanltioDtiZustündc 20.
Jtihlmbin 273. ^^M
244.
Incontinentia nrinae 466.
Jothiou 273. ^^M
lIoLXKHEcaTBchefl Chromoradio-
Infektionen, eitrige 427.
JouLuehe Wärme 91. ^^H
meter 565.
iDfektionitkrankheiten 124, 165.
^^^H
Hombar^r Kur 215.
iDfektionskrankhciten . aknte
^^^1
HomoBexu.ilitat 232.
55.
^H
Hopogan 262.
InfektionFtkrankbeiten , Morbos
^^^H
lioriihaut 262.
Banedowii nach aknten 75.
Kachexie 54, 79, 289, 424. ^H
Hornhaut, Uauügeschwaro der
InHnenza 6, 56, 124, 158,
Kachexie, strnmiprive 270. ^^^|
2G2.
509.
Kältegefühl 57. ^^M
Homhattt, TrÜbnng der 72.
Inguinalbrache 467.
Kairin 113. ^^H
Homhantabftzesse 262.
Inhalationen 472.
KakodylsHure 78. ^^^|
Hornhautalh'ktionen 72.
Inkohärenz 406.
Eala-azär Krankheit 276. ^^H
Hornhuutgeschware 70, 267.
Innervation, perverse 469^
Kali ^^M
UorohauttrUhunKen 84.
Innervationaeiupllndnog 483.
Kali, ühlors.inreB 113. ^^^|
HoBpiUUcbifle 338.
Instinkt 480.
KuUuiu permant;anieam 384. ^M
Hundeinagenflatt 31)9.
Intellektuelle Defekte 320.
RalipeimanganieutaalsHorphia- H
Uiiütt^ureiz 1H6.
iDtentionbtremor If),').
antidot 278- ■
Hydrämlf 54. 263.
IntraglandnlUre Entgiftung 267.
Kaliumbiebromnt 170. ^M
liydrazin 112, 113.
Intrignaoten 321.
Katkverütcangen 71. H
ilydrocepfaalus intemna 148.
Invalide Erwachsene 43.
Kalomel 12, 125, 190, 278,386. __^
Hvdrokelen 175.
Ipecacaanha-Prälparate 190.
Kalomelol 278- ^^M
H^dropü mb. 424, 477.
Iridektomie 240.
Kalomelolsalbc Ungiientnm ^^^|
Hydrops, i^xpcrimcntoller 283.
Iridokyklitift 2ö7.
Ueyden 278. ^^M
Hydropi, kardialer 18. ö9S.
IritL-i 72, 93.
Kalomeltabtetten 278. ^^H
Hydroiylamm U2, 113.
Irresein, impoleives 183.
KalorienentwickliiDg, tiinere 91 . ^^H
Uydrozelf 437.
Irresein, juveniles 179.
KiiltwabserklJHtiere 423. H
Hyoeciu 417,
Irresein, maniscb-depressive»
KaniiUen 420- ■
HypatbamuDe 263.
403.
Kampfer 25, 433, 527. ■
Hyperämie 453.
Irresein, periodiscfaeB 403-
Karbol 191. ■
JlyperaeBtheaia acnstica 451.
Irresein, zirkuläres 403.
Kardioptose 33. H
HyperRlobnlie 426.
Ischämie 59.
Karies der obermten H.^lswirbel, H
Hypeiiftykämie 349.
Ischias 347. 562.
deB AtUntooccIpitalgeteuks H
Hyperhidrosis localis 567.
Isoform 273.
QDd der Hinterhauptschuppu H
Hyporklneae , maniakaliache
Isoformpnlvcr 273.
152. ■
417.
Isolierungatherapie 505.
Karisbader Kur 215. ^^M
llyperprosexie 407.
Isopbysoatigmln 70, 274.
Kartoffeln 474. ^^M
HyptTthymie, reaktive 403.
lBopr:iI 274, 417.
Karzinom 167, 278, 567. ^^M
Hyptrthyröoidation 76.
Isosafrol 274.
Karzinom . Ätiologie des 290. ^M
Hyperlrichoiis 568.
Isovaleriansäurebomyleater 114.
Karzinom, EinüaQ des — anl H
Hypnose 471, 500.
IxodiD 114.
den Gesamtorganismas 269. fl
^^^^^^RBB
^ Index.
^^^^"W
Karzinom, primäre» 425.
KohlensKurevergirtungen des
Labyrinthare EUeruajren 448w
Karzinoiugilt lU.
Körpers 585.
Labyrinthaffektionen 4öl.
Karziuome der Haut 73.
Kohlenwasberatoff 436.
Labyrinthblutungen 454.
KariinoniL*, inoperable 6ä,
Koitus 230.
LabyriHtberkrankung , tabiacbe
Karziiiu.st'. 118, 1Ö9-
Kokarn 380, 437.
4fi(>.
Karziuoitu, bäinatugenc 287.
KokaVupiuselang des Hacliens
Labyrinthkapsel, primäre Er-
K&Hi-la »3
147.
krankung der 4Ö5.
KaBtratioii 404.
Kolibazilloae 6.
Labyriotlioperationen 461.
K.italftpsie 298,
Kolik 213, 420.
Lftbyrinllisyphilis 458.
Katarakt 2ö7.
Kollapserscboinangen 18
Labyriothiuberknlofte 458.
Kul:itonie 896.
Kollargol 307.
Lackinusfarbslofle 16.
Katatontsohi' Erregong 412.
Kolpitift, eitrige r523.
Lähmung 46
H Katbi^terismuB 453.
Kompresf^ionähnlbArparalyBe
Lähmung, hysterische 471.
^H Kamm, Störungen des 162.
118, 141K
Lähmung, schnell aufsteigende
^" K*_-Ulkupr<?rkrankiingen 380.
Koiniireü^ionöbulbärparalyse,
76.
Ki'hlkoprtub.TkuloiM' 472.
8. Bulhilrparalysen
LähmungserücbeinungeQ , bol-
KkulekhcIu' äJalxaupp« ö81-
Kondom 228
bare 160.
Keloide 554, 568.
Kongestion, lokale 445.
Lagophthalmn:^ 144.
Keratiti.i 72.
KonjunktivltiB 72, 307.
Labmahus vegetabilische MUch
Keratitis diaeironniA 26ä.
Kontraktur, paralytische oder
681.
Keratitis interstitiaUs ceotrali»
[jusMve 471.
Laktagol 347.
annalarls 2H3.
Kontraktionatrifb 229.
Laktophenin 13, 347.
Keratitis pareachymatosa 307,
fCnnrcliiiationsstöruagen 471.
LANDBvsctae Lfthmnng 118, 145»
458.
Kopldruek 119.
158.
Keratitis poatvaocinolosa 263
Koptaallten 27.
Landwirtsehalt 319.
KeratoiritiB 72.
Koptsebruerz 58.
LiiiOKiiDoaFFaeber Apparat 24^
Kernaplaiiie, aDgubome 134.
Koproatase 37.
LAXOBBHAKsflche Inseln 60.
Kernschwund, angeborner bul-
Kornealeroaionen 71.
LAMOEHUiNsschf luseln bei
bärvr 118.
Koronarsklerose 215.
Diabetes 347.
Kfnchhu»ten 76, 1H8, 223,551,
Kotsteine 36.
Lanolin 71.
(M)9.
Krämpfe 212.
Lappentransplantation 383.
Kirlernsektionen 467.
Krämpfe, epileptische und
Laryngitis 623. ^^^^|
Kinüslhetiscbe EtupHnduug 483.
iirämisdie 199.
Larynxdipbtherie 585. ^^^^|
Kindbotttieber 510.
Krumpfe, hysterische 471.
Larynzkrisen 154. ^^^|
Kinderuielilf. ü8t.
Krumpfe des Magi-ns 33.
Larynxphthine 472. H^^H
Klüinbirnerkrankung 144.
Krankcnbelehning 504-
Larynxsehwindel 154. ^^^H
Kleinbirutiimoren 144.
KrankenbcF^chUriigung SOS-
Liirynxtubt^rkulose 378. ■
Klislienr 417.
IC ranken tr:u)8port 324
Lateralsklerose, amyotrophisobe fl
Klopfnntr, manuelle Gll.
Krankenwagen, Desinfektion
118. 158. ■
Kniephänomen 23.
der 326.
LatscbenhieferStdämpfe, Inha- ■
KnnchpnanäRtheMe 610
Krebs 8. Karzinom.
lation von 13- H
1 Knotbengflühl f.lO.
Krebs, Hislogeneae des 280.
Lawn-Tenniwpiel 221. ^^Ä
^H Knorheninark 54
Krebsentwicklung, mnltizen-
LebervergräßtTung 113. ^^^^
^H Knocbenmarkserkranknngen
trischc 281.
Leberanschwellung 476. ^|^H
^1
Krebsmetaatasen , Histogeneae
Leberatrophie, akute gelbe 1^^
^H Kuoehi^nwacbstuni 4B3.
und Wachstum der 287.
Leberdämpfung 421.
^H KNoiiKHcbes UaEcrinebl 244, 582.
KrelKlauTsstUrungen 476.
Leborsenkungen 619.
^H Kochsalz 2^0.
Kreiflende, Vollbad der 516.
Lebertran 192. 224.
^^ Kochsalzuusrtcbeidung bei Ne-
Kreosalbin 346.
Leberverg rüÜ eräug 476.
r phritis 301.
Kreosot 346-
Leljerzirrhose 18, 424.
1 Kocb-ialzinjtfktionen, subkon-
Kreosotal 346-
Leeithin 83, 365, 474, 568-
i innkiivale 70.
KrotonsUure 463.
Lchrin»ttitute. Arbeitssanatorieu
^^ KochsalxiDJiikttonen, subkutane
KrUppelbeime 43.
als 43.
^m
Krüppelheime a. Arbeitaaana-
Leib , Zusammeoschottren de^
™ Kat-hsalzirrigaiion, rektale 28.
torten.
420.
KochsalzquL'ileD 418.
Kryogeniu 316.
LeibkrUmpfe , intermittierende
KodrVu 18, 212.
KOuKK^ches Pepton 19.
42.
Kürperliche Eutwicklnng, ange-
i Kümmel 420.
Leibweh,arti.'.rio8kleroti9cUes59.
hörne Minderwertigkeit der
KuPKKVBuhea Kindermebl 582.
Leptomeningitis carcinomatoM
(»17.
KubmilchernähniDg 575.
j^H
KotltlTn 305, ö27.
Leoein ^^^H
Kohlenoxyd iui Leicht^nblut 307.
Lenenplakin buccalis 248- ^^^|
Kohlcnoxyilhjlraoglohin 113.
L.
Leukilmie 54, 125, 366. 4fl^^l
Kohlenoxydvergiftung 306.
484, 451, 454, 563 ^^H
Kohlenf*aun'häder «U, 215,420,
Labyrinth , /irknlatioDs.stö-
Lenklimie, lineale 355. jl^l
r
mngen des 453.
Leukltmie , lymphatische 3oi^^|
^^^^^^^^^^^^^^^^^
Index.
^^^633^^
Lenkäniie, myelogene 355.
Lymphomatoae s. Leukümie.
Mastrettherz 314. ^^H
Leukämie, royeloidc 356.
Lympbomkonluuktivitis 468.
M.ostfettberz k. Fettsacbt. ^^^|
Leukopenie 6.
Lymphosarkom 141.
Mastitis ^^^|
Leukoplakia orU 623.
LympbosMrkomatose 361.
Mastkuren 35, 621. ^^H
Leukozytose 476.
Lymphozvtose 114.
Ma!(turbation '^30, 257. ^^H
LeukozytoEJi; , polynnkleärA 6,
Lysol 191.
MastzellenleukoKytose 113. ^^^|
i 111, 113.
Mo BraNKTAcher Punkt 36. ^^^|
! Lerurine 527.
K.
MediaAtinaltumor 160. ^^^|
Levico-SchwachwaüBer 54.
Medulla oblongata, AbszeÜ der ^^H
LöYuretin 247.
Magen, abnorme Gürungcn im
■
Lt?vuriuy90 248.
262.
Medulla oblongata, Blutung in H
Libido DexuaüB, Analyse der
Mageu, Glucksen und Kollern
die 117. ■
229.
im 419,
Medulla oblong-ata, Encephalitis H
Liehen 568.
Blagen, Meteorismus des 419.
der 117. ■
Liehen ruber 55.
Magon, motorische Insulfizienz
Medutlarnarkose 380. ■
Licht, konzentriertes 375.
de» 115.
Meerwasser 418- H
Licht , konzentriertes elektri-
Hagen^ Vulvalus des 420.
Metancholia attonita 296- ^^M
sches 391.
ftfagpnau.s.<ipUlnngfm 420.
Melancholie 403. ^^^|
Lichtbnderheostat 368.
Magonblntuugen 453.
Melancholie mit Delirien ö. ^^^H
Lichtbäder 367-
Hagen - Darmkatarrh, chroni-
Melancbolie, periodische 403. ^M
Liefatatralilen 374.
scher 418.
Meliolorm 418. ^fl
Lidekzeme 214.
Magen-Darmkrnnkheiten 589.
Hellins Food 582. ^^H
Lider f operative Eing^nffe an
Magendarmschleimbaut, Ver-
Helliturie 120, 157. ^^M
den 71.
letzung der 437.
MEKifeEESuber Symptomenkom- ^^^B
Lidkrebs 72.
Mugenerweiterung 476.
plex 119, 459. ■
Liebes Neutralnahrnn; 581.
Magengegend, Klopfen und
Meningismus typhosns 5. H
LiRDiosche Stippe 581.
Pochen in der 33.
Meningitis 4.'>4. H
LmnBECEöcher Vibrator Gl 2,
Magenkatarrh, akuter 17.
Meningitis, eitri^re 5, 19. 461. ■
Liegfkuren 35, 621.
Magenkrämple 33.
Meningitis, epidemische 176. H
LiegeliehlkaHtt^n 37Ü.
Magenkrebs 399.
Meningitis serosa 457. H
Lieifeschwitrkasten 370.
Magenkrisen 163.
Mentngiti.H , tuberkulOüe 176. H
Ligamentum ga8troc«licum,Ver-
MagoDiahmung, akate 420.
459. ■
längemn^ des 421.
Magensaft, Sekretiun des 84.
AieningotyphuB 5. ■
Linea alba, Brüche der 4Ü7.
Magensaftprüparate 399.
3leningotyphu8 s. Abdominal- H
Linsentrttbnniren 93.
MugeiiHf nkung lU^.
typbuB. ^M
Lipom 568.
Magensteifung 420.
MeuHtruationsstürungen 273. ^^^t
Liquor alwminü acetici 27.
Magenwand. Anätzung der 17.
Menthol 35, 583. ^^H
Lochialsekret 512.
Magnesinrnbydrat 55
MENZP.Rsches Serum 536. ^^^|
Lokalaoäfttheeie 379.
5lngnesiamoxyd 65.
Me8Gtan 419, 584. ^^M
Lues 78, 451.
Maizena 582.
MeAntanvasülin 419. ^^^|
Lnes contrcnita 193, 571.
Malaria 54, 367, 401. 424.
Metaar^enBifureanilid 54. ^^^H
Luea 8. Syphilis.
Malariamilz 434.
Metastasen 567. ^^H
Lnltächlncken 419.
Malariaprophyla.^e 399.
Meteorismus 37, 419. ^^^|
LiiItwech8el.re.'*piratoriBcher64.
Malern perforana pt^dis ]53.
MethUmoglobin U3. ^^H
LüaoL.sehe Lüsung 78.
Mangansullate 192-
Methylenbiau 173. ^^H
LuMiEHEsehe-» Cryogenin 12.
Mania aiue ddirio 411.
Metliyleublau-Kosingemische ^^^|
LungenheilstUtten 48.
Manta gravis 412.
^^M
Lungenkranke, Geuesungshelme
5Iania mitis 411.
Metbylbydrazin 113. ^^^|
lar 43.
Manie 403.
Metritis cervic&lis 519. ^^^|
Lnugenkrankheiten 43.
Manie, deliröse 412.
Metritis dissecans 513, 541. ^^^|
Lungenödem 137.
Manie, epileptische 412.
Migräne 73. ^^H
Lungentuberkulose 258, 346,
Manie, Hotte 411.
Migrünin 29. ^^M
472, 584.
Manie, periodi.^ch« 403.
Mikrogyrie 165. ^^^|
Lungentoberkuloae, Miachinlek-
Blanie mit Wahnideen 412.
Mikulicz 564. V
tioD bei 171.
Maraßmns 130.
Milch, Pasteurisation der 577. H
Lupua 17, 554, 567.
Mareglianoserum 385.
Milchdiät bei Arteriosklerose 60. H
Lupo» erythematodes 568.
Maretin 418.
Miichwirtscbalt 321. ^^B
Lupuft der Nase 374.
Marienbader Knr 215.
Miliartuberkulose 141. ^^^|
Lupu&therapie 382.
MABHOBKRSches Antistreptokok-
Milz, Exstirpation der 423. ^^^|
Lupua vulgaris 376.
kenaerum 3U, 536.
Milz, Hyperplasie der 77. ^^^H
Lymphadenitis 222.
Masocbismus 182. 237.
Milz, Rupturen der 433. ^^H
Lymphadenitis conJnnchrae468.
UasoobiMDusB. Geschlechtstrieb.
Milz. 8chwellung der 112. ^^M
LymphdrUsenschwellang 3&6>
HuM«e 221, 420, 621.
Milz, TnberkuloAc der 426. ^^H
LymphgefÜßentzUndungen 26.
Massage, raaonelle 611.
Hiiz, Verletzungen der 429. ^^H
Lymphomatofti! 564.
MastdRfm, Druckerscbeinnngcn
ätilzabszeß 427. ^^M
Lymphome, maligne 362.
aar den 38.
Milzcbirurgie 423. ^^^H
r
^^63^^^^^^^^^^^^^^^^^^lÖdcT^^^^^B
H^^^^l
■
Milzexstirpation 478.
Myopathie, progrefwive *T317
Neuraathenie, sexuelle 472.
Milztrxetirpaliüa. Technik der
159.
Neuroathenische Reiaxus tiode
433.
Myxödem 76.
186.
Milzprolapa 432.
Neurin 167.
Hilzpanktion ^.
Neuritis 93. 562.
Milzäcbwtillnngen 563.
H.
Neuritis ( bnlbäre ) a. Bolbir-
^m
Milztuherkulos« 477.
paralyse.
■
Milztumor 476.
Nabelbrüche 467.
Neuritis bulbaris acuta 117.
Minderwertigkeit, psychopathi-
Nabel schnarreat und Nabel-
Neuritis, multiple 76, 118, 159.
aohe 43. 179.
wnnde 97.
Nenritis optica 124, 158.
Miosis 159.
NabeWeno 9G.
Neurofibrome 149.
Mitichinrektion öl 3.
Na Cl-Injoktionen , snbkonjunk-
Nenrome 149.
Misehnarkoae 436.
livale 70.
Neuronal 444< ^^^|
Mit in 436.
Nachblutungen 381.
Neurone 485. ^^^|
Mitiuhydrursrynim 436.
Nährmittel 248.
Kenronentbeorle 438. ^^^|
Mitinnni cofmeticum 435.
Naevi 554.
Keurose, tranmaiiache 43, 114, V
Mitinuiu pnrum 43Ö.
Naevns vaflooloBQs 377.
197. 453. ■
Mitralltbler 257-
Naf-ilao 436.
Neurotomien 467. fl
Mitralinftuffizienz 29.
Narben, hypertrophische 377.
Nentritia bnlbaria 159. ^^B
Mitralstenose 240.
Narbenkontraktaron 599.
Neutuberknlin 385. ^^fl
MitlelobrentzUadung , eitrige
Nasennebenbühk'o, Eiternngeo
NiereninsQffizienz 221. ^^H
4Ö4.
der 623.
Nierenrcizung 249. ^^^|
Mondamin £82.
Natrium, borsanrea 217.
NierenBchrnmptucg 57. ^^^|
Moorbäder 42.
Natriara hyperboiioam 115.
Nlerensenkunffen 618. ^^W
Moorerden von Karlabad and
Natrinra, phosphorwiores 306.
Niereosteine 84. 1
^H
Franzensbad 554.
Natrium »alizylicum 62.
Nierentumor, retroperltonealer ■
^H
Mooruni9cb]ü{((? 42.
Natron, milchtiaurcs 60.
425 I
■
Moral Insanity 179-
N.*itroD, sultanilüaurea 78.
Niereuverlnderungen 215. M
Morbus ßasedowii 32. 75. 140
Nebenniere t*. lutraglaaüuliire
Nikotin 257. ■
H
Morbus Ba«edowii e. Uadkoow-
Entgiftung.
Nitriti' 113. ^^
sehe Krankheit.
Nebennieren, entgittende Funk-
Nitrobenzol 112, 113. ^^M
■
Morch«^! 112-
tion der 271.
Morphln 18, 83. 186, 212,274,
Nebenniereneiatirpation 270.
Noninfektinn 514. ^^^|
^v
609.
Nebennierenextrakt 78.
Nuklein 521». ^^1
MoTphiniamna 417.
Nebennierenpräparate 70, 381,
Nnkieinbänren 247. ■
Morpbiiira 37. 155. 209, 416,
436.
Nystagmus 120, 155, 448. M
417.
NebenechllddrÜaen, Atrophie der
^^^M
Murphinminiektionen 62.
77.
^^^M
ModKuscbtfs Scmin 536.
Negativisiuu!« 2',»8.
^H
MutilititUtaütüruDgrn 137.
Neoplaameu VX 376.
4^^H
Multiple Skloiose löö.
Nephritis 18. Ul, 263, 374. 583.
Obitipatioo 212, 41M, 421, 4^1^
MundhöbleDscbleirobaat , ter-
Nephritis, KochaaizaUHscbeidnng
619. ■
tiäre Prozesse der 273.
bei 301.
Obstipation, chroniaohe apaati- ■
Mundkrankheiten 171.
Nephritis, skarlatinöae 437.
si'he 42 ■
MundiuuKkalatnr, Liihmang der
Nephropexie 622.
Odda 581. ■
116.
Nephroptose 618.
Ödeme 93. 305, 424. ■
MundspUlnngen 21.
Nerv, Neuron 438.
Ödeme, subkutane 303. ■
Müsik 323.
Nervenkranke, bleivergiftete 85.
ölklistiere, wanne 42. ■
Mnekelatrophie, progressive upi-
Nervenkranke, Volksheilstätten
OsophagusHtriktiiren 599. H
nale IbH.
für 43.
Ohreiteruugen 023. H
Mnskelacbwüud 140.
Neiveukrankheiten 23-
Ohren, Belegtseiu der 451. ^^^|
Maskelzuckungen 210.
Nerventaabheit 453.
Ohrensausen 453. ^^^M
L
Mutismas 128. 165.
Nerven- und Oeistcsstürungen
Ohrerkrankungen , chroolsc^^^^
■
Muttermilcb 570.
nach elektrischen Tranmen
eitrige 126. ^^H
■
Myastbenia gravi» pseudoparaly-
197.
Obrlabyrinth 446. ^^H
■
tica B. BnlbftrparalyseD.
Nervina 587.
Oligoehlornrie 305. ^^H
■
Mydriaais 71.
Nervöse, abuUschc 43.
Oligohydrniie 305. ^^H
n
Myelitis 5, 149, 587.
»NervtiRea Grau« 440.
Onanie' ^^M
i_
Myelon 359.
NKSTLt:Hehas Kindermehl 582.
Onychien 225. |^^|
b
Myelomatosen , myelämische
NetzbaatablOaiitig 70
OpELscher NUbrswieback 582, m
■
360.
NetzhautentzUndung 84.
Ophthalmie 267. I
^^
Myelomatosen ». Leukllniie
Neugeborne, Anlegen de* 571.
Ophthalmie, ekzematöse 71. ■
Myelome, multiple 141.
Neuralgien 59, 73, 93, 418, 562,
Ophthalmoplegie, totale 122. 1
Myelo-McningitiHBypiülltica 176.
584.
Ophtlialmotherapie 71. 1
Myokarditis 174.
Neurasthenie 28, 34, 54, 58, 1 14,
Opium 19i), 21 1,422, 434. 587. ■
ii
Myokarditis, cbronisohe 215.
1^
146, 463, 475. 620.
Opiumpräparate 417. M
Index.
635 1
Opiunitherapie 37.
Paraplegien der Anne und Beine
PhoHphoraiinre 473. H
OpptsHEiMöcher »Freßreflex«
120.
PhoBphoraUure im Harn 474« ^^H
IBö.
Pararbytbmie 2öO.
PhoaphorrtTglhung 19. ^^^|
OptlknßatrophU' 55, 72, 93.
Parasitäre Flautorkranknngen
Phototberapie 372. ^^H
Orcihipin 4f>3.
378.
Photolherapie a. Liehtatrahlen. ^M
Orcliipin b. Orgnnothc^rapic.
Paratyphus 9.
Photßkaustik 375. ^^H
Ürgaiiütherapie 267.
Oryanotherapie mit Hoden-
Paratypfauädiagnofltiknra 10.
Phtbirlaaia pnbia 27. ^^M
Pareae einea Beinea, apaatiachi^
Phthiae 551. ^^H
nasäigkeit 463.
158.
Phthise, eitrige 19. ^^M
Uttteomalaci« 76, 478.
PAnixAuua Konjanktivitia 468.
Phthise, H'lmoptoö bei 29. H
Uateome 149.
Parozyamale Tacbykardie s.
Phthise, Naebt^chweiße bei 609. ■
Oateoiuyotittden 623.
Ueriarhytbmie.
Pfathiaiker, Durchfalle der 84. ■
Oateosarkomvi 149.
Pasta mitini 435-
Physostigniiii 70, 274. 423. ^^H
Otitis 222.
PedicDli capitis 27.
Phytin 475 ^^M
OrariMEyflt«D 425.
Pegnin 681.
PikrinsAnre 112, 476. ^^B
Oxftlnrie 28. 473.
PelTt;f>perjtonitift öl 9.
Pilocarpiniim muriaticom 454. ^M
Oxydimetrü- 601.
Pelvipcritonitia, zirkumakripte
Pilokarpitt 45H. ^^^t
Oxybattersäare 463
528.
Pilzvergiltuug 476. ^^^|
Oiybutteraäure Im Harn 20.
Pepsin 258.
Piper methyaticam 241. ^^^|
Ozaena 4G7.
Pepton 114.
Plethnra 453. ^^H
üzetbäder 586.
pBptonuriL' 19.
Plethora. hydrUmische 263. ^^H
Pcptonurie ». AUmmosaiio.
Pleura, Zerruifiunv der 434. ^^H
Prrforationt^perittmitia 38.
Pteuraergüftae 174. ^^^M
P.
Perhydrol 623.
Pleur.'%t*xsu(]ate 26. ^^^^|
Perhydrol s. Waaaeratoflinper-
Pleuritis 242, 684. ^^1
Pachymeningitis carcinoniatOBa
oxyd.
Plearitis a frigore 173. ^^H
287.
Perikardiale Ergüaae 175.
Pleuritis, rheumatische 173. ^^^|
Pachyinpningitia cervicalU
Ferimptritifl äK, 513.
Pleuritisch« Exsadate 19, 418. ^^M
hypertrophicana 176.
Peristaltik . Anregung der 423.
Plenromothorax 432. ■
PaebymeiiiDgttls haemorrhagica
Ptritont^um, Bcti^iligung dea —
Poetimatosis nervosa 419. H
454.
in linr Äpppndicitict 37.
Pneumin 346, 476. H
Päderaati« 182.
Pi^ntoneutn, Erkrankungen des
Pneumonie 13, 18, 19. 42, 247. ■
PALTAUKSchea Serum 518.
421.
304, 509, 510. 527. ■
Panaritit'D 25-
Peritonitis 422. 513-
Pneumonie, doppelseitige 79- H
Paukreasdiabrtes 352.
Peritonitis, dilluae eitrige, 36.
PnenmoDie, kruppöse 21. ^M
Paukn;atiti« 4.
Perityphlitis 3f), 422.
Pneumonie, fobulüre lü. ^^^M
Pankreatilia interstitialia angio-
Perityphlitis s. Appnndicitis.
PockL-D 338, 377. ^^M
«clerotica 354.
PeritypblitiHcher Abszeß 36.
Poikilocrtose 113. ^^H
Pankreatitis interstiliali» angio-
PorlfriNser B5.
PoliociiL'ephalomyelitia .leuta ^M
aclerotica a. LAMasaiiAMSHche
Peioneaatäfainang 153'
118, 123, 145, 159. ■
Inaein hol Tabca.
Peraerveratire Insutliziens 183,
Polloeucophalitia aoata inlerlor H
PAppKHHBiMBi'bePyronin-Methyl-
406.
B. Hutbürparalyaen. H
grUninethodf 173.
Pertussis 158, 437.
Poliot^Doephalitis superlor 144. H
Papille, Atrophie der 72.
Perubalsam 74.
Poliomyelitis anterior acuta ö- ^^^B
Paquelm-LtiftlircDner 386.
Perverse Innervation 469.
Pollantin 258. ^^H
Parädtheaieu 473.
Perversion, «fiuelle 182, 232.
Pulyarthrltiden 562. ^^H
ParariimimuUionen 27,
PervcTsitäten 182.
Polychlurnrie 305- ^^^^|
ParafliD-Protheaen 466.
PsTBDflCHnraches Typhoin 12.
Polychromasie 113. ^^^|
Paralyse 176.
Plelferniinz 420.
Polycbromatophilie 113. ^^H
Paralyae, aatheniscb« 145.
PIlegfBtälten, Werk- und 46.
Polyglobulie 477 ^^H
Paralyse', luyaatheniHche 118.
Phagozytose 520.
Polyhydrurie- 305. ^^H
Paralyse, progrcaaivi' 197.
Phallin' 112.
Polyneuritis 610. ^M
Paralysis agiUnb 118, 160.
Pharyngilia 623,
Polypen, benigne 422. ^^^|
Paralysia agitana s. bulbäri'ara-
PharyDX, Lähmung des 116,
Polyurie 12. 120. 473. ^^M
lytiache Symptomenkoinplexe.
154.
Polyzythämie 476. 564. ^^B
Paralyalä ascendt^DS acDta 158.
Phenacctin 527.
Fona^rc'sehwUlHte 150. ^M
Paralyaia bulbaria 117.
Phenolphthalein 16, 28.
Forencephalien , doppeUeitigt» H
Paralyhia glossopharyngo-
Pheiiosalyl 472
165. ■
(iaryiiijo-) labialis progreaaiva
Phenylhydrazin 112, 113.
Posticii^läbmung 1Ö7. ^^^|
126.
PbenylproploIstiureB Natrium
Ponchon -Quelle 78. ^^^|
Parametritia 26, 513.
472
PrUkordialangat 404. ^^H
Parameti'itia gonorrhoica 513.
Phlegmasia alba dolens 6.
PaiKsaxiTxsche UmachlÄge 420. V
Paranepbrin 70, 437.
Phlegmonen 25, 623.
Progreasire Bulbftrparulyae 126. ^^M
Paranephrin a. Augenbellraittel.
Phosphaturie 28, 249, 472.
Prolapsus aoi 467. ^^H
Paranoia 4(J7.
Phosphor 474.
Protapsna uteri 467. ^^^|
Paranoia halluciDatoria 296.
Phoaphorllltterung 54.
Propeptone 19. ^^^|
^^^^^^^^■BBBI
^^^^^ Index.
^■^^^H
^V ProBtitation 226.
Q.
Riva-Rocei 57. ^^H
^H ProctitiitiüD H.Gebübleobtskraak*
Rizinusöl 190, 223- ^^M
^^m
tinartal8«Uufer 44.
Rodagen ,S2. 80. ^
^H Protartfol 228.
Queckäilberjodid-Jodk.iliuu)-
ROntsenbehandtung 374 , 9flt
^H Pfotyliu 478.
ISsung 562-
663
^H Prärien öl>B-
Qaecksiltii-rlainpe 37H,
Röntgenstrahlen 366, .^^89.
^H Pruritus 668.
Qneekflilberwirkung 662-
Röntgenstrahlen in der Ophthal-
^^m p8«^ndoappendic)ti8 NoTBVAOBrj
Qaeeksilbervrirkung bei Svphili»
motheraple 71.
^m
590.
Rom a wo WBKi sehe Asurreakti0O
^H Pdendohulbärparalysc 117, 118,
Qaerulauten 321.
173.
^m 160, IGl.
Qaenilautenwahu des Paranoi-
Roseola 6.
^^B Pseudobulbärparalyse im Kin-
kerrt 181.
RosolsJiure 28.
^^M desalter ltj5.
Qaetsohwnndeo 75.
RoTH-D&AKOKascher Apparat
^^B Pseudobulbärparaly&eu s. Bul-
Quotidiana 433.
17ü, 435.
^^P bärparalyD^Q.
Kotlichtbehandlung 377.
^^V PseudokoDtraktureo 471.
B.
Rubeola scarlatiniformis 222-
^^B PaeadoWukUmiti 563.
Rudern 251.
^^B PBendolenkAniie, inypioide 3ä7.
R icbenerkrankongen 171, 324,
RÜekenmarkaanlUtheaie 3H1.
^^H Paendoißukiiroip 9. Lenkämi«.
381.
RUckentichläDch. kalUT . bei
^^1 Ptieudologiii pbantastitm 181.
Rnohenfatihlen^ehleimhaut 273.
Morlms Basedowii 78.
^^B P8eudot{UL>rnlantfnwahn 181.
Rachitis in, 193, 474. 475,478.
Ruhe 497.
^M P&oriaaia 32, ö4, 114, 654. ö68,
RAnRMANNSche^ Kindermehl 582.
Rubrepidt^mien 187. ^^^H
^B
Radfahren 221.
Rumpfduscbeu 621. ^^^|
^^^^H PsoriaHiH lintruae 248.
Radioaktivität 553.
Rmnplliehlbad 372- ^^W
^^^^H PaycbuiuechHiiik 478.
Radiometer von Sadouraxd and
Bui'i'KLSchesÄntistreptokokkea- ■
^^^^^ PsychoiiiotorUcbe iDsuUizieDZ
Noiat 5*i5.
sernm 31. M
^F
Radiometrie 5ü6.
H
^H Paychopathia Hexnali« 239.
Radiotherapie 374.
^^1
^H Pitychopathische Minderwertig-
Radium in der Ophthalmothera-
^^H
^m keit 43.
pie 71.
Sadlsmoa 182, 237. ^^M
^H Psychosen nach Rlitzachlag 93.
RadiumdermutitiH 72.
Sanier, perlndisehe 44. V
^H Psychosen, ftimniierte 29.
RjidltiinKtriihkn 389, 663.
Säuglingseruährung 570. ^^fl
^^B Psychotherapie 500.
Rauseh zustände 445.
Salben bm. ^H
^H Ptosis 134.
RxvÄALüHche Krankheit 76,
Salbengruudlageu 71. ^^^B
^H Pubertät 232.
Rededrautf 410.
Salit 584. ■
^^1 PaerperaltT Utems, DrainaK«
Reflexe 480-
Salizylarsenate de m«roare ^^fl
^^B des 523.
Heismebl ,^82.
(En^sol) 683. ^^H
^^M PnerperaKicbtrr 608.
Reiten 221.
Salizylsäure 451, 683. ^^H
^^m Puerperalfieber , Hydrotherapie
UeiEbarkeit, krankhafte 404.
Salizylsalben 009. ^^H
^M bei 528.
Keisce 479.
SatizylsehwefelhefeMile 248. ■
^^1 Puf^rperalpyiLmie 513.
Residualperitypblitis 41.
Salochtnin 12. H
^H Puta, Allorhythmie des 249.
Re»nlutorifiche InsuffizitMiic 311,
Sulüereol 242. ■
^^m Puls. Kleinwerden des 18.
40G.
Halo! 474. ^^M
^H Puls , ubnorme Spannung des
RoBorcin 384.
Salpiugoopboritie 619. ^^^H
^B
Kesurptionsikterus 112.
8alz«iiure 17. ^^^H
^^1 Pulnation. epigastriflche 34.
ReHinratiunHsehleimbaut, passive
Salze, vhluritaure 112. H
^^B Pulsu» alteniaiis 249.
HvperiiLiiiL« der 472.
SaUwaHseriofasioaeu 628- H
^m Pulsns deliciens 249.
Respiratiouütrpas beim Säugling
6anKiriterunterricht 557. H
^^B Palsns intermittens 24U-
t)2.
Sanatogen 13. S
^^B Pnnctio lumbodorsalis 198.
Hrapiratorischer Luftwechsel 64.
SandeUn 241. ■
^H PupiIlenre»ktion 23.
Relentionskoagnla s. Puerperal-
San^ninal : Liqnor sangninalis M
^H Purgittin 550.
firbcr.
Krewel 193. ■
^^B Pnrgi^n 560.
Retina, Apoplexie der 93.
Santonin 584. M
^^B Purpura 6.
Rettntigswesen 556.
Sapal 584. ^H
^^1 Purpura rbenroatica 454.
Hheaner Wasser 61.
Saprämie 513. ^^^|
^M Pyiimie 224, 513.
Kbeuniasan 562.
BarkoKarzinom 289. ^^H
^^B Pylorusätenoae 420.
RheuuiatiAmus 374, 419, Ö83,
Sarkom .^>ti7. ^^H
^H Pylorusstenose, narbig« 599.
5^4.
Sarkom, primäres 425. ^^^|
^H PyloraBTerengerang 221-
Rheumatismus, chronischer 347.
Sattelnase 465. ^^^|
^^m Pyorrhoea alveolaris öGB.
Rbenmatismus s.Oeleokrhenra«-
8atumi.<()ims 85. ^^^|
^H Pyramidon 13. 70.
tismus.
Sauerstoff 376, 58S. ^^H
^H P^Tcnol 551.
Rhinitis 62.3.
ßauersloffbädi^r 686 ^^^
^H Pyrodin 22, 112.
Rhod.inammon 168.
Sauorstolf - Chlorot ormnor kose ■
^H PyrogallnsHiiure 112, 113, 37B,
RiBTnsche Albumosenmilch 581.
170. ■
^M
Rindenkrämpfe 200.
SancrstoftlufuMoa , iotnveiiOM ■
^M Pyrogallussalbe 384.
Ritserts Anästhesin 380
58f). ■
Index.
637 1
SaaerHtofinbertragung Ö52.
Scierodia multiplex 155.
Splenektomie 424, 428, 434. 1
Sausen 4ö4.
ScopoUmiDuin hydrobromicatn
Splenomegalie 276. 424, 436. ■
.Scarlatiüoiü 222.
70.
Splenomegalie cbronlqae 357. H
dchädtflba»<iMraktur 176.
8eeale 528.
Spleiiomeg.'ilie, troplache 275. H
SchttdellisaareD 4ä2.
Seekr.'iukheit 380. 609.
SpleDopexie 428. H
ScbAdpIkontnnionen 452.
Seelenblindheit 163.
Spondylitis tubercnlona 26. ^^^|
Sohallfitangscrkrankonifen 4öl.
Sehnerr, Entsündung des 84.
Spondylitis typhoita 3. ^^^|
Rphanker, ifangrSniiwr 427.
Sehnerv, Lückenbildungen im
Sportliche LtetHtignng 314. ^^H
Scharlach f>, 31» 75, 222, 224,
240.
SprachloMigkeit 128. ^^^|
263. 4f>3.
SeifwanBerklifttlere 621.
Spraehsttiruugcn 142, 138. ^^^|
ScharUchanginen 26.
Sekretion, innere 267.
Staguin 687. ^^^|
Scharlachnrphriti» 608.
Belbfttmord 409.
Staroprration 70. ^^^|
ScharUchs«runi, MossRäohe» 30.
SelbKtmordneigung 5.
Stauungsüdemo 160. ^^^|
Scheide. Selb(»treini^ii(f der 51 1 .
SelbittpeiuigUDg 238.
Stellmacherarbeiteo 321. ^^H
SeheideDdesinlektion 516.
Sensibilisation der Gewebe 376.
Stenokardie 59. ^^^|
Scheidenvorrall 4G7.
Sep»is, allgemeine 31.
Stenooe 420. ^^H
Scheiniwittertam b*fim Men-
SepsiA, puerperale 31.
Stenose des Darmes 421. ^^H
j Heben 236.
Septikämie 513.
Stickfetoffbedtimmang 587. ^^^|
SohilddriUe 54.
Septikämie, kolibafillÄre 9.
Stillen des Kindes 571. ^^M
1 Schilddrllfle, Panktion der 268.
SerodiagnoHtik 8.
Stillen. Unfähigkeit zum 23. H
Schilddrüse. Hypertrophie der
Serotherapia minima 629.
Stiiumritzenkrampf 165. H
77.
Semmtherapiü bei Paerperal-
StimmuDgBwechäL-l 411. H
SchilddrüfienprÜparate 215.
fifsber 537.
SCoIfwechselstöroDgen 19, 83. ■
1 Schlaf 4^7.
Sexuale Erflchüpfnng 404.
Stomatitis mercuriaÜB 27, 623. ■
' Schlafkrankheit 006.
Sexnaltrleb 226.
Stottern 471. ^^M
ScblaflosiKkeit 119,408.
Sexuelle Anüstbesie beim Weibe
Stoviiiii 381. ^^H
1 Schlafmittel 274, 444, 6Ü9,
230,
Strabi.smuH 134. ^^H
616.
Siognltiifl 587.
Strahleuthernpie 374. ^^^|
.Schlaftanz 502.
Sitihflrt.r, heiüe 42.
Streptnkokkümie 513. ^^^|
Schlaftinnkcnheit 60t).
SitzbiidiT, kalte 420.
Streptokokken 20. ^^H
Schlangcnbisae 35.
SitzduM^hen 420.
StreptokokkeninfektioD 536. ^^^|
Schlangengift 112. 11 4.
SkarifikatioD 395.
Streptokokkensernm 385. ^^^|
Schlcimhautkatarrhe 53.
Skarlatina 158.
Streptokokkie 6, 513. ^^H
Schleimhautlupns 387.
Sklera, Trepanation der S40.
Streupulver 171, 212, 272. ^^M
Schleimbaiitvibratton 614.
Skleroatheroae 56.
Striae patetlarus 6. ^^H
SchliDgHlrtrun*ren 128, 142.
Sklerodermie 76.
Stropbantus 61. 240. ^^H
Schlackiahmnog 123.
Sklerose 56.
Struma 75, 198, 56S. ^^M
Sebliickpncumonie 123, 159.
Sklerose, balbäre Symptome bei
Strnm:i simplex 80. ^^^B
Schnnpfen 248.
ranltipler 118.
Strumitis. posttypbitse 6. ^^^|
Schreibkraropf 471.
Sklerose, diffose 165.
Strychnin ! 14. 132, 437, 527. ^^
Schreinerei 321.
Sklerose, moltiple 124. 155, 197.
Stryehninkrampfe 203. J
Schrnmpfniere 57,217,302.
Skoliose 75-
Stryehninnm nitricum 453. ^^^H
Schrumpfimpfn 60.
Skopolamin 70.
Stiihlentlecrnng ohne Kolik- ^^^|
Schüttelfrost 36.
Skopola min -Morph lomnarkoBe
schmerzen 551. ^^B
Schiilzpocken 377.
18.
StuhlentleerunKeu , leichte 420. ^
Schwaehaiun !7y.
Skorbut 19.
Stuhlver^topfung 417. 419. fl
Schwächt', allgemeine 475.
Skotom, zentralen 29.
StumpfHiiin, nioraliscber 179. 1
Schwäcbezu»täude, akute 185.
Skrofulöse 193, 475.
Stupor 29l'>, 409. ■
•Schwangere, Erbrechen der 609.
Solitürtuberkcl 147.
Stupor, katatonisvhcr 29B. H
•Schwarzwacserfiebcr 402.
Solvine 112.
Stvrakol 589. ^^
SchwcfelkohlinMoff 112, 113.
Sotidenftitternng 147.
Sublimat 589- ^^H
Schwefelsäareliraonadc 87.
Sonnenbäder 374-
Submiltns tendiunm 210. ^^^|
Schwelelsäarevergiftung 124.
Sonnenlicht 378.
Saccus Valerianae 74. ^^^|
Schwefelwaßserstoffvprgiftong
Soorinfektion 516.
Suggestion 50r). ^^^H
113.
Sox hl etap parat 577.
Sulfhümoglobin 113. ^^H
SchweinemageDsaft, natQrliober
S0XHI.ET8 Nährzucker 581.
Snlfonal 112. ^^M
8U9.
SpannuuRairreaein 296.
Suprarenin 381, 437. ■
Schweiß 418.
Speichelfluß 120. 129.
Soprareuinum liydrochlorloum H
SchweiOabHonderang 29.
SpeiserÖhrenerkrankUDg 380.
70, 437. ■
Schweißlnfi 17.
Bpermin 436.
Sycosis parasitaria 379. V
Schweiükaren 371-
Spindelzellenaarkom 288.
Sykosis 568. ■
Schwerbörigkeit 451.
SpiritnsTerbilnde, Technik der
Sympathiknaresektion 80. 1
Schwimmen 221.
2ö.
Sypblli» 56. 75. 177, 374, 377, ■
Sehwimnihautbildting 134.
Spitzenkatarrhe, tuberkalöte 54.
552. 583, 590. ■
Schwindel Ö8, 451, 454.
Splancbnikndarterioaklerose
Syphilis den Labyrinths 467. ■
SchwilikftBteii 867.
215.
Syphilia b. Lues. ^t
^f^638^^^^^^HH
Index,
^^^■H
«yringobnlbi 157.
TonogHBum snprarenale Richter
Typbus, Prophylaxe des 10. V
8yrio(roiuyelie 118, löti.
70. 437.
Typbus, Scbutziuiptaug gtgm ■
SyriDgomvflio , buIhKre Sym-
Tonus 8. Psychomechanik.
■
ptome b*i 118.
ToDnslabyrinth 447.
Typhos, Therapie dea 12. ^^H
.SvringoroycHe, hulbärer Typn«
Toxikosen, endogene 111.
Typhns, Vorhersage d«fl lOS^^H
der 157.
Toxine 8. Blatgifte.
Typhns, Wasserbehandlnng ^^^H
-SyKygium jamholanum 187.
Trachom 72, 262, 568.
13. ^^M
Trinenträuffln , einsi-itigea 76.
Typhns s. Abdominaltyphas. ■
T.
Tragbahren , AalhängoDg der
Typhnsdtagnostikum. Ficxn- ■
333.
tiehes 7. ■
Tabes 73, 176. 610.
Traubenzucker 531.
Typhusaeruui 535. M
Tabes. UulWire 1.^)2.
TraubeuKuekertitration 602.
Tyrosin 21. 1
Tabes dor»ali8 120. 152, 460.
Trepanation der »"Sklera 240.
^^^H
Tabes dorsalis, balbär« Sym-
Triacid 173.
^^1
' ptome bei 118.
Tribadie 182-
Tabak 453.
Trichinen 113.
Überanstrengung 427- V
Tachykardie 78, 140.
Trichophytie 475, 568.
Ulcera gangraenosa 623 ^^B
Tachykar'lie. paroxysmale 856.
Trichterbmst 134.
Ulcus corneae 307. ^^^|
Tannin 190.
Trieb 480.
Ulcus roolle 273. 623. ^H
Tapioka öS2.
Trigemio 70.
Ulcus rodeuB 262 ^^|
Tapotement 611.
TrigeminaaanäatheBie 117, 120.
Ulcus Serpens 262, ^^H
Taraeper Kur 215.
Trinker 43.
Ulcus ventriculi 19. ^^H
Taubheit 453.
Trinker. Volks he ilatütten !ür43.
Uuauliuerksamkeit 406. ^^^|
Tiiobhuitsgeliihl 67.
Trinkkuren 418.
Untailhysteriker 44. ^^H
TiiunielDdiT Gang 445.
Trinksacht 320.
UnfallDuurosen 43. ^^^|
TAVF.Lsehes Serum 536.
Trisrans 162, 598.
Unguentnm Ored6 307. ^^B
T*?erpräparate 31, 199.
Tropakokain 380
Unguentum fiulturatum mite 599. 1
Teleangiektasien 568.
Tropendy«pnt(^rie 187.
Universal-Vihrator 614. 1
1 TcndovaginitiR 584.
Tropenruhr 189.
UHNAäche grünr Salbe 384. ■
TerpentiniDiektionen 530.
Tropfnarkose 170.
UMMAScho Spickmethode 383. 1
TerpentiaÖlUäiDpfe , Inhalation
Trophüneurosc 6.
Unorientiertbeit 406. ■
, von 13.
Tropische Splenomegalie 275.
Unruhe, motorische 411. ^^fl
fe Ttrrainkuren 315.
TxDMKüKKScbes anorganisches
Unterernährung 620. ^^H
f Tetanua 5, 203.
Serum (i1.
UnterkieferklonuB 129. ^^H
Tetanusantitoiin 698.
Trnnkaueht 44.
UnterschenkelgeschwÜre 75. 1
TnüiMHARDTSChe» Kindermehl
Trypanosomenkrankheit de»
Unzuchtverbrecben an Kindarn m
582.
Menschen 276. 606.
^^M
Theobrorain 61.
Trypsin 258.
Urämie 202. 305. ^^1
Theobrominpr-Iparate 18.
TsRtsek rankheit der Tiere 276,
UrÜmische Krumpfe 199. ^
ThcociD 698.
Tuberkulin 383, 385.
Uranisnms 236. ^^M
1 Theocin-natrinm acetlcam ö99.
TuberkuUnbchandiung 376.
UrantOsung 474. ^^H
Thermalwässcr 554.
Tnberkal<)5e Spitzenkatarrbe 54,
Uranoxydltisung 475. I^^H
TiUKKscHHche Tran 6 plantat ton
Tuberkulose 22 , 72, 346, 364,
Urethritiden, postgonorrhoisch«
382.
409, 475, 509. 589. 617.
623.
Thiokol 'Mij.
Tuberkulose der Gelenke 568,
Urotropin 248. 258, 474, 606.
1 ThioUn 377, 699.
Tuberkulose des Kehlkopfs 472.
Uteruö. Atmokausis des 526.
Thioainamin 221, 599.
TuUerkalose des Labyrinths 458.
Uterus, Corettajre des 5:^3.
ThoraxeinJtchllMe 431.
Ttiberknäose des Larynx hQ8.
Uterus, Ecouvillouage 523.
Thrombophlebitis 172, 513, 527.
Tuberkulose, lokale 26.
Uterns, Vaporisation des 526.
Thrombose 69, 96.
Tuberkulose der Lungen 258,
Utern.-*lihroia 568-
^_ Thymol 583.
568.
Uternsgangrän, puerperale 541.
^H Thyiuolbenzoeaäiirc .'i3.
Taberkulose der Milz 426, 477.
Uternshöhle, Auütastnng der
^H Thymus, Vergrüßerung der 77.
Turnen 314.
525.
^H Thyreoidbehandlnng 385.
Tassis coDToUiva 454.
Uterusmyorae 541, 568.
^m Thyreoidsernm 33.
Tynipaoie 450-
Uterusruptur 541. ^J
H Tic 50<}.
Typlidüe Geschwüre 19.
UterusspUlnngeo 521. ^^H
^H TinktioDsmetbodtm 173.
Typhoin. pKTanscuKTscbeB 13.
Uveitis 257. ^H
H Tischlerei 32].
Typhas 1, 124, 418, 453, 464,
UTiol 378. ^H
^M Titriermethoden 600.
509.
^^^M
H Tobsucht 412.
Typhos abdominalis 465.
^M
^B TollkiMohonvergiftoDg 83.
Typhns amlmlatoriusi 6, 11.
^M
^ Tolaidine 113.
Typhas, Ernährungstherapie des
Vaginalduscben 272. ^^H
L Toluolwaäser 21.
13.
Vaginitia 519. ^^1
^H Tolnylendiamin 112.
Typhus, hämorrhagischer 4.
Vaginitis gonorrhoica 54. ^^H
^H Tonerde, essigsaure 418.
TyphnK, Krankenhausprophyl.axe
ValerdiUthylaraid 74. ■
^H ToDogen snprarenale Richter 437,
des 10.
Valeriana 35, 4;^0, 587. ^^
Index.
639
Validol Ö87, 609.
Valyl 420, 687.
VariBeUen 158.
Vaselin 71, 465.
Vasenol 27.
VasomotoriBche Störungen 57.
Yasoparalyse 93.
Veloaan 609.
Venen erweiternng 274.
Venenresektion 543.
Ventrikel , Hypertrophie des
Unken 67.
Verbandmittel 54.
Verbigeration 299.
Verblödung 296.
Verblödangsprozesae , juvenile
297.
Verbrennungen 27.
Verbrennnngsnarben 699.
Vereisung 386.
Vergütungen 54, 118, 159.
Verletzte, erste Versorgung von
662.
Verletzungen, tranmatiscbe 90.
Veronal 609.
Verrücktheit , hypochondrische
408.
Verschorfen mit heifier Luft
376.
Verstauchungen 26.
Verstopinng 36, 589.
Verstümmelte Erwachsene 43.
Vertigo 148.
Verunglückte und Verletzte,
Transport der 338.
Verwirrtheit 163, 296.
Vibrationsapparate 611.
Vibrationagelühl 610.
Vibrationsgefübt der Haut 610.
Vibrationsmasaage 611.
Vibratoren 612.
ViDALSche Skarifikationen 388.
Viehstand, Besorgung des 321.
Vierte Krankheit 222.
Viferral 616.
Visceralneuralgien 42.
Visceralptosis 33, 616.
Volksheilstätten 43-
Vollbad, warmes 423.
VoLTHKBS Buttermilch 581.
Volumetrie 600.
Vulvitis 519.
Vulvovaginitis 623.
W.
Wachsein 498.
Wagnerarbeiten 321.
Wahnentwicklung 297.
Wahnidee 406.
Wandermilz 427, 434.
Wanderniere 618.
Wandertrieb , krankhafter 183.
Warmblüterherz, Alkoholeinlluß
an! das 24.
Warzen 568.
Warzenlortsatz , Verschlnfi de«
467.
Wasserkisflen 13.
Wasserstoffsuperoxyd 623.
Wassersucht 35.
Wehenbeförderung 4, 167.
Weiehparaffin 466.
Werk- und Pflegestätten 46.
Wille, immanenter und trans-
zendenter 482.
Willensakt. bewußter 491.
WiUensakte 498.
Willensgymnaatik 506.
Willensschwäche, k rankhafte 43.
WiTTBS Pepton 19.
Wochenbetlfieber 508.
Wöchnerinnenasyle 519.
Wollen, Insuffieienz des 406.
WoUnsterregnng 238.
Wortgedftchtnis 483.
Wnk 248.
Wnndbehandluag 74.
Wunden, Nähen von 380.
Wundlaufen 26.
Wnndreiten 26.
Wnndstrenpulvet 115, 272.
Wurmfortsatz, akute Xätemng
innerhalb des 37.
Wnrmfortsatzerkranknngen 35.
Wurstvergiftung 159.
Yohimbin s. Jobimbin.
Z.
Zähneknirschen 162.
Zahnkaries 22.
Zahnschmerzen 70.
Zahnwasser 272.
ZeUentheorie 438.
Zentrifugalvibratoren 613.
Zerstreuung 309.
Zinnkraut 211.
Zirkulationsstörungen 609.
Zitronensäure 16.
Zitterhelm 611.
ZItterstnhl 611.
Zökalblähung 422.
Zorn 404. '''
Zunge , atrophische Lähmung
der 116.
Zwangslachen 155.
Zwangsvorstellungen 44, 182.
Zwangsweinen 158.
Zwerchfellhernien 431.
Zwerchtellkrampf, klonischer
587.
Zwittertum beim Henschen 236.
Zyanose 18, 57, 59, 205.
Zyanose, chronische 476.
Zyanose der Haut 476.
Zysten, parasitäre 426.
Zysten, seröse 425.
^
Draek von OottUeb Olttel * Clc, Wien, III., UUiubum G.
LANE MEDICAL LIBRARY
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H125 Eulenburg, A.
ES8 tocyclopädische Jahr-
y>4 bücher. 70631
190C
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