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Full text of "Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften mit Einschluss ihrer Anwendungen"

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ENCYKLOPÄDIE 


DER 


MATHEMATISCHEN 
WISSENSCHAFTEN 


MIT EINSCHLUSS IHRER ANWENDUNGEN 





SECHSTER BAND: 


GEODÄSIE, GEOPHYSIK 
UND ASTRONOMIE 




















ENCYKLOPÄDIE 


MATHEMATISCHEN 
WISSENSCHAFTEN 


MIT EINSCHLUSS IHRER ANWENDUNGEN 


- DES SECHSTEN BANDES ZWEITER TEIL 


ASTRONOMIE 


REDIGIERT VON 


K. SCHWARZSCHILD 7 (1904-1916) 
UND 
S. OPPENHEIM IN WIEN 


ERSTE HÄLFTE 


& 


LEIPZIG 
VERLAG UND DRUCK VON B.G. TEUBNER 
1905 — 1923 


MATH-STAT. 


ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN 


fi ‘ 
Be ud 


Vorrede zum sechsten Bande, 2. Teil, 1. Hälfte. 


Hiermit erscheint die erste Hälfte des der Astronomie gewid- 
meten Bandes der Enceyklopädie. Sie enthält die ganze sphärische 
Astronomie und einen großen Teil der Mechanik des Himmels. — 
Fast 18 Jahre, von 1905—1923, hat die Vollendung des Werkes in 
Anspruch genommen. Zuerst hat Professor Lehmann-Filhes das müh- 
same Geschäft übernommen, die ganze Disposition zu entwerfen und 
die Kräfte für die Abfassung der einzelnen Artikel zu gewinnen. 
Aber kaum war ihm diese Aufgabe geglückt, so verlor er Lust und 
Liebe an ihrer weiteren Durchführung, und es übernahm Professor 
Karl Schwarzschild die Redaktion. ‚.Er änderte an dem ihm von 


Lehmann-Filhes übergebenen Arbeitsplan und der Besetzung der ein- 


zelnen Artikel nur wenig. Leider starb Karl Schwarzschild im Jahre 
1916 an einer Krankheit, die er sich im Kriege zugezogen hatte. 
Dieser Unglücksfall sowie der Krieg selbst hemmten die Fortsetzung 
sehr. Nicht nur weil die Artikel spärlicher einliefen, sondern weil 
auch inzwischen manche Mitarbeiter abfielen und neue gesucht wer- 
den mußten. | 

Wenn trotzdem nunmehr die erste Hälfte des Bandes vollendet 
vorliegt und begründete Hoffnung vorhanden ist, daß die zweite 
Hälfte, die die weiteren Gebiete der Mechanik des Himmels sowie 
die Stellarastronomie und Astrophysik enthalten soll, in nicht gar 
zu langer Zeit nachfolgen dürfte, so gebührt der größte Dank hier- 
für vor allem allen älteren und den neu gewonnenen Mitarbeitern. 
Ist doch dieser Dank in Verbindung mit der Förderung der Wissen- 
schaft, die in dem Erscheinen des Werkes liegt, fast der einzige Lohn, 
den sie für ihre schwierige Mühewaltung erhalten. Doch auch des 
Verlages B. 6. Teubner sei an dieser Stelle für sein stets bereitwilliges 
Entgegenkommen mit warmem Danke gedacht. 


Wien, Oktober 1923. S. Oppenheim. 


: M794659 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


A. Sphärische Astronomie. 


1. Über Koordinaten und Zeit. Von E. Anpıng in Gotha. 


. Prinzip einer mechanischen Bestimmung des Bezugsystems 

. Rein empirische Systeme. .. ... 

. Rein mechanische Systeme, Konstruktion derselben . 

. Das gemischte System der Planetenastronomie . . . 2.2... 

. Ergänzung der dritten Komponente. Mechanische Bestimmung der Prä- 
zessionskonstante 


pP$pomw- 


DO SR El Re RN SE N Va NA Re, MENZ WE IR SEn Yacrse EERe. 60 ARE KOCH DON 


(Abgeschlossen im Mai 1905.) 


2. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. (Sphärische 
Astronomie im engeren Sinne.) Von Frırz Corn 7. 


1. Aufgabe der sphärischen Astronomie . . 2... 2.2... 
2. Definition der üblichen Koordinatensysteme und der Zeit; erste Formu- 
DE ea ee ee 
-3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit. Prinzip 
er Merisianbeohachlungen. . 2 cn: 3.2 ee ET 
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen . ... . . Bee; 
5. Kritische Untersuchungen der Voraussetzungen. . .. 2.2: 2.2.2... 
5a. Änderungen der Visierrichtung. (Parallaxe, Refraktion und Aberration.) 
5b. Änderung des Koordinatensystems. Präzession, Nutation, Bewegung 
des Eirdppie :: . zut%: 21a no en SEIN EEE BI UN 2 
5c. Rotationsgeschwindigkeit, Konstanz des Zeitmaßes !. . ...: 2... 
6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit...» 2.2.2... ; 
7. Reduktion der scheinbaren Sternörter in mittlere...» 2.2.2... 
7a. .Perallaxe und Abamabon , 0.0 0 0 u 0 0 ae ebene 
TD. TIREBRMEOD ORG SROBBMOM .. 0, 0 0% nee ee 
7c. Zusammenfassung der verschiedenen Reduktionen der Beobachtungs- 
größen auf ein mittleres Äquinoktium. .. . 2.2 ne. nenn 
8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen; Sternkataloge und 
Juhrhlichber.:i: . ‚ustlaüie DR ER II 
9. Die Bestimmung. der Entfernungen der Gestime . . . .» 22.2... 
Er rer re RE SE ERERFE 
9b. DIE Bonne  . ; .. . sun rt IE EERE; ae, 
00,216 Fixsterne :.,:,.5:%. 8.2008 ae. % 


(Abgeschlossen im Juni 1905.) 


3. Geographische Ortsbestimmung, nautische Astronomie. Von 
C. W. Wirtz in Kiel. 
1. Einleitung. Begrenzung des Themas . ...... 2:2... 


2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge... .. 2.2.2... 
3. Einfluß der Erdfigur bei Ortsbestimmungen 


Seite 


.@ mw 


17 
18 
21 


30 
31 


32 
44 
47 
48 
59 


64 


83 


85 


1900 — 


36. 
37. 


38. 
. Instrumente zur Bestimmung und Elimination der Kimmtiefe. ... . . 
40, 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


I. Zeitbestimmung. 
A. Durch Höhen. 


= Emie einzelne Höhe 2 7, 5, 2.227052, 

. Die Methode der korrespondierenden Höhen a 
. Gleiche Höhen verschiedener Gestime . . . . 2... BE 22:37: 
#Eine Höhsndinerase 2 2, Fan NER, 


Be ee 2 BED ER, 
. Im: Vertikal. des Polarstemes: . . . . .. ......-. EHE FIR IRERER 
. In beliöbigem Azimut; Olberssches Verfahren. . za 
Ne EDS OENB EEE Be 
EEE en an nenn BEL TE 
Ama, Höhep-und Zeitdütferenz:- . ... 2... 2 200.2 ee 


2 Mertidiannhöhe =>, ne. ee a ER re, ? 
. Zirkummeridianhöhe . . ..... DE se a rei Br RE RE 
2Fo1aMshöhe:.. 2... 00. a H erel. Ir gEr, 

. Zweihöhenproblem, Spezialfälle und verwandte Aufgaben. ERCRTENNG 13% 
eOauBsche Methode 2 Re a af Mara in: 
= Dear Höhen: 2 cn er, ee re HERE TEE 


. Durchgänge durch den Ersten Vertikal... . 2.2222 0.. 
SE es a RE ER Te 
ee EEE a 

. Instrumente zur Beobachtung gleicher Höhen... ...... ul 

« Photographische Methoden .. . . . u... :... 


III. Längenbestimmung. 
A. Durch gleichzeitige Signale. 


. Mondfinsternisse, Verfinsterungen der Jupitersatelliten . ....... 
BREITE ans wur erweinila ER 
SER RB ee en a a el. 


Obrongmetarrelen en TE 
u ee er a a ee a ren Pe 


C. Auf den Mondort gegründete Methoden. 


EEREEBEOE ee R 
EIERN ei ERRIRIA  UTERIE 
ERROR RE er BEN ERE T, 
. Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse . . . » 2 2: 2 2 2 nn nen 
. Verwandte Okkultationsphänomene. . . . 2. 2 2 2 2 2 m nn. er 


IV. Azimutbestimmungen. 


Alsesneinae Weg. „ir a RATTE ER EBREN 
EEE RBB ne 002 n ne E RRROUNT 


V. Nautische Astronomie. 
Die Kımm ünd: ihr Verhalten... 408. sa. else 


Begriff der Standlinie und ihre Festlegung . . . . . 2 22 2 220. 


vil 


114 
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118 
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121 
123 
124 
132 
136 


VIH [nhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


41. Zweihöhenproblem nach der Standlinienmethode . .. .2...... 
42. Drei oder mehr Standlinien, Dreihöhenproblem . .. . . 222.2... 
48. Standlinie für eine Höhendifferenz . . ..... 2. nn 2... 
44. Berechnung der Höhe, Höhentafeln. ......: 2.2. 2. 0 2... 
45. Gebrauch der Merkatorfunktion . .. 2.2. 222 02. I 
BE Dimuiine . ea nlen e 

47. Ortsbestimmung mit Hilfe der erdmagnetischen Elemente i 

48. Aöronautische Astronomie... ». 2... 2 2.2... : 


VI. Anhang. 


49. Die sphärischen Grundformeln der geographischen Ortsbestimmung . . 
DIE VE Ahlerabar . 2:5 een Re a ea da carte 
(Abgeschlossen im Oktober 1904.) 


4. Theorie der Uhren. Von C. Ev. Casparı in Paris. 


FRI ae ee ee ar. 
a RR N re 
Bommemsnlionapendel ...... . sun nn u STE URN, 
. Isochronismus der Chronometerspiralen . . . 2. 2. 2 2 nn 2 nn. 
FRomponsbonenuhen 2 EN 
nn ER Er 

ZERREGOROR GO Landes =»... vn... en EN 
Dalunzen der Chronomeier . . . ...-....: 0 er FO 
asterwerk und Triebwerk . , 5121.78 SE DEREN 
SO EEEGberEBgUNE a. ee a RR 
11. Gangformeln . ...... Ve a WS a RE TE 
12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. . . ...: 2.22 22.0. 


(Abgeschlossen im April 1905.) 


eormnupwmrm 


5. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente, der 
Beobachtungsmethoden und ihrer Fehler. Von Frırz Conn f. 


1. Idee eines Universalinstruments zur astronomischen Ortsbestimmung . 
2. Die Durchführung der Idee in der Praxis; Beschreibung des Beobach- 
nk han Na ER er ER re BEER Auer U De a 
3. Die Hilfsinstrumente, ihre Einrichtung und die Auswertung ihrer Skalen 
a) Die Mikrometerschraube und das Ablesemikroskop . ..... . 
b) Die Teilungen von Maßstäben (Skalen) und Kreisen ...... 
6)-DW Uhr und der ORSNcHBDR Sr asus. 
d) Die meteorologischen Instrumente . .. 2... 222.2 200 
4. Die eigentlichen Instrumente der exakten astronomischen Ortsbestim- 
mung: A. Der Mesidisakrens 2°, 2,0220 2 eleriniene 
Die Bestimmung der Rektaszension. .. ......- Merken :ta 
Die Bestimmung der’Deklination. .. ..., . ums 
B.: Der Refkakter  . . wide ee er 
Beobachtungen bei ruhendem Fernrohr ........ RN 
Beobachtungen bei bewegtem Fernrohr . .. ..» 2.2... 
* Beobachtungen mit Hilfe der Photographie .. ........ 
Das Beliomele 5 2, . sure. 

5. Die Fehler der Instrumente und ihre Bestimmung: 
Geometrische Fehlerquellen . . .. 222220... Fazer 
A. Instrumentalfehler des Meridiankreises . ...: 2:2... 
B. Instrumentalfehler des Refraktors. . . - .» 2.2... a 
Physikalische Fehlerguellen .. ..... 2... 2. m. en. 


6. Die persönlichen Fehler bei astronomischen Beobachtungen er 
a) Fehler in der Auffassung des Zeitmoments einer Erscheinung . . 
b) Fehler beim Pointieren eines Objekts mit einem Faden. . 


196 


197 
201 
201 
205 
208 
209 


210 
211 
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222 
223 
224 
225 
230 


233 
234 
243 
245 
249 
251 
262 


7 Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen . ........ 
8) Meridianbeobachtungen . .......... 0.000 ne 
b) Visuelle Refraktorbeobachtungen . .... 2: 2.2... 00. 
c) Die Leistungsfähigkeit des Heliometers . ... 2.2.2.2... 
d) Photographische Beobachtungen . . ..... 2.2... 0. 
e), Die Taleott-Horrebow-Methode . ". . -.... 2.2.0.2... 
8 Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes und das Ineinandergreifen der ver- 
schiedenen Instrumente und Beobachtungsmethoden . . ..  . 2... 
a) Die Kooperation zur Bestimmung der Sonnenparallaxe aus Beobach- 
tungen kleiner Planeten .......... Me De ee 
b) Die Bestimmung der Fixsternparallaxen. .... 2.22... 
(Abgeschlossen im Sommer 1907.) 
6. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. (Re- 
fraktion und Extinktion.) Von A. BEmPporAD in Catania. 
1. Allgemeines über die Wirkungen der atmosphärischen Luft auf die 
Lichtstrahlen und ihre mathematische Darstellung. .. ....... 
I. Physikalische Erfahrungstatsachen. 
2. Abhängigkeit des Brechungsindex bzw. der Absorptionskonstante von 
G0r LartlenchiigkBlEr GE nn TEE re aan 
3. Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck und Höhe 
über dem Meeresniveau. . . "...... a ea ee ie 
4. Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate .... . 
II. Physikalische Hypothesen. 
5. Kritische Besprechung der Hypothesen über die Konstitution der At- 
en ae u 1 ae BE DES TE PB a a a 
6. Schlußbetrachtung über die Leistungen der bis jetzt aufgestellten Hy- 
DAkSNeR. - Diunanches VOrkRbran., .:.. „u.a wie einen 
III. Theorie der Refraktion. 
7. Aufstellung des Refraktionsintegrals . . .. : . 2 2 2 2 20 ne 0. 
8. Refraktionsformeln nach den Hypothesen von Cassini und von Mayer. 
Bradleysche und Simpsonsche Formel . . . 2... 2 2 2 22 2 2 0 0. 
DEE IDEEN EHE en een aan 
10. Entwicklung des Refraktionsintegrals bei der Besselschen ‚Theorie . . 
11. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Schmidtsche Theorie . 
12. Vergleichstabelle der nach den wichtigsten Theorien berechneten Werte 
ee a le 
IV. Theorie der Extinktion. 
13. Aufstellung des Extinktionsintegrals . . ..... 2 2 nee 2 0. 
14. Entwicklung des Extinktionsintegrals unter Annahme konstanter Dich- 
tigkeit oder konstanter Temperatur. Lambert- und Bouguersche Formel 
18. Lapissosche Rztinklionsformel. . es aan. een. 
16. Strengere Behandlung der Extinktionstheorie bei der Annahme einer 
gleichförmigen Temperaturabnahme mit der Höhe von Bemporad. . . 
17. Vergleichende Übersicht der verschiedenen Extinktionstheorien.. . . . 
20: DES SORtaklElgDe Erstisklion 4 ET N 
19. DIE WERE: ABS HOR ee a N nern. 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


(Abgeschlossen im Dezember 1907.) 


294 


297 
299 


301 


313 


314 


317 
319 
320 
323 


325 


> 0m 


IOH0 


Qu Ppuomm 


up>wm m 


. Einteilung der Finsternisse 


. Der lokale Verlauf der Finsternis . DE 
. Anwendung der Sonnenfinsternisse. Tafeln. . 
. Die Perioden der Sonnenfinsternisse 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


7. Theorie der Finsternisse. Von F. K. Ginzeu in Berlin und 


A. WILkens in Breslau. 


er er N a 


A. Sonnenfinsternisse. 


Re re a 


b) Die östliche und westliche Grenzkurve 
c) Die nördliche und südliche Grenzkurve 
d) Kurven sonstiger spezieller Phasen . 


WERTEN Te 
a EI act We 

re Er 
. ae, EN 


B. Mondfinsternisse. 


Seite 


338 


. Kriterium für das Zustandekommen einer Sonnenfinsternis überhaupt . 339 
. Die Grundgleichung der Finsternisse 
. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit . . . . ee ee 
a) Die Punkte des Beginns und Endes der Finsternis überhaupt . . 346 


. Kriterum für das Stattfinden einer Mondfinsternis überhaupt. . . . . 360 


verant einer Mondünsternis. . . . . . ...N3:.. 5.5  } | 
. Tafeln zur Bereehnung von Mondfinsternissen. . . . 2: 2 2 2 2 2.02. 361 
C. Andere Finsternisse und Bedeckungen. 
. Sternbedeckung durch den Mond . ... 2.2.22... U |) 
SIHABSLERVOrUHEIEEnDB a EIER 
. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen. . . : 363 
(Abgeschlossen im Dezember 1907.) 

8. Chronologie. Von F.K. GmzEL in Berlin. 
RR: 7 u BE RER Sa BT ne er ET Tr ar 368 
Taganbeginn und "Tageseinlellung: . . cn Dee see 369 
Ba DR A ER ER 369 
SBRRIBSESHEED. ; 2. u A RE nn 370 
DARUE ANTOrtb ÜOBBBLDOR 2. a ne 371 

Mond und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. . ...... 371 
. Besondere Jahrformen und Zyklen. . ... 2.2... Dan, 374 
En EL 2 3 Be ae A HE RE 376 

(Abgeschlossen im Juli 1910.) 
B. Mechanik des Himmels. 
9. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. Von G. Her- 
GLOTZ in Leipzig. 
I. Keplersche Bewegung. 

 KODIOrSCHE TIRBEB . » 2... 75.0.8 nn Da u en. 381 
. Elemente der Bahn. ... . VE ER DR ee EEE 5 381 
. Koordinaten eines Ortes. . . . :..... REDET 382 
. Bestimmüng der wahren Anomalie. ..... „2:22 en 00 384 
. Das Lambertsche Theorem . ...... VIREN ne 387 
. Das Verhalten der Koordinaten im komplexen Gebiete. . 389 


Allgemeines 


N 


PS) 


. Formulierung der Aufgabe ; 
. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen nach der Methode von 


. Allgemeine Formulierung der Aufgabe . . 
. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte e 
. Differentialquotienten der een Koordinaten nach den Ele- 


. Methoden mit: Bevorzugung zweier Orte 


. Masse der Sternschnuppen 
. Durchschnittliche und außergewöhnliche Bahnlängen 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


II. Vorläufige Bahnbestimmung. 
a) Planetenbahnen. 


. Formulierung der Aufgabe ....... 
. Grundgleichungen ’ 
. Herstellung der Ausdrücke (der Dreiecksverhältnisse. Erforderliche Ge- 


näuigkeit ., . .-,. 


LE ae Se Er er 2 93, 


. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse . . 
. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. 
. Methode von Laplace. Satz von Lambert. 

. Bestimmung der Elemente aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten 
. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen 
. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen 
. Bestimmung einer Kreisbahn. .. . . 


wer Be, ua art BE 


wre, WE 
RE a EL ae a a et 


b) Kometenbahnen. 


KR De ER 


w; 0817752 552° 


. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen . 

. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen . 
. Ausnahmefälle.. Methode von Gau . ; 
. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration 


III. Definitive Bahnbestimmung. 


Menten:; = 2. 4 2.10 


(Abgeschlossen im Dezember 1906.) 


10. Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. Von 
P. von NiIEssL 7. 


1. Ermittlung der Radianten und der geozentrischen 6e- 
schwindigkeit. 


. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten . . 
a) Bestimmung der geographischen Koordinaten und der Höhe des 
En a 
b) Bestimmung des scheinbaren Radiationspunktes er 
c) Lage der Bahn gegen die Erde. Bahnlänge. Höhe des Aufleuchtens 
d) Geozentrische oder relative Geschwindigkeit 


Ne ee ee SER RER 


. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes aus einem Erdorte 


1I. Ableitung der Bahn im Sonnensystem . 


III. Beobachtungs- und Rechnungsergebnisse aus Meteor- 
beobachtungen. 


. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und Rechnungsergebnisse . 
. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung und ihre 


Beziehung zu anderen Faktoren . 


(Abgeschlossen im November 1907.) 


XI 


Seite 


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391 


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44 


450 


452 
459 
460 


x 


> DD m 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


li. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. Von 
J. v. HEPPERGER in Wien. 


SBesbachtung von Doppelsternen . . . . . 2... 2. var Ba, 
. Einleitung zur Bahnbestimmung. ... . . Sn a ie ar 
. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne . . . . . 2.222 2 020. 


a Doasutsımg Einselner Öse. Sansa ae 
b) Benutzung der vollständigen scheinbaren Ellipse. ... 2.2... 
REN REREREREREN RT BE 
d) Bemerkungen über die bekannten Doppelsternbahnen. .. . . . 


. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne . ....... 
. Einige Ergebnisse der Beobachtung und der Bahnbestimmung spektro- 


skopischer Doppelsterne (von H. Ludendorff in Potsdam)... .... 


. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne 
. Bahnbestimmung der Batelien an usa 


(Abgeschlossen im Dezember 1910.) 


12. Prinzipien der Störungstheorie und allgemeine Theorie der 
Bahnkurven in dynamischen Problemen. Von E. T. Wnır- 
TAKER in Dublin (übersetzt von A. HAAR in Zürich). 


En RE ea 


L; 


[onPpwmw 


10. 
+%; 


12. 
13. 


se@maunmwm 


je 


Reduktion der Differentialgleichungen des allgemeinen Dreikörper- 
7 2, LER E R  ie Noa 
Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörperproblems . 


. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems . ... 2 2.2.. 
. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen . .. . 2... 
. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie . . ... 222.2... 
. Spezielle periodische Lösungen SER A ehr ua ee ee 
. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der benach- 


BO RER 2:5 5 Se RR ER ee ae 


. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der Bewe- 


guns Ar große Warte der Zuib , „ur. 2 nn 


. Die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen. Die 


Kisersn Unksrsuchunien. „2... 0 a it. 
Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen 

Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der Glieder wach- 
RE CHEN ARE: EROEO 2 ne en a ee ee an", 
Die Konvergenz der Reihen für Himmelsmechanik ..... 2... 
Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den Reihen der 
Hinmelsmschauik . zu sen. 

(Abgeschlossen im März 1912.) 


13. Entwicklung der Störungsfunktion. Von H. v. ZEIPEL in 
Upsala. 


. Allgemeines über die Störungsfunktion und ihre Ableitungen 


I. Kreisbahnen in einer Ebene. 


. Koeffizienten b{R.von ‚Laplace ... nie sis en: 
. Reihenentwicklungen GE O0 00 
 ItogtnlansärBckö der Di ann ns ae, 
. Ältere Berechnungsmethoden EEE KEG EBEG NN, 


Male on Be 4a see Hal ABA a EL 


# Koelisienten Von TRBeBY ... . u: 2 RTL 
 Koefhzionten von. Uylden . . » » = zu. 2. EEE, 
+ Koefüsienten von. Radar: ii sy en 
FORBIOR 070.0 Re we HOP RER MER 6 


Seite 
465 
470 
474 
474 
478 
483 
483 
486 


493 


498 
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546 
549 


553 


576 


21. 
22. 
23. 
24. 
25. 
26. U 
. Zweiter Teil der Störungsfunktion . .... . I AN R i 
28. 


29. 
30. 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


II. Kreisbahnen in geneigten Ebenen. 


. Koeffizienten bö3 von Jacobi... . . EEE BEER 

. Integralausdrücke derselben... .. 22.222... 

. Rekursionsformeln von Jacobi . EEE, 

. Entwicklungen bei kleiner Neigung . .. ...... 

. Entwicklungen von Tisserand .. ... .. 

. Entwicklungen von Hansen... . . a ne ne 
. Andere Entwicklungen von Hansen. .... ..:2.. 2 222. 
. Appells hypergeometrische Bari 

s Forlsbtzung 4: zes nd £ ; 


III. Entwicklung nach Potenzen von e und e'. 


Methode: von Levertier .... #24... +... Bi el Ar 
Methode von Newcomb . . .... 2... ... ag ah ae 
Enbwicklangen an Banehy. 7... 42.142.423: 40 ae 
Entwicklung von Gylden ....... mr RER ne 
BEWERTE VO BIN, 5: 0 rn 2er ne re 
Gruppenentwicklung von Bohlin. ... . ... 


Kanonische Blomente  7,6...% 2... 0.0, 7,54. ee a es 


IV. Entwicklung nach Potenzen des Verhältnisses der großen 
Achsen. 


Koeffizienten X5’’ von Hansen . ......... 
Störungsfunktion der Mondtheorie . 


V. Konvergenz der Entwicklungen. 


31. Formulierung der ersten Aufgabe ....... 

32. Integralausdrücke der Koeffizienten, . . Be 

33. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale EEE AR 

ln. RE TR ; 

35. Konvergenz der Entwicklungen für. 4, m’ "und Be 

36. Konvergenz der Entwicklungen für de z’ und Bi, 

37. Formulierung der zweiten Aufgabe. . . . . 2 2 2 2 2.0. BG 

88. Konvergenz der Entwicklung von A! ... 2.22 2 2 2 2 2 2. 

VI. Allgemeine Theorie der Rekursionsformeln und Differential- 
gleichungen. 

39. Formulierung der Aufgabe ........ ee 

40. Reduktion einiger Doppelintegrale. . . 

41. Reduktionsformeln und Differentialgleichungen mit rationalen Koeff- 
 ERRETT N E EEN 

42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen 
mit eindeutigen Koeffizienten .. ... 22.1. en. ne nn 

VII. Numerische Entwicklungsmethoden. 

43. Unzulänglichkeit der analytischen Entwicklungen . . . . 22.2... 

44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren... . . 

45. Zweiter Teil der Störungsfunktion . .. . . 2.2.2.2... Tr 

46. Entwicklungsmethode von Jacobi ... . .. 22.202 sen nen 

47, Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwicklungen durch 
TREORBERIERR VRR ee a a RR FERN 

48: Maltiode: son Baiduille in. an air Es ET 

49. Trigonometrische Interpolationsmethode von Leverrier ........ 

00: Uauchys, gemischte Mathode.. . .... en Sr. Ni 


699 
601 


602 
602 
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607 


607 
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611 


614 


616 


XIV Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


59. 


60. 


je 


Mu 


Homann 


. Entwicklung von Hansen . . .... I ERTIEIET 
„ltminsllon von Ei, en, ae 

. Anwendung der elliptischen Funktionen 

. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. 


VIII. Asymptotische Ausdrücke für Funktionen großer Zahlen. 


. Formulierung der Aufgabe . . .. . 2.2... RE, 
- Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten . . . . . . . 
. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale. . 

. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Integrale. 


IX. Asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten der Entwick- 
lungen der Störungsfunktion. 

Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der mitt- 
leren Anomalie des einen Planeten. . . . 2.22... 
Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der beiden 
mittleren Anomalien . . EN Nr, 

a) Methoden von Cauchy und Hamy. 

b) Methode von Poincare6. ; s 

c) Methode von Feraud. ...... 

(Abgeschlossen im Mai 1912) 


14. Theorie des Erdmondes. Von Ernest W. Brown in New 
Haven. Übersetzt und mit einigen Zusätzen versehen von 
A. v. Brunn in Danzig. 


„Kurzer historischer Überblick , 2... 2 un. 0.2.20, 
. Verhältnis der Mondtheorie zum n- en und zur Planeten- 
PBRETIR En Re EHER USE aA 
I. Das Hauptproblem. 
Die Kiaftefımklidn 2 ce a ee Me 
Die Bewegungsgleichungen . . .... 2.2 2.2 0.. ER 
. Spezielle Differentialgleichungen . . . .. 2.2.2222 .. 
Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. 
Konvergenz und Divergens .. ; . . u 20 Lay 
‚ahermediare Bahnen... s..: 4.0.0. 2.00% 
. Die Entwicklung der Störungsfunktion i 
ne Varalıon dBE Konstanten . nu en. 
. Verschiedene Eigenschaften der Lösung De es 
II. Die Lösungsmethoden. 
. Die geometrischen Methoden . ..... 2... DE IR 
. Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche . 


Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Veränderlicher. 


. Die Variation der willkürlichen Konstanten (Delaunays Theorie) . 
. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. . . . . 
. Mittlere Anomalie und Verhältnis der Entfernung zu einem elliptischen 


Radiusvektor als abhängige Variable. ...... 222222... 


. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. . .. . . . 2% 


III. Planetarische und andere störende Einflüsse. 


‚Behandiungsmetnpaen. . .- - ; » 22. 3.2.» Zwisania 
. Der Einfluß der nichtsphärischen Figur der Erde und des Mondes , 
::Die direkten Planstenstörungen: u uuuu:ci r  e 
. Die indirekten Planetenstörungen . . . . .n. .. Sun in nn 


Seite 


636 
636 
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713 
714 
715 


P»Pom m» 


a © 


24, 
. Bestimmung der Breite . 
26. 
27. 
28. 


29. 
30, 


31. 
32. 
33. 
34. 
35. 


. Die säkularen Beschleunigungen . 
. Störungen zweiter Ordnung . ; 
. Andere mögliche störende Ursachen . . 

. Der gegenwärtige Stand der Mondtheorie 
. Tafeln der Mondbewegung 


. Anwendungsweise der Methode der Störungstheorie 


. Fortsetzung 
A Integration. ; 
. Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation . 

. Säkulare Störungen . . 

. Angenäherte Berechnung "der sükularen Werte der Elemente . 
. Fortsetzung 
. Die säkularen Störungen der kleinen Planeten 

. Säkulare Glieder höheren Grades 

. Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen Störungen i in den 


. Langperiodische Glieder 


. Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen Planeten. Libration 
. Die Methode von Poincare 


. Vorbemerkung . . . EFT NE IR RE 9 
. Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Koordinaten . . . 
. Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instantanen Bahnebene 
. Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahnebene und die 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


Fi Kl TR Sea Bee 


(Abgeschlossen im Juli 1914. 


15. Theorie der Planeten. Von KarLu F. SunpMmAnN in Hel- 
singfors. 


. Numerische Verhältnisse : 

. Die Differentialgleichungen der Bewegung 
. Die erste Annäherung. "Das Zweikörperproblem . 
. Die Störungen ; 


Are ae ef e 
CHE a 7 Re Bar VIE 20a) 


DR HIER HER ErÜEL nC PL Er SEE "WE ae Dr Sr er er Se 


I. Die Methode der Variation der Konstanten. 


Me ee ee 


. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. Differentiaiglei- 
‚chungen PET TOET 


DR Be RT SE BE a ER a er Sr ZnnRe Ser ee ea BSR er Fe WE EEE At Se 


Pe 27 "7 200° 5 eye 1 SP Fe Br 52 2, 


BEL E ee a 


periodischen Gliedern . 


er te en 


a er er et are 


Be a ER en ee, et ee 


ee 


Lage der X-Achse . 


. Die Differentialgleichungen z zur Bestimmung des Radiusvektors und der 


mittleren Anomalie. 
Bestimmung der Funktion w. 


Weitere Ausführung der Methode . . . te N 
Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlicher . . 
Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche . . 


ae ee a a SE N 


III. Koordinatenstörungen. 


Störungen der rechtwinkligen Koordinaten . . 
Störungen der polaren Koordinaten 


Kr ae ie N 


IV. Theorie von Gylden. 
NE nn BER RE a ee 
Differentialgleichungen der Gyld@nschen Koordinaten 
a a ar N 


Entwicklung der Größen P, @ und R. Fundamentale Entwicklung. . 
Diastematische Entwicklung 


Uran AERNE. <a Dre er Er 


N UNE 5 Se TER Re a He 


XV 
Seite 
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789 


XVI Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


36. Einteilung der Glieder ..... 2.2 .2.. SERIE : 

STeinbegrakton. u sa... me ee 

38. Integration der elementaren und 'charakteristischen (Glieder ES 

39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gyldenschen Methode. 
ao Ten Brendel, „Su u. HN a. Ave 


Y. Verschiedene Methoden. 


40. Methode von Backlund ; : :... . . re. ER 

MIDI ROH en en ERBE IE 

42: Angenäherts Störungen .: ..... vn ns, RB SR 
(Abgeschlossen im Februar 1915.) 


16. Die Satelliten. Von Kurr Laves in Chikago (Ill.). 
N EEE RE TEE EN Sarnen 


A. Die empirische Methode (1610—1760). 


4: Desapibereymlam u yo a ne On Da NER IN N 
2. Das Satumsystem . .... RENTE RR ee 


B. Die analytische Methode. 1760 bis zur Gegenwart. 


3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satel- 
m una Nemenkieakungen: .-.. .'. ; 2.4... ann 

4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem ERTEILEN BANN N 

5. Die Auffindung der Satelliten von Uranus, Neptun und Mars . 

6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise. . . 

7. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der 


a ERREGER SEN 
8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der Ringe 
9. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines Satelliten. .... . 
liche Seh ER EEE RER TE RE RER EIER 
11. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten "und Neigungen BE 


12. Die Integrale der Gleichungen für die Spezialsysteme . ER 
ken Sara a ee Pe 
Bye Bainsnaystemn cas. DET 
y) Die Satelliten des Mars, Uranus und Neplaun..:.! sau. 

13. Die säkularen und langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten, 

der Längen, der Perizentren und der mittleren Längen ie 

KIDS SUDIBEnyele aan a a 

ß) Das Saturnsystem . . ri re ee e 

y) Die übrigen Satellitensysteme ee ER 

14. Die kurzperiodischen und die von der Sonne herrührenden Störungen . 

15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme. .. ..... 
(Abgeschlossen im Sommer 1916.) 


17. Bestimmung und Zusammenhang der astronomischen Kon- 
stanten. Von J. BAUSCHINGER in Leipzig. 


Einleitung. 


, Die astronomischen. Konstanten... ZE FE en. een 
.eodälische Konstanten. . „2... , vw 20, 

. Physikalische Konstanten . . ...... ; : 

. Astronomische und physikalische Einheiten... . . 


Povm 


Die Konstanten der Erde und der Erdbewegungen. 


. Die Sonnenparallaxe, trigonometrische Bestimmung . . . ...... 
; Die ‚Aberrstionskoustan® . - . - - 2 „un Bazak 


> ot 


Seite 
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852 


16. EEE 

. Die parallaktische Ungleichheit in der en a RER 
18. z 
19. 
20. 


anpovwm 


je on | 


> 


Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


. Die Zichtgleicdhung 57.665 Haren nen ee 
. Die Mondgleichung in der Erdbewegung. Peg } zwischen Mond- 


masse und Sonnenparällaxe ..... 2... 


. Die Präzessions- und Nutationskonstante . . . .. 2.22 2 nn. 
. Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde 

. Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt . 

. Tropisches und siderisches Jahr . . . . 2... 2.2... 

. Sternzeit und mittlere Zeit . : ....:. 22.2... u 

. Verwendung der Schweremessungen . ..» . 2... 2... 

. Die Erdmasse und ihre Beziehung zur Sonnenparallaxe 


Der Mond. 
De ER ee ee ER 
Die Elemente der Mondbahn .. . RBB LEE WEGE 


Die Störungsglieder der Mondbewegung TREIBEN AS A ER 
Die Mondmee a) NETT ra Hr ins 


Die Planeten. 


. Die Theorien der Sonne und der großen Planeten. .... 22... 
Die Massen der Planeten... SEVEN IE Benno 
. Ableitung der Massen von Merkur, Venus und Erde aus den Säkular- 


WERE = a RER RERIEREEN A Ar 


. Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde . ...... nr 
. Die Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden . . 2.2.2... 
. Die Masse der Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. 


(Abgeschlossen im Sommer 1919.) 


18. Kometen. Von S. OPPENHEIM in Wien. 


‚ Historische Übersicht . . . . : . 2. : 2 22... ch Kankdeisia 
HBlörungen der Komsten.. .. .. nayalwisisinzsuigswnd . > Ser 


Anomalien in den Bewegungen der Kometen . .... 2.2... 


Masse der Bomann eh wa ee: hl 
 Hailakalt der Zeakmeban 123. wies) ei. ae saless 
. Die kosmogonische Stellung der Kometen. . ... 2.222... 0. 


a) Die scheinbare Verteilung der Bahnelemente der Kometen : 
b) Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den Ursprung der Kometen 
c) Die Problemstellung E. Strömgrens . .. ... 2. 222.200. 


. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium ; 
. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien ....... 


(Abgeschlossen im Oktober 1922.) 


18a. Beziehungen zwischen Kometen und Sternschnuppen. Von 
Cunxo HoFFMEISTER in Sonneberg (Thüringen). 


Geschichiliche BESIEBBBIE 3. st. et Fear ne 
. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgen. ....... 
. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhanges .... . 
. Kritik der Lehre vom allgemeinen kometarischen Ursprung der Stern- 


BER. nennen en 


. Regeln für die Untersuchung des Zusammenhanges von Kometen und 


WERE a ee ern 
(Abgeschlossen im Oktober 1922.) 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI2 b 


XVII 
Seite 
855 


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941 
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952 


Xvm Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


AS PpumH 


auspsprwwm 


I19P$PoD- 


19. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen, numerische 
Behandlung besonderer Fälle des Dreikörperproblems. Mehr- 


fache Fixsternsysteme. Von H. SAmTeEr in Berlin. Seite 

. Die speziellen Störungen. Geschichtliches .. . . :» 22.22 2.2. 959 
Allgemeines über die Methode. , . . . ylal sel. 10.0 Serra Snniepenrnie 960 
Dis ainzelusn BRechnungsarien a 3 En ea sen a Fam 962 
Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Geschichtliches. 966 

. Die systematische Behandlung des restringierten Problems... .. . 968 
. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems . . 974 
. Fälle des nicht restringierten Dreikörperproblems . . ....... 988 
. Das Vier- und das Vielkörperproblem . .... 2.2... SENT 


(Abgeschlossen im Dezember 1922.) 


20. Rotation der Himmelskörper, Präzession und Nutation der 
starren Erde. Von J. BAUSCHINGER in Leipzig. 


nisse. Genübichle .. . ea er aaa 996 
Allreanine Theone der Drehung. . . . .. 2.2... u 225585 996 
Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde . . ».. 2.2 2m... 999 
Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte.. .. 2.2.2 22 2... 1008 
Übergang zur astronomischen Praxis. .... 2.2... ee 

. Bestimmung der Präzessionskonstanten . . . . 2.2 2 2 2 m nen 1014 

. Theoretische Behandlungen . . . 2.2.2. vn 22. era rel 

"Polhöhenschwankungen ; 3: u: m vr a eu Dan 1018 


(Abgeschlossen im Mai 1923.) 


20a. Die Libration des Mondes. Von F. Harn in Leipzig. 


. Einleitung, die Cassinischen Gesetze . . . 2... 2 nn een nnd. 1021 
. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. . . ».. 2 222222000. 1023 
. Entwicklung der Variablen als Funktionen der Zeit... .2.... 1025 
. Die Integration der Bewegungsgleichungen . ... 22.2.2... 1029 
. Der Einfluß der Sonnenanziehung . .. wm. 0. en an el 1086 
. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen... ... . 1038 
. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze bei gewissen Formen des 


Trügheitsellipsoids „tes ER ui a 1042 
(Abgeschlossen im Februar 1923.) 


Übersicht 


über die im vorliegenden Bande VI, 2. Teil, 1. Hälfte 
zusammengefaßten Hefte und ihre Ausgabedaten. 


1 
2 

Heft 1. 
28. XL. 1905. 3. 
4 
5 

Heft 2. 


28. III. 1908. 


7 
8 
Heft 3. 
1. IX. 1910. 

9. 

10. 

Heft 4. Ben 
31. V. 1912. | 3 

Heft 5. lg 
14. IE 1913; 1 ; 
Heft 6. [1a. 
16. VI. 1915. \ 15. 
Heft 7. en 
22. VII. 1920. £ 
18. 
18a. 
19. 

Heft 8. 
Oktober 1923. 20, 
20a. 
\ 





A. Sphärische Astronomie. 


. Anpına: Über Koordinaten und Zeit. 
. Conn: Reduktion der astronomischen Beobachtungen (sphä- 


rische Astronomie im engeren Sinne). 
Wırrz: Geographische Ortsbestimmung, nautische Astro- 
nomie. 


. Casparı: Theorie der Uhren. 


. Coun: Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente, 


der Beobachtungsmethoden und ihrer Fehler. 
Bemroran: Besondere Behandlung des Einflusses der Atmo- 
sphäre (Refraktion und Extinktion). 


. Gmzen u. Wırkens: Theorie der Finsternisse. 
. GınzeL: Chronologie. 


B. Mechanik des Himmels. 


Hexerorz: Bahnbestimmung der Planeten und Kometen 
v. NıessL: Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Herrerger: Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 
WuırrArer: Prinzipien der Störungstheorie und allgemeine 
Theorie der Bahnkurven in dynamischen Problemen. 


Zeirer: Entwicklung der Störungsfunktionen. 


Brown: Theorie des Erdmondes. 
SunpmAnn: Theorie der Planeten. 


Laves: Die Satelliten. 
Bauschineer: Bestimmung und Zusammenhang der astrono- 
mischen Konstanten. 


ÖPrrEnHEIM: Kometen. 

Horrueıster: Beziehungen zwischen Kometen und Stern- 
schnuppen. 

Sauter: Spezielle Störungen der Planeten und Kometen, 
numerische Behandlung besonderer Fälle des Dreikörper- 
problems. Mehrfache Fixsternsysteme. 

Bauscuinger: Rotation der Himmelskörper, Präzession und 
Nutation der starren Erde. 

Harn: Die Libration des Mondes. 

Vorrede zum sechsten Bande, 2 Teil, 1. Hälfte. 

Register zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 

Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte. 


b* 


SRIRR N 2 

SER yniheilsen 

ET EREI TERN IHR 
EHE 


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TER ; 








A. SPHÄRISCHE ASTRONOMIE. 


Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 3 





























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VI2,1. ÜBER KOORDINATEN UND ZEIT. 


Von 
E. ANDING 


IN MÜNCHEN. 


Inhaltsübersicht. 


1. Prinzip einer mechanischen Bestimmung des Bezugssystems. 

2. Rein empirische Systeme. 

3. Rein mechanische Systeme. Konstruktion derselben. 

4. Das gemischte System der Planeten-Astronomie. 

5. Ergänzung der dritten Komponente. Mechanische Bestimmung der Prä- 
zessionskonstante. 


Literatur vgl. Encyklopädie IV 1, Voss: „Die Prinzipien der rationellen 
Mechanik“, Nr. 13—17. 


l. Prinzip einer mechanischen Bestimmung des Bezugssystems. 
Die neuere Physik hat die Frage nach dem Bezugssystem des Träg- 
heitsgesetzes aufgeworfen. Nach der historischen Seite hin ist dieses 
Thema bereits in dem Artikel von A. Voss, Eneyklopädie IV 1, ein- 
gehend behandelt worden. Dagegen ist hier der Ort, den astrono- 
mischen Standpunkt aufzusuchen, von welchem sich die Frage formell 
zur Entscheidung bringen läßt. 

Formuliert man den Inhalt der Himmelsmechanik so, daß sie 
die Bewegungen der Himmelskörper durch das Newton’sche Gesetz dar- 
stellen soll, so fehlt hier eine Angabe über das Koordinatensystem 
und die Zeitskala. Man schloß sich eben stillschweigend an diejenigen 
Systeme an, welche sich empirisch darboten: den Fixsternkomplex 
und die Drehung der Erde. 

Es liegt jedoch keine Notwendigkeit vor, innerhalb der Empirie 
in einem bestimmten Sinn eine bevorzugende Wahl zu treffen. Viel- 

1* 


4 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit. 


mehr ist es konsequent, wenn man die Definition mit den Worten 
fortsetzt: indem man neben den Konstanten der Darstellung gleichzeitig 
eben dasjenige Koordinatensystem und diejenige Zeitskala aus den Be- 
obachtungen mitbestimmt, für welche diese Darstellung möglich ist. 

Dies ist der Gedanke, welcher im nachstehenden ausgeführt 
werden soll. 

Vorausgesetzt sei der Begriff der Gleichzeitigkeit, nicht auch der 
Begriff der Zeit. Gegeben ist dann eine Reihe »& von Konfigurationen 
von je n Punkten. Gefordert wird, diese Konfigurationen mittels des 
Newton’schen Gesetzes durch ® Werte eines Parameters t darzustellen. 
Dabei ist das Koordinatensystem, für welches das Newton’sche Gesetz 
gelten soll, nirgends vorgezeichnet. 

Nehmen wir an, die 3n@ Koordinatenwerte der & Konfigura- 
tionen seien in Bezug auf ein System gegeben, welches wir als das 
empirische bezeichnen wollen, so ist diese Bezugnahme statthaft, 
wenn wir uns bewußt bleiben, daß umgekehrt dieses System durch 
eben jene Koordinaten gegen die Konfigurationen festgelegt ist, da 
wir vorerst außer den Konfigurationen ein anderes geometrisches 
Gebilde nicht kennen. 

Es soll dann für jede Konfiguration ein neues Koordinatensystem 
gegen das empirische festgelegt und ebenso für jede Konfiguration 
dem Parameter # ein solcher Zahlwert beigelegt werden, daß die 
Koordinaten, relativ zu diesem System, mittels des Parameters i durch 
das Newton’sche Gesetz dargestellt sind. Ist diese Darstellung voll- 
zogen, so bezeichnen wir dieses Koordinatensystem als das Inertial- 
system, die Ortsveränderung relativ zu ihm als Bewegung xar’ ESoyyv 
und den Parameter t als Zeit. 

Durch Mannigfaltigkeitsbetrachtungen läßt sich zeigen, daß sich 


öno Daten und 6%» + To — 10 Unbekannte 


gegenüberstehen. Sind also die Konfigurationen willkürlich gewählt, 
so kann man die Bewegung von drei Punkten bis zu vier Zeitpunkten 
immer durch das Newton’sche Gesetz beschreiben. Ist diese Dar- 
stellung auch für mehr als vier, und zwar für beliebig viele Zeit- 
punkte möglich, so sagen wir: die Punkte sind dem Newton’schen 
Gesetz unterworfen. Bei n > 3 besteht jene Willkür nur bis zu 
o—=2. Im Fall n—=2, welcher in der obigen Gegenüberstellung 
nicht enthalten ist, kann man jede beliebige Anzahl von Konfigura- 
tionen als eine Kepler'sche Bewegung auffassen, und zwar auf oo? 
Arten. | 

‘Analoge Folgerungen kann man ziehen: 


1. Prinzip der Bestimmung des Bezugssystems. 2. Rein empirische Systeme. 5 


a) wenn man speziell einen der bewegten Punkte selbst zum 
Anfang der Koordinaten macht; / 

b) wenn man in diesem Fall berücksichtigt, daß in der Astro- 
nomie nur Winkel beobachtet werden; 

c) wenn man in diesem Fall auch die Massen unter die Un- 
bekannten aufnimmt. 

Man kann dann z. B. zeigen, daß jede Bewegung von drei 
Punkten als eine Newton’sche aufgefaßt werden kann, und zwar auf 
00° Arten. Bei mehr als drei Punkten ist in dieser Möglichkeit eine 
objektive Gesetzmäßigkeit ausgesprochen. Bei drei Beobachtungen 
(= Konfigurationen) ist diese Darstellung für beliebig viele Sn 
immer möglich, und zwar auf o0°+” Arten. 


2. Rein empirische Systeme. In der astronomischen Praxis hat 
sich ein ganz bestimmtes Verfahren herausgebildet. Als Grundebene 
hat man den Ägquator vom Anfang des Jahres 1850 gewählt und als 
Anfangsrichtung in dieser Ebene den Schnitt mit der Ekliptik vom 
Anfang 1850. Da die astronomischen Beobachtungen unmittelbar 
nur Richtungen liefern, so kommt eine aeg des Koordinaten- 
anteilig nicht in Betracht. 

Nun dreht sich der Äquator jährlich etwa um 50” um den Pol 
der Ekliptik, und gleichzeitig dreht sich die Ekliptik infolge der 
säkularen Störungen um eine Achse, die ihrer eigenen Ebene an- 
gehört. Da sich die Beobachtungen wegen unseres Standpunktes auf 
der Erde an den jeweiligen Äquator anschließen müssen, so werden 
die Beobachtungen verschiedener Zeitpunkte erst dann vergleichbar, 
wenn sie auf ein gemeinsames System transformiert sind, etwa das 
vom Anfang 1850. 

‚Es ist die gebräuchliche Auffassung, das Fortschreiten des ER 
tors auf der festen Ekliptik zu messen — nicht auf der momentanen!). 
Den dort seit Anfang 1850 zurückgelegten Weg bezeichnet man als 
Lunisolarpräzession y. Nennt man & den Winkel zwischen der Ekliptik 
von 1850 und dem Äquator von 1850 + t, & den Winkel zwischen 
der Ekliptik von 1850 + t und dem Äquator von 1850 +1, und 
a(t) = Präzession durch die Planeten den Bogen auf dem Äquator von 
1850 + t zwischen den. zwei Ekliptiken von 1850 und 1850 he 
so ist Meng 


a) @ 7 - die Drehungskomponente der Ekliptik um eine Achse nach 
dem jeweiligen Äquinox, und sehr nahe, aber nicht streng: 


1) Vgl. den Artikel VI, 2 (F. Cohn), Nr. 5b) und Nr.?b). Inder dortigen 
Bezeichnung (p. 36—38) it: =, =, vd, =F, al) a. 


6 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit. 
— 


ihr liegende ie welche 90° vom Äquinox absteht. 

Jedenfalls hat die Präzession im Verein mit dieser Bewegung der 
Ekliptik in den Rektaszensionen « und den Deklinationen Ö der 
Sterne Veränderungen zur Folge, welche praktisch genau genug aus- 
gedrückt sind durch'): 


ß) sin @ —.— die Drehungskomponente der Ekliptik um eine in 





“= (cos er en) + sino ©* ?. sine tgdö=m-+nsinatgo, 


() Be . 


—— ; sino — -C0OS«& = & 
Gr dt er 


wo m und n zeitlich schwach veränderlich sind. 

Dies sind die Gleichungen, durch deren Integration, die sich 
praktisch sehr einfach gestaltet, die Positionen auf einen beliebigen 
Zeitpunkt reduziert werden, z. B. auf 1850. 

Der Ausdruck für da(t)/dt ergibt sich aus der Theorie der säku- 
laren Störungen. Er enthält die Massenwerte der Planeten, welche 
anderweitig, aber wieder aus den Wirkungen der Störungen, berechnet 
sind. Mithin ist der Wert da(t)/dt eine mechanisch gewonnene Größe. — 
Anders verhält es sich mit dy/dt. Der Ausdruck folgt aus der Theorie 
der Bewegung der Erde um ihren Schwerpunkt, und sein konstantes 
Hauptglied ist von den Trägheitsmomenten des Erdkörpers abhängig. 
Da diese jedoch unbekannt sind, ‚so hat man stets, den umgekehrten 
Weg gehend, die Konstante von dy/dt aus den Koordinatenverände- 
rungen der Sterne berechnet. Wir wollen dies als die stellarstatistische 
Bestimmung der Präzessionskonstante bezeichnen. Die Anzahl der ver- 
wendeten Sterne muß sehr groß sein, und überhaupt wird die Rech- 
nung mit dem Ziel angelegt, daß sich die Eigenbewegungen im Durch- 
schnitt eliminieren. Aber es ist, wie schon hier betont werden möge, 
eine unbewiesene Voraussetzung, daß die gemeinsame Konstante aller 
Eigenbewegungen um eine Achse senkrecht zur Ekliptik gerade gleich 
Null sei oder daß der Komplex der Fixsterne gegen das Inertialsystem 
in Ruhe sei. 

Ist die Konstante der Präzession gefunden, so liefert der Aus- 
druck für dy/dt für jeden Zeitpunkt 1850 + t die numerischen 
Werte m, n. 

Es wurde gesagt, daß sich die Beobachtungen an das jeweilige 
äquatoreale Koordinatensystem anschließen. Diese Bezugnahme voll- 
zieht sich in der Praxis auf indirekte Art. | 

Man stellt mit besonderer Sorgfalt die Koordinaten einer kleinen 
Anzahl gut verteilter Sterne fest, nämlich gegen den jeweiligen 


2. Rein empirische Systeme. 7 


Aquator und sein Äquinox, indem man das letztere aufsucht (vgl. über 
absolute Beobachtungen Artikel VI2,2 (F. Cohn), Nr. 4). Dies ge- 
schieht möglichst oft. Sei es jedoch nur in zwei weit getrennten 
Zeitpunkten 1850 + t, und 1850 + t, geschehen, so reduziert man 
nach (1) diese «, d auf 1850. Aus den Differenzen der entstehenden 
Werte ergeben sich die Eigenbewegungen während der Zeit 4 — t, 
und, indem man sie anbringt, die Positionen von 1850. 

Den Inbegriff 1) aller «, ö dieser Sterne für 1850 oder einen 
beliebigen anderen Anfangspunkt, 2) die gewählte Präzessionskon- 
stante oder eine aus ihr berechnete Tafel der m, n für 1850 + t,, 
3) die jährlichen Eigenbewegungen dieser Sterne, bezeichnet man 
als ein System von Fundamentalsternen oder auch als ein System 
schlechthin. 

Jede Beobachtung irgend eines anderen Sternes, dies eben ist der 
ökonomische Wert des „Systemes“, besteht dann in der Herstellung 
der Koordinatendifferenzen gegen die Fundamentalsterne; der Stern 
ist dann sofort auf den jeweiligen Äquator und sein Äquinox be- 
zogen, ohne daß man diese Stücke jedesmal zu bestimmen hätte. 

Die Anwendbarkeit des Systems hört nicht auf, wenn das Äquinox 
von 1850 + t oder von 1850 falsch bestimmt war; auch nicht, wenn 
die Konstante von dy/dt oder von da(t)/dt unrichtig war und mithin 
die m, n falsch berechnet sind; sie besteht auch dann noch fort, wenn 
die Gleichungen (1) unrichtig gebaut wären, sofern statt des Äquators 
eine dagegen geneigte Grundebene gewählt worden wäre. (Im letzteren 
Fall würde man die Koordinatendifferenzen systematisch unrichtig an- 
bringen, aber diese Fehler werden um so kleiner, je enger das Netz 
der Fundamentalsterne ist). Alle diese Mängel werfen sich auf die 
Eigenbewegungen. Ja, stellarastronomisch gesprochen, wohnt der Prä- 
zession nur die Bedeutung inne, daß sie von den Eigenbewegungen 
einen Teil von gemeinsamer Beschaffenheit abtrennt; denn man be- 
stimmt die Präzessionskonstante geradezu mit dem Grundsatz, daß 
die übrigbleibenden Eigenbewegungen möglichst klein sein sollen, eine 
Auffassung, die mit der mechanischen Bedeutung dieser Größe nichts 
zu tun hat. 

Unzertrennlich aber ist mit dem Wesen des Fundamentalsystemes 
die Forderung verbunden, daß durch die Gesamtheit seiner Angaben, 
nämlich 
a, 6 für 1850 +t=«, ö für 1850 + Präzession + Eigenbewegung 


die Konfiguration jederzeit ohne inneren Widerspruch, wenn auch mit 
falscher Orientierung, dargestellt wird. Die Beobachtung der Fixsterne 


8 VIs,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit. 


gibt kein Mittel an die Hand, diese dreifach mögliche Abweichung 
vom ursprünglich angestrebten Koordinatensystem richtig zu stellen. 


3. Rein mechanische Systeme. Konstruktion derselben. Dürften 
wir von den Störungen absehen, so wäre uns durch den Sonnen- 
mittelpunkt in Verbindung mit der Bahnlage irgend eines Planeten, 
u. a. der Erde selbst, und der Richtung nach dem Perihel, ein voll- 
ständiges Koordinatensystem gegeben, und zwar sofort dasjenige, für 
welches die Kepler’schen Gesetze gelten; in jedem anderen System 
hätten die Planeten z. B. aufgehört, Ellipsen um die Sonne zu be- 
schreiben. Unter dieser Voraussetzung wäre der Komplex der Planeten- 
bahnen fest gegen das Inertialsystem, oder, was dasselbe besagt, mit 
ihm identisch, und die von den Radienvektoren überstrichenen Flächen 
wären die Maßzahlen der Zeit. 

In Wirklichkeit sind die Bahnen zwar nicht fest, aber ihre Ver- 
änderungen erfolgen gesetzmäßig und sind durch eine kleine Anzahl 
von Massen bedingt. Denkt man sich nämlich die Bewegungsgleichungen 
mit Rücksicht auf alle anziehenden Massen integriert, so beziehen sich 
die erhaltenen Ausdrücke für die Bewegung der Bahnelemente gerade 
auf das Inertialsystem als dasjenige Koordinatensystem, für welches 
eben das Newton’sche Gesetz in Anspruch genommen wird laut Defi- 
nition. Die Massen kommen dann auch in irgend welchen angularen 
Relativkoordinaten der Planeten zur Geltung, und umgekehrt: aus der 
Beobachtung der letzteren kann man die Massen bestimmen. Sub- 
stituiert man dann die Massenwerte in jene Ausdrücke für die Be- 
wegung der Bahnelemente, so nehmen dieselben für jeden Parameter ? 
bestimmte Zahlwerte an, immer bezogen auf das Inertialsystem. Oder 
umgekehrt, da vielmehr die Bahnen das Beobachtete sind und die 
Lage des Inertialsystems gesucht ist: Das Inertialsystem ist gegen 
die Bahnen festgelegt oder dasselbe ist rekonstruiert worden. Die Zeit 
ergibt sich, wenn man irgend eine Gleichung, in welche beobachtete 
Werte eingesetzt sind, nach dem Parameter auflöst. 

Dabei würde man ein empirisches Koordinatensystem bequem als 
Zwischenglied verwenden; man würde die Positionen der Sonne usw., 
die sich auf das System der Fundamentalsterne beziehen, wegen Prä- 
zession entsprechend (1) etwa auf 1850 reduzieren, dann aber die- 
jenigen weiteren Koordinatenänderungen Aa, Aö addieren, welche 
dadurch entstehen, daß die Transformationselemente, die in (1) ein- 
gehen, im Sinne des Newton’schen Gesetzes nicht streng richtig sind. 
Da vielmehr das Inertialsystem seit 1850 gegen das „empirische System“ 
oder auch gegen das empirisch rekonstruierte Koordinatensystem von 
1850 die drei Drehungen &, 9, 3 ausgeführt hat, so wird man zu 


3. Rein mech. Systeme. 4. Das gemischte System d. Planeten-Astronomie. 9 


den Positionen im Koordinatensystem von 1850 die Ausdrücke?) 
addieren müssen, wenn sie auf das Inertialsystem bezogen sein sollen: 


er X sindcosa + sind sin«a — 3 cos Ö 


(2) Ad=—Xsin« +2 cos e. 


Diese Positionen wird man den Gleichungen der Newton’schen 
Bewegung unterwerfen und aus ihnen nicht nur die Anfangselemente 
und die Massen, sondern auch die X, 9, 3, welche man für längere 
Intervalle konstant halten könnte, sowie für jedes Intervall eine Kor- 
rektion der Zeit, als Unbekannte mitbestimmen. 

Für’s erste könnte man auch den Ansatz machen: <=, + &l, ... 
t= T-+fT? Dies alles läßt sich weiter ausführen, indem man die 
Ausdrücke für die Koordinatenveränderungen, welche durch die Ver- 
besserung der Elemente, der Massen und durch diese Zusätze hervor- 
gebracht werden, so gestaltet und ihnen die Beobachtungen in solchen 
Gruppierungen zuweist, daß die Unbekannten möglichst scharf be- 
“stimmt werden. Dann zeigt sich übrigens, daß die Anfangswerte 
X, ... sich mit den Werten der Bahnelemente von 1850 verbinden, 
wie vorauszusehen war. 

Dies wäre der theoretische Weg. Wir kehren nunmehr zur tat- 
sächlichen Behandlung zurück. 


4. Das gemischte System der Planeten-Astronomie. Es liegen 
drei große Durcharbeitungen des Sonnensystems vor, nämlich explizite 
Entwicklungen für die Örter der Sonne und der Planeten, welche mit 
den Beobachtungen verglichen werden, um die Konstanten zu berechnen 
und um Tafeln zur Vorausberechnung der Örter darauf zu gründen. 
Nach je einem halben Jahrhundert folgten sich P. 8. Laplace, U.-J. 
Leverrier und S. Newcomb?). 

Als Grundebene hat man in der Astronomie der Planeten von 
jeher die Ekliptik gewählt, auf welche man die Elemente der anderen 
Planeten zu beziehen pflegt, nämlich die Knotenlänge 8, die Neigung : 
und die Perihellänge ® oder den gebrochenen Zug von der Anfangs- 
richtung bis zum Knoten in der Ekliptik und von hier bis zum 
Perihel in der Bahn. Die Theorie gibt die Ausdrücke für die Ver- 
änderungen der Lagenelemente gegen das Inertialsystem, und zwar als 


2) Vgl. E. Anding: Kritische Untersuchungen über die Bewegung der Sonne 
durch den Weltraum, München (1901), p. 62. 

3) Laplace, Trait6 de me&canique celeste, 5 Bde., Paris 1799—1825 (auch: 
Oeuvres t. 1—5); Leverrier, Recherches astronomiques, Obs. de Paris ann. 1—6 
und 10—14 (1855—77); Newcomb, Wash. Astron. Papers 6 und 7 (1898). 


10 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit. 


Funktionen der Massen. Genau das Gleiche gilt auch für die Ver- 
änderungen der Erdbahn selbst. Aus beiden resultieren mithin die 
Veränderungen der Planetenbahn gegen die jeweilige Ekliptik und 
zwar als bekannte Funktionen der Massen. Demnach sind auch 
die Längen A und die Breiten 8 eines Planeten in Bezug auf die 
jeweilige Ekliptik dargestellt als bekannte Funktionen der Zeit und 
der Massen. 

Wären andererseits auch die beobachteten Koordinaten auf die 
jeweilige Ekliptik bezogen, so könnte man Theorie und Beobachtung 
sofort vergleichen, ohne daß, wie S. 9, eine Korrektur nötig wäre. 
Denn unserer Koordinatenebene kommt dann eine mechanische Be- 
deutung zu, und ihre ursprüngliche Lage oder das Inertialsystem 
läßt sich jederzeit durch Rechnung wiederherstellen. 

Die Beobachtungen beziehen sich nun aber auf den Äquator, wie 
er durch das System der Fundamentalsterne definiert ist, und müssen 
zunächst in Längen und Breiten verwandelt werden. Dabei muß man 
voraussetzen, daß a) der wahre Winkel & zwischen der jeweiligen 
Ekliptik und dem Äquator der Fundamentalsterne, die sog. Schiefe 
der Ekliptik, genau bekannt sei, und b) daß der Einschneidepunkt der 
Ekliptik in den Äquator genau mit dem Nullpunkt der Fundamental- 
sterne zusammenfalle. Trifft dies zu, so ist aus den Beobachtungen 
der empirische Äquator eliminiert. 

Diese Bedingungen hat man verschieden behandelt. Leverrier 
geht von der Grundgleichung aus, durch welche die säkulare Ände- 
rung der Schiefe als Funktion der störenden Massen ausgedrückt 
ist; indem er diejenige Säkularänderung einsetzt, welche sich aus 
den Beobachtungen der Solstitien ergeben hatte, entsteht eine 
Bedingungsgleichung für die Massen, und indem er eine Reihe 
anderer Bedingungsgleichungen zuzieht, die aus anderen Störungen 
gewonnen sind, bestimmt er das Massensystem, welches ihm am 
plausibelsten erscheint und welches, in die Grundgleichung eingesetzt, 
den rechnerischen Ausdruck für die jeweilige Schiefe ergibt. Aber 
diese Grundgleichung beruht darauf, daß der Äquator einem mecha- 
nischen System angehöre. Demnach ist stillschweigend angenommen, 
daß der Äquator der Fundamentalsterne jederzeit in Übereinstim- 
mung mit dem mechanischen Äquator des Erdkörpers bestimmt 
sei. — Was den Nullpunkt der Zählung im Äquator der Funda- 
mentalsterne betrifft, so nimmt Leverrier ebenfalls an, daß durch die 
zahlreichen, eigens zu diesem Zweck angestellten absoluten Beobach- 
tungen das Ziel erreicht worden sei, diesen Punkt in den Einschneide- 
punkt der Ekliptik zu verlegen. 


4. Das gemischte System der Planeten -Astronomie. 11 


Newcomb betrachtet die Gleichungen der Koordinatentransfor- 
mation nicht als streng erfüllt. Da man sie dennoch verwendet, 
die ekliptikalen Positionen der Planeten aus den äquatorealen zu 
berechnen (prinzipiell gesprochen, denn praktisch geht er den ent- 
gegengesetzten Weg), so müssen zu diesen Zahlen korrigierende Aus- 
drücke hinzutreten, welche abhängig sind a) von einer Verbesserung 
der Schiefe der Ekliptik gegen den Äquator der Fundamentalsterne, 
b) von einer kleinen Knotenrektaszension, um welche sich der Ein- 
schneidepunkt der Ekliptik in den Äquator vom Nullpunkt der 
Fundamentalsterne unterscheidet. Bei der Vergleichung der Beobach- 
tungen mit der Theorie erscheinen dann als mitzubestimmende Un- 
bekannte neben den Bahnelementen und Massen auch diese zwei Be- 
stimmungsstücke der Ekliptik gegen das System der Fundamental- 
sterne, sowie ihre säkularen Veränderungen. 

Somit ist die Ebene der Ekliptik mechanisch festgelegt. Was 
jetzt die Anfangsrichtung in der Ekliptik selbst anbelangt, die dritte 
Komponente, so ist zwar die ursprüngliche Anfangsrichtung im Inertial- 
system später nicht mehr in der jeweiligen Ekliptik enthalten; man 
kann aber in der jeweiligen Ekliptik stets eine Nullrichtung defi- 
nieren, welche durch mechanische Ausdrücke gegen das Inertialsystem 
festgelegt wird, indem man beispielsweise die Nullrichtung bei den 
Drehungen «), $) (8. 5) nur senkrecht zur Erdbahn fortschreiten läßt. 
Man. darf daher annehmen, die Längen der Planeten seien gegen eine 
solche Richtung, die wir mit O bezeichnen wollen, als Funktionen 
der Zeit dargestellt. 

Da sich andererseits die Längen, welche aus den Beobachtungen 
folgen, auf den Einschnitt P des Äquators der Fundamentalsterne in 
die Ekliptik beziehen, so muß man die Differenz OP anbringen. 
Doch berechnet man sie nicht aus einer mechanischen Bedingung, 
sondern aus der Präzessionskonstante, welche stellarstatistisch bestimmt 
ist, nämlich unter der Annahme, daß die gemeinsame Längenzunahme 
aller Fixsterne lediglich durch die entgegengesetzte und genau gleiche 
Bewegung der Nullrichtung, nämlich gegen das Inertialsystem, erzeugt 
sei. Man bezeichnet diese Größe, welche in der Hauptsache gleich 
Yv — aft) cos @ ist, als allgemeine Präzession %,, vgl. Artikel VI 2,2 
(F. Cohn), Nr. 5b). 

Demnach ist das Koordinatensystem der Planeten-Astronomie in 
zweifacher Beziehung mechanisch und in der dritten Komponente empi- 
risch begründet. Es wäre konsequent gewesen, für die Anfangs- 
richtung in der Ekliptik mechanisch eine Korrektion e) zu bestimmen, 
welche zu a) und b) (8. 10) den dritten Euler’schen Winkel bildet. 


12 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit. 


Aber es lag eine solche direkte Veranlassung nicht vor, wie sie dort 
durch die Koordinatentransformation geboten war. Indessen wollen 
wir hier überlegen, wie sich eine solche Bestimmung gestaltet. 


5. Ergänzung der dritten Komponente. Mechanische Bestim- 
mung der Präzessionskonstante. Als einfachstes Beispiel betrachten 
wir die Bewegung der Sonne Wir übergehen die Wirkung der Aber- 
ration, Nutation, periodischen Störungen und Mondstörungen, und 
betrachten auch von der Mittelpunktsgleichung nur das Hauptglied, 
indem wir alle diese Ergänzungen in eine Korrektion $ zusammen- 
fassen. 

Die Länge des Perigäums, bezogen auf die Richtung O, hat die 
Form —=9,-+ ©,t, wo ©, als eine bekannte Funktion der Massen 
gegeben ist. Demnach besteht die Länge der Sonne, bezogen auf den 
Punkt O, aus einem linearen Glied nt, aus der Mittelpunktsgleichung 
2e sin (nt — ©, — ©, -t) und aus $. Will man die Länge gegen die 
Richtung P ausdrücken, so muß der Bogen OP hinzukommen; er be- 
steht aus der allgemeinen Präzession, die wir dy,/dt-t schreiben 
dürfen, und der Korrektion — 3’ = — 3, t, welche wir suchen. 
Demnach ist die Länge der Sonne gegen P: 


ont + Sr — 3ı t+2esont -—. —-9.0D)+8. 


Es ist unwesentlich, daß man die mittleren Längen und auch die 
Länge des Perigäums vom Punkte P aus zu zählen pflegt. Die Mittel- 
punktsgleichung hat dann die Form 


2e sin (r+% Ft — at], 
wo 
r ,=9%+7 au, 
Die Gleichung 


(3) 2 (n + 8, )t+ 2e sin (nt + © Abm, BR WOR. Ä 


gestattet ihrem Bau nach, die zwei Zahlenwerte aus den Beobach- 
tungen zu berechnen: 


Non+lh 3, 
Kenn 


Da ®, und dy,/dt gegeben sind, so lassen sich » und 3, bestimmen. 
Schreibt man die Gleichung (3) in der Form 


A—= Nt+2esin(Nt u H—)+S; 


ö. Mechanische Bestimmung der Präzessionskonstante. 13 


so besagt sie, daß wegen der empirischen Bedeutung der Anfangs- 
richtung ein Widerspruch 3,” zwischen der beobachteten und der be- 
rechneten Perihelbewegung entstehen muß. 

Die Sonnenbahn ist wegen der kleinen Exzentrizität für diese 
Bestimmung von %,° weniger geeignet. Doch kann man die Betrach- 
tung bei den Planeten durchführen und die zweckmäßigste Bestimmung 
aufsuchen. 

An dieser Stelle soll jedoch ein summarisches Verfahren an- 
gewendet werden. 

Neweomb‘*) hat die säkularen Variationen der Elemente der Planeten- 
bahnen aus den Beobachtungen abgeleitet, aber die Massen ander- 
weitig bestimmt, nämlich z. B. aus den periodischen Störungen. Indem 
er aus diesen Massen andererseits die säkularen Störungen berechnete, 
zeigten sich in den Exzentrizitäten keine unstatthaften Abweichungen. 
Aber die Richtungselemente (Bezeichnung S. 9) ergeben die nach- 
stehenden Änderungen für 100 Jahre, wobei das Merkurperihel außer 
Betracht bleiben muß (vgl. den Artikel VI 2,23, Oppenheim, Kritik 
des Gravitationsgesetzes): 


Beob. Rechn. Diff. M.F. |NeueDiff. Ohne Merkur 

Merkur: 
di + 714 + 677% +0,38 +0780| +0736 (+ 0735) 
sin?-AR — 91.89 — 9250 + 0.61 + 052| — 0.31 (— 0.40) 


Venus: 
e-A@ + 029 + 034 — 0.054 0.25) — 0.10 — 011 


Ai +. 387 + 349 + 038 4033| #034. +035 
sind- AS — 105.40 — 106.00 + 0.60 + 0.17| +015 +012 





a + 1948 + 1938. + 0.10 + 0.13| —002 —.004 

Mars: 
e:-A8 +14955 +14880 + 0.5 + 0835| #007 —0.01 
Bien 200020000 
+02) — 04 — 08 


sins-AQ — 72.60 — 7263 -+ 0.08 


Auffällig ist hier „die Bewegung des Venusknotens, wo der Wider- 

spruch fünfmal so groß ist als der wahrscheinliche Fehler“ (die obigen 

‘ Fehler sind mittlere), und „das Perihel des Mars, wo der Widerspruch 
dreimal so groß ist, als der wahrscheinliche Fehler“. 

Wir versuchen, diese Abweichungen zu erklären, indem wir an- 

nehmen, das Inertialsystem habe in 100 Jahren um das Äquinox eine 


4) S. Newcomb, Fund. Const., s. Fußn. 13 auf p. 25 dieses Bandes, 


14 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit. 


Drehung &%, um die Richtung von der Länge 90° eine Drehung % 
und um den Pol der Ekliptik eine Drehung 3° gegen das Bezugs- 
system ausgeführt. Demnach sind die Differenzen aufzufassen als 


eA9 = +X.etgtisngd—V-etgticanß+ P%-e 
(4) di=+%.c0088 +%-.sin& 
SARB—=—KF-cosisind +Y-cosicosgd +%-sini. 


Bildet man alle diese Gleichungen und bringt sie auf gleiches 
Gewicht, so ergibt die Methode d. kl. Quadr.: 


2-00, Wm00 Bad VB 28, 


Diese Werte &, Y’ bestätigen, was wir schon wissen: daß das 
System in zweifacher Weise mechanisch orientiert war. Aber hin- 
sichtlich der empirischen dritten Komponente hat sich ergeben, daß 
die stellarstatistisch bestimmte Präzessionskonstante auf das Jahr- 
hundert um mehr als 7” zu vergrößern wäre, wenn die beobachteten 
Ungleichheiten verschwinden sollen. 

Daß dies eingetreten ist, zeigen die nunmehr berechneten „neuen 
Differenzen“: die Abweichungen im Venusknoten und im Marsperihel 
sind nicht mehr zu erkennen, und überhaupt liegen sechs Abweichungen 
unterhalb, drei oberhalb des wahrscheinlichen Fehlers. 

Wollte man den Merkur nach Analogie seines Perihels überhaupt 
ausschließen, so käme 

&=-0,0, Y=0, +82, 
aber die Zahlen der letzten Kolumne zeigen kaum noch eine Ver- 
besserung. 

Vom rein mechanischen Standpunkt einer Astronomie der Planeten 
wäre die Sache mit diesem Resultat abgemacht. Wie soll man es 
aber erklären, daß die Gesamtheit der Fixsterne, aus welchen die Prä- 
zessionskonstante berechnet ist, in einer rückläufigen Bewegung gegen 
das Inertialsystem begriffen wäre? Die verschiedenen stellarstatistischen 
Bestimmungen der Präzessionskonstante divergieren auf das Jahr- 
hundert um 1”, höchstens 2”. Wollten wir aber den Fixsternen eine 
negative „Eigenpräzession“, wie man es nennen könnte, im Betrag 
von 7” beilegen, so müßten doch wohl die Werte der Präzessions- 
konstante, wenn aus hellen und wenn aus schwachen Sternen be- 
stimmt, stärker differieren, als man es gefunden hat. Die Sache be- 
darf stellarstatistisch einer weiteren Untersuchung. Bis dahin wird 
man die Ursachen der Anomalien im Planetensystem selbst suchen 
müssen. 


5. Mechanische Bestimmung der Prüzessionskonstante. 15 


Im weiteren Verlauf der Encyklopädie wird daher in der allgemein 
üblichen Weise stillschweigend angenommen werden, die stellarstatistisch 
bestimmte Präzessionskonstante dürfe mechanisch aufgefaßt werden oder 
ihre Anwendung reduziere alle Beobachtungen auf ein Inertialsystem. 

Was schließlich die Festlegung der Zeitskala betrifft, so geschieht 
dieselbe auf mechanischer Grundlage durch die Erdrotation mit einer 
allen bisherigen Ansprüchen genügenden Sicherheit, vgl. den Artikel 
V12,2 (F. Cohn), Nr. 5b). 


(Abgeschlossen im Mai 1905.) 


16 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


VI2,2. REDUKTION DER ASTRONOMISCHEN 
BEOBACHTUNGEN. 
(SPHÄRISCHE ASTRONOMIE IM ENGEREN SINNE.) 


Von 
FRITZ COHN 


IN KÖNIGSBERG. 





Inhaltsübersicht. 


1. Aufgabe der sphärischen Astronomie. 
2. Definition der üblichen Koordinatensysteme und der Zeit; erste Formulierung. 
3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit; Prinzip 
der Meridianbeobachtungen. 
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 
5. Kritische Untersuchung der Voraussetzungen. 
a) Änderungen der Visierrichtung (Parallaxe, Refraktion, Aberration). 
b) Änderungen des Koordinatensystems (Präzession, Nutation, Bewegung des 
Erdpols). 
c) Rotationsgeschwindigkeit. Konstanz des Zeitmaßes. 
6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit. 
7. Reduktion der scheinbaren Örter in mittlere. 
a) Parallaxe und Aberration. 
b) Präzession und Nutation. 
c) Zusammenfassung sämtlicher Reduktionen. 
8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen, Sternkataloge, Jahr- 
bücher. 
9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne 
a) Des Mondes. 
b) Der Sonne und der Planeten. 
c) Der Fixsterne. 


Literatur. 
Lehrbücher. 


F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berlin 1881 (Brünnow). 
W. Chauvenet, A manual of spherical and practical astronomy, Philadelphia 1863, 
2 Vol., 5. Aufl. 1885 (Chauvenet). 
Elementare Darstellungen z.B. in 
A. Sawitsch, Abriß der Praktischen Astronomie, russisch: Petersburg 1845, 2. Aufl. 


1. Aufgabe der sphärischen Astronomie. 17 


1868—71; deutsch: 1. Aufl. von W. ©. Götze, Hamburg 1850—51, 2. Aufl. von 
C. F. W. Peters, Leipzig 1879 (letztere: Sawitsch). 
J. Ph. Herr-W. Tinter, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, Wien 1887. 
Th. Epstein, Geonomie, Wien 1888. 
Ferner vgl. man die betreffenden Abschnitte aus: 

F. W. Bessel, Fundamenta astronomiae pro anno MDCCLV deducta ex obser- 
vationibus viri incomparabilis James Bradley in specula astronomica Greno- 
vicensi per annos 1750—62 institutis, Regiomonti 1818 (Bessel, Fund.). 

— Tabulae Regiomontanae reductionum observationum astronomicarum ab 
anno 1750 usque ad annum 1850 computatae. Regiomonti Prussorum 1830, 
p I-XXIH (Bessel, Tab. Reg.). ; 

— Abhandlungen, hrsg. von R. Engelmann, 3 Bde., Leipzig 1875—76 (Bessel, Abhdl.). 

Th. von Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Kometen und Planeten, 
Band I, 2. Aufl., Leipzig 1882 (2. Aufl.: Oppolzer, Bahnb. 1). 

W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, 4 Bde., Breslau 1897—1902. 

In historischer Beziehung vgl. 
R. Wolf, Handbuch der Astronomie, 2 Bde., Zürich 1890—92 (Wolf, Handb.). 
Für die mechanisch-physikalischen Grundlagen kommen 
namentlich in Betracht: 

F. Tisserand, Trait& de M&canique celeste, 4 Bde., Paris 1889—1896 (Tisserand). 

F. R. Helmert, Die mathematischen und physikalischen Theorieen der höheren 
Geodäsie, 2 Bde., Leipzig 1880—84 (Helmert). 


1. Aufgabe der sphärischen Astronomie. Die theoretische Astro- 
nomie, welche die Bewegungen der Himmelskörper auf ihre gegenseitige 
Anziehung nach dem Newton’schen Gravitationsgesetz zurückzuführen 
bestrebt ist, bedarf, um die Werte der in den mathematischen Aus- 
drücken des allgemeinen Bewegungsproblems auftretenden Parameter 
(Massen usw.) und Integrationskonstanten (Bahnelemente usw.) den 
besonderen Verhältnissen des Planetensystems entsprechend bestimmen 
zu können, gewisser Beobachtungsdaten, welche ihr die praktische 
Astronomie liefern muß. Diese Daten werden in der Angabe einer 
Reihe von Örtern der betrachteten Himmelskörper, bezogen auf ein 
als fest angenommenes Koordinatensystem, und der Angabe des Zeit- 
moments bestehen, für welchen diese Örter gelten. Die praktische 
Astronomie hat also die zur Fixierung der Zeit und der Örter der 
Gestirne dienenden Mittel anzugeben. Sie zerfällt naturgemäß in zwei 
Teile: die beobachtende Astronomie liefert das Rohmaterial, welches 
indessen infolge der mechanisch-physikalischen Bedingungen der Be- 
obachtungen auf der Erde einer vorbereitenden Verarbeitung bedarf, 
um der theoretischen Verwertung zugänglich zu werden. (Elimination 
der „Refraktion“, „Aberration“, „Präzession“ usw.) Diese vorbereitende 
Verarbeitung leistet die sphärische Astronomie. Da die Beobachtungen 


nur einer beschränkten Genauigkeit fähig sind, so hat die sphä- 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 2 


18 'VI2e,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


rische Astronomie die kritische Untersuchung jener Bedingungen nur 
bis zu einer zweckentsprechenden Grenze zu treiben und von Zeit zu 
Zeit, sobald die Beobachtungen leistungsfähiger geworden sind, durch 
eine Revision der Grundlagen diese Grenze weiter hinauszuschieben. 
Eine Epoche wird in dieser Hinsicht zu Anfang des 19. Jahrhunderts 
durch F. W. Bessel’s „Fundamenta astronomiae“ markiert. Heutzutage 
macht sich das Bedürfnis nach einer noch weitergehenden Kritik 
geltend, entsprechend einer extremen Beobachtungsgenauigkeit von 
0”01 in der Winkel-, von 0.001 in der Zeitmessung. 

Die einzelne Beobachtung kann niemals den Ort eines Gestirns 
im Raume geben, sondern nur die Richtung, in der es sich befindet. 
Die Bestimmung der Entfernung eines Objekts läßt sich nur durch 
Verknüpfung mehrerer Beobachtungen erreichen und die diesbezüg- 
lichen Methoden bilden unter dem Namen der „Parallaxenbestim- 
mung“ ein gesondertes Kapitel der sphärischen Astronomie, die es 
im übrigen nur mit der Fixierung der Richtung zu tun hat. 

Eine solche geschieht durch Angabe der sphärischen Koordinaten 
des Punktes der unendlich fernen Himmelskugel, auf den sich vom 
Beobachter als dem Mittelpunkt dieser Kugel aus gesehen das Objekt 
projiziert, bezogen auf ein durch einen größten Kugelkreis und einen 
Anfangspunkt der Zählung in ihm (resp. Pol und ersten Meridian) !) 
definiertes Koordinatensystem. 

Die Wahl dieser Grundelemente “ Koordinatensystems wird 
von zwei Gesichtspunkten aus erfolgen müssen; einmal müssen sie 
der Beobachtung entweder direkt zugänglich sein oder wenigstens in 
einfacher Weise aus ihr abgeleitet werden können und zweitens der 
theoretischen Verwendung halber im Raume entweder fest sein öder 
in ihrer Bewegung rechnerisch verfolgt werden können. 


2. Definition der üblichen Koordinatensysteme und der Zeit; 
erste Formulierung. Die einfachsten Beobachtungsbedingungen bietet 
das auf dem Horizont, resp. Zenit beruhende System. Denn die 
einzige, an jedem Punkte der Erdoberfläche unmittelbar gegebene 
Richtung ist die der Schwerkraft, wie sie durch ein Lot, oder die zu 
ihr senkrechte Horizontale, wie sie durch eine Wasserwage angezeigt 
wird. Die eine Koordinate, die Höhe oder die Zenitdistanz, wird als 
Richtungswinkel gegen den Horizont oder die Vertikale von 0° bis 
90° gezählt. Ein Nullpunkt für die Zählung der zweiten Koordinate, 
des Azimuts, existiert nicht ebenso unmittelbar und kann, wenn er 





1) Über die der Messung sphärischer Koordinaten dienenden Instrumente 
vgl. den Artikel VI 2, 5 (Ristenpart). 


2. Definition der Koordinatensysteme und der Zeit. 19 


an allen Erdorten und zu jeder Zeit gleich leicht beobachtbar sein 
soll, nur durch Erscheinungen außerhalb der Erde definiert werden, 
wie sie die scheinbare tägliche Umdrehung des Himmelsgewölbes dar- 
bietet. Man wählt dazu nämlich den Meridian des Erdortes, den 
größten Kreis durch Himmelspol und Zenit, und zählt das astrono- 
mische Azimut von Süd über West, Nord, Ost herum von 0° bis 360°. 

Höhe und Azimut sind diejenigen Koordinaten, welche die Be- 
obachtung am unmittelbarsten geben kann. Ihre schnelle Veränderlich- 
keit, die auf ihrer festen Beziehung zum rotierenden Erdkörper beruht, 
läßt sie als ungeeignet zur theoretischen Verwendung erscheinen. 
Den Anforderungen der Theorie kann nur eine Grundebene genügen, 
welche die für die Orientierung des Instruments unumgängliche 
Eigenschaft des Horizonts, dem Erdkörper fest anzuhaften, mit einer 
von der Erdrotation unabhängigen festen Lage im Raume vereinigt. 
Diese Möglichkeit bietet der Erd- und Himmels-Äquator, da er sich 
nur in sich selbst dreht?). 

Der Äquatorabstand oder die Deklination, gezählt von 0° bis + 90°, 
genügt allen Anforderungen der beobachtenden und der rechnenden 
Astronomie. Bei der zweiten äquatorealen Koordinate muß man zu 
einer doppelten Zählung greifen; der Stundenwinkel eines Gestirns 
wird analog dem Azimut vom Meridian aus von 0° bis 360° gezählt, 
er läßt sich an einem fest aufgestellten Äquatoreal direkt ablesen, ist 
aber von Zeit und Lage des Erdortes abhängig. Die Rektaszension 
(Ascensio recta, abgekürzt AR.) zählt man von einem am Himmel 
festen Punkte (in umgekehrtem Sinne wie den Stundenwinkel), sie ist 
sonach für alle festen Gestirne fest, aber nicht unmittelbar beobacht- 
bar. Als Anfangspunkt der Zählung der Rektaszension ist man über- 
eingekommen, den Frühlingspunkt zu wählen, in welchem der Sonnen- 
mittelpunkt zur Zeit des Frühlings-Äquinoktiums den Äquator schneidet, 
weil die Ebene der Sonnen- oder Erdbahn für die Theorie des Planeten- 
systems besondere Vorteile bietet. Dieses System der Rektaszensionen 
und Deklinationen, der Stunden- und Parallelkreise, ist das in der 
heutigen Astronomie zur Festlegung der Örter der Gestirne durchweg 
benutzte. Daneben verdient noch das auf der Ekliptik und dem Früh- 
lingspunkte beruhende System der Längen und Breiten seiner Ver- 
wendung in der älteren Zeit und seines theoretischen Interesses halber 
Erwähnung. Die ekliptikalen Koordinaten können indessen mit einiger 


2) In mathematischer Strenge betrachtet ist freilich der Äquator ebensogut 
im Raume veränderlich wie der Horizont; nur der langsame Verlauf seiner Be- 
wegung ist es, der ihn für die Praxis zur Grundebene des Koordinatensystems 
geeignet macht. 
2* 


20 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Schärfe nur durch Rechnung, nicht durch direkte Beobachtung ge- 
funden werden. 

Die Formeln zu dem häufig erforderlichen Übergang von dem 
einen Koordinatensystem zu einem andern vermittelt das sphärische 
Dreieck zwischen den Polen beider Systeme und dem Gestim°?). Er- 
forderlich ist dazu die Kenntnis des Bogens zwischen beiden Polen, 
also in dem einen Falle des Komplements der geographischen Breite 
des Erdortes, in dem andern der Schiefe der Ekliptik. Endlich setzt 
der Übergang vom Stundenwinkel zur Rektaszension die Kenntnis der 
Zeit voraus. 

Definition der Zeit. Man definiert als Zeiteinheit die Zeit einer 
Umdrehung der Erde um ihre Achse, den Sterntag, und mißt sie als 
die Zeit zwischen zwei Kulminationen eines beliebigen festen Punktes 
der Himmelskugel. Als solchen wählt man wieder den Frühlings- 
punkt und nennt Sternzeit die seit seiner Kulmination verstrichene 
Zeit. Infolge der vorausgesetzten Gleichförmigkeit der Erdrotation 
ist die Sternzeit gleich dem Stundenwinkel des Frühlingspunktes, wenn 
man ihn statt als Winkel von 0° bis 360° in Zeit von O% bis 24% 
ausdrückt. Aus dieser Definition folgt geometrisch die gesuchte Be- 
ziehung zwischen Stundenwinkel und Rektaszension: 


Sternzeit —= Rektaszension + Stundenwinkel. 


In wieweit die so definierte Sternzeit ein gleichförmiges Maß der 
Zeit ist, wird später (s. Nr. 6) näher untersucht. Neben der Stern- 
zeitrechnung, die für die wissenschaftliche Astronomie unentbehrlich 
ist, bedarf das bürgerliche Leben einer andern Zeitmessung, die an 
die Sonne anknüpft. Man definiert den Stundenwinkel der Sonne als 
wahre Sonnenzeit, die Zeit zwischen zwei Kulminationen der Sonne als 
wahren Sonnentag. Da die Sonne unter den Sternen bewegt ist, ist 
dieser Sonnentag vom Sterntag verschieden. Da ferner ihre Rektas- 
zensionsbewegung keine gleichförmige ist — die Bahn der Sonne 
ist gegen den Äquator geneigt und nicht ihre Winkel-, sondern ihre 
Flächengeschwindigkeit konstant —, so ist die wahre Sonnenzeit kein 
gleichförmiges Zeitmaß. Man kommt den Bedürfnissen des praktischen 
Lebens durch die Einführung einer fingierten mittleren Sonne ent- 
gegen, die sich bei gleichförmiger Rektaszensionsbewegung nie weit 
von der wahren Sonne entfernt; der Unterschied beider Rektaszen- 
sionen im Sinne „Mittlere Zeit — Wahre Zeit“ heißt die Zeitgleichung*). 


3) Näheres in den Lehrbüchern; z. B. Brünnow, p. 79 ff. 
4) Die Einführung der Rechnung nach mittlerer Zeit ist ein Beispiel aus 
dem bürgerlichen Leben, wie die gesteigerte Messungsgenauigkeit eine strengere 


8. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit. 21 


Ihre extremen Werte betragen + 14”25° am 12. Febr, — 3”"49° am 
14. Mai, + 6”18° am 26. Juli, — 16”21° am 3. Nov. 

Beide Zeiten, Sternzeit und mittlere Zeit, sind Ortszeiten, der 
Unterschied der Ortszeiten zweier Erdorte ist gleich ihrer geographi- 
schen Längendifferenz, deren Kenntnis demnach zur einheitlichen Fixie- 
rung des Zeitmoments speziell bei Beobachtungen der Wandelsterne 
erforderlich ist. 

Zur Messung größerer Zeiträume benutzt man die Dauer der 
jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne, das Jahr, und zwar 
entweder (für die theoretischen Entwicklungen) das sehr angenäherte 
julianische Jahr von 365°/, mittleren Sonnentagen oder (für die 
praktischen Zwecke) das tropische Jahr, die Zeit zwischen zwei 
Frühlingsäquinoktien; als seinen Anfang definiert man nach Bessel?) 
den nahezu auf den 1. Januar fallenden Moment, in welchem die 
mittlere Länge der Sonne gleich 280° ist. Das so definierte Jahr 
(annus fictus) ist nicht ganz konstant, sondern infolge der Ungleich- 
förmigkeit der Präzession etwas veränderlich ®). 


3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und 
der Zeit. Prinzip der Meridianbeobachtungen. Der unabhängigen 
Bestimmung der äquatorealen Koordinaten dient heutzutage der Meri- 
diankreis, mit dem die Meridiandurchgänge der Gestirne (nach Höhe 
und Zeit) beobachtet werden”). 

Die Beziehung 90° + Ö, resp. 270° — dö = 9 h für obere, resp. 
untere Kulminationshöhen (h gerechnet von 0° bis 180° vom Südpunkt 
des Horizonts) gibt aus jeder beobachteten Meridianhöhe h bei be- 
kannter Polhöhe p die Deklination d des Gestirns, sonst Deklinations- 
differenzen. 

Die Messung der Rektaszensionen erfolgt aus den Meridian- 
durchgangszeiten in einer gewissen Verknüpfung mit der Bestim- 
mung der Zeit überhaupt durch Vermittlung der Uhr?). 


Fassung der Definitionen erforderlich macht. Nach Wolf, Handb. 1, $ 193 wurde 
sie zuerst in Genf, etwa von 1780 an, dann in England, 1810 in Preußen, 1816 
in Frankreich eingeführt. 

5) F. W. Bessel, Monat]. Corr. 28 (1813), p. 481 = Abhdl. 1, Nr. 36, p. 261. 

6) Näheres über Berechnung des annus fictus und des Ei reductus siehe 
Bessel, Fund.; Bessel, Tab. Reg. 

7) Im Fein geschieht diese Messung freilich und geschah in älterer Zeit 
tatsächlich an parallaktisch aufgestellten Äquatorealen, welche direkt Stunden- 
winkel (und somit Rektaszensionsdifferenzen) und Deklinationen ablesen lassen; 
heutzutage beschränkt sich ihre Anwendung auf die Messung kleiner Koordi- 
natendifferenzen (z. B. bei dem Anschluß von Kometen an Vergleichsterne). 

8\ Ehe die schon früher zur Zeitmessung benutzten Uhren durch die Ein- 


22 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Die Uhr hat zunächst die Aufgabe, Zeitmomente zu fixieren 
und dadurch Zeitintervalle zu messen. Die stets erforderliche Kontrolle 
der Uhr führt man in geeigneten Intervallen durch Zeitbestimmungen 
aus. Jede Bestimmung des Stundenwinkels # des Frühlingspunktes 
oder eines andern Sterns bekannter Rektaszension « fixiert (wegen 
@«+t=9) die Sternzeit 9 und gibt demnach eine Zeitbestimmung. 
Am einfachsten beobachtet man im Meridian. Denn es ist dann 
t=0, «=, d.h. die Sternzeit im Moment der Kulmination eines 
Gestirns ist gleich seiner Rektaszension. Man bestimmt also den 
Fehler der Uhr oder die Uhrkorrektion (den Betrag, den man zur 
Angabe der Uhr hinzufügen muß, um Sternzeit zu erhalten) durch 
Beobachtung der Durchgangszeit eines Sterns bekannter Rektaszension 
durch den Meridian. Als solche „Zeitsterne“ wählt man äquatornahe 
Sterne, die ihrer schnellen täglichen Bewegung halber eine möglichst 
scharfe Festlegung der Durchgangszeit gestatten. Die aus aufeinander- 
folgenden Zeitbestimmungen erhaltenen Uhrkorrektionen liefern den 
„Uhrgang“. Unabhängig von der Kenntnis einer AR. läßt sich der- 
selbe als täglicher Uhrgang durch die Beobachtung zweier aufeinander- 
folgender Kulminationen desselben Sterns bestimmen; doch zieht man 
in der heutigen Praxis verschiedene Sterne, deren AR. hinreichend 
genau bekannt ist, zu seiner Ableitung heran, um so mehr, wenn man 
sich auf die Gleichförmigkeit des Uhrgangs während eines Tages nicht 
sicher verlassen kann®). 

Hieran schließt sich aber unmittelbar eine fundamentale Erweite- 
rung der Anwendung der Uhr. Man bestimmt die zunächst als 
Winkel definierte Rektaszension eines Gestirns durch den Zeitmoment 
seiner Kulmination, AR.-Differenzen nicht mehr als Winkel, sondern 
durch die Zeit, welche die Erde zur Drehung um diesen Winkel 
braucht. Die Uhr dient also direkt zur Bestimmung der AR., wenn 





führung des Pendels die zur AR.-Messung erforderliche Genauigkeit erlangten, 
mußte man, wie es noch Tycho Brahe tat, neben den Deklinationen die Distanz 
zweier Objekte im Bogen größten Kreises messen, um daraus die AR.-Differenz 
zu berechnen. Näheres über die historische Entwicklung vgl. bei Wolf, Handb. 
2, 8 378 ff. 

9) Ursachen einer täglich-periodischen Schwankung im berechneten Uhr- 
gange sind einmal Schwankungen im wirklichen Gange der Uhr, herrührend 
von nicht völliger Temperaturkompensation bei einer Aufstellung in einem 
Raum nicht konstanter Temperatur, dann in der Aufstellung des Instruments, 
sofern sie nicht durch häufige Fehlerbestimmung unter Kontrolle gehalten wird, 
und endlich in der Auffassung der Durchgänge seitens des Beobachters (siehe 
den Artikel VI, 5 (Ristenpart), sowie z. B. Fr. Küstner, Bonn Sternw. Veröff. 
Nr. 4, Bonn 1900, p. 31). 


3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit. 23 


sie richtige Sternzeit anzeigt; andernfalls muß ihr Fehler bekannt 
sein, der im allgemeinen eine Funktion der Zeit sein wird. Ihre 
Anwendbarkeit bei Präzisionsbeobachtungen beschränkt sich daher im 
allgemeinen auf Zeitintervalle, innerhalb deren man ihren Gang als 
gleichförmig ansehen kann, um ohne Kontrolle auskommen zu können. 
Für fundamentale AR.-Bestimmungen muß dieses Intervall mindestens 
einen Tag betragen, da eben unabhängige Uhrgänge nur als tägliche 
erhalten werden können. 

Zusammenfassend erhellt, wie die Beobachtung am Meridian- 
kreise, der heutzutage in Verbindung mit einer Uhr das fundamentale 
Instrument der praktischen Astronomie bildet, von den Instrumental- 
fehlern befreit, Meridianzenitdistanzen und Durchgangszeiten und damit 
Deklinations- und (bei Kenntnis des Uhrganges) Rektaszensionsdiffe- 
renzen liefert. Die Kenntnis der Polhöhe und der absoluten Uhr- 
korrektion führt zu absoluten Deklinationen und Rektaszensionen. 

Es sind hier also noch die Prinzipien zu erörtern, auf denen die 
praktische Bestimmung des Meridians selbst, sowie der Nullpunkte 
beider Zählungen, des Frühlingspunktes und des Äquators, mithin 
der Polhöhe, beruhen. 

Die Festlegung des Meridians und der Polhöhe beruht auf dem 
Vorgang der Erdrotation. 

Die Bestimmung des Meridians erfolgt durch die Beobachtung 
der Durchgangszeiten eines Zirkumpolarsterns in aufeinanderfolgen- 
der oberer und unterer Kulmination, indem die Zwischenzeit genau 
12" Sternzeit beträgt, wenn die Fernrohrebene mit dem Meridian 
zusammenfällt. Bei bekannter Rektaszension des Sterns genügt eine 
einzelne Kulmination!%). Um nicht unausgesetzt auf die Bestimmung 
des Meridians angewiesen zu sein, bringt man auf festen Sternwarten 
Meridianzeichen (Miren) an, die zugleich die Schwankungen des In- 
struments in kürzeren Intervallen zu überwachen gestatten. Auch 
ihre Lage zum Meridian muß freilich unausgesetzt unter Kontrolle ge- 
halten werden, einmal weil ihre Verbindung mit dem Erdkörper nicht 
als eine unveränderliche gelten kann und dann, weil der Meridian 
selbst gegen den Erdkörper nicht absolut fest ist (s. Nr. 5). 

Um von den im Meridian beobachteten Zenitdistanzen zu Dekli- 
nationen übergehen zu können, muß die Lage des Äquators zum 
Zenit, d. h. die Polhöhe, bekannt sein; man erhält sie als Mittel der 


10) Im ersteren Falle muß der Uhrgang in der Zwischenzeit, im letzteren 
die Uhrkorrektion bekannt sein; es müssen also noch Zeitsterne mit beobachtet 
werden; vgl. auch. den Artikel VI, 3 (Wirtz), Nr. 8. 


24 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


in oberer und unterer Kulmination bestimmten Höhe eines Zirkum- 
polarsterns. Wie der Meridian kann also auch die Polhöhe nur 
durch Kombination zweier nicht gleichzeitiger Beobachtungen erhalten 
werden; es wird dabei die Unveränderlichkeit der Rotationsachse im 
Erdkörper während der Zwischenzeit vorausgesetzt"). 

Um von den beobachteten Rektaszensionsdifferenzen zu Rektas- 
zensionen selbst überzugehen, bedarf man der Kenntnis der Lage des 
Frühlingspunktes. Derselbe ist als Schnittpunkt des Äquators und 
der Ekliptik definiert, beruht mithin neben der Rotationsbewegung 
der Erde auch auf ihrer Translationsbewegung, die der Beobachtung 
am einfachsten durch ihr direktes Abbild, die Sonnenbewegung, zu- 
gänglich wird; er kann demnach nur durch Sonnenbeobachtungen 
erhalten werden. 

Zwischen der Rektaszension A und der Deklination D der Sonne 
besteht!?) die einfache Beziehung / 


sinA-tge=tgD, 


die es gestattet, bei bekannter Schiefe der Ekliptik & aus der einen 
Größe die andere zu berechnen und somit nicht nur den Moment 
D=0, sondern jeden Meridiandurchgang der Sonne, bei dem D 
gemessen ist, zur Fixierung der Lage des Frühlingspunktes zu ver- 
werten. Um z und A zu erhalten, genügen sonach in der Theorie 
zwei beliebige Sonnenbeobachtungen. Die Praxis schlägt den Weg 
ein, daß sie zur Zeit der Solstitien & bestimmt, weil dann eine mäßige 
Genauigkeit in der Kenntnis von A genügt (sin A nahezu =--1]1), 
und zur Zeit der Äquinoktien A, weil sich dann sin A am schnellsten 
ändert; beide Male kann man auch Beobachtungen, die mehrere 
Wochen entfernt liegen, benutzen. Der Vorgang ist dann der folgende: 
Jede Meridianbeobachtung der Sonne in beiden Koordinaten zur Zeit 
der Äquinoktien gibt ihre Rektaszension A, damit den Fehler der 
Uhr und so die Rektaszension jedes in nahezu gleicher Zeit mit- 
beobachteten Fixsterns, sobald man den Uhrgang durch Beobachtung 


11) Zwar könnte man den Meridian als die Ebene definieren, in der alle festen 
Gestirne ihre größte resp. geringste Höhe erreichen, indessen würde diese Defi- 
nition trotz ihres Vorteils einer unmittelbaren Bestimmung keine scharfe Fest- 
legung gestatten. — Über andere Methoden der Polhöhenbestimmung spezielleren 
Charakters, Durchgangsbeobachtungen im Ersten Vertikal (d. i. der Kreis durch 
Zenit und Ost- und Westpunkt des Horizonts), Talcott-Horrebow-Methode usw. 
vgl. die Lehrbücher, sowie den Artikel VI a, 3 (Wirtz). Die erstere wird auch 
zur Bestimmung von Deklinationsdifferenzen mit Erfolg angewandt. 

12) Unter Vernachlässigung der geringfügigen, von den Planetenstörungen 
herrührenden Sonnenbreiten, die man für sich berücksichtigt. 


4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 25 


von Zeitsternen unter Kontrolle hält. Um den Einfluß des Uhrganges 
möglichst zu beseitigen, schließt man eine Reihe der hellsten Sterne, 
die man auch am Tage in nächster Nähe der Sonne bald vor, bald 
nach ihr beobachten kann, an die Sonne an und erhält so ein unab- 
hängiges System fundamentaler Rektaszensionen. Dieses Fundamental- 
system, dessen weitere Verbesserung namentlich hinsichtlich der Eigen- 
bewegungen (s. p. 62, 69) eine ständige Aufgabe des Meridiankreises 
bleibt, legt man den weiteren Beobachtungen zu Grunde. Man ist 
dann behufs Ableitung der Uhrkorrektion und damit der Rektaszen- 
sionen nicht mehr auf die Zeit der Äquinoktien und auf Sonnen- 
beobachtungen angewiesen, sondern erhält aus jeder Durchgangsbeob- 
achtung eines Fundamentalsterns die Sternzeit, damit den Fehler 
der Uhr und dadurch die Rektaszension jedes andern Gestirns, dessen 
Meridiandurchgang nach der Uhr beobachtet ist. 


4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. Die 
in Nr. 3 entwickelte Grundidee der Bestimmung der äquatorealen 
Koordinaten am Meridiankreise wird in der heutigen Praxis gewisser- 
maßen stufenweise verwirklicht, indem man relative oder Anschluß- 
beobachtungen von fundamentalen Beobachtungen sondert. 

Letztere haben selbständig ein Verzeichnis der sphärischen Koor- 
dinaten für eine größere Reihe über den ganzen Himmel verteilter 
Sterne zu liefern. Ein solches Verzeichnis heißt dann „Fundamental- 
system“. Erstere haben die Aufgabe, mehr differentiell oder inter- 
polatorisch den Ort eines beliebigen Sterns unter Zuhilfenahme der 
durch das Fundamentalsystem gelieferten Positionen benachbarter 
Sterne abzuleiten. | ' 

Die fundamentale Bestimmung der Deklinationen. Die Begründung 
eines fehlerfreien Fundamentalsystems in Deklination bereitet keine 
prinzipiellen Schwierigkeiten, es kommt hier nur an auf eine Kritik 
der Instrumentalfehler, wie Biegung, Teilungsfehler, und auf scharfe 
Bestimmung der Refraktion. Hierüber, wie über die systematischen 
Unterschiede der verschiedenen Deklinationssysteme vgl. Artikel VI 2, 5 
(Ristenpart). Eine letzte Kontrolle und Adjustierung eines Funda- 
mentalsystems in Deklination hat 8. Newcomb '?) darin gefunden, daß 
er die im Anschluß an das Fundamentalsystem gewonnenen Planeten- 
örter darauf prüft, ob sie (nach Abzug der Störungen) mit dem Satze 


13) S. Newcomb, The elements of the four inner planets and the fundamental 
constants of astronomy (Newcomb, Fund. Const.), Washington 1895, auch als 
Supplement to the Amer. Ephem. for 1897 (Washington 1895), p. 89; ferner; 
Newcomb, Fund. Catal. (s. Fußn. 32), p. 188, 


26 VIa,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


der Mechanik vereinbar sind, daß die Planetenbahnen in Ebenen durch 
die Sonne verlaufen. 

Die fundamentale Bestimmung der Rektaszensionen. Der im Prinzip 
einfachste und durchsichtigste Weg besteht in der Beobachtung des 
einzelnen Fundamentalsterns und der Sonne am selben Tage nicht 
allzu weit von den Zeiten der Äquinoktien. Die Beobachtung der 
Sonne in Deklination liefert, wie oben ausgeführt, die AR. der- 
selben, der Zeitunterschied zwischen der Kulmination der Sonne und 
der des betreffenden Sterns führt zur Kenntnis der AR. des letzteren. 
In dieser Weise schloß noch Bessel bei seiner Bearbeitung der Be- 
obachtungen .J. Bradley's 14 der hellsten Sterne, welche Bradley 
besonders oft auch am Tage beobachtet hatte, einzeln direkt an die 
Sonne an und begründete auf dieses System die Reduktion der übrigen 
Beobachtungen. N. Maskelyne, Bradleys Nachfolger in Greenwich, er- 
weiterte dieses erste Fundamentalsystem zu dem System der nach ihm 
genannten 36 Maskelyme'schen Fundamentalsterne; dasselbe besteht aus 
den hellsten, südlich des Zenits von Greenwich kulminierenden und 
damit äquatornahen Sternen und hat ein Jahrhundert lang mit ge- 
ringfügigen Änderungen die Grundlage aller AR.-Beobachtungen ge- 
bildet. 

Der Weg des direkten Anschlusses der einzelnen Sterne an die 
Sonne besitzt indessen neben manchen Vorteilen große Unbequemlich- 
keiten. Einmal sind die Sonnenbeobachtungen, da man auf die schwie- 
rige Beobachtung der Sonnenränder angewiesen ist, weit unsicherer 
und persönlichen Auffassungsunterschieden weit mehr ausgesetzt als 
Sternbeobachtungen; dann aber bringen sie das den AR.-Beobach- 
tungen an sich gänzlich fremde Element der Deklinationen hinein, die 
ihre eigenen schwer zu eliminierenden Fehlerquellen haben. Endlich 
kann man nur die Zeit der Äquinoktien zur Verbesserung des Fun- 
damentalsystems benutzen. Man trennte daher späterhin die beiden 
Aufgaben der Bestimmung des Fundamentalsystems in sich und der 
Ableitung seines konstanten Fehlers, d.i. der Bestimmung des Äquinok- 
tiums, voneinander '%). 

Die Bestimmung des Fundamentalsystems in sich ist freilich einer 
Fehlerquelle ausgesetzt, die sich bei direktem Anschluß an die Sonne 


14) Schon N. Maskelyne bestimmte bei seinen Katalogen für 1770 (Tables for 
computing the apparent places of the fixed stars, London 1774), 1790 (F. Wollaston, 
Specimen of a general catalogue, London 1789) und 1805 (Greenw. obs. 1807, ]I, 
p. 112 und F. X. Zach, Tabulae speciales aberrationis I. Gotha 1806) nur die AR. 
von « Aquilae durch direkten Anschluß an die Sonne und für die andern 35 Fun- 
damentalsterne ihre AR.-Unterschiede gegen « Aquilae. 


4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 27 


leichter eliminieren läßt, den täglich-periodischen Schwankungen’) des 
Uhrganges (im weitesten Sinne, d. h. des eigentlichen Ganges der 
Uhr, des Instruments und des Beobachters). 

Um diesem Einfluß zu begegnen, verband @. Piazzi"?) wenigstens 
2 Sterne, « Can. min. (Procyon) und « Aquilae (Atair), deren Rektas- 
zensionsdifferenz nahezu 12" beträgt, direkt mit der Sonne und schloß 
die übrigen Sterne an einen dieser beiden Fixpunkte an. Bessel 
beobachtete dieselben beiden Sterne möglichst häufig in verschiedenen 
Jahreszeiten, um ihre unter Benutzung täglicher Uhrgänge abgeleitete 
AR.-Differenz unabhängig von den täglichen Schwankungen des Uhr- 
ganges zu erhalten, und verfuhr dann so wie Piazzi. Trotzdem zeigen 
seine beiden Fundamentalkataloge !®) die Spuren systematischer Fehler- 
quellen °). Weiter gingen U. J. Leverrier'?) und A. Auwers'”) in der 
Elimination dieser Fehlerquellen durch differentielle Anschlüsse. 

Nachdem einmal die ersten Fundamentalkataloge vorlagen, schlug 
man vielfach das Verfahren ein, die Positionen eines Ausgangskatalogs 
als im Prinzip richtig, d. i. ohne einen gesetzmäßigen Fehler anzu- 
sehen und nur die rein individuellen Korrektionen der einzelnen 
Sternpositionen abzuleiten. Man nimmt dann den Uhrgang nur 
für wenige Stunden als linear an und reduziert alle inzwischen be- 
obachteten Fundamentalsterne auf ihr Mittel. Dabei wird zwar die 
Schwierigkeit der täglichen Periode des Uhrgangs zum guten Teil 
vermieden, dagegen wird ein gesetzmäßiger Fehler des Ausgangs- 
katalogs in den abgeleiteten Verbesserungen nur wenig abgeschwächt 
wieder auftreten), die unabhängige, fundamentale Natur der Beob- 
achtungen geht verloren; es ist dies tatsächlich bei den Greenwicher 
Katalogen, die auf Pond’s Fundamentalkatalog basiert sind, der Fall 
gewesen ?!). Diese Fehlerquelle suchten S. Newcomb ®) und @. B. Airy ” 
zu umgehen. 

15) @. Piazzi, Del real osservatorio di Palermo Libro Sesto. Palermo 1806; 
‘und: Praecipuarum stellarum inerrantium positiones mediae ineunte saeculo 
XIX, Panormi 1814. 

16) Bessel, Berl. Abh. 1818—19 und 1825. 

17) Siehe u. a.: F. Cohn, Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), p. 291; und: Königsb. 
Beob. 39 (1899). 

18) Obs. de. Paris ann. 2 (1856), p. 186 ff. enthält eine neue Ableitung der 
36 Maskelyne’schen Fundamentalsterne aus Bradley’s Beobachtungen. 

19) A. Auwers, Reduktion der Beobachtungen der Fundamentalsterne zu 
Palermo 1803/05, Astr. Ges. Publ. 5 (1866); und: Neue Reduktion der Bradley’schen 
Beobachtungen aus den Jahren 1750—1762, 1, St. Petersburg 1903. 

20) 5. Newcomb, Positions of the fundamental stars, Wash. obs. 1867, app- 3; 
auch ‚separat (Washington 1870). 

21) T. H. Safford, On the positions of the Radcliffe Catalogue, Lond. Astr. 


28 VIa,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Wesentlich strenger verfuhr A. Wagner °°), indem er die durch eine 
solche Gruppenzusammenfassung erhaltenen Verbesserungen nur als 
relativ zum Gruppenmittel ansah und die Verbesserungen der Gruppen- 
mittel nach den Jahreszeiten‘) diskutierte. Man vermeidet alle Ab- 
hängigkeit von früheren Beobachtungen und eliminiert den Uhrgang 
ohne Benutzung der Sonne, wenn man die Kulminationszeiten je 
zweier aufeinander folgend beobachteter Fundamentalsterne nur zu 
einer Gleichung für die Differenz ihrer AR.-Verbesserungen verwertet 
und diese Gleichungen unter Berücksichtigung einer etwaigen täglich- 
periodischen Schwankung des Uhrganges auflöst!”). 

Gegenwärtig fallen diese Schwierigkeiten bei der Ableitung eines 
fehlerfreien Fundamentalsystems nicht mehr so ins Gewicht, da der 
tägliche Gang der Uhr durch geeignete Kompensation und Aufstellung 
in gleichmäßig temperierten Räumen beseitigt, der Gang des Instru- 
ments durch Wasserwage und Mire unter Kontrolle gehalten werden 
kann und die neuere Erfindung des Repsold’schen selbstregistrierenden 
Mikrometers (s. Artikel VI 2,5 (Ristenpart)) eine täglich-periodische 
Schwankung der persönlichen Auffassung wohl ausschließt. 

Festlegung des Aquwinoktiums. Ist das Fundamentalsystem hin- 
reichend sicher in sich begründet, so folgt zum Schluß die Bestimmung 
seines konstanten Fehlers durch Anschluß an die Sonne. Diese setzt 
sich aus dem eigentlichen Anschluß des Fundamentalsystems an die 
Sonne und der Bestimmung des Frühlingspunktes durch Beobachtung 
von Sonnendeklinationen um die Zeit der Äquinoktien zusammen. 
Den ersteren erhält man, indem man die nach der Uhr beobachteten 
Durchgangszeiten der Sonne durch Berücksichtigung der aus den 
gleichzeitigen Beobachtungen der Fundamentalsterne erhaltenen Uhr- 
korrektionen in Rektaszensionen, bezogen auf das Fundamentalsystem, 
verwandelt. Die Vergleichung dieser beobachteten mit den aus den 
Deklinationsbeobaehtungen berechneten absoluten Rektaszensionen gibt 
die Verbesserung des Fundamentalsystems, die demnach sowohl von 


Soc. Monthly Not. 21 (1861), p. 245; W. A. Rogers, On the periodie errors of 
the right ascensions observed between 1858 and 1871, Amer. Ac. Proc. N. S. 
1 (1875). 

22) @. B. Airy, Nine-Year Cat. for 1872, Greenw. obs. 1876, app. 1. Hier 
wie ebenso in den beiden folgenden Katalogen für 1880 und 1890 (Ten-Year u. 
Second Ten-Year Cat., Greenw. obs. 1887, app. 2; 1898, app. 2) werden zur Eli- 
mination der periodischen Fehler nur Beobachtungsreihen benutzt, die sich über 
mindestens 12 Stunden erstrecken (twelve hour groups). 

23) A. Wagner, Poulkova obs. 3 (1870), und besonders 12 (1887). 

24) Verschiedenheiten nach den Jahreszeiten würden auf eine tägliche 
Schwankung des Uhrganges zurückzuführen sein. 


4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 29 


den systematischen Fehlern der Deklinationen, wie von dem persön- 
lichen Auffassungsunterschieden vornehmlich ausgesetzten Anschluß 
der Sterne an die Sonne abhängig ist”). 

Historisches über Fundamentalkataloge.. Die erwähnten beiden 
Bessel’schen Kataloge der 36 Maskelyne’schen Fundamentalsterne haben 
lange Zeit die Grundlage der meisten astronomischen Arbeiten auf diesem 
Gebiete gebildet, indem auf ihnen die viel benutzten „Tabulae Regio- 
montanae“?%) beruhten. Daneben spielten auch noch andere Bestim- 
mungen derselben Sterne eine Rolle, wie W. Struve’s „Positiones 
mediae“, Fr. Argelander’s „Catalogus Abo@nsis“, J. Ph. Wolfers’ Katalog 
in seinen „Tabulae reduetionum“?”). Eine grundlegende Bearbeitung 
der 36 Maskelyne’schen Fundamentalsterne führte dann $. Newcomb 
aus?®). 

Allmählich machte sich das Bestreben geltend, die Zahl dieser 
Fundamentalsterne zu vermehren und sie über den ganzen Himmel 
auszudehnen, um den differentiellen Anschluß der andern Gestirne 
(s. später) an das Fundamentalsystem inniger zu gestalten. So ent- 
standen z. B. die Kataloge der Pulkowaer Hauptsterne für 1845, 1865 
und 1885?°). Die Jahrbücher bildeten eigene erweiterte Fundamental- 
kataloge aus, so der Nautical Almanae im Anschluß an die Pond’schen 
und Airy’schen Beobachtungen). Das große Zonenunternehmen der 
„Astronomischen Gesellschaft“ führte zu dem Fundamentalkatalog von 
A. Auwers®'), der von dem „Berliner astronomischen Jahrbuch“ über- 
nommen wurde und mit seinen Erweiterungen in dem letzten Viertel 


25) Siehe z. B. A. Wagner, Poulkova obs. 12 (1887), p. (89) ff. 

26) Bessel, Tab. Reg., siehe Literaturübersicht p. 17. 

27) J. Ph. Wolfers, Tabulae reductionum observationum astronomicarum 
annis 1860 usque ad 1880 respondente, Berolini 1858. Er enthält eine Be- 
arbeitung zahlreicher früherer Beobachtungsreihen. 

28) S. Newcomb, On the right ascensions of the equatorial fundamental 
stars, Wash. obs. 1870, app. 3. 

29) Poulkova obs. 1,4, 12 (1869—87); Poulk. Obs. Centr. Nic. Publ. (2) 1, 3, 9 
(1898— 1903). 

30) In verschiedenen Jahrgängen der „Greenwich Observations“. — Ferner 
entstanden: L. Boss, Declinations of fixed stars, Washington 1878; $. New- 
comb, Catalogue of 1098 Standard Clock and Zodiacal Stars, Washigton 1882, 
Abdruck aus Wash. Astron. Papers 1 (1880). 

31) A. Auwers, Fundamentalkatalog für die Zonenbeobachtungen am nörd- 
lichen Himmel, Astr. Ges. Publ. 14 (1879); 17 (1883); Astr. Nachr. 121 (1889), p. 145; 
143 (1897), p. 361 (Südhimmel). — Später erschienen „Vorläufige Verbesse- 
rungen... .“, Astr. Nachr. 147, p. 49 u. 105; endlich eine definitive Bearbeitung 
„Ergebnisse der Beobachtungen 1750—1900 für die Verbesserung des Funda- 
mentalkatalogs des Berl. Jahrbuchs, Astr. Nachr. 164 (1904), p. 225. 


& 


30 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


des 19. Jahrhunderts die Grundlage der meisten Meridianbeobach- 
tungen bildete. Daneben wurde in neuester Zeit der Fundamental- 
katalog von 5. Newcomb°?) seiner größeren Zahl von Sternen halber 
(über 1000) trotz wesentlich geringerer Genauigkeit der individuellen 
Positionen vielfach angewandt, insbesondere solange die definitive Be- 
arbeitung von Auwers’ Fundamentalkatalog ausstand. Ganz kürzlich 
erschien ein Fundamentalkatalog von Lewis Boss °?). 

Auch diese Fundamentalkataloge werden zukünftig zur Erzielung 
eines möglichst innigen Anschlusses an das Fundamentalsystem noch 
erweitert werden. Dabei muß aber die erforderlich bleibende be- 
ständige Verbesserung eines solchen Fundamentalsystems, wenn man 
nicht die Fehler des Ausgangskatalogs in den abgeleiteten Ver- 
besserungen stets mitschleppen will, stufenweise durch Zurückgehen 
auf engere Systeme, wie das der Maskelyne’schen Sterne oder ein ähn- 
liches, erfolgen. 

Relative oder Anschlußbeobachtungen. Man besitzt in den erwähnten 
Fundamentalkatalogen ein genügend sicher begründetes und genügend 
umfangreiches System fundamentaler Sternpositionen, um daran be- 
quem die Hauptmasse der Fixsterne, sowie Sonne, Mond und Planeten 
anschließen zu können. Jede Beobachtung eines solchen Anhalt- 
sternes gibt die Nullpunkte der Zählung, den Äquatorpunkt und die 
Uhrkorrektion. Dabei ist in beiden Koordinaten auf möglichst differen- 
tiellen Anschluß an das Fundamentalsystem zu achten. Am innigsten 
ist derselbe bei den Zonenbeobachtungen, bei denen man nur Sterne 
eines schmalen Deklinationsgürtels beobachtet und die Anhaltsterne 
möglichst derselben Himmelsgegend entninmt. 


5. Kritische Untersuchung der Voraussetzungen. Die im vorigen 
im Prinzip dargestellten Methoden der astronomischen Koordinaten- 
bestimmung erhalten in der Praxis ein ganz anderes Aussehen, sobald 
man prüft, ob die derart bestimmten Koordinaten den von der Theorie 
gestellten Ansprüchen genügen. Die Theorie bedarf zur Untersuchung 
der wahren Bewegungen der auf feste Koordinatenebenen bezogenen 
sphärischen Koordinaten desjenigen Punktes der scheinbaren Himmels- 
kugel, auf den sich das Objekt von ihrem Mittelpunkt aus gesehen 
projiziert. Die Beobachtung gibt und kann nur geben die sphäri- 
schen Koordinaten der Visierrichtung, in welcher wir das Fernrohr 


32) S. Newecomb, Catalogue of fundamental stars for 1875 and 1900, Wash- 
ington 1898, Abdruck aus Wash. Astron. Papers 8 (Neweomb, Fund. Catal.). 

33) L. Boss, Positions and motions of 627 Standard Stars, Astron. Journ. 23 
(1903), p. 17. 


5. Kritische Untersuchung der Voraussetzungen. 5a. Visierrichtung. 31 


einstellen, bezogen auf gewisse, leicht bestimmbare Fundamental- 
ebenen, deren Unveränderlichkeit im Raume sie aber nicht verbürgen 
kann. Zu untersuchen ist also einmal die Abweichung der Richtung, 
in der das Objekt uns erscheint, der scheinbaren Richtung von der 
geometrischen wahren, und ferner die Unveränderlichkeit des Koordi- 
natensystems, auf welches sich die Beobachtung der Koordinaten be- 
zieht. Es zeigt sich, daß das Prinzip der Beobachtungen von diesen 
Einflüssen nicht merklich betroffen wird, daß hingegen die unmittel- 
bar beobachteten Größen keineswegs den Ansprüchen der Theorie 
genügen, sondern erst einer entsprechenden Reduktion bedürfen. 


5a. Änderungen der Visierrichtung. 1. Die Parallaxe. Das Auge 
des Beobachters, und damit der Koordinatenanfang, ist nicht im 
Raume fest, sondern nimmt an der Bewegung des Erdortes teil. 
Diese Ortsänderung ruft scheinbare Verschiebungen in den Örtern der 
Himmelskörper hervor, die man als parallaktische bezeichnet und je 
nach der Art der Ortsveränderung des Beobachters als tägliche, jähr- 
liche und säkulare Parallaxe unterscheidet. Man befreit sie davon 
durch Übergang auf einen von der Bewegung des Erdorts unab- 
hängigen Koordinatenanfang, wozu man neben der Kenntnis dieser 
Bewegung auch der Entfernung des Gestirns bedarf; umgekehrt bieten 
diese Bewegungen des Beobachters das wichtigste Hilfsmittel zur Be- 
stimmung der Entfernungen der Gestirne. 


U. Die astronomische Strahlenbrechung. (Vgl. Art. V12,83 (Oppolzer).) 
Sie wirkt bei den Meridianbeobachtungen. in derselben Art, wie 
Teilungsfehler des Meridiankreises und wird mit diesen zugleich be- 
rücksichtigt. 


III. Die Aberration. Unter dem Namen der „astronomischen Aber- 
ration“ pflegt man die Erscheinungen zusammenzufassen, die der end- 
lichen Fortpflanzung des Lichts ihre Entstehung verdanken. Diese 
sind zweierlei Natur. Die eine entsteht dadurch, daß das Gestirn 
sich zur Zeit, da wir es beobachten, nicht mehr an dem Ort des 
Himmels befindet, den es zur Zeit der Lichtaussendung einnahm. 
Man nennt diesen Einfluß oft „Planetenaberration“ aus dem äußer- 
lichen Grunde, daß man ihn bisher nur bei den Körpern des Planeten- 
systems in Rechnung zu ziehen Ursache hatte. 

Seinen Ursprung verdankt der übliche Name der zweiten Er- 
scheinung, der sog. „Fixsternaberration“. Das Objekt erscheint uns 
infolge derselben in der Richtung der Diagonale des Parallelo- 
gramms, welches durch die Geschwindigkeit Y des Lichtstrahls und 
die (nach rückwärts aufzutragende) Geschwindigkeit v des Beobachters 


32 VIe,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


bestimmt ist®). Der Aberrationseffekt ist also gleich dem parallak- 
tischen Effekt, der entsteht, wenn man den Beobachter um den Be- 
trag v in seiner Bewegungsrichtung zurückverlegt und das Gestirn 
in der Entfernung V betrachten läßt. 

Die Entdeckung dieser eigentlichen Aberration erfolgte empirisch 
durch James Bradley”), der bei seinem Versuche, Fixsternparallaxen 
zu bestimmen, auf die jährliche Aberration geführt wurde. Auch gab 
er dafür auf der Grundlage der Emissionstheorie des Lichts eine ent- 
sprechende Erklärung®®). Die Begründung der Aberrationslehre durch 
die Undulationstheorie setzt mit Fresnel ein?”). 

Die beiden Fragen, ob der Aberrationsbetrag vom Medium des 
Fernrohrs und der daraus folgenden Änderung der Lichtgeschwindig- 
keit V abhänge®®) und ob er durch die Bewegung der Lichtquelle be- 
einflußt werde®®), sind negativ zu beantworten. Man vergleiche die 
ausführliche Behandlung der ganzen schwierigen Aberrationsfrage in 
dem Artikel V 14 (Lorentz). 


5b. Änderungen des Koordinatensystems. Präzession, Nutation, 
Bewegung des Erdpols‘'). Die Rotationsachse der Erde ist sowohl 
im Raume wie im Erdkörper beweglich, ebenso unterliegt die Ekliptik 
langsamen Schwankungen. Demnach sind die Grundlagen des Koordi- 
natensystems, auf welches die Beobachtung angewiesen ist, bewegt, 
und ihre Veränderlichkeit ist, wenn man aus den zu verschiedenen 
Zeiten beobachteten, auf die momentane Lage der Fundamentalebenen 
bezogenen Koordinaten der Gestirne auf ihre Bewegungen schließen 
will, durch Übergang auf feste Grundebenen zu berücksichtigen. 





34) Siehe CO. F. Gauß, Theoria motus corporum coelestium,. Hamburgi 
1809 (auch Werke Bd. 7), $ 71. 

35) J. Bradley, Account of a new discovered motion of the fixed stars, 
Lond. Phil. Trans. 1728, p. 637 [= abr. 7, p. 308]. 

36) Vgl. z. B. Lalande [Jeröme le Frrangais], Astronomie, 3. &d. Paris 1792, 
Nr. 2827/29 (3, p. 92—93). 

37) A. Fresnel, Ann. chim. phys. 9 (1818), Brief an Arago, abgedruckt in 
Fresnel, Oeuvres 2 (Paris 1868), p. 627. 

38) S. z.B. Lalande ]. c. Fußn. 36), Nr. 2833 (3, p. 95), worin Lalande er- 
wähnt, daß ihm R. @. Boscovich die Idee, durch Einführung einer Wassersäule 
in das Fernrohr die Frage zu entscheiden, im Jahre 1766 mitteilte; W. Klinker- 
fues, Die Aberration der Fixsterne nach der Wellentheorie, Leipzig 1867. 

39) Vgl. auch H. Battermann, Beiträge zur astronomischen Aberrations- 
lehre, Diss. Berlin 1881; H. Poincare, Lecons sur la theorie math&matique de la 
lumiere, Paris 1889 (dtsch. v. Gumlich u. Jaeger, Berlin 1894), chap. 8. 

40) Vgl. hierzu neben den in der Literaturübersicht genannten Werken 
von Oppolzer, Tisserand und Helmert noch F. Klein und A. Sommerfeld, Über die 
Theorie des Kreisels 3, Leipzig 1903. 


bb. Änderungen des Koordinatensystems. 33 


Auch die Methoden der Koordinatenbestimmung selbst, sowie die 
Definitionen der Zeit, Polhöhe ete., die ein festes Koordinatensystem 
voraussetzten, bedürfen einer Prüfung und verschärften Fassung. 

Die Theorie ergibt die folgenden Bewegungen der Fundamental- 
ebenen: 

Die Ekliptik. Die Lage der Erdbahn erleidet unter dem Ein- 
fluß der Planetenanziehung langsame Änderungen, deren Form und 
numerischer Betrag theoretisch abgeleitet wird, da die hierzu nötigen 
Daten, wie die Bahnelemente der Planeten und ihre Massen, sich mit 
hinreichender Schärfe aus den translatorischen Bewegungen bestimmen 
lassen. Auf die äquatorealen Koordinaten der Gestirne hat diese 
Beweglichkeit der Ekliptik nur insofern Einfluß, als der Ausgangs- 
punkt der Zählung der Rektaszensionen davon betroffen wird; sie 
bewirkt eine für alle Sterne gleiche, von der Zeit abhängende Ände- 
rung der Rektaszensionen und läßt die Deklinationen ganz ungeändert. 
Die numerischen Ausdrücke siehe später. 

Die Rotationsachse der Erde. Die Bewegungen der Rotations- 
achse der Erde im Erdkörper und im Raume werden als besonderer 
Fall des allgemeinen Problems der Rotation eines Körpers behandelt"). 
Unter Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse und Vernach- 
lässigung alles dessen, was merklich unterhalb einer Beobachtungs- 
genauigkeit von 0”.01 liegt, ergibt sich für die Bewegung der momen- 
tanen Rotationsachse das folgende Bild: 

Infolge der Ungleichheit der Hauptträgheitsmomente A und C 
führt die momentane Rotationsachse der Erde unter dem Einfluß der 
Sonnen- und Mondanziehung im Erdkörper eine geringfügige, nahezu 
täglich-periodische Schwankung um die polare Hauptträgheitsachse, 
im Raume die sog. Präzessions- und Nutationsbewegung aus. Die 


erstere verursacht eine Veränderlichkeit der Polhöhe und des Meridians 
und hat die Form®?): 


&—= +0".009 sin © — 0”.007 sin (8 — 20) — 0.003 sin (@ — 2() 
= — 0”.009 cos @ + 0”.007 cos (8 — 20) + 0”.003 cos (8 — 20. 


41) Die besonderen Voraussetzungen betreffen neben der nahezu völligen 
Starrheit des Erdkörpers die derzeitige Kleinheit des Winkels zwischen der 
Rotationsachse und der polaren Hauptträgheitsachse, wozu die Erfahrungstat- 
sachen berechtigen, sowie daß die Differenz der beiden üquatorealen Haupt- 
trägheitsmomente A und B gering sei; aus Pendelbeobachtungen, welche keine 
merkliche Abhängigkeit der Größe der Schwerkraft von der geographischen 


Länge ergeben haben, folgt, daß sicher <a ist; vgl. z. B. Helmert. 





42) Siehe Helmert 2, p. 434; Tisserand 2, p. 496. 
Encyklop. d, math. Wissensch. VI 2. 3 


34 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Darin bedeuten &, n die rechtwinkligen Koordinaten des Erdpols 
in’Bezug auf seine Mittellage, derart daß & die Polhöhenschwankung 
eines Erdorts zur Sternzeit © darstellt; © und € sind Länge der 
Sonne und des Mondes. | 

Die räumliche Bewegung der Erdachse erzeugt eine Bewegung 
des ganzen Koordinatensystems; sie zerfällt in eine langperiodische 
um den Pol der Ekliptik, die „Präzession“, und eine Reihe kurzperio- 
discher Schwankungen um eine Mittellage, welche man zusammen- 
fassend als Nutation bezeichnet. Der Präzession entspricht eine der 
Zeit nahezu proportionale Drehung der Schnittlinie des Äquators und 
der Ekliptik in letzterer und damit eine fortschreitende Bewegung 
des Frühlingspunktes,: welche als „Präzession der Äquinoktien“ be- 
zeichnet wird, während der Neigungswinkel beider Ebenen ungeändert 
bleibt. Die „Nutation“ bewirkt eine unregelmäßige Schwankung des 
Frühlingspunktes und zugleich auch der Schiefe der Ekliptik*?). Die 
numerischen Ausdrücke siehe später. 

Im Falle einer merklichen Ungleichheit der beiden äquatorealen 
Hauptträgheitsmomente würden Sonne und Mond eine halbtägige 


Nutation und eine halbtägige Kegelbewegung der Erdachse im Erd- 
körper erzeugen, deren Betrag indessen wegen Eu “ 25 weit unter 
der Grenze der Meßbarkeit liegt. Auch eine nicht vollkommene 
Starrheit des Erdkörpers würde keine merklichen Änderungen hervor- 


rufen **). 


Zu der geschilderten Bewegung der Rotationsachse der Erde 
kommt noch eine weitere hinzu, die ihrem nicht genauen Zusammen- 
fallen mit der polaren Hauptträgheitsachse ihre Entstehung verdankt 
und unabhängig von äußeren Kräften ist. Bei einem absolut starren 
und äußeren Kräften nicht unterworfenen Erdkörper würden die momen- 
tane Rotationsachse und Hauptträgheitsachse entweder dauernd zu- 
sammenfallen oder die erste würde um die letztere einen kleinen Kegel 
konstanter Öffnung « in der sogenannten Euler’schen Periode*°) von 


43) Die „Präzession der Äquinoktien“ entdeckte schon Hipparch (siehe 
Ptolemäus, Almagest VII, Kap. 2), die Nutation erst James Bradley, Lond. Phil. 
Trans. 45 (1747—48), p. 1 [= abr. 9, p. 417]. 

44) Gegenteilige Behauptung von F' Folie (Existence et Grandeur de la Pre- 
cession et de la Nutation diurnes, Bruxelles 1882, und in zahlreichen anderen 
Schriften) und deren Kritik durch R. Lehmann- F'ilhes, Astr. Nachr,. 124 (1890), 
p. 377, vgl. auch Fußn. 49). 

45) L. Euler, Theoria motus corporum solidorum seu rigidorum, Rostock u. 
Greifswald 1765. 


5b. Änderungen des Koordinatensystems: Präzession, Nutation. 35 


ns 
C—4 
gegen wäre die momentane Rotationsachse nahezu fest*”). Die Be- 
wegung der Rotationsachse im Erdkörper würde eine periodische 
Schwankung der Polhöhen und der Erdmeridiane im Laufe von ca. 
10 Monaten hervorrufen. Die nahezu völlige Konstanz der Rotations- 
achse im Raume bei einer völlig freien Erde bewirkt in der Praxis, 
daß, wenn wir unsere im momentanen Meridian angestellten Beobach- 
tungen mit der momentanen Polhöhe reduzieren, sie damit auf eine im 
Raume nur der Präzession und Nutation im gewöhnlichen Sinne*) 
unterworfene Achse bezogen sind*”). 


—304.8 mittleren Sonnentagen*®) beschreiben. Im Raume hin- 


Ist die Starrheit des Erdkörpers keine vollkommene, so bleibt 
die Festigkeit der momentanen Rotationsachse im Raume erhalten. 
Über ihre Bewegung im Erdkörper hingegen können angesichts der 
unkontrollierbaren Verlagerungen der Hauptträgheitsachse nur Beob- 
achtungen Aufschluß geben’). Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts 
gelang es nach mancherlei ergebnislosen Versuchen die reelle Existenz 
solcher Bewegungen der Erdachse im Erdkörper in der Form von 
Polhöhenschwankungen nachzuweisen ((. A. F. Peters, M.Nyren, Fr. 
Küstner). Indessen erwies sich die Euler’sche Periode, die Peters und 
Nyren noch ohne Erfolg ihren Untersuchungen zu Grunde gelegt 


46) Zahlenwert nach Oppolzer, Bahnb. 1, p. 151. 
47) Genauer gesagt beschreibt der momentane Erdpol um den Pol der 





unveränderlichen Ebene einen kleinen Kreis von «- = A Öffnung, wobei 
Se = „o: ‚a<£1” ist. Siehe z. B. Helmert 2, p. 407/08, sowie schon (0. A. F'. 


Peters, Resultate aus Beobachtungen des Polarsterns, Astr. Nachr. 22 (1845), 
p. 71, 81, 119. 


48) D. h. wie sie die Sonnen- und Mondanziehung beim völligen Zu- 
sammenfallen der Rotations- und Hauptträgheitsachse erzeugen würden. 


49) In einer unrichtigen Auffassung dieser Verhältnisse liegt der Fehler in 
den von F. Folie gegen die übliche Art der Reduktion der Beobachtungen wieder- 
holt erhobenen Einwänden, soweit sie die „nutation initiale“ betreffen. Neben 
den zahlreichen Schriften Folie's in den Astr. Nachr., Astr. Ges. Vjs., Paris 
C. R., Paris Bull. astr. 7 (1890), Obs. de Bruxelles annuaire etc. vgl. besonders 
R. Radau, Quelques mots sur la question de la nutation diurne, Paris Bull. 
astr. 7 (1890), p. 194; F. Tisserand, Note sur la nutation diurne, Paris Bull. 
astr. 7 (1890), p. 278. 


50) Unter plausibeln Annahmen kann man wenigstens schließen, daß ihre 
Schwankungen gering sind, sicherlich <1”. Eine Literaturzusammenstellung 
findet man bei Helmert 2, p. 408 ff., sowie insbesondere bei Tisserand 2, 
chap. XXIX und XXX. 

5* 


36 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


hatten, durch andere Einflüsse ganz verdeckt; S. ©. Chandler®') zeigte 
vielmehr, daß eine nahezu 432tägige Periode neben einer jährlichen 
die Beobachtungen am besten darstellt. Doch sind die Schwankungen 
so unregelmäßig, daß sie beständig unter Kontrolle gehalten werden 
müssen; diese wird zur Zeit von einem eigens dazu eingerichteten 
internationalen Breitendienst ausgeübt ??). 

Numerische Angaben über Präzession und Nutation. Die Be- 
wegungen der Fundamentalebenen werden in der beifolgenden Figur, 
die aus größten Kreisen auf der Himmelssphäre gebildet zu denken 
ist, veranschaulicht. 

Es stellen dar: EE, EE, AA, AA, die Lagen der beiden 
Fundamentalebenen für zwei Epochen, deren eine durch den Index o 
charakterisierte als fest gilt, wäh- 
rend die andere durch den Index £ 
als variabel gekennzeichnet wird. 
t bezeichnet die seit jener fixen 
Epoche verflossene Zeit in juliani- 
schen Jahrhunderten (36525 mitt- 
leren Sonnentagen). A und E sind 
die aufsteigenden Knoten der be- 
weglichen auf der festen Grund- 
ebene. Dann sind Y,, Y, die wahren 
Frühlingspunkte beider Epochen, 
®,, 9, die wahren Schiefen, wäh- 
rend $ (oder $,, ‚), die Schiefe des beweglichen Äquators gegen die feste 
Ekliptik, für die theoretischen Entwicklungen erforderlich ist°®). Als 





Fig. 1. 


51) Vgl. eine Reihe von Aufsätzen $. ©. Chandler’s: „On the variation of 
latitude“ im Astron. Journ. (der erste 11 (1891), p. 59). 

52) Vgl. darüber die verschiedenen Berichte in den Verh. Comm. Erdm., 
sowie Th. Albrecht, Resultate des internationalen Breitendienstes 1, Berlin 1903. 
Die Polbewegung in dem früheren Jahrzehnt behandeln auf Grund zahlreicher 
Beobachtungsreihen verschiedene Aufsätze Albrecht's in den Astr. Nachr., der 
erste 126 (1891), p. 145. — Für hohe nördliche Gegenden wäre auch die Beob- 
achtung von Längendifferenzen XM. Brendel, Über den Einfluß von Polschwan- 
kungen auf die geographische Lage der Erdorte, Astr. Nachr. 131 (1892), p. 59) 
und von irdischen Azimuten aussichtsreich. Bisher ist nur gelegentlich der 
Nachweis versucht worden, daß die Änderung des Azimuts der Meridianmiren 
zum Teil von der Schwankung des Meridians selbst herrühre. Die erste An- 
deutung gibt F. W. Bessel, Königsb. Beob. 6 (1821), p. XVII; dann A. Socoloff, 
Bestimmung der periodischen Bewegung der Erdpole mittels der Miren des Pul- 
kowaer großen Passageninstruments, Astr. Nachr. 132 (1893), p. 369 und 134 
(1894), p. 233. — E. Becker, Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. LVI. 

53) In den Bezeichnungen besteht bisher große Verschiedenheit, s. z. B, 


5b. Anderungen des Koordinatensystems. 37 


feste Epoche legt man jetzt nach Leverrier®‘) gewöhnlich die von 
1850, früher nach Laplace”°), dem sich Bessel?°) anschloß, die von 
1750 zu Grunde. 

Zur Fixierung und rechnerischen Verfolgung der Lageänderungen 
und ihres Einflusses auf die Koordinaten der Gestirne bedient man 
sich in der Praxis am einfachsten der gegenseitigen Neigung beider 
Ebenen und der Länge des Knotens in ihnen, also für die Ekliptik 
der Größen: 

EN —=N, N=NF+L, INEV = 
welche die Theorie als Funktionen der Zeit dargestellt liefern muß. 


Die Bewegung der Ekliptik für sich läßt sich unabhängig von 
der Aquatorbewegung darstellen. Für sie findet Oppolzer°"): 


tgi- sinn = + 57.8411 + 07164? +. —=gt + rt, ®) 
tgi - cos = — 47”.594t + 07.0568? +. gt + rt 
oder 


i = 47". 951t — 0”.03251°, 
N = 113° 0° 12” — 868".3. 


Um aber in der beweglichen Ekliptik die Lage des Frühlings- 
punktes zu fixieren, ist die Kenntnis der Äquatorbewegung erforder- 
lich. Die Theorie der Erdrotation legt dieselbe zunächst gegen die 


Tisserand, Me&c. ceeleste, nach Laplace, Poisson, Serret einerseits und die in 
der Literaturübersicht genannten Werke von Bessel, Brünnow, Oppolzer andrer- 
seit. Im folgenden ist großenteils nach Oppolzer vorgegangen. Es be- 
zeichnen $ die wahre, & die mittlere Schiefe der Ekliptik, » die voll- 
ständige, I die rein präzessionale Änderung des Äquinoktiums, ferner die ge- 
strichelten Buchstaben Größen von theoretischer Bedeutung: 9 Schiefe des be- 
weglichen Äquators gegen die feste Ekliptik, 7 lunisolare Präzession, während 
beobachtbare Größen durch ungestrichelte Buchstaben bezeichnet sind: # Schiefe 
des beweglichen Äquators gegen die bewegliche Ekliptik. Endlich sind vielfach 
Indizes benutzt. Die meisten Größen hängen von beiden Epochen o und t ab, 
wie 9, 9 U, I,, Usw.; bei diesen sind gelegentlich beide Indizes fortgelassen; 
hingegen sind #,, &, nur von der einen Epoche abhängig und führen ihren Index 
stets mit sich. 

54) U. J. Leverrier, Recherches astronomiques, Obs. de Paris ann. 1—14 
(1855— 77). 

55) P. S. Laplace, Trait& de mecanique celeste, 5 Bde., Paris 1799—1825. 

56) Bessel, Fund. und Bessel, Tab. Reg. 

57) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 124 führt in die Leverrier’schen Ausdrücke (Obs. 
de Paris ann. 4 (1858), p. 49 u. 50), die g = 5.888, ’ = — 47.566 geben, einige 
von Leverrier selbst später (p. 96) gegebene Massenkorrektionen ein. 

58) Diese vorübergehende Bezeichnung, ebenso wie später #, ® nach 
Tisserand. 


38 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


fixe Ekliptik von 1850 fest und charakterisiert sie entsprechend durch 
9:09) und BY,=v%,,., wobei 180° — %,,, die Länge des 
aufsteigenden Knotens des beweglichen Äquators auf der festen Eklip- 
tik ist; sie findet dafür: 
v=at+a®+:. +7 —-/+% 
"= 58 +bP+:-:+9=.-+0. 

Die Potenzreihen nach ? stellen darin für sich betrachtet die 
Präzessionsbewegung, d. h. die Bewegung des sog. mittleren Äquators 
gegen die feste Ekliptik, &, die mittlere Schiefe der Ausgangsepoche 
dar, während % und ® periodischen Charakters sind und die Nuta- 
tionsbewegung des wahren gegen den mittleren Äquator liefern. Man 
nennt / die lunisolare Präzession, &’ die mittlere lunisolare Schiefe 
(besser € — &, die lIunisolare Änderung der mittleren Schiefe). 

, €, sowie die periodischen Glieder #, © hängen einmal ab von 
den Bahnelementen der Erde und des Mondes, die für den vorliegen- 
den Zweck als genügend bekannt gelten können, dann aber noch von 
zwei anderen Größen, deren Kenntnis zur Zeit auf anderem Wege 
nicht mit der erforderlichen Schärfe zu erhalten ist und daher um- 
gekehrt gerade aus dem beobachtbaren Effekt der Präzessions- und 
Nutationsbewegung auf die Koordinaten der Gestirne gewonnen zu 
werden pflegt. Diese Größen sind ae, wo A und C wie früher 
die von der unbekannten Massenverteilung im Erdkörper abhängenden 
Hauptträgheitsmomente der Erde bedeuten, und das Verhältnis der 
Mondmasse zur Sonnenmasse. 

Zur Vergleichung der Theorie mit den Beobachtungen ist in- 
dessen noch der Übergang auf die bewegliche Ekliptik, auf die sich 
die Beobachtungen beziehen, auszuführen. Die Beziehung der beiden 
beweglichen Fundamentalebenen zu einander geben die Größen: 


EY=N+vundd<AY,E=9,, 

die Knotenlänge der beweglichen gegen die feste Ekliptik, bezogen auf 

den wahren Frühlingspunkt, und die wahre Schiefe zur Zeit f. Für 

diese Größen Yy und 9, (auch «= BY,) gibt das sphärische Dreieck 

EBY, mit den Seiten +%, N + v, a und den Winkeln , #, 

180° — #, in den früheren Bezeichnungen die folgende Entwicklung: 
v.—(% — g.cotg®,)t 

+19, + g)eotgd, + gg (tg, PH F-L tr B, 

%,— ++ tr — gr zeigt)? +9—E, +0. 

Darin stellen wieder /,, und &, die säkularen Terme dar, # und 

® die periodischen. Man nennt /,,, d.h. den Überschuß von EY, 


5b. Änderungen des Koordinatensystems: Präzessionsformeln. 39 


über EY, (unter Y, und Y, jetzt die mittleren Frühlingspunkte ver- 
standen) die allgemeine Präzession°®), die sich von der lunisolaren 
l,,, durch den Effekt der den Planetenstörungen entstammenden Be- 
wegung der Ekliptik unterscheidet; man nennt danach auch a= By, 
die Präzession durch die Planeten; ferner ist e, die mittlere Schiefe 
der Ekliptik zur Zeit &£. 

Diese Größe I, , ist es nun, die aus den Beobachtungen entnommen 
wird; man bezeichnet den Koeffizienten des ersten Gliedes von 1,, 
mit dem Namen der „Präzessionskonstante“ 

P=a, — 9: cotg®,, 
die aber natürlich von der Ausgangsepoche 7’ abhängig ist"). 

Die im 19. Jahrhundert üblichen Werte‘') sind hier zusammen- 

gestellt (T in Jahrhunderten): 


F. W. Bessel = 50.2235 -+ 0".02443 (7 — 1800); 
O. Struve = 50.2411 + 0”.02268 (7 — 1800); 
S. Newcomb = 50".2341 + 0.0223 (T — 1800). 


Der letzte Wert ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts allgemein an- 
genommen ®?), 

Als Nutationskonstante N definiert man den Koeffizienten des 
Hauptgliedes Ncos\’ in dem Ausdruck von ®, wobei N’ die Länge 
des aufsteigenden Mondknotens ist. Die üblichen Werte von N sind: 


59) Tisserand bezeichnet (2, p. 435) eigentlich mit «” (unser %, ‚) nicht den 
Überschuß von E Y,über EY,, sondern Y,D, wenn Y,D das von Y, auf EB 
gefällte Lot darstellt. Beide Größen unterscheiden sich um einen Betrag von 
der Ordnung t?. Es ist also nicht ganz strenge, wenn er sein %” bis t? genau 
entwickelt und es dann mit jenem Überschuss identifiziert; indessen ist der Effekt 


— re -t? sehr gering und der Koeffizient dieses oben auftretenden, bei Tisserand 


fehlenden Termes erreicht nur 14 Einheiten in der von Tisserand noch gegebenen 
8. Dezimale. 

60) S. Newcomb führt statt dessen den Buchstaben P und den Namen Prä- 
zessionskonstante für den Ausdruck a,sece ein: A new determination of the 
precessional constant, Wash. Astron. Papers 8 (1898), p. 6. 

61) Vgl. über diese Werte, die als Bessel’sche, Struve’sche und Newcomb’sche 
Präzessionskonstante bekannt sind, und zahlreiche andere Bestimmungen die Zu- 
sammenstellung bei $. Newcomb °°), Section I: Previous Determinations, p. 10. 

62) S.: Conference internationale des &etoiles fondamentales de 1896 ä Paris. 
Proces-verbaux, Paris 1896 (Oonf. et. fond.). Jede Änderung der Präzessions- 
konstante verursacht eihen erheblichen Aufwand von Arbeit, indem die vor- 
handenen auf den bisherigen Wert von P bezogenen Reduktionsrechnungen (s. 
Nr. 8) in den neuen Wert übergeführt werden müssen, und sollte mit größter 
Vorsicht vorgenommen werden; s. auch die Diskussion zwischen $. Newcomb und 
L. Boss, Astron. Journ. 18 (1898). 


40 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


N = 9".2231 (1800), 9”.2240 (1900) nach €. A. F. Peters®); 
N= 92365 (1850) nach M. Nyren ®); 
N = 9”.2100 (1900) ®). 


Die Entwicklung der Ausdrücke # und @ und ihre Ausführung 
in numerischer Form geschah unter Erweiterung der ZLaplace’schen 
auf die Hauptglieder beschränkten Ausdrücke zuerst von .Bessel‘); 
die der Erdbahnexzentrizität entstammenden kleineren Glieder gab 
0. A. F. Peters‘®); nach Oppolzer‘”), der diese Entwieklungen weit 
über die Bedürfnisse der heutigen Praxis ausführte, lauten die Haupt- 


glieder (> 0.05) für 1900.0 (die Koeffizienten sind ein wenig ver- 
änderlich): 


— 0.1255 sin g — 1”.2648 sin 20 — 17".2819 sin N’ 
+ 0".2095 sin 20’ — 0”.2044 sin 2C + 0”.0678 sin g', 
0 —=0".5488 cos 20 + 9.2365 cos N’ — 0.0905 cos 2N' 

+ 0".0887 cos 2(, 


worin ©, € Sonnen- und Mondlänge, g und g’ mittlere Anomalie der 
Sonne und des Mondes bedeuten. Das Hauptglied besitzt eine Periode 
von 18°, Jahren, welche der Bewegung der Mondknoten in der 
Ekliptik entspricht und den „wahren“ Pol die sog. Nutationsellipse 


(mit den Achsen «= 9.365 und b=a ob 6.878) um eine 


mittlere Lage, den „mittleren“ Pol, beschreiben läßt. 

Durch die gegebenen Daten sind die Bewegungen der beweg- 
lichen gegen die feste Ekliptik (, N, N-+ v), des beweglichen 
wahren oder mittleren Äquators gegen die feste (%‘, ® oder 7, «') 
oder die bewegliche Ekliptik (QN+v%, ®, oder N +1, &,) zugleich 
mit der Lage des jedesmaligen Frühlingspunktes bestimmt. 

Die Nutationsausdrücke lassen sich einfach tabulieren und geben 
dann für jede Epoche die Abweichung der Lage des wahren Äquators 
gegen den mittleren ®®). 


63) ©. A. F. Peters, Numerus constans nutationis ex asc. rectis stellae po- 
laris deductus, Petropoli 1842. 

64) M. Nyren, Bestimmung der Nutation der Erdachse, St. Pet. mem. (7) 19 
(1872), Nr. 2. 
65) Conf. et. fond., sowie S. Neweomb, Fund. Const., p. 131, s. Fußn. 62) 
und 13). > 1 

66) Bessel, Fund., p. 125; Astr. Nachr. 2 (1824), p. 157 und 4 (1826), p. 185. 

67) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 124 ff.; numerische Angaben p. 237/38. 

68) Bessel, Tab. Reg.; 0. A. F. Peters, s. Fußn. 63); Oppolzer, Bahnb. Außer- 
dem in allen Jahrbüchern. 


5b. Änderungen des Koordinatensystems: Präzession, Nutation. 41 


Die Präzessionsformeln, die als säkulare Bewegungen von der 
Anfangs- und Endepoche abhängen, haben noch die Unbequemlich- 
keit, auf die feste Anfangsepoche 1850.0 begründet zu sein. Man 
gibt daher auch die Übertragungsformeln von einer willkürlichen 
Epoche auf eine andere an. 

So erhält man nach Oppolzer®®) zur Übertragung von 1850 + r 
auf 18550 + r +1 


1 15023”.572 + 2°.25827 + 07.000937?) 
+ {17.1291 -+ 0”.00098 |? + 0.000832 %, 
&= (23027 317.83 — 47.5947 — 0°.01437? + 0.002047) 
— (47.594 + 0”.0287 r — 0”.0061279)t 
— (0”.0143 — 0°.00612 7)? + 0”.00204#, 
Y = (5037".032 + 0.5007 + 0”.000017)t 
— (1”.0888 + 0”.00177 7) — 0”.00174#, 
& = (23027'317.83 — 47”.5947 — 07.0143 7? + 07.002047) 
+ (0”.0713 — 0°.00936 7)? — 0”.00786#, 
a — (14.673 — 17.9173 — 0.000817?) 
— (2".4184 + 07.002617)? — 0.002124, 
N — 1730012” + 3287.07 40”. 877? — (868”.3 + 0”.267)t+0” 112, 
i= (47”.951 — 0”.06507)t — 0°.0325 2? — 0”.00014®. 


Diese Formeln enthalten alles zur Reduktion der beobachteten 
Örter auf ein festes System Erforderliche; doch ist es noch ratsam, 
auch den beweglichen mittleren) gegen den festen Äquator festzu- 
legen, da die Beobachtung gerade äquatoreale Koordinaten gibt"). 
Die hierzu dienenden Formeln gab zuerst Bohmenberger“”). Führt 
man nach Oppolzer analog den ekliptikalen Größen I, i, N die äqua- 
torealen m, n, 90° — p”) ein, so daß m + a (entsprechend 7”) als 
lunisolare, m als allgemeine Präzession im Äquator von der einen 


69) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 197. 

70) Der Nutationseffekt in äquatorealen Koordinaten wird differentiell aus 
dem ekliptikalen abgeleitet. 

71) Zwar läßt sich die Transformation der äquatorealen Koordinaten auf 
dem Umweg über die ekliptikalen stets ausführen; indessen ist es eben häufig 
ein Umweg. 

72) @. ©. Bohnenberger, Über die Präzession der Fixsterne in gerader Auf- 
steigung und Abweichung, Tübinger Zs. für Astr. 1 (1816), p. 124 und 270. 

73) Die Schnittlinie beider Äquatoren hat bei nicht zu großen Zeitinter- 
vallen, wie leicht ersichtlich, nahezu die Rektaszension 90°. 


42 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Epoche bis zur anderen bezeichnet werden kaun und n die gegen- 
seitige Neigung der beiden Äquatorebenen darstellt, so folgt (aus 
dem Dreieck AY,B): 

















m a v +8 2, 
Same woher. EDS See m ER 
t m+a t RE en + 
5197777 — colg z - Sin —,— - coBeC —— , 
RR 
an re 
3 RT 8 | n 2 & +8 
sin n=sin!- oder tg = — ——— tg = 
c08p 2 ( m+ “) 2 
and | Arakunge Yas 


In erster Annäherung ist: 
m=!l.cos&,— a, 
n=! sine, 
Die weitere Entwicklung gibt nach Oppolzer‘*) für den Übergang von 
1850 +r zu 1350 + r-+1: 
m — (4606”.029 + 2”.8393 7 + 0”.00088 1?) 
+ (17.4196 + 0”.00088 z) ?? + 0”.03657 t?, 
n = (2005”.193 — 0”.8669 z — 0".00048 7?) t 
| — (07.4334 + 0”.00048 r) 2? — 0.04182 8°, 
p = (2303”.0 + 1".42 7) +0".31#. 
Diese letzteren Formeln konvergieren offenbar nicht so rasch wie die 
entsprechenden ekliptikalen, was aber erst bei Zeitdifferenzen von 


1000 Jahren und mehr merklich wird. Man muß dann das strenge - 
trigonometrische Formelsystem anwenden. 


dc. Rotationsgeschwindigkeit, Konstanz des Zeitmaßes. Man 
kann nicht mehr im eigentlichen Sinne von einer Rotationsdauer der 
Erde reden, sobald die Rotationsachse im Erdkörper wie im Raume be- 
weglich ist, sondern muß die Rotationsgeschwindigkeit um die momen- 
tane Rotationsachse einführen. Die Theorie zeigt, daß unter der An- 
nahme eines absolut starren Erdkörpers diese Rotationsgesch windig- 
keit » weit über die Bedürfnisse der Praxis hinaus als konstant gelten ”®) 
und danach die Zeiteinheit 7 durch 


7 
fodt— 2x 
ö 
definiert werden kann. Etwas anders liegt die Sache, sobald die Starr- 


74) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 197. 
75) Eine etwaige geringfügige Ungleichheit von A und B würde nur un- 
meßbare Schwankungen während einer Umdrehung hervorrufen. 


dc. Konstanz des Zeitmaßes. 45 


heit des Erdkörpers keine vollkommene ist, da jede Massenverschie- 
bung Einfluß auf & gewinnen muß. Indessen führen auch hier plau- 
sible Annahmen über täglich- oder jährlich-periodische Verlagerungen 
meteorologischen Ursprunges nur zu unmeßbaren Beträgen, so daß die 
Konstanz der Zeiteinheit und des Zeitmaßes auf längere Zeit hin als 
gewährleistet angesehen werden kann. Über säkulare Änderungen 
durch allmähliche Anhäufung an sich geringfügiger Effekte infolge 
von Flutreibung, Kontraktion des Erdkörpers, säkulare Vereisung oder 
Abschmelzen der polaren Gegenden, Erhöhung der Erdmasse durch 
niederfallende Meteore usw. können nur Beobachtungen Aufschluß 
geben, und zwar die Beobachtungen anderer Bewegungsvorgänge, deren 
Verlauf wir schärfer theoretisch zu verfolgen vermögen als die Rota- 
tion eines nicht völlig starren Erdkörpers, nämlich der Translations- 
bewegungen im Sonnensystem. Jede Änderung der in praxi zu Grunde 
gelegten Zeiteinheit muß sich in ihnen abspiegeln, indem zwischen 
der auf ein gleichförmiges Zeitmaß aufgebauten Theorie und den auf 
die übliche Zeitrechnung bezogenen Beobachtungen Widersprüche ent- 
stehen. Zur Prüfung dieser Frage werden. sich diejenigen Bewegungs- 
vorgänge eignen, die einmal bei entsprechender Beobachtungsgenauig- 
keit die schnellsten Winkelbewegungen besitzen, deren Theorie aber 
andrerseits sich in der Schärfe geben läßt, daß man wirklich alle 
Widersprüche säkularer Natur gegenüber der Beobachtung auf die 
Ungleichförmigkeit des Zeitmaßes zurückzuführen berechtigt ist. 

Die zunächst in Betracht kommende Mondbewegung weist in 
der Tat merkliche Widersprüche auf, welche seit lange den Verdacht 
einer veränderlichen Geschwindigkeit der Erdrotation erweckt haben °®). 
Aber gerade in neuester Zeit kommt $. Newcomb"”) zu dem Ergebnis, 
daß die Theorie der Mondbewegung sowohl wie die Genauigkeit der 
älteren Beobachtungen — teils der eigentlichen Beobachtungen, teils 
ihrer Reduktion — keineswegs den Ansprüchen genügen, um darauf 
jenen Verdacht begründen zu können. Schon früher hatte er daher 
die Bewegung des Merkur zur Entscheidung herangezogen, ohne trotz 
mancher Übereinstimmung ein völlig befriedigendes Resultat erzielen 
zu können. Die Beobachtungen der Jupitersatelliten würden dem- 
nächst zu befragen sein; doch ist auch hier die Theorie noch nicht 
genügend entwickelt, resp. das Beobachtungsmaterial nicht genügend 
bearbeitet. Und nur ein gleichartiges Voreilen oder Zurückbleiben 


76) S. z. B. den Artikel VI 2, 23 (Oppenheim). 

77) 5. Newcomb, On the desirableness of a reinvestigation of the problems 
growing out of the mean motion of the moon, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 
(1903), p. 316. 


44 VIe,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


gegen die Theorie in allen diesen Bewegungen würde man auf die 
Ungleichförmigkeit unseres Zeitmaßes zurückführen können. Zur Zeit 
wird man die Frage nach der Veränderlichkeit der Geschwindigkeit 
der Erdrotation noch als eine offene bezeichnen müssen. 


6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit. Die in 
Nr. 5 erörterten Erscheinungen machen eine schärfere Fassung der 
früher gegebenen Definition der Koordinaten erforderlich, außerdem 
beeinflussen die unter Nr. 5b. behandelten Bewegungsvorgänge die 
Art ihrer Bestimmung, sowie der der Zeit. 

Die beobachteten, d. h. noch mit Parallaxe und Aberration be- 
hafteten Örter der Gestirne — die Refraktion berücksichtigt man, 
wie erwähnt, bei den Instrumentalfehlern — bezeichnet man als 
„scheinbare“ Örter”®). Sind sie von Parallaxe und Aberration befreit, 
so stellen sie die wirklichen auf die momentane Lage des Äquators 
und der Ekliptik bezogenen Koordinaten der Gestirne dar, man nennt 
sie ihre „wahren“?®) Koordinaten. Geht man von dem mit den Nuta- 
tionsschwankungen behafteten wahren Weltpol zu seiner nur der 
Präzessionsbewegung unterliegenden mittleren Lage über, so nennt 
man sie „mittlere“ Koordinaten der betreffenden Epoche. Schließlich 
bezieht man sie dann auf den festen Weltpol und die feste Ekliptik 
einer bestimmten Epoche. Objekte der Beobachtung sind die „schein- 
baren“ Koordinaten, ihr Zweck die Bestimmung der „mittleren“ Örter, 
bezogen auf das feste Äquinoktium einer bestimmten Epoche. Die 
Übertragungsformeln siehe Nr. 7. 

a) Polhöhe, Meridian, Deklination. Die Polhöhe, d. h. der Winkel 
zwischen Horizont und Erdachse, und der Meridian, d. h. die Ebene 
durch die Erdachse und die Richtung der Schwerkraft, können Ände- 
rungen sowohl durch Schwankungen der Erdachse wie auch der Verti- 
kalen gegen den Erdkörper erleiden. Und diese Schwankungen über- 
tragen sich durch die Art der Meridianbeobachtung auf die äquato- 
realen Koordinaten der Gestirne. Die Richtung der Schwerkraft kann, 
soweit sie nur als die vereinigte Wirkung der eigentlichen Massen- 
anziehung der Erde und der Zentrifugalkraft betrachtet wird, als zum 
Erdkörper fest vorausgesetzt werden, insofern die vorkommenden 
Massenverlagerungen nur verschwindenden Einfluß ausüben können ®®), 








78) Der Ausdruck „scheinbar“ ist, soweit er sich auf die Parallaxe be- 
zieht, eine nicht ganz treffende Übersetzung des „locus apparens“, des Orts, an 
dem uns die Gestirne erscheinen. 

79) „Wahr“ eben im Gegensatz zu „scheinbar“. Eine Bezeichnung als 
Gegensatz zu den „mittleren Örtern‘“ hat sich nicht eingebürgert. 

80) Sprunghafte oder säkulare Änderungen durch lokale Massenverschie- 


6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit. 45 


Die hinzutretende Wirkung der Sonne und des Mondes bewirkt in- 
dessen infolge des Umlaufs beider um die Erde eine vom Azimut des 
betreffenden Gestirns abhängige Schwankung der momentanen Lot- 
linie in einem kleinen Kegel um eine Mittellage, deren Periode bei 
der Sonne einen Tag, beim Monde etwas mehr beträgt. 
Der Betrag der Schwankung ist für die Sonne, resp. den Mond°®"): 
— 0.008 — 0.008 
= 97017 = 94.017 
wenn 2, A Zenitdistanz und Azimut des Gestirns, &, n südliche und 
westliche Abweichung des gestörten Zenits bedeuten. Es entsteht 
dadurch einmal eine nahezu täglich-periodische Schwankung der Pol- 
höhe, die bei der Übertragung der gemessenen Meridianzenitdistanzen 
in Deklinationen in Rechnung zu ziehen ist®”) und eine periodische 
Schwankung der Meridianebene, resp. der Neigung der Achse des 
Meridianinstruments, selbst wenn es an sich gegen den Erdkörper 
absolut fest aufgestellt wäre. Ihrer Geringfügigkeit halber können 
diese Schwankungen der Lotlinie bei der Bestimmung der äquatorealen 
Koordinaten gänzlich unberücksichtigt bleiben und sind nur bei der 
Untersuchung der Polhöhensehwankungen in Rechnung zu ziehen. 
Die momentane Polhöhe und der momentane Meridian, deren man 
zur Überführung der Beobachtungsgrößen in äquatoreale wahre Koordi- 


Jsin 22co A, 7= Join 2zsin A, 


bungen in der Erdrinde würden hier nicht in Frage kommen; die Frage säku- 
larer Änderungen der Polhöhen ist auch noch keineswegs entschieden, s. z. B. 
Helmert 2, p. 445. — Inwieweit die Lotlinie durch regelmäßige Massenverlage- 
rungen im ganzen Erdkörper periodische Schwankungen, etwa jährlicher Periode 
erleidet ist ganz neuerdings Gegenstand noch nicht abgeschlossener Unter- 
suchungen geworden, s. H. Kimura, On the existence of a new annual term in 
the variation of the latitude, independent of the components of the pole’s motion, 
Astr. Nachr. 158 (1902), p. 233; $. ©. Chandler, Questions relating to stellar 
parallax, aberration and Kimura’s phenomenon, Astron. Journ. 23 (1903), p. 12; 
Th. Albrecht, Resultate des internationalen Breitendienstes 1, Berlin 1903, p. 153 ff. 

81) 0. A. F. Peters, Von den kleinen Abweichungen der Lotlinie und des 
Niveaus, welche durch die Anziehungen der Sonne, des Mondes und einiger 
terrestrischen Gegenstände hervorgebracht werden, Astr. Nachr. 22 (1845), p. 33; 
s. auch Helmert 2, p. 383. 

82) Würde man das Meridianinstrument absolut fest zum Erdkörper auf- 
stellen können, so könnte man durch Kombination oberer und unterer Kulmina- 
tionen den Polpunkt auf dem Kreise fixieren und sonach Deklinationen unabhängig 
von der Richtung der Schwerkraft bestimmen. Indessen ist diese ältere, z. B. 
noch von Bessel anfangs der 20er Jahre des vor. Jahrh. benutzte Methode durch 
J. @. F. Bohnenberger’s Erfindung des Quecksilberhorizonts („Neue Methode, den 
Indexfehler eines Höhenkreises zu bestimmen und die Horizontalachse einer 
Mittagsfernröhre zu berichtigen, ohne Lot oder Libelle“, Astr. Nachr. 4 (1826), 
p. 327) völlig verdrängt worden. 


46 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


naten bedarf, sind eigentlich nicht in aller Strenge festzustellen, da 
sie nur durch Kombination zweier um 12" auseinanderliegender Be- 
obachtungen erhalten werden, und daher nur einem mittleren Zeit- 
moment entsprechen können. Die Geringfügigkeit der Schwankungen 
der Rotationsachse im Erdkörper läßt trotzdem die heutige Praxis als 
berechtigt erscheinen, wonach man den momentanen Meridian und die 
momentane Polhöhe durch Beobachtung von Circumpolarsternen fest- 
legt und die letztere zur Überführung der beobachteten Zenitdistanzen 
in Deklinationen (ev. mit einer nachträglich zu ermittelnden Korrek- 
tion) verwendet. 

b) Zeit und Rektaszension. Die Anforderungen an die Gleich- 
förmigkeit des der Zeitmessung dienenden Bewegungsvorgangs sind 
verschiedene, je nachdem man der Messung der Zeit bedarf, um die 
Bewegungen der Gestirne in ihrer Abhängigkeit von der Zeit theore- 
tisch untersuchen zu können, oder zu der früher entwickelten Methode 
der Messung von AR.-Differenzen durch die Zeitdauer zwischen den 
entsprechenden Kulminationen. Die letztere bleibt von dem ver- 
änderten Begriff der Erdrotation unbeeinflußt, da nach dem Früheren 
die Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation um die momentane Achse 
für alle praktischen Bedürfnisse als konstant gelten kann. Über die 
etwaigen Folgen einer säkularen Ungleichförmigkeit der Erdrotation 
für den ersteren Zweck vgl. Nr. 5 c. 

Daneben hängt aber die Konstanz des Zeitmaßes noch ab von dem 
Ausgangspunkte der Rechnung der Zeiteinheit und von der Art, wie 
man den Zeitmoment festlegt. Die Zeiteinheit war in Nr. 3 als die 
Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kulminationen des Frühlings- 
punktes, die Sternzeit als Stundenwinkel des Frühlingspunktes defi- 
niert worden. Diese Definition hält man auch jetzt fest, nur bezieht 
man sie auf den wahren Frühlingspunkt. Dieser ist freilich am Himmel 
weder fest noch gleichförmig bewegt und die wahre Sternzeit ebenso- 
wenig ein gleichförmiges Zeitmaß wie die wahre Sonnenzeit. Seine 
Schwankungen sind indessen quantitativ so gering, daß sie nur in 
den seltensten Fällen bei der Messung der Zeit, niemals bei der 
Messung von Rektaszensionsdifferenzen berücksichtigt zu werden 
brauchen. Im Laufe einer Nutationsperiode von 18°, Jahren würde 
eine völlig gleichförmig (nach „mittlerer“ Sternzeit) gehende Uhr im 
Maximum je 1°.05 nach beiden Seiten vom Stundenwinkel des wahren 
Frühlingspunktes abweichen, was wohl nur bei der Bewegung des 
Mondes merklich werden kann. Dazu käme eine halbjährige Schwankung 
von + 0.08. Und auch die Bewegung des mittleren Frühlingspunktes 
verläuft nach dem Früheren infolge der Präzession genau genommen 


7. Reduktion der scheinbaren Sternörter in mittlere. 47 


weder der Zeit proportional noch in einem größten Kreise des Himmels; 
in 1000 Jahren ändert sich dadurch die Länge des Jahrhunderts um 
etwa 1'/, Sekunden, was wieder nur für die Theorie der Mondbewegung 
in Frage kommt. 

Endlich ist der Erdpol auf der Erde nicht absolut fest; somit sind 
die Erdmeridiane veränderlich und die Differenz der Kulminationszeiten 
und damit der Rektaszensionen hängt strenge genommen von der geo- 
graphischen Lage ab; indessen ist das praktisch zu vernachlässigen. 

Die Fehler unserer üblichen Zeitmessung (durch den Stunden- 
winkel des wahren Frühlingspunktes) sind also teils unvermeidliche, 
herrührend von der etwaigen Ungleichförmigkeit der Erdrotation, 
teils liegen sie in unserer Definition, in der Wahl des ungleichförmig 
bewegten, wahren Frühlingspunktes zum Ausgangspunkt der Zählung, 
teils in der Art ihrer Fixierung durch Sterndurchgänge durch den 
auf der Erde selbst nicht festen Meridian. Trotzdem reicht die übliche 
Sternzeitrechnung für alle Bedürfnisse der heutigen Praxis (Bestim- 
mung der AR.-Differenzen aus den Unterschieden der Meridian- 
durchgangszeiten) völlig aus; nur bei der Zeitmessung selbst werden 
in der Zukunft zunächst die säkularen Beträge, dann aber bei er- 
höhter Beobachtungsgenauigkeit auch die periodischen, Berücksich- 
tigung verdienen. 


Zusammenfassend ergibt sich die Berechtigung der 
folgenden Sätze, soweit es sich um praktisch erreichbare 
Genauigkeit handelt: 


Die Durchgangszeit eines Gestirns durch den wahren Meridian 
nach einer richtige Sternzeit (d. h. den Stundenwinkel des wahren 
Frühlingspunktes) anzeigenden Uhr ist gleich seiner wahren Rektas- 
zension (natürlich befreit von Aberration usw.); die Meridianzenit- 
distanzen geben in Verbindung mit der momentanen Polhöhe wahre 
Deklinationen, d. h. bezogen auf das durch den momentanen Äquator 
und den momentanen Frühlingspunkt gebildete Koordinatensystem. 
Dabei können momentaner Meridian und momentane Polhöhe durch 
aufeinanderfolgende obere und untere Kulminationen von Circumpolar- 
sternen bestimmt werden. Die Reduktion auf ein mittleres Äquinok- 
tium vermitteln dann die üblichen Formeln für die räumliche Be- 
wegung der Erdachse (ohne tägliche Nutation). 


7‘. Reduktion der scheinbaren Sternörter in mittlere. Um 
den Übergang von den scheinbaren Sternörtern zu mittleren wirklich 
ausführen zu können, sind die in Nr. 5 allgemein bezeichneten Ein- 
flüsse ins einzelne zu verfolgen. Wir schließen jeweils unmittelbar 


48 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


an die dortigen Ausführungen an und trennen dementsprechend wieder 
Parallaxe und Aberration einerseits, deren Wirkung sich als eine 
Verlegung des Koordinatenanfangspunktes darstellt, und Präzession 
mit Nutation andererseits, welche in einer Drehung des Koordinaten- 
systems bestehen. 

Wir bezeichnen im folgenden stets mit r, A, B die Polarkoor- 
dinaten des Objekts in einem beliebigen System, befreit von der be- 
treffenden Fehlerquelle, und durch r’, A’, B’ die mit ihr noch be- 
hafteten. 


7a. Parallaxe und Aberration. Die strengen Formeln für eine 
Parallelverschiebung des Koordinatensystems um die Strecken a, b, e 
in sofort ersichtlicher Zählweise 


rcos Acos B=r'cos A’cosB-+.a, 
(1) rsin Acos B=r'sin A’ cos BP -+b, 
r sin B =rsnB-+c 


bringt man in eine meistens bequemere Gestalt durch Einführung der 
Differenzen A’— A, B—B, r —r. Diese zur Übertragung von O', 
dem Beobachtungsorte, nach O0, dem festen Zentrum, erforderlichen 
Korrektionen kann man entweder als Funktionen der auf 0’ oder 
der auf O bezogenen Koordinaten darstellen. Ersteres ist bei der 
Reduktion einer einzelnen Beobachtung, letzteres bei der Voraus- 
berechnung einer Ephemeride angebracht. Eine einfache Vertauschung 
der gestrichelten mit den ungestrichelten Größen unter gleichzeitiger 
Vorzeichenänderung von a, b, e führt die eine Darstellung in die 
andere über. Man findet leicht die strengen Formeln ®°): 
































BANN ra tesa Fon FoaB ara bin 
e cos B’— sin B’ u (« core +4) 
(2) en r’—+ esin B’+ cos B’ see t—# (mätZ ——+bsin en) 
r—r—=sec u sec car | a cos 444 cos = 
+ bein con FR 4 neo T# sin +). 





Sind a, b, c klein gegen r’, so kann man nach Potenzen des Verhält- 
nisses dieser Größen in Reihen entwickeln. Dabei berücksichtigt man 


83) S. die entsprechenden Entwicklungen in den Lehrbüchern (z. B. Brünnow 
p. 147 ff., 184 ff). 


7a. Parallaxe und Aberration. 49 


entweder nur die Glieder erster Ordnung®*) oder auch die der zweiten. 
Reichen auch diese in den festgesetzten Genauigkeitsgrenzen nicht 
mehr aus, so bleibt man besser bei den strengen Formeln. 


Il. Die Parallaxe. 


Die Befreiung der Beobachtungen von der täglichen und der 
jährlichen Parallaxe geschieht durch Beziehung auf das Erd-, resp. 
Sonnenzentrum (geozentrischer, heliozentrischer Ort)®); die säkulare 
Parallaxe wäre, wenn die fortschreitende Bewegung des Sonnensystems 
bekannt wäre, durch Beziehung auf einen festen Zeitpunkt zu berück- 
sichtigen. Die Behandlung stellt sich verschieden, je nachdem die 
Entfernung r’ des Gestirns, wenn auch nur genähert, bekannt oder 
ganz unbekannt ist. 

Die tägliche Parallaxe. Die Beziehung der Beobachtungen auf 
das Erdzentrum läßt stets eine differentielle Behandlung mit Reihen- 
entwicklung zu. Legt man das Koordinatensystem des Äquators 
(«,ö und A statt A, B, r) zugrunde®), so sind a, b, c die recht- 
winkligen, äquatorealen Koordinaten des Erdoberflächenortes in bezug 
auf den Erdmittelpunkt. Da dessen geozentrische Deklination gleich 
der geozentrischen Polhöhe ’, seine geozentrische Rektaszension gleich 
der Sternzeit © ist, so folgt, wenn go den Radiusvektor des Erdortes 
bezeichnet ®”): 


a=0gc089 050, b=gc0spsin®, c=esing. 
Man nennt = die Horizontalparallaxe, x die äquatoreale Horizontal- 


parallaxe?®) des Gestirns, weil es die Winkel sind, unter denen dem 
im Horizont des Erdortes befindlichen Gestirn der Radiusvektor 
des Erdortes, resp. der Äquatorradius der Erde erscheinen. Man 





84) In diesem Falle ist es gleichgültig, ob man rechts die gestrichelten 
oder die ungestrichelten Größen einführt. 

85) Streng genommen müßte man statt des letzteren, wenn man die säku- 
lare Bewegung als gradlinig ansehen will, den Schwerpunkt des Sonnensystems 
wählen. 

86) Am anschaulichsten ist der Effekt in Höhe und Azimut; bei genau 
kugelförmiger Erde verschwindet der letztere ganz; die ellipsoidische Erdgestalt 
bewirkt eine geringfügige Parallaxe auch im Azimut. 

87) Über die Berechnung von eg und g aus den bekannten Dimensionen 
des Erdellipsoids siehe die Lehrbücher (Brünnow, p. 142; Oppolzer, Bahnb. 1, 
p. 29); sind vorübergehend a und b beide Halbachsen der Meridianellipse, so ist: 


cos 
cos 





t I, 2 2 
sy=utp ua 


88) Kurz Parallaxe des Gestirns. 
Encyklop. d. math. Wissensch, VI 2. 4 


op f 
; sec — og). 
G (P — 9) 


50 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


drückt eg gewöhnlich in Einheiten des Äquatorradius, A in mittleren 


Erdbahnradien aus und muß daher in den früheren Formeln N noch 


mit sin?® (po Sonnenparallaxe) multiplizieren. Dann lauten unter 
Einführung des Hilfswinkels y durch 


«— a a . 
ig y — cos —, . sec (0 — 5 ) tg 9 








die strengen Formeln 


[ © sin po cos y’ sin (0 — a) sec ö 
, A 
tg (ae — oe) = ) 


1— Zsin pa cos p'cos (O — a) sec 6 














4 i & sin p3 sin g’ sin (y — ö) cosee y 
tg (d ar 6) ER e T ’ 
1— A Nu Po sin @’ cos (y — Ö) cosec y 
ei sin ($ — y) 
\ sel er 


Bis auf den Mond°®?) reicht man mit den Gliedern erster Ord- 
nung aus: 


’ oe ‚ . 
«— = Pocosp'secösin(d —e«), 


o—d= Po (cos Ö sin 9 — sin d cos p cos (Od — «)), 
A— A= 099 (cos 0 cos p cos (® — «) + sind sin p'). 


In diesen Formeln ist A als bekannt vorausgesetzt; sie dienen 
umgekehrt dazu, aus den beobachteten parallaktischen Effekten die 
Entfernung des Gestirns in irdischem Maß zu bestimmen °). 

Die jährliche Parallaxe. Die Größen a, b, c sind hier die helio- 
zentrischen Koordinaten des Erdzentrums, resp. die negativ genommenen 
geozentrischen Koordinaten des Sonnenzentrums; man findet sie in 
letzterer Form in den Ephemeriden der verschiedenen Jahrbücher 
(s. später), die aus den auf Grundlage der Theorie entworfenen Sonnen- 
tafeln berechnet sind **). 


89) S. z. B. Brünnow, p. 153/154. 

90) Über die Berücksichtigung der Abweichung des Beobachtungsorts vom 
Erdzentrum bei neuentdeckten Planeten und Kometen, deren Entfernung ganz 
unbekannt ist, vgl. den Artikel VI, 9 (Herglotz). 

91) Die bekannteren Sonnentafeln des 19. Jahrhunderts sind (siehe auch 
Nr. 8): F. v. Zach: Tabulae motuum solis, Gothae 1792 und als Suppl.: Tabulae 
motuum solis novae et iterum correctae, Gothae 1804; J. B. J. Delambre, Tables 
du soleil, Paris Bur. Long. tab]. astr. 1, Paris 1806; P. A. Hansen-C. F\. R. Olufsen, 


7a, Parallaxe und Aberration. 51 


Für die Körper des Sonnensystems, bei denen die Überführung 
der geozentrischen Örter in heliozentrische für die Zwecke der Theorie 
geboten ist”), wird das Formelsystem (1) praktisch umgeformt*). 

Für die extrasolaren Himmelskörper ist der Effekt der jährlichen 
Erdbewegung so gering, daß sich bisher nur für vereinzelte Sterne 
ihre Parallaxe x, d.h. der Winkel, unter dem die mittlere Entfernung 
Erde-Sonne von dem Gestirn aus erscheint, hat bestimmen lassen. 

Bei Zugrundelegung äquatorealer Koordinaten wird: 


a=—Rcos®, b=—RsnOcosse, c=—RsinOsine 
und damit bis zu den Gliedern erster Ordnung: 
«e— «= nER (cos © sin « — sin © cos & cos «) sec Ö 
—= ah cos D sin (@ — A) sec 6, 
ö—Öö'—=aR|(cos e sin « sin d — sin & cos d) sin © 
+ cos O sind cose«). 


Einfacher ist der Effekt der jährlichen Parallaxe auf die ekliptikalen 


Koordinaten: A—X—=aRsin (A— O©)secß, 


B—B=aR cos (A — ©) sin ß. 

Die säkulare Parallaxe. Die fortschreitende Bewegung des Sonnen- 
systems kommt allein für die extrasolaren Himmelskörper in Frage, da 
sie die Körper des Sonnensystems relativ zur Erde in Ruhe läßt. 
Da indessen a, b, c zunächst als lineare Funktionen der Zeit an- 
zusehen sind, so sind auch die Glieder erster Ordnung in der säku- 
laren Parallaxe für die bisher in Betracht kommenden Zeiträume 
der Zeit proportional und vermischen sich untrennbar mit den eben- 
falls in erster ausreichender Näherung der Zeit proportionalen eigenen 
Bewegungen der Fixsterne. Erst wenn die rein geometrische Be- 
schreibung der Fixsternbewegungen in eine dynamische übergehen 
wird, wird man die beiden Vorgänge voneinander trennen können °%). 


II. Die Aberration®). 


Unter Voraussetzung der Kenntnis der Lichtzet ,— 4 =r 
zwischen der Aussendung #4, und dem Eintreffen 4, des Licht- 


Tables du soleil, Copenhague 1853; U. J. Leverrier, Tables du soleil, Obs. de 
Paris ann. 4 (1858); S. Neweomb, Tables of the motion of the earth..., Wash. 
Astron. Papers 6 (1898). 

92) Statt des nur durch Rechnung festzulegenden Schwerpunkts des ganzen 
Sonnensystems führt man in der Theorie den beobachtbaren Sonnenmittelpunkt ein. 

93) Siehe Oppolzer, Bahnb. 1, p. 20 ff. 

94) Näheres siehe Artikel VI 2, 26 (Anding). 

95) Siehe besonders Y. Villarceau, Theorie de l’aberration, Addition ä la Conn. 

4* 


52 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


strahls°®) berücksichtigt man zunächst die sog. „Planetenaberration“ (oder 
besser „Lichtzeitparallaxe“) durch Übergang auf die Zeit {,, indem 
man den parallaktischen Effekt der in der Zeit r erfolgten Erd- 
bewegung in Rechnung bringt (als tägliche, jährliche, säkulare Licht- 
zeitparallaxe); dazu kommt dann noch als rein optische Wirkung die 
eigentliche „Fixsternaberration“. Falls die Bewegung des Erdortes 
während der Lichtzeit als geradlinig gelten kann, lassen sich beide 
vereinigen. Es gilt nämlich in diesem Falle der Satz: 

Die zur Zeit Z, beobachtete scheinbare Richtung nach einem 
Gestirn ist gleich der wahren Richtung vom Erdort nach dem Gestirn, 
beide zur Zeit i, genommen; der zur Zeit i, beobachtete Ort ist der 
wahre Ort für die Zit4=b — r. 

Es bleibt im speziellen zu untersuchen, inwieweit man die Be- 
wegung des Erdortes in der Zeit r als geradlinig ansehen kann. 


Zur Berechnung der Lichtzeit r benutzt man in = 5 gewöhn- 


lich und ohne besonderen Fehler entweder A, oder A,, die den Zeiten 
t, oder t, entsprechenden geometrischen Entfernungen, während A in 
aller Strenge den Abstand des Sternorts zur Zeit f, vom Erdort der 
Zeit ti, bedeutet. Den Effekt dieser Vertauschung berechnet .batter- 
mann”) für die jährliche Erdbewegung und findet ihn unmerklich. 
Für die säkulare Bewegung lassen sich aus Unkenntnis ihres Betrages 
nicht ähnliche numerische Abschätzungen ausführen. In einer be- 
sonderen Form hat Höffler”) auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, 
indem, die säkulare Bewegung beispielsweise in der Ekliptik voraus- 
gesetzt, die Verfinsterungen der Jupiterstrabanten eine Ungleichheit 
von der Periode der Umlaufszeit des Jupiter aufweisen müssen, je 
nachdem die säkulare Bewegung von der Erde auf Jupiter zu oder 
von ihm fort gerichtet ist. Für die heute erreichbare Genauigkeit 
dürften auch diese Einflüsse verschwindend sein, sie zeigen nur für 
die Zukunft eine Möglichkeit, die säkulare Bewegung zu untersuchen. 

Die Formeln für die Fixsternaberration ergeben sich nach dem 
Früheren aus den parallaktischen, wenn man darin für die Entfernung 
des Gestirns die Lichtgeschwindigkeit, für den Ortsunterschied die 





des Temps pour 1878, Paris 1876; H. Battermann, Beiträge zur astronomischer 
Aberrationslehre, Diss. Berlin 1881. 

96) Ist die Entfernung des Objekts und damit die Lichtzeit unbekannt, so 
kann man nur die Fixsternaberration berücksichtigen und muß mit dem vom 
Erdort zur Zeit t, gesehenen Sternort der Zeit t, rechnen. 

97) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 14 ff. 

98) J. F. Höffler, Über eine Methode zur Bestimmung der Geschwindigkeit 
des Sonnensystems, Astr. Ges. Vjs. 31 (1896), p. 297. 


7a. Parallaxe und Aberration. 55 


negative Geschwindigkeit der Ortsveränderung einführt, d. h. im Formel- 


system (1) auf p. 48 vr, r’ durch V, V’; a, b, e durch an m a4 
de 
SER ersetzt. 
da db de 


Die hierin auftretenden Geschwindigkeitskomponenten Ben 
setzen sich wieder aus drei Summanden zusammen, die der täglichen, 
jährlichen und säkularen Bewegung des Beobachtungsortes entsprechen 
und durch Differentiation der bei der Parallaxe aufgestellten Erdort- 


koordinaten nach der Zeit erhalten werden. Dürfte man die Glieder 


E i 1 7002.17 40. 25.06 } 
zweiter Ordnung in den nach 5 74 y gg Y 7, fortschreitenden 


Reihenentwicklungen vernachlässigen, so könnte man die von diesen 
drei Bewegungen erzeugten Effekte getrennt behandeln und sie erst 
nachträglich superponieren. In der Tat darf man die geringfügige 
tägliche Aberration in dieser Weise sofort ablösen und hat nur die 
jährliche und säkulare Aberration einer gemeinsamen Betrachtung zu 
unterwerfen. 

Es sei O8 die Richtung des wahren Lichtstrahls, O8’ die des 
scheinbaren, wie sie beobachtet wird. Wir zerlegen die absolute 
Geschwindigkeit 00° in O0, die säkulare, 
und 00, die jährliche. Entsprechend er- 
halten wir in OS, die mit säkularer Aber- 
ration behaftete wahre, resp. die von jähr- 
licher Aberration befreite scheinbare beobach- 
tete Richtung. Damit ist unmittelbar ersicht- 
lich, daß man von den beobachteten Koordi- 
naten A’, B’ ausgehend die Gesamtwirkung 
beider Aberrationen in der folgenden Art be- 








rechnen kann: ee x 
Zunächst wird der Effekt der jährlichen  *——+ 0 
Aberration aus den Geschwindigkeitskompo- Fig. 2. 


nenten der jährlichen Bewegung für sich nach 
Formelsystem (1) berechnet, wobei man jedoch die absolute Licht- 
geschwindigkeit V durch V, ersetzt. Um die so von der jährlichen 
Aberration befreiten Größen A,, B, jetzt noch von der säkularen 
Aberration zu befreien, hat man die Korrektionen an sie anzubringen, 
welche aus dem Formelsystem (1) durch Einsetzung der Geschwindig- 
keitskomponenten der Säkularbewegung hervorgehen. 

Das Resultat ist, daß schließlich doch alle drei Bewegungen des 
Beobachtungsortes getrennt behandelt werden dürfen, wofern man nur 
bei der Berechnung der jährlichen Äberration die Lichtgeschwindig- 


54 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


keit mit dem Faktor 1+ 7 cos x multipliziert”). Nennt man näm- 


lich x den Winkel zwischen den Richtungen des wahren Lichtstrahls 
und der säkularen Erdbewegung, so hat V, den Wert: 
Ve =V?+0° + 20V co8® 
oder nahe genug: 
vs= r( - = cos 2): 


Die tägliche Aberration. Die Lichtzeitparallaxe kann wie die 
tägliche Parallaxe überhaupt nur für Körper des Sonnensystems meß- 
bare Beträge erreichen. Da man für die entfernteren Körper die täg- 
liche Bewegung des Erdortes nach .Battermann!") während der Licht- 
zeit nicht mehr als geradlinig ansehen kann, trennt man Planeten- 
und Fixsternaberration, vereinigt die erstere mit der täglichen 
Parallaxe und erhält so für tägliche Parallaxe und Aberration die 
Vorschrift: Man berechnet die tägliche Parallaxe und Fixsternaber- 
ration mit den Erdortkoordinaten der Zeit i, und erhält durch ihre 
Hinzufügung den wahren Ort für die Zeit #,.19) 

An die Fixsternörter hat man nur die tägliche Fixsternaberration 
anzubringen; für ihre Berechnung erhält man im System des Äquators: 


de > DEREN a. a 
ENTER 0oS op sın de’ TEC 9 008 1? dt 


und damit, wenn man sich auf die Glieder erster Ordnung beschränkt: 


0 


& — «= — cos p cos( — «) sec 6, 
6 —Ö= — ccos op sin(® — e) sind. 
Darin ist ce = 2 . = die Konstante der täglichen Aberration (die 


Veränderlichkeit von o ist verschwindend). Das Einsetzen der nume- 
rischen Werte (Lichtgeschwindigkeit, Sonnenparallaxe usw.) ergibt): 


c = 0.322. 

99) Zuerst gegeben von Y. Villarceau 1. c. Fußn. 95). Alle gegenteiligen An- 
gaben beruhen auf Verwechslungen der scheinbaren Koordinaten A’, B’ mit den 
wahren A, B, resp. mit A,, B,. Vgl. H. Battermann, Einige Berichtigungen aus 
dem Gebiete der Aberration und Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts, Astr. 
Nachr. 118 (1888), p. 369 und 119 (1888), p. 297. 

100) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 20 ff. 

101) Battermann, Diss., p. 22/33. — Für die näheren Körper des Sonnen- 
systems (bis Jupiter inkl.) ist die gesamte tägliche Aberration durch den Über- 
gang auf die Zeit t, schon hinreichend strenge berücksichtigt; man hat dann 
nur die tägliche Parallaxe für die Zeit t, zu berechnen. 

102) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 111. 


7a. Parullaxe und Aberration. 55 


Bei Beobachtungen im Meridian ist: 
& — = — c cos p sech, 
I— 6 =. 


Die tägliche Aberration beeinflußt dann, wie auch geometrisch 
anschaulich, nur die Rektaszensionen und ist für ein fest aufgestelltes 
Instrument von der Natur eines Instrumentalfehlers. Sie wird daher 
nach F. W. Bessel sofort mit dem Kollimationsfehler (s. Artikel VI 2,5 
(Ristenpart)) vereinigt!"). 

Die jährliche Aberration. Als jährliche Bewegung betrachtet man 

bei der Berechnung der Aberration die ungestörte Umlaufsbewegung 
des Erdmittelpunkts um das Sonnenzentrum nach den Kepler’schen 
Gesetzen. Jede Abweichung von dieser Bewegung erzeugt eine ihr 
eigentümliche (sowohl Planeten- wie Fixstern-)Aberration, die indessen 
in keinem Falle meßbare Beträge annimmt!%). Diese Erdbewegung 
läßt sich während der Lichtzeit für alle Körper des Sonnensystems 
als geradlinig ansehen !®); die gesamte jährliche Aberration ist daher 
durch Übergang auf die Zeit t, berücksichtigt. Für die Fixsterne 
ist hingegen eine getrennte Behandlung der Lichtzeitparallaxe und 
der Fixsternaberration erforderlich. Die erstere vereinigt sich völlig 
mit der eigentlichen jährlichen Parallaxe derart, daß diese nicht für 
die Zeit i,, sondern für die Beobachtungszeit t, zu berechnen ist. 

Die für die Berechnung der jährlichen Fixsternaberration er- 
forderlichen Geschwindigkeitskomponenten der jährlichen Erdbewegung 
werden im System des er Ai 


zu — cos © S+R sin © {©. usw, 


103) Zuerst berechnet findet sich der Effekt der täglichen Aberration bei 
L. Euler, Petersbg. Commentarii 11 (1739), p. 169 ff.; dann bei J. W. von Camerer, 
Über die tägliche Aberration der Fixsterne, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 1 (1793), 
p. 198 ff. und Berl. astr. Jahrb. für 1798 (1795), p. 139 ff.; zuerst berücksichtigt 
ist er von F. W. Bessel, Königsb. Beob. 4 (1818), p. II. 

104) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 28 ff. Einmal führt das Sonnen- 
zentrum selbst periodische, den einzelnen Planetenstörungen entstammende Be- 
wegungen um den Schwerpunkt des ganzen Sonnensystems aus; dazu kommen 
die Störungen der elliptischen Erdbewegung, insbesondere durch den Mond. 

105) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 20. Die Krümmung der Erdbahn 
bewirkt Aberrationseffekte, die bei Saturn 0”.01, Uranus 0’’.02, Neptun 0.03 
erreichen. 

106) Der jährliche Aberrationseffekt stellt sich zwar naturgemäß einfacher 
in den ekliptikalen Koordinaten dar — man hat dazu im folgenden nur e=0 zu 
setzen —, doch ist es der Anwendungen halber ratsam, sogleich das BAUIBTERE 
System sünraführen. 


56 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


die durch Einführung der Formeln der elliptischen Bewegung!) 
übergehen in: 








da I: EM . : 
tan au en O + singsin I), 
db cose dM ; 

da T— asg ar (608 © + sin p cos IT), 
de sine dM ä 

a oa ar (608 © + sin p cos IT). 


Darin bezeichnet © die Sonnenlänge, M ihre mittlere Anomalie, 
& die Schiefe der Ekliptik, sin g = e die Exzentrizität, [I die Länge 
des Perigäums. Die Glieder der ersten Ordnung werden damit!®): 


«— @—=K (sin «sin © + cos a cos © cos &) sec Ö 
+ Ksin g (sin « sin IT + cos « cos II cos &) sec 6, 
6 — 6 —K|— c0s® (sin asin d coss — cos d sine) + sin © cos«sin d} 
+ Ksinp { — cos II(sinasindcose— cosösine) + sin ITcosesind). 


Beschränkt man sich auf diese Glieder erster Ordnung, so ist es 
gleichgültig, ob man rechts die unmittelbar beobachteten oder die 
schon von der jährlichen Aberration befreiten Koordinaten einsetzt. 
Erst in den Gliedern zweiter Ordnung macht sich ein Unterschied 
geltend !%). Auch ist es an sich gleichgültig, ob man den wahren 
Äquator oder einen mittleren den Formeln zugrunde legt; im ersteren 
Falle erhält man den Aberrationseffekt in seine beiden Komponenten 
nach dem wahren, im zweiten nach dem mittleren Äquator zerlegt. 
Die aufgestellten Formeln gelten zunächst für den wahren Äquator !!9); 
indessen rechnet man rechts besser mit den mittleren Koordinaten 
einer naheliegenden Epoche (etwa des Jahresanfangs), um auf diese, 
längere Zeit festen Argumente die Berechnung von Tafeln aufbauen 
zu können. Die strenge genommen dadurch hervorgerufenen Korrek- 


107) Siehe z. B. Brünnow, p. 186; Oppolzer, Bahnb. 1, p. 112. 

.. 108) Der Index 0 bei «, ö ist sofort weggelassen, da «,, d,, indem man in 
der Praxis von der Berücksichtigung der säkularen Aberration absehen muß, die 
wahren Sternkoordinaten sind. 

109) Siehe z.B. E.v. Rebeur-Paschwitz, Artikel „Aberration“ in Valentiner, 
Handwörterbuch 1, p. 166—179. 

110) Da man den Effekt an den unmittelbar beobachteten Koordinaten an- 
bringt, und zudem auch die Geschwindigkeitskomponenten der jährlichen Erd- 
bewegung, d. h. die Sonnenkoordinaten, Schiefe der Ekliptik usw. in den Ephe- 
meriden auf den wahren Äquator bezogen sind. 


7a. Parallaxe und Aberration. 57 


tionsglieder, aus Produkten von Präzession und Nutation in Aber- 
ration bestehend, können nur für Polsterne merklich werden!"). 
ri] ‚AM 
V,cosp dt 
setzt man in der Praxis unter Vernachlässigung der säkularen Aberration 
für V, die Liehtgeschwindigkeit V ein und pflegt sie dann als Kon- 
stante der jährlichen Aberration, kurz als Aberrationskonstante k zu be- 
zeichnen. Sie hängt ab von den Dimensionen der Erdbahn und der 
Lichtgeschwindigkeit. Man pflegt sie indessen nicht aus diesen, den 
Beobachtungen selbst nur mit merklicher Unsicherheit zu entnehmen- 
den Daten, sondern aus eigens zu diesem Zwecke angestellten Mes- 
sungen abzuleiten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde 
der Wert: 


In der in den obigen Formeln auftretenden Größe: X’ — 


k = 20”.253 


nach J. B. J. Delambre (abgeleitet aus Verfinsterungen der Jupiters- 
trabanten) benutzt; eine fundamentale Verbesserung erzielte W. Struve 
aus Beobachtungen am Passageninstrument im ersten Vertikal!'?); der 


von ihm abgeleitete Wert: 
k = 20.445 


war für die zweite Hälfte des Jahrhunderts maßgebend. Die Pariser 
Konferenz?) setzte den. Wert: 


k = 20”.47 


fest; indessen ist heutzutage wohl sicher, daß der Wert 20.50 bis 
20”.52 der Wahrheit am nächsten kommt '!"*). 


Die obigen Formeln für den jährlichen Aberrationseffekt in den 
äquatorealen Koordinaten zerfallen in zwei Teile, deren erster, der 
Hauptteil, für einen Fixstern von jährlicher Periode ist, während der 
zweite von der Erdbahnexzentrizität herrührende für jedes feste Ge- 
stirn als nahezu konstant gelten kann. Die Konstante dieses zweiten 
Teils ist nur geringfügig: 

k sin og = 0”.343. 


111) Bessel, Fund., p. XXff.; E. v. Rebeur- Paschwitz '°%), sowie H. Batter- 
mann, Astr. Nachr. 118 (1888), p. 369. 

112) W. Struve, Sur le coefficient constant dans l’aberration des &toiles 
fixes, St. Pet. me&m. (6, math., 1) 5 (1844), p. 229 —= St. Pet. bull. (phys.) 1 (1843), 
p- 257. 

114) Vgl. z. B. M. Nyren, L’aberration des etoiles fixes, St. Pet. mem. 
(7) 31 (1883); S. C. Chandler, The probable value of the constant of aberration, 
Astron. Journ. 23 (1903), p. 1. Weitere Werte in $S. Newcomb, Fund. Const., 
siehe Fußn. 13), 


58 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Daher hat man diesen zweiten Teil bisher meist unberücksichtigt 
gelassen, was indessen für bewegte Gestirne nicht ratsam ist. 
Das Hauptglied der jährlichen Aberration lautet in ekliptikalen 
Koordinaten: 
A—NX=+kcos (A — ©) sec ß, 
B—B= — ksin (A — ©) sin ß 


und zeigt, daß der Aberrationseffekt darin besteht, den Sternort in 
jährlicher Periode eine Ellipse, deren halbe große Achse konstant — k, 
deren kleine Halbachse % sin ß ist, um eine Mittellage beschreiben zu 
lassen. Das war auch die Form, in der J. Bradley seine Entdeckung 
machte und auf Grund deren der Aberrationseffekt ursprünglich be- 
rechnet wurde. Delambre'') gab zuerst Aberrationsformeln auf 
Grund der theoretischen Erklärung der Aberration und erwähnt dabei 
schon jenes von der Erdbahnexzentrizität abhängige Glied. Später haben 
‚Bessel!!%) und insbesondere Oppolzer''”) an dieses Glied erinnert. Eine 
geeignete Form für die Tabulierung gab Gauß'"?) und dann im Verein 
mit Präzession und Nutation Bessel'!?). 

Will man schließlich den Einfluß der säkularen Aberration auf 
die jährliche berücksichtigen, so hat man den Nenner V, in jener 
Konstanten nicht völlig konstant zu setzen, sondern von der Lage des 
unbekannten Apex der säkularen Bewegung gegen den Sternort ab- 
hängig zu machen. Aus 


v,= v(1i+ 2. cos 2) folgt: K— k(1— 7% cos 2), 


wo k in Strenge konstant ist. Die Aberrationskonstante ist also für 
verschiedene Sterne je nach ihrem Winkelabstand von dem Apex der 
säkularen Bewegung etwas verschieden und ihre Bestimmung kann 
die absolute Bewegung des ganzen Sonnensystems (gegen den Licht- 
äther) kennen lehren. Indessen scheint die Genauigkeit in der Be- 


115) J. B. J. Delambre, Conn. des temps de l’an X (1803), p. 346 und Astronomie 
the6orique et pratique 3, Paris 1814, chap. XXIX, p. 109. Er bemerkt, daß bei der 
üblichen Art der Berechnung aus der Aberrationsellipse die Exzentrizität ver- 
nachlässigt sei, daß er aber zuerst gezeigt habe, daß man dazu berechtigt sei. 
Zugleich sagt er aber auch, wie man sie sehr einfach berücksichtigen könne. 

116) F. W. Bessel, Über die Aberration der Planeten und Kometen, Astr. 
Nachr. 12 (1835), p. 121. 

117) Th. v. Oppolzer, Eine Bemerkung über die Berechnung der Aberration, 
Astr. Nachr. 65 (1865), p. 381 und Oppolzer, Bahnb. 1, p. 114 ff. 

118) C. F. Gauß, Monatl. Corr. 17 (1808), p. 312—317 = Werke 6 (1874), 
p. 123 ff. 

119) F. W. Bessel, Tafeln zur Reduktion der Örter der Fixsterne, Astr. 
Nachr. 1 (1823), p. 49. 


7b. Präzession und Nutation. 59 


stimmung von % zur Zeit noch nicht derart zu sein, um die jeden- 
falls geringfügige Abhängigkeit vom Sternort zufolge jenes Villarceau- 
schen Faktors hervortreten zu lassen. 

Die säkulare Aberration. Die säkulare Bewegung kann selbst 
für die Lichtzeit der Fixsterne als geradlinig gelten; demnach wird 
die gesamte säkulare Aberration durch Übergang auf die Zeit £, be- 
rücksichtigt. Der zur Zeit ti, beobachtete, von täglicher und jähr- 
licher Aberration befreite Sternort ist gleich dem wahren Ort zur 
Zeit 4 =1 — r, gesehen vom Erdort zur Zeit i,. Da nun einerseits 
rt für die meisten Fixsterne unbekannt ist und die Bezeichnung der 
Epoche (ob t, oder t,), so lange man die Bewegungen der einzelnen 
Sterne isoliert betrachtet, gleichgültig ist, läßt man die säkulare 
Aberration ganz fort!?). 


Der Effekt der säkularen Fixsternaberration allein ließe sich 
durch: 
v 
_ 


ö — d6, — 7 {cos D cos («a — A) sin d — sin D cos ö} 


0.7.0 75 


cos D sin (« — A) sec Ö 


(A, D äquatoreale Koordinaten des Apex der säkularen Bewegung) 
darstellen, woraus neben einer von der Zeit so gut wie unabhängigen 
Verzerrung des Himmelsanblicks eine Multiplikation der Eigenbe- 
wegungen gerade mit dem Villarceau’schen Faktor resultieren würde !?"). 


tb. Präzession und Nutation. I. Präzession. Den Effekt, den eine 
Drehung der Fundamentalebene um den Winkel ö unter gleichzeitiger 
Verschiebung des Anfangspunktes der Zählung in ihr auf die Koor- 
dinaten eines Gestirns ausübt, berechnet man aus dem von den Polen 
der beiden Fundamentalebenen und dem Stermorte gebildeten sphäri- 
schen Dreieck. An die Bezeichnungen für die Ekliptik anknüpfend 
GN, N) erhält man als Transformationsformeln von A, ß in A, ß': 


120) Allerdings beziehen sich dann die gleichzeitig erhaltenen Sternörter 
auf verschiedene Zeitpunkte und Erdörter. Indessen kann das höchstens in 
ferner Zukunft, wenn etwa die gravitationstheoretische Behandlung der Fixstern- 
bewegungen begonnen hat, in Frage kommen. Jetzt zu berücksichtigen wäre 
höchstens die Änderung der Lichtzeit infolge der Änderung der Entfernung des 
Gestirns von der Erde. Da diese. Änderung der Entfernung indessen jedenfalls 
für diesen Zweck als gleichförmig angesehen werden kann, so wären nur die 
auf üblichem Wege erhaltenen Eigenbewegungen der Fixsterne, um die geome- 
trischen Verschiebungen gegen den Erdort zu geben, mit einem von der Ein- 
heit nur unmerklich verschiedenen Faktor zu multiplizieren. 

121) K. Schwarzschild, Über den Einfluß der säkularen Aberration auf die 
Fixsternörter, Astr. Nachr. 136 (1894), p. 81. 


60 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


cos (K— N — |) cos BP = cos (A — N) cos ß, 
sin (—N —|) cos BP = sin (A — N) cos ß cosi + sin B sin ;, 
sin # = — sin (A — N) cos ß sind + sin ß cos. 
Durch einfache Umformungen erhält man unter Einführung der Hilfs- 
größen q und L: 
g= sin! (tg ß— sin (A— 9) tg), 
a es een: 
I iaLkııT 

tg PZP— — tg4isin@— +4) sec}L. 

Durch Einführung der auf den Äquator bezüglichen Größen 
m, n, p (s.p. 41/42) erhält man den Präzessionseffekt in den äquato- 
realen Koordinaten '??): 

g—sinn(tgd + cos (a +p)tg}n), 
qsin (@+P) 
1—qcos(@+p)’ 


e=«+m-+L, 
‘—6 L 
tg —— =tg4n cos (« +p+ z) sec $4L. 
Für die gewöhnlichen Zwecke der Praxis kommt man mit Reihen- 


entwicklungen aus. 
Setzt man: 











tg (@ — @ — m) = 


m—=Zm(—t 
n = Zn,(t —t)' 
p= Zn —t) 
57,2, 
“—a= Alt Ye <SDi — ), 
so wird: 


A, =m, +n sinatgod, 
2 
A,=m +" sin 2« + (n, sin« + pn, cosa)tgd + = sin 2a tg? d, 


D,=n, eose, 


: ne 
D, = n, cos « — n,p, sina— —- sin?atg6, 


wobei die numerischen Beträge nach p. 42 in abgekürzter und etwas 
veränderter Form?) wiederholt lauten '?%): 


122) Im Prinzip zuerst gegeben von Bohnenberger, s. Fußn. 72). 

123) Die Zeit ist hier (Oppolzer, Bahnb. 1, p. 219) in tropischen Jahren gezählt. 

124) Die Größen m,, n, nennt man gewöhnlich m, n, indem bei unseren 
obigen m, n, p die beiden Indizes £, t' hinzuzudenken sind. 


7b. Präzession und Nutation. ; 61 


m, — 46”.05931 + 0”.000284 (t — 1850.0), m; — 07.000142, 
n, = 20”.05150 — 0”.000087 (t — 1850.0), 7, — — 0”.000043, 
p, = 23°.030. 


Für ganz kurze Zeiten, etwa ein Jahr, reicht man mit dem ersten 
Gliede aus. Man bezeichnet daher als „jährliche Präzession“, kurz als 
„Prüzession für die Zeit {“, Pre,, die Größen (A), und (F),_, d.h.: 

Pre,()= A, =m, + m sinatgö, Pre,($) =D, =n, c08 « 


und berechnet den gesamten Präzessionsbetrag aus 


E 

Pre’ = fi Pre, dt 
t [4 

durch mechanische Quadratur. Einen ungefähren Überschlag gibt 


danach: (f — £) : Pre,, eine meistens genügende Annäherung: 
( ae t) E Pro,+r, 
2 


wodurch die zweiten Glieder der Entwicklung berücksichtigt sind. 
Man pflegt dabei die hundertjährige Anderung der jährlichen Präzession, 
die variatio saecularis, V einzuführen, indem man setzt 
V,‚(e) =2004,, V,(6) = 200D,. 
Dann ist sehr angenähert 
Pro4r = Pro, + 5 Pr: 
2 


Man gibt danach in den Sternkatalogen (s. p. 68) neben dem Stern- 
ort die Präzession und säkulare Variation für die Katalogepoche an. 
Hat man nur Pre, ohne V, berechnet, so findet man angenähert 


nach —_ Pre, die Koordinaten für das Mittel der Epochen und 


daraus Pre,+, mit meist hinreichender Genauigkeit. 
ER 
Reicht man auch mit den Gliedern zweiter Ordnung nicht aus 


— es ist das heute schon für mäßige Deklinationen bei einer Epochen- 
differenz von 100 Jahren der Fall —, so muß man entweder die 
Glieder dritter Ordnung hinzunehmen oder eine weitergehende Formel 
der mechanischen Quadratur anwenden, wie etwa 


Pre! = dee [Pre, + 4Pre+:+ Prey | ; 
2 
bis auf Glieder vierter Ordnung genau'®). Auch kann man die 


125) z. B. A. Auwers, Neue Reduktion der Bradley’schen Beobachtungen 
aus den Jahren 1750 bis 1762, 3, St. Petersburg 1888, p. 66. Ähnlich für die 
Sterne über d = 70° im Berl. astr. Jahrb. 


62 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Glieder dritter Ordnung, da sie doch nur geringfügig sind, in Tabellen- 
form bringen). Die strengen Formeln wird man nur selten an- 
wenden, z. B. wenn es sich um vereinzelte Sternpositionen handelt, 
die man auf sehr entfernte Epochen (mehrere Jahrhunderte) über- 
tragen will. In Zukunft wird man am besten die Epochen zerlegen 
und stufenweise den Präzessionsbetrag berechnen. 

Die Eigenbewegungen der Fixsterne. Die Übertragungsformeln 
auf verschiedene Äquinoktien werden dadurch für viele Sterne kom- 
plizierter, daß man auf ihre Eigenbewegung Rücksicht nehmen muß. 

Hat man alle zu verschiedenen Epochen angestellten Beobach- 
tungen eines Sternes auf ein gemeinsames Äquinoktium bezogen, so 
stellt die übrig bleibende Abhängigkeit von der Zeit die Eigenbewegung 
(abgekürzt: E. B.) des Sternes (relativ zum Schwerpunkt des Sonnen- 
systems) dar, die man bisher, von einigen physischen Doppelsternen ab- 
gesehen, als geradlinig-gleichförmig ansehen kann. Vom Auge des 
Beobachters aus stellt sie sich als nahezu gleichförmige Winkel- 
bewegung in einem größten Kreise der Himmelskugel dar'?”) und die 
Theorie dieser Eigenbewegungen ist heutzutage erledigt, sobald man 
für jeden Stern den konstanten jährlichen Betrag u, dieser Winkel- 
bewegung und die Lage des größten Kreises durch seinen Positions- 
winkel » gegen den Stundenkreis aus den Beobachtungen bestimmt 
hat. Der letztere ändert sich, selbst bei gleichförmiger Winkel- 
bewegung im größten Kreise, mit der Zeit; es wird in erster völlig 
ausreichender Annäherung: 


126) H. Kloock, Tafel für das dritte Glied der Präzession, Kiel Sternw. 
Publ. 5 (1890). 

127) In aller Strenge wird diese Winkelbewegung nicht gleichförmig sein, 
sondern von unserer relativen Örtsveränderung gegen den Stern abhängen müssen. 
H. Seeliger (Bemerkung über veränderliche Eigenbewegungen, Astr. Nachr. 154 


(1901), p. 65) stellt für die Winkelbewegung °, die Beziehung auf: 


dt 
dp de dp 
worin n die Geschwindigkeit im Visionsradius in km pro 1*, x die jährliche 


Parallaxe in Bogensekunden bedeutet. F. Ristenpart versucht (siehe Astr. Ges. 
Vjs. 37 (1902), p. 242) dieses quadratische Glied der E. B. (Eigenbewegung) in 
den beobachteten Örtern des schnellstbewegten Sterns der nördlichen Hemi- 
sphäre, Groombridge 1830, nachzuweisen, was indessen noch nicht völlig gelingt, 
da die Parallaxe nicht sicher genug bestimmt erscheint. In ferner Zukunft wird 
man aus diesem Gliede, das aus dem Effekt der Sonnenbewegung und der des 
Sterns resultiert, Rückschlüsse auf die Parallaxen der Sterne ziehen können, da 
eben der Effekt dem Quadrat der Zeit proportional ist. Gegenwärtig wird man 
es bei allen Sternen noch für Jahrzehnte hinaus vernachlässigen können. 


7b. Präzession und Nutation. Eigenbewegung. 63 


p—p—= tu sinptgd(l — 1. 
Indessen ist es nicht üblich, in dieser Weise die E. B. anzugeben, 
sondern, entsprechend der getrennten Beobachtungsart der äquatorealen 
Koordinaten, zerlegt in Komponenten u, und u, nach Rektaszension 
und Deklination, sodaß: 
u. = u, sin p sec 6, 


Us = U, cC08SP. 


Be mut 2) was tgd, 
u = — 3 — £) u’, sin 20. 


Es folgt dann: 


In den weitaus meisten Füllen reicht man bis jetzt mit der Annahme 
einer gleichförmigen Eigenbewegung auch in Rektaszension und 
Deklination aus; nur bei sehr schnell bewegten Sternen, höheren 
Deklinationen und großen Zwischenzeiten wird man auf das zweite 
Glied schon jetzt Rücksicht nehmen müssen !?). 

Zu dieser reellen Änderung der E.B. in den äquatorealen Koor- 
dinaten kommt noch eine weitere, der Änderung des Koordinaten- 
systems durch die Präzession entsprechende hinzu. Sie betrifft wieder 
nur p, nicht u,. Es wird mit hinreichender Annäherung: 

v»"’—p=n(f —) sin «sec 6, 
ur = U + N, (us sin a sec? d + u, cos atg ö), 
k — My — Mu, sine, 
Ku, 4; sind dann die jährlichen Eigenbewegungen zur Epoche {’, 
bezogen auf das Äquinoktium {, wenn u,, u; die entsprechenden 
Größen für die Zeit £ bedeuten. 

Sind alle Beobachtungen eines Sternes auf ein gemeinsames 
Äquinoktium gebracht, so gibt eine lineare Ausgleichung (unter Ver- 
nachlässigung von w— u, was nur im Falle sehr großer E. B., und 
dann vorweg, berücksichtigt werden kann) die Werte u, us, be- 
zogen auf das gemeinsame Äquinoktium. Ihre Änderungen mit der 
Zeit und mit der Beziehung auf ein anderes Äquinoktium geben die 
früheren Formeln. 

Um die Position eines Sternes mit bekannter E. B. auf andere 
Äquinoktien zu übertragen, wie es die Verwendung der Sterne als 
Anhaltspunkte erfordert, kann man zunächst die strengen Formeln 
benutzen. Man hat nur statt «, Ö 


:128) Zuerst wohl gegeben von John H. C. Coffin (anonym), Tables to faci- 
litate the reduction of places of the fixed stars, prepared for the use of the Amer, 
Ephem., Washington 1869, p. XVIff., auf Veranlassung von J. Winlock. 


64 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


+ Yu + N 
d. h. die Koordinaten des Sternortes zur Zeit ?, bezogen auf das 
Äquinoktium t, zu setzen und diese auf das Äquinoktium / zu über- 
tragen. Auch kann man umgekehrt zuerst die Übertragung von «, ö 
in «, ö’ ausführen und dann die E.B., aber nunmehr auf das neue 
Äquinoktium bezogen, anbringen. 
Geht man zu den Entwicklungen über, so treten in den Koeffi- 
zienten A,, Ag,...; D,, D, von der E.B. herrührende Terme hinzu '!?). 
ll. Die Nutation. Den Effekt der Nutation auf die äquatorealen 
Koordinaten berechnet man am einfachsten differentiell aus ihren Ver- 
änderungen der ekliptikalen. Da sie die ekliptikalen Breiten nicht 
beeinflußt, so hat man nur nach A und e zu differenzieren und findet: 


de = (cos & + sin g tg Öd sin @)dA — cosatgöde, 
dö = cosasinedA-- sin«ade, 


Formeln, welche bis auf die höchsten Deklinationen ausreichen. Die 
Beträge dA und ds werden, wie früher angegeben, für äquidistante 
Zeitmomente tabuliert. 


Te. Zusammenfassung der verschiedenen Reduktionen der 
Beobachtungsgrößen auf ein mittleres Äquinoktium. Die wegen 
der Instrumentalfehler (inkl. Refraktion und täglicher Aberration) 
verbesserten Beobachtungsgrößen sind bei den Körpern des Sonnen- 
systems noch von der täglichen Parallaxe (berechnet für den Beob- 
achtungsmoment #,) zu befreien; bei den Fixsternen ist zur Beziehung 
auf das Sonnenzentrum die jährliche Parallaxe (für den Moment 1) '°) 
und die jährliche Fixsternaberration anzubringen. Man erhält so die 
wahren geozentrischen, resp. heliozentrischen, d. h. die vom Ort des Erd-, 
resp. des Sonnenzentrums der Zeit t, gesehenen, auf das wahre Äqui- 
noktium des Beobachtungsmomentes t,'?!) bezogenen Koordinaten des 
Gestirns zur Zeit £,. Es bleibt noch die Nutation zu berücksichtigen. 
Man vereinigt diese gewöhnlich mit der jährlichen Fixsternaberration 
und dem Prüzessionsbetrag bis zum mittleren Äquinoktium des Jahres- 


129) Siehe Oppolzer, Bahnb. 1, p. 222. — Die Angaben in den Sternkata- 
logen, betreffend die E. B., sind nicht ganz einheitliche; vgl. z. B. Fr. Küstner, 
Bonn Sternw. Veröff. 2 (1897); H. Battermann, Berlin Sternw. Ergebn. 8 (1899) u. 
10 (1902); $. Neweomb, Fund. Catal., siehe Fußn. 32). Es ist am ratsamsten, auch 
in den höheren Gliedern Präzession und Eigenbewegung als ganz verschieden- 
artige Größen getrennt zu berücksichtigen. 

130) Meistens wegen ihrer Geringfügigkeit und aus Unkenntnis vernach- 
lässigt. 

131) Bei den Körpern des Sonnensystems als identisch mit i, anzusehen, 


?c. Zusammenfassung sämtlicher Reduktionen. 65 


anfanges und nennt den Gesamtbetrag, negativ genommen „die Reduk- 
tion auf den scheinbaren Ort“ (reductio ad locum apparentem). Man 
gibt ihr verschiedene Formen, je nachdem es sich um vereinzelte 
Sternörter handelt (als Vergleichspunkte für Kometen- nnd Planeten- 
beobachtungen) oder um größere Reihen am Meridiankreise wieder- 
holt beobachteter Sterne. Im ersteren Falle hat man: 


Aec—=f+gsno(@G + o)tgö+hsin(H-+ e)secd, 
.Adö=geos(@+e)+heos(H-+ e) sind + icosd. 


Die Größen f, 9, @ entstammen der Präzession und Nutation, h, A, i 
der Aberration, es ist 


f=rTm-+ cos edA, hsin H= — kcos®© cos e, 
ges@G—=rTn+sinedi, hesH=—ksin®, 
gsnG=—de, i= — kceosOsine, 


worin m, n die früheren Präzessionsgrößen '??), 7’ die seit dem Jahres- 
anfang verflossene Zeit in Jahresteilen, dA, ds die Nutationsbeträge, 
k die Aberrationskonstante ist. 

Für den zweiten, weit häufigeren Fall setzt Bessel'??) die Reduk- 
tion auf den scheinbaren Ort (Red. ad I. app.) in die Form: 


Ae—=Aa+BbtCc+Da-+tE, 
Adö—= Aa + Bb + Ce + Da, 


wobei 





up ouein H, 


N 





B=-—ds, D=hcos H, 
a=m-+nsinatgod, Ü=NCos a, 
b=cosatgd, V=— sine, 

C= 008 « sec, d=cosötge — sin« sind, 
d= sin a sec, d’ = cos « sin Ö 


gesetzt ist. 


E=— sin edı 


(a Planetenpräzession) ist außerordentlich klein (im Maximum 0”,05) 
und kann zudem als gemeinsame Korrektion aller Gestirne fortgelassen 
werden. Die Größen A, B, 0, D sind vom Sternort unabhängige 
Funktionen der Zeit und lassen sich ebenso wie f, 9, @, h, H, i für 


132) Man verwendet hinreichend genau die jährl. Präzess.des Jahresanfangs. 
133) F. W. Bessel, Tafeln zur Reduktion der Örter der Fixsterne, Astr. 
Nachr. 1 (1823), p. 49. 
Eneyklop, d. math. Wissensch. VI 2, bi) 


66 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


äquidistante Zeitmomente tabulieren'®), a,b, c,d,a,b, c,d sind 
Sternkonstanten, die sich mit mittleren Koordinaten vorweg berechnen 
lassen, da sie für einige Jahre trotz Präzession und Eigenbewegung 
als konstant gelten können '®?). 

Die gegebenen Formeln enthalten nur die Glieder erster Ordnung, 
welche für Polsterne nicht ausreichen. Die Berechnung der Glieder 
zweiter Ordnung gestaltet sich sehr umständlich'®®). Durch Vermitt- 


lung rechtwinkliger Koordinaten vereinfacht Fabritius die Berechnung 
bedeutend '?”). 


8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen; Stern- 
kataloge, Jahrbücher. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeob- 
achtungen richtet sich nach dem Objekte, auf das sie sich beziehen. 
Die theoretische Vorausberechnung der seit lange beobachteten Körper 
des Sonnensystems (Sonne, Mond, große Planeten und zahlreiche kleine 
Planeten) bringt man in eine zur direkten Vergleichung mit den Beob- 


134) Bessel tabuliert (l. c. Fußn. 133) A,B,C,D in zehntägigen Intervallen, . 
und zwar A, B für jedes Jahr, während C, D für lange Zeiträume allein als 
Funktionen der Sonnenlänge gelten können und demnach nur von r’, dem ver- 
flossenen Jahresbruchteil, abhängen. — In den ‚Tab. Reg.“ gibt Bessel A, B, 
C, D, E, t' in Tabula VII unter: Valores quantitatum ad computationem locorum 
apparentium Stellarum fixarum generaliter inservientium, pro saeculo 1750—1850 in 
zehntägigen Intervallen. Die Fortsetzungen von J. A. Zech (1850—1860) und Wolfers 
(1860—1880) in J. Ph. Wolfers, Tabulae reductionum, siehe Fußn. 27). — Die Pul- 
kowaer Sternwarte hat dieselben Größen von Tag zu Tag für Pulkowaer 0" Sternzeit 
veröffentlicht: ©. Struve, Tabulae quantitatum Besselianarum pro annis 1840 ad 
1864, Petropoli 1861; 1865— 74, Petr, 1867; 1750—1840, Petr. 1869; 1875—79, Petr. 
1871 usw. Inzwischen haben die verschiedenen Jahrbücher (s. später) die Berech- 
nung dieser Konstanten aufgenommen und geben sowohl die A,B,0,D wie f, 9, 
G, h, H,i. Über Berücksichtigung der schnell veränderlichen kleinen Mond- 
glieder siehe die betreffenden Erläuterungen. 

135) Eine andere Form, die manche Vorzüge besitzt, hat W. Klinkerfues 
(Schreiben an den Herausgeber, Astr. Nachr. 62 (1864), p. 355) der Red. ad l. app. 
gegeben; s. auch Oppolzer, Bahnb. 1, p. 256, der sie in der Form schreibt: 

Ö. 90°— 6 
sin(K+ «J+Itg 3 cos (L+ «), 


Ku 
ol + e) +1 nd r ul), 
2ksnK=B-+C, 2lsinL=geos@—D, 
2kcosK=gc0osG+D, 2lcsL=—B+C. 
136) S.z. B. für die Nutation: Brünnow, p. 133; Oppolzer, Bahnb. 1, p. 259 ff. 
137) W. Fabritius, Über eine strenge Methode zur Berechnung des Orts 
von Polsternen, Astr. Nachr. 87 (1876), p. 113 u. 129. Eine Verbesserung 8. 
Oppolzer, Bahnb. 1, p. 259; eine weitere: Fabritius, Obs. de Kiew ann. 3 (1891), p. 


0 
Aumfikodg- - 








; i, 80% 
secö Ad —=i-+k cotg 3 








8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen. 67 


achtungen geeignete Form durch Tabulierung der zahlreichen Störungs- 
glieder und Berechnung von Ephemeriden, welche den auf Grund 
solcher Tafeln abgeleiteten scheinbaren (oder wahren) Ort des Ge- 
stirns in äquidistanten Zeitintervallen geben'”®). Die nach der Verbesse- 
rung der angenommenen Bahnelemente und Massen verbleibenden 
Unterschiede zwischen Rechnung und Beobachtung bilden die Grund- 
lage der weiteren theoretischen Erörterungen. 

Bei den erst kürzlich entdeckten Objekten des Sonnensystems bezieht 
man hingegen alle Beobachtungen auf eine mittlere Epoche und baut 
auf sie eine erste Theorie der Bewegung auf (vgl. Art. VI 2,9 (Herglotz)). 

Auch bei den Fixsternen tritt eine Trennung in der Art der Be- 
handlung ein. Für die Gruppe der Fundamentalsterne findet man in 
den Jahrbüchern (s. u.) auf der Grundlage der in den Fundamental- 
katalogen gegebenen Positionen und Eigenbewegungen Ephemeriden, 
welche ihre scheinbaren und somit direkt mit den Beobachtungen 
vergleichbaren Örter geben. Die Vergleichung dient auf der einen 
Seite zur Verbesserung des Fundamentalkataloges. Auf der andern 
Seite benutzt man die errechneten Örter als Anhalt für die Positions- 
bestimmung der übrigen, der Anschlußsterne. Die so erhaltenen schein- 
baren Örter dieser Anschlußsterne werden in anderer Weise bearbeitet. 
Die (mit umgekehrtem Vorzeichen) angebrachte „Reduktion auf den 
scheinbaren Ort“ (Red. ad l. app.) führt sie in wahre Sternörter des 
Beobachtungsmoments, bezogen auf das mittlere Äquinoktium des 
Jahresanfangs, über. 

Für jeden Fixstern zieht man eine Reihe solcher, während eines 
längeren Zeitraumes erhaltener Einzelpositionen in ein Mittel zu- 
sammen, nachdem man sie von dem Äquinoktium des betreffenden 
Jahresanfangs auf ein gemeinsames Äquinoktium eines nahezu in 
der Mitte der Beobachtungsreihe liegenden Jahresanfangs gebracht 
hat. Diese Mittelwerte bilden, für eine größere Zahl von Sternen 


138) Über Tafeln u. Ephemeriden vgl. neben Wolf, Handb.: A. Souchon, 
Trait d’astronomie pratique, Paris 1883. Die gebräuchlichsten Sonnentafeln 
s. Fußn. 91); von Mondtafeln nennen wir: I. T. Bürg, Tables de lalune, Paris Bur. 
Long. tabl. astr. 1, Paris 1806; J. ©. Burckhardt, Tables de la lune, Paris Bur. 
Long. tabl. astr., Paris 1812; P. A. Hansen (1857), s. Fußn. 149); von Planeten- 
tafeln: Al. Bouvard, Tables de Jupiter, de Saturne et d’Uranus, Paris Bur. Long. 
tabl. astr., Paris 1821; U.J. Leverrier, Tables de Mercure (Paris 1859, Obs. de Paris 
ann, 5), de Venus et Mars (Paris 1861, ann. 6), de Jupiter et Saturne (1876, 12), 
d’Uranus et Neptune (1877, 14); S. Neweomb, Tables of the four inner planets, 
Wash. Astron. Papers 6 (1898); Tables of Uranus et Neptune, Wash. Astron. 
Papers 7 (1898); @. W. Hill, Tables of Jupiter and Saturn, Wash. Astron. Papers 
7 (1898). 

5* 


68 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


vereinigt, einen Sternkatalog. Ein jeder Ort des Katalogs entspricht 
dann dem Mittel der Beobachtungszeiten, „Beobachtungsepoche“ genannt, 
so lange die Higenbewegung des Sternes in den beiden äquatorealen 
Koordinaten als gleichförmig gelten kann und bezieht sich auf das 
Äquinoktium des Katalogs. Durch die Vergleichung aller Positionen 
eines Sternes aus verschiedenen Katalogen erhält man dann, indem man 
sie auf ein einheitliches Äquinoktium überträgt, die Eigenbewegung des 
Sternes. 

Die Reihe der Kataloge, mit denen man derartige Untersuchungen 
zu beginnen pflegt, eröffnen die aus der Mitte des 18. Jahrhunderts 
stammenden von James Bradley und Tobias Mayer"). Die Zahl der 
Sternkataloge des 19. Jahrhunderts ist sehr bedeutend !). 

Vor der Ableitung der Eigenbewegungen hat man noch die 
schwierige Aufgabe zu erledigen, die systematischen Fehler der ein- 
zelnen Kataloge zu bestimmen, die sich in gesetzmäßigen Unter- 
schieden bei der Vergleichung mehrerer Kataloge geltend machen. 
Man befreit sie von diesen, indem man sie auf ein möglichst allen 
stimmfähigen Katalogen angepaßtes mittleres System bezieht. Auch 
bei den differentiell angelegten Katalogen bedarf es stets noch dieser 
Untersuchung. Die ausgedehntesten Tafeln zur Beziehung der Stern- 
kataloge auf ein gemeinsames System verdankt man Auwers'*'). Ebenso 
ist auch wegen des verschiedenen Wertes der Sternkataloge eine Fest- 
setzung von Gewichten erforderlich !#). 

Die endgültige Zusammenfassung aller während eines langen 
Zeitraumes an den verschiedensten Orten erhaltenen Sternpositionen 
bildet dann wieder einen Katalog von Positionen und Eigenbewegungen, 
die auf eine bestimmte Epoche und ein bestimmtes „mittleres System“ 
bezogen sind. Beides, die Verbesserung der Positionen und Eigen- 


139) Da die Bessel’sche Bearbeitung (Bessel, Fund.) den Anforderungen der 
Neuzeit nicht mehr genügen konnte, unternahm Auwers eine Neureduktion der 
Bradley’schen Beobachtungen und fügte eine Reduktion der Mayer’schen Beob- 
achtungen hinzu: A. Auwers, Neue Reduktion der Bradley'schen Beobachtungen 
aus den Jahren 1750—1762, 3 Bde., St. Petersburg 1882—1903; A. Auwers, 
Tobias Mayer’s Sternverzeichnis nach den Beobachtungen auf der Göttinger 
Sternwarte neu bearbeitet, Leipzig 1894. 

140) Vgl. in Valentiner, Handwörterbuch 3,2 den Artikel von F'. Ristenpart: 
„Sternkataloge und -karten“, p. 455 u. ff. 

141) A. Auwers, Tafeln zur Reduktion von Sternkatalogen auf das System 
des Fundamentalkatalogs der A. G., Astr. Nachr. 134 (1894), p. 33—58; 143 (1897), 
p. 65—90; 145 (1898), p. 101--106; 162 (1903), p. 357—374. 

142) A. Auwers, Gewichtstafeln für Sternkataloge, Astr. Nachr. 151 (1900), 
p. 225— 274; 162 (1903), p. 357—374. 


8. Verarbeitung der Meridianbeobachtungen: Kataloge, Jahrbücher. 69 


bewegungen in dem System und die Verbesserung des Systems, bildet 
eine ständige Aufgabe des Meridianbeobachters. Seit einigen Jahren 
hat die Akademie der Wissenschaften zu Berlin dieses Werk einer 
Sammlung und Zusammenfassung aller bis 1900 veröffentlichten, noch 
heute brauchbaren Sternpositionen in Angriff genommen; die „Ge- 
schichte des Fixsternhimmels“ von Fr. Ristenpart soll in diesem Sinne 
und auf diesem Gebiete das gesamte Beobachtungsmaterial bis zum 
Ende des 19. Jahrhunderts enthalten; an sie werden alle ferneren 
Untersuchungen über die Bewegungen der Fixsterne anzuknüpfen 
haben '#?). 

Die Hilfsmittel zu den zahlreichen Rechnungen, deren man be- 
darf, um das unmittelbare Beobachtungsergebnis in jenen Zustand 
überzuführen, der eine Vergleichung mit der Theorie oder die Auf- 
stellung einer solchen ermöglicht, bieten die astronomischen Jahrbücher, 
deren namhafteste das „Berliner Astronomische Jahrbuch“, die „Con- 
naissance des temps“, der „Nautical Almanac“ und die „American 
Ephemeris and Nautical Almanac“ sind). Sie enthalten Ephemeriden 
der wichtigsten Körper des Sonnensystems, der Sonne, des Mondes 
und der großen Planeten. Die Intervalle, in denen man die Ephe- 
meriden ‘wibt, richten sich nach der Größe der Winkelbewegung, d.h. 
im wesentlichen nach der Entfernung des Gestirns von der Erde, um 
die Berücksichtigung höherer Differenzen bei den erforderlichen Inter- 
polationen entbehrlich zu machen. Die Sonnenephemeriden, wie die 
der näheren Planeten, laufen von Tag zu Tag, bei den entfernteren 
begnügt man sich zuweilen damit, sie von 2 zu 2 Tagen zu geben. 
Für den Mond gibt der Naut. Alm. stündliche Positionen. Sie beziehen 
sich in der Regel auf das wahre Äquinoktium des Zeitmoments und 
enthalten den Effekt der Aberration; so können die Beobachtungen 
(event. noch von Aberrationszeit befreit) direkt mit ihnen verglichen 
werden. Dann folgen die mittleren und scheinbaren Örter der An- 
haltsterne, die bei dem Berliner Jahrbuch dem Auwers’schen, bei den 
anderen dem Newcomb’schen Fundamentalkatalog entnommen sind, 
sowie die zur Red. ad l. app. erforderlichen Daten (f, 9, @, h, H, i, 
A, B, C, D) von Tag zu Tag. Endlich folgen einige spezielleren 


143) A. Auwers, Bericht über die Geschichte des Fixsternhimmels, Berl. Ber. 
1901, p. 79; s. auch A. Auwers, Festrede, Berl. Ber. 1900, p. 657 und die Berichte 
in Berl. Ber. 1902 u. 1903. 

144) Zur Geschichte und Einrichtung der Jahrbücher vgl. das zitierte Werk 
von A. Souchon (Fußn. 138), sowie im besondern H. Clemens, Die älteren Ephe- 
meriden-Ausgaben der Berliner Akademie und die Begründung des astrono- 
mischen Jahrbuchs; Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 26 (1902), p. 171. 


70 VIe,2. F, Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Punkten, wie Sonnen- und Mondfinsternissen, Sternbedeckungen, den 
Jupiter- und Saturntrabanten, sowie den kleinen Planeten gewidmete 
Abschnitte. 


9, Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. Zur Be- 
stimmung der Entfernung eines Gestirns bedarf es der Verknüpfung 
zweier von räumlich verschiedenen Punkten aus beobachteter Rich- 
tungen nach dem Gestirne. Die Messung des Richtungsunterschiedes 
kann dabei entweder aus der Differenz zweier absoluter Richtungen, 
wie bei terrestrischen Objekten, oder differentiell durch die Verschie- 
bung des Objekts auf dem Hintergrunde, der sich in endlicher oder 
unendlicher Entfernung befinden kann, erfolgen. 


Die erforderliche Grundlinie schafft man sich entweder, indem 
man das Himmelsobjekt von verschiedenen Erdorten aus betrachtet — 
es ist dazu das Zusammenwirken mehrerer Sternwarten erforderlich — 
oder, indem man von dem Bewegtsein des Erdortes Nutzen zieht, das 
ihn im Laufe der Zeit eine Basis beschreiben läßt; es sind dazu nur 
Beobachtungen von einem Erdorte aus erforderlich, die aber als nicht 
gleichzeitige die genaue Kenntnis der Bahnbewegung des Objekts und 
des Beobachters voraussetzen. In beiden Fällen mißt man den Winkel- 
betrag der parallaktischen Verschiebung, welche der Ortsveränderung 
des Beobachters entspringt, und geht dann unter Berücksichtigung 
der Größe dieser Ortsveränderung auf lineares Maß über. 


Die letztere Aufgabe, die Bestimmung der Basislänge, setzt die 
Kenntnis der Figur und der Dimensionen des Erdkörpers voraus und 
gehört so in das Gebiet der Geodäsie. Zur Messung der parallak- 
tischen Verschiebung eignen sich alle Größen, bei denen die nach dem 
Früheren erforderliche Korrektion wegen Parallaxe einen möglichst 
großen Betrag erreicht, wie Deklinationen im Meridian, Rektaszensionen 
nahe dem ersten Vertikal usw. Unter den systematischen Fehlerquellen 
erfordert besonders die Refraktion eine eingehende Untersuchung. 


Das Haupthindernis einer durchgängigen Anwendung dieser trigono- 
metrischen Methode ist die Geringfügigkeit der irdischen Entfernungen, 
die als’ Basis der Messung dienen können und nur für die allernächsten 
Körper des Sonnensystems einen meßbaren Betrag der parallaktischen 
Verschiebung bewirken. Bei den entfernteren Himmelskörpern muß 
man daher ihre gegenseitige Einwirkung, die, sei es hinsichtlich ihrer 
Intensität (materielle Anziehung), sei es hinsichtlich der Zeit ihres 
Eintretens (Fortpflanzung des Lichtes) von der Entfernung abhängt, 
‘in Rechnung ziehen. Da diese Methoden stets andere Reduktions- 
elemente als bekannt voraussetzen, erfordert ihre Anwendung im 


9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9a. Der Mond. 71 


allgemeinen eine Mitbestimmung zahlreicher anderer fundamentaler 
astronomischer Konstanten. 

Die Brauchbarkeit der einzelnen Methoden und die Art ihrer An- 
wendung richtet sich in der Hauptsache nach der Entfernung des 
Objekts, deren Größenordnung man typisch durch Mond, Sonne und 
Fixsterne veranschaulichen kann. 


9a. Der Mond. Der Mond besitzt eine so große Parallaxe!*?), 
daß ihre Bestimmung nach der trigonometrischen Methode an sich 
keine Schwierigkeit machen würde; eine solche entsteht erst durch 
die Unsicherheit, die der nur durch Beobachtung der Mondränder 
möglichen Festlegung des Orts des Mondmittelpunktes anhaftet. Die 
Mondparallaxe ist wiederholt durch absolute Messungen bestimmt 
worden, indem von verschiedenen, nahezu auf einem Meridian, aber 
in möglichst verschiedener geographischer Breite gelegenen Erdorten 
die Kulminationshöhen des Mondmittelpunktes und unter Berücksichti- 
gung der geographischen Breitendifferenz die parallaktische Verschie- 
bung ermittelt wurde). Die differentielle Methode durch Anschluß 
des Mondes an benachbarte Fixsterne hat man bisher nur in der be- 
sonderen Form der Beobachtung von Sternbedeckungen durch den 
Mond angewendet, ohne indessen eine zuverlässige Bestimmung der 
Mondparallaxe zu erzielen '*”). 

Um die gemessene Verschiebung in eine Bestimmung der Parallaxe 
selbst zu verwandeln, ist eine ziemlich scharfe Kenntnis der Erdfigur 
erforderlich '*®). 





145) Bei den Körpern des Sonnensystems versteht man kurz unter „Parall- 
axe* den Winkel, unter dem der Äquatorradius der Erde von dem Gestirn in 
seiner mittleren Entfernung erscheint; bei den Fixsternen tritt an seine Stelle 
die halbe große Achse der Erdbahn. 

146) Vergl. zur Geschichte der Bestimmung der Parallaxe: Wolf, Handb. 
2, 8 443 u. 444, p. 240—243. Aus den 1751—53 von N.-L. de Lacaille am Cap, 
Jer. de Lalande zu Berlin usw. angestellten Beobachtungen leitete ©. F. R. Olufsen 
(Untersuchungen über den Wert der Mondparallaxe .., Astr. Nachr. 14 (1837), 
p. 226) pg = 57’ 27.95 ab. 

147) Z.B. L. Struve, Bestimmung des Mondhalbmessers aus den während 
der totalen Mondfinsternisse 4. Oktober 1884 und 28. Januar 1888 beobachteten 
Sternbedeckungen, Astr. Nachr. 135 (1894), p. 169; H. Battermann, Beiträge zur 
Bestimmung der Mondbewegung und ‚der Sonnenparallaxe aus Beobachtungen 
von Sternbedeckungen, Berlin Sternw. Ergebn. 5 (1891) und Resultate für Mond- 
ort ..., vorläuf. Mitteil., Astr. Nachr. 157 (1902), p. 165. 

148) L. Euler dachte zuerst daran, aus Mondbeobachtungen die Figur der 
Erde zu bestimmen: „Versuch, die Figur der Erde durch Beobachtung des Mondes 
zu bestimmen“, Münch. Abh. 5 (1768). H. Bruns bemerkt („Figur der Erde“, 
Berlin 1876), daß man jedenfalls aus den Mondbeobachtungen schließen könne, 


12 VI, 2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


Neben diese trigonometrische Methode der Bestimmung der Mond- 
parallaxe tritt die gravitationstheoretische, deren Ursprung aufs engste 
mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes durch Newton verknüpft 
ist. Das 3. Kepler’sche Gesetz lautet in seiner berichtigten Form 

k? r? 
4": T°M-+m 

Das Verhältnis der dritten Potenz der halben großen Bahnachse r 
eines Körpers des Sonnensystems zum Quadrat der Umlaufszeit 7 um 
seinen Zentralkörper, multipliziert in die Summe der beiderseitigen 
Massen M und m, ist eine Konstante. Im allgemeinen wird diese 
Beziehung in der Weise verwertet, daß man 4?, die Gauß’sche Gravi- 
tationskonstante, aus dem System Erde-Sonne bestimmt und dann die 
Entfernungen der anderen Planeten in Einheiten der mittleren Ent- 
fernung Erde-Sonne oder aus dem System eines Planeten und seiner 
Satelliten die Summe der Massen in Einheiten der Sonnenmasse er- 
mittelt. Um zu einer Bestimmung der Mondparallaxe p( zu gelangen, 
bestimmt man %k? durch Messung der irdischen Schwerkraft (s. Pendel- 
messungen) und erhält dann 

2 
y— (> -T(M-+ "))", 
worin r die halbe große Achse der Mondbahn, 7 die Umlaufszeit des 
Mondes, M und m Erd- und Mondmasse bedeuten. Indessen ist zu 
beachten, daß das 3. Kepler’sche Gesetz strenge nur für zwei Körper 
gilt, daß also an Stelle der halben großen Achse r die infolge der 
Störungen der Mondbewegung durch die Sonne davon abweichende 
mittlere Entfernung des Mondes einzuführen ist. In Wirklichkeit ist 
die rechte Seite dieser Gleichung noch mit einem Faktor zu multipli- 
zieren, den Hansen“?) gleich 1.006 537 angibt, sodaß: 
sin.p« — 1.006 537 a (he 
wird. Durch Einsetzen der numerischen Beträge erhält Hansen °®) 
pe = 517 2”.27T, während Neweomb"') dafür p. = DT 2".68, findet, in 


daß die radialen Abweichungen des Geoids einige Kilometer nicht überschreiten; 
Helmert widmet dieser Methode zur Bestimmung der geozentrischen Koordinaten 
eines Erdoberflächenpunktes einen besonderen Paragraphen, Geodäsie 2, Kap. 6, 
$ 2, p. 451; H. Battermann (Fußn. 147) führt die Korrektionen der geozentrischen 
Koordinaten des Beobachtungsortes als Unbekannte ein. 

149) P. A. Hansen, Tables de la lune, construites d’apres le principe Newto- 
nien de la gravitation universelle, Londres 1857. 

150) Hansen (Fußn. 149), p. 4, nach Reduktion des dortigen log sinp = 
log 56’ 59.57 auf p selbst. 

151) Newcomb, Fund. Const. (s. Fußn. 13), p. 194. 


9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9b. Die Sonne 73 


hinreichender Übereinstimmung mit dem Ergebnis der trigonometri- 
schen Methode ®?). 


9b. Die Sonne. Das Problem der Bestimmung der Sonnen- 
parallaxe ist seit den Zeiten des Aristarch eins der berühmtesten in 
der Astronomie und kann auch heutzutage noch nicht als mit der 
wünschenswerten Schärfe gelöst gelten. Die direkte trigonometrische 
Methode versagt hier, da einmal die Sonnenbeobachtungen an sich 
nahezu dieselben Schwierigkeiten wie die des Mondes bieten, ferner 
die thermischen Einflüsse, die sie auf die Meßwerkzeuge und die 
sie umgebenden Luftschichten ausübt, systematische Fehlerquellen er- 
zeugen, und vor allem der zu messende Betrag nur wenige Bogen- 
sekunden beträgt. Man ist demnach auf indirekte Methoden, auf eine 
Kombination der trigonometrischen Methode mit der gravitations- 
theoretischen, angewiesen, deren Prinzip darin beruht, die Parallaxe 
eines anderen Planeten trigonometrisch zu bestimmen und unter An- 
wendung des 3. Kepler'schen Gesetzes die Sonnenparallaxe daraus zu 
berechnen'®®). Man überträgt die irdischen Maße zunächst trigono- 
metrisch auf die Entfernung eines Planeten, von diesem nach dem 
3. Kepler’schen Gesetz auf die Sonne, von dieser dann in gleicher Weise 
auf die übrigen entfernteren Planeten. 

Auch zur erfolgreichen Anwendung dieser indirekten Methode 
eignen sich nur die uns nächsten Körper des Sonnensystems: Merkur, 
Venus, Mars und einige der kleinen Planeten, bei denen die etwas 
grössere Entfernung durch die größere Schärfe der Beobachtung mehr 
als ausgeglichen wird. 

Am nächsten der Erde kommt Venus; indessen ist sie zu den 
Zeiten ihrer Erdnähe unsichtbar, und sobald sie eine meßbare Sichel 
aufweist, schon in größerer Entfernung von der Erde, zugleich auch 


152) Helmert 2, p. 463 gibt dieser Beziehung in der sehr angenähert rich- 


tigen Form: 
m sin® 
== G (1 - 3) 1? p , 
n? (1 M" 5) (+ 3a — 0) 


worin @ ein gewisser Mittelwert der irdischen Schwerkraft, n und n die Winkel- 
geschwindigkeiten der Mond- und Erdbewegung, a die Erdabplattung, c das Ver- 
hältnis der Zentrifugalkraft zur Schwerkraft am Äquator bezeichnen, und be- 
rechnet aus den astronomischen Daten den Äquatorradius a der Erde. 

153) In der Praxis stellt sich die Methode in der Form dar, daß die die 
Störungen mit enthaltenden Ephemeriden den Abstand des betreffenden Planeten 
in der mittleren Entfernung Erde-Sonne als Einheit darstellen und sonach jede 
Bestimmung jenes Abstandes in irdischem Maß auch die Länge dieser Einheit 
in gleichem Maß ausdrückt. 





74 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


wegen dieser Sichelform schwer zu beobachten. Nur in einem Falle, 
der zu historischer Berühmtheit gelangt ist, bietet Venus eine schein- 
bar ausgezeichnete Gelegenheit zur Parallaxenbestimmung, nämlich 
. wenn sie direkt vor der Sonnenscheibe vorübergeht und auf ihr als 
dunkles Fleckchen sichtbar wird. Sie ist dann erstens in ihrer Erd- 
nähe, ihre Parallaxe beinahe viermal größer als die der Sonne, dann 
aber bietet hier die Sonnenscheibe jenen Hintergrund dar, auf dem 
die Verschiebung des Venusscheibchens, von verschiedenen Erdorten 
aus gesehen, direkt wahrgenommen und entweder mikrometrisch durch 
Anschluß an den Sonnenrand gemessen oder aus der Verschiedenheit 
der Eintritts- und Austrittszeiten berechnet werden kann. 

Schon Halley'°*) machte vor 200 Jahren auf diese äußerst günstige 
Gelegenheit aufmerksam. Indessen brachten die Venusdurchgänge von 
1761 und 1769 die erste Enttäuschung, indem die von Halley auf 
1° geschätzte Genauigkeit in der Fixierung der Eintritts- und Aus- 
trittszeiten kaum 1” betrug. In ähnlicher Weise haben auch die 
Ergebnisse der 1874 und 1882 erfolgten Venusvorübergänge, zu denen 
äußerst umfangreiche Vorbereitungen getroffen waren, den hochge- 
spannten Erwartungen nicht ganz entsprochen'”). Da der nächste 
Venusdurchgang erst im Jahre 2004 stattfindet, scheidet diese Methode 
zunächst völlig aus'®). 

Was für Venus gilt, gilt in noch höherem Grade von Merkur. 
Es kommt daher demnächst Mars in Frage, dessen Annäherung an 
die Erde zwar nicht ganz die der Venus erreicht, aber doch bis auf 
0,375 Erdbahnradien gehen kann. In älterer Zeit wandte man auf 
ihn die absolute Methode an, indem man ähnlich wie beim Monde 
aus den Differenzen der in möglichst verschiedenen geographischen 
Breiten beobachteten Deklinationen die Entfernung berechnete. Diese 
Methode war die erste, die zu näherungsweise richtigen Werten der 
Sonnenentfernung führte”). 


154) E. Halley, De visibili conjunctione inferiorum Planetarum cum Sole, 
Lond. Phil. Trans. 1691, p. 511 [abr. 3, p. 448, engl.] und Methodus singularis 
qua Solis parallaxis, ope Veneris intra Solem conspiciendae tuto determinari 
poterit, Lond. Phil. Trans. 1716, p. 454 [abr. 6, p. 243, engl.]. 

155) A. Auwers, Die Venusdurchgänge 1874 und 1882, Bericht über die 
deutschen Beobachtungen, 1—6. Berlin 1887—1898. 

156) Vgl. bezüglich der sehr umfangreichen Literatur über Venusdurch- 
gänge Wolf, Handb. 2, p. 252—257. 

157) Vgl. über die 1672 von der französischen Akademie zur Beobachtung 
der Mars-Opposition nach Cayenne gesandte Expedition J. Richer’s und die von 
ihr erhaltenen Ergebnisse Wolf, Handb. 2, $ 441, p. 236 ff. In neuerer Zeit ist 
die Methode in verbesserter Form auf Th. Winnecke's Vorschlag wieder zur An- 


9. Die Bestimmuug der Entfernungen der Gestirne. 9b. Die Sonne. 75 


Später ist man dann zu dem mikrometrischen Anschluß des 
Mars") und einiger kleinen Planeten‘°’) an benachbarte Fixsterne 
übergegangen. Dabei hat man sowohl Deklinationsmessungen auf nörd- 
lich und südlich gelegenen Sternwarten, wie auch Beobachtungen auf 
einer Sternwarte in möglichst verschiedenen Stundenwinkeln angestellt 
und ganz neuerdings !%) auch die photographische Beobachtung in An- 
wendung gebracht. Bisher bildet den Höhepunkt der zur Bestimmung 
der Sonnenparallaxe nach der trigonometrischen Methode angestellten 
Bemühungen die von Gill ins Werk gesetzte Kooperation verschiedener 
Sternwarten zur heliometrischen Beobachtung der kleinen Planeten 
Iris, Vietoria und Sappho gelegentlich ihrer Opposition in den Jahren 
1887 und 1888"), deren Erfolg ungewöhnlich groß war. 

Eine besonders günstige Gelegenheit eröffnete die Entdeckung 
des kleinen Planeten Eros im Jahre 1898, dessen Annäherung an die 
Erde bis auf 0.15 der mittleren Sonnenentfernung gehen kann. In- 
dessen sind die Ergebnisse des umfangreichen Zusammenwirkens zahl- 
reicher Sternwarten gelegentlich der günstigen Eros-Opposition 'des 
Winters 1900/01 noch nicht zu übersehen !°?). 

‚So große Fortschritte neuerdings die Bestimmung der Sonnen- 
parallaxe durch die Beobachtung der kleinen Planeten gemacht hat, 
so wird man sich doch bei der Bestimmung einer so fundamentalen 
Größe nicht auf eine einzige Methode beschränken, die leicht systema- 
tischen Fehlern ausgesetzt sein kann'“), sondern eine Kontrolle durch 


wendung gelangt; vgl. z.B. Th. Winnecke, Vorläufige Ableitung der Sonnen- 
parallaxe aus den Pulkowaer und Cap-Beobachtungen der Mars-Opposition 1862, 
Astr. Nachr. 59 (1863), p. 264. 

158) D. Gill, Lond. Astr. Soc. Mem. 46 (1881), p. 1. 

159) J.@. Galle, Über die Anwendung der kleinen Planeten zur _Ermittelung 
des Wertes der Sonnenparallaxe, Astr. Nachr. 80 (1873), p. 1, sowie neben 
weiteren Aufsätzen in den Astr. Nachr.: Über eine Bestimmung der Sonnen- 
parallaxe aus korrespond. Beobachtungen des Planeten Flora, Breslau 1875. 

160) Bei der Eros-Opposition 1900/01. 

161) D. Gill, A determination of the solar parallax and mass of the moon 
from heliometer observations of the minor planets Iris, Vietoria, Sappho, made 
in the years 1888 and 1889, 2 vols., Cape Obs. ann. 6 (1897) u. 7 (1896). 

162) Vgl. Conference astrophotographique internationale de Juillet 1900, 
Cireulaire Nr. 1 und die seither erschienenen Circulaires Nr. 2—10 (publides par 
M. Loewy), Paris 1900—03. 

163) Besonders zu befürchten ist bei den Beobachtungen in verschiedenen 
Stundenwinkeln und von verschiedenen Erdorten aus der Einfluß der Refraktion, 
insbesondere, wenn die Farbengattung des Planeten eine andere ist als die der 
Vergleichssterne; vgl. darüber @:Il, 1. e. Fußn. 161, I, part. 6, p. 7, und Neweomb’s 
Kritik der verschiedenen Methoden in Newcomb, Fund. Const., s. Fußn. 13). 


76 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


andere Methoden als wünschenswert erachten. Diese beruhen, wie 
erwähnt, einmal in der Verfolgung der Wirkungen des Gravitations- 
gesetzes in den wahrnehmbaren Bewegungsvorgängen und der Er- 
scheinungen, die aus der Endlichkeit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
des Lichts hervorgehen. 

Die eigentliche Aufgabe der trigonometrischen Methode, die 
Gravitationskonstante k? zu bestimmen, kann ähnlich wie bei der An- 
wendung auf die Mondparallaxe auch durch irdische Beobachtungen 
in Angriff genommen, d. h. die Sonnenparallaxe durch Vergleichung 
der irdischen Schwerkraft mit der Sonnenanziehung abgeleitet werden. 
Die dazu erforderliche Kenntnis der Erdmasse entnimmt Newcomb den 
Störungen der andern Planeten '%). Eine fernere Gelegenheit zur Be- 
stimmung der Sonnenparallaxe bietet die Bewegung des Mondes, in 
welcher ein der Sonnenanziehung entstammendes Störungsglied monat- 
licher Periode, die sogenannte parallaktische Ungleichheit, auftritt. 
Durch den großen Wert, den sie besitzt, nach Newecomb !%) 124”.66, 
würde sie eine sehr sichere Bestimmung der Sonnenparallaxe ermög- 
lichen, wenn nur die Schwierigkeit der Beobachtung des Mondortes 
und die dabei auftretenden systematischen Fehler diesen Vorteil würden 
ausnützen lassen. Neuerdings haben Battermann‘‘) durch Beobach- 
tung von Sternbedeckungen und Franz’) durch Beobachtung eines 
Mondkraters an Stelle der Mondränder hierin wesentliche Fortschritte 
erzielt. 

Die Kenntnis der Mondentfernung läßt sich ebenfalls zur Be- 
stimmung der Sonnenparallaxe verwerten, zwar nicht direkt durch 
das 3. Kepler’'sche Gesetz, da dieses vielmehr besser zur Ableitung 
der Erdmasse dient), sondern durch ein Störungsglied der Erd- 
bewegung, die sogenannte Mondgleichung. Der Erdmittelpunkt be- 
schreibt in einem Monat um den gemeinsamen Schwerpunkt des 
Systems Erde-Mond eine kleine Ellipse, deren lineare Dimensionen 


164) Neweomb, Fund. Const. (s. Fußn. 13), p. 123. Er leitet dort den 
stark abweichenden Wert po = 8'759 ab und diskutiert eingehend die mög- 
lichen Fehlerquellen des Werts der Erdmasse, der im wesentlichen auf der Knoten- 
bewegung der Venus, abgeleitet aus den Durchgängen von 1761 und 1769, beruht. 

165) Newcomb, Fund. Const. (s. Fußn. 13), p. 190. 

166) H. Battermann, s. Fußn. 147), p. 165. 

167) J. Franz, Königsberger Meridianbeobachtungen von Mösting A, Astr. 
Nachr. 136 (1894), p. 353. 

168) P. S. de Laplace, Sur quelques points du systeme du monde, Paris 
hist. (2) mem. 1789, auch Oeuvres 11 (1895), p. 490 bestimmte die Erdmasse auf 
Grund der Sonnenparallaxe und der Pendellänge; die Angabe in Wolf, Handb. 
2, p. 258 ist irreführend 


9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9b. Die Sonne. 77 


in irdischem Maße nur von dem Massenverhältnis beider Körper und 
der Mondentfernung abhängen. Diese periodische Bewegung des 
Erdzentrums ruft entsprechende scheinbare Bewegungen der anderen 
Himmelskörper hervor, deren Beobachtung die Entfernung des Objekts 
liefert. Obgleich der Effekt für die Sonne nur auf + 6.5 steigt, 
also kleiner als die Sonnenparallaxe selbst ist, haben ihn doch, da es 
sich um eine monatliche Periode handelt, schon Laplace und nach ihm 
Leverrier und Newcomb ziemlich sicher aus Beobachtungen der Sonne 
selbst ermitteln können. Besser noch bestimmt man ihn aus Beob- 
achtungen der anderen uns besonders nahen Gestirne, wie Gill dies 
vorschlug 6). Neuerdings zieht man es vor, die Mondgleichung zur 
Ableitung der Mondmasse zu verwenden!) und eventuell daraus die 
Nutationskonstante zu bestimmen '”!), 

Die Kenntnis der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts!'?) 
läßt sich in verschiedener Art zur Ableitung der Sonnenentfernung 
verwerten; einmal gibt die Beobachtung der Verfinsterungen der 
Jupitertrabanten die Zeit, welche das Licht braucht, die Erdbahn zu 
durchlaufen, und damit die Dimensionen dieser Bahn selbst!?). Ferner 
finden wir durch Bestimmung der Aberrationskonstante die Geschwin- 
digkeit der Erde in ihrer Bahn (im Verhältnis zur Lichtgeschwindig- 
keit) und damit wieder die Dimensionen dieser Bahn. 

Der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts allgemein angenommene 
Wert der Sonnenparallaxe war 


2, = 8".578. 


Er entstammte der Berechnung der Venusdurchgänge von 1761 
und 1769, welche Encke!*) ausgeführt hat. Im Jahre 1867 unter- 
nahm Newcomb"") eine umfangreiche Diskussion aller Bestimmungen 


169) D. Gill, Remarks on the best methods of determining the positions of 
the planets by observation, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 54 (1894), p. 351. 

170) Z.B. D. @ill, Cape Obs. ann. 6, Part 6, p. 11. 

171) Vgl. K. Laves, Der Koeffizient der sog. lunaren Gleichung der Erd- 
bewegung, Astr. Nachr. 132 (1893), p. 177, und On the determination of the 
principal term of the nutation, Astron. Journ. 14 (1895), p. 33. 

172) Über die Bestimmung derselben vgl. Wolf, Handb. 2, p. 286 ff. 

173) Dieselbe Betrachtung führte i. J. 1675 Olaus Römer dazu, die Endlichkeit 
der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts zu erweisen; vgl. O. Römer, Demon- 
stration touchant le mouvement de la lumiere, Paris hist. (1) 1 u. 10, 1733 u. 1730. 

174) J. F. Encke, Die Entfernung der Sonne von der Erde aus dem Venus- 
durchgange von 1761 hergeleitet, Gotha 1822, und: Der Venusdurchgang von 
1769, Gotha 1824. 

175) $. Newcomb, Investigation of the distance of the sun and of the elements 
which depend upon it, Wash. obs. 1865, app. 2. 


78 VIe,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. 


der Sonnenparallaxe, die ihn zu dem Werte po = 8”.848 führte. Die 
neueren Bestimmungen ergaben größtenteils wieder eine merkliche 
Verkleinerung dieses Wertes, sodaß die Pariser Konferenz von 1896176) 
nach einer neuen Diskussion Newcomb’s!"”) den seitdem angenom- 


menen Wert 
Po = 8”,800 


für die Anwendung in den Jahrbüchern festsetzte. Eine ausführliche 
Zusammenstellung aller stimmfähigen Werte gibt Newcomb'"®). 


9c. Die Fixsterne. Zur Messung der Entfernung der Fixsterne 
kann man praktisch nur durch die Zwischenstufe der mittleren Sonnen- 
entfernung gelangen, indem man dabei als Basis die Bahn benutzt, 
welche die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne den Beobachter 
beschreiben läßt. Auch diese Basis hat freilich Jahrhunderte hin- 
durch nicht genügt, um eine sichere Fixsternparallaxe zu bestimmen, 
und reicht auch heutzutage trotz der so wesentlich gesteigerten Ge- 
nauigkeit der astronomischen Beobachtungen nur für die uns nächsten 
Fixsterne aus. Insbesondere für die zunächst versuchte Bestimmung 
absoluter Fixsternparallaxen erwies sich die Beobachtungsgenauigkeit 
als unzureichend”®). Erst der Versuch, die mikrometrische Messungs- 
methode zur Bestimmung relativer Parallaxen in der Art zu verwerten, 
daß man den Parallaxenstern an Vergleichssterne anschloß, die man 
als wesentlich weiter entfernt ansah, führte Bessel und W. Struve zu 
den ersten einigermaßen Vertrauen verdienenden Werten. Insbesondere 
war es Bessel, der durch seine heliometrische Bestimmung der Parallaxe 
von 61 Cygni bahnbrechend auf diesem Gebiete wirkte'?). 

Seitdem haben zahlreiche Beobachter nach verschiedenen Methoden 
an verschiedenen Instrumenten — am Heliometer durch Distanz- 
differenzen'#'), am Refraktor durch Deklinationsanschluß '#?), am Me- 


176) s. Fußn. 62). 

177) $. Newcomb, Fund. Const. (3. Fußn. 13), chapter VII. 

178) Newcomb, Fund. Const. '?), p. 157, und in anderer Anordnung p. 166. 

179) Über diese Versuche (von Tycho Brahe, Hooke, Picard, Flamsteed, 
Cassini, Römer, Bradley, Piazzi, Brinkley, Bessel usw.) vergleiche (©. A. F'. Peters, 
Recherches sur la parallaxe des &toiles fixes, St. P6tersbourg 1848, auch enthalten 
in: Recueil de M&moires presentes & l’Acad&mie des sciences par les astronomes 
de Poulkova 1, St. Petersbourg 1853. 

180) F. W. Bessel, Bestimmung der Entfernung des 61. Sternes des Schwans, 
Astr. Nachr. 16 (1839), p. 65; und Fernere Nachricht von der Bestimmung der 
Entfernung von 61 Cygni, Astr. Nachr. 17 (1840), p. 257. 

181) Insbesondere sind hier die Arbeiten von Bessel, Schlüter, Wichmann, 
Winnecke, Krüger, Auwers aus früherer Zeit, Gill, Elkin, Peter aus neuester 
zu nennen. 182) Zuweilen auch durch Distanz und Positionswinkel. 


9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9c. Die Fixsterne. 79 


ridiankreis durch Rektaszensionsdifferenzen'®), endlich auch durch 
Photographie '#) — die Parallaxenbestimmung in Angriff genommen, in- 
dessen bisher nur verhältnismäßig wenig Werte mit Sicherheit be- 
stimmen können '#). 

Für die Verwertung der weit größeren Basis, welche die fort- 
schreitende Bewegung des ganzen Sonnensystems mit der Zeit erzeugt, 
zur Parallaxenbestimmung besteht ein großes Hindernis in den Eigen- 
bewegungen der Gestirne. Während der Effekt der jährlich-periodischen 
Erdbewegung auf die Sternörter sich von diesen wesentlich linearen 
Bewegungen trennen läßt, sobald die Beobachtungen sich mindestens 
über ein Jahr erstrecken, vermischt sich die säkulare Bewegung völlig 
mit ihnen. Erst wenn die von diesen an sich als geradlinig-gleich- 
förmig vorausgesetzten Bewegungen (des Sonnensystems, wie der 
Fixsterne) in den Richtungskoordinaten erzeugten quadratischen Zeit- 
glieder merklich werden, ist an eine Bestimmung der Fixsternparallaxen 
auf diesem Wege zu denken'®®). Dabei würde dann immer noch die 
Voraussetzung selbst unrichtig sein und eine Krümmung der Bahn 
der Sonne oder des Fixsterns die Ursache der scheinbar der Zeit 
nicht proportionalen Eigenbewegung sein können. 


183) J. ©. Kapteyn, Bestimmung von Parallaxen durch Registrierbeobach- 
tungen am Meridiankreise, Leiden Sternw. Ann. 7 (1897), p. 117. 

184) Die ersten Versuche stellte H. Jacoby, The parallaxes of u and # 
Cassiopejae, N. York Ann. 8, auch Columb. Contrib. 5 (1893) an. Eine eigenartige 
Methode wandte J. ©. Kapteyn, The parallax of 248 stars on the region around 
BD -+ 35°4013, Groningen Labor. Publ. 1 (1900), mit Erfolg zur Parallaxenbestim- 
mung aller auf einer photographischen Platte enthaltenen Sterne an. 

185) Eine bis zum Jahre 1889 gehende Zusammenstellung aller einiger- 
maßen zuverlässigen Parallaxenbestimmungen, von denen sich allerdings seitdem 
ein großer Teil als noch ganz unsicher erwiesen hat, gibt J. A. ©. Oudemans, 
Übersicht der in den letzten 60 Jahren ausgeführten Bestimmungen von Fixstern- 
parallaxen, Astr. Nachr. 122 (1889), p. 193. 

186) Den ersten Versuch hierzu machte, wie schon früher erwähnt, F. Risten- 
part, s. Fußn. 127). 


(Abgeschlossen im Juni 1905.) 


80 VIe,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


VI2,3. GEOGRAPHISCHE ORTSBESTIMMUNG, 
NAUTISCHE ASTRONOMIE. 


Von 
C. W. WIRTZ 


IN STRASSBURG I. E. 


Inhaltsübersicht. 
Literatur. 


I. Allgemeine Lehrbücher. 
II. Monographien. 
III. Nautische Astronomie. 


Einleitung. 
1. Begrenzung des Themas. 
2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge. 
8. Einfluß der Erdfigur bei Ortsbestimmungen. 


I. Zeitbestimmung. 


A. Durch Höhen. 
4. Eine einzelne Höhe. 
5. Korrespondierende Höhen. 
6. Gleiche Höhen verschiedener Gestirne. 
7. Eine Höhendifferenz. 


B. Durch Azimute. 
8. Im Meridian. 
9. Im Vertikal des Polarsterns. 
10. In beliebigem Azimut; Olbers’sches Verfahren. 
11. Mehrere Azimute. 
12. Näherungsmethoden. 
13. Azimut-, Höhen- und Zeitdifferenz. 


II. Polhöhenbestimmung. 
14. Meridianhöhe. 
15. Circummeridianhöhe, 
16. Polarishöhe. 
17. Zweihöhenproblem, Spezialfülle und verwandte Aufgaben. 
15. Gauß’sche Methode, 


19. 
20. 
21. 
22. 
23. 
24. 
25. 


26. 
27. 
28. 


29. 
30. 


31. 
32. 
33. 
34. 
35. 


36. 
37. 


38. 
39. 
40. 
41. 
42. 
43. 
44. 
45. 
46. 
47. 
48. 


49. 
50. 


Inkalteäbenkicht: 8i 


Drei Höhen. 

Horrebow-Taleott'sche Methode. 

Durchgänge durch den Ersten Vertikal. 
Digressionen. 

Absolute Methoden. 

Instrumente zur Beobachtung gleicher Höhen. 
Photographische Methoden. 


III. Längenbestimmung. 


A. Durch gleichzeitige Signale. *) 
Mondfinsternisse, Verfinsterungen*) der Jupitersatelliten. 
Sternschnuppen. 
Künstliche Signale. 


B. Durch Zeitübertragungen. 
Chronometerreisen. 
Telegraph. 


C. Auf den Mondort gegründete Methoden. **) 
Mondkulminationen. 
Mondhöhen. 
Monddistanzen. 
Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse. 
Verwandte Okkultationsphänomene. 


IV. Azimutbestimmung. 
Allgemeiner Weg. 
Spezielle Methoden. 


V. Nautische Astronomie. 
Die Kimm und ihr Verhalten. 
Instrumente zur Bestimmung und Elimination der Kimmtiefe. 
Begriff der Standlinie und ihre Festlegung. 
Zweihöhenproblem nach der Standlinienmethode. 
Drei oder mehr Standlinien. 
Standlinie für eine Höhendifferenz. 
Berechnung der Höhe, Höhentafeln. 
Gebrauch der Merkatorfunktion. 
Azimuttafeln. 
Ortsbestimmung mit Hilfe der erdmagnetischen Elemente. 
Aeronautische Astronomie. 


VI. Anhang. 


Die sphärischen Grundformeln der geographischen Ortsbestimmung. 
Weitere Literatur. 


*) Vorübergänge der Planeten oder Satelliten siehe Nr. 35. 
**) Photographische Methoden siehe Nr. 25. 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 6 


82 VI, 3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Literatur. 
I. Allgemeine Lehrbücher. 


J. @. F. Bohnenberger, Anleitung zur geographischen Ortsbestimmung vorzüglich 
mittels des Spiegelsextanten, Göttingen 1795, 2. Aufl. bearbeitet von @. A. 
Jahn, Göttingen 1852 (Bohnenberger). 

A. Sawitsch, Abriß der praktischen Astronomie, vorzüglich in ihrer Anwendung 
auf geographische Ortsbestimmung, übersetzt von W. C. Götze, Hamburg 
1850—51, 2. Aufl. von €. F. W. Peters, Leipzig 1879 (Sawitsch). (Das 
russische Original erschien Petersburg 1845.) 

F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berlin 1881 (Brünnow). 

W. Chauvenet, A manual of spherical and practical astronomy, 2 vols., Phila- 
delphia 1863, 5!" ed. 1885, 1893, 1900 (5% ed.: Chauvenet). 

W. Jordan, Grundzüge der astronomischen Zeit- und Ortsbestimmung, Berlin 1885. 

J. P. Herr, Lehrbuch der sphärischen Astronomie in ihrer Anwendung auf geo- 
graphische Ortsbestimmung. Vollendet von W. Tinter, Wien 1887. 

S. Günther, Handbuch der mathematischen Geographie, Stuttgart 1890 (Günther). 

W. F. Wislicenus, Handbuch der geographischen Ortsbestimmungen auf Reisen, 
Leipzig 1891. 

G. V. Schiaparelli, Sulla determinazione della posizione geografica dei luoghi per 
mezzo di osservazioni astronomiche. Litografia dell’ Istituto geografico mili- 
tare, Firenze 1896. 


II. Monographieen. 


C. F. Gauß, Methodum peculiarem elevationem poli determinandi explicat, 
Göttingen 1808 — Gauß’ Werke 6 (1874), p. 37 (Gauß, Method. pecul.). 

A. F. Möbius, De computandis occultationibus fixarum per planetas, Lipsiae 1815. 

F. W. Bessel, Analyse der Finsternisse, erschien in Bessel, Astron. Untersuch., 
Bd. 2, p. 95, Königsberg 1842. Abgedruckt in Bessel, Abhdl., Bd. 3, p. 369. 

P. A. Hansen, Theorie der Sonnenfinsternisse und verwandten Erscheinungen, 
Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 4 (1859). 

W. Döllen, Die Zeitbestimmung vermittelst des tragbaren Durchgangsinstrumentes 
im Vertikale des Polarsternes, 2 Teile, St. Petersburg 1863 und 1874. 

N. Zinger, Die Zeitbestimmung aus korrespondierenden Höhen verschiedener 
Sterne (russ.), Petersburg 1874; Referat: Astr. Ges. Vjs. 9 (1874), p. 155; 
deutsch von H. Kelchner, Leipzig 1877 (Zinger). 

P. Harzer, Über geographische Ortsbestimmungen ohne astronomische Instru- 
mente, Berlin 1896 (Harzer, Ortsbest., vgl. Fußn. 38). 

— Zeitbestimmung im Vertikal des Polarsterns, Kiel Sternw. Publ. 10 (1899). 


III. Nautische Astronomie. 


N. Bowditch, The improved practical navigator. Revised by Th. Kirby, London 
1802. — The american practical navigator. Revised by P. H. Cooper and 
@G. W. Logan, Washington 1904. 

C. Rümker, Handbuch der Schiffahrtskunde, Hamburg 1820. 6. Aufl. 1857. 

H. Raper, The practice of navigation and nautical astronomy, London 1840. 
19 ed. 1891. 

A. Breusing, Kleine Steuermannskunst, Bremen 1852. Breusing’s Steuermanns- 
kunst, hrsg. von (©. Schilling, 7. Aufl. Leipzig 1904. 


1. Begrenzung des Themas. 2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge. 83 


M. F. Albrecht und C. $. Vierow, Lehrbuch der Navigation und ihrer mathe- 
matischen Hülfswissenschaften, Berlin 1854. 8. Aufl. bearbeitet von @. Holz, 1900. 

@. D. E. Weyer, Vorlesungen über nautische Astronomie, Kiel 1871. 

Y. Villarceau et A. de Magnac, Nouvelle navigation astronomique, Paris 1877. 
Teil I: Theorie, Teil II: Pratique (Villarceau-de Magnae). 

A. Roth, Lehrbuch der astronomischen Navigation, Fiume 1898 (Roth, Navig.). 

F. Bolte, Neues Handbuch der Schiffahrtskunde, Hamburg 1899. 

Lehrbuch der Navigation. Herausgegeben vom Reichs-Marine- Amt, 3 Bde., 
Berlin 1901 (Reichs- Marine- Amt, Navig.). 

Einige weder hier noch in den Fußnoten zitierte Schriften sind an den 
Schluß (Nr. 50) des Artikels verwiesen; das Gleiche gilt von der Zusammen- 
stellung der Tafelwerke und Ephemeriden. — 

Zahlreiche Literaturnachweise gibt Rudolf Wolf, Handbuch der Astronomie, 
2 Bde., Zürich 1890/93 (Wolf, Handb.), in den Abschnitten XIV, XVI, XVII. 


Einleitung. 

l. Begrenzung des Themas. Die geographische Ortsbestimmung 
stellt sich vor allen Dingen in den Dienst der Erdkunde und Geo- 
däsie; für die Astronomie im engeren Sinne ist die Disziplin nur von 
untergeordneter Bedeutung. Da sie sich aber ausschließlich astrono- 
mischer Daten zur Lösung der ihr erwachsenden Aufgaben bedient, 
hat man sie von alters her im Anschluß an die Astronomie behandelt, 
und zwar an dasjenige Kapitel der Hımmelskunde, dem die geogra- 
phische Ortsbestimmung einzig ihre Elemente und Hilfsmittel ent- 
lehnt, der sphärischen Astronomie. Das Hauptziel des vorliegenden 
Abrisses soll nun darin bestehen, die Grundlehren der Ortsbestimmung 
kurz darzustellen und unter den zahlreichen Methoden nicht nur jene 
herauszugreifen, die unmittelbar aus den Grundanschauungen hervor- 
gehend als klassische oder fundamentale bezeichnet werden, sondern 
auch von den andern die, welche für irgend einen Zweig des Wissens 
und der Technik unter Umständen von Bedeutung sein mögen. 


2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge. Die Lage eines 
Punktes auf der Erdoberfläche ist durch zwei sphärische Koordinaten 
eindeutig definiert, deren eine (Breite) die Entfernung vom Äquator 
im Bogen größten Kugelkreises darstellt und deren andere (Länge) der 
im Parallelkreis gemessene Winkelabstand vom Ausgangsmeridian ist. 
Die Zeit dient bei den Rechnungen zur geographischen Ortsbestimmung 
nie als Selbstzweck, sondern nur als Durchgangselement. 

Unter geographischer Breite oder Polhöhe verstehen wir die Dekli- 
nation des Zenits des Beobachtungsortes. 

Sternzeit ist der Stundenwinkel des Frühlingspunktes, oder die 
Rektaszension des Zenits des Beobachtungsortes. Mit wahrer Sonnenzeit 

6* 


84 VI»,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


bezeichnen wir den Stundenwinkel der wahren Sonne, mit mittlerer 
Sonnenzeit den Stundenwinkel der mittleren Sonne. Die Differenz 
mittlere Sonnenzeit minus wahre Sonnenzeit heißt Zeitgleichung. 


Geographische Länge ist der Winkel, den die Meridianebenen 
zweier Orte untereinander einschließen. Während also den Ausgangs- 
punkt für die Breite, die Breite Null, die Natur selbst schafft, unter- 
liegt der Nullmeridian der Willkür. Im Altertum, z. B. bei Marinus 
und Ptolemäus, war es der etwa einen Grad westwärts von den glück- 
seligen Inseln (wahrscheinlich die Kap-Verden) verlaufende Meridian, 
die Araber des Mittelalters blieben entweder bei den Säulen des 
Herkules und den Fortunaten stehen oder zählten nach dem Vor- 
gange Zarquala’s (Arzachel) die Längen vom weltteilenden Meridian 
von Arin oder richtiger Azin aus, den sie genau 10° östlich von 
Bagdad festsetzten; die Seefahrer und Kartenzeichner des 16. und 
17. Jahrhunderts zogen ihren ersten Meridian abwechselnd durch die 
Azoren, die Kanarischen und die Kapverdischen Inseln; Atlanten des 
17. und 18. Jahrhunderts adoptieren den durch den Pik von Teneriffa 
gelegten als Nullmeridian, der insbesondere bei den Holländern zu 
Abel Tasman’s und Nikolaus Vischer’s Zeiten Aufnahme fand. Lange 
Zeit beherrschte der Meridian von Ferro das Feld, den eine im Juli 
1630 zu Paris stattgehabte Versammlung von Astronomen und Mathe- 
matikern in Vorschlag brachte. Allmählich wurde indes seine Defi- 
nition dahin gebräuchlich, daß er genau 20° westlich von Paris ver- 
laufen solle, d. h. er bedeutet im Grunde den verkappten Pariser 
Meridian!). Heutigentages endlich erfreut sich der Greenwicher Me- 
ridian fast allgemeiner Anerkennung”), sowohl bei geodätischen Ope- 
rationen, als auch vor allem in der nautischen Praxis. Selbst Frank- 
reich bekennt sich neuerdings zur Greenwicher Zeit, die durch die 
Chambre des deputes am 24. Februar 1898 in folgender bemerkens- 
werten Fassung angenommen wurde: „L’heure legale, en France et 
en Algerie, est l’'heure temps moyen de Paris, retardee de 9” 21°.?) 


1) Vgl. Gehler’s physikal. Wörterbuch, 2. Aufl. Bd. 6, Leipzig 1831; E. Müller, 
Longitudinum geographicarum gradus num astronomicis et quibus methodis usi 
veteres Arabique determinaverint, Berolini 1862; ferner O. Peschel, Geschichte der 
Erdkunde, München 1877. 

2) Unification des longitudes par l’adoption d’un meridien initial unique, 
Berlin 1884, Abdruck aus: Verh. 7. Allg. Conf. Erdm., Berlin 1884, 1. u. 9. Sitzung. 

3) Geographisches Jahrbuch 26, Gotha 1904, p. 364. Das Annuaire du 
bureau des longitudes hingegen definiert noch immer unter Berufung auf das 
Gesetz vom 15. März 1891 die mittlere Zeit von Paris als gesetzliche Zeit von 
Frankreich und Algier (z.B. annuaire pour 1905, Paris 1905, p. 546). 


3. Einfluß der Erdfigur. 4. Zeitbestimmung aus einer Höhe. 85 


Wie man die Breiten vom Äquator aus nach Nord (+) und nach 
Süd (—) bis zu den Polen (90°) durchzählt, so pflegt man die 
Längen vom ersten Meridian aus nach Osten (+) und nach Westen (—) 
bis 180° zu rechnen. Der Halbmeridian 180° von Greenwich dient 
den Seefahrern als Datumgrenze; auf der Fahrt von Ost nach West 
überschlägt man einen Tag und von West nach Ost segelnd nimmt 
man ein Datum zweimal nacheinander. 


3. Einfluß der Erdfigur bei Ortsbestimmungen. Auf die von 
der mathematischen abweichende dynamische Erdfigur braucht bei 
astronomischen Ortsbestimmungen keine Rücksicht genommen zu wer- 
den. Denn wir verlangen stets nur die Kenntnis der Deklination des 
Lotes auf die für den Beobachtungsort geltende Niveaufläche. Auf- 
gabe der Geodäsie ist es, die Abweichung der Niveaufläche des Geoids 
in Beziehung zu setzen zum Referenzellipsoid, dessen Konstanten zu- 
meist nach Bessel angenommen werden. Das Referenzellipsoid reicht 
auch vollständig hin zur scharfen Berechnung der parallaktischen 
Wirkung, i. e. der kleinen Verschiebung, die ein Gestirn an der 
Himmelssphäre erleidet, jenachdem ich es vom Beobachtungsort oder 
vom Erdmittelpunkt aus betrachte. 


I. Zeitbestimmung. 
A. Durch Höhen. 


4. Eine einzelne Höhe. Die Ermittlung der Zeit läuft auf die 
Ableitung des Stundenwinkels des Frühlingspunktes hinaus. Jedes 
seiner Beziehung zum Frühlingspunkt nach bekannte Gestirn kann 
demnach dieser Absicht dienen. 

Die einfachste mit den geringsten Beschränkungen verknüpfte 
Methode besteht in der Beobachtung der Höhe oder Zenitdistanz eines 
an sich beliebigen Himmelskörpers. Aus dem astronomischen Grund- 
dreieck Pol-Zenit-Stern, dessen drei Seiten (Zenitdistanz, Poldistanz 
und Komplement der Breite) nun bekannt, läßt sich der Stunden- 
winkel, i. e. der Winkel am Pol auswerten, und die Beobachtungs- 
fehler üben offenbar dann ihren geringsten Einfluß auf das Resultat 
aus, wenn der Stern so steht, daß zu einer bestimmten Änderung 
des Stundenwinkels die größtmögliche Höhenänderung gehört. Dies 
tritt beim Durchgang durch den ersten Vertikal ein, das heißt, wenn 
das Azimut 90° beträgt. Gleichzeitig erzielen wir den Vorteil, daß ein 
Fehler in der angenommenen Breite das Ergebnis auf die kleinste 
Weise entstellt. Bei rationeller Anwendung der Methode darf man 


86 VIe,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


somit vom ersten Vertikal sich nicht allzuweit entfernen, und unter 
dieser Voraussetzung vereinfachen sich auch die Formeln um ein 
weniges, da man dann, wie Donner*) zeigt, von dem rechtwinklig- 
sphärischen Dreieck ausgehen und die Abweichungen vom idealen 
Fall durch einfache Reihenentwickelung darstellen darf. 

Natürlich beschränkt man sich nicht auf eine Höhe, sondern 
nimmt deren mehrere, und zwar bei Gebrauch eines Universalinstru- 
mentes mit ein- oder mehrmaligem Durchschlagen des Fernrohrs zur 
Elimination des Zenitpunktes des Teilkreises; beim Spiegelsextanten 
bestimme man den Indexfehler vor und nach der Beobachtungsreihe 
und setze inmitten derselben das Glas- oder Glimmerdach des Queck- 
silberhorizontes um. Bei der Sonne sind beide Ränder wechselweise 
einzustellen, um die persönlichen Auffassungsfehler, die einen von 
der Ephemeride abweichenden Sonnenradius hervorrufen, heraus- 
zuschaffen. Das Gleiche gilt in einem kräftigen Fernrohr für die 
Planeten mit merklichem Durchmesser. Dagegen steht bei Mond 
und Venus (und Merkur) immer nur ein beleuchteter Rand zur Ver- 
fügung. Außer den Instrumentalfehlern bringt man an die Höhen 
Parallaxe und Refraktion an und kann dann zur Berechnung des 
Stundenwinkels schreiten, entweder für jede Höhe getrennt — und 
dies gewährt die Annehmlichkeit, daß man die innere Genauigkeit 
der Beobachtung aus der Übereinstimmung der Einzelwerte abzu- 
schätzen vermag — oder man vereinigt sofort die Uhrzeiten und die 
zugehörigen Zenitdistanzen zu je einem Mittel, hat aber noch ent- 
weder an den gefundenen Stundenwinkel oder zuvor an die Mittel- 
höhe eine Verbesserung anzubringen°), die um so kleiner sich ergibt, 
je rascher die Messungen aufeinander folgen und je näher ihre Mittel- 
zeit dem ersten Vertikal liegt. 

Ist der Stundenwinkel bekannt, so geht daraus durch Hinzu- 
fügung der Rektaszension des Sternes die Sternzeit der Beobachtung 
hervor, deren Vergleich mit der nach Sternzeit regulierten Beobach- 
tungsuhr deren Stand ergibt. Geht die Uhr nach mittlerer Zeit, so 
ist die gefundene Sternzeit mit Hilfe der Angaben der Ephemeriden 
in mittlere Sonnenzeit umzusetzen. Ähnlich bleibt das Verfahren, 
wenn die Sonne beobachtet worden; man geht alsdann mittels der 
Zeitgleichung von wahrer Zeit, gleich dem Stundenwinkel der Sonne, 
auf mittlere und dann eventuell auf Sternzeit über. 


4) A. Donner, Formeln und Tafeln zur Berechnung von Zeitbestimmungen 
durch Höhen in der Nähe des I. Vertikals, Helsingfors 1890. 

5) Siehe z. B. Brünnow, p. 267; ferner J. Soldner, Berl. astr. Jahrb. für 1818, 
p- 123. 


5. Zeitbestimmung aus korrespondierenden Höhen eines Gestirns. 87 


Für die Zwecke des bürgerlichen Lebens und den Liebhaber der 
Astronomie empfiehlt sich zur beiläufigen Bestimmung der Uhr- 
korrektion ein von Eble®) konstruierter Holzsextant, dessen Teilung 
schon Rücksicht nimmt auf die mittlere Refraktion. Ein graphisches 
Netz macht sphärische Rechnung überflüssig und gestattet mit zu- 
länglicher Schärfe den Stundenwinkel an einem Lineal abzulesen. 
Ebles Vorgänger war F. ©. Müller‘), der einen ähnlichen Sextanten 
herausgab, die Rechnung aber nicht durch ein Diagramm, sondern 
durch umfangreiche Tafeln umging, die direkt die wahre Sonnenzeit 
zu jeder Höhe für jeden Tag des Jahres enthalten. Sehr nahe ver- 
wandt mit den Müller'schen Tafeln sind die später von M.R. Pressler®) 
veröffentlichten, während O0. Müller’s?) Tafeln bei genauer Rechnung 
nur eine geringe Zeitersparnis gewährleisten. Tafeln zur Bestimmung 
der Zeit nach Sonnenhöhen bilden auch den Anhang zu 0. Bremiker’s 
fünfstelligen Logarithmentafeln ?°). 

Will man im resultierenden Uhrstande frei werden von konstanten 
Fehlern in der Höhe, so muß man die Zenitdistanzen sowohl im Ost- 
als im Westzweig des Ersten Vertikals nehmen. Ist der zu befürch- 
tende Fehler noch variabel mit der Höhe, so fällt er nur bei strenger 
Gleichheit der absoluten Höhen heraus. Man erzielt eine beträchtliche 
Vereinfachung der Rechnung, wenn in Ost und West dasselbe Gestirn 
beobachtet wird. 

Unter dieser Bedingung haben wir 


5. Die Methode der Korrespondierenden Höhen in ihrer reinen 
Gestalt vor uns, die sich bei den Astronomen des Altertums, Mittel- 
alters bis tief in das 18. Jahrhundert hinein besonderer Beliebtheit 
erfreute. Da ein Fixstern Ost und West vom Meridian bei absolut 
gleichen Stundenwinkeln auch die gleichen Höhen erreicht, so muß 
seine Kulmination in die Mitte zwischen jene beiden beobachteten 
Zeiten fallen. Die Abweichung des arithmetischen Mittels jener Zeiten 
gegen die durch die Rektaszension bekannte Kulminationszeit des 
Gestirnes stellt mithin die Uhrverbesserung dar. Die Kenntnis der 
Polhöhe spielt gar keine Rolle, die der absoluten Höhen auch nicht; 
einziges Erfordernis bleibt die Konstanz der Höhen, die teils durch 


6) M. Eble, Neues Zeitbestimmungswerk, Tübingen 1853. 

7) F. C. Müller, Tafeln der Sonnenhöhen für ganz Deutschland. Nebst 
einem in Kupfer gestochenen Sextanten, Leipzig 1791. 

8) M. R. Pressler, Ein Zeitmeßknecht oder der Meßknecht als Normaluhr, 
2 Teile, Braunschweig 1856. 

9) O. Müller, Tavole per la determinazione del tempo, Milano 1881. 

10) Berlin 1872, 5. Aufl. Berlin 1887. 


88 VI2,3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Universalinstrument, teils durch Spiegelsextant, teils durch eine Gat- 
tung von Apparaten erzielt werden kann, die speziell nur die Ver- 
bürgung der Stabilität in Höhe beanspruchen (vergl. Nr. 24). Not- 
wendige Variationen in Höhe bringen schon die zwischen Ost- und 
Westdurchgang unvermeidlichen meteorologischen Verschiedenheiten 
mit sich, die eine Refraktionsschwankung zum Gefolge haben, deren 
Größe man den Refraktionstafeln entnimmt und in der Mittelzeit 
differentiell berücksichtigt'"). 

Verharrt das Gestirn nicht fest an der Sphäre, sei es ein Planet 
oder die Sonne, so deckt sich infolge der während kurzer Zeit als 
gleichförmig anzusetzenden Deklinationsänderung die Mittelzeit nicht 
mehr mit der Kulminationszeit, sondern fällt ein weniges dahinter 
oder davor. Für die kleine deshalb notwendig werdende Mittags- 
verbesserung, die zuerst von Euler'?) behandelt wurde, bedient man 
sich heute allgemein der G@auß’schen'?) Formeln, zumal ihre Anwen- 
dung einige viel verbreitete Tafeln sehr erleichtern. 

Vervielfachung der Beobachtungen erreicht man bei einem Re- 
flexionsinstrument dadurch, daß man die Alhidade der Reihe nach 
auf volle 10- oder 20’-Striche einstellt und beim Universal oder 
Theodoliten, indem man mehrere parallele Horizontalfäden einreiht, 
an denen man die Antritte der Sterne oder des oberen und unteren 
Sonnenrandes beobachtet. Ist einmal die Vormittagshöhe der Sonne 
mißlungen, so gibt die Verbindung einer Nachmittagshöhe mit der 
darauffolgenden Vormittagshöhe die Uhrzeit der wahren Mitternacht, 
nachdem noch eine der Mittagsverbesserung analoge und mit Hilfe der- 
selben Tafeln eruierbare Mitternachtsverbesserung'?) angebracht worden. 

Zur Beobachtung korrespondierender Sonnenhöhen gab Chandler '*) 
ein Instrument an, das er „Chronodeik“ nannte; es besteht aus einem 
vertikal abwärts gerichteten Fernrohr, unter welchem ein drehbarer 
Spiegel angebracht ist. 

Für die Nautik legte Wendt") dar, wie die Fahrt des Schiffes 


11) Siehe z. B. Brünnow, p. 289. 

12) L. Euler, Methodus computandi aequationem meridiei, Petersbg. Commen- 
tarii 8 (1736), p. 48. 

13) ©. F. Gauß, Tafeln für die Mittagsverbesserung, Monatl. Corr. 23 (1811), 
p.401 = Werke 6 (1874), p.166. Derartige Tafeln finden sich z.B. in ©. F. W. Peters, 
Astr. Tafeln u. Formeln, Hamburg 1871, p.89; H. Göring, Der Zeitmesser, Tafeln 
der Mittagsverbesserung für die Breitengrade 30° bis 60° und der Zeitgleichung, 
Paderborn 1862. 

14) $. ©. Chandler, The Observatory 4 (1881), p. 14; J. Palisa, Astron. 
Kalender f. 1889, hrsg. von der k. k. Sternwarte in Wien, Wien 1888. 

15) E. Wendt, Ann. d. Hydr. 1900, p. 186, 198 und 1902, p. 152. 


6. Zeitbestimmung aus gleichen Höhen zweier Gestirne. 89 


zwischen beiden zusammengehörigen Beobachtungen das Ergebnis be- 
einflusse, und empfahl eine Modifikation in dem Sinne, daß man 
solche Höhen beobachte, zu denen gleiche Östliche und westliche 
Stundenwinkel gehören. 

Die korrespondierenden Höhen erfordern nicht nur lange Zeit 
zur vollständigen Beobachtung, sondern ihr Zustandekommen ist 
obendrein durch die Launen der Witterung gefährdet. Darum strebte 
man nach einer rasch arbeitenden Methode, die an den Hauptvor- 
zügen der reinen korrespondierenden Höhen teilnahm. Sie gelangte 
aber erst zum Durchbruch, als hinlänglich viele scharfe Sternörter 
vorlagen. 


6. Gleiche Höhen verschiedener Gestirne. Läßt man die 
Gleichheit des Gestirns bei der Methode der korrespondierenden 
Höhen falleu, so erwächst die allgemeine Aufgabe: aus den Durch- 
gängen zweier Sterne durch denselben Höhenkreis'"®) bei bekannter geo- 
graphischer Breite die Zeit zu bestimmen. Diese Art der Zeitbestim- 
mung, schon von Köhler!®), Tammelander''), Koch?) vorgeschlagen, 
ist späterhin von Gauß?) und vor allem von russischen Astronomen 
Zinger”), Pjewzow?') u. a. behandelt worden, die sie für besonders 
geeignet erachteten, das astronomische Netz in den weiten Steppen- 
flächen des russischen Reiches festzulegen. Auch der Spanier Canete 
del Pinar??) brachte die Methode gleicher Höhen mit Hilfe eines 
eigenartig konstruierten Spiegelsextanten zu Ehren. Natürlich ist die 
Aufgabe umkehrbar: die ‚Breite kann bestimmt werden bei vor- 
gelegter Zeit, ohne daß man der absoluten Höhe bedarf. Ja, als 
Nebenresultat kommen noch Werte für die Höhe heraus, deren Ver- 
gleich mit der Ablesung am Teilkreis des Instrumentes die Index- 
korrektion ergibt. Jenachdem Zeit oder Breite bestimmt werden 


16) J. @. Köhler, Berl. astr. Jahrb. für 1784, p. 148. 

17) A. J. Tammelander, Methodus inveniendi tempus verum, Aboae 1785 
—1787. 

18) J. A. Koch, Astronomische Tafeln zur Bestimmung der Zeit aus der 
beobachteten gleichen Höhe zweier Fixsterne, als Anhang zum Berl. astr. Jahrb. 
für 1799 separat erschienen, Berlin und Stralsund 1797; ferner W.T. Pabst, 
Monatl. Corr. 20 (1809), p. 140 und K. B. Mollweide, Monatl. Corr. 25 (1812), p. 484. 

19) Gauß, Method. pecul. 

20) Siebe Zinger; N. Schtschetkin, Sternephemeride für die Zeitbestimmung 
nach der Zinger’schen Meth., St. Petersburg 1902. In russischer Sprache. 

21) M. Pjewzow, Üb. d. Bestimmung der geographischen Breite durch 
korrespondierende Höhen, St. Petersburg 1900. In russischer Sprache. 

22) de Canete del Pinar, Algo mäs sobre observaciones de precisiön con el 
sextante, Madrid 1900. 


90 VIa, 3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


sollen, liegen die günstigsten Verhältnisse der Beobachtungen entweder 
so, daß die beiden Sterne je im Ost- und Westzweig des Ersten Ver- 
tikals oder im Nord- und Südbogen des Meridians stehen. Bei der 
Zeitbestimmung sollen ferner die Deklinationen der Sterne um nicht 
mehr als ein paar Grade verschieden sein. 


7. Eine Höhendifferenz. In der Verallgemeinerung darf man 
noch einen Schritt weiter gehen. Die Methoden der korrespondie- 
renden Höhen sind nur Spezialfälle der allgemeinen Aufgabe: aus 
einer Höhendifferenz zweier Sterne bei bekannter Breite die Zeit zu 
bestimmen. Dieses Problem wurde zuerst von v. Tempelhof”) als Er- 
weiterung der korrespondierenden Sonnenhöhen behandelt, aber die 
Rechnungsvorschriften gelten nur für sehr geringe Höhendifferenzen. 
Eine allgemeine Lösung gab Wirtz”) an; die günstigsten Bedingungen 
treten dann ein, wenn der eine Stern genau im Osten, der andere 
genau im Westen steht. Die Höhendifferenz verlangt vor ihrer Be- 
nutzung noch eine Verbesserung wegen Refraktion und eventuell 
wegen Parallaxe. 


B. Zeitbestimmung durch Azimute. 


8. Im Meridian. Während die bisher besprochenen Zeitbestim- 
mungen allesamt auf Höhenbeobachtungen hinausliefen, beruhen die 
schärfsten Methoden auf Beobachtungen von Durchgängen durch 
Vertikalkreise, zunächst durch den wichtigsten Vertikalkreis, den 
Meridian. 

Ein Meridiankreis oder Passageninstrument, fest oder transpor- 
tabel, steht so, daß seine Achse horizontal Ost— West gerichtet ist 
und die Absehenslinie des Fernrohrs den Meridian innehält. Merke 
ich nun am Fadennetz — der vertikale Mittelfaden repräsentiert ein 
Stück des Meridians — den Augenblick der Bisektion eines Sternes, 
so gewinne ich in der Differenz der Uhrzeit dieses Augenblicks gegen 
die anderweitig bekannte Rektaszension des Sternes den Stand der 
Uhr gegen Sternzeit. 

In der Ausführung des Gedankens, den zuerst Olaus Römer?) 
instrumentell verwirklichte, gestalten sich die Verhältnisse erheblich 
komplizierter. Man beschränkt sich nicht auf einen Stern, sondern 
vereinigt ihrer sechs bis acht zu einer Zeitbestimmung; ebensowenig 
verläßt man sich darauf, daß der Tubus den Meridian beschreibt; man 


23) @. F. v. Tempelhof, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 1 (1793), p. 214. 

24) Ann. d. Hydr. 1901, p. 372. 

25) Olaus Römer i. J. 1689 nach P. Horrebow, Basis astronomiae, Havniae 
1735, p. 49, abgedruckt in: Petri Horrebowii operum tomus 3, Havniae 1741. 


7. Zeitbestimmung aus einer Höhendifferenz. 8. Zeitbestimmung im Meridian. 91 


kontrolliert vielmehr die Fehler seiner Aufstellung, nämlich Neigung 
der Umdrehungsachse und Azimut, fortwährend im Laufe der Messung; 
erstere durch die Libelle, letzteres durch die Mitbeobachtung eines 
dem Pol nahestehenden Sternes. Bei kleinen transportablen Instru- 
menten eliminiert man den „Kollimationsfehler“, d. i. die Abweichung 
des Winkels zwischen Rohr und Achse von 90°, dadurch, daß man 
die Achse „umlegt“, d. h. in ihrer Horizontalebene um 180° dreht 
und den Stern in beiden Lagen der Achse beobachtet. Solange keine 
besonderen Verhältnisse vorliegen, wird die mittlere Deklination der Zeit- 
sterne nicht etwa am Äquator zu wählen sein, sondern so, daß beiläufig 
die Kulminationshöhe der Zeitsterne übereinstimmt mit der Polhöhe 
des Beobachtungsortes. Gelang kein Polstern, so müssen die Zeitsterne 
möglichst nahe am Zenit kulminieren, da in diesem Falle der Einfluß 
eines azimutalen Fehlers verschwindet. Das Azimut selbst wird sehr 
scharf gefunden durch drei aufeinander folgende (abwechselnd obere 
und untere) Kulminationen eines Circumpolarsternes; Maß für das 
Azimut bildet die Differenz der beiden Zwischenzeiten; eine Uhr von 
gleichmäßigem Gang ist freilich unerläßlich. 

Zur Berechnung sind Formeln gebräuchlich, die nach ihren 
Urhebern als Mayer'sche?®), Bessel’sche?’) und Hansen’sche?®) unter- 
schieden werden. Für die Zeitbestimmung zu geographischen und 
geodätischen Zwecken gilt die Mayer’sche Darstellung, in der alle 
drei Fehlerquellen (Neigung, Azimut, Kollimation) getrennte Berück- 
sichtigung erfahren, als die zweckmäßigste.e Eine neue wesentlich 
graphische Reduktionsmethode für Sätze von Transitbeobachtungen 
gab C©. Braun?) an. Er erstrebt die Ausgleichung aller Durchgänge 
in sich und umgeht dabei die Methode der kleinsten Quadrate. An 
festen Sternwarten fällt es nicht schwer, die Zeit mit einer Ge- 
nauigkeit von + 0*.02 mittlerem Fehler abzuleiten, wohlverstanden 
innerhalb des zugrunde gelegten Rektaszensionssystems der Funda- 
mentalsterne, sei es nach Auwers, Newcomb oder nach einem der 
früher in den Sternephemeriden des Nautical Almanac und der American 
Ephemeris adoptierten Fundamentalkataloge. 

Während man auf Observatorien nur in Notfällen den Durch- 


26) Tobias Mayer, Observationes astronomicae quadrante murali habitae 
(vorgetragen 1756) — Opera inedita, 1, Gottingae 1775, p. 19. 

27) F. W. Bessel, Königsb. Beob. 2 (1816), p. IT = Abhdl. 2, p. 33. 

28) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 6 (1828), p. 421—458. 

29) C. Braun, Berichte von dem erzbischöfl. Haynald’schen Observatorium 
zu Kalöcsa in Ungarn, p. 59, Münster i. W. 1886. Siehe auch Astr. Nachr. 109 
(1884), p. 33. 


92 VIa, 3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


gang der Sonne zur Zeitbestimmung benutzt, existieren, abgesehen 
vom uralten Gnomon, den Jordan‘) wieder zu Ehren brachte, 
einige kleine Apparate, die dies bequem dem Amateur ermöglichen. 
Hierher gehört das Dipleidoskop, das der Londoner Uhrmacher 
E. Dent°') erfand. Es besteht aus zwei ebenen Glasspiegeln und 
einer durchsichtigen Glasplatte, die so zusammengefügt sind, daß ihr 
Grundriß ein gleichschenkliges Dreieck bildet. Richtige Orientierung 
vorausgesetzt, eilen dann kurz vor der Kulmination die zwei von den 
Spiegeln entworfenen Sonnenbilder in dem zugehörigen kleinen Fern- 
rohr gesehen rasch aufeinander zu und decken sich im Moment des 
wahren Mittags. Eine Verschärfung tritt ein, wenn man das Mittel 
der Uhrzeiten der beiden Randberührungen bildet. Auf dasselbe Be- 
obachtungsprinzip stützt sich das Steinheil’sche?”) Passagenprisma, 
welches die Duplizität der aufeinander zulaufenden Sonnenscheiben 
dadurch erreicht, daß die Hälfte des Fernrohrobjektivs von einem 
Prisma bedeckt ist, dessen Hypotenusenfläche parallel steht zur op- 
tischen Achse des Rohres. Der zu erwartende Fehler einer Zeit- 
bestimmung mit diesem Instrument liegt bei hinlänglich stabiler Auf- 
stellung immer unter 1°. E. Dent’s Universaldipleidoskop ??) gestattet 
‚auch außer Mittag die wahre Zeit zu finden. 


9. Im Vertikal des Polarsterns. Der raschen Anwendung der 
Zeitbestimmung strenge im Meridian steht bei geodätischen Opera- 
tionen und auf geographischen Expeditionen der Umstand entgegen, 
daß hinreichend helle Polsterne, die der Festlegung des Azimutes 
dienen, selten sind; die kleineren Instrumente sind, insbesondere am 
Tage und in der Dämmerung, auf den eigentlichen Polarstern, « Ur- 
sae minoris, angewiesen. Aus dieser Erwägung heraus ist ein Ver- 
fahren entstanden, das diesem Übelstande ausweicht. Man beobachtet 
den Durchgang der Zeitsterne nicht mehr im Meridian, sondern in 
einem durch einen Polstern gehenden Vertikalkreis. Da dieser Stern 
gewöhnlich « Ursae minoris ist, heißt die ganze Methode: Zeitbestim- 
mung im Vertikal des Polarsterns. Zuerst angegeben wurde das Ver- 
fahren von Littrow®*), Tiarks®) und Hansen°*), später weiter ent- 

30) W. Jordan, Grundzüge, p. 141. 

31) E. J. Dent, A description of the dipleidoscope, London 1843. 

32) Vgl. darüber C. Hornstein, L. Seidel, 0. A. v. Steinheil, Astr. Nachr. 
24 (1846). 

33) Siehe A. W. Hofmann, Bericht üb. d. wiss. Apparate auf der Londoner 
internat. Ausstellung 1876, Braunschweig 1878, p. 180. 

84) J. J. v. Littrow, Über den erweiterten Gebrauch der Multiplikations- 
kreise, Prag 1820. 

35) J. L. Tiarks, Lond. Astr. Soc. Mem. 3 (1829), p. 77. 


9. Zeitbestimmung im Vertikal des Polarsterns, 10. in beliebigem Azimut. 93 


wickelt von W. Döllen®”) und P. Harzer®®). Die Reduktion, natürlich 
nicht mehr so. einfach wie bei der meridiannahen Methode, tritt bald 
in direkter, bald in indirekter Form auf; durch Harzer’s Abhandlung 
scheint die direkte Methode als die bequemere erkannt zu sein. Die 
Vorschriften zur Wahrung möglichster Genauigkeit unterscheiden sich 
nicht viel von den für den Meridian geltenden. Umlegung des In- 
strumentes während der Reihe und symmetrische Anordnung der 
Zeitsterne zum Polstern bilden die Hauptsache Die schließliche 
Zuverlässigkeit der Methode reicht an jene im Meridian nahe heran, und 
sie hat sich an einigen Sternwarten und Chronometerobservatorien 
fest eingebürgert. Als Nebenprodukt fällt das eingestellte Azimut 
ab, das sich bei Triangulationen mit Nutzen wird verwerten lassen. 
‚Besondere Hilfstafeln und Ephemeriden®®) erleichtern die Anwendung 
des Verfahrens. — Eine Spezialisierung der Formeln Döllen’s für den 
Meridian behandelten E. Borrass und nach ihm H. Kimura*°), der 
durch ausgedehnte Tafeln mit doppeltem Eingang die Rechnung zu 
erleichtern sucht. 

Zu einer Abart der Zeitbestimmung im Vertikal des Polarsterns 
mag man greifen, wenn ungünstiges Wetter jeden klaren Moment auf 
einer Station auszunützen gebietet. Man mißt dann den Azimut- 
unterschied des Polarsterns gegen einen Zeitstern mittels eines Uni- 
versalinstrumentes, ersteren in beliebigem Stundenwinkel, letzteren so 
dicht wie zulässig beim Meridian. An Genauigkeit steht das Ver- 
fahren, mehr ein Notbehelf, den Durchgängen bei festem Azimut 
natürlich nach. 


10. In beliebigem Azimut; Olbers’sches Verfahren. Wie aus 
einer einzelnen Zenitdistanz, so kann man auch aus einer Azimut- 
bestimmung bei bekannter Breite den Stundenwinkel und damit die 
Zeit ableiten, ein Verfahren, das aber bei der Schwierigkeit, den 
Meridianpunkt des Horizontalkreises zu ermitteln und konstant zu 


36) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 9 (1831), p. 117 und 48 (1858), p. 113. 

37) u. 38) Vgl. Lit. II. Harzer, Ortsbest. ist Sonder-Abdr. aus: Mitteil. d. 
Vereinig. v. Freund. d. Astronomie 6, Berlin 1896. 

39) W. Döllen, Hülfstafeln für d. Zeitbestimmung im Vertikal des Polar- 
sternes, Petersburg 1874 u. 1878; W. Döllen, Sternephemeriden zur Bestimmung 
von Zeit u. Azimut im Vertikal des Polarsternes, Petersburg 1886—90, Berlin 
1891, Dorpat 1893. Seit 1895 von der Petersbg. Astr. Ges. hrsg. u. d. Titel 
„Ephemerides des etoiles pour la determination de l’heure et de Fazimut dans 
le plan vertical de la polaire pour l’an....“, Petersburg 1894 ff. 

40) H. Kimura, Formulae and tables for determ. the time in the meridian, 
Tokyö sügaku-buturigaku kwai kizi. Maki no VII, Dai 6, Tokyo 1901, p. 209. 


94 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


halten, sich sehr wenig empfiehlt, wenn man nicht zu fester Auf- 
stellung in den Meridian, d. h. zum Passageninstrument in oder nahe 
dem Meridian übergeht. 

Dagegen hat sich eine nach instrumentellen und rechnerischen 
Anforderungen ungemein einfache Modifikation als sehr praktisch 
erwiesen. Man beobachtet nämlich das Verschwinden eines Fixsterns 
hinter einer entfernten senkrechten Wand, etwa eines Kirchturms 
oder Schornsteins, die am Beobachtungsort ein konstantes Azimut 
fixiert. Tag für Tag findet das Verschwinden des Sterns immer zur 
selben Sternzeit statt und gibt damit ein Mittel zur Prüfung des 
Uhrgange. Wenn man nun noch auf irgend eine Weise sich die 
absolute Zeit jenes Momentes verschafft, fließt daraus die Möglichkeit, 
jederzeit auch den Uhrstand kennen zu lernen; denn an den ersten 
Stern, der ja bald in die Tageshelle rücken würde, lassen sich immer 
wieder andere, später verschwindende anschließen, die einen Gürtel 
um den Himmel herum bilden und für das ganze Jahr genügend An- 
haltspunkte zu gelegener Abendstunde abgeben. Die langsamen Orts- 
veränderungen der Sterne, veranlaßt durch Präzession, Nutation, Aber- 
ration und Eigenbewegung, ziehen eine geringe Variabilität des Zeit- 
punktes des Verschwindens nach sich, die mittels einfach gebauter 
Differentialformeln in Rechnung gestellt wird. Mit bestem Erfolge 
ist die beschriebene Art der Zeitbestimmung von Olbers*!) verwertet 
worden, der zuerst für ihre Brauchbarkeit eintrat und ihr Eingang 
bei den Liebhabern der Himmelskunde verschaffte. 


ll. Mehrere Azimute. Daß sich aus der Beobachtung der 
Durchgänge zweier beliebiger Sterne die Zeit ableiten läßt, ergibt sich 
schon aus dem speziellen Fall der Zeitbestimmung im Vertikal des 
Polarsterns; die günstigsten Bedingungen führen eben auf jenen 
Spezialfall. Für die Aufgabe: die Zeit zu bestimmen, zu der zwei 
Sterne in den gleichen Vertikalkreis kommen, fand schon J. H. Lam- 
bert*?) eine kurze Lösung. — Aus dem Durchgang dreier Sterne 
durch denselben Vertikalkreis Polhöhe, Zeit und Azimut zu ermitteln, 
wie man vielleicht nach Analogie der später zu besprechenden Gauß- 
schen Dreihöhenaufgabe (siehe Nr. 18) versuchen könnte, geht nicht 
an; in den drei Gleichungen lassen sich zwei Unbekannte (Zeit und 
Azimut) nicht trennen. 


12. Näherungsmethoden. Einige leicht auszuführende Nähe- 
rungsmethoden, die sowohl Zeit wie Polhöhe ergeben, mögen noch 


41) W. Olbers, Monatl. Corr. 3 (1801), p. 124. 
42) J. H. Lambert, Berl. astr. Jahrb. für 1789, p. 213. 


11. 12. 13. Andere Methoden der Zeitbestimmung. 95 


hier miterledigt werden. Die Aufgabe: aus den Uhrangaben, zu 
welchen vier Sterne durch zwei beliebige Vertikale gehen, Uhrkorrek- 
tion und Breite zu bestimmen, hat 1789 Graf v. Platen zu Haller- 
mund‘) diskutiert. Wislicenus‘*) kleidete die Lösung in ein modernes 
Gewand und wies darauf hin, daß, wie bei Olbers, die Azimute durch 
ferne terrestrische Gegenstände (Fahnenstange, Hauskante etc.) markiert 
sein dürften und Instrumente, abgesehen von einem schwach ver- 
größernden Fernrohr, nicht nötig seien. 

Einer gleich einfachen Art der Zeit- und Ortsbestimmung gedenkt 
P. Harzer“). Er legt die Azimute durch senkrechte Schnüre fest, die 
zur Vermeidung einer parallaktischen Verschiebung gegen das nahe 
Auge des Beobachters über ein primitives in den Boden gerammtes 
Gestelle zeschlungen und beschwert werden. Harzer’s Methode leistet 
trotz der denkbar einfachsten Hilfsmittel eine Genauigkeit von 1’ bis 
2 in beiden Koordinaten. Von E. Hammer*®) stammt der Vorschlag, 
ein einfaches Senklot in Verbindung mit den Ergebnissen einer 
Landesvermessung zu benutzen. Man beobachtet den Moment, zu dem 
die Sonne das auf diese Weise festgelegte Azimut passiert. — Im Zu- 
sammenhang sind die mit einfachen Hilfsmitteln optisch und photo- 
graphisch zu erledigenden Aufgaben der Zeit- und Ortsbestimmung 
von K. Schwarzschild*‘) dargestellt worden. 


13. Azimut-, Höhen- und Zeitdifferenz. Den Schluß bilde eine 
nur auf die Messung von Koordinatendifferenzen gestützte Methode, 
die der Kenntnis irgend eines instrumentellen Nullpunktes enträt. 
An einem Universalinstrument beobachte man für zwei Sterne die 
Differenzen der Höhen, Azimute und zugehörigen Uhrzeiten, Daten, 
die zur Ableitung von Zeit, Polhöhe und Meridianrichtung hinreichen, 
Zur Herabdrückung der Fehlereinflüsse verlangen die Differential- 
formeln möglichst großen Azimut- und Höhenunterschied. Die Auf- 
gabe ist so zuerst von Encke"?) gefaßt worden. Nahe Verwandtschaft 
weist ein von Lyons‘?) diskutiertes Problem auf: Zeit und Polhöhe 


43) E. F. v. Platen zu Hallermund, Berl. astr. Jahrb. für 1789, p. 126—127. 

44) W. F. Wislicenus, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 89. 

45) Siehe Harzer, Ortsbest. 

46) E. Hammer, Zeitbestimmung (Uhrkontrole) ohne Instrumente, Stutt- 
gart 1893. 

47) K. Schwarzschild, Astronomische Beobachtungen mit elementaren Hilfs- 
mitteln, in den „Beiträgen zur Frage des Unterrichts in der Mathematik, Physik 
u. Astronomie“, hrsg. von F. Klein u. E. Riecke, Leipzig 1904. 

48) J. F. Encke, Über eine Erweiterung des Douwes’schen Problems, Berl. 
astr. Jahrb. für 1859, p. 334. 

49) J. Lyons, Naut. Alm. for 1778. 


96 VI, 3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


zu bestimmen, wenn man nur das Intervall kennt, das der Durch- 
messer der Sonne gebraucht, um einen Vertikalkreis und einen Höhen- 
kreis!) zu passieren. H.@.v. Mattuschka°®), J. K. Schulze°') und auch 
einige neuere Schriftsteller wandten der in praxi fast bedeutungslosen 
Aufgabe Aufmerksamkeit zu. 


IH. Polhöhenbestimmung. 


14. Meridianhöhe. Wie Nr. 4 zu einer beobachteten Höhe die 
Zeit zu ermitteln lehrte, so läßt sich umgekehrt aus einer Höhe bei 
bekannter Zeit die Polhöhe ableiten. Ein Fehler in der Zeit geht 
um so geringer in die errechnete Breite ein, je kleiner die Änderung 
der Höhe während desselben Zeitintervalls wird. Null wird diese 
Änderung an zwei Punkten der täglichen Sternbahn, im Meridian, 
den die Zirkumpolarsterne zweimal sichtbar kreuzen. Zugleich nimmt 
auch die Rechenvorschrift die bequemste Gestalt an: man braucht 
nur Zenitdistanz und Deklination im richtigen Sinne, den man aus 
der Anschauung abliest, zu addieren. Man kann noch auf die 
Kenntnis der Deklination der Sterne verzichten, wenn man beide 
Kulminationshöhen eines Zirkumpolarsternes mißt; das arith- 
metische Mittel liefert die geographische Breite des Beobachtungs- 
ortes, ihre halbe Differenz die Poldistanz des benutzten Sternes. 
Die Methode findet vor allem Anwendung an festen Sternwarten mit 
Hilfe des Meridiankreises; da an demselben aber der Zenitpunkt nicht, 
wie beim Universal, durch Durchschlagen bestimmt werden kann, so 
verschafft man sich die Lotlinie durch die Beobachtung des Nadirs, 
d. h. man richtet das Fernrohr auf einen darunter stehenden Queck- 
silberspiegel und liest am Kreis die der Deckung des direkt gesehenen 
und des reflektierten Fadenbildes entsprechende Stellung ab. Die ange- 
deutete Methode gewährt eine absolute, vom Sternort unabhängige 
Ermittelung der Polhöhe und der Deklination. Es pflegt mit einer 
derartigen Untersuchung stets eine solche der Biegung des Tubus, 
der atmosphärischen Refraktion und der Teilfehler des Kreises ver- 
bunden zu werden. 

Der Kenntnis der Deklination enthebt man sich auch durch 
Messung der größten und kleinsten Meridianhöhe der Sonne zur Zeit 
der Solstitien; die halbe Summe gibt die Äquatorhöhe, die halbe 
Differenz die Schiefe der Ekliptik. Schon um das Jahr 1100 a. C. 
führten chinesische Astronomen diese Beobachtungsreihen mittels 


50) und 51) Siehe Berl. astr. Jahrb. für 1781, 2. Teil, p. 185 u. 186. 


14. Polhöhenbestimmung aus Meridianhöhen. 97 


des Gnomons aus?) und auch von Pytheas von Massilia®®) berichtet 
die Geschichte ein Gleiches. — 

Die Methode der Meridianzenitdistanzen in ihrer einfachen Form 
wurde nach dem Vorgang des österreichischen Obersten R. v. Sterneck 
vom kgl. preußischen geodätischen Institut*) angewandt, wenn nicht 
der äußerste Grad von Genauigkeit vonnöten, z. B. für Untersuchungen 
von Lotablenkungen. Die Ergebnisse fallen befriedigend aus: es 
scheint leicht, einer Polhöhe den mittleren Fehler von + 1” zu wahren. 
Allerdings war auch behufs Elimination systematischer Fehlerquellen 
nichts unterlassen: Beobachtung in beiden Kreislagen des Universal- 
instrumentes und in mehreren Ständen des geteilten Kreises, symme- 
trische Anordnung der Sterne zum Zenit, sodaß Refraktion und 
Biegung fast ganz herausfallen. 

Mit einem Reflexionsinstrument wird der Beobachtungsmodus 
darin bestehen, daß man das Gestirn kurz vor dem Meridiandurch- 
gang im Auge behält und es verfolgt, bis es die größte Höhe erreicht, 
die man abliest. Die.Sonne erreicht indes, ihrer eigenen Bewegung 
in Deklination wegen, ihre größte Höhe nicht genau im Meridian, und 
man hat dieserhalb noch eine Reduktion der größten Höhe auf die 
Meridianhöhe anzubringen’), die in den Solstitien verschwindet und 
in den Äquinoktien am größten ist. Ähnliches trifft bei andern be- 
weglichen Himmelskörpern zu, insbesondere beim Mond, dessen Ver- 
wendung zur nautischen Ortsbestimmung neuerdings wieder befür- 
wortet, aber auch abgelehnt wurde°®). 

Schließlich möge noch eine von M. Loewy angegebene und von 
W. Ebert, J. Perchot und H. Renan?") am Pariser Meridiankreis erprobte 
Methode hier Platz finden. Einen dem Pol eng benachbarten Stern 
(Polardistanz kleiner als 1°) beobachte man in zwei zum 6°-Stunden- 
kreis nahe symmetrischen Örtern seiner täglichen Bahn, die einen 


52) Siehe Gehler’s physikal. Wörterbuch, 2. Aufl. Bd. 9, Leipzig 1840, 
p. 2138. 

53) Um 350 a. C. Näheres in @ehler’s physikal. Wörterbuch, 2. Aufl. Bd. 9, 
Leipzig 1840, p. 2172; ferner bei W. Bessell, Über Pytheas von Massilia, 
Göttingen 1858. 

54) Geod. Inst. Veröff.: Die Polhöhe von Potsdam, I. Heft, Berlin 1898; 
ferner Geod. Inst. Veröft.: Bestimmung der Polhöhe und der Intensität der Schwer- 
kraft auf 22 Stationen, Berlin 1896. 

55) Siehe z. B. Roth, Navig., p. 131. 

56) Siehe Reichs-Marine-Amt, Navig. 2, p. 176. 

57) Obs. de Paris ann., obs. 1897, Paris 1899, und H. Renan et W. Ebert, 
Determination de la latitude d’apr&s les methodes de Loewy, Obs. de Paris 
ann., obs. 1900, Paris 1904. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 7 


98 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Schluß auf die Lage des Pols zulassen. Bequeme Relationen zur Be- 
rechnung der Änderungen wegen Aberration, Nutation, Präzession für 
äußerst polnahe Sterne lehrte W. Ebert°®). 

Wiewohl noch nicht direkt zur Breitenbestimmung verwertet, 
verdient hier ein Instrument Erwähnung, das @. B. Airy?®) für Green- 
wich konstruierte. Der „Reflexzenit-Tube“ besteht aus einem Objektiv 
mit vertikal gerichteter Achse. Darunter in halbem Fokalabstand ein 
Quecksilberspiegel; etwas über dem Objektiv, ihm zur Seite und fest 
damit verbunden ein Mikrometer, dessen Fadenebene mit der Bild- 
ebene zusammenfällt. Durch eine Drehung der Mikrometer-Objektiv- 
Platte um 180° vermag man kleine Zenitdistanzen mit großer 
Schärfe zu messen. Die Theorie hat Ch. L. Poor) revidiert, J. C. 
Kapteyn°') eine photographische Modifikation angegeben. 


15. Zirkummeridianhöhen. Zur Erhöhung der inneren Genauig- 
keit der Meridianzenitdistanzmethode können am Universalinstrument 
die Einstellungen um den Meridian herum vervielfältigt werden; man 
geht zur Methode der Zirkummeridianhöhen über, die die Kenntnis 
einer genäherten Zeit verlangen. Die unmittelbar sich darbietende 
Berechnungsart bestünde darin, das sphärische Dreieck Pol-Zenit-Stern 
nach der Seite Pol-Zenit (= Komplement der Breite) aufzulösen; 
indes darf man, da nur kleine Stundenwinkel auftreten, von Reihen- 
entwickelungen Gebrauch machen, denen je nach der Zahl der mit- 
genommenen Glieder eine mehr oder minder hohe Präzision zueignet. 
Nimmt man nur das erste Glied und schreibt es so, daß man einen 
Faktor herausschält, der nur mehr mit dem Quadrate des in Zeit- 
minuten ausgedrückten Stundenwinkels multipliziert zu werden 
braucht, um die Reduktion der gemessenen Höhe auf den Meridian 
zu ergeben, so entsteht die besonders in der nautischen Astronomie 
gebräuchliche Methode der Kulminationssekunden®?). Aus jeder Höhe 
gewinnt man nach einer der zahlreichen dazu aufgestellten Formeln 
die Meridianhöhe und aus deren Mittel die gesuchte Polhöhe. Für 
die Sonne, überhaupt für ein bewegliches Gestirn, spielt noch die 
Deklinationsänderung eine Rolle, die dadurch bequem in Rechnung 
gezogen werden kann, daß man zwar die im Augenblick der Kulmi- 
nation geltende Deklination zugrunde legt, dann aber die Stunden- 


58) W. Ebert, Astr. Nachr. 151 (1899), p. 145. 

59) @. B. Airy, Greenw. obs. 1854, app. 1. 

60) ©. L. Poor, Astron. Journ. 9 (1890), p. 153. 

61) J. ©. Kapteyn, Astr. Nachr. 125 (1890), p. 81. 

62) Siehe z. B. Reichs-Marine-Amt, Navig. 2, p. 181. 


15. Polhöhenbestimmung aus Zirkummeridian-, 16. aus Polarishöhen. 99 


winkel vom Moment der größten Höhe an zählt®®). In nautischen 
Kreisen fand großen Beifall eine Arbeit von Goodwin®), der die 
Höhenänderung der Sonne zusammenwirken läßt mit der Schiffs- 
bewegung zur Reduktion einer Sonnenhöhe nächst dem Meridian. 


In Beobachtung und Rechnung sehr einfache Methoden ergeben 
sich aus der Überlegung, daß drei nahe am Meridian gemessene 
Höhen nebst ihren Azimutdifferenzen, wie sie das Universal liefert, 
ohne Kenntnis der Breite dazu dienen können, die Meridianhöhe zu 
berechnen und daß bei genähert gegebener Breite schon zwei Höhen 
mit ihrer Azimutdifferenz ausreichen. Mit Benutzung einer Uhr läßt 
sich, auch wenn Gang und Stand unbekannt, aus drei Höhen und 
den Zwischenzeiten die Meridianhöhe eruieren °°). 


Daß man statt der Zeit das Azımut neben der Höhe substituieren 
darf, ist klar‘®). 


16. Polarishöhe. Während man bei einem beliebigen Stern 
immer an die Nachbarschaft des Meridians gebunden ist, fällt diese 
Einschränkung bei dem langsam beweglichen Polarstern fort; im un- 
günstigsten Punkte seiner Bahn, in den Stundenwinkeln 18" und 6° 
wächst oder sinkt seine Höhe in einer Zeitminute um nicht ganz 20”. 
Sphärische Rechnung ist auch hier der geringen Poldistanz wegen nicht 
erforderlich; man kommt mit einer Reihenentwicklung aus‘). Ver- 
teilt man bei einer die höchste Genauigkeit anstrebenden Beobach- 
tungsserie die Einstellungen von Polaris symmetrisch über seine täg- 
liche Bahn, so wird man frei von dem zugrunde gelegten Ort des 
Sternes an der Sphäre. 

Die Zirkummeridianhöhen in Verbindung mit Polarishöhen bil- 
den eine der drei Hauptmethoden zur Bestimmung der Breite für die 
modernen Festlegungen von Punkten erster Ordnung bei großen Tri- 
angulationen und Gradmessungen. 


63) Siehe Brünnow, p. 275. 

64) M. A. Goodwin, The Ex-meridian, London 1894. 

65) Siehe z. B. Th. Albrecht, Formeln u. Hülfstafeln für geographische Orts- 
bestimmungen, Leipzig 1873, 3. Aufl. 1894, p. 55; ferner J. J. Astrand, Neue ein- 
fache Methode für Zeit- und Längenbestimmung, Wien. Ber. 56 (1867), p. 350; 
C. L. v. Littrow, Wien. Sternw. Ann. 21—=N.F.1 (1841), p. LVI; Th. v. Oppolzer, 
C.v. Littrow’s Methode der Zeitbestimmung durch Circummeridianhöhen, Wien.’ 
Ber. 58 (1868), p. 772; P. Bouguer, Nouveau Traite de navigation, 2. Ausg. 
hrsg. von N.-L. de Lacaille, Paris 1760; @. $. Klügel, Berl. astr. Jahrb. für 1799, 
p. 148, Berlin 1796. 

66) J. J. v. Littrew, Lond. Astr. Soc. Mem. 2 (1826), p. 321. 

67) Z.B. bei Brünnow, p. 277. — Vgl. Nr. 49, 2, p. 157. 

7* 


100 VIe,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


17. Zweihöhenproblem, Spezialfälle und verwandte Aufgaben. 
Will man für Zwecke der Technik und auf geographischen For- 
schungsreisen möglichst rasch Zeit und Polhöhe ermitteln, so mag 
man sich nicht an Meridian und Ersten Vertikal binden. Zur Fest- 
legung der zwei Unbekannten genügen zwei Daten, zwei Höhen nebst 
ihrer Zwischenzeit. Die Aufgabe trat schon vor mehr als 400 Jahren 
in den Gesichtskreis der Astronomen und ist seit jener Zeit, wie 
kaum ein zweites Problem der sphärischen Astronomie, variiert und 
permutiert worden. Da man die allgemeine strenge Lösung für zwei 
verschiedene Sterne sofort richtig erkannte, konnte es fürder nur 
darauf ankommen, die Rechnung zu vereinfachen. 

Der Gang der strengen Auflösung gestaltet sich wie folgt: zu- 
nächst löse man das vom Pol und den beiden Sternen gebildete Drei- 
eck auf, sodann das vom Zenit und den beiden Gestirnen definierte, 
in welchem die drei Seiten gegeben. Jetzt hat man in jedem der 
beiden von Pol, Zenit und einem Stern eingeschlossenen Dreiecke 
zwei Seiten und den Zwischenwinkel und damit Breite und Stunden- 
winkel. Wird scharfe Trennung der Unbekannten angestrebt, so soll 
die eine Höhe dicht beim Meridian, die andere dicht beim ersten 
Vertikal genommen sein. Die Zuverlässigkeit der Breite hängt 
wesentlich von der Genauigkeit der meridiannahen Höhe, die der Zeit 
von der Schärfe der beim ersten Vertikal beobachteten Höhe ab. 

Eine erste Vereinfachung ergab sich, wenn beide Male dasselbe 
Gestirn beobachtet war, und da der Seemann vor allem die Sonne zu 
Hülfe nahm, so entstanden zahlreiche indirekte Näherungsmethoden, 
die die kleine Deklinationsänderung der Sonne während der 3" bis 
6", um die beide Messungen voneinander abliegen mochten, differen- 
tiell berücksichtigten. Unter diesen hat sich der meisten Empfehlung 
lange Zeit die indirekte Douwes’sche‘®) Methode erfreut. Ihr Prinzip 
beruht in folgendem: Die aus der Schiffsrechnung nach Kompaß und 
Log beiläufig bekannte (gegißte) Breite, die dem ersten Vertikal 
nächste Höhe, die Zwischenzeit und die Deklination liefern eine frei- 
lich nur näherungsweise richtige Zeitbestimmung, mit der die 
meridiannahe Höhe nun die Breite liefert. Mit dieser neuen Polhöhe 
wird die Berechnung des Stundenwinkels wiederholt. Douwes kon- 
struierte umfangreiche Tafeln zur Erleichterung der Anwendung jener 


68) C. Douwes, Verhandeling om buiten den Middag op Zee de waare 
Middags-Breedte te vinden, Haarlem 1754; De noodige Zeemanstafeln en voor- 
beelden tot het vinden der breedte buiten den Middag, Amsterdam 1775; op 
nieuw overzien door J. Floryn, 1820. 


17. Zweihöhenproblem, Spezialfälle und verwandte Aufgaben. 101 


Methode, die man in allen älteren nautischen Tafelwerken °°®) vorfindet. 
Der Gewinn, den die Tafeln bringen, ist indes äußerst gering, wenn 
nicht ganz illusorisch. Ja, die ganze Methode leidet an dem Übel- 
stande, daß sie unter gewissen Bedingungen, insbesondere bei stark 
fehlerhafter gegißter Breite, überhaupt keine Annäherung an die 
Wahrheit mehr liefert, sondern daß die von ihr sukzessive beige- 
tragenen Resultate dark, immer weiter divergieren. Auch auf See 
fand die Douwes’sche Mötpde nicht jene ausgedehnte Anwendung, 
die man vielleicht nach det Umfang der ihretwegen in nautischen 
Werken mitgeführten Tafeln z@>erwarten geneigt sein könnte. 

Die allgemeine Aufgabe und@®bre Lösung ist sehr alt. Sie geht 
auf Regiomontan (1412)'%), Tycho #e,Brahe”‘) und den Landgrafen 
Wilhelm IV. von Hessen (1566) '?) zulgk, wenn sie den Ort eines 
Sternes ableiten durch Messung seiner Distanz von zwei bekannten 
Sternen. Später wurde sie von Nunez”®),GsHues’*), Gietermaker”), 
Fatio’®) behandelt, aber erst von Douwes‘®) und Nieuwland””) in eine 
dem Seemann plausibele Form gegossen. 

Mit strengen Lösungen befaßten sich Schubert"®), Krafft‘”), Moll- 
weide®®), J. F. Hennert®'), Ivory?”), weß letzteren Methode mit der 
Krafft’schen '?) identisch ist. Eine rein analytische Darlegung gab 
Gauß?°), während Encke*®) wieder eingehend das trigonometrische Ver- 


69) Z. B. in J. F. Domke, Nautische, astronomische und logarithmische 
Tafeln, 7. Aufl., Berlin 1879, die Tafeln Nr. 37, 38, 39. 

70) J. Regiomontanus, De cometae magnit., longit. ac loco vero, proble- 
mata XVI, Nürnberg 1531 — Scripta Regiomontani, ed. J. Schoner, Norim- 
bergae 1544. 

71) Tycho Brahe, De nova stella anno 1572, Hafniae 1573. Denuo edidit 
regia societas danica, Kopenhagen 1901. 

72) Vgl. Willebrord Snellius, Coeli et siderum in eo errantium observa- 
tiones Hassiacae Principis Wilhelmi, Lugdunum Batavorum 1618. 

73) P. Nonius, De crepusculis, Olyssipone 1542, Conimbricae 1573. 

74) R. Hues, ‚Tractatus de globis et eorum usu, Lugdunum (Lyon) 1594, 
Amstelodami 1611. 

75) ©. H. Gietermaker, Vergulden Licht der Zeevaert, Amsterdam 1660. 

76) N. Fatio, Navigation improved, beeing chiefly the method for finding 
the latit., London 1728. 

77) P. Nieuwland, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 1 (1793), p. 42. 

78) F. T. Schubert, Berl. astr. Jahrb. für 1790, p. 188. 

79) W. L. Krafft, Petersbg. Nova Acta 9 (1795), p. 353, presente 1794. 

80) K. B. Mollweide, Monatl. Corr. 19 (1809), p. 545 und Astr. Nachr. 3 
(1825), p. 197. 

81) J. F. Hennert, Berl. astr. Jahrb. für 1803, Berlin 1800, p. 124. 

82) J. Ivory, Phil. Mag. 58 (1821), p. 81. 

83) Gauß, Method. pecul. 


102 VI, 3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


fahren entwickelte. Auch Grunert®) und Matern®®) teilten Lösungen 
der „Douwes’schen Aufgabe“ mit. — Eine erschöpfende historische 
Würdigung ließ Weyer®‘) dem Zweihöhenproblem angedeihen, auf die 
hier besonders verwiesen sei. — 

Ein Spezialfall ist der Übergang auf zwei gleiche Höhen, den 
ebenfalls Gauß®®) in seiner erwähnten Abhandlung lehrt. Behufs 
Zeitbestimmung beobachtet man einen Stern im Osten und einen im 
Westen, für die Breite einen im Norden und einen im Süden. Spätere 
Schriftsteller, insbesondere N. Zinger®®), der eigene Ephemeriden ver- 
anlaßte®®) und neuerdings Canete del Pinar”), der den Sextanten zum 
Präzisionsinstrument zu erheben sich bemüht, bildeten die Methode 
nach der praktischen Seite aus, M. Pjewzow?') sucht sie durch umfang- 
reiche Tafeln einzubürgern. Hayn’') nnd Kohlschütter”?), beide mit 
dem gleichen kleinen Zenitteleskop ausgestattet, verwerteten die Me- 
thode in den Deutschen Kolonien und erzielten in Anbetracht der 
ungünstigen äußeren Verhältnisse recht befriedigende Resultate. 

Staatsminister v. Camphausen®?) machte den Vorschlag, zur Er- 
- mittelung von Breite, Zeit und Richtung des Meridians die Azimut- 
differenz zweier Sterne in Ost und West an einem Universal dann zu 
beobachten, wenn ihre Höhe der Deklination gleich sei. Wir glauben, 
diesen Gedanken schon hier erwähnen zu dürfen, weil er Encke’s Be- 
arbeitung des Douwes’schen Problems“®) veranlaßte. 

Eine Ortsbestimmung läßt sich auch dadurch erzielen, daß man 
die Höhen mißt, in welchen zwei bekannte Sterne nacheinander den- 
selben Stundenkreis°*)*) oder aber denselben Vertikalkreis**) passieren, 


85) J. A. Grunert, Arch. Math. Phys. 14 (1850), p. 83. 

86) A. Matern, Ann. d. Hydr. 1882, p. 400. 

87) @. D. E. Weyer, Die direkten oder strengen Auflösungen für die Be- 
stimmung des Beobachtungsortes ...., Ann. d. Hydr. 1884; Die indirekten 
oder genäherten Auflösungen für das Zweihöhenproblem, Ann. d. Hydr. 1884. 

88) Siehe die p. 82 (Lit. II) zitierte Monographie Zinger. 

89) N. Schtschetkin, siehe °°), ferner Th. Fr. @. Wittram, Tables auxiliaires 
pour la determination de /’heure par des hauteurs corresp., Petersbourg 1892. 

90) de Canete del Pinar, Observaciones de precisiöon con el sextante, 
Madrid 189. 

91) F. Hayn, Astronomische Ortsbestimmungen im Deutschen Schutzgebiete 
der Südsee, Berlin 1897. 

92) E. Kohlschütter, Bericht über die astron. und geodät. Arbeiten der 
Deutschen Grenzregulierungskommission zwischen dem Nyassa- und Tanganyika- 
See, Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Deutschen Schutz- 
gebieten, 13 (Berlin 1900), p. 265. 

93) Vgl. Encke *®°). 

94) J. W. von Camerer, Berl. astr. Jahrb. für 1797, p. 246. — Wißslicenus **). 


18. Gauß’sche Methode: Gleichheit dreier Höhen. 103 


dessen Stundenwinkel resp. Azimut man nicht zu kennen braucht. 
Letztere Methode verlangt ein Universalinstrument, aber, soweit die 
Polhöhenbestimmung in Frage kommt, keine Uhr, erstere nur einen 
Sextanten, kein Stativ, aber eine Uhr mit bekanntem Gang. 

Die dem Zweihöhenproblem nahe verwandte Aufgabe: aus zwei 
Höhen desselben Gestirns und der Azimutaldifferenz bei bekannter 
Polhöhe die Azimute abzuleiten, kannte schon Ibn Yunis”). 


18. Gauß’sche Methode. Das Zweihöhenproblem setzte den 
Ort des Gestirns als bekannt voraus; nimmt man drei Höhen des- 
selben Himmelskörpers, so macht man sich auch unabhängig von der 
Deklination des Objekts. Diese auf den ersten Blick sehr bestechende 
und vielfach untersuchte Methode”) verdient aber aus dem Grunde 
keine Empfehlung, weil in den Höhen begangene kleine Beobach- 
tungsfehler die Resultate stark entstellen. Verzichtet man dagegen 
auf die Mitbestimmung der Deklination, wählt drei verschiedene Sterne 
aus und setzt die Gleichheit der Höhen fest, so hat man die Gauß- 
sche Methode‘), eine von denjenigen, die bei geringsten instrumen- 
tellen Anforderungen eine sehr hohe Genauigkeit zulassen. 

Diese Methode führt auf die trigonometrische Aufgabe, aus 
den Durchgangszeiten der drei Sterne durch denselben Höhen- 
kreis 1%) die Polhöhe zu berechnen. Schon Cagnoli”®) löste diese 
Aufgabe, allerdings in anderem Zusammenhang: er suchte näm- 
lich aus drei heliozentrischen Örtern eines Sonnenflecks die Lage 
des Äquators der Sonne und die Deklination des Flecks abzuleiten. 
Auf die Identität beider Aufgaben wies dann Gauß”) hin. Will man 
eine Verschärfung durch Multiplikation der Beobachtungen erzielen, 
so gelingt dies entweder dadurch, daß man bei Anwendung eines 
festen Instrumentes die Durchgänge an mehreren im Gesichtsfeld aus- 
gespannten Horizontalfäden nimmt, oder dadurch, daß man die Zahl 
der Sterne vermehrt. Diese letztere Verallgemeinerung der Gauß’schen 


95) Ibn Yunis (Kairo 960—1008), Hakimitische Tafeln, Kap. 23 (nicht im 
Druck erschienen); vgl. A. v. Braunmühl, Beiträge zur Geschichte der Trigono- 
metrie, Nova Acta, Abhdl. d. Leopold.-Carolin. Akad. der Naturforscher 71, 
Halle 1897, p. 24—26. ! 

96) Z. B. J. F. Hennert, Berl. astr. Jahrb. für 1803, Berlin 1800, p. 124 und 
J. K. F. Hauff, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 4, Berlin 1808, p. 237. 

97) ©. F. Gauß, Über eine Aufgabe der sphärischen Astronomie, Monatl. 
Corr. 18 (1808), p. 277 = Gauß' Werke 6 (1874), p. 129, sowie p. 142. 

98) A. Cagnoli, Trigonometrie rectiligne et spherique, Paris 1786. — 
Die kunstlos aus der Anschauung der Figur fließende Lösung findet man z.B. 
bei Th. Epstein, Die Sonnenflecke, Festschr. z. Jahrh.-Feier der Realschule der 
israelitischen Gemeinde zu Frankfurt, Frankfurt a. M. 1904, p. 108. 


104 VI2,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Methode hat Knorre””) näher durchgeführt; es kommt natürlich auf 
die Ermittelung der wahrscheinlichsten Werte nach der Methode der 
kleinsten Quadrate heraus, da ja der Daten jetzt mehr als Unbekannte 
vorliegen. Sehr eingehend befaßte sich auch Perrin!®) mit dem 
Gegenstande. Da die absolute Höhe keine Rolle spielt, nur ihre Kon- 
stanz, so fallen Indexfehler, Teilungsfehler, Refraktionseinflüsse, Ex- 
zentrizität ganz aus dem Resultat heraus; die Beobachtung ist leicht 
und einfach auszuführen. Neuerdings ist die Vorbereitungsrechnung 
von B. Cohn‘) einer Diskussion unterzogen worden, die darauf hin- 
ausläuft, daB man auf graphischem Wege die drei bestgelegenen 
Sterne herausfindet. Die günstigsten Bedingungen der Beobachtung 
treffen dann zu, wenn die drei Sterne sich gleichförmig um den 
Himmel verteilen, d. h. wenn ihre Azimutdifferenz 120° beträgt. Als 
den einen Stern kann man auf der Nordhalbkugel aus Gründen der 
Bequemlichkeit stets den in Höhe nur um 3° veränderlichen Polar- 
stern wählen. 

Einige weitere Vorteile bietet die Beobachtung genau in dem 
durch den sichtbaren Himmelspol gehenden Höhenkreis!), den die 
Sterne in einer der geographischen Breite gleichen Höhe passieren. 
Ein großes auf Quecksilber schwimmendes Instrument speziell für 
diesen Zweck hat Chandler‘) bauen lassen, einen sogenannten Al- 
mukantarat, der aber nicht nur zur Polhöhenbestimmung, sondern’ 
allgemein zur Ortsbestimmung von Sternen dienen soll. Sampson !) 
hat sich gleichfalls mit dem Verfahren beschäftigt und eine Anzahl 
Fundamentalsternörter danach beobachtet. Für jeden Beobachtungsort 
sind natürlich nur jene Sterne der Methode zugänglich, deren obere 
Kulminationshöhe größer ist als die geographische Breite. 


19. Drei Höhen. Setze ich drei Höhen als gemessen voraus, 
so wird die Aufgabe überbestimmt und der natürlichste Weg zur Er- 
langung der beiden Unbekannten Breite und Zeit gestaltet sich etwa 
so: mit angenommener Polhöhe und Uhrkorrektion berechnet man 
die zu jeder Beobachtungszeit gehörigen Sternhöhen und stellt deren 
kleine Unterschiede gegen die Messungen durch die Differentiale von 
Polhöhe und Stundenwinkel dar. Man gewinnt soviel lineare Glei- 
chungen als Höhen zu Gebote stehen und vermag daraus nach der 


99) H. Knorre, siehe Sawitsch, p. 776. 

100) E. Perrin, Determination exacte de la latitude et du temps par la 
möth. des hauteurs &gales, Annales du Bureau des Longitudes 4, Paris 1890. 

101) Berthold Cohn, Über die Gauß’sche Methode, Diss. Straßburg i. E. 1897. 

102) $S. ©. Chandler, The Almucantar, Harvard Obs. ann. 17 (1887). 

103) R. A. Sampson, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1903), p. 338. 


19. Messung dreier Höhen. 20. Horrebow-Talcott-Methode. 105 


Methode der kleinsten Quadrate die wahrscheinlichsten Verbesserungen 
an die der Berechnung der Höhen zugrunde gelegten Werte von 
Breite und Uhrstand abzuleiten. — Ein „Dreihöhenproblem“, wie man 
es wohl bei nautischen Schriftstellern findet, gibt es im engeren 
Sinne nicht. Der wahrscheinlichste Schiffsort aus drei Höhen ist 
stets nur der nach dem beschriebenen oder einem verwandten Ver- 
fahren erhaltene"). 

Einfach bestimmt wird wieder die Aufgabe: aus den Höhendiffe- 
renzen dreier Sterne und den Zwischenzeiten Polhöhe, Zeit und die 
Höhen zu ermitteln. Ein indirektes Lösungsverfahren dieser Ver- 
allgemeinerung des Gauß’schen Problems hat Wirtz!) behandelt. 


20. Horrebow-Taleott’sche Methode. Wie man aus dem Durch- 
gang zweier Sterne durch denselben Höhenkreis!®) die Breite be- 
stimmt, wurde in Nr. 6 dargelegt. Je näher wir an den Meridian her- 
angehen, einen desto geringeren Einfluß übt eine Ungenauigkeit in 
der Kenntnis der Zeit auf die errechnete Polhöhe aus und er ver- 
schwindet gänzlich, wenn ich beide Sterne im Nord und Süd strenge 
im Meridian beobachte. Jegliche Höhenänderung fällt dort weg, so 
daß von einer Passage durch einen Höhenkreis nicht mehr die Rede 
sein kann. Man leistet auf völlige Gleichheit der Höhen beider 
Sterne Verzicht und beschränkt die Forderung darauf, daß die Sterne 
in so nahe gleichen Höhen kulminieren, daß der Unterschied mit 
einem Fadenmikrometer meßbar bleibt. Wir stehen also vor einem 
Spezialfall der Aufgabe: aus der Höhendifferenz zweier Sterne die 
Polhöhe abzuleiten. Die Lösung besteht hier in der einfachen Regel, 
daß die Breite sich darstellt als Summe des arithmetischen Mittels 
der Deklinationen beider Sterne und der am Mikrometer gemessenen 
halben Differenz der Zenitdistanzen. Den Grundzug des Verfahrens 
wendet man auch dann an, wenn man Höhen im Nord- und Südzweig 
des Meridians an irgend einem Instrument mißt: wesentlich die Höhen- 
differenz bedingt das Resultat. Auf die Idee der Methode kam 
Horrebow'®) und unabhängig auch M. Hell!®), der sie gelegentlich 
des Venusdurchganges von 1769 zur Bestimmung der Breite von War- 
doehus benutzte. Ferner wandte Carsten Niebuhr”®) sie auf den Rat 


104) u. 105) Vgl. Ann. d. Hydr. 1901, p. 467 und p. 323. 

106) Höhenkreis (auch Almukantarat, Horizontalkreis) bedeutet an der 
Himmelsspbäre einen Kleinkreis, dessen Pol im Zenit liegt, also einen Kreis 
konstanter Höhe. Über andere Bedeutungen vgl. Fußn. 310. 

107) P. Horrebow, Opera mathematico-physica 3, Havniae 1740—41. 

108) M. Hell, Observatio transitus Veneris, Hafniae 1770; Beob. d. Durchg. 
der Venus 1769 zu Wardoehus, Breslau und Hirschberg 1793. 


- 


106 VIe,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


T. Mayer’s in Arabien mit gutem Erfolge an. Sie geriet einige Zeit 
in Vergessenheit, bis sie, von A. Talcott!) wieder ans Licht gezogen, 
zu Breitenbestimmungen bei der amerikanischen Küstenvermessung 
Verwendung fand. 

Eine neue Belebung erfuhr Horrebow’s Gedanke, als F. Küstner'!) 
ihn zur Untersuchung der Aberrationskonstante zu verwerten lehrte 
und gleichzeitig den endgültigen praktischen Beweis für die schon 
von Bessel!!") vermutete Polhöhenschwankung lieferte. Zur weiteren 
Verfolgung der Frage ging Marcuse‘'?) nach Honolulu, um dort in 
Kooperation mit europäischen Observatorien die Schwankungen näher 
zu studieren. Dann nahm das Zentralbureau der internationalen 
Erdmessung die systematische Erforschung der Bahn des Erdpoles in 
die Hand und beschloß, nachdem schon seit 1895 alle Jahre Berichte 
über den Stand der Erforschung der Breitenvariationen!!?) heraus- 
gegeben worden waren, einen geregelten Breitendienst einzurichten. 
Der Ausführung dieses Planes gingen Versuche über die zweck- 
mäßigste Art der Instrumente voraus, wobei man auch das schon von 
Küstner“'®) angemerkte, von Marcuse''t) durch ein eigens den Zwecken 
der Horrebow-Methode angepaßtes photographisches Fernrohr von 
5 Zoll Öffnung ausprobierte photographische Verfahren in den Kreis 
der Erwägungen zog. Man entschied sich für die rein optische Methode, 
die an einem Zenitteleskop von 108 mm Öffnung und 130 cm Brenn- 
weite ausgeübt wird. Das Beobachtungsverfahren"?) ist dem Küst- 


109) A. Taleott im „Report of the superintendent of the U. 8. coast survey 
for 1857, Washington 1858“, p. 324—334. 

110) F. Küstner, Zur Bestimmung der Aberrationsconstante, Berlin Sternw. 
Ergebn. 3 (1888) und Astr. Nachr. 126 (1891), p. 233. 

111) F. W. Bessel’s Brief an Humboldt 1844 Juni 1, erwähnt in: Briefe zwischen 
A. v. Humboldt und Gauß, hrsg. von K. Bruhns, Leipzig 1877, p. 53. — Eine 
elementare Theorie der Polhöhenschwankungen: F. Klein und A. Sommerfeld, 
Theorie des Kreisels, Heft 3, p. 663, Leipzig 1903. 

112) A. Marcuse, Bericht über die Expedition nach Honolulu, enthalten in: 
Verh. 10. Allg. Conf. Erdm., Berlin 1893, p. 631; ferner Astr. Nachr. 131 (1892), 
p. 297 und Th. Albrecht, Resultate der Beobachtungsreihe in Honolulu, betreffend 
die Veränderlichkeit der Polhöhe, erschienen als „CentrBur. Erdm. Veröff.*, Berlin 
1892, auch in: Verh. 10. Allg. Conf, Erdm., Berlin 1893, als Annexe A VII. 

113) Th. Albrecht, Bericht über den Stand der Erforschung der Breiten- 
variation im Jahre ...., jährlich erstattet in den „Verh. Comm. oder Allg. Conf. 
Erdm.“ seit der Innsbrucker Tagung 1894; erscheint seit 1898 selbständig als 
„CentrBur. Erdm. Veröff.“, Berlin 1898ff.; Auszüge in den Astr. Nachr., vgl. deren 
„General-Register“, Kiel 1902, p. 2. 

114) A. Marcuse, Berlin Sternw. Ergebn. 7 (1897). 

115) Th. Albrecht, Anleitung zum Gebrauche des Zenitteleskopes auf den 
internationalen Breitenstationen, 2. Ausgabe, Berlin 1902. 


21. Polhöhenbestimmung im Ersten Vertikal. 107 


ner’schen nachgebildet. Mit dem Mikrometerfaden stellt man nach 
Ablesung zweier in der Ebene des Meridians liegender Libellen den 
ersten Stern im Süden ein, dreht das Instrument um 180°, bringt die 
Libellen mit der Feinschraube nahe zum Einspielen und führt den 
Mikrometerfaden auf den nördlichen Stern. Die Kombination der 
Niveauangaben mit den Schraubenablesungen ergibt den verlangten 
Höhenunterschied beider Sterne. 

Der innere zufällige Fehler einer Polhöhenbeobachtung fällt sehr 
gering aus. Küstmer findet ihn zu + 020 mittlerem Fehler und auf 
den internationalen Stationen folgt er im Durchschnitt zu + 0715 
mittlerem Fehler. Systematische Fehler sind, da der differentielle 
Charakter der Messungen strenge gewahrt bleibt, nur in geringem 
Maße zu befürchten. Gewisse Erscheinungen lassen freilich Spuren von 
lokalen Refraktionsanomalien vermuten. Da indes Zenitdistanzen von 
25° bei den eigentlichen Polhöhensternen nie überschritten werden, 
kann eine Anomalie bei der Kleinheit schon der absoluten Refrak- 
tionen das Resultat kaum gefährden. Überdies wird versucht, hier- 
für eine Kontrolle durch Beobachtung von Sternpaaren, die in 60° 
Zenitdistanz kulminieren, zu schaffen !!). 

Ganz ohne Mikrometer läßt sich nach einem Hinweise Angelitt’s "") 
der Höhenunterschied dadurch messen, daß man das Fernrohr in eine 
Zenitdistanz einstellt, die etwas größer ist, als die größere der Me- 
ridianzenitdistanzen beider Sterne und dann die Mikrometermessungen 
durch Durchgangsbeobachtungen beider Sterne östlich und westlich 
vom Meridian durch einen oder mehrere Horizontalfäden ersetzt. 


21. Durchgänge durch den Ersten Vertikale An den nächst 
dem Meridian wichtigsten (zu ihm senkrechten) Vertikalkreis des 
sphärischen Horizontalsystems, an den Ersten Vertikal, knüpft sich 
eine Methode der Breitenbestimmung an, die mehrere Vorzüge mit 
der Horrebow’schen gemein hat. Der Grundgedanke, der nach dem 
Zeugnisse Horrebow’s und einer im Jahre 1704 gestochenen Tafel der 
„Basis astronomiae“ auf Olaus Römer‘'®) zurückgeht, ist folgender. 
Wenn ein Stern im Ersten Vertikal anlangt, so geht das sphärische 
Dreieck Pol-Stern-Zenit in ein am Zenit rechtwinkliges über, in wel- 
chem von vorneherein eine Seite, die Polardistanz des Sternes, bekannt 
vorliegt. Beobachtet man noch das Zeitintervall, das verfließt zwi- 
schen dem Durchgang des Sternes durch den Ostzweig und dem 


116) T'h. Albrecht, Resultate des internationalen Breitendienstes 1, Berlin 1903. 

117) F. Angelitti, Rendiconto dell’ Accademia delle scienze fisiche e mate- 
matiche (Napoli), (2) 4 (Napoli 1890), p. 50. 

118) P. Horrebow, Basis astronomiae, Havniae 1735 (vgl. Fußn. 25), Tafel VII. 


108 VI»,3. 0.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


durch den Westzweig des Ersten Vertikals, so ergibt die halbe Zeit- 
differenz in dem erwähnten rechtwinklig-sphärischen Dreieck den 
Winkel am Pol, i. e. den Stundenwinkel im Moment der Passage 
durch den Ersten Vertikal. 

Vom Urheber nicht richtig gewürdigt fand das Verfahren erst 
bei .Bessel'!?) Aufnahme, theoretische Durcharbeitung und praktische 
Verwertung bei der in Gemeinschaft mit Baeyer unternommenen 
Gradmessung in Ostpreußen'?®). Bessel zeigte, daß der Kollimations- 
fehler des Passageninstrumentes ganz aus dem Ergebnis herausfällt, 
wenn zwischen Ost- und Westdurchgang desselben Sternes das Instru- 
ment umgelegt wird; die Größe des Azimuts spielt keine Rolle, so- 
lange es überhaupt klein bleibt; dagegen müssen an seine Konstanz 
hohe Anforderungen gestellt und die Neigung der Achse aufs schärfste 
bestimmt werden, da sie mit vollem Betrage in die Polhöhe eingeht. 

Ein weiteres Studium erfuhr die Aufgabe zunächst durch Han- 
sen'*') und Encke'??), die noch an dem skizzierten Römer-Bessel’schen 
Beobachtungsverfahren mit einmaliger Umlegung des Passageninstru- 
ments zwischen Ost- und Westdurchgang desselben Sternes festhielten. 
W. Struve'??) erschloß dem Transit im Ersten Vertikal ein neues Feld: 
die Bestimmung der Aberrationskonstante neben jener der Polhöhe. 
Struve ließ zu dem Ende ein von @. u. A. Repsold konstruiertes, leicht 
umlegbares Transit mit lichtstarkem Fernrohr in Pulkowo aufstellen 
und beobachtete jetzt so, daß er während'??) jedes Durchganges in Ost 
und West je einmal umlegte. Der unmittelbare Vorteil bestand darin, 
daß die Konstanz des Kollimationsfehlers auf eine viel engere Zeit 
beschränkt sein durfte; überdies ergaben sich einige Vereinfachungen 
der Rechenvorschriften. 

Mag man nach der Römer-Bessel’schen oder der Struve’'schen 
Methode beobachten, zur Bestimmung der Polhöhe soll man Sterne 


119) F.W. Bessel, Astr. Nachr. 3 (1825), p. 9 und ebenda 6 (1828), p. 221 
— Bessel, Abhdl. 1, p. 317 und 2, p. 45. 

120) F. W. Bessel und J.J. Baeyer, Gradmessung in Ostpreußen und ihre Ver- 
bindung mit preuß. und russ. Dreiecksketten, Berlin 1838 — Bessel, Abhdl. 3, p. 62. 

121) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 6 (1828), p. 101—116 und p. 421—458. 

122) J. F. Encke, Bemerkungen über das Durchgangsinstrument von Ost 
nach West, Berl. astr. Jahrb. für 1843; ferner H. Raper, Lond Astr. Soc. Mem. 
10 (1838), p. 337; W. H. Simms, daselbst 26 (1858), p. 1; J. F. Tennant, daselbst 
28 (1860), p. 235—248. 

123) F. @.W. Struve, Notice sur l’instrument des passages de .Repsold, 
&tabli dans le premier vertical, St. P6t. bull. scient. 10 (1842), p. 209; O. v. Struve, - 
Tabulae auxiliares ad transitus per primum verticale reducendos inservientes, 
Petropoli 1868. — Über W. Struve’s Methode vgl. auch Albrecht®®), 3. Aufl., p. 66. 


21. Polhöhenbestimmung im Ersten Vertikal. 109 


in möglichster Nähe des Zenits nehmen, und zwar wähle man die 
Meridianzenitdistanz der Sterne nicht über 3°. Je weiter man sich 
vom Zenit entfernt, um so stärker geht ein Fehler der Zeit in die 
abgeleitete Polhöhe ein, um so länger wird das Zeitintervall zwischen 
Ost- und Westpassage und um so höhere Anforderungen müssen an 
die Konstanz des Azimuts gestellt werden. Zur Prüfung und Er- 
mittelung des Azimuts, in Ermangelung von Miren, hat Foerster'**) 
ein Verfahren angegeben: er beobachtet die Durchgänge zweier dem 
Horizont nahen rasch laufenden Sterne kurz nacheinander in Ost und 
West und leitet daraus mit Hilfe der bekannten Zeit das Azimut der 
Umdrehungsachse ab. 

Neben der reinen Bestimmungsmethode im Ersten Vertikal tauch- 
ten verschiedene Modifikationsvorschläge auf. R. Mauritius'”) strebte 
die Ausdehnung der Römer-Bessel’schen Methode auf den ganzen 
Himmel an; er verlangt ein Passageninstrument, dessen Rohr man 
unter beliebigem Winkel gegen die Drehungsachse neigen könne. Der 
Vorschlag scheint nie ausgeführt worden zu sein. Dagegen ist der 
Plan von N. Herz'?*), dem Transit im Ersten Vertikal einen feingeteilten 
Vertikalkreis zuzufügen, verwirklicht, von den Erfolgen aber noch 
nichts bekannt geworden. 

Nur mehr an die Nähe des Ersten Vertikals ist eine Methode 
geknüpft, die R. Schumann'”‘) im Anschluß an H. Bruns diskutiert. 
Grundidee: Von zwei Sternen, die in der Nähe des Ersten Vertikals 
gleichzeitig ein und denselben Vertikalkreis passieren, beobachtet man 
die Durchgänge durch diesen; die eine Komponente des Paares ist 
dem Zenit nahe und dient zur eigentlichen Ableitung der Polhöhe, 
die andere Komponente liefert das Azimut des Instrumentes und be- 
darf einer größeren Zenitdistanz. Durch weitgehende Elimination der 
Instrumentalfehler zeichnet sich das von W. Doellen gelehrte, von 
B. Wanach‘®) bekannt gemachte Verfahren der Breitenbestimmung 
nahe beim Ersten Vertikal aus, es bildet schon den Übergang zu den 
Digressionen (siehe Nr. 22). 

Die Beobachtung im Ersten Vertikal bildet den bequemsten und 


124) W. Foerster, De altitudine poli Bonnensi, Diss. Bonn 1854. 

125) R. Mauritius, Bestimmung der Polhöhe von Marburg, Diss. Marburg 1862. 

126) N. Herz, Theorie eines mit einem Vertikalkreise versehenen Passage- 
instrumentes im I. Vertikal, Publicationen der v. Kuffner’schen Sternw. in Wien- 
Ottakring, 2, Wien 1892. 

127) R. Schumann, Astr. Nachr. 134 (1894), p. 249. 

128) B. Wanach, Astr. Nachr. 136 (1894), p. 51; siehe auch F. Contarino, 
Astr. Nachr 136 (1894), p. 369. 


110 VI’e, 3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


günstigsten Fall der allgemeinen Aufgabe: aus den Durchgängen 
zweier Sterne durch denselben Vertikalkreis die Breite (oder Zeit) zu 
ermitteln, ein in dieser Gestalt kaum je in die Praxis eingedrungenes 
Verfahren. Ebenso bietet die von C. Rümker'?”) behandelte Über- 
tragung des Pothenot'schen Problems auf die Sphäre („Aus den Azimut- 
differenzen dreier Sterne die Polhöhe zu berechnen“) vorwiegend 
theoretisches Interesse. 


22. Digressionen. Nur diejenigen Sterne ziehen auf ihrer täg- 
lichen Bahn sichtbar durch den. Ersten Vertikal, deren Deklination 
zwischen O° und der Polhöhe liegt. Die polwärts vom Zenit kulmi- 
nierenden Sterne weisen analoge ausgezeichnete Bahnpunkte in den 
Digressionen auf, i. e. jene Stellen ihrer Bahn, in denen ihr Parallel- 
kreis den Vertikalkreis berührt. In der Digression wird das Dreieck 
Pol-Stern-Zenit am Stern rechtwinklig und zur Breitenbestimmung 
würde es dann genügen, den Winkel am Zenit zu beobachten. Man 
erreicht dies dadurch, daß man mit Hilfe eines Theodoliten die Azi- 
mutdifferenz zweier aufeinander folgender Digressionen bestimmt, deren 
Hälfte den gesuchten Winkel darstellt. Die Beobachtung besteht darin, 
den Horizontalkreis dann abzulesen, wenn der Stern keine Azimut- 
änderung mehr zeigt, sondern vertikal ab- oder aufwärts durch das 
Feld des Fernrohrs zu laufen scheint. Am günstigsten gestalten sich 
die Bedingungen, wenn man Sterne von großer Poldistanz wählt, die 
hart an den Ersten Vertikal heranstreifen. Eine ausführliche Dar- 
stellung der Methode lieferte J. @. Böhm'®®). Einer weiten Ver- 
breitung erfreute sich die Verwertung der Digressionen nie. 


23. Absolute Methoden. Mit einer Ausnahme (untere und obere 
Kulmination eines Zirkumpolarsterns) erforderten alle Methoden der 
Breitenbestimmung, die bisher zur Sprache kamen, die Kenntnis der 
Sterndeklination in dem Grade, daß Fehler dieser Koordinate in 
gleichem Maße die errechnete Polhöhe entstellten. Das Streben nach 
absoluten, vom Sternort unabhängigen Methoden machte sich daher 
sofort geltend, als die Frage der Veränderlichkeit der Polhöhe auf- 
tauchte. Zunächst war es W. Foerster'?'), der sich mit dem Problem 


129) C. Rümker, Handbuch der Schifffahrtskunde, 4. Aufl. Hamburg 1844, 
p. 151 und bei Günther, p. 561. 

130) J. @. Böhm, Methode, geographische Breite und Azimut auf das Ge- 
naueste zu finden, Prag 1855. 

131) W. Foerster, Zur Theorie des Durchgangs-Instrumentes, Berl. astr. 
Jahrb. für 1880 und 1882 (Wieder-Abdruck in W. Foerster, Studien zur Astro- 
metrie, Berlin 1888); W. Foerster, Beiträge zur Ausgleichung der fundamentalen 


22. Polhöhenbestimmung in den Digressionen. 23. Absolute Methoden. 111 


beschäftigte. Seine Auflösung gründet sich auf die Anwendung eines 
mit Horrebow-Einrichtung versehenen Passageninstrumentes, welches 
azimutal so verstellt werden kann, daß es die Ausführung von Durch- 
gangsbeobachtungen in beliebigen Vertikalebenen gestattet. Foerster 
wählt einen Pol-, einen Zenit- und einen Südstern aus, und die ganze 
Beobachtungstätigkeit kommt nur auf Durchgangsmomente und Höhen- 
differenzen hinaus, die in drei verschiedenen Azimuten beobachtet 
werden. Das Verfahren verlangt eine ausgezeichnete Uhr und eine 
hervorragende Stabilität des Instrumentes. Ein der Methode an- 
gemessenes Universaltransit ließ Foerster für die Berliner Sternwarte 
vom Mechaniker Bamberg konstruieren. 

Eine andere absolute Methode veröffentlichte J. ©. Kapteyn'??), 
die vielleicht einige Vorzüge vor der Foerster’schen besitzt. Kapteyn 
fordert die Messung von Azimutunterschieden, von kleinen Höhen- 
differenzen und kleinen Zeitintervallen. Die Höhendifferenzen werden 
nach der Horrebow-Methode für zwei Sterne im Nord- und Süd- 
zweig des Meridians bestimmt, die Azimutdifferenzen aber an zwei 
Sternen von nahe gleicher Deklination gemessen, die kurz nach- 
einander östlich und westlich vom Meridian in gleiche Höhe ge- 
langen. Auf diese Weise wird man frei von Fehlern der Deklination, 
der Refraktion, der Biegung und des Uhrganges, die jetzt praktisch 
nur unmerklich das Resultat zu entstellen vermögen. 

Neuerdings trat F. Contarino'””) mit einem Vorschlage hervor, 
der mit dem Kapteyn’schen einige Ähnlichkeit aufweist. Der Ideal- 
fall liegt so: das Azimut eines Sternes mit einer der Polhöhe 
gleichen Deklination werde dann beobachtet, wenn er durch den 
6"-Stundenkreis geht. In praxi ersetzt man den einen Zenitstern 
durch zwei Sterne von ungefähr 12" Rektaszensionsdifferenz und be- 
stimmt deren Azimutdifferenz beim Durchgang durch den 6"-Kreis 
in Ost und West. Hierzu treten noch Meridianzenitdistanzen beider 
Sterne in Verbindung mit Mikrometermessungen nach Art der bei der 
Horrebow-Methode vorkommenden. 

L. Courvoisier'”*), der nach Kapteyn’s Methode in Straßburg 


Ortsbestimmungen am Himmel, Astronomische Abhandlungen (als Ergzh. zu 
„Astr. Nachr.“ hrsg. von H. Kreutz) Nr. 5, Kiel 1904. 

132) J. C. Kapteyn, Methode, die Polhöhe möglichst frei von systema- 
tischen Fehlern zu bestimmen, Copernicus (journal) 3 (Dublin 1884), p. 147. 

133) F. Contarino, Su di un metodo per determinare la latitudine geografica, 
Napoli 1897. 

134) L. Courvoisier, Untersuchungen über die absolute Polhöhe von Straß- 
burg i. E., Diss. Heidelberg 1901. 


112 VI2,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Beobachtungen angestellt, gibt im dritten Teil seiner Arbeit ein 
eigenes Verfahren zur Bestimmung der absoluten Polhöhe an. Es 
stützt sich auf Azimutbeobachtungen von vier Sternen, deren Dekli- 
nationen der Polhöhe nahe gleich, deren Rektaszensionen aber unter- 
einander um 6" verschieden sind. Einheitlichkeit und Einfachheit 
der Beobachtung und die Elimination konstanter Fehler in Höhen- 
refraktion und Höhenbiegung werden vor allem angestrebt. 


24. Instrumente zur Beobachtung gleicher Höhen. Es sei 
noch einer Art von Instrumenten gedacht, die mit besonderer Rück- 
sicht auf jene Methoden geographischer Ortsbestimmung erdacht 
worden sind, welche die Durchgänge von Sternen durch den gleichen 
Höhenkreis als Beobachtungselement voraussetzen. Des einfachsten 
Instrumentes, des Chronodeiks, erwähnten wir bereits in Nr. 5. 
A. Beck“) begann im Jahre 1890 der Konstruktion eines Hilfs- 
mittels zur Festlegung konstanter 'Höhen seine Aufmerksamkeit zu- 
zuwenden. Das Prinzip der verschiedenen von ihm vorgeschlagenen 
und zum Teil ausgeführten Instrumente, Nadirinstrumente genannt, 
besteht darin, daß in ein vertikal abwärts gerichtetes Fernrohr ein 
darunter befindliches geeignet geformtes Prisma das Bild eines Sternes 
dann reflektiert, wenn der Stern die Zenitdistanz 60° passiert; be- 
obachtet werden die Durchgangszeiten durch eine Gruppe von Fäden. 
Theorie, Anlage der Rechnung und verschiedene Variationen seines 
Instrumentes hat Beck eingehend bearbeitet. 

Von der Beck’schen Konstruktion weicht der von F. Nusl und 
J. J. Fric‘°) angegebene und erprobte „Zirkumzenitalapparat“ nicht 
unerheblich ab. Hier ist vor einem horizontal gelagerten Fernrohr 
mit gleichfalls horizontal gerichteter Kante ein Prisma angebracht, 
dessen beide dem Fernrohr zugekehrte Flächen versilbert sind. Dicht 
unter dem Prisma befindet sich ein Quecksilberspiegel, und die Be- 
obachtung besteht in der Festlegung des Augenblicks, zu dem die 
demselben Stern angehörigen Bilder koinzidieren, die einerseits von 
der oberen Prismenfläche, anderseits nach doppelter Reflexion am 
Quecksilberspiegel und an der unteren Prismenfläche ins Rohr ge- 
langen. 

Auf ähnlichen Erwägungen scheint nach der vorliegenden Be- 
schreibung und warmen Empfehlung Guyou’s das Claude’'sche „Prismen- 


135) A. Beck, Über die geographische Breite von Riga aus Beobachtungen 
an einem neuen astronomischen Instrument (Riga Naturf.-Verein Festschr.), Riga 
1895. Ferner Astr. Nachr. 126, 130, 132, 136, 140, 159, 163 (1891—1903). 

136) F. Nusl et J.J. Fric, Etude sur l’appareil eircumzenital, Bull. inter- 
national de l’Acad. des Sc. de Bohöme 8, Prague 1903. 


24. Instrumente zur Beobacht. gleicher Höhen. 25. Photograph. Meth. 113 


astrolabium“ 17) zu beruhen, von dem indes praktische Erfolge noch 
nicht veröffentlicht worden sind. 


25. Photographische Methoden. Mehrfach hat man versucht, 
die Photographie in den Dienst der geographischen Ortsbestim- 
mung zu stellen. Eine Art streiften wir schon in Nr. 14 und 20. 
©. Runge‘??) erteilte der Längenbestimmung durch den Mond — wir 
erledigen in dieser Schlußnummer des zweiten Teiles die vollständige 
photographische Ortsbestimmung — die folgende Form: mit einer 
gewöhnlichen Kamera photographierte er zuerst den Mond und dann 
bei ungeänderter Stellung der Kamera nach Ablauf einer mit der 
Uhr gemessenen Zwischenzeit eine hinreichend helle Sterngruppe; die 
Ausmessung der Platte lieferte den Mondort und damit die Zeit des 
Nullmeridians und die Länge. Den gleichen Weg beschritt später 
E. H. Hills “°), der besonders schwere Kameras benutzte. ©. Koppe '*) 
lehrte den stets unscharfen Mondrand aus der Messung eliminieren: 
er leitete mit dem kleinen Fernrohr seines Phototheodoliten auf den 
Mond und drehte zwischen zwei Aufnahmen einer Monddistanz die 
Platte durch Durchschlagen des Theodoliten um 180°, so daß er in 
dem Abstand der beiden Sternbilder die doppelte Monddistanz ge- 
wann. Auch zur Breitenbestimmung durch Zirkummeridianhöhen ver- 
wandte Koppe den von ihm konstruierten Phototheodoliten. Ein 
photographisches Universal, das diesem Phototheodoliten sehr ähn- 
lich sieht, konstruierte A. Marcuse‘*'). Nachdem ein Vorschlag von 
F. Stolze “?) sich als undurchführbar erwiesen, zeigte M. Schnauder '*?), 
daß man bei einer auf das Zenit gerichteten Kamera den Zenitpunkt 
durch drei Expositionen mit kurzen und gleichen Zwischenzeiten 
dadurch bestimmen könne, daß für die mittlere Aufnahme die Platte 
in ihrer Ebene um 180° gedreht wird. Schnauder's Zenitkamera be- 
steht aus einer einfachen um eine vertikale Achse zwischen An- 
schlägen um 180° drehbaren photographischen Kamera, deren senk- 
rechte Achse zwei Libellen justieren. ©. Runge ersetzt die Libellen 
dadurch, daß er die Kamera in einem Wassertrog schwimmen 


137) E. Guyou, Paris ©. R. 135 (1902), p. 1174. 

138) C. Runge, Zs. für Vermessungswesen 22 (1893), p. 417. 

139) E. H. Hills, Lond. Astr. Soc. Mem. 53 (1899), p. 117. 

140) (€. Koppe, Photogrammetrie u. internationale Wolkenmessung, Braun- 
schweig 1896. 

141) A. Marcuse, Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), p. 285. 

142) Photographische Bibliothek, hrsg. von F' Stolze, Band 1: F. Stolze, 
Die photographische Ortsbestimmung ohne Chronometer, Berlin 1893. 

143) M. Schnauder, Astr. Nachr. 154 (1900), p. 134. 

Enceyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 8 


114 VI, 3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


läßt, K. Schwarzschild““*) hängt den ganzen Apparat an feinen Stahl- 
federn auf. Eine andere von Schwarzschild angegebene Methode '*°) 
erfordert eine möglichst unveränderlich aufgestellte, nach dem Zenit 
gerichtete Kamera und einen hängenden Zenitkollimator. Letzterer 
bestand aus einem nach abwärts gerichteten, an einer Stahlfeder 
hängenden Fernrohr, dessen Brennebene eine schwarze Platte mit 
eingerissener Kreuzmarke trug. Der Zenitpunkt fand nun seine 
Festlegung in der Weise, daß vor der Exposition die beschriebene 
Hängevorrichtung über das Kameraobjektiv geschoben und mittels 
eines Glühlämpchens zwei Bilder des Kreuzes, die zu zwei um 180° 
verschiedenen Lagen des Kollimatorfernrohrs gehörten, auf die Platte 
gebracht wurden. Das Zenit liegt in der Mitte beider Kreuze. 
Hierauf wurde die Platte eine halbe oder ganze Stunde auf den 
Himmel exponiert, indes die zenitnahen Sterne ihre Strichspuren 
beschrieben. Die spätere Ausmessung ergab die Meridianzenitdistanz 
der auf der Platte vorkommenden Sterne. Das gleiche Prinzip ver- 
wandte Schwarzschild auch zur Konstruktion einer für Expeditions- 
reisen geeigneten leichten Kamera“). Den hängenden Kollimator 
ersetzt hier ein abwärts gerichtetes festes Röhrchen, das vermittels 
zweier Libellen justiert wird. 


III. Längenbestimmung. 


A. Durch gleichzeitige Signale. 
(Über Okkultationsphänomene siehe Nr. 35.) 


26. Mondfinsternisse, Verfinsterungen der Jupitersatelliten. 
Während die Ableitung der Breite auf die Beobachtungen an dem 
zu bestimmenden Orte allein gegründet werden kann, bedarf man 
zur Längenbestimmung auch noch der Zeit des Nullmeridians. Am 
einfachsten wäre es, Himmelsereignisse zu beobachten, die für die 
ganze Hemisphäre, der sie sichtbar sind, zur gleichen absoluten Zeit 
eintreten. Die Differenzen der Ortszeiten des Phänomens deckten sich 
dann mit den Längendifferenzen. 

Vor allen Dingen haben sich die Mondfinsternisse dieser Ver- 
wertung im Altertum und im Mittelalter erfreut, ja noch im 18. Jahr- 
hundert sind sie zu genaueren Längenbestimmungen benutzt worden '*7). 
Streng genommen finden Beginn und Ende einer Finsternis, d. h. der 
Beschattung der für einen Ort sichtbaren scheinbaren Vollmond- 


144) und 145) K. Schwarzschild, Astr. Nachr. 164 (1904), p. 177 und p. 1. 
146) K. Schwarzschild, Jahrbuch f. Photogr. u. Reprod.-Technik, Halle 1903. 
147) Vgl. u. a. Bohnenberger, p. 316. 





26. Längenbestimmung durch Finsternisse. 115 


scheibe, infolge der parallaktischen Verschiebung nicht gleichzeitig 
statt; doch fließt aus dieser stets begangenen Vernachlässigung nur 
ein verschwindend geringer Fehler, der gar nicht mehr in Frage 
kommt gegenüber der natürlichen Unsicherheit, die dem Phänomen 
anhaftet und die sich daraus herleitet, daß die Grenzen des Erd- 
schattens sich durch eine Verwaschenheit auszeichnen, deren Grad 
von Finsternis zu Finsternis erheblich schwankt. Überdies ist der 
Sehattendurchmesser größer als er geometrisch sein sollte. Die Er- 
klärung für diese scheinbare Vergrößerung gab H. Seeliger “*), der 
nachwies, daß uns hier ein wesentlich physiologischer Vorgang ent- 
gegentritt. Merklich genauer als Anfang und Ende lassen sich, nach 
dem Vorgange Richer’s '), die Augenblicke beobachten, zu denen der 
Erdschatten einzelne Formationen (Krater, Ringgebirge, Wallebenen) 
bedeckt oder freigibt. Diese Momente treten für alle Punkte der 
Erde strenge gleichzeitig ein. Immerhin mag es möglich sein mit 
Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln (Gleichartigkeit der Fernrohre, 
Auswahl scharf definierter Mondkrater, Verabredung über die zu 
beobachtende Schattenkontur) aus einer Mondfinsternis die Längen- 
differenz zweier Orte auf einige Zeitsekunden genau herauszubringen. 
Heute haben die Finsternisse ihre Bedeutung für die Länge eingebüßt; 
ihr Wert liegt lediglich auf dem Gebiete der Physik der Atmosphäre. 

Ein identisches in größerer Entfernung von der Erde sich ab- 
spielendes Phänomen wurde nach Erfindung des Fernrohrs zugäng- 
lich: die Verfinsterung der Jupitersatelliten. Galilei‘) scheint der 
erste gewesen zu sein, der ihre Brauchbarkeit zum angezeigten Zwecke 
durchschaute. Zuerst hatte er wohl nicht die Verfinsterung selbst 
im Auge, sondern, wie auch de Peiresc'°'), die Konstellationen der 
vier alten Trabanten, durch deren Anblick schon die entsprechende 
Zeit des Nullmeridians abzulesen sei. Jedoch blieben diese frühen 
Bemühungen fruchtlos, bis D. Cassini °?) brauchbare Trabantentafeln 
schuf. Später, insbesondere im 18. Jahrhundert, erfreute sich die 


148) H. Seeliger, Die scheinbare Vergrößerung des Erdschattens bei Mond- 
finsternissen, Münch. Abh. 19, München 1898, p. 383. 

149) J, Richer, Observations astronomiques faites en l’isle de Cayenne, 
Paris 1679. 

150) @. Galilei, Sidereus nuncius, Venetiis 1610 = Opere 2 (Padova 1744), 
p. 35; ferner in Galilei’s Schreiben von 1636 an die holländischen Generalstaaten 
= Öpere 3 (Firenze 1718), p. 155 — Opere 2 (Padova 1744), p. 459 = ÖOpere 7 
(Firenze 1848), p. 82. 

151) N. C. F. de Peiresc, geb. 1580, gest. 1637; Wolf, Handb. 2, p. 149. 

152) D. Cassini, Ephemerides Bononienses Mediceorum siderum, Bono- 
niae 1668. 


8* 


116 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Methode großer Beliebtheit, vornehmlich nachdem Hell?) sich ihrer 
angenommen und eine Anzahl Regeln zur genauen Beobachtung der 
nach Art unserer Mondfinsternisse nicht plötzlichen Verfinsterungen 
aufgestellt. Er wollte wegen der rascheren Bewegung und infolge- 
dessen des rascheren Eintauchens in den Jupiterschatten nur die 
Satelliten I und II zur Längenbestimmung verwandt wissen; ferner 
verlangte er identische Fernrohre, gleichmäßige Verteilung der Mo- 
mente auf Ein- und Austritt und Vermeidung der Nähe der Jupiter- 
opposition. Die neuesten Verschärfungen, die die Beobachtung der 
Jupitersatelliten in ihrer praktischen und theoretischen Verwertung 
durch Cornu 54), Obrecht 5), Seeliger "%), Anding °”) erfahren, hat mit 
dem Gedanken an Längenbestimmung nichts mehr zu tun. Sie dienen 
dem Studium teils der Mechanik des Jupitersystems, teils des photo- 
metrischen Verhaltens während des Verweilens des Trabanten im Schatten 
des Hauptkörpers und der Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit. 

27. Sternschnuppen. Auf einen sehr viel weniger ausgedehnten 
Bereich der Erdoberfläche ist die Wahrnehmbarkeit jener Phänomene 
beschränkt, die schon sehr früh, als noch kaum die Überzeugung von 
ihrer kosmischen Natur aufgetaucht, als zu Längenbestimmungen ge- 
eignet in Vorschlag gebracht wurden. Halley '°®) wies zuerst auf die 
Möglichkeit hin, durch das Aufblitzen einer Sternschnuppe eine Uhr- 
vergleichung zu erzielen; bald darauf wiederholte @. Lynn "°°) diesen 
einfachen Gedanken, der nachmals von .Benzenbery '%) aufgegriffen 
wurde. Erfolge hat indes die Methode nie gezeitigt; einmal deshalb, 
weil man nie genau weiß, wann und wo ein Meteorit auftaucht, und 
ein weiterer Einwand erhebt sich aus der Schwierigkeit der Identifi- 
kation der an beiden Orten gesehenen Erscheinung. Nichtsdestoweniger 
hat jüngst nochmals Bouquet de la Grye'*') Sternschnuppen zur 
Längenbestimmung heranziehen wollen. 


153) M. Hell, Ephemerides astronomicae [Vindobonenses] anni 1764, p. 189, 
Viennae 1768—64 (Ephem. Vindob. 1764). Über die Genauigkeit der Beobach- 
tung der Verfinsterung der Jupitermonde stellte F. X. v. Zach eine vergleichende 
Studie an: Berl. astr. Jahrb. Suppl. 3 (1797), p. 44. 

154) A. Cornu, Paris C. R. 96 (1883), p. 1815. 

155) A. Obrecht, Obs. de Paris ann. 18 (1885). 

156) H. Seeliger, Astr. Ges. Vjs. 20 (1885), p. 176 und 267. 

157) E. Anding, Photometrische Untersuchungen über die Verfinsterungen 
der Jupiterstrabanten, München 1889. 

158) E. Halley, Lond. Phil. Trans. 1719, p. 978 [abr. 6, p. 409]. 

159) @. Lynn, Lond. Phil. Trans. 1727, p. 351 [abr. 7, p. 207]. 

160) .J. F. Benzenberg, Über die Bestimmung der geographischen Läuge 
durch Sternschnuppen, Hamburg 1802. 

161) A. Bouquet de la Gıye, Paris C. R. 129 (1899), p. 464. 


27. 28. Längenbestimmung durch Sternschnuppen oder künstliche Signale. 117 


28. Künstliche Signale. Sehr viel sicherer stellte man derartige 
plötzliche Erscheinungen durch künstliche Signale her und von diesem 
Verfahren wurde früher sehr häufig dann Gebrauch gemacht, wenn 
die Natur der Aufgabe eine sehr genaue Kenntnis der Längendifferenz 
zweier Punkte erheischte, z. B. bei Längengradmessungen, die dem 
Studium der Größe und Figur der Erde dienten. Picard und O. Rö- 
mer?) bestimmten so schon 1671 die Längendifferenz zwischen der 
durch 7'ycho Brahe’s Uranienburg bekannten Insel Hveen und Kopen- 
hagen. N.L.de Lacaille und Cassini de Thury'°) benutzten das Auf- 
blitzen von Schießpulver, um den Längenunterschied von 1°.9 einer 
in der Breite + 43°.5 vorgenommenen Gradmessung (1739 — 1740) 
zu ermitteln. Um den Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die vier- 
ziger Jahre hinein fand die Methode in ganz Europa vielfache An- 
wendung und gelangte zu hoher Ausbildung vornehmlich, nachdem 
Gauß*) den Heliotropen erfunden hatte und mittels dieses Instru- 
mentchens leicht und bequem Lichtsignale nach den gewählten 
Stationen gegeben werden konnten. Die Station, an der die Pulver- 
oder Heliotropsignale stattfanden, verlegte man möglichst in die 
Mitte der zu bestimmenden Orte oder schaltete, wenn deren Ent- 
fernung eine sehr große, Zwischenstationen ein, für die keine Be- 
stimmung der Ortszeit, sondern nur die Beobachtung der Signal- 
zwischenzeit erforderlich war; unabhängige Zeitbestimmungen fallen 
lediglich den beiden Endpunkten des Bogens zu. Die größte in vor- 
elektrischer Zeit durchgeführte Längenbestimmung ist die auf dem 
Parallel 45°43’.2 ausgeführte, die von Bordeaux an der atlantischen 
Küste bis Fiume an der Adria über 15.5 Längengrade reicht; sie 
wurde französischerseits von Oberst Brousseaud begonnen und gegen 
1824 vom italienischen, sardinischen und österreichischen General- 
stabe abgeschlossen 1). 


162) J. Picard, Voyage d’Uraniborg, ou observations astronomiques faites 
en Dannemarck, Paris 1680. 

163) C. F. Cassini de Thury, La meridienne de l’observatoire royal de Paris, 
Paris 1744. | 

164) ©. F. Gauß, Göttingische gelehrte Anzeigen 1821, p. 1249 — Werke 9 
(1903), p. 461. 

165) Siehe näheres u. a. bei F.. Arago, Astronomie populaire, Paris u. Leipzig 
1856, 4 vols., tome 3, p. 339; oder: Sämtl. Werke, deutsche Ausgabe von W. @. 
Hankel, Leipzig 1856, 13, p. 258; ferner Brousseaud, Mesure d'un arc du parallele 
moyen, Limoges 1839. Die 1. Ausgabe erschien Paris 1826 in: Conn. des temps 
pour 1829, p. 252—295. 


118 VI2,3. 0.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


B. Durch Zeitübertragungen. 


29. Chronometerreisen. An die Entwickelung eines der wich- 
tigsten astronomischen Apparate, der Uhr, war die Ausführung einer 
sehr einfachen Art der Zeitvergleichung gebunden. Gemma-Frisius '%) 
erwähnte als der erste die Möglichkeit, mit Hilfe transportabler Uhren 
die Zeit des einen Ortes auf den andern in Länge anzuschließenden zu 
übertragen; aber es hat noch mehr als zwei Jahrhunderte gewährt, 
bis die Technik Werkzeuge herzustellen vermochte, die den zu for- 
dernden Grad der Zuverlässigkeit bewährten. Die leitende Idee ist 
folgende: am Orte A beobachte ich das durch Stand und Gang und 
dessen Abhängigkeit von Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit 
ausdrückbare Verhalten des Chronometers eine geraume Zeit hindurch, 
reise dann nach dem in Länge zu ermittelnden Orte B und bestimme 
dort an dem in A geprüften Chronometer die Ortszeit, deren Differenz 
gegen die aus dem bekannten Verhalten der Uhr abzuleitende Orts- 
zeit in A sofort den Längenunterschied von A und B liefert. Eine 
Kontrolle gewährt die Rückreise nach A und nochmalige Unter- 
suchung des Chronometers am Ausgangsorte. Eine weitere Ver- 
schärfung und Vervielfachung erzielt man durch Mitnahme einer 
größeren Anzahl von Chronometern. Derartige „Ohronometerreisen“ 
haben einige Male in vorelektrischer Zeit zur Bestimmung fundamen- 
taler Längendifferenzen Nordeuropas gedient, so in den Jahren 1817 
«bis 1821 unter Schumacher's Leitung zwischen Altona und Kopen- 
hagen !#%), 1823 und 1824 unter Tiarks zwischen Greenwich und 
Altona !%#), und endlich hat W. Struve die größte Operation dieser 
Gattung zwischen Pulkowo, Altona und Greenwich 1°) unternommen, 
freilich zu einer Zeit, wo in Amerika schon die telegraphische Me- 
thode (siehe Nr. 30) Triumphe zu feiern begann. 

Nach wie vor ist aber die chronometrische Zeitübertragung in 
der Nautik von größter Bedeutung, seitdem es J. Harrison ''%) 1735 
gelang, das erste Marinechronometer herzustellen. Heutigentages 


166) R. Gemma/-Frisius], De principiis astronomiae, cosmonomiae et cos- 
mographiae, Antuerpiae 1530, Paris 1547. 

167) H. ©. Schumacher, Astr. Nachr. 1 (1823), p. 303—306. 

168) J. L. Tiarks, siehe H. O. Schumacher, Astr. Nachr. 5 (1827), p. 225. 

169) F.G@. W. Struve, Expedition chronomötrique (1843—44) entre Poulkova 
et Altona, 2 vols., St.-Petersbourg 1844/46. 

170) J. Harrison (1693—1776), An account of the proceedings in order to 
the discovery of the longitude at sea, 2X ed., London 1763. The principles of 
Mr. Harrison’s time-keeper, London 1767. Vgl. E. Geleich, Geschichte d. Uhr- 
macherkunst, 5. Aufl, Weimar 1892, p. 56. 


29. Längenbestimmung durch Chronometerreisen, 30. durch den Telegraph. 119 


bildet diese Methode zur See die fast allein angewandte Art der 
Längenbestimmung, neben welcher die übrigen auf den Mondort ge- 
stützten Methoden lediglich den Rang von erwünschten Kontrollen 
einnehmen. Die Untersuchung an den ÜChronometerobservatorien 
(e. g. Hamburg, Kiel, Wilhelmshaven) bestimmt für jedes Chrono- 
meter die Formeln, nach denen mit Rücksicht auf ein von der Tem- 
peratur abhängiges Glied die Greenwichzeit für einen beliebigen 
Moment zu berechnen sei, und da die Beobachtung an Bord die zu- 
gehörige Ortszeit festlegt, so geht aus dem Unterschied beider Zeiten 
die gesuchte Länge gegen Greenwich hervor. Kriegsschiffe auf 
großer Fahrt haben mindestens drei Chronometer an Bord und auch 
auf Handelsschiffen finden sich in vielen, wenn auch nicht den 
meisten Fällen zwei oder drei Chronometer vor!"!). Für das relative 
Gewicht der von. den verschiedenen Chronometern beigesteuerten 
Greenwichzeit bei der Mittelbildung existieren verschiedene Vor- 
schriften, die teils das Verhalten während der Prüfung an Land, 
teils die täglichen Vergleichungen zur See zugrunde legen. Die 
wichtigste Abhandlung über diesen Gegenstand stammt von Gauß'"?). 

Auf Expeditionsreisen zu Lande bedient man sich statt der 
langsam schwingenden Marine-(Box-)Chronometer, die den kurzen 
und unregelmäßigen Erschütterungen eines Landtransportes nicht ge- 
wachsen sein würden, der schnell schwingenden (%/, Sekunden schlagen- 
den) Taschenchronometer, deren man leicht eine größere Anzahl mit- 
nehmen kann. — Versuche aus neuester Zeit von P. Ditisheim‘“?) weisen 
einen Barometerkoeffizienten für Chronometer deutlich nach. 


30. Telegraph. Eine Uhrvergleichung ohne Uhrentransport brach 
sich Bahn, als die von @auß und Weber 1833 begründete Telegraphie 
begann, allgemeines Verkehrsmittel zu werden. Wiederum waren die 
Amerikaner die ersten, die der 1839 von S. F. B. Morse gegebenen 
Anregung folgten und 1844 durch K. Wülkes und Eld'“*) die erste 
telegraphische Uhrvergleichung zwischen Washington und Baltimore 
anstellten. 1845 fand dann die Methode unter A..D. Bache und 
S. C. Walker‘) Eingang in die nordamerikanische Coast Survey, der 


171) Vgl. E. Knipping, Statistik der Schiffschronometer der Deutschen 
Kriegs- und Handelsmarine von 1877—1903, Ann. d. Hydr. 1904, p. 231. 

172) C. F.Gauß, Astr. Nachr. 5 (1827), p. 227 —= Werke 6 (1874), p. 455. 

173) P. Ditisheim, Paris ©. R. 138 (1904), p. 1027 und Ann. d. Hydr. 
1904, p. 287. Vgl. ferner VI», 4 (Caspari), Nr. 8. 

174) Siehe J. Hilfiker, Die astronomische Längenbestimmung, Aarau Naturf. 
Ges. Mitth. 1881, Aarau 1882, p. 31. 

175) $. O. Walker, Astr. Nachr. 27 (1848), p. 121. 


120 VI2,3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


sie zur Ableitung der Längendifferenzen zwischen den Hauptstationen 
diente!”®), Heutigentages ist die telegraphische Längenbestimmung 
jene, die mit dem geringsten Aufwand an Beobachtung und Rech- 
nung die schärfsten Resultate liefert und daher als einzige für die 
internationale Erdmessung in Frage kommt. Die Ergebnisse sind 
gleichwertig mit den Breiten; ein schließlicher innerer zufälliger 
Fehler von + 0/1 Bogen größten Kreises (= + 3 m auf der Erd- 
oberfläche) wird kaum mehr überschritten. Um ein möglichst gutes 
Gelingen zu gewährleisten, befreit man sich bei der Zeitbestimmung 
von den Fehlern der Rektaszensionen der Sterne dadurch, daß man, 
so lange die Längenentfernung das zuläßt, an beiden Stationen die- 
selben Sterne beobachtet. Die persönliche Gleichung der Beobachter 
eliminiert man durch einen Beobachter- und Instrumentenwechsel in- 
mitten der Operation. Den Instrumentalfehlern bleibt nur ein kleiner 
Einfluß auf das Resultat gestattet, wenn das Mittel der Zenitdistanzen 
der Zeitsterne möglichst nahe jenem der Polsterne liegt. Statt der Taster- 
registrierung der Fadenantritte der Sterne wendet man heute meist 
das Repsold’sche unpersönliche Mikrometer ''”) an, bei welchem der 
Beobachter nur den das Feld durcheilenden Zeitstern durch einen mit 
einer Schraube nachgeführten Faden biseciert zu halten hat; eine An- 
zahl Kontakte an der Schraubentrommel verzeichnen selbsttätig Signale 
auf dem Chronographenstreifen. Man ist davon abgekommen, die 
Sterndurchgänge auf den Chronographen beider Stationen zu re- 
gistrieren und man beschränkt sich darauf, die Uhren im Laufe eines 
Abends hinlänglich oft untereinander in Beziehung zu setzen. Der 
Fernleitung bedarf man auf diese Weise nur eine kurze Zeit, und 
darauf muß der Astronom in unserem Zeitalter des Verkehrs ins- 
besondere auf überlasteten Strecken Rücksicht nehmen. — Die zahl- 
reichen bisher vorgenommenen Längenbestimmungen liefern nebenher 
Werte für die Stromzeit, i. e. die Zeit, die der elektrische Strom 
zum Durchlaufen der Leitung braucht. Für eine Strecke von 1000 km 
ergibt sich diese Zeit zu 0°.042, doch schreitet sie nicht linear mit 
der Leitungslänge fort, sondern nimmt rascher zu als jene'”®). 

In Deutschland fand die erste telegraphische Längenbestimmung 
erst im Sommer 1852 zwischen Berlin und Frankfurt a. M. statt?"®). 
Die erste transozeanische Längenbestimmung gelang der Coast Survey 


176) Vgl. E. Loomis, The recent progress of astronomy, especially in the 
United states, New York 1850, new edit 1856. 

177) Siehe Astr. Nachr. 141 (1896), p. 279. 

178) Vgl. Th. Albrecht, 1. c. Fußn. 65), 3. Aufl., p. 110. 

179) Physik. Verein zu Frankfurt a. M., JahrBer. 1852—1853, Frankf. 1853. 


31. Längenbestimmung aus Mondkulminationen. 121 


1866 zwischen Hearts-Content (Newfoundland), Valencia (Irland) und 
Greenwich. Seitdem liegen indes schon zahlreiche Längenverbindungen 
mit nord- und südamerikanischen Punkten vor. 

Nicht mehr ferne scheint die Zeit zu sein, wo die elektrische 
Methode der Längenbestimmung in ihrer durch Marconi erfundenen 
drahtlosen Ausgestaltung die Nautik erobert und die im folgenden 
zu besprechenden auf den Mondort gegründeten weit unsichereren 
Verfahrungsarten verdrängt. Man denke sich nur, daß an verschie- 
denen Observatorien zu fest vorgeschriebener Greenwichzeit ein draht- 
loses Signal gegeben würde, das mit Hilfe der Marconiempfangs- 
apparate auf allen Schiffen des Weltmeeres wahrnehmbar sei. Den 
Navigationsoffizieren fiele dann nur mehr die astronomische Ermitte- 
lung der Ortszeit zu, und an die Seeuhren brauchten fürderhin geringe 
Anforderungen gestellt zu werden. 


C. Auf den Mondort gegründete Methoden. 
(Photographische Methoden siehe Nr. 25.) 

31. Mondkulminationen. Nahezu gleichaltrig mit der chrono- 
metrischen Längenbestimmung sind die auf den Mondort gegründeten 
Methoden. Da der Mond in 27"), einen siderischen Umlauf um die 
Erde vollendet, so bewegt er sich in 1% um beiläufig 13°.2 unter den 
Fixsternen weiter nach Osten; man müßte also, wollte man die Zeit 
des Ephemeridenmeridians auf 1* genau ableiten, den Mondort auf 
, Bogensekunde definieren. Hierzu bedarf es jedoch recht genauer 
Instrumente und sehr vorgeschrittener Beobachtungsmethoden und 
aus diesem Grunde mag es nicht Wunder nehmen, wenn vor dem 
Jahre 1500 vom Gebrauch des Mondes zur Längenbestimmung in 
der Literatur keine Rede ist. Erst der Nürnberger J. Werner '°) 
deutet in seinem Kommentar zur Geographie des Ptolemäus die Me- 
thode 1514 leise an. Zur See konnte jener Vorschlag erst lebens- 
fähig werden, als es gelang, brauchbare Mondtafeln herzustellen, eine 
Forderung, die Tobias Mayer '*') 1752 erfüllte. 

Einer glücklichen Spezialisierung unterwarf der Pariser Orontius 
Finaeus '*) die Methode des Mondortes, indem er den Mond im 


180) Johann Werner, Claudii Ptolemaei geographia, liber primum, argu- 
menta, cap. IV, annot. VIII, Norimbergae 1514; auch hrsg. von P. Apianus, 
Ingolstadt 1533. — Historische Nachweise in Wolf, Handb. 2, p. 153 ff. 

181) J. Tobias Mayer (senior), Tabulae motuum solis et lunae novae et 
correctae, quibus accedit methodus longitudinum promota, ed. N. Maskelyne, 
London 1770 (posthum). 

182) Orontius Finaeus, De invenienda longitudinis locorum differentia, 
Lutetiae 1544. 


122 VIs,3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Moment seines Durchganges durch den Meridian beobachtete, hieraus 
die Rektaszension ableitete und entweder auf die entsprechende Zeit 
des Nullmeridians der Ephemeride überging oder aus der an zwei 
Orten beobachteten Rektaszensionsdifferenz mit Hilfe der Rektaszensions- 
änderung den Längenunterschied berechnete. Der englische Seefahrer 
W. Baffın '??) scheint der erste gewesen zu sein, der das Verfahren im 
Sommer 1615 sich praktisch zu nutze machte. Vor den später zu be- 
sprechenden Methoden genießen die Mondkulminationen den Vorzug der 
Einfachheit der Berechnung; denn im Moment der Meridianpassage ver- 
schwindet die parallaktische Verschiebung des Mondes in Rektaszension. 
J. Toaldo '%#) und E. Pigott '®) empfahlen, die Kulminationen nahe beim 
Mond und in dessen Parallel stehender Sterne mitzubeobachten, da 
dann nicht nur die Instrumentalfehler fast ganz herausfielen, sondern 
auch die Sternörter. Da sich dies Verfahren bewährt hat, teilen die 
Ephemeriden die scheinbaren '*°) Rektaszensionen geeigneter Moon- 
culminating stars mit. F..B. @. Nicolai‘) entwickelte ein Berech- 
nungsverfahren, bei welchem Uhrkorrektion, Mondradius und Fehler 
der Mondtafeln fast keine Rolle im Resultat mehr spielten. Die 
Diffraktion, die den Mondradius für verschiedene Fernrohre und Be- 
obachter verschieden gestaltet, beeinträchtigte indes das Ergebnis 
immer noch sehr und wurde selbst dann nicht völlig eliminiert, 
wenn man durch Kombination von Morgen- und Abendkulminationen 
beide Ränder der Beobachtung unterwarf. Nach J. Franz’ Vorgang, 
der gestützt auf J. H. Mädler, M. L. @. Wichmann und H. Schlüter 
den der Mondmitte nahen Krater Mösting A statt der Ränder zu be- 
obachten riet und Ephemeriden zur Reduktion im Berliner Jahrbuch 
mitteilte '#®), hat A. Alessio '#°) die Längenbestimmung durch Beob- 
achtung des Kraters Mösting A befürwortet und praktisch erprobt. 


183) W. Baffin (geb. 1584, gest. 1622) wandte die Methode der Mondkulmi- 
nationen auf seiner Grönlandreise an. Vgl. u. a. Thomas Rundall, Narratives of 
voyages towards the North-West 1496—1631, Works issued by the Hakluyt- 
Society 5, London 1849, p. 117. 

184) J. Toaldo, De methodo longitudinum ex observato transitu lunae per 
meridianum ad N. Maskelyne epistola, Patavii 1784. 

185) E. Pigott, Lond. Phil. Trans. 1786, p. 409 [abr. 16, p. 145]. 

186) Zuerst Naut. Alm. for 1834, vgl. daselbst p. XVI, Report $ 16. — 
M. Loewy, Eph6merides des 6toiles de eulmination lunaire et de longitude pour 
l’an 1878 ff, Paris 1877 ff., jährl. hrsg. vom „Bureau des Longitudes“. 

187) F. B.@. Nicolai, Astr. Nachr. 1 (1823), p. 7 und 2 (1824), p.17; F. Bauly, 
Lond. Astr. Soc. Mem. 2 (1826), p. 1. 

188) J. Franz, Astr. Nachr. 136 (1895), p- 1. 

189) A. Alessio, Determinazione speditiva della longitudine con osservazioni 
del cratere lunare Mösting A, Rivista Marittima 36c suppl., Roma 1902. 


32. Längenbestimmung aus Mondhöhen. 123 


In umfangreichem Maße sind die Mondkulminationen zu Bestim- 
mungen "%) fundamentaler Meridiane in Amerika, Asien und Australien 
in den Jahren 1867 bis 1870 von @. Fleuriais verwendet worden, 
wovon Berichte in den Anhängen der Connaissance des temps aus den 
Jahren 1870 bis 1874 Zeugnis ablegen. 

A. D. Pio'®!) suchte die Mondkulminationen auch den auf der 
Reise meist gebrauchten Spiegelinstrumenten zugänglich zu machen 
und modifizierte sie daher in der Weise, daß er vorschlug, man 
solle korrespondierende Höhen des Mondes nehmen und daraus die 
Ortszeit des höchsten Standes ableiten. Schon viel früher behandelte 
den gleichen Gedanken A. Mackay'”?), der ihn insbesondere für die 
Nautik nutzbringend erachtete. 

Eine sehr wenig in praxi verwertete Verallgemeinerung der 
Mondkulminationen ist die der Mondazimute, deren günstigsten Fall 
eben wieder die Mondkulminationen repräsentieren. Neben der er- 
schwerten Beobachtung ergibt sich die Notwendigkeit, der Mond- 
parallaxe Rechnung zu tragen. Ernstlich in Frage kommen die Mond- 
azimute nur in hohen Breiten. Dagegen läßt sich die Verbindung 
eines Monddurchganges mit einer Zeitbestimmung im Vertikal des 
Polarsterns (siehe Nr. 9) nur befürworten. 


32. Mondhöhen. Bouguer '”) empfahl die Beobachtung der 
Mondhöhen zur Längenbestimmung; denn man kann nach Reduktion 
der Höhe auf das Erdzentrum mit der langsamer veränderlichen De- 
klination des Mondes aus dem Dreieck Mond-Zenit-Pol den Stunden- 
winkel und daraus mit der bekannten Ortssternzeit die Rektaszension 
des Mondes und dann die Länge des Beobachtungsortes ableiten. Um 
konstanten Fehlern aus dem Wege zu gehen, soll man ein paar 
Sterne, die nahe gleiche Höhe und gleiches Azimut mit dem Monde 
haben, mitbeobachten. Schon lange vor Bouguer hatte F. de Her- 
rera‘%) aus Mondhöhen Längen für F. de Magellan’s letzte Reise ab- 
zuleiten versucht, freilich ohne Erfolg. Die Mondhöhen können unter 
niedrigen Breiten sehr wohl mit den Monddistanzen konkurrieren und 
sind nicht nur schon zur See angewandt worden, sondern auch auf 
geographischen Forschungsreisen zu Lande, z. B. von d’Abbadie'”) in 
: 190) Neureduktion von A. Auwers, Astr. Nachr. 108 (1884), p. 313. 

191) A. D. Pio, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 59 (1899), p. 513. 

192) A. Mackay, Theory and practice of finding the longitude, 3% ed., 
2 vols., London 1804, vol. I, p. 214. 

193) P. Bouguer, Nouveau traite de navigation, Paris 1753. 

194) Vgl. 1. c. Fußn. 343), Ex. crit. 1, p. 301—302 = Krit. Unt. 1, p. 251. 


195) A. d’Abbadie, Resume geodesique des positions determindes en Ethiopie, 
Leipzig 1859. 


124 VIs,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Äthiopien, Wißmann ’®) auf seiner Afrikadurchquerung, F. Hayn'”) in 
der Südsee; Hayn modifizierte die Methode dahin, daß er an einem 
Zenitteleskop gleiche Höhen des Mondes und zweier Sterne be- 
obachtete. 

Eine von R. Radau'”®) in Vorschlag gebrachte Methode, durch 
Kombination von Zenitdistanzen und Azimutdifferenzen des Mondes 
und eines Nachbarsternes die Zeit des Nullmeridians zu erlangen, hat 
wohl nie praktische Bedeutung gewonnen. 

F. de Herrera'”) wollte auch schon die Deklination des Mondes 
zur Längenbestimmung verwerten, ein Gedanke, den J. Oltmanns?®) 
näher prüfte und unter günstigen Bedingungen für durchführbar hielt. 
Viel später beschäftigte sich W. Spottiswoode?°') mit der Aufgabe; er 
meint, man solle die größte Höhe des Mondes beobachten, daraus 
dessen Deklination ableiten und aus deren Vergleich mit der Ephe- 
meride die Länge finden. 


33. Monddistanzen. Auf See war eine Zeitlang ein Verfahren 
der Längenbestimmung heimisch, um dessen Ausbildung sich zahl- 
reiche astronomische und nautische Schriftsteller bemüht: die Mond- 
distanzen, i. e. die Messung des Abstandsbogens des Mondes von ge- 
eigneten Fixsternen, den vier hellen Planeten oder der Sonne. Vor 
den Mondkulminationen genießen sie den Vorzug, nicht an einen 
bestimmten Moment gebunden, sondern immer dann anwendbar zu 
sein, wenn der Mond über dem Horizont des Beobachtungsortes weilt, 
und vor den Mondhöhen haben sie auch das voraus, daß sie frei sind 
von den Anomalieen der Kimm, denen man den jüngsten Erfahrungen 
gemäß nicht völlig auszuweichen vermag. Selbst auf beschwerlichen 
Expeditionsreisen zu Lande machen sie den Mondhöhen den Vorrang 
streitig; während diese zur scharfen Messung eines fest aufstellbaren 
Apparates bedürfen — denn mit Reflexionsinstrument und Queck- 
silberhorizont lassen sich Mondhöhen schon deshalb nicht einstellen, 
weil man (Vollmond ausgenommen) keine Randberührung herzustellen 
vermag — können jene mit beträchtlicher Sicherheit am Spiegel- 
sextanten oder Prismenkreis gewonnen werden, wenn möglich mit 
Zuhilfenahme eines bequemen Stativs, an das man keinerlei exakte 








196) H. Wißmann, Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West 
nach Ost, Berlin 1889, 

197) Siehe °1). 

198) R. Radau, Astr. Nachr. 54 (1861), p. 345. 

199) Vgl. 1. ec. Fußn. 343), Ex. crit. 1, p. 301—302 = Krit. Unt. 1, p. 251. 

200) J. Oltmanns, Berl. astr. Jahrb. für 1824, p. 181, Berlin 1821. 

201) W. Spottiswoode, Lond, Astr. Soc. Mem. 29 (1861), p. 343. 


33. Längenbestimmung aus Monddistanzen. 125 


Anforderungen stellt. Mit der Praxis der Monddistanzmessung be- 
faßt sich sehr eingehend eine Schrift von de Oanete del Pinar ?”). 

Bekannt ist die Erzählung, welche Amerigo Vespucci 1499 
August 23 an der Küste von Venezuela die erste Längenbestimmung 
aus einer Monddistanz ausführen läßt ?0); sie trifft jedoch nicht zu. Von 
einer eigentlichen Methode der Berechnung finden sich erst Spuren 
bei A. Pigafetta?®*) und J. Werner"?°); eine konsequente Anwendung 
auf See ließ der Mangel geeigneter Instrumente und zuverlässiger 
Mondephemeriden noch nicht zu. Als endlich 7. Mayer!) seine Mond- 
tafeln schuf, setzte nahe gleichzeitig Harrison‘) durch die Konstruk- 
tion ausgezeichneter Chronometer die Bedeutung der Monddistanzen 
auf die einer Kontrolle der Uhren oder ihres Ersatzes im Notfall 
herab. 

Abgesehen davon, daß die Beobachtung einer Monddistanz mit 
einem Reflexionsinstrument aus freier Hand keine leichte Sache ist, 
gestaltet sich die Reduktion bei strengem Vorgehen sehr umständ- 
lich. Sie zerfällt in zwei Teile: zunächst muß man den auf der 
Erdoberfläche gemessenen Abstand auf den Erdmittelpunkt reduzieren 
und dann mit dieser reduzierten Distanz die zugehörige Zeit des 
Nullmeridians der Ephemeride entnehmen. Am weitaus langwierigsten 
ist der erste Teil der Berechnung. Vor deren Beginn verschafft man 
sich die Zenitdistanzen von Mond und Gestirn, sei es durch Beobach- 
tung, wie auf See, sei es durch eine beiläufige Rechnung. Die Auf- 
lösung zweier sphärischer Dreiecke führt dann zunächst zu der wegen 
Refraktion korrigierten Distanz. Von diesen Dreiecken hat das erste 
den geographischen Zenit und die scheinbaren Zenitdistanzen der ver- 
bundenen Objekte zu Stücken, das zweite denselben Zenit und die wegen 
Strahlenbrechung verbesserten Zenitdistanzen. Hierauf überträgt man 
die Zenitdistanzen auf den geozentrischen Zenit und findet endlich 
die gesuchte geozentrische Monddistanz durch die folgeweise Durch- 
rechnung zweier weiterer sphärischer Dreiecke, die den geozentrischen 
Zenit gemein haben; die von ihm ausgehenden Seiten werden von 
den wegen Strahlenbrechung und zu zweit von den obendrein noch 
wegen Parallaxe verbesserten Zenitdistanzen dargestellt. 


202) de Caniete del Pinar, De cömo se han de observar las distancias lunares, 
Madrid 1904, auch in: Revista General de Marina 52, Madrid 1903, p. 635, 697. 
203) Vgl. [F. X. v. Zach] (anonym), Monatl. Corr. 22 (1810), p. 530. 

204) F. A. Pigafetta, geb. 1491, gest. 1534, machte Magellan’s Weltumsegelung 
mit und führte ein Reisejournal; vgl. Stanley of Alderley, The first voyage 
round the world by Magellan, Works issued by the Hakluyt Society 52, London 
1874; Wolf, Handb. 2, p. 151. 


126 VI2,3. 0.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Auf See konnte eine solche mindestens sechsstellig zu führende 
Rechnung nicht Platz greifen; die erste Vereinfachung bestand in 
der Vernachlässigung der Abplattung der Erde, und damit hatte man 
es nur noch mit zwei Dreiecken zu tun, denen eine Ecke, der 
geographische Zenit, und der dort gelegene Winkel (Azimutdiffe- 
renz von Mond und Gestirn) gemein war. Um die Art der Berech- 
nung der verlangten geozentrischen Monddistanz aus diesen beiden 
Dreiecken bemühten sich viele Schriftsteller, die teils die strenge 
Lösung rechenflüchtig durchzuarbeiten suchten, teils indirekte Me- 
thoden entwickelten, die eine an die beobachtete Distanz anzubringende 
Korrektion lieferten. Heutigentages haben zur See die letzteren Me- 
thoden den Sieg davon getragen; sie gestatten einen beliebigen Grad 
der Annäherung an die Wahrheit und die einzelnen Glieder kommen 
mit vierstelligen Logarithmen hinlänglich genau heraus. Wir greifen 
im folgenden unter jenen Methoden nur die wichtigsten heraus, um 
die sich die Fülle der anderen Variationen kristallisiert. Eine er- 
schöpfende Darstellung der Geschichte des Problems verfaßte G. D. 
E. Weyer ?”). 

Eine der ältesten und kürzesten direkten Formeln stammt von 
R. Dunthorne?®), der eine Tafel für einen in ihr auftretenden, von 
der Höhe beider Gestirne abhängigen Faktor berechnete. Auf Dun- 
thorne’s Formel gründen sich alle andern. A. Mackay?®') führte zur 
Vermeidung des Vorzeichenwechsels den Sinus versus®*) ein, Lexell?®) 
gestaltete die Formel für logarithmische Rechnung geschmeidiger. 
Großen Anklanges erfreute sich lange Zeit hindurch die von .Borda?”) 
gegebene Entwickelung, der u. a. auch J. Bohnenberger den Vorzug 
erteilte. W. L. Krafft’s?') Methode wurde durch eine von J. H. 
van Swinden”) berechnete Tafel unterstützt. Sie vermeidet loga- 
rithmische Rechnung fast ganz und setzt nur eine Tafel der natür- 


205) @. D. E. Weyer, Ann. d. Hydr. 1881, 1882, 1890. 

206) MR. Dunthorne, The practical astronomy of the moon: or, new tables 
of the moon’s motions, London and Cambridge 1739. 

207) Siehe 192). 

208) A. J. Lexell, Observationes circa methodum inveniendi longitudinem. 
Petersbg. Acta 1780, Teil II, p. 350. 

209) de Verdun de la Orenne, J. C. de Borda, A. @. Pingre, Voyage fait 
par ordre du roi en 1771 et 1772, p. 867, Paris 1778. Vgl. Paris hist. (2) 
m&m. 1773. 

210) W. L. Krafft, Methode ä la portee des navigateurs, Petersbg. Nova 
Acta 7 (1793), p. 370. 

211) J. H. van Swinden, Verhandling over het bepaalen der lengte op zee, 
p. 77, Amsterdam 1802. 


33. Monddistanzen (Fortsetzung). 127 


liehen Sinus versus voraus. Wenig umgeformt gab J. Mendoza®"?) 
für Krafft's Verfahren ein umfangreiches Tabellenwerk heraus. Einen 
recht empfehlenswerten Weg, dessen Grundgedanke sich schon bei 
Lexell?”®) findet, verdankt man (. Bremiker”"?), dessen Formel von 
Ligowski?"*) etwas transformiert wurde, und Simonoff”"°) schrieb die 
Grundgleichung so um, daß ein paar kleine durch vierstellige Rech- 
nung auszuwertende Zusatzglieder erschienen, wie früher schon Huber ?"®) 
getan hatte; später nahm Ligowski?') diesen Zweck wieder auf. Die 
letztgenannten Verfahren bilden den Ubergang zu den indirekten Me- 
thoden, vor deren Aufzählung indes hier der strengsten und allein 
vollständigen Auflösung gedacht sein möge, die Bessel?'?) dem Pro- 
blem angedeihen ließ. Dessel kehrte die Fragestellung um; er ging 
aus von einer wahren geozentrischen Distanz, die er auf den lokalen 
Abstand der Ränder reduzierte, und nun ergab die Differenz gegen 
die Beobachtung ein Mittel zur Verbesserung der angenommenen 
Länge. Einige Jahre, von 1835 bis 1838, gab Schumacher?) beson- 
dere Ephemeriden für die nach Bessel’s Methode zu berechnenden 
Monddistanzen heraus. 

Falls man bei Chronometerschäden und dergleichen zur See über- 
haupt noch zu Monddistanzen greift, wendet der Seemann zur Reduk- 
tion eine der zahlreichen indirekten Methoden an, die alle viel Ähn- 
lichheit untereinander besitzen. Lacaille””®) nahm nur die beiden 
ersten Glieder der Reihenentwickelung nach Refraktion und Parallaxe 


212) J. Mendoza y Rios, Memoria sobre algunos metodos nuevos de cal- 
cular la longitud por las distancias lunares, Madrid 1795; derselbe: Recherches 
sur les principaux problemes de l’astronomie nautique, Lond. Phil. Trans. 1797, 
p. 43 [abr. 18, p. 95, engl.]. 

213) C. Bremiker, Astr. Nachr. 30 (1850), p. 311. 

214) W. J. O. Ligowski, Arch. Math. Phys. 51 (1870), p. 374; 53 (1871), 
p- 103 u. 498. 

215) J. M. Simonoff, vgl.: Library of useful knowledge, Nr. I-IV; R. W. 
Rothman, History of astronomy, London 1832, p. 227. 

216) D. Huber, Versuch über das astronomisch-nautische Problem betreffend 
die Reduktion der scheinbaren Monddistanzen auf wahre, Monatl. Corr. 12 (1805), 
p. 309. 

217) W. J. O. Ligowski, Arch. Math. Phys. 40 (1863), p. 250. 

218) F. W. Bessel, Neue Berechnungsart f. d. Meth. d. Entfern. des Mondes 
von andern Himmelskörpern, Astr. Nachr. 10 (1833), p. 17 = Bessel, Astron. Unter- 
such. 2 (Königsberg 1842), p. 266 — Bessel, Abhdl. 3, p. 434. 

219) H. CO. Schumacher, Distances of the Sun and the four planets Venus, 
Mars, Jupiter and Saturn from the moon calculated according to Mr. Bessel’s 
method, Copenhagen 1834—37. 

220) N.L. de Lacaille, Paris hist. (2) mem. 1759, p. 63. 


128 VIe,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


mit, Maskelyne?”‘), Lyons???), Lexell?®), Bowditch?**) berücksichtigten 
in einer „3. Korrektion“ die vom Quadrat der Parallaxe und Strahlen- 
brechung abhängigen Glieder. Große Sympathie genießt noch immer 
die Formel von Witchell??), für die ein geschmeidiges Rechenschema 
und einfache geometrische Bedeutung der auftretenden Größen sprechen. 
Ein dem Witchell’schen ähnliches Verfahren entwickelte J.J. Ästrand®®). 
Mit zwei Gliedern reicht Legendre””) aus, indem er beweist, daß völ- 
lige Strenge bis zum dritten Gliede einschließlich eintritt, wenn er die 
Winkel an Mond und Gestirn nicht für deren scheinbare Örter, son- 
dern für die Mitte zwischen scheinbaren und wahren (geozentrischen) 
Örtern berechnet. Auf dieses Verfahren wies auch Delambre?®) hin, 
und später ist es auf W. Döllen’s Anregung von L. Schwarz??®) weiter 
ausgeführt worden. Delambre’s Methode fand u. a. auch einen Ver- 
treter in ©. Rümker ®°), der eine Hilfstafel für die Delambre’sche 
Größe N entwarf. Unabhängig kam auf analytischem Wege Airy?*) 
zu einer wesentlich mit der Legendre’schen identischen Methode. 
Von englischen Rechnern ging das Unternehmen aus, die gesamte 
Distanzkorrektion in Zahlen- oder graphische Tafeln zu bringen und 
so den Seemann jeglicher Rechnung zu entheben. Eine derartige 
Zahlentafel, gerechnet von @. Witchell, J. Lyons, T. Parkinson und 
S. Williams, gab Shepherd 1772 heraus”®?); Margetts”?) veröffent- 
lichte graphische Tafeln erst 1794. Beide Werke fanden keine Ver- 
wertung in der Praxis; wohl aber gaben sie die Anregung zu der 
heute fast allgemein auf See gebräuchlichen kürzesten Methode der 





221) N. Maskelyne, Lond. Phil. Trans. 1764, p. 271 [abr. 12, p. 152]. 

222) J. Lyons, Tables requisite to be used with the astron. and naut. 
ephemeris, London 1766, p. 44. 

223) A. J. Lexell, Petersbg. Acta 1780, II, p. 348. 

224) N. Bowditch, 1. c. pag. 82, (Literatur II). 

225) @. Witchell, Naut. Alm. for 1772. 

226) J. J. Ästrand, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 39 (1879), p. 425. 

227) A. M. Legendre, Paris Inst. (math.) mem. 6 (1806), p. 30. 

228) J. B..J. Delambre, Astronomie theorique et pratique 3, p. 625, Paris 1814. 

229) Ludw. Schwarz, Über die Reduktion der scheinbaren und wahren Mond- 
distanzen aufeinander, Dorpat 1865. 

230) C. Rümker, Längenbestimmung durch den Mond, Hamburg 1849; 
ferner C. Rümker, Vorschlag zur genaueren Berechnung der Refraktion bei der 
Längenbestimmung durch Monddistanzen, Hamburg 1835. 

231) @. B. Airy, A new method of celearing the lunar distance, London 1881. 

232) A. Shepherd, Tables for correcting the apparent distance of the moon 
and a star, Publ. by order of the commissioners of longitude, Cambridge 1772. 

233) G. Margetts, Longitude tables for correeting the effect of parallax and 
refraction on the observed distance, London 1794; ähnliche Tafeln edierte J. W. 
Norie, A set of linear tables for corr. the app. distance..., London 1815. 


33. Monddistanzen (Fortsetzung). 129 


Monddistanzrechnung, die man mit Elford’s Namen zu verbinden 
pflegt ”**). 

Das Wesen dieser Elford’schen oder Neger-Methode besteht darin, 
daß durch eine einfache mit vier Stellen genügend scharf zu führende 
Rechnung das Hauptglied des Einflusses der Mondparallaxe gewonnen 
wird, während sich die Korrektion für Refraktion, Sonnenparallaxe 
und die kleinen Verbesserungen von der zweiten Ordnung der Mond- 
parallaxe in einer mit drei Argumenten geordneten Tafel vorfinden, 
für die die konstante Annahme einer mittleren Mondparallaxe genügt. 
Die Argumente sind Distanz, Mond- und Gestirmshöhe; statt dessen 
unterscheidet man aber wohl auch zwischen größerer und kleinerer 
Höhe. Eine solche „Tafel des dritten Gliedes“ der Elford-Methode 
enthält jede moderne nautische Tafelsammlung. — 

Nachdem die Reduktion der Monddistanz auf das Erdzentrum 
unter Annahme der Kugelform erledigt ist, muß man noch die Ver- 
besserung wegen Abplattung des Erdkörpers nachträglich anbringen, 
die in maximo an 15” heranreicht. Es gibt in der Hauptsache zwei 
Wege zu deren Berücksichtigung. Der eine, auf den Delambre ??°) 
hinwies, verlangt die genäherte Kenntnis des Mondazimuts und geht 
durch die Seitenparallaxe des Mondes hindurch. In den nautischen 
Tafeln und Jahrbüchern werden stets Hilfstafeln, die bei bekanntem 
Mondazimut jede Rechnung ersparen, mitgeführt. Eine andere be- 
quemere Methode lehrte Borda”°),. Das Mondazimut fällt fort und 
es gehen nur die beiläufigen Deklinationen der Gestirne und ihr Abstand 
ein. Diesem Verfahren folgten u. a. Bohmenberger (Lit. I), .Bessel?"?), 
Airy?!), Chauvenet”?”); in der nautischen Praxis aber faßte es nie 
Fuß, trotzdem sich durch eine kleine Tafel mit drei Argumenten 
(Distanz, Mond- und Sterndeklination) jegliche Rechnung umgehen ließe. 

Vor Beginn der ganzen Reduktionsarbeit erfordern die unmittel- 
bar gemessenen Abstände einige Korrektionen. Zunächst beobachtet 
man keine Mittelpunkts-, sondern Randdistanzen; es ist also der 
Mondradius und, wenn die Sonne das andere Gestirn, auch der Sonnen- 
radius in Rechnung zu stellen. Beide Halbmesser werden noch von 


234) James M. Elford, Second edition of longitude tables... ., Charleston 
1818, abgedruckt in F! X. v. Zach’s Correspondance astronomique, 6, Genua 
1822, p. 209—232. Vgl. @. D. E. Weyer, Ann. d. Hydr. 1881/82; J. F, Encke, Berl. 
astr. Jahrb. für 1842, p. 307; F.X.v. Zach, Lond. Astr. Soc. Mem. 5 (1833), p. 245. 

235) J. B. J. Delambre, Astronomie theorique et pratique 3, Paris 1814, p. 636. 

236) J. Ch. de Borda, Description et usage du cercle de reflexion, Paris 
1787; 4iöme &d. 1816, p. 82. 

237) W. Chauvenet, On a new method of correcting lunar distances for 
parallax and refraction, Astron. Journ. 2 (1852), p. 24. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. y 


130 VI, 3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


der Refraktion verzerrt, deren Beträge eigens konstruierten Tabellen, 
die alle nautischen Tafeln und Ephemeriden bringen, entnommen 
werden können. Außerdem erscheint uns der lokale Mondradius 
größer als der auf den Erdmittelpunkt bezogene der Ephemeride; 
diese parallaktische Vergrößerung erreicht in maximo 18”. 238) Weiter 
unterwirft man in Strenge den kürzesten Berührungsabstand von Ge- 
stirn und der infolge der Strahlenbrechung nicht genau kreisförmigen 
Mondscheibe der Beobachtung; nach Bessel?"®) ist jedoch der Unter- 
schied verschwindend gering gegenüber der Voraussetzung der gewöhn- 
lichen Rechnung, die die Randpunkte in der Verbindungslinie der 
Zentren der Gestirne als gemessen annimmt. — Ein Fehler der Mes-: 
sung fälscht im selben Grade die geozentrische Distanz; die absoluten 
Höhen spielen indes keine große Rolle; viel wichtiger ist die Genauig- 
keit der Unterschiede der scheinbaren und wahren Höhen. 

Zur Erleichterung des Aufsuchens der zur geozentrischen Mond- 
distanz gehörigen Zeit geben die Ephemeriden von 3° zu 3% die 
Distanz des Mondes von der Sonne, hellen Fixsternen oder Planeten 
an und fügen einen bequemen Interpolationsapparat für erste und 
zweite Differenzen bei. Derartige Vorausberechnungen erscheinen 
schon im Nautical Almanac seit seiner Gründung im Jahre 1767 für 
die neun hellen Fixsterne « Arietis, « Tauri (Aldebaran), ß Gemino- 
rum (Pollux), « Leonis (Regulus), « Virginis (Spica), « Scorpii (An- 
tares), « Aquilae (Atair), « Piscis austr. (Fomalhaut), « Pegasi (Mar- 
kab). Im Jahre 1774 folgte die Connaissance des temps, während 
das Berliner Jahrbuch nur kurze Zeit hindurch, von 1844 bis 1851, 
eine Monddistanzephemeride führte. Auf den Vorschlag Lovenörn’s 
wurden von 1821 an durch Schumacher??”) besondere Abstandsephe- 
meriden für die Planeten Venus, Mars, Jupiter, Saturn herausgegeben, 
die nicht lange nachher vom Nautical Almanac und der Oonnaissance 
des temps regelmäßig mitgeführt wurden, so daß 1838 Schumacher’s 
Publikation einging. Von den gewählten Fixsternen, die möglichst 
nahe der scheinbaren Mondbahn hätten liegen sollen, stehen manche 
sehr ungünstig (« Aquilae, « Piscium, « Pegasi, die 20° bis 30° von 
der Ekliptik sich entfernen). So kommt es, daß in extremen Fällen 
der Faktor, mit dem ein Fehler der Distanz die Länge entstellt, statt 
des Durchschnittswertes 27 auf 45 ansteigt. Von konstanten Fehlern, 
wie sie dem Instrument und dem Beobachter zur Last fallen können, 


238) Siehe die Tafeln in den nautischen Tafelsammlungen und Ephemeriden. 
239) H. O. Schumacher, Ephemeris of the distances of the four planets 
Venus etc. from the Moon for 1822—38, Copenhagen 1820—36. 


33. Monddistanzen (Fortsetzung). 131 


wird man frei, wenn man zwei Distanzsterne, einen östlich, einen 
westlich vom Mond nimmt, womöglich in nahe gleichem Abstand. 

Auf Forscehungsreisen zu Lande tragen Monddistanzen nicht ge- 
rade oft zur Längenbestimmung bei. Carsten Niebuhr, von T. Mayer 
selbst noch instruiert und ausgerüstet”), benutzte sie mit Erfolg auf 
seiner Reise durch Arabien in den Jahren 1762 bis 1767, und mehr 
als ein Jahrhundert später maß W. Jordan”*") Monddistanzen für 
Länge während der @. Rohlfs’schen Expedition in die libysche Wüste 
1873/74. Jordan kommt zu dem Schluß, daß die Monddistanzen zu 
der am Ende erreichten Genauigkeit wenig beigetragen haben. 

Der sinkenden Bedeutung der Monddistanzen für die Nautik ge- 
horchend hat die Connaissance des temps von dem Jahrgang 1905 
an die Vorausberechnung der Monddistanzen unterdrückt; 1907 folgte 
auch der Nautical Almanac. In Zukunft wird daher der Seefahrer, 
dem eine auf den Mondort gegründete Chronometerkontrolle zur Ver- 
fügung stehen muß, zu einer Berechnung übergehen, die ihn die 
Distanzephemeride verschmerzen läßt und auf die Auswertung der 
Mondrektaszension hinausläuft. 

Zum Schlusse dieses Abschnittes möge noch ein bemerkenswerter 
Spezialfall Erwähnung finden, den ©. Rümker **?) zuerst beobachtete 
und Bessel?"?) theoretisch bearbeitete. Wenn das Gestirn, dessen 
Entfernung man mißt, sich dem Untergange zuneigt, der Mond aber 
sehr hoch steht, so kann es infolge der im selben Sinne wirkenden 
Ursachen von eigener Bewegung des Mondes und Refraktion des 
Sternes sich ereignen, daß der scheinbare lokale Abstand langsam bis 
zu einem flachen Maximum wächst und dann wieder abnimmt. Es 
ist aber dann eine Längenbestimmung ebenso gut möglich, wie unter 
normalen Verhältnissen, ja, die Beobachtung eines solchen Maximums 
allein ergibt ohne Zuziehung der Zeitbestimmung eine Länge. Nähere 
Diskussion erfuhr die interessante Frage durch @. D. E. Weyer**®). 

Da jede Einstellung des Mondrandes durch eigentümliche, von 
Fall zu Fall schwankende Beugungs- und Irradiationserscheinungen 
entstellt wird, so ist es empfehlenswert, bei absoluten Längenbestim- 
mungen an Land von hohen Genauigkeitsanforderungen den Stern, 
statt auf den Rand, auf einen passenden Krater zu pointieren. Dies 








240) Resultate seiner Beobachtungen in Monatl. Corr. 4 und 5 (1801—02). 
241) W. Jordan, Phys. Geographie u. Meteorologie der libyschen Wüste, 
Cassel 1876; ferner Jordan, Grundzüge (Lit. D). 
242) ©. Rümker, Astr. Nachr. 1 (1823), p. 77. 
243) G. D. E. Weyer, Über das nautische Längenproblem, Ann. d. Hydr. 
1890, p. 471. 
g* 


132 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


läßt mit besonderer Schärfe die sehr regelmäßige Wallebene Plato zu, 
in deren auffallend dunkle Fläche der helle Sternpunkt mit großer 
Sicherheit eingestellt werden kann, selbst mit den üblichen kleinen 
Sextantenfernröhrchen. 


34. Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse. Eine große Sicher- 
heit in der Bestimmung der Zeit des Nullmeridians eignet einem 
Spezialfall der Monddistanzen zu, der sich ohne Instrumente beobach- 
ten läßt. Es sind das die durch den Mond veranlaßten Okkultations- 
erscheinungen von Fixsternen, Planeten und der Sonne. Wird die 
östliche Monddistanz immer kleiner und kleiner und schließlich dem 
scheinbaren Mondradius gleich, so verschwindet der Stern im näch- 
sten Augenblick, da ihn der Mond auf seiner Bahn bedeckt (Stern- 
bedeckungen). Ebenso kann der Mond bei Neumond vom Beobach- 
tungsort gesehen mit der Sonne nahe in einer Richtung stehen; wir 
beobachten dann eine partielle, ringförmige oder totale Sonnenfinsternis. 
An Präzision ist das Phänomen einer Sternbedeckung der Sonnen- 
finsternis überlegen, insbesondere wenn es sich um das Verschwinden 
oder Auftauchen eines helleren Sternes am dunklen Mondrand handelt. 
Am beleuchteten Mondrand muß man zur Erzielung guter Resultate 
schon große Fernrohre und starke Vergrößerungen zuziehen; andernfalls 
bringen es Irradiation uud Beugung dahin, daß die Sterne zu früh 
verschwinden oder zu spät auftauchen. Bei einer Sonnenfinsternis 
verdient die erste äußere Berührung wenig Zutrauen: der Moment 
wird stets zu spät notiert. Nicht selten wird von Fällen berichtet, 
in denen das Verlöschen des Sternes am Mondrand einige Zeit, die 
sich nach Bruchteilen von Sekunden bemaß, beanspruchte und deren 
Ursache man auf eine Mondatmosphäre zu schieben geneigt war. 
Daß der Stern fast immer etwas innerhalb der scheinbaren Mond- 
scheibe verschwindet oder auftaucht, ist eines der einfachsten Bei. 
spiele von Irradiation. 

Die durch den Mond veranlaßten Okkultationsvorgänge sind nicht, 
wie die in Nr. 26 behandelten Finsternisse tautochron; ihr Eintritt 
wechselt wegen der großen Nähe des Mondes rasch von Ort zu Ort. 
Die an verschiedenen Punkten beobachteten Zeitmomente müssen 
somit vor ihrer Vergleichung noch auf eine bestimmte Phase der 
Erscheinung, wie sie im Erdmittelpunkt gesehen wird, reduziert 
werden, z. B. kann man aus dem notierten Moment mit Hilfe der 
bekannten, den Ephemeriden zu entnehmenden Elemente die Konjunk- 
tionszeit in Länge oder Rektaszension suchen. Man versteht darunter 
den Augenblick, in welchem für das Erdzentrum beide Himmelskörper 
gleiche Länge oder Rektaszension besitzen. 


34. Längenbestimmung aus Sternbedeckungen und Sonnenfinsternissen. 133 


Nach Analogie der Monddistanzen bietet sich das folgende Rech- 
nungsverfahren dar, bei dessen Beschreibung man nach Belieben statt 
Sonne auch Stern oder Planet lesen und unter Pol entweder den 
Ekliptikalpol oder den Äquatorpol sich denken darf. Aus dem sphä- 
rischen Dreieck Pol-Mond-Sonne, dessen Seiten bekannt, leite man 
den Winkel am Pol, i. e. den lokalen scheinbaren Längen- oder Rekt- 
aszensionsunterschied ab und reduziere ihn mit Hilfe der parallak- 
tischen Verschiebung auf den Erdmittelpunkt. Da weiter die relative 
Geschwindigkeit in Länge oder Rektaszension beider Himmelskörper 
gegeben, so vermag man aus der Koordinatendifferenz im Beobach- 
tungsaugenblick den Moment der gesuchten Konjunktionszeit abzu- 
leiten, die dann zur Längenbestimmung entweder mit der in der 
Ephemeride angegebenen Konjunktionszeit des Nullmeridians oder 
besser mit der in analoger Weise gefundenen Konjunktionszeit eines 
anderen Ortes verglichen wird. Fehler der Mondtafeln üben im letz- 
teren Falle nur einen unerheblichen Einfluß aus, und wenn man gleich- 
artige Phasen, z. B. nur Eintritte oder Austritte kombiniert, so gehen 
auch Fehler in den Gestirnsradien nicht merklich in das Ergebnis 
ein. — Ebenfalls sehr einfach ist das im Anschluß an FH. Raper von 
J. A. ©. Oudemans*"?) eingeschlagene Verfahren. Aus der Rektaszension 
des Sternes sucht er die Rektaszension des Mondes und mit dieser in 
der Ephemeride die entsprechende Greenwich-Zeit. 

Der erste, der ein korrektes Verfahren zur Berechnung einer 
Ökkultationserscheinung besaß, war Kepler*%), der mit Hilfe der 
Sonnenfinsternis vom 7. März 1598 die Längendifferenz zwischen Graz 
und Uranienborg abzuleiten sich bemühte. Als Vorläufer erscheinen 
die von Ohr. Columbus, A. Vespuceci, A. Pigafette, A. San Martino kul- 
tivierten Konjunktionen des Mondes und der Planeten **”). Später wurde 
die Aufgabe von vielen Astronomen aufgegriffen, u. a. von Ch. Wren°*®), 
Flamsteed””), Lacaille?®), J. OCassini?"), Cagnoli”?), Lambert?”®), 


245) J. A. O. Oudemans, Astr. Nachr. 74 (1869), p. 168. 

246) J. Kepler, Ad Vitellionem paralipomena, Astronomiae pars optica, 
Caput 11, probl. 27, p. 392, Francofurti 1604 = Opera, ed. Ch. Frisch, 2, 
Francof. 1859, p. 372. 

247) Vgl. 1. c. Fußn. 343), Ex. crit. IV, p. 183 = Krit. Unt. 2, p. 415. 

248) Ch. Wren, geb. 1632, gest. 1723, hat selbst nichts bekannt gemacht, 
doch berichtet J. Flamsteed darüber. Siehe auch Wolf, Handb. 2, p. 292. 

249) J. Flamsteed, The doctrine of the sphere, London 1680 (in J. Moore, 
New system of mathematics, London 1680—81). 

250) N. L.de Lacaille, Calcul des projections, Paris hist. (2) mem. 1744, p. 191. 

251) J. Cassini (le fils), Meth. de determ. les longit., Paris hist. (2) mem. 1705, 
p-. 194. 


134 vI 2,3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Lalande”*), Euler), Lagrange”®), indes gewann erst .Bessel??") der 
Sache eine neue Seite ab. Eine weitere unabhängige Bearbeitung 
erfuhr das Problem durch P. A. Hansen””®), der insbesondere der Dar- 
stellung der Sichtbarkeitsverhältnisse auf der Erde seine Aufmerk- 
samkeit zuwandte. Vereinfachungen der Bessel’schen Formeln für 
Sternbedeckungen fanden A. R. Olarke®®), Klinkerfues?) und F. Küst- 
ner?®Y). — Fehler in Gauß’ Entwickelungen glaubt N. Garbich ge- 
funden zu haben ?*?). 

Die Bessel’schen Formeln verwertet man heute allgemein zur Be- 
rechnung und Vorausberechnung von Sonnenfinsternissen und Stern- 
bedeekungen. Eine leichtverständliche Anleitung dazu schrieb Encke?®®?), 
der sich wesentlich auf Bessel’s Arbeit stützt. H. Battermann?‘*) gab 
bequeme Tafeln der Mondparallaxe für Berlin heraus, die auch leicht 
einen Übergang auf andere Breiten gestatten. @. Bigourdan?®) er- 
strebte dasselbe Ziel auf umständlicherem Wege. Eine Sonnenfinsternis 
graphisch vollständig zu berechnen und ihre Sichtbarkeitsverhältnisse 
auf der Erde übersichtlich darzustellen, lehrte Cayley?*). Temple 
Chevallier ?”) betrachtete den Einfluß, den die Differenz der Parallaxen 


252) A. Cagnoli, Methode pour calculer les longit. geogr., Verone 1789. 

253) J. H. Lambert, Berl. astr. Jahrb. für 1778, p. 49. 

254) J. J. Lalande, Nouvelle methode pour calculer rigoureusement les 
eclipses de soleil, Paris hist. (2) m&m. 1763, p. 426. 

255) L. Euler, De eclipsibus solaribus, Petersbg. Acta 1780, II, p. 308. 

256) J. L. Lagrange, Berl. astr. Jahrb. für 1782 — Oeuvres 7, p. 415. 

257) und 258) Vgl. die p. 82 (Lit. II) zitierten Monographieen. 

259) A. R. Clarke, Lond. Astr. Soc. Mem. 27 (1859), p. 97. 

260) W. Klinkerfues in H. W. T. Seeling, Berechnung der Tafelfehler des 
Mondes aus der Plejadenbedeckung von 1858 Febr. 20, Astr. Nachr. 52 (1860) 
p. 289 ff. $ 

261) F. Küstner, Bestimmungen des Monddurchmessers aus neun Plejaden- 
bedeckungen, Nova Acta, Abhdl. d. Leopold.-Carolin. Akad. der Naturforscher 
41 (Halle 1879), auch als Diss. Straßburg, 1879 (Halle 1880); weitere Literatur: 
J. A. Grunert, Theorie der Sonnenfinsternisse, der Durchgänge der unteren Pla- 
neten vor der Sonne und der Sternbedeckungen, Wien Denkschr. 8 (1854), 1. Abt., 
p. 133; L. J. Gruey, Les formules &cliptiques de Hansen simplifies, Paris Bull. 
astr. 9 (1892), p. 233, 286; CO. Rümker, Über die Berechnung der Sonnenfinster- 
nisse, Hamburg 1837; R. Schram, Beitrag zur Hansen’schen Theorie der Finster- 
nisse, Wien Ber. 92 (1885). 

262) N. Garbich, Analytische Methode zur Berechnung der Sonnenfinster- 
nisse sowie aller andern Occultationen, Triest 1871. 

263) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. für 1830, Berlin 1828, p. 253. 

264) H. Battermann, Astr. Nachr. 144 (1897), p. 1. 

265) @. Bigourdan, Obs. de Paris ann. (m&m.) 23 (1902) E. 

266) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 39 (1871), p. 1. 

267) Temple Chevallier, Lond. Astr. Soc. Mem. 19 (1851), p. 231. 


34. Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse (Fortsetzung). 135 


auf die Zeiten des Aus- und Eintritts bedeckter Sterne ausübt. 
Weitere Abkürzung des Rechnungsverfahrens strebte CO. Stechert?®) 
an, der sowohl die Vorausberechnung derartiger Phänomene als auch 
die Längenberechnung durch umfangreiche Tafeln unterstützt. Insbe- 
sondere soll auf diese Weise die Ausnutzung der Okkultations- 
phänomene zur See und an den in Länge schlecht bestimmten Hafen- 
plätzen, vor allem in der Südsee, in die Wege geleitet werden. Kurz 
zuvor hatte ZL. Oruls?®) ausgedehnte Tafeln publiziert, denen eben- 
falls .Dessel’s Gedanke zugrunde lag; einen Teil der Rechnung läßt 
Cruls graphisch ausführen. Rein graphisch ist eine von W. Rigge?"®) 
vorgeschlagene Methode. Mit besonderer Berücksichtigung der nau- 
tischen Verwertbarkeit bearbeitete ©. Berry?!) eine Theorie der Ok- 
kultationen. — Den bei Berechnungen von Sonnenfinsternissen anzu- 
wendenden Mondradius revidierte J. Peters?) und fand ihn 174 kleiner 
als den aus Sternbedeckungen gefolgerten. 

Die Bedeutung der Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse 
war noch in dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts für die Zwecke 
der Längenbestimmung eine sehr hohe; vornehmlich Wurm und 
Triesnecker?®) bearbeiteten in jener Zeit alle ihnen bekannt geworde- 
nen Beobachtungen und leiteten daraus Längendifferenzen der Haupt- 
orte der Erdoberfläche ab. Heutzutage liegt die Bedeutung jener 
Erscheinungen auf wesentlich anderem Gebiete: Sternbedeckungen 
liefern Beiträge zur Kenntnis der Mondbahn, des Mondradius und der 
Mond- und Sonnenparallaxe?), und Sonnenfinsternisse fördern die 
Physik der Sonnenatmosphäre. 

Während eine Sternbedeckung nur zwei Phasen, Ein- und Aus- 
tritt, liefert, läßt sich bei Sonnenfinsternissen der ganze Verlauf des 


268) C. Stechert, Tafeln f. d. Vorausberechn. d. Sternbedeckungen, Aus 
dem Archiv der Deutschen Seewarte, 19. Jahrg., Nr. 3, Hamburg 1896; 0. Stechert, 
Die Vorausberechnung der Sonnenfinsternisse u. ihre Verwertung zur Längenbest., 
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 22. Jahrg., Nr. 1, Hamburg 1899. 

269) L. Cruls, Methode graphique pour la determination des heures ap- 
prochees des &clipses du soleil et des occultations, Rio de Janeiro 1894. 

270) W. Rigge, Astr. Nachr. 158 (1902), p. 274. 

271) ©. Berry, Theorie complete des occultations, Paris 1880. 

272) J. Peters, Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 20 (1902), p. 135. 

273) Zahlreiche Reduktionen teilten J. F. Wurm und F. Triesnecker in 
Monatl. Corr., den Astr. Nachr. und den Allgemeinen geographischen Epheme- 
riden (hrsg. von F. X. von Zach u. a., Weimar 1798—1816) mit. Siehe ferner 
J. F. Wurm, Praktische Anleitung zur Parallaxen-Rechnung, Tübingen 1804. 

274) Siehe z. B. H. Battermann, Best. der Mondlänge, des Mondhalbmessers 
und der Sonnenparallaxe aus Sternbedeckungen, Berlin Sternw. Ergebn. 11 (1902). 


136 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Eindringens der schwarzen Mondscheibe in die Sonnenscheibe ver- 
folgen und daher eine große Anzahl von Daten zur Ableitung der 
Konjunktionszeit festlegen. Vorteilhaft ist es, während der Sonnen- 
finsternis die Distanzen der Hörnerspitzen mit einem Doppelbild- 
mikrometer (Heliometer) zu messen; Hansen”®) hat die Rechnungs- 
vorschriften für diese Methode entwickelt. Minder empfiehlt es sich, 
mit dem Refraktor die Rektaszensions- und Deklinationsunterschiede 
der Hörnerspitzen zu bestimmen; die Bearbeitung kompliziert sich 
erheblich und an Sicherheit wird gewiß nichts gewonnen. 

Die Genauigkeit der aus einer Okkultation abgeleiteten Länge 
entspricht nicht der Schärfe, mit der man das plötzliche Verschwinden 
und Auftauchen aufzufassen imstande ist. Die Ursache liegt in den 
Unebenheiten des Mondrandes, den Berge und Täler recht rauh er- 
scheinen lassen. Vereinzelte Randgebirge ragen bis zu 4” über den 
normalen kreisförmigen Verlauf des Randes hervor; die hieraus 
fließende Fälschung der Länge würde 8° betragen. Die Erfahrung 
lehrt, daß einer Sternbedeckung ein mittlerer Fehler von durchschnitt- 
lich + 2°2 anhaftet?”). 


35. Verwandte Okkultationsphänomene. Der Theorie für die 
durch den Mond veranlaßten Okkultationsphänomene folgen eine An- 
zahl verwandter Erscheinungen, deren Verwertung zur Längenbestim- 
mung zwar möglich, aber nicht zweckmäßig wäre. Eine sehr reiche 
Literatur haben die Vorübergänge der Venus vor der Sonnenscheibe 
wachgerufen, durch deren Beobachtung man fast zwei Jahrhunderte 
lang glaubte, den besten Wert für die Sonnenparallaxe erlangen zu 
können. Für die Theorie des sonnennächsten Planeten Merkur sind 
dessen Vorübergänge, die weit häufiger sich ereignen (etwa 13mal im 
Jahrhundert) als jene der Venus, von großer Bedeutung geworden. 
Teils nach Encke’s, teils nach Hansen’s Vorgang hat K. Friesach?'®) 
eine elementare Theorie der Planetenvorübergänge dargestellt. Geo- 
metrisch anschaulich (mit Hilfe von Figuren) will Z. Weinek?”) den 
von Lagrange betretenen, von Encke ausgebauten Weg klar legen. 
Nicht nur der langsamen scheinbaren Bewegung beider Planeten 


275) Vgl. A. Auwers, Bestimmung eines absoluten Meridians für Australien 
durch absolute Methoden, Astr. Nachr. 110 (1884), p. 289, und J. Peters, Astr. 
Nachr. 138 (1895), p. 113. 

276) K. Friesach, Theorie der Planetenvorübergänge, Leipzig 1874. 

277) L. Weinek, Zur Theorie der Planetenvorübergänge, Wien Ber. 112 
(1904), p. 1752; J. L. Lagrange, M&moire sur le passage de Venus du 3 juin 1769, 
Berl. hist. 1766, p. 265 = Oeuvres 2, p. 3835; J. F. Encke, Vorausberechnung der 
Planetenvorübergänge, Berl. astr. Jahrb. für 1842, Berlin 1840. 


35. Verwandte Okkultationsphänomene. 836. Bestimmung des Azimuts. 137 


halber, sondern auch wegen eigentümlicher, zum Teil physiologischer 
Vorgänge lassen sich die vier Kontakte der schwarzen Planeten- 
scheibe mit der Sonnenscheibe nicht sicher auffassen, so daß die 
daraus gefolgerte Länge des Beobachtungsortes auf große Genauigkeit 
keinen Anspruch zu erheben vermöchte. 

Mannigfaltige Phänomene bietet das Jupitersystem in seinen vier 
hellen Monden dar. Abgesehen von den schon in Nr. 26 besproche- 
nen Finsternissen werden die Trabanten auf ihrem Laufe um den 
Hauptplaneten bald vor demselben vorübergehen, bald hinter ihm ver- 
schwinden und in den Kontakten wieder Hilfsmittel zur Längenbestim- 
mung gewähren. Diese Momente sind indes ob der Helligkeit des 
Jupiter selbst in großen Refraktoren nicht mit Präzision wahrzuneh- 
men und zur Längenbestimmung somit unbrauchbar. 

Ähnliches gilt von den seltenen Sternbedeckungen durch Planeten. 
Die Langsamkeit der scheinbaren Bewegung der Planeten, ihre Hellig- 
keit und ihre mehr oder minder dichte Atmosphäre bewirkt es, daß 
das Verschwinden und Auftauchen der Sterne ein allmähliches zu sein 
scheint. Derartige Phänomene tragen vor allen Dingen bei zum Stu- 
dium der Physik der Atmosphäre des die Bedeckung verursachenden 
Planeten ?"®). Eine allgemeine analytische Bearbeitung der Bedeckungen 
von Fixsternen durch Planeten führte A. F. Moebius?"®) durch. 


IV. Azimutbestimmung. 


36. Allgemeiner Weg. Die Aufgabe der Azimutbestimmung 
kommt in erster Linie der Geodäsie zugute, z. B. zur Orientierung 
einer ausgedehnten Dreieckskette gegen den Meridian. 

Man darf ganz allgemein sagen, daß alle Methoden, die zur Pol- 
höhenbestimmung angewandt werden, mit leichten Modifikationen auch 
zur Azimutbestimmung dienen können. Ebenso gut wie man nämlich 
aus den sphärischen Dreiecken den Winkel am Pol (Stundenwinkel) 
zur Zeitbestimmung oder die Seite Pol-Zenit (Komplement der Breite) 
zur Polhöhenbestimmung ableitet, kann man auch den Winkel am 
Zenit, das Azimut eines der beobachteten Gestirne berechnen. Legt 
man dann noch die am Horizontalkreis des Universals gemessene 
Azimutaldifferenz des Sternes und eines terrestrischen Signals („Mire“) 
zum Sternazimut hinzu, so gewinnt man das Azimut des Signals. 
Eine weitere Bedeutung gewinnt die Azimutbestimmung in fernen 
Ländern beim Ausmessen einer langen Basis für topographische Auf- 


278) Vgl. u. a. A. Pannekoek, Astr. Nachr. 164 (1904), p. 6. 
279) A. F. Moebius, 1. c. p. 82 (Lit. II) = Werke, 4, p. 343, 


138 VI2,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


nahmen: auf astronomischem Wege ermittelt "man die Polhöhen der 
Basisendpunkte und ihr gegenseitiges Azimut und berechnet daraus 
auf Grund der bekannten Erddimensionen die Länge der Basis in 
Kilometern. 

Unter den vielen möglichen Wegen zur Azimutbestimmung seien 
jene skizziert, die bei geodätischen Operationen größeren Stiles bevor- 
zugt werden. 


37. Spezielle Methoden. Kann man die Mire so nahe am Me- 
ridian errichten, daß sie im Gesichtsfeld des Passagenrohres erscheint, 
so wird man ihr Azimut durch eine Zeitbestimmung im Meridian 
(siehe Nr. 8), die zunächst das Azimut der Absehenslinie festlegt, er- 
halten, indem man mit einem Mikrometer den Winkelabstand des 
Signals vom Mittelfaden des Fadennetzes ermittelt. Etwas weitere 
Grenzen für die Lage der Mire eröffnen sich im Vertikal des Polar- 
sterns (siehe Nr. 9). 

Eine andere, bei beliebiger Stellung des Signals anwendbare Me- 
thode geht von der Beobachtung des Polarsternes aus. Man stellt 
wechselweise Mire und Stern ein und erhält mit dem aus der Orts- 
zeit zu berechnenden Polarisazimut und dem gemessenen Azimut- 
unterschied das Azimut der Mire. Die Azimutberechnung für den 
Polarstern erleichtern Hilfstafeln, wie sie u. a. Valentiner”®) und 
Albrecht®®) gegeben haben. Ein Fehler in der Zeit entstellt das 
Azimut am meisten, wenn der Stern im Meridian sich befindet, und 
ein Fehler in der Deklination wirkt am stärksten in den Digressionen. 
Die besten Resultate erzielt man, wenn man, wie dies schon Landgraf 
Wilhelm von Kassel?) und @. D. Cassini?®?) taten, die beiden Digres- 
sionen beobachtet; unabhängig von Sternort und Zeit ergibt hier das 
Mittel der Ablesungen des Horizontalkreises den Nordpunkt des 
Kreises. Bei Sternen niederer Deklinationen vertreten die Stelle der 
Digressionen vorteilhaft die korrespondierenden Höhen, deren Azimut- 
mittel den Südpunkt des Horizontalkreises darstellt. Aus drei Höhen 
und den Azimutunterschieden das Azimut zu bestimmen, lehrt ein- 
gehend Mollweide?®?). 


280) W. Valentiner, Beiträge zur kürzesten u. zweckmäßigsten Behandlung 
geogr. Ortsbest., Leipzig 1869; ferner E. Block, Hilfstafeln zur Berechnung der 
Polarisazimute, Petersburg 1875. 

281) Vgl. R. Wolf in: Astronomische Mittheilungen von Rudolf Wolf, Nr. 45, 
Zürich 1878, p. 142. Abdruck aus: Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Ge- 
sellschaft in Zürich, 22. Jahrg., Zürich 1877, p. 370. 

282) Während der frz. Gradmessung (1683—1718); vgl. J. Cassini, Traite de 
la grandeur et de la figure de la terre, Paris 1720. 

283) K. B: Mollweide, Monatl. Corr. 28 (1813), p. 419. 


37. Azimutbestimmung. 88. Die Kimm. 139 


In Ermangelung eines fest aufstellbaren Universals kann das 
Azimut durch Distanzmessung an einem Reflexionsinstrument eruiert 
werden. Die scheinbare Höhe des Signals ist hierbei unerläßlich; 
ebenso muß die Zeit genau bekannt sein. Dann vervollständigt der 
Abstand der Mire von einem Gestirn — zumeist ist das wohl die 
Sonne — das sphärische Dreieck Signal-Zenit-Sonne, dessen drei Seiten 
gegeben, und man berechnet nun daraus den Winkel am Zenit, i. e. 
die Azimutdifferenz zwischen Sonne und Signal. Soll ein Fehler in 
der Zeit keinen großen Einfluß ausüben, so darf die Sonnenhöhe etwa 
10° nieht erheblich übersteigen. Dieser Art der Azimutbestimmung 
hat v. Zach?®) eine eingehende Darstellung gewidmet. 


V. Nautische Astronomie. 


38. Die Kimm und ihr Verhalten. Die nautische Astronomie 
hat zur einzigen Aufgabe die Ermittelung des Schiffsortes nach Länge 
und Breite durch astronomische Beobachtungen; als Durchgangsstadien 
zur Verwertung des Kompasses und von Lotungen gehen noch die 
Bestimmung der Zeit und des Azimuts ein. Da die Benutzung 
fest aufstellbarer Apparate an Bord des schwankenden Schiffes ein 
Ding der Unmöglichkeit ist, kommen nur Reflexionsinstrumente in 
Betracht, unter denen fast einzig der Spiegelsextant in praxi zur An- 
wendung gelangt. Die Gründe mag man vor allen Dingen in der 
historischen Gewöhnung suchen. Die Kriegsmarine beobachtet bis- 
weilen auch mit dem Spiegelprismenkreis, vor allem zur Festlegung 
von Küstenplätzen. 

Gelegentlich der Behandlung der Methoden der Ortsbestimmung 
wurde stets auf die Bedeutung der betreffenden Aufgabe für die Nautik 
hingewiesen; es erübrigt hier, einige Eigentümlichkeiten nautischer 
Messungen, die daraus fließenden Fehlerquellen und die Bestrebungen 
zu ihrer Hebung zu erwähnen, und endlich eine Betrachtungsweise 
des Problems der Ortsbestimmung darzustellen, die heute unter der 
jüngeren Generation allgemeine Einführung gefunden hat und unter 
dem Namen „Moderne Navigation“ begriffen wird. Für den Gebrauch 
zur See fallen alle jene Methoden der Ortsbestimmung aus, die sich 
auf Azimutmessungen gründen. Denn mit hinlänglicher Genauigkeit 
können an Bord nur Höhen, und zwar Höhen über der Kimmlinie 
(Kimmabstände) gemessen werden. 


284) F. X. v. Zach, Berl. astr. Jahrb. für 1793, p. 167; ferner J. F. van 
Beeck-Calkoen, Berl. astr. Jahrb. für 1814, Berlin 1811, p. 99. 


140 VIe,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Hier tritt schon gleich eine Schwierigkeit auf. Die Kimm be- 
deutet auf See das, was zu Lande die Libelle oder der Quecksilber- 
horizont leistet; sie errichtet die Lotlinie und definiert das Zenit des 
Beobachtungsortes. Das über der Meeresfläche, auf der Kommando- 
brücke oder an einem sonst geeigneten Platze des Schiffes befindliche 
Auge sieht die Kimm um die Kimmtiefe unter den scheinbaren Ho- 
rizont, von dem an die Höhen zählen, herabgedrückt. Unter Kimm- 
tiefe wird der Winkel verstanden, den die vom Auge an den See- 
spiegel gezogene Tangente mit der Horizontalen einschließt; man kann 
sie auch definieren als das Komplement des scheinbaren Radius der 
Erdkugel vom beobachtenden Auge aus gesehen. Wäre die Erde 
streng kugelförmig und keine Atmosphäre vorhanden, so ließe sich 
die Kimmtiefe trigonometrisch aus dem ebenen Dreieck: Erdzentrum- 
Auge-Berührungspunkt des Sehstrahls genau ermitteln. Da die an 
Bord unserer Schiffe vorkommenden Augeshöhen in maximo nicht 
an 20 m heranreichen, so ist die aus der ellipsoidischen Erdfigur fol- 
gende Ungleichförmigkeit der Kimmtiefe verschwindend gering ?*). 

Anders stellen sich die Verhältnisse bei den durch die Refrak- 
tion hervorgerufenen Störungen. Aus geodätischen Messungen der 
Zenitdistanzen irdischer Objekte war der Einfluß der terrestrischen 
Refraction durch Picard?®) bekannt geworden. Die Kimm mußte 
ihrem Einfluß in ähnlicher Weise unterworfen sein, und man nimmt 
darauf Rücksicht, indem man die rein geometrische Kimmtiefe um 
ihren 13'® Teil verringert und diesen aus Tafeln zu entnehmenden 
Wert dann an die erhaltenen Kimmabstände negativ anbringt. Die 
Arbeiten von Gauß?®), Sabler”®®), Harti?®), Bauernfeind?”) unter- 
warfen die variabelen Verhältnisse der terrestrischen Refraktion, wie 
sie bei geodätischen Operationen eingeht, genauerer Diskussion, die 
auch der gleichen Gesetzen gehorchenden Kimmtiefe zugute kam. Aus- 


285) Siehe ©. W. Wirtz, Marine-Rundschau 12, Berlin 1901, p. 837. 

286) J. Picard im Jahre 1669 gelegentlich der Messung von Depressions- 
winkeln zwischen Montlehery und Mareuil; vgl. J. Picard, la mesure de la terre, 
Paris 1671. 

287) C. F.Gauß, Berl. astr. Jahrb. für 1826, p. 89 — Werke 9 (1903), p. 437. 

288) @. Sabler, Höhenunterschied zwischen dem Schwarzen und Kaspischen 
Meer, hrsg. von W. Struve, St. Petersburg 1849; und @. Sabler, Beobachtungen 
über die irdische Strahlenbrechung, Diss. Dorpat 1839. 

289) H. Hartl, Zts. der österr. Gesellschaft für Meteorologie 16, Wien 1881, 
p. 129, und Mitt. d. k. k. militär,-geograph. Instit. in Wien, 3, Wien 1883. 

290) ©. M. Bauernfeind, Die terrestrische Refraktion und ihr Einfluß auf 
trigonometrische Höhenmessungen, München 1866; Ergebnisse aus Beobacht. d. 
terrestr. Refrakt., Münch. Abh. 13, 3. Abt. (1880), p. 179. 


38. Die Kimm und ihr Verhalten. 141 


gedehntere Beobachtungsreihen über die Kimmtiefe rühren her von 
Lingg°”‘) am Starnberger See, E. Kayser””?) an der Ostsee bei Danzig, 
Forel?”?) am Genfer See und von dem französischen Schiff „La Gali- 
sonniere“?®**) 1884 im Roten Meer nnd Indischen Ozean. Einen Ab- 
schluß fanden die Untersuchungen in dieser Richtung durch die Be- 
obachtungen, die K. Koß und E. v. Thun-Hohenstein?”), Offiziere der 
österreichischen Kriegsmarine, teils im Roten Meer, teils durch Mes- 
sungen an Land, vom Fort Verudella bei Pola aus unternahmen. 
Nicht nur, daß die Kimm Verschiebungen von ihrer mittleren Lage 
bis zu fast 10’ erleidet, sie ist auch nicht gleichförmig in allen Azi- 
muten. Sie ändert sich mit dem Unterschied zwischen Luft- und 
Wassertemperatur, ohne daß Luftdruck, Feuchtigkeit und. Bewölkung 
nachweisbar darauf einwirkten. Das regelloseste Verhalten tritt bei 
Windstille oder ganz schwachen Winden ein, während eine die Luft 
gut durchmischende Brise von der Stärke 2 bis 3 eine leidlich gleich- 
förmige Kimmtiefe um den Horizont herum konstatieren ließ. Koß 
spricht einen Teil seiner Ergebnisse in dem Satz aus, daß für dieselbe 
Augeshöhe die Hebung oder Senkung der Kimm über die geodätische 
Kimm eine lineare Funktion des Unterschieds zwischen Luft- und 
Wassertemperatur ist und gibt seiner Abhandlung zwei Kimmtiefen- 
tafeln bei, die beide zu Argumenten Augeshöhe und Differenz der 
Luft- und Wasserwärme haben; die eine gilt bei lebhafter Brise, die 
andere bei Windstille. Theoretische Durcharbeitung erfuhren die 
österreichischen Kimmtiefenbeobachtungen durch E. Kohlschütter?*‘), der 
u. a. die Aufmerksamkeit auf die Gestalt der Bahn der von der Kimm 
ins Auge dringenden Lichtstrahlen lenkt und die Unzulänglichkeit der 
Annahme einer Kreisbogenbahn aufdeckt. 


291) F. Lingg, Über die bei Kimmbeobachtungen am Starnberger See 
wahrgenommenen Refraktionserscheinungen, Nova Acta, Abhandl. der Leopol- 
dinisch-Carolinischen Akad. der Naturforscher, 55, Halle 1891, p. 1—95. 

292) Ernst Kayser, Beob. der Refraktion des Seehorizontes und Leuchtturms 
von Hela, Danzig Naturf. Ges. Schriften N. F. 4, Heft 2, Danzig 1877. 

293) Vgl. J. B. Messerschmitt, Resultate neuerer Kimmtiefenbeobachtungen, 
Ann. d. Hydr. 1901, p. 162. 

294) Siehe 1.c. Fußn. 293); ferner bemerkenswert Alois Walter, Theorie der 
atmosphärischen Strahlenbrechung, Leipzig 1898. i 

295) K. Koß und Graf Thun- Hohenstein, Kimmtiefenbeobachtungen zu 
Verudella, Wien Denkschr. 70 (1901), p. 347. Ferner: K. Koß, Nächtliche Kimm- 
tiefenbeobachtungen zu Verudella, Veröff. d. Hydrographischen Amtes in Pola, 
Nr. 18, Pola 1904. 

296) E. Kohlschütter, Folgerungen aus den Koß’schen Kimmtiefenbeobach- 
tungen zu Verudella, Ann. d. Hydr. 1903, p. 533. 


142 VI, 3. C©.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


39. Instrumente zur Bestimmung und Elimination der Kimm- 
tiefe. Die dargelegte Unsicherheit der Kimm einerseits und anderer- 
seits ihre schwierige Sichtbarkeit bei Nacht und düsigem Wetter lassen 
die Bestrebungen begreiflich erscheinen, sich durch geeignete Instru- 
mente von ihr ganz unabhängig zu machen. Einige andere Apparate 
gehen nur darauf aus, ein Mittel zu ihrer Bestimmung bei jeder Be- 
obachtung an die Hand zu geben und so ihre Anomalien von Fall 
zu Fall zu eliminieren. 

Die Idee, die Einstellung auf die Kimm entbehrlich zu machen, 
hatte schon Hadley®‘), der Erfinder des Spiegelsextanten; er wollte 
mit einem gewöhnlichen Höhenquadranten eine Libelle verbinden, die 
von einem .Gehilfen hätte abgelesen werden müssen. Später brachte 
man die Libelle so an, daß der Beobachter selbst sich über ihren 
Stand zu vergewissern vermochte. Ein solches Instrument liegt in 
dem Butenschön’schen ?”®) Libellenquadranten vor, bei welchem die Blase 
der Libelle zugleich mit dem Fadenkreuz und dem in Höhe zu mes- 
senden Gestirn im Feld des Quadrantenfernrohrs erscheint. 

Einen ganz anderen Weg schlug Fleuriais?”) mit seinem Gyroskop- 
kollimator ein; hier wird die Horizontale mit Hilfe eines schnell ro- 
tierenden Kreisels, auf dem zwei Kollimatorlinsen angebracht sind, 
hergestellt. _E. @eleich?®) hat indes mit einem solchen Apparat wenig 
ermutigende Erfahrungen gemacht; von erfolgreichen Anwendungen 
auch des Butenschön’schen Libellenoktanten auf See ist noch nichts 
bekannt geworden. 

Nach wie vor ist man vielmehr auf die Beobachtung über der 
Kimm angewiesen und hat deshalb einmal durch lichthelle Fernrohre 
diese des Nachts besser wahrnehmbar gemacht, andererseits durch 
verschiedene Mittel die Einstellung eines Sternes auf die Kimmlinie 
genauer gestaltet, entweder indem man nach Fleuriais’ Vorgang zwi- 
schen beiden Sextantenspiegeln ein das Sternbild verdoppelndes Prisma 
einschaltete und die Kimm zwischen beide Bildehen brachte, oder in- 
dem man mit Laurent°°') den Stern zu einer kurzen Lichtlinie auszog’”?). 


297) J. Hadley, A spirit level to be fixed to a quadrant, Lond. Phil. 
Trans. 1733, p. 167 [abr. 7, p. 620]. 

298) @. Butenschön, Deutsches Reichspatent Nr. 76668; Zts. f. Instrumenten- 
kunde 15 (1895), p. 152 und 17 (1897), p. 186. 

299) @. E. Fleuriais, Paris C. R. 103 (1886), p. 1305. Genaue Beschreibung 
und Theorie eines verbesserten Fleuriais’schen Sextanten gibt M. E. J. Gheury 
in Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 64 (1904), p. 768. 

300) E. Geleich, Hansa, Deutsche Nautische Zts., 38 (Hamburg 1901), p. 125. 

301) Laurent, Kapitän der „Imp6eratrice-Eugenie“, vgl. Les Mondes, revue 
hebdomadaire des sciences (hrsg. v. F. Moigno), 8 (Paris 1865), p. 612. 


> 39. Elimination der Kimm. 143 


Auf ein originelles Verfahren zur Elimination der Kimm ver- 
fällt ©. Decante®®). Er projiziert mittels eines dritten beweglichen, 
dem Sextanten neu beigefügten Spiegels die Zenitdistanz eines ersten 
Sterns auf die eines zweiten und mißt die Differenz der Zenitdistanz 
des zweiten Sterns und des Projektionspunktes des ersten Sterns. Um 
die verlangte Vertikalhaltung des Instrumentes zu erzielen, zählt er 
drei Methoden auf, die aber in praxi alle gleich schwer gangbar sind 
und in jedem Falle den Sextanten sehr belasten und seine Handhabung 
ungemein erschweren. 

Die Kimmtiefe für jede Höhenbeobachtung eigens zu messen 
wäre eine andere Art, sich ihrer Anomalien zu entledigen. Mit einem 
gewöhnlichen Sextanten läßt sich dies schon dann erreichen, wenn das 
Gestirn eine 50° übersteigende Höhe besitz. Dann mißt man seinen 
Abstand über beiden diametral gegenüberliegenden Kimmpunkten und 
erhält in dem halben Überschuß der Summe beider Abstände über 
180° die Kimmtiefe Mit den Prismenkreisen verschiedener Kon- 
struktion können zwei entgegengesetzte Partien der Kimm direkt zur 
Deckung gebracht und so die Kimmtiefen bestimmt werden. Ein 
speziell diesem Zweck gewidmetes Instrument konstruierte W. H. Wol- 
laston 1817 in seinem Dipsektor°*), von dem man indes neuerlich 
nichts mehr hört. Recht kompliziert fiel das von E. Kayser?®) kon- 
struierte Depressionsmikrometer aus, dessen Messungsbereich 2° be- 
trägt und das wesentlich aus einem abwärts oder aufwärts zu rich- 
tenden Fernrohr und zwei daran angebrachten rechtwinkligen Pris- 
men besteht. Vermittelst eines leicht am Sextanten anzubringenden 
Doppelprismas vereinigt E. Kohlschütter?”) die Bilder zweier im Azi- 
mut um 180° verschiedener Kimmpunkte im Feld des Fernrohrs und 
gibt eine konstruktive Möglichkeit an, die Kimm dadurch zu elimi- 
nieren, daß man nach dem Vorgange T. Ferguson’s?”®) auch das 
Supplement ‘der Höhe eines Gestirnes mitmißt. Diesem Doppelprisma 
zieht jedoch Kohlschütter selbst ein von J. B. Blish erfundenes Kimm- 
prisma®””) vor, welches die Summe der Kimmtiefen vor und hinter 


302) Vgl. Reichs-Marine-Amt, Navig. 2, p. 79. 

303) C. Decante, Position du navire quand l’horizon n’est pas visible, Re- 
vue maritime, 147 (Paris 1900), p. 491. 

304) Über den Dipsektor vgl. Gehler's physikal. Wörterbuch, 2. Aufl., 2, 
Leipzig 1826, p. 558. 

305) E. Kayser, Das Depressionsmikrometer, Danzig Naturf. Ges. Schriften, 
N. F. 1, Heft 2, Danzig 1864. 

306) T. Ferguson, De Zee (Tijdschrift) 1895, Rotterdam 1895. 

307) Siehe E. Kohlschütter, Ann. d. Hydr. 1904, p. 84; Mittheilungen aus dem 
Gebiet des Seewesens 32 (1904), Nr. VII, Pola und Wien 1904, 


144 VI»,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


dem Beobachter ergibt. Der neue Apparat für die Kimmtiefe von 
©. Pulfrich?®) besteht im wesentlichen aus einem Winkelspiegel, und 
die Messung geschieht entweder mittels einer im Gesichtsfeld des 
zugehörigen Fernrohrs angebrachten Skale oder einer den einen 
Spiegel bewegenden Mikrometerschraube. Alle diese Verfahren machen 
die stillschweigende Voraussetzung, daß die Kimmtiefe um den ganzen 
Horizont herum gleich sei, und das ist durchaus nicht immer der Fall. 


40. Begriff der Standlinie und ihre Festlegung. Lange Zeit 
hindurch haben die Seeleute den Rang astronomischer Messungen der 
Gestirne auf See ähnlich eingeschätzt wie zu Lande: eine Höhe am 
Meridian diente zur Bestimmung der Breite, eine solche beim Ersten 
Vertikal für die Ortszeit und Länge. Vereinzelte Höhen in mittleren 
Azimuten verstand man nicht auszunutzen. Erst dira necessitas brachte 
durch Zufall den amerikanischen Kapitän Sumner °”) bei der Ein- 
segelung in den St. Georgskanal auf einer Reise von Nordamerika 
nach Greenock auf die Möglichkeit, jede beliebige Gestirnshöhe zu 
einem geometrischen Ort für die Position des Schiffes, zu einer Stand- 
linie, zu verwerten. Durch ein an Bord mitgeführtes Chronometer muß 
die zugehörige Greenwichzeit bekannt sein (Nr. 29). Seit jenem 17. De- 
zember 1837, der Sumner auf die Standlinie und ihre allgemeine 
nautische Bedeutung führte, hat sich um den einfachen Gedanken eine 
große Literatur gerankt, die noch von Tag zu Tag anwächst. 

Die Zenitdistanz 2 eines Gestirnes in einem bestimmten Momente 
gilt für alle die Punkte, die auf einem mit der Zenitdistanz als sphä- 
rischen Radius um den Projektionspunkt P des beobachteten Gestirns 
beschriebenen kleinen Kreise k liegen (Fig. 1). Unter Projektions- 
punkt versteht man den Ort der Erdoberfläche, in dem die vom 
Stern zum Erdmittelpunkt gezogene Gerade sie durchstößt, oder anders 
gesagt: den Ort, der das beobachtete Objekt im Zenit hat. Die geo- 
graphische Breite des Projektionspunktes ist stets der Deklination 
und seine geographische Länge gegen Greenwich dem (aus Rektaszen- 
sionen und Greenwichzeit zu berechnenden) Stundenwinkel des Ge- 
stirns in Greenwich gleich. Zenitdistanz z2 und Projektionspunkt P 
legen also den Kleinkreis % auf der Erde fest, und irgendwo auf diesem 
Kreise muß das Schiff zur Zeit der Messung sich befunden haben. 
Trägt man an Bord die Schiffsroute auf einer Seekarte?"’*) ein, so 


308) ©. Pulfrich, Zts. für Instrumentenkunde 24, Berlin 1904, p. 225. 
309) Thomas H. Sumner, A new and accurate method of finding a ships 
position at sea by projection on Mercator's chart, Boston 1843, 2. ed. 1845. 
309a) Die Seekarten werden stets in Merkatorprojektion entworfen, weil 
bei derselben jeder Loxodrome (Schiffahrtslinie, Linie konstanten Kurses, die 


40. Begriff der Standlinie und ihre Festlegung. 145 


kommt die Merkatorprojektion des Sumnerkreises k in Betracht, die 
sog. „Standkurve“ (courbe de hauteur) ?°»). 


2 = beobachtete Zenitdistanz. 

P = Projektionspunkt des Gestirns. 

k —= Sumnerkreis, Höhenkreis ?!°), Höhengleiche, 
eircle of position, eirele of equal altitude, 
cercle de hauteur. 

@ — gegißter Schiffsort, estimated place, point 
estime. 

R = wahrscheinlichster Schiffsort, point rap- 
proche. . 

! —= Standlinie, Summer line, droite de hauteur, 





Fig. 1: Zur „Höhenmethode“ 
(Figur auf der Erdkugel). 


In praxi ist der Seemann auch ohne astronomische Ortsbestim- 
mung über den Ort seines Fahrzeuges nur um Bruchteile eines Grades, 
wenn es hoch kommt um 1° —= 30 Seemeilen, ungewiß; denn einen 
genäherten, sog. „gegißten“ Schiffsort kennt er schon aus der sog. 
„Schiffsreehnung“, die auf regelmäßigen Bestimmungen der Fahrt- 
geschwindigkeit nach Größe und Richtung mittelst Log und Kompaß 
beruht; er bedarf daher nur eines kurzen, dem gegißten Schiffsort @ 
nahegelegenen Stückes I des Sumnerkreises. Auf der Seekarte 30%) 
ersetzt er — von einem noch zu besprechenden, seltenen Ausnahme- 
fall abgesehen — dieses Stück durch eine Loxodrome, in der Merkator- 
projektion also durch eine Gerade, die entweder eine kurze Sehne 
(ältere Methode) oder eine Tangente (neuere Methode) der genauen 
Standkurve bildet. Diese Gerade heißt „Standlinie“. 

Die ältere Methode zur Bestimmung der Standlinie, auf die schon 
Sumner”®) kam, ist die Breiten- und Längenmethode (Sumnermethode). 
Wenn das Azimut des Gestirns kleiner als 45°, so berechnet Sumner 
mit zwei angenommenen, die gegißte umschließenden Längen die der 
gemessenen Höhe zugehörigen beiden Breiten; die Verbindungslinie 
der zwei so definierten Punkte in der Karte ist die gesuchte Stand- 


Jeden Meridian unter demselben Winkel schneidet) eine geradlinige Trans- 
versale der Seekarte entspricht. Vgl. Fußn. 330), sowie Gauß’ Werke 4 (1880), 
p-. 204 und den Artikel „Kartographie“, VIı, 4 (Bourgeois). 

309b) Über die analytischen und graphischen Methoden zur strengen oder 
genäherten Konstruktion der Standkurven vgl. etwa Guyou°??) und Villarceau- 
de Magna. 

310) Das Wort „Höhenkreis“* bedeutet also bald einen Sumnerkreis, bald 
einen Almukantarat'‘®). Vereinzelt ist ferner als „Höhenkreis“ das definiert 
worden, was wir heute „Vertikalkreis“ nennen, nämlich ein Großkreis durch 
das Zenit, oder auch ein zur Messung von Zenitdistanzen bestimmter Teilkreis. 

Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 10 


146 VIa,3. 0©.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


linie, die in diesem Falle nach der Breitenmethode gewonnen ist. 
Liegt aber die beobachtete Höhe näher am Ersten Vertikal als am 
Meridian, so wählt man zwei der gegißten nahe Breiten, berechnet 
mit ihnen die beiden Längen und hat in der Verbindungslinie beider 
Punkte wiederum die Standlinie nach der Längenmethode. Beide Ver- 
fahren geben strenggenommen Sehnen der Standkurve, deren Ver- 
wechselung mit dem Bogen nur bei ganz kleinen Zenitdistanzen 
unstatthaft wird. 

Die neuere Methode (Höhenmethode, Fig. 1) lehrte der französische 
‚Admiral Mareqg St. Hilaire?"'); sie ist zur Zeit die herrschende ge- 
worden, da sie Einheit und Ökonomie der Rechnung vor der Sumner- 
schen voraus hat. Während bei Sumner entweder die Länge oder die 
Breite berechnet werden mußte, wird nach Marcg St. Hilaire in 
allen Fällen mit dem gegißten Schiffsort und der Greenwichzeit der 
sphärische Radius des Summerkreises, d. h. die Zenitdistanz be- 
rechnet, deren Vergleich mit der beobachteten ein Maß für die 
Richtigkeit des gegißten Schiffsortes abgibt. Und zwar so. Den 
Unterschied & zwischen berechneter und gemessener Höhe setzt man 
in der Seekarte vom gegißten Schiffsort @ in der Richtung des be- 
obachteten Gestirns ab, je nach dem Vorzeichen der Differenz bald 
vom Projektionspunkt P weg, bald auf ihn zu (Fig. 1). Die durch 
diesen neuen Punkt R gezogene, zu RP senkrechte Gerade / stellt 
dann die gewünschte Standlinie dar, die somit bei dieser Höhenmethode 
eine Tangente an die Standkurve im wahrscheinlichsten Schiffsort ist. 
Als wahrscheinlichsten Schiffsort spricht man nämlich den dem ge- 
gißten zunächstliegenden Punkt R der Standlinie an. Außer der Höhen- 
rechnung hat man also noch eine solche des Azimutes auszuführen, 
die aber beiläufig auf volle Grade genügt. 

In dem Ausnahmefall, daß die Gestirnshöhe nahe 90° beträgt, 
darf man die Standlinie als gegeben betrachten durch den um den 
Projektionspunkt mit der jetzt sehr kleinen Zenitdistanz beschriebenen 
Kreisbogen. Eine bessere Annäherung an die Standkurve gibt ein 
gegen den Projektionspunkt exzentrischer Kreis oder noch besser 
eine Ellipse, deren Zentrum ebenfalls gegen den Projektionspunkt 
verschoben ist ®1?). 

41. Zweihöhenproblem nach der Standlinienmethode. In ein- 
facher Weise erledigt die Standlinienmethode das Zweihöhenproblem. 
Liegen zwei Höhenmessungen vor, so ergeben sich zwei Standlinien, 


|—— 


311) Vgl. Villarceau-de Magnac, Pratique, p. 104* (Fußnote). 
312) Vgl. Villarceau-de Magnac. 


41. Zweihöhenproblem. 42. Drei oder mehr Standlinien. 147 


in deren Schnittpunkt das Schiff sich befinden muß. Denkt man sich 
die Sumnerkreise ganz ausgezeichnet, so sieht man, daß zwei Schnitt- 
punkte den gemessenen Höhen Genüge leisten. Die Entscheidung über 
den wahren Ort folgt dann leicht aus den Azimuten der Gestirne. 
Am schärfsten wird der Schnittpunkt festgelegt, wenn die Linien ein- 
ander unter rechtem Winkel durchschneiden; das absolute Azimut 
spielt keine Rolle für die Genauigkeit des Schiffsortes, sondern nur 
die Azimutdifferenz, die im günstigsten Falle 90° betragen und nie 
unter 30° herabsinken soll. Infolge der raschen Fahrt der modernen 
Fahrzeuge, Dampfer sowohl wie Segler, genügt es nicht mehr, die 
beiden gefundenen Standlinien als für denselben Ort gültig anzu- 
sehen; es hat vielmehr wegen der Ortsveränderung des Schiffes eine 
Reduktion etwa der zuerst erhaltenen Standlinie auf den Augenblick 
der zweiten stattzufinden. Ein Weg, dies zu erreichen, besteht darin, 
daß man die eine Standlinie um die in der Zwischenzeit vom Schiff 
gutgemachte Fahrt parallel zu sich selbst verschiebt, ein anderes Ver- 
fahren reduziert rechnerisch vor Beginn der ganzen Reduktion die eine 
gemessene Höhe auf den Beobachtungsort der anderen (Zenitreduktion) 
und behandelt dann beide Höhen, als wären sie im selben Punkt der 
Erdoberfläche beobachtet. 

Der angedeutete graphische Weg des Überganges vom gegißten 
auf den wahren Schiffsort erledigt sich durch Rechnung mit der 
Auflösung kleiner ebener Dreiecke. An diese Aufgabe hat sich, wie 
an das ganze Zweihöhenproblem, eine große Reihe von Aufsätzen in 
nautischen Zeitschriften angeschlossen. Überdies existieren spezielle 
Tafeln, die der Erleichterung jener Schlußrechnung dienen sollen. 


42. Drei oder mehr Standlinien, Dreihöhenproblem. In der 
nautischen Literatur kommt die Bezeichnung „Dreihöhenproblem“ oder 
„Vielhöhenproblem“ vor; es handelt sich aber dann nicht um ein ein- 
deutig bestimmtes Problem, sondern um eine überbestimmte Aufgabe; 
denn zwei Unbekannten, Länge und Breite, stehen drei oder mehr 
Daten gegenüber. Bestimmt wird die Aufgabe erst wieder, wenn ich 
die Bedingung hinzufüge, daß die Quadratsumme der in den Höhen 
übrigbleibenden Fehler ein Minimum werden soll, und dann muß die 
Berechnung nach der Methode der kleinsten Quadrate erfolgen. Will 
man wieder die Standlinien zur Lösung verwenden, so ergeben sich 
deren im Falle des „Dreihöhenproblems“ drei, die sich der unvermeid- 
lichen Beobachtungsfehler wegen nicht in einem Punkte durch- 
schneiden, sondern ein Dreieck bilden werden. Am günstigsten sind 
die Sterne dann verteilt, wenn die Azimute um beiläufig 120° sich 
unterscheiden. Der wahrscheinlichste Schiffsort ist stets derjenige 

10* 


148 VI, 3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Punkt im Innern des Dreiecks, für den die Summe der Quadrate der 
Abstände von den drei Seiten ein Minimum ist; dieser Punkt heißt 
nach seinem ersten Bearbeiter®!?) der Grebe'sche Punkt?!t). Mehr als 
drei günstig verteilte Höhen zu messen bringt wenig Gewinn. Das 
Auge ermüdet rasch, schon durch die meist schlechte Sichtbarkeit 
der Kimm bei Nacht, und die letzten Einstellungen fallen daher er- 
heblich gegen die ersten ab. -—— Daß man ohne Instrumente und ohne 
Rechnung durch bloße Schätzung von Gestirnshöhen den Schiffsort 
leicht innerhalb eines Grades festlegen kann, zeigt A. A. Nüjland’?). 


43. Standlinie für eine Höhendifferenz. Die eindeutig bestimmte 
Aufgabe: aus.den zwei Höhendifferenzen dreier Sterne den Schiffsort 
abzuleiten (siehe Nr. 19), trug dazu bei, das Hauptglied der Kimm- 
anomalie zu eliminieren. Weiter erwächst nun die Frage nach der 
Art des durch eine Höhendifferenz auf der Erdkugel gegebenen geome- 
trischen Ortes. Die Frage ist von Wirtz?'%) diskutiert worden; die 
Standlinie geht über in eine sphärische Hyperbel, entstanden als 
Schnittkurve eines Kegels zweiter Ordnung mit einer Kugel. Das 
dem gegißten Schiffsort nahegelegene Stück dieser „kimmfreien“ Stand- 
linie wird definiert durch einen Punkt der Standlinie und ihr Azimut 
in diesem Punkte. 


44. Berechnung der Höhe, Höhentafeln. Keine andere Disziplin 
hat so sehr das Bestreben, alle rechnerischen Operationen durch 
Tabulierung zu umgehen, wie die Nautik, und seit dem Durchdringen 
der Marcg St. Hilaire'schen Standlinienmethode (p. 146) sind daher 
immer wieder Versuche aufgetaucht, die einzige erforderliche genauere 
sphärische Rechnung, die Berechnung der Höhe aus Breite, Deklination 
und Stundenwinkel bequemer zu gestalten oder durch Tafeln ganz 
zu umgehen. 

Die Zeiten liegen noch nicht lange hinter uns, wo der Seemann 
seine kaum auf die Bogenminute zuverlässigen Messungen sechs- 
oder siebenstellig unter Mitnahme der Bogensekunde ausrechnete. 
Ein erster zögernder Schritt zur Besserung war der Rückgang zu 
fünf- oder gar vierstelligen Logarithmen. Die kaiserliche Marine 


313) E. W. Grebe, Das geradlinige Dreieck in Beziehung auf die Quadrate 
der Perpendikel, welche man von einem Punkte auf seine Seiten fällen kann, 
Arch. Math. Phys. 9 (1847), p. 250. 

314) Über den Grebe’schen oder Lemoine’schen Punkt vgl. III B 13 (Neuberg), 
sowie etwa Emil Hain, Arch. Math. Phys. 58 (1876), p. 84. 

315) A. A. Nijland, Astr. Nachr. 160 (1902), p. 257. 

316) ©. W. Wirtz, Über eine neue „kimmfreie“ astronomische Standlinie, 
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 25. Jahrg., Nr. 3, Hamburg 1902. 


43—44. Anwendungen der Standlinienmethode. 149 


hält an fünf Stellen fest, nachdem E. Kohlschütter ?'”) zeigte, daß 
nur so in allen Fällen die Genauigkeit von 2’ in der errechneten 
Höhe könne innegehalten werden. In der Handelsmarine greift der 
Gebrauch der vierstelligen Logarithmen immer mehr um sich, da die 
Höhenformel leicht so transformiert werden kann, daß sie auch vier- 
stellig eine praktisch stets zureichende Genauigkeit besitzt. Aus der 
Grundform der Höhenformel sind wohl alle möglichen Variationen 
-— es gibt deren an die 80 — gezogen und auf ihre Bequemlichkeit und 
Eignung zur Tabulierung hin durchprobiert worden. Indessen existiert 
keine Höhentafel, die die Höhen rascher und sicherer liefert als direkte 
Rechnung. Die wichtigsten bisher konstruierten oder in Vorschlag 
gebrachten Höhentafeln (vgl. p. 157) stammen von F\ Sowillagouät?'?), 
R. Delafon®"”), W. Doellen’?®), V.v. Fuß??‘) und A.Vital?”?). Unter ihnen 
ist die Souillagouet'sche Tafel noch die brauchbarste, weil sie auf der 
einfachsten Formel sich aufbaut. — Nur geringen Erfolg hatten 
auch die Vorschläge zur direkten Berechnung des Unterschiedes 
der beobachteten und der aus dem gegißten Schiffsort gefolgerten 
Höhe???) / 

Ein anderes Stück des nautisch-astronomischen Grunddreiecks 
den Stundenwinkel, hat Davis?”) mit den drei Argumenten Breite 
Deklination, Höhe in Tafeln gebracht, die indes nach dem Urteil des 
vom Reichs-Marine-Amt herausgegebenen Lehrbuches der Navigation?) 
in bezug auf sämtliche Unterlagen der Ortsbestimmung in so engen 
Grenzen gehalten sind, daß sie den Anforderungen der heutigen Schiff- 
fahrt nicht mehr gerecht werden. 

Einen neuen Plan zur Konstruktion einer Höhentafel legte in 


317) E. Kohlschütter, Marine-Rundschau 13, Berlin 1902, p. 1330. 

318) F. Souillagouet, Tables du point auxiliaire, pour... 1a hauteur et 
l’azimut estimes, Paris 1891; nouvelle &d. Toulouse 1900. 

319) R. Delafon, Methode rapide pour determ. les droites et les courbes 
de hauteur et faire le point, Paris 1893. 

320) W. Doellen, Zur Reform der naut. Astronomie, Dorpat 1896. 

321) V.v. Fuß, Tafel zur Berechnung der Höhe und des Azimuts der Ge- 
stirne, Verhdl. des 7. internat. Geographen-Kongresses zu Berlin 1899, 2. Teil, 
Berlin 1901, p. 27. — V.v. Fuß, Tafeln f. d. Berechn. v. Höhe u. Azimut, Peters- 
burg 1901 (in russischer Sprache). 

322) A. Vital, Über Höhentafeln, Mittheilungen aus dem Gebiete des See- 
wesens 30, Pola 1902, p. 283. 

323) Vgl. darüber u. a. O. Fulst, Ann. d. Hydr. 1900, p. 320; W. Reuter, 
ebenda 1902, p. 32 und 1902, p. 583; H. Teege, ebenda 1903, p. 153 und 1903, p. 501. 

324) P. L. H. Davis, Chronometer tables or hour angles for selected alti- 
tudes between latitudes 0° and 50°, London 1899. 

325) Reichs-Marine- Amt, Navig., 2, p. 233. 


150 VIa, 3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


jüngster Zeit @. W. Littlehales ?°*) vor. Auf Karten in stereographischer 
Projektion löst er graphisch das nautische Grunddreieck nach Höhe 
und Azimut auf." Die Priorität des Gedankens fällt jedoch ©. Braun") 
zu, der schon 1873 ein Instrumentchen konstruiert hatte, das aus 
zwei konzentrischen, übereinander verschiebbaren stereographischen 
Äquatorealprojektionen besteht, deren obere auf durchsichtiges Papier 
gezeichnet ist. Die mittlere Genauigkeit des Apparates, den Braun 
„Trigonometer“ nennt, stellt sich bei einem Durchmesser von 45 em 
auf etwa + 5’. — In weniger zweckdienlicher Weise wollte M. A. F. 
Prestel ?*?) die Rechnung durch ein graphisches Abgreifen in dem von 
ihm entworfenen „astronomischen Diagramm“ ersetzen. Für geringere 
Genauigkeit finden sich gute Diagramme, freilich nur für die Pariser 
Polhöhe, bei @. Bigourdan ??). 


45. Gebrauch der Merkatorfunktion °®). Infolge des An- 
schwellens der zur Erleichterung der nautisch-astronomischen Rech- 


336) 6 @. W. Littlehales, A new and abridged method of finding the locus of 
geographical position and the compass error, Bulletin of the Philosophical 
Society of Washington, 14, Washington 1908, p. 233; besprochen von J. W. 
Froley, Bulletin of the American Geographical Society 36, New York 1904, 
p- 299. 

327) ©. Braun, Berichte von dem erzbischöfl. Haynald’schen Observatorium 
zu Kalocsa in Ungarn, Münster i. W. 1886, p. 142. 

328) M. A. F. Prestel, Das astronomische Diagramm, Braunschweig 1859. 

329) @. Bigourdan, Obs. de Paris ann., obs. 1885, Paris 1893. 

330) Unter dem Namen Longitudinalzahl, transcendenter Lambert’scher oder 
Gudermann’scher Winkel ist eine Funktion 


= g9d(«) 


bekannt, durch die man gemäss den Formeln 





e—e”* 
— i-sin(i-2) = PIE VRR sinh x = tangr, 
—- 
e e 1 
cos (i-x) = en — coshx = BE 
T 
ee — ee” 
— 4 Tan a) —= tanghx = sin r 
re 


von den hyperbolischen Funktionen zu den Kreisfunktionen übergeht. .. Hilfe 
der inversen Funktion (Gudermann’s „Längezahl‘“) 


dt id 
= ra log nat tang (45 En 5) 
[] 


definiert man die Merkatorfunktion /(r) und ihre Cofunktion cof(r) durch 
die Formeln °35) 





fe) = A:2, cofle) = (90° — 2). 


45. Gebrauch der Merkatorfunktion. 46. Azimuttafeln. 151 


nungen konstruierten Tabellen machte sich bald das Bestreben geltend, 
deren Zahl nach Möglichkeit zu beschränken und durch Einführung 
der Merkator'schen Meridionalteile die trigonometrischen Rechnungen 
entbehrlich zu machen. Auf die Bedeutung der Merkatorfunktion 
hat zuerst Preuß?!) hingewiesen und nach ihm ist das Thema kon- 
sequent ausgebaut von Guyou®®?), Türr???), Goodwin ?”**) und vor allem 
von Börgen ??)?®®), der ausführlich zeigt, wie einfach und einheitlich 
sich die sphärischen Dreiecksaufgaben, insbesondere die der geographi- 
schen Ortsbestimmung, durch Merkatorfunktionen lösen lassen; eine 
bequeme Tabelle dieser Funktion von Minute zu Minute bildet den 
Schluß seiner wichtigen Arbeit?®®). 


46. Azimuttafeln. Nicht nur zur Berechnung der Standlinie 
nach der Höhenmethode (p. 146) bedarf der Seemann der Kenntnis 
des Gestirnsazimuts, sondern auch zur Bestimmung der Deviation des 
Kompasses??°), einer Größe, die auf den modernen aus Eisen oder Stahl 


Hier hat der Zahlenfaktor 


A= er — Verhältnis der absoluten Winkeleinheit zur Bogenminute 


den Zweck, den Abstand f(pı) — f(Y,), in welchem irgend zwei Breitengrade 
p, und 9, auf einer Merkaterkarte ?°%) verlaufen, auf die Bogenminute der geo- 
graphischen Länge als Einheit zu beziehen; er gewährt übrigens gewisse Vor- 
teile bei der Interpolation der Tafeln und tut der Eleganz der theoretischen 
Entwicklungen keinen Abbruch: die sphärischen Dreiecksaufgaben lassen sich 
nämlich mit Hilfe der Funktionen fie) und cof(r) in homogenen linearen Formeln 
lösen (l. e. Fußn. 335). — Chr. Gudermann, J. f. Math. 7 und 8 (1831—32) gibt 
Tafeln für & = %(r). Literatur über den Lambert’schen Winkel etc. weisen 
nach: A. v. Braunmühl, Vorlesungen über Geschichte der Trigonometrie, 2. Teil, 
Leipzig 1903, p. 134, 231; E. Pascal, Repertorium der höheren Mathematik, 
deutsch von A. Schepp, 1, Leipzig 1900, p. 470; Wolf, Handb. 1, p. 205— 207. 

331) W. H. Preuß, Homographische Nautik, Ann. d. Hydr. 1876 und 1877. 

332) E. G@uyou, Les problemes de navigation et la carte marine, Annales 
hydrographiques (2) 17 (annde 1895), p. 113—158, auch als Buch erschienen, 
Paris 1895. 

333) R. Türr, Metodo per fare il punto astronomico, Milano 1894. 

334) H. B. Goodwin, A nautical astronomy of a new type, Nautical Magazin 
64, London 1895. 

335) Siehe C. Börgen, Über die Auflösung nautisch-astronomischer Auf- 
gaben mit Hilfe der Tabelle der Meridionalteile (der „Mercator’schen Funktion‘), 
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 21. Jahrg. 1898, Nr. 1, Hamburg 1898. 

335a) O. Börgen, Über die Berechnung von Monddistanzen mit Hilfe der 
Mercator'schen Funktionen, Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 26. Jahrg. 
1903, Nr. 1, Hamburg 1903. 

336) Deviation ist die Ablenkung der Kompaßnadel durch die Eisenteile 
des Schiffskörpers. 


152 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


gebauten Fahrzeugen sowohl zu erheblichen Beträgen anwächst, als 
auch in einigen Gliedern einer raschen Veränderlichkeit unterworfen 
ist. Aus diesem Grunde wird eine stete Kontrolle der Deviation für 
die Sicherheit der Navigierung unumgänglich notwendig, und diese 
‚erzielt man durch eine „Peilung“ (d.h. Azimutanschluß an die Magnet- 
nadel) eines nicht gar zu hoch stehenden Gestirnes. Aus der Differenz 
des abgelesenen Azimutes gegen das aus Ortsbreite, Deklination und 
Stundenwinkel berechnete des Gestirns folgt nach Abzug der be- 
kannten im Schiffsort stattfindenden magnetischen Deklination die 
gesuchte Deviation des Kompasses. 

Zur Erleichterung der häufig vorkommenden Berechnung des 
Azimutes sind Tafeln konstruiert worden, die ihren Zwecken weit 
besser dienen, als die bisher veröffentlichten Höhentafein. Zum Teil 
rührt das daher, daß bei den Azimuttafeln nicht jene Genauigkeit 
verlangt wird, die bei Höhentafeln notwendig ist. Die Angabe auf 0°.1 
reicht bei Azimuttafeln völlig aus; durch Interpolation mag der Fehler 
auch auf ',° gesteigert werden, ohne daß darum eine unerlaubte Un- 
schärfe einträte. 

Die Tafeln lassen sich in zwei Hauptgruppen trennen, deren 
erste die Azimute nach den drei Argumenten Breite, Stundenwinkel 
und Deklination kunstlos zusammenstellt. Hierzu rechnen u. a. die 
Tafeln von Burdwood ?%*°), Davis und Percy”), Labrosse ®) und 
Ebsen®®®). Die Tafeln der zweiten Gruppe zerlegen die eine Tafel mit 
drei Argumenten in drei Tafeln mit je zwei Argumenten und erreichen 
so eine kompendiösere Form. Fast in jeder neueren nautischen Tafel 
findet sich eine solche nach Perrin’s oder Fulst’s®%) Vorgang an- 
geordnete kurze Azimuttabelle. Anders konstruierte Weyer **!) seine 
Azimuttafeln, die vor allem bei Anwendung der Standlinienmethode 
nach Marcq St. Hilaire (Höhenmethode, p. 146) sich empfehlen. Sie 


3362) J. Burdwood, Sun’s true bearing or azimuth tables between latitude 
30° N and 60° N, London [1850?], 3° ed. London 1873; London 1894. 

337) J. E. Davis, L. H. Percy, Sun’s true bearing or azimuth tables between 
30° N and 30° S, London 1875; Star’s true bearing or azimuth tables between 
60° N and 60° 8, London 1902. 

338) F. Labrosse, Tables des azimuts du soleil entre 55°S et 55° N, Paris 
1868; in engl. Sprache London 1868. 

339) J. Ebsen, Azimut-Tabellen, enthaltend die wahren Richtungen der 
Sonne von 70° N bis 70° S, Hamburg 1896; 3. Aufl. Hamburg 1903. 

340) E. Perrin, Nouvelles tables destindes ä abreger les calcules nautiques, 
2. ed. Paris 1892. — O. Fulst, Azimuttafel, Bremen .1898. 

341) @. D. E. Weyer, Kurze Azimuttafel für alle Deklinationen, Stundenr- 
winkel und Höhen auf beliebigen Breiten, Hamburg 1890. 


47. Ortsbestimmung durch erdmagnet. Elemente. 48. Aöronaut. Astronomie. 153 


umfassen in Breite, Höhe und Deklination den ganzen Himmel, 
während die anderen Tafeln nur eine mehr oder minder beschränkte 
Zone der drei Daten berücksichtigen. 


47. Ortsbestimmung mit Hilfe der erdmagnetischen Elemente. 
Nur der Vollständigkeit und des historischen Interesses wegen sei 
endlich noch darauf hingewiesen, daß es einige Male versucht 
worden ist, die räumlich und zeitlich rasch veränderliche magnetische 
Deklination zur Längenbestimmung auf See heranzuziehen, u. a. von 
A. Pigafetta, der diese Methode in seiner Nautik lehrt ®?). Der Gedanke 
geht indes auf Columbus zurück, dem W. Bourne (1577), L.Sanutio (1588), 
5. Cabot**?) folgten. Wieder später beschäftigte sich Z. Williams ’**) 
mit dieser Art der Längenbestimmung und entwarf Tafeln, die aber 
von J. Bradley nicht eben günstig beurteilt wurden. Zuletzt hat noch 
A. v. Humboldt”) auf die von ihm erprobte Brauchbarkeit der Methode 
der Breitenbestimmung durch die magnetische Inklination hingewiesen. 


48. Aöronautische Astronomie. Gleichwie die nautische Astro- 
nomie im Grunde nur einen in den Genauigkeitsansprüchen sehr 
herabgestimmten Ableger der exakten geographisch -astronomischen 
Örtsbestimmung bildet, so hat die seit etwa einem Jahrzehnt empor- 
blühende wissenschaftliche Luftschiffahrt eine aöronautische Astro- 
nomie gezeitigt, die es dem Meteorologen bei nach unten unsichtigem 
Wetter ermöglichen soll, während der Ballonfahrt die geographische 
Länge und Breite mit mäßiger Genauigkeit zu fixieren und so auch 
Horizontalprojektion und Geschwindigkeit des in der freien Atmo- 
sphäre zurückgelegten Weges aufzuzeichnen. 

Natürlich sind die Methoden keine anderen, als die schon für den 
nautischen Gebrauch als zweckmäßig gekennzeichneten. Am Tage 
legen Sonnen- und Mondhöhen, in kurzen Zeitintervallen genommen, 
die Route fest; falls die Sonne allein sichtbar, muß Sonnenhöhe und 


342) Vgl. Stanley of Alderley, The first voyage round the world by 
Magellan — Works issued by the Hakluyt Society 52, London 1874, p. 167—169; 
siehe auch Fußn. 204). 

343) Vgl. A.v. Humboldt, Ex. erit. III, p. 38—41 = Krit. Unt. 2, p. 27—28. — 
Zur Abkürzung in den Fußnoten 194, 199, 247, 343, 345: Ex. erit. = A. v. Hum- 
boldt, Examen critique de l’histoire de la geographie du Nouveau Continent et 
des progr&es de l’astronomie nautique aux 15. et 16. siecles. 5 vols. 8°, Paris 
1836—39. — Dasselbe ins Deutsche übersetzt: Krit. Unt. = A. v. Humboldt, 
Kritische Untersuchungen über die historische Entwicklung der geogr. Kennt- 
nisse von der Neuen Welt ..., übers. von J. L. Ideler, 3 Bde., Berlin 1836—39. 

344) Vgl. W. T. Lynn, The longitude and the Magnetic Variation, The Ob- 
servatory 27 (1904), p. 276. 

345) 1. c. 343), Ex. crit. III, p. 43 = Krit. Unt. 2, p. 29. 


154 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


-azimut ermittelt werden. Nachts geben ein paar passend verteilte 
Fixsternhöhen die Grundlagen ab. Gedrängte Tafeln, die aus den 
gemessenen Höhen auf einfache Weise den Ballonort liefern, will 
4. Marecuse®*®) herstellen. Erstrebt ist hier eine der Beobachtungs- 
genauigkeit angemessene Rechnungsschärfe von je nach dem Zweck 
+ 5° (9km) oder + 10’ (18km). Als Instrument zur Höhenmessung 
erachtet A. Marcuse den Butenschön’schen Libellenguadranten (siehe 
Nr. 39) am geeignetsten, mit dem sich an Bord von Schiffen die 
Unsicherheit einer Einstellung auf + 3° herabdrücken lasse. Korvetten- 
kapitän Lans ®®) hingegen maß bei einer Hochfahrt i. J. 1902 die 
Sonnenhöhe über der Schleppleine des Ballons mittels eines Prismen- 
kreises nur auf etwa '/° genau, und A. Berson *°) führte auf seinen 
bekannten Fahrten einen mit Kompaß versehenen Apparat mit, der 
Höhe und Azimut der Sonne auf etwa 1° genau zu finden gestattete. 

Unabhängig von astronomischen Bestimmungen läßt sich bei 
nach oben und unten unsichtigem Wetter der Ballonort durch die 
erdmagnetischen Elemente festlegen. H. Ebert”) empfiehlt zu dem 
Zwecke insbesondere die Messung der Horizontalintensität, zu deren 
sicherer Bestimmung im Freiballon er ein neues magnetisches Ballon- 
variometer angibt; er hält es an diesem Instrument für ein Kleines, 
bis auf wenige Kilometer die Entfernungen zu beurteilen, welche die 
Projektion des Ballonortes von der Ostseeküste im Norden, der Nord- 
grenze der Alpen im Süden trennen. 


VI. Anhang. 


49. Die sphärischen Grundformeln der geographischen Orts- 
bestimmung. In der Darlegung der Methoden der geographischen 
Ortsbestimmung ist mathematischer Formelapparat grundsätzlich ver- 
mieden und lediglich der leitende Gedanke eines jeden Verfahrens 
soweit skizziert worden, daß sich mit Hilfe der sphärischen Trigono- 
metrie der jeder Methode eigentümliche Formelkomplex rekonstruieren 
läßt. Es mag nun hier hinreichen, eine kurze Übersieht über die 
der sphärischen Trigonometrie #®) entlehnten Grundformeln der geo- 


346) Siehe A. Marcuse, Zur Frage der astronomischen Ortsbestimmung im 
Ballon, Protokoll über die 3. Versammlung der internationalen Kommission für 
wissenschaftliche Luftschiffahrt (Berliner Tagung 1902), Straßburg i. E. 1903, 
Beilage 22, p. 145; ist abgedruckt in: Sirius, Zs. für popul. Astronomie, 36, 
Leipzig 1903, p. 169. 

347) H. Ebert, Über ein neues magnetisches Ballonvariometer, Protokoll *%), 
Beilage 21, p. 142. 

348) Über Lehrbücher der sphärischen Trigonometrie vgl. die Schlußbemerkung 
von Nr. 49 auf Seite 159. 


49. Die sphärischen Grundformeln. 155 


graphischen Ortsbestimmung und ihrer wichtigsten Umformungen zu- 
sammenzustellen, in der Absicht, eine Anschauung von dem Bau der 
in praxi gebräuchlichen Formeln zu vermitteln. 

In Figur 2 stellen wir das sphärisch-astronomische Grunddreieck 
P(ol)-Z(enit)-S(tern) dar, in dessen Seiten und Winkeln wir alle für 
uns wesentlichen Größen wiederfinden. Es bedeuten hier 

p die Polhöhe des Beobachtungsortes, 

t den Stundenwinkel des Gestirns, 

ö die Deklination des Gestirns, 

p den parallaktischen Winkel des Gestirns, 
h die Höhe des Gestirns, 

2 —= %° — h die Zenitdistanz des Gestirns, 
a das Azimut des Gestirns. 


90°-$ 





F ig. 2: 
Das sphärisch-astronomische Grunddreieck. 


1) Zur Bestimmung von ? gilt die Grundformel 


cos 2 — sing sin Ö cos 2 
cost = —— 
cos p cos Ö cosp cos Ö 





— tang p tangd, 
die man für logarithmische Rechnung etwa so umschreiben kann 
t sin ($ — Q) sin (S — 6 
tang 3 — y p) sin ( ), N 


cos $ cos ($ — 2) 
oder noch °*°) 
re N. 1 
BSR TOREN a SERERT TEN. 


sem £ — sec p sec d sin — 





349) Tafeln der Semiversusfunktion 


tie Br: Bone sin vers t 
= ER 2 SR 2 


findet man z. B. in den Nautischen Tafeln, hrsg. vom Reichs- Marine- Amt, Kiel 1903. 





156 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


Über den Einfluß kleiner Fehler in p, ö, z auf t orientiert der 
Differentialausdruck 


1 1 1 
HE cos p tanga dp+t cos d tang p ddr cosp sina da. 





Anwendung in Nr. 4. 


2) Bestimmung von g. Durch Einführung eines Hilfswinkels 
geht aus der Grundgleichung hervor 
tang ö 


cs (p — M)= 2 sinM, tang M — 


sin Ö cos t 
Für Zörkummeridianhöhen (Nr. 15) reicht eine Reihenentwicklung ) 
aus: 





BR Ereh c08 p co cos Ö [c0S p cos A Er 
Anal u 2 ee (95) M IS ag, cotg (p — 6): n, 
2 sin? > 2 sin! S 
ee 2. Er 


Die Größen m und n entnimmt man besonderen Hilfstafeln ®°!). 


Aus Polarishöhen in beliebigem Stundenwinkel (Nr. 16) bekommt 
man die Breite durch die Reihe ®®) 
p—=h-— x cost + 4° sin 1” tang p sin? 
+ ta®sin?1” (1 + 3 tang?p) sin?t cost. 
Hier bedeutet x die Poldistanz des Polarsterns®®?) in Bogensekunden; 
für die beiden letzten Glieder der Reihe hat man Hilfstafeln®®®). 


Differentialausdruck: 
cosP 7 


ae + et 


Im Ersten Vertikal (Nr. 21) besteht die einfache Beziehung: 
tang p — tang Ö sec t. 








dp = — cosg tanga dt — 


Differentialausdruck: 





in2p 75 


dp = sing tangz dt 4 55 


Für die Digressionen (Nr. 22) sieht die Formel ähnlich aus: 


cos 8 
RR ne. sina 


350) Auf der rechten Seite der Formel tritt p nur in kleinen Korrektions- 
größen auf und darf durch einen rohen Näherungswert ersetzt werden. 

351) Etwa C. F.W. Peters, Astronomische Tafeln und Formeln, Hamburg 
1871, oder Albrecht, l. c. Fußn. 65), 3. Aufl., p. 53 und Hülfstafeln 27 —30. 

352) Zur Zeit (1904) ist für Polaris (« Ursae minoris) x — 1°12' und nimmt 
jährlich um 187 ab (Präzession). 

353) Z. B. Albrecht, 1. c. Fußn. 65), 3. Aufl., p. 47, 48 und Hülfstafel 26. 


49. Die sphärischen Grundformeln der geographischen Ortsbestimmung. 157 


Differentialausdruck: 


2 sind 
dp = sin 2 dd —- cotga cotgp da. 


3) Bestimmung von «. 








cos ö sint 
sin a = ————, 
sin 2 
t sin t 
er p cost — cos gp tang d’ 
cotg ö secgp sint 
tang a = — 8 ” 


1 — cotgö tanggp cost 
oder mit Einführung eines Hilfswinkels M 





___.eosM tangt _ tang Ö 
tang a = Ir ı% tang M — Frage 
Differentialausdruck: 
da de sina cotg2dp + En dd. 


Anwendung in Nr. 37. 


4) Bestimmung von z=W’ —.h. 
Grundformeln: 

sin h = c082 = sin p sind + cosp cos od cost 
cos d sin 4 


| cosh = sınz —= : 
sın 4 


Mit Hilfswinkeln: 
cos2—=sinpsecNsin(N +06), . tang N = cotggp cost. 
Auf diese Formel gründet sich die Höhentafel von F\ Sowillagouöt ?'). 
Eine andre Umformung ist: 
sin a —= cos Ösint, cotg b = cotg d cost, 
csz=cosasnB, B=b-+y, v=90 -— 9. 

V. v. Fuß hat hiernach seine Höhentafel gerechnet ?'). A. Vital’s Vor- 
schlag zur Konstruktion von Höhentafeln ???) geht von der Formel aus: 
c08 2 = cos? 5: cos (pP — Ö) — sin? & cos (p -1- Ö). 

Weitere Umformungen sind: 


cosz = cos (p — d)cos N, sem N — cos p cos d sem tsec (p — Ö). 








Definition der Funktion sem & in Fußnote 349. 
Differentialausdruck: 


dz = cos adp — cosp dÖ + cos Ö sin p dt. 
Anwendungen in Nr. 44. 


158 VI, 3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


5) Nur selten wird man bei der Berechnung des sphärisch-astro- 
nomischen Grunddreiecks (p. 155, Fig. 2) mit Vorteil Gebrauch machen 
von den Gauß’schen (Delambre’schen) Formeln®®%); ein Fall, in dem 
dies zuträfe, wäre die strenge direkte Berechnung der miteinander 
verknüpften Dreiecke im Zweihöhenproblem (vgl. Nr. 17). 

Eine Gruppe der Gauß’schen Formeln lautet: 
































cos 5 sin > Po — sin u sin e+ g. 
cos „cos — cos 4 008 PP, 
sin 5 sin nn ? — sin £ cos er 3 
sin 5 cos ee P. — cos M sin 7 E I 
Die Neper’schen Analogieen nehmen für unser Dreieck folgende Ge- 
stalt an: u 2 p a sin 9 +2 sin ® = p = u > 6 
re EI Er 2 
tang en .. cos nn cos 2 tang 3 
tang 4 2 Er eh cos u ? tang I, 


6) Unter den zahlreichen für die Reduktion einer Monddistanz 
(Nr. 33) auf das Erdzentrum angegebenen Methoden sei nur die schon 
im Jahre 1739 von R. Dunthorne?®) aufgestellte mitgeteilt. Sie ist jene, 
die unmittelbar aus der Betrachtung der sphärischen Dreiecke hervorgeht. 
Es sei 


zZ 
M wahrer Mondort 
M’ scheinbarer Mondort 
Ss S wahrer Gestirnsort 
s S’ scheinbarer Gestirnsort 
Z Zenit 
M 
M' 
Fig. 3: 


Reduktion von Monddistanzen. 


354) J. B. J. Delambre, Conn. des temps pour 1809 (Paris 1807), p. 445. 
K. B. Mollweide, Monatl. Corr. 18 (1808), p. 400. C. F. Gauß, Theoria motus 
corp. coel., Hamburgi 1809, art. 54 — Werke 7 (1871), p. 60. 


49. Die sphärischen Grundformeln. 50. Weitere Literatur. 159 


H' die scheinbare Höhe des Mondes, 

H die wahre Höhe des Mondes (befreit von Refraktion und 
Parallaxe), 

h’ die scheinbare Höhe des Gestirns, 

h die wahre Höhe des Gestirns, 

D’ die scheinbare Distanz, 

D die wahre Distanz, 
so ist die wahre Distanz mit der scheinbaren verbunden durch die 
Relation 


cos D = cos (H — h) -- [eos (H’-—— W) — cos D/] A: och 


cos H’. cos # 





Zur Erleichterung der Berechnung des letzten Faktors dieser Formel 
führen ältere nautische Tafeln und Ephemeriden eine Tafel der „loga- 
rithmischen Differenz“ mit??°). 

Die Abplattung des Erdsphäroids hat hier natürlich keine Berück- 
sichtigung erfahren. 


Unter den neueren Lehrbüchern der sphärischen Trigonometrie 
als Hilfswissenschaft der praktischen Astronomie sind hervorzuheben: 
E. Hammer, Lehrbuch der ebenen und sphärischen Trigonometrie, 
Stuttgart 1885; 2. Aufl. Stuttgart 1897. h 
F. Bohnert, Ebene und sphärische Trigonometrie, Leipzig 1900 
(Sammlung Schubert Nr. 3). 


50. Weitere Literatur. 


Einige Schriften, für die weder in der eingangs (p. 82) gegebenen Übersicht, 
noch im Text und in den Anmerkungen eine Gelegenheit zum Zitat sich fand, 
mögen hier noch zusammengestellt werden. 


I. Allgemeine Lehrbücher. 

J. Pasquich, Epitome elementorum astronomiae sphaerico-caleulatoriae. Pars 
prima et secunda, Viennae 1811. 

J. J. Littrow, Theoretische und praktische Astronomie. Erster und zweiter Teil, 
Wien 1821. 

@. A. Jahn, Praktische Astronomie. I. Teil, Berlin 1834; II. Teil, Berlin 1835. 

A. Steinhauser, Grundzüge der mathematischen Geographie und der Landkarten- 
projektion, Wien 1857; 3. Aufl. 1887. 

G. Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Berlin 
1875; 2. Aufl. 1888. 





355) Die „logarithmische Differenz“ log Sn und deren „Korrektion“ 
ig ER vopuliart ©. B. I Bobrik, Handbuöh der praktischen Seefahrlekunde 





cos h’ 
(3 Bände, Leipzig 1848) im 3. Band (Tafeln), p. 361—369, Tabellen 72—74. 


160 VI»,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


F. Melde, Theorie und Praxis der astronomischen Zeitbestimmung, Tübingen 1876. 

B. Peter, Anleitung zur Anstellung geographischer Ortsbestimmungen auf Reisen, 
Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig, 22. Jahrg. 1880 
(Leipzig 1881), p. 55—106. 

H.C._E. Martus, Astronomische Geographie. Ein Lehrbuch angewandter Mathematik, 
Leipzig 1880; 3. Aufl. (Astronomische Erdkunde), Dresden und Leipzig 1904. 

H. A. E. Faye, Cours d’Astronomie de l’Ecole polytechnique, 2 vols., Paris 1881—83. 

K. Israel-Holtzwart, Elemente der sphärischen Astronomie, Wiesbaden 1882. 

Th. Epstein, Geonomie (mathematische Geographie) gestützt auf Beobachtung 
und elementare Berechnung, Wien 1888. 

K. Geißler, Mathematische Geographie, Leipzig 1900 (Sammlung Göschen). 

S. Günther, Astronomische Geographie, Leipzig 1902 (Sammlung Göschen). 

P. Güßfeldt, Grundzüge der astronomisch-geographischen Ortsbestimmung auf 
Forschungsreisen, Braunschweig 1902. 

W. Schmidt, Astronomische Erdkunde, Leipzig und Wien, 1903. 

E. Geleich, Die astronomische Bestimmung der geographischen Koordinaten, 
Leipzig und Wien 1904. 


NB. Eine umfassende Anwendung der fundamentalen Methoden der Orts- 
bestimmung bieten die von A. Auwers bearbeiteten Beobachtungen zur Ermitte- 
lung von Ortszeit und geographischer Lage der Deutschen Venusstationen von 
1874 und 1882 in: A. Auwers, Die Venusdurchgänge 1874 und 1882, Bericht 
über die Deutschen Beobachtungen, Bd. VI, Berlin 1896, p. 187. 


II. Monographieen. 


A.v. Heiligenstein, Dissertatio methodos elevationem poli astronomice determinandi 
sistens, Mannheim 1829. 

@. R. Fockens, Commentatio de methodis, altitudinem poli, tam terra, quam 
mari, accuratissime definiendi, Leiden 1831. 

— Diversae methodi, quibus locorum longitudo in mari definiri possit, Leiden 1831. 

F.@.W.Strwve, Anwendung des Durchgangsinstruments für die geographische 
Ortsbestimmung, St. Petersburg 1833. 

— Sur l’emploi de l’instrument des passages pour la determination des positions 
geographiques, St. Petersbourg 1838. 

C. Th. Albrecht, Über die Bestimmung von Längendifferenzen mit Hilfe des 
elektrischen Telegraphen, Diss. Leipzig 1869. 

M. Vodusek, Bestimmung der Zeit, des Meridians und der geographischen Breite 
eines Ortes, Laibach 1878. 

©. Koppe, Die Photogrammetrie oder Bildmeßkunst, Weimar 1889. 


III. Tafelwerke. 
H. ©. Schumacher: 
— (1) Hülfstafeln zu Zeit- und Breitenbestimmungen, Copenhagen 1820. 
Von 1821 an trennt Schumacher die Tafeln von dauernder Gültigkeit (3) 
von den Ephemeriden (2): 
— (2) Astronomische Hülfstafeln für 1821—1829, jährlich, Copenhagen; 
— (3) Sammlung von Hülfstafeln, erstes Heft, Copenhagen 1822, neu hrsg. und 
vermehrt von @. H. L. Warnstorff, Altona 1845. 
W. Jordan, Mathematische und geodätische Hülfstafeln, Stuttgart 1878; 9. Aufl. 
Hannover 1895. 


50. Weitere Literatur. 161 


IV. Ephemeriden °°®), 
Eine Ephemeride erscheint in Bänden, die je nur für ein im Titel genanntes 
Jahr gelten, bis zu 5 Jahren im voraus. Eine Auswahl unter denen, die heute 
noch bestehen, sei hier mit Angabe des ersten Geltungsjahres mitgeteilt. 


1679: Connaissance des temps ou des mouvements celestes, pour le meridien de 
Paris, pour l’an..., Paris. 

1767: The Nautical almanac and astronomical ephemeris for the year.. , for the 
meridian of the Royal Observatory at Greenwich, Edinburgh (bis 1902 London). 

1776: Berliner astronomisches Jahrbuch für... mit Angaben über die Opposi- 
tionen der Planeten (1)— --: für... Herausgegeben von dem königl. astro- 
nomischen Rechen-Institut, Berlin. 

1792: Almanaque ndutico para el aüo ...., San Fernando. 

1798: Annuaire pour lan... ., publi& par le Bureau des longitudes, Paris. 

1852: Nautisches Jahrbuch oder Ephemeriden und Tafeln für das Jahr... .., Berlin. 

1855: The American Ephemeris and Nautical almanac for the year..., Washington. 

1862: W. Ludolph, Kleines nautisches Jahrbuch für... ., Bremerhaven. 

1869: Mittlere Örter von 622 Sternen und scheinbare Örter von 450 Sternen 
nebst Reduktionstafeln für das Jahr... (Sonderabdruck aus dem Berliner 
astronomischen Jahrbuch), Berlin. 

1887: Astronomisch-nautische Ephemeriden für das Jahr ... (deutsche Ausgabe) 
Triest; Effemeridi astronomico-nautiche per l’anno ..., Trieste. 


V. Nautische Astronomie. 
a. Lehrbücher und Monographieen. 


F. Schaub, Leitfaden für den Unterricht in der nautischen Astronomie, Triest 
1853; 3. Aufl. bearb. von E. Geleich, Wien 1878. 

W.v. Freeden, Handbuch der Nautik und ihrer Hülfswissenschaften, Olden- 
burg 1864. 

H. Faye, Cours d’astronomie nautique, Paris 1880. 

Sir William Thomson [Lord Kelvin], Popular lectures and addresses, vol. 3: Navi- 
gational affairs, London and New York 1891. 

W. Doellen, Aufruf zur Umgestaltung der nautischen Astronomie, Dorpat 1893 
nebst Anhang 1896 [Festschrift zu Wühelm Struve's 100. Geburtstag]. 

J. B. Guilhaumon, Elements de cosmographie et de navigation precddes de 
notions de trigonometrie spherique, 2. ed. Paris-Nancy 1897. 

@. Naccari, Astronomia nautica, Milano 1898 (Manuali Hoepli). 

L. de Ribera y Uruburu, Tratado de Navigaciön, Madrid 1903. 


b. Tafelwerke. 


@. Margetts, Horary tables, London 1790. 

J. de Mendoza y Rios, Colececion de tablas para varios usos de la navigacion, 
Madrid 1800; Edicion corregida y augmentada por J. J. Martinez de Espinosa 
y Tacon, 2 vols., Madrid 1850. Vgl. Conn. des temps pour 1808, p. 443 ff. 


356) Über Ephemeriden vgl. p. 67 und p. 69, in historischer und kri- 
tischer Hinsicht auch W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, Breslau 
1897—1902, 3° (1901), p. 461—464, in bibliographischer J. ©. Houzeau et 
4A. Lancaster, Bibliographie generale de 1l’Astronomie, Bruxelles 1882-89 
(Houzeau- Lancaster), 1 (1887), Nr. 14339—15880. 

Enceyklop. d. math. Wissensch. VI2. 11 


162 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung. 


J.W. Norie, A complete set of nautical tables, London 1803; A new and complete 
epitome of practical navigation, 13' ed. London 1852. 

F. Domke, Nautische, astronomische und logarithmische Tafeln, Berlin 1852; 
10. Aufl. neu bearbeitet von ©. Canin, 1900. 

A. Breusing, Nautische Hülfstafeln, Bremen 1860; 7. Aufl. neu herausgegeben 
von (©. Schilling, Leipzig 1902. 

W.v. Freeden und 7. Köster, Nautische Hülfstafeln, Oldenburg 1862. 

W. Ligowsky, Sammlung fünfstelliger logarithmischer, trigonometrischer, nauti- 
scher und astronomischer Tafeln, Kiel 1873; 4. Aufl. 1900. 

Sir William Thomson [Lord Kelvin], Tables for facilitating Sumner’s method at 
sea, London and Glasgow 1876; übersetzt (Tafeln zur Erleichterung der An- 
wendung ...) Berlin 1877. 

H. 8. Blackburne, A and B Tables for correcting the longitude and facilitating 
Sumner's method on the chart, to be used also as azimuth tables, London 
1883; 31 ed. 1903. 

Terry y Rivas, Tablas de azimutes, Madrid 1884. 

E. Guyou, Tables de poche donnant le point observe et les droites de hauteur, 
Paris und Nancy (bei Berger-Levrault) 1884. 

©. Decante, Tables d’azimut pour tous les points situes entre les cercles polaires 
et les astres dont la declinaison est comprise entre 0° et 48°, 7 vols., Paris 
1889 — 1892. 

H. Brunswig, Nautisches Allerlei, Hamburg 1898. 

Ü. Behrmann, Nautische, astronomische, logarithmische und meteorologische 
Tafeln, 3. Aufl. Elsfleth 1900. 

E. Knipping, Seetafeln, Hamburg 1903. 


(Abgeschlossen im Oktober 1904.) 


VI 2,4. CO. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 163 


VI2,4. THEORIE DER UHREN. 


Von 
C. ED. CASPARI 


IN PARIS. 


Inhaltsübersicht. 


1. Allgemeines. 

2. Freies Pendel. 

3. Kompensationspendel. 

4. Isochronismus der Chronometerspirale. 
5. Kompensationsunruhe. 

. Die Hemmung. 

7. Störungen des Pendels. 

8. Störungen der Chronometer. 
9. Räder- und Triebwerk. 

10. Zeitübertragung. 

11. Gangformeln. 

12. Geschwindigkeitsregulatoren. 


Literatur. 


Collection de m&moires relatifs ä la physique, publies par la Soc. Frangaise de 
Physique, tome 4 (1889) et 5 (1891): [C. Wolf] Me&moires sur le pendule 
(Collection). 

F. W. Bessel, Untersuchungen über die Länge des einfachen Sekundenpendels, 
Berl. Abh. für 1826 (Berlin 1828/29) — Bessel, Abhdl. 3 (1876), p. 139 = Ost- 
walds Klassiker Nr. 7, Leipzig 1889 — Collection 4, p. 124 (Bessel, Sekunden- 
pendel 1826). 

U. Jürgensen, M&moires sur l’horlogerie exacte, recueillis par son fils L. U. Jür- 
gensen, Paris 1832. 

Ed. Phillips, M&moire sur le Spiral reglant des Chronometres et des montres, 
Annales des mines (5) 20, Paris 1861, p. 1—107 (Phillips, Memoire 1861). 
Abgedruckt in: J. de math. (2) 5 (1860), p. 313ff. [gekürzt] und in: Paris 
mem. pres. (3) 18 (1868). 

A.J. Yvon-Villarceau, Recherches sur le mouvement et la compensation des 
chronometres, Obs. de Paris ann., m&m.7, Paris 1862 (Villarceau, Recherches 1862). 

M. Immisch, Prize Essay on the Balance Spring and the Isochronal Adjustments, 
London 1872. Deutsch: Der Isochronismus der Spiralfeder, Weimar 1873, 
2. Aufl. 1879. 

H. Resal, Trait& de M&canique generale (3 tomes, Paris 1873 — 76), tome 3 (Resal, 
Mee. gen. 3). 

31° 


164 VI2, 4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


Ed. Caspari, Etudes sur le mecanisme et la marche des chronom£tres, Parıs 
1877 (deutsch von E. Gohlke, Bautzen 1893). 

Yvon Villarceau et- A. de Magnac, Nouvelle Navigation astronomique, Paris 1877 
(Villarceau - de Magna). 

M. Großmann, Der freie Ankergang für Uhren, 2. Auflage 1896. 

E. Geleich, Skizze einer Geschichte der Chronometer, Berlin 1886. 

Congres international de chronometrie de 1889. Comptes rendus publies par 
Ed. Caspari, Paris 1890 (Congres 1889). 

L. Lossier, Etude sur la theorie du reglage des montres (Journal Suisse d’hor- 
logerie, Gen&ve 1890), Geneve 1890. 

Ed. Caspari, Les chronom£tres de Marine, Paris 1894. 

Congres international de chronometrie de 1900. Comptes rendus publies par 
E. Fichot et P. de Vanssay, Paris 1902 (Oongres 1900). 


In Bezug auf die technische Seite vgl. ferner: 
L. Ambronn, Handbuch der astronomischen Instrumentenkunde, 2 Bände, Berlin 
1899 (Ambronn). 
Ü. Stechert, Artikel ‚‚Chronometer“ in: Valentiner, Handwörterbuch 1 (1897), p. 625 
(Stechert). 
E. Gerland, Artikel „Uhr, Pendeluhr“ in: Valentiner, Handwörterbuch 4 (1902), 
p- 1—41 (Gerland). 


Für Literatur über das Pendel vgl. den Artikel IV 7 (Furtwängler). 


Bezeichnungen. 


Winkel, um den ein drehbarer Körper zur Zeit t aus der Gleich- 
ksiähieläge herausgedreht ist. 

Maximum von « oder Schwingungsamplitude. 
Schwingungsdauer —# Periode, 

Länge des einfachen Pendels. 

Länge des Sekundenpendels. 
Schwerebeschleunigung. 

Trägheitsradius in Bezug auf den Schwerpunkt. 
Trägheitsmoment der Chronometerunruhe. 
Elastizitätsmodul für Zug. 

Trägheitsmoment des Querschnitts einer Lamelle. 
Biegungsmoment. 

Länge der Spiralfeder. 

Krümmungsradins. 

Temperatur in Celsiusgraden. 
Ausdehnungskoeffizient. 


Ss 


u 


Bi >; 
| 
sort yhrea m «NS 


l. Allgemeines. Eine Uhr besteht im allgemeinen aus dem 
Regulator, der Hemmung, dem Räderwerk und dem Triebwerk. Der 
Regulator ist ein Körper, der eine alternierende Rotationsbewegung 
ausführt (Pendel; System Unruhe — Spiralfeder). Die Pendel schlagen 
gewöhnlich die Sekunde, seltener 0°.5. Die Marinechronometer geben 
0°,5, manchmal 0°.4 und seltener "/,*. 


1. Allgemeines. 165 


Wir verstehen unter Schwingungsdauer die Zeit zwischen zwei 
aufeinander folgenden Durchgängen durch die Gleichgewichtslage (den 
toten Punkt); dieselbe ist in Wirklichkeit nicht immer genau gleich 
dem Intervall zwischen zwei aufeinander folgenden Elongationen. Die 
„Schwingungsdauer“ ist nicht mit der „Periode“ zu verwechseln, 
welche ihr Doppeltes ist. 

Bei den Pendeluhren ist das mittlere Intervall der Schläge gleich 
der Schwingungsdauer, bei den Uhronometern mit freiem Echappe- 
ment umfaßt dasselbe eine volle Periode, zwei Schwingungsdauern, 
Hin- und Hergehen, 

Die Periode muß konstant und unabhängig sein von den Ein- 
flüssen des umgebenden Mittels und äußerer Kräfte; das versteht man 
unter Isochronismus. 

Die Hemmung verwandelt die alternierende Bewegung des Regula- 
tors in eine kontinuierliche und periodisch gleiehförmige, welche sich 
auf das zählende Räderwerk überträgt, das seinerseits die Zeiger in 
Bewegung setzt. 

Das Triebwerk hat den Zweck, die Bewegung in Gang zu halten. 
Die zum Umdrehen der Zeiger nötige Arbeit ist gegenüber den 
Reibungswiderständen zu vernachlässigen. Man kann also die Uhren 
als Maschinen betrachten, deren Nutzeffekt null ist. 

Damit eine alternierende Rotationsbewegung isochron sei, genügt 
es, daß die den Regulator treibende Kraft stets dem Winkel « pro- 
portional sei, um den sich dieser aus der Gleichgewichtslage entfernt 
hat. Diese Bedingung ist hinreichend, aber, wie sich zeigen wird 
(p. 174), nicht notwendig, indessen ist sie in Praxis bei Pendeln, wie 
Spiralfedern, immer sehr angenähert erfüllt. 

Die störenden Einflüsse sind im allgemeinen klein, und daher 
knüpft sich das Studium der Bewegung an das einer Gleichung der 
Form: 

2 

(1) Ze tu U, 

wobei U als eine kleine Größe erster Ordnung zu betrachten ist. 
Ausgehend von dem bekannten Integral der homogenen Gleichung 
behandelt man die inhomogene nach den üblichen Approximations- 
methoden. Am bequemsten ist die Methode der Variation der Kon- 
stanten, die zuerst Ed. Phillips auf unser Problem anwandte; ebenso hat 
man sich mit Erfolg der Methode der Reihenentwicklungen bedient. 
Insbesondere ist die geometrische Darstellung der geradlinigen Be- 
wegung als Projektion einer gleichförmigen kreisförmigen hervor- 
zuheben, bei welcher Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sowohl, 


166 VI 2,4. O. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


wie die durchlaufenen Räume eine einfache Deutung finden. Wenn 
U Funktion von « allein und unabhängig von der Geschwindigkeit 


er ist, besteht das Integral der lebendigen Kraft. Man wird ferner- 


hin sehen, wie F.W. Bessel das benutzt hat. 

In Rücksicht auf die Kleinheit der Störungen darf man im all- 
gemeinen das Prinzip der Superposition kleiner Bewegungen an- 
wenden. Man behandelt dabei jede Störung so, als ob sie allein vor- 
handen wäre, und addiert zum Schluß algebraisch die einzeln be- 
rechneten Wirkungen. Es heißt dies, die Störungen als von erster 
Ordnung klein betrachten und Größen höherer Ordnung vernach- 
lässigen. 

Man wird im allgemeinen nicht alle Eigentümlichkeiten der Be- 
wegung zu untersuchen haben, sondern sich mit der Bestimmung der 
Schwingungsdauer oder auch nur der Dauer einer ganzen Periode 
begnügen können. Es ist in der Tat nicht nötig, daß die Bewegung 
völlig symmetrisch ist, daß der Ausschlag nach der einen Seite genau 
so viel Zeit braucht, wie der Ausschlag nach der andern Seite. 
Letzteres gilt insbesondere für Chronometer. 

Die Theorie des Räderwerks ist eine rein kinematische Aufgabe, 
die des Regulators und der Hemmung ist physikalisch-mechanischer 
Natur. In den meisten Fällen wird man sich in letzterer Hinsicht 
der elementaren Behandlung bedienen können; so wird man in der 
Elastizitätstheorie statt der sogenannten strengen Gleichungen die 
Prinzipien der Festigkeitslehre verwenden dürfen, um so mehr, als z. B. 
die Deformationen der Spirale nicht unendlich klein sind, wie es die 
mathematische Elastizitätstheorie voraussetzt. Man benutzt ferner die 
bekannten Gesetze der Reibung fester Körper und die üblichen Luft- 
widerstandsgesetze. Die Theorie wird daher für gewöhnlich nur 
Formeln liefern können, die durchaus noch der Bestätigung durch 
das Experiment bedürfen. 


2. Das freie Pendel. Das einfache Pendel ist ein schwerer 
Punkt, der sich ohne Reibung auf einem in einer Vertikalebene 
liegenden Kreis vom Radius / bewegt. Die Gleichung: 


(2) 1 +gsinu—0, 
welche diese Bewegung bestimmt, hat zum Integral: 
sin zu == sin Zw a(tYVE), 


die Zeit t vom Durchgang durch die Gleichgewichtslage an gerechnet. 


2. Freies Pendel. | 167 


Die zwischen den Maximalelongationen + «” liegende Schwingungs- 
dauer ist gegeben durch: 
2 -1-3- 

(3) T— 2KV!=aV-[ı+ (5) sin? zw Ha int t) 
wobei K das vollständige elliptische Integral 1. Gattung ist. 

Der Isochronismus besteht also nur für unendlich kleine Schwin- 
gungen. Eine durch ein Pendel regulierte Uhr wird bei wachsender 
Amplitude im Tag um die folgende Anzahl von Sekunden nachgehen: 





Für “ = 0%0 0:00 
0.5 -0.42 
1.0 1.66 
1.5 3412 
2.0 6.60 
2.5 10.32 
3.0 14.88. 


Was das Schwingungsgesetz für ein physisches („zusammengesetztes“) 
Pendel angeht, das frei im leeren Raum um eine feste Achse schwingt, 
2 


so genügt es, in der obigen Formel ! durch «+ = zu ersetzen 


(a Abstand des Schwerpunkts von der Achse, k Trägheitsradius in 
bezug auf eine durch den Schwerpunkt gehende Parallele zur 
Aufhängungsachse). Der Schnittpunkt einer Parallelen zur Auf- 


hängungsachse im Abstand « + = von der letzteren mit der Median- 


ebene heißt „Schwingung niit (Huygens). Bekanntlich sind 
Aufhängepunkt und Schwingungsmittelpunkt reziprok zueinander, ein 
Umstand, auf dem das Reversionspendel beruht. 

Es existiert eine äußerst umfangreiche Literatur über die Ver- 
wendung des freien Pendels zu Schweremessungen (IV 7 (Furtwängler), 
Nr. 11—16). Diese Arbeiten gehören nicht eigentlich zu unserem 
Thema, weil sie sich auf ein ohne Hemmung schwingendes Pendel be- 
ziehen, dessen Bewegung also nicht automatisch registriert wird, doch 
haben sie auch manche Resultate für die Theorie der Uhren ergeben. 

Aufhängung. Infolge der Reibungswiderstände können -die Ampli- 
tuden weder unendlich klein sein, noch konstant bleiben. Um trotz- 
dem den Isochronismus herbeizuführen, hilft man sich durch geeignete 
Aufhängungsarten. Die gebräuchlichste und beste besteht darin, das 
Pendel mit der festen Achse durch eine Feder — eine gewöhnlich 
sehr kurze elastische Lamelle — zu verbinden. Die Theorie dieser 
RR ist von Bessel entwickelt worden‘). Die Bewegungs- 


1) F. W. Bessel, Astr. Nachr. 20 (1843), p. 153 = Bessel, Abhdl. 2 (1876), p. 91. 


168 VI 2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


gleichung wird dort nach dem d’Alembert’schen Prinzip aufgestellt, 
die Längen des Pendels und der Feder werden konstant, die elasti- 
schen Kräfte proportional der Krümmung der Feder gesetzt, und 
deren höhere Potenzen werden vernachlässigt. Man findet dabei das 
Integral der lebendigen Kraft in der allgemeinen Form: 


(4) c=[1+ 2] (5) — 2n’[eos u + fu)], 


wobei 
(5) fwW)=«+ asindu + a"sin?4u-+ --- 
f (u) = ß + B’ sin 4u + BP’ sin? 4u + -- 
kleine Größen von der Ordnung der Störungen sind, deren höhere 


Potenzen man vernachlässigen darf. Die Länge des mit dem wirk- 
lichen Pendel ae Pendels findet sich dann zu: 


ee 


In unserem dien Falle ergibt sich für ! ein a komplizierter 
Ausdruck, der von den Dimensionen und der Elastizität der Feder, 
sowie dem Gewicht des Pendels abhängt und einen dem Quadrat der 
Amplitude « proportionalen Term enthält. Experimentell ist der- 
selbe von Laugier und Winnerl?) verifiziert worden. Wir führen 
hier die Dauer von 2000 Schwingungen in Sekunden Sternzeit für 
drei Pendel bei Amplituden von 1°, 3° und 5° an: 


Gewicht der Pendellinse. Federlänge. “= 1 | Ww=3 W=50 





2 kg Imm 1977°.0 | 1975,86, 1974,37 
"ie 8, 19094 6 2024,99 2024,99 
u .34...12034,81| 2084,92, 2034,99. 


Die zweite Kombination ist merklich isochron. 

F.W. Bessel hat auch die Aufhängung an einem auf einem Zylinder 
abrollenden Faden studiert. Vernachlässigt man die Elastizität des Fadens, 
so ist die Länge des synchronen einfachen Pendels gleich der vertikalen 
Ordinate des Schwingungsmittelpunktes vom Zylindermittelpunkt an ge- 
rechnet. Berücksichtigt man die mehr oder weniger vollkommene Elasti- 
zität des Fadens, so muß man Hypothesen machen über die Art, in der 
er sich dem Zylinder anschmiegt, und die Diskussion wird schwieriger’). 

Der Einfluß der Hemmung, der Widerstände, der Aufhängung 
an einer Schneide wird unten behandelt (Nr. 6 und 7). 

Der Uhrmacher reguliert das Pendel, indem er die Federlänge 


9 P. A. E. Laugier, Paris C. R. 21 (1845), p. 117. 
3) Bessel, Sekundenpendel 1826. 


3. Kompensationspendel. 169 


ändert und die Linse verschiebt. Die letzten Gangkorrektionen werden 
mit Hilfe kleiner Aufsatzgewichte bewirkt oder auch durch Verschie- 
bung einer beweglichen Masse längs der Pendelstange. Die Rechnung 
zeigt, daß ein Zusatzgewicht in gleichem Abstand vom Drehpunkt 
und Schwingungsmittelpunkt ein Maximum des Einflusses hat. 


3. Kompensationspendel. Die Dimensionen eines homogenen 
Pendels hängen von der Temperatur ab. Dadurch verschiebt sich der 
Schwerpunkt und das Trägheitsmoment ändert sich, was beides die 
Länge des synchronen einfachen Pendels ändert. Zur Beseitigung dieser 
Wirkung setzt man den schwingenden Körper aus Stücken von ver- 
schiedenem Ausdehnungskoeffizienten zusammen. 

Die üblichsten Anordnungen sind: 1) Das Rostpendel, eine schwere 
Linse, die an einem Gestänge von Stäben aus verschiedenen Metallen 
hängt. 2) Das Quecksilberkompensationspendel, Stab aus einem Metall, 
der ein mit Quecksilber gefülltes Gefäß trägt. 3) In den letzten 
Jahren hat man Pendel aus Nickelstahi, sogenanntem „Invar“ kon- 
struiert, der einen sehr geringen Ausdehnungskoeffizienten besitzt, 
welcher durch eine Linse aus Messing oder aus gewöhnlichem Stahl 
kompensiert wird. 

Die Länge des synchronen Pendels: 

o aan 

ist der Quotient aus dem Trägheitsmoment durch das statische Moment. 
Damit sie konstant bleibt, muß ihre Derivierte nach der Temperatur 
für alle Werte der letzteren verschwinden. Es genügt also nicht, 
wie man es lange gemacht hat, a konstant zu halten, da die Konstanz 
von a noch nicht die von k mit sich zieht. Das Problem besteht in 
aller Allgemeinheit darin, a und k als Funktionen der Temperatur 0 
auszudrücken und die Koeffizienten der verschiedenen Potenzen von ® 
zum Verschwinden zu bringen. Das liefert die für die Kompensation er- 
forderlichen Bedingungen zwischen den Dimensionen der Stücke, ihren 
Ausdehnungskoeffizienten usw. Ein Beispiel hat E. Anding*) gegeben 
mit Anwendung auf die Kompensation einer Riefler'schen Pendel- 
uhr. Als Unbekannte wählt man die verfügbaren Abmessungen, und die 
Rechnung reduziert sich auf die Lösung einer Anzahl numerischer 
Gleichungen. Die Rechnungen sind elementarer Natur, die Koeffi- 
zienten setzen sich nur aus Trägheitsmomenten zusammen, die auf 
bekannte Art zu berechnen sind. In Wirklichkeit greift man aber 
das Problem nicht in dieser Allgemeinheit an, man gibt vielmehr 


4) E. Anding, Astr. Nachr. 133 (1893), p. 217. 


170 VIa,4. 0. Ed. Caspari. 'T'heorie der Uhren. 


von vornherein die allgemeine Anordnung des Pendels und die variier- 
baren Stücke. Auch dann sind die Rechnungen noch lang, besonders 
wenn man die zweiten Potenzen der Dilatation berücksichtigen will, 
und die direkte strenge Lösung ist nicht möglich, wie Faddegon ge- 
zeigt hat?). 

Ein anderes Beispiel aus einer Arbeit von Oudemans®) möge den 
zu befolgenden Gang andeuten. Es handelt sich um ein Pendel mit 
Quecksilberkompensation, an dem zu gleicher Zeit ein Krüger’sches 
Manometer‘) zur Beseitigung des Einflusses der Luftdruckschwankungen 
angebracht war (s.Nr.7c,p.179). Auf Grund der gegebenen Abmessungen 
des Pendels selbst bestimmt eine erste Rechnung, wieviel Quecksilber 
man zugießen muß, damit das Pendel Sekunden schlägt. Dann führt 
man das Manometer in die Rechnung ein und fragt, um welchen Be- 
trag das Quecksilbergefäß zu senken ist, um die Schwingungsdauer 
von 1 Sekunde wiederherzustellen. Mit diesen Elementen berechnet 
man die Gangänderung des Pendels für 1° Temperaturerhöhung. 
Schließlich stellt man die Bedingungen für das Verschwinden dieser 
Gangänderung unter Wahrung der Schwingungsdauer auf, wobei man 
als Unbekannte drei Größen einführt, einen Zusatz an Quecksilber, 
eine Verschiebung des Manometers und eine des Quecksilberbehälters. 
Diese Gleichungen werden durch allmähliche Annäherungen gelöst, 
wobei für gewöhnlich die zweite genügen würde. Oudemans ist bis 
zur vierten gegangen. 

Neben der mittleren Temperatur des Raumes, in dem sich das Pendel 
befindet, kommt noch die Änderung der Temperatur mit der Höhe 
(„Temperaturschichtung“) in Frage, wie B. Wanach?) untersucht hat. 

Für Pendel aus „Invar“ (Nickelstahl mit sehr geringem Aus- 
dehnungskoeffizienten) verringern sich die Einflüsse und vereinfachen 
sich die Rechnungen’). 

Faktisch lassen sich die Temperaturkompensationen in großer 
Vollkommenheit ausführen und geschickte Künstler erreichen mit 
Sicherheit eine Gangdifferenz von weniger als 0°5 zwischen den 
extremsten Temperaturen. Aus einer Zusammenstellung von J. Hart- 
mann) erhellt z. B., daß von 27 Pendeluhren nur fünf eine Gang- 


5) J.-M. Faddegon, Congres 1900, p. 16. 

6) J. A. ©. Oudemans, Astr. Nachr. 100 (1881), p. 17. 

7) A. Krüger, Astr. Nachr. 62 (1864), p. 279. 

8) B. Wanach, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 97. 

9) Siehe Oh. Ed. Guillaume, Congres 1900, p. 90—112. 

10) J. Hartmann, Über den Gang einer mit Riefler'schem Pendel ver- 
sehenen Uhr, Leipzig Ber. (matb.-phys. Cl.) 49 (1897), p. 664. 


4. Isochronismus der Chronometerspirale. 171 


änderung größer als 0°.025 für 1° ©. zeigen. Die Proportionalität 
zwischen den Gangänderungen und der Temperatur besteht innerhalb 
der Genauigkeitsgrenze astronomischer Zeitbestimmung. 


4. Isochronismus der Chronometerspiralen. Die Benutzung der 
Spiralfeder als Regulator geht auf Ohr. Huygens zurück. Die ersten zu 
diesem Zweck verwandten Federn hatten die Form von Archimedischen 
Spiralen, wie sie sich noch für Taschenuhren erhalten hat. Für Marine- 
chronometer adoptiert man jetzt die Form der regulären Zylinder- 
schraube. Der Querschnitt des Drahtes ist kreisförmig oder öfter 
rechteckig mit der Breitseite parallel der Schraubenachse. 


Schwingungsgleichung der zylindrischen Spirale. 

Man betrachtet die Feder als auf die neutrale Linie (Ort der 
Sehwerpunkte der einzelnen Querschnitte) reduziert und nimmt nach 
der Festigkeitslehre an, daß das Drehmoment der elastischen Kräfte 
der Änderung der Krümmung für jedes Element proportional ist. 

Phillips und Resal‘') haben gezeigt, daß, wenn der ursprüng- 
liche Querschnitt kreisförmig ist und die angreifenden Kräfte sich 
auf ein Kräftepaar reduzieren, die Theorie der neutralen Linie zu 
Ergebnissen führt, die mit denen der strengen Elastizitätstheorie 
übereinstimmen. 

Indem wir die schwache Steigung der Spiralen vernachlässigen, 
werden wir jede von ihnen als einen Kreis, der normal und konzen- 
trisch zur Achse der Unruhe liegt, betrachten. Wir beziehen die 
Spirale auf drei rechtwinklige Achsen, OZ falle mit der Figurenachse 
zusammen. Die Feder ist mit ihrem einen Ende an der „Platine“ 
des Chronometers, mit dem andern an der Spiralrolle der Unruhe be- 
festigt. Dreht man daher die Unruhe um den Winkel « aus ihrer 
Gleichgewichtslage, so wird die totale Variation der Krümmung der 
Spirale gleich « sein. Die an dem einen Ende der Spirale angreifen- 
den Kräfte zerlegt man in ein Kräftepaar @ und in eine Kraft mit 
den Komponenten X, Y, (Z= 0), welch letztere dem Druck der Un- 
ruhe auf ihre Achsenlager gleich ist. Bezeichnet man mit g und @, 
den tatsächlichen und den anfänglichen Krümmungsradius, mit « und 
y die Koordinaten eines Punktes der Spirale, mit x, und y, die ihres 
Schwerpunktes, so genügt das von der Unruhe auf die Spirale aus- 
geübte Drehmoment @ der Gleichung: 

(8) .(-—-)=@+(Y2 — Xy) 


e % 


11) Phillips, Memoire 1861, p. 95. — Resal, Mec. gen. 3, p. 456 ff, 


172 VIe,4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


Multipliziert man hier mit ds und integriert über die ganze Länge 
der Spirale, so folgt: 


wu GL+L(Ya, — Xy) 


Vernachlässigt man daher die geringe Masse der Spirale, so wird die 
Bewegungsgleichung der Unruhe: 
d’u 

(9) Ays=-- Tin Yu 

Isochronismus durch Endkurven. Sätze von Ed. Phillips'?). 

Phillips nimmt sich vor, die Terme Xy, — Yz, zum Verschwinden 
zu bringen, indem er den beiden Enden der Spirale eine von der 
Kreisform abweichende Gestalt gibt. Die reduzierte Gleichung: 

d? 

(10) Aı=-H 
führt dann zu einer isochronen Bewegung. 

Jene Terme verschwinden, wenn X und Y ständig verschwinden. 


Man hat also auszudrücken, daß bei der Deformation der Spiralen 
nach dem Gesetz - — 2 = - das heißt, wenn in jedem Punkte der 
Spirale die Krümmungsänderung dem Ausschlagwinkel proportional 
bleibt, die Bedingungen für die Lagerung der Enden erfüllt sind. 
Tut man das, so findet man'?): 1) Der Schwerpunkt jeder End- 
kurve muß auf dem Radiusvektor liegen, der senkrecht steht auf dem 
Radiusvektor des Ansatzpunktes der Endkurve an die Spirale. 2) Die 
Distanz dieses Schwerpunktes von der Achse der Spirale muß eine 
dritte Proportionale zwischen der Länge ! der Endkurve und dem 


Radius o, der Spirale sein: 
et 3%, 2 
ve Ey % E37 n. 
3) Der Schwerpunkt der ganzen Feder im spannungsfreien Zustand 
muß in die Achse der Unruhe fallen. Er bleibt dann auch während 
der Bewegung dort in solcher Weise, daß nicht nur X und Y, sondern 


auch &,, %, zu vernachlässigen sind. 
Unter diesen Bedingungen wird die Schwingungsdauer: 


aı) T-ay“8. 


Phillips bestimmt seine Kurven graphisch durch methodische Ver- 
suche. Guillaume hat ein mechanisches Verfahren für ihre Konstruk- 
tion angegeben '?). 


12) Phillips, Memoire 1861, p. 24—27. — Resal, Mec. gen. 3, p. 460 f. 
13) Oh. Ed. Guillaume, Congres 1900, p. 195—197. 


4. Isochronismus der Chronometerspirale. 173 


Phillips hat die konzentrische Abwicklung seiner Spiralen experi- 
mentell bestätigt, er hat ferner mit einer elastischen Wage die Pro- 
portionalität zwischen der Kraft und dem Elongationswinkel « im 
Gleichgewichtszustand geprüft und schließlich auch die Genauigkeit 
der Formel (11) festgestellt'*). 

Isochronismus durch Längenabstimmung. 

Pierre Leroy und F. Berthoud stellten den Isochronismus her, 
indem sie der Spirale eine geeignete Länge gaben. 

Indem ich voraussetzte'°), daß die Spirale in der Ruhelage eine 
vollkommene Schraube ist und sich bei der Bewegung, wie das Ex- 
periment zeigt, nur wenig von dieser Form entfernt, habe ich die 
Werte von X, Y, &,, %, berechnen können, die einem gegebenen 
Winkel « entsprechen. Führt man diese Ausdrücke in die Bewegungs- 
gleichung ein, so wird diese 

d’u 2 2 — 2 cos u sin 

rn] 

p bedeutet den. ganzen Winkel der Schraube zwischen den beiden 
Fassungen, in der Ruhelage gezählt und in Bogenmaß gemessen. Es 
ist also L=po,. Ferner ist 9, =p-- u. Das Glied rechter Hand 
ist sehr klein, da p nahe gleich 20% ist, d. h. da die Spiralen im 
allgemeinen 10 Windungen haben. Wendet man daher die Methode 
der Variation der Konstanten an, so folgt als Korrektion der Schwin- 


gungsdauer (11): 
det=— - [1 + (wW I!) — IPw)) eos p]. 





I’ und I! sind die Bessel’schen Funktionen (s. unten). Diese Gleichung 
ist genau bis auf Glieder von der Ordnung zer Man sieht, daß dr 


unabhängig von der Amplitude w wird, wenn cosp=(0 oder 
p=2na + — Jede Spirale besitzt also unter rechtem Winkel 


gegen die feste Fassung zwei gegenüberliegende Stellen, welche zum 
Isochronismus führen. 


Man beachte, daß die Gleichung (12) für p = 2naz + 7 über- 
8 wg: 


geht in: 





au uu 2 (2 + sinu + u cos u) 
a y | 


Das Drehmoment ist hier nicht proportional u. Diese Bedingung ist 








14) Phillips, M&moire 1861, p. 88, 88ff., 76 ff. 

15) C. Ed. Caspari, Etudes sur le M6canisme et la marche des Chronomötres, 
in: Recherches sur les Chronome£tres et instruments nautiques 11, Paris 1877. 
Deutsch von E. Gohlke, Bautzen 1893. 


174 VI2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


also, obwohl hinreichend, so doch nicht notwendig für den Isochronismus, 
wie sehon oben (p. 165) erwähnt wurde. 
Es sei noch daran erinnert, daß: 


zt at 
+ +2 


zI’(u) = | cos(usinp)dp, zI!(u) = | sin p sin (u sin p) dp. 


ze 
2 


2 

Einfluß der Masse der Spirale. Dieser im vorhergehenden noch 
vernachlässigte Einfluß läßt sich auswerten für Spiralen mit konzen- 
trischer Abwicklung. Nimmt man an, daß die Winkelgeschwindig- 
keit eines Punktes der Spirale der Länge des vom festen Ende an 
gerechneten Bogens proportional ist und fügt den hieraus folgenden 
Massendruck dem der Unruhe hinzu, so ergibt sich eine Bewegungs- 
gleichung, die auf ein elliptisches Integral führt. Durch Reihenentwick- 
lung erhalte ich folgendes hinreichend genaue Resultat'?): Bezeichnet 
ö? das Verhältnis des Trägheitsmomentes der Spirale zu dem der 
Unruhe, so ist die Schwingungsdauer: 


AL Be a 
m reale] 
Für eine Stahlspirale der üblichen Form, 10 mm Durchmesser, erhalte 


ich für einen Rückgang der Amplitude von . auf - eine Be- 
schleunigung von 1° pro Tag. Die Wirkung wäre 6 Mal größer für 
eine Goldspirale vom selben Radius. Sie ist übrigens der 4. Potenz 
des Radius proportional, so daß es sich empfiehlt, den Radius so 
klein wie möglich zu halten. Meine Experimente haben dieses Resultat 
qualitativ bestätigt, doch sind sie sehr schwierig. 

Andrade hat die Näherung weiter getrieben und gefunden, daß 


die obige Störung mit $ multipliziert werden muß. 


5. Kompensationsunruhen. Die Temperatur ist die hauptsäch- 
lichste Ursache der Änderung des Chronometerganges. Aus der 
Formel (11) folgt: 

(15) ee ra 

Bei einer Unruhe aus Messing und einer Spirale aus Stahl findet man 
für eine Temperaturerhöhung von 1° ein tägliches Nachgehen von 11°, 
wovon 2° auf die beiden ersten Glieder und 9° auf das letzte ent- 
fallen. Man sucht diesen Einfluß zu beseitigen allein mit Hilfe der 
Unruhe, indem man auf A wirkt. Die Unruhe besteht gewöhnlich 
in einem Rade mit im ganzen zwei diametral entgegengesetzten 
Speichen, der Umfang des Rades aus zwei verschiedenen, aneinander 


Li Fa 


5. Kompensationsunruhe. 175 


gelöteten Metallstreifen, Stahl innen und Messing außen. Eine Stahl- 
lamelle bildet die Speichen und dicht neben dieser Lamelle ist der 
Reif durchschnitten, so daß jeder Halbkreis an seinem Ende von dieser 
Lamelle getragen wird. Da nun die Ausdehnung des Stahls kleiner 
ist als die des Messings, so schrumpft die Unruhe bei wachsender 
Temperatur zusammen, wobei also A abnimmt. Die Uhrmacher 
richten es so ein, daß sie Ganggleichheit bei den extremen Tempera- 
turen, etwa 0° und 30° herstellen. Ist aber dies Resultat erreicht, so 
geht das Chronometer bei einer Temperatur von 15° um 2 bis 3 
Sekunden täglich vor. Man nennt das den sekundären Fehler. Der- 
selbe scheint hauptsächlich von dem zweiten Ausdehnungskoeffizienten 
der Metalle und der ungleichmäßigen Änderung des Elastizitätsmoduls 
abzuhängen (siehe unten). 

Um dA ausdrücken zu können, muß man die Formänderungen 
von Reifen aus zwei Metallen berechnen. Das hat Yvon Villarceau 
ausgeführt!®); er betrachtet zwei unendlich benachbarte Querschnitte 
eines Stabes und berechnet die Verlängerung eines zwischen ihnen 
eingeschlossenen Längsfadens. Indem er die Dickenänderung gegen- 
über der Längenänderung vernachlässigt, berechnet er die Spannungen, 
die aus dieser Deformation und aus dem Aneinanderhaften der durch 
Guß verbundenen Metalle hervorgeht, und schreibt die Bedingung 
dafür an, daß die Summe dieser Spannungen über den Querschnitt 
hin ar eg Er findet als Änderung der Krümmung der 
Trennungsfläche: 

(16) es 


wobei 





2 ed -+e (E" e’? en r „ 
Tr re) Be Fk 


Es bedeutet e die Dicke, E den Elastizitätsmodul, y den Ausdehnungs- 
koeffizienten, und die einfachen Akzente beziehen sich auf das innere 
weniger ausdehnbare Metall. Die größte Wirkung tritt ein, wenn: 
PR? 

E’ 


e 
ed’ 


und in diesem Falle gilt 


1 1 3 „ (4 
ne —Y)(@— ,). 
Ferner wird der ge der Trennungsfläche: 
FRI EAÄEN 
e+e 


Die Veränderlichkeit des Ausdehnungskoeffizienten mit der Temperatur 


16) Villarceau, Recherches 1862. 


176 VIl2,4. O. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


dr 


kann man einfach berücksichtigen, indem man » durch y + 36 0 


ersetzt. 

Ein Kreisring bleibt bei Änderung der Temperatur immer ein 
Kreisring. Ein gerader Stab krümmt sich zu einem Kreisbogen. In. 
jedem der Teilstäbe gibt es einen spannungslosen Längsfaden. 

Die vorstehenden Formeln gestatten die Änderungen der Träg- 
heitsmomente der verschiedenen Teile der Unruhe zu berechnen. Man 
kann dann für verschiedene Temperaturen die Werte der rechten 
Seite von (15) aufstellen, und indem man sie der Null gleich setzt, 
hat man die entsprechende Anzahl Bedingungsgleichungen zwischen 
den Ele#henten der Unruhe und der Spiralfeder. Die Beobachtung 
des Chronometers bei verschiedenen Temperaturen erlaubt die Werte 
der Änderungen ö A, öw und die Größe u selbst zu bestimmen. Jede 
Temperatur, mit korrespondierendem Gange in (15) eingesetzt, gibt 
nämlich eine Bedingungsgleichung. 

Yvon Villarceau deutet auch ein selbständiges Studium der Reife 
aus zwei Metallen durch optische Verfahren an '®). 

Phillips") hat sich näher mit dem sekundären Fehler (s. oben) 
beschäftigt und gezeigt, wie man ihn durch geeignete Wahl des Ma- 
terials der Feder und der Metalle der Unruhe herabmindern kann. Er 
hat sich auch die Aufgabe gestellt, den Anteil der Unruhe und der 
Spirale an diesem Fehler abzutrennen. Cellerier'®) hat gezeigt, daß er 
nicht allein der Unruhe zur Last fällt, sondern auch der Spirale. 

Was die Anwendungen betrifft, so sei auf die Berechnung der 
Unruhe Winner! mit ebenen Lamellen®®) hingewiesen, auf die An- 
deutungen von KRoze'”) und auf die erfolgreichen Versuche von 
Oh. Ed. Guillaume”) mit Spiralen und Unruhen aus Nickelstahl. Es 
würde zu weit führen, die sehr .mannigfaltigen Hilfskompensationen 
zur Vermeidung des sekundären Fehlers anzuführen, die man mit ver- 
schiedenem Glück versucht hat. Diese Hilfskompensationen sind im 
allgemeinen kleine Anhängsel an die Unruhe, die mit der Temperatur 
anders varlieren als die Unruhe selbst. Bei den alten Chronometern 
kann die Kompensation innerhalb 2° zwischen den Temperaturgrenzen 
von 0° und 30° verwirklicht werden, die neueren Versuche haben diese 
Grenze bis unter 0,5° heruntergedrückt. 


6. Die Hemmung. Die Hemmung stellt die Verbindung zwischen 
dem Regulator und dem Räderwerk her. Sie reguliert also den Gang 


17) Ed. Phillips, Paris ©. R. 90 (1880), p. 483, 561 et 649. 

18) @. Oellerier, Etude numerique des Concours de Compensation, Geneve 
Sociöt6 de physique et d’histoire naturelle, m&moires 29 (Geneve 1887), Nr. 6. 

19) Congres 1889. 


6. Die Hemmung. 7. Störungen des Pendels. 277 


des letzteren und überträgt auf der andern Seite soviel Arbeit des 
Triebwerks auf den Regulator, als nötig ist, dessen Bewegung trotz 
der Reibungswiderstände im Gang zu halten. Bei der freien Hemmung 
mit elastischen Federn berühren sich das Steigrad und der Regulator 
nur während der außerordentlich kurzen Dauer des Stoßes, das ist 
deshalb die wahre freie Hemmung. Bei der Ankerhemmung dauert 
die Berührung länger, findet aber auf kleineren Oberflächen statt, 
was die Reibung sehr vermindert. Sie findet bei jeder Schwingung 
statt, während bei der Chronometerhemmung die Unruhe den Stoß des 
Steigrades nur dann erhält, wenn sie wieder mit gleich gerichteter 
Geschwindigkeit zur gleichen Lage zurückkehrt, also nur einmal in 
einer vollen Periode. Villarceau‘®) betrachtet den Stoß als augen- 
blieklich, das Rad führt die Unruhe nicht. Diese Stoßtheorie gilt in 
Wirklichkeit nur annähernd. Beim Fehlen aller Reibungswiderstände 
und für einen isochronen Regulator sind die Dauer und Stärke des 
Stoßes ohne Einfluß auf die Schwingungsdauer und wirken nur auf 
die Amplitude. Die Sachlage ändert sich, wenn man auf die Dämpfung 
der Schwingungen durch die Reibungswiderstände Rücksicht nimmt 
(s. unten). Die Theorie hat hier insbesondere die Trägheitsmomente 
des Steigrades und der Unruhe zu betrachten. Zesal?) hat die 
Ankerhemmung unter Vernachlässigung der Reibung studiert und 
gezeigt, daß die Vermehrung der Winkelgeschwindigkeit des Regu- 
lators durch die Stöße des Ankers sehr gering ist, um so geringen, je 
größer die Schwingungsamplitude ist. 

Das Wichtigste ist die Stellung der Unruhe, in welcher der Stoß 
erfolgt, ein Punkt, auf den wir in Nr. 8 (p. 180) zurückkommen werden. 


7. Störungen des Pendels. Bessel?) hat die Formeln (4) und (6) 
auf die Untersuchung der verschiedenen Störungen des freien Pendels 
angewandt. 

a) Aufhängung an einer Schneide. Anstatt das Pendel auf einer 
gradlinigen Kante auf der Unterlage aufliegend zu denken, setzt man 
voraus, daß die Schneide durch einen Zylinder zweiten Grades bestimmt 
wird. Die Lösung für einen Kreiszylinder führt auf elliptische Inte- 
grale. Soweit mir bekannt, ist keine Anwendung auf Uhrenregula- 
toren gemacht. 

b) Einfluß der Unterlage. Bessel betrachtet die Schneidenaufhängung 
und nimmt an, daß es innerhalb der Schneide einen unbeweglichen 
Punkt gibt, in bezug auf welchen der Berührungspunkt sich ver- 
schiebt, mit andern Worten: der Berührungspunkt ist nicht Momentan- 


20) Resal, Mec. gen. 3, p. 477 f. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 12 


178 VI», 4. O. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


zentrum. Die Länge des synchronen Pendels ändert sich dann um 
eine Größe, die von der Amplitude abhängt. Er glaubte, auch ein 
Gleiten des Pendels auf der Unterlage zu beobachten, welches im 
Sinne”der Verlängerung des synchronen Pendels wirkt, ebenso wie 
später) Defforges?‘). Später hat man Bewegungen der Unterlage selbst 
nachgewiesen, die der Reaktion des bewegten Pendels entspringen. 
0.8. Peirce und @. Cellerier haben diesen Einfluß der Berechnung zu- 
geführt, indem sie die Verrückung der Unterlage proportional der Kraft 
setzten und die elastischen Schwingungen derselben vernachlässigten. 
Sie fanden eine Verlängerung des synchronen Pendels vom Betrage: 
di—=-, 

wobei p das Gewicht des Pendels und & das Verhältnis der Verrückung 
zur wirkenden Kraft ist. Für Zwecke der Schweremessung kann man 
beide Wirkungen der Schneide und der Unterlage dadurch eliminieren, 
daß man mit zwei Pendeln von gleichem Gewicht aber ungleicher 
Länge arbeitet??). Defforges”') hat auch vorgeschlagen, die Wirkung 
der Unterlage zur Regulierung eines Pendels auf der Reise zu be- 
nutzen, indem man ihm eine elastische Unterlage von veränderlicher 
Länge gibt. 

c) Einfluß des umgebenden Mittels. Es handelt sich hauptsächlich 
um die Wirkungen der Veränderung des Luftdrucks auf den Gang, 
Der Verlust an lebendiger Kraft durch die fortwährenden Stöße der 
Moleküle gegen das Pendel bewirkt eine Verminderung der Amplitude, 
welche die Schwingungsdauer ebenso wenig ändert, wie die Reibung. 
Die Wirkung des umgebenden Mittels besteht zunächst in einer Ver- 
minderung von g, entsprechend dem Archimedischen Auftrieb, ferner in 
einem Mitschleifen der benachbarten Flüssigkeitsteilchen. .Bessel ent- 
wickelt die störende Wirkung in eine trigonometrische Reihe und 
erhält durch Einsetzen in (6) das Resultat, daß eine umgebende 
Flüssigkeit keine andere Wirkung hat, als die Schwere ein wenig zu 
vermindern und das Trägheitsmoment des Pendels zu vermehren. 
@G. @. Stokes hat 1850 die Frage wieder aufgegriffen??) unter Berück- 
sichtigung der inneren Reibung der Flüssigkeit auf Grund der von 
ihm entsprechend modifizierten hydrodynamischen Gleichungen. Seine 
Endgleichungen enthalten nur eine, experimentell bestimmbare Kon- 
stante (den Reibungskoeffizienten). Er fand diese Theorie vollständig 
durch Baily's frühere Beobachtungen bestätigt”). 


21) Ch. Defforges, M&morial du depöt general de la guerre 15, Paris 1894. 
22) R. Schumann, Zts. Math. Phys. 44 (1899), p. 102. 
23) @. @. Stokes, Cambr. Phil. Trans., 9 (1856), Part Il (1851), p. [8]ff. 


8. Störungen der Chronometer. 179 


In Praxis bestimmt man das tägliche Nachgehen des Pendels bei 
1 mm Luftdrucksteigerung. Oudemans gibt 0°.0133 für ein Pendel 
mit Quecksilberkompensation an, Tisserand findet 0°.016 für die Pariser 
Hauptuhr. Man korrigiert durch Rechnung, kompensiert durch ein 
Manometer”)®) oder hält die Uhr in einem luftdichten Verschluß, worin 
der Luftdruck beträchtlich vermindert wird, wie dies S. Riefler tut. 
Die schon angeführte Arbeit von J. Hartmann’) gibt die Barometer- 
koeffizienten für 27 Uhren. In ganz luftleerem Raum oder auch in 
ganz trockner Luft kommt die Uhr zum Stillstand. 

Weitere Ausführungen zu den hier angedeuteten Punkten findet 
man in dem Artikel IV 7 (Furtwängler), Nr. 6 und %. 


8. Störungen der Chronometer. Setzt man zunächst die Spirale 
an sich als isochron voraus, so wird der Gang des Uhronometers 
durch Fehler des Räderwerks nicht beeinflußt, er hängt nur ab von 
den Reibungswiderständen, dem Stoß der Hemmung und den Ver- 
änderungen der Unruhe, kurz von der Kuppelung der Spirale mit 
einem andern mechanischen System. Wir setzen daher voraus, daß 
die Gleichung (10) für die Unruhe und die Spirale erfüllt ist. 

Reibungswiderstände. Das Drehmoment der Reibung des Zapfens 
der Unruhe auf ihrer Unterlage, dem sogenannten Stein, kann in der 


Form + ze dargestellt werden, wobei f ein kleiner, dem Reibungs- 


koeffizienten proportionaler Winkel ist. Die Einführung dieses Terms 
in (10) ändert die Form des Integrales nicht, die Reibung ändert ja 
die Schwingungsdauer nicht, sondern verlegt nur abwechselnd den 
toten Punkt nach der einen und der andern Seite und reduziert all- 
mählich die Amplitude. Die Wirkung der Zähigkeit des Öls ist analog, 
aber komplizierter, sie kann ein der Amplitude proportionales Glied 
einführen. Eine vollständige Untersuchung ist nicht vorhanden und 
scheint sehr schwierig '”). 

Der Widerstand der Luft ist seiner analytischen Form nach nicht 


a . » d lu\2 
erörtert. Indem ich ihn von der Form —a-+ b Sr re (5) +. 
voraussetzte, wo a, b, c sehr kleine Konstanten sind, und diesen Aus- 
druck auf der rechten Seite der Gleichung (10) einführte, zeigte mir 
die Methode der Variation der Konstanten, daß die Schwingungs- 
dauer nicht geändert wird, wenn man Glieder zweiter Ordnung ver- 
nachlässigt, daß aber die Amplitude bei jeder Schwingung verkleinert 
— Collection 5, p. 277 ff. = @. Stokes, mathematical and physical papers, vol. 3 
(Cambridge 1901.) [Anzeige: Phil. Mag. (4) 1 (1851), p. 337 ff.]. Bibliotheque 
universelle de Geneve, Archives des sciences phys. et nat. (4) 21 (1852), p. 15 ff. 

12* 


180 VI2,4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


wird. Yvon Villarceau'®) behandelt gleichzeitig die Wirkung der 
Reibung, des Widerstandes der Luft, den er durch einen Zusatz zu 


u der Form + “ n () in (10) darstellt, und des Stoßes der 


Hemmung. Letzteren berücksichtigt er, indem er w? (1 -- v)? an Stelle 
von «? in der Gleichung der lebendigen Kraft, die das intermediäre 
Integral von (10) ist, schreibt. 

Betrachtet man f, 7 und v als kleine Größen erster Ordnung und 
nennt «a, den Abstand der Stellung, wo der Stoß stattfindet, vom 
toten Punkte, so findet man, daß die Dauer der doppelten Schwingung, 
das ist das Intervall der Schläge, vermindert wird um 


Br 2T 103 Kup: 7: 7. 1 ‚ 
(17) ı7- era 
wobei @’ wenig von . abweicht. Dieser Ausdruck ist von der ersten 


Ordnung, wenn «, nicht sehr klein ist, und unabhängig von v. Wenn 
also der Stoß in einem gewissen Abstand vom toten Punkte statt- 
findet, so wird die Schwingungsdauer um einen Betrag geändert, der 
von der Amplitude, der Lagerreibung und dem Luftwiderstande ab- 
hängt. Die Folge ist ein Vorgehen, wenn der Stoß vor dem Durch- 
gang der Unruhe durch die Gleichgewichtslage stattfindet, ein Nach- 
gehen, wenn er später statthat. 

Neuerdings haben P. Ditisheim und Oh.-Ed. Guillaume”) Experi- 
mente angestellt, woraus erhellt, daß in den Chronometern so gut wie 
in den Pendeluhren ein Mitschwingen der Luft stattfindet, wodurch das 
Trägheitsmoment der Unruhe wächst, also ein Nachgehen bei steigen- 
dem Luftdruck, analog dem von .Bessel?) und Stokes””) gefundenen 
Ergebnis für das Pendel. Eine genaue Theorie für Chronometer fehlt 
noch zur Zeit. 

Wird ein Chronometer frisch in Bewegung gesetzt, so ändert sich 
die Amplitude bis zu einer gewissen Grenze, wo die Arbeit des Trieb- 
werks der der Widerstände gleich wird und sich ein stabiler Zustand 
herstellt, bei welchem die Amplitude vor allem von den geometrischen 
Formen der Hemmungseinrichtung abhängt, während sie von der 
Elastizität der stoßenden Teile merklich unabhängig ist. Diese Resultate 
lassen sich wenigstens auch qualitativ durch eine geometrische Be- 
trachtung der Schwingungsbewegung erhalten. 

Im vorstehenden ist f klein vorausgesetzt. Rambal”) hat in der 


24) P. Ditisheim, Variations des Chron. avec la pression atmosph., Journal 
Suisse d’horlogerie, Gen®ve 1904. 

25) L. Lossier, Ktudes sur la theorie du röglage des montres, Journal Suisse 
d’horlogerie, Geneve 1890. 


8. Störungen der Chronometer. 181 


Weise Versuche angestellt, daß er am Zapfen der Unruhe eine starke 
Zusatzreibung anbrachte, welche die Amplitude der Schwingungen von 
440° auf 190° reduzierte. Unter diesen Umständen ergab sich ein 
Nachgehen von 96° mit Verlagerung des toten Punktes, aber man 
überschreitet hier weit die Grenzen der Theorie. Auf der andern 
Seite habe ich gezeigt, daß bei einer veränderlichen, aber schwachen, 
seitlichen Reibung im Falle der Spiralen ohne Endkurven, bei welchen 
X und Y nicht verschwinden, der Einfluß der Schwingungsdauer 
von der zweiten Ordnung ist. Man hat dann der rechten Seite der 
Gleichung (12) ein Glied 
ib U sın( 9 U . -U 
+ gpfr 1 22 Pe 242] ee 

hinzuzufügen, und die Variation der Konstanten gibt damit eine 
Korrektion für 7, die aus der Summe zweier aufeinander folgender 
Schwingungen voshninabtiher Es ist also nicht die Reibung, wie 
man schon geglaubt hat, die bei den Spiralen ohne Endkurven den 
Isochronismus herbeifährt. 

Deformation der Unruhe infolge der Rotation. Die elastische Un- 
ruhe deformiert sich bei dem Hin- und Herschwingen. Phillips) 
hat die entstehende Änderung des Trägheitsmomentes berechnet, die 


proportional zu () ist. Er hat zu dem Zweck die Bedingungen 


des Gleichgewichts der Unruhe unter den auftretenden Massendrucken 
gebildet. Die Bewegungsgleichung der Unruhe nimmt dann die 
Form an: 





d’u du\27 d’u u 
[A+b 7% Eu (2 35 ä a 
Da b und c klein sind, kann man in der Klammer die Ableitungen 
von u durch die Werte ersetzen, die sie in der ungestörten Bewegung 


haben. Man kann dann durch Variation der Konstanten integrieren 
und findet: 


2 ylıra Vie) 


eine Formel, die eine Verlangsamung der großen Schwingungen an- 
zeigt. Die tangentiellen Komponenten der Massendrucke sind ohne 
Einfluß auf die Schwingungsdauer, wie vorauszusehen war. 

Für die gewöhnliche Anordnung ergibt sich die Beschleunigung 


bei Verminderung der Amplitude von EB auf - zu 11 Sekunden pro 


Tag in Übereinstimmung mit dem Experiment. Für die Unruhe 
Winner! mit ebenen Lamellen ist sie viermal kleiner. 


26) Ed Phillips, Paris C. R. 67 (1868), p. 508. 


182 VI2,4. CO. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


Geneigte Ohronometer. Das Chronometer wird bei horizontaler 
Stellung des Gehäuses reguliert. Eine Neigung ändert die Wider- 
stände, und wenn Unruhe und Spirale nicht vollkommen zentriert sind, 
so kommt auch die Schwere ins Spiel. Phillips?') betrachtet das 
Chronometer bei vertikaler Stellung des Gehäuses und fügt der Glei- 
chung (10) ein Glied hinzu, welches das Moment des Gewichtes p 
der Unruhe angibt, wenn sich ihr Schwerpunkt in einem Abstand A 
von der Achse befindet. Ist 8 der Winkel dieses Abstandes mit der 
Vertikalen in der Gleichgewichtslage, so gibt die Ausführung der 
Integration: 


(19) T= -V“; "I — 7" cos ß" oa nn a (I! Bessel’sche Funktion). 


Die Gleichung 7 - —( hat eine Wurzel w = 21944’, für welche die 


Störung ihr Zeichen wechselt. Deren Betrag hängt noch von der 
Orientierung des Gehäuses in der Vertikalebene, die durch ß an- 
gegeben wird, ab. Das Experiment hat diese Folgerung vollkommen 
bestätigt. 

Dieselbe Theorie wäre auch noch auf ein horizontal stehendes 
Chronometer anzuwenden, dessen Unruhe permanenten Magnetismus 
angenommen hat und dessen Gang mit der Orientierung wechselt. 

Anwendung auf die ar ohne Endkurven). Diese Spirale ist 


isochron für p—= 2nx + -, wenn man von den vorstehenden Stö- 


2% , 
rungen absieht. Da letztere alle von der Form mu”? sind, wo m 
eine Konstante ist, so gilt dasselbe von ihrer Summe, und um wirk- 


lichen Isochronismus zu erhalten, muß man die Gleichung 
(20) mu? — 7 [W I!(w) — IP(w)] cos p = const. 


nach p auflösen. Dieselbe hat nicht für alle Werte von uw” Lösungen. 
Setzt man aber p = 20x + 100°, so ist das eine hinreichend ge- 
näherte Lösung für die Ki be 158° und 229° mit einem Nach- 
gehen von höchstens 1 Sekunde bei dazwischen liegenden Amplituden. 
Dieses Resultat stimmt mit den Erfahrungen der Uhrmacher überein. 

Störungen durch äußere Kräfte. Wird eine Unruhe magnetisch, 
so ergibt sich ein mit der Orientierung der Chronometer veränder- 
licher Gang. Dieser Einfluß des Erdmagnetismus, analog dem der 
Schwere, kann, wie gesagt, durch die Formel (19) dargestellt werden, 
indem das magnetische Moment der Unruhe anstatt des_Momentes der 
Schwere eintritt. ' 


27) Ed.’ Phillips, Paris ©. R. 58 (1864), p. 287 und p. 363. 


9. Räder- und Triebwerk. 183 


Elektrische Kräfte geben auch Anlaß zu Störungen, die, obwohl 
qualitativ beobachtet, noch keine quantitative Bestimmung gefunden 
haben. 

Ein Gleiches gilt von den Störungen, die von der Schiffsbewegung 
(Rollen und Stampfen, Stöße der Schiffsschraube usw.) herrühren. 
Gemäß den Experimenten, welche auf der Seewarte in Hamburg an- 
gestellt wurden, bestehen sie in der Regel in einer Beschleunigung 
des Ganges. 

Die Luftfeuchtigkeit hingegen hat eine verzögernde Wirkung. 
Näheres hierüber, mit Literaturangaben, findet sich in dem Handbuch 
der Navigation *°); hier mag dieser bloße Hinweis genügen, zumal diese 
Erfahrungsresultate keine theoretische Untersuchung veranlaßt haben. 


9. Räderwerk und Triebwerk. Die Übertragung der Bewegung 
des Triebwerks auf die Zeiger und die Hemmung geschieht durch 
eine Reihe von Zahnrädern, deren Elemente leicht nach wohlbekannten 
Formeln zu berechnen sind. Das Zahnprofil ist im allgemeinen epi- 
zykloidisch mit geraden Seiten. Empfehlenswerter wäre etwa die Form 
einer Kreisevolvente. S. Roze'?). Um nicht zu viele Räder nötig zu 
haben, haben die Triebe nur eine kleine Zahl von Zähnen. Bei den 
Uhren, die den Gang des Mondes geben, greift man zu epizykloi- 
dischen Getrieben (Formel von Willis). Doch wird diese Komplizie- 
rung bei den Präzisionsuhren vermieden. 

Die Reibung in dem Getriebe ist nach den Methoden der all- 
gemeinen Mechanik zu berechnen’®). Faktisch hat dieselbe nur Ein- 
fluß auf die Schwingungsamplitude, und wenn der Regulator isochron 
ist, so ist die Wirkung auf den Gang theoretisch null. Man darf 
freilich nicht vergessen, daß infolge der kleinen Anzahl Zähne der 
Triebe die Reibung außerordentlich veränderlich ist. Es treten Dis- 
kontinuitäten in der Winkelbeschleunigung auf, so oft die Berührung 
zwischen einem Paar von Zähnen aufhört und auf das nächste Paar 
übergeht. Es zeigt sich, daß die Reibung dem Abstand des Berüh- 
rungspunktes der Zähne von der die Mitte der Räder verbindenden 
Geraden proportional ist. Brillowin?®) hat außerdem hervorgehoben, 
daß die Zapfen einen seitlichen Druck erleiden, welcher die Rotations- 
achse verlegt und das Verhältnis der Geschwindigkeiten periodisch 
ändert. Er hat beträchtliche Amplitudenänderungen beobachtet, die 
aus allen diesen Umständen hervorgehen, und aus zahlreichen Experi- 

28) Resal, Mec. gen. 

29) M. Brillowin, Lois des variations d’amplitude du balancier, Bulletin de 
la Societe d’encouragement pour l’industrie nationale (5) 4, Paris 1899, p. 689. 


184 VI2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


menten die Periodizität derselben nachgewiesen. Diese Amplituden- 
änderungen, die bei einem isochronen Regulator gleichgültig wären, 
bringen in Wirklichkeit kleine periodische Gangänderungen hervor, 
die um den täglichen Mittelwert des Gangs herumschwanken °°). 

In Pendeluhren bringen derartige Ursachen eine periodische Ände- 
rung der treibenden Kraft und der Amplitude der Schwingungen 
hervor !P). 

Triebwerk. Besteht die Triebkraft in einem Gewicht, so ist sie 
merklich konstant. Wird sie durch die Entspannung einer Feder ge- 
liefert, so ist sie veränderlich, die Amplituden nehmen von der Zeit 
des Aufziehens an ab. Das ist gleichgültig bei einer isochronen Spirale, 
trotzdem wendet man bei den Marinechronometern zur Vorsicht noch 
die Schnecke an. 

Resal?®*) hat auf die Triebfeder die Festigkeitslehre angewandt. 
Es handelt sich dabei im wesentlichen um das Problem der elastischen 
Kurve, für den speziellen Fall der ebenen an beiden Enden ein- 
geklemmten Spirale. Ist der Winkel zwischen den beiden Enden ein 
Vielfaches von 2x, so wird das Drehmoment angenähert durch die 


Formel gegeben: 
M=R(Av + DB). 


Dabei ist R der Radius der äußersten Windung, % der Winkel, um 
den die Spirale aufgezogen ist, A und B sind dem Biegungsmodul u 
proportionale Konstante. Der Druck auf die Achse des Schnecken- 
rades ist von erster Ordnung klein und verursacht nur eine un- 
bedeutende Reibung. Diese Resultate stimmen mit dem Experiment 
überein. 

Damit das übertragene Drehmoment konstant ist, muß die Hori- 
zontalprojektion der von der Kette auf der Schnecke beschriebenen 
Kurve eine Spirale sein, deren Gleichung die Form hat: 


III. BE 
145% 


VW. zu 


Um konstanten Anstieg dieser Kurve auf der Schnecke zu erhalten, 
wird man für den Meridianschnitt der Schnecke die durch die Gleichung 


y=tc (5 = 1) (ce eine Konstante) 


x 
bestimmte Form wählen. 


29°) Resal, Mec. gen. 3, p. 399. 


10. Zeitübertragung. 185 


10. Zeitübertragung. Die Zeitübertragung von einer Normal- 
uhr aus geschieht durch den elektrischen Strom; pneumatische Über- 
tragung eignet sich für Präzisionsuhren nicht. Man schlägt dazu 
mehrere Wege ein: 

a) die zweite Uhr hat weder Regulator noch Hemmung, bloß ein 
Zifferblatt mit Zeigern, welche elektrisch bewegt werden von einem 
Strom, dessen Perioden die Normaluhr bedingt; oder 

die zweite Uhr ist eine vollständige, mit Pendel, Hemmung und 
eigener Triebkraft; dann kann die elektrische Verbindung beider, ent- 
weder 

b) in längeren Zeitabständen stattfinden, wobei jedesmal eine ein- 
fache Einstellung auf Normalzeit geschieht, ein für wissenschaftliche 
Zwecke unzulängliches System; oder 

ce) sie findet bei jeder Schwingung statt. Die Aufgabe besteht 
darin, das Pendel der zweiten Uhr in genau synchrone Bewegung mit der 
Hauptuhr zu bringen, vorausgesetzt, daß die natürlichen Schläge beider 
Uhren schon ‘annähernd gleich sind. Darin besteht das eigentliche 
Synchronisieren. 

In allen diesen Fällen ist die erste Bedingung, daß der von der 
Normaluhr in Tätigkeit gesetzte Stromunterbrecher den Gang der- 
selben nicht beeinflussen darf. Das erreicht z. B. Riefler?®), indem er 
sein Pendel frei schwingen läßt und den Kraftersatz der Hemmung 
vermittelst der elastischen Aufhängung erteilt. ©. Wolf”) hat eine 
auf der Pariser Sternwarte gebrauchte Einrichtung beschrieben, welche 
an der Winnerl’schen Uhr angebracht ist. 

L. Foucault®") wurde von H. Faye veranlaßt, eine Uhr der Gattung a) 
herzustellen; er gibt dann Andeutungen über die Art und Weise, wie 
man zwei Elektromagnete, die von der Normaluhr beeinflußt werden, 
auf beiden Seiten des Pendels einer andern, vollständigen Uhr an- 
bringen kann, so daß dieselben auf ein Stück weichen Eisens wirken, 
das an diesem Pendel haftet. Es ist dies die erste Andeutung des 
Verfahrens e); damit die Normaluhr die Oberhand behält, rät er an, 
die Triebkraft der zweiten Uhr mittels Veränderung der Hemmung 
derselben herabzudrücken. 

R._L. Jones, mit Ritchie's Hilfe®?) erfand eine Vorrichtung, die von 


30) $. Riefler, Die Präcisions-Uhren mit vollkommen freiem Echappement 
und Quecksilberpendel, München 1894. 

31) Mitgeteilt von H. Faye, Paris ©. R. 25 (1847), p. 380. 

32) F.J. Ritchie, Edinburgh Scottish Society of arts Transactions 9, Part I, 
Edinburgh 1873, p. 61. } 


186 VIa2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


@.B. Airy??) mit kleinen Abänderungen angenommen ward. Zwei Magnete 
sind am Pendel der zweiten Uhr befestigt; auf beiden Seiten desselben 
stehen zwei Spulen, die der synchronisierende Strom durchläuft; die 
Magnete dringen nacheinander ganz in die bezügliche Spule. Verite®) 
läßt einen Blektromagneten auf ein horizontales Stäbchen aus weichem 
Eisen wirken, welches am Pendel befestigt ist. ©. Wolf®°) hat diese 
Einrichtung ohne wesentlichen Unterschied auf sämtliche Uhren der 
Pariser Sternwarte angewendet. 

Cornu®®) hat eine allgemeine Theorie der synehronischen Ver- 
bindung zweier schwingenden Systeme entwickelt. Er zieht einen der 
Geschwindigkeit proportionalen Luftwiderstand in Betracht, und setzt 
eine kleine Verschiedenheit der freien Schwingungen beider Systeme 
voraus. Er kommt zu dem Schluß, daß die zu synchronisierende Be- 
wegung notwendig gedämpft sein muß, um periodische Störungen der 
Amplitude und Phase zu vermeiden. Praktisch erreichte er mit einer 
ganz gewöhnlichen Uhr eine Übereinstimmung auf yo.) CO. Wolf, 
welcher das System von Verite ohne Dämpfung mit Erfolg gebraucht 
hat, wirft den Vorrichtungen mit Dämpfung vor, daß sie die syn- 
chronisierte Uhr zum Stehenbleiben bringen, wenn in der Stromunter- 
brechung eine Störung eintritt. 

Diese entgegengesetzten Meinungen auszugleichen hat sich An- 
drade®') beflissen, und dieselben als einigermaßen gleichberechtigt 
erwiesen. Er geht aus von Üornu’s geometrischer Methode, in welcher 
die gedämpfte Bewegung durch eine logarithmische Spirale mit schiefen 
Achsen dargestellt wird, zieht aber, was Cornu unterließ, gleichzeitig 
mit der Dämpfung auch die Hemmung der synchronisierten Uhr in 
Rechnung®®). Er findet so, daß man auf drei verschiedenen Wegen 
zum Ziel gelangen kann: 

1) Nach L. Foucault’s Vorschlag, ohne andere Dämpfung als die 
natürliche Dämpfung der zweiten Uhr, indem man den Einfluß der 
Hemmung schwächt; 

2) indem man die Amplitude derselben Uhr wachsen läßt; 

3) indem man die natürliche Dämpfung durch eine elektrische 


33) Vgl. W. Ellis, Description of the Greenwich time-signal system, Nature 14, 
London 1876, p. 51, 110; Wiederabdruck in Greenw. obs. 1879, Appendix, p. 4—5. 

34) Verite, Paris C. R. 56 (1863), p. 401 et p. 697. 

35) ©. Wolf, Paris C. R. 105 (1887), p. 1157. 

36) A. Cornu, Obs. de Paris ann., mem. 13 (1876). 

37) J. Andrade, Recherches sur la synchronisation des horloges, La France 
horlogere, Besangon, n® du 15. sept. 1903. Referat in: Bibliotheque Universelle, 
Archives des sciences psysiques et naturelles, 108 = (4) 6, Geneve 1903, p. 611. 

38) J. Andrade, Paris C. R. 137 (1903), p. 243 und 444. 


11. Gangformeln. 187 


verstärkt, die durch Induktion einer Spule oder einer Kupferröhre ge- 
schieht, die Hemmung und Amplitude aber unverändert beibehält. 


11. Gangformeln. Es gibt keine vollkommene Uhr. Außer den 
Fehlern des Isochronismus, der Kompensation und all den oben auf- 
geführten Störungen treten noch aus zufälligen Ursachen Gangände- 
rungen auf. Für die Chronometer zur See ist vielleicht die Wirkung 
des Rollens zu vernachlässigen®”), aber gewiß nicht die der von der 
Schraube kommenden Erschütterungen und mancher anderer Ursachen. 
Diese unbestimmten Einflüsse können nur als zufällige Fehler be- 
handelt werden; andere, wie die der Tenıperatur, sollen als systematisch 
betrachtet und der Rechnung zugeführt werden. 

Die gebräuchlichen Formeln, die von der Voraussetzung der Kon- 
tinuität ausgehen, bestehen alle in der Darstellung des Ganges durch 
Taylorentwieklungen nach Potenzen der in Tagen gerechneten Zeit ? 
und der Temperatur 0. Bei Pendeln fügt man gewöhnlich noch ein 
Glied für den Luftdruck hinzu, was unter Umständen auch für Chrono- 
meter zweckmäßig sein kann, für welche auch der Feuchtigkeitsgrad 
in Betracht zu ziehen ist“). Die von der Zeit abhängigen Terme 
enthalten unter anderem die Veränderung der Widerstände durch das 
Eintrocknen des Öls. Die numerischen Koeffizienten der Formeln 
werden aus möglichst zahlreichen Beobachtungen bestimmt, die nach 
den üblichen Verfahren bearbeitet werden (Methode der kleinsten Qua- 
drate, Interpolation nach Cauchy, vgl. ID 3 (Bauschinger)). B. Wanach*') 
zeigt, daß zur Bestimmung des Temperatur- und Barometerkoeffizienten 
sich die Trennung des Materials in kürzere Epochen empfiehlt. Auch 
braucht man verschiedene graphische Hilfsmittel?®). Die zufälligen 
Störungen offenbaren sich in den übrig bleibenden Fehlern. Bei den 
Chronometern erhält man dieselben durch Vergleichung mehrerer 
Uhren untereinander. 

Bei den astronomischen Pendeluhren kann man sich im all- 
gemeinen mit den ersten Potenzen der Zeit, der Temperatur und des 
Barometerstandes begnügen. Bei den Chronometern muß man Glieder 
zweiten Grades (entsprechend dem „sekundären“ Fehler) bei der Tempe- 
ratur mitnehmen. Die Mannigfaltigkeit der Typen verbietet die Auf- 
stellung eines allgemeinen Gesetzes. Für die kreisförmige Unruhe 
aus Messing und Stahl mit Stahlspirale ist der Koeffizient von 0? 


39) C. Ed. Caspari, Les Chronomötres de Marine, Paris 1894 (mit Literatur). 

40) Handbuch der Navigation, hrsg. vom Reichs- Marine- Amt, 3. Aufl. Berlin 
1891. -— Lehrbuch der Navigation, hrsg. vom Reichs-Marine-Amt, Berlin 1901, 
2, p. 268—269, 

41) B.Wanach, Astr. Nachr. 167 (1905), p- 65. 


188 VI2,4. C. Ed. Oaspari. Theorie der Uhren. 


ungefähr 0°.014. Er ist kleiner für die Palladiumspirale verbunden 
mit der Unruhe Winnerl; man kann sagen, daß gute Chronometer 
heute auf 0°%.5 und weniger kompensiert sind. 

Es ist schwierig, eine allgemeine Angabe über die Genauigkeit 
der besten Uhren zu machen. Die Genauigkeit der Uhren kann 
übrigens auf zwei verschiedene Weisen definiert werden: entweder 
man nimmt die absoluten Abweichungen des Ganges von einem ge- 
gebenen (Mittel-)Werte, oder man stellt den Gang durch eine Formel 
dar, und beachtet dann einerseits die Größe der Koeffizienten, anderer- 
seits, um wieviel die beobachteten Werte des Ganges von den be- 
rechneten abweichen. Hartmann!) hat für eine Anzahl astronomischer 
Pendeluhren die bezüglichen Koeffizienten zusammengestellt; man findet 
daselbst auch Hinweise auf die betreffende Literatur. Ferneres Material 
findet sich in den Jahresberichten des Geodätischen Instituts in Potsdam 
(Berlin, seit 1887). C©. Wolf'?) meint, daß die Fehler einer guten 
astronomischen Pendeluhr, die merklich unter konstantem Druck und 
auf konstanter Temperatur gehalten wird, die Fehler der astronomischen 
Zeitbestimmung aus den Sternen nicht übertreffen. Was die Chrono- 
meter angeht, so kann man mit 5 Uhren für Punkte, die um 1—2 
Tagereisen voneinander entfernt sind, mit der Genauigkeit der tele- 
graphischen Längenbestimmung konkurrieren®”). Daß dies selbst für 
Taschenchronometer mit Ankerhemmung gilt, scheint bewiesen durch 
Ditisheim‘?). 


12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. Die periodisch 
gleichförmige Bewegung der Pendeluhren und Chronometer kann 
man nur vermittelst komplizierter und schwer auszuführender mecha- 
nischer Vorrichtungen in eine kontinuierlich gleichförmige umwandeln. 
Wenn es sich um Herstellung einer solchen handelt, wie das z. B. zur 
Führung eines äquatoreal aufgestellten Fernrohrs oder eines Registrier- 
apparates erforderlich ist, greift man lieber zu Vorrichtungen analog 
denen, die in der gewöhnlichen Technik gebräuchlich sind. Hierher 
gehört der wohlbekannte Watt’sche oder Zentrifugalregulator. 

Es besteht ein solcher Regulator wesentlich aus einem oder 
mehreren sphärischen Pendeln, die wir der Einfachheit wegen als 
aus einem dünnen Faden mit einem schweren Massenpunkt bestehend 
betrachten wollen. Man nennt allgemein den Regulator :sochron, 
wenn bei wechselnder Entfernung von der Umdrehungsachse (wech- 
selndem Rotationsmoment) die Winkelgeschwindigkeit ® konstant 
bleibt. 


42) P. Ditisheim, Paris C. R. 138 (1904), p. 1027. 


12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. 189 


Man betrachte zunächst das einfache sphärische Pendel. Es sei 
! die Pendellänge, « der Ausschlagswinkel. Dann ist, wenn dasselbe 


rund schwingt, mit anderen Worten, wenn es einen Rotations- 

kegel mit senkrechter Achse beschreibt, die Winkelgeschwindigkeit 

o—VWr7, ; die Dauer des Umlaufs 7 = 2 2m | I cos «© hängt ab vom 
ae g 


Klchheneinen; es ist demnach nicht isochron. 

Bereits Huygens*) suchte den Isochronismus dadurch herzu- 
stellen, daß er das Gewicht zwang, auf einem Rotationsparaboloid 
mit senkrechter Achse sich zu bewegen. Jedoch ist der strenge Iso- 
chronismus insofern nachteilig, als jede Geschwindigkeitsänderung zu 
Schwankungen von längerer Periode Anlaß gibt, weshalb man ge- 
meiniglich darauf verzichtet und nur auf einen angenäherten Isochro- 
nismus ausgeht, was vermittelst des Regulators mit gekreuzten Stangen 
geschieht. Meistens ist hier die Einrichtung so getroffen, dass jedes 
Pendel um eine wagerechte Achse schwingen kann, welche ihrerseits 
mit der gemeinsamen Achse fest verbunden ist und um dieselbe 
rotiert. Nennt man s den Abstand der wagerechten von der senk- 
rechten Achse, ! die Länge der Pendelstange von der wagerechten 
Achse bis zum Gewicht und « den Winkel der Pendelstange mit der 
Vertikalen, so erfordert das Gleichgewicht zwischen Schwere und 


Zentrifugalkraft: 
o(Isna—s)=ygtge. 
Es folgt: 


do _ 4 508 
y=® für sın a 


Richtet man also das Gewicht des Pendels so ein, daß es bei nor- 
maler Triebkraft gerade diesen Ausschlag « erreicht, so ist infolge 


des Verschwindens des Differentialquotienten = hier die Rotations- 


geschwindigkeit in erster Näherung vom Ausschlagswinkel unabhängig, 
das Pendel isochron. 

Foucault hat anfangs“) das einfache sphärische Pendel in einer 
verbesserten Cardan’schen Aufhängung als Regulator verwandt, 
später“) hat er an dem Wait’schen Regulator ein Gewicht ange- 
bracht, welches durch ein Hebelwerk gegen das Mittelstück, das von 
den abe Kugeln gehoben und gesenkt wird, einen Druck nach 


43) Chr. Huygens, Horologii oseillatorii (Paris 1673) pars quinta = Huygens, 
Opera mechanica etc., ed. @. J.’s Gravesande, Lugd. Bat. 1751, p. 189. 

44) L. Foncanit, Horloge ä pendule conique, Paris C. R. 25 (1847), p. 154. 

45) L. Foucault, Solution de l’isochronisme du pendule conique, Paris C.R. 
55 (1862), p. 135. 


190 VI»,4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


oben ausübt, so daß auf die Kugeln statt der vollen Schwere g nur 
eine Kraft g cos« wirkt. Es tritt dann an Stelle der obigen Formel 


m 0 der Wert © = —y}! un = = Ne es ist also Isochro- 


nismus herbeigeführt. 

Man kann auch dem sphärischen Pendel eine Federaufhängung 
geben, wie den Uhrpendeln. Resal”) studiert eine solehe Auf- 
hängung an vier gleichen rechteckigen Stahllamellen, von denen zwei 
die Durchbiegung in einer bestimmten Richtung, die beiden andern 
die Durchbiegung in einer dazu senkrechten Richtung gestatten. Er 
findet, daß, wenn der Ausschlagswinkel sehr klein ist, die Wirkung 

E-I 
Al cos « 
hinzufügte, worin A die Länge der Federn, I das Trägheitsmoment 
ihres Querschnittes, E den Elastizitätsmodul bedeutet. 

Was nun die Verwendung all dieser mehr oder weniger isochronen 
Regulatoren angeht, so sei zunächst der Unterschied gegen die Funk- 
tion des Uhrpendels hervorgehoben. Die auf das Uhrpendel wirkende 
Kraft ist, wenn auch ihrer Größe nach wechselnd, so doch stets 
äußerst gering, da bei der Uhr, wie erwähnt, fast die ganze Trieb- 
kraft in der Reibung der Räder verzehrt wird. Schon bei Registrier- 
apparaten und Chronographen ist die auf das letzte Rad wirkende 
Kraft im allgemeinen viel größer, indessen wird bei diesen Instru- 
menten nur ein gleichmäßiger Gang für ganz kurze Zeiten verlangt 
und es genügen für sie in Praxis die verschiedensten theoretisch 
recht unvollkommenen Pendel- und Windflügelregulatoren®®). Das 
eigentliche Problem bildet aber das Triebwerk eines großen Refraktors. 
Hier geht, wenn die Achsen des Instruments zufällig einmal mit be- 
sonders geringer Reibung sich drehen, ein großer Teil der Triebkraft 
in den Regulator, und von diesem wird verlangt, daß er trotz eines 
so starken Kraftwechsels den Isochronismus bewahrt. 

In der Technik erreicht man den gleichmäßigen Lauf meist, indem 
man den Regulator auf die Triebkraft selbst wirken läßt, indem man 
z. B. durch den Watt’schen Regulator beim Steigen der Kugeln den Dampf- 
zufluß absperren läßt. Analog hat R. Thury*') einen Regulator mit ge- 
kreuzten Stangen benutzt, um bei Äquatorealen, deren Werk elektrisch 
angetrieben war, den Strom zu regulieren. Auch mag hier noch eine 
andere von R. Thury erdachte Einrichtung kurz erwähnt werden. Sie be- 





dieselbe ist, als ob man dem Gewicht des Pendels die Größe 


46) Vgl. Ambronn 2, p. 1038. 
47) H. Cuenod, Horloge &lectrique, System R. Thury-Geneve (sans date), 
sowie Ambronn, 2, p. 1114. 


12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. 191 


steht‘°) aus zwei geraden und parallelen Lamellen, mit kleinen Supple- 
mentgewichten in der Mitte, symmetrisch zur Hauptachse. Am oberen 
Ende sind dieselben an einem kurzen Arm befestigt, der sich mit 
der Welle um die Vertikale dreht; am unteren Ende halten sie sich 
an einem ähnlichen Arm, der eine mit der Achse konzentrische 
Röhre‘ heben und senken kann. Die Zentrifugalkraft biegt die La- 
mellen,"und die Röhre wird gehoben; ein auf geeignete Weise ange- 
paßter Hebel kommt dann mit derselben in Berührung und gestattet 
den Abbruch eines elektrischen Stroms. Die Geschwindigkeitswechsel 
verursachen intermittierende Stromunterbrechungen, wodurch zwar 
kein gleichmäßiger, aber ein kurzperiodischer Gang mit verschwindend 
kleinen Änderungen erzielt wird. 

Die bei astronomischem Gebrauch bisher übliche Art der An- 
wendung der Regulatoren ist jedoch eine andere. Es wird der Re- 
gulator mit einer Bremse versehen, die die überschüssige Triebkraft 
verzehrt. So kann man in einfachster Weise die Kugeln des Watt- 
schen Regulators bei steigendem Ausschlag an einem über ihnen be- 
findlichen Schleifring anschlagen lassen, wobei sich bald Gleichgewicht 
zwischen dem Drehmoment des Triebwerks und dem Reibungswider- 
stand der Kugeln an der Platte einstellt. Bei der geringen Veränder- 
lichkeit des Ausschlags ist dann auch der Isochronismus genügend 
gewahrt. Bei den Triebwerken der großen amerikanischen Refrak- 
toren ist meist der Regulator mit gekreuzten Stangen in analoger 
Weise verwandt in der oben bezeichneten genähert isochronen Stellung. 

Foucault“) hat das letzte Rad des Uhrwerks senkrecht über die 
Aufhängungsachse seines sphärischen Pendels gestellt. Das untere 
freie Ende der Achse dieses Rades trägt einen Zapfen, der auf das 
obere Ende der Pendelstange drückt, welche zu dem Zwecke passend 
verlängert ist. Durch die Reibung dieses Zapfens wird die Regulie- 
rung besorgt. Bei seinem isochronisierten Watt'schen Regulator 
führt er“) eine Bremsung durch Windflügel in einem Gehäuse ein, 
dessen Luken durch den Regulator mehr oder weniger geöffnet 
werden. 

Schon Villarceau*”) benutzte 3 gleiche, symmetrisch um die Vertikale 
gestellte sphärischePendel. Andenschwingenden Stangen sind Metallflügel 
angebracht, deren Ausdehnung mit der Stellung der Stangen wechselt, 
so daß der Luftwiderstand veränderlich wird. Anstatt der Kugeln 


48) Siehe M. Wilhelm Meyer, Le systeme de Saturne, M&moires de la 
SocietE de Physique et d’Histoire naturelle de Gene®ve 29, Nr. 1, Gen&ve 1884, 
p. 19 £. 

49) A.J. F. Yvon Villarceau, Paris C. R. 74 (1872), p. 1481. 


192 VI2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 


kommen parallelepipedische Gewichte zur Verwendung, deren jedes 
drei kleinere Massen trägt, die durch Hin- und Herschrauben die 
letzten Berichtigungen ermöglichen. Der von Breguet genau nach 
der Theorie justierte Apparat zeigte schon beim ersten Versuch, daß, 
während das Treibgewicht Werte von 1 bis 5,6 annahm, die rela- 


tiven Schwankungen der Geschwindigkeit sr nicht übertrafen; die 
Regulierung geschah bis auf 0°%.5 genau. Der nämliche Regulator 
wurde von Cornu°®) mit bestem Erfolg verwendet, um dem Zylinder 
des Registrierapparates, der zur Messung der Geschwindigkeit des 
Lichtes diente, eine gleichmäßige Bewegung mitzuteilen. 

Die Art der Annäherung aller dieser Bremsregulatoren an den 
Gleichgewichtszustand scheint theoretisch nieht untersucht zu sein, 
es wäre höchstens zu erwähnen, daß bei Luftwiderstand, wenn dieser 
dem. Quadrate der Geschwindigkeit proportional ist, der Übergang 
der Winkelgeschwindigkeit von der Ruhe zu dem Endwert y gemäß 
der Formel: 





2a 
PR 
we tg 
oao=y I, 
e’ +1 


erfolgt, wo « eine Konstante, t die Zeit ist. 

Eine ganz besondere Stellung nimmt das Repsold’sche Feder- 
pendel ein®). Es besteht aus einer fest mit der Grundplatte verbun- 
denen elastischen Stahlstange von kreisförmigem Querschnitt, welche 
am oberen Ende ein Gewicht trägt, und über demselben mit Hilfe 
eines Zapfens in dem Schlitz eines auf der Welle des Uhrwerks 
sitzenden Mitnehmerarmes geführt wird. In der Ruhelage wird das 
Pendel durch den Mitnehmer nur wenig aus der vertikalen Stellung, 
in welcher die Achsen von Pendel und Welle in eine Linie fallen, 
zur Seite gedrückt. Sobald aber das Uhrwerk in Bewegung gesetzt 
wird, vergrößert sich der Ausschlag, bis Zentrifugal- und Triebkraft 
mit den Biegungskräften in Gleichgewicht sind. Dieses Pendel vermag 
infolge der Größe der elastischen Kräfte der Stahlstange und der bedeu- 
tenden Masse, die man in Praxis dem Gewicht an ihrer Spitze geben 
kann, ohne eine weitere Bremsvorrichtung die überschüssige Kraft des 
Triebwerkes aufzunehmen. Die Theorie dieses Apparates hat Wilsing’*) 
entwickelt, wobei er sich nicht nur auf den stationären Zustand beschränkt 
hat. Er findet, daß bei Änderungen der auf das Pendel wirkenden 


50) J. A. Repsold, Zs. für Instramentenkunde 19 (1899), p. 306. 
51) J. Wilsing, Astr. Nachr. 151 (1900), p. 293. 


12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. 193 


Triebkraft „Amplitude und Phasenunterschied zunächst im gleichen 
Sinne variieren, sich aber bald konstanten Grenzwerten nähern. Nach 
Verlauf einer gewissen Anzahl von Schwingungen halten sich daher 
die Triebkraft und die tangential gerichtete Komponente der Biegung 
das Gleichgewicht, sodaß nur die radial gerichtete Komponente der 
Biegung übrig bleibt, welche dem Pendel die konstante Winkel- 
geschwindigkeit erteilt“. 

Der Gang dieses rundschwingenden Federpendels ist in der Tat 
für die weitaus meisten praktischen Zwecke genügend isochron, wie 
aus folgender Tabelle zu sehen ist, die auf Experimenten in Pulkowa?®) 
basiert: 

Triebkraft 26 20. -: 16 14 12 
Ausschlag 70 61 53 46 40 


Dauer von 55 


Umgängen 131,927 131,963 131,969 131,961 131,934 Sek. 


Man darf dieses Federpendel übrigens nicht mit demjenigen ver- 
wechseln, welches D. E. Hughes?) für seinen „printing telegraph“ erfand; 
Hughes läßt das obere Ende des seinigen auch als Bremse wirken, 
indem es mit mehr oder weniger Reibung an einem Ringe schleift. 

Eine unumschränkte Regelmäßigkeit des Ganges, die den Ver- 
gleich mit Pendeluhr und Chronometer gestattete, ist bei allen diesen 
Einrichtungen nicht verfolgt worden. Es liegen meines Wissens 
keine Versuche vor, den Einfluß der Temperatur, der sich unter 
anderem durch Ausdehnung der Metalle oder Änderung des Elastizi- 
tätsmoduls kundgibt, entweder auszugleichen, oder auch nur in Rech- 
nung zu bringen. Man beschränkt die Forderungen nur auf kurze 
Zeiträume, etwa eine halbe Stunde. Werden Ansprüche auf höhere 
Genauigkeit gemacht, so kann man einen der eben besprochenen Re- 
gulatoren mit einer guten astronomischen Pendeluhr elektrisch syn- 
chronisieren, wie das jetzt für photographische Daueraufnahmen viel- 
fach geschieht. 

52) Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Nicolai - Hauptsternwarte, 
St. Petersburg 1889, p. 65. 

53) Beschreibung der in der Reichs-Telegraphenverwaltung gebräuchlichen 


Apparate, Berlin 1888, p. 76—-78. Abdruck in: H. Schellen, Der elektromagnetische 
Telegraph, 6. Aufl. Braunschweig 1888, p. 567--572. 


(Abgeschlossen im April 1905.) 


Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 13 





VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der zstronomischen Winkelmeßinstrumente. 195 


V12,5. THEORIE DER ASTRONOMISCHEN 
WINKELMESSINSTRUMENTE, DER BEOBACH- 
TUNGSMETHODEN UND IHRER FEHLER. 


Vox 
FRITZ COHN 


IN KÖNIGSBERG. 


Inhaltsübersicht. 


1. Idee eines Universalinstruments zur astronomischen Ortsbestimmung. 

2. Die Durchführung der Idee in der Praxis; Beschreibung des Beobachtungs- 
vorgangs. 

8. Die Hilfsinstrumente, ihre Einriohtung und die Auswertung ihrer Skalen. 

4. Die eigentlichen Instrumente der exakten astronomischen ÖOrtsbestimmung. 

A. Der Meridiankreis: Prinzip der Rektaszensions- und Deklinations- 
bestimmung. Verwandte Typen: Passageninstrument, Mauerquadrant, 
Universaltransit, Zenitteleskop. 

B. Der Refraktor: Prinzip der differentiellen Ortsbestimmung mit 
ruhendem oder bewegtem Fernrohr, visuell oder photographisch. 
Doppelbildmikrometer, Heliometer. Fquatorial coude und Astrograph. 

5. Die Fehler der Instrumente und ihre Bestimmung. 

Instrumentalfehler geometrischer Natur: A. Aın Meridiankreis. B. Am 
Refraktor, Heliometer usw. — Physikalische Fehlerquellen: in der Atmosphäre, 
im Objektiv, in’ der Nachführung des Fernrohrs und im photographischen 
Prozeß, im Okular und im Auge. 

6. Die persönlichen Fehler bei astronomischen Beobachtungen. 

7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. 

8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes und das Ineinandergreifen der verschiedenen 
Instrumente und Beobachtungsmethoden, 


Literatur. 
Technisches Ausführung der Instrumente: 

Ph. Carl, Die Prinzipien der astronomischen Instrumentenkunde, Leipzig 1868. 
L. Ambronn, Handbuch der astronomischen Instrumentenkunde, 2 Bde., Berlin 

1899 (Ambronn). 
J. A. Repsold, Zur Geschichte der astronomischen Meßwerkzeuge von Purbach 

bis Reichenbach 1450—1830, Leipzig 1908. 

Eneyklop. d. math. Wiesensch. VI 32. 14 


196 TVIe,d. Frits Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumentc. 


Methoden der Beobachtung und der Instrumentaluntersuchung: 
W. Chauvenet, A manual of epherical aud practicel astronomy, 2 vole., Phila- 
delphia 1868, 5* ed. Philadelphia 1885, 1893, 1900 (b** ed.: Ohauvenet). 

F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berlin 188: (Brünnow). 
W. Förster, Astxometrie oder die Lehre von der Ortebestimmung im Himmels- 
zsume. 1. Heft: Die Sphärik und die Koordinatensysteme, Berlin 1905. 

RB. Wolf, Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und Literstur, 2 Bde,, 

Zürich 1890—98 (Wolf, Handb.). 
W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, 4 Bde., Breslau resp. Leipzig 
1897—1902 (Valentiner, Handwörterbuch). 
Leistungen der einzelnen Instrumente: 
Die Veröffentlichungen der beksnnteren Sternwarten [aus älterer Zeit: Green- 
wich, Dorpat, Königsberg usw.; aus späterer etwa: Pulkowa, Leiden, Paris, Cap, 
Straßburg, München, Berlin, Bonn, Washington, Mt. Hamilton.}?). 





1. Idee einss Universelinstruments zur astronomischen Orts- 
bestimmung. Die beobachtende Astronomie hat die Aufgabe, die 
scheinbaren Koordinaten der Himmelskörper, bezogen auf ein den 
Zwecken der theoretischen Astronomie entsprechendes Koordinaten- 
system, zu bestimmen, d. h. die sphärischen Koordinaten der 
Richtung, in der uns ein Gestirn erscheint. Ein diesem Zwecke 
dienendes Instrument muß daher aus einer die Richtung nach dem 
Gestirn festlegenden Visierlinie bestehen und mit einer Einrichtung 
versehen sein, welche diese Visier- oder Absehenslinie bequem auf 
jedes Objekt einzustellen und die eingestellte Richtung gegen gewisse 
feste Richtungen numerisch festzulegen gestattet. 

Die Visierlinie besteht in ihrer einfachsten Form aus zwei in 
fester Verbindung stehenden Dioptern, dünnen Metallplätteben mit 
kreisrunder feiner Durehbohrung, welche man in die Richtung vom 
Auge des Beohachters nach dem Objekte bringt. Ihre Einstellung 
erfolgt, dem Prinzip der sphärischen Koordinaten entsprechend, durch 
Drehung um geeignete Achsen, entweder um eine zu ihr senkrechte 
Achse, die Nebenachse, oder gemeinsam mit ihr um eine zweite, zur 
ersten senkrechte Achse, die Hauptachse des Systems. Bei diesen 
Drehungen beschreibt die Absehenelinie an der Himmelskugel die 





1) Greenw. Obs.; F. @. W. Struve, Observationes astronomicae institutae 
in specula Universitatie Dorpatensis vol. 1—8, Dorpati 1817-1839; Königsb. 
Beob.; Poulkova obs.; Poulk. Obs. Centr. Nie. Publ.; Leiden Sternw. Ann.; Obs. 
de Paris Ann.; Cape »stron. results *’®), Cape meridien results.’!%, Cape Obs. Ann.; 
Straßb, Sternw. Ann.; Neue Annalen der Sternwarte in Bogenhausen bei München, 
Bd. 1 ff., München 1890 #. (München Sternw. Ann.); Berlin Bternw. lirgebn.; 
Bonn Sternw. Veröff., Wash. obs.; Publications of the ZLick Observatory [Mount 
Hamilton] of the University of California, vol. 4 and 6, Sacramento 1900/03 
(R. H. Tucker). 


1. Das Universalinstrument, 2. Der Beobachtungsvorgang. 197 


beiden Arten von Kurven, welche das System der sphärischen Koor- 
dinaten charakterisieren. Sie läßt sich dadurch auf jedes Himmels- 
objekt einstellen und gibt zugleich durch ihre Drehungswinkel um die 
betreffenden Achsen die sphärischen Koordinaten selbst. Zur numerischen 
Fixierung dieser Drehungswinkel ist das Instrument mit geteilten 
Kreisen versehen, weiche gewissermaßen die Abbilder der größten 
Kreise der Himmelskugel sind. 

Ein dieser Idee entsprechendes Instrument gibt in den Ablesungen 
seiner Kreise die sphärischen Koordinaten des eingestellten Objekte 
in seinem eigenen System. Soll dieses System mit einem astrono- 
misch bestimmt definierten zusammenfallen, so muß seine Hauptachse 
auf den Pol dieses Systems gerichtet sein und die Nullpunkte der 
beiden Kreise müssen mit den Nullpunkten des Koordinatensystems 
übereinstimmen. In diesem Falle nennen wir das Instrument ein nach 
dem betreffenden Pol orientiertes Universalinstrument. 

Für die Praxis kommen nur zwei sphärische Systeme in Frage, 
deren Pole das Zenit und der Himmelspol sind, das System der 
Azimute und Höhen und das System der Stundenwinkel und Dekli- 
nationen. Je nachdem die Hauptachse des Instruments auf das Zenit 
oder den Pol des Himmels zeigt, nennt man es dann im apeziellen 
Universalinstrument (Altazimut) oder Äquatoreal. - 


2. Die Durchführung der Idee in der Praxis; Beschreibung 
des Beobachtungsvorgangs. Bei der praktischen Ausführung eines 
solchen Instruments handelt es sich um die Einrichtung der Visierlinie 
und ihres mechanischen Drehungsprozesses, die Fixierung der Drehungs- 
winkel und die Aufstellung des Instruments in bestimmt definierter 
Orientierung. Darüber sei im einzelnen bemerkt: 

Schon kurze Zeit nach der Erfindung des Fernrohrs ist man 
dazu übergegangen, der schärferen Einstellung halber die optische 
Achse eines Fernrohrs als Visierlinie zu benutzen’*). Man verwertet 
dabei weniger die lichtverstärkende Kraft des Fernrohrobjektivs als viel- 
mehr seine Eigenschaft, in seiner Brennebene ein Bild eines unendlich 
fernen Objekts zu entwerfen, dessen Richtung parallel der Ver- 
bindungslinie des Bildpunktes mit dem „optischen Mittelpunkt“ des 
Objektivs ist?). Um diese Richtung geometrisch festzulegen, bedarf 


1°) Vgl. dazu Wolf, Handb. 2, $ 331. 

2) Der bequemeren Beobachtung wegen benutzt man häufig ein sogenanntes 
gebrochenes Fernrohr, bei dem der Lichtstrchl mit Hilfe geeigneter Spiegel oder 
Prismen eine gebrochene Linie durchläuft und der Okularteil in die Richtung 
der Nebenachse fällt, z. B. bei Passageninstrumenten, 6quatoriel coude’N. 
Der Vorteil ist der, daß das Auge des Beobaehters bei allen Drehungen des 

14* 





188 : Vin 5. Urs: Oohe; Thneris. dei altronomischen: Winkeiiheßliichinmanie: 


man in dieser Brennebene möglichst nahe der optischen Achse einer 
punktförmigen Marke, welche man durch Drehung des Fernrohrs 
mit dem Bilde des Objekts zur Deckung bringt. Die Verbindungslinie 
der Marke mit dem Mittelpunkt des Objektivs stellt dann die soge- 
nannte Kollimationslinie (Absehenslinie, Visierlinie) dar. Als solche 
Marke dient ein in der Brennebene aufgespanntes Fadenkreuz (meist 
von Kokonfäden). Das Okular, mit dem das in der gemeinsamen 
Brennebene entworfene Bild betrachtet wird, dient vorzugsweise zur 
Vergrößerung und damit zur Erhöhung der Genauigkeit der Einstellung. 

Das Fadenkreuz?) ist auf der sogenannten Fadenplatte auf- 
gespannt, einer in der Bildebene liegenden Metallplatte mit recht- 
eckigem Ausschnitt, welche senkrecht zu ihrer Ehene, d. h. längs der 
optischen Achse des Fernrohrs, verschoben werden kann, um genau 
mit der Brennebene des Objektive zusammenzufallen. Diese Fokus- 
sierung der Fäden ist öfters zu kontrollieren, da die Brennweite des 
Objektivs von äußeren Einflüssen, wie Temperatur, ein wenig ab- 
bängig zu sein pflegt. 

Um bei den nächtlichen Beobachtungen das Fadenkreuz sichtbar 
zu machen, bedient man sich der sogenannten Fadenbeleuchtung. Die- 
selbe erhellt entweder von der Objektivseite her das Gesichtsfeld, 
so daß die Fäden sich schwarz von dem hellen Grunde abheben 
(„helles Feld“), oder, was für die Beobachtung schwächerer Objekte 
erforderlich ist, durch seitliche Beleuchtung die Fäden selbst, welche 
dann hell auf dunklem Grunde erscheinen („helle Fäden“). 

Die exakte Ausführung des Drehungsprozesses bereitet aus dem 
Grunde besondere Schwierigkeiten, als Drehungsachsen im mathe- 
matischen Sinne technisch nicht ausführbar sind, sondern nur in mehr 
oder minder massiver Form hergestellt werden können. Um der 
mathematischen Idee nach Möglichkeit zu entsprechen, wählt man 
dazu die einfachsten Rotationskörper, als Zylinder, Kegel, Kugel, 
und läßt sie sich in festen Lagern drehen; an den Auflagestellen 
beschränkt man sich auf möglichst punktförmige Berührung. 

Die exakte Einstellung des Fernrohrs auf das Objekt, d. h. des 
Fadenkreuzes auf den Bildpunkt, geschieht nach vorherigem HFest- 
klemmen des Fernrohrs, resp. der Achsen, mit Hilfe der sogenannten 


Fernrohrs möglichst in derselben Lage bleibt, sowie die gedrungenere Konstruktion 
des ganzen Instruments, der Nachteil die durch die Einführung der optischen 
Zwischensysteme entstehende Verringerung der Stabilität der optischen Achse. 

3) In der Praxis tritt an seine Stelle meistens ein ganzes System von ger 
eignet; angeordneten Fäden; anch kommen vielfach statt der Fäden dünne Glas- 
platten mit eingeritzten Strichen zur Anwendung. 


2. Beobachtungsvorgang beim Universalinstrument. 199 


Feinbewegung. Das Aufsuchen der hellsten Objekte erfolgt mit 
bloßem Auge, die schwächeren stellt man an den geteilten Kreisen roh 
ein; ist ihr Ort zu unsicher bekannt, so muß man sie zunächst in dem 
sogenannten Sucherfernrohr aufsuchen. 

Mit der Einstellung des Fadenkreuzes auf das Bild des Objekts 
und der Fixierung des zugehörigen Zeitmoments?) ist die eigentliche 
Beobachtung erledigt und es bleibt die weitere Aufgabe, die sphäri- 
schen Koordinaten der so fixierten Richtung, d. h. ihre Drehungs- 
winkel um die beiden Achsen des Instruments, an den geteilten, senk- 
recht zu den Drehungsachsen sitzenden Kreisen abzulesen. Das Ab- 
lesungsprinzip besteht darin, daß die Stellung eines an der Drehung 
des Fernrohrs teilnehmenden geteilten Kreises an der unmittelbar 
benachbarten Teilung eines zweiten, zum ersten konzentrischen, aber 
feststehenden Kreises abgelesen wird, und seine verschiedenen Aus- 
führungen unterscheiden sich nur durch die Art der beiderseitigen 
Teilungen, indem der eine der beiden Kreise meist nur durch einige 
Durchmesser repräsentiert wird. Entweder besteht die Teilung des 
feststehenden Kreises (Alhidadenkreis) nur aus einigen, symmetrisch 
über die Peripherie verteilten, festen Ablesemarken°®), an denen die 
Feinteilung des beweglichen Kreises abgelesen wird (z. B. Meridian- 
kreis, Vertikalkreis des Universalinstruments). Oder der feststehende 
Kreis ist fein geteilt und die Ablesemarken befinden sich auf der 
Peripherie des drehbaren Kreises, an dessen Drehung sie teilnehmen 
(z. B. Horizontalkreis des Universalinstruments). In ältester Zeit war 
die die Diopter tragende Visierlinie einfach selbst Alhidade, d. h. ein mit 
Strichmarken versehener Durchmesser des geteilten Kreises, so daß 
die Drehung unmittelbar an diesem feststehenden Kreise abgelesen 
wurde. Diese Ablesemarken wurden später zur Erhöhung der Ge- 
nauigkeit mit Nonien oder Verniers versehen; an ihre Stelle sind 
jetzt durchweg Ablesemikroskope mit senkrecht zur Kreisteilung ge- 
richteten Achsen getreten, welche die Stellung des Kreises gegen 
eine bestimmte Nullmarke in der Brennebene des Mikroskopobjektivs 
mit Hilfe eines durch eine Mikrometerschraube bewegten Fadens zu 
fixieren gestatten. 


4) Wegen der schnellen Veränderlichkeit der direkt meßbaren astrono- 
mischen Koordinaten; nur die an einem Äquatoreal eingestellten Deklinationen 
der Fixsterne können für diesen Zweck als zeitlich konstant gelten. 

5) Steht der Kreis genau zentrisch zur Umdrehungsachse, so genügt eine 
solche Marke; zur Beseitigung einer etwaigen Exzentrizität führt man zwei dia- 
metral gegenüberstehende Marken ein und erhöht ihre Zahl auf vier, wenn es 
sich um besondere Genauigkeit handelt. 


200 VIs,5. Frits Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


In einander über gehen beide Arten der Ablesung (fester Kreis, 
feste Marken) bei einem von Hausen für Meridiankreise gemachten 
Vorschlage®). Danach erhält der drehbare Kreis nur eine sehr weite 
Teilung (von 5° zu 5° etwa), die festen Ablesemarken aber bestehen 
in vier eng geteilten Hilfsbogen von je 5° Länge, welche durch Ab- 
lesemikroskope zu vier Strichen des Hauptkreises in Beziehung gesetzt 
werden. Der Vorteil besteht dabei in der geringeren Zahl der zur 
Verwendung gelangenden Teilstriche. 

So vollzieht sich eine vollständige Beobachtung in der Einstellung 
des Fernrohrs auf das Objekt, in der Fixierung des zugehörigen Zeit- 
moments und in der Ablesung der beiden Kreise. Dazu kommt noch 
wegen der atmosphärischen Refraktion (s. VI2,6 [.Bemporad]) die 
Ablesung der meteorologischen Instrumente, da der Einfluß dieses 
„Abbildungsfehlers“ der Atmosphäre auf die Koordinaten der Gestirne 
von Temperatur und Luftdruck abhängig ist (s. 3. 246). 

Man erhält so die sphärischen Koordinaten des eingestellten 
Objekts in dem eigenen System des Instruments. Damit dieses System 
mit einem „natürlichen“ identisch sei, müssen seine Drehungsachsen 
nach dem Pol dieses Systems richtig orientiert sein. Für die 
beiden oben besprochenen natürlichen Systeme, denen das Universal- 
instrument und das Äquatoreal entsprechen, ist, sei es zur eigent- 
lichen Orientierung, sei es zur Überführung der beobachteten Koordi- 
naten (Azimut, Höhe, Stundenwinkel) in äquatoreale Koordinaten (x, 6) 
neben der Richtung der Schwerkraft die Kenntnis des Meridians, der 
Polhöhe und der Sternzeit erforderlich. Wie diese Kenntnis durch 
geeignete Kombination mehrerer Beobachtungen desselben oder 
mehrerer Gestirne gewonnen werden kann, vgl. VI2, 2 (F. Cohn), 
8. 21—25. 

Zum richtigen Funktionieren des Instruments gehört also, daß 
erstens die Visierlinie bei ihren Drehungen die Koordinatenkurven 
des betreffenden sphärischen Systems beschreibe und ihre Drehungs- 
winkel den Koordinatendifferenzen gleich seien — sie muß dazu starr 
und die beiden Achsenwinkel genau rechte Winkel sein —, sowie 
zweitens, daß diese Drehungswinkel durch geeignete Hilfsinstrumente 
richtig gemessen werden. 

Über die technische Ausführung der verschiedenen astronomischen 
Winkelmeßinstrumente und ihrer Hilfsapparate, die Art ihrer Auf- 


6) P. A. Hansen, Beschreibung der Einrichtungen, welche am Meridiankreise 
der Seeberger Sternwarte angebracht worden sind, Astr. Nachr. 17 (1840), 
p: 49-80, * 


8. Hilfsinstwumente: a) Mikromster, Mikroskop. 201 


stellung und die Einrichtung der Beobachtungsräume auf festen 
Sternwarten, vgl. Ambronn. 


8. Die Hilfsinstrumente, ihre Einrichtung und die Aus- 
wertung ihrer Skalen. Die numerische Bestimmung der Drehungs- 
winkel der Visierlinie, sowie die Fixierung der Zeitmomente 
geschieht durch eine Reihe von Hilfsinstrumenten, wie Mikrometer- 
schrauben, geteilte Maßstäbe (Skalen) oder Kreise, Uhren usw. 
Ihre meist in einer eigenen Maßeinheit enthaltenen Angaben müssen 
eret geaicht werden Yan die dem eigentlichen Beobachtungsvorgang 
entsprechenden Daten iNeger erforderlichen Form zu geben. Bei der 
exakten Auswertung diesef@Angaben setzt man eine gewisse ein- 
fache mathematische Beziehu Bozu den gemessenen Größen als sehr 
angenähert erfüllt voraus und %st einmal die Konstanten dieses 

N 7 z 
allgemeinen‘ Ansatzes durch besom@ere Messungen zu bestimmen, 
dann aber auch die etwaigen Abweichä en von diesem Ansatze zu 
untersuchen. Denn allgemein gilt seit F% GR. Bessel als Richtschnur, 
daß kein Teil eines Instruments, so exakt es die heutige Technik 
auch herzustellen vermag, als fehlerfrei, d.h. seiner Idee genau ent- 
sprechend angesehen werden darf, sondern je nach den Zwecken, denen 
es dienen soll, mit größerer oder geringerer Schärfe auf seine Fehler 
hin, d. h. auf die Abweichung des vorliegenden Individuums von der 
allgemeinen Idee untersucht werden muß. 


a) Die Mikrometerschraube und das Ablesemikroskop. 


Vielfach bezweckt man, das in der Bildebene eines Objektivs 
entworfene Bild eines äußeren Gegenstandes in ebenen Koordinaten 
scharf auszumessen oder seine Lage gegen das Fadenkreuz oder 
sonstige feste Marken in der Bildebene festzulegen.. Das erstere tritt 
2.B. ein bei der Vermessung eines von einem Fernrohrobjektiv ent- 
worfenen visuellen oder photographischen Abbildes des Himmels, das 
letztere bei der mikroskopischen Ablesung einer Kreisteilung, sowie 
bei vielen Instrumentaluntersuchungen, von denen später die Rede 
sein wird (Kollimationsfehlerbestimmung am Meridiankreise, Azimut- 
bestimmung durch Miren usw.). Diese Ausmessung geschieht durch 
Pointierung der einzelnen Bildpunkte mit einem in der Bildebene 
beweglichen, das ebene Koordinatensystem veranschaulichenden Faden. 
Eine Mikrometerschraube erteilt diese senkrecht ‘zur optischen Achse 
gerichtete Bewegung der ganzen, den Faden tragenden, sogenannten 
beweglichen Fadenplatte, welche der festen Fadenplatte parallel sein 
und ihr so nahe anliegen muß, daß im Okular sowohl feste, wie 
bewegliche Fäden scharf erscheinen, ohne doch bei der Parallel- 


202 VIa,öd. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


verschiebung der Platten ein Haken der Fäden hervorzurufen. Indem 
man den an einer feingeteilten Trommel abgelesenen Drehungswinkel 
dieser Schraube als Maß der linearen Verschiebung des Fadens ansieht, 
setzt man völlige Proportionalität von Drehungswinkel und linearer 
Verschiebung voraus. Zur Prüfung dieser Voraussetzung bedarf es 
daher einer Untersuchung der sogenannten Fehler der Mikrometer- 
schraube durch Auswertung fester Intervalle an verschiedenen stetig 
verteilten Stellen der Schraube. In der Praxis zerlegt man gewöhn- 
lich die Schraubenfehler in periodische, sich bei jeder Windung im 
‘wesentlichen wiederholende, nur von der Drehungsphase abhängige, 
und in fortschreitende Fehler, die auf einer Verschiedenheit des 
Schraubenganges in den verschiedenen Windungen beruhen, und be- 
stimmt sie getrennt”). — Bei manchen Messungen ist auch die Kennt- 
nis des „toten Ganges“ der Schraube erforderlich, d. h. des meist gering- 
fügigen freien Spielraums zwischen Schraube und Schraubenmutter, 
dessen Effekt darin besteht, daß bei verschiedenem Drehsinn der 
Schraube der gleichen Trommelablesung nicht genau die gleiche 
Fadenstellung entspricht). 

Gewöhnlich sind die Mikrometertrommeln in 100 Teile — nur 
bei Kreisablesungen in 60 -—— geteilt und lassen die Zehntelteile, 
d. h. 0®.001 (R = Revolution, d. h. eine Umdrehung der Mikrometer- 
schraube um 360°) noch genau schätzen; bei einer üblichen Ganghöhe 
von 0.5 mm entspricht das 0.5 u®°*). Der Winkelwert einer Revolution 
schwankt je nach den verschiedenen Anwendungen etwa von 10” 
bis 100”. 

Die periodischen Fehler der besseren modernen Mikrometerschrauben 
können fast stets vernachlässigt werden, da sie, soweit sie über- 
haupt verbürgt werden können, wenige 0*%.001 nicht überschreiten, 
und auch die fortschreitenden Fehler sind stets geringfügig, so daß 
sie oft ganz unberücksichtigt bleiben können’). Immerhin erfordern 





(„Besondere Untersuchung des Heliometers der Königsberger Sternwarte‘) in 
Bessel, Astron. Untersuch. 1 (1841), p. 75—90 (=\Bessel, Abbdl. 2, p. 133—166), 
Vgl. Brünnow, p. 445449, sowie u. &. auch @. Müller, Untersuchungen über 
Mikrometerschrauben, Astronomische Beobachtungen auf der kgl. Sternwarte 
zu Berlin, Bd. 5, Berlin 1884, Anhang 2; W. Zurhellen, Die Untersuchung von 
Mikrometerschrauben in der Praxis, Astr. Nachr. 172 (1906), p. 1—20. 

8) Vgl. 7%. Knorre, Untersuchungen über Schraubenmikrometer, Astr. 
Nachr. 125 (1890), p. 321—-360. 

9) Vgl. z. B. die von O. Siruve herausgegebene Festschrift: „Zum 50- 
jährigen Bestehen der Nikolai-Hauptisternwarte. Beschreibung des 30zölligen 
Retraktors“, St. Petersburg 1889, p. 7680. 


8. Hilfsinstrumente: a) Mikrometer, Mikroskop. 203 


die Fehler- einer Schraube eine gelegentliche Kontrolle, indem sie 
durch den Gebrauch abgenutzt wird, auch kann sie durch einen 
längeren Transport leiden !®). 

Die Messung mit der Mikrometerschraube gibt die in die Richtung 
der Fadenbewegung fallende Koordinate der eingestellten Objekte aus- 
gedrückt in Schraubenumdrehungen. Die optische Achse des Ablese- 
mikroskops, wie es zur scharfen Ablesung geteilter Maßstäbe und 
Kreise Verwendung findet, muß senkrecht zur Ebene der Teilung 
stehen und der bewegliche Faden (oder Doppelfaden) so orientiert 
sein, daß er den Teilstrichen parallel stebt, Der Kenntnis der einer 
Schraubenumdrehung entsprechenden linearen Verschiebung des Fadens 
bedarf man im allgemeinen nicht, da es sich um die Dimensionen des 
betrachteten Objekts, nicht seines Abbildes handelt. Man bestimmt 
daher den Wert einer Schraubenumdrehung, kurz den Schraubenwert, 
durch Ausmessung bekannter, meist cölestischer, Objekte oder Vor- 
gänge. Bei der Ablesung von Kreisen oder Maßstäben richtet man 
den Schraubenwert gewöhnlich so ein, daß eine ganze Zahl von Um- 
drehungen eine Verschiebung des Fadens um einen Teilstrich bewirkt; 
beträgt er z.B. 1’, so läßt eine Trommelteilung in 60 Teile die ganzen 
Bogensekunden ablesen, die Zehntel schätzen; die zugehörige Minute 
wird einer im Gesichtsfelde des Mikroskops sichtbaren Marke (Rechen) 
entnommen. Da aber infolge thermischer usw. Einflüsse auf eine 
völlige Konstanz des Schraubenwertes nicht zu rechnen ist, be- 
stimmt man den sogenannten Run des Mikroskops in geeigneten Zeit- 
intervallen durch Ausmessung einer bekannten Strecke, z. B. des Ab- 
standes zweier benachbarter Teilstriche, und hält ihn dauernd unter 
Kontrolle. 

Die Fixierung der Stellung des Kreises oder der Skala geschieht 
dann dadurch, daß man mit dem beweglichen Faden den Abstand 
eines Teilstriches!!) entweder von einer festen, vom Mikroskop un- 
abhängigen Marke mißt — so dient bei der Hansenschen Einrichtung . 
der Ablesung des Meridiankreises®) das Ablesemikroskop nur zur 
scharfen Übertragung der Teilung der festen Hilfsbogen auf den be- 
weglichen Kreis — oder aber von der Nullstellung der Mikrometer- 
trommel, die jetzt ihrerseits als feste Marke auftritt. Im letzteren Falle 
muß diese Nullstellung im Laufe einer Messungsreihe unveränderlich 








10) Th. Albrecht, Breitendienst, Resultate !%%), 1 (1908), p. 23—26. 

11) Man stellt gewöhnlich den Doppelfaden des Mikroskops nacheinander 
auf zwei benachbarte Teilstriche, zwischen denen sich die Nullstellung des 
Fadens befindet, ein und erreicht dadurch eine erhöhte Genauigkeit, wie auch 
ein größeres Material zur Bestimmung des Run. 


204 Vls»,6. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


sein oder in ihren Änderungen yerfolgt werden. Bei den Vertikal- 
kreisen der Universalinstrumente erfolgt diese Kontrolle durch ein 
auf die Mikroskopträger aufgesetztes Niveau; bei dem Meridiankreise 
vermischt sie sich mit der unten zu betrachtenden Bestimmung des 
Nulipunkts des Kreises, d.h. der Kreisstellung, bei welcher die Null- 
stellung des Mikrometerfadens den Nullstrich des Kreises deckt oder 
das Mittel der 4 Mikroskopablesungen Nuli gibt. 

Die Genauigkeit der Pointierung mit dem beweglichen Faden 
der Mikrometerschraube hängt, abgesehen von dem betreffenden opti- 
schen System, z. B. seiner Vergrößerung, wesentlich von der Schärfe 
und Ruhe des beobachteten Objekts ab. So findet Großmann'?) für 
den mittleren Fehler (abgekürzt: m. F.) der Pointierung eines Pol- 
sterns (2 < 40°) bei 120maliger Vergrößerung -+ 0”.16 (bei 1.50 m 
Brennweite = + 1.2 Mikron®®), Küstner) eines Äquatorsterns 
(e=50°) bei 140 maliger Vergrößerung + 0”.28 (bei 1.95 m Brennweite 
= + 2.6u). Die starke Zunahme des Pointierungsfehlers mit der Zenit- 
distanz zeigen die folgenden Zahlen für den Pulkowaer Vertikalkreis*): 


P | 
m. FE. 
von bis 


10 | 30° | + 0”.30, 
50 160 | -+0.35, 
0 51+044, 
75 | 80 | +0.56. 











Für den mittleren Fehler einer Nadireinstellung findet Großmann?) 
(p. 67) bei Tage + 0”.115 (+ 0.84), bei Nacht + 0”.087 (+0.6u), 
Bauschinger”) + 0.101 (= + 1.0); vgl. auch Nr. 7. 

Die Genauigkeit einer Meridiankreisablesung mit Mikroskopen über- 
trifft die früher übliche mit Nonien, die bei den üblichen Teilungen von je 
2’ bis je 5’ kaum die Bogensekunde gaben, um ein bedeutendes. Als 
mittleren Fehler einer einmaligen einfachen Einstellung eines Kreis- 


12) E. Großmann, Beobachtungen am Repsoldschen Meridiankreise der 
v. Kuffnerschen Sternwarte in Wien-Ottakring, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 27 
(1901), Nr. 1, p. 190. 

18) F. Küstner, Bonn Sternw. Veröff. Nr. 4 (1900), p. 10. Die ungünstigen 
Luftverhältnisse zwangen zu einer verhältnismäßig geringen Vergrößerung. — 
Vgl. im folgenden auch F. Küstner, Bonn Sternw. Veröff. Nr. 5 (1901) und 
Nr. 6 (1902). 

14) M. Nyren, Observations faites «u cerele vertical, Poulk. Obs. Centr. 
Nic. Publ. 2 (1896), p. (44)—(49), 


8. Hilfsinstrumente: b) Skalen, Teilkreise. 205 


striches finden Bauschinger'®) (p. 45) bei 25facher Vergrößerung + 0”.11 
(bei einem Kreisdurchmesser von 65 cm = + 0.17 u), Großmann?) 
(p. 24) bei 36facher Vergrößerung + 0”.09 (= + 0.12 u). Als mitt- 
leren Fehler einer vollständigen Kreisablesung von je 2 Strichen mit 
4 Mikroskopen findet Küstner!®) (p. 17) + 0”.12 (= -+ 0.19 a) oder 
mit Einbeziehung der zufälligen Teilungsfehler + 0”.15. 

b) Die Teilungen von Maßstäben (Skalen) und Kreisen. 

Die exakte Ausführung umfangreicher Teilungen bietet besondere 
Schwierigkeiten, indem die wechselnden äußeren Verhältnisse während 
des längere Zeit erfordernden Teilungsprozesses die Homogenität der 
Teilung beeinträchtigen'®). In früherer Zeit erfolgte die Teilung oft in 
der Weise, daß zunächst die Hauptstriche (etwa von 1° zu 1°) von 
einer Originalteilung aus auf den Kreis übertragen, die feinere Tei- 
lung (von 2’ zu 2’ etwa) durch geteilte Lamellen (von 1° Länge) 
zwischen jene Hauptstriche eingefügt wurde. Alle diese letzteren 
Striche besitzen dann den Fehler der Lamellenteilung'”). Neuerdings 
erfolgt die Übertragung der Originalteilung Strich für Strich, so daß 
bei den Unterbrechungsstellen wie auch am Schluß größere Fehler 
auftreten können; so findet Nyren'®) als Fehler des Schlußintervalls 
0.”72, die größte Abweichung, die überhaupt vorkam. 

In älterer Zeit verminderte man den Einfluß der Teilungsfehler 
der Kreise dadurch, daß man das Fernrohr sowohl ohne, wie mit 
Kreis um die Achse drehbar machte und dann Vielfache des zu messen- 
den Winkels bestimmte [Prinsip der Repetition''*)]. Später begann 
man die Teilungsfehler systematisch zu bestimmen. Von den diesbezüg- 


15) J. Bauschinger, Untersuchungen über die atmosphärische Refraktion, 
München Sternw. Ann.!) Bd. 3 (1898), p. 53. Brennweite 1.9&gm, Vergrößerung 270. 

16) Das Protokoll bei der Neuteilung des Pulkowaer Vertikalkreises [| M. 
Nyren, Untersuchung der Kepsoldschen Teilung des Pulkowaer Vertikalkreises, 
St. P&t. M&m. (7) 34, 2 (1886)] zeigt, daß die Teilung 17 volle Tage in Anspruch 
genommen hat, innerhalb deren die Temperaturen zwischen 9°,5 R. und 18°9 R. 
schwankten. Bei einigen neueren Meridiankreisen (Wien-Ottakring, Heidelberg) 
vollzog sich die Teilung in kürzerer Zeit (9 Tage). 

17) Vgl. O. Struve, Poulkova Obe. 4 (1872), Observations faites au cercle ver- 
tical, p. (86) u. (37). Die Beobachtungen zeigten hier, daß die Fehler der 2'- 
Striche sich in jedem Grade regelmäßig wiederholten und bis auf fast 1” an- 
stiegen; erst nachher wurde bekannt, daß in der Tat die Ertelsche Teilung 
in der oben angegebenen Art entstanden war. Mit ihrer Berücksichtigung ging 
der zufällige wahrscheinliche Strichfehler von + 0.368 auf 4 0”.206 herab. 

17®) T. Mayer, Nova methodus perficiendi instrumenta, Commentarii Socie- 
tatis scientiarum Gottingensis 1 (1752), p. 324. — Hierher gehört auch die noch 
heute bei astronomisch-geodütischen Messungen übliche Art des Beobachtens in 
„wechselnden Kreisständen“. 


i 


206 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


lichen Methoden sei hier nur angedeutet, daß, ähnlich wie bei der Unter- 
suchung von Mikrometerschrauben, durch Ausmessung eines festen Inter- 
valls oder Winkels an verschiedenen Stellen der Teilung Relationen zwischen 
den Fehlern verschiedener Teilstriche erhalten werden. Bei Kreis- 
teilungen schafft man sich durch Hilfsmikroskope gewisse feste 
Winkel, aliquote Teile der Kreisperipherie, die durch Drehung des 
Kreises an verschiedenen Stellen der Teilung ausgewertet werden; 
bei Skalen bestimmt man gleichzeitig die Febler zweier aneinander 
gelegter Maßstäbe durch Parallelverschiebung; im Prinzip kommen 
beide Untersuchungen auf dasselbe hinaus. Die verschiedenen Me- 
thoden der Teilungsfehlerbestimmung werden in verschiedener Weise 
der Anforderung gerecht, bei einem bestimmten Arbeitsaufwand eine 
möglichst große Genauigkeit der individuellen Fehlerbestimmung zu 
erzielen. Aus der großen Literatur über Kreisteilungsuntersuchungen ?) 
sei die Methode von H. Bruns hervorgehoben, welche diese umfang- 
reiche und mühsame Arbeit in besonders rationeller Weise durch- 
zuführen gestattet. 


Die erste Untersuchung einer Kreisteilung führte F!. W. Bessel'?) im 
Jahre 1814 und in exakterer Form 1817 am Caryschen Kreise aus und 
wiederholte sie 1821 am Reichenbachschen und 1842 am Repsold- 
schen Meridiankreise der Königsberger Sternwarte. Indessen be- 
gnügte er sich in der Hauptsache damit, die gesetzmäßigen Fehler 
der Teilung durch eine Interpolationsformel in Form einer Fourier- 
schen Reihe darzustellen und die individuellen Fehler nur für einige 
. besonderen Striche, die zur Polhöhenbestimmung oder den Fundamen- 
talsternen gebraucht wurden, zu bestimmen. Auch heute wird diese 
Besselsche ug" noch vielfach angewandt. Später ging man in der 


18) Die Untersuchung von Kreisteilungen behandeln: 

F. W. Bessel, Königsb. Beob. 1 (1815) und 3 (1817), Einl., worin die später 
wiederholt angewandte sog. Besselsche Methode enthalten ist; O. Schreiber, 
Untersuchung von Kreisteilungen mit zwei und vier Mikroskopen, Zeitschr. f. In- 
strumentenkunde 6 (1886); H. Bruns, Untersuchung einer Wanschaffschen Tei- 
lung, Astr. Nachr. 130 (1892), p. 17; vgl. auch Fußn. 14, 19, 20. 

Speziell die Untersuchung der Teilungsfehler von Skalen behandeln: 

P. A. Hansen, Von der Bestimmung der Teilfehler eines geradlinigen 
Maßstabes, Leipzig, Ges. Wiss. Abhdl. 10 (1874); D. Gill, On the determi- 
nation of errors of graduation without cumulative error, Lond. Astr. Soc. 
 Monthly Not. 49 (1889), p. 105; @. Lorentzen, Über die Untersuchung der Skalen 
eines Heliometers, Astr. Nachr. 131 (1892), p. 217 und Astr. Nachr. 135 (1894), 
p. 3585 K. Schwarzschild, Zur Bestimmung der Teilfehler von Maßstäben, Astr. 
Nachr. 148 (1897), p.1; P. Harzer, Über die Bestimmung der Teilfehler von 
Maßstäben, 1) nach der Gill-Lorentzenschen Methode, Astr. Nachr. 161 (1903), 
p. 161; 2) nach der ersten Hansenschen Methode, Astr. Nachr. 161 (1903), p. 381. 


3. Hilfsinstrumente: b) Skalen, Teilkreise. 207 


Bestimmung individueller Strichfehler weiter, etwa von 1° zu 1°, und 
interpolierte für die dazwischen liegenden Striche”). Eine Bestim- 
mung aller Strichfehler, d. h. des Mittels je 4 diametral gegenüber- 
stehender, ist nur äußerst selten ausgeführt worden”). Nyren'®) 
(p.34—535) findet den zufälligen Strichfehler bei der von ihm untersuchten 
Repsoldschen Teilung des Pulkowaer Vertikalkreises äußerst gering 
und schätzt den wahrscheinlichen Fehler eines interpolierten Wertes 
zwischen den von ihm bestimmten Fehlern der Gradstriche insgesamt 
auf +0”.05. Andere halten die zufälligen Strichfehler für erheb- 
licher?), ja sogar für überwiegend??). Daß man aber durch Berück- 
sichtigung der systematischen Fehler, auch in Form einer trigono- 
metrischen Reihe, eine wesentlich bessere Darstellung der Beobach- 
tungen erzielt, zeigt EZ. Großmann?) (p. 38—43) durch Vergleichung 
beider Kreislagen. Auch wird das noch deutlicher durch die von 
ihm!?) p. 47 gegebene Zusammenstellung, welche zeigt, wie überaus 
gleichmäßig “sich die Fehler der Repsoldschen Urteilung auf eine 
Reihe von Meridiankreisen übertragen haben. Im übrigen erreichen 
die Teilungsfehler bei den besseren Kreisen der Neuzeit, insbesondere 
den Repsoldschen, bei Durchmessern von etwa 60 em bis 100 cm im 
Mittel aus zwei Durchmessern (4 Strichen) nur selten Beträge, die 
0”,5 überschreiten. 

Die Teilungsfehleruntersuchung beim Kreise vereinfacht sich 
merklich durch den p. 200 zitierten Vorschlag von Hansen®), der 
aber außer bei einigen älteren Instrumenten bisher nur bei dem 
neuen Meridiankreise der Kieler Sternwarte zur Durchführung gelangt 
ist?®). Sie beschränkt sich daun auf die weiten (in Kiel 72) Striche 
des Hauptkreises und die engen, aber im ganzen auf 20° beschränkten 
(in Kiel 300) Striche der Hilfsbogen. 


19) © A. F. Peters, Untersuchung der Teilungsfehler des Krtelschen 
Vertikalkreises der Pulkowaer Sternwarte, Recueil de me&moires presentös A 
lacademie des sciences par les astronomes de Poulkova |vol. 1, publi6 par 
W. Struve, St. Petersbourg 1858; vol. 2, publi6 par 0. Struve, St. Petersbourg 
1859 (Recueil Pouikova)], vol. 1, p. 181. Ebenso M. Nyren '*). 

20) Z. B. von F. Kaiser für die 5’-Teilung des Pistor- und Martinsschen 
Meridiankreises der Sternwarte zu Leiden, Leiden Steruw. Ann. 2 (1870), sowie 
für begrenzte Zonen, z. B. bei den Zonenkatatogen der Astr. Gesellschaft. 

21) E. Großmann”), $ 6, p. 30—48: „Zur Erlangung der weitestgehenden 
Genauigkeit bei Fundamentalbeobachtungen ist die Teilungsfehlerbestimmung 
auf alle Striche auszudehnen.‘ 

22) J. Bauschinger'”), p. 15 meint, daß die Teilungsfehler entweder für 
jeden Strich zu bestimmen oder ganz zu vernachlässigen sind. 
| 23) P. Harzer, Beschreibung der neuen Meridiankreisanlage, Astrono- 
mische Beobachtungen zu Kiel 1, Leipzig 1905. 


208 ViIs,5. Fritz Cohn. Theoxie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Die Bestimmung der Teilungsfehler von Skalen ist besonders 
bei den Distanzmessungen an neueren Heliometern (s. p. 230) erfor- 
derlich. So hat D. Gül am Heliometer der Cap-Sternwarte die Tei- 
lung der beiden Skalen — je 180 Intervalle von 0.5 mm Länge — 
untersucht”) und ihre Fehler mit wahrscheinlichen Fehlern von 
+ 0".009 = 4 u") durch ca. 50000 Einzeleinstellungen festgelegt; sie 
steigen im Maximum auf 0”.2. Ähnlich hat de Ball®) die je 210 
Intervalle am Wien-Ottekringer Heliometer vermessen, und zwar in 
den beiden, um 180° verschiedenen horizontalen Lagen, zwischen 
denen sich geringfügige, aber wohl reelle Unterschiede ergaben; die 
Teilfehler steigen bei einem mittleren Fehler der Bestimmung von 
+ 0".009 ==4 u auf etwa 64 an, beeinflussen aber eine vollständige 
Distanzmessung im Maximum nur um 34 u = 0".25. Vgl. auch die 
entsprechende Bestimmung am Leipziger Heliometer durch B. Peter (je 
340 Intervalle von 0.2 mm *Länge)”®). 

c) Die Uhr und der Chronograph. 

Über die Uhren im allgemeinen vgl. VI 2,4 (Caspari). 

In der praktischen Astronomie dient die Uhr sowohl zur 
Fixierung des Zeitmoments bei den Beobachtungen der Wandelsterne 
als auch als Winkelmeßinstrument, insbesondere bei der Bestimmung 
von Rektaszensionsdifferenzen durch die Beobachtung der Meridian- 
durchgangszeiten (vgl. VIa2,2 F. Cohn). Wie man die dazu erforder- 
liche Kenntnis des Uhrstandes und Uhrganges durch Zeitbestimmungen 
erlangt, vgl. ebenda. Damit man nicht zu häufig einer Zeitbestim- 
mung bedarf, muß die Uhr einen möglichst gleichmäßigen Gang be- 
sitzen, der eine einfache Interpolation der Uhrkorrektion zwischen 
zwei Zeitbestimmungen zuläßt. Insbesondere zur Ableitung unab- 
hängiger Rektaszensionen muß der Uhrgang frei sein von täglicher 
Periode, wie sie Temperaturschwankungen entspringen kann. Man 
stellt daher die Normaluhr der Sternwarte trotz der Temperatur- 
kompensation in gleichmäßig temperierten Kellerräumen auf und ver- 
sieht sie, um sie auch von den Schwankungen des Luftdrucks unab- 
hängig zu machen, mit einer Luftdruckkompensation oder luftdichtem 
Versehluß (s. VI2, 4 (Caspari)). Andernfalls müssen Temperatur- und 





24) D. Gil?) und D. Gill, Cape Obs. Ann. 7 (1896), p. 42. 

25) L. de Ball, Untersuchungen über die Teilungsfehler der Heliometer- 
skalen, Publikationen der v. Kuffnerschen Sternwarte in Wien-Ottakring 5, Wien 
1900; vgl. auch L. de Ball, Astr. Nachr. 148 (1899), p. 288. 

26) B. Peter, Beobachtungen am sechszölligen Repsoldschen Heliometer der 
Leipziger Sternwarte, 2. Abhandlung, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 24, Nr. 8 (1898), 
p. 281-312. 


8. Hilfsinstrumente: c) Uhr, Chronograph, d) Meteorol. Instr. 209 


Luftdruck-Faktor abgeleitet werden. Die Güte der modernen astro- 
nomischen Pendeluhren gestattet im allgemeinen mit einem täglichen 
Uhrgange zu rechnen, da er sich längere Zeit auf wenige 0.01 genau 
hält. Bei differentiellen Beobachtungen hält man den Uhrgang dureh 
Beobachtung zahlreicher Zeitsterne auch während einer Abendreihe 
unter Kontrolle. 

Bei den Rektaszensionsbeobachtungen bedient man sich heutzu- 
tage nicht unmittelbar der Uhr als des Zeitmessers, sondern eines 
sog. Chronographen, durch den die Sekundenschläge der Uhr auf 
elektrischem Wege in Zeichen auf einem in gleichförmiger Bewegung 
begriffenen Papierstreifen (oder einer Walze) umgewandelt werden. Die 
von einer zweiten Feder auf demselben Streifen benachbart aufge- 
zeichneten Beobachtungssignale werden später in aller Ruhe mit diesen 
Uhrsignalen, welche die Sekundenschläge der Uhr völlig ersetzen, 
durch Ablesung verglichen. Die Stetigkeit des Uhrganges setzt daher 
auch eine Unveränderlichkeit des Chronographen, d. h. eine kon- 
stante Differenz „Uhronograph minus Uhr“ voraus. Im Laufe einer 
Beobachtungsreihe ist daher auf die Gleichförmigkeit des elektrischen 
Stroms und die unveränderte Stellung der Schreibfedern (oder Stifte) 
gegeneinander acht zu geben. Auch ein Eingreifen in die mecha- 
nischen Teile des Chronographen, z. B. ein schärferes Anspannen der 
Spiralfedern der Elektromagnete, wie es sich zuweilen behufs Er- 
zielung deutlicherer Schrift als erforderlich herausstellt, kann einen 
scheinbaren Sprung der Uhrkorrektion und damit einen sprunghaften 
Fehler der beobachteten Rektaszensionen bewirken. 

Das Ablesen des Chronographenstreifen erfolgt entweder durch 
einfache Schätzung der Sekundenzehntel (resp. Zweisekunden-Zwan- 
zigstel) — eine Zeitsekunde hat auf dem Streifen etwa eine Länge 
von 1 cm bis 2cm — oder durch scharfe Ablesung auf 0°.01 mittels 
einer Glasskala oder eines anderen Meßapparates?”). 

d) Die meteorologischen Instrumenie. 

Zur Berechnung des Refraktionseffekts bedarf man der Kenntnis 
der meteorologischen Elemente, wobei die Fehler der Instrumente 
(Thermometer und Barometer) bekannt sein müssen. Insbesondere geht 
der Fehler des Thermometers bei größeren Zenitdistanzen mit einem 
verhältnismäßig hohen Betrage in die Deklinationen ein; bei einer 





27) Über die Einrichtung der Kontakte in den Uhren und der Cbrono- 
graphen, sowie der Ablesevorrichtungen vgl. Ambronn 1, p. 265 ff. und 2, p. 1088 ff. 
Um Störungen im Gange der Hauptubr zu vermeiden, verwendet man zur Aus- 
lösung dieser Kontakte eine andere Uhr als Arbeitsuhr und muß sie nur hin- 
reichend oft mit der Hauptubr vergleichen. 


210 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Temperatur von -+ 10°C. etwa bewirkt ein Fehler von 0°%1 C. bei 
einer Zenitdistanz 2 = 60°, 70°, 80°, 85° einen Fehler von 0”.04, 0”.06, 
0”.12, 07.23, vgl. V12,6 (Bemporad), Nr. 1. 


4. Die eigentlichen Instrumente der exakten astronomischen 
Ortsbestimmung (Meridiankreis, Refraktor). Für mancherlei Zwecke, 
der geographischen Ortsbestimmung, der niederen Geodäsie usw., kurz 
für Beobachtungen im Felde, muß die Genauigkeit, mit welcher man in 
der Praxis die mathematische Idee des astronomischen Universal- 
instruments verwirklichen kann, hinreichen. Für die eigentliche astro- 
nomische Ortsbestimmung — die Messung von Sternörtern — erweist 
sich das Universalinstrument angesichts der Schwierigkeiten, welche 
sich einer angenäherten und dauerhaften Verwirklichung dieser Idee 
selbst bei fest auf Sternwarten aufgestellten Instrumenten entgegen- 
stellen, in dieser‘ Allgemeinheit als ungeeignet. Nur das Altazimut 
kommt. gelegentlich auch wohl zur exakten Ortsbestimmung, aber 
in möglichst differentieller Anordnung, zur Anwendung. Im übrigen’ 
löst man die Aufgabe der astronomischen Ortsbestimmung durch be- 
sondere Beobachtungsmethoden, welche an die exakte Ausführung 
des Beobachtungsinstruments nicht derartige schwer zu befriedigende 
Anforderungen stellen. Daß die allgemeine Aufgabe der Ortsbestim- 
mung durch besondere Instrumente lösbar ist, beruht vor allem darauf, 
daß die eine äquatoreale Koordinate, der Stundenwinkel oder die 
Rektaszension, durch die Zeit gemessen werden kann, deren die Erde 
zur Umdrehung um den Betrag dieses Winkels bedarf. Indem dadurch 
die Uhr zur direkten Koordinatenmessung verwertbar wird, erhält 
man als die beiden Haupttypen von Instrumenten der eigentlichen 
astronomischen Ortsbestimmung den Meridiankreis und den Refraktor. 
Wir erörtern zunächst ihr jr: Br? 


A. Der Meridiankreis. 


Schon in VI2,2 (F. Cohn) sahen wir, daß die grundlegenden 
Ortsbestimmungen der praktischen Astronomie dem Meridianinstrumente 
zufallen, welches ein gemeinsamer Spezialfall der beiden nach Zenit 
oder Pol orientierten Arten des Universalinstrumentes ist Das 
Visierfernrohr ist bei ihm nur um eine Achse drehbar, während die 
eigentliche Hauptachse fortfällt. Liegt die Drehungsachse horizontal 
von Ost nach West gerichtet, so beschreibt die Visierlinie bei ihrer 
Drehung die Meridianebene, ein eingestelltes Objekt befindet sich 
stets im Meridian. Die technische Ausführung geschieht derart, daß 
die Drehungsachse in zwei zylindrischen Zapfen endigt und sich in 


4. A. Meridiankreis: Rektaszensionsbestimmung. 211 


Lagern dreht, die an zwei Pfeilern (Ost- und Westpfeiler) in hori- 
zontaler und vertikaler Richtung ein wenig verschiebbar befestigt 
sind. Das Instrument gestattet daher die Beobachtung eines Ge- 
stirns nur zur Zeit seines Meridiandurchgangs und liefert seine äqua- 
torealen Koordinaten Rektaszension und Deklination («, ö) aus der 
nach einer Sternzeituhr (Uhrkorrektion AU) beobachteten ‚Kulminations- 
zeit 7 und Kulminationshöhe h (gerechnet vom Südpunkt des Hori- 
zonts) nach den Formeln (s. Vl2,2 (F. Cohn), p. 21): 


AU+T=a, 
+ h=9W0’+6 für obere, 270° — d für untere Kulmination. 


Die Beobachtung besteht also nicht eigentlich in der Einstellung 
der Visierlinie auf das Objekt, sondern in dem Abwarten des Zeit- 
moments, in welchem das Gestirn den Meridian passiert, und in dem 
alleinigen Einstellen der Visierlinie in Höhe. Die dazu erforderliche 
Veranschaulichung des Meridians im Gesichtsfeld des Fernrohrs setzt 
eine genaue Orientierung des in der Brennebene des Objektivs be- 
findlichen Fadenkreuzes voraus. Die Fäden müssen zueinander senk- 
recht und bei horizontaler Fernrohrstellung horizontal und vertikal 
stehen. Der sog. Vertikalfaden bleibt dann bei allen Drehungen des 
Fernrohrs in der Meridianebene, und die Durchgangszeit eines Gestirns 
durch den Vertikalfaden ist gleich seiner Kulminationszeit 7. Die 
Einstellung des Sterns auf den Horizontalfaden bei seinem Meridian- 
durchgange liefert in dem Winkel der Visierlinie gegen den Horizont 
seine Meridianhöhe. Die Ablesung des auf ‚der Drehungsachse senk- 
recht aufsitzenden und an der Drehung teilnehmenden Kreises, der 
die Meridianebene sichtbar veranschaulicht, erfolgt gewöhnlich durch 
4 bis 6 fest mit den Pfeilern des Instruments verbundene Mikroskope. 
Zur Bestimmung von Deklinationsdifferenzen, d. h. beim Anschluß 
der beobachteten Objekte an Sterne bekannter Deklination, ist die 
Nullpunktsstellung des Kreises gleichgültig. Andernfalls muß sein 
Nullpunkt zu einem Fixpunkte des Koordinatensystems (Horizont, 
Äquator, Zenit, Pol) in Beziehung gesetzt werden. 

Dieses Prinzip einer Ortsbestimmung mit dem Meridiankreise wird 
in der Praxis im einzelnen folgendermaßen durchgeführt: 


Die Bestimmung der Rektaszension. 


Schon alsbald nachdem die Einführung des Fernrohrs mit Faden- 
kreuz und der Uhr die Ausbildung dieser Beobachtungsmethode er- 
möglicht hatte, begnügte man sich nicht mit der Beobachtung der 


Durchgangszeit an dem einen Meridianfaden, sondern fügte eine Reihe 
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 15 


212 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


von Paralleifäden einigermaßen symmetrisch zum Meridian hinzu®). 
Um aus den Durchgangszeiten durch diese seitlichen Fäden die 
Meridiandurehgangszeit abzuleiten, bedarf man der Kenntnis des Ab- 
stands F' des Seitenfadens vom Mittelfaden (sog. Fadendistanz). Damit 
erhält man für diese Reduktion f, d. h. für den Stundenwinkel des 


Seitenfadens, 
sin = sin f- sec d 
oder sehr genähert 


wo dann £ und 7’ in Zeit auszudrücken sind. Zur Bestimmung von 
F benutzt man am besten wieder rückwärts das Zeitintervall, welches 
geeignete Sterne zum Passieren der Fadenintervalle gebrauchen, nach 
Umkehrung der obigen Formeln. Da sich die Fadendistanzen lange 
unverändert halten, kann man sie im Mittel vieler Durchgänge mit 
hoher Genauigkeit bestimmen und sie dann verwerten, um die Ge- 
nauigkeit der Durchgangsbeobachtung des einzelnen Sterns durch 
Mittelbildung aller an den verschiedenen Fäden erhaltenen, auf den 
Meridian reduzierten Durchgangszeiten zu erhöhen?), Am Anfange 
des 19. Jahrhunderts beschränkte man sich auf etwa 5 bis 7 Verti- 
kalfäden, steigerte später ihre Zehl auf 20 und mehr; doch kam 
man schließlich wieder von derartigen Zahlen ab oder beobachtete 
wenigstens die einzelnen Sterne nicht an dem ganzen Fadensystem, 
sondern an geeigneten Gruppen. 

Um die durch nicht genaues Zusammenfallen der Fäden mit der 
Brennebene bei schräger Betrachtung entstehende scheinbare Ver- 
schiebung des Sterns gegen das Fadennetz (sog. Parallaxe) zu. ver- 
meiden, wird das senkrecht zur optischen Achse verschiebbare Okular 
bei den Beobachtungen mitgeführt, derart, daß jeder Fadendurchgang 
nahe der Mitte des Gesichtsfeldes des Okulare beobachtet wird. 

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fixierte man die Durch- 
gangszeit eines Gestirns durch einen Faden nach der sog. Auge- und 
Ohr-Methode. Man zählte die ganzen Sekunden nach den Schlägen 
einer im Meridiansaale aufgestellten Uhr, verglich damit die Stellung 
des in horizontaler Riehtung das vertikale Fadensystem durchwan- 
dernden Sterns und schätzte noch Bruchteile der Sekunde, früher auf 


28) Nach Wolf, Handb. 2, p. 99 hat schon O. Römer 1704 in seiner „Rota 
meridiana“ 5 Vertikalfäden benutzt, 

29) Über eine andere, terrestrische Methode zur Bestimmung der Faden- 
distanzen s. ©. F. Gauß, Neue Methode die gegenseitigen Abstände der Fäden 
in Meridian-Fernröhren zu bestimmen, Astr. Nachr. 2 (1828), p. 871 = Werke 6 
(1874), p. 445. 


4. A. Meridisnkreis: Rektaszensionsbestimmung. 213 


Viertel-, später auf Zehntelsekunden, was bei einiger Übung keine 
Schwierigkeiten maeht. Im Mittel mehrerer Fäden wird dann rech- 
nungsmäßig die 0"01 angegeben. Die Genauigkeit einer solchen 
Beobachtung eines Fadendurchgangs hängt neben der Übung wesent- 
lich von der angewandten Vergrößerung v ab, die eine 150- bis 250- 
fache zu sein pflegt. Einen ungefähren Anhalt gewährt eine von 
Th. Albrecht?) aus zahlreichen Beobachtungsreihen für den mittleren 
Fehler & der beobachteten Zeit eines Fadendurchgangs (mittleren Faden- 
amtrittsfehler) nach der Auge- und Öhr-Meihode abgeleitete Formel: 





E —) (0.07): + Man sec? Ö. 


Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Auge- und Ohr- 
Methode durch die elektrische Registrier- oder chromographische Methode 
fast völlig verdrängt worden®®), Man schließt in dem Moment, in 
welchem der Stern einen Faden passiert, mit einem Handtaster einen 
elektrischen Strom, vermittelst dessen eine Feder auf einem ablaufen- 
den Chronographen (vgl. p. 209) ein Signal und damit die Beziehung 
zu den Sekundenzeichen der Beobachtungsuhr herstellt. Der Vorteil 
der neuen Methode besteht in der größeren Bequemlichkeit und er- 
höhten Genauigkeit der Beobachtung. Einmal fällt das Notieren der 
geschätzten Zeitmomente im Dunkeln fort; dann aber hat man bei 
der Registriermethode sein Augenmerk nur auf den einen Moment 
der Bisektion des Sternbildes durch den Faden zu richten, während 
bei der Auge- und Ohr-Methode der Gesichts- und Gehörssinn das 
Laufen des Sterns durch die Fäden mit. den Sekundenschlägen der 
Uhr in Verbindung bringen müssen. Die dadurch erzielte Steigerung 
der Genauigkeit spricht sich sowohl in dem mittleren Fadenantritts- 
fehler bei der chronographischen Methode ®): 


& —V (0.05)? e.- (2). sec? d, 
wie in den später (Nr. 7) zu besprechenden mittleren Fehlern der 
abgeleiteten Sternörter aus. 








30) Th. Albrecht, Über die Bestimmung von Längendifferenzen mit Hilfe 
des elektrischen Telegraphen, Leipzig 1869, p. 9. 

81) Die Einführung der Registriermethode in die astronomische Ortshe- 
stimmung durch die Herstellung eines Chronograpbeu geht auf $. ©. Walker 
und W. C. Bond (1848) zurück, vgl. W. C. Bond, Harvard Obs Aun. 1, 
part 1 (1866), p. XXIUf. Der erste, der sie zu Massenbeobachtungen (Zonen) 
verwertete, war .J. Lamont, vgl. Beschreibung der an der Münchener Sternwarte 
zu den Beobachtungen verwendeten neuen Instrumente und Apparate, München 
&Abh. 6 (1851), p. 381. 

15* 


214 VlIs,5.. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


In einem Punkte freilich hat sich die Registriermethode von den 
Mängeln der älteren Beobachtungsart nicht in dem Maße frei gezeigt, 
wie man wohl ursprünglich annahm, indem sich beide Methoden als 
sehr merklichen persönlichen Auffassungsunterschieden ausgesetzt er- 
wiesen. Neben den p. 251 zu besprechenden Versuchen, diese sog. 
persönliche Gleichung des Beobachters durch geeignete instrumentelle 
Vorkehrungen zu bestimmen, hat man daher wiederholt versucht, die 
Rektaszensionsbeobachtungen von diesen individuellen Einflüssen physio- 
logischen Ursprungs ganz zu befreien, sie unabhängig von der Be- 
obachtung eines Durchgangsvorgangs durch Pointieren mit einem be- 
weglichen Faden zu erhalten. In fast vollkommener Weise ist dies 
in neuester Zeit durch die Einführung des Bepsoldschen selbstregi- 
strierenden Mikrometers gelungen, bei welchem der Beobachter das 
Bild des Sterns bei seinem Meridiandurchgang dauernd mit dem be- 
weglichen Faden biseziert. Um die jeweilige Stellung des Fadens, 
resp. die sie ersetzende der Mikrometerschraube, die den Ort des Ob- 
jekts veranschaulicht, zu den Uhrsignalen in Beziehung zu setzen, 
trägt die Achse der Mikrometerschraube außer der Zähltrommei noch 
eine andere aus isolierender Substanz (Hartgummi, Glas usw.) ver- 
fertigte, aber mit einzelnen metallischen Einlagen versehene Kontakt- 
trommel, welehe jedesmal beim Passieren eines Schleifkontakts ein 
Signal auf dem Uhronographen erzengen. Die den einzelnen Kontakten 
entsprechende Fadenstellung ist auf den Meridian zu beziehen, um 
aus den Ablesungen der Kontaktsignale nach der Uhr die Durch- 
gangszeit des Gestirns durch den Meridian zu erhalten. Bei äquidi- 
stanten Kontakten geschieht dies durch die Bestimmung des Schrauben- 
wertes —- in ähnlicher Art wie die Bestimmung der Fadendistanzen 
aus den Beobachtungen selbst — und durch die Beziehung der 
einem bestimmten Nullkontakt entsprechenden Fadenstelluug zum 
Meridian (siehe die Bestimmung des Kollimationsfeblers, p. 235). 

Durch die Einführung des Repsoldschen Mikrometers ist die Ge- 
nauigkeit in der Bestimmung der Meridiandurchgangszeit und damit 
der Rektaszensionen wesentlich gesteigert worden (s. Nr. 7). Es wird 
das weniger durch eine wesentliche Verminderung in dem mittleren 
Fehler des einzelnen Kontakts bewirkt??), als vielmehr durch die weit 


32) Nachdem E. Becker (Über einige Versuche von Durchgangsbeobach- 
tungen nach dem neuen Kepsoldschen Verfahren, Astr. Nachr. 127 (1891), p. 185) 
und A. Kowalski (Über das neue selbstregistrierende Mikrometer von Kepsold, 
St. Pet. Bull. 6 (1897), Nr. 6) für jenen mittleren Fehler nahezu dieselben Werte 
wie für einen Fadendurchgang bei der üblichen Registriermethode gefunden 
hatten, konstatierte Th. Albrecht (Die Beobachtungsmethode mittelst des Repsold- 


4. A. Meridiankreis: Deklinationsbestimmung. 915 


größere Zahl der in gleicher Zeit zu erhaltenden Kontakte und vor 
allem durch die fast völlige Unabhängigkeit der Auffassung der 
Sternbisektion vom Beobachter (s. Nr. 6). Noch erhöht worden sind 
die hervorragenden Leistungen des Repsoldschen Mikrometers durch 
die Anwendung eines Uhrwerks, welches den größten Teil der Be- 
wegung der Mikrometerschraube selbst ausführt und der Hand des 
Beobachters nur geringfügige Korrektionen behufs Erzielung scharfer 
Bisektion des Sternbildes überläßt®®) (s. Nr. 7). 

Der erste Vorschlag, die Durchgangsbeobachtung durch Poin- 
tierung mit einem selbstregistrierenden Mikrometer zu ersetzen, stammt 
von Braun °®) und scheiterte wohl an dem komplizierten Uhrwerk. 
J. Repsold schlug zunächst) eine sich selbst registrierende Bewegung 
des Instruments im Stundenwinkel vor, bei der der Beobachter nur 
den feststehenden Stern zu pointieren hatte. Später”) übertrug er die 
Selbstregistrierung auf den Mikrometerfaden, den nun der Beobachter 
stets auf dem laufenden Stern halten mußte. Die Vereinfachung des 
den Faden bewegenden Uhrwerks (durch H. Siruve und J. Rahts) er- 
möglichte die praktische Durchführung der Braunschen Idee; die 
verschiedene Geschwindigkeit, die zur Beobachtung der Sterne ver- 
schiedener Deklination erforderlich ist, erhält der Faden hier dadurch, 
daß eine auf der Schraubenachse senkrecht sitzende, aber auf ihr 
verschiebbare Scheibe von einem gleichmäßig rotierenden Kegel durch 
Reibung in eine je nach der Stelle des Kegelmantels, an der sie an- 
liegt, verschieden schnelle Rotation versetzt wird®®). 

Betreffis der photographischen Aufzeichnung von Meridiandurch- 
gängen vgl. Fußnote 165. 


Die Bestimmung der Deklination. 


Zur Beobachtung der Deklinationen hat man das Objekt bei 
seinem Meridiandurchgang auf den Horizontalfaden, resp. schwächere 


schen Registriermikrometers in ihrer Anwendung auf Längenbestimmungen, 
Astr. Nachr. 155 (1901), p. 33) auch darin eine merkliche Besserung. 

83) C. Braun, Das Passagen-Mikrometer, Leipzig 1865; näher ausgeführt 
von (©. Braun, Berichte von dem Haynaldschen Observatorium zu Kalocza, 
Münster i. W. 1886. 

34) J. Repsold, Durchgangsinstrument mit Uhrbewegung, Astr. Nachr. 118 
(1888), p. 308. 

85) J. Repsold, Neuer Vorschlag zur Vermeidung des persönlichen Zeit- 
fehlers bei Durchgangsbeobachtungen, Astr. Nachr. 128 (1889), p. 17°. 

36) H. Struve, Über die Verbindung eines Uhrwerks mit dem „unpersön- 
lichen“ Mikrometer von Repsold, Astr. Nachr. 155 (1901), p. 358. 


216 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Objekte in die Mitte zwischen zwei enge Horizontalfäden, mit Achsen- 
klemme und Feinbewegung einzustellen. Geschieht das nicht im 
Meridian, sondern an einem Seitenfaden vom Stundenwinkel t, so ist 
eine Reduktion auf die Meridianhöhe (wegen „Krümmung des Parallels“), 
de = — (4) sin 26 

anzubringen; außerdem ist eine eventuelle Fadenneigung zu berück- 
sichtigen, die auf die Rektaszensionen, wenn man die Sterne möglichst 
zwischen die Horizontalfäden stellt, ohne Einfluß ist. Die ungefähre 
Orientierung des Fadensystems erkennt man daran, daß ein Stern bei 
seinem Meridiandurchgang auf dem Horizontalfaden läuft, und be- 
stimmt sie strenge durch mehrmalige Pointierung des Sterns zu beiden 
Seiten des Meridians. 

Auch bei der Deklinationsbeobachtung vervielfältigt man öfters 
die Zahl der Einstellungen durch Einführung eines beweglichen Dekli- 
nationsfadens; doch ist man sich über den dadurch erzielten Erfolg 
nicht einig”), In jedem Falle sind die Vorteile eines solchen Dekli- 
nationsmikrometers“®) geringfügiger, da die Hauptunsicherheit der 
Deklinationen in den Teilungsfehlern“!) und der Refraktion“?) liegt. 

Die an einem fehlerfreien Meridianinstrument in der beschrie- 
benen Weise erhaltenen, von Refraktion befreiten Koordinaten sind 
scheinbare. Über ihre Überführung in mittlere Örter, sowie die 
stufenweise Anlage der Arbeiten am Meridiankreise vgl. VI, 2 
(F. Cohn). 

Historisches zum Meridiankreise. Die Vereinigung der Beobach- 
tung beider Koordinaten an einem Instrument, dem Meridiankreise, 
ist verhältnismäßig neueren Datums. Bis zum Beginn des 19. Jahr- 
hunderts beobachtete men, mit vereinzelten Ausnahmen®®), beide Ko- 
ordinaten getrennt, die Rektaszensionen am Passageninstrument, einem 
Meridianinstrument ohne feingeteilten Kreis und Ablesemikroskope — 
zur Einstellung der Objekte dient ein roh geteilter Kreis —, die 
Deklinationen am Mauerquadranien oder Mauerkreise. Erst Beichen- 
bach*?) vereinigte beide Instrumente zu einem einzigen, dem Meridian- 
kreise. Man erreichte dadurch den Vorteil, die vollständige Ortsbe- 


39) Vergl. z.B. E. Großmann '*), p. 190. 

40) J. Repsold, Neue Mikrometer von A. Repsold u. Söhme, Astr. Nachr. 
141 (1896), p. 279. 41) 8.p. 206ff. 42) S. p. 246 ff. 

48) J. @. Repsold hatte schon 1804 einen Meridiankreis für seinen Privat- 
gebrauch gebaut, der später an die Göttinger Sternwarte kam. Doch ist der 
erste größere Meridiankreis, der zur ausgedehnten praktischen Verwendung ge- 
langte, der von Reichenbach 1819 für die Sternwarte zu Königsberg erbaute. 


4. A. Meridienkreis: Historisches: Passageninstr., Mauerquadr. 217 


stimmung eines Gestirns mit nur einem Instrument und nur einem. 
Beobachter ausführen zu können. Seitdem ist der Meridiankreis das 
fundamentale Beobachtungsinstrument der Astronomie geworden und 
für jede gut ausgerüstete Sterawarte unentbehrlich. 

Entsprechend dieser fundamentalen Bedeutung des Meridian- 
instruments sind die Anforderungen an seine Leistungen die höchsten. 
Insbesondere muß trotz der demnächst zu besprechenden Methoden 
der Instrumentalfehlerbestimmung die Konstanz seiner Aufstellung, 
d. h. die Unveränderlichkeit der Riehtung der Drehungsachse und der 
Mikroskopträger, die Sterrheit aller seiner Teile, d. h. die Vermeidung 
unregelmäßiger Biegungen usw. nach Möglichkeit gewährleistet sein: 
Daher ist sowohl auf die Konstruktion. des Meridianinstruments, wie 
seiner, Pfeiler, sowie die Befestigung der Mikroskope die größte Sorg- 
falt zu verwenden“). Auck die Einrichtung des ganzen Meridiansaals 
beeinflußt die Leistungsfähigkeit des Instruments. Stärkere, schnell 
eintretende Temperaturschwankungen sind für die Konstanz seiner 
Aufstellung in allen seinen Teilen schädlich und werden neuerdings 
durch einen den Ausgleich der Innen- und Außentemperatur möglichst 
gewährleistenden Bau des Saals mit doppelten Wellblechwänden und 
breiten Beobachtungsspalten zu beseitigen gesucht, während Tempe- 
raturschichtungen im besonderen den Weg des Lichtstrahls beein- 
flussen und so den beobachteten Ort verfälschen. So hat man bei 
dem modernsten Meridiankreise, dem der Sternwarte zu Kiel, der 
Umdachung des Meridiansaals die Form einer Zylinderfläche ge- 
geben, deren Achse mit der Drehachse des Meridiankreises zusammen- 
fällt, vergl. Harser?®). 

Infolge der großen Anforderungen an die Konstanz der Auf- 
stellung und der ganzen Einrichtung des Meridiankreises und der tech- 
nischen Schwierigkeiten, welche sich bei größeren Dimensionen ihrer 
Verwirklichung entgegenstellen würden, stellt man Meridiankreise nur 
in mäßigen Dimensionen her. Die älteren Meridienkreise aus der 
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (von ‚Reichenbach und A. .Repsold)\ 
besaßen meist nur eine Objektivöffnung von 4 Zoll und gestatteten 
damit die Beobachtung von Sternen bis zur 9., höchstens 9'/,ten Größe. 
Der 1819 erbaute Reichenbachsehe Meridiankreis der Königsberger 
Sternwarte besitzt eine Öffnung von 4 Zoll, eine Fernrohrlänge von 
162 cm, eine Achsenlänge von 87 cm; der Kreis von 97,5 em Durch- 
messer ist von 3’ zu 3’ geteilt und wird durch 4 an einem Alhidaden- 


44) Näheres über die Konsiruktion der Meridiankreise, den Bau der Pfeiler 
usw. s, bei Ambronn 2. 





218 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischeu Winkelmeßinstrumente. 


kreise befestigte Nonien etwa auf 2” abgelesen); etwaige Verände- 
rungen in der Lage des Alhidadenkreises gegen den Horizont werden 
durch eine Wasserwage kontrolliert. Die Repsoldschen Meridiankreise 
von Hamburg (1836), Pulkowa (1840), Königsberg (1841) haben 
Mikroskopablesung; die Mikroskope sind an einem Rahmen befestigt, 
der an den Pfeilern fest angeschraubt ist. Der Pulkowaer Kreis be- 
sitzt fast 6 Zoll (157 mm) Objektivöffnung, 2, m Brennweite und 
zwei von 2’ zu 2’ geteilte Kreise von 1’/, m Durchmesser”). In 
neuerer Zeit hat die entwickeltere Technik auch größere Meridian- 
kreise ohne Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit hergestellt, 
-welche bis zu 8 Zoll Öffnung und mehr besitzen. Einerseits 
wird dadureh der Bereich der sichtbaren Gestirne infolge der ver- 
mehrten Lichtstärke ein größerer, insbesondere wächst die Zahl der 
am hellen Tage beobachtbaren Sterne erheblich, was für viele Unter- 
suchungen von größter Bedeutung ist; andererseits nimmt infolge der 
stärkeren Vergrößerungen auch die Genauigkeit der Beobachtungen 
zu. Von solchen größeren Instrumenten nennen wir die Pistor- und 
Martinsschen Kreise von Washington (1865, 8%, Zoll) und Berlin 
(1869, 8 Zoll), sowie den Repsoldschen Meridiankreis von Kiel (um 1903, 
8 Zoll). Erwähnut sei die wesentlich veränderte Befestigung der Lager 
und Mikroskope, wie sie die neueren Repsoldschen Meridiankreise (von 
Straßburg, Bonn, Wien-Ottakring, München, Mt. Hamilton, Heidelberg, 
Kiel usw.) gegenüber den älteren Konstruktionen aufweisen, indem 
Lager und Mikroskope, in einem Eisenaufbau von Trommelform ver- 
einigt, auf die niedriger gehaltenen Pfeilerköpfe aufgesetzt werden. 
Die zugleich eingetretene Verringerung der Kreisdurchmesser auf 
65 em hat nieht durchweg Anerkennung gefunden **). 
Passageninstrument und Vertikalkreis. Da sowohl die eigentliche 
Beobachtung am Meridiankreise, wie auch ihre Befreiung von den 
später zu erörternden Instrumentalfehlern und die diesbezüglichen In- 
strumentaluntersuchungen für beide Koordinaten fast ganz voneinander 
unabhängig sind, ist es auch heute noch behufs Erzielung der höchsten 
Genauigkeit oft vorzuziehen, beide Koordinaten getrennt zu beob- 
achten, selbst wenn man über einen Meridiankreis verfügt. Man kann 
in derselben Zeit für eine Koordinate ein weit größeres Material zur 


46) Vergl. F. W. Bessel, Königsb. Beob. 6 (1821). 

47) Vergl. W. Struve, Description de l’Übservatoire astronomique central de 
Poulcova, Si. Petersbourg 1845. 

48) Vergl. die Diskussion zwischen J. Repsold und M. Nyren: Astr. Ges. 
Vjs. 35 (1900), p. 212 und Astr. Nachr. 154 (1901), p. 187, p. 305, p. 435; Astr. 
Nachr. 155 (1901), p. 208. 


4. A. Meridiankreis: Passageninstr., Vertikalkreie. 219 


scharfen Untersuchung des Instruments und seiner Fehlerquellen be- 
schaffen, wie auch den Anschluß an ein Fundamentalsystem (s. VI 2,2 
(F. Cohn), p. 25, und später) weit inniger gestalten, wodurch vor 
allem die Genauigkeit und Verwendbarkeit der abgeleiteten Örter 
bedingt ist. So hat man, ähnlich wie in der früheren Zeit vor Ein- 
führung des Meridiankreises, z. B. in Pulkowa (seit seiner Begründung 
um 1840) die fundamentalen Ortsbestimmungen an zwei Instrumenten 
getrennt ausgeführt, einem Ertelschen Passageninstrument und einem 
Ertelschen Vertikalkreis®'). Der letztere ist an die Stelle der früheren 
Mauerkreise getreten, er ist der Konstruktion und Bewegungsart nach 
ein Universalinstrument mit einem fein geteilten Höhenkreise*). Seine 
Anwendung beschränkt sich aber, trotz seiner Drehbarkeit um eine 
vertikale Achse, auf den Meridian oder ganz kleine Stundenwinkel, und 
diese Drehungsmöglichkeit wird im übrigen nur zum Durchschlagen 
des Instruments (s. p. 234) und dadurch zur Elimination des Null- 
punkts des Kreises verwertet. Die Reduktion x der in kleinen Stunden- 
winkeln beobachteten Höhen auf den Meridian erfolgt nach der Formel 


co8 d-c08 9- (sin}t)* 


aaa Be At reg EP 


oder in hinreichender Näherung 
sd Co 
er ES) onen — nina 


Ist‘ bei dieser Nun des Vertikalkreises die Umlegbarkeit 
des Instruments mittelst Durchschlagens und damit die Drehungs- 
möglichkeit um zwei Achsen wesentliche Vorbedingung, so gilt ähn- 
liches auch für das Passageninstrument, welches auch außerhalb des 
Meridians zu Durchgangsbeobachtungen durch ein besonderes Azimut 
mannigfache Anwendung findet. Besondere Erwähnung verdient die 
Anwendung der Durchgangsbeobachtung im ersten Vertikal (Vertikal- 
kreis durch Ost- und Westpunkt des Horizonts) sowohl zur exakten 
Bestimmung der Steruörter, wie auch der Polhöhen°®). Der Unter- 


5, ein +? — 2( 





49) Das Pulkowaer Iustrument hat 6 Zoll Öffnung, der Kreis einen Durch- 
messer von 43 Zoll und eine Teilung von 2' zu %°. Im Jahre 1876 erhielt der 
Kreis eine Neuteilung von Kepsold. 

50) Über die von ©, Römer zuerst angegebene Methode, mit dem Passagen- 
instrument Durchgänge durch den ersten Vertikal zu beobachten, vgl. F. W. Bessel, 
Astr. Nachr. 3 (1824), p. 9, sowie Astr. Nachr. 6 (1828), p. 221 = Bessel, 
Abhdl. 1, p. 317 sowie 2, p. 45. — P. A. Hansen, ‘Astr. Nachr. 6 (1827), p. 101, 
p- 421, p. 437 und p. 463. —- J. F. Encke, Bemerkungen über das Durchgange- 
instrument von Ost nach West, Berl. astr. Jahrb. für 1843, p- 300 ff. — Von den 


220 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


schied der Durchgangszeiten eines Gestirns durch den Ost- und West- 
vertikal gibt durch einfache Rechnung die Zenitdistanz im Meridian 
und damit eine Beziehung zwischen Polhöhe und Deklination, die un- 
abhängig von jeder Kreisablesung und dem störenden Einfluß der 
Refraktion ist. Ihre besondere Bedeutung hat die Methode dadurch 
erlangt, daß ihre hohe Genauigkeit es gestattete, die zeitlichen Ände- 
rungen dieser Zenitdistanzen, wie sie sowohl durch Schwankungen der 
Polhöhe entstehen können, als auch durch Veränderungen in den 
scheinbaren Örtern der Sterne, mit großer Schärfe zu bestimmen. In- 
dem diese letzteren Änderungen wiederum ausser durch die eigentliche, 
der Zeit proportionale Eigenbewegung durch die Erscheinungen der 
Aberration, Nutation, Prüzession, Parallaxe usw. verursacht werden, 
vermag man unabhängig von der Kenntnis des absoluten Betrages der 
Zenitdistanz, die charakteristischen Konstanten jener Erscheinungen 
und den Verlauf der Polhöhenschwankung abzuleiten (s. auch VIa, 3 
(Wirtz). 

In dieser Richtung noch weiter gehend behandelt böseddeke ein- 
gehend W. Förster die mannigfachen Möglichkeiten, welche ein 
Durchgangsinstrument für die unabhängige Bestimmung der Stern- 
örter und ihrer Änderungen bietet, mit dem man sowohl Durchgänge 
durch ein festes Azimut, wie auch durch eine feste Höhe beobachten 
kann°!). Dieses Instrument — Universaltransit genannt — muß 
um beide Achsen drehbar sein, besitzt also den Typus des Universal- 
instruments, aber ohne geteilte Kreise, und vermeidet somit völlig den 
Einfluß der Teilungsfehler wie auch der Hauptglieder der Refraktion, 
verlangt aber sehr sorgfältig funktionierende Niveaus (s. Vl2,3 (Wirte). 
Einen besonderen Fall bildet die sog. Horrebow-Taleott- Methode zur 
Polhöhenbestimmung°?). Mit Hilfe eines mit einem Deklinationsmikro- 
meter versehenen, im Meridian aufgestellten, umlegbaren Instruments — 
kurz als Zenitteleskop bezeichnet — wird die Differenz der sehr nahe 
gleichen Meridianzenitdistanzen zweier Sterne (eines Nord- und eines 


Anwendungen seien erwähnt: W. Struve, Sur le coefficient constant dans l’aber- 
ration des 6toiles fixes, St. P6t. M&m. (6) 3 (1843), und zahlreiche weitere Abhand- 
lungen der Pulkowaer Astronomen; die Beschreibung des Pulkowser großen Rep- 
soldschen Passageninstruments im ersten Vertikal siehe bei W. Strwe*®"). 
51) W. Förster, Zur Theorie des Durchgangsinstruments, Berl. astr. Jahrb. 
für 1880 und 1882 Anhang, und W. Förster, Beiträge zur Ausgleichung der 
fundamentalen Ortsbestimmungen am Himmel, Astronomische Abhandluugen, 
als Ergänzungshefte zu den Astz. Nachr. hrag. von H. Kreute, Nr. 5, Kiel 1904. 
62) Pet. Horrebow, Opera mathematico-physica 3, Havniae 174042; 
4. Taleott im „Report of the superintendent of the U. 8. coast survey for 1857, 
Washington 1858“, p. 824-334. Vgl. übrigens VIs,3 (Wirts), Nr. 20. 


4. A. Meridiankreis: Universaltransit, Zenitteleskop. 221. 


Südsterns) durch Umlegen (s. p.234) mikrometrisch gemessen, wobei die 
unveränderte Richtung der Visierlinie gegen die Vertikale durch ein 
Niveau kontrolliert wird, und dadurch die Lage des Zenits auf das Mittel 
jener beiden Sterne scharf bezogen. Durch systematisch über ein Jahr 
fortgesetzte Beobachtungen zahlreicher Sternpaare wird man, ausser 
wenn man die Polhöhe selbst bestimmen will, von den Deklinationen 
selbst so gut wie unabhängig; praktisch erfolgt die Elimination in 
der Form sogenannter Gruppenanschlüsse. So dient sie denselben 
Zwecken wie die Durchgangsbeobachtung im ersten Vertikal und findet 
gegenwärtig ihrer bequemen Handhabung halber die ausgedehnteste 
Anwendung ®®). 

Auch die Vereinigung beider Instrumente in der Form eines 
Meridiankreises kommt außerhalb des Meridians zur Anwendung zu 
gleichzeitiger Durchgangs- und Höhenbeobachtung in einem testen 
Azimut; es entspricht dann völlig einem Universalinstrument ohne 
fein geteilten Azimutalkreis®). Das eigentliche Universalinstrument 
wird, wie erwähnt, nur vereinzelt zur exakten astronomischen Orts- 
bestimmung (Mond) angewandt). 


Trotz seiner fundamentalen Bedeutung für die astronomische 
Koordinatenbestimmung vermag der Meridiankreis nicht allen ihren 
Anforderungen zu genügen, nicht allein alle auftretenden Aufgaben zu 
erledigen. Die relative Kleinheit seiner Dimensionen, die Beschrän- 


68) Bei der internationalen Unternehmung der Überwachung der Breiten- 
schwankungen, dem sog. „internationalen Breitendienst“, gelangt sie allein zur 
Anwendung. Vgl. F. Küstner, Neue Methode zur Bestimmung der Aberrations- 
konstante, Berlin 1888, sowie F. Küsiner, Zur Bestimmung der Aberrationskon- 
stante aus Meridianzenitdistanzen unabhängig von den Schwankungen der 
Polhöhe, Astr. Nachr. 126 (1891), p. 233; T'h. Albrecht, Anleitung zum Gebrauch 
des Zenitteleskops auf den internationalen Breitenstationen, 1. Aufl., Berlin 1899, 
2. Aufl. 1902. Über photographische Polhöhenbestimmungen nach der Horrebow- 
Taleott-Methode vgl. Fußnote 165. 

54) Im ersten Vertikal speziell zur Ausführung gelangt für die v. Kujfner- 
sche Sternwarte von Wien-Ottakring; vergl. N. Herz, Theorie eines mit einem 
Vertikalkreise versehenen Passageninstrumentes im ersten Vertikale, Publikationen 
der v. Kuffner-Sternw. in Wien 2, Wien 1892. — Ein .allgemeineres Beispiel 
bietet das neue Greenwicher Althsimud) Greenw. Obs. 1900, 

55) Vgl. die Beschreibung des alten Greenwicher Altazimuts in Greenw. 
Obs. 1847 and 1852, sowie des Straßburger Altazimuts in L. Courvoisier, Unter- 
suchungen über die absolute Polhöhe von Straßburg, Diss. Heidelberg 1901 und 
W. Schur, Untersuchungen und Beobachtungen am Altazimut der Straßburger 
Sternwarte, Astr. Nachr. 120 (1888), p. 1. 


222 Vie,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


kung seiner Anwendung auf den kurzen, nur einmal täglich eintreten- 
den Moment des Meridiandurchgangs eines Gestirns, lassen das Be- 
dürfnis nach einem Instrument entstehen, bei dem diese Beschrän- 
kungen wegfallen. Für alle Beobachtungen fundamentaler Natur, der 
Örter der Sonne, der Fundamentalsterne und der Menge der helleren 
Fixsterne (bis zur 9. Größe etwa) kommt der Meridiankreis allein in 
Frage. Alle schwächeren Objekte, insbesondere die kleinen Planeten 
und Kometen, alle Objekte, deren relativer Ort gegen ein Nachbar- 
gestirn allein von Interesse ist, wie Doppelsterne und Satelliten, alle 
Objekte, bei denen man sich nicht auf die täglich nur einmalige Be- 
obachtung im Meridian allein angewiesen sehen will, legt man durch 
differentiell-mikrometrischen Anschluß am Refraktor fest. 


B. Der Refraktor. 


Der übliche Name „Refraktor“ (ursprünglich im Gegensatz zu 
„BReflektor“ gebraucht) bezeichnet ein nach dem Himmelspol orien- 
tiertes oder, wie man sagt, parallaktisch montiertes Universalinstrument 
oder Äquatoreal, welches nach dem Früheren in Verbindung mit zwei 
geteilten Kreisen und einer Uhr absolute äquatoreale Koordinaten liefern 
könnte und früher gelegentlich geliefert hat. Die Unmöglichkeit, den 
Refraktor in größeren Dimensionen diesen Zwecken entsprechend her- 
stellen zu können, führte dazu, ihn nur zur Bestimmung der relativen 
Koordinaten benachbarter Gestirne mittels geeigneter, „Mikrometer“ 
genannter Meßapparate zu verwerten. Der fundamentale Unterschied 
der relativen Beobachtungen am Meridiankreise und am Refraktor ist 
der, daß bei ersterem selbst bei der differentiellsten Art, den sog. 
Zonenbeobachtungen, die Visierlinie auf jedes Objekt einzeln einge- 
stellt und ihre Richtung im eigenen System des Instruments selb- 
ständig durch Benutzung des mechanischen Drehungsprozesses fest- 
gelegt und nur dieses Instrumentalsystem durch Beobachtung be- 
kannter Sterne an das äquatoreale System angeschlossen wird; bei der 
eigentlichen Refraktorbeobachtung wird das Fernrohr hingegen mehr 
als bildentwerfend verwertet und dieses Bild mikrometrisch vermessen, 
wie es am deutlichsten bei der Ausmessung einer photographischen 
Himmelsaufnahme der Fall ist. Zwar muß das Ferurohr, d. h. die 
Verbindung von Objektiv und Okular, eine gewisse Starrheit besitzen, 
um überhaupt wenigstens für die kurze Zeit einer Beobachtung eine 
Richtung festlegen zu können. Diese Richtung selbst aber wird nicht 
durch die Drehungswinkel um die Instrumentalachsen bestimmt und 
diese Drehungsmöglichkeit beim Messen gar nicht weiter verwertet. 


4. B. Refraktor: Visuelle mikrometrische Ortebestimmung. 223 


Die Vorteile dieser Beobachtungsart am Refraktor sind einleuch- 
tend: Da es sich nur um meist geringfügige Koordinatendifferenzen 
handelt, braucht das Koordinatensystem des Instruments nicht in 
gleicher Schärfe mit dem mathematischen übereinzustimmen wie beim 
Meridiankreis. Der Refraktor kann demnach um beide Achsen dreh- 
bar und in weit größeren Dimensionen gebaut werden, sonach auch 
zur Beobachtung weit schwächerer Objekte dienen. Er erlaubt die Be- 
obachtung des Objekts in jedem beliebigen Stundenwinkel, sobald es 
nur eine genügende Höhe über dem Horizont besitzt, und eine be- 
liebig häufige Wiederholung der Messung durch Nachfolgen mit dem 
Fernrohr. Endlich gibt die mikrometrische Meßmethode naturgemäß 
eine größere Genauigkeit als die Methode der Meridianbeobachtung, 
insbesondere ist sie unabhängig von jeder Kreisablesung und den da- 
mit verbundenen Teilungsfehlern. Zur Ableitung der absoluten Ko- 
ordinaten aber bleibt man auf die Mitwirkung des Meridiankreises, 
dem die Bestimmung der Örter der Vergleichsterne zufällt, ange- 
wiesen. Eine scharfe Trennung der beiderseitigen Aufgaben ist nicht 
möglich und hängt von den verfügbaren Hilfsmitteln und dem sub- 
jektiven Empfinden ab (s. später Nr. 8). 

Die verschiedenen Formen der mikrometrischen Messung’). Über 
die verschiedenen Formen, in denen sich eine solche relative Orts- 
bestimmung abspielen kann, ist das Folgende zu bemerken. 

Beobachtung bei ruherdem Fernrohr. Zunächst kann man, ähnlich 
wie bei der Meridianbeobachtung, die tägliche Bewegung unter Voraus- 
setzung ihrer Gleichförmigkeit zur Messung verwerten, indem man aus 
den nacheinander beobachteten Durchgängszeiten beider Objekte durch 
fest in der Brennebene aufgespannte und nach bestimmten Richtungen 
orientierte Kurvensysteme ihre Koordinatendifferenzen berechnet. Da- 
bei kommt sowohl die Auge- und Öhr-, wie auch die elektrische Regi- 
striermethode zur Anwendung. Von den älteren Formen solcher sog. 
„Mikrometer“ erwähnen wir das Kreis- oder Ringmikrometer, das La- 
mellen-, das feste Fadenmikrometer usw. Neben einigen Vorteilen — 
manche bedürfen z. B. keiner Feldbeleuchtung und gestatten daher die 
Beobachtung der schwächsten noch siehtbaren Objekte, das Ring- 
mikrometer bedarf keiner besonderen Orientierung -— sind sie den 
großen Nachteilen aller Durehgangsbeobachtungen, ihren großen persön- 
lichen Auffassungsunterschieden, ausgesetzt, die sich hier sogar auf 
beide Koordinaten werfen. Allein die AR.-Differenz wird durch 





56) Vgl. hierzu insbesondere, neben Ambronn 2, den Artikel von E. Becker 
über „Mikrometer in Yalentiner, Handwörterbuch, 3', p. 64 ff, 


Ew 


224 Vl2,5. Fritz Oohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Durchgangsbeobachtungen bestimmt bei einem festen, senkrecht zur 
täglichen Bewegung orientierten Fadensystem. Die ö-Differenz wird 
dann mit einem, der täglichen Bewegung parallelen beweglichen 
Faden gemessen, indem beide Objekte nacheinander bei ihrem Durch- 
gang durch das Gesichtsfeld pointiert werden; event. das erste mit 
einem festen, das zweite mit einem parallelen beweglichen Faden, 
deren Koinzidenz man gesondert bestimmt. Die Kenntnis des Schrauben- 
werts erlangt man am besten durch Messung eines bekannten Dekli- 
nationsunterschieds; event. kann man auch nach Drehung des ganzen 
Fadensystems um 90° Durchgänge dazu verwenden. Zu berück- 
siehtigen ist die meist geringfügige Abhängigkeit des Schraubenwerts 
von der Temperatur und der Okularstellung. 

Ganz unabhängig von der Beobachtung von Durchgangszeiten 
wird man entweder durch die 'Einführung des Repsoldschen selbst- 
registrierenden Mikrometers, das indessen trotz seiner großen Vorzüge 
am Refraktor noch keine Anwendung gefunden hat, oder dadurch, daß 
man die tägliche Bewegung ganz ausschaltet. 

Beobachtung bei bewegtem Fernrohr. Man erreicht das dadurch, 
daß man dem Fernrohr durch ein Uhrwerk”) eine der täglichen Um- 
drehung der Erde gerade entgegengesetzte Bewegung gibt und es da- 
durch eine feste Richtung im Raume unveränderlich beibehalten läßt, 
und mißt die dann zum Fernrohr feststehenden Bilder mikrometrisch 
aus, entweder dureh visuelle Beobachtung mit dem Fadenmikrometer 
oder bei photographischen Aufnahmen mit dem Ablesemikroskop. 


a) Die .differentielle Ortsbestimmung mit dem visuellen Fadenmikro- 
meter. Das Faden- oder Positionsmikrometer besteht in einer Ver- 
einigung von fester und beweglicher Fadenplatte, welche, neben der zur 
Fokussierung dienenden Verschiebbarkeit des ganzen Okularkopfes in 
der Richtung der optischen Achse, auch in der Brennebene senkrecht 
zur optischen Achse, sowohl gemeinsam, wie auch einzeln, durch Mikro- 
meterschrauben verschoben und um die optische Achse (mit Fein- 
bewegung) gedreht werden kann. Ihren Positionswinkel, d. h. den 
Richtungswinkel des Mikrometerfadens gegen den nach dem Nordpol 
zeigenden Stundenkreis, liest man an dem fest, d. h. unabhängig von 
dem die Fadenplatten tragenden Okularkasten, am Fernrohr sitzenden 
Positionskreis ab, dessen Nullpunkt zum äquatorealen Koordinatensystem 





57) Näheres über die verschiedenen Arten der Uhrwerke und ihre Einrieh- 
tung 5. bei Ambronn in dem Abschnitt „Parallaktisch aufgestellte Refraktoren“, 
2, p. 1066 ff. Die ersten Uhrwerke brachte Fraunhofer im zweiten Jahrzehnt 
des 19. Jahrhunderts an seinen Refraktoren (Neapel 1811, Dorpat 1824) an. 


4. B. Refraktor: Photographische Ortsbestimmung. 225 


in Beziehung gebracht werden muß. Diese Nullpunktsbestimmung er- 
folgt, indem man den ganzen Okularkasten so dreht, daß ein Stern 
bei ruhendem Fernrohr infolge der täglichen Bewegung auf dem 
Faden entlang läuft. Die Stellung des aus je zwei zueinander senk- 
rechten Gruppen bestehenden Fadensystems zu den fundamentalen 
Richtungen des äquatorealen Systems bleibt bei allen Drehungen des 
parallaktisch montierten Fernrohrs die gleiche; insbesondere veran- 
schaulichen die Fäden. bei entsprechender Stellung zum Positions- 
kreise die Stunden- und Parallelkreise. 

Das Fadenmikrometer gestattet somit durch geeignete Kombi- 
nation der festen und beweglichen Füden rechtwinklige oder polare 
ebene Koordinaten in beliebigen Positionswinkeln in der Bildebene zu 
messen, und zwar pointiert man entweder beide Objekte nachein- 
ander mit dem beweglichen Faden, oder man stellt einen festen Faden 
auf das eine Objekt (durch Verschiebung des ganzen Okularkastens), 
den beweglichen auf das andere und wiederholt die Messung in um- 
gekehrter Reihenfolge unter Durchschrauben des beweglichen Fadens, 
wodurch man von etwaigen Fehlern des Uhrwerks unabhängiger wird. 
In der Praxis mißt man. entweder äquatoreale rechtwinklige Koordi- 
naten x, y, indem man den beweglichen Faden parallel und senkrecht 
zur scheinbaren täglichen Bewegung stellt®), oder gelegentlich (bei 
sehr engen Objekten wie Doppelsternen) Polarkoordinaten s und ». 
In diesem Falle gibt die Parslleistellung der einen Fadengruppe zur 
Verbindungslinie beider Objekte den Positionswinkel, in dieser Rich- 
tung mißt man mit der anderen Fadengruppe den Abstand beider Ob- 
jekte®®). Bei den kleinen Koordinatendifferenzen, um die es sich 
hierbei stets handelt (selten mehr als 5”), genügen zur Umsetzung in 
sphärische Koordinaten die Nüherungsformeln: 


Aresd=x==ssinp, 
Ad=ey=scosp. 
b) Die differentielle Ortsbestimmung mit Hilfe der Photographie. 


Eine fehlerfreie Aufnahme auf der ebenen photographischen Platte®°) 
gibt ein Abbild der Sphäre, welches ihrer zentralen Projektion 








68) Besitzt das Mikrometer zwei zueinander senkrecht wirkonde Schrauben, 
so bedarf es dazu keiner Drehung im Positionswinkel. 

59) Dreht man den Positionswinkel um 90°, so kann man beide Messungen 
mit ein und demselben beweglichen Faden ausführen. 

60) Über die Herstellung astrophotographischer Aufnahmen vergl. z. B. in 
Valentiners Handwörterbuch 1 den Artikel „Astrophotograpbie“, sowie das Lehr- 
buch J. Scheiner, Die Photographie der Gestirne. Leipzig 1897. 


926 VIse,5. Fritz Cohn, Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


auf eine Tangentialebene ähnlich ist. Die Festlegung der ab- 
gebildeten Sternörter erfolgt in der Regel durch mikrometrische 
Messung der ebenen rechtwinkligen (seltener polaren) Plattenkoordi- 
naten, bezogen auf einen beliebig gewählten, aber nahe zentral ge- 
legenen Nullpunkt und nahezu äquatoreale Koordinatenriehtungen ®}), 
Diese Messung kann entweder geschehen dureh mikrometrische. Ver- 
schiebung des Ablesemikroskops oder der Platte längs gewisser, zu 
einander senkrechter, event. noch im Positionswinkel drehbarer Füh- 
rungen, oder an einer von dem Mikroskop unabhängigen Skale. Von 
den bei der großen Ausdehnung photographischer Platten (bis zu 2° 
Seitenlänge) zu befürchtenden Fehlern des Meßapparates, vor allem 
aber einer etwaigen Verziehung der Gelatineschicht, sucht man sich 
dadurch unabhängig zu machen und auch die Arbeit der Ausmessung 
wesentlich zu vereinfachen, daß man vor der Aufnahme gewisse nete- 
artige Gitter von genau bestimmten Dimensionen auf die Platte auf- 
kopiert und die einzelnen Objekte an die nächstgelegenen Gitter- 
striche anschließt. Dazu bedarf es, ebenso wie bei kleinen Koordi- 
natendifferenzen, nur einer kurzen Mikrometerschraube, obne daß die 
Bewegung längs der Führungen zur Messung benutzt wird; von dieser 
wird nur eine unveränderliche Richtung verlangt, damit die Mikro- 
meterfäden den Gitterstrienen parallel bleiben und nieht von neuem 
orientiert zu werden brauchen‘). Solche Gitter werden bei einer 
Strichbreite von wenigen 0,01 mm und einer Striehdistanz von 5 mın 
von P. Gautier in Paris in großer Schärfe hergestellt. Die beiden 
Strichsysteme stehen bis auf wenige Sekunden aufeinander senkrecht, 
und die Fehler der gegenseitigen Abstände erreichen kaum 1 Mikron®?*), 
Ihre Prüfung, sowie die der Kopien, kann in der erwähnten Weise 
durch Skale oder große Mikrometerschraube erfolgen®P\, Doch muB 


61) Eine direkte Bestimmung der sphärischen Koordinaten aus photographi- 
schen Himmelsaufnabmen kann mit einem parallaktisch aufgestellten Ablesefern- 
rohr erfolgen, dessen Objektivmittelpunkt von der Platte um die Brennweite des 
photographischen Objektives absteht, derart, daß im Ablesefernrohr die Rich- 
tungen nach den Bildern auf der Platte dieselben sind wie im visuellen Fern- 
rohr die Richtungen nach den Sternen; vergl. hierüber J. ©. Kupteyn, Expose 
de la wmöthode parallactique de mesure, Rednetion des cliches, Bulletin du 
Comit6 international permanent pour l’exdeution photographique de la carte du 
ciel [Comite carte dw ciel bull.| 1, Paris 1888, p. 94, sowie Scheiner®®). 

62) Die Beschreibung eines solchen, von Repsold hergestellten photographi- 
schen Meßapparates s. z. B. bei Scheiner **”) oder D. Gill, On a new instru- 
ment for measuring astrophotegraphic plates, Lond. Astr. Soc, Monthly Not. 59 
(1898), p. 61. 

62*) 1 Mikron = Lu = 0.00 1mm. 

62»), Vergl. z. B. J. Scheiner in den „Publikationen des Astrophysikalischen 


4. B. Refraktor: Photographische Ortsbestimmung. 227 


man beim Aufkopieren der Gitter die größte Sorgfalt beobachten, da 
sich vielfach merkliche Abweichungen der aufkopierten Gitter von 
den Originalen bis auf mehrere Mikron®®) ergeben haben, die man auf 
Projektionsfehler bei der Aufkopierung — Lichtbrechung in dem nicht 
völlig planparallelen und homogenen Originalgitter, prismatische Ge- 
stalt der Gitterfurchen — zurückführt®?),. 
Die Umrechnung der ebenen äquatorealen Plattenkoordinaten x, y 
in sphärische «, ö erfolgt nach ‚den Formeln 
Ben), 2 ne I er cos (a — @,), 
worin &,, d, die Koordinaten des Plattenzentrums bezeichnen“). Da- 
bei ist man, da die photographische Platte sich nicht in der Schärfe 
wie das Fadensystem bei der visuellen Beobachtung nach den Rich- 
tungen des äquatorealen Systems orientieren läßt, sowohl bezüglich 
der Orientierung der Platte (d. h. der x, y), wie des Plattenzentrums 
(&y, 6), wie auch des Skalenwerts. auf die Kenntnis der Örter einer 
hinreichenden Zahl von gut über die Platte verteilten Vergleich- 
sternen angewiesen, welche nur durch Beobachtungen am Meridian- 
kreise erlangt werden kann. Dieser Einschränkung der Anwendbar- 
keit®®) steht allerdings ein Vorteil gegenüber. Während die visuelle 
Beobachtung am Meridiankreis, wie am Refraktor, nur scheinbare, 
d. bh. auf den momentanen Zustand des äquatorealen Koordinaten- 
systems bezogene Koordinaten ergeben kann, zieht man in die Re- 


Observatoriums zu Potsdam, Photographische Himmelskarte“, Bd. 1, Potsdam 
1899, p. XII; F. Küstner, Über eine große praktisch fehlerfreie Mikrometer- 
schraube von M. Wolz in Bonn zur Untersuchung photographischer Gitter, 
Astr. Nachr. 161 (1903), p. 97. 

63) K. Bohlin, Sur l’emploi.du röseau pour la mesure des cliches photo- 
graphigues, Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 321, sowie K. Bohlin, Jahresbericht der 
Sternwarte zu Stockholm, Astr. Ges. Vjs. 36 (1901), p. 145; H. Ludendorff, Über 
Fehler, die beim Aufkopieren von Normalgittern auf photographische Platten 
entstehen können, Astr. Nachr. 157 (1901), p. 17; sowie H. Ludendorff, Unter- 
suchungen über die Kopien des Gitters Gautier Nr. 47, Publikationen des Astro- 
physikalischen Observatoriums zu Potsdam 15, Nr. 49, Potsdam 1903; C, Mönnich- 
meyer, Untersuchungen über die 5 mm Gitter von P. Gautier, Astr, Nachr, 16% 
(1908), p. 65. 

64) Vergl. W. Zurhellen, Darlegung und Kritik der zur Reduktion photo- 
graphischer Himmelsaufnabmen aufgestellten Formeln und Methoden, Dies. 
Bonn 1904. 

65) Für jede Platte ist die Bestimmung von vier Konstanten —- event. seche, 
wenn die Neigung der Platte gegen die Kollimationslinie merklich ist und nicht 
durch direkte Messung bestimmt werden kann — erforderlich, die nach der 
Methode der kleinsten Quadrate erfolgt. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 16 


2238 VIs,5. Frite Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


duktion photographischer Sternörter sogleich Aberration, Präzession 
und Nutation hinein, da sie nur die Orientierung der Platte und den 
Skalenwert beeinflussen, und erhält sie soınit bezogen auf ein belie- 
biges Äquinoktium, auf welches man die Örter der Anhaltsterne nur 
ebenfalls zu beziehen hat; duch darf das gewählte Äquinoktium wegen 
der meist nicht hinreichend genauen Kenntnis der Eigenbewegungen 
der Anhaltsterne nicht zu weit von der Beobachtungsspoche abliegen. 


Bei den Beobachtungen am ruhenden Fernrohr verläßt man sich 
auf die völlige zeitliche Unveränderlichkeit der Richtung des Fern- 
rohrs zum Erdkörper im Verlauf der Messungsreihe; um Störungen 
durch Wind, Erschütterungen usw. möglichst zu vermeiden, wird man 
die AR.-Differenz der beiden Objekte nicht zu groß werden lassen und 
auf wenige Zeitminuten beschränken. Die Anwendung des Uhrwerks 
setzt bei der visuellen Beobachtung die genaue Mitführung des Fern- 
rohrs während der Messung voraus, derart, daß seine optische Achse 
in der Zeit zwischen den Pointierungen auf die beiden Objekte un- 
veränderlich auf denselben Punkt des Himmels gerichtet bleibt, das 
Uhrwerk wird gewissermaßen anstelle der täglichen Bewegung zur 
Messung mitbenutzt. Tatsächlich läßt sich das Uhrwerk heutzutage 
in großer technischer Vollkommenheit herstellen‘), wie sie für die 
nur kurze Zeit (kaum mehr als etwa 20 Sekunden) erfordernde visuelle 
Beobachtung stets ausreicht. Auch läßt sich der Einfluß der Fehler 
des Uhrwerks durch Vermehrung und symmetrische Anlage der 
Messungen völlig beseitigen. Da andererseits die persönlichen Unter- 
schiede bei Durchgangsbeobachtungen durch Häufung der Messungen 
nicht vermindert werden, so kommt für kleine Koordinatendifferenzen 
(selten mehr als 5’, höchstens 10° die Methode des bewegten Fern- 
rohrs wohl allein in Frage Bei relativ großen AR.-Differenzen, 
zu denen man oft gezwungen ist, wenn in der Nähe des zu be- 
obachtenden kleinen Planeten oder Kometen kein passender, d. h. durch 
eine Meridianbeobachtung schon festgelegter Vergleichstern vorhanden 
ist, — in d ist man durch den begrenzten Wirkungsbereich der 
Mikrometerschrauben meistens an engere Differenzen (bis etwa 10’) 
gebunden —, muß man hingegen am ruhenden Fernrohr beobachten. 
Bei der zunehmenden Zahl der Sterne, deren Örter an Meridiankreisen 
beobachtet sind oder durch die in Ausführung begriffene photo- 


66) Vgl. H. Struve in ©. Struve's Festschrift®), p. 64—65, sowie F. Hayn, 
Selenographische Koordinaten, 2. Abhandlung, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 29, 
Nr. 1 (1904\, p. 33-886. 


4. B. Refraktor: Uhrwerk, Leitfernrohr; Anschlußsterne. 229 


graphische Himmelskarte zugänglich werden, wird man in naher Zu- 
kunft meistens über genügend sicher bestimmte Örter nahestehender 
Vergleichsterne verfügen und auf die Durchgangsbeobachtungen am 
ruhenden Fernrohr immer seltener zurückzugehen brauchen. 

Bei den photographischen Aufnahmen bedarf man eines gut 
funktionierenden Uhrwerks nicht eigentlich zur Messung, als vielmehr 
zur Herstellung scharfer Bilder; es stellt dies bei der oft langen Dauer 
photographischer Expositionen®”) an die Leistungsfäbigkeit des Uhr- 
werks die höchsten, kaum erfüllbaren Anforderungen, zumal noch der 
störende Einfluß der mit der Zenitdistanz veränderlichen Refraktion 
hinzukommt. Man verläßt sich daher nicht darauf, sondern hält das 
Fernrohr, das dann nur abbildend auftritt, durch visuelle Beobachtung 
eines Himmelsobjektes im Leitfernrohr mittelst der Feinbewegung, 
event. des Uhrwerks selbst in unveränderlicher Lage im Raume fest‘®). 
Für sehr große Teleskope, bei denen auch das Leitfernrohr nicht 
völlige Zuverlässigkeit bietet, hat man durch mikrometrische Ein- 
stellung der photographischen Platte selbst anstelle der Bewegung 
des ganzen Fernrohrs gute Erfolge erzielt®”). Den störenden Einfluß 
schnell periodischer Ungleichförmigkeiten im Gange des Uhrwerks 
wies .J. Hartmann nach und gab zugleich Mittel zur Beseitigung an’®). 

Die Vorteile der Methode der photographischen Ortsbestimmung 
gegenüber der visuellen sind vor allem die Kürze der Beobachtungs- 
zeit am Fernrohr und die Fülle des Materials, das sie ın dieser Zeit 
für die eigentliche, unter bequemeren äußeren Verhältnissen vor- 
zunehmende Ausmessung beschafft; sie kommt daher vor allen zur 
Massenbeobachtung zur Anwendung. 


67) Die Expositionsdauer, die beim Monde einige Sekunden beträgt, steigt 
bei Fixsternen auf wmehrere Minuten bis zu einer Stunde und noch weiter an 
und erreicht bei Nebelaufnahmen zuweilen sogar über 24 Stunden. 

63) Da das Sucherfernrohr seiner nicht genügend festen Verbindung mit 
dem Hauptfernrohr wegen nicht ausreicht, konstruiert man eigene Leitfernrohre, 
die nach dem Vorgange der Gebrüder Henry (Paris) mit dem photographischen 
Fernrohr in ein gemeinsames Rohr einbezogen werden, vgl. Ambronn, Scheiner ®°\. 

69) Vgl. A. A. Common, Note on an apparatus for correcting the driving of 
the motor clocks of large equatorials for long photographic exposures, Lond. 
Astr. Soc. Monthiy Not. 49 (1889), p. 297; G. W. Kitchey, Celestial photography 
witb the 40-inch visual telescope of the Yerkes Observatory, The Astro- 
pbysical Journal 12, Chicago 1900, p. 352ff. Durch Anwendung einer iso- 
chromatischen Platte und eines gelben Farbenfilters wird dag Instrument für 
photographische Beobachtungen verwendbar gemacht, während gleichzeitig die 
Bilder für das visuelle Halten scharf bleiben. 

70) J. Hartmann, Über die Korrektion eines periodischen Fehlers in der 
Bewegung des Potsdamer 80 em-Refraktors, Astr. Nachr. 158 (1902), p. 1. 

16* 


230 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente, 


Über die gebräuchlichen Dimensionen der photographischea 
Refraktoren vgl. p. 252. 

Dopmelbildmikrometer, Heliometer”). Eine besondere Art mikro- 
metrischer Meßinstrumente bilden die Doppelbildmikrometer, bei denen 
die Bilder der beiden zu beobachtenden Objekte nicht getrenut poin- 
tiert, sondern die vier durch die Verdoppelung entstehenden Bilder 
in geeignete Stellungen zueinander gebracht werden. Ihr Haupt- 
vertreter ist das Heliometer, weiches zugleich den bisher besprochenen 
Okularmikrometern gegenüber als Objektivmikrometer auftritt. Bei 
ihm sind die Objektivlinsen durch einen Schnitt längs eines Durch- 
messers in zwei halbkreisförmige Stücke zerlegt; diese beiden Halbkreis- 
objektive lassen sich durch Mikrometerschrauben längs ihrer gemein- 
samen ebenen Schnittfläche gegeneinander verschieben®!) und bewirken 
dadurch eine Verdoppelung des in der Brexinebene erzeugten Bildes. 
Durch Drehung des ganzen Objektivkopfes — resp. bei den neueren 
Konstruktionen durch Drehung des ganzen Fernrohrs — um die 
optische Achse des Fernrohrs wird die Schnittfläche parallel der Ver- 
bindungslinie der beiden zu beobachtenden Objekte gestellt (Ein- 
stellung in Positionswinkel} und durch Auseinanderschrauben der 
Objektivhälften dann die beiden inneren der entstehenden vier Bilder 
zur Deckung gebracht (Einstellung der Distanz). Dabei wird nicht 
direkt das zu unscharf aufzufassende Zusammenfallen zweier Bilder, 
sondern bei großen Distanzen durch kleine Drehungen im Positions- 
winkel oder Veränderungen der Distanz ihr Durcheinanderschwingen 
beobachtet. Bei kleineren Distanzen stellt man der zu großen Krüm- 
mung des Schwingungsbogens wegen die vier Bilder zu einer geeig- 
neten Konfiguration, etwa einem flachen Rhombus, zusammen, und 
bei Doppelsternen schätzt man die Gleichheit der drei Abstände. Man 
erhält so die relativen sphärischen Polarkoordinaten beider Objekte, 
die Größe der Verschiebung gibt ein Maß für die Distanz der Objekte, 
resp. wenn durch Durchschrauben der Hälften die Messung symme- 
trisch wiederholt wird, ihre doppelte Distanz, die an einem Positions- 
kreise abzulesende Richtung der Verschiebung den Positionswinkel”!). 

Das Heliometer gestattet, im Gegensatz zum Fadenmikrometer, 


71) Über die Keduktion der Heliometermessungen vgl. insbesondere 
F. W. Bessel, Theorie eines mit einem Heliometer versehenen Äquatoreals, 
sowie: Besondere Untersuchung des Heliometers der Königsberger Sternwarte, 
beides erschienen in Bessel, Astron. Unterauch. 1, p. 1—-152 = Bessel, Abhdl. 2, 
p- 109 und p. 183; P. A. Hansen, Ausführliche Methode mit dem Fraunhoferschen 
Heliometer Beobachtungen anzustellen, Gotha 1827; H. Seeliger, Theorie des 
Heliometers, Leipzig 1877. 


4. B. Refraktor: Heliometer. Historisches. Equatorial coude. 231 


die Messung sehr großer Koordinatendifferenzen — bei den neuen 
Repsoldschen Heliometern bis zu 2° — und gibt auch dann noch 
eine sehr große Genauigkeit. Wird dadurch die Zahl der verwend- 
baren Vergleichsterne wesentlich erhöht, so kann es andererseits der 
schwierigen technischen Ausführung halber nur in mäßigen Dimen- 
sionen’?) hergestellt werden. Seine Anwendung beschränkt sich daher 
auf gewisse besondere Aufgaben der astronomischen Ortsbestimmung, 
bei denen es sich um eine hervorragende Genauigkeit und zugleich 
um hellere Objekte, nicht unter 9. Größe, handelt. 

Historisches zum Refraktor. Die Entwicklung der BRefraktoren, 
deren Geschichte in das 18. Jahrhundert zurückgeht, trat in ein neues 
Stadium mit dem von J. Fraunhofer für die Sternwarte zu Dorpat er- 
bauten, 1824 aufgestellten, neunzölligen Refraktor, der in den Händen 
W. Strwes zu besonderer Berühmtheit gelangt ist”®). Zum ersten 
Male war ein gut funktionierendes Uhrwerk angebracht und dadurch 
die Möglichkeit zu Beobachtungen mit dem Positionsfadenmikrometer 
geboten, die besonders zu umfassenden Beobachtungen von Doppel- 
sternen Anwendung fand‘). Einen weiteren Fortschritt bedeutete die 
1839 erfolgte Herstellung des Pulkowaer Refraktors durch Merz und 
Mahler“"), der bei einer Öffnung von 14 Zoli und einer Brennweite 
von 270 Zoll eine mehr als tausendfache Vergrößerung zuließ und in 
den Händen 0. Strwves ebenfalls seine wesentliche Anwendung auf 
Doppelsternmessungen fand. Namhaft gemacht sei fernerhin der 
Clarksche 26-Zöller des U. S. Naval Observatory in Washington. 
Die heutige Leistungsfähigkeit' charakterisieren etwa der 30-zöllige 
Repsoldsche Refraktor der Sternwarte zu Pulkowa, sowie die von 
‚Warner und Swasey hergestellten großen Refraktoren der Liek- und 
Yerkes-Sternwarte von 36 und 40 Zoll Öffnung”®). Daneben besitzen 
die meisten Sternwarten Refraktoren von mittlerer Größe, von etwa 
10 bis 15 Zoll Öffnung, mit denen Kometen, kleine Planeten, Doppel- 
sterne usw. beobachtet werden. 

Über die Aufstellung der Refraktoren („englische“, „deutsche“ 
Aufstellung), den Kuppelbau usw, vgl. Ambronn 2. 


72) Das größte der neueren Repsoldschen Heliometer (Sternwarte in Wien- 
Ottakring) besitzt eine Öffnung von 217 mm. 

73) W. Struve, Beschreibung des auf der Sternwarte zu Dorpat befindlichen 
großen Refraktors von J. Fraunhofer, Dorpat 1825. 

74) Vgl. W. Siruve, Stellarum duplicium et multiplieium mensurae micro- 
metricae, Petropoli 1887. 

76) Vgl. Ainbronn 2. Eine eingehende Beschreibung des Pulkowser großen 
Refraktors enthält die in Fußn. 9 zitierte Festschrift. 


232 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Einen besonderen Typus bildet das nach M. Loewys Ideen nach 
dem Prinzip der gebrochenen Fernrohre?) konstruierte equatorial coude, 
welches sich besonders als photographisches Fernrohr durch vorzüg- 
liche Mondaufnahmen bewährt hat’”). 

Eine eigene Klasse von Refraktoren bilden dann die in den 
letzten Jahrzehnten hinzugekommenen photographischen Refraktoren 
oder Astrographen, als deren bekannteste Repräsentanten wir den nach 
den Angaben der Gebrüder Henry konstruierten Pariser photographi- 
schen Refraktor (Öffvung des photographischen Objektivs 34 em, des 
visuellen 23 cm, Brennweite 3.4 m), der für die zur Herstellung der 
photographischen Himmelskarte dienenden Instrumente vorbildlich 
geworden ist‘®), und den großen Repsoldschen Refraktor des Potsdamer 
astrophysikalischen Observatoriums, (Öffnung des photographischen 
Objektivs 80 cm, des visuellen 50 cm, Brennweite 12 m) beiimdäts 
namhaft machen ’®). 

Das Heliometer wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts von 
John Dollond®) konstruiert zum Zwecke der Bestimmung des Sonnen- 
durchmessers und trägt daher seine Bezeichnung. Eine neue Epoche 
begann für das Heliometer mit der Fertigstellung des großen sechs- 
zölligen Fraunhoferschen Heliometers der Sternwarte zu Königsberg 
(1829) und seiner Anwendung durch F' W. Bessel‘').. Dem Hauptnach- 
teile dieser älteren Heliometer, daß die Objektivhälften sich auf ebenen 
Schiebern bewegten und demnach die Bilder nur weit außerhalb der opti- 
schen Achse und nicht im Brennpunkt beobachtet werden konnten !®), 
begegmete A. Repsold, indem er bei seinen neueren Heliometern®!) die 
Objektivschieber auf Zylinderflächen, deren Achse senkrecht zur 
optischen Achse durch den Brennpunkt geht, sich bewegen läßt; die 
Beobachtung erfolgt nun stets bei scharfen Bildern in nächster Nähe 





77) Beschreibung des „equatorial coude“ bei M. Loewy, Paris (.R. 96 (1883) 
und M. Loewy, Paris Bull. astr. 1 (1884), p. 265, p. 370 und p. 421; sowie Am- 
bronn 2. 

78) Über diese Instrumente vgl, neben Ambdronn 2, Scheiner‘) und 
Scheiner ®*®), die Einleitungen zu den Katalogen der photographischen Himmels- 
karte. 

79) Die beiden photographischen Refraktoren des Potsdamer Instituts be- 
schreibt H. C. Vogel, Publikationen des astrophysikalischen Observatoriums zu 
Potsdam 15, 1'= Stück [Nr. 45], Potsdam 1907. 

80) J. Dollond, Description of & contrivance for megsuring small angles, 
Lond. Phil. Trans. 1758. 

81) Zylinderführung zuerst 1849 bei dem Heliometer der Sternwarte zu 
Oxford; J. Fraunhofer hatte den entsprechenden Wunsch F. W. Bessels der 
technischen Schwierigkeiten wegen nicht ausgeführt. 


5. Fehler: Instrumentalfehler geometrischer Natur. 233 


der optischen Achse. Die Messung der Verschiebung der Objektiv- 
hälften, welche bei den älteren Heliometern mit Hilfe der sie be- 
wirkenden Mikrometerschrauben erfolgte, geschieht jetzt an zwei 
(zylindrisch gekrümmten) Skalen, welche in die Objektivschieber fest 
eingelassen sind und mit ihren Teilungen aneinander liegen. 


5. Die Fehler der Instrumente und ihre Bestimmung. 
Geometrische Fehlerquellen. 

Die Anforderungen an die Einrichtung und Wirkungsweise der 
im vorigen skizzierten Instrumente und Methoden zur exakten astro- 
nomischen Ortsbestimmung lassen sich in der Praxis nicht in aller 
Strenge verwirklichen, und ihre gelegentliche Verwirklichung würde 
infolge störender thermischer und Schwereeinflüsse nicht von Dauer 
sein können. Weder wird die Absehenslinie dauernd die Koordi- 
natenkurven eines sphärischen Systems beschreiben, noch, wenn dies 
selbst durchführbar wäre, das sphärische System des Instruments 
mit dem astronomischen dauernd in aller Strenge übereinstimmen. 
Die Praxis muß sich damit begnügen, die mathematische Idee des 
Instruments angenähert zu verwirklichen, indem sie die sogenannten 
Instrumentalfehler gewisse kleine Beträge nicht überschreiten läßt. 
Auch in dieser Beschränkung erfordert ein jedes Instrument die voll- 
kommenste technische Ausführung und muß mit Korrektionseinrich- 
tungen versehen sein, welche die Instrumentalfehler in jenen engen 
Grenzen zu halten gestatten. 

Danach können die in der besprochenen Weise erhaltenen 
Koordinaten nicht in Strenge den äquatorealen entsprechen. Die 
Untersuchung und Theorie eines Instruments hat vielmehr zu zeigen, 
wie man aus den fehlerhaften Angaben des Instruments fehlerfreie, 
d. h. seiner Idee entsprechende Daten ableiten, wie man die Be- 
obachtungen von den Instrumentalfehlern befreien kann. Dazu hat 
sie die damit im engsten Zusammenhang stehende Aufgabe zu lösen, 
diese Instrumentalfehler durch geeignete Kombination der Beobachtungen 
selbst zu bestimmen, wofür die Art, in welcher die Instrumentalfehler 
die beobachteten Koordinaten verfälschen, stets Methoden an die Hand 
gibt. In früherer Zeit benutzte man diese Bestimmung der Instru- 
mentalfehler, auch bei fest auf Sternwarten aufgestellten Instru- 
menten, dazu, sie durch die erwähnten Korrektionsvorrichtungen mög- 
lichst zu beseitigen. Seit etwg einem Jahrhundert aber, vor allem 
seit F. W. Bessel — auch schon Tobias Mayer berücksichtigte rech- 
nerisch die Instrumentalfehler, — zieht man es vor, sie nur ganz 
selten, aobald sie jene engen Grenzen zu überschreiten beginnen, zu 


234 VlIa,5. Fritz Cohm. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


korrigieren; man legt die Beobachtungen, wenn möglich, so an, daß 
sie es gestatten, gleichzeitig die Instrumentalfehler zu bestimmen und 
sie durch geeignete Kombination der Beobachtungen aus ihnen ganz 
zu eliminieren. Ein wichtiges Hilfsmittel bietet z. B. die Möglichkeit, 
dasselbe Objekt in zweierlei Lagen des Instruments beobachten zu 
können; man erreicht dies bei dem Universalinstrument (Refraktor) 
durch sogenanntes „Durchschlagen“ des Fernrohrs, d. h. Drehung um 
die Nebenachse über den Pol hinweg um die doppelte Poldistanz, 
unter gleichzeitiger Drehung um die Hauptachse um 180° beim 
Meridiankreis (oder Passageninstrument) durch „Umlegen“, d. h. ın- 
dem man das Instrument nach Herausheben aus seinen Lagern um 
eine vertikale Achse um 180° dreht und dadurch die beiden Lagerenden 
vertauscht. Die Bestimmung der Instrumentalfehler hat dann oft 
mehr ein instrumentelies Interesse und ist zur Beurteilung der Zu- 
verlässigkeit des Instruments wertvoll, als daß sie zur Reduktion der 
Beobachtungen erforderlich wäre; aber gerade dieses instrumentelle 
Interesse kann nur durch eine fortlaufende Reihe von Bestimmungen 
befriedigt werden, während deren kein Eingriff in das Instrument 
vorgenommen. ist. 

Bei der Erörterung der Fehler selbst und ihrer Bestimmung be- 
schränken wir uns auf die beiden Haupttypen von Präzisionsinstru- 
menten, indem wir die Beobachtung der absoluten Koordinaten am 
Meridiankreis und der relativen am Refraktor getrennt behandeln, und 
verweisen im übrigen auf die Literatur. 


A. Instrumentalfehler des Meridiankreises. 


Die Instrumentalfehler des Meridiankreises sind von zweierlei 
Art. Ist das eigentliche Instrument in allen seinen Teilen fehlerfrei, 
so gibt es sphärische Koordinaten, aber in seinem eigenen, durch 
Richtung der Umdrehungsachse und Nullpunkt des Kreises fest- 
gelegten System. Es handelt sich also einmal um die Fehler des 
eigentlichen Instruments (der Visierlinie und der Drehungsachse), in- 
folge deren es keine sphärischen Koordinaten gibt, und die sogenannten 
Aufstellungsfehler, infolge deren selbst das in sich völlig berichtigte 
Instrument sphärische Koordinaten in einem anderen System liefert 
als es seiner Idee entspricht. Bei der praktischen Bestimmung der 
Fehler vermischen sich allerdings beide Fehlerarten zuweilen mit- 
einander. Diese Fehlerbestimmung kann zum Teil nur durch irdische 
Beobachtungen erfolgen, zum Teil nur dureh Beobachtung cölestischer 
Objekte. Der größeren Bequemlichkeit der ersteren Bestimmungsart 


5. A. Instrumentalfehier des Meridiankreises. 235 


gegenüber bietet die letztere dadurch große Vorzüge, daß bei ihr die 
Gleichartigkeit der näheren Umstände mit denen der eigentlichen 
Beobachtungen weit mehr gewährleistet werden kann. 

Die Abweichung der Richtung der Drehungsachse von der hori- 
zontalen Ost-Westrichtung hat, sobald- man sich auf Größen erster 
Ordnung in den Fehlern beschränken kann, nur Einfluß auf die 
Rektaszensionen, der Nullpunkt des Kreises betrifft nur die Deklina- 
tionen. . Die Richtung der Umdrehungsachse — im Sinne von Ost nach 
West — fixiert man durch ihre horizontalen oder äquatorealen 
Koordinaten (Azimut = 90° — k, Höhe oder Neigung = i, Stunden- 
winkel = 90° — m, Deklination = n). Dazu kommen nun die inneren 
Fehler des Instruments hinzu. Die Abweichung des Winkels der 
Kollimationslinie (p. 198), d.h. der dureh den optischen Mittelpunkt des 
Öbjektivs und den Meridianfaden oder eine bestimmte Nullstellung 
des beweglichen Fadens fixierten Richtung, gegen die Umdrehungs- 
achse von einem rechten Winkel bewirkt, daß die Absehenslinie 
einen kleinen Kugelkreis am Himmel beschreibt. Kompliziert werden 
die Verhältnisse dadurch, daß bei der massiven Form der Zapfen, 
wenn sie nicht genau kreiszylindrisch und koaxial sind, von einer 
Umdrehungsachse im mathematischen Sinne nicht gesprochen werden 
kann. Die Zapfenfehler, d. b. die Abweichung des Zapfenquerschnittes 
von der Kreisform, bewirken vielmehr eine weitere Abweichung der 
Absehenslinie vom Meridian; endlich kommt noch eine laterale Ab- 
lenkung der Gesichtslinie durch eine unsymmetrische Durchbiegung 
der Drehungsachse in Frage. Da es kaum möglich wäre, die wahre 
Form der Kurve, welche die Absehenslinie bei der Drehung des Fern- 
rohrs am Himmel beschreibt, resp. ihren Stundenwinkel in den ver- 
schiedenen Deklinationen zu bestimmen, so begnügt man sich in der 
Praxis damit, in erster Näherung die Form der Zapfen als kreis- 
zylindrisch, ihre Achsen als starr und zusammenfallend und die 
Kollimationslinie bei allen Drehungen des Fernrohrs als starr mit 
dieger gemeinsamen Achse verbunden anzusehen. Hat ihr Winkel 
gegen diese Umdrehungsachse des Fernrohrs den Wert 90° +c, so 
bezeichnet man c als den Kollimationsfehler und bestimmt ihn durch 
Pointieren einer irdischen Marke (Kollimator, Mire) oder eines Pol- 
sterns®!®) in den beiden Lagen des Instruments — wobei man von 
den Zapfenfehlern allein eine durch Achsennivellement in beiden 
Lagen bestimmbare Ungleichheit der Zapfendicken zu berticksichtigen 


81*) „Polsterne“ resp. „Hohe Polsterne“ nennt man die dem sichtbaren 
Himmelspol nahe resp. sehr nahe stehenden Sterne. 


236 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


pflegt — oder durch mikrometrische Messung des Abstandes des 
Meridianfadens von seinem im Quecksilberhorizont®?) entworfenen 
Spiegelbild, resp. der Koinzidenzstellung des beweglichen Fadens und 
seines Spiegelbildes. Im letzteren Falle vermeidet man das Um- 
‚legen des Instruments, muß aber die Neigung der Umdrehungsachse 
kennen. Diese Neigung bestimmt man im allgemeinen durch die 
Wasserwage, wobei ebenfalls für die beiden verschiedenen Lagen des 
Fernrohrs eventuell die ungleiche Zapfendicke zu berücksichtigen ist. 
"Das Azimut k des Fernrohrs, d. h. der Meridian selbst, läßt sich unab- 
hängig nur durch cölestische Beobachtungen festlegen (s. VIa,2 
[F. Cohn], p. 23) durch Beobachtung der Durchgangszeiten von Zirkum- 
polarsternen in oberer und unterer Kulmination. Damit ergibt sich 
dann als Korrektion der beobachteten Durchgangszeit T durch den 
Meridianfaden: 
AT=[icos (pp — 6) + ksin (P — 6) + c]secd, 


die sogenannte Tobias Mayersche Formel®), und als Rektaszension 
des beobachteten Gestirns 


e=- THAT+AT. 


Über die ineinandergreifende Bestimmung der Uhrkorrektion und der 
Rektaszensionen, sowie den Übergang von den AR.-Differenzen zu 
den absoluten Rektaszensionen vgl. ebenfalls VI2,2 (F. Cohn), p. 21—30. 

Für die praktische Rechnung bequemer ist die Besselsche Formel) 


für AT: 
AT=m+tnrtgöd-esecd, 


in welcher man » wie oben bestimmt, während man m und damit 
die Neigung, wenn sie während einer Beobachtungsreihe konstant ist 
und es sich nicht um die absolute Zeit handelt, garnicht zu kennen 
braucht. Andernfalls bestimmt sich m aus der Formel 


m=isecep—ntgp. 


Eine andere Anordnung der Formel siehe z. B. bei P. A. Hansen”). 
In der Praxis verfügt man über die genauen Rektaszensionen 
hinreichend vieler Sterne, insbesondere Polsterne®'*), um nicht auf die 
unabhängige Bestimmung des Meridians angewiesen zu sein. Indem 


82) Eingeführt von @. C. Bohnenberger, Astr. Nachr. 4 (1826), p. 327. 

83) Tob. Mayer, Observationes astronomicae quadrante murali habitae in 
observatorio Gottingensi (Opera inedita 1, Gottingae 1775, p. 19). 

84) F. W. Bessel, Königsb. Beob. 2 (1816), Einleit. 

86) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 6 (1828), p. 421-458. 


5. A. Instrumentalfehler des Meridiankreises, 237 


man die Uhrkorrektion 
AU=a-T-AT 


aus zwei Sternen von möglichst verschiedenen Deklinationen 6, und Ö, 
bestimmt, erhält man eine Beziehung, aus der sich k oder n ab- 
leiten läßt: 


y— Dd —&— T)+elecd,—secd,) 

tg d, —tgd, 
Aueh kann die Festlegung des Meridians durch Beobachtung ent- 
fernter irdischer Marken (Meridianzeichen, Miren) erfolgen, deren 
Azimut nur ebenfalls durch cölestische Beobachtungen unter Kontrolle 
. gehalten werden muß. 

Über die Beobachtung reflektierter Sternbilder, sowie andere 
Methoden zur Neigungs- und Kollimationsfehlerbestimmung vgl. z. B. 
Brünnow, p. 487 ff, sowie P. Harzer ?®). 

Seltener nur wird der Zapfenform — abgesehen von der er- 
wähnten Zapfenungleichheit — Rechnung getragen; man kann sie 
einmal durch Nivellement oder Fühlhebeluntersuchung bei verschiede- 
nen Fernrohrstellungen prüfen. Eine besonders eingehende Unter- 
suchung gestatten die Methoden, bei denen auf der Stirnseite der 
Zapfen einzelne Punkte durch Marken kenntlich gemacht und ihre 
Ortsveränderung bei der Drehung des Fernrohrs mikrometrisch, z. B. 
mit Hilfe eines in der Richtung der durchbohrten Achse aufgestellten 
Fernrohrs, eines sogenannten Achsenkollimators, gemessen wird®®). 

Die Berücksichtigung dieser Abhängigkeit der im Achsenkörper 
festen, d.h. durch ein festes c charakterisierten Richtung (m, n) von 





N == 





86) Über die verschiedenen Formen der Methode vgl: @. B. Airy, Exami- 
.nation of the form of the pivots of the altitude and azimuth instrument, Greenw. 
Obs. 1847, p. xx; J. Challis, A method of correcting the .errorg due to the 
forms of the pivots of # transit instrument, Lond. Astr. Soc. Mem. 19 (1851), 
p. 108; Y. Villarceau, Etude sur le mouvement de rotation de la lunette meri- 
dienne, Obs. de Paris Ann., Mem. 7 (1868), p. 307; M. Loewy et Perigaud, Etude 
des flexions du grand cercle meridien, flexion en distance polaire, flexion laterale 
et de la forme des tourillons, ä l’aide de l’appareil imagine par M. Loewy, Obs. 
de Paris Ann., Me&m. 16 (1882); M. Hamy, Controle des tourillons d’un instru- 
ment meridien par la methode interförentielle de M. Fizeau, Paris Bull. astr. 12 
(1895), p. 49; A. A. Rambaut, On a very sensitive method of determining the 
irregularities of a pivot, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 65 (1904), p. 56; 
B. Wanach, Über die Bestimmung der Form der Zapfen eines Durchgangs- 
instruments mittels eines Achsenkollimators, Straßb. Sternw. Aun. 2 (1899), 
Annex B. Diese letztere Arbeit zeigt zugleich, wie gering die Zapfenfehler der 
modernen Repsoldschen Meridiankreise sind (< 0*.01), während allerdings manche 
andere Instrumente (vgl. die zitierte Arbeit von A. A. Rambaut*®)) wesentlich 
größere Fehler besitzen. 


f 


238 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


der Rotationsphase des Fernrohrs geschieht in der Praxis in Ver- 
bindung mit dem als veränderlich angesehenen Kollimationsfehler 
derart, daß die Richtung der Visierlinie auf eine bei der Drehung 
des Fernrohrs im Raume unveränderliche, durch die Lagerstellen 
charakterisierte Richtung bezogen wird, deren Koordinaten selbst in 
der oben besprochenen Art zu bestimmen sind. 

Über eine etwaige laterale Biegung der Achse kann man durch 
Kollimationsfehlerbestimmungin verschiedenen Zenitdistanzen Aufschluß 
erhalten. Einen Anhalt für diese instrumentalen Unregelmäßigkeiten 
gibt die Vergleichung der so baGEAARN in den beiden Lagen des 
Instruments. 

Bei den Deklinationen handelt es sich zunächst um die Über- 
einstimmung des Drehungswinkels der Visierlinie und des Unterschieds 
der Mikroskopablesungen, welche durch eine dem Einfluß der Schwere, 
sowie auch strahlender Wärme entspringende und somit von der 
Zenitdistanz abhängende ‚Biegung sowohl des Fernrohrs wie des Kreises 
und außerdem durch die Teilungsfehler des Kreises in Frage gestellt 
wird®”). Eine Biegung der optischen Achse allein kann durch eine 
unsymmetrische Biegung der beiden Rohrhälften, durch ein Schlottern 
des Objektive oder Okulars, eine Durchbiegung des horizontalen 
Fadens usw. verursacht und oft durch Vertauschung von Objektiv- 
und Okularhälfte eliminiert werden. Durch direkte Instrumental- 
untersuchung läßt sich die Biegung im Horizont mit Hilfe sogenannter 
Kollimstoren bestimmen, welche die horizontale Lage des Fernrohres 
bei Objektiv Süd und Objektiv Nord zu bestimmen und zu vergleichen 


87) Die Biegung und die verschiedenen Methoden, sie zu untersuchen, be- 
handelt ausführlich W. Valentiner in seinem Handwörterbuch 1, p. 575—592. 
Die Reichenbachsche Methode, durch Hebelvorrichtung die Rohrbiegung zu be- 
seitigen, wurde bald aufgegeben. Die erste Biegungsbestimmung (durch reflek- 
tierte Sternbilder) führte F.W. Bessel aus, vgl. Königsb. Beob. 7 (1822), Einl., 
die Methode der Kollimatoren entwickelte er Astr. Nachr. 8 (1824), p. 209 
== Bessel, Abhdl. 2, p. 48, vgl. auch Königeb. Beob. 10 (1826), Einl. Die Ver- 
tauschung von Objektiv und ÖOkular schlug zuerst wohl J. @. Repsold (1823 
oder 1824) vor, vgl. Hansen‘), p. 66. Sie wurde zwar beim Pulkowaer Meridian- 
kreise #") durchgeführt, bein Königsberger aber auf A. Repsolds Rat mancher Be- 
denken wegen aufgegeben. Neuerdings wird sie wieder angewandt. Von neueren 
Arbeiten vgl. J. Bauschinger, Neue Annalen der Sternwarte in Bogenhausen bei 
München 2 {1891), 4. Teil, wo u. a. auch der Einfluß der Temperatur auf 
‚die Rohrbiegung erörtert wird. Theoretisch behandeln den Einfluß der Schwere 
auf den Kreis F\. W. Bessel, Astr. Nachr. 25 (1846), p. 1-42 = Bessel, Abhdl. 2, 
p. 182, und P. Harzer, Astr. Nachr. 141 (1896), p. 321. Vgl. ferner P. Harzer *?) 
Über die Priorität des Fernrohrbiegungsapparates nach den Vorschlägen von 
P. 4. Hansen, K. F. Pape, E. Kayser, A. Marth und M. Loewy. 


« 


d. A. Instrumentalfebler des Meridiankreises. 239 


gestatten. Setzt man den gesamten Biegungsefiekt in Form einer 
trigonometrischen, nach den Vielfachen der Zenitdistanz fortschrei- 
tenden Reihe an, so kann man alle Glieder bis auf die von den ge- 
raden Vielfachen von 2 abhängenden Sinusglieder durch Kombination 
von Beobachtungen in beiden Lagen des Fernrohrs, durch Vertau- 
schung von Objektiv und ÖOkular, sowie auch durch Beobach- 
tungen direkter und reflektierter Bilder von Sternen beseitigen resp. 
bestimmen. Doch fallen diese letzteren Bestimmungen infolge lokaler 
Saalrefraktion meist unsicherer aus®’*), Im übrigen ist der Einfluß 
der gesamten Biegung bei den modernen Meridianinstrumenten stets 
sehr gering®®?). 

Der Übergang zu den absoluten Deklinationen erfordert die Be- 
stimmung der Lage des Kreisnullpunkts zu einem der Fixpunkte 
des Koordinatensystems, resp. die Festlegung dieser Fixpunkte auf 
dem Kreise. Den Nadirpunkt?®*) des Kreises bestimmt man durch Be- 
obachtung der Koinzidenz des Horizontalfadens mit seinem vom Queck- 
silberhorizont reflektierten Spiegelbilde und geht durch Vermittlung 
der Polhöhe zu Deklinationen über. In früherer Zeit bestimmte man 
direkt den Polpunkt®®®) des Kreises durch Beobachtungen des Polar- 
sterns in oberer und unterer Kulmination, indem man sich auf die 
Unveränderlichkeit des Polpunktes in der Zwischenzeit verließ. 

Ganz analog ist die Behandlung der Beobachtungen am Passagen- 
instrument und Vertikalkreis, nur werden hier gewöhnlich die Be- 


87%) Über diese sogenannte R-]D difference (reflektiert minus direkt), die 
J. Pond an den Instrumenten der Greenwicher Sternwarte entdeckte, vgl. @. B. Airy, 
On the discordance between the results for zenith distances obtained by direct 
observation and those obtained by observation by reflexion from the surface of 
quicksilver, Lond. Astr. Soc. Mem. 32 (1863), p. 9; W. H. M. Christie, On the 
systematic errors of the Greenwich north polar distances, Lond. Astr. Soc. 
Mem. 45 (1880), p. 151, sowie die Jahresbände der Greenw. Obs. Vgl. auch 
die Introduction zum „Cape Catalogue for 1885 [Catalogue of 1713 stars, for 
the equinox 1885.0, from observations made at the R. Observatory, Cape of 
Good Hope, London 1894] und J. R. Eastman, Astron. Journ, 19 (1899), p. 178 
und 21 (1900), p. 1. 

88) Die Koeffizienten der Hauptglieder erreichen selten mehr als 4”; (vgl. 
x. B. E. Großmann‘*) und L. Courvoisier®®). Die Biegung des Pulkowaer Ver- 
tikalkreises bestimmte ©. A. F\ Peters, Poulkova Obs. 14 (1888), p. (38) zu — 0.885 
ainz. J. Bauschinger ‘®), p. 52 findet die horizontale Biegung des Münchener 
Meridiankreises im Mittel aus 9 gut übereinstimmenden Reihen ganz ver- 
schwindend. - 

88°) „Nadirpunkt‘“ und „Polpunkt‘‘ des Meridiankreises bedeuten die Kreis- 
sblesungen bei denjenigen Stellungen des Fernrohrs, bei denen die Absehens- 
linie nach dem Nadir bzw. nach dem sichtbaren Himmelspol zeigt. 


240 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


obschtungen eines jeden Objekts bei einem Meridiandurchgang nach- 
einsnder in beiden Lagen des Instruments angestellt, wodurch im 
ersteren Falle die Bestimmung des Kollimationsfehlers, im zweiten 
die des Zenitpunktes überflüssig wird, indem die Lage der Mikroskop- 
träger gegen den Horizont durch ein Niveau kontrolliert wird. 

Die Leistungen eines Meridiankreises hängen aufs wesentlichste 
von der Genauigkeit der Instramentaluntersuchung ab. Die steigende 
Exektheit der technischen Ausführung und die zunehmende Erkennt- 
nis der Fehlerquellen lassen heutzutage diese Kritik des Instraments 
in unvergleichlich eingehenderer Weise vornehmen als noch vor wenig 
Jahrzehnten, andererseits kann und muß man an die Schärfe der fun- 
damentalen Ortsbestimmungen weit strengere Anforderungen stellen 
als früher. Indem sonach nichts, was aus der technischen Werkstatt 
des Künstlers kommt, ohne Prüfung als fehlerfrei angesehen wird, 
erfordert die kritische Untersuchung z. B. eines neuen Repsoldschen 
Meridiankreises trotz oder gerade wegen seiner vorzüglichen Ausführung, 
wenn man sich nicht auf differentielle Beobachtungen beschränken will, 
eine Unsumme von Arbeit. In dieser Hinsicht muß auf die Publi- 
kationen zahlreicher Sternwarten, unter denen die von Pulkowa be- 
sonders namhaft gemacht seien‘), verwiesen werden. Besondere 
Spezialarbeıten betreffen die Untersuchung der Teilungsfehler der 
Kreise, der Biegung usw., und umfassende Beobachtungsreihen gelten 
dem besonderen Studium der atmospbärischen Refraktion [vgl. VI2,6 
(Bemporad)] und ihres Einflusses auf die gemessenen Zenitdistanzen. 
Indem bezüglich der erzielten Gesamtgenauigkeit auf Nr. 7 ver- 
wiesen wird, mögen hier noch einige Angaben über die in der 
Untersuchung der einzelnen Fehlerquellen angestrebte Schärfe, über 
den für die Häufigkeit der Nachprüfung maßgebenden Grad von 
zeitlicher Konstanz dieser Fehlerquellen usw. folgen. 

Während ein Teil der Instrumentaluntersuchung, z. B. die Unter- 
suchung der Hilfsapparate, der Zapfenform, der Biegung, der Re- 
fraktion, nur einmal angestellt und nur nach einem längeren Zeitraum 
gelegentlich geprüft zu werden braucht, damit man gegen etwaige 
Veränderungen durch Abnutzung gesichert sei, muß ein anderer Teil 
der Instrumentalfehler dauerad unter Kontrolle gehalten werden. Dazu 
gehören z. B. der Run der Mikroskope, der Schraubenwert der Mikro- 
meterschrauben, der Kollimationsfehler, vor allem aber die eigentlichen 
Aufstellungsfehler: Azimut und Neigung, sowie Zenitpunkt. Auch 
diese halten sich freilich bei den bestgelungenen Instrumenten lange 
Zeit nahezu konstant. Die heutige Schärfe der eigentlichen Be- 
ebachtung läßt es aber nicht mehr zu, wie es früher, z. B. noch von 


5. A. Instrumentalfehler des Meridiankreises. 341 


F. W. Bessel geschah, für Azimut und Neigung, Nullpunkt des Kreises usw. 
wochenlang einen konstanten Wert anzunehmen. Schon die unzweifel- 
haft auftretenden, wiederholt bei den besten Instrumenten nachge- 
wiesenen, wenn auch geringfügigen, täglich - periodischen, von der 
Temperatur abhängigen Schwankungen der Aufstellung erfordern eine 
Berücksichtigung, wenn die höchsten Leistungen verlangt werden. 
Beispiele solcher täglich-periodischen Schwankungen an Instrumenten 
von sonst sehr konstanter Aufstellung finden sich in Straßburg*”), 
wo die Neigung im Durchschnitt von fast zwei Jahren um 6a.m. ihren 
größten, um 6p.m. ihren kleinsten Wert bei einer Amplitude von 0°.026 
‘erreicht und das Azimut sich ähnlich verhält; ferner in Bonn®®), 
wo der Zenitpunkt im Laufe eines Abends ich um 0”.44 pro 1° 
Temperaturzunahme ändert. In Heidelberg°) ändert sich, bei vorzüg- 
licher Konstanz während eines Abends, der Zenitpunkt in längeren 
Zeiträumen um + 0”.14 (Kreis Ost), -— 0°.11 (Kreis West) pro 1° 
Temperaturschwankung”*). Zuerst wohl in Pulkowa (begründet 1839) 
hat man eine weit häufigere und schärfere Bestimmung der Instru- 
mentalkonstanten zur Regel gemacht und bestimmt dort an dem 
großen Passageninstrament täglich mehrere Male Neigung und Azimut 
durch Wasserwage und Mire, welche letztere durch systematische 
Polsternbeobachtungen unter Kontrolle gehalten wird, während beim 
Vertikalkreis der Zenitpunkt durch Beobachtung in beiden Lagen 
direkt eliminiert wird. An anderen Sternwarten, bei denen die 
Konstanz der Aufstellung entweder hiureichend sicher nachgewiesen 
oder infolge differentieller Anlage der Beobachtungen nicht so er- 
forderlich ist, begnügt man sich auch jetzt noch mit einer täglich 
ein- bis zweimaligen Bestimmung der Aufstellungsfehler. In jedem 
Falle muß man suchen, die Genauigkeit in der Bestimmung der In- 
strumentalfehler, in der eigentlichen Beobachtung und in den zur 
weiteren Reduktion der Beobachtungen zur Verfügung stehenden Daten 
in Einklang zu bringen. Die Möglichkeit zu einer solchen häufigeren 
und schärferen Bestimmung beruht einmal in der systematischeren 
Einführung der Miren, Kollimatoren, des Quecksilberhorizonts usw., 
dann in der weit größeren Zahl und Genauigkeit der Örter der Fun- 
damentalsterne, die für die Bestimmung der Uhrkorrektion und des 








89) E. Becker, Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. XXIX. 

90) L. Courvoisier, Untersuchungen über die astronomische Refraktion, 
Veröffentliohungen der Sternwarte zu Heidelberg, Astrometrisches Institut 3, 
Karlsruhe 1904, p. 27/28. 

90*) Vgl. auch @. W. Hough, Determination of the cause for variation of 
level and azimuth in fixed meridian instruments, Astr. Nachr. 163 (1903), p. 209. 


242 VIs,5. Fritz Colm. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Azimuts, wie für die differentielle Anlage der Beobachtungen wesentlich 
ist. Entsprechend einer heute erstrebten und unter den günstigsten 
Verhältnissen auch erreichbaren Genauigkeit der Ortsbestimmung von 
0,01 und 0”.1 sucht man daher die Instrumentalkonstanten mit ent- 
sprechender, d. h. auf wenige 0.001 und 07.01 zu schätzender Ge- 
nauigkeit zu bestimmen. In wieweit dies gelingt, mögen einige nu- 
merische Angaben für neue BRepsoldsche Meridiankreise zeigen. 
F. Küstner"”) findet am Bonner Meridiankreise den mittleren Fehler 
eines Nivellements der Achse — bestimmt aus 191 Doppelnivelle- 
ments bei horizontaler Fernrohrlage mit Objektiv Süd und Objektiv 
Nord und aus der Vergleichung ihres Unterschieds — 


= + 0.007; 


es entspricht das, bei einer Achsenlänge von 1 Meter, einer relativen 
Hebung des einen Zapfens gegen den andern um + 0.5 u®®), Die 
durchschnittliche Differenz zweier im Mittel um etwa 3 Stunden 
abstehenden Doppelnivellierungen ergibt sich aus 46 Abenden zu 
+ 0.012, so daß sich die Neigung sehr konstant gehalten hat. — 
Der Kollimationsfehler wurde durch Einstellung der Kollimatoren 
unter zweimaligem Umlegen des Fernrohrs bestimmt; die Vergleichung 
der 67 aus Süd- und Nordkollimator erhaltenen Werte ergibt den 
mittleren Fehler einer solchen Doppelbestimmung 


und eine derartige Konstanz (in 5, Jahren schwankte er nur zwischen 
0,00 und —- 0*,07), daß eine monatlich einmalige Bestimmung 
genügte. Für die Bestimmung von », d, h. der Deklination des 
Westendes der Achse, aus Polsternen ergaben 164 mehrmalige, durch- 
schnittlich um 2».9 abstehende Bestimmungen eines Abends einen 


mittleren Fehler 
&,= + 0.030, 


worin aber neben dem reinen Beobachtungsfehler auch noch die 
reelle Lagenänderung der Achse in der Zwischenzeit und die AR- 
Fehler der Polsterne eingehen, Für die Zweeke der Zonenbeobach- 
tungen reichte auch diese Genauigkeit völlig aus. 

Ferner ergaben sich für den mittleren Fehler einer Nullpunkts- 
bestimmung des Aepsoldschen Kreises der Sternwarte Heidelberg”) 
mit dem Quecksilberhorizont folgende Werte: Der mittlere Fehler 
einer Nadireinstellung mit dem Mikrometerfaden zu + 0”.20, der 
mittlere Fehler einer Kreisablesung zu + 0”.055, der mittlere Fehler 
einer Bestimmung des Nadirpunkts am Kreise aus 10 bis 12 Ein- 


5. B. Instramentalfehler des Refraktors und Heliometers. 243 


stellungen und einer Kreisablesung zu -+ 0”.09. Hingegen findet sich 
aus 382 Doppelbestimmungen, die durchschnittlich je 2 Stunden aus- 
einander lagen, der letztere Wert = + 0”.13, worin die Änderung 
in der Zwischenzeit einbegriffen ist, eine vorzügliche Konstanz, wie 
sie nur selten vorkommt. 

Ferner sei noch die wesentliche Steigerung in der Genauigkeit 
der Instrumentalfehlerbestimmung erwähnt, die 7h. Albrecht an den zur 
geographischen Längenbestimmung dienenden Passageninstramenten 
des Potsdamer geodätischen Instituts nach Einführung des Repsold- 
‚schen Registriermikrometers konstatiert??). Der mittlere Fehler einer 
Neigungsbestimmung geht, da nunmehr das Niveau nicht mehr um- 
gehängt zu werden braucht, von + 0°.025 auf -+- 0°.010, der eines 
Azimuts von + 0%.047 auf + 0*.040 herab. 

Die heute erzielbare Konstanz der Mirenaufstellung beleuchtet 
die Tatsache, daß es gelang, die durch die Bewegung des Erdpols 
erzeugte Änderung des Meridians und damit des Azimuts der Miren 
in den Beobachtungen des letzteren nachzuweisen, trotzdem es sich 
aur um wenige 0”.i handelt ®®). 


B. Instrumentaifehler des Refraktors. 


Die Instrumentalfehler des Äquatoreals (allgemeiner: des Universal- 
instruments) bestehen ebenfalls in inneren Fehlern — Abweichung 
des Winkels der Visierlinie zur Nebenachse, der Nebenachse zur 
Hauptachse von 90°, Durchbiegung des Fernrohrs und der Nebenachse, 
Torsion des Fernrohrs um die optische Achse in seinen verschiedenen 
Lagen — und eigentlichen Aufstellungsfehlern, bestehend in der Ab- 
weichung des Instrumentpols vom limmelspol und der Kreisnull- 
punkte von den Nullpunkten des äquatorealen Systems. 

Sobald es sich nur um die differentiell-mikrometrische Messung 
am Refraktor handelt, ist die Kenntnis dieser Instrumentalfehler, die 
sich bei den modernen Refraktoren in engen Grenzen (selten mehr 
als eine Bogenminute) halten, nur angenähert erforderlich; ihre Be- 
stimmung braucht daher nur in größeren Zeitintervallen zu geschehen 
und erfolgt durch geeignete Kombination von Beobachtungen be- 
kannter Sterne in beiden Lagen des Fernrohrs („Achse vor“®e) und 
„Achse Als) unter Ablesung beider Kreise und der Uhr*"). 


90®) A. Socoloff, Bestimmung der periodischen Bewegung der Erdpole mit- 
tels der Miren des Pulkowaer großen Passageninstruments, Astr. Nachr. 132 (1893), 
p. 359 und Astr. Nachr. 134 (189%), p. 233. Vgl. auch E. Becker®®), p. LVI. 
90°) „Achse vor“ bedeutet, daß das den Deklinationskreis tragende Ende 
Enoyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 17 


244 VlI»,5. Friz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Während das Ringmikrometer, wie erwähnt, keiner besonderen 
Orientierung bedarf, erfordert die Messung mit dem Fadenmikrometer 
die Kenntnis der Fadenstellung zu den Hauptrichtungen des ägua- 
torealen Systems. Begnügt man sich damit, was in vielen Fällen rat- 
sam ist, die Richtung der täglichen Bewegung, den sog. scheinbaren, 
d. h durch Refraktion verfälschten Parallel, in sitw?'!*) zu bestimmen, 
so ist jede Aufstellungsbestimmung überflüssig, Dasselbe gilt für 
kürzere photographische Aufnahmen, bei denen so wie so die ge- 
messenen Plattenkoordinaten durch Anschluß an bekannte Anhaltsterne 
zum äquatorealen System in Beziehung gesetzt werden müssen, nur 
wird zuweilen die Neigung der Platte gegen die optische Achse direkt 
bestimmt und berücksichtigt, vgl. W. Zurhellen®“). Bei Dauerexpo- 
sitionen werden bei fehlerhafter Aufstellung die Bilder trotz scharfer 
Führung verzerrt??). Hält man dagegen den Nullpunkt des Positions- 
kreises, am bequemsten durch zahlreiche Bestimmungen des Parallels 
ım Meridian, wo wahrer und scheinbarer Parallel zusammenfallen, unter 
Kontrolle, so muß man in anderen Stundenwinkeln den Einfluß der 
Instrumentalfehler auf ihn berücksichtigen °). 

Das Heliometer stellt, sobald es sich um eine vollständige Orts- 
bestimmung handelt, entsprechend den weit größeren Koordinatendiffe- 
renzen, die mit ihm vermessen werden, an die Untersuchung des Instru- 
ments, sowie seiner Aufstellung weit größere Anforderungen. Aus 
diesem Grunde beschränkt man sich bei den meisten fundamentalen. 
Anwendungen des Heliometers auf Distanzmessungen, die von jeder 
Örientierung unabhängig sind. Es handelt sich dann allein um die 
ken gereiggre der Skalen, sowie die Bestimmung des Skalenwerts. 


(„Kreisende“) der Deklinationsachse einen um 90° größeren Stundenwinkel hat 
als das eingestellte Gestirn. Siehe Bessel, Abhdl. 2, p. 111; Brünnow, p. 461. 
91) Vgl. Besse!”Y), W. Struve*”), H. Struve in 0. Struve’s Festschrift?), so- 
wie Brünnow, p. 461f. Vgl. auch M. Loewy et P. H. Puwiseux, Theories 
nouvelles de l’&quatorial coude et des &quatoriaux en general, Paris 1888, ein 
Sammelabdruck von 7 in Paris ©. R. 106 (1888) erschienenen Abhandlungen. 

91*) Im situ bedeutet: in der momentanen Stellung (und Lage) des Fern- 
rohrs. 

92) J. Wilsing, Untersuchungen über die Wirkung der Aufstellungsfehler 
bei photographischen Refraktoren auf die Beschaffenheit der Bilder, Asir. 
Nachr. 145 (1897), p. 97. 

98) Vgl. z.B. H. Struve in O. Struve’s Festschrift), p. 62. — Für die Torsion 
des Fernrohrs, die besonders bei heliometrischen, auf große Distanzen bezüg- 
lichen Positionswinkelmessungen berücksichtigt werden muß, fand F. W. Bessel 
bei Untersuchung des Nullpunkts des Positionskreises des Königsberger Helio- 
meters’®), p. 72, indem er sie in der Form p cosz ansetzte: u = 1’.9, H. Struve 
in O. Struves Festschrift?), p. 61/64 fand u = 3.4. 


5. Physikalische Fehlerquellen: Refraktion. 245 


Diese letztere bedarf allerdings einer weit größeren Schärfe als am 
Refraktor; insbesondere muß seine Abhängigkeit von Temperatur und 
Okularstellung untersucht werden, wobei die Bestimmung der bei der 
Reduktion anzuwendenden Temperatur manche Schwierigkeiten bereitet 
und der Einfluß der Okularstellung und des davon abhängigen Aus- 
sehens der Bilder in das Gebiet der persönlichen Fehler hinüberspielt. 
Man schränkt diese recht umfangreichen Untersuchungen”) bedeutend 
ein, wenn man die Bestimmung absoluter Distanzen aufgibt, indem 
man den individuellen Skalenwert bei jeder Messungsreihe durch 
Messung einer bekannten Normaldistanz selbst bestimmt und dadurch 
alle Messungen auf einen festen Wert der Normaldistanz als Einheit 
bezieht”). Am weitesten ausgebildet ist dieses Prinzip bei der 
üblichen heliometrischen Methode der Bestimmung von Fixstern- 
parallaxen (s. p. 283). Auch die Positionswinkelbestimmung wird auf 
diese Weise sehr vereinfacht und mit Erfolg ausführbar”). 


Physikalische Fehlerquellen. 


Neben den rein geometrischen Abweichungen eines Instruments 
von seiner mathematischen Idee kommen als Fehlerquellen noch ge- 
wisse mehr physikalische Abbildungsfehler in Betracht, welche 
eine völlige Übereinstimmung des Himmelsbildes und seines der 
Messung unterliegenden Abbildes in der Brennebene des Fernrohr- 
objektivs vereiteln. Es handelt sich einmal um die Verzerrung des 
Himmelsanblicks durch die atmosphärische Refraktion und zweitens 
um die unvermeidlichen Abbildungsfehler des Objektivs selbst. Dazu 
kommen (p. 249) Fehlerquellen, welche dem photographischen Prozeß, 
resp. der Unvollkommenheit des Okulars und des Auges entspringen. 

Über die allgemeine Theorie der Refraktion vgl. VI2,6 (Bemporad). 
Die Refraktion beeinflußt nur die Zenitdistanzen, ıhr Betrag hängt 
außer von der Zenitdistanz selbst von dem meteorologischen Verhält- 
nissen ab. Da die Kenntnis der letzteren längs des Weges des Licht- 
strahls nieht empirisch erlangt werden kann, so begnügt man sieh in 
der Praxis mit einem auf plausibeln Voraussetzungen beruhenden, durch 
die Erfahrung geprüften mathematischen Ansatz, dessen Konstanten 
bei fundamentalen Bestimmungen für jedes Instrument individuell ab- 


94) Vgl.z.B. B. Peter, Beobachtungen am sechszölligen Repsoldschen He- 
liometer der Leipziger Sternwarte, Leipzig Ges. Wiss. Abhäl, 22,4 (1895). 

96) Systematisch durchgeführt in D. Gül, A determination of the solar 
parallax and mass of the moon from heliometer observations of the minor planeta 
Iris, Victoria and Sappho, 2 vols, with the cooperstion of A. Auwers and W, L. 
Elkin, Cape Obe. Ann. 6 (1897) and 7 (1896). 

17” 


246 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


geleitet werden müssen, da sie von der Einrichtung des ganzen Be- 
obachtungsraums und seiner Umgebung merklich abhängen”). Damit 
wird der Refraktionseffekt als Funktion der meteorologischen Kle- 
mente des Beobachtungsraums dargestellt. Nach F. W. Bessels Refrak- 
tionstafeln®”) wächst zum Beispiel in 60° und 85° Zenitdistanz die 
Refraktion bei 1° Temperaturabnahme um 0”.4 und 2”.3, bei 10 mm 
Luftdruckzunahme um 1”.3 und 7”.9°®). 

Die zahlenmäßige Berechnung dieses meteorologischen Korrektions- 
gliedes der Refraktion wird besonders dadurch erschwert, daß die 
ungleichen Temperaturverhältnisse in der Nähe des Fernrohrs (infolge 
des Einflusses des Beobachtungsraums, des Beobachters, der Be- 
leuchtung usw.) einer scharfen Feststellung der zur Reduktion an- 
zuwendenden Temperatur kinderlich sind, indem der Betrag merklich 
durch lokale Anomalien, insbesondere der Luftmassen innerhalb des 
Beobachtungsraums und ihrer unregelmäßigen Schichtung beeinflußt 
wird®®). Schon auf die Rektaszensionen gewinnt die Refraktion durch 
laterale Refraktionsanomalien einen Einfluß, der aber mehr zufälliger 
Natur sein wird. Weit größer ist der Effekt bei den Deklinationen, 
und die Refraktion ist somit das wesentlichste Hindernis für die Her- 
stellung eines fehlerfreien Deklinationssystems, indem auf ihre lokalen 
Anomalien (neben Biegung und Teilungsfehlern) die Unterschiede der 
verschiedenen instrumentellen Deklinationssysteme zurückzuführen sind. 
Aus diesem Grunde muß auf den Bau und die Konstruktion des 
Meridiansaals so besonderes (tewicht gelegt werden, um einer un- 
regelmäßigen Schichtenbildung der Luftmassen keinen Vorschub zu 
leisten®®). Ganz unabhängig könnte man von der Saalrefraktion nur 
werden, wenn man das Instrument völlig im Freien aufstellt, wo jede 
anhaltende Schichtenbildung so gut wie ausgeschlossen ist!). 


97) Vgl. J. Bauschinger“) und L. Courvoisier®®), ferner die ausführlichen 
Diskussionen der fundamentalen Beobachtungen der Hauptsternwarten , insbe- 
sondere für den Pulkowaer Vertikalkreis bei H. @Gylden, Poulkova Obs. 5 (1878) 
und M. Nyren '*), — Die erste scharfe Ableitung der verschiedenen Konstanten 
gab Bessel, Fund., Sectio IV, p. 26/44 und verbesserte sie in F! W. Bessel, 
Tabulae Regiomontanae reductionum observationum astronomicarum ab anno 1750 
usque ad annum 1850 computatae, Regiomonti Prussorum 1880, p. LIX; hierauf 
beruhen seine bis auf die Neuzeit angewandten .Refraktionstafeln (p. 322). 
Daneben sind aus neuerer Zeit zu erwähnen: Tabulae refractionum in usum 
speculae Pulcovensie congestae, ed. O. Struve, Petropoli 1870 [hierzu HM. Gylden, 
Poulkova Obs. 5 (1878)]; 2. Aufl. 1905. 

98) Vgl. die Tabelle auf p. 293. 

99) M. Nyren, Über die Refraktion im TEEN Astr. Nachr. 
131 (1898), p. 291 und die Fußn. 97 zitierten Schriften. 

100) Vgl. allerdings über Schichtenbildung im Freien L. Courvoisier"®), p. 219. 





5. Physikalische Fehlerquellen: Refraktion. 947 


Bei differentiellen Beobachtungen fallen diese Schwierigkeiten in 
der scharfen Berechnung des Refraktionseffekts seiner Geringfügigkeit 
wegen — außer vielleicht für das Heliometer — weg; er besteht hier 
neben der Veränderung der Sternörter m einer Verzerrung der 
Stunden- und Parallelkreise, die, wenn man nicht den scheinbaren 
Parallel ın situ?!*) bestimmt, bei der Nullpunktsbestimmung des Posi- 
tionskreises berlicksichtigt werden muß. Daneben aber kann bei den 
erhöhten Anforderungen an die Genauigkeit der differentiellen Messungen 
noch die Färbung und Helligkeit des Sterns in Frage kommen. Die 
Berechnung des Refraktionseffekts geht nämlich zwar von einer für 
visuelle und photographische Beobachtungen verschiedenen Refraktions- 
konstanten — letztere #, größer als erstere!®!) — aus, entsprechend 
den verschiedenen Brechungsexponenten der optisch und der photo- 
graphisch wirksamen Strahlen; innerhalb beider Klassen wird hin- 
gegen die Refraktionskonstante in der Praxis als konstant ange- 
nommen. Streng genommen werden sowohl verschieden gefärbte, 
wie auch helle und schwache Sterne in verschiedenen Stundenwinkeln 
anders beeinflußt, indem das Bild der hellen Sterne durch die aimo- 
sphärische Dispersion in ein Spektrum auseinandergezogen wird. Es 
würde also eine mit dem Stundenwinkel veränderliche reelle Helligkeits- 
gleichung (vgl. p. 257 ff. die „persönliche Helligkeitsgleichung“) der 
Sternbilder entstehen, deren Effekt wesentlich von der Beobachtungs- 
art des Objekts abhängen müßte, indem er für visuelle und photo- 
graphische Beobachtungen verschieden ausfallen und im ersteren Falle 
außerdem noch von dem Beobachter und der Beobachtungsmethode 
abhängen kann. Verschiedene Untersuchungen am Heliometer haben 
zwar gezeigt, daß wenigstens für diese Art der Beobachtung ein meß- 
barer Einfluß der Sternfarbe nicht existiert. Andererseits ist man 
neuerdings geneigt, verschiedene Erscheinungen bei der Ausmessung 
photographischer Aufnahmen diesem Stundenwinkeleffekt der atmo- 
sphärischen Dispersion zuzuschreiben '). 


101) J. Wiüsing, Bestimmung der atmosphärischen Refraktion für die 
photographisch wirksamen Strahlen, Astr. Nachr. 145 (1898), p. 273. Der Unter- 
schied ist bei differentiellen Messungen relativ gering und beträgt bei 2 = 65° 
und 1° Distanz im Maximum nicht ganz 0”.1. Vgl. p. 292, Fußn. 1. 

102) Die ersten Hinweise auf den möglichen Einfluß der atmosphärischen 
Dispersion auf Sternörter erwähnt A. A. Rambaut, Lond. Astr. Soe. Monthly 
Not. 55 (1895), p. 128. G@. B. Airy wies gelegentlich der Venusdurchgänge von 
1874 und 1882 darauf hin, Lond. Astr. Soc. Monthiy Not. 29 (1869), p. 42 unten, 
ausführlicher im gleichen Barde, p. 388. Ernstlicher beleuchtet D. Gill Lond. 
Astr. Soc. Mem. 46 (1880-81), p. 121 u. 161 sowie Cape Obs. Ann. 6 (1897), 
part. 6, p. 7 die Gefahren, die aus der atmosphärischen Dispersion für die 


248 VIs5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Die unvermeidlichen Fehler der Abbildung, welche das Fernrohr- 
objektiv in der Brennebene entwirft, werden erst bei weiten Abständen 
von der optischen Achse merkbar. So traten sie bei den älteren 
Heliometern mit ebener Schieberführung auf!®), auch bewirken sie 
bei der großen Ausdehnung photographischer Aufnahmen eine stärkere 
Verwaschenheit der Bilder gegen die Grenzen der Platte hin. Außer- 
dem können individuelle Fehler des photographischen Objektivs eine 
Unsymmetrie des Aussehens der Sternbilder bewirken und dadurch 
zur Entstehung einer Helligkeüsgleichung Anlaß geben!P). Denselben 
Effekt hat ein nicht exaktes Funktionieren des Uhrwerks, resp. fehler- 
haftes Halten des Fernrohrs, J. ©. Kapteyns quiding error‘). Solche 
Helligkeitsgleichungen photogrsphischer Aufnahmen haben sich ganz 
neuerdings bei verschiedenen Messungsreihen in merklichem Betrage 
nachweisen lassen; über ihre Entstehung im einzelnen herrscht noch 
manche Meinungsverschiedenheit!®). 


Bestimmung der Sonnenparallaxe entstehen können. — Der Einfluß auf Fix- 
sterne, und zwar speziell auf ihre Parallaxenbestimmung, wird erörtert von 
A. A. Rambaut, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 55 (1895), p. 123 und in einer 
längeren Diskussion zwischen ihm und D, Gill, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 58 
und 59 (1897—99); vgl. besonders D. Gill, On the effect of the chromatic disper- 
sion of the atmosphere on the parallax of & Centsuri and £ Orionis, Lond. Astr. 
Soc. Monthly Not. 58 (1897), p. 53. Vgl. auch H. Seeliger, Über den Einfluß 
der Dispersion der Luft auf die Bestimmung kleiner Fixsternparallaxen, Astr. 
Nachr. 159 (1902), p. 833 und @. C. Comstock, Stellar color and its effect upon 
determination of parallax, Astr. Nachr. 160 (1902), p. 69. — Über den ver- 
schwindenden Einfluß der stmosphärischen Dispersion auf Heliometermessungen 
vgl. noch B. Peter, Astr. Nachr, 155 (1901), p. 289; F. L. Chase, M. F. Smith 
and W. L. Elkin, Parallax investigations, Transactions of the Astronomical Obser- 
vatory of Yale University 2, part 1, New Haven 1906. — Den Einfluß der 
atmosphärischen Dispersion auf photographische Sternörter betonen besonders 
J. C. Kapteyn, The parallax of 248 stars, Groningen Labor. Publ. 1 (1900) und 
Ö. Bergstrand, Untersuchungen über das Doppelsternsystem 61 Cygni, Nova acta 
societstis scientiarum upsaliensis (4) 1, Nr. 3, Uppsala 1908. 

108) Vgl. die rechnungsmäßige „Optische Verbesserung‘ von F. W. Bessel”‘), 
p. 124, die, der dritten Potenz des Abstands von der optischen Achse pro- 
portional, bei 1° Abstand auf über 1” steigt. 

104) Vgl. H. H. Turner, Note on a possible source of error in messures 
of star places dus to defective centring of the object glass, Lond. Astr. Soc. 
Monthly Not. 65 (1905), p. 54 und p. 2283—29. Bei Meßmikroskopen kommt 
auch Verzeichnung in Betracht; vgi. 3. C. Plummer, Note on a optical distortion 
of the microscope of one of the Oxford machines for measuring astronomical 
photographs, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 64 (1904), p. 640, und H. Ludendorff, 
Über optische Distorsion in Meßmikroskopen, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 161. 

105) Außer den in Fußn. 102 zitierten Arbeiten über Sternparallaxon 
vgl. F. Cohn, Die Helligkeitsgleichung bei visuellen und photographischen Be- 


5. Fehler im Strahlengang oder photogr. Prozeß. 6. Persönl. Fehler. 249 


Dazu kommen bei den photographischen Aufnahmen noch die 
Eigentümlichkeiten der Platte selbst, die kein scharfes Abbild der 
Sphäre, sondern infolge der sich ausbreitenden chemischen Wirkung 
auf das Silberkorn der Platte mehr oder minder große Stern- 
scheibehen!®*) gibt und dadurch systematische Fehler in der Haupt- 
sache individueller Natur veranlaßt!®) (s. p. 263). 

Hierher gehört endlich noch das gelegentliche Auftreten merk- 
licher Schichtversiehungen auf der photographischen Platte, deren 
Einfluß auch durch Aufkopieren eines Gitters nicht völlig beseitigt 
werden kann. H. Ludendorff!®) fand Fälle, in denen sich Verzer- 
rungen systematisch über beträchtliche Teile der Platten erstreckten 
und die gemessenen Sternörter um erhebliche Beträge (bis du = 0".3) 
verfälschten. 

Die Einflüsse optischer Fehler des Okulars und des Auges hat 
H. Seeliger betont und speziell die Wirkung des Astigmatismus des 
Auges verfolgt?°®). 


6. Die persönlichen Fehler bei astronomischen Beobachtungen. 
Außer von dem eigentlichen Beobachtungsinstrument und seiner Auf- 
stellung, den beiderseitigen Fehlern, den Einflüssen des Beobachtungs- 


obachtungen, Astr. Nachr. 172 (1906), p. 225 und Astr. Nachr. 174 (1907), p. 283 
und A. R. Hinks, Solar parallax papers No. 5, Examination of the photographic 
places of stars published in the Paris Eros circulars, Lond. Astr. Soc. Monthly 
Not. 67 (1906), p. 70. 

105°) Die Scheibchen hellerer Sterne erreichen bei den üblichen Aufnahmen 
(z. B. der photographischen Himmelskarte) bis 30” = 0.5 mm. 

105%) Über die Art und Weise, durch Anlage der Aufnahmen und der 
Ausmessung die systematischen Fehler zu beseitigen und die Genauigkeit der 
Messungen zu erhöhen, vgl., neben Nr.?7 d), noch die Diskussion, die zwischen 
Loewy einerseits und Plummer und Hinks andererseits geführt ist: M. Loewy, 
Conference astrophotographique internationale de juillet 1900 (Conf. astrophot. 
1900), eireulaires No. 8 et 9, Paris 1901 et 190%; M. Loewy, Paris C. R. 184 
(1902), p. 881 und M. Loewy, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1902), p. 2; 
H. ©. Plummer, Lond. Astr. Soc. Monthiy Not. 61 (1901), p. 618; 62 (1902), 
p- 506; 68 (1902), p.14; A. R. Hinks, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 62 (1902), 
p: 182. 

106) H. Ludendorff, Über Schichtverziehungen auf Bromsilbergelatineplatten, 
Astr. Nachr. 162 (1903), p. 843; vgl. auch H. Ludendorff‘®?). 

106%) H. Seeliger, Über den Einfiuß dioptrischer Fehler des Auges auf das 
Resultat astronomischer Messungen, München Abh. 15 (1886), p. 665. Vgl. ferner 
Graefe-Saemisch, Handbuch der gesamten Augenheilkunde, hreg. von Th. Saemisch, 
2. Aufl., 8. Band, 2. Abteilung: ©. Hess, Die Anomalien der Refraktion und Akkom- 
modation des Auges, mit einleitender Darstellung der Dioptrik des Auges, Leipzig 
1908. A. Gullstrands Messungen der normalen menschlichen Hornhaut siehe da- 
selbst p. 49. 


250 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumenie. 


raums sowohl auf das Instrument wie den Weg des Lichtstrahls, der 
Uhr und allen Hilfsinstrumenten hängt das Ergebnis einer astrono- 
mischen Beobachtung in der wesentlichsten Weise von dem Beob- 
achter selbst ab, indem bei einem jeden Beobachtungsvorgang indi- 
viduelle Auffassungsunterschiede auftreten. Sie zeigen sich bei der 
Beobachtung des Moments, in dem ein Stern einen Faden passiert, 
sei es nach der Auge- und Öhr-, sei es nach der Registriermethode, 
sie beeinflussen die Bisektion eines Sternscheibchens durch einen 
Faden, das Durchschwingen zweier Sternbilder nach der heliometri- 
schen Meßmethode usw. Ihr eigentliches Studium gehört in das Ge- 
biet der Physiologie!®*®). Für die Astronomie ist es von Wichtigkeit, 
ihre numerischen Beträge zu ermitteln und in Rechnung zu ziehen 
oder sie durch geeignete Anordnung der Messungen zu eliminieren. 
So gelingt das zuweilen durch Einführung eines Reversionsprismas '*?), 
welches die Richtungen im Gesichtsfelde vertauscht. Auch dient oft 
die Änderung des Messungsvorgangs zu ihrer wesentlichen Vermin- 
derung, wie zum Beispiel die Beobachtung der Rektaszensionen mit 
dem Repsoldschen Mikrometer an Stelle der Durchgangsbeobachtung. 
Eine gänzliche Ausschaltung des Beobachters und eine rein automa- 
tische Ausführung der Beobachtung ist naturgemäß meistens aus- 
geschlossen. Selbst die photographische Platte bedarf zu ihrer Aus- 
messung eines Beobachters; auch führt jeder automatische Vorgang 
eigene, meist schwer zu diskutierende Fehlerquellen mit sich. 

In den letzten Jahrzehnten ist man dem Studium der persön- 
lichen Fehler näher getreten, und zwar sowohl der absoluten Fehler, 
die man durch geeignete Beobachtungen meist an künstlichen Sternen 
zu bestimmen sucht, wie der relativen Fehler verschiedener Beobachter, 
die man bei der gemeinsamen Verarbeitung ihrer Beobachtungen in 
Rechnung ziehen muß. 

Wir erwähnen nur kurz die persönlichen Unterschiede bei der 
Schätzung von Unterabteilungen, seien sie räumlicher oder zeitlicher 
Natur, z. B. der Zehntel der Trommelteile einer Mikrometerschraube 
und der Sekundenzehntel auf dem Chronographenstreifen oder nach 
der Auge- und Ohr-Methode. Zu dem reinen Schätzungsfehler, der auf 
die individuell verschiedene Auffassung der mitwirkenden Sinne zurück- 
geht, kommt hier meist eine Vorliebe für gewisse Zehntel hinzu’). 





106°) Vergl. N. Here, „Persönliche Gleichung‘ in Valeniiner, Handwörter- 
buch 3, Abteilung 1 (1899), p. 368. 

107) Diese Erscheinung, „personal scale“ oder „&quation d&cimale“ genannt, 
erwähnen schon J. Hartmann "9, p. 142 und B. Peirce, Amer. Ac. Proc. 4 (1859), 
p: 197. Vergl. F. Gonnessiat, Recherches sur Y’&quation personelle, Travaux 


6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 351 


Im allgemeinen gehen diese Schätzungsfehler nur als zufällige Fehler 
in die Messungen ein und sind meist ungefährlich. Etwas näher 
besprechen wir die beiden AHauptformen der persönlichen Fehler, die 
von wesentlichem Einfluß auf die astronomische Koordinatenbestim- 
mung sind. 


a) Fehler in der Auffassung des Zeitmoments einer Erscheinung. 
In der Form der „persönlichen Gleichung“ bei Durchgangsbeobach- 
tungen haben sieh die individuellen Auffassungsunterschiede zuerst — 
schon vor mehr als 100 Jahren!®) — bemerkbar gemacht, indem sie 
merkliche Unterschiede in den beobachteten Durchgangszeiten hervor- 
riefen, weiche die Ungenauigkeit der eigentlichen Beobachtung um 
ein Vielfaches übertrafen. Besonders groß fiel gerade die erste Be- 
stimmung der relativen persönlichen Gleichung zwischen zwei Beob- 
achtern durch Bessel!”) aus, indem manche Unterschiede auf über 1° 
anstiegen, z. B. 1820: Bessel- Walbeck = — 1.04; 1823 Bessel-Arge- 
lander = — 1.22; und Auffassungsunterschiede von 0.3 bis 0.5 sind 
keineswegs selten !!P). 

Seit dieser Zeit gehört eine kritische Untersuchung der pers. Gl. 
zu den unbedingten Erfordernissen einer sorgfältigen Beobachtung. 
Ihre Berücksichtigung ist aus dem Grunde so schwierig, als sie 
keineswegs als eine unveränderliche Konstante des Beobachters (und 
des Instruments) angesehen werden kann. Bei der Auge- und Ohr- 
Methode hat das Auge den die Fäden passierenden Stern in seiner 
Bewegung zu verfolgen und den Punkt seiner Bahn, in dem er sich 
in dem Moment des durch das Gehör vermittelten Sekundenschlags 
der Uhr befand, zu den Fäden in Beziehung zu setzen. Bei der 
Registriermethode tritt neben dem Gesichtssinn der Gefühlssinn in 
Tätigkeit, der im Moment der Bisektion des Sterns durch den Faden 


de l’Observatoire de Lyon, publies par Ch. Andre 2, Lyon et Paris 1892, 
chap. V, sowie aus der großen neueren Literatur E. Großmann, Über Schätzungen 
nach Augenmaß, Astr. Nachr. 170 (1906), p. 149; O. Meißner, Über systematische 
Fehler bei Zeit- und Raumgrößenschätzungen, Astr. Nachr. 172 (1906), p. 137. 

108) Die historische Entwicklung der Erkenntnis und des Studiums der 
persönlichen Gleichung behandeln ausführlich: J. L. E. Dreyer‘, On personal 
errors in transit observations, Proceedings of the Irish Academy (2) 2, Dublin 
1877, Nr. 6, p. 484—528 [Astr. Ges, Vjs. 12, p. 246] und F'. Gonnessiat '”"). 

109) Über diese erste Bestimmung vergl. 'F. W. Bessel, Königsb. Beob. 8 
(1823), Einleit., 

110) Ein sehr umfangreiches Material für das Studium der persönlichen 
Gleichung enthalten die Jahresbände der Greenw. Obs., der Cape meridian 
results '?®) in the years 1861 ff., erschienen London oder Edinburgh 1893 ff., sowie 
die zablreichen modernen geographischen Längenbestimmungen. 


252 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


den elektrischen Strom zu schließen hat. Die persönliche Auffassung 
so komplizierter Vorgänge hängt naturgemäß von vielerlei veränder- 
lichen Umständen ab, und zwar sowohl was den Beobachter als die 
beobachteten Objekte und Vorgänge betrifft. 

Die Auffassung selbst durchaus gleichartiger Vorgänge seitens 
eines Beobachters bleibt im Laufe der Zeit keineswegs dieselbe, sie 
unterliegt im Laufe langer Beobachtungsreihen merklichen Änderungen 
und bedarf daher einer dauernden Überwachung. Das in Fußn. 110 
zitierte Material gibt dafür zahlreiche Belege. Nach Dreyer’), p. 496-—97 
betrug die persönliche Differenz der Greenwicher Beobachter 


M und R WE und R 
1840—41: — 0.04, 
1843—46: + 0.21, 
1847—49: + 0.37, 1846—49: — 0.07, 
1850—51: + 0.46, 1850—51: + 0.40, 
1852—53: + 0.66; 1852—53: + 0.53, 


so daß die Änderung wesentlich an R gelegen haben dürfte. Ähnlich 
findet Wislicenus'*) durch Beobachtung künstlicher Sterne (s. p. 255) 
für seine absolute persönliche Gleichung: 1866 Dez. 13—22: — 0.18; 
1887 Mai 23—27: — 0.10; 1888 März 17: + 0.15. Aus diesem Grunda 
wurde in Greenwich beständig die relative persönliche Gleichung der 
Beobachter aus den Beobachtungen jedes Jahres bestimmt und ange- 
bracht. Aber auch die momentane Disposition des Beobachters spielt 
eine wesentliche Rolle und beeinflußt infolge eintretender Abspannung 
schon im Laufe längerer Abendreihen, wie auch während kürzerer 
Erholungspausen die Auffassung der Durchgangszeiten. So fand 
Küsiner'?) einen „Gang des Beobachters“, der für 100 Minuten im 
ersten Jahre für gute Luft: + 0.039 (im Mittel aus 55 Reihen), für 
schlechte Luft + 0.079 (15 Reihen) betrug, im zweiten Jahre auf 
etwa ®/, dieser Beträge herabging. 

Besonders kompliziert wird aber das Studium der pers. Hl. durch 
die Verschiedenartigkeit der beobachteten Objekte nach Aussehen, Be- 
wegungsart, Luftzustand, Bildschärfe usw. Es handelt sich dabei 
einmal um den Unterschied in der Auffassung von Lichtscheiben, 
wie sie Sonne, Mond und die großen Planeten darbieten, bei denen 
die Durchgangszeiten der einzelnen Ränder beobachtet werden, und 
der mehr punktförmig erscheinenden Fixsterne Auch für die ver- 
schiedene Auffassung der Sonne relativ zu demselben Sterusystem 
bieten die „Greenwich Obs.“ umfangreiches Material; die systematische 


6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 253 


Abweichung beträgt für manche Beobachter 0.1 bis 0.2. Wie sehr 
aber auch für einen Beobachter diese Auffassung von der Schärfe des 
Sonnenbildes abhängig ist, beweist z. B. der Fall von Wagner'“), der 
zwar den zweiten Sonnenrand ziemlich unabhängig vom Bildzustand 
der Sonne beobachtete, den ersten Rand aber je nach der Bildschärfe 
um 0.2 bis 0.3 verschieden auffaßte. Die Vernachlässigung dieses 
Auffassungsunterschiedes würde eine merkliche Abhängigkeit der ab- 
geleiteten Ephemeridenkorrektion von der Bildschärfe hervorgerufen 
haben. 

Bei den Fixsternen wiederum ist die verschiedene Richtung und 
Geschwindigkeit, mit der sie das Gesichtsfeld passieren, sowie ihre 
verschiedene Helligkeit von Einfluß. Bei den oberen und unteren 
Kulminationen der Zirkumpolarsterne, sowie bei dem durch die Kul- 
mination von Sternen nördlich und südlich vom Zenit bedingten 
Wechsel in der Stellung des Beobachters („Füße Nord“, „Füße Süd“) 
treten Unterschiede auf, die bis 0-1 ansteigen!!?). Die pers. Gl. ist 
für Sterne verschiedener Deklination verschieden und natürlich für 
Polsterne eine ganz andere wie für Äquatorsterne!!), Auch die 
Helligkeit des Himmelshintergrundes spricht mit und kann einen Unter- 
schied von Tag- und Nachtbeobachtungen erzeugen‘). Erwähnung 
verdienen hier auch die bedeutenden Auffassungsunterschiede der oft 
verwaschenen und kernlosen Lichtflecke der Kometen, sowohl bei 
Durchgangsbeobschtungen wie bei Bisektionen!!+*). 


111) A. Wagner, Poulkova Obs. 12 (1887), p. (92). — Sehr ähnliche Folge- 
zungen zieht A. Sokolow, Poulk. Obs. Centr. Nic. Publ. 8 (1905), p. [53] u. ff. 
für die drei Beobachter A. Wagner, P. Harzer und Th. Wittram, deren Auf- 
fassung der Sonne je nach-der Bildschärfe sich um 0.1 bis 0.’2 verschieden 
ergibt. 

112) Vergl. z. B. Cape Catalogue for 1885°”*) Introduction, p. XI, sowie 
in geringerem Betrage bei H. Battermann, Berlin Sternw. Ergebn. 8 (1899), p.7. 

113) Bei hohen Polsternen ®!*) steigt der Auffassungsunterschied auf mehrere 
Zeitsekunden, vergl. z. B. Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. XLV; und besonders 
einen Fall in den Results of astronomical observations made at the R. Obser- 
vatory, Cape of Good Hope (Cape astron. results) during the years 1871—73, 
Cape Town 1876, p. IX, wo die Bestimmung des Azimuts aus Polsternen seitens 
eines geübten Beobachters um 0.16 von dem der anderen Beobachter abweicht, 
was für die Sterne B, so, o Octantis (d = — 89° 26°, — 89° 17’, — 89° 4’) eine Zeit- 
differenz von 13.6, 10.0, 7.4 bedeutet. 

114) Vergl. F. Cohn, Über einige allgemeinere Ergebnisse einer Neure- 
duktion der ältesten Besselschen Meridianbeobachtungen, Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), 
p. 291 und F. Cohn, Königsb. Beob. 39 (1899). 

114°) Über die Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung dieser persönlichen 
Auffassungsunterschiede vgl. z.B. H. J. Zwiers, Recherches sur l'orbite de la 


254 Vl»,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Eine vollständige Elimination des Beobachters würde somit die 
genaue Kenntnis der Abhängigkeit der absoluten pers. Gl. von allen 
diesen Einflüssen voraussetzen !'?), eine Kenntnis, die zu erlangen an- 
gesichts der Vielseitigkeit der Einflüsse die verfügbare Arbeitskraft 
weit übersteigen würde, in mancher Hinsicht sogar aussichtslos wäre. 
In der Praxis beschränkt man sich daher darauf, sie nach einzelnen 
Richtungen hin zu untersuchen, entweder durch eigens konstruierte 
Apparate mit künstlichen Sternen oder durch geeignete Vorrichtungen, 
die ihre Prüfung bei der eigentlichen astronomischen Beobachtung 
selbst ermöglichen (z. B. Helligkeitsgleichung) oder man ermittelt, 
im Falle an einer größeren Beobachtungsreihe mehrere Beobachter 
beteiligt sind, ihre relative pers. Gl. und bezieht damit alles auf die 
Auffassung eines Durchschnittsbeobachters. Diese letztere Bestim- 
mung ist unbedingt erforderlich zur Ableitung eines gleichmäßigen 
Uhrganges, wenn, wie es an manchen größeren Sternwarten der Fall 
ist, verschiedene Beobachter am Meridiankreise im Laufe eines Tages 
abwechseln; sie erfolgt dann unmittelbar aus den abgeleiteten Uhr- 
korrektionen selbst!'%). Eine direkte Bestimmung der relativen pers. 
Gl. kann nach Bessels Vorgange einfach dadurch geschehen, daß zwei 
Beobachter an demselben Instrument Sterndurchgänge beobachten, in- 
dem sie entweder während eines Sterns oder von Tag zu Tag mit 
den Sternen abwechsein; in jedem Falle müssen durch entsprechenden 
Beobachterwechsel die Fadendistanzen oder die Sternörter eliminiert 
werden. Diese Methode ist bei geographischen Längenbestimmungen 
zur Kontrolle vielfach üblich. Bei entsprechender Auswahl der Sterne 
kann auch die Abhängigkeit der relativen pers. Gl. von der Dekli- 
nation, Helligkeit usw. geprüft werden !”). Von der zweiten Methode 
der von jedem Beobachter vollständig, aber von Tag zu Tag wech- 
selnd durchbeobachteten Sterne gelangt man schließlich, wenn das 


comete periodique de Holmes et sur les perturbations de son mouvement ellip- 
tigue, 1° memoire, Verhandelingen der K. Akademie van Wetenschappen te 
Amsterdam, 1° sectie, deel 3, Nr. 5, Amsterdam 1895, p. 97, und besonders 
2itme memoire, Leyde 1902, p. 2—3 und 6—7. 

115) Die Kenntnis der absoluten pers. Gl. selbst ist nur für absolute Zeit- 
bestimmungen erforderlich, z. B. bei geographischen Längenbestimmungen, bei 
denen die aus Durchgangsbeobachtungen bestimmten Ortszeiten zweier Erdorte 
im gleichen Moment mit einander verglichen werden sollen. Man eliminiert sie 
bei der Gleichartigkeit der beobachteten Objekte fast völlig durch Wechsel beider 
Beobachter und Instrumente. 

116) Auf diesem Wege sind die in Fußn. 110 zitierten Werte der tn: 
lichen Gleichung für die Beobachter in Greenwich und am Kap erhalten worden. 

117) Vergl. Cape Ustalogue for 1885 ®’®), Introduetion, p. XI—XM. 


6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 355 


Beobachtungsmaterial ausreicht, dazu, die aus den Beobachtungen 
eines jeden Beobachters abgeleiteten fertigen Sternörter nach den ver- 
schiedenen Gesichtspunkten zu vergleichen, eine Methode, wie sie 
stets bei der zur Vereinigung mehrerer Beobachtungsreihen erforder- 
lichen Befreiung von ihren systematischen Unterschieden angewendet 
wird (s. Nr. 7)"). Eine Kontrolle erhält man durch die Vergleichung 
beider Ergebnisse 7). 

Zur empirischen Bestimmung der absoluten pers. Gl. bei Durch- 
gangsbeobachtungen und ihrer Variationen hat man verschiedene 
Methoden vorgeschlagen und entsprechende Apparate konstruiert. Als 
ihr Grundprinzip kann man bezeichnen, daß das Bild eines künst- 
lichen, in regulierbarer Geschwindigkeit die Fäden passierenden Sterns 
in gewöhnlicher Art beobachtet wird, während sich gleichzeitig der 
genaue Moment der Bisektion des Bildes durch den Faden selbsttätig 
registriert. Der die Bewegung des künstlichen Sterns erzeugende 
Mechanismus ist zu dem Zweck mit einer Reihe von Kontakten ver- 
sehen, die seine Bewegungsphase fixieren, indem im Ruhezustand die 
ihnen entsprechende Stellung des Sternbilds durch mikrometrische 
Messung zu den Fäden in Beziehung gesetzt wird. Von diesbezüglichen 
Apparaten''?), die mit Erfolg zur Anwendung gelangten, seien er- 
wähnt der von F. Kaiser in Leiden konstruierte „Zeitkollimator“ 129), 
der von H. G. van de Sande Balıhuyzen angegebene'*!), welcher auf 
die Gleichartigkeit der Beobachtung mit der sonstigen Meridian- 
beobachtung Wert legt, und der in dieser Hinsicht noch weiter 
gehende Apparat von W. F. Wislicenus '??). 


118) A. Sokolow*4) vergleicht die von den drei Beobachtern erhaltenen 
Sternörter nach der Deklination usw. 

119) Über die ersten Vorschläge zur Bestimmung der absoluten pers. Gl. 
[von J. Hartmann, Einige Beobachtungen und Bemerkungen über Personal- 
differenz, Auszug aus Grunerts Archiv 1858, p. 31, Astr. Nachr. 65 (1865), 
p. 129; E. Plantamour et A. Hirsch, Dötermination telögraphique de la difference 
de longitude entre Geneve et Neuchätel, M&moires de la Societ6 de physique 
et d’histoire naturelle de Geneve 17, Geneve 1864, p. 289-436; M. C. Wolf, 
Recherches sur l’&quation personnelle, Obs. de Paris Ann., mem. 8 (1866)] vergl. 
neben J. L. E. Dreyer) und F. Gonnessiat’””) das ausführliche Referat von 
W. Förster in Astr. Ges. Vjs. 1 (1866), p. 236. 

120) F. Kaiser, Beschreibung der Zeitkollimatoren der Sternwarte zu Leiden, 
Leiden Sternw. Ann. 2 (1870), p.19 u. ff.; vergl. auch A. Wagner '')), p. (55) ff. 

121) H. @. van de Sande Bakhuyzen, Beschreibung eines Apparats zur Be- 
stimmung des absoluten persönlichen Fehlers bei Durchgangsbeobachtungen, 
Leiden Sternw. Ann. 7 (1897), p. 75. 

122) W. F. Wislicenus, Untersuchungen über den absoluten persönlichen 
Fehler bei Durchgangsbeobachtungen, Leipzig 1888. 


256 VIa5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Zweifellos enthalten diese Untersuchungen eine Fülle interessanter 
Tatsachen, insbesondere über die physiologischen Einflüsse, denen die 
persönliche Gleichung unterliegt. Bedenkt man indessen, daß diese 
terrestrischen Beobachtungen immerhin unter merklich anderen Ver- 
hältnissen zu erfolgen pflegen als die eigentlichen Beobachtungen am 
Himmel — vor allem wird die Reaktionszeit des Beobachters durch 
die bewußte Absicht, seinen persönlichen Fehler zu bestimmen, 
merklich beeinflußt —, so wird es nicht Wunder nehmen, daß man 
auf einem dieser Wege zwar allenfalls einen brauchbaren Durch- 
schnittswert der absoluten pers. Gl. und einen ungefähren Überblick 
über ihre Schwankungen erhalten kann, daß hingegen eine praktische 
Anwendung der so erhaltenen Werte auf die eigentlichen astronomi- 
schen Beobachtungen kaum jemals stattgefunden hat. 


Man begnügte sich daher z. B. bei dem Anschluß der Sterne an 
die Sonne, wie er zur Ableitung absoluter Rektaszensionen erforder- 
lich ist, bisher stets damit, anzunehmen, daß sich diese Fehler im 
Mittel zahlreicher Beobachter vernichten oder wenigstens im Laufe 
der Zeiten (Jahrzehnte und Jahrhunderte) dieselben bleiben werden. 
Allenfalls könnte man diese Annahme gelten lassen, so lange die 
Beobachtungsmethode die gleiche bleibt, wenngleich die größeren 
Dimensionen und Vergrößerungen der neueren Instrumente auch diesen 
Durchschnittswert beeinflussen müssen; jede Änderung der Beobach- 
tungsmethode (z. B. Übergang von der Auge- und Ohr- zur Registrier- 
methode) wirft diese Annahme über den Haufen und verfälscht die 
Bestimmung der Bewegung des Frühlingspunkts, d. h. die Präzessions- 
konstante!#), Ähnliches gilt für den Mond und in geringerem Maße 
für die großen Planeten. 


Die Untersuchung des Einflusses der Eigenart der Fixsterne 
(Helligkeit, Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung) auf die 
Auffassung der Durchgangszeiten, dessen Kenntnis für ein fehlerfreies 
System von Fixsternörtern erforderlich ist, kann in mancher Richtung 
durch die Beobachtung der Himmelsobjekte selbst erfolgen. Der Ein- 
fuß der verschiedenen Bewegungsrichtung läßt sich durch Benutzung 
eines Reversionsprismas beseitigen'!”). Da die scheinbare Geschwin- 
digkeit hingegen allein von der Deklination abhängt, so vermischen 
sich hier persönliche Auffassung und instrumentelle Fehler (von der 
Form Aa,'?*®) und lassen sich nur schwer voneinander trennen. 


123) Den Einfluß der Beobachter auf die Ephemeridenkorrektion der Sonne 
zeigt z. B. die Zusammenstellung bei Newcomb, Fund. Const., p. 22—24. 
123*) Unter Fehlern von der Form Aa, versteht man Fehler, die sich auf 


6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 257 


Zu erörtern bleibt die in neuerer Zeit mehr in den Vordergrund 
getretene sog. Helligkeitsgleichung der Fixsternbeobachtungen, der 
Einfluß der Sterngröße auf die Auffassung der Durchgangszeiten. 
Nach einigen mehr gelegentlichen Hinweisen Argelanders'*) auf 
die Wahrscheinlichkeit, daß gewisse Eigentümlichkeiten von Beob- 
achtungsreihen auf eine Helligkeitsgleichung zurückzuführen sein 
möchten — zu einem strengen Nachweise reichte das Material nicht 
aus —, führte Gill den ersten positiven Nachweis für ihr Auftreten '?°) 
und gab zugleich ein seitdem durchweg angewandtes Verfahren an, 
sie zu untersuchen '?®). Indem man nämlich die Helligkeit eines Sterns 
durch ein auf das Objektiv aufgesetztes engmaschiges Gitter ab- 
schwächt, kann man die Beobachtung des Durchgangs des unge- 








den beobachteten Wert der AR. werfen, und deren Betrag abhängt von der 
Deklination des beobachteten Gestirns. Analog definiert man Au, Ad, Ad,. 

124) Schon F. W. Bessel führt gewisse Unterschiede zwischen seinen Be- 
obachtungen und denen von C. T. Anger auf eine „Verschiedenheit der Antritts- 
zeiten heller und dunkler Sterne“ zurück, Briefwechsel zwischen W. Olbers und 
F. W. Bessel, hrsg. von A. Erman 2, Leipzig 1852, p. 358 (Brief vom 
13. April 1831). — Weiter behandelt diese Möglichkeit F. @. W. Struve, Stel- 
larum fixarum imprimis duplicium et multiplicium positiones mediae pro epocha 
1880.0, Petropoli 1852, p. LXIV ff. — F. W. A. Argelander, Astr. Nachr. 74 
(1869), p. 268, macht auf einen 0°.66 betragenden Unterschied von fünf Bonner 
und sechs Leidener Meridianbeobachtungen des kleinen Planeten Egeria (9m.2) 
aufmerksam. Eine Prüfung seiner Ortsbestimmungen von veränderlichen Sternen 
in den verschiedenen Phasen ihrer Helligkeit führte ihn zu keinem entscheiden- 
den Ergebnis. Vergl. auch F. W. A. Argelanders Referat, Astr. Ges. Vjs. 7 (1872), 
p. 18 ff. 

125) D. Gill, Account of a determination of the solar parallax, Lond. 
Astr. Soc. Mem. 46 (1880—81), chapter IX, p. 56 fi, sowie D. @ill, On the 
results of meridian observations of the Mars comparison stars, Lond. Astr. 
Soc. Monthly Not. 39 (1878), p. 98 fand durch Vergleichung heliometrisch 
festgelegter Sternörter mit den Ergebnissen der an zwölf Sternwarten erhaltenen 
Meridianbeobachtungen einen starken, etwa 0.'018 pro Größenklasse betragenden 
Gang der AR.-Unterschiede nach der Helligkeit, der nur den Meridianbeobach- 
tungen zur Last fallen konnte, wie Versuche auch bestätigten. Vergl. auch 
H. G. van de Sande Bakhuyzen, Die Rektaszensionen von Gills Mars-Sternen und 
die Änderung des persönlichen Fehlers bei der Beobachtung von Sternen ver- 
schiedener Helligkeit, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 81, sowie H. @. van de Sande- 
Bakhuyzen, Astr. Ges. Vjs. 14 (1879), p. 408. 

126) Die von Argelander **‘) vorgeschlagene Methode der Beobachtung ver- 
änderlicher Sterne in verschiedenen Phasen ihrer Helligkeit 148t nur eine be- 
schränkte Anwendung zu und würde eine genaue Schätzung der Helligkeiten 
selbst mit verlangen. Die Anwendung von Diaphragmen kann infolge von Un- 
regelmäßigkeiten des ÖObjektivs eine Verschiebung des beobachteten Licht- 
schwerpunkts erzeugen; vergl. W. F. Wislicenus, Über den Einfluß von Ring- 
und Scheibenblenden auf Mikrometermessungen, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 345. 


258 Vls,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


schwächten und des abgeblendeten Sterns miteinander vergleichen 
und den Unterschied zu der in Größenklassen ausgewerteten Bild- 
schwächung in Beziehung setzen'?”). Nach dieser Methode angestellte 
Beobachtungsreihen ergaben, daß die H.-Gl. bei allen Beobachtern ') 
in dem Sinne wirksam ist, daß schwache Sterne später beobachtet 
werden als helle, und daß sie im allgemeinen für die helleren Sterne 
eine etwas geringere Steigung besitzt als für Sterne mittlerer Hellig- 
keit, für sehr schwache Sterne aber merklich schneller ansteigt. So 
erhält man im Mittel von sechs Beobachtern am Kap'?”) als Hellig- 
keitskorrektion für Sterne Ot*, 2te usw. bis 10!" Größe: 


0m | + 0.016 6” | — 0.012 
2” | + 0.008 gm | — 0.030 
4m | 0.000 10% | — 0.058. 


Ähnliche Beträge findet F. Cohn“) durch Vergleichung von 
Registrierbeobachtungen mit Beobachtungen am ‚Repsoldschen Mikro- 
meter, die zugleich eine Unabhängigkeit der H.-Gl. von der Dekli- 
nation, sofern sie sich in mäßigen Grenzen hält, ergeben: 


127) Diesbezügliche Beobachtungen von künstlichen Sternen stellte H. @. 
van de Sande Bakhuyzen an, Liinfluence de l’&clat de l’6toile sur le temps de 
perception et sur l’&quation personnelle, Archives Neerlandaises des sciences 
exactes et naturelles (2) 6, La Haye 1901, p. 727. „Gewebe von Metallfäden" 
schlug schon F. W. Bessel?"), Astron. Untersuch. 1, p. 125 = Bessel, Abhdl. 2, 
p. 157 vor, um die Helligkeiten der beiden heliometrisch mit einander zu ver- 
bindenden Objekte auszugleichen. 

128) Eine Ausnahme bilden nur die F. Küstnerschen Beobachtungen der 
Zone 0° bis + 18° in Bonn mit einer H.-Gl. von -- 0.007 pro Größenklasse, 
während seine früheren Berliner und späteren Bonner Beobachtungen wieder 
eine normale H.-Gl. von etwa + 0.004 pro Größenklasse aufweisen. Vergl. 
F. Küstner '°). 

129) Vgl. die „Results of meridian observations of stars, made at the R. 
Observatory, Cape of Good Hope“ (Cape meridian results) in the years 1900 to 
1904, Edinburgh 1906, p. XHI—XVH und „Catalogues of stars for the equinox 
1900.0, from observations made at the R. Observatory, Cape of Good Hope, 
during 1900-—04, Edinburgh 1906" (Cape Catalogue for 1900), p. VIII. Zwei 
Beobachter (P., RC.) wurden dabei, da sie einen besonders stark ausgesprochenen 
Gang zeigten, ausgeschlossen. 

180) F. Cohn, Die Helligkeitsgleichung bei visuellen und photographischen 
Beobachtungen, Astr. Naechr 172 (1906), p. 225, sowie F.Cohn, Beiträge zur 
Kenntnis der Helligkeitsgleichung bei Durchgangsbeobachtungen, Astr. Nachr. 
165 (1904), p. 245. Vergl. auch A. Auwers, Ergebnisse aus Vergleichungen der 
Zonenkataloge der Astronomischen Gesellschaft untereinander und mit dem Rom- 
bergschen Katalog für 1875, Astr. Nachr. 161 (1903), Nr. 3842-44, insbesondere 
d. 71—72. Vgl. auch Fußnote 132*). 


6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 959 


I IL 





4"5 1 40001 + 0.008 
een 72008 
65 | —0.017 —0.016 
7.5 | —-0.029 —0.029 
35: —008 — 0.046 
95: —0.06L -- 0.07 


Kolumne I (38° < ö << 55°) enthält das Mittel von 11, Kolumne I 
(11°<ö<.38°) von 12 verschiedenen Beobachtungsreihen. 

Da aber in den meisten Fällen das Beobachtungsmaterial zur 
Ableitung ihres genauen Verlaufs nicht ausreicht, begnügt man. sich, 
die H.-Gl. in erster Näherung als lineare Funktion der in Größen- 
klassen ausgedrückten Sternhelligkeit darzustellen und zur Beziehung 
aller Beobachtungen auf eine gleiche Sterngröße anzuwenden. Für 
die Auge- und Ohr-, sowie die Registriermethode finden sich im Mittel 
zahlreicher Beobachter nahe gleiche Werte. So erhält S. Newcomb'?') 
als Helligkeitsgleichung pro Größenklasse 


für die Auge- und Ohr-Metkode (aus 5 Bestimmungen): + 0.0091, 
für die Registrier-Methode (aus 6 Bestimmungen): + 0.0085, 


und Boss'”?) durch eine ausgedehntere Diskussion als durchschnitt- 
liche H.-Gl. für hellere Sterne (bis etwa 6.”5) aus 11 resp. 19 Reihen 
die Werte + 0.0074, resp. + 0.0080, im Mittel: + 0.0077. Dieselbe 
H.-Gl. eines Darchschnittsbeobachters (für hellere Sterne) leitet 
Küstner'”?*) dadurch ab, daß er aus seinen nach der Gittermethode 
von H.-@l. befreiten Beobachtungen die Korrektionen der Sterne des 
Auwersschen Fundamentalkatalogs ableitet und nach der Helligkeit 
anordnet. Er findet +- 0.0052 pro Größenklasse. 

Eine Bestätigung der auf diesem Wege gefundenen Helligkeits- 
korrektionen, die wegen mancher gegen die Gittermethode geäußerten 
Bedenken’??) erwünscht war, erlangte man durch anders geartete Be- 
obachtungen, bei denen der Natur der Messungen nach eine H.-Gl. 


131) Neweomb, Fund. (Catal. vgl. p. 30, Fußn. 32), p. 184. 

132) L. Boss, Determination of absolute magnitude-equation for the cata- 
logue of 627 standard stars, Astron. Journ. 23 (1903), p. 83. 

132*) F. Küstner, Beobachtete Korrektionen des Fundamentalkataloges von 
Auwers und Ermittelung seiner Helligkeitsgleichungen, Astr. Nachr. 158 (1902), 
p. 129. ; 

133) H. H. Turner, On the variation of personal equation with stellar 

' magnitude, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 60 (1899), p. 3, sowie 62 (1901), p. 3. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 18 


260 VIe,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente, 


der Rektaszensionen ausgeschlossen war, z. B. durch eine heliometrische 
Triangulation des beobachteten Sternkomplexes nach der Distanz- 
methode, also auf demselben Wege, auf dem sie Gill zuerst nachge- 
wiesen hatte (s. Fußn. 125). Es ist das gelegentlich der großen Ko- 
operation zur Bestimmung der Sonnenparallaxe aus Beobachtungen der 
Planeten Iris, Vietoria und Sappho (1888—-89) mit vollem Erfolge ge- 
schehen!*%). Immerhin kann eine derartige Bestimmung der H.-Gl. 
nur gelegentlich stattfinden. Der Anwendung der bequemeren Methode, 
sie durch Vermessung desselben Sternkomplexes auf photographischen 
Aufnahmen zu bestimmen'??), steht die Schwierigkeit entgegen, daß 
sich die photographischen Aufnahmen selbst als merklichen Hellig- 
keitsgleichungen ausgesetzt erwiesen haben (s. Fußn. 105). 

Die Schädlichkeit der H.-Gl. gegenüber anderen systematischen 
Fehlerquellen der Durchgangsbeobachtungen liegt nach dem Obigen 
nicht so sehr in ihrer Größe als in der Gleichartigkeit, mit der sie 
bei allen Beobachtern auftritt. Während die eigentlichen Instrumental- 
fehler durch eingehende Kritik sowohl, wie vermehrte Zahl von mit- 
wirkenden Instrumenten usw. verringert werden können und in diesem 
Sinne mehr den Charakter zufälliger Fehler besitzen, bleibt die H.-Gl. 
im Mittel verschiedener Beobachter immer noch in gleicher Größe 
bestehen und verfälscht die Beobachtungen systematisch. Es ist das 
besonders wichtig, wenn man diese Örter als Anhaltspunkte für diffe- 
rentielle Arbeiten, z. B. Ausmessung photographischer Aufnahmen, ver- 
werten will, und darum ist eine Bestimmung seiner H.-Gl. für jeden 
Beobachter heutzutage dringend erforderlich. Deun die Genauigkeit 
der Meridianörter kann durch keine Häufung des Beobachtungs- 
materials erhöht werden, so lange die H.-Gl. unberücksichtigt bleibt. 

Noch empfehlenswerter freilich, als den durchschnittlichen Betrag 
der H.-G]. mehr gelegentlich zu bestimmen und bei der Reduktion 
anzuwenden, ist die von Küsiner in. Bonn zuerst systematisch ange- 
wandte Eliminationsmethode, bei der alle Sterne durch Vorsetzen ge- 
eigneter Gitter möglichst auf die gleiche Helligkeit abgeblendet wer- 
den, da die H.-Gl. wesentlich von Luftunruhe und Bildschärfe abhängt. 

Allen Versuchen gegenüber, eine Fehlerquelle, welche die Messung 
einer gewissen Größe beeinflußt, zu bestimmen oder zu eliminieren, 
wird aber stets eine Methode überlegen sein, welche jene Messung 
auf einem von dieser Fehlerquelle ganz unabhängigen Wege erlangt. 
So bilden alle Methoden, die persönliche Gleichung bei Durchgangs- 


184) Vergl. neben Fußn. 95 noch besonders -D. Gill, Catalogue of 2798 
Zodiacal stars, London 1899, p. 4—6; sowie D. Grll, On the definitive place of 
the stars used for comparison etc., Astr. Nachr, 130 (1892), p. 161. 


6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 261 


beobachtungen zu bestimmen und zu eliminieren — soweit sie über- 
haupt dieses Ziel erreichen — nur einen Notbehelf gegenüber einem 
Verfahren, welches die Bestimmung der Rektaszensionen von jeder 
Durchgangsbeobachtung unabhängig macht und auf die Pointierung 
des Sternbildes mit einem Faden zurückführt. Dieses leistet mit hin- 
reichender Schärfe das BRepsoldsche selbstregistrierende Mikrometer, zu 
dem in gewisser Weise die oben erwähnten Methoden zur Bestim- 
mung der absoluten persönlichen Gleichung hinüberleiten. Während 
dort die jeweilige Stellung des den künstlichen Stern bewegenden 
Mechanismus zu den Fäden automatisch registriert und dadurch zu 
den Signalen einer Uhr in Beziehung gesetzt wird, geschieht dies 
bier in gleicher Weise für die Stellung des beweglichen Fadens, der 
mit dem Sterne mitgeführt und in dauernder Bisektion gehalten wird. 
Schon die ersten Versuche mit dem Repsoldschen Mikrometer ergaben 
eine Verringerung der persönlichen Gleichung auf etwa den zehnten 
Teil!??). Des weiteren erwies sie sich von weit größerer Konstanz, 
sowohl im Lauf einer Abendreihe, wie an den verschiedenen Abenden, 
und damit von der Disposition des Beobachters so gut wie unab- 
hängig"®*). Von einer H.-Gl. bei Fixsternen traten kaum noch Spuren 
auf, und es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß bei Anwendung des 
Repsoldschen Mikrometers auch der Einfluß der Geschwindigkeit des 
Sterndurchgangs verschwinden und der Auffassungsunterschied zwischen 
Sonnen- und Fixsternbeobachtungen auf ein Minimum reduziert werden 
wird. Da sowohl infolge dieser Vorzüge, wie auch des ganzen Be- 
obachtungsvorgangs die Genauigkeit der AR.-Beobachtungen erheblich 
größer ist, als bei der gewöhnlichen Registriermethode'?”), so be- 
deutet seine Einführung einen wesentlichen Fortschritt in der Besei- 
tigung systematischer Fehler, dem kaum irgendwie nennenswerte 
Schattenseiten gegenüberstehen. 

Außer bei den Durchgangsbeobachtungen macht sich der persön- 
liche „Zeitfehler“ auch bei der Beobachtung eines momentan ein- 
tretenden Aufleuchtens oder Verlöschens einer Lichtquelle””'®) geltend, 


135) Vergl. E. Becker?) und besonders T’'h. Albrecht ®?). 

136) F. Cohn, Ergebnisse von Beobachtungen am Aepsoldschen Registrier- 
Mikrometer bei Anwendung eines Uhrwerks, Astr. Nachr. 157 (1902), p. 357. 

137) Vergl. sowohl F. Oohn'?%), wie Th. Albrecht?”). Im letzteren Falle 
ging der mittlere Fehler einer Längenbestimmung aus einem Abend von 
+ 0.060 (Durchschnitt von 7 Jahren) auf -+ 0.022 (3 Jahre) herab. 

137°) Die persönliche Gleichung bei der Beobachtung von Lichtblitzen er- 
wähnt schon ©. L. Gerling, Die Längenunterschiede zwischen Göttingen usw. 
durch Signale bestimmt, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 261. 

18* 


262 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


insbesondere der Sternbedeckungen durch den Mond [vgl. VI»2,3 
(Wirtz), Ne: 26. 27. 28. 34. 35.]. Der Moment des Verschwindens 
eines Sterns hinter der Mondscheibe oder seines Auftauchens wird 
individuell verschieden geschätzt. Diesen Fehler kann man verhältnis- 
mäßig einfach durch Beobachtung künstlicher Sternbedeckungen ziem- 
lich zuverlässig, insbesondere soweit es sich um den dunkeln Mond- 
rand bandelt, ermitteln, indem man durch einen Stromschluß eine 
feststehende Lichtquelle aufleuchten, resp. verlöschen und gleichzeitig 
ein Signal auf dem Chronographen erzeugen läßt, das mit der Auf- 
fassung des Moments durch den Beobachter verglichen werden kann 38). 


b) Fehler beim Pointieren eines Objekts mit einem Faden (oder 
allgemeiner in der Auffassung rein geometrischer Erscheinungen). 
Eine Hauptklasse der hier zu nennenden Vorgänge läßt sich auf Auf- 
fassungsunterschiede in der Schätzung der Halbierung von Strecken 
zurückführen, sei es, daß man ein Stern- oder Mirenbild mit einem 
Faden biseztiert, sei es, daß man einen Stern oder einen Kreisstrich 
in die Mitte zwischen zwei enge Fäden einstellt usw. Hierher ge- 
hören die AR.-Beobachtungen mit dem Repsoldschen Mikrometer, die 
ö-Einstellungen am Meridian- oder Vertikalkreise und die mikrosko- 
pische Ablesung seiner Kreise, die Refraktorbeobachtungen mit dem 
Fadenmikrometer, die Ausmessungen der photographischen Platte mit 
dem Ablesemikroskop usw. Sie alle unterliegen persönlichen Auf- 
fassungsunterschieden, die aber weit geringer sind, als die Fehler der 
Vürehrääkebiähsehtnnkeh: So fanden F. Cohn und A. Postelmann'®) 
beim Kepsoldschen Mikrometer eine konstante Differenz von 0.020, 
verschiedene Beobachter am Straßburger Meridiankreise !?%*) merkliche 
Unterschiede in der Nadireinstellung, je nachdem sie von. Nord oder 
von Süd aus erfolgte. Im allgemeinen werden sie von dem Aussehen 
des Objekts und seinen Dimensionen im Verhältnis zur ganzen Strecke 
abhängen und somit die Form einer Helligkeitsgleichung annehmen. 


138) Vergl. F. Renz, Versuch einer Bestimmung der persönlichen Gleichung 
bei der Beobachtung von Sternbedeckungen, Astr. Nachr. 119 (1888), p. 145. 
Hierher gehört auch die Helligkeitegleichung bei sog. okkultierenden Mikro- 
metern, bei denen auch das Verschwinden und Aufleuchten eines Objekts zur 
Zeithixierung dient. Vel, 0. A. L. Pihl, On oceulting mierometers and „their 
value as applied to exact astronomical measurements, Christiania 1898 / und 
O. A. L. Pihl, Über okkultierende Mikrometer, Astr. Nachr. 134 (1894), p. 318, 
sowie L. Grabowski, Beobachtungen von kleinen Planeten, Astr. Nachr. 146 
(1898), p. 433 und Astr, Nachr. 174 (1907), p. 81. 

158%) E. Becker, Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. LXXXIU ff.; bei W. Schur 
betrug der Unterschied fast 1” und war veränderlich. 


6. Persönliche Fehler: b) Fehlerhafies Pointieren. 263 


Eine solche fand Küstner'?) für seine Öö-Beobachtungen am Bonner 
Meridiankreise — die Sterne wurden in die Mitte der Horizontalfäden 
gestellt —, nämlich für Sterne m*" Größe 
+ 0”.08 (m — 8.5) + 0.05 (m — 8.5)? 

(Mittel aus drei Zonen, gültig für Sterne von 7”.0 bis 9”.8); Scheiner '*°) 
für photographische Messungen, deren Effekt in den relativen Koor- 
dinaten heller und schwacher Sterne bei horizontaler wie vertikaler 
Richtung auf 074 (Tu) stieg; beim Pulkowaer Vertikalkreise!) 
variierten die Unterschiede der Beobachter merklich für Fixsterne und 
die Sonne und hingen für letztere wieder von der Bildqualität ab. 
Eine von der Länge der Strecke abhängende Formel für den syste- 
matischen Fehler beim Schätzen ihres Halbierungspunktes stellt Hart- 
mann'“*) auf. Durch Anwendung eines Reversionsprismas'*?) oder 
im Falle photographischer Aufnahmen durch Drehung der Platte um 
180° lassen sich diese Auffassungsunterschiede größtenteils beseitigen 
(vgl. auch Fußn. 105®). 

Sehr bemerkbar macht sich der Einfluß des Beobachters bei 
Positionswinkel- und Distanzmessungen am Refraktor, indem hier gleich- 
zeitig zwei Objekte mit zwei Fäden (Distanz) oder einem Faden 
(Positionswinkel) pointiert werden. Die Diskussion dieser Fehler ist 
besonders bei Doppelsternmessungen sehr schwierig, da sowohl Hellig- 
keit, wie Abstand (von 0”.5 bis zu 20” und mehr) der beiden Kom- 
ponenten, Neigung ihrer Verbindungslinie gegen die Vertikale, Kopf- 
haltung des Beobachters usw. mitsprechen und nur zum Teil durch ein 
Reversionsprisma, das übrigens bei diesen Messungen bisher nur selten 
verwertet ist!“®), ausgeglichen werden können. Die Untersuchung dieser 
Fehler, die wegen der sonstigen Schärfe der Messungen (s. Nr. 7) be- 
hufs Ableitung der Bahnbewegung durchaus erforderlich ist, ist bis- 
her in größerem Umfange nur von O. Struve‘*') durch Beobachtung 








139) J. Scheiner, Der große Sternhaufen im Hercules Messier 13 nach 
Aufnahmen am Potsdamer photographischen Refraktor, Berl. Abh. aus dem J. 1892, 
Berlin 1892. 

140) M. Nyren, Poulkova Obs. 14 (1888), p. (50) ff. 

140*) J. Hartmann, Über die Ausmessung und Reduktion der photographi- 
schen Aufnahmen von Sternspektren, Astr. Nachr. 155 (1901), p. 96. 

140®) Die Bedeutung des Reversionsprismas +) für die fadenmikrometrische 
Messung von Trabantendurchmessern (insbesondere zur Bestimmung ihrer Ab- 
plattung) betont H. Seeliger, Über die Gestalt des Planeten Uranus, München Ber. 
1884, p. 267. en 

141) Vergl. O. Struve, Mesures microm6triques des 6toiles doubles, Poulkova 
Obs. 9 (1878), 88 4—8. — Die ersten Untersuchungen an künstlichen Sternen 
stellte schon W. Struve’“, p. CXLII ff., in Dorpat an. 


. 


264 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


künstlicher Doppelsterne durehgeführt worden. Die Fehler sind recht 
bedeutend und übersteigen wesentlich den Fehler der einzelnen Messung; 
auch sind sie im Laufe der Jahre merklich veränderlich. Im allge- 
meinen begnügt man sich aber, die Messungen verschiedener Beob- 
achter auf ein möglichst homogenes System nach Art systematischer 
Fehleruntersuchung zu beziehen. Auch bei größeren Koordinaten- 
differenzen treten diese Fehler auf. So fand sich zwischen den von 
H. Struve und F. Renz ausgeführten Anschlüssen der Saturnstrabanten 
Thetys und Rhea am Pulkowaer 30-Zöller'#) ein konstanter Unter- 
schied: ds(R — 5) = + 0”.22. Zur Ermittlung seines eigenen, als 
konstant angenommenen Distanzfehlers bediente sich H. Struve der 
Ausmessung eines von mehreren, nahezu in gleichen Abständen be- 
findlichen Sternen gebildeten Bogens im ganzen und in seinen ein- 
zelnen Unterabteilungen und fand dafür‘), p. 8 aus 2 Reihen 


AS = — 0”.088 +0”.012 (35 Abende), 
— — 0”.126 + 0”.035 (11 Abende). 


Die bei den Heliometermessungen, insbesondere dem durch kleine 
Drehungen im Positionswinkel erzeugten Durchschwingen zweier 
Sternbilder bei der Distanzmessung, auftretenden persönlichen Auf- 
fassungsunterschiede lassen sich, soweit sie von der Helligkeit der 
Objekte und der Schwingungsrichtung abhängen, durch Benutzung 
von Gitterblenden und Reversionsprisma“?) beseitigen. Doch bleibt 
stets noch ein systematischer Messungsfehler individueller Natur meist 
in Abhängigkeit von der gemessenen Distanz selbst — wohl infolge 
der verschiedenen Krümmung des Schwingungsbogens — bestehen, 
dessen Studium direkt, wie oben, durch Messung eines Sternbogens 
und seiner Unterabteilungen erfolgen kann!“). Im allgemeinen zieht 


142) H. Struve, Beobachtungen der Saturnstrabanten, Poulk. Obs. Centr. 
Nic. Publ. 11 (1898), p. 64—65. 

143) Ein solches Reversionsprisma beschreibt zuerst D. @ül, Lond. Astr. 
Soc. Mem. 46 (1881), p. 12—13 und betont seine Wichtigkeit für heliometrische 
Anschlüsse der Marsscheibe an Sterne. Später erwies sich die Notwendigkeit, 
Keversionsprisma, wie Gitterblende auch bei Sternanschlüssen anzuwenden 
(D. Gil and W. Elkin, Heliometer-determinations of stellar parallax in the 
southern hemisphere, Lond. Astr. Soc. Mem. 48 (1884), p. 190). 

144) Vergl. über diese systematischen Fehler der Distanzmessungen an 
neueren Heliometern neben D. Gill?) besonders W. Schur, Astr. Nachr. 134 
(1893), p. 65 und Astr. Nachr. 142 (1897), p. 225; F. Cohn, Astr. Nachr. 142 
(1897), p. 198 und Astr. Nachr. 143 (1897), p. 45; L. Ambronn, Astr. Nachr. 145 
(1897), p. 49; B. Peter, Astr. Nachr. 148 (1898), p. 81, wo solche Sternbogen- 
messungen diskutiert werden. 


7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. 265 


man es aber vor, die systematischen Distanzfehler im ganzen, ohne 
Rüeksicht auf ihre individuelle oder instrumentelle Entstehung, durch 
Vergleichung mit entsprechenden Meridianbeobachtungen zu disku- 
tieren, was dann ins Gebiet der systematischen Fehlervergleichung 
hineingehört; vgl. Nr. 7. 

7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. Die 
Genauigkeit der astronomischen Ortsbestimmung eines Gestirns hängt 
einmal ab von der Leistungsfähigkeit des Instruments, der Konstanz 
seiner Aufstellung, den Verhältnissen der äußeren Umgebung, kurz 
von den gesamten geometrischen und physikalisch -meteorologischen 
Beobachtungsbedingungen, sowie von der Schärfe unserer Sinne. Sie 
kann aber wesentlich gesteigert werden durch eine eingehende Kritik 
der allen diesen zusammenwirkenden Umständen anhaftenden Fehler- 
quellen; die Zuverlässigkeit der aus den Beobachtungen zu ziehenden 
Folgerungen wird vor allem durch die Vollständigkeit bedingt, mit 
der es gelingt, den Einfluß dieser Fehlerquellen auf die Resultate 
herabzumindern oder ganz zu eliminieren. Die diesbezüglichen Prin- 
zipien gehören in die allgemeine Theorie der Beobachtungsfehler hinein, 
welche gerade im Bereich der astronomischen Messungen eine weit 
entwickelte Anwendung findet. Wir deuten hier nur die maßgebenden 
Gesichtspunkte an. 

Zufällige und systematische Fehler. Bei allen empirischen Mes- 
sungen ist der Einfluß der wirksamen Fehlerquellen auf das Resultat 
zum Teil mehr zufälliger Natur; er verfälscht dasselbe bald in diesem, 
bald in jenem Sinne und läßt sich durch Häufung der Beobachtungen 
werklich herabdrücken, wofür die Ausgleichungsrechnung in der Me- 
ihode der kleinsten Quadrate eine zweekentsprechende Handhabe bietet. 
Weit gefährlicher sind diejenigen Fehlerquellen, welehe das Resultat 
systematisch, d. h. stets in einer gewissen gesetzmäßigen Art ver- 
fälschen. Eine scharfe Grenze zwischen beiden Fehlerarten ist nicht 
vorhanden, indem manche Fehlerquelle je nach ihrem Einfluß auf die 
zu ziehenden Folgerungen bald als zufälliger, bald als systematischer 
Natur gelten kann, und es ist gerade die Hauptaufgabe eines ge- 
schickten Beobachters, die eine Fehlerart in die andere überzuführen. 
Oft gelingt es durch entsprechende Anordnung der Beobachtungen, 
den Einfluß einer systematischen Fehlerquelle auf das Ergebnis in 
einen zufälligen umzuwandeln. Eine fehlerhafte Bestimmung des 
Kollimationsfehlers bringt bei nicht umlegbaren Instrumenten einen 
systematischen Gang der beobachteten Rektaszensionen nach 6 (A«,) 
hervor!2e), bei umlegbaren fällt sie im Mittel beider Lagen heraus. 
Bei unabhängigen (fundamentalen) Ortsbestimmungen, bei denen auf ein 


266 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


möglichst fehlerfreies System der erhaltenen Sternörter der Haupt- 
wert zu legen ist, wird daher eine möglichst weitgehende Variierung 
der Beobachtungsumstände geboten sein; bei Anschlußbeobachtungen 
wird man auf eine bis ins einzelne gehende differentielle Gestaltung dieses 
Anschlusses an ein gegebenes System Wert legen. So kann man sich 
bei Meridianbeobachtungen, da man gegenwärtig über hinreichend zu- 
verlässige Fundamentalsysteme verfügt, durch Anlage in Form von 
sogenannten Zomenbeobachtungen oft einen großen Teil der Instru- 
mentaluntersuchungen ersparen. Handelt es sich vorzugsweise um die 
Untersuchung periodischer Ortsveränderungen, reeller oder scheinbarer, 
wie z. B. bei der Bestimmung von Sternparallaxen, astronomischen 
Konstanten, der Polhöhenschwankung usw., so wird eine möglichst 
weitgehende Gleichartigkeit der Beobachtungsumstände in den ver- 
schiedenen Phasen .der Ortsveränderung zu erstreben sein. Während 
dies hinsichtlich der mehr inneren, instrumentellen Einflüsse meist 
leicht durchzuführen ist, ist man bei den äußeren geometrisch-physi- 
kalischen Beobachtungsbedingungen an gegebene Verhältnisse ge- 
bunden, z. B. an einen bestimmten Stundenwinkel oder eine bestimmte 
Tageszeit oder an nicht zu beeinflussende meteorologische Zustände. 
Hier kann meistens nur eine nachträgliche Diskussion der Beobach- 
tungen über das Auftreten systematischer Fehler Klarheit schaffen. 
Diese Kritik der Beobachtungen erweist sich stets; auch bei den ein- 
fachsten Ortsbestimmungen, als erforderlich. Trotz aller Sorgfalt des 
Beobachters bleibt neben den zufälligen Fehlern der Sternörter stets 
noch ein Rest übrig, der in ihnen einen Gang nach dieser oder jener 
Richtung hervorruft. Bei jeder Vergleichung zweier an verschiedenen 
Instrumenten oder von verschiedenen Beobachtern oder nach ver- 
schiedenen Methoden angestellten Reihen treten solche gesetsmäßigen 
Unterschiede hervor. Handelt es sich nur darum, eine Anzahl solcher 
gleichartiger Beobachtungsreihen zu einer möglichst homogenen Ge- 
samtreihe zu vereinigen, so hat man nur die systematischen Unter- 
schiede der Teilreihen in eine gesetzmäßige Form zu bringen und alle 
Reihen auf ein gewisses mittleres System zu beziehen, dessen eigene 
Fehler unbestimmt bleiben. Wählen wir die Meridianbeobachiungen 
als Beispiel einer solehen Untersuchung, so handelt es sich da um 
die Vereinigung einer Reihe von Sternkatalogen zu einem Normal- 
katalog. Den Anfang bildet die Ableitung ihrer systematischen 
Unterschiede, wobei man, da diese Ableitung durch erhebliche zu- 
fällige Fehler sehr erschwert werden würde, eine möglichst zuver- 
lässige und homogene Reihe als Bezugssystem zugrunde legt. Die 
Unterschiede werden nach den Koordinaten und der Helligkeit an- 


7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. - 267 


geordnet und in mehrfacher Näherung zur Interpolation geeignete 
Formeln für A«,, Au,, Ad, Aöd,'**) und die Helligkeitskorrektion ab- 
geleitet. Die nach Anbringung dieser Korrektionen verbleibenden 
Unterschiede sind als zufällige Fehler aufzufassen, aus ihnen — wiederum 
in mehrfacher Näherung, sobald man nicht über eine wesentlich über- 
wiegende Reihe verfügt — das Gewicht einer jeden Reihe abzuleiten 
und die korrigierten Werte nach Maßgabe dieser Gewichte in einen 
Mittelwert zusammenzuziehen. Die Festlegung des Bezugssystems 
selbst — sofern, es überhaupt eine Rolle spielt — erfolgt dann da- 
durch, daß man aus den systematisehen Abweichungen der stimm- 
fähigen Einzelsysteme vom Bezugssystem ein Normalsystem ableitet, 
auf welches schließlich jene Mittelwerte bezogen werden. In dieser 
Weise sind z. B. die Auwersschen Reduktions- und Gewichtstafeln für 
Sternkataloge und schließlich sein neuer Fundamentalkatalog ent- 
standen '#). 

Weit schwieriger und wesentlicher ist die Diskussion der syste- 
matischen Fehler, wenn der Zweck einer Untersuchung nur aus der Ver- 
gleichung zweier Messungsreihen und der Diskussion ihrer Unterschiede, 
die sonach vorher von allen Fehlerquellen befreit sein müssen, er- 
reicht werden kann, wie z. B. wenn man aus der parallaktischen Orts- 
verschiebung eines uns nahen Gestirns, von zwei entfernten Erdorten 
aus gesehen, seine Entfernung ableiten will. In diesem Falle kompli- 
ziert sich die Untersuchung noch besonders dadurch, daß infolge der 
schnellen Ortsveränderung des Gestirns die ganze Theorie seiner Be- 
wegung in Form zuverlässiger Ephemeriden bekannt sein oder eben- 
falls aus den Beobachtungen noch abgeleitet werden muß. Ein hervor- 


144°) Vgl. Fußn. 123°). Die Anordnung der Unterschiede, die an sich Funk- 
tionen beider Argumente «, ö sind und daher eigentlich in einer Tafel mit 
doppeltem Eingang erfolgen müßte, in dieser einfacheren Form ist ein Notbehelf, 
dessen Berechtigung nicht immer ohne weiteres angenommen werden darf, 
sondern wenigstens bei Fundamentalkatalogen erst nachgewiesen werden müßte. 
Siehe .H. Seeliger, München Steruw. Ann.) 1 (1890), p. XXVIL. 

145) A. Auwers, Tafein zur Reduktion von Sternkatalogen auf das System 
des Fundamentaikatalogs der A. G., Astr. Nachr. 134 (1893), p.33; Astr. Nachr. 143 
(1897), p. 65; Astr. Nachr. 145 (1897), p. 101; Astr. Nachr. 162 (1908), p. 857; 
A. Auwers, Tafeln zur Reduktion von Sternkatalogen auf das System des Fun- 
damentalkatalogs des Berliner Jahrbuchs, Astronomische Abhandlungen, als 
Ergänzungshefte zu den Astr. Nachr. hrsg. von H. Kreutz, Nr. 7, Kiel 1904; 
A. Auwers, Gewichtstafeln für Sternkataloge, Astr. Nachr. 151 (1900), p. 225 und 
Astr. Nachr.162 (1908), p. 357; A. Auwers, Ergebnisse der Beobachtungen 17501900 
für die Verbesserung des Fundamentalkatalogs des Berliner Jahrbuchs, Astr. 
Nachr. 164 (1904), p. 225; vgl. auch F.Cohn, Definitive Bearbeitung der Rektas- 
zensionen der Eros-Vergleichssterne (1900-01), Astr. Nachr. 170 (1905), p. 38. 


268 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


ragendes Beispiel einer planmäßig durchgeführten Bearbeitung eines 
solchen umfangreichen Materials bietet die Diskussion der anläßlich 
der Opposition der Planeten Iris, Viktoria und Sappho (1888—89) zur 
Bestimmung der Sonnenparallaxe angestellten Beobachtungen”) (s. a, 
Nr. 8). Insbesondere ermöglichte es hier das Zusammenwirken ver- 
schiedener Instrumente (Heliometer, Meridiankreis), durch Vergleichung 
der beiderseitig für einen bestimmten Sternkomplex erhaltenen Örter 
sowohl die Helligkeitsgleichung der Meridianbeobachtungen wie die 
von der Größe der gemessenen Distanz abhängigen Fehler der Helio- 
metermessungen abzuleiten. Am wichtigsten aber ist eine eingehende 
Kritik bei den p. 266 erwähnten Beobachtungen periodischer Orts- 
veränderungen, wo zahlreiche Fehlerquellen täglicher und jährlicher 
Periode die Ergebnisse zu verfälschen geeignet sind. So gehört die 
kritische Diskussion der Beobachtungen und ihre Befreiung von den 
ihnen anhaftenden Fehlerquellen zu den schwierigsten Kapiteln der 
Fehlertheorie. 

Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. Will man 
einen Maßstab für die Genauigkeit der astronomischen Ortsbestimmung 
gewinnen, so muß man nach dem ÖObigen wesentlich unterscheiden 
zwischen der inneren Übereinstimmung, welche durch die mehr zu- 
fälligen Beobachtungsfehler gestört wird, und die tatsächlich erzielte, 
gewissermaßen absolute Genauigkeit, die im wesentlichen von der 
Vollständigkeit abhängt, mit der die Elimination der systematischen 
Fehler im einzelnen gelungen ist. Die innere Übereinstimmung. 
wird im allgemeinen nur ein unsicheres Bild der tatsächlich erzielten 
Genauigkeit geben und ein entscheidendes Kriterium nur durch Ver- 
gleichung mehrerer ganz unabhängiger Beobachtungsreihen und ihrer 
Ergebnisse erlangt werden können. 

Die Leistungen der astronomischen Instrumente bewegen sich 
seit den Zeiten, da das Fernrohr in ihren Dienst gestellt wurde, be- 
sonders aber im letzten Jahrhundert, in schnell aufsteigender Linie. 
Waren noch zu den Zeiten J. Flamsteeds die ganzen Sekunden lediglich 
Rechnungsgrößen, so erlangte durch J. Bradley und T. Mayer die 
Bogensekunde volles Bürgerrecht, und heutzutage sind wir berechtigt, 
bei den feinsten Untersuchungen die 0*.001 und 0”.01 mitzunehmen. 
Diese Steigerung der Genauigkeit, die sich ganz besonders bei den 
Meridianbeobachtungen zeigt, beruht sowohl auf der größeren Leistungs- 
fühigkeit der Instrumente, wie auf der gerade dadurch ermöglichten 
schärferen Untersuchung ihrer Fehler. Ferner spielt die bessere 
Kenntnis der zur Reduktion erforderlichen astronomischen Konstanten 
— sowohl der eigentlichen Konstanten, wie auch z. B. der Örter einer 


7. a) Genauigkeit der Meridianbeobachtungen. 269 


größeren Zahl von Fundamentalsternen — eine wichtige Rolle). 
Nicht zum wenigsten sind auch die strengeren Anforderungen, welche 
die fortschreitende Theorie der Bewegungen der Himmelskörper an 
die Praxis stellt, hierbei zu nennen. Denn erst die Möglichkeit, 
die erhöhte Genauigkeit in der Beobachtung eines Vorganges auch 
verwertet zu sehen, bietet einen Antrieb, sie aufs höchste zu steigern. 

Ein wesentliches und zugleich unübersteigliches Hindernis für eine 
weitere Vervollkommnung der astronomischen Beobachtungsergebnisse 
verursacht die irdische Atmosphäre, sowohl durch die Verwaschenheit, 
als vor allem durch die Unruhe der Bilder, deren Einfluß sich bei 
der steigenden Exaktheit der Instrumente mebr und mehr geltend 
macht. Oft ist eine scharfe Pointierung der Sternbilder ganz unmög- 
lich, da sie bald Sprünge von 10” und mehr ausführen, bald langsamen 
aber darum noch gefährlicheren Wallungen unterliegen, bald aus- 
einanderfließen oder zerspringen usw. 80 muß man die Genauigkeit 
aller feineren astronomischen Beobachtungen in ihrer Abhängigkeit 
vom Luftzustande untersuchen. 

Die Leistungen der astronomischen Instrumente mögen durch 
einige Zahlenangaben veranschaulicht werden, zu deren Ergänzung 
die früher für die Schärfe einzelner Messungsvorgänge an Hilfsinstru- 
menten usw. gegebenen Zahlen dienen können. 

a) Meridianbeobachtungen. 

Für einige der namhaftesten Sternkataloge aus der Zeit seit 1750 
sei hier der zufällige mittlere Fehler &, der einzelnen Beobachtung, 
wie er aus der inneren Übereinstimmung gefolgert ist („innere @e- 
nauigkeit“), zusammengestellt, und schon dadurch die Steigerung der 
Leistungen veranschaulicht. Zugleich ist in einigen Fällen auf einige 
für die Genauigkeit wesentliche Einflüsse hingewiesen. 

Greenwich, Passageninstrument und Mauerquadrant von Bird, 
Epoche 1755, Beobachter Bradley, red. von A. Auwers'*), meist nur 
ein Faden und Teilstrich): 


&, («) = + V(0°.160)? + (0°.083 sec 0), 
&, (6) = + V1.36 + 0.085 tg? 2" der reine zufällige Beobachtungsfehler; 
= +Y1.92 +0.085 tg?z’ inkl. Teilungsfehler. 











1456) Aus diesem Grunde werden jetzt nachträglich zahlreiche ältere Beob- 
schtungsreihen einer Neureduktion unterzogen. So berechnet A. Auwers das Ge- 
wichteverhältnis seiner „Neuen Reduktion der Bradleyschen Beobachtungen‘ 
3, St. Petersburg 1888, p. 19-21 zu den „Fundamenta astronomiae" Bessels 
(Bessel, Fund.) in « wie 1.75:1, in ö wie 1.4:1, und in anderen Fällen wird 
die Gewichtszunahme noch größer sein. 


270 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Dorpat, Reichenbachscher Meridiankreis!”), Epoche 1830, 3 Be- 
obachter 8 (W. Struve), P (Preuß), D (.Döllen): 


















































ö &ı (®) ö & (Ö) 
von bis FRE ENT p .|von bis R P D 
—15° +45 + 0.08| +10 | +12 | 19 0% +171 | +ıra | +ıX8 
+45 0 .10 „15 .15 0 +20 1.0 1:8 1.6 
60 65 ‚12 .17 14 420 40 0.9 L 1.6 
65 70 .14 .16 .19 40 60 0.8 174 1.5 
70 75 ‚19 .22 «26 60 90 0.9 1.0 1.3 
75 80 .24 .29 17 il 
80 85 ‚89 ‚63 45 | 
Pulkowa, Großes Passageninstrument von Ertel'#): 
ö 8, (a), Pulkowa 1845 8, (@), Pulkowa 1865 
von bis Auge und Orr | Auge und Ohr | Registriert 
0° +500 + 0.063 + 08.061 | + 0.088 
+60 70 £ 0.098 + 0.091 | =#0.089 








Sehr ähnliche Zahlen gibt der Katalog für 1885, p. [68]. 
Berlin, Großer Meridiankreis von Pistor und Martins“) (8 Zoll): 





{) Sterngröße | 




















Beobachter | Epoche ; 2 &, (@) 8, (6) 
von bis von bis | 
Becker...... 1876 420° 1250| 0m0 mg + 0.030 + 0.43 
Küstner..... 1885 6.235145 9.540.088 +0 .00 
Battermann . 1895 10 25|5.0 9.2 )40.024secdi +0 .30 
9 3 9.92:i+0.037secöj +0 .38 


Bonn, Repsoldscher Meridiankreis (6 Zoll), Epoche 1900, Beob- 
achter Küstner'?): 


von 0 bis &(®) &, (0) 
0° -+18° -+ 0°,036 - 0”.49 
+18 36 -+ 0.032 +0 41 
36 51 + 0.037 +0 .39 





147) F. @. W. Struve, Stellarum fixarum positiones mediae, Petropoli 1852, 
p. LXXIU etec. 

148) Die drei Pulkowaer Fundamentalkataloge, sowie die im Text ge- 
gebenen Werte von s,(«) siehe Poulkovs Obs. 3 (1870), p. (69). (70) [Äquinox 
1845.0]; Poulkova Obs. 12 (1887), p. (43) [Äquiuox 1865.0] und: Poulk. Obs. Centr. 
Nic. Publ. 3 (1905), p. [68] [Äquinox 1885.0]. 

149) E. Becker, Catalog der Astronomischen Gesellschaft, 1. Abteilung, 
zehntes Stück, Berliner Zone, Leipzig 1895, p.9; F. Küstner, Berlin Sternw. 
Ergebn. Heft 2 (1887); H. Battermann, Berlin Sternw. Ergebn. Heft 8 (1899). 


7. ©) Genauigkeit der Meridianbeobachtungen. 971 


Den durch Einführung des Repsoldschen Mikrometers erzielten 
Fortschritt veranschaulichen die folgenden Zahlen: 
' München, neuer Repsoldscher Meridiankreis (6 Zoll); Beobachter 
Oertel"®), ohne Uhrwerk, nur helle Sterne: 


&,(e) = + 0.024 sec Ö, 


Königsberg, alter Repsoldscher Meridiankreis (4 Zoll); Beobachter 
F. Cohn"), wit Uhrwerk: 











Sterngröße 
von bis ae) 
520 gm6 + 0°.017 sec 6 





8,6: : 92,0 | -+ 0°,019 sec Ö 


Die Abnahme der inneren Genauigkeit von Deklinations- 
beobachtungen mit der wachsenden Zenitdistanz (2), infolge der 
zunehmenden Luftunruhe (6) und Refraktionsanomalien (oe), spricht 
sich in den folgenden Zahlen für den Pulkowaer Vertikalkreis!??) aus: 





Pulkowa 1845 Pulkowa 1865 Pulkowa 1885 
2 (6) 2 2(d) Er | 6 | @ 


10°: +0”.36 | 71,91 +0”.38 | 7, ° 
20 +038 | 1571 +032| 16 | +03 * Res 
I + I HI +0. na Be A 
40 +04| 35 |+0.38| 3 | 0.39 +0 .30 +0 .10 
50 +0507|45 14040: 5) +08: 40.33 +0 .14 
60 037574047 55! +09 |) 40.3 +0. 
. 70 +86 1656| +065|60 +04) +0. +0 .27 
5 | 2100| 9%) 0.9 | 9% 40:9 | 40.4 +0 88 

| 77Yı 0.85 | 77% 0.83%) +0 .56 +0 .62 


! ! 











N T 




















e(ö) ist hier der m. F. einer auf je zwei Einzeleinstellungen in 
beiden Lagen beruhenden Deklination, o der reine Kinstellungsfehler, 
g der Refraktionsfehler, wozu als konstanter Rest y = 4- 0.15 noch 
die zufälligen Teilungsiebler usw. hinzukommen. 


150) K. Oertel, Über das Repsoldsche unpersönliche Registriermikrometer, 
Astr. Nachr. 165 (1904), p. 81. 

151) F. Cohn, Die Roktaszensionen der Eros-Vergleichssterne, Königsb. 
Beob. 41 (1908), p. 112. 

152) Enthalten in Poulkova Obs. 5 (18573), Poulkova Oba. 14 (1888) und Poulk. 
Obs. Centr, Nic. Publ. 2 (1896). 


2372 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie 


Analog findet Bauschin- 
ger‘) bis z= 85°: 
&=+Y (0".32)°-+(0”.23 tg2)%, 
über 2 = 85° steigt der letzte 
Koeffizient auf 0”.28. Hinzu 
kommt noch der Fffekt der 


nicht angebrachten Teilungs- 
fehler mit + 0.23. 





Die tatsächlich erzielte 
Genauigkeit der genannten 
und einiger anderer Kataloge 
veranschaulicht nach Auwers’ 
Gewichtstafeln'*), die aller- 
dings eigentlich nur für die 
helleren Sterne maßgebend sind 
— für die schwächeren dürf- 
ten die Fehler etwas größer 
sein —, die nebenstehende Zu- 
sammenstellung. 


Diese Zusammenstellung 
zeigt die rasche Zunahme der 
Genauigkeit während der letz- 
ten 1/, Jahrhunderte. Beson- 
ders in « tritt um 1860 bei 
Greenwich und Pulkowa ein 
Sprung durch den Übergang 
zur Registriermethode ein, wo- 
zu bei Greenwich noch die 
Anwendung eines neuen Meri- 
diankreises seit 1850 hin- 
zukommt. 
Reihen sind angestellt von 
Becker, Küstner und Batter- 
mann, bei der mittleren be- 
zieht sich a auf Anhalt-, b 
auf Änschlußsterne. München 
1900 ist die erste Reihe mit 


Die drei Berliner — 


der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 






























































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Souwr-lSouwmm Ss 
m 
en ERBE & | Bradley 
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Ommmn SQ ma. 2 ; 
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uonis 


7. b) Genauigkeit visueller Refraktorbeobachtungen. 273 


Repsoldschem Mikrometer). Königsberg 1900 ist die Uhrwerk- 
Mikrometerreihe von F. Cohn'??*). 

Die Genauigkeit, mit der wir einen Sternort für eine bestimmte 
Zeit berechnen können, hängt, da es sich zugleich um die Kenntnis 
der als linear angesehenen Eigenbewegung handelt, von der Anzahl 
und dem Gewicht der vorhandenen Beobachtungen, sowie von ihrer 
Verteilung über einen möglichst weiten Zeitraum ab. Für die best- 
bestimmten, die Fundamentalsterne, wird man gegenwärtig ihren Ort 
(innerhalb des Systems) mit einem mittleren Fehler von höchstens 
+ 0”.1 angeben können. Ferner wird man nach dem Obigen von einer 
guten Meridianbeobachtung verlangen müssen, daß ihr mittlerer Fehler 
innerhalb ihres Systems + 0”.5 nicht erheblich überschreite. 


b) Visuelle Refraktorbeobachtungen. 


Für die üblichen mikrometrischen Anschlüsse am Refraktor fehlt 
es an zuverlässigen Genauigkeitsangaben, da die Beobachtungen der 
Kometen und kleinen Planeten, teils wegen der unsicheren Auffassung 
und der nicht hinreichend zu eliminierenden Bewegung des Objekts, 
teils wegen der Ungenauigkeit in. den Örtern der Anhaltsterne ein zu 
ungünstiges Bild geben würden. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit 
bei scharf beobachtbaren, nicht zu schwachen Objekten ist; wesent- 
lich höher. Am 30zölligen Refraktor der Pulkowaer Sternwarte erhielt 
H. Struve‘’?®) bei 5ldfacher Vergrößerung für den mittleren inneren 
Fehler eines auf je 8 Einzeleinstellungen (je zwei vor und nach Durch- 
schrauben und geänderter Koinzidenz) beruhenden mikrometrischen 
Anschlusses in relativen Polar- resp. rechtwiukligen Koordinaten (s, p 
oder x, y) aus der inneren Übereinstimmung der beiden Einzelsätze: 








Tethys-Rhea............. 1888 = +00 | 8-89 = + 0”.062 
Knceladus-Tethys .... .. | 1888 | +0071 | +0 .066 
Mimas ....... KR | 1890 -+ 0.093 | +0 .096 
Hyperion-Titan ......... | 1888—89 +0.12386 | +0 .134 
Hyperion-Saturmn ........ | 1889 +0 .225 +0 .185 
Rhea-Saturm ............ | 1890  2,=-+0.090 y=-+0 07 


Er bemerkt dazu, daß die geringere Güte der Beobachtungen von 
Hyperion hauptsächlich auf die Anwendung heller Fäden zurückzuführen 
sei, sowie daß die mittleren Fehler seiner besten früheren Beobach- 
tungen am 15-Zöller doppelt so groß gewesen seien. 

Die tatsächlich erzielte Genauigkeit kann man nur vermischt mit 


15%*) F. Cohn, Astr. Nachr. 170 (1905), p. 43-—44. 
152°) H. Strwe'*®), p. 18. 


9274 Vla,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


den nach der Ausgleichung verbliebenen, allerdings wohl geringfügigen 
Fehlern der Bahnbestimmung aus der folgenden Darstellung”? °) ersehen: 

Mittlerer Fehler einer uollständigen Messung einer Koordinaten- 
differenz: 




















H. Struve Tethys-Rhea Enceladus-Tethys Dione-Rhea 

Pulkowa & 8 € 
1886 + 0”.084 + 0.077 _— 
1887 0 .089 0.093 — 
1888 0 .089 0.096 + 0.099 
1889 0.096 0.101 +0 .u7 
1890 0.104 0 .122 | +0 .105 
1891 0.104 0 .107 | + 01107 
1892 0.099 0.116 | +0 .086 


Die Abnahme der Genauigkeit mit den Jahren geht auf den 
niedrigeren Stand des Saturn, sowie auf die allmähliche Zusammen- 
ziehung des Ringes zurück, welche die Messungen erschwerte. Unter 
günstigen Verhältnissen beträgt also der mittlere Fehler einer voll- 
ständigen Messung nur + 0”.09. 

Bei den Erosbeobachtungen am 13zölligen Königsberger Re- 
fraktor erhielt H. Struve®®) als mittleren Fehler s einer vollständigen, 
auf 8 Einzeleinstellungen beruhenden Koordinatenmessung bei 200- 
facher Vergrößerung und dunkeln Fäden & == + 0.132, bei hellen 
. Fäden s = -+ 0”.171. 

Für die Doppelsternmessungen stellen wir die Genauigkeitsangaben, 
welche W. Struve am Dorpater 9zölligen, O. Struve am Pulkowaer 
15zölligen und H. Struve am 30zölligen Refraktor aus ihren Beob- 
achtungen ableiten, zusammen !%#): 








PEERE W. Struve OÖ, Struve H. Struve 
&, 8-5p £, | 8% & I 8 &n 
<ri +2 | +0” | +7 | +5 | +0 | +0. 
u .15 .08 .12 .08 a ‚05 
2—4 SER .12 ‚i8 .12 ‚il .07 
4—8 .22 ‚18 14 18 .10 .08 
8—-12 .27 ‚20 20 .26 4 08 
12—-16 | .28 22 .20 26 
16-—24 29 .28 ‚19 1 13 u 
24—32 ‚30 ‚30 ‚18 .24 




















152°) H. Siruve '*?), p. 65. 

153) H. Strwve, Mikrometermessungen von Eros, Königsb. Beob. 41 (1903), p. 12. 

154) Für die ersten beiden nach ©. Struve'*'), p. 152, für die letzten nach 
H. Struve, Mikrometermessungen von Doppelsternen, Poulk. Obs. Centr. Nic. Publ. 
12 (1901), p. 3. 


7. e) Genauigkeit der Heliometermessungen. 275 


W. Struves Werte beruhen auf 2 s- und 2 p-Messungen, OÖ. Struwes 
auf 4 s-und 3p-, H. Struves auf je 4 Messungen in beiden Koordinaten. 

e) Die Leistungsfähigkeit des Heliometers-bei der Messung von 
Distanzen läßt sich am besten veranschaulichen durch die Vergleichung 
der Ergebnisse der heliometrischen Triangulation der Vietoria-Ver- 
gleichsterne mit den Meridianbeobachtungen®”). Jede Distanzmessung 
beruhte auf dem Mittel von 4 Einstellungen und war in strengem 
Anschluß an eine Normaldistanz zweier „Standard stars“ abgeleitet; 
die mittleren Fehler enthalten also auch den Fehler der Normaldistanz- 
messung in sich, sind dafür aber von der Unsicherheit des anzuwenden- 
den Skalenwerts unabhängig. Die Zusammenstellung gibt den zu- 
fälligen mittleren Fehler &, (aus der inneren Übereinstimmung), den 
tatsächlichen mittleren Fehler & und den systematischen e (aus der Ver- 
gleichung mit den Meridianbeobachtungen) !°**) einer Distanzmessung: 





Cape (190"= Öffnung) 
































| a Finlay 
\ we 5 c & & € 
Distanz | ,8_7.8 | 79-85 | 
1000” 1 +0”.10 | +0”.11 !+0”.13 | +0”.08 | +0".18 | +0”.15 | + 0”.07 
2000” 12 1a 16 | + ..01 .16 .18 .00 
3000” 14 17 + ,0 .18 a u 
4000” 17 .20 2|+ 1 .20 25 00 
5000” .18 ‚22 241 —  .06 ‚23 28 | — .06 
6000” .20 ‚24 2686| — .04 .25 3831| —...18 
7000” .21 ‚26 .28 .00 Be 18 






































Chase Jacoby 
&, | | 
i nn ag € c & | 8 | € 
Distanz | 5583| 83-85 | 
1000 | +0,22 | +0.32 | +0”.81 | +0”.14 Bon + 0".24 | + 0.18 
2000” ‚25 ‚85 32|+ .08 RR Re a 
3000” ‚28 ‚39 34 | + .08 2. 3232| + 18 
4000” ‚30 42 WE: ba 88 | .00 
5000” ‚38 AA Bel Ge re PR TEREEISR N 
6000” ‚8b Ab “1.18 BER a re 
7090 .36 47 44 | — .08 se REN PR TE SRER N | 

















154*) Siehe D. Gill ete.?°), Cape Obs. Ann. 6 (1897), p. 113 und p. 280 bis 231. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 19 


276 Vle»,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 





Göttingen (162”m Öffnung) 























. Schur ; Ambronn 
Distanz 
8 | & | e & | & c 

1000” | + 0.18” | +0"19 | +0”.20 +0”21 | +0”1a 
2000 .22 28:1 0.08 s 25 + .02 
3000” .25 | 231 + .89 $ 30 |.—..11 
4000’ Mr; BR; | ..,08 io) SA mo ı 11 
5000” 3 ig ang i= 201... 58 
6000” 38 | ae © En 
7000” | 35 | N weg 








Durchschnittlich wird man den mittleren Fehler einer solchen 
Distanzmessung an den größeren Heliometern bei mittleren Distanzen 
zu + 0”.25 veranschlagen können. Vgl. auch Nr. 8. 

Eine wesentlich größere Genauigkeit liefert das Heliometer bei 
der Messung von Distanzdifferenzen, wie sie zur Bestimmung von 
Sternparallaxen ihre klassische Anwendung gefunden haben. So be- 
trug der 

Mittlere Fehler & einer Distanzdifferenz: 











Beobachter | BHeliometer | Öffnung 8 

Gall !55) | Cape, altes | 4 Zoll + 0.19 
Gi | Cape, neues :, +0 11 
Peter ®®) li.  Leipsig | ER Fo 1 


d) Photographische Beobachtungen. 

Zur Charakterisierung der Genauigkeit der photographischen Orts- 
bestimmung gibt Thiele!®) für dem mittleren Fehler einer Distanz- 
messung, aufgenommen am Pariser photographischen Refraktor, folgende 
Daten an: Der allein von den zufälligen Messungsfehlern berrührende 
Teil &, beträgt in Bogensekunden: 


Er Via (0.0216 -+- 0.0019 (d — 5,5), 


worin $ die Distanz, d den Sternscheibchendurchmesser in Bogen- 
sekunden, n die Zahl der Einstellungen bedeutet. Für s = 1000”, 
d= 5". b, n=3 wird = + 0.086. Als konstanten, von der 








iso) D. Gil, Researches on stellar parallax made with the Cape helio- 
meter, Cape Obs. Ann. 8, part 2 (1900), p. 138B. 

156) T. N. Thiele, Note sur l’application de la photographie aux mesures 
mierome6triques des &toiles, Comit6 carte du ciel bull.°") 1, Paris 1887, p. 51. 


7. d) Genauigkeit der photogrephischen Beobachtungen. 277 


Deformation der Sternscheibchen herrührenden Betrag s, findet er: 
&,= + 0”.092, und von der Schichtverziehung herrührend: e, = + 0”.098, 
so daß ein Gesamtfehler von + 0".15 resultiert, der durch keine Ver- 
mehrung der Messungen auf ein und derselben Platte erniedrigt werden 
kann. Ganz ähnliche Zahlen findet Wüsing!®’): + 0.098, + 0”.102, 
+ 0”.105, insgesamt + 0".18. 

Größer sind die Fehler bei den rechtwinkligen Koordinaten der 
Aufnahmen der photographischen Himmelskarte. So findet Scheiner'°®) 
im Durchschnitt zweier Beobachter für den mittleren Fehler einer zwei- 
maligen Pointierung auf die Sternbilder + 0”.091'3°), der Gitterstriche 
+ 0”.042, woraus als mittlerer Fehler einer Koordinate + 0.10 folgt. 
Die Vergleichung beider Beobachter liefert hingegen hierfür den 
Wert + 0”.15, welcher durch die verschiedene Auffassung der Stern- 
scheibchen und Gitterstriche zu erklären ist. Mit Einrechnung des 
konstanten Plattenfehlers folgt als mittlerer Fehler der auf die Platten- 
mitte bezogenen rechtwinkligen Koordinaten + 0".19. Hingegen ergibt 
die Vergleichung derselben Sternörter aus zwei verschiedenen Platten 
+ 0”.24. Genau denselben Wert findet M. Loewy für die Örter der 
Pariser Zone der photographischen Himmelskarte!). Diese starke 
Steigerung beruht zweifellos auf systematischen Fehlerquellen, deren 
Studium daher auch für die photographischen Aufnahmen dringend 
notwendig ist (vgl. p.247—250). Vorderhand wird sich über die Zuver- 
lässigkeit der photographischen Festlegung der Sternörter und damit 
ihre Verwertbarkeit für die astronomische Koordinatenbestimmung 
kaum ein abschließendes Urteil fällen lassen. Die durch die obigen 
Zahlen dargestellte Genauigkeit steht hinter guten Fadenmikrometer- 
messungen weit zurück und übertrifft auch die an Meridiankreisen 
erzielte Genauigkeit nicht sehr erheblich. Doch ist zu erwarten, daß 
sie unter günstigen Verhältnissen und bei strenger Kritik der Fehler- 
quellen noch ganz bedeutend gesteigert werden kann. Eine Aussicht 
darauf eröffnet die weit größere Genauigkeit, die in der relativen 
Koordinatenfestlegung — ähnlich wie beim Heliometer — z. B. durch 


157) J. Wilsing, Über die Genauigkeit photographischer Messungen, Astr. 
Nachr. 141 (1896), p. 89. 

158) J. Scheiner, Photographische Himmelskarte °*®), p. XX-- XXL 

159) Für die achtmalige Pointierung eines einzelnen Sternbildes findet 
J. C. Kapteyn, The parallax of 248 stars, Groningen Labor. Publ., Heft Nr. ı, 
Groningen 1900, p. 33, einen mittleren Fehler von + 0°’.120. 

160) Observatoire de Paris, Catalogue photographique du ciel, coordonndes 
rectilignes 1, Paris 1902, p. [7]; vgl. auch Conf. astrophot 190005) Circulaires 
8 et 9, Paris 1901 et 1902. 

19* 


278 VlIa,5. Frits Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Anschluß eines Sterns am günstig ausgewählte Vergleichssterne und 
möglichste Gleichartigkeit der Beobachtungsumstände bei der Paral- 
laxenbestimmung (s. auch Nr. 8) erzielt worden ist. So findet 
F. Schlesinger‘®*) als mittleren Fehler einer solchen Ortsbestimmung 
am 40-Zöller der Yerkes-Sternwarte & = + 0.045 und A. R. Hinks 
und H. N. Russell") erhalten aus 10 Sternen, die auf Parallaxe unter- 
sucht und an 6-—9 Vergleichsterne auf 5—8 Platten angeschlossen 
sind, im Mittel = + 0”.065. 

Ähnliche Erfolge erzielt J. C. Kapteyn“®) bei seiner Methode, 
Parallaxen und Eigenbewegungen aus ganz geringen Koordinaten- 
differenzen abzuleiten (s. Nr. 8). 


e) Erwähnt sei endlich noch die hervorragende Genauigkeit, welche 
bei den Beobachtungen nach der Taleott-Horrebow-Methode (vgl. p. 105 
und p. 220) wit verhältnismäßig kleinen Instrumenten — vier der 
Zenitteleskope der:internationalen Breitenstationen haben eine Öffnung 
von 108 mm, eins von 81 mm, eins nur von 68 mm, die Vergrößerung 
ist rund 100fach — erzielt wird. Von den Ergebnissen, bezüglich 
deren im einzelnen auf die umfangreichen Publikationen des „Zentral- 
bureaus der Internstionalen Erdmessung“!%) verwiesen werden muß, 
sei hier nur erwähnt, daß sich der zufällige mittlere Fehler eines Stern- 
paares im Mittel der 6 Stationen zu + 0”.16 (= 0.9 u) ergeben hat; 
dazu kommt allerdings noch ein systematischer Stationsfehler hinzu, 
der individueller!#*) oder instrumenteller Natur sein, vor allem aber 
von Refraktionsanomalien herrühren kann. Die zahlreichen Beob- 
achtungen haben die momentane Polhöhe mit einem mittleren Fehler 
von wenigen 0.01 an jedem der 6 Orte bestimmen lassen, so daß 


161) F. Schlesinger, On the stellar parallax plates taken with the Yerkes 
telescope, The Astrophysical Journal 20, Chicago 1904, p. 123 ff. 

162) H. N. Russell, Stellar parallax papers, Lond. Astr. Soc. Monthly Not., 
65 (1906), p. 787 und 67 (1907), p. 132. 

163) Centr.-Bur. Erdm. Veröff., insbesondere die „Resultate des internatio- 
nalen Breitendienstes“* I von Th. Albrecht, TI von Th. Albrecht und B. Wanach, 
Centr.-Bur. Erdm. Veröff., N. F. Nr. 8 und 18, Berlin 1903 und 1906 (Albrecht, 
Breitendienst, Resultate). Vgl. auch 7%. Albrecht, Bericht über den derzeitigen 
Stand der Erforschung der Breitenvariation im Dezember 1897, am Schlusse 
des. Jahres 1898, am Schlusse des Jahres 1899, gleichfalls Centr.-Bur. Erdm. 
Veröff., Berlin 1898, 1899, 1900 (Albrecht, Breitenvariation, Berichte). 

163°”) So fand sich auf der Station Gaithersburg eine systematische 
Differenz zweier Beobachter von 0’°.10; vgl. Albrecht, Breitendienst, Resultate ’*®), 
I (1903), p. 167. 


8. Die Abgrenzung des Arbeitsfelde«. 979 


im Mittel die Bewegung des Pols mit einer + 0".01 kaum über- 
steigenden Unsicherheit festgelegt erscheint. Über die Deutung 
mancher durch diese Schärfe der Beobachtungen zutage getretenen 
systematischen Erscheinungen herrschen noch Meinungsverschieden- 
heiten !*%), 


8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes und das Ineinander- 
greifen der verschiedenen Instrumente und Beobachtungsmethoden, 
Eine Verteilung der Aufgaben, welche die astronomische Ortsbestim- 
mung bietet, auf die verschiedenen Instrumente kann naturgemäß 
nicht mit absoluter Bestimmtheit gegeben werden. Die Entscheidung 
hängt oft einmal von den verfügbaren Hilfsmitteln, dann von dem 
subjektiven Empfinden ab und ändert sich bei jeder wesentlichen 
Vervollkommnung eines Instruments oder Messungsverfahrens; sie 
könnte also in jedem Falle nur für einen bestimmten Zeitraum gültig 
sein. Doch lassen sich einige allgemeine Gesichtspunkte für sie auf- 
stellen, zunächst für die absolute Ortsbestimmung, die entweder direkt 
am Meridiankreise oder indirekt durch mikrometrischen Anschluß an 
Anhaltsterne am Refraktor erfolgen kann. Die Ortsbestimmung am 
Meridiankreise ist im allgemeinen bequemer, da sie ein fertiges Re- 
sultat gibt; die mikrometrische, visuelle oder photographische Messung 
am Refraktor ist an sich genauer, setzt aber günstig gelegene und 
sicher bestimmte Vergleichsterne voraus. Die stets wachsende Zahl 
der letzteren verschiebt einerseits die Sachlage zu gunsten des Re- 
fraktors, andererseits hat gerade die Genauigkeit der Meridianbeob- 
achtungen in dem letzten Jahrhundert eine außerordentliche Steigerung 
erfahren. In neuerer Zeit ist hinzugekommen der Gegensatz der 
visuellen und der photographischen Beobachtungsmethode, der sich 
indessen wesentlich auf den Refraktor beschränkt!®). 





164) Vgl. H. Kimura, On the existence of a new annual term in the varia- 
tion of the latitude, Astr. Nachr. 158 (1902), p. 233, ferner Th. Albrecht !°®) 
und R. Schumann, Numerische Untersuchungen über Polhöhenschwankung und 
Aberrationskonstante, Astronomische Abhandlungen, als Ergänzungshefte zu 
den Astr. Nachr. hrag. von H. Kreutz, Nr. 11, Kiel 1906 und Astr. Nachr. 173 
(1906), p. 209; sowie das Referat von E. Großmann über Schumanns Arbeiten in 
Astr. Ges. Vjs. 42 (1907), p. 265—287. 

165) Betreffs photographischer Methoden der geographischen und astrono- 
mischen Ortsbestimmung vgl. VI23 (Wirtz), Nr. 25; außerdem in bezug auf die 
Anwendung der Photographie bei Meridianbeobachtungen z. B. (J. @. Hagen), 
The Photochronograph and its application to star transits; sowie (J. G@. Hagen), 
Photographic transits of 161 stars [beide Arbeiten sind Publications of the 
Georgetown College Observatory (Washington)], Washington 1891, 1896; in bezug 
auf photographische Polhöhenbestimmungen nach der Horrebow- Talcott- Me- 


280 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


Abgesehen von den fortlaufenden Beobachtungen der Sonne, der 
Fundamentalsterne und der großen Zahl hellerer Sterne überhaupt, 
die unzweifelhaft dauernd die Domäne des Meridiankreises resp. des 
Passageninstruments und des Vertikalkreises bilden werden, hat man 
bisher auch stets den Mond, die großen und die hellsten kleinen 
Planeten am Meridiankreise beobachtet. Neuerdings macht sich das 
Bestreben geltend, die Ortsbestimmung dieser Himmelskörper zur Er- 
höhung ihrer individuellen Genauigkeit der differentiellen Meßmethode 
zu überweisen, und zwar speziell dem Heliometer!‘®). Ob die neuer- 
liche Einführung des Repsoldschen Mikrometers mit seinen schwer- 
wiegenden Vorteilen gerade bei Beobachtung von Sternscheiben nicht 
wieder einen Rückschlag zu gunsten der Meridianbeobachtung be- 
wirken wird, läßt sich. noch nicht übersehen. Nur für den Mond, 
dessen schnelle Bewegung eine möglichst häufige, schärfste Fest- 
legung seines Orts wünschenswert macht, wird man wohl allmählich 
zur Anschlußbeobachtung übergehen. Die ersten Anfänge dazu liegen 
in der üblichen Beobachtung der Bedeckung zahlreicher Sterne bereits 
vor, deren Örter nachträglich am Meridiankreise bestimmt werden. 
Wie weit man die Helligkeitsgrenze der am Meridiankreise zu beobach- 
tenden Fixsterne hinausschieben will, während man die Gesamtmasse 
der schwächeren der Photographie überläßt, ist noch unentschieden. 
In jedem Falle muß der Meridiankreis die zur Reduktion der Platte 
erforderlichen Anhaltsierne liefern und hat damit, da z. B. bei der 
photographischen Himmelskarte alle Sterne bis zur 9%" Größe etwa 
als Anhaltsterne benutzt zu werden pflegen, immer noch ein sehr 
großes Arbeitsfeld. Denn es handelt sich nicht nur um die ein- 
malige Fixierung der Örter dieser über eine Viertelmillion betragenden 
Sterne, sondern um die Kenntnis ihrer Eigenbewegungen, die nur durch 
einen längeren Zeitraum überspannende Beobachtungen erlangt werden 
kann. Über diese Verarbeitung der Meridianbeobachtungen vgl. VI2,2 
(F. Cohn), p. 66—70. 

Bezüglich der Verteilung der Anschlußbeobachtungen, sowie aller 





thode vgl. z. B. A. Marcuse, Bemerkungen über die photographische Polhöhen- 
methode, '‘Astr. Nachr. 150 (1899), p. 101, für andere Methoden der Polhöhen- 
bestimmung K. Schwarzschild, Astr. Nachr. 164 (1908), p. 1 und (1904), p. 177. 
Hier verdient auch die „stereoskopische Methode‘ der Parallaxenbestimmung 
Erwähnung; vgl. C. Pulfrich, Kritische Bemerkungen über neuere Methoden der 
Entfernungsbestimmung der Fixsterne, Astr. Nachr. 168 (1906), p. 67. 

166) S. Neweomb, Considerations on the best method of determining posi- 
tions of the planets by observation, Astron. Journ. 13 (1894), p. 191. Vgl. auch 
D. @iNl, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 54 (1894), p. 851. 


8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes: a) Sonnenparallaxe. 281 


Objekte, deren relative Örter allein von Interesse sind (Doppelsterne, 
Sternhaufen, Satelliten), auf die verschiedenen differentiellen Methoden 
ist allgemein zu sagen, daß gegenwärtig alle individuellen Aufgaben 
(Einzelbeobachtung von Kometen, kleinen Planeten, Doppelsternen, 
Satelliten) der visuellen Fadenmikrometermessung, hingegen jede Massen- 
arbeit (Durchmusterung, Sternhaufen), sowie alle Beobachtungen eines 
einzelnen Objekts, bei denen es sich um schnelle Beschaffung eines 
großen Materials handelt (vgl. unten die Erosopposition 1900—01), der 
Photographie zufallen. Für manche Spezialaufgaben, in denen eine 
besondere Genauigkeit erstrebt wird, wendet man vorzugsweise und 
mit Erfolg das Heliometer an (z. B. bei der Festlegung eines Netzes 
von Fixpunkten für die photographische Vermessung von Sternhaufen). 

An zwei Beispielen mag das Ineinandergreifen oder Zusammen- 
wirken der verschiedenen Beobachtungsmethoden veranschaulicht 
werden. 


a) Die Kooperation zur Bestimmung der Sonnenparallaxe aus 
Beobachtungen kleiner Planeten: die Iris-, Vietoria- und Sappho- 
opposition (1888—89) und die Erosopposition (1900—01). 

‚Das Prinzip dieser Methode zur Bestimmung der Sonnenparal- 
laxe ist, die parallaktische Ortsverschiebung eines uns besonders nahe 
kommenden kleinen Planeten von den Endpunkten einer möglichst 
großen Basis bekannter Länge aus durch differentiell-mikrometrischen 
Anschluß an geeignete Fixsterne zu messen und aus seiner so erhal- 
tenen linesren Entfernung die der Sonne nach dem dritten Keplerschen 
Gesetz zu berechnen. Die Endpunkte der Basis bilden entweder zwei 
Erdorte oder die verschiedenen Orte, die ein Erdort infolge der Um- 
drehung der Erde zu verschiedenen Tageszeiten im Raume einnimmt 
(„tägliche Methode“). Die Idee der Methode entwickelte J. @. Galle 
und wandte sie 1873 zuerst an!®”); doch waren die Ergebnisse der 
Refrektorbeobachtungen nicht völlig befriedigend, und eine analoge 
Unternehmung im Jahre 1882 scheiterte völlig'®). Die erste An- 
wendung des Heliometers geht auf @ill zurück, der schon im Jahre 
1874, aber unter ungünstigen Verhältnissen, auf den Planeten Juno 
in Mauritius die „tägliche Methode“ anwandte'°). Die nächste 


167) J. @. Galle, Über die Anwendung der kleinen Planeten zur Ermitte- 
lung des Wertes der Sonnenparallaxe, Astr. Nachr. 80 (1873), p. 1; und: 
J.G@. Galle, Über eine Bestimmung der Sonnenparallaxe aus korrespondierenden 
Beobachtungen des Planeten Flora, Breslau 1875, 

168) Vgl. D. GiU®°), Cape Obs. Ann. 6 (1897), p. XVII. 

169) J. L. Lindsay and D. Gill, Mauritius expedition 1874, division 1: 


282 VlIz,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


günstige Gelegenheit bot die Opposition der Planeten Iris (1888), 
Vietoria und Sappho (1889)”®). Bei ihrer hinreichenden Helligkeit 
konnte die eigentliche Beobachtungsreihe dem Heliometer — in Aus- 
sicht genommene photographische Messungen kamen nicht zur Aus- 
führung — überwiesen werden. Die Planeten wurden an den Helio- 
metern von Cape, Newhaven, Oxford, Leipzig, Bamberg und Göttingen 
durch Distanzmessung —- auch einige Positionswinkel wurden ge- 
messen -—— an ein System von Vergleichsternen angeschlossen, welches 
im nahen Anschluß an die Planetenbahnen im voraus ausgewählt 
war. Diese Auswahl war so erfolgt, daß, wenn möglich, der Planet 
zwischen zwei diametral in gleichen Abständen gegenüberstehende Sterne 
eingehängt wurde, um von allen Instrumentalfehlern unabhängig zu 
werden; die Richtung der Sterne war so gewählt, daß entweder in 
Distanz oder im Positionswinkel ein möglichst großer parallaktischer 
Faktor erzielt wurde. Im Falle nicht zu vermeidender einseitiger 
Anschlüsse war gleichzeitige Messung von Normalsternen (standard 
stars) vorgeschrieben. Die Örter dieser Sterne wurden an zahlreichen 
Meridiankreisen beobachtet, zugleich aber — wenigstens im Falle der 
Vietoria — durch eine heliometrische Triangulation in sich fest- 
gelegt. Bei dieser letzteren kamen nur Distanzmessungen zur ‘Än- 
wendung, die in geeigneter Weise auf die an jedem Abend mehrmals 
gemessene Normaldistanz gewisser „standard stars“ bezogen wurden. 
Durch Vergleichung der beiden Ortsbestimmungen konnten die syste- 
matischen Fehler beider Beobachtungsarten, die Helligkeitsgleichung 
der Meridianbeobachtungen und die von der Größe der Distanz ab- 
hängigen Fehler der Heliometermessungen ermittelt werden. Die so 
erzielte Elimination aller instrumentellen und persönlichen Fehler- 
quellen war eine so vollständige, daß der Ort des Planeten mit einer 
bis dahin unerreichten Sicherheit festgelegt wurde. Um diese Ge- 
nauigkeit ausmutzen zu können, d. h. die Unterschiede zwischen 
Theorie und Beobachtung rechnerisch auf 0”. 01 scharf zu erhalten, 
war eine achtstellige logarithmische Ephemerjdenrechnung erforderlich. 
Wie die entsprechenden Heliometermessungen des Mars anläßlich 
seiner Opposition von 1877 D. Gil zur Auffindung eines Fehlers 
kurzperiodischer Natur von 0”,376, Periode 13.6 Tage'*®), in der Ephe- 
meridenrechnung geführt hatten, so ergab hier die Vergleichung ein 
Glied von monatlicher Periode und dem Betrage 0”.25, das sich 
unzweifelhaft auf eine fehlerhafte Annahme der in die monatliche 





Determination of the solar parallax by observations of the minor planet Juno, 
Dun Echt Observatory Publications 2, Dun Echt bei Aberdeen 1877. 


8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes: a) Sonnenparallaxe. 283 


Bewegung der Erde um den gemeinsamen Schwerpunkt Erde-——Mond 
eingehenden Mondmasse zurückführen ließ. Es gelang, die Mondmasse 
mit einer ungewöhnlichen Sicherheit abzuleiten: 


Erdmasse 
Mondmasse — 75 4-0.141’ 
und damit diese Methode als eine für diesen Zweck besonders ge- 
eignete zu erweisen. In der Bestimmung der Sonnenparallaxe n 
wurde ein ebensolcher Erfolg erzielt. Erstens gaben die drei Planeten 


einzeln 
Iris x = 8”.812 + 0”.014, 


Vietoria 8”,801 + 0”.009, 
Sappho 8”.798 + 0.017, 


und zweitens gab die „tägliche Methode“, auf die Beobachtungen der 
Victoria am Kap allein angewandt, genau den gleichen Wert: 8.801, 
jedenfalls als besten Beweis der gelungenen Elimination der Fehler. 

Der Planet Eros war bei seiner Opposition von 1900-—01, in der 
er der Erde noch weit näher kam als die genannten drei Planeten, für 
die meisten Heliometer zu schwach, seine Beobachtung fiel daher der 
Refraktorbeobachtung, und zwar der visuellen mit dem Fadenmikro- 
meter oder der photographischen zu. Auf das durch zahlreiche 
Meridianbeobachtungen festgelegte System der fast 700 Anhaltsterne 
(etoiles de repere) wurde ein weit engeres Netz von eigentlichen 
Vergleichsternen (eloiles de comparaisen) in enger Nachbarschaft der 
Planetenbahn photographisch bezogen. Erst an diese Vergleichsterne 
wurde der Ort des Planeten an zahlreichen Sternwarten auf eine 
der beiden obigen Arten mikrometrisch angeschlossen, in Stunden- 
winkeln und Koordinstenrichtungen, die einen möglichst großen paral- 
laktischen Effekt. hervorbrachten. Eine Entscheidung über die Vor- 
züge der einen oder der anderen Methode liegt zur Zeit noch nicht 
vor!'), Dem unbestreitbaren Vorteile der photographischen Methode, 
der schnellen Beschaffung eines umfangreichen Materials, das später 
nach mancherlei Gesichtspunkten auf systematische Fehler hin dis- 
kutiert werden kann und allerdings auch muß, steht der Nachteil 
gegenüber, daß das Bild des bewegten Planeten auf der Platte als 
Strich erscheint, dessen Pointierung systematischen Fehlern unter- 
liegen kann. | 

b) Bestimmung der Fixsternparallaxen. Abweichend von der 
im allgemeinen erforderlichen Kenntnis der absoluten Koordinaten 


170) Vgl. Conf. astrophot. 1900 19%), circulaires 1—12, Paris 190007. 


284 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente. 


eines Gestirns oder seiner relativen gegen ein anderes handelt .es sich 
bei manchen Aufgaben, die in das Gebiet der astronomischen Orts- 
bestimmung fallen, nur um die Veränderungen, welche diese relativen 
Koordinaten im Laufe der Zeit, sei es durch die eigene, sei es durch 
die Bewegung der Erde, erleiden. Vor allem ist dies bei der Be- 
stimmung relativer Fixsternparallaxen der Fall. Die heutige Ge- 
nauigkeit der astronomischen Beobachtungen gestattet es noch immer 
nicht, die Dimensionen der kleinen parallaktischen Ellipse, welche 
alle Fixsterne infolge des jährlichen Umlaufs der Erde um die Sonne 
beschreiben, durch absolute Beobachtungen mit hinreichender Schärfe 
festzulegen, da sie nur in vereinzelten Fällen 0”.2 überschreiten. 
Man muß sich daher damit begnügen, die Parallaxen der Sterne, von 
denen man vermutet, daß sie uns besonders nahe seien, — der helleren, 
schnellbewegten, der Doppelsterne von schneller Umlaufsbewegung 


bei weiter Bahnöffnung — durch Anschluß an andersartige — 
schwächere, schwach bewegte und demnach vermutlich weiter ent- 
fernte — Nachbarsterne als relative zu bestimmen. Dazu ist nur 


eine möglichst scharfe Bestimmung der Änderung, welche diese Ko- 
ordinatendifferenz im Laufe eines Jahres erleidet, erforderlich; die 
fortschreitende Änderung entspringt der relativen Eigenbewegung, die 
periodische der relativen Parallaxe beider Sterne. Aber auch diesen 
differentiellen Messungen bereiten systematische F’ehler erhebliche 
Schwierigkeiten. Einmal ist der Verlauf der meteorologischen Ele- 
mente ebenfalls jährlich periodischer-Natur. Dann aber sind die Be- 
obachtungen an eine begrenzte Tageszeit und damit an wechselnde 
Stundenwinkel gebunden. So vermischt sich der sog. Stundenwinkel- 
effekt mit der parallaktischen Verschiebung, besonders wenn man, 
wie meist üblich, nur zu den Zeiten der parallaktischen Extreme be- 
obachtet. Früher glaubte man allein schon durch symmetrische Aus- 
wahl von Vergleichsternen zu beiden Seiten des Parallaxensterns die 
systematischen Fehler ganz zu beseitigen, indem die Parallaxe aus 
dem geringfügigen Unterschiede von Koordinatendifferenzen und seinen 
zeitlichen Änderungen abgeleitet wird. Für die hierzu erforderliche 
Auswahl passender Vergleichsterne bot das Heliometer die besten 
Bedingungen, und so hat es sich schon seit lange bei Parallaxenbestim- 
mungen aufs beste bewährt, indessen doch erst, seitdem der persön- 
liche Stundenwinkeleffekt durch systematische Anwendung von Re- 
versionsprisma, Gitterblende und möglichst kleine Winkel beim 
Durchschwingen sorgfältig eliminiert wird“). Auch die Durchgangs- 
beobachtungen am Meridiankreise, bei denen man allerdings auf die 
Beobachtung beider parallaktischer Extreme verzichten muß, erwiesen 


8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes: b) Fixsternparallaxen. 285 


sich als brauchbar zur Parallaxenbestimmung!'), da sie von jenem 
Stundenwinkelfehler völlig frei sind, und werden sich bei Einführung 
des Repsoldschen Mikrometers noch mehr dazu eignen. Die visuelle 
Beobachtung am Refraktor hat in der ersten Zeit noch nicht völlig 
befriedigendes geleistet, jedenfalls wegen des persönlichen oder instru- 
mentellen Stundenwinkeleffektes, und ist seitdem kaum wieder zur 
Anwendung gelangt. Und auch die photographische Methode hat 
erst in der neuesten Zeit begonnen, den anderen Methoden Gleich- 
wertiges zu leisten!’®), Es scheint bei ihr der Stundenwinkeleffekt 
noch kompliziertere Formen anzunehmen, teils infolge der atmo- 
sphärischen Dispersion (s. p. 247), teils infolge instrumenteller Ein- 
Nüsse (s. p. 248), die ebenfalls eine vom Stundenwinkel abhängige 
Helligkeitsgleichung erzeugten. Man könnte, wie man es wiederholt 
beim Heliometer getan hat, diesen Einfluß bestimmen, indem man 
auch zu den Zeiten der parallaktischen Indifferenz, und dann in mög- 
lichst verschiedenen Stundenwinkeln, beobachtet. Noch besser ist es, 
die Parallaxenbestimmung von ihm ganz unabhängig zu gestalten. 
Aus diesem Grunde hat J. C. Kapteyn'®) die strikte Forderung er- 
hoben, unter Verzicht auf die größtmöglichen parallaktischen Faktoren 
ausschließlich im Meridian oder eventuell einem anderen festen Stunden- 
winkel zu beobachten. Er tut dies in Verbindung mit seiner ganz 
eigenartigen Methode zur Bestimmung von Parallaxen umd Eigen- 
bewegungen en masse. Ihr Prinzip läßt sich so darstellen. Auf einer 
Platte werden zu verschiedenen Zeiten i£,, £,, i, unter kleiner Ver- 
schiebung, z. B. in «, drei Aufnahmen nebeneinander gemacht — die 
Platten bleiben inzwischen unentwickelt — und für jeden Stern der 
x-Abstand je zweier Nachbarbilder gemessen. Die Differenz &,,; — Z1ss 
setzt sich zusammen aus einer den Aufnahmen eigentümlichen, gleich- 
gültigen Konstante, aus einem von der Eigenbewegung u = u, cos ö 
herrührenden, der Differenz der Zwischenzeiten proportionalen und 
einem der Parallaxe x proportionalen, von den parallaktischen Phasen 
der Aufnahmen abhängigen Term. Bei gleichen Zwischenzeiten fällt 
die Eigenbewegung heraus, und wenn die Aufnahmezeiten drei auf- 
einanderfolgenden parallaktischen Extremen entsprechen, erhält = 
seinen Maximalfaktor (nahezu 4). Bestimmt man die Konstante so, 
daß die Summe der Parallaxen aller Plattensterne verschwindet, so 
erhält man die individuellen relativen Parallaxen der Plattensterne, 





171) J. C. Kapteyn, Bestimmung von Parallaxen durch Registrierbeob- 
achtungen am Meridiankreise, Leiden Sternw. Ann. 7 (1897), p. 117. 
172) Vgl. z.B. F. Schlesinger '*') und H. N. Russell:%, 


286 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstramente. 


bezogen aufs Mittel aller. Ähnlich kann man aus zwei Aufnahmen 
zu gleicher parallaktischer Phase — oder im obigen Beispiel aus 
%&yg + ira — die relativen Eigenbewegungen aller Plattensterne er- 
mitteln. Diese Methode ist von J. C. Kapteyn auf beide Probleme 
angewendet und zur Grundlage eines weitausschauenden Plans zur 
umfassenden Bestimmung beider für kosmologische Fragen der Stellar- 
astronomie so wichtigen Größen gewählt worden, dessen Verwirk- 
liehung er von einem Zusammenwirken zahlreicher, dazu befähigter 
Sternwarten in der nächsten Zukunft erhofft!"®). 


173) J. ©. Kapteyn, Plan of selected areas, brochure, published by the 
Astronomical Laboratory at Groningen, Groningen 19206. 


(Abgeschlossen im Sommer 1907.) 


VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 287 


t 


ED 


6. 


2% 
8 


V12,6. BESONDERE BEHANDLUNG 
DES EINFLUSSES DER ATMOSPHÄRE 
(REFRAKTION UND EXTINKTION). 


Von 
A. BEMPORAD 


IN CATANIA. 


Inhaltsübersicht. 


Einleitung. 


Allgemeines über die Wirkungen der atmosphärischen Luft auf die Licht- 
strahlen und über ihre mathematische Darstellung. 


I. Physikalische Erfshrungstatsachen. 
Abhängigkeit des Brechungsindex, bzw. der Absorptionskonstante von der 
Luftdichtigkeit. 
Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck und Höhe über 
dem Meeresniveau. 
Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate. 


1. Physikalische Hypothesen. 
Kritische Besprechung der wichtigsten Hypothesen über die Konstitution der 
Atmosphäre (Cassini, Mayer, Newion, Laplace, Kramp, Bessel, Ivory, Schmidt, 
Bauernfeind, Gylden, Kowalski, v. Oppolzer, Mendeleef- Piszetti). 
Schlußbetrachtung über die Leistungen der bis jetzt aufgestellten Hypo- 
thesen. Brunssches Verfahren. 


III. Theorie der Refraktion. 
Aufstellung des Refraktiousintegrale. 
Retraktionsformeln nach den Hypothesen von Cassini und von Mayer. Brad- 
leysche und Simpsonsche Formel. 
Orianis (Laplaces) Satz. 


10. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Besselsche Theorie. 
11. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Schmidtsche "Theorie. 
12. Vergleichstabelle der aus den wichtigsten Theorien berechneten Werte der 


KRefraktion. 


288 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


IV. Theorie der Extinktion. 


13. Aufstellung des Extinktionsintegrals. 

14. Entwicklung des Extinktionsintegrals bei der Annahme konstanter Dichtig- 
keit oder konstanter Temperatur. Lambert- und Bouguersche Formel. 

15. Laplacesche Extinktionsformel. 

16. Strengere Behandlung der Extinktionstheorie unter Annahme einer gleich- 
förmigen Temperaturabnahme mit der Höhe. 

17. Vergleichstabelle der verschiedenen Extinktionstheorien. 

18. Die terrestrische Extinktion. 

19. Die selektive Absorption. 


Literatur. 


Bibliographie: J. C. Houzeau-A. Lancaster, Bibliographie generale de 
l’Astronomie, tome 2, Bruxelles 1882, p. 370-387 (Refraktion) et p. 862—868 
(Extinktion). 

I. Befraktion. 

Für die Literatur bie 1860 vgl. ©. Bruhns, Die astronomische Strahlen- 
brechung in ihrer historischen Entwickelung, Leipzig 1861 (Bruhns, hist. Entw.). 

Das Folgende gibt eine Ergänzung und Weiterführung dieser Liste. 


a) Spezialarbeiten. 

@. A. A. (Jean) Plana, M&moire sur la connexion existante entre la hauteur 
de l’atmosphere et la loi du deeroissement de sa temperature, Memorie dell’ 
Accademia delle scienze di Torino, serie II*, tomo 15, Torino 1855, p. 1 
(Plana 1855). 

C. M. v. Bauernfeind, Die atmosphärische Strahlenbrechung auf Grund einer 
neuen Aufstellung über die physikalische Konstitution der Atmosphäre, Astr. 
Nachr. 62 (1864), p. 209—252 und Astr. Nachr. 67 (1866), p. 33—88 (v. Bauern- 
feind 1864/66). 

H. Gylden, Untersuchungen über die Konstitution der Atmosphäre und die astro- 
nomische Strahlenbrechung in derselben, St. P&t. M&m. (7) 10 (1866) und 12 
(1868) (Gylden, Refr.). 

M. Kowalski, Recherches sur la refraction astronomique, Kasan 1878 (Kowalski 
1878). 

R. Radau, Recherches sur la theorie des refractions astronomiques, Obs. de Paris 
Ann., mem. 16 (1882) (Radau 1882). 

P. Harzer, Untersuchung über die astronomische Strahlenbrechung auf Grund 
der Differentialgleichungen der elastischen Lichtbewegungen in der Atmo- 
sphäre, Astr. Nachr. 104 (1883), p. 65; Astr. Nachr. 107 (1884), p. 145; Astr. 
Nachr. 146 (1898), p. 377 (Harzer 1883 f.). 

Th. v. Oppolzer, Über die astronomische Refraktion, Wien Denkschr. 53 (1887), 


1. Abteilung, p. 1 (Oppolzer 1887). 
R. Radau, Essai sur les röfractions astronomiques, Obs. de Paris ann., m&m.19 (1889) 


(Radau 1889). 
H. Bruns, Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Leipzig Ber. 43 


(1891), p. 164 (Bruns 1891). 


Literatur. 289 


F. Hausdorff, Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Leipzig Ber. 
48 (1891), p. 481 (Hausdorff, Refr., 1891) sowie Leipzig Ber. 45 (1893), p. 758. 

J.v. Hepperger, Zur Theorie der astronomischen Refraktion, Wien Ber. 102 (1893), 
p: 821 (Hepperger 1893). 

P. Pizzetti, La rifrazione astronomica calcolata in base all’ipotesi di Mendeleef, 
Atti della R. Accademis delle scienze di Torino 33, Torino 1897, p. 213 
(Pizgetti 1897). 

J. Bauschinger, Untersuchungen über die astronomische Refraktion, Neue An- 
nalen der k. Sternwarte in München 3, München 1898, p. 41 (Bauschinger 
1898). 

E. Großmann, Beobachtungen am Repsoldschen Meridiankreise der von Kuffner- 
schen Sternwarte in Wien-Ottakring 1896-1898, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 27 
(1901), p. 1 (Großmann 1901). 

L. Courvoisier, Untersuchungen über die astronomische Refraktion, Veröffent- 
lichungen der großherzoglichen Sternwarte zu Heidelberg, astrometrisches 
Institut 3, Karlsruhe 1904 (Courvoisier 1904). 

H. Andoyer, Sur la th6orie de la refraction, Paris Bull. astr. 22 (1905), p. 404 
(Andoyer 1905). 

A. Bemporad, Sulla teoria della refrazione astronomica, Memorie della Societ& 
degli spettroscopisti italiani 34, Catania 1905, p. 191, 217, 233 (Bemporad, 
Spettrosc. 1905). 

L. de Ball, Die Radausche Theorie der Refraktion, Wien Ber. 115 (1906), p. 1863 
(De Ball 1906). 

P. Pizzetti, Intorno al calcolo della rifrazione astronomica, senza speciali ipotesi 
sul modo di variare della temperatura dell’ aria coll’ altezza, Atti della 
R. Accademia dei Lincei, anno 308 (1906), 5. serie, Rendiconti, Classe di 
scienze fisiche etc. 15, 1. semestre, Roma 1906, p. 73 (Pizzetti 1906). 

L. de Ball, Le coeffcient de dilatation de l’air et l’infiuence de l’humidite sur les 
ıefractions astronomiques, Paris Bull. astr. 24 (1907), p. 209 (De Ball 1907). 

H. G. van de Sande-Bakhuyzen, On the astronomical refractions corresponding 
to a distribution of the temperature in the atmosphere derived from balloon 
ascents, Proceedings of the section of sciences, Kon. Akademie van Wetenschappen 
te Amsterdam 9 (2"* part, 1907), Amsterdam 1907, p. 578 (Bakhuyzen 1907). 


b) Kompendien. 
Darstellungen der Refraktionstheorie finden sich unter anderem in den 
folgenden Handbüchern: 
F. R. Helmert, Die mathematischen und physikalischen Theorien der höheren 
Geodäsie [2 Bände, Leipzig 1880/84] (Helmert, Geodäsie) 2, p. 5ö8flg. 
- F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berl5' 1881, p. 155 
W. Chauvenet, A manual of sperical and practical astronomy, 5 ed. (2 vols., 
Philadelphia 1885, 1893, 1900), vol. 1, p. 127. 
Wolf, Handb. 2 (1892), p. 259—278. 
E. von Oppolzer, Artikel „Strahlenbrechung‘“‘ in Valentiner, Handwörterbuch, 
8°, Breslau 1901, p. 548. 
A. .Bemporad, Artikel „Strablenbrechung“ in A. Winkelmann, Handbuch der Physik, 
. % Aufl, Band 6 (Optik), Leipzig 1906 (Winkelmann, Handb. 6), p. 508. 
S. Neweomb, A compendium of spherical astronomy, Newyork 1906, chapter 8: 
„astronomical refraction“, p. 173— 224. 


290 VIa,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


c) Refraktionstateln. 


Giov. Dom. Cassini, Ephemerides novissimse motuum coelestium 1661-1666, 
‚additis ephemeridibus solis et tabulis refractionum, Mutinae 1662, p. 173. 
Abdruck bei J. Cassini (le fils), Tables astronomiques du soleil, de la lune, 
des plandtes, des &toiles fixes et des satellites de Jupiter et de Saturne, Paris 
1740, table 74, p.162, sowie bei Bruhns, Hist. Entw. (1861), p. 89. 

J. Newton, Tabula refractionum siderum ad altitudines apparentes, Lond. Phil. 
Trans. 31 (1721), p. 169 [abr. 6, p. 519], Abdruck in J. Newton, Opera quas ex- 
stant omnia, ed. Sam. Horsley, tomus 4, Londini 1782, p. 408, auch. bei 
J. B. Biot*?), p. 748. 3 

Tob. Mayer (1770), vgl. Fußnote 44, 

J. Bradley, Greenw. Obs. 1, London 1776, Einleitung, p. [15], erläutert p.V. Ab- 
druck in Bruhns, Hist. Entw., p. 56. 

J. Jvory, Lond. Phil. Trans. 1823, p.491ff. und 1838, p. 227f. 

F.W. Bessel, Tabulae Regiomontanae reductionum obseryationum astronomicarum 
1750—1850 computatae, Regiomonti Prussorum 1830, p. LIX et pag. 538--542. 

O. Struve, Tabulae refractionum in usum speculae Pulcovensis congestae, Petro- 
pcli 1870 [hierzu H. Gylden, Poulkova Obs. 5 (1873)]; 2. Aufl. 1905. 

Th. Albrecht, Formeln und Hilfstafeln für geographische Urtsbestimmungen, 
1. Aufl. Leipzig 1873, 3. Aufl. Leipzig 1894. Refraktionstafel 84 der 3. Auf- 
lage ist ein erweiterter Abdruck der Besselschen Tafeln. 

M. Kowalski, Tables des r&fractions, Kasan 1878. 

R. Radau, Obs. de Paris Ann., mem. 19 (1889), p. G61—G80. 

L. de Bali, Refraktionstafeln, Leipzig 1906. 


X. Extinktion., 


&) Spezialarbeiten. 

P. Bouguer, Essai d’optique, sur la gradation de la lumitre, Paris 1729 (Bouguer, 
Essai 1729). 

— Trait6 d’optique sur la gradation de la lumiere, Ouvrage postume, publie par 
Vabb& de Lacaille, Paris 1760 (Bouguer, Traite 1760). 

J..H. Lambert, Photometria, sive de mensurs et gradibus luminis, colorum et 
umbrae, Augustae Vindelicorum 1760. Deutsch herausgegeben wit Anmer- 
kungen von E. Anding in 3 Heften, Ostwalds Klassiker der exakten Wissen- 
schaften Nr. 31—38, Leipzig 1892 (Lambert, Photometria 1760). 

P.S. de Laplace, Trait6 de mecanique eeleste 4, Paris 1805, seconde partie, 
livre 10, chapitre 3: De l’extinetion de la lumiöre des astres dans l’atıno- 
sphöre terrestre, et de l’atmosphere du soleil =Üeuvres 4, Paris 1880, p. 288 
(Laplace 1805). 

J. D. ‚Forbes, On the transparency of the atmosphere and the law of extinetion 
of the solar rays in passing through it, Lond. Phil. Trans. 1842, p. 225 (Forbes 
1842). 

1.. Seidel, Untersuchungen über die gegenseitigen Helligkeiten der Fixstern» 
erster Größe, über die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre, über die 
Helligkeit der Sonne usw., München Abh. 6 (1852), p. 541. 

—, Resultate photometrischer Messungen an 208 Fixsternen, Münch. Abh. 9 
(1861—68), p. 419. 


J. 


@. 


Literatur. ; 291 


Maurer, Die Extinktion des Fixsternlichtes in der Atmosphäre in ihrer Be- 
ziehung zur astronomischen Refraktion, Diss. Zürich 1882 (Maurer, Diss. 1882). 
Müller, Photometrische Untersuchungen, 2, Abschnitt: Untersuchungen über 
die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre, Publikationen des Astrophysi- 
kalischen Observatoriums zu Potsdam 3, Potsdam 1883, Abhdl. Nr. 12, p. 227 
(Müller 1883.) 


8. P. Langley, On the amount of the lnsherie absorption, American Journal 


H. 


F. 


E. 


Vv. 


of Science (3) 28, New Haven 1884, p. 163 (Langley, Amer. Journ. 1884). 
Researches on solar heat and its absorption by the earth’s atmosphere, a 
xeport of the Mount Whitney expedition, Professional papers of the Signal 
Service, United States War Department, Nr. 15, Washington 1884 (Langley, 
Sign. Serv. 1884). 

Müller, Photometrische und spektroskopische Beobachtungen, angestellt auf 
dem Gipfel des Säntis, Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums 
zu Potsdam 8, Potsdam 1893, Abhdl. Nr. 27 (1891), p. 1 (Müller 1891). 


Seeliger, Über die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre, Sitzungsberichte 
der Akad. d. Wiss. zu München, math.-physik. Klasse, 21 (1891), p. 247 
(Seeliger 1891). 

Hausdorff, Über die Absorption des Lichtes in der Atmosphäre, Leipzig Ber. 
47 (1895), p. 401 (Hausdorff, Extinkt., 1895). 

Müller und P. Kempf, Untersuchungen über die Absorption des Sternenlichts 
in der Erdatmosphäre, angestellt auf dem Ätna und in Catania, Publikationen 
des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam 1i, Potsdam 1898, Ab- 
hal. Nr. 38, p. 209 (Müller-Kempf 1898). ° 
Oddone, Sul coefficiente medio di trasparenza. dell’ aria per grandi visuali 
terrestri, Rendiconti del Reale Istituto Lombardo di seienze e lettere (2) 34 
(1901), Milano 1901, p. 511 [mit weiteren Literaturnachweisen) (Oddone 1901). 


. Bemporad, Sulla teoria d’ estinzione di Bouguer, Memorie della Societä degli 


spettroscopisti italiani 30, Catania 1901, p. 217 (Bemporad 1901). 

Zur Theorie der Extinktion des Lichtes in der Erdatmosphäre, Mitteilungen 
der Großherzogl. Sternwarte zu Heidelberg, Astrometr. Institut, Heft 4, Karls- 
ruhe 1904 (Bemporad, Extinkt., Heidelb. Mitt. £, 1904). 

L’assorbimento selettivo dell’atmosfera 'terrestre sulla luce degli astri, Attı 
della R. Accademia dei Lincei, anno 301 (1904), 5. serie, Memorie della classe 
di scienze fisiche e naturali 5, Roma 1904/05, p. 233 (Bemporad, Lincei 
1905). 

Cerulli, Sull’ integrale dell’ estinzione, Memorie della Societä degli spettro- 
scopisti italiani 35, Catania 1906, p. 39 (Cerulli 1906). 


A. Bemporad, Sopra un nuovo sviluppo singolarmente convergente per |’ inte- 


grale della estinzione secpndo la teoria di Bouguer, Atti dell’ Accademia 
Givenia di scienze naturali in Catania, anno 83 (1906), serie 4*, 19, Catania 
1906 (Bemporad 1906). 


— ® L. Mendola, L'assorbimento selettivo delle radiazioni caloritiche, Memorie 


della Societä degli spettroscopisti italiani 36, Catania 1907, p. 165 (Bemporad- 
Mendola 1907). 


— Nuova riduzione delle osservazioni pireliometriche di K. Ängström all’ isola 


di Teneriffa, Atti dell’ Accademia Gioenia di scienze naturali in Catania, 
anno 85 (1908), serie 5*, 1, Catania 1908, p. II, 1 (Bemporad 1908), 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 20 


292 Vle,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


b) Kompendien. 

G. Müller, Die Photometrie der Gestirne, Leipzig 1897, p. 110 (1. Abschnitt, 
Kap. 3): Die Extinktion des Lichtes in der Erdatinosphäre (Müller, Photo- 
metrie). 

4. Bemporad, Artikel „Extinktion“ in A. Winkelmann, Handbuch der Physik, 
2. Aufl., Band 6 (Optik), Leipzig 1906 (Winkeimann, Handb. 6), p. 538. 


e) Extinktionstafeln. 

4. Seidel, Münch. Abh. 6 (1852), p. 581 und p. 599. 

-- Münch. Abh. 9 (1861/63), p. 503 („Korrigierte Tafel‘). 

(7. Müller, Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam, 
3, Potsdam 1883, 12. Stück, p. 268--269 nebst Tafel 39 (Müller, , Ext.- 
Tafel 1883). 

-— Die Photometrie der Gestirne 1897 (siehe unter b), p. 515--516. 


Einleitung. 


1. Allgemeines über die Wirkungen der atmosphärischen 
Luft auf die Lichtstrahlen und ihre mathematische Darstellung. 
Die Strahlen der Gestirne werden auf ihrem Wege durch die Erd- 
atnrosphäre in mannigfältiger Beziehung beeinflußt. Sie werden zu- 
nächst von ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt (Refraktien); ihre 
ursprüngliche Leuchtkraft wird abgeschwächt (Extinktion); ihre Fär- 
bung wird eine andere (selektive Absorption); ferner werden sie auch 
je nach ihrer Farbe verschieden gebrochen (atmosphärische Dispersion')) 
und in allen Richtungen reflektiert (Diffusion); die rasch hinterein- 
ander folgenden Änderungen dieser Wirkungen geben uns endlich das 
Phänomen der Seintillation?). 

Nachfolgende Tabelle soll den Gang der Refraktion, Dispersion 
und Extinktion mit wachsender Zenitdistanz veranschaulichen. Sie ent- 


t) Über Messungen der utmosphärischen Dispersion vgl. P. Henry, Paris 
©. R. 112 (1891), p. 377; H. Seeliger, München Ber. 21 (1891), p. 246/246; 
H. Kayser und ©. Runge, Die Dispersion der atmosphärischen Luft (zitiert in 
Fußn. 9), sowie Annalen der Physik (8) 50, Leipzig 1893, p. 293—315. 
H. Kayser, Handbuch der Spektroskopie 1, Leipzig 1900, p. 360. 

Über Messungen der photographischen Refraktion und den Einfluß der 
atmosphärischen Dispersion auf Sternörter vgl. p. 247, Fußnote 101 und 102. 

2) Über Szintillation vgl. K. Eamer im „Repertorium der Physik“, hrag. v. 
Ph. Carl und F. Exner, 23, München/Leipzig 1887, p. 371 und 426, gesondert 
erschienen Wien 1891; E. v. Oppolzer, Wien Ber. 110 (1901), p. 1239; K. Exner 
und W. Villiger, Wien Ber. 111 (1902), p. 1266, und Wien Ber. 113 (1904), p. 1019, 
sowie den Artikel „Szintillation“ von K. Exner in Winkelmann, Handb. 6 (Optik), 
Leipzig 1906, p. 567. 


Einleitung. 293 


hält zugleich die Änderungen dR der Refraktion mit Luftdruck und 
Lufttemperatur. Die Extinktion gibt den in Größenklassen aus- 
gedrückten Unterschied gegen die zenitale Helligkeit. 


Refraktion, Dispersion und Extinktion. 











| ; 
Scheinbare | _...., ; Dispersion AR Mittlere 
ıttiere 
Zenit- von 0,56 u |” ia: 
i Refraktion \ dä pro 10® visuelle 
distanz | bis 0,40 u pro 1’C. Luftdruck | Extinktion 
00 0 0” Be -1.0”.0 02,00 
3° B u” — 07,0 +0". 0 0”.00 
15° 16" 0” — 07.1 +0".2 0”,00 
50° gr y” Ir 40".9 0=.12 
75° 78%; 4" | — 07,8 + 2.8 0%,66 
85° g 47" ir" Ba 2” 17”9 1m 77, 
89° 24° 25° 26° 
90° 34° 54° 38” 




















Die empirische Bestimmung der Kefraktion erfolgt durch Be- 
obachtungen der Meridianhöhen von Zirkumpolarsternen in beiden 
Kulminationen?). 

Die Dispersion, d. h. der Unterschied der KRefraktionen für die 
Wellenlängen 0,564 und 0,40u, ist nach Kayser und Runge!) gleich 
'/,, der Refraktion gesetzt. Die photographische Extinktion ist er- 
fahrungsgemäß?) ungefähr gleich dem Doppelten der visuellen Ex- 
tinktion. 

Die theoretische Untersuchung aller dieser Erscheinungen hängt 
in erster Linie von den optischen Eigenschaften der Luft (Nr. 2) und 
von der Konstitution der Atmosphäre (Nr. 3, 4) ab. Je nach der Art, 
wie die bezüglichen erfahrungsmäßigen Resultate mathematisch dar- 
gestellt werden, unterscheiden sich die verschiedenen Theorien von- 
einander. Während z. B. einige bei der Behandlung der Refraktions- 
theorie einen einfachen Ausdruck für die Dichtigkeit der Luft als 
Funktion der Höhe annehmen, wählen andere einen solchen für die 
Beziehung zwischen Temperatur und Höhe, andere wieder für die Be- 
ziehung zwischen Dichtigkeit und Temperatur oder zwischen Druck 
und Temperatur usw. (Nr.5). Den wesentlichen Unterschieden zwischen 
. den Theorien, welche mit der zu Grunde liegenden Hypothese ver- 
knüpft sind, treten andere mehr formeller Natur, wie die Art und 


3) Betreffs Messungen der photographischen Extinktion vgl. J. M. Schaeberle, 
Contributions from the Lick Observatory Nr. 3, Saeramento 1893. (©. W. Wirtz, 
Astr. Nachr. 154 (1901), p. 349. 

90 * 


ad 


294 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


Weise der analytischen Entwieklung, zur Seite. Für uns ist die 
Schilderung der Entwicklungsmethoden bei weitem nicht so wichtig 
wie die Besprechung der verschiedenen Hypothesen; es gibt nämlich eine 
Methode (die mechanische Quadratur‘)), welche bei allen Hypothesen 
gleich schneli zum Ziele, d. h. zur Kenntnis der theoretischen Refrak- 
tion führt. Wichtig ist jedoch zu untersuchen, inwieweit die ana- 
Iytischen Entwicklungen vollkommen und konsequent durchgeführt 
sind, da man nur bei einer strengen Behandlung die verschiedenen 
Hypothesen auf Grund der Refraktionsbeobachtungen selbst prüfen kann. 


I. Physikalische Erfahrungstatsachen. 


2%. Abhängigkeit des Brechungsindex, bzw. der Absorptions- 
konstante von der Luftdichtigkeit. Die Größen, welche den Ein- 
fluß der Atmosphäre auf die Fortpflanzung des Lichts durch dieselbe 
bestimmen, sind der Brechungsindex u und der Absorptionskoeffizient k 
der Luft. Beide Größen hängen von der Dichte der Luft ab. Die 
Luftdichte ö ist aber eine Funktion der Höhe, daher ändert sich auch 
die brechende bzw. absorbierende Wirkung der Atmosphäre längs der 
Trajektorie der Lichtstrahlen. Um diese Änderung zu verfolgen, hat 
also jede Refraktions- oder Extinktionstheorie sich vor allem mit 
dem Zusammenhang zwischen u, bzw. k und 6 zu beschäftigen. 


a) Beziehung zwischen « und 6. 
Man hat für die Beziehung zwischen dem Brechungsindex u und 
der Dichte ö folgende drei Formeln vorgeschlagen: 
() W—l=26Öö, u—l-db, 


23—1 Ku 
rung tete 6, 

worin c, bzw. ec’, c” eine spezifische Konstante für jeden Körper be- 
deutet und die Bezeichnung „spezifische Refraktion“ (Brühl) erhalten 
hat. Die erste schon von Newton aufgestellte, von Laplace auf Grund 
der Emissionstheorie des Lichtes theoretisch abgeleitete Formel ist 
in der Refraktionstheorie fast ausschließlich gebraucht worden°). Die 
zweite Formel entbehrt einer strengen theoretischen Grundlage, wurde 
aber bei einer großen Anzahl von Flüssigkeiten durch Dale und 
(rladstone, Landolt, Wüllner u. a., auch bei den Gasen durch Beer, 
Lang, Mascart u. a. geprüft und sehr genau gefunden. Die dritte 


4) Vgl. 1D2 (Bauschinger), Nr. 8. 

5) H. Bruns (1891) und F. Hausdorff (1891) bew ihren Untersuchungen 
über die astronomische Refraktion, J. Maurer (1882) und F. Hausdorff (1895) 
bei ihren Extinktionstheorien machen von der zweiten Formel (1) Gebrauch. 


2. Abhängigkeit des Brechungsindex usw. von der Luftdichte. 295 


von L. Lorenz und H. A. Lorentz®) abgeleitete Formel ist zwar theo- 
retisch und praktisch die beste, doch würde sie bei den Theorien der 
astronomischen Refraktion und der Extinktion zu äußerst kompli- 
zierten Entwicklungen führen. Nun ist aber für die Luft (im allge- 
meinen für die Gase) u — 1 so klein, daß die drei oben aufgeführten 
Formeln praktisch mit der einzigen 


(2) u—l=cd 


züsammenfallen. Man wird also bei den Theorien der Refraktion und 
der Extinktion die analytisch vorteilhaftere Formel wählen dürfen, 
und dann fällt die Entscheidung bei der gewöhnlichen Behandlungs- 
art zugunsten der ersten Formel. Der numerische Wert von e kann 
hierbei physikalisch oder astronomisch bestimmt werden. Hier folgen 
einige wichtigere Bestimmungen (Einheit für ö die normale Dichtig- 
keit der Luft bei 0° und 760 mm): 


Biot und Arago (physikalisch) . . » 2. 2... 2c= 0,0005888 
Bessel (aus eigenen und Argelanders Beobachtungen) 22e—= 5864 
Bauschinger (aus eigenen Beobachtungen, München 

ABOImEBOB): wueıe ER u un Bad. Re 5830 
Courvoisier (aus eigenen Beobachtungen, Heidelberg 

ER IRRB a El Te el ie 5836 


b) Beziehung zwischen k und 6. 


Was den Absorptionskoeffizienten k angeht, so wird er definiert 
dureh die Beziehung: durchgelassene Liehtmenge J steht zur ein- 
fallenden J* in dem Verhältnis: 


(3) J = e-koJk, 


worin 6 die Jdurchlaufene Wegstrecke (in einem homogenen Mittel) 
bedeutet. 

Zur Ableitung einer Beziehung zwischen Absorptionskonstante k 
und Dichtigkeit d wurden zunächst von Beer Versuche an Lösungen 
von verschiedener Konzentration, später von anderen an Gasen unter 
verschiedenen Drucken angestellt. Die seit Beer gebräuchlichste Be- 
ziehung, nach welcher die Absorptionskonstante einfach der Dichte, 
bzw. der Konzentration, proportional sein sollte, das sogenannte 
Beersche Gesetz 
(4) = 06 


6) H. A.' Lorentz, Annalen der Physik und Chemie, Neue Folge 9, Leipzig 
1880, p. 641; L. Lorenz, Annalen der Physik und Chemie, Neue Folge 11, Leipzig 
1880, p. 70. Vgl. den Artikel V 14 (Lorentz), Nr. 47, 


296 YVIs, 6. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


(U = spezifische Absorption) ist nach Kayser‘) „außerordentlich 
häufig geprüft und ebenso oft als richtig wie als falsch gefunden“. 
Das liegt daran, daß das Deersche Gesetz Unveränderlichkeit der ab- 
sorbierenden Molekeln voraussetzt, welche aber sehr oft bei ver- 
änderter Konzentration (Dichte) nicht vorhanden ist. Dieser Einwand 
dürfte für die Atmosphäre wegen ihrer geringen Diehte nicht in Be- 
tracht kommen. Doch ist; zu beachten, daß das Gesetz nur für mono- 
chromatisches Licht streng gelten kann, da die spezifische Absorption 
für verschiedene Wellenlängen im allgemeinen sehr verschiedene 
Werte hat°). Die Extinktionstheorie ist daher zunächst immer für ein 
bestimmtes monochromatisches Licht zu entwickeln. 

Auch die spezifische Refraktion c der atmosphärischen Luft hängt, 
obwohl in viel geringerem Maßstabe als die spezifische Absorption (, 
von der Wellenlänge ab. Nach Kayser und Runge*) gehen die Werte 
von für den sichtbaren Teil des Spektrums von 1,000290 bis 
1,000300. Dies hat zur Folge, daß die Bilder der Gestirne in der 
Nähe des Horizonts keine scharfen Punkte oder Kreise, sondern un- 
reine Spektra einer gewissen Länge sind (die atmosphärische Dis- 
persion'), vgl. die Tabelle auf p. 293). Streng genommen muß also 
auch bei der Refraktionstheorie ein bestimmtes monochromatisches Licht 
vorausgesetzt werden. Man wählt hierfür zweckmäßig die Strahlung 
der hellsten Gegend des Spektrums (A = 570 wu bei visuellen, 430 uu 
bei photographischen Beobachtungen). 

Man könnte vermuten, daß auch die Temperatur an und für sich 
die spezifische Refraktion und Absorption der Luft beeinflußte, wie 
dies sicherlich bei manchem Körper stattfindet!°). Doch ist ein solcher 
Einfluß der Temperatur auf die spezifische Refraktion der Gase sehr 
unwahrscheinlich''). Es fehlen aber diesbezügliche Experimente. 


7) Vgl. Winkelmann, Handb. 6, p. 741. 

8) Während rote Strahlen beim Durchgang durch die ganze Atmosphäre 
nur wenige Prozent ihrer Intensität verlieren (vgl. Müller, Photometrie, p. 140), 
genügen wenige Zentimeter Luft, um die Strahlen von Wellenlängen unter 
157 uu vollständig zu absorbieren, vgl. H. Kaysers Artikel: „Spektralanalyse‘ in 
Winkelmann, Handb. 6, p. 737. Wenn umgekehrt z. B. Müller und Kempf in 80* 
Zenitdistanz die (visuelle) Extinktion für den roten Stern « Tauri um 0.22 Größen- 
klassen größer finden, als für den weißen Stern « Cygni, so liegt das an 
physiologischen Ursachen im Auge (Purkinje-Phänomen), vgl. Müller 1883, p. 274. 

9, H. Kayser und C©. Runge, Die Dispersion der atmosphärischen Luft, Berlin 
Ber: 1893, p. 153, ausführlicher Berlin Abh. 1893. 

10) ©. Pulfrich hat zuerst eingehender nachgewiesen, daß der Brechungsindex 
von amorphern Quarz sich bei einer Temperaturerhöhung sehr beträchtlich ändert: 
©. Pulfrich, Annalen der Physik und Chemie 34 (1888), p. 332. 

11) Vgl. Winkelmann, Handb. 6, p. 642. 


3. Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck und Höhe, 297 


Die optischen Eigenschaften der atmosphärischen Luft hängen 
ferner von ihrer tatsächlichen Zusammensetzung ab. Das Vorhanden- 
sein von Wasserdampf und von Staub in verschiedenen Mengen ändert 
ganz wesentlich, qualitativ und quantitativ, die spezifische Absorption, 
nicht so sehr dagegen die Refraktion. Nach H. L. Fizeau'?) und 
J. C. Jamin"?) ist der Brechungsindex der feuchten Luft nur wenig 
geringer als der der trocknen. E. v. Oppolzer'*) hat darauf aufmerk- 
sam gemacht, daß man streng genommen auch die Änderung des 
Mischungsverhältnisses von Sauer- und Stickstoff mit der Höhe in 


Rechnung ziehen sollte. i 


3. Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck 
und Höhe über dem Meeresniveau. 
a) Eine erste Beziehung gibt das 


Geseiz von Mariotte-Kay-Lussae: 


(5) p=dl mi), N 
worin 9 der Luftdruck (Einheit der Druck von 760 mm bei 0° C. unter 
45° Breite, am Meeresniveau), ö die Luftdiehtigkeit (Einheit die nor- 
male der trocknen Luft bei 760 mm und 0%), # die Temperatur in 
Celsiusgraden, m = „4; den Ausdehnungskoeffizienten der Luft be 
deutet. 


Bei feuchter Luft, wenn x die Spannung des Wasserdampfes be- 
deutet, tritt nach Radau an Stelle von (5) die Beziehung 


p—!n=6d(1 + mt). (5a) 
Für die Berechnung der Refraktion ist indessen diese Verbesse- 


rung fast bedeutungslos; nur bei den neuesten Radauschen und de 
Balischen Tafeln!) wird hierauf Rücksicht genommen. 


b) Bedingung des aerostatischen Gleichgewichts. 


Setzt man weiter voraus, daß die Atmosphäre sich im mechani- 
schen Gleichgewicht befindet, daß an den (sphärischen) Flächen 
gleicher Dichtigkeit auch gleicher Druck herrscht, so liefert diese 


12) Vgl. H. L. Fizeaus Brief (1852) an F\ Arago, aus Aragos Nachlaß mit- 
geteilt in F'. Arago, Oeuvres complötes 11, Paris-Leipzig 1859, p. 724—732, ins- 
besondere Tabelle p. 731. 

13) J. C. Jamin, Annales de chimie et de physique (3) 52, Paris 1858, p. 188. 
Siehe hierüber auch die p. 289 zitierte Arbeit: De Ball 1907. 

14) E. v. Oppolzer, Astr. Nachr. 135 (1894), p. 159. 

16) R. Radau, Obs. de Paris Ann., m&m. 19 (1889), p. & 3 und L. de Ball, 
Refraktionstafeln, Leipzig 1906. 


298 VIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


Bedingung folgende Differentialgleichung zwischen p, ö und kh (Höhe 
in km über dem Meeresniveau). Das Inkrement dp des Druckes 
beim Übergang von der Höhe h zur Höhe h + dh ist, vom Vor- 
zeichen abgesehen, gleich dem Gewicht der bezüglichen Luftsäule der 
Höhe dh (Querschnitt = 1). Dieses wird durch 


da =g (si) gar 


in Grammen gegeben, wenn man durch g die Schwerkraft im Beob- 
achtungsorte, durch a den Erdradius (bei Beobachtungen im Meri- 
dian strenger den meridionalen Hauptkrümmungsradius des Erdellip- 
soids für den Beobachtungsort, dessen Höhe y mit inbegriffen), durch 
g die Dichtigkeit der Luft in Verhältnis zu der des Wassers bezeichnet. 
Hierbei vernachlässigt man die — in der Tat praktisch verschwin- 
dende — Anziehung der Luftschicht der Höhe A über dem Beob- 
achtungsorte. Setzt man also obigen Ausdruck von d@ dem Ge- 
wicht einer Quecksilbersäule der Höhe — dp > 0,00076 km. (da wir 
oben als Einheit für » den normalen Druck von 760 mm und als 
Einheit für A das km angenommen haben) gleich, so folgt die ge- 
wünschte Gleichgewichtsgleichung 


dp > 0,00076 x 90m — — 4; > a) ih, 


worin 9, die Schwerkraft bei 45° Breite am Meeresniveau und n, die 
Diehte des Quecksilbers bedeutet. Stellt e, die normale Dichte der 
Luft (bei 0° und 760 mm) dar, so hat man nach den obigen Be- 
zeichnungen 


mm 99, 
und damit die Bedingung des serostatischen Gleichgewichts: 
(6) Idp == (u) ödh, 
wobei zur Abkürzung: 
(6a) = 0,0007 % 
v 


gesetzt wurde. Die konstanten Größen «= a, + y und {, weiche ım 
der Gleichgewichtsbedingung (6) auftreten, hängen beide von der 
geographischen Lage (Breite g und Höhe %) des Beobachtungsortes 
ab. Nach Helmert'‘) ist nämlich (unter Vernachlässigung der An- 
ziehung der Luftschicht zwischen dem ge und der Höhe y) 


x a = 9180 (1 + 0,005310 sin? ren 


16) Helmert, Geodäsie 2 (1884), p. 579. 


u ’ 


4. Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate.. 299 


während man für a,=«-—- x (meridionaler Hauptkrümmungsradius 
des Erdellipsoids bei der Breite p) nach Bessel 

6356,06 km 
(8) I = 1 0,0066744 sin! 
zu setzen hat. Bei 45° Breite im Meeresniveau und mit den be- 
kannten Werten 


16 = 13,5%, 0, == 0,001292607 
erhält man 
== 1,9939 km, a, = 6577,56 km. 


 Ersteres ist die sog. „Höhe der homogenen Atmosphäre“, nämlich 
einer Atmosphäre, welche überall die normale Dichte o, der Luft am 
Meeresniveau besitzt und denselben Druck wie die wirkliche Atmo- 
sphäre ausübt. 


ec) Temperaturmessungen. 


Die zwei Gleichungen (5) und (6) reichen nicht aus, um für die 
verschiedenen Höhen den Wert der drei unbekannten Größen p, Ö, t 
aus den bekannten Werten derselben an der Erdoberfläche auszu- 
rechnen. Hierzu ist eine dritte Beziehung erforderlich, welche man 
am einfachsten aus den experimentellen Untersuchungen über das 
Verhalten der Temperatur in der Höhe gewinnt. 


4. Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate. 
Man besitzt zur Zeit drei ausgezeichnete Beobachtungsreihen über die 
Temperaturabnahme mit der Höhe, und zwar 

a) bis zur Höhe von 8km die Ergebnisse der Luftfahrten des 
Berliner Vereins für wissenschaftliche Luftschiffahrt, bearbeitet von 
Aßmann und Berson'”); 

b) bis zur Höhe von 10 km die der internationalen Ballonfahrten, 
bearbeitet von Hann'®); 

e)’bis zur Höhe von 14 km die von Tersserene de Bort hearbei- 
teten Ergebnisse der Ballons-sondes-Aufstiege'?). 

Da in den ersten 8, bzw. 10km alle drei Beobachtungsreihen 
fast vollkommen übereinstimmen, wird es genügen, um eine Orien- 


17) Wissenschaftliche Luftfahrten, bearb. von R. Aßmann und Berson (3 Bde., 
Braunschweig 1899 und 1900), Bd. 3. 

18) J. Hann, Über die Temperaturabnahme mit der Höhe bis zu 10 km Höhe 
nach den Ergebnissen der internationalen Ballonaufstiege, Wien Ber. 113 (190%), 
p- 571. 

19) L. Teisserenc de Bort, Paris Ü. R. 188 (1904), p. 42. 


300 VIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


tierung über das Verhalten der Temperatur als Funktion der Höhe 
zu bekommen, einen Auszug aus der letzteren ausgedehnteren Reihe 
zu geben. 


Tenıperaturabnahme mit der Höhe h über dem Boden. 


Nach den Ergebnissen von Teisserene de Bort'”) aus 141 Ballonaufstiegen, 
bei welchen die Höhe von 14 km erreicht wurde. 
Die erste Zeile gibt die Bodentemperatur t,, die übrigen geben 1, —t,. 





























Höhe h in km Winter Frühling Sommer | Herbst Jahr 
0 +19 459,1 +13°.0 I +70,5 +6°,9 
1 En nn Ügg 12 ai — 18 
2 = HR BR WERE, — 5,8 — 54 
3 ER —11,5 —10,9 ER € u} 
4 12,8 ia —-15,7 — 14,0 15,0 
5 — 18,9 — 23,6 — 21,3 —19,9 — 20,9 
6 25,6 —30,8 27,8 — 26,2 127,5 

4 — 33,4 BR." -—34,7 — 38,3 34,6 
8 —40,9 -44,1 —42,8 — 41,0: —42,1 
9 48,8 -51,8 —51,0 — 48,9 50,1 
10 —55,9 —57,8 — 58,3 — 55,8 --57,0 

11 59,8 58,7 68,8 —61,9 —60,9 
12 ---59,8 — 58,2 —66,0 —64,6 —62,1 
13 58,8 BER je aa wer Pi 64,6 614 
14 57.4 Tr ae 64,6 — 61.0 





 Hiernach wächst der Temperaturgradient pro km von dem 
mäßigen Mittelwert ——-1°,8 an der Erdoberfläche bis zum sehr starken, 
fast adiabatischen Gradienten —8° in der Höhe von 3 km, nimmt 
dann aber fast plötzlich über 10 km ab, so daß bis 14 km eine 
Umkehrungs- oder wenigstens isotherme Zone herrseht. Die neuesten 
Aufstiege von Ballons-sondes deuten sogar eine Erstreckung dieser 
Umkehrung bis in noch größere Höhe (bis zu 20 km) an. Daß 
tatsächlich irgendwo eine Abnahme des Temperaturgradienten ein- 
treten muß, folgt schon daraus, daß auch eine mittlere Temperatur- 
abnahme von nur 5° pro km den absoluten Nullpunkt (—273°) und 
hiermit die Grenze der Atmosphäre bereits in 55--60 km Höhe 
bringen würde, während die Atmosphäre sicherlich weit höher reicht. 
Für die Berechnung der Refraktion würde man daher zweckmäßig 
für die Temperatur der Luft bis 10 km Höhe die schon ziemlich ge- 
sicherten Beobachtungsresultate verwenden, darüber hinaus aber den 
Temperaturgradienten —2° oder —1° pro km, welches einer Höhe 
der gesamten Atmosphäre von 120 bzw. 230 km entspricht. 

‘Aus obiger Tabelle erhellt ferner ein jahreszeitlicher Unter- 
schied im Verhalten der Temperatur zwischen dem Frühling-Sommer- 
Halbjahr und dem Herbst-Winter-Halbjahr, indem bis zu 10 km Höhe 


3. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 301 


die Temperaturabnahme im ersten Halbjahr bedeutend stärker als die 
im zweiten ist. Nicht gering ind nach Hann die von der Wetter- 
lage abhängigen Unterschiede; bi$@»,km findet er nämlich in Hoch- 
druckgebieten eine Temperaturabnahrg,von —20°, in Niederdruck- 


gebieten aber eine solche von —-26°,5. nun für die Refraktions- 
theorie die Temperaturverhältnisse in den e kın gerade von be- 
sonderer Wichtigkeit sind, so wird man als v mmene Theorien 


nur diejenigen anerkennen, bei welchen die Berücksichägung der eben 
erwähnten meteorologischen Tatsachen leicht möglich ist. In dieser 
Beziehung ist bis jetzt die Radausche Bearbeitung der Refraktion®®) 
allen anderen vorzuziehen. 


U. Physikalische Hypothesen. 


5. Kritische Besprechung der Hypothesen über die Konsti- 
tution der Atmosphäre. Jede bestimmte Hypothese über den Zu- 
sammenhang zwischen zwei der vier veränderlichen Größen i, p, ö, h 
führt mit den Gleichungen (5) und (6) und den Grenzbedingungen 


ee beii ke, 
p=0 bei A=H (Höhe der gesamten Atmosphäre), 


zur vollständigen Kenntnis der theoretischen Werte der Temperatur 
in den verschiedenen Höhen. Man kann also gleich auf Grund der 
eben (Nr. 4) erwähnten Beobachtungsresultate den relativen Wert der 
verschiedenen Hypothesen prüfen, bevor man dieselben zur Darstellung 
der Refraktion anwendet. 

a) Cassini. Nimmt man zunächst mit Br) (1662) die Zuft- 
dichtigkeit als konstant, also 

6 1 

an, vernachlässigt man außerdem die Veränderung der Schwerkraft, 


also den Faktor GH in der Gleichgewichtsbedingung (6), dann 


erhält man sofort durch Integration in Rücksicht auf die Grenzbe- 
dingungen (9): 


r x i ; 
(11) H = 1= 71,994 km, 
(12) Ih — = — 0. 


20) Grov. Dom. Cassini, Ephemerides novissimae motuum coelestium 1661 
bis 1666, additis ephemeridibus solis et tabulis refractionum, Mutinae 1662. 
Vgl. p. 290 sowie Fußn. 43, auch Wolf, Handb. 2, p. 268. 


302 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 
% 


Bei den gemachten Hypothesen (konstante Dichtigkeit und 
Schwerkraft) würden also der Luftdruck und die Lufttemperatur linear 
mit der Höhe abnehmen. Die Höhe der Atmosphäre würde aber nur 
8 km betragen, der Temperaturgradient dagegen den riesigen Betrag 
— 34° pro km erreichen, während der höchste mögliche (adiabatisehe) 
ein Gradient von 999 pro km ist. Unter Beibehaltung des Faktors 


Ye 6 würde man praktisch denselben Druck- und Tem e- 
ath, P 'p 


raturverlauf erhalten, also immer noch in schroffem Widerspruch mit 
den Beobachtungsresultaten über die Konstitution der Atmosphäre 
bleiben. 

b) Tobias Mayer. Die Mayersche Refraktionsformel (Nr. 8)?"), 
auf welche sich die Bougyuer-, Simpson- und Bradleyschen Formeln 
reduzieren lassen, gründet sich auf die Hypothese einer linearen Ab- 
nahme der Dichtigkeit, setzt also eine Beziehung der Form 


1 h 


voraus. Die Höhe K, bei ‚welcher die Dichtigkeit verschwindet, muß 
nicht als die Höhe H der gesamten Atmosphäre aufgefaßt werden, 
da man für die Grenze der Kae eine Dichtigkeit d, > 0 an- 
nehmen kann; es soll also nur 


KH 


sein. Unter Vernachlässigung der Veränderung der Schwerkraft er- 
hält man zunächst aus (6) mit den Bedingungen (9) 


ER h? 
(14) Pl lg): 

2 1 H® 
(15) ir (H— sR)» 
endlich aus (5) 


273°, 2(K—d—h 
Be 
Bi K=H=2/l—= 16km, wenn man also die Dichtigkeit an 
der Grenze der Atmosphäre als verschwindend klein annimmt, folgt 
t= — 179,08 - h, Y 


also wiederum eine gleichförmige Temperaturabnahme, welche A min- 
destens dreimal so stark: als die beobachtete ist. Nimmt man ferner 
K=nH worin» >1) an, dann folgt aus (15) 

Heli Ya 


2n—1i 


(16) = — 


21) Vgl. Fußnote 44. 


5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 303 


also eine noch kleinere Höhe für die Atmosphäre und, wie aus (16) 
sofort ersichtlich, eine noch stärkere Temperaturabnahme mit der 
Höhe. 

Bei strengerer Berücksiehtigung der Gleichung (6) würde man 
wieder praktisch dasselbe Temperaturgesetz erhalten. 

ec) Newton. Im Gegensatz zu den eben besprochenen Hypo- 
thesen, welche. eine zu starke Temperaturabnahme mit der Höhe er- 
geben, steht die Newionsche Hypothese??) einer konstanten Temperatur. 
Führt man diese Annahme, welche durch 


— 0 


ausgedrückt werden kann, in (5) und (6) ein und verwendet die 


„reduzierte Höhe“ 
h 
(17) an 


so folgt für die Dichteverteilung ein Exponentialgesetz: 


(18) Pe ha 


Als Höhe der gesamten Atmosphäre ergibt sich hier, auch im 
Gegensatz zu den obigen Hypothesen, welche zu kleine Höhen er- 
gaben, ein unendlicher Wert. 

d) Laplace, Aus der Tatsache, daß die beobachteten Werte der 
astronomischen Refraktion zwischen denjenigen liegen, welche die 
Mayersche bzw. die Newtonsche Formel ergeben, schloß Laplace?”), 
daß eine bessere Darstellung der Refraktion durch eine Verbindung 
des arithmetischen und des geometrischen Gesetzes für die Almahme der 
Luftdichtigkeit zu erreichen sei. So wurde er zum Ausdruck 


(19) = (tHrg)en: 


geführt, worin 6, den Wert der Luftdichte au der Erdoberfläche, 
f und k konstante Größen, u aber die neue Variabele 


® 1 eli-i) 


6 


bezeichnet. Hierbei bedeutet &« die ‘sogenannte Kefraktionskonstante 

22) Über J. Newtons Befisktionstafel vgl: J. B. Biot, Analyse des tables de 
röfraction construites par Newton, avec Vindication des procddes numeriques par 
lesquels il a pu les caleuler, Journal des Savants, annde 1836, Paris 1836, p. 735. 
Feruer Wolf, Handb.2, p.267. Siehe auch p. 290. 

23) P. S. de Laplace, Traite de mecanique c6leste 4, Paris 1805, seconde 
partie, livre 10, chapitre 1: Des röfractions astronomiques = Üeuvres 4, Paris 
1880, p. 233 ff., insbesondere $ 7, p. 263. 


- 


304 VIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


(Nr. 7), welche sehr nahe dem Überschuß des Brechungsindex u der 
Luft über die Einheit gleich ist. Nach Bessel (Fundamenta astro- 
nomiae) ist 
(21) « = 0,00029243 (bei 0° und 760 nım). 
as 
1-5 
ıst also bei ZLaplace keineswegs einfach, und die Beziehung (19) hat 
tatsächlich mehr die möglichste Vereinfachung der analytischen 
Behandlung des Refraktionsintegrals (Nr. 7), als die Darstellung der 
tatsächlichen Verhältnisse der Atmosphäre im Ange. Trotzdem hat 
die Laplacesche Hypothese einen höheren physikalischen Wert, als 
die vorherigen Annahmen. 
Dividiert man die Gleichung (6) durch 


2 = dl + mt) 


(Gleichung von Mariotte-Gay-Lussae für die Erdoberfläche) und setzt 
man der Kürze wegen 


Der Zusammenhang der Dichtigkeit d mit der Höhe = 





(22) Kl + mt) = |, 

(22) _— FR („relative Dichtigkeit“), 
so erhält man 

(23) n I, = = — ards. 


Nach 61. (20) ist aber 


ds = du — adı, 
also 
Re xdxc — zedu, 
Po I, 


woraus durch Integration zwischen den Grenzen 


p=(0 (Grenze der Atmosphäre) 





und p=» (laufende Höhe) 
folgt 
u@ En 
(24) en »+ Pe :+e, 


worin € die Integrationskonstante bedeutet. Zwischen den Konstanten 
k, f, © bestehen zwei Gleichungen, den Grenzbedingungen (9) ent- 
sprechend, und zwar 


| 1.7 m +4 
o-te 4% rer te. 


= 


+c, 
(25) 


&. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 305 


Hierbei bedeuten U und & die Grenzwerte der Variabeln U, 
bzw. der Dichtigkeit x, welche letztere sich mit der Höhe einem 
von Null verschiedenen Grenzwert nähert, indessen findet man bei 
dem von Laplace angenommenen Wert der Konstanten k 


1 


bereits in eimer Höhe von 64 km (wo s und « sehr nahe = 0,01 sind) 
> — ge __ 0,0000015. 
“Die Luftdichtigkeit ist also bei dieser Höhe schon sehr klein 
und kann an der Grenze der Atmosphäre praktisch gleich null gesetzt 
werden. Damit folgt sogleich aus (24) und (25) 


2 -f En! ent ak. n- KL 3 
(27) Do 2%, I, lo 
ac ak fak 
ein Sie 


Bei den normalen Werten von @, I, « und k (s. Nr. 3 und 
Formel (21) und (26)) folgt aus letzterer Gleichung 


f = 0,495. 
Dann ist man imstande, aus den Gleichungen (19), (20) und (27) 


die Werte: von x, s und p bei verschiedenen Werten von u, und 
hiermit auch die Werte der 'Temperatur 


I — 2730. (BE — ) | 


(s. Gl. (5)) für die verschiedenen Höhen h = er auszurechnen. Manu 
findet: 


























% c=0:0d, 8 P:P, h t 
0,0000 1,0000 0,000000 | 1,0000 0,0 km 0,0 
0,0002 0,8662 0,000239 | 0,8233 1,5 —13,5 
0,0004 0,7400 0,000476 | 0,6728 3,0 — 14,8 
0,0006 0,6252 0,000710 | 0,5467 4,5 —34,2 
0,0008 0,5234 0,000939 | 0,4422 6,0 — 41,3 
0,0010 . 0,4349 0,001165 0,3565 7,4 — 49,2 
0,0012 0,3591 0,001388 | 0.2866 3,9 56,1 
0,0014 0,2949 0,001606 0,2299 10,3 —60,1 


Die Temperaturabnahme bei der Zaplaceschen Hypothese geht 
also zunächst sehr rasch, fast adiabatisch ®), vor sich, wird aber mit 


ne 


24) Bei genauerer Berechnung des Differentialquotienten der Temperatur 
nach der Höhe findet man, daß an der Erdoberfläche selbst der Temperatur- 


306 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


der Höhe immer kleiner, so daß im 8° km nur noch ein Temperatur- 
gradient von 4° übrig bleibt. Das sind im Großen und Ganzen gut 
annehmbare Werte für den Temperaturgradienten, viel bessere jeden- 
falls, als bei den vorherigen und auch bei mancher späteren Hypo- 
these. Leider ist der Gang des Temperaturgradienten gerade dem 
beobachteten entgegengesetzt, da die neuesten Ballonaufstiege mäßige 
Werte bei der Erdoberfläche und ein Maximum bei 83km Höhe er- 
geben. Als Grenzwert der Temperatur an der oberen Grenze der 
Atmospbäre erhält man übrigens bei der Laplaceschen Hypothese 
nieht den absoluten Nullpunkt (—273°), sondern 


PRBRRRBTBRR VRR Sch Br NE ae u 111°. 
( EERN ı+la-e) 


e) Kramp und Bessel. Die Krampsche Refraktionstheorie*°), 
welche für die Besselsche vorbildlich gewesen ist, geht aus von der 
Fundamentalhypothese einer exponentialen Temperaturabnahme, nämlich. 


(28) (spezifische Elastizität) — Ir u er E 
worin m, a, s die schon p. 297, 298, 303 erwähnte Bedeutung haben, 
g aber eine eich Konstante ist. Für diese nahm Bessel, EN 


den Bradleyschen Meridianbeobachtungen, den Wert 228 an, so daß 


5 = il nahe 30 beträgt. Rechnet man nun aus 16 die Werte 


von t— £, bei den drei Annahmen 
: a 20, u 30, == 40, 
so findet man bzw. 


h=1km 10km ! 11km 10km | Ikm 10km 
I; = m EHETEET ZWEIT. 85 — 7061 


Die Temperaturabnahme mit der Höhe bei der Krampschen 
Hypothese ist also innerhalb der ersten Kilometer noch eine fast 
gleichförmige und kann bei passender Auswahl des Wertes von g in 
gute Übereinstimmung mit den beobachteten Werten der Temperatur 
gebracht werden. Au der Grenze der Atmosphäre führt diese Hypo- 
these zum absoluten Nullpunkt. 


gradient nach der Laplaceschen Hypothese und bei den angenommenen Werten 
der Koustanten gleich -—11,°4, also überadiabatisch wird. 

25) Chr. Kramp, Analyse des reiractions astronomiques et terrestres, Leipsie 
et Paris 1799. 


5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 307 


Führt man die Hypothese (28) in (5) ein und eliminiert Ö 
zwischen (5) und (6), so erhält man durch Integration 


log j = ie _ A 


() 
also verschwindet bei Kramp der Luftdruck nicht strenge in unendlicher 
Entfernung von der Erde. Für die Dichtigkeit & (22a) erhält man 


log x = log “ — log Arm ilı 2 — ed + 75 


i 1 EN 
u er ing Yo 


Zur definitiven Berechnung der Refraktion behält Kramp schließ- 


lich — und Bessel”) mit ihm — nur das Glied erster Ordnung bei, 
nimmt also 

1 1 
(29) log — -- a, —,)s=—Bs 


an. Das ist ein rein ewponentiales Gesetz für die Luftdichtigkeit, wie 
wir es schon bei der Newtonschen Hypothese angetroffen haben, nur 
hängt hier die Konstante 8 von der Temperatur an der Erdober- 
fläche ab (vgl. Formel (22)). Die Beziehung (29) bringt aber ein 
ganz anderes Temperaturgesetz als (28) mit sich. Man findet nämlich 
durch die Einführung von (29) in (5) und (6) 
(30) ei —1+ ger re, 

I+mt 

= tl 5) Bu 

Rechnet man hieraus mit den Besselschen Werten 
RER. sol yar # nipaı 
I, = 8256,73 m | 
den Wert von &—4,, so findet man für 
h= ıikm 2 3 4 6 8 
ih —- 13 — 28 —45 7 — 694 — 10%8 — 1695, 

während die beobachtete Temperaturabnahme bei 8$km Höhe nicht 
weniger als — 40° beträgt (p. 300). Nach Gl. (30) bekommt man 
weiter bei p= 0 als Grenzwert für s (reduzierte Höhe der Atmo- 
sphäre bei der .Besselschen Hypothese) 


t hP\. 
SS — n} log (! _— ar); 


a = 6372969 m 


26) F. W. Bessel, Fundamenta astronomiae pro anno 1755, Regiomonti 1818, 
sectio IV, p. 26/44, verbessert in F. W. Bessel, Tabulae Regiomontanae *"), Regio- 
monti Prussorum 1830, p. LIX. Vgl. VI2,5 (Cohn), p. 246, Fußnote 97. 

Enoyklop d. math. Wissensch. VI 2. 21 


308 V32,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


das gibt nur H = 28,5 km für die Höhe ‘der gesamten Atmosphäre. 
Die Luftdichtigkeit an der Grenze der Atmosphäre wird hiernach 
nicht kleiner als 


1 uf I 0088, 
—(), 


während die Temperatur bis zum absoluten Nullpunkt herabsinkt. 
Das sind alles unphysikalische Bedingungen. 

f) Ivory?) nahm als Fundamentalgesetz für die Konstitution der 
Atmosphäre eine lineare Beziehung zwischen Temperatur t und Luft- 
dichtigkeit x (Formel 22a) in der Form 
DR 1-4 mt Ä 
(31) ———el— fl 
Au i+mt, f ei %) 
an. Hieraus in Verbindung mit Gl. (5) folgt 

(1 -f+ 2fa)de. 


Eliminiert man 9 zwischen dieser und der Gleichgewichtsgleichung 
(23), so erhält man die Differentialgleichung für x 


+) — as, 
aus welcher durch Integration 
(32) M-D)-a—Nlgz—ts 


folgt. Bei gegebenen Werten von z kann man aus (31) und (32) 
die bezüglichen Werte von t und s, dann auch von Ah berechnen und 
kiermit das von der Jvoryschen Hypothese bedingte Temperaturgesetz 
herstellen. Für die Konstante / nahm Ivory zunächst den Wert 4, 
später nach den Versuchen von Dalton und Ramond % an. Hier 
folgen für einige Werte von © die entsprechenden Werte von h und 
t bei den extremen Annahmen f = 0,2, f= 0,3; wir fügen noch die 
beobachteten Temperaturabnahmen im Jahresmittel (vgl. p. 300) hinzu. 





























% t=0,2 f= 0,3 
f } | 
h | der. | kpeoh. h ber. 5 rend. 
0,95 0,ökm|. —2%7 | 0°,0 05km! -—-41 09,0 
0,90 1,0 505 | 108 1.1 80,0 10,8 
0,85 1,5 88) 00-805 1,6 120,3 30,5 
0,80 21 1099 | 508 22 — 160.4 603 
0,70 3,2 1604 | —1008 3,4 46 | — 1108 
0,50 6,0 1703 | 470% 6,3 — 419,0 290,5 
0,30 10,0 3802 | 5790 10,1 5108 | —57%4 


27) J. Ivory, On the astronomieal refractions, Lond. Phil. Trans. 1828, p. 409 
|Refraktionstafel p. 491 ffg.] und Lond. Phil. Trans. 1888, p. 169 [Refraktionstafel 
p. 227 fig.). 


f 


5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 309 


In beiden Fällen ist die berechnete Temperaturabnahme in den 
ersten km zu rasch; der Gang des Temperaturgradienten ist ferner, 
wie schon bei der Zaplaceschen Hypothese, gerade dem beobachteten 
entgegengesetzt. Die kleinsten Abweichungen (Beobachtung — Rech- 
nung) bis 5 km Höhe bietet die erste Annahme f= 0,2 (Normal- 
wert bei den neueren Radauschen Refraktionstafeln). Ferner bedingt 
die Ivorysche Hypothese bei unendlicher Höhe der Atmosphäre einen 
Grenzwert für die Temperatur: 


= — f-213(1 + mt), 
also etwa —55°, bei f= 0,2 und = (0°. Das ist offenbar eine zu 
hohe Temperatur, da schon bei 10 km Höhe die Beobachtung geringere 
Werte ergibt (vgl. Tabelle in Nr. 4, p. 300). 

g) Schmidt. Nach den Beobachtungen im Gebirge, welche im 
allgemeinen eine fast gleichförmige Temperaturabnahme mit der Höhe 
ergeben, setzte Schmidt”) die Temperatur als lineare Funktion der 
Höhe h und zwar in der Form 


r . i-+ mt h 

(3°: an -1-h 

an. Hiernach hängt der 'Temperaturgradient, außer von der ange- 
nommenen Höhe Z der Atmosphäre, auch noch von der Temperatur i, 
an der Erdoberfläche ab, und zwar in Übereinstimmung mit den 
meteorologischen Ergebnissen, daß die Temperaturabnahme um so 
stärker ist, je größer t, ist. Schmidt. nimmt H == 49,1 km an; dem- 
entsprechend findet man bei den mittleren Bodentemperaturen + 1°,9 
‘und +4 13%0 von Teisserene de Borts Winter-- und Sommerfahrten 
die Temperaturabnahme bis 10 km Höhe 








ta — Winter Sommer 
nach der Schmidtschen Hypothese . . . | —56%0 | — 5892 
nach Teisserene de Borts Aufstiegen . . . , —55°%9 | — 58%3 











Das ist eine geradezu überraschende, wenn auch zum Teil zu- 
fällige Übereinstimmung. Freilich, da den beobachtete Temperatur- 
gradient in der freien Luft (s. Tabelle in Nr. 4, p. 300) nicht gerade 
konstant bleibt, ist eine ebenso gute Übereinstimmung in den ge- 
ringeren Höhen nicht zu erwarten; die Schmidtsche Hypothese bietet 


28) Ed. Schmidt, Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Göttingen 


1828. 
21* 


310 VI»,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


aber jedenfalls vor den anderen von Laplace, Kramp, Jvory und den 
gleich zu erwähnenden von Gylden, Kowalski, v. Oppolzer den Vorteil, 
daß der Temperaturgradient nicht einen dem beobachteten entgegen- 
gesetzten Gang (von O bis 10 km Höhe, also bei dem für das Refrak- 
tionsintegral wichtigsten Teil) aufweist. 


h) Bauernfeind. Die Hypothese von Bauernfeınd?”) unterscheidet 
sich von der Schmidtschen nur darın, daß die Höhe der Atmosphäre 
nicht als konstant, sondern als von der Temperatur an der Erdober- 
fläche abhängig aufgefaßt wird. Bauernfeind setzt nämlich 

H = 48 kn (1 + mt,). 


Hierdureh fällt aber die jährliche Veränderung des Temperatur- 
gradienten weg, welche die Schmidtsche Hypothese so gut darzustellen 
vermag. In dieser Hinsicht ist also die Neuerung keineswegs glück- 
lich. Außerdem nimmt Bauernfeind bei der folgenden Entwicklung 
des Refraktionsintegrals für die Dichte x (Gl. 22a) die Beziehung 

1-+-mt\ 
RR (, = a 
an. Das ist aber weiter nichts, als eine andere Hypothese, welche 
mit der Fundamentalhypothese (33) nicht im Einklang steht, wovon 
man sich sofort durch das Heranziehen der Gleichgewichtsbedingung 
überzeugen kann. Die Temperatur an der Grenze der Atmosphäre ist 
bei Bauernfeind, wie bei Schmidt, der absolute Nullpunkt. 

i) Gylden. Als eine Umgestaltung der Schmidtschen Hypothese 
kann man auch die Gyldensche®®) auffassen, welche die Temperatur i 
mit der reduzierten Höhe s (p. 303, 307) durch die Formel 

s 
Be er 
verbindet. Unter Vernachlässigung des quadratischen Gliedes, welches 
fast ohne Bedeutung hei der Berechnung der Refraktion ist, reduziert 
sich (34) auf (33). Für die Konstante ß setzt Gylden 
B=-120(1 +0), 
worin i verschiedene Werte für die verschiedenen Jahreszeiten (ja 


sogar für die Monate) annehmen soll. Nach den Refraktionsbeobach 
tungen von Fuß”) ıst z. B. 


29) ©. M. Bauernfeind, Astr. Nachr. 62 (1864), p. 209; Astr. Nachr. 67 (1866), 
p. 33. 
30) H. Gylden, Refr. 1866-68. Siehe aueh St. Pet. Bull. 12 (1868), p. 474. 
31) V. Fuß, Beobachtungen und Untersuchungen über die astronomische 
Strahlenbrechung in der Nähe des Horizonts, St. Pet. M&m. (7) 18 (1871/72), Nr. 3. 


5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 311 


Januar April | Juli Oktober 
By + 0,05 + 0,66 — 0,10 
BE 779 126 199 108 


Hiernach ändert sich also der Temperaturgradient im Laufe des 
Jahres, und zwar erhält man, den meteorologischen Ergebnissen ent- 
sprechend, größere Werte im Frühling-Sommer als im Herbst-Winter 
Die theoretische Änderung ist aber viel größer als die beobachtete, 
wie folgende kleine Zusammenstellung beweist. 


Temperaturabnahme bei 5 und 10 kın Höhe nach der Theorie von Gylden (Fuß) 
und nach den Beobachtungen von Teisserene de Bort. 





Höhe | Winter: Frühling: | Sommer: | Herbst: 
tl 2 = + 13°,0 +70 
| 'Theor. | Beob. | Theor. | Beob. | Theor. | Beob. | Theor. | Beoh. 

5km| —16%2 | —180,9 | —25%1 | — 280,6 | 390,6 | — 219,8 | — 220,3 | —190,9 

10km| — 2907 | —5509 | 4709 | —5708 | — 7204 | — 580,8 | —390.0 | --55,8 

















Läßt man die jährliche Änderung des Temperaturgradienten 
fallen, weiche man eventuell bei passender Auswahl der Werte von ? 
erheblich besser darstellen könnte, so bleibt immer zu Ungunsten der 
Gyldenschen Hypothese bestehen, daß sie für den Temperaturgradienten 
nach der Höhe einen dem beobachteten entgegengesetzten Gang er- 
gibt. Für die Höhe der Atmosphäre ergibt die Gyldensche Hypo- 
these den Wert j 

a 6377 
die Grenztemperatur ist der absolute Nullpunkt. 

k) Kowalski. Wie eine Gruppe von Hypothesen für die Refrak- 
tionstheorie (Schmidt, Bauernfeind, Gylden) an die Ergebnisse der 
Temperaturbeobachtungen im Gebirge (gleichförmige Temperaturab- 
nahme) angeschlossen werden kann, so knüpft eine andere Gruppe an 
die ersten ausgedehnteren Untersuchungen über die Temperaturver- 
hältnisse in der freien Luft, d.h. an die Glaisherschen Luftfahrten 
(1860—1870) an. Diese Untersuchungen, welche leider durch die 
neueren nicht bestätigt und wahrscheinlich durch Strahlungswirkungen 
und instrumentelle Fehler entstellt wurden, ergaben eine, an der Erd- 
oberfläche sehr starke, sich aber mit der Höhe sehr rasch verringernde 
Temperaturabnahme. 

Eine vorzügliche Darstellung der Glaisherschen Resultate erhielt 
zunächst Kowalski®?) mit der Hypothese 


32) M. Kowalski, Recherches sur la refraction astronomique, Kasan 1878, 


312 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmaosphäre. 
; Ii-+ mi ! 3 
(35) BEE d— a, 
worin x wieder die relative Dichte (Gl. 22a), 
k == 0,1871 für 1,= 62° Fahr. = 16°7 C. 
Aus (35), in Verbindung mit den Gleichungen (5) und (23), er- 
gibt sich durch Reihenentwicklung nach den Potenzen von 1 —x: 


R \ p ER RN (NET CN Re 3 4 
(36) er ee z— kel—e)+:-, 
(37) se —lgr+tkl— gt 


Ude t+te 
Hieraus kann man bei gegebenem x den Wert von t und s oder 
h (8. Gl. (17)) ausrechnen und hiermit die Art der Temperaturabnahme 
nach dieser Hypothese erkennen. Man findet: 


bei = 0,9 0,5 0,2 
bzw. h= 1,1 km 6,3 km 13,3 kn 
t— = — 1001 —298 — 399 


während nach den Aufstiegen von Teisserene de Bort für dieselben 
Höhen und für den Sommer (4, = 130,8) bzw. 
t—b= — 16 —299 — 6495 


ist. Der zufälligen Übereinstimmung bei 6 km steht die starke Ab- 
weichung bei 1 bzw. 13 kın gegenüber. Die Temperatur an der Grenze 
der Atmosphäre wird nach Gl. (35) viel zu hoch, nämlich 


gi ee 2.990. 
I) v. Oppolzer, Mendelsef, Pizzetti. Ähnliche Einwendungen | 
kann man gegen die v. Oppolzersche Hypothese®®) 
t= — 50° + (t, + 509%) 5 
und die Mendeieefsche*) 


= 300 4 (+ 3692 


erheben. Die erste unterscheidet sich nur in der Bestimmung des 
Parameters f von der schon besprochenen Jvoryschen Hypothese; die 





“ 
35) TR. v. Oppolzer, Wien Denkschr. 1886, p. 53. 
34) D. Mendeleef, De la temperature des couches superieures de l’atmo- 
»phere, Archives des sciences physiques et naturelles, nouvelle periode 55, Gendve 
1876, p. 233, 


6. Leistungen der bis jetzt aufgestellten Hypothesen. Brunssches Verfahren. 313 


zweite, aus den Glaisherschen Ergebnissen abgeleitete, von Pizzetti”) 
später (1897) zu einem Versuch über die Refraktionstheorie ange- 
wandte Formel, gibt offenbar eine zu hohe Temperatur (— 36°) für 
die Grenze der Atmosphäre. 


6. Schlußbetrachtung über die Leistungen der bis jetzt auf- 
gestellten Hypothesen. Brunssches Verfahren. Andere mehr oder 
weniger komplizierte Hypothesen rühren von Young (1824), von 
Lubbock (1855), von Baeyer (1860) und von Radau (1882—-1889) 
her®). Keine ist geeignet die Ergebnisse der neueren Forschungen 
über die Verteilung der Temperatur in der freien Luft einigermaßen 
gut darzustellen. Auch scheint es sehr fraglich, ob eine einzige so 
biegsame Formel zu finden ist, daß sie gleich gut die für die ver- 
schiedenen Jahreszeiten und Witterungslagen geltenden Temperatur- 
gesetze darzustellen vermag. 

Wenn man dabei der Mühe gedenkt, welche die zahllosen ana- 
iytischen Behandlungen der Refraktionstheorie, insbesondere die voll- 
kommensten von Gylden und Radau, gekostet haben, so scheint die 
Frage berechtigt, ob die Ableitung der astronomischen Refraktion 
nicht leichter zu erreichen ist vermittelst der bloßen numerischen Be- 
rechnung (mechanischer Quadratur) unter direkter Anpassung an die 
Ergebnisse der Physik der Atmosphäre, als durch den Umweg über 
eine Hypothese, von welcher man gegenwärtig für die Gebiete unter 
10km Höhe schon gänzlich absehen kann und welche nach den 
neuesten Fortschritten der Ballons-sondes-Technik bald wohl überhaupt 
entbehrlich sein wird 

Eine andere gründliche Vereinfachung der Behandlung der astro- 
nomischen Refraktion wurde im Jahre 1891 von H. Bruns?) vorge- 
schlagen, welche darin besteht, daß man die Hypothese gleich in der 
Form einer Beziehung zwischen dem Brechungsindex u und der Höhe H 
annimmt, mit so vielen empirischen Konstanten, als nötig sind, um 
die beobachteten Werte der Refraktion gut darzustellen. Das ist 
zweifellos das einfachste Verfahren, wenn man nur die empürtische 
Darstellung der Refraktion im Auge hat. Was man aber außerdem 
sucht, ist die physikalische Darstellung des Phänomens, welche nur 


35) Pizzetti 1897. 

36) Th. Young, Lond. Phil. Trans. 1824, part 1, p. 169; J. W. Lubbock, Lond. 
Astr. Soc. Mem. 24 (1855), p. 108; J. J. Baeyer, St. P&t. Me&m. (7), 8, St. Peters- 
burg 1860, Nr.5; R. Radau 1882 und R. Radau 1889. 

37) H. Bruns, Leipzig Ber. 43 (1891), p. 164; F. Hausdorff, Leipzig Ber. 43 
(1891), p. 481. 


314 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


durch die Verbindung mit den anderweitig bekannten Daten der 
Physik der Atmosphäre zu erreichen ist und wohl am leichtesten eben 
durch mechanische Quadratur erreicht wird. 


111. Theorie der Refraktion. 


7. Aufstellung des Refraktionsintegrals. a) Die Refraktionskurve. 
Denkt man die Atmosphäre in unendlich viele Schichten gleicher 
Dicke zerlegt und setzt eine beliebige aber kontinuierliche Änderung 
der Dichte in der Reihe dieser Schichten voraus, so daß (vgl. Nr. 2) 
auch der Brechungsindex u» kontinuierlich sich ändert; nennt ferner u 
und u = u -+ du die Brechungsindizes für zwei einander folgende 
Schichten M und M’, dann wird nach dem Snelliusschen Brechungs- 
gesetz zwischen den bezüglichen Inzidenz- und Brechungswinkeln D 
und © — di die Gleichung 


sin tn sin (U — di) = sin i — cos idi + sin i 


bestehen. Hieraus folgt das Differentialgesetz der Refraktion 
(38) di— tg ie —dR 


für die Elementarrefraktion dR beim Übergang von M in M’. Nimmt 
man weiter an, daß das Erdellipsoid in der Nähe des Beobachtungs- 
ortes durch die oskulierende Kugel im Beobachtungsorte selbst er- 
setzt werden kann und daß die Flächen gleicher Dichte der Atmo- 
sphäre die hierzu konzentrischen Kugeln sind, dann führt das Brechungs- 
gesetz sofort auf den Schluß: 

Die Trajektorie der Lichtstrahlen (Refraktionskurve) durch die 
angenommene, sphärisch geschichtete Atmosphäre ist immer eine ebene und 
zwar in eimer vertikalen. Kibene liegende Kurve. 

Wenn aber die Kurve eine ebene ist, so ergibt das Integral aus 
den Kontingenzwinkeln dR längs eines bestimmten Bogens (der Re- 
fraktionskurve) genommen den Winkel zwischen den Tangenten in 
den Endpunkten, also in unserem Falle die dem Lichtstrahl auf dem 
betrachteten Wege erteilte Refraktion R. Geht dieser Weg durch 
die ganze Atmosphäre hindurch, wie es bei der Beobachtung von 
Gestirnen der Fall ist, dann spricht man von der astronomischen Re- 
fraktion, geht der Lichtstrahl dagegen zwischen zwei der Erdober- 
fläche angehörigen Punkten, dann spricht man von der terrestrischen 
Refraktion. Da die letztere immer als Differenz zweier astronomischer 
Refraktionen aufgefaßt werden kann, so brauchen wir darauf nicht 


7. Aufstellung des Refraktionsintegrals. 315 


näher einzugehen. S. übrigens im Teilbande „Geodäsie und Geophysik“ 
den Artikel Vlı, 3 (Pizzetti), Nr. 34, 35, 36. 
Die astronomische Refraktion R wird also durch das Integral 


Ko 
(39) R= f tang i r- 
Ay 


gegeben, worin u, und u, die an der Grenze der Atmosphäre bzw. 
an der Erdoberfläche bezüglichen Werte von u bedeuten. Um die ge- 
samte Refraktion zu erhalten, hat man im allgemeinen die Brechungen 
an den Grenzen hinzuzufügen. Die Brechung an der oberen Grenze der 
Atmosphäre ist nicht zu vernachlässigen bei den Theorien, welche, wie 
die Besselsche, eine nicht sehr kleine Grenzdichte annehmen. Für die 
untere Grenze ist; keite besondere Grenzbrechung erforderlich, so lange 
man den Beobachter in der freien Luft voraussetzt. Das ist aber in 
der Praxis nie der Fall, und die neueren genaueren Refraktionsbeob- 
achtungen, insbesondere die von .Bauschinger®), von Großmann’), 
von .Courvoisier‘), haben die Existenz einer unteren, von den ört- 
lichen Verhältnissen abhängigen „Saalrefraktion“ außer Zweifel gestellt. 

b) Die Invariantenbesiehung (Elimination von i). 

Bei der Aufstellung der Gleichung (39) haben wir im Grunde 
nur von der Annahme Gebrauch gemacht, daß die Refraktionskurve 
eine ebene ist. Beachten wir aber, daB die isotropen, atmosphäri- 
schen Schichten von sphärisch konzentrischen Flächen begrenzt sind, 
dann ergibt sich ein einfacher Zusammenhang zwischen :, u und h 
(oder r=a-+-h), so daß zur weiteren Berechnung der Refraktion 


nur noch die Kenntnis der Beziehung zwischen u und h erforder- 
lich ist. 


Betrachten wir nämlich nochmals zwei einander folgende, unend- 
lieh dünne, atmosphärische Schiehten M und M’; nennen i, e den In- 
zıdenz- bzw. Brechungswinkel an der Grenzfläche zwischen M und M’, 
‘ den Inzidenzwinkel auf die innere Grenzfläche von M’, r und r’ 
die Entfernungen der Inzidenzpunkte J und 7 von dem Erdmittel- 
punkt OÖ, u und u’ die Brechungsindizes für M und M’, dann folgt 
aus dem Brechungsgesetze: 

u sin i== u’ sin e 


38) J. Bauschinger 1898. 
39) E. Großmann 1901. 
40) Courvoisier 1904. 


316 VI»2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


und aus dem Drei OIT: 


rsmd=rsine, 


also gilt die Invariantenbeziehung: 
rusiniö=r'wu sin i = konst. 

In Worten ausgedrückt: Das Produkt aus der Entfernung r vom 
Erdmittelpunkt O mit dem Brechungsindex u und dem Sinus des Ein- 
fallswinkels i ist für alle Punkte der Refraktionskuwrve konstant und 
infolgedessen = au, sin z, wenn a die Entfernung des Beobachtungs- 
ortes vom Erdmittelpunkt O und z die scheinbare Zenitdistanz des 
beobachteten Objekts bedeutet. 

Setzt man den aus der Gleichung 
(40) ru sin? = au, Sin 2 
für tang i folgenden Wert in ie ein, so bekommt man den Ausdruck 


(a1) a eins 2 
Vu 


worin nur noch u durch die Luftdichtigkeit d nach den in Nr. 2 
behandelten Beziehungen auszudrücken ist, um dann auf Grund einer 
der in Nr.5 besprochenen Hypothesen das Problem auf eine Quadratur 
zurückgeführt zu haben. 

ce) Die Laplacesche Beziehung (Elimination von uw). 

Nehmen wir, wie bei den meisten Refraktionstheorien, die 
Laplacesche Besiehng [vgl. Formel (1)] 

u —1=2cö 


an, führen wir noch (wie in Nr. 5, p. 303—304) die reduzierte Höhe 








BE h BIER diem. 
ee Free” 
und die relative Dichtigkeit x = ö/ö, ein, setzen wir ferner die soge- 
nannte Refraktionskonstante?!) « gleich: 





cd, a Beh 
(42) ud 1er er 77 Soli 7% TB) 





41) Konstant ist « nur, so lange man bestimmte Druck- und Temperatur- 
verhältnisse für den Beobachtungsort annimmt. Nennt man «, den bei 0° und 
760 mm gültigen Wert von «, dann ist sehr nahe der Wert der Refraktionskon- 
stanten bei der Temperatur t und dem Barometerstande B 

B 1 
N rers 


8. Refraktionsformeln nach Cassini, Mayer, Bradley und Simpson. 317 


so erhalten wir leicht aus (41) das Refraktionsintegral in seiner 


endgiltigen Form 
1 








sinzdx 
Pr hf — 20 (1 —x) Voos!s— 2a — a) + (25 — sh) sin?z’ 
“H 

worin &; den an der Grenze der Atmosphäre gültigen Wert der Luft- 
dichtigkeit & bedeutet. 

Die Refraktionskonstante « ist nach Bessel gleich 0,0002932 (bei 
0° und 760 mm) zu setzen, so daß 1 — 2«(1 -— x) zwischen 0,9994 
und 1,0000 verläuft. Das ist eine so geringe Änderung, daß man 
ruhig den Mittelwert 1—« an Stelle des veränderlichen Faktors 
1 — 2«(1 — x) setzen kann; die größtmögliche Abweichung von drei 
Zehntausendstel des Wertes von R (also 0,6 bei der Horizontalrefrak- 
tion und 0,05 bei 70° Zenitdistanz) ist praktisch immer zu vernach- 
lässigen. Ebenso kann man das Glied 2‘ Ordnung in s unter der 
Wurzel in (43) weglassen, man darf aber nicht den Faktor 1 — s im 
Zähler durch die Einheit ersetzen, denn dies macht bei 2 —= 70° einen 
Fehler von 0”,2*) aus, welcher den Wert der Refraktionskonstante « 
nieht unwesentlich verfälscht. Diese nicht zulässige Vereinfachung 
kommt in den Refraktionstheorien von .bessel und Gylden vor. 


8. Refraktionsformein nach den Hypothesen von Cassini 


ö 1 
(ö = konst.) und von Mayer (5 —=-1— #) s  Breadleysche und 
o 


Simpsonsche Formel. Bei der Üassinischen Hypothese ö = konst. 
verschwindet das Integral (43) gänzlich, da bei konstanter Dichte der 
Weg der Lichtstrahlen durch die Erdatmosphäre geradlinig, die be- 
zügliche Refraktion also null ist. Hier hat man also nur mit der 
Grenzbrechung zu rechnen. Für diese haben wir zunächst aus der 
G1. (40) (da u — m) 
(44) rsini= asinz, 
worin ö den Winkel der Trajektorie mit der Normale im Einfalls- 
punkt, also den Brechungswinkel bei der Grenzbrechung bedeutet. Ist 
“=i-+ R der bezügliche Einfallswinkel, dann gibt das Brechungs- 
gesetz 
(45) sin (© + R) = u sin i. 

Aus (44) und (45) durch Elimination von © und Auflösung nach 
R ergibt sich die Refraktionsformel nach Cassinis Hypothese‘®) 


42) 8. hierüber Bemporad, Spettrose. 1905, p. 239 ff. oder R. Radau 18832 
43) Vgl. Cassini*"). Die Berechnungsart von Cassini war etwas weitläufiger 
Formel (46) wurde von A. Eemporad aufgestellt (Bemporad, Spettrose. 1905). 


318 Vis2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


(46) tg} R IF nins [Yd+H%°-— sinds —y(l + H)—u2sin®z}, 


worin, da für # die Höhe der homogenen Atmosphäre (8 km) zu 
setzen ist, nur w vermittelst einer Refraktionsbeobachtung zu be- 
stimmen ist. Nimmt man zu diesem Zwecke nach Bessel 


Refr. bei 70° — 1647,50, 
dann folgt der Wert 
u == 1,00029301, 


welcher sich sehr wenig von dem Besselschen Wert (1,00029315) 
unterscheidet. Die nach der Formel (46) berechneten Werte der 
Refraktion stunmen bis 70° vorzüglich mit den Besselschen überein, 
wie aus der Tabelle in Nr. 12 ersichtlich; nur bei z = 85° und dar- 
über werden die Abweichungen zwischen berechneten und beobach- 
teten Werten sehr groß. 

Bei der Mawyerschen Hypothese (13) einer gleichförmigen Dich- 
tigkeitsabnahme mit der Höhe erhält man, wenn man in (43) den 
Faktor 1 —2«(l — x) vernachlässigt und Zähler und Nenner durch 


1 — s dividiert, ferner (1 —s)"° durch 1 + 2 ersetzt, durch Integration 


zwischen den Grenzen 0 und H die Mayersche Refraktionsformel“): 


(47) nes - sin e(V eos? z + 2b — cos e), 
worın 
H 


b = — -— 


Da nach den obigen Erläuterungen (Nr. 5b, Tob. Mayer, p. 302) 
der Wert H=21=16 km am besten den physikalischen Bedin- 
gungen entspricht, so bleibt nur die Konstante « zur Verfügung. 
Wenn man diese aus dem Besselschen Werte der Refraktion bei 
2 == 10° bestimmt, erhält man 


u = (1 20)” = 1,00029312 (Bessel 1,00029315) 


und die aus (47) berechneten Refraktionen stimmen dann (s. Tabelle 
in Nr. 12, p. 325) fast: bis 85° mit den beobachteten (Besselschen) 
überein. 

Auf die Mayersche Refraktionsformel (47) lassen sich durch leichte 
Umformungen und Annäherungsverfahren die im 18. Jahrhundert (bis 


44) T'ob. Mayer, Vabulae motuum solis et lunae novae et correctae, quibus 
accedit methodus longitudinum promota, (posthum) London 1770, p. XXXU 
(Refraktionstafel); p. 62 und 115 (Erklärung); p. 64 und 120 (Refraktionsformel). 
Vgl. Bruhns, Hist. Entw. (1861), p. 58---60; Wolf, Handb. 2 (1893), p. 270. 


9. Orianis (Taplaces) Satz. 319 


in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts) sehr häufig gebrauchten 
Refraktionsformeln von Bradley®”): 

(48) R=atg(z2-—- mR), 

und von Simpson ®®): 

(49) R= 2 [z — are sin (k sınz)} 


reduzieren, in denen 9, n, k empirische Konstanten sind. Diese 
Formeln geben also, wie die Mayersche Kormel, eine für die prak- 
tische Astronomie ganz brauchbare Darstellung der Refraktion. 

9, Orianis (Laplaces) Satz. Bis etwa. 75° Zenitdistang ist die Art 
der Hypothese über die Konstitution der Atmosphäre praktisch ohme 
Einfluß auf die Refraktion. Man kann in der Tat aus der 
Formel (43) eine nach Potenzen von tang z fortschreitende Entwick- 
lung erhalten, welche bis z == 75°, bei jeder Hypothese, so konvergent 
bleibt, daß bereits die ersten zwei Glieder zur Darstellung der theo- 
retischen Refraktion ausreichen. Diese zwei Glieder aber hängen nur 
von den Druck- und Temperaturverhältnissen am Beobachtungsorte 
und nicht von der besonderen angenommenen Theorie ab. Die an- 
gedeutete Entwicklung wird dadurch erhalten, daß man das auf der 
rechten Seite der Gl. (43) vorkommende Radikal nach den Potenzen 
— 20(1 — 2) + 2ssin?z 

cos? z 





von „1 = entwickelt. Man erhält, wenn man nur 


die Glieder erster Ordnung in s und « mitnimmt, 
1 
& ® 
RER . ER BNTL PORRR ‚2 | 
R= ,--,tang | (1 + all — x») setz —s sec’ z)dr 


0 
L 


ee ri se 2 -— sec? z  [sae}- 


Nimmt man die Dichtigkeit & an der Grenze der Atmosphäre 
als verschwindend klein an, dann erhält man durch teilweise Inte- 
gration 


1 0 

» ’ 
[saw = [zas. 
0 i 


Nach der a ee (23) hat ınan weiter 


Br 


h A u 
tds == — — .® } 
R Ps a 


RERRIRR NO, R 0 
45) Siehe Literaturverzeichnis Ic. Vgl. auch Wolf, Handb. 2 (1898), p. 269. 
46) Th. Simpson, Mathematical dissertations on physical and analytical 
subjects, London 1748. Vgl. Bruhns, Hirt. Evutw., p. 90; Wolf, Handb. 2 (1893), 
p: 268. 


320 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre 
also schließlich 

i I ı & 

(60) R=,"-(1 +40 ?)tangz — (? — 5) tang: e}, 


a 
worin die Koeffizienten, nach den Formeln (6a), (7), (8), (22) und 
(42), nur von der Temperatur und vom Luftdruck, bzw. von der geo- 
graphischen Lage (Breite und Höhe) des Beobachtungsortes abhängig 
sind. Mit den bekannten Normalwerten != 7,9939 km, a = 6377,36 km, 
log « = 6,46483 — 10 (Bessel)*') ergibt sich aus (50)*) 
R = [1,18097] taug 2 — [8,82512 — 10] tang? z, 


und aus dieser bei z = 45°, 60°, 70°, 75° bzw.: 


450 60° 700 750 

1. Glied 60389  104”,60 165,92 225”,38 
2. Glied — 007... oe Ne 

R 6032 10425 16453 221,90 


Refr. nach Bessel 60,32 104,23 164,50 221,90 


Man sieht, daß die Darstellung der Refraktion bis zu 75° eine 
vollkommene ist. 

10. Entwicklung des Refraktionsintegrals bei der Besselschen 
Theorie. Mit den in Nr. 7, p. 317 angedeuteten Vereinfachungen, 
unter Einführung der Besselschen Hypothese [s. p. 307, Formel (29)] 

Le” 28 
und der Abkürzungen 


’ 


e. 
T 


p) Er [4 
Z2m=yodgs, =. De — 


erhält man aus (43) 
Ss 
R= aß , e-Prds | 
a—o)y2 I Vers su er) 
0 








worin $ die reduzierte Höhe der Atmosphäre bedeutet. Bei Bessel 
(vgl. Nr. 5e, p. 308) ist $ = 0,00445, H == 28,5 km. 
Wenn man die neue Variabele 
u=s— (1 — e-f*®) 


einführt und das Zagrangesche Reversionstheorem anwendet, er- 





47) F. W. Bessel, Tabulae Regiomontanae reduetioaum observationum astro- 
nomicarum 1750-—1850 computatae, Regiomonti 1830, p. LIX, 538—542. 

48) Eingeklammerte Zahlen bedeuten durchweg diejenige Zahl, deren deka- 
discher Logarithmus in der Klammer steht, also [N] = 10°. 


10. Entwicklung des Refraktionsintegrals bei der Besselschen Theorie. 321 
gibt sich 


(51) R= eh; au__ le-Bu + eß(2e ru — ee?) 
a —a)y2, vZ+ul 


EP? (03,-3Bu __ 92, 9p-2Bu L o-Pu 





ER (ae — 38.3e-3Pu 1 2.3 Let) +... I, 


wobei die obere Grenze U durch 
U=-S8S—.1—ef®) 


bestimmt ist. Bessel setzt nun die obere Grenze = oo, wobei still- 
schweigend angenommen wird, daß der Teil des Integrals von v= U 
bis u == oo praktisch verschwindend klein ist. Daß dies nicht der 
Fall ist, wird aber leicht durch eine angenäherte Berechnung gezeigt. 
Man findet nämlich‘*”) 

bei z= 45° 70° 80° 85° 90° 


far- rı 55 1072 15%3 202. 
; | 


Diese Beträge wären wegzulassen und dafür die der @renz- 
brechung R, an der oberen Grenze der Atmosphäre einzusetzen, 


welche nur bis z = 75° praktisch mit f dR zusammenfallen; über 80° 
ö 


hinaus sind die Unterschiede AR = R, — fe dR nicht mehr ganz un- 
U ; 


bedeutend, und zwar findet man 
bei 2 80° 850 90° 
AR= +03 +171 +2°5. 
Setzt man mit Bessel in der Gl. (51) die obere Grenze U= 
ein, dann nehmen alle auf der rechten Seite vorkommenden Integrale 


die Form 
ne 
= du 
? yvZz-+u 


0 
an, worin p eine positive, ganze Zahl bedeutet. Durch die Substitution 
PBEHW-B, 
(5la) VpBZ=T 


49) Vgl. A. Bemporad, Una osservazione alla teoria di refrazione di Besse:, 
Memorie della Societä degli spettroseopisti Italiani 31, Catania 1902, p. 278. 


322 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


_ reduzieren sich alle diese Integrale auf die sogen. Krampsche Funktion 
(das Wahrscheinlichkeitsintegral) 


vin—errferrdt, 
r 
für welche Tafeln von Ohr. Kramp°®) selbst, von F. W. Bessel®') und 
ausgedehnter von R. Radau’?) vorliegen. Setzt man mit Radau 


vor [era 


(worin T nach (öla) auch von p abhängig ist), dann erhält man als 
definitiven Ausdruck der Refraktion nach Bessel 


B=EVR ertey, + Berry + +): 


Für die Horizontalrefraktion (2 = %", T’=0), folgt, da be- 
kanntlich 


n 


feru- ; also Y, zu Vo ist: 


2 
I) 


Br Ve ee 


Die erste Besselsche Refraktionstafel®®) wurde nach den obigen 
Formeln unter Annahme der aus den Bradleyschen Meridianbeobach- 
tungen abgeleiteten Werte der Konstanten 


= 57,538; = 745,747 (bei 99,13 C. und 751,8 mm) 


berechnet. Später fand Bessel aus eigenen und Argelanderschen. Be- 
obachtungen, daß die so erhaltenen Refraktionen bis z = 85° zu klein, 
von 85° bis 90° zu groß waren. Er multiplizierte deshalb die ersten 
mit dem Faktor 1,000328, letztere aber ersetzte er einfach durch die 
beobachteten, also empirischen Werte. In den so gewonnenen, bis 
heute im allgemeinen Gebrauch gebliebenen Zabulae Regiomontanue*') 
sind’ nieht die Refraktionen selbst, sondern, der Kürze wegen, die 


Werte von k = r mit dem Argument z tabuliert. 


Zur Ableitung der Refraktion bei beliebigen Werten der 'Tem- 
peratur und des Luftdrucks am Beobachtungsorte entwickelte Bessel 
ziemlich weitlänfige Differentialformeln, welche er dann aber zur 


50) Chr. Kramp?’), p. 207-—210: 

51) F. W. Bessel, Fund.?®) (1818), p. 36, auch Bruhns, Hist. Entw., p. 112. 
62) R. Kadau, Obe. de Paris Ann., mem. 18 (1885). 

53) Bessel, Fundamenta astronomiae, Regiomonti 1818, p. 45-—52. 


11. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Schmidtsche Theorie. 323 


logarithmischen Berechnung bequem umgestaltete und mit besonderen 
Tafeln ausstattete. 

In ähnlicher Weise wie die Besseische lassen sich auch die 
Laplacesche, Ivorysche, v. Oppolzersche Refraktionstheorie am einfachsten 
unter Einführung der Y-Funktion entwickeln. Bei anderen Theorien 
dagegen, wie denen von Schmidt, von Bauernfeind, von Gylden, ge- 
langt man zu einfacheren Integralen, die sich durch Rational- und 
Exponentialfunktionen ausführen lassen, dafür treten aber umständ- 
liche Reihenentwieklungen auf, von denen viele Glieder mitzunehmen 
sind. Als Typus dieser Art der Entwicklung werden wir in folgen- 
der Nr. die Schmidtsche Theorie in ihren Hauptzügen wiedergeben. 


11. Entwicklung des Refraktionsintegrels für die Schmidtsche 
Theorie). Führt man die Schmidische Hypothese [s. Nr.5g), Schmidt, 


‚309 
H 2 1+mt _. h 


RT DE RR: 
in die Gleichungen (5), (6) ein, so erhält man für die relative Dichte x 
(Formel 22a) die Differentialgleichung 


de(1—z) dh 


a a’ zdh 
H = — — 7ds 


ei oe a 
Unter Vernachlässigung des Gliedes mit A? im Nenner auf der 
rechten Seite und durch Auflösung in einfache Brüche ergibt sich 


dh 2. 
d 
(52) ennee 2 
ie 
H a 


worin zur Abkürzung 

(53) Be 37 

Ha) 

gesetzt ist. Aus (52) folgt durch Integration bei der Grenzbedingung 
het, zel: 








—k—1 
m ihre) 
Schmidt nimmt das Refraktionsintegral (43) in der Form 
1 
NER (1—s)dz 
Ned ne ar En 
() 


so daß er weder das quadratische Glied s? sin’ z im Nenner, noch den 
Faktor 1 -- s im Zähler vernachlässigt (vgl. Nr. 7, p. 317). Da er 





54) Vgl. Fußnote 28. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 22 


324 VlIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung: des Einflusses der Atmosphäre. 


für dis Höhe ZH der Atmosphäre 49,1 km annimmt, so folgt für die 
reduzierte Gssamthöhe der were \ 


BD m SH fi” 0,00763. 
An Stelle von s führt Schmidt die neue Varieabele u gemäß der 
Beziehung 
(56) A-JP-1-Bl—n) 


ein, worin ß so gewählt wird, daB bei s = 8, also an der Grenze der 
Atmosphäre, u == (0) ist; demnach 


(56) 8-25 —- 8-22 3% +... 0,0152. 
Aus der Gleichung (56) folgt 


(57) s=1—-[11— Bl — WI, 
also zufolge (17) 
5) =, all sl WI*—1} 


a) HER — + 
Vermöge der Gleichung (57) und unter Einführung der Ab- 


kürzungen 

ßsin?z 2 
en L= : 
cos?z + Bein?z2’ cos?2 + Bsin?z 


geht der Ausdruck (55) im 


1 
2. Mr K vi - pi - ee -u) 
(59) ri BJ yi—-Ku—Li—a) 


K= 











über. 

Die Formel (53) gibt mit den bekannten Werten !== 8 km, 
H=49km sehr nahe k+1=®, also k nahe =5. Da nun % 
durch /, von der Temperatur am Beobachtungsorte abhängig ist (vgl. 
Formel (22) in Nr. 5, p. 304), so wählt Schmidt als Normaltemperatur 
bei seiner Theorie eben eine solche (4, = — 20,2), bei welcher genau 
k=5 ist. Dann ergibt sich nach den Gleichungen (54), (58), wenn 
man bei den Rey erster Ordnung in ß stehen bleibt, 


a1 Ham] u +Ba— Wr 
Setzt man hier für „ ;4 den aus (56a) erhältlichen Wert 
z 
Al Ba 1 Zu sh 


ein, so folgt 
2— [u + 380 -WPIL + FAT EN 4-4] 


12. Vergleichstabelle der theoretischen Werte der Rofraktion. 323 


Wenn man jetzt diesen Ausdruck anstelle von x im Gl. (59) 
einsetzt und die Wurzel nach den Potenzen von L, den Zähler aber | 
nach den Potenzen von u und von 1— u entwickelt, so erhält man 
eine lange Reihe von Gliedern der Form 





C rs 
* g id — Ku)+! 


worin P,q,r,s ganze Zahlen bedeuten. Diese Integrale sind nun 
durch bekannte Verfahren leicht auszuführen, die ganze Entwicklung 
wird aber offenbar infolge der vielen Integrationen äußerst lang- 
wierig. 

Von diesem Mangel abgesehen ist die Schmidische Refraktions- 
theorie als eine physikalisch gut‘ begründete und analytisch sehr 
streng durchgeführte Theorie hervorzuheben. Auch die von Schmidt 
ersonnene Einrichtung zur Verbesserung der Refraktion wegen der 
Temperatur t und des Luftdrucks B ist deshalb beachtenswert, weil 
sie die Berücksichtigung der Glieder zweiter Ordnung (in di und dB) 
gestattet, während das Besselsche Verfahren auf die Glieder erster 
Ordnung beschränkt ist. 


12. Vergleichstäbelle der nach den wichtigsten Theorien be- 
rechneten Werte der Refraktion. In der folgenden Tabelle werden 
für eine Reihe von Zenitdistanzen die Werte der Refraktion bei den 
wichtigsten Theorien und bei den Formeln (46) (Cassini) und (47) 
(Mayer) zusammengestellt. Mit Ausnahme der letzteren Werte sind 
alle anderen aus einer Tabelle der mehrmals erwähnten Radauschen 
Abhandlung entlehnt. 











5 Werte der Refraktion bei 0° und 760 mm nach: 

Cassini | Mayer | Laplace | Bessel [T.R.)] | Ivory | Schmidt | Gyldan | Kowalski 
as°| 00’3 | 6008| 6805| 60,8 80,8 | 60,5 | 00 | 60,8 
70 | 1645 | 164,6 | 165,1 | 164,5 166,2 | 166,0 | yo | 1646 
80 | 330,8 | 331.0 | 382.3 | 8311 832,9 | 332,8 4 38183 
85 | 07,9 | 11,8 | ein, | [6194 ar 619,8 | 617g | A| 15a 
90 |1287,0 |1816,4 |2106,0 | (2241,8) .2200,6 |2207,8 | 771012 | (8096,6) 




















Hüfstafeln für die Berechnung der Refraktion sind vielen Theorien 
beigegeben. Die gebräuchlichsten sind wohl die Besselschen (p. 322), 
ausführlicher und genauer die neueren Radauschen, sehr bequem ein- 
gerichtet die neuesten de Ballschen Refraktionstafeln®®), 


65) Vgl. das Literaturverzeichnis, p. 290, Abschnitt Ie): „Refraktionstafeln“. 
22* 


326 VIa,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


IV. Theorie der Extinktion. 


13. Aufstellung des Extinktionsintegrals. Wenn man sich auf 
Strahlen einer bestimmten Wellenlänge. beschränkt, so daß die von 
einer gewissen Luftschicht durchgelassenen Lichtstrahlen qualitativ von 
den einfallenden nicht verschieden sind, dann gilt strenge das exp»- 
nentiale Absorptionsgesetz (3) 

Js ek J*, 


worin o die durchlaufene Strecke ‚k den Absorptionskoeffizienten der 
Längeneinheit, J* die anfängliche, J aber die durchgelassene Licht- 
menge bedeutet. Fügen wir noch das Beersche Gesetz (4) 

k == 06 


hinzu, dann ergibt sich die Fundsmentalformel der Extinktions- 
theorie 


(60) log J = log J* — 08, f 2-do, 


worin d, die für die Erdoberfläche geltende Luftdichtigkeit bedeutet, 
de das Element der Trajektorie des Lichtstrahls, also der Refraktions- 
kurve, ö die bezügliche Luftdichte darstellt und das Integral über die 
ganze Trajektorie zu erstrecken ist. Setzt man weiter 


2 
A —n I 
ö 


(61) I p=e7"% (Transmissionskoeffizient der Atmosphäre), 
H 
ke | 
F (2) zu fa 
6 


worin H die Höhe der gesamten Atmosphäre bedeutet, und bezeichnet 
man mit J, und .J, die scheinbare Helligkeit bei der Zenitdistanz z, 
bzw. bei der Zenitrichtung (z = 0), dann folgt aus (60), (61) 

log J, — log Ju + log p[1 — F(e)}, 

Die Berechnung des Integrals F(z), also der von den Lichtstrahlen 
durchlaufenen Luftmasse (Einheit ist die Masse A einer Atmosphäre 
in der Vertikalrichtung), bildet die Aufgabe der Extinktionstheorie. 

Bedeutet i die Neigung der Refraktionskurve in der Höhe h 
gegen die Normale r an den sphärischen Niveauflächen, so hat man 
für das Element de dieser Kurve 


do = -—» 


% cog ı 





18. Extinktionsintegral. 14. Lambert- und Bouguersche Formel. 327 


Setzt man für cos i den aus der Invariantenbeziehung (40) (Nr. 7) 
erbältlichen Ausdruck, und führt, wie schon p. 304, x (relative Dich - 


tigkeit) an Stelle von br ein, so ergibt sich die Formel: 


(62) Fe) — ya Ve en 


welche hier dieselbe Rolle, wie die Formel (41) in der Refraktions- 
theorie spielt. 





14. Entwicklung des Extinktionsintegrals unter Annahme 
konstanter Dichtigkeit oder konstanter Temperatur. Lambert- 
und Bouguersche Formel. Denkt man sich die Atmosphäre durch 
eine homogene Lauftschicht ersetzt, nimmt man also = 1 und daher 
auch u, = u an, dann folgt zugleich 

A=JH, 


(63) F(e) = 5 (Va? co®?2+2aH + H? — acosz], 





d. i. die sogen. Lambertsche Extinktionsformel°®), welche eine genü- 
gende Darstellung der durchlaufenen Luftmassen ergibt, wenn man 
für H den Wert der Höhe ! der homogen reduzierten Atmosphäre 
[Nr. 3b), p. 298], also etwa 8 km annimmt. 

Bei der Annahme einer konstanten Temperatur und unter Ver- 
»achlässigung der Veränderung der Schwerkraft mit der Höhe erhält 
man [vgl. Nr. 5c), Newton, p. 303] 

h 


ze Le) H=o, 
also 


h 
Pe T e "dh = | = 7,9994 km. 
0) 


Führt man diese Werte in (62) ein, vernachlässigt man weiter 
die Krümmung der Trajektorie, welches durch die Annahme u = m 
geschieht, so ergibt sich aus (62) 


Th, 


(64) Fe) — al Er fr .. (a + h) (1 Rz atcostz ar) "ah 


und durch Reihenentwicklung, welche etwa bis z = 82° zulässig ist‘”) 





56) Lambert, Photometria 1760. 
57) Vgl. hierüber Bemporad 1901. Die in den Lehrbüchern als .Bouguersche 
Extinktionsformel gegebene Entwicklung unterscheidet sich von dieser in den 


328 VI»,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 
die korrigierte®”) Bouguersche Extinktionsformel 

. 
(65) Fr) =sec# — ie sec tg’z + 5 set stg?s — --- 


Eine bei großen Zenitdistanzen sehr schnell konvergierende Ent- 
wicklung des Integrals (64) erhielt Bemporad®®) durch die Einfüh- 
rung der Krampschen Funktion Y%(7') (p. 322). Führt man nämlich 
die neue Variabele t durch die Gleichung 


h-+a(l— sing) = It? 


1t? 
ein, entwickelt dann die Wurzel nach Potenzen von 54 sin, nd setzt 
zur Abkürzung: 


un=er, ettdt, 


2asinz ” 





so erhält man 
(5) Fu tun) HT + HN) 
— AUT +47 + 4o(T)] 


Diese Entwicklung konvergiert so rasch, daß bis zu z = 84° zwei 
Glieder zur genauen Berechnung von Fz) ausreichen. Sie ist ferner 
auch bei 2 > 90° brauchbar®®). 


15. Laplacesche Extinktionsformel. Aus den Fundamental- 
gleichungen (5) und (6) folgt unter Vernachlässigung der Vtilände- 
rung der Temperatur und der Schwerkraft: 


(66) p=d=d,n, 
ldı = — ıdh. 
Nach der Laplaceschen Beziehung (1) 
v=1- 2cÖ 
ist ferner 
udu = edd —= cö,dz, 
algo 
Iudu 
(67) ldı = 7 


Ersetzt man in F(z) den Wert von zdh durch seinen aus (66) 
und (67) erhältlichen Ausdruck, ferner } durch A (vgl. oben), so folgt 


numerischen Koeffizienten, ist aber wegen zu grober Vernachlüssigungen schon 
im zweiten Gliede unrichtig. 
58) Vgl. Bemporad 1906 und Cerulli 1906. 


15. Laplacesche Formel. 16. Bemporads Formel. 329 


unter gehöriger Änderung der Integrationsgrenzen 


ko 
PER) At pdu 
(2) “/y 5 (Cie) int z 


Vergleicht man diese mit der Fundamentalformel (41) der Re- 
fraktionstheorie (Nr. 7), so ergibt sich 








0 Lt 
cd, sin 2 e ap, 


dF = 


Da nun u und — sich sehr wenig von der Einheit unterscheiden, 
vo 


so wird sehr nahe 
(68)  F(z) = konst. - ae (Laplacesche Extinktionsformel) 
sein. 


16. Strengere Behandlung der Extinktionstheorie bei der An- 
nahme einer gleichförmigen Temperaturabnahme mit der Höhe 
von Bemporad. Nach den im vorigen (Nr. 7 und 10) eingeführten 
Bezeichnungen ergibt sich aus (62) 





Ss 
Fo)=K zy1—2all —a)(1 +25-+:--)ds 
v2?—eU—+s—}, 








’ 
v 


worin 


REEL ELLE 
aY2-sinz’ 
(H Höhe der Atmosphäre) eingesetzt wurde. Nimmt man für die 
Konstitution der Atmosphäre die Hypothese einer gleichförmigen Ab- 
nahme der Temperatur mit der Höhe in der Form 


a H 
ZA} cotgz, ee or 


Ihe — Bas. 
an, dann erhält man aus (5) und (6) (Nr. 8) 


ng (1 en ys), 
worin 


5. 


mßa a 1 
ten TE 0 nl 


Bei der Annahme des Temperaturgradienten d = 6°,22 pro km wird 
S—= 7 = 0.006894, H=4km, k—$. 
4 


330 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 
Dann folgt 
el (1 I u .) = 8,0109 kw 
187 657° R a 
und durch Taylorsche Entwicklung der Wurzel aus [Z’—s(1— x) +37? 


nach den Potenzen von s(1—x) unter Einführung der neuen 
Variabeln i (welche natürlich nichts mit der Temperatur ? zu tun hat): 


ergibt sich: 


T 
2 +1 k 
Fa Fe 


sing 


; x T 
c ZI 2 ok, Ak—1 A 98 2, 
+, 17 3 futäh, PR, a Je RR 


R | / 193 ‘ a nt 
worin 
1 a 
a Klrra G=40ar, 


gesetzt ist. Die hierbei vorkommenden Integrale sind nun bei dem 
Normalwert k = $ leicht durch trigonometrische Funktionen darstell- 
bar°®), und die Entwicklung erweist sich bei allen Zenitdistanzen als 
rasch konvergierend. 


17. Vergleichstabelle der verschiedenen Extinktionstheorien. 
In der folgenden Tabelle werden für eine Reihe von Zenitdistanzen 
die Werte von F(z) (durchlaufene Luftmasse) nach den Formeln von 
Lambert (63), Bouguer (65) und (65a), Laplace (68) und nach der 
Theorie von Bemporad (Nr. 16) zusammengestellt. 











Zenitdist. Werte der durchlaufenen Luftmasse F'(z) nach: 
2 Lambert | Bouguer | Laplace Bemporad 
60° 1,997 h 1,993 1,998 1,995 
70 2,909 2,897 2,899 2,904 
80 6,647 5,551 5,563 5,600 
85 10,663 | 10,142 10,196 10,895 
88 20,858 | 18,677 18,835 19,787 
90 | 89,967 | 35,416 36,664 39,662 








18. Die terrestrische Extinktion. Ganz analog wie bei der 
terrestrischen Refraktion (Nr. 7) sprechen wir von terrestrischer Ex- 
tinktion, wenn die von den Lichtstrahlen durchlaufene Sirecke von 





59) Vgl. Bemporad, Extinkt., Heidelb. Mitt. 4, 1904. 


17. Vergleichstabelle. 18. Terrestr. Extinktion. 19. Selektive Absorpt. 331 


der Erdoberfläche an nicht bis zur Grenze der Atmosphäre, sondern 
nur bis zu einer gewissen Höhe verläuft. Dieser Fall kommt vor bei 
der photometrischen Beobachtung von Lichtquellen, welche der Erd- 
oberfläche angehören (z.B. von entfernten Schneefeldern‘%)) oder bei 
der gleichzeitigen Beobachtung eines und desselben Gestirnes aus zwei 
Stationen in sehr verschiedenen Höhen über dem Meeresniveau. Die 
diesbezüglichen Formeln müssen notwendigerweise komplizierter als 
die der astronomischen Extinktion ausfallen; doch hat Bemporad auf 
Grund der in Nr. 16 besprochenen Theorie Tafeln eingerichtet, 
welche die Berechnung der terrestrischen Extinktion (also der durch- 
laufenen Luftmassen) bis zur Zenitdistanz von 89° und bis zur Höhe 
von 5000 m über dem Meere ermöglichen ®!), 


19. Die selektive Absorption. Da die Atmosphäre die Strah- 
lungen verschiedener Wellenlänge in sehr verschiedenem Betrage ab- 
sorbiert, so kann jede Extinktionstheorie zunächst nur bei monochro- 
matischem Licht eine strenge physikalische Bedeutung beanspruchen. 
Da aber die spektralphotometrischen bzw. bolometrischen Unter- 
suchungen wegen der kostspieligen instrumentellen Einrichtung, 
auch wegen ihrer Schwierigkeit, bisher keine große Verbreitung ge- 
funden haben, so ist man m der Praxis genötigt, die Extinktions- 
theorie auf die Gesamthelligkeit der Gestirne durch Einführung einer 
mittleren, etwa den hellsten Partien des Spektrums entsprechenden 
Absorptionskonstante anzuwenden. Wie weit dies Verfahren zulässig 
ist, ist eine viel diskutierte Frage. 

Schon im Jahre 1842 machte Forbes darauf aufmerksam, daß 
eine dünnere rote Glasscheibe nahezu alle Strahlengattungen, eine 
dickere aber nur die roten Strahlen hindurchgehen läßt. Die spezi- 
fische Absorptionskonstante e dieses Glases für ein bestimmtes natür- 
liches Licht müßte also notwendigerweise verschieden ausfallen, je 
nachdem dünnere oder diekere Scheiben untersucht werden. .Forbes: 
präzisierte auch, daß im zweiten Falle eine kleinere Absorptions- 
konstante herauskommen muß, und daß eben dieselbe Erscheinung bei 
der Bestimmung der atmosphärischen Absorption auf kleinen (verti-- 
kalen) und auf großen (fast horizontalen) Weglängen zu erwarten ist, 
daß nämlich am Horisont anscheinend eine große speeifische Durch- 
lässigkeit der Luft herauskommen muß (Forbessches Phänomen). 


60) Oddone 1901; Bemporad, Memorie del Reale Istituto Lombardo di 
scienze e lettere 20 (3. serie 11), classe di scienze matematiche e naturali, 
Milano 1908. | 

61) Bemporad, Lincei 1905. 


332 VIs2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


Diese richtige Ansicht von Forbes wurde in präziserer mathema- 
tischer Form von Langley®”) nochmals vorgebracht. Er bewies mit 
aller Strenge, daß einerseits wegen der allgemeinen, kontinuierlichen 
Zunahme der Absorptionskonstante vom roten bis zum violetten Ende 
des Spektrums®), andererseits wegen der diskontinuierlichen Wirkung 
der sogenannten atmosphärischen Absorptionsstreifen, die in der ge- 
wöhnlichen Weise, d.h. ohne spektrale Zerlegung bestimmte mittlere 
Absorption von etwa 18°, der ursprünglichen Intensität (bei der 
Vertikalrichtung) nur eine untere Grenze für die wirklich stattfindende 
Absorption bedeutet. Nach Langley sollte letztere nicht weniger als 
40%, betragen. 


Während nun von allen Seiten die theoretische Richtigkeit der 
Langleyschen Einwendungen eingeräumt wurde, bestritt man doch 
die praktische Bedeutung derselben. Man bemerkte zunächst (Seeliger®®)), 
daß die optisch wirksamsten Strahlen in einer verhältnismäßig schmalen 
Zone im Gelb und Grün konzentriert sind, welche an Wirkung die 
übrigen Partien im Spektrum so sehr übertrifft, daß fast nur sie 
allein berücksichtigt zu werden braucht; dann wird die erste der be- 
trachteten Fehlerquellen (allgemeine Zunahme der Absorptionskonstante 
mit abnehmender Wellenlänge) bedeutend verringert. Andere ( Müller %)) 
bemerken, daß bei der Anwendung der Extinktionstheorie an den zu- 
verlässigsten empirischen Extinktionstabellen keine Spur des Forbes- 
schen Phänomens zu finden ist. Dasselbe Phänomen sollte auch be 
wirken, daß die auf hohen Bergen angestellten Extinktionsbeobach- 
tungen im allgemeinen größere Absorptionskonstanten als die ähn- 
lichen Beobachtungsreihen in niedrigeren Stationen ergeben sollten. 
Die bis jetzt in dieser Richtung angestellten Versuche ergeben nun 
nichts dergleichen, vielmehr öfters das Gegenteil®). 


Hingegen haben sich neuerdings Anzeichen gefunden, daß man 
trotzdem nicht mit einem mittleren Extinktionskoeffizienten — auch 
für visuelle Beobachtungen — auskommt. Müller und Kempf) haben 
im Jahre 1894 gleichzeitig auf dem Ätna und in Catania Helligkeits- 
messungen an Sternen vorgenommen, die mit einem einheitlichen 
Extinktionskoeffizienten nicht zu erklären waren., Die Verfasser 


62) Langley, Amer. Journ. 1884. 

68) Seeliger 1891. 

64) Müller, Photometrie (1897), p. 143. 

65) Vgl. die Tabelle der wichtigsten Bestimmungen des Transmissions- 
koeffizienten p in Müller, Photometrie (1897), p. 188. 

66) Müller-Kempf 1898, p. 278. 


19. Die selektive Absorption. 333 


führten diesen Widerspruch auf die Wirkung einer Catania umgeben- 
den Staubwolke zurück. Während Müller und Kempf bei ihrer Be- 
arbeitung nur die gleichzeitigen Beobachtungen von Zenitsternen 
herangezogen hatten, hat A. Bemporad‘") bei einer Neubearbeitung 
auch die gleichzeitigen Beobachtungen eines und desselben Sternes 
bei sehr großen Zenitdistanzen direkt miteinander verglichen. Zur 
strengen Berechnung der von beliebig geneigten Strahlen durch- 
laufenen Luftmassen zwischen den Höhen von Catania (69 m) und 
vom Ätnaobservatorium (2942 m) wurden die schon oben (Nr. 18) 
erwähnten Tafeln der terrestrischen Extinktion entworfen. Als 
Resultat dieser neuen Bearbeitung der Müller-Kempfschen Beobach- 
tungen stellte sich in Bestätigung der Forbes-Langleyschen An- 
sichten heraus, daß die mittlere Extinktionskonstante keineswegs die- 
selbe war für alle Strahlen, welche dieselbe Schicht unter verschie- 
dener Neigung durchliefen, daß vielmehr bei zunehmender Zenitdistanz 
die Extinktionskonstante beständig abnahm, sodaß sie bei 80° Zenit- 
distanz nur noch etwa halb so groß war, wie im Zenit. 


Ganz ähnliche Resultate hat eine Neubearbeitung der Angström- 
schen pyrheliometrischen Messungen‘®) zu Teneriffa (1897), sowie der 
in Catania und auf dem Ätna angestellten aktinometrischen Beobach- 
tungen®®) vom Jahre 1904 durch Bemporad ergeben. Aus den Beob- 
achtungen auf Teneriffa ließ sich übrigens noch ableiten), daß der 
(logarithmisch genommene) Extinktionskoeffizient der unteren Luft- 
schichten etwa mit der vierten Potenz der Dichte der Luft abnimmt. 


Da aber hier immer nur etwas unbestimmte Mittelwerte für 
größere Spektralgebiete vorlagen und auch systematische Beobach- 
tungsfehler eine Rolle gespielt haben können, so bleibt eine zu- 
verlässige und ausgedehnte spektralphotometrische Untersuchung der 
Extinktion ein unbedingtes Erfordernis. Die bisherigen spektralphoto- 
metrischen Ergebnisse’®) gehen weit auseinander und gestatten noch 
nicht einmal einen Entscheid darüber, ob die Rayleighsche Theorie” ) 
gilt, welche ein Wachsen des Absorptionskoeffizienten umgekehrt pro- 
portional der vierten Potenz der Wellenlänge fordert. Auch ist noch 
zu entscheiden, wie weit Staub und wie weit die Luftmoleküle selbst 


67) Bemporad, Lincei 1905, p. 281282. 

68) Bemporad 1908. 

69) Bemporad-Mendola 1907. 

70) Müller, Photometrie (1897), p. 140. 

71) Lord Rayleigh [J. W. Strutt), Phil. Mag. 41 (1871), p. 107, 274, 447 
== Lord Rayleigh, Scientific papers 1, Cambridge 1899, p. 87 und p. 104. 


334 VlIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 


an der Absorption beteiligt sind‘?), Ferner scheinen tägliche und 
jahreszeitliche Schwankungen der Extinktion zu bestehen, deren Studium 
namentlich für die Frage nach der Konstanz der Sonnenstrahlung, 
der Bag Solarkonstanten, wichtig ist’®). 


72) Lord Rayleigh, Phil. Mag. 47 (1899), p. 375 = Lord Rayleigh, Seientific 
papers 4, Cambridge 1903, p. 397. 

73) €. @. Abbot, Smithsonian Miscellaneous Cölleckions 45 (1903), p. 74; 
S. P. Langley, The „solar constant“ and related problems, Astroph. Journ. 17 


(1908), p.89; 8. P..Langley, On a possible variation of the solar radiation, Astroph. 
Tour. 19 (1904), p. 305. 


(Abgeschlossen im Dezember 1907.) 


VI2,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 335 


VI23,7. THEORIE DER FINSTERNISSE. 


VoN 
F. K. GINZEL UND A. WILKENS 


IN BERLIN IN KIEL. 


— 


Inhaltsübersicht. 


Einleitung. 
1. Einteilung der Finsternisse. 


A. Sonnenfinsternisse. 


2. Kriterium für das Stattfinden einer Sonnenfinsternis überhaupt. 
3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 

4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 

5. Der lokale Verlauf der Finsternis. 

6. Anwendung der Sonnenfinsternisse; Tafeln. 

7. Die Perioden der Finsternisse. 


B. Mondfinsternisse. 
8. Kriterium für das Stattfinden einer Mondfinsternis überhaupt. 
9. Verlauf einer Mondfinsternis. 
10. Tafeln zur Berechnung von Mondfinsternissen. 


C. Andere Finsternisse und Bedeckungen. 
11. Sternbedeckungen. 
12. Planetenvorübergänge. 
13. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen. 


Literatur. 


I, Sonnen- und Mondfinsternisse. 
1. Theorie. 
a. Originalarbeiten. 

P. A. Hansen, Über die Verfinsterungen auf der Erde überhaupt, Astr. Nachr. 

15 (1838), p. 33—104. Nachtrag unter dem Titel: 
— Über den Einfluß der Strahlenbrechung auf Sonnenfinsternisse und Stern- 

bedeckungen, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 185. 

Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 23 


336 VIs,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


— Theorie der Sonnenfinsternisse und verwandten Erscheinungen, Leipzig Ges. 
Wiss. Abhdl. 4 (1859), p. 303 (Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859). 

— Analyse der ekliptischen Tafeln, Leipzig Ber. 15 (1863), p. 143 (Hansen, 
Analyse d. ekl. Tafeln (1863)). 

F. W. Bessel, Analyse der Finsternisse, erschien in Bessel, Astron. Untersuch., 
Band 2, Königsberg 1842, p. 95. Abgedruckt in Bessel, Abhdl., Band 3, p. 369 
(Bessel, Analyse der F'insternisse (1842). 

J. A. Grunert, Theorie der Sonnenfinsternisse, der Durchgänge der unteren Planeten 
vor der Sonne und der Sternbedeckungen, Wien Denkschr. 8 (1854), 1. Ab- 
teilung, p. 133. 

R. Schram, Beitrag zur Hansenschen Theorie der Sonnenfinsternisse, Wien Ber. 
92 (1885), p. 1233. 

C. Stechert, Die Vorausberechnung der Sonnenfinsternisse und ihre Verwertung 
zur Längenbestimmung, Archiv der deutschen Seewarte 22. Jahrg. (1899), Nr. 1, 
Hamburg 1899. 


b. Lehrbücher. 


J. J. Littrow, Theoretische und praktische Astronomie, Wien 1821, Bd. 2, 6. Kap. 

A. Sawitsch, Abriss der praktischen Astronomie, 2. Aufl., deutsch neu heraus- 
gegeben von C. F. W. Peters, Leipzig 1879, 5. Abschnitt, p. 452 ff. 

F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie (4. Aufl. Berlin 1881: Brünnow) 
5. Abschnitt, 5. Kapitel. 

W. Chawvenet, A manual of spherical and practical astronomy (2 vols.), 5’ ed. 
(Chauvenet (1900)) Philadelphia 1885, 1893, 1900, vol. 1, chapter 10, p. 436. 


2. Tafeln. 

©. L. Largeteau, Tables pour le calcul des syzygies Ecliptiques, Conn. des temps 

. pour 1846 (Paris 1843), additions, p. 3 (Largeteau, Tables (1843)). 

P. A. Hansen, Ekliptische Tafeln für die Konjunktionen des Mondes und der 
Sonne, Leipzig Ber. 9 (1857), p. 75 (Hansen, Ekl. Tafeln (1857)). 

Th. von Oppolzer, Syzygientafeln für den Mond, Astr. Ges. Publ. 16, Leipzig 
1881 (Oppolzer, Syzygientafeln (1881). 

— Tafeln zur Berechnung der Mondfinsternisse, Wien Denkschr. 47 (1883) (Oppolzer, 
Tafeln f. Mondf. (1883)). 

P. Lehmann, Tafeln zur Berechnung der Mondphasen und der Sonnen- und Mond- 
finsternisse, herausgegeben vom k. Statistischen Bureau, Berlin 1882 (Lehmann, 
Tafeln (1882)). 

S. Neweomb, On the recurrence of solar eclipses with tables of eclipses (für den 
Zeitraum 700 vor Chr. bis 2300 nach Chr.), Wash. Astron. Papers, vol. 1, 
Washington 1882, Nr. 1 (Newcomb, Recurrence of solar ecl. (1882)). 

R. Schram, Tafeln zur Berechnung der näheren Umstände der Sonnenfinsternisse, 
Wien Denkschr. 51 (1886), p. 385 (Schram, Tafeln zur Berechn. v. Sonnenf. 
(1886)). 

— Reduktionstafeln für den Oppolzerschen Finsterniskanon zum Übergang auf 
die Ginzelschen empirischen Korrektionen, Wien Denkschr. 56 (1889), p. 185 
(Schram, Reduktionstafeln (1889)). 


3. Berechnete Finsternisse. 
L’Art de v£rifier les dates des faits historiques, @d. par des Benedictins, 1° &d. 
Paris 1750, 2itme 6d, Paris 1770; 3itme &d., 3 tomes, Paris 1783, 84, 87 (L’Art 
de verifier les dates). 


Literatur. 337 


A. @. Pingre, Chronologie des Eclipses qui ont &t& visibles depuis le pöle boreal 
jusque vers l’&quateur, pendant les dix siecles qui ont pr&c&d& l’ere chretienne, 
Paris 1787. 

©. Hallaschka, Elementa eclipsium, quas patitur tellus, luna eam inter et solem 
versante, Prag 1816 [Sonnenfinsternisse von 1816—1860]. Fortgesetzt u. d. T.: 
Caleulus eclipsis Solis observatae die 19. novembris 1816 cui accedunt Elementa 
eclipsium quas patitur tellus, luna eam inter et solem versante, ab anno 1861 
usque ad annum 1900 etc., Prag 1820 [Sonnenfinsternisse von 1861—1900]. 

E. Mahler, Die zentralen Sonnenfinsternisse des 20. Jahrhunderts, Wien Denkschr. 
49 (1885), p. 237. 

Th. von Oppolzer, Canon der Finsternisse, Wien Denkschr. 52 (1887) (Oppolzer 
Canon (1887)). 

F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse für das Länder- 
gebiet der klassischen Altertumswissenschaften und den Zeitraum von 900 vor Chr. 
bis 600 nach Chr., Berlin 1899 (Ginzel, Kanon (1899)). 


4, Graphische und Näherungsmethoden. 


W. Leonhardi, Anleitung zur Berechnung und graphischen Bestimmung der 
Sonnen- und Mondfinsternisse, Leipzig 1846. 

Bach (in Straßburg), Caleul des Eclipses de soleil par la methode des projections, 
Paris 1860. 

A. Laussedat, Paris C. R. 70 (1870), p. 240. 

A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 30 (1870), p. 162. 

Ph. Hatt, Paris C. R. 86 (1878), p. 303. 


II. Sternbedeckungen. 


J. J. Littrow, Über eine neue Methode, Sternbedeckungen für verschiedene Orte 
vorher zu bestimmen, Tübinger Zs. für Astr. 4 (1817), p. 334. 

C. Kramp, M&moire sur les occultations des &toiles fixes par la lune, Annales 
des math&matiques pures et appliquees, tome 8, Nismes et Paris 1818, p. 165. 

J. Fr. Encke, Über die Vorausberechnung der Sternbedeckungen, Berl. astr. 
Jahrb. für 1830 (Berlin 1828), p. 253. 

F. W. Bessel, Über die Vorausberechnung der Sternbedeckungen, Berl. astr. 
Jahrb. für 1831 (Berlin 1829), p. 257, sowie Astr. Nachr. 7 (1829), p. 1 = 
Bessel, Abhdl. 1, p. 209. 

C. F. A. Shadwell, Tables for facilitating the approximate prediction of occul- 
tations and eclipses for any particular place, London 1847. 

T. Chhevallier, Report of the 17% meeting of the British Association for the ad- 
vancement of science, held 1847, London 1848, Notices, p. 7. 

F. C. Penrose, On a method of predicting, by graphical construction, oceultations 
of stars by the moon and solar eclipses for any given place, London 1869. 

Bailis, Oceultations, pr&dietion graphique, Paris ©. R. 85 (1877), p. 1056. 

C. Berry, Theorie complöte des oceultations & l’usage special des officiers de 
marine et des astronomes, Paris 1880. 

P. Jaffre, Theorie complete el&mentaire des oceultations, St. Nazaire 1883. 

©. Stechert, Tafeln für die Vorausberechnung der Sternbedeckungen, Archiv der 
deutschen Seewarte, 19. Jahrg. (1896), Nr. 3, Hamburg 1896. (Stechert, Tafeln 
für Sternbedeck. (1896)). 

23” 


333 V13,7. F.K.@inzel und A. Wikens. Theorie der Finsternisse. 


©. Stechert, Hilfsgrößen für die Berechnung der im nächsten Jahre stattfindenden 
Sonnenfinsternisse und Sternbedeckungen, Ann. d. Hydr. seit 1897 jährlich 
(Stechert, Hilfsgrößen (1897)). 


III. Planetenvorübergänge. 

I. F. Encke, Über die Vorausberechnung der Planetendurchgänge, Berl. astr. 
Jahrb. für 1842, p. 291. 

J. L. Lagrange, Memoire sur le passage de Venus du 3 Juin 1769, Berl. hist. 
1766, p. 265 = ÜOeuvres 2 (1868), p. 335. 

P. A. Hansen, Bestimmung der Sonnenparallaxe durch Venusvorübergänge, 
Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 9 (1870), p. 455. 

K. Friesach, Theorie der Planetenvorübergänge vor der Sonnenscheibe, Leipzig 
1874. 

M. Vodusek, Neue Methode für die Berechnung der Sonnen- und Mondesparallaxe 
aus Planetenvorübergängen und Sonnenfinsternissen, Laibach 1879. 

Ferner in vielen Werken über die Bestimmung der Sonnenparallaxe und 

in Lehrbüchern, z. B. in den Seite 336 unter I1 b zitierten Brünnow, p. 390; 
Chauvenet (1900), vol. 1, p. 591. 


IV. Verfinsterungen der Jupitertrabanten. 


J. B.J. Delambre, Tables pour calculer les Eclipses des quatre satellites de Jupiter, 
erschienen in J. J. de Lalande, Astronomie, 3ime &d., tome 1, Paris 1792, 
Anhang (Tables astronomiques), p. 236. 

P.S.de Laplace, Trait€E de mecanique celeste, tome 4, Paris 1805, livre 8, 
chapitre 8 — Oeuvres 4 (1880), p. 106. 

W. S. B. Woolhouse, New tables for computing the occultations of Jupiters 
satellites by Jupiter, The nautical almanac and astronomical ephemeris for 
the year 1835, London 1834, appendix. 

M. C. T. de Damoiseau, Tables &cliptiques des satellites de Jupiter, 5. Band der 
Paris Bur. Long. tabl. astr., Paris 1836, und deren Fortsetzungen von D. P. 
Todd, A continuation of de Damoiseau’s tables of the satellites of Jupiter, 
Washington, The American Bureau of Navigation 1876 (für 1880—1900) und 
L. Pottier, Paris Bull. astr. 13 (1896), p. 67 u. 107 (für 1900—1920). 


V. Schatten des Saturnringes. 


©. Sowillart, Sur l’ombre d’une planete, Astr. Nachr. 91 (1878), p. 129. 

H. Seeliger, Über den Schatten eines Planeten, München Ber. 24 (1894), p. 423. 

— Zur Theorie der Beleuchtung der großen Planeten, insbesondere des Saturn, 
Münch. Abh. 16 (1887), 2. Abteilung, p. 405. 


Einleitung. 


1. Einteilung der Finsternisse. Verfinsterungen der Himmels- 
körper können auf zweierlei Weise entstehen. Wird ein Planet von 
seinem Zentralkörper beleuchtet, so können die den Planeten um- 
laufenden Monde, bei geeigneter Stellung ihrer Bahnen, von Zeit zu 


8, Kriterium für das Stattfinden einer Sonnenfinsternis überhaupt. 339 


Zeit in den Schatten des Planeten kommen und unsichtbar werden 
(wahre Finsternisse). Innerhalb des Sonnensystems kann dies z. B. 
beim Erdmonde, ferner in den Trabantensystemen von Jupiter, Saturn, 
Mars usw. stattfinden. Wichtig für die Beobachtung sind von diesen 
wahren Verfinsterungen nur die Mondfinsternisse, die Verfinsterungen 
der Jupiter- und Saturntrabanten und die durch den Schatten des 
Saturnrings bewirkten Finsternisse. Die anderen Fälle, wo den be- 
treffenden Himmelskörpern nieht das Sonnenlicht entzogen wird, 
sondern nur eine Verdeckung des einen Körpers durch den anderen 
in bezug auf den Beobachtungsort stattfindet, bezeichnet man als schein- 
bare Finsternisse. Diesen Fall illustrieren z. B. die Sonnenfinsternisse, 
die Sternbedeckungen durch den Mond oder die Planeten und die 
Vorübergänge der beiden inneren Planeten Merkur und Venus vor 
der Sonne. 


A. Sonnenfinsternisse. 


2. Kriterium für das Stattfinden einer Sonnenfinsternis über- 
haupt. Die Sonnenfinsternisse können nur zur Zeit des Neumondes 
stattfinden, und auch dann nur, wenn der Mond der Verbindungs- 
linie von Erde und Sonne genügend nahe kommt. Der äußere Um- 
hüllungskegel von Sonne und Mond begrenzt den Kernschatten, der 
innere den Halbschatten des Mondes. Je nach der Entfernung des 
Mondes von der Erde erscheint uns bekanntlich der Mondradius 
größer oder kleiner als der der Sonne, so daß die Spitze des Kern- 
schattenkegels dementsprechend näher zur Erde oder weiter von ihr 
entfernt liegt. Ist der scheinbare Durchmesser des Mondes in dem 
Augenblick, wo die Mitten von Sonne und Mond und der Beobachtungs- 
ort auf einer Geraden liegen, größer als der der Sonne, so erreicht 
die Spitze des Schattenkegels die Erde, der Beobachtungsort fällt in 
den Kernschatten und es findet für ihn eine totale Sonnenfinsternis 
statt. Erscheint aber der Monddurchmesser kleiner als der der Sonne, 
so trifft die Spitze des Schattenkegels die Erde nicht; der Mond ver- 
deckt die Sonne zentral, aber nicht ganz, es entsteht eine ringförmige 
Sonnenfinsternis. Erreicht die Kegelspitze die Erde nur in einem 
Teile der Schnittkurve der Kegelachse und der Erdoberfläche, so 
findet eine ringförmig-totale Sonnenfinsternis statt. Passiert die Erde 
den Kernschatten überhaupt nicht, so kann höchstens eine partielle 
Verfinsterung durch den Halbschatten eintreten. Das Kriterium für 
das Stattfinden einer Sonnenfinsternis überhaupt ergibt sich aus der 
Bedingung, daß der Mond um die Zeit der Konjunktion!) herum in 


1) Konjunktion zweier Gestirne bedeutet den Zeitpunkt, in dem sie, auf 


340 VIsT. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


den äußeren Umhüllungskegel von Sonne und Erde eintauchen oder 
diesen Kegel doch mindestens berühren, d. h. der scheinbare Minimal- 
abstand der Zentren von Sonne und Mond, wie ein bloßes Aufzeichnen 
der Kegeldurehschnitte lehrt, <m + u-+p—x sein muß, wenn m 
und u die vom Zentrum der Erde aus gesehenen Radien, p und x 
die Parallaxen von Mond und Sonne bedeuten. Ist ß die Breite des 
Mondzentrums gegen die Ekliptik zur Zeit der Konjunktion und i 
die Neigung der Mondbahn gegen dieselbe Grundebene, so ist der 
scheinbare Mindestabstand der Zentren von Sonne und Mond gleich 
ß cosi; folglich können wir dem Kriterium auch die folgende Form 
geben: B<(m + u-+p — m) seci. 

Entsprechend den Grenzwerten für die innerhalb enger Grenzen 
mit der Zeit variablen m, u, p, x und ö ergeben sich als Grenzwerte 
für 8 die folgenden: ß, —= 1°34',9 und f,—= 123,2. Ist, absolut ge- 
nommen, 8 </ ß,, so findet sicher eine Finsternis statt, ist aber ß > ß,, 
so ist eine Finsternis unmöglich; ist 8 schließlich zwischen ß, und 
ß, gelegen, so hängt das Stattfinden der Finsternis von den speziellen 
Werten von m, u, p, z, i ab. 


3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. Ist das Eintreten 
einer Sonnenfinsternis als sicher erkannt, so ist zunächst der Bereich 
der Sichtbarkeit der Finsternis auf der Erde zu ermitteln. In jedem 
Zeitmoment schneidet der Schattenkegel des Mondes auf der Erdober- 
fläche den Bereich der jeweils verfinsterten Erdorte aus. Die doppelt- 
gekrümmte Schnittkurve soll kurz als „Schattenoval“ bezeichnet werden. 
Die Enveloppen der Schattenovale bilden die nördliche und südliche 
Grenzkurve, und die Berührungspunkte der Mantelgeraden des Schatten- 
kegels mit der Erde die östliche und westliche Grenzkurve. 

Die Ermittelung dieser und anderer Kurven und der Sicht- 
barkeitsverhältnisse überhaupt basiert auf der Diskussion der Be- 
dingung, die ausdrückt, daß ein Punkt der Erdoberfläche sich auf 
dem Umhüllungskegel von Sonne und Mond befindet. Die Gleichung 
dieses Kegels, den wir, weil Sonne und Mond Kugeln sind, als Kreis- 
kegel betrachten, erhält ihre einfachste Gestalt, wenn eine der Achsen, 
die z- Achse des rechtwinkeligen Koordinatensystems, auf das die Punkte 
der Kegeloberfläche bezogen werden sollen, der Kegelachse parallel 
ist. Den Anfangspunkt des Koordinatensystems legen wir in den 
Mittelpunkt 0 der Erde, auf den auch in den Ephemeriden die Ko- 


das Figurenzentrum der Erde bezogen, gleiche Rektaszension haben. Die in 
den Ephemeriden angegebene Zeit des Neumonds ist exakt die Konjunktion von 
Sonne und Mond, also nicht der Zeitpunkt kleinster Mondphase. 


3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 341 


ordinaten von Sonne und Mond stets bezogen sind; als Längeneinheit 
wählen wir den Erdradius. 

Sind jetzt x, y, z die Koordinaten des Mondes, &, 7, & die eines 
Erdortes E, f der Öffnungswinkel des Schattenkegels und endlich 
w und « die Radien der beschatteten Kreise 
in der &-y-Ebene!®) und in deren Parallel- r / 
ebene durch E (Figur 1), so lautet die Be- 
dingung dafür, daß der Erdort E auf dem 
Schattenkegel liegt: 


@— + y— m’. 
Substituieren wir hier uv= uw — $tgf, so er- 
hält die Grundgleichung der Finsternisse die 











Form: 
D @-9+9—- mM’=(W— tgf)’ E 
oder in Polarkoordinaten u und p, wo p den u 
in der z-y-Ebene gezählten Positionswinkel 5 \ 
des Schattenkreismittelpunktes $ im Erdort E 
darstellt: Fig. 1. 
2 —$& =usinp s 
ID) ee u=u —stgf. 


Die Koordinaten x, y, 2 des Mondes in unserem speziellen Ko- 
ordinatensystem ergeben sich aus den in den Ephemeriden zu findenden, 
die auf den Aquator oder die Ekliptik als Fundamentalebene bezogen 
sind, durch eine gewöhnliche Koordinatentransformation?); dasselbe 
gilt von den Koordinaten des Erdortes. 

Ist % der in Einheiten des Erdradius ausgedrückte lineare Mond- 


radius, so wird W = (z + nF) tgf, und der Öffnungswinkel f, den 
wir beim Halbschatten positiv, beim Kernschatten negativ zählen 
müssen, ergibt sich aus den Gleichungen 


sina—"#° (Halbschattenkegel), 


sinf,—= iz (Kernschattenkegel) , 


wo S den linearen Sonnenradius und @ die Entfernung Sonne-Mond 
bedeutet; werden S und @ durch die Parallaxen von Sonne und 


1°) Der beschattete Kreis in der x-y-Ebene heißt „Schattenkreis“. 

2) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), I. Abschnitt, 8 2= Astr. Nachr. 14 
(1837), p. 132 = Bessel, Astron. Untersuch. 2, p. 111 = Bessel, Abhäl. 3, p. 376; 
Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 310 usw. 


342 VIs,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse 


Mond (x, und x,) und den Abstand Erde-Sonne R ausgedrückt, und % 
durch seinen numerischen Wert ersetzt, so ist?) 





2. (1.668767) 
sin, = 5 an (Halbschatten) & sh nn 
inf, = an (Kernschatten) ne 


Da f, und f, dem absoluten Betrage nach fast gleich sind, so ist ge- 
nähert und mit Rücksicht darauf, daß cosf nahezu =]: 


u, + u, = 2k = 0,54. 


Unter Benutzung der astronomischen Ephemeriden sind dann also die 
Größen x, y, 2, w und f für jeden Zeitpunkt i eines ersten Meridians 
bekannt, und unsere Gleichung I resp. II repräsentiert, mit der Glei- 
chung der Erdoberfläche & + n?+ &°—= 1 verbunden, den Ort der 
Punkte der Erde, in welchen sich die Oberflächen von Erde und 
Schattenkegel schneiden; im speziellen liefert das System II zu jedem 
bestimmten Werte von p, d. h. zu jeder bestimmten Mantelgeraden 
des Schattenkegels, ihren Schnittpunkt mit der Erde. Charakteristisch 
für die Fundamentalgleichungen ist, daß die Zeit 2 transzendent in 
dieselben eingeht, weil die Koordinaten von Sonne und Mond tran- 
szendente Funktionen der Zeit sind, während die den Erdort definie- 
renden Koordinaten der Breite p und Länge A insofern nur algebraisch 
auftreten, als nur algebraische Funktionen von sinp und sinA vor- 
kommen. Folglich sind alle Auflösungen der Grundgleichungen nach 
der Zeit 4 transzendent, während die Auflösung nach den Koordi- 
naten eines Erdortes bei gegebener Zeit algebraisch ist. 

Die wichtigsten und zugleich klassischen Bearbeitungen der an 
die Grundgleichungen der Finsternisse sich anschließenden Probleme 
stammen von F. W. Bessel‘) und P. A. Hansen?). Während Bessel 
alle Aufgaben der Theorie soweit als möglich streng und direkt zu 
lösen sucht, will Hansen dieselben Aufgaben mit zwar theoretisch 
geringerer, für die Bedürfnisse der Praxis aber durchaus genügender 
Genauigkeit lösen. Aber typisch und auffällig für die Bearbeitung 
der Finsternisprobleme durch diese beiden Autoren und andere ist, 
daß das geometrisch doch so anschauliche Problem trotzdem so 
wenig geometrische Interpretation gefunden hat. 





3) Eingeklammerte Zahlen bedeuten diejenige Zahl, deren dekadischer 
Logarithmus in der Klammer steht. 

4) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842). 

5) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859) usw. 


3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 343 


Nach Aufstellung der Grundgleichungen sind dieselben jetzt für 
die folgende Anwendung vorzubereiten. 

Zunächst ist die Wirkung der Strahlenbrechung, die, wie P. A. 
Hansen®) zuerst nachgewiesen hat, einen Einfluß auf die Erscheinung 
ausübt, in Rechnung zu ziehen. 
Eine Mantelgerade des Schatten- 
kegels SB (s. Fig. 2), d. h. eine 
Berührende der beiden Scheiben 
von Sonne und Mond, treffe die 
Grenze der Atmosphäre, wo deren 
brechende Kraft in Wirksamkeit 
zu treten beginnt, in 5; der ge- 
brochene Strahl trifft das Auge 
des Beobachters in A, dem die 
Berührung der Scheiben in der 
Richtung der letzten Tangente an 
den gebrochenen Lichtstrahl, in der Fig. 2, 

Richtung AS’ erscheint. Der un- 

gebrochene Lichtstrahl $B würde dagegen in seiner Verlängerung die 
Vertikale von A in A’ schneiden. Man würde also die Erscheinung, 
wenn keine Refraktion stattfindet, in A’ in derselben Weise und zu 
derselben Zeit wahrnehmen, wie bei Vorhandensein einer Strahlen- 
brechung im Beobachtungsort A. Mithin findet die Strahlenbrechung 
dadurch Berücksichtigung, daß der Erdradius AO durch A’O ersetzt 


wird; wird also - = ı gesetzt, so sind der Erdradius AO und folg- 


lich auch die geozentrischen Koordinaten &, n, & mit (1+v) zu 
multiplizieren, wo d von der brechenden Kraft der Erdatmosphäre, 
der Refraktionskonstanten und der Zenitdistanz des Berührungspunktes 
abhängt”). 

Eine Erhebung des Beobachters über die Erdoberfläche um die 
Höhe %’ ist ebenso wie die Strahlenbrechung durch Anbringung eines 
Faktors (1 + %”) an die Koordinaten des Erdortes zu berücksichtigen. 

Ferner sind die Koordinaten des Mondes mit Rücksicht auf die 
Praxis und auf die Auflösung der Grundgleichungen nach der Zeit ? 
nach Potenzen der Zeit zu entwickeln. In der Regel wählt man fünf 
die Zeit der Konjunktion des Mondes umschließende Zeitpunkte und 
berechnet für jeden derselben die Koordinaten x, y, 2 des Mondes 


N 








6) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 185. 
7) Eine Tafel für log (1-+%) findet sich bei Hansen, Theorie d. Sonnenf. 
(1859), p. 325. 


344 VI2,7. F.K.G@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


und deren stündliche Änderungen x’, y und 2. Setzt man 
x—=nsinNN, yY=ncosN, 


so bedeutet » die stündliche Bewegung des Schattenkreismittelpunktes 
relativ zum Erdmittelpunkt und N den Positionswinkel der Bewegungs- 
richtung desselben. Um jeden der 5 Zeitpunkte herum kann man 
x, y und somit auch » als der Zeit proportional annehmen. Die 
Zeit möge zur Vereinfachung in Sternzeit des Ersten Meridians ge- 
zählt werden. Die Koordinaten x, y können dann für einen beliebigen 
Augenblick t wie folgt dargestellt werden. Ist £, einer der willkürlich 
angenommenen Zeitpunkte des 1. Meridians um den Neumond herum, 
sind &,, %, die entsprechenden Koordinaten des Mondes, so ist, wenn 
zur Konjunktionszeit 7 x,, y, den Mondort bedeutet und die y2-Ebene 
durch die Erdachse gelegt wird, in diesem Augenblicke x, = 0, d.h. 


0=-,+(T—ti)nsinN und ,„=y+(T—t)n cos N 
=y,—adgN. 
Folglich ist der kürzeste Abstand » des Erdmittelpunktes von der 


Kegelachse: 
y=y,snN= y, sin N — 2,cosN 


und die zugehörige Zeit 
ı=T— —y cooN= b— - (osin N + Yy COS N). 
Mithin erhalten die Koordinaten x und y, wenn t, die Ortssternzeit 
des Beobachtungsortes, A seine westliche Länge ist, die Form: 
je=—resN+(k+Ai—r)nsinN 
y=ysinN+(L +2—r)ncosN. 
Für die Koordinaten des Erdortes gelten ferner die folgenden in die 
Grundgleichungen zu substituierenden Formeln: 
& = oc08p sin — A —|), 
n= olsin op cosb — cos p sinb cos(t— A —))}, 
g= olsing’ sinb + cosp’ cosb eos — A —)}, 
wo o den lokalen Erdradius, 9’ die geozentrische Breite”), A die west- 


liche Länge, b und / Deklination und Rektaszension des Zielpunktes 
der Kegelachse bedeuten. Mit Hansen?) kann man in diese Ausdrücke 


8) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 333. 

9) Die geozentrische Breite p’ des Erdorts ist sein Winkelabstand vom Erd- 
äquator, gesehen vom Figurenzentrum des Erdellipsoids. Formeln für oe und 9’ 
siehe Seite 49, Fußnote 87; Tafeln für zahlreiche Erdorte in jedem Jahrgang 
der Conn. des temps. 


3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 345 


statt der zwei abhängigen Variabeln og und p’ eine einzige Variable 
Y,, die sogenannte „reduzierte Breite“, die formal der exzentrischen 
Anomalie der Planetenbewegung entspricht, substituieren. Ist näm- 
lich & die Abplattung der Erde, und setzt man die halbe große Achse 
der Erdmeridiane = 1, so lauten die in &, n, & eingehenden Verbin- 
dungen von og und g’ als Funktion von g;: 

@ C0Sp’ = C08 Q,, 

osinp—= (1 — e) sin gp,. 

Die Koordinaten b und ! des Zielpunktes der Kegelachse unter- 
scheiden sich um die Zeit einer Finsternis herum von den ent- 
sprechenden Koordinaten der Sonne um nicht mehr als 4 Bogen- 
minute und zwar offenbar um eine kleine Größe von der Ordnung 
der Sonnenparallaxe; bei oo ferner Sonne, also bei Sternbedeckungen, 
fallen der Sonnenmittelpunkt und der Zielpunkt der Kegelachse zu- 
sammen. Deshalb führt man noch, statt b und /, b,, und /, ein, in- 
dem man setzt 

b—b,=Ab, I—ı„=ÜAl. 

Dann lauten die Grundgleichungen der Finsternisse in ihrer end- 
gültigen Form: 
usinp=—ycosN+(L +i—r)nsinN 

— (1+ 0) cos g, sin(, —l,— A), 
II) ducsp=ysnN+(h +4—r)ncosN 
— (l1+0o){(l—e) sing, cos(db,+ Ab) 
\ — c089, sin (du + Ab) cos(, —I,a— Al}, 





ber „=wW— (1+0o){(l — e) sing, sin (db,+ Ab) 

+ cos g, cos(b,+ Ab) cos(t, — I, — Al)}tgf 
er 1+o=-(l1+W(+Y%) 
ist. 


Es sei noch bemerkt, daß , — I, die wahre Ortszeit 2 und N 
der Positionswinkel der Bewegungsrichtung des Zielpunktes der Kegel- 
achse gegen den Deklinationskreis an der betreffenden Stelle der 
Sphäre ist. 

Die numerischen Beträge von y und « entscheiden über die 
Gattung der Finsternis. Reicht nämlich die Spitze des Kernschatten- 
kegels über die xy-Ebene hinaus, so daß die z-Koordinate der Spitze 
negativ ist, so ist die Finsternis für alle Erdorte, welche der Kern- 
schattenkegel überstreicht, total; der entsprechende Radius u, des 
Halbschattenkreises muß dann < 0,546 sein. Erreicht aber die Spitze 
des Kernschattenkegels die Erdoberfläche überhaupt nicht, so ist die 


346 VIs,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


Finsternis für die Orte, die in der Verlängerung des Kernschatten- 
kegels über seine Spitze hinweg liegen, ringförmig und u,'> 0,551. 
Liegt u,’ zwischen beiden Grenzwerten, so erscheint die Finsternis, 
was den Kernschatten betrifft, teils total, teils ringförmig. Soll die 
Finsternis zentral sein, so muß y kleiner als der Erdradius, d.h. 
y<1 sein; für totale Finsternisse muß y — u <1 sein; für ring- 
förmige y+ u, <1, weil u, in diesem Falle negativ; schließlich für 
partielle Finsternisse: y — u, <1. Wir erhalten insgesamt die in 
folgender Tabelle dargestellten Bereiche der Größen u,’ und y, welche 
die verschiedenen Gattungen der Finsternis bedingen: 


























> ] | > u, 
Ss 0.546 0.551 
v | | 
total ringf.-total ringförmig 
zentral zentral zentral 
1 
total ringf.-total ringförmig 
nicht zentral nicht zentral nicht zentral 
1+[|u | 
partielle Sonnenfinsternis 
1+u,/ 
y keine Sonnenfinsternis 
Y 


4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. Ist der Halbmesser der 
Erde —=1, so kann der Radius «,' des Halbschattens höchstens 0,58 
werden, und es ist deshalb nicht möglich, daß die Erde von dem 
Schattenkegel vollständig eingehüllt wird. Folglich ist die Sichtbar- 
keit einer Sonnenfinsternis in bestimmte Gebiete auf der Erdober- 
fläche eingeschlossen und durch Grenzkurven von den Gebieten ge- 
trennt, die nichts von der Finsternis wahrnehmen. Gelangen alle 
Mantelgeraden des Schattenkegels zum Eintritt in die Erde, so besteht 
die Begrenzung aus vier verschiedenen Kurven, die man zweckmäßig 
als nördliche resp. südliche und als westliche resp. östliche Grenzkurve 
bezeichnet. Wie erwähnt, bilden die Enveloppen der Schattenovale 
auf der Erde die nördliche resp. südliche Grenzkurve, während der 
Ort der Punkte, in denen die Mantelgeraden die Erde berühren, die 
westliche resp. östliche Grenzkurve darstellt. Zeitlich sind der erste 
resp. letzte Punkt der Grenzkurven 





a) die Punkte des Beginns und Endes der Finsternis 
überhaupt, 
die als Berührungspunkte von Erde und Halbschattenkegel auf der 
westlichen resp. östlichen Grenzkurve (aber auf deren inneren Teilen, 


4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 347 


vgl. Fig. T) gelegen sind. Der Berührungspunkt der beiden Scheiben 
von Sonne und Mond erscheint im Horizont des Erdorts, weil die 
dem Berührungspunkt entsprechende Mantelgerade die Erde berührt. 
Bei äußeren Berührungen, also im Falle des Halbschattens, steht der 
Sonnenmittelpunkt in jenen Momenten unter dem Horizonte, der des 
Mondes über demselben; ist R die Strahlenbrechung im Horizont und 
ro der scheinbare Sonnenradius, so ist die wahre Höhe des Sonnen- 
mittelpunktes über dem Horizont 


„.. äußere # Halbschatten 
— (R-+ro) für En Berührungen resp. ER RES 


Ist ? die wahre Sonnenzeit des Berührungspunktes auf der Erde, 
p und A seine Breite und westliche Länge, so daß "+4 =[1/ die 
entsprechende wahre Zeit des ersten Meridians, und d, die Dekli- 
nation der Sonne, so ist für den Auf- und Untergang der Sonne: 
cost = cos(! — 4) = — tgptgbdo 

— (R-+ ro) sec p sec do A Berührung, 
womit wir die erste Bedingung für die gesuchten Punkte erhalten. 
Da nun Erde und Schattenkegel nach der allerersten resp. vor der 
allerletzten Berührung zwei Mantelgeraden des Kegels als gemeinsame 
Tangenten besitzen, so muß für die allerletzte resp. allererste Be- 
rührung, wo nur eine einzige Mantelgerade berührt, die entsprechende 
Zeit ı’ des ersten Meridians ein Maximum resp. Minimum sein. Man 
erhält folglich die zweite Bedingungsgleichung für die allererste und 
allerletzte Berührung, indem man die Fundamentalgleichungen II) 
nach r’ differenziert, wobei p ebenfalls als variabel zu betrachten ist, 
und nach der Differentiation d’’—=0 setzt; die gleich O gesetzte 
Determinante der so erhaltenen drei in dp, dp, dA homogenen Glei- 
chungen stellt die gesuchte Bedingung dar. Dieselbe hat eine sehr 
einfache geometrische Bedeutung. Im Augen- 
blicke einer allerersten oder allerletzten Berührung 
liegen nämlich die Mittelpunkte $ und M von 
Sonne und Mond, der Berührungspunkt auf der 
Erde und sein Zenitpunkt Z in einer einzigen 
Ebene, die auch noch den Zielpunkt 8, der Kegel- 
achse enthält (s. Fig. 3). Letzterer rällt aber, Fig. 3, 
wie schon erwähnt, nahezu mit dem Sonnen- 
mittelpunkt zusammen, da er sich im Falle einer Finsternis höchstens 
um +4Bogenminute, d. h. weniger als ;; des scheinbaren Sonnenhalb- 
messers vom Sonnenmittelpunkt entfernen kann. Folglich ist der 


Z 


348 VI2,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


um den Zielpunkt S, der Kegelachse im Äquatorsystem gemessene 
Positionswinkel p des Berührungspunktes der beiden Scheiben streng 
gleich dem parallaktischen Winkel des Zielpunktes, also sehr genähert 
gleich dem parallaktischen Winkel K des Sonnenmittelpunktes im 
Augenblick der ersten resp. letzten Berührung im Horizont. Da nun 
im Horizont allgemein sin X = cos sin‘, so ist wegen p=K 
sinp = 608  sin?, 
also wegen 
po = — tgptgod, + Refraktionsglied, 


sin p= eospV1 — (— tgp tgd, + Refr.)?, 


wodurch ? und » als Funktionen von @ allein dargestellt sind. 
Die Substitution dieser Ausdrücke für ? und p in das System II) 
liefert dann zwei Gleichungen für p und A, und zwar ergibt sich 
bei Auflösung nach p und A eine Gleichung 4. Grades für sing resp. 
sin), entsprechend den zwei inneren und zwei äußeren Berührungen 
des Schattenkegels mit der Erde. 

In der Praxis löst man diese Gleichungen durch Näherungs- 
methoden auf). Die ersten Näherungswerte kann man sich leicht bei 
Voraussetzung einer kugelförmigen Erde verschaffen. Sind nämlich 
a, b, e die Koordinaten der Spitze des Schattenkegels in unserem 
Koordinatensystem (x, y, 2), so lautet die Bedingung der Berührung 
des Schattenkegels und der Erdkugel, wenn man deren Radius = 1 
setzt: 


(1+ esinf)’= (a?+ b?) cos’f, f= Öffnungswinkel des Kegels, 





wie man durch bloßes Aufzeichnen sofort erkennt. In der Praxis 
entwickelt man dann die Koordinaten a, b, ce in Potenzreihen nach der 
Zeit, so dd a=w,+ 4a, ::-+:-- usw. 

Begnügt man sich nun in dieser Entwicklung der Koordinaten 
mit den in £ linearen Gliedern, was in der Praxis durchaus ausreicht, 
so stellt die eben genannte Bedingungsgleichung zur Bestimmung 
von t eine in t quadratische Gleichung dar, deren eine Lösung den 
Moment der allerersten und die andere den der letzten Berührung 
ergibt. Ist t bekannt, so folgen p und A aus den Gleichungen: 


Fre = cos®f, 
E:yuiat)d, 
= sn. 


10) Hansen, Theorie d. Sonnenf, (1859), p. 357 usw. 


4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 349 


F. W. Bessels analytische Methode für die Bestimmung der Be- 
rührungspunkte ist die folgende. Bessel löst die allgemeine Aufgabe, 
die Schnittkurve von Erde und Schattenkegel zu ermitteln, in der 
Weise, daß er die Koordinaten &, n, & eines beliebigen Punktes jener 
Kurve als Funktion des Positionswinkels p darstellt, indem er also 
die Sehnittpunkte jeder einzelnen Mantelgeraden mit der Erde be- 
stimmt. Da zwei Schnittpunkte vorhanden sind, erhält man die 
Koordinaten in der Form: &=«a«+PßP(p), wo P ein von p ab- 
hängiger Wurzelausdruck ist. Die Berührung einer durch den 
Positionswinkel p charakterisierten Mantelgeraden mit der Erde ist 
dann folglich durch P=0 bedingt; im Falle einer allerersten resp. 
allerletzten Berührung tritt zu dieser Bedingung noch dr’= 0 hinzu. 
Wie Bessel‘') gezeigt hat, erhält man zwei getrennte Gleichungen, 
deren eine p, die andere r’ liefert. Die Bedingung P=0 enthält 
außer p an Variabeln noch die Koordinaten des Mondes, die sphä- 
rischen Koordinaten des Zielpunktes der Kegelachse und ferner den 
Öffnungswinkel f; man entwickelt alle diese langsam veränderlichen 
Größen nach Potenzen von £ und leitet die Berührungszeiten wieder 
durch sukzessive Näherungen her. 


b) Die östliche und westliche Grenzkurve. 


Den frühesten resp. spätesten Berührungen folgen resp. gehen 
vorher weitere Berührungen der Erde mit den Mantelgeraden des 
Schattenkegels. Die entsprechenden Berührungspunkte auf der Erde, 
in denen die Berührung der Scheiben von Sonne und Mond im Hori- 
zont erfolgt, bilden in ihrer Gesamtheit die östliche und die westliche 
Grenzkurve. Bewegt sich der Schattenkegel so durch die Erde hin- 
durch, daß nacheinander alle Mantelgeraden zur Berührung mit der 
Erde kommen, so besteht der Ort der Berührungspunkte aus zwei 
getrennten und geschlossenen ovalförmigen Kurven, deren eine die 
westliche, die andere die östliche Grenzkurve darstellt. Ragt aber 
der Schattenkegel während seiner Hinwegbewegung über die Erde 
über dieselbe hinaus, so daß nicht alle Mantelgeraden die Erde be- 
rühren können, so gehen die beiden sonst getrennten Grenzkurven 
ineinander über und bilden eine einzige mit einem Doppelpunkt ver- 
sehene schleifenförmige Kurve. — Die einzelnen Punkte der Grenz- 
kurve genügen einmal dem Fundamentalsystem II) und ferner der 


11) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), II. Abschn. $ 20; Astron. Unter- 
such. 2, p. 162 = Bessel, Abhdl. 3, p. 397. 


350 VI23,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


Bedingung, daß die Zeit, zu welcher wir die Mantelgerade die Erde 
schneiden lassen, bei festgehaltenem », d. h. bei Fixierung einer 
bestimmten Mantelgeraden, ihren kleinsten resp. größtmöglichen Wert 
annehmen muß. Wir erhalten so drei Bedingungsgleichungen, aus 
denen wir die Koordinaten des Berührungspunktes auf der Erde (p und A) 
und die zugehörige Zeit t als Funktion von p ermitteln können. 


Die Bedingungsgleichung selber für die Punkte der westlichen 
resp. östlichen Grenzkurve kann man analytisch ganz analog dem 
Falle der Punkte der ersten und letzten Berührungen herleiten '?). 
Aber auch hier können wir die betreffende Bedingung leicht auf geo- 
metrischem Wege erlangen. Während die scheinbare Zentrale der 
Scheiben von Sonne und Mond im Falle der frühesten resp. spätesten 

zZ Berührung senkrecht zum Horizont des Berüh- 
rungspunktes der Erde stand, ist sie für jeden 
anderen Punkt der Grenzkurve im Augenblick 
der Berührung um einen beliebigen Winkel gegen 
den Horizont geneigt (s. Fig. 4). Sind S und 
M die Mitten von Sonne und Mond und B der 
Fig. 4. Berührungspunkt der beiden Scheiben, so liegt 
der Zielpunkt der Kegelachse in der Verlängerung 
von SM in $,, und zwar höchstens 4 Bogenminute von $ entfernt. 
Dann ist $B=f, gleich dem Öffnungswinkel des Schattenkegels, 
und PS, B=p, gleich dem Positionswinkel des Berührungspunktes. 
Da ferner 


S$A=—H _ (4= Schnittpunkt von Horizont und $,Z) 





die Höhe der Sonne und PS,Z=K den parallaktischen Winkel 
derselben bedeutet, so ist mit Rücksicht darauf, daß HZ und f kleine 


Winkel sind: . 
H=-—fcs(w—K) 


die .Bedingungsgleichung für die Punkte der östlichen resp. westlichen 
Grenzkurve. 


Da man H und K als Stücke des sphärischen Dreiecks PZS, 
auch durch 9, A, ö,, t ausdrücken kann, so kann man die soeben er- 
wähnte Bedingung in eine solche zwischen p, g, A, d,, t transformieren. 
Man kann auch umgekehrt mit P. A. Hansen in die Grundgleichungen 
überall 7 und X statt # und einführen. Mit den beiden Grund- 
gleichungen II) zusammen, haben wir dann die drei Gleichungen, die 


12) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 349. 


4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 351 


uns p, A, p und t als Funktionen einer dieser Größen liefern. In 
der Praxis löst man diese Gleichungen wie immer durch Näherungen 


auf??). 


F. W. Bessel löst die Aufgabe mittels der S. 349 erwähnten 
Bedingung P(p, t)= 0, die eine der Größen p und # als Funktion 
der anderen liefert. P(p, £) ist eine ganze rationale Funktion 4. Grades 
in sinp und transzendent in £. Ist also # bekannt, so wird p aus 
einer trigonometrischen Form 4. Grades bestimmt, die, wie F. W. Bessel 
näher ausführt, stets in zwei reelle Faktoren 2. Grades zerlegt werden 
kann“). Alle vier Wurzeln können reell sein, d. h. der Schatten- 
kegel kann das Erdellipsoid nicht nur in zwei, sondern unter Um- 
ständen sogar in vier Mantelgeraden berühren. Alsdann können sich 
Erde und Schattenkegel bei entsprechender Lage c 
in zwei getrennten Kurven AB und OD schneiden, 
wie die Figur 5 schematisch andeutet, so daß vier 
Mantelgeraden die Erde berühren. Im Falle einer 
kugelförmigen Erde ist aber nur eine einzige Schnitt- # 
kurve vorhanden und folglich auch nur zwei Be- 
rührungspunkte. Sollten bei dem tatsächlichen Ellip- 
soid vier reelle Berührungen vorhanden sein, so müßte der Radius 
des Schattenkreises bei der geringen Exzentrizität der Erdmeridiane 
nahezu gleich dem Erdradius sein, was aber bei weitem nicht der Fall 
ist, so daß die Gleichung 4. Grades im Falle einer Sonnenfinsternis 
nur zwei reelle Wurzeln hat. 


Fig. 5. 


Sind » und £ bekannt, so liefern die Fundamentalgleichungen 
den entsprechenden Erdort, d.h. g und A. Substituiert man, mittels 
P=0,p als Funktion von £ in die Fundamentalgleichungen II), so 
stellen diese die Gleichung der Grenzkurve dar, die aber transzendent 
ist, weil # transzendent in den Koordinaten enthalten ist, während 
die erzeugenden Schnittkurven von Schattenkegel und Erde als 
Schnitte zweier algebraischen Flächen 2. Grades algebraisch und zwar 
vom 4. Grade sind. 


Die Wirkung der Strahlenbrechung ist gerade für die östliche 
und westliche Grenzkurve eine maximale, weil die Strahlenbrechung 
selbst im Horizont ihr Maximum erreicht. 


13) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 349. 

14) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), II. Abschn., $8$ 12 und 2—= 
Bessel, Astron. Untersuch. 2, p. 137 und p. 168 usw. = Bessel, Abhdl. 3, p. 386 
und 399. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 24 


352 VI2,7. F.K:@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


c) Die nördliche und südliche Grenzkurve. 


Sie werden durch die Enveloppen der Schattenkreise des Halb- 
schattenkegels gebildet. Jeder Punkt derselben sieht von der Finsternis 
weiter nichts als die Berührung der beiden Scheiben von Sonne und 
Mond, d. h. die äußere Berührung ist für jene Erdorte das Maximum 
der Finsternis, die größte Phase. Fassen wir allgemein an einem Punkte 
innerhalb des Sichtbarkeitsbereiches der Finsternis jede einzelne Phase 
als eine Berührung der Mondscheibe mit einer der betreffenden Phase 
entsprechenden verkleinerten Sonnenscheibe auf, so müssen wir den 
Radius w des Schattenkreises als eine Funktion der Zeit betrachten, 
und der Augenblick der größten Phase ist durch das Minimum von «', 
folglich auch von f in bezug auf die Zeit # bedingt. Soll die größte 
Phase im speziellen Falle verschwinden, d. h. soll der betreffende Erdort 
ein Punkt auf der nördlichen oder südlichen Grenzkurve sein, so muß 
w resp. f für den betreffenden Punkt im Augenblick der größten Phase 
die den äußeren Berührungen von Erde und Schattenkegel entsprechende 
Größe haben. 

Die Bedingungsgleichung für die Punkte der Grenzkurve wird 
ganz analog der für die östliche und westliche Grenzkurve erhalten. 
Die Grundgleichungen werden bei variablem u’ nach der Zeit diffe- 
renziert, und nach der Differentiation wird dw = df = 0 gesetzt. Die 
gleich O gesetzte Determinante der entstehenden drei homogenen Glei- 
chungen zwischen du, dp und dt ist dann die gesuchte Bedingungs- 
gleichung der Grenzkurve, nachdem für w resp. f die den äußeren 
Berührungen entsprechende Größe substituiert worden ist. Die Auf- 
lösung der Bedingungsgleichung nach dem Winkel y=p— N gibt 
derselben die Form: 


re: e+ßsny+d) 
ter Öcos(+t) ° 





wo «, ß, y, ö und e von den Variabeln und Parametern des Problems 
abhängen, außer von der Zeit Z, die, soweit sie explizit in tg% auf- 
tritt, ersichtlich gemacht ist. Mit den Fundamentalgleichungen II) 
zusammen haben wir dann wieder drei Gleichungen zur Bestimmung 
von 9, A, p und t als Funktion einer derselben als willkürlichem Para- 
meter. 

Die numerische Auflösung dieser Gleichungen erfolgt wieder 
durch sukzessive Näherungen®); dieselben basieren vor allem darauf, 
daß der Winkel y—=»p-—- N, welcher den Positionswinkel des Be- 


15) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 341. 


4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 353 


rührungspunktes gegen die Bewegungsrichtung des Zielpunktes der 
Kegelachse fixiert, stets nahezu 90° resp. 270° ist; denn die Richtung 
vom Schattenkreismittelpunkt nach dem Berührungspunkt steht nahezu 
senkrecht zur Bewegungsrichtung des Schattenkreismittelpunktes und 
kann sich höchstens um 20° von 90° resp. 270° unterscheiden, so daß 
sinYy stets nahezu =-+ 1. 

Wählt man die Zeit # als willkürlichen Parameter und löst die 
Gleichungen nach dem Positionswinkel p auf, so erhält man eine 
Gleichung 8. Grades für sin p, falls man die Erde als Rotationsellipsoid 
betrachtet!®); im Falle einer kugelförmigen Erde reduziert sich diese 
Gleichung auf den 6. Grad. Zur geometrischen Veranschaulichung 
nehme man statt des Schattenkegels einen Zylinder, dessen Achse in 
der Ebene des Äquators liegt und der, ohne eigene 
Bewegung, so gelegt wird, daß er mehr als halb 
von der zunächst kugelförmig angenommenen Erde 
umschlossen wird. Dann ist die Schnittkurve ein 
einziges räumliches Oval. Die nördlichsten und 
südlichsten Punkte desselben A, B, C,D, E,F 
(s. Fig. 6) repräsentieren die sechs Lösungen unsrer 
Gleichung, sie befriedigen die Bedingung du’ — 0. £ 

Dabei sehen A, B, D, F die Ränderberührung als Fig. 6. 
Maximum, C und E als Minimum der Finstemis. _ 

Zu diesen sechs Punkten resp. Lösungen treten im Falle einer 
ellipsoidischen Erde noch zwei weitere hinzu, weil die Schnittkurve in 
diesem Fall, wie bereits p. 351 erwähnt, aus zwei getrennten Kurven 
bestehen kann; es tritt dann das Oval GH hinzu, wo G und H eben- 
falls die Bedingung duw’= 0 befriedigen, und zwar so, daß die Be- 
rührung der Ränder ein Minimum bedeutet. Tatsächlich erfüllen die 
Dimensionen der Erde und des Schattenkegels die zu dieser Art des 
Verlaufes der Erscheinung notwendige Bedingung nicht. 

Die nördliche und südliche Grenzkurve sind geschlossene Kurven, 
aber nur ein Teil derselben liegt auf der der Sonne zugewandten, der 
andere auf der von der Sonne abgewandten Seite. Die Endpunkte 
des der Sonne zugewandten Teiles dieser Kurven, also die zeitlich 
frühesten Punkte, sind die, in denen die jene Kurven erzeugenden 
Mantelgeraden des Schattenkegels die Erde berühren, d. h. Punkte, die 
gleichzeitig auch auf der westlichen resp. östlichen Grenzkurve liegen 
und «n denen sich nördliche resp. südliche Grenzkurve mit der west- 
lichen resp. östlichen berühren. J, K, Lund M mögen diese Endpunkte 





16) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), p. 173. 
24* 


354 VI23,7. F.K.@inzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


sein (s. Fig. T); daß dieselben für beide Kurvenklassen Berührungs- 
punkte sind, folgt daraus, daß, wenn dieselben sich schneiden würden, 
die den Schnittpunkten entsprechenden Erdörter 
J' und K’ im nächsten Augenblick nach der 
Berührung in den Schatten geraten würden, 
was der Voraussetzung widerspricht, daß jene 
Punkte höchstens eine Berührung wahrnehmen 
dürfen. 
Man erhält die Endpunkte offenbar, wenn 
man zu den schon fixierten drei Bedingungs- 
Fig. 7. gleichungen noch die der östlichen und west- 
lichen Grenzkurve entsprechende Bedingung 
dr= (0 hinzufügt; man hat dann vier Gleichungen zur Bestimmung 
von 9, A, p und f. Die numerische Auflösung erfolgt wie immer 
durch Näherungen '). 
Man erhält aus den Gleichungen für die nördliche und südliche 
Grenzkurve die von der Kegelachse beschriebene Kurve der Zentralität, 
wenn man «= 0, d.h. f und %k (Mondradius) = 0 setzt. 





d) Kurven sonstiger spezieller Phasen. 


Zu diesen Kurven gehören einmal die Kurven, in deren Punkten 
eine bestimmte vorgelegte Phase als größte Phase wahrgenommen 
wird (Kurven gleicher größter Phase); man gewinnt dieselben offenbar 
aus den Gleichungen der nördlichen resp. südlichen Grenzkurve, indem 
man sich aus der Sonne eine der vorgelegten größten Phase ent- 
sprechende verkleinerte Scheibe, einem bestimmten « resp. f ent- 
sprechend, herausgeschnitten denkt, so daß die Erscheinung dem Falle 
verschwindender Phase analog ist. 

Eine spezielle Kurve ist ferner die, deren Punkte die größte Phase 
im Horizonte sehen. Man erhält dieselbe, indem man zu den Be- 
dingungsgleichungen der größten Phase noch die Bedingung des 
Sonnenauf- resp. -unterganges hinzufügt. 

Schließlich ist noch die Kurve erwähnenswert, auf der die größte 
Phase im Mittage gesehen wird. Diese Kurve trennt den Sichtbar- 
keitsbereich der Finsternis in zwei Teile, deren einer den größten Teil 
der Finsternis am Vormittage, der andere dagegen am Nachmittage 
wahrnimmt. Diese Kurven sind namentlich für die Untersuchung 
antiker Finsternisse von Interesse. Man erhält diese Kurve wieder 
aus den Gleichungen der nördlichen resp. südlichen Grenzkurve, in- 


17) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 355. 


5. Der lokale Verlauf der Finsternis. 355 


dem man die wahre Ortszeit =0 setzt und w entsprechend den 
verschiedenen größten Phasen innerhalb der zulässigen Grenzen variiert. 


5. Der lokale Verlauf der Finsternis. Für einen Erdort, der 
innerhalb des Sichtbarkeitsbereiches der Finsternis liegt, interessiert 
es mit Rücksicht auf die Beobachtung der Erscheinung, die Zeiten 
des Eintritts der verschiedenen Phasen, speziell die Zeit der Berührungen 
und die der größten Phase zu bestimmen. Die Berechnung des Ein- 
tretens jeder anderen Phase der Finsternis reduziert sich, wie schon 
erwähnt, durch Annahme einer entsprechend verkleinerten Sonnen- 
scheibe sofort auf das Problem der Ränderberührung. 

Da die strenge Auflösung der Grundformeln nach der Zeit 
transzendent ist, so bedient man sich einer Näherungsmethode®®), die 
schnell zum Ziel führt. Man entwickelt die Koordinaten des Mondes, 
des Erdortes und der übrigen veränderlichen Größen um die Ein- 
trittszeit der Erscheinung herum nach Potenzen der Zeit t, so daß 
die Fundamentalgleichung 

@—-’+W—- D’=wW—(uW— &tgf) 
bei Mitnahme nur der in ? linearen Glieder in den Koordinaten eine 
zur Bestimmung von t quadratische Gleichung liefert. Haben die Ko- 
ordinaten x, y im Moment 7, des ersten Meridians die Werte &,, Yo, 
und sind ihre minutlichen Änderungen «’, y', so sind die Koordinaten 
im Zeitpunkt 7’ des Beobachtungsortes der Länge A und der geozen- 
trischen Breite g’: 
<= %+[T— (I, — )]® 

und analog y, & und n. 

Ist d die Deklination und H der Stundenwinkel des Zielpunktes 
der Kegelachse für den Nullmeridian, die z. B. in der französischen 
Ephemeride „Connaissance des Temps“ berechnet vorliegen, so lauten 
die Koordinaten des Erdortes (Radius = ge) und dessen Änderungen, 
wenn wir noch 

osinp—=AsinB, 
o cosp' cos(H — A) = AcosB 


setzen °): 
&=geospsin(H— A), 4 _ (7.63 982) AcosB, 
n=Asin(B—.d), und ur 
= Acos(B—d), “ (7.63 982) sin d. 


18) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), p. 207 und Hansen, Theorie d. 
Sonnenf. (1859), p. 411. 


356 VIs,T. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


Setzen wir schließlich noch, um der Lösung eine trigonometrische 
Form zu geben 
m snM=,—$8, nsnN=r!— #2, siny = — sin (M — N,) 
d ‚ 
Er T ’ u-u—ftgf, 
so lautet nach Substitution dieser Hilfsgrößen in die Fundamental- 
gleichung deren Auflösung nach 7: 


moeM=y—7, n,cosN, = Yy 


7 7, any m sin(M—N,+v) oberes Vorzeichen: Fankrill, 
s - Austritt. 





N, sin y unteres 
Die Zeit der größten Phase wird:- 


T=-Tn—4— e0s(M—N,). 


Ist u* der dem Zeitpunkt 7, entsprechende Minimalwert von u, 
so ist "= + msin(M — N,), wo u® stets positiv zu nehmen ist. 
Teilt man den Sonnendurchmesser in 12, Zolle (frz. doigts) benannte 
Teile, so ist die Zahl der vom Monde verdeckten, in Zollen ausge- 
drückten Teile des Sonnendurchmessers im Augenblick der größten 


RE 
Phase, d.h. die Größe der Finsternis”): 12 " ned oder auch, weil u, 
h 








sehr klein gegen u,, genähert 195 , was geometrisch durch 


bloßes Aufzeichnen sofort ersichtlich ist, Ebenso findet man leicht 
für die Positionswinkel der Berührungspunkte: 


N, + 180° — y für den Eintritt, 
N, + » :». Austritt. 


Ferner bedient man sich zur Vorausbestimmung des lokalen Ver- 
laufs einer Finsternis vielfach und vorteilhaft der teils graphischen, 
teils interpolatorischen Methode. Man berechnet für eine Reihe von 
Zeitpunkten, welche die Erscheinung umfassen, die scheinbaren lokalen 
Örter von Sonne und Mond und die denselben Momenten entsprechen- 
den scheinbaren Abstände von Sonne und Mond. Durch Interpolation 
findet man dann leicht die den Berührungen der Ränder entsprechen- 
den Zeiten und Zeit und Größe der größten Phase. Diese nach 
J. Kepler benannte Methode ist in extenso von Bohmenberger?”) ent- 
wickelt worden. 


19) Die englischen Astronomen geben die „magnitude of eclipse“ in Dezimal- 
teilen des Sonnendurchmessers an. 
20) J..@. F. Bohmenberger, Nautical Almanac and astronomical ephemeris 
for the year 1836, London 1835. 


6. Anwendung der Sonnenfinsternisse; Tafeln. 357 


6. Anwendung der Sonnenfinsternisse; Tafeln. Die Bedeutung 
der totalen Sonnenfinsternisse liegt vor allem darin, daß sie die ein- 
zige Gelegenheit zu bestimmten astrophysikalischen Studien an der 
Sonne und ihrer nächsten Umgebung bieten; ferner liefern sie der 
Mondtheorie die genauesten Daten über den Mondort, bezogen auf 
den Ort der Sonne, um die Zeit des Neumonds, und die einzige Mög- 
lichkeit, die scheinbare säkulare Mondakzeleration nachzuweisen; in 
der geographischen Längenbestimmung (vgl. p. 134) stehen sie den 
Sternbedeckungen durch den Mond lediglich durch ihre relative Selten- 
heit, nicht an Genauigkeit nach. Die Durchmusterung größerer Zeit- 
räume des Altertums nach Finsternissen der Sonne und des Mondes 
stellt sich in den Dienst der Chronologie. Demgemäß machte sich 
das Bedürfnis nach Tabulierung früherer und zukünftiger Finsternisse 
bald geltend; schon die „Art de verifier les dates“ (1. Ausgabe 1750) 
machte ins einzelne gehende Angaben über die Finsternisse seit Christi 
Geburt ??). 

Das erste bequeme, die Ergebnisse der Theorie vollständig be- 
rücksichtigende und doch die zulaßbarsten Abkürzungen einführende 
Hilfsmittel zur schnelleren Berechnung der Sonnen- (und Mond-)finster- 
nisse lieferte P. A. Hansen mit seinen „Ekliptischen Tafeln“. Er ent- 
wickelte die in seiner Theorie auftretenden Größen, welche sonst zum 
Teil aus den Sonnen- und Mondtafeln zu berechnen gewesen wären, 
in trigonometrische Reihen nach der Zeit??). Mittels dieser Tafeln 
erhält man sämtliche Hilfsgrößen, die man zur Ermittelung der näheren 
Umstände der Sichtbarkeit einer Finsternis nötig hat. Hansens Analyse 
wurde 1881 von T’h. v. Oppolzer genauer wiederholt in seinen Syzygien- 
tafeln?®), Da die Oppolzerschen ekliptischen Tafeln auf sorgfältiger 
Revision der Grundlagen beruhen und bei ihrer Tabulierung erheblich 
mehr Glieder mitgenommen worden sind, als bei den Hansenschen, so 
sind sie wesentlich genauer als die letzteren. Ebenfalls auf Hansens 
Analyse fußen die Tafeln von P. Lehmann*); sie sind aber genauer als 
Hansens Tafeln und reichen von 2500 v. Chr. bis 2400 n. Chr. - Auch 
Largeteau’'s Tafeln) leisten, obwohl auf ältere Grundlagen gestüzt, 
gute Dienste für die näherungsweise Ermittelung der Sonnenfinster- 


21) L’Art de verifier les dates, 1. &d., p. 1—73; 2. e&d., p. 39—89; 3. ed. 
tome 1, p. 41—83, umfaßt die in der alten Welt sichtbaren Sonnen- und Mond- 
finsternisse seit Christi Geburt bis bzw. 1800, 1900, 2000. 

22) Hansen, Ekl. Tafeln (1857) und Hansen, Analyse d. ekl. Tafeln (1863), 

23) Oppolzer, Syzygientafeln (1881). 

24) Lehmann, Tafeln (1882). 

25) Largeteau, tables (1843). 


358 VIs3,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


nisse. Da Oppolzers Syzygientafeln besonders für die systematische 
Berechnung der Finsternisse für lange Zeiträume geeignet sind, stellte 
Oppolzer einen „Kanon der Finsternisse“ ?°) her, welcher für die Sonnen- 
finsternisse von 1208 v. Chr. bis 1261 n. Chr. sämtliche Elemente und 
für die zentralen unter denselben drei Hauptpunkte der Zentralität 
liefert; letztere gestatten unmittelbar eine ungefähre Übersicht des 
Hauptgebietes der Sichtbarkeit der Finsternisse. 

Die Bestimmung der Zeit und Größe der Verfinsterungsphase für 
einen gegebenen Ort (und damit auch der Hauptkurven) hat R. Schram?”) 
außerordentlich vereinfacht. Unter Aufgabe des Anspruches auf Ge- 
nauigkeit erhält man aus dessen Tafeln mittels weniger Rechnungs- 
operationen unter Zugrundelegung der Elemente des Oppolzerschen 
Kanons (oder auch näherungsweise richtig mittels aus den Tafeln 
selbst erlangbarer Elemente) für jeden gegebenen Ort mit einer zu 
historischen Zwecken mehr als hinreichenden Genauigkeit Zeit und 
Größe der Phase. Auch auf Newcombs Tafeln®) ist noch zu ver- 
weisen. 

Zur Darstellung der historischen Sonnenfinsternisse, namentlich des 
Altertums, reichen die Hansenschen Grundlagen der Mondtheorie, auf 
welche die Mehrzahl der genannten ekliptischen Tafeln zurückgeht, 
bekanntlich nicht ganz aus?”). Th. von Oppolzer hat deshalb in seinen 
„Dyzygientafeln“ empirische Korrektionen gegeben, die aus einer pro- 
visorischen Ausgleichung einer Anzahl historischer Finsternisse abge- 
leitet sind. Der „Kanon der Finsternisse“ ist mit Hinzuziehung dieser 
Korrektionen berechnet. F. K. Ginzel hat diese Korrektionen aus 21 
mittelalterlichen Finsternissen, für die ein reichhaltiges Beobachtungs- 
material vorliegt, und aus einer vom Jahre 71 n. Chr. von neuem ab- 
geleitet und einen Anschluß jener Finsternisse an die vorchristlichen 
hergestellt®). Diese Korrektionen sind von R. Schram tabuliert wor- 
den®!); Günzel hat diese Tafeln zur Berechnung eines ausführlichen 
Nachweises sämtlicher zwischen 900 v. Chr. bis 600 n. Chr. innerhalb 
des Ländergebietes von 350° bis 50° östl. Länge und 25° bis 50° 
nördl. Breite stattgefundenen Sonnenfinsternisse verwendet??). Dieses 


26) Oppolzer, Canon (1887). 

27) Schram, Tafeln zur Berechn. v. Sonnenf. (1886). 

28) Newcomb, Recurrence of solar ecl. (1882). 

29) Siehe VIe, 17 (Brown), Erdmond. 

30) F. K. Ginzel, Astronomische Untersuchungen über Finsternisse, Wien 
Ber. 85 (1882), p. 663; 88 (1883), p. 629; 89 (1884), p. 491. 

81) Schram, Reduktionstafeln (1889). 

32) Ginzel, Kanon (1899). 


7. Die Perioden der Finsternisse. 359 


Werk liefert für jeden beliebigen Ort dieses Gebietes Zeit und Phase 
und außerdem speziell für Rom, Athen, Memphis und Babylon noch 
genauere Angaben. 


7. Die Perioden der Finsternisse. Da die Mondbahn gegen 
die Sonnenbahn um einen bestimmten Winkel (i = 5088) geneigt 
ist, so gibt es zwei Perioden im Jahre, während welcher die Sonne 
einmal dem aufsteigenden, das andere Mal dem niedersteigenden Knoten 
der Mondbahn auf der Sonnenbahn nahe ist. Ist der Mond gleich- 
zeitig einem dieser Knoten nahe, so kann eine Finsternis, Sonnen- 
oder Mondfinsternis oder auch beides, in Frage kommen. Diese als 
„Finsternisperiode“ bezeichnete kritische Zeit dauert im Durchschnitt 
für Sonnenfinsternisse 36 Tage, von denen 18 Tage vor dem Durch- 
gange der Sonne durch den Knoten und 18 Tage nachher liegen. 
Für Mondfinsternisse beträgt die Finsternisperiode nur 23 Tage, wenn 
für diese nur die durch den Kernschatten der Erde verursachten 
Finsternisse, die allein genauerer Beobachtung zugänglich sind, in 
Betracht gezogen werden. Da die Mondknoten sich nun aber be- 
kanntlich rückläufig bewegen, so fällt die Finsternisperiode nicht 
immer in denselben Monat, sondern liegt in jedem folgenden Jahre 
durchschnittlich 20 Tage früher. Nach etwa 18 Jahren fällt also die 
Finsternisperiode wieder in denselben Monat; genauer ist die zwischen 
den drakonitischen, d. h. vom Durchgang durch den Mondknoten an ge- 
zählten Sonnen- und Mondumläufen bestehende Beziehung die folgende: 


242 drakonitische Mondumläufe == 6585,357 Tagen, 
19 drakonitische Sonnenumläufe = 6585,780 Tagen, 


d. i. nahezu 18 Jahre 10 Tage. 

Diese größere Periode von 18 Jahren und 10 oder 11 Tagen (je 
nachdem in den 18 Jahren 5 oder 4 Schalttage enthalten sind), nach 
deren Ablauf sich die Finsternisse wieder nahezu in derselben Reihen- 
folge wiederholen, ist der schon den Alten bekannt gewesene Saros- 
zyklus, der ihnen ein Mittel zur Vorhersagung der Finsternisse gab. 
Eine bestimmte Finsternis wiederholt sich aber nach Ablauf des Zyklus 
nicht zur selben Stunde, sondern, dem Bruchteil des Periodenwertes 
entsprechend, 7" 42” später, sodaß die Mitte der Finsternis erst nach 
Ablauf von 3 Zykeln annähernd zur selben Stunde eintritt. Da ferner 
in einem Zyklus 223 Konjunktionen von Sonne und Mond stattfinden, 
die nach diesen 223 Lunationen verflossene Zeit aber nur 6585.3212 Tage, 
also etwas weniger als 242 drakonitische Mondumläufe (6585.357 Tage) 
beträgt, so findet die 223. Konjunktion von Sonne und Mond statt, 
bevor der Mond den Knoten erreicht hat; der Mond ist in diesem 


360 VI23,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


Augenblick noch annähernd $ Grad (genauer 28”) vom Knoten ent- 
fernt, sodaß eine bestimmte Finsternis nach Ablauf des Zyklus 4 Grad 
weiter vom Knoten entfernt eintritt. Da nun die Finsternisperiode 
für die Sonne 36 Tage beträgt, während welcher Zeit die Sonne rund 
36° am Himmel zurücklegt, so erhält sich eine Sonnenfinsternis über 
rund 72 Zykeln, d.h. für eine Zeit von über 1200 Jahren. Da die 
Finsternisperiode für Mondfinsternisse nur 23 Tage beträgt, so er- 
halten sich die Mondfinsternisse über eine entsprechend kürzere Zeit 
von rund 46 Zykeln oder von nahezu 900 Jahren. 

Andere brauchbare d. h. nicht zu große Perioden zur Finsternis- 
Vorausbestimmung, welche namentlich für den Fall eines bestimmten 
Ortes der Erde sich als nützlich erweisen, behandelt Ginzel°?). 


B. Mondfinsternisse. 


8. Kriterium für das Stattfinden einer Mondfinsternis über- 
haupt. Die Mondfinsternisse können nur um die Zeit des Vollmondes 
eintreten. Wie bei den Sonnen-, ist auch bei den Mondfinsternissen 
das Stattfinden der Finsternis überhaupt an eine. analoge Bedingung 
gebunden, die man durch bloßes Aufzeichnen der Schattenumrisse 
sofort erkennt. Die Bedingung ist die, daß die Breite ß des Mondes 
gegen die Ekliptik zur Zeit des Vollmondes in bestimmte Grenzen 
eingeschlossen ist, und zwar muß dem absoluten Werte nach 


"B<(p+r— ro) seci + rg (Kernschatten), 
B<(p-+x+ ro) seeöi+ rs (Halbschatten) 


Da (p+ x — ro) see i + rg zwischen 51’57” und 64’ 19”, 
(p+x+ro)seci + rg zwischen 1°24’32” und 193554” schwankt, 
so findet sicher eine Mondfinsternis statt, wenn dem absoluten Werte 


resp. 


sein. 


nach 


ß < 51’57” (Kernschatten), 
resp. 
ß < 1°24'32” (Halbschatten). 

In anderen Fällen ist das Stattfinden der Finsternis von den 
jeweiligen Werten von p, %, ro, r«, ? abhängig. Da der. Durch- 
messer des Kernschattenquerschnittes der Erde in der Mondentfernung 
im Mittel 82’ beträgt, so kann der Mond, dessen Durchmesser. im 
Mittel nur 32’ beträgt, völlig in ihn eintauchen. Die durch den 
Einfluß der Erdatmosphäre eintretende Vergrößerung des Erdschattens*) 


33) F.K. Ginzel, Kanon (1899), p. 263. 
34) J. Hartmann, Die Vergrößerung des Erdschattens bei Mondfinsternissen, 


9. Verlauf einer Mondfinsternis. = 361 


um etwa !/,, bewirkt, daß die eben abgeleiteten Grenzwerte der Breite 
des Mondes entsprechend zu vergrößern sind. 


9. Verlauf einer Mondfinsternis. Wegen der Undeutlichkeit 
der Schattengrenze sind die Mondfinsternisse zu genaueren Messungen 
nicht brauchbar. Deshalb genügt zur Darstellung ihres Verlaufs eine 
graphische Methode resp. eine Näherungsrechnung. Man berechnet aus 
den stündlichen Bewegungen von Sonne und Mond die Relativbewegung 
des Mondes gegen die Mitte des Erdschattens, d. h. gegen den Gegen- 
punkt der Sonne, und zwar kann man dieselbe innerhalb kurzer 
Zeiten als gleichförmig betrachten. Zu einer beliebigen Zeit t sind 
dann die Längen- resp. Breitendifferenzen von Mond und Schatten- 


mittelpunkt: 
A=Au,tit Aß=AR-+ Pit, 


wo A und ß’ die betreffenden Relativbewegungen bedeuten, und die 
Berührungszeiten von Mond und Erdschatten folgen, wenn o der 
scheinbare Schattenradius und r; der scheinbare Mondradius ist, aus 
der Bedingungsgleichung: 


‚ falls äußere Berührung, 


” | Pe 
tr) = (Ay, + AN) + (AB, + BD; —, falls innere Berührung, 


we=z2-+p»-— ro, im Mittel = 41’9”. Zeichnet man sich den 
Weg des Mondes gegen den als ruhend gedachten Schatten auf, so 
kann man aus dieser Zeichnung sogleich die Positionswinkel der Be- 
rührungspunkte, ebenso den Betrag der größten Phase direkt ablesen. 

Eine Mondfinsternis ist überall da sichtbar, wo der Mond über 
dem scheinbaren Horizont steht, wo also die Zenitdistanz des Mondes 
2: <90 — pe + R (wo R = Strahlenbrechung im Horizont), folglich 
ist die Sichtbarkeitsbedingung einer bestimmten Phase der Mond- 
finsternis für einen Ort der geozentrischen Breite p’ und Länge A, 
wenn ® die Sternzeit des ersten Meridians für jene Phase: 


C08 2 — sin dg sin 9’ + cos ds cos cos (d — ag — A) > sin (mg — R), 
wo «; und dg Rektaszension und Deklination des Mondes sind. 


10. Tafeln zur Berechnung von Mondfinsternissen. Die Mond- 
finsternisse können in ähnlicher Weise wie die Sonnenfinsternisse aus 
entsprechend eingerichteten ekliptischen Tafeln berechnet werden. Die 
schon genannten Tafeln von C©. L. Largeteau?®), P. Lehmann”) und 
Th. von Oppolzer?®) ermöglichen diese Rechnung ohne weiteres. Die 


Leipzig Ges. Wiss. Abh. 17 (1891), p. 363; H. Seeliger, Die scheinbare Ver- 
größerung des Erdschattens bei Mondfinsternissen, Münch. Abh. 19, Abteilung 2 
(1896), p. 35. 


362 VI2,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 


„Syzygientafeln“ von Th. von Oppolzer*?) gestatten den Übergang von 
den für die Konjunktion des Mondes ermittelten Elementen zu denen 
für die Opposition, indem man an die Elemente nur entsprechende 
Korrektionen anzubringen braucht. Oppolzer hat ferner für den Fall, 
daß nur ungefähre Angaben für die Mondfinsternisse verlangt werden, 
durch Zusammenziehung der Argumente die Rechnung noch so ab- 
gekürzt®®), daß man die Zeit und Größe der größten Phase und die 
Dauer der Finsternis innerhalb kurzer Zeit berechnen kann. Mit 
diesen Tafeln sind die 5200 Mondfinsternisse im „Canon der Finster- 
nisse“ berechnet worden. 


C. Andere Finsternisse und Bedeckungen. 


11. Sternbedeekungen durch den Mond. Die Sternbedeckungen 
durch den Mond bilden einen speziellen Fall der Sonnenfinsternisse; 
man erhält aus deren Theorie die entsprechende für die Stern- 
bedeckungen, indem man die Sonnenparallaxe und ebenso den Öffnungs- 
winkel des Schattenkegels als verschwindend betrachtet, weil man die 
Entfernung der Fixsterne als beliebig groß und den Schattenkegel 
deshalb als Zylinder ansehen kann. Dann ist aber der Radius w des 
Schattenkreises konstant, gleich dem linearen Mondradius k, sodaß 
die Fundamentalgleichung jetzt lautet: 


@-’+yw—’—R. 

Zur Berechnung der Berührungs-, d. h. in diesem Falle der Ein- 
und Austrittszeiten entwickelt man wieder die Koordinaten nach 
Potenzen der Zeit # und begnügt sich in erster Annäherung mit den 
in # linearen Gliedern. Man reicht aber selten mit nur einer An- 
näherung aus, sondern muß deren mehrere machen. Zur Abkürzung 
derselben sind deshalb zahlreiche Methoden von Astronomen und 
Nautikern angegeben worden®). Besonders bemerkenswert ist ein 
von 0. Stechert?”) entwickeltes Verfahren, das die Vorausbestimmung 
der Berührungszeiten, die dem Beobachter der Erscheinung im voraus 
bekannt sein müssen, durch ein halb numerisches, halb graphisches 


35) Oppolzer, Tafeln f. Mondf. (1883). 

36) Siehe Abschnitt II (Sternbedeckungen) des Literaturverzeichnisses. Für 
die praktische Rechnung vgl. Chauvenet (1900), vol. 1, 83 340—346 und die 
Formelzusammenstellung bei W. F. Wislicenus, Handbuch der geographischen 
Ortsbestimmungen auf Reisen, Leipzig 1891. 

Lehrbuch der Navigation, herausgeg. vom Reichsmarineamt, 3 Bde Berlin 
1901 Bd. II p. 372. 

37) Stechert, Tafeln für Sternbedeck. (1896) sowie Stechert, Hilfsgrößen (1897). 


11. Sternbedeckungen durch den Mond. 363 


Verfahren unter Benutzung von Tafeln außerordentlich abkürzt. Wie 
bereits erwähnt, führt die Auflösung der Grundgleichung nach der 
Zeit auf eine transzendente Gleichung, und zwar bringt Stechert die- 
selbe auf die folgende Form: 

Ist 6, die Sternzeit der wahren Konjunktion in Rektaszension 
für den ersten Meridian, A die Länge des Beobachtungsortes, @’ seine 
geozentrische Breite, y die zwischen der wahren Konjunktion für den 
ersten Meridian und der für den Beobachtungsort verfließenden Zeit, 
A die Rektaszension des bedeckten Sterns, ö, die wahre Deklination 
des Mondes im Augenblick der Konjunktion, A« die Rektaszensions- 
bewegung des Mondes in 1* mittlerer Zeit, so lautet die für die Zeit 
y explizit geschriebene Grundgleichung: 


R fnitz 
y— (0,0019) con sin (, — A—i-ty), 


wo r der lokale Erdradius und P die Äquatoreal-Horizontalparallaxe 
des Mondes. Diese transzendente Gleichung für y ist völlig analog 
der Keplerschen Gleichung der Planetenbewegung. Setzen wir näm- 
lich den Faktor des Sinus gleich e, femer A— 9%, +i=M und 
0, —A—ıA+y=e, so geht unsere tranzendente Gleichung über 
inse—esine=M, also in die Keplersche Gleichung, wo & der ex- 
zentrischen, M der mittleren Anomalie und e der Exzentrizität ent- 
spricht. Stechert gibt zur Lösung der Gleichung eine Tafel, die mit 
e und M als Argument die Unbekannte & und somit auch % liefert. 
Ist y bekannt, so erhält man die Ein- und Austrittszeit mittels der 
Relatirbewegung des Mondes gegen den Stern; die Positionswinkel 
der Ein- und Austrittstellen am Mondrande erhält man graphisch aus 
einer Zeichnung, in der man den Mond als ruhend und den Weg 
des Sterns in erster Annäherung als geradlinig betrachtet. In zweiter 
Annäherung kann man auch die Krümmung der Bahn berücksichtigen. 

Der Nutzen der Sternbedeckungen für die Astronomie besteht in 
der Möglichkeit, mittels derselben Längendifferenzen auf der Erde?"®), 
ferner die Parallaxe und den Radius des Mondes, genaue Positionen des- 
selben und die Sonnenparallaxe zu bestimmen?°’®). Besonders wertvoll 


37*) Hierzu von historischem Interesse J. Cassini (le fils), Methode de deter- 
miner les longitudes des lieux de la terre par les eclipses des 6toiles fixes et 
des planötes par la lune, Paris hist. (2) m&m. 1705, p. 194, sowie L. Euler, 
Methode de determiner la longitude des lieux par l’observation d’oceultations 
des &toiles fixes par la lune, Berl. hist. 1747. Im übrigen vgl. VIa, 3 (Wirtz), 
Nr. 34. 

37®) H. Battermann, Beiträge zur Bestimmung der Mondbewegung und der 
Sonnenparallaxe aus Beobachtungen von Sternbedeckungen am 6füßigen Merzschen 


364 VI3,7. F.K.Ginzel und A. Wikens. Theorie der Finsternisse. 


sind für diese Zwecke die Bedeckungen von helleren Sternhaufen 
wegen der großen Zahl der Bedeckungen (Plejaden). Schließlich 
bieten die Sternbedeckungen auch ein Mittel zur Herleitung der Ab- 
plattung des Erdkörpers, eine Aufgabe, die F. W. Bessel?®) kritisch 
behandelt hat. 


12. Planetenvorübergänge. Wird ein Planet vom Monde be- 
deckt oder ein Fixstern durch einen Planeten, so ist die Theorie der 
Erscheinung der für die Sonnenfinsternisse resp. Sternbedeckungen 
völlig analog. Eine Komplikation des Problems entsteht nur durch 
die eventuell ellipsoidische Figur des bedeckten resp. bedeekenden 
Planeten und ferner durch die unvollständige Beleuchtung der Planeten- 
scheibe®®),. Mit der Bestimmung des Schattens eines ellipsoidischen 
Planeten beschäftigten sich Seeliger) und Sowillart*'). Die Fixstern- 
bedeckungen durch Planeten dienen einmal zur Herleitung genauer 
Planetenörter und ferner zur Untersuchung der Atmosphäre der 
Planeten. In dem speziellen Falle einer Bedeckung der Sonne durch 
Venus diente die Beobachtung derselben zu der Bestimmung der 
Sonnenparallaxe. 


13. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen. 
Die Theorie der Mondfinsternisse findet ein Analogon bei den Ver- 
finsterungen eines Trabanten durch den Schatten seines Hauptplaneten. 
Die Beobachtung dieser Finsternisse liefert genaue Daten für die 
Bahnbestimmung des Trabanten und hat in diesem Zusammenhang 
insbesondere zu der Entdeckung der Lichtgeschwindigkeit geführt. Da 
die Zeit des Verschwindens des Trabanten von der Lichtstärke des 
Fernrohrs abhängt, so legt man neuerdings photometrisch den Moment 
fest, in dem die Helligkeit des Trabanten auf die Hälfte des normalen 
Wertes gesunken ist. Man hat auch den Eintritt der Verfinsterung 
als Zeitsignal in den Dienst der geographischen Längenbestimmung®?) 


Fernrohr; sowie: Bestimmung der Mondlänge, des Mondhalbmessers und der 
Sonnenparallaxe: Berlin Sternw. Ergeb. 5 (1891) bezw. 11 (1902). Vgl. VI.s, 3 
(Wirtz), Seite 135. 

38) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842); Bessel, Astron. Untersuch. 2, 
p. 227 = Bessel, Abh. 3, p. 423. 

39) F. W. Bessel, Über die scheinbare Figur einer unvollständig erleuchteten 
Planetenscheibe, Astr. Nachr. 12 (1835), p. 201—214 und p. 217—236 —= Bessel, 
Astron. Untersuch. 1 (1841), p. 239 = Bessel, Abh. 1 (1875), p. 327. 

40) H. Seeliger, Über den Schatten eines Planeten, Münch. Ber. 24 (1894), 
p. 428. 

41) ©. Souillart, Sur l’ombre d’une plandte, Astr. Nachr. 91 (1878), p. 129. 

42) Vgl. VIa, 3 (Wirtz), S. 114. 


13. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen. 365 


gestellt. Das seltene Phänomen, daß ein Saturnmond in den Schatten 
des Saturnringes kommt#?), ist insofern interessant, als es die Durch- 
sichtigkeit des Florrings des Saturn zu messen erlaubt. 


Zum Schluß sei auf die Vorausberechnungen der Finsternis- 
erscheinungen verwiesen, wie sie in der Literatur vorliegen. 

Über den Verlauf der einzelnen Sonnenfinsternisse, Mondfinster- 
nisse, Merkurdurchgänge, Sternbedeckungen durch den Mond, Ver- 
finsterungen und Bedeckungen im Jupitersystem findet man die aus- 
führlichsten Angaben in den betreffenden Jahrgängen der „Connais- 
sance des temps“. A. Marth veröffentlichte für die Satelliten des 
Uranus (seit 1870), Saturn (seit 1873), Jupiter (seit 1875), Neptun 
(seit 1878), Mars (seit 1883) in den „Monthly Notices of the Royal 
Astronomical Society, London“ Ephemeriden, die seit 1897 A. C. 
D. Crommelin weiterführt. 


43) Über die Japetusverfinsterung durch Saturn und sein Ringsystem im 
Jahre 1889 vgl. A. Marth, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 49 (1889), p. 427; 
H. Buchholz, Astr. Nachr. 137 (1895) p. 241. 


(Abgeschlossen im Dezember 1907.) 


366 VI2,8 F.K. Ginzel. Chronologie, 


V1238 CHRONOLOGIE 


VoNX 


F. K. GINZEL 


IN BERLIN. 





Inhaltsübersicht. 
1. Einleitung. 
2. Tagesbeginn und Tageseinteilung. 
3. Wochen. 
4. Jahreszeiten. 
5. Jahr, Urform desselben. 
6. Mond- und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. 
7. Besondere Jahrformen und Zyklen. 
8. Epochen (Ären). 


Literatur. 


I. Ältere Werke. 


J. J. Scaliger, De emendatione temporum, Paris 1583, Genf 1629. 

S. Calvisius, Opus chronologicum, Leipzig 1605, verschiedene Ausgaben 1629, 
1650, 1685. 

J.J. Scaliger, Thesaurus temporum, Leyden 1606, Amsterdam 1658. 

Dion. Petavius, De doctrina temporum, Paris 1627. 


II. Neuere Lehr- und Handbücher. 


L. Ideler, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, Berlin 
1825 [immer noch Hauptwerk, aber jetzt in den meisten Kapiteln veraltet] 
(Ideler, Hdb. (1825)). 

W. Matzka, Die Chronologie in ihrem ganzen Umfange, Wien 1844 [eingehende 
arithmetische Behandlung der chronologischen Aufgaben] (Matzka, Chr. (1844)). 

E. Brinckmeier, Praktisches Handbuch der Chronologie aller Zeiten und Völker, 
Berlin 1882. 

Wolf, Handb. 1 (1890), p. 598. 

H. Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 3 Bde., 
Hannover und Leipzig 1891—98. 

W. F. Wislicenus, Astronomische Chronologie, Leipzig 1895. 

Valentiner, Handwörterbuch 1 (1897), p. 598—624 [verfaßt von W. F. Wislicenus]. 


Literatur. i 367 


F. Rühl, Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit, Berlin 1897. 

H. Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der 
Neuzeit, 2. Aufl, Hannover und Leipzig 1905. 

F.K.Ginzel, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, I. Bd.: 
Zeitrechnung der Babylonier, Ägypter, Mohammedaner, Perser, Inder, Südost- 
asiaten, Chinesen, Japaner und Zentralamerikaner, Leipzig 1906 (Ginzel, Handb. 
d. Chron. I (1906)). 


III. Spezialwerke. 


Unter den Spezialwerken, deren es für alle Länder, Völker und Zeiten gibt, 

heben wir heraus: 

R. Lepsius, Chronologie der Ägypter 1, Berlin 1849, 

E. Greswell, Origines Calendariae Italicae, Oxford 1854. 

L. M. Lewisohn, Geschichte und System des jüdischen Kalenderwesens, Leipzig 
1856. 

H. Brugsch, Nouvelles recherches sur la division de l’annde des anciens Egyptiens, 
Berlin 1856. 

Th. Mommsen, Römische Chronologie, Berlin 1859 (Mommsen, Röm. Chronol. (1859)). 

H. Brugsch, Materiaux pour servir & la reconstruction du calendrier des anciens 
Egyptiens, Berlin-Leipzig 1864 (Brugsch, Materiaux (1864). 

Ph. Huschke, Das alte römische Jahr und seine Tage, Breslau 1869. 

A. Schwarz, Der jüdische Kalender historisch und astronomisch untersucht, Bres- 
lau 1872. 

H. Brugsch, Thesaurus Inscriptionum Aegyptiacarum, vol. 1 u. 2, Leipzig 1883 
(Brugsch, Thesaurus Inser. Aegypt. (1883)). 

Aug. Mommsen, Chronologie, Leipzig 1883 [betreffend die Griechen, besonders 
die Athener]. 

A. Schmidt, Handbuch der griechischen Chronologie, Jena 1888. 

Die Literatur über die Zeitrechnung der Römer, Griechen, Kleinasiaten, 
Araber, Perser, Ägypter ist ungemein reichhaltig und in philologischen und orien- 
talistischen Fachzeitschriften zerstreut; dieselbe wird jetzt durchwegs in dem 
oben unter II zitierten Handbuch der math. u. techn. Chronolog. von F. K. Ginzel 
(1906) berücksichtigt. 


IV. Tafeln. 

F. Wüstenfeld, Vergleichungstabellen der muhammedanischen und christlichen 
Zeitrechnung, Leipzig 1854; fortgesetzt bis 1500 H. von E. Mahler. 

Th. v. Oppolzer, Canon der Finsternisse, Wien Denkschr. 52 (1887). 

H. Grotefend, siehe oben unter I. 

H. Jacobi, „On the computation of Hindu-Dates in Inscriptions“, in dem Sammel- 
werk „Epigraphia Indica [Archaeological survey of India], edited by J. Bur- 
gess, Caleutta 1892—94“, vol. 1, p. 403 und vol. 2, p. 487. 

F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse für das Länder- 
gebiet der klassischen Altertumswissenschaften, von 900 v. Chr. bis 600 n. Chr., 
Berlin 1899. 

R. Schram, Kalendariographische und chronologische Tafeln, Leipzig 1908. 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 25 


368 VI2,8 F.K. Ginzel. Chronologie, 


1. Einleitung. Die Begründung der Chronologie als selbständiger 
Wissenschaft durch Scaliger, Petavius, Calvisius"), Dodwell u. a. schließt 
etwa mit der Zeit Idelers?) ab. Bis dahin bilden hauptsächlich die 
Nachrichten der klassischen Autoren und einzelne den betreffenden 
Völkern angehörende Schriftsteller die Quelle, aus welcher man die 
Schlüsse über die Beschaffenheit der technischen Chronologie der 
Nationen zog. Der großartige Aufschwung, den bald nach Beginn 
des 19. Jahrhunderts die Ausgrabungen im Orient und die vielfältigen 
archäologischen Funde auf klassischem Boden in der Epigraphik und 
überhaupt in der Altertumsforschung bewirkten, hat die Basis der 
Chronologie ganz umgestaltet. Jetzt sind die uns erhalten gebliebenen 
Dokumente, Münzen, Inschriften, Stein- und Kupferplatten, Denkmäler, 
Papyrus usw. das Hauptmaterial, auf Grund dessen man die Chrono- 
logie der Völker festzustellen sucht, und die klassischen Autoren 
kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Daneben ist das Studium 
der Festkalender einzelner Nationen und der mit diesen in Verbindung 
stehenden Mythologie zur unabweisbaren Notwendigkeit für die Be- 
festigung der Chronologie geworden, nicht minder die Berücksichtigung 
der Resultate der Sprachforschung. Allein immer noch, trotz großer 
Fortschritte in diesen Zweigen, greifen gegenwärtig die wissenschaft- 
lichen Bedingungen in der technischen Chronologie noch nicht so 
vollkommen ineinander ein, wie zu wünschen wäre, und eben das 
tiefere Eindringen mittels der modernen Hilfsmittel hat die Klar- 
stellung mancher chronologischer Kapitel, deren Lösung zu JIdelers 
Zeit schon nahegerückt schien, auf die Zukunft gestellt. 


In der mathematischen Chronologie sind seit den Versuchen von 
Gauß, Delambre, Oicolini, Tittel, Matzka?), die Arithmetik resp. Zahlen- 
theorie zur Lösung der praktisch vorkommenden Aufgaben zu ver- 
wenden, keine besonderen Fortschritte gemacht worden. Dagegen 
haben gegenwärtig die mathematischen und astronomischen Hilfsmittel 
der Chronologie, die Tafeln‘) zur Verwandlung gegebener Daten 
- einer Zeitrechnung in die einer anderen, zur Bestimmung des Datums 
der Feste, ferner der Finsternisse, heliakischer Sternaufgänge)??) usw. 
einen sehr befriedigenden Stand der Vollkommenheit erreicht. 


1) Vgl. das Literaturverzeichnis unter 1. 

2) Ideler, Hdb. (1825). 

3) Matzka, Chr. (1844). 

4) Siehe Abschnitt IV des Literaturverzeichnisses. 

5) W. F. Wislicenus, Tafeln zur Bestimmung der jährlichen Auf- und Unter- 
gänge der Gestirne, Astr. Ges. Publ. 20 (1892). 


2. Tagesbeginn und Tageseinteilung. 3. Wochen. 369 


2. Tagesbeginn und Tageseinteilung. Die Ägypter der älteren 
Zeit begannen den Tag mit Eintritt der Nacht (nach Sonnenunter- 
gang), nach den Inschriften etwa mit der 10. Nachtstunde®), die Baby- 
lonier haben, wie es scheint, differierende Taganfänge gehabt, bei 
ihren Astronomen bilden Mitternacht oder Sonnenuntergang den 
Tagesanfang, die bürgerliche Rechnung war wahrscheinlich nach 
letzterer Art”), die meisten nach dem Mondjahre rechnenden Völker 
beginnen den Tag mit Sonnenuntergang, die alten Griechen mit der 
Morgendämmerung, die späteren Römer mit Mitternacht, die Etrusker 
um Mittag. 

Rohe Tageseinteilungen, mit liturgischen Gebräuchen in den ältesten 
Zeiten entstanden und zum Teil sich bis in spätere Zeit erhaltend, 
sind: „nach Gebeten“ (Juden, Mohammedaner) nach Vigilien, „Horen“ 
(Römer, Mittelalter), Nachtwachen (Chinesen, Juden) u. dgl. Die 
älteste genauere Teilung der Tag- und der Nachthälfte ist die in 
12 Stunden, wahrscheinlich von den Babyloniern oder Ägyptern be- 
gründet. Auf alten ägyptischen Denkmälern erscheinen schon die 
12 Sonnenscheiben, symbolisch die Tagesphase ausdrückend. In den 
astronomischen Tafeln der Babylonier ist überall Sexagesimalteilung 
des Tages angewendet, bei den Griechen, Römern Zwölfteilung. Zu 
unterscheiden sind die @o«ı zaugıxel (horae temporales) der Alten von 
den »ocı lonusgıvei (horae aequinoctiales); die ersteren bezeichnen die 
natürlichen Tagesstunden, d. h. die Zwölftel des Tagbogens der Sonne 
je nach dessen Länge, sind also nach der Jahreszeit länger und kürzer; 
sie waren allgemein in Gebrauch; die anderen, gleichteiligen Stunden, 
kommen fast nur bei Astronomen vor (Piolemäus). Die späteren Juden 
teilen so: 1 Stunde = 1080 chelakim, 1 chelak = 76 regaim (sexage- 
simale, von den Babyloniern übernommene Teilung). Bei den Indern 
treten mehrere Systeme auf, zum Teil auf Sexagesimalteilung be- 
ruhend; der Tag = 60 ghati, 1 ghati = 60 vinadi, 1 vinadi = 60 
prana, mit diversen Varianten und weiteren Unterabteilungen, die in 
arithmetische Spielerei ausarten. 


3. Wochen. Die siebentägige Woche ist sicher vorderasiatischen 
Ursprungs®); sie ist durch die Juden zu den Arabern verbreitet 


6) Brugsch, Thesaurus Inser. Aegypt. (1883), vol. I, p. 185; Brugsch, Mate- 
riaux (1864), p. 103. 

7) F. X. Kugler, Babylonische Mondrechnung, Freiburg i. Br. 1900, p. 114, 
192, 201. | 

8) Eb. Schrader, Keilschriften nnd altes Testament, 1883, p.19—21; E.Schürer, 
Die siebentägige Woche im Gebrauch der christlichen Kirche, Zeitschrift für die 
neutestamentlichen Wissenschaften und Kunde des Urchristentums, Bd.6 (1905), p.1. 

25* 


370 VI2,8. F.K. Ginzel. Chronologie. 


worden, die Griechen und Inder erhielten sie vielleicht direkt von 
den Babyloniern. Die Namen der Tage entsprechen den sieben alt- 
babylonischen Gottheiten von Sonne (Samas), Mond (Sin), Merkur 
(Nebo), Venus (Istar), Saturn (Adar), Jupiter (Merodach), Mars (Nergal). 
Die 28tägige Woche der Chinesen deutet auf Zerlegung des Mond- 
monats (resp. der 28 Mondhäuser) in vier Gruppen. Bei den Ägyptern 
finden wir, da für diese das Sonnenjahr bestimmend war, eine andere, 
zehntägige Woche, entsprechend den 36, schon in sehr alten In- 
schriften auftretenden Dekanen (Schutzgottheiten der Abgestorbenen), 
welche in den Sternbildern des Zodiakus (unter Dreiteilung der zwölf 
. Zeichen) symbolisiert werden); bei den Römern der alten Zeit weist 
der Gebrauch achttägiger Wochenabschnitte (Nundinen) auf das Mond- 
jahr!°). Weniger deutlich und nur durch gewisse mythologische Kon- 
gruenzen nachweisbar erscheinen Teilungen nach Wochen, z. B. bei 
den alten Persern. 


4. Jahreszeiten. Ursprünglich unterschieden die meisten Völker 
einzelne Jahreszeiten nur nach Maßgabe der klimatischen Beschaffen- 
heit ihres Landes, z. B. hatte das nordische und frühmittelalterliche 
Jahr nur zwei Hälften, die alten Ägypter unterschieden Sommer, 
Winter und Überschwemmungszeit; an den Ursitzen der Indogermanen 
(am Indus) hatte man ursprünglich nur hima —= Winter und samä 
— Sommer; nachdem sich die Einwanderung über den Punjab aus- 
gedehnt hatte, zählte man drei Jahreszeiten, und als die indischen 
Arier sich über ganz Indien verbreitet hatten, waren, den sehr ver- 
schieden gestalteten Verhältnissen des ausgedehnten Landes ent- 
sprechend, im Sprachgebrauch sechs Jahreszeiten eingebürgert. Es 
ist bei einzelnen Nationen deutlich an Festen u. dgl. bemerkbar, daß 
die ursprünglich den Jahreszeiten gegebenen Namen mit der Zeit 
wegen der Verschiebung des Wandeljahres (von 365 Tagen) gegen 
das feste (von 365'/, Tagen) ihre Bedeutung geändert haben, z. B. 
bei den Ägyptern und Persern. Von der Erkenntnis der vier astro- 
nomischen Jahrpunkte (astronomische Jahreszeiten) und von der unter 
sich verschiedenen Länge der Jahreszeiten konnte erst bei ziemlich 
vorgeschrittener Kenntnis der Astronomie die Rede sein. Die Baby- 
lonier kannten im dritten Jahrh. v. Chr. die Längen der astrono- 
mischen Jahreszeiten bereits sehr genau'!); sie setzen die Jahrpunkte 
auf den achten Grad der Zodiakalzeichen (statt auf den dritten); die- 





9) Brugsch, Thesaurus Inser. Aegypt. (1883), vol. 1, p. 131. 
10) Mommsen, Röm. Chronol. (1859), p. 228 ff. 
11) Kugler”), p. 104. 


5. Jahr, Urform desselben. 6. Mond- und Sonnenjahr. 371 


selbe Einrichtung findet sich bei den Römern (Oolumella) und, mit 
teilweisen Widersprüchen, bei den Griechen (Meton); es ist kaum 
noch zweifelhaft, daß die Annahmen der Römer und Griechen auf 
babylonischer Überlieferung beruhen. Im Mittelalter finden sich noch 
weitere Abirrungen im Anfange der Jahreszeiten von den römischen. 
Die Ägypter der Ptolemäer- und Römerzeit unterscheiden vier Jahres- 
zeiten und symbolisieren dieselben durch die Sonne (das Utsaauge) 
als Kind (Winter, am Sokarfest Geburt der Sonne), als Jüngling 
(Frühjahr), als Mann (Sommer, erwachsene Sonne), und als Greis 
(Herbst). 


5. Jahr, Urform desselben. Die ursprüngliche Form des Jahres 
bei den einzelnen Völkern hängt innig mit dem jeweiligen Kultus 
zusammen, war aber jedenfalls in Asien vorwiegend das Mondjahr. 
Für das einstige Vorhandensein eines theoretischen Jahres von nur 
360 Tagen finden sich gewisse Spuren [babylonische und ägyptische 
Tempelrechnungen; die besondere, bei den ıneisten vorderasiatischen 
Völkern wiederkehrende konstante Trennung der fünf Anhängetage 
(Epagomenen) von den 360 Tagen des 365tägigen Jahres u. a.], welche 
zu der Annahme berechtigen, daß man zwar nach einem solchen Jahre 
in der Praxis nicht rechnete, aber vielleicht bei den Schaltungsversuchen 
davon ausging. Daß es bis zur Formulierung des 365 tägigen Wandeljahres 
einer erheblichen Zeit bedurfte, beweist die Existenz des altindischen 
360tägigen Savanajahrs und anderer Formen, welche in den vedischen 
Schriften auftreten!?). Bei den Babyloniern, Arabern, Juden usw. saß 
das Mondjahr schon in sehr alter Zeit fest (Mondkultus in Südbabylon, 
Arabien, Spuren bei den Juden), während es betreffs der Ägypter der- 
zeit noch Streitfrage ist, ob diese nach der Übergangsperiode eines 
Naturjahres nicht sofort zum Sonnenjahr von 365 Tagen gelangt sind, 
ohne das Mondjahr rechnungsmäßig (außer zu sakralen Zwecken) zu 
gebrauchen. In Roms und Griechenlands ältester Zeit bildete das 
Mondjahr den Ausgangspunkt, von welchem man durch mancherlei 
Reformen zum Sonnenjahre gelangte. 


6. Mond- und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. Die 
Lichtphasen des Mondes wickeln sich innerhalb des synodischen Mo- 
nats = 29° 12” 44” 2:98 — 29453059 ab. Da die bürgerliche Rech- 
nung nur nach ganzen Tagen zählen kann, muß der Überschuß von 
0°,53059 von Zeit zu Zeit entsprechend eingeschaltet werden, was 





12) G. Thibaut, Artikel: „Astronomie, Astrologie und Mathematik“, im 
Grundriß der indo-arischen Philologie und Altertums-Kunde, hrsg. von @. Bühler 
und F. Kielhorn, 3. Band, 9. Heft, Straßburg 1899. 


372 VI2,8 F.K. Ginzel. Chronologie. 


durch den Gebrauch hohler und voller Monate (zu 29 und 30 Tagen) 
bewirkt werden kann!?). Das freie Mondjahr (ohne Rücksicht auf 
den Sonnenlauf) besteht aus Gemeinjahren zu 354 und aus Schalt- 
jahren zu 355 Tagen, die in zwölf Mondmonaten untergebracht wer- 
den. Das tropische Sonnenjahr, d. h. die Zeit, welche die Sonne be- 
darf, um zum Frühlingspunkt (s. S. 19) zurückzukehren, beträgt für 
das Jahr 1800 (nach Hansen‘) 365° 5° 48” 46,43. Wird es nur zu 
365° angenommen, so entsteht das Wandeljahr, das sich durch Ver- 
nachlässigung des Überschusses von 5’ 48” 46°,43 alsbald gegen die 
Jahreszeiten verschiebt. Die Berücksichtigung des Überschusses ge- 
schah anfänglich durch die Annahme 365/,* (festes Jahr, julianisches 
Jahr), späterhin (1582, vgl. Nr. 8) durch ein 365tägiges Jahr mit 
entsprechender Einschaltung (Gregorianisches Jahr“)). Das gebundene 
Mondjahr entsteht, wenn das Mondjahr mittels Schaltungen in eine 
bleibende Übereinstimmung mit dem Sonnenjahre gebracht werden 
soll). 


13) Die Dauer des synodischen Monats ist 


45842976 ( N 
= - Tage. 


29 56400000 — 8 


"777 68 


Verwandelt man den in der Klammer”stehenden Bruch in einen Kettenbruch 
und ermittelt die Werte der einzelnen Näherungsbrüche, so erhält man der 


b , 1:,,.0.::8,,28 422 
Reihe nach DW 15’ 17’ 49’ 899 
kennen, daß man etwa jeden zweiten Monat hohl anzuwenden haben wird. Eine 
viel befriedigendere Schaltung erreicht man mit den Näherungen °’/,, und ®/,,, 
nämlich, wenn man unter fünfzehn Monaten sieben hohl sein läßt resp. unter 
siebzehn Monaten acht. Der vierte Näherungswert °°/,, gibt bereits den bürger- 
lichen Mondmonat nur noch um 2° zu groß. 

14) P. A. Hansen et 0. F. R. Olufsen, Tables du Soleil, Copenhague 1853, p.1. 
15) Die möglichen Schaltungen gehen aus den Näherungsbrüchen hervor, 
die man aus der Kettenbruchentwicklung des Überschusses bestimmen kann. 


2092 683 ; ; e 
3640000° Der letztere Bruch ergibt die Nähe 


; der erste Näherungsbruch gibt die Regel an, nach je 





Der erste Näherungsbruch läßt schon er- 


Es ist 365° 5? 48” 46°43 — 365 


2-00. 
4’ 29’ 38’ 128 
vier Jahren einzuschalten. Die Näherung °/,,, nämlich daß man innerhalb von 
33 Jahren siebenmal nach vier Jahren, einmal nach fünf Jahren einschalten 
kann, ist schon ziemlich richtig; der dritte Bruch °/,,,, in 128 Jahren viermal 
nach fünf, 27mal nach vier Jahren einzuschalten, gibt die Länge des tro- 
pischen Jahres bereits sehr genau. 

16) Die entsprechenden Näherungsbrüche gehen hervor aus der Gleichung 


rungen 





om 
trop . Jahr 305 209 26426 „, 458, 42 976 
synod. Monat 864 { 864 


_ 31556926, 426 _, 939610714 
2551442, 976 "2551442976 





6. Mond- und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. 373 


Die Babylonier kannten sowohl die Länge des Mondjahrs als des 
Sonnenjahrs genau und haben Schaltungsmethoden angewendet; welcher 
Art diese waren, ist zurzeit nur für die jüngere Zeit aufgeklärt; nach 
Kugler scheint die Lage des Schaltjahrs bei ihnen von der Position des 
Neumondes gegen einen festen Punkt des Widders abzuhängen. Die 
Entwicklung des gebundenen Mondjahrs (Lunisolarjahrs) kann man am 
besten im Zeitrechnungswesen der Griechen beobachten. Anfangs ver- 
suchte man die Ausgleichung mittels zweijähriger und vierjähriger 
Schaltkreise, im 6. Jahrh. v. Chr. mit der Oktaöteris (von Kleostratos) 
— 99 Monate!”), deren Ursprung in sehr alte Zeit zurückreicht und 
durch einen 16jährigen Zyklus (in der solonischen Zeit?) verbessert 
wurde). Darauf folgte, von Versuchen des Oinopides, Demokritos 
u. a. abgesehen, 435 v. Chr. die Aufstellung eines 19jährigen Zyklus 
— 6940 Tage = 235 Monate (nämlich 125 volle, 110 hohle)!?) durch 
Meton. Obwohl von befriedigender Leistung, fand der Metonsche 
Zyklus vermutlich nicht allgemeine Annahme und wurde noch von 
Kallippos (aus Kyzikos) verbessert. Dieser fand, daß das Metonsche 
Sonnenjahr in 76 Jahren um einen Tag zu lang sei, durch Wegnahme 
von Ye Tag brachte er es auf 3654 Tage, seine 76jährige Schalt- 
periode enthielt 27759 Tage = 940 Monate, die in der Länge des 
synodischen Monats nur einen Fehler von 22°,5 übrig ließ®). Letz- 
teren Fehler verbesserte um 125 v. Chr. Hipparch, indem er vier 








Der zuletzt angezeigte echte Bruch gibt die Näherungen 


ddr Autaaıı) 128: 376 m 
rau | ı Folie | 


aller Sllr We GREIFT TAT Till 
Da das Verhältnis trop. Jahr:synod. Monat=12 + a ist, so würden nähe- 


rungsweise p tropische Jahre = (12p + m) synod. Monate. Demnach sind etwa 


11 tropische Jahre = 136 synod. Monate (Näherung *,,) 
19 ” „= 235 „ ” ” Yo) 
334 ” „ =4131 „ ”„ ” le). 


17) In der Oktaöteris wurde in 8 Jahren dreimal eingeschaltet, sie enthielt 
daher 8-12-+3—= 99 Monate — 8 354° +3.30°— 2922°, ihr mittlerer Mond- 
monat war also 2922 :99 — 29°12*21”49°,1, d.h. um 22,2 zu klein, ihr Sonnen- 
jahr 2922 :8 — 365'/,%, 

18) Die Oktaöteris blieb hinter dem Monde um 1°12*41” zurück, hätte also 
eigentlich über 2923!/,* (statt nur 2922°) enthalten sollen. Durch Verdoppelung 
der Oktaöteris, auf 16 Jahre» brachte man also die 3 fehlenden Tage ein. 

19) Das Sonnenjahr des Metonschen Zyklus enthielt demnach 6940:19 
— 3655/,,° (= 365619”, also um 30” zu groß), der Mondmonat 29%/,,7 — 29° 
12"45”57° war also um 1”"54° zu groß, 

20) Die Periode faßt 4 - 235 Monate 940 Monate oder 4 - 6940 — 1 — 27759. 
Der Mondmonat wurde dadurch — 29° 12" 44” 25°,5. 


374 VI2,8. F.K. Ginzel. Chronologie. 


kallippische Reihen zu einer Periode von 4-76 = 304 Jahren kom- 
binierte, und zwar sei dieselbe um einen Tag zu verkleinern, dem- 
nach?!) kam hierdurch der synodische Monat auf 29212*”44”2:,55, das 
tropische Jahr auf 365°5”55”15°,47, wodurch die beste Übereinstim- 
mung des Mondjahrs mit der Sonne erreicht war. — Die Römer be- 
dienten sich seit des 3. Jahrh. v. Chr. eines 24jährigen Schaltzyklus, 
welcher aber im Lauf der Zeit mißverstanden und zu willkürlichen 
Schaltungen benutzt wurde; die hieraus entstandene Kalenderverwirrung 
beseitigte Julius Caesar durch Einführung des festen Sonnenjahres. 
Das freie Mondjahr hat sich bei den Mohammedanern erhalten. 


7. Besondere Jahrformen und Zyklen. 

a) Sothisperiode. Der Sirius (Isis-Sothis der Ägypter) ging im 
Altertum für die mittlere Breite Ägyptens am 1. Thoth (20. Juli) 
heliakisch??) auf; da um dieselbe Zeit der Beginn der Nilschwelle fiel, 
wurde dieses Datum für die Ägypter bestimmend, ihr Wandeljahr um 
diese Zeit anzufangen. Die Periode faßt 1460 julianische Jahre, das 
Wandeljahr kehrt, da es alle vier Jahre um einen Tag zu kurz ist, 
nach Ablauf der Sothisperiode wieder zum selben Datum zurück. Wenn 
die Angabe Censorins, daß am 20. Juli 139 n. Chr. ein heliakischer 
Aufgang des Sirius stattfand, riehtig ist, müßten 1322 v. Chr. und 
2782 v. Chr. ebensolche Aufgänge stattgefunden haben; Oppolzer hat 
aber die Verkürzung der Sothisperiode nachgewiesen®®). Die Existenz 
der Sothisperiode als Rechnungszyklus läßt sich bisher aus den ägyp- 
tischen Inschriften nicht erhärten, dagegen sind etwa vier Daten in- 
schriftlich bekannt, welche zu heliakischen Siriusaufgängen das gleich- 
zeitige Datum des Wandeljahrs angeben. 

b) Setperiode (von 30 Jahren), eine in ägyptischen Inschriften 
öfters nachweisbare Periode, Apis-Zyklus (25 Jahre), Phönix-Periode 
(nach Herodot”*) 500 Jahre), alle drei ohne chronologische Verwertung. 

c) Saren und Sossen der Babylonier, früher einseitig als Multipla 
von 60 Jahren (600 resp. 3600 Jahre) verstanden, nach den neueren 
Forschungen aber überhaupt als terminologische Ausdrücke gewisser 
Stufen in sexagesimalen Systemen zu betrachten. — Der 60jährige 
Jahreszyklus der C'hinesen (auch zur Zählung der Tage und Monate 
gebraucht) ist der Rest einer solchen Sexagesimalteilung. Jedes Jahr 


21) 4- 940 Monate = 3760 Monate = 4 : 27 759° — 1° — 111.035°. 

22) Der heliakische Aufgang (jährliche Aufgang) eines Gestirns ist derjenige 
Tag im Jahre, an dem das Gestirn erstmalig in der Morgendämmerung dem 
bloßen Auge erkennbar wird. Vgl. Ginzel, Handb. d. Chron. I (1906), p. 186. 

23) Th. v. Oppolzer, Wien Ber. 90 1884°. 

24) Herodot, II 73. 


7. Besondere Jahrformen und Zyklen. 375 


dieses Zyklus, welcher gewissermaßen die Epoche der Zählung ver- 
tritt, hat einen besonderen Namen. Der Ursprung des 12-teiligen 
Tierzyklus der Ostasiaten ist noch nicht befriedigend aufgeklärt. 

d) Große Jahre. Bei den klassischen Schriftstellern (Diodor, 
Plutarch, Solinus und vielen anderen) und inschriftlich (bei den 
Ägyptern als heh- und hunti-Perioden) auftretende Zyklen von 216, 
12954, 36000 und anderen Jahren, die in ihrer Entstehung größten- 
teils auf Kombinationen von sexagesimalem Aufbau und Schaltungen, 
und auf Mond- und Sonnenjahren (in manchen Fällen auch auf Planeten- 
jahren, d. h. Umlaufszeit eines Planeten um die Sonne) beruhen (Plato- 
nische Jahre). 

e) Jupiterjahre. Speziell auf Indien beschränkt, aber wahrschein- 
lich von babylonischer Herkunft?®). Fünf Jupiterumläufe machen un- 
gefähr einen 60 jährigen Zyklus (59'/, Jahre). Der Gebrauch dieses 
60jährigen Zyklus beschränkt sich auf Nordindien; die einzelnen Jahre 
desselben haben (wie der 60jährige Zyklus der Chinesen) besondere 
Namen. Noch älter in Indien scheint ein 12jähriges Jupiterjahr zu 
sein (Jupiter nimmt etwa alle 12 Jahre dieselben Stellungen am Stern- 
himmel ein), welches sich vorzugsweise nach den heliakischen ??) Auf- 
gängen des Jupiter richtet. 

f) Sonst vorkommende Jahrzyklen: Lustrum (ursprünglich 4-, 
dann 5jährig), Yuga (5jährig), Sabbathjahr (alle 7 Jahre), Jubeljahre, 
goldene Jahre (bei den Christen und Juden) und andere. 

8) Indiktionen, Sonnen- und Mondzirkel. Der erstere Zyklus ist 
eine künstlich (aus Schatzungs- oder Steuerperioden?) gebildete Reihe 
von 15 Jahren, die gegen Ende des 3. Jahrh. n. Chr. in chronologischen 
Gebrauch gekommen ist. Es gibt dreierlei Arten der Indiktionen 
(Römerzinszahl, kaiserliche Zahl, a. Zeichen): Die griechische (byzan- 
tinische) [mit 1. September anfangend], die konstantinische (kaiserliche) 
[beginnend mit 24. September] und die römische (päpstliche) Indiktion 
[mit 1. Januar beginnend]. — Sonnenzirkel heißt im julianischen Ka- 
lender die Periode von 28 Jahren (7 vierjährigen Schaltkreisen), nach 
deren Ablauf die Wochentage wieder auf denselben Monatstag zurück- 
kommen. — Da 19 tropische Sonnenjahre nahe gleich 235 synodischen 
Mondmonaten sind'®), so gehen die Mondphasen nach 19 Sonnenjahren 
ungefähr auf dieselben Jahrestage zurück; dies ist der Mondzirkel, 
die Stellung eines Jahres in demselben wird durch die güldene Zahl 


25) Den Babyloniern waren, wie aus aufgefundenen astronomischen Tafeln 
derselben hervorgeht, die Perioden der Rückkehr der Planeten in dieselben Him- 
melsstellungen gut bekannt. 


376 VI2,8. F.K. Ginzel. Chronologie. 


(numerus aureus) bezeichnet (im gregorianischen Kalender wird die 
goldene Zahl durch die Epakte ersetzt). 

h) Osterzyklen. Nach 283 Mondzirkeln (zu 19 Jahren), also nach 
532 Jahren, fallen im julianischen Kalender die Mondphasen wieder 
auf dieselben Wochentage, diese Periode (Osterperiode, eyclus paschalis) 
eignet sich daher zur Bestimmung des christlichen Osterfestes, wel- 
ches am ersten Sonntage nach dem ersten Frühjahrsvollmonde zu 
feiern ist). Es gibt mehrere Osterzyklen, die sich durch den Anfang 
der Periode voneinander unterscheiden (Anianus, Vietorius, Dionysius, 
Exiguus). 

8. Epochen (Aeren). Die Anfangspunkte, von denen die Jahre 
gezählt werden, sind überaus verschieden und zahlreich; wir können 
hier nur einige Andeutungen geben. — Olympiaden (4jährig, Epoche 
Sommer 776 v. Chr.), mit Varianten. — Jahre der Stadt (Rom), u. c. 
(urbis conditae) [varronisch gerechnet vom 1. Januar 753 v. Chr,, 
.capitolinisch ein Jahr später]. — Weltaeren (des Panodors, die Alexan- 
drina und Byzantina), die konstantinopolitanische [Epoche 1. September 
5509 v. Chr.], die jüdische Weltaera [3761 v. Chr.], Aera Nabonassars 
[747 v. Chr.]. — Die altpersische Aera Jezdegird und die neuere Dsche- 
laleddins. Die Hedschra [Epoche 16. Juli 622 n. Chr. (Volkskalender)] — 
Julianische Periode [Epoche 1. Januar 4713 v. Chr.]. — Die christliche 
(nach Jahren von der Geburt Christi ab zählende) Zeitrechnung kam 
durch die Ostertafel des Dionysius im 6. Jahrh. in Gebrauch. Bis 1582 
n. Chr. wurde die julianische Schaltung gebraucht, und da um diese 
Zeit das julianische Datum schon um 10 Tage gegen das wahre zurück- 
geblieben war, durch Gregor XIII. eine Schaltungsreform eingeführt 
(alter oder griechischer, julianischer Stil, neuer oder gregorianischer Stl). 


26) Eine Regel zur Berechnung des gregorianischen Osterfestes gab 0. F. 


Gauß, Monatl. Corr. 2 (1800), p. 121 = Werke 6 (1874), p. 73, dazu Nachtrag in 
Tübinger Z. für Astr. 1 (1816), p. 158. Vgl. Wolf, Handb. 1, p. 622. 


(Abgeschlossen im Juli 1910.) 


B. MECHANIK DES HIMMEILS. 








VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 379 


VI2,9. BAHNBESTIMMUNG DER PLANETEN 
UND KOMETEN. 


Von 


G. HERGLOTZ 


IN LEIPZIG. 





Inhaltsübersicht. 


I. Keplersche Bewegung. 
1. Keplersche Gesetze. 
2. Elemente der Bahn. 
8. Koordinaten eines Ortes. 
4. Bestimmung der wahren Anomalie. 
5. Lambertsches Theorem. 
6. Verhalten der Koordinaten im komplexen Gebiet. 


II. Vorläufige Bahnbestimmung. 
a) Planetenbahnen. 
7. Formulierung der Aufgabe. 
8. Grundgleichungen. 
9. Herstellung der Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse. Erforderliche Genauigkeit. 
10. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse. 
11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. 
12. Methode von Laplace. Satz von Lambert. 
13. Bestimmung der Elemente aus zwei vollständigen Orten. 
14. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. 
15. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen. 
16. Bestimmung einer Kreisbahn. 


b) Kometenbahnen. 


17. Formulierung der Aufgabe. Grundgleichungen. 

18. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen nach der Methode von 
W. Olbers. 

19. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen. 

20. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. 

21. Ausnahmefälle. Methode von Gauß. 


22. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration. 


380 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


III. Definitive Bahnbestimmung. 


23. Allgemeine Formulierung der Aufgabe. 

24. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte. 

25. Differentialquotienten der geozentrischen Koordinaten nach den Elementen. 
26. Methoden mit Bevorzugung zweier Orte. 


Literatur. 
Lehrbücher und Monographien. 

©. F. Gauß, Theoria motus corporum coelestium in sectionibus conicis solem 

““ambientium, Hamburgi 1809 — 0. F.Gauß, Werke 7. Deutsch von O. Haase, 

” Gotha 1877 (Gauß, Theoria motus). 

J. Frischauf, Theorie der Bewegung der Himmelskörper, Graz 1868. 2. Aufl. 
unter dem Titel: Grundriß der theoretischen Astronomie, Graz 1871. 

J. Frischauf, Die Gauß-Gibbssche Methode der Bahnbestimmung eines Himmels- 
körpers aus drei Beobachtungen; mit einem Anhang zum „Grundriß der theo- 
retischen Astronomie“, Leipzig 1905. 

JÖ. Watson, Theoretical astronomy, Philadelphia 1868. 2. ed. 1877. 3. ed. 1881 
(Watson, Theor. astr.). 

W. Klinkerfues, Theoretische Astronomie, Braunschweig 1871. 2. Aufl. bearb. 
von H. Buchholz, 1899. (Klinkerfues-Buchholz, Theor. Astr.). 

T. von Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Planeten und Kometen, 
Band 1, Leipzig 1870. 2. Aufl. Leipzig 1882 (2. Aufl. Oppolzer, Bahnb. 1). 
Französisch von E. Pasquier, Paris 1886. Band 2, Leipzig 1880 (Oppolzer, 
Bahnb. 2). 

F. Tisserand, Legons sur la determination des orbites, red. par J. Perchot, 
avec une preface de H. Poincare, Paris 1899. 

J. Bauschinger, Tafeln zur theoretischen Astronomie, Leipzig 1901 (Bauschinger, 
Tafeln). 

J. Bauschinger, Die Bahnbestimmung der Himmelskörper, Leipzig 1906. 


Journal-Literatur und anderes. 


J. H. Lambert, Insigniores orbitae cometarum proprietates, Aug. Vindel. 1761. 
Deutsch hrsg. v. J. Bauschirger in Ostwalds Klassikern der exakten Wissen- 
schaften Nr. 133, Leipzig 1902 (Lambert, Insign. propr. 1761). 

J. L. Lagrange, Sur la determination des orbites des com6tes d’aprös trois ob- 
servations, Drei Abhandlungen in Berlin Mem. 1778, p. 111, 124; 1783, p. 296 
— Oeuvres 4, p. 439, 451, 496. 

P. S. Laplace, M&moire sur la determination des orbites des com6tes, Paris Hist. 
(1780) M&em. p. 13 = Oeuvres 10, p. 93. 

W. Olbers, Abhandlung über die leichteste und bequemste Methode die Bahn 
eines Kometen zu bestimmen, hrsg. v. F. v. Zach, Weimar 1797. 2. Aufl. 
v. J. F. Encke, Weimar 1847. 3. Aufl. v. J. Galle, Leipzig 1864 = W. Olbers, 
Werke 1], p. 3—56 (Olbers, Abh. über Kometenbahnen). 

J. F. Encke, Bestimmung einer elliptischen Bahn, Berliner astronomisches Jahr- 
buch für 1854. Hrsg. von J. Bauschinger in Ostwalds Klassikern der exakten 
Wissenschaften Nr. 141, Leipzig 1903. 


1. Keplersche Gesetze. 2. Elemente der Bahn. 381 


P. A. Hansen, Bestimmung der Bahn eines Himmelskörpers. Leipzig Berichte 
1863, Bd. 15, p. 83. Hrsg. von J. Bauschinger in Ostwalds Klassikern der 
exakten Wissenschaften Nr. 141, Leipzig 1903. 

E. Weiß, Über die Bestimmung der Bahn eines Himmelskörpers aus drei Beob- 
achtungen, Wien Denkschr., Band 60, Wien 1893, p. 345. 

K. Zelbr, Artikel „Bahnbestimmung“ in W. Valentiner, Handwörterbuch der 
Astronomie (Enzyklopädie der Naturwissenschaften 3 (2)), Breslau 1897, p. 452. 

O. Callandreau, Apergues des möthodes pour la determination des orbites, Paris 
Ann. de l’Obs., mem. 23, Paris 1902. 

P. Harzer, Bestimmung und Verbesserung der Bahnen von Himmelskörpern. 
Publicationen der Sternwarte zu Kiel, Nr. 11, Kiel 1901. 

Bibliographie in W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, Artikel „Bahn- 
bestimmung‘“ von K.Zelbr. Ferner bei R. Radau, Paris Bull. astr. 16 (1899), 
p- 432. 


I. Keplersche Bewegung. 


l. Keplersche Gesetze. Werden durchgehends die Massen der 
Planeten und Kometen gegenüber derjenigen der Sonne als sehr klein 
vernachlässigt, so wird die dadurch idealisierte Bewegung eines solchen 
Himmelskörpers bezüglich eines zur Sonne festen Koordinatensystems, 
die Keplersche Bewegung, vollständig durch die folgenden drei „Kepler- 
schen Gesetze“ beschrieben: 

1. Die Bewegung erfolgt in einer durch die Sonne gelegten 
Ebene so, daß die vom Radiusvektor überstrichene Sektorfläche der 
Zeit proportional wächst. 

2. Die Bahn ist ein Kegelschnitt, in dessen einem Brennpunkt 
sich die Sonne befindet (bei der Hyperbel in jenem, gegen welchen zu 
die Bahnkurve konkar ist). 

3. Der Quotient der vom Radiusvektor in der Zeiteinheit über- 
strichenen Sektorfläche durch die Quadratwurzel aus der Länge des 
Parameters des Kegelschnittes hat für alle Himmelskörper denselben 
Wert. 

Das Doppelte der durch das dritte Gesetz gegebenen, dem Sonnen- 
system eigentümlichen Zahl, die sogenannte Gaußsche Konstante k, hat 
in astronomischen Einheiten ausgedrückt den Wert k = 0,0172021. 
Vgl. den Artikel V 2 (Zenneck;). 


2. Elemente der Bahn. Um mit Hilfe dieser drei Gesetze den 
Ort des Planeten für eine beliebige Zeit zu bestimmen, ist die Kennt- 
nis der Lage und Gestalt des Kegelschnittes sowie die Kenntnis des 
Ortes in der Bahn zu einer bestimmten Zeit (Epoche) erforderlich, 
also die Angabe von 2+3-+1=6 Größen, den sechs Bahnelementen. 
Die Lage der Bahnebene wird bei der üblichen Wahl des ekliptikalen 


382 VIa,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Koordinatensystems festgelegt durch ihre Neigung ö gegen die Ekliptik 
und den Winkel N ihrer Schnittgeraden mit der Ekliptik (Knoten- 
linie) gegen die Frühlingsnachtgleichenlinie, die Knotenlänge N. Hier- 
auf ist die Lage des Kegelschnittes in seiner Ebene gegeben durch 
den Winkel x, welchen der kürzeste Radiusvektor (Apsidenlinie) mit 
der Knotenlinie einschließt, statt dessen mitunter der gebrochene 
Winkel 9 —=x-+9%, die Perihellänge, eingeführt wird. Die Gestalt 
des Kegelschnittes ist charakterisiert durch die Länge |a| der großen 
Halbachse, und die (numerische) Exzentrizität e, mit denen der Para- 
meter » und der kürzeste Radiusvektor g (Periheldistanz) zusammen- 
hängen durch: 
(1) p=all—e), g—all—e) 
Hiebei möge, um Ellipse und Hyperbel durch die gleichen Formeln 
zu beherrschen, für erstere «>0, für letztere a<O genommen 
werden. Die Angabe des Ortes zu einer bestimmten Zeit wird ge- 
leistet durch Angabe des Zeitpunktes Z,, zu welchem sich der Himmels- 
körper gerade im Perihel befindet, der Perihelzeit. 

Aus den Koordinaten x, y, z und Geschwindigkeitskomponenten 
&%, Y, 2 zu irgend einem Zeitpunkt berechnen sich die Elemente so- 
fort vermöge der Flächensätze und der Laplaceschen?!) Integrale: 


a=yi—el, Ah=2u— ui, 
(2) g=ei—u, h=yu— u, 
(z =IYy— y&, a =:zu — u, 

a . K® 

u—rf, ua=V7’——, 


“ 
in denen c,, &, c, die Komponenten eines zur Bahnebene normalen 
Vektors der Länge k Yp sind, f}, fs, f; aber diejenigen eines in der 
Apsidenlinie liegenden Vektors der Länge K?e. 

Den Charakter der Bahn gibt unmittelbar das Vorzeichen der 
aus der Energiegleichung 


8) n-#-# 
folgenden Größe a. 


3. Koordinaten eines Ortes. Ein beliebiger Ort des Himmels- 
körpers ist nun fixiert durch den in Richtung der Bewegung ge- 
zählten Winkel des Radiusvektors gegen die Apsidenlinie, die wahre 
Anomalie v, aus welcher der Radius selbst folgt, durch: 

12, HE —e) 
(4) ET 


1) P. 8. Laplace, Me. e&l. 1 (= Oeuvres 1), p.181. Über die geometrische 
Bedeutung vgl. @. Darboux, Paris Bull. Astr. 5 (1888), p. 89. : 


3. Koordinaten eines Ortes. 383 


Ihren Zusammenhang mit der Zeit gibt das erste und dritte Keplersche 
Gesetz, angewandt auf den Sektor zwischen dem Radiusvektor und der 
Apsidenlinie, wobei man aber den Sektor nicht direkt durch v, sondern 
einfacher mittels des vermöge: 


1 l— 1 
di tan. E= Vi tang .®, 


i y1—e’sinv e-+ cos® 
— Ss = — 
sin E 1-ecosv ? cos E 1-+ecosv 


mit v zusammenhängenden Hilfswinkels E, die exzentrische Anomalie 
ausdrückt, und hiedurch aus dem ersten und dritten Gesetz die Kepler- 
sche Gleichung erhält: 


(6) SZ) — B—esinE, 
a 
nebst: 
(7) r=a(1— ecos E). 
Man pflegt zu setzen: 
(8) ei nt —t)=M, M+o=1 
ja 


und n als mittlere tägliche Bewegung, M als mittlere Anomalie, I als 
mittlere Länge zu bezeichnen. Bei Planetenbahnen wird ferner statt 
der Durchgangszeit durch das Perihel {, die mittlere Länge zur 
Epoche (= 0) eingeführt: 

(9) e=Dd —nt. 

Bei der Hyperbel ist, wofern in (6) Yl—e=-+iVe—1 ge- 
wählt wird, in (6) Va—= — iY—.a zu setzen. Da in diesem Fall 
E rein imaginär wird, empfiehlt es sich einen reellen, durch: 


(10) tang E = — itang u 


ev sin#—=—itangE, csf= 


cos E 
bestimmten Hilfswinkel F, den sogenannten Lambertschen Winkel?) 
von = einzuführen, wonach (6) in: 


7 


3% 


(11) n(t — t,) = e tang F — log nat tang (5 
übergeht. 
Für die Parabel ist _—0, 1— e=0, aber a1—e)—g zu 
setzen, so daß aus (6) folgt: 
kKa—t) __ 1 1 ar 
(12) 777. Fesseln Aerandl 5 ı. 


2) Vgl. VIa, 3 (Wirtz) Seite 150, Fußnote 330. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 26 


384 VlIs2,9. G@. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


E. Halley°) wählte -5, 


Flächeneinheit und bezeichnete die in dieser Einheit gerechnete Sektor- 
fläche: 
75% 
13 M= t—1 
(13) VE d—%) 


3 


des rechtwinkligen Parabelsektors als 





als „motus medius“ in der Parabel. Zugleich gab er als erster eine 
Tafel für v mit M als Argument. Diese Definition von M hat sich 
noch bei einigen späteren Autoren erhalten, während Th. v. Oppolzer 
und J. Bauschinger einfach 


4) M=',° 

q 
setzen, dessen Logarithmus bereits J. ©. Burckhardt“) als Argument 
einer entsprechenden Tafel wählt. — Ist v und damit r für den ge- 


wünschten Zeitpunkt bestimmt, so sind damit auch die Koordinaten 
des Himmelkörpers gegeben. Die auf ein beliebiges heliozentrisches 
System bezogenen rechtwinkligen Koordinaten setzt ©. F. Gauß?), mit 
uw=v+za=0v+59— N das Argument der Breite bezeichnend, in 
die Form: 

x=rsinasin(4A-+ u) 
(15) y=rsinbsin(B-+ u) 

z2=rsinesn(C+ u), 


worin die Gaußschen Konstanten a, b, c und A, B, © sich bzw. mit 
den auf die Bahnebene und die Knotenlinie als Anfangsrichtung be- 
zogenen Breiten und Längen der Koordinatenachsen zu 90° ergänzen. 


4. Bestimmung der wahren Anomalie. a) Numerische Nähe- 
rungsmethoden. Die numerische Auflösung der Gl. (6) geschieht bei 
Bahnen geringer Exzentrizität am raschesten durch sukzessive Appro- 
ximation nach der Newtonschen Näherungsmethode. Als Ausgangs- 
näherung kann M oder der von J. F. Encke®) vorgeschlagene und von 
N. Herz”) verbesserte Wert dienen. Hilfstafeln geben insbesondere 


Th. v. Oppolzer?), J. J. Astrand”), F. Tietjen!). 
3) E. Halley, A synopsis of the astronomy of comets, Lond. Phil. Trans. 1705, 
4) J. C. Burckhardt, Conn. d. temps pour l’an 1818 (1815), p. 319. 
5) ©. F. Gauß, Monatl. Corr. 9 (1804), p. 385 —= Werke 6, p. 94. 
6) J. F. Encke, Astr. Nachr. 30 (1850), p. 277. 
7) N. Herz, Astr. Nachr. 99 (1881), p. 31. 
8) Th. v. Oppolzer, Wien Denkschr. d. k. Akad. 50 (1885), p. 185. 
N) JI.J. Ästrand, Hilfstafeln zur leichten und genauen Auflösung des Kep- 
lerschen Problems, Leipzig 1890. 
10) F. Tietjen, Berlin. Veröff. d. k. Recheninst. n° 1 (1892). 


4. Bestimmung der wahren Anomalie. 385 


Die Auflösung der bei parabolischen Bahnen auftretenden Glei- 
chung (12) kann direkt der sogen. Barkerschen Tafel!!) entnommen 
werden, welche M mit dem Argumente v gibt. Liegt jedoch v nahe 
an 180°, so wird der großen Interpolationsdifferenzen halber ihr Ge- 
brauch beschwerlich, und man hat sich dann des besonderen von 
F. W. Bessel“?) und B. Nicolai'?) ausgebildeten Verfahrens zu bedienen; 


® 
2 
die Gl. (12) durch eine einfachere und tabulieren die Korrektion für 


den so bestimmten Näherungswert als Funktion desselben. Den um- 
gekehrten Weg, v mit dem Argument M zu tabulieren, hat J. C. 
Burckhardt‘*) eingeschlagen, dann U. J. Leverrier'?) und 0. F. Gauß"®), 
der auch besondere Vorschriften!”) für große v gibt. Ebensolche 
Tafeln gibt J. Bauschinger“?). Die Verfahren, welche zur Bestimmung 
der wahren Anomalie für der Einheit benachbarte Exzentrizitäten 
dienen, sind gleicherweise gültig, mag e wenig kleiner oder größer 
als 1 sein, und umfassen daher auch die nahe parabolischen 
Hyperbelbahnen, welche die einzigen bei Kometen auftretenden 
Hyperbelbahnen sind. Das jenen Verfahren zugrunde liegende 
Prinzip ist, die mit einem passend gewählten Faktor versehene 
mittlere Anomalie als das M der Gleichung (12) zu nehmen, und 
dann die Korrektion, welche dem aus ihr folgenden Werte von v 
hinzuzufügen ist, nach Potenzen einer mit 1 —e verschwindenden 
Größe zu entwickeln. Die Berechnung der Korrektion wird dann 
wieder durch Tafeln erleichtert. Das zuerst von L. Euler'?) angegebene 
Verfahren wurde von W. Bessel?”) weiter durchgeführt, eine von Th. 


sie ersetzen mit Rücksicht auf den dann sehr kleinen Wert von ctg 


11) Th. Barker, Account of the discoveries concerning comets, London 1757. 
R. Luther hat das Intervall von 5’ auf 100” reduziert, und die Tafel wurde der 
F. Enckeschen Ausgabe (Weimar 1847) von Olbers, Abh. über Kometenbahnen 
angehängt. Auch in Watson, Theor. astr. (Intervall 1”) (Tafel 6) und von J. Strobel 
neu berechnet in Oppolzer, Bahnb. 1 (1882) (Intervall 10”) (Tafel 4). 

12) F.W. Bessel, Astr. Nachr. 22 (1845), p. 253 = Ges. Abh. 1, p. 12. Vgl. 
Oppolzer, Bahnb. 1, wo von A. Palisa berechnete Tafeln (a. a. O. Tafel 5a und 
5b) zu Bessels Methode abgedruckt sind. (Zuerst veröffentlicht Berlin Ber. 1880, 
p- 511.) 

13) B. Nicolai, Astr. Nachr. 21 (1844), p. 77. 

14) P. 8. Laplace, Meec. cel. trans. b. Bowditch, vol. 3. 

15) U. J. Leverrier, Paris Ann. de l’obs. 1, (1885), p. 226, auch in C. F. 
Gauß Theoria motus, dtsch. v. Haase, p. 24. 

16) ©. F. Gauß, Werke 7, p. 351 (Nachlaß). 

17) C. F. Gauß, Astr. Nachr. 20 (1843), p. 299 = Werke 6, p. 191. 

18) J. Bauschinger, Tafeln, Nr. 15. 

19) L. Euler, Misc. Berol. 7 (1743), p. 1 (Determ. orb. com. A. 1742 obs). 

20) W. Bessel, Monatl. Corr. 12 (1805), p. 197 = Ges. Abh. 1, p. 9. 

26* 


386 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


v. Oppolzer?‘) herrührende veränderte Form desselben von R. Schramm 
und F. K. Ginzel??) ausgearbeitet. Ein ähnliches Verfahren gibt 
F. Brünnow ®). 

Das Gaußsche Verfahren*) bestimmt die Korrektion nicht durch 
Reihenentwicklung, sondern durch sukzessive Approximation, deren 
Konvergenz auf der Kleinheit von E beruht. Eine vergleichende Be- 
trachtung verschiedener Verfahren gibt R. Radau?). 

Betreffs der numerischen Näherungsmethoden vergleiche man 
neben den Kompendien der Bahnbestimmung vor allem die „Tafeln 
zur theoretischen Astronomie“ von J. Bauschinger. Eine Bibliographie 
des Keplerschen Problems gibt R. Radau?®). 

b) Allgemeine Reihenentwicklungen. Lagrange?®) hat, die nach ihm 
benannte Reihe auf die Gleichung (6) anwendend, verschiedene Aus- 
drücke in der elliptischen Bewegung (z. B. E, r,r cosv, r sin v) nach 
Potenzen von e entwickelt, wobei die Koeffizienten endliche trigonome- 
trische Reihen in M werden. Diese Potenzreihen konvergieren für 
alle reellen Werte von M nur, so lange e kleiner ist als der für reelles 
t— ti, genommene Minimalwert og des aus Gl. (23) berechneten |e|. 
Für diesen folgt nun: 


Vi+e 
(16) 1 BC N\ 


Ii+yite 
Diese Grenze wurde zuerst von P. S. Laplace*) aus den asympto- 
tischen Werten der Koeffizienten hergeleitet. Von den Autoren, welche 
sie dann aus allgemeinen funktionentheoretischen Gesichtspunkten her- 
leiteten, seien hier neben den in IIB1 Nr. 15 (Osgood) aufgeführten 
Arbeiten über die Lagrangesche Reihe noch V. Puiseux?”) und 








21) Th. von Oppolzer, Über die Berechnung der wahren Anomalie in nahe- 
zu parabolischen Bahnen, München Abh. 13 (1878), p. 139. 

22) Th.v. Oppolzer, Bahnb. 1, p. 65. 

23) F. Brünnow, Astr. Notices 1 (1861), p. 12, 177. 

24) Gauß, Theoria motus, art. 37 ff. Weitere Hilfstafeln und Zusätze siehe 
A. Marth, Astr. Nachr. 43 (1856), p. 115 — Gauß Theoria motus, dtsch. v. Haase 
(Anhang), p. 28. 

25) R. Radau, Paris Bull. astr. 2 (1885), p. 509. 

25°) R. Radau, Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 37. 

26) J. L. Lagrange, Berlin Mem. 25 (1771) = Oeuvres 3, p. 113. 

27) Bezüglich dieses Wertes vgl. Correspondance d’Hermite et de Stieltjes 1 
(1905), p. 433. Mit E wird die Basis der natürlichen Logarithmen bezeichnet. 

28) P. S. Laplace, Paris M&m. de l’acad. 6 (1823), p. 61 = Oeuvres 12, 
p- 549. 

29) V. Puiseux, Journal d. math. 14 (1849), p. 33 und Note 1 zu Lagranges 
Mec. analyt. 2 &d. 4 = Oeuvres 12, p. 341. 


5. Das Lambertsche Theorem. 387 


J. A. Serret) genannt. Ist o<e<1, so konvergieren die Reihen 
bloß in gewissen Intervallen um M=(0 und M= 180°. Rascher 
konvergierende Umformungen dieser Reihen gibt E. Weiß®'), und T. Levi- 

e EVı-e 
1+V1 —e 
für alle reellen M und |n|<1, also insbesondere alle reellen e<1 
konvergieren. 

Ordnet man aber, was bereits Lagrange tat, jene Potenzentwick- 
lungen nach den Cos und Sin der Vielfachen von M, so erhält man 
die für alle reellen M und e<<1 konvergenten trigonometrischen Ent- 
wicklungen, mit denen sich zuerst insbesondere W. Bessel?’) eingehend 
beschäftigte. Verschiedene dieser Reihen haben einfach Besselsche Funk- 
tionen von e zu Koeffizienten. In großer Allgemeinheit hat P. A. Hansen ”*) 
die Entwicklungen einer ganzen Reihe von Ausdrücken behandelt. 

Explizite Angaben der Reihenentwicklungen verschiedener Größen 
findet man bei U. J. Leverrier?) und A. Cayley?®). 

Betreffs der weiteren Literatur über beide Arten von Reihen und 
die asymptotischen Werte ihrer Koeffizienten vergleiche man das dies- 
bezügliche Referat auf p. 93—122 von H. Burckhardt, „Entwicklungen 
nach oszillierenden Funktionen“ im Jahresbericht der deutschen Mathe- 
matikervereinigung, Bd. 10. 











Civita®?) bemerkt, daß die Potenzentwicklungen nach 7 = 


5. Das Lambertsche Theorem besagt, daß die zum Durch- 
laufen eines Bahnstückes MM’ nötige Zeit 7 bloß von der Summe 
r—+- r' der äußeren Radienvektoren, der Sehne s und der großen 
Halbachse a der Bahn abhängt, woraus der fertige Ausdruck von 7 
selbst durch Spezialisation auf die geradlinige Bewegung, also un- 
mittelbar aus den Formeln von Nr. 3 für e=1 folgt. 

Es folgt im besondern für die Ellipse (a > 0): 


T- (&e — sine) — (Ö — sind), 


8 _ a/r+tr4+s . ee ee 
in yırire Pr a Werl eng rauen REEL 


30) J. A. Serret, Paris. annal. de l’observ. 5 (1859), p. 337. 

31) E. Weiß, Wien. Denkschr. d. k. Akad. 49 (1885), p. 133; Auszug Wien 
Berichte 90 (1884), p. 785. 

32) T. Levi-Civita, Lincei Rend. d. R. Accad. 13 (1904), p. 260. 

33) W. Bessel, Berl. Abh. 1816, p. 49 = Ges. Abh. 1, p. 17; Berl. Abh. 
1824, p. 1 = Ges. Abh. 1, p. 92. 

34) P. A. Hansen, Leipzig Ber. 1853, p. 7. 

35) U. J. Leverrier, Paris Ann. de l’observ. 1 (1855), p. 182. 

36) A. Cayley, Lond. Ast. Soc. Mem. 28 (1860), p. 187; 29 (1861), p. 191 = 
Works 8, p. 319, 360. 


(17) 


388 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Sind 5, 8’ die beiden Brennpunkte, und zwar S jener, in welchem 
die Sonne sich befindet, so ist dieser Ausdruck zunächst gültig, wenn 
das von Bogen und Sehne begrenzte Segment weder $ noch S’ in 
seinem Innern enthält, während man nach A. Cayley?”) in dem- 
selben & und Ö zu ersetzen hat bzw. durch: 2% — g und — 6, & und 
— 6, 27 — e und Ö, je nachdem das Segment S und S’, oder bloß 
S oder bloß S’ in seinem Innern enthält. 

Für die Hyperbel (a<.0) ergibt sich 


— ,.T= (snh e— e) F (snh 8 — 0), 
(18) En ie aogı 
R EN 
snh = en, snh — = zer, 0<öd<e, 
und für die Parabel (- —0): 
a 
(19) KT—=(r Hr +)" Flr+r— 9)”, 


wo in beiden Fällen das untere oder obere Zeichen zu nehmen ist, 
je nachdem das Segment S in seinem Innern enthält oder nicht. Das 
Theorem wurde zuerst von L. Euler®®) für die Parabel bewiesen, dann 
von J. Lambert?”) durch geometrische Betrachtung auf beliebige Kegel- 
schnitte ausgedehnt, der analytische Beweis von J. L. Lagrange®’) nach- 
getragen. 

In enger Beziehung steht das Theorem zum Prinzip der kleinsten 
Wirkung, nach welchem das Bahnstück MM’ Extremale des Inte- 
grales: 


u u 
(20) ja f vyartdap=i vi 10 — Var + day 
M M 
ist, indem unter W(r, r', s, a) sein Extremalwert verstanden 
(21) PT— 20° 
wird. Es kommt das Theorem also darauf hinaus, daß W r, r’ nur 
in der Verbindung r + r’ enthält, was 0. @. Jacobi*!) mit Hilfe der 


Hamiltonschen partiellen Differentialgleichung, und in besonders ein- 
facher Weise N. Joukoffski*?) zeigt. Da weiter die den verschiedenen 





37) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 29 (1869), p. 318 = Works 7, 
p: 387. 

38) L. Euler, Misc. Berol. 7 (1743), p. 1. 

39) J. Lambert, Insign prop. 1761 probl. 41. 

40) J. L. Lagrange, Berl. M&m. 1778, p. 181 = Oeuvres 4, p. 559. 

41) 0.@.J. Jacobi, Vorlesungen über Dynamik (= Werke Suppbd.) 25. Vorl. 

42) N. Joukoffski, Nouv. annal. d. math. (3) III (1884), p. 90. 


6. Das Verhalten der Koordinaten im komplexen (Gebiete. 389 


Vorzeichen entsprechenden Werte von 7 stets gleichzeitig durch die 
verschiedenen zwischen MM’ möglichen Bahnen realisiert werden, er- 
hellt der Zusammenhang der Vorzeichenregeln mit der Lage der „kon- 
jugierten“ Punkte. Daß on W die vom Leitstrahl S’M_ über- 
strichene Fläche darstellt, bemerkt 7°). 

Weitere Beweise des Theorems geben noch J. J. Sylvester“), 
A. Cayley®), J. C. Adams“), E. Catalan*"). 

6. Das Verhalten der Koordinaten im komplexen Gebiete, 
ist, im Falle der Ellipse und Hyperbel, weil dieselben da ganze lineare 
Funktionen von sin E und cos E sind, durch jenes von E bestimmt. 
E selbst aber ist nach (6) eine unendlich vieldeutige Funktion von 
den beiden Variablen t und e, die im Endichen nur singulär wird an 
den algebraischen durch 
(22) == 


ausgeschnittenen Verzweigungsstellen: 





kE—%) _ 51 ee 
a” 1+V1—e 

Daraus folgen sofort einerseits die Konvergenzverhältnisse der Po- 
tenzreihen nach e bei der Ellipse (Nr. 4), andererseits die Konvergenz- 
radien für Potenzentwicklungen nach t— t,, welche F. R. Moulton*) 
diskutiert. Die Beziehung (23) wird eingehender Weise geometrisch 
veranschaulicht von ©. V. Charlier‘”) (Ellipse) und H. @. Block?) 
(Hyperbel). Die betreffenden Untersuchungen (auch in Nr. 4) sind im 
allgemeinen insofern unstreng, als sie von vornherein die singulären 
Stellen der inversen Funktion von f(x) durch die Nullstellen von 
f'(&) vollständig gegeben annehmen (wogegen man die Sätze von 
A. Hurwitz°!) vergleiche), welche so entstehende Lücke sich indess an 
Hand der Differentialgleichungen der Bewegung ausfüllen läßt. 


(23) 


43) T. Quarterly Journ. of math. 7 (1866), p. 45. 

44) J. J. SyWvester, Phil. Mag. 31 (1866), p. 52 = Papers 2, p. 519; Lond. 
Astr. Soc. Monthly 26 (1865), p. 27 = Papers 2, p. 496. 

45) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 22 (1862), p. 238 = Works 3, 
p- 562. 

46) J. ©. Adams, Mess. of math. 7 (1877), p. 97. 

47) E. Catalan, Nouv. annal. d. math. (3) 3 (1884), p. 506. 

48) F. R. Moulton, Astron. Journ. 23 (1903), p. 93. 

49) 0.V. Charlier, Lunds Meddel., n° 22 (1904); ferner Mechanik des Himmels 
(Leipzig 1902—7) 2, p. 255. 

50) H. @. Block, Lunds Meddel., n° 23 (1904); Arkiv of math. astr. ok 
fys. 1 (1904), p. 467. 

51) A. Hurwitz, Paris C. R. 143 (1906), p. 877; 144 (1907), p. 63. 


390 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Im Falle der Parabel°?) sind die Koordinaten ganze quadratische 
Funktionen von tg = dieses aber ist nach (12) eine dreiwertige 


algebraische Funktion von t, welche im Endlichen nur singulär wird 
an den beiden Verzweigungspunkten: 


ER ke )=+Fp" 


H. Vorläufige Bahnbestimmung. 
a) Planetenbahnen. 


7. Formulierung der Aufgabe. Das Auftauehen von Kometen 
und die Entdeckungen der kleinen Planeten erfordern nun aber auch 
die Lösung jener Aufgabe, welche die Umkehrung der bisher be- 
sprochenen bildet: die Bahnelemente eines Himmelskörpers aus ge- 
gebenen Beobachtungen zu bestimmen. Da die einzelne Beobachtung 
desselben bloß die Richtung erkennen läßt, in welcher dieser von 
der Erde aus gesehen wird, also zwei unabhängige Daten, etwa 
Rektaszension und Deklination, liefert, so reichen drei Beobachtungen 
mit Angabe der Beobachtungszeiten gerade hin, die sechs Bahnelemente 
zu bestimmen. Man kann auch sagen, die drei Beobachtungen liefern 
drei durch die drei Erdorte E, E’, E” gehende Gerade, auf denen 
sich der Himmelskörper zu den Zeiten £, f, t’ befindet, und dem- 
gemäß das Bahnbestimmungsproblem so aussprechen: Einen Kegel- 
schnitt mit gegebenem Brennpunkte $ (Sonne) zu finden, der drei ge- 
gebene Gerade in den ebenfalls noch zu findenden Punkten H, H’, H” 
so schneidet, daß: 


Sector (HSH) = $Ypk(! — ti) = 4YVp0”, 
(25) Sector (U SH”) = 4Ypk(!'—t)—= 4YVp9, 
Seetor (HSH”’) = 4Ypk(!"— ti) = 4Yp6". 


Diese fünf Bedingungen und die Kenntnis des einen Brennpunktes 
legen den Kegelschnitt völlig fest. — Die älteren Versuche zur Lösung 
des Problems ließen allmählich erkennen, daß sie am zweckmäßigsten 
in zwei Schritten erfolgt. Der erste besteht in der Bestimmung der 
geozentrischen Distanzen: 


(26) o=EH e=EH, 0 =EMH, 


der zweite in der Ermittelung des Kegelschnittes aus den nunmehr 
bekannten drei vollständigen heliozentrischen Orten. 


52) W. A. Hamilton, Astron. Journ. 23 (1903), p. 49. 


8. Grundgleichungen. 391 


Direkt an die obige Formulierung der Aufgabe knüpft A. Cayley°”) 
seine geometrische Behandlung des Problems an. 


8. Grundgleichungen. Die zur Bestimmung von oe, e', 0” nötigen 
drei Gleichungen ergeben sich auf dem Wege über die Dreiecksver: 
hältnisse 
(27) ai Dreieck (HSH”) unse Dreieck (H SH) 

Dreieck (HSH”) ’ Dreieck (HS H”) 











Legt man nämlich durch die Sonne eine beliebige Ebene und 
bezeichnet mit D, D’, D”’ die Abstände der drei Orte H, H’, H” von 
derselben, so muß, da diese mit der Sonne in einer Ebene liegen, sein: 


(28) D=nD-+n’D”. 


Wird jetzt eine zur vorigen parallele Ebene durch die Erde gelegt, 
welche die scheinbare Himmelskugel in dem größten Kreise K 
schneiden möge, und nennt man die von der Erde aus gesehenen 
sphärischen Abstände der Sonne und des Himmelskörpers von diesem 
größten Kreise X, den Zeiten £, {,t’ entsprechend, bzw. P,p, P',p', P’, p”, 
so kann statt (28) sofort geschrieben werden: 


(29) o'sinp’— R’sin P=n(esin p— Rsin P)+n” (0" sinp”— R’sin P”), 
unter R, R, R’ die Entfernungen der Erde von der Sonne zu den 
Beobachtungszeiten verstanden. Es mag gleich hier bemerkt werden, 
daß eben diese Relation auch für die Erdbahn selbst, für die 


e=0=eo"—= ( ist, gelten muß, wofern nur statt n, n” die auf diese 
bezüglichen Dreiecksverhältnisse N, N” gesetzt werden: 
(30) RsinP=NRsinP-+ N’R” sin P”. 

Es repräsentiert nun (29) bei Wahl von drei verschiedenen Be- 
zugskreisen X: K,, K,, K,, ein System von drei Gleichungen, welche, 
da R, P,p,... durch Sonnentafeln und Beobachtungen bekannte 
Größen sind, die geozentrischen Distanzen o, oe’, oe” linear mit den 
Dreiecksverhältnissen n, n’ verknüpfen. Die einer beliebigen Wahl 
von K entsprechende Gleichung wird eine lineare Kombination der 
obigen drei, welchen Umstand man zur Elimination einer oder zweier 
geozentrischer Distanzen benutzen wird, wobei die hiezu nötige Lage von 
K sofort durch die Anschauung gegeben ist. Insbesondere erhält man 
so durch Wahl der drei Seiten des durch die drei scheinbaren, geo- 
zentrischen Orte des Himmelskörpers bestimmten sphärischen Drei- 
eckes als Bezugskreise K,, K,, K, das für Planetenbahnbestimmungen 
vorteilhafteste System, in welchem die geozentrischen Distanzen o, 0’, 0”, 


53) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 38 (1870), p. 17 = Papers 7, p. 400. 


392 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


soweit sie explizite auftreten, getrennt sind: 
nesinp=nRsinP, +n’R"snP”— RsinP,', 
@1) —eosnpf=nRsnP,+n’R’snP” —RsinP,, 
n’o" snp’=nRsin P, + n’R” sin P,” — R sin P,', 
wobei aber nunmehr »,»’, p” die drei Höhen jenes Dreieckes und 
P,, P/, P/' die sphärischen Abstände der drei scheinbaren Sonnenorte 
von der i* Seite desselben bezeichnen. 

Wäre man nun im Stande », »” irgendwie durch die geozentri- 
schen Distanzen o, 0‘, 0” auszudrücken, so erhielte man durch Ein- 
setzen dieser Ausdrücke in (29) die gewünschten drei Gleichungen für 
0,0’, 0”. Nun gelingt dies in der Tat, indem man auf die Kenntnis 
der bisher noch nicht benutzten Zwischenzeiten 0, 0’, 0” basiert. Wie 
nämlich aus einer Abzählung der Unbekannten folgt, ist der Kegel- 
schnitt durch die drei heliozentrischen Distanzen und die entsprechen- 
den Zwischenzeiten: 


(32) r—=SH, r=SH, r'=SH”, d=kl'’—t), "=kl—) 


festgelegt, so daß also auch die Dreiecksverhältnisse %, »” sich not- 
wendig durch diese fünf Größen ausdrücken lassen müssen. Auf der 
anderen Seite läßt sich jede heliozentrische Distanz r aus der gleich- 
zeitigen geozentrischen Distanz o sofort berechnen, da im Dreieck 
HSE, die Seite SE= R der Erdephemeride, der Winkel bei E der 
Beobachtung entnommen werden kann. So kann man schließlich die 
Dreiecksverhältnisse », n” selbst durch die E, 0‘, 0”, 0, 0” ausdrücken, 
und erhält in (29) tatsächlich die drei zur Bestimmung der drei geo- 
zentrischen Distanzen _, E', e” nötigen Gleichungen. 


9. Herstellung der Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse. Er- 
forderliche Genauigkeit. Da jedoch die Dreiecksverhältnisse in 
äußerst verwickelter Weise von r, vr’, r”, 6, 6” abhängen, so müssen 
diese Gleichungen erst dadurch traktabel gemacht werden, daß man 
die Funktionen x(r, r’, r”, 6, 6”) und n’(r, r', r”, 0, 0”) durch einfach 
gebaute Näherungsausdrücke ersetzt. Als Grundlage der Näherung 
bietet sich sofort die Kleinheit der Zwischenzeiten dar, denn in praxi 
tritt dieses Problem der ersten Bahnbestimmung nur in den ersten 
Wochen nach Entdeckung eines neuen Himmelskörpers auf. Man 
wird daher n, n” zuerst nach Potenzen einer Größe & von der Ord- 
nung der Zwischenzeiten entwickeln, indem man vorher etwa, unter 
4, u, f, 9 endliche Größen verstehend, setzt: 

Hr, 0 gs, 


33 
(83) r=r — OA — u), "=r+0(2 + u0), 


’ 9. Herstellung der Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse. 393 


wodurch dann: 
(34) uhr of, I; A, u, &), n = B(g, I, A, U, — €) 
wird, und nun bloß die ersten Glieder dieser Reihen in (29) ein- 
führt. Die Methode, nach welcher diese Entwicklung erlangt wird, ist 
, 2 

wesentlich diese: Man sieht zunächst außer r’ auch noch ; ee 
als bekannt an und drückt durch diese drei Größen und ®, 0” die 
Dreiecksverhältnisse n, n”’ aus, indem man erst vermöge der beiden 
Differentialgleichungen: 

dr 


aD du | & 
rear ve Tim 


den Abstand D(r) zur Zeit ++ in der Form darstellt: 


(86) Deo)—yeD +y@Gr 

wo go(r), v(r) Potenzreihen nach r mit in »’, en er rationalen 
Koeffizienten sind. Nach Elimination von a aus den beiden für 
= — 0” und = 6 aus (36) zu erhaltenden Gleichungen gibt der 


Vergleich des Eliminationsresultates mit (28): 
(37) n:n’:1= (0) :— Y(— 0"): (Op (— 0") — PlO)y(— 0”). 
Die Konvergenzverhältnisse der Reihen p, % sind durch die sin- 
gulären Punkte der Koordinaten (vgl. Nr. 6) bestimmt, die der Reihen 
für n, n” noch außerdem durch die Nullstellen der Dreiecksfläche 
+rr” sin (v” — v), welche aber, wie F. R. Moulton‘°) bemerkt, nur ver- 
schwindet, wenn r oder "=, d.h. t oder £” ein singulärer Punkt 
der Koordinaten ist oder der Zwischenwinkel 0” —v» ein Multiplum 
von 180° wird. Die endlichen Ausdrücke für p, » gibt F. Kühnert**). 
Um dann Zn aA mit Hilfe der noch unbenutzten r, r” zu eli- 
minieren, entwickelt man von der zweiten Differentialgleichung (35) 
ausgehend » und r” bzw. nach Potenzen von 6” und 0, wobei in den 


Koeffizienten = und = auftreten, und leitet aus der Vergleichung 


dieser beiden Reihen mit r und r” die Werte jener Größen in Form 
von Potenzreihen nach & her. 

Noch vorteilhafter wird man n, »’ durch Oskulationsausdrücke 
ersetzen, d. h. Funktionen von r, r', r”, 6, 0”, die einerseits möglichst 
einfach gebaut sind, und deren Entwicklungen nach & andererseits noch 
in Termen möglichst hoher Ordnung mit denen’von n und »” über- 


54) F. Kühnert, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 145, 203. 


394 VIs»,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen., 


einstimmen. Die Wahl derselben bildet den wesentlichsten Unter- 
schied der im letzten Jahrhundert aufgestellten Methoden. 

Von besonderer Wichtigkeit ist es festzustellen, wie genau n, n” 
zu nehmen sind, damit die Grundgleichungen (29) die Distanzen o, 0’, 0” 
mit einer vorgegebenen Genauigkeit liefern. Es zeigt sich in dieser 
Hinsicht: sind n, n” bis e”*2 eier rege so werden oe, 0’, 0” bis 


&®, 0 — 0,0” — oe bis +! und er +% 0” — og’ bis &"+? exklusive 
genau sein. Gleiches findet aber auch dann noch statt, wenn », n” 
bloß bis &”+!, aber doch n + n” bis e”+? exklusive genau sind. 
Berechnet man dann weiter unter Benutzung solcher Werte der 
Dreiecksverhältnisse und Distanzen nach irgend welchem der unter 
Nr. 11 genannten Verfahren die heliozentrischen Zwischenwinkel: 


(88) 2f=XHSsH, 2f=xXHSsH, 2f=<HSsH, 
so erhält man diese allemal bis &”+! exklusive genau. 

Für die Funktionaldeterminante der drei Grundgleichungen nach 
0, 0,0” findet man angenähert etwa durch Verwendung der Aus- 
drücke (41): 
(39) D+ 20% Rucosg, 


wobei D den Eckensinus des durch die drei scheinbaren geozentri- 
schen Orte des Himmelskörpers, A jenen des durch die äußeren Orte 
des Himmelskörpers und den mittleren Sonnenort gebildeten sphäri- 
schen Dreiecks bezeichnet. Hier ist im allgemeinen das erste Glied 
von der Ordnung &? das zweite von der Ordnung &°, so daß D oder 
nach Th. v. Oppolzer°®) der nahe halb so große Flächeninhalt des 
Dreiecks ein Maß für die Sicherheit der zu gewinnenden Werte der 
Distanzen 0, 0’, 0” abgibt. Wird D=0, in welchem Falle die 
obigen Genauigkeitsangaben in Frage gestellt sind, so fallen entweder 
zwei der scheinbaren geozentrischen Orte des Himmelskörpers zu- 
sammen, oder es liegen alle drei in einem größten Kreise. Tritt letz- 
teres ein, so ist entweder r’ nahe = R’, oder der mittlere Sonnenort, 
nach F. Tietjen®®) genauer der zur Zeit 4(£+ +”) liegt nahe in 
demselben größten Kreis. 


10. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse. Ein bis &’ 
exklusive genauer Wert irgend einer Größe möge allgemein im fol- 
genden ein »** Näherungswert derselben genannt werden. 

Die Ersetzung der Dreiecke durch die zugehörigen Sektoren er- 


55) Th. v. Oppolzer, Bahnb. 1, p. 367; Astr. Nachr. 92 (1878), p. 97. 
56) F. Tietjen, Astr. Nachr. 73 (1869), p. 353. 


10. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse. 395 


gibt zunächst für n, n” die 2'" Näherungswerte: 


0 Z 0” 
Ebenfalls 2" Näherungswerte, bei denen aber n + n” bis e° ex- 
klusive genau ist, sind die bereits bei J. L. Lagrange”‘) und in der 


Folge insbesondere bei C©. F. Gauß auftretenden Ausdrücke: 
) 00” 2 0” 90’ 
(41) n —z(1 +53): RER Ft +35)» 
welche im speziellen bei gleichen Zwischenzeiten, 6 = 0”, 3° Nähe- 


rungswerte liefern, bei denen überdies wieder » + n” bis e* exklusive 
genau ist’®). Dr 3 ae sind: 


2) nl, Mn) 


4‘ Näherungswerte stellen die von n v. Oppolzer?”) angegebenen 
Ausdrücke dar: 





er 
(43) "(144 a 
em 
= 


WERD yFrTfr 
Ebensolche von etwas anderer Form gibt R. Radau‘”), gelegentlich 
einer zusammenfassenden Behandlung der verschiedenen Näherungs- 
ausdrücke. 

Desgleichen sind 4* Näherungswerte, bei denen aber wieder 
n + n’ bis &° exklusive genau ist, die von J. W. Gibbs®') durch Inter- 
polation der Koordinaten mittels eines Polynoms 4” Grades in t— 
abgeleiteten Ausdrucke: 





0.0” — 0° 00° — 6” ® 

(44) liade Dad Werken: ui, ME 
ER BERN 

12r' 12273 


57) J. L. Lagrange, Berlin M&m. 1783, p. 296 —= Oeuyres 4, p. 451. 

58) Letzteres folgt daraus, daß n-+n" bei gleichen Zwischenzeiten nach 
(34) bloß gerade s-Potenzen enthält. 

59) Th.v. Oppolzer, Bahnb., p. 100 (1. Aufl., p. 231). Bezüglich der geome- 
trischen Bedeutung der Zusatzglieder in diesen und den früheren Ausdrücken 
vgl. die Vorrede von H. Poincare in Tisserand-.Perchot. Legons. 

60) R. Radau, Paris ‚Bull. astr. 21 (1904), p. 401. 

61) J. W. Gibbs, National academy of sciences 4 (1888) — Papers 2, p. 118, 
149. Das erwähnte Verhalten der Gibbsschen Ausdrücke rücksichtlich ihrer Ge- 
nauigkeit hat E. Weiß in den Denkschriften der Wiener Akademie 60 (1893), 
p. 345, klargelegt. . 


396 VI2,9 GG. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


welche im speziellen bei gleichen Zwischenzeiten = 6" 5% Näherungs- 
werte liefern, bei denen überdies wieder n + n” bis &° exklusive genau 
ist. Schon früher hatte A. de Gasparis®?) Glieder höherer Ordnung 
in n, n” mitzunehmen versucht, aber ziemlich komplizierte Formen 
erhalten. 

Bei verschwindender Exzentrizität stellen die von W. Ebert‘®) 
angegebenen Ausdrücke: 











807 80? 30 2 — 80°? 

re a 
(45) n Ay 7 48r'3 n” Bor. + 48r $ 
hast} a 50? > Er . i 50? 
48r' "487° 


4 Näherungswerte dar, bei denen aber der Fehler von n + n” den 
Faktor (8 — 0”)? enthält, so daß bei gleichen Zwischenzeiten n + n” 
bis &° exklusive genau ist. 

P. Harzer‘) hat die allgemeinen Reihenentwicklungen von n, n” 
nach & bis &!® durchgeführt, indem er dabei die einer Kreisbahn ent- 
sprechenden Werte von n, n” als Faktoren abspaltete, und hat die 
Verwendung der erhaltenen Ausdrücke bei numerischer Rechnung 
durch mehrere Tafeln erleichtert. 


11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. Der in 
Nr. 9 angegebene Zusammenhang zwischen dem Genauigkeitsgrade 
der n, n” und demjenigen der o, 0’, 0” läßt erkennen, daß die Nähe- 
rungsausdrücke (40) der Dreiecksverhältnisse, durch welche zwar das 
System (29) überhaupt linear in den geozentrischen Distanzen würde, 
gar keine Näherung für diese gewähren, was bereits J. L. Lagrange®°) 
hervorhebt. Mit ihrer Verwendung fallen wesentlich die Versuche 
der Kometenbahnbestimmung jener älteren Autoren zusammen (Kepler, 
P. Bouguer‘®)), welche den Kometen als in gerader Linie sich gleich- 
förmig bewegend annehmen. apa 

J. L. Lagrange selbst wählte nicht r, r’, r”, sondern r', = s =. 
als Unbekannte, drückt also nach Nr. 9 n, n”, r, r" durch eben diese 
Größen aus, wobei unter Vernachlässigung von &° im wesentlichen 
die Gleichung (51) für r’ folgt. 


62) A. de Gasparis, Astr. Nachr. 42, 43, 46, 47 (1856—58); siehe hierüber 
auch @. Lorenzoni Astr. Nachr. 132 (1893), p. 225. 

63) W. Ebert, Wien Denkschr. 78 (1906), p. 645. 

64) P. Harzer, Kiel Sternw. Publ. 11 (1901). 

65) J. L. Lagrange, Berlin M&m. 1778, p. 124; 1783, p. 296 — Üeuvres 4, 
p: 451, 496 und Mec. analyt. 2 (= Oeuvres 12), p. 41. 

66) P. Bouguer, Paris hist. 1733 me&m., p. 331. 


11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. 397 


a) Methode von Gauß. Die niedrigste überhaupt zulässige Nähe- 
rung für », n” bilden vielmehr die Ausdrücke (41), welche im allge- 
meinen erste, bei gleichen Zwischenzeiten aber zweite Näherungs- 
werte der geozentrischen Distanzen finden lassen. 

Auf ihnen basiert die von Gauß in der Theoria motus ausführ- 
lich entwickelte Methode, welche indess in wesentlichen Punkten (vgl. 
Nr. 13, 14) von den Verfahren abweicht, deren sich Gauß®”) bei 
seinen ersten Bahnbestimmungen der Ceres und Pallas bedient hat. 
Da diese Ausdrücke (41) bloß r’ enthalten, so hat man in der zweiten 
Gleichung des Systems (31), wenn r’ unter Bezugnahme auf das Drei- 
eck SH’E durch o’ ausgedrückt gedacht wird, eine Gleichung mit 
der einzigen Unbekannten o’, nach deren Bestimmung o, 0” sofort 
aus der ersten und dritten Gleichung des Systems (31) sich ergeben. 

Statt 0’ führt Gauß als Unbekannte den Winkel = <SHE 
am Planeten ein, durch den sich 0’ und r’ ihrerseits in der Form 
darstellen 


(46) o:r: R= sin (+ Y): sin y’: sin 7’, 


wofern mit %’ der durch die Beobachtung bekannte Winkel X SEH 
an der Erde bezeichnet wird. Hiedurch erhält Gauß für 2’ eine 
Gleichung (8ten Grades in sin 2’) der einfachen Gestalt: 


(47) M sin! = sin (’ + o), 


welche nun durch sukzessive Näherung leicht zu lösen ist. 

Da die Erdbahn selbst eine Lösung der Aufgabe bildet und für 
sie = 180°— y’ ist, so muß diese Gleichung, weil selbst nur 
näherungsweise richtig, eine dem Werte 180° — x’ mindestens nahe 
gleiche Wurzel 2’ besitzen, die also beiseite zu lassen ist. Von den 
übrigen Wurzeln sind, da 2’ und %’ Winkel desselben Dreiecks SHE’ 
sein sollen, bloß jene brauchbar, für die 0 <2’<180°— y ist. 


Solcher gibt es aber stets nur eine oder zwei, und zwar je nachdem 


1+ ER a eos y <O oder >0 ist. In letzterem Falle haben 


weitere Beobachtungen über die zu treffende Wahl zu entscheiden. 
Mit der Diskussion der Wurzeln der Gleichung (47) hat sich zuerst 
J. F. Encke®®) näher befaßt und eine Tafel zum raschen Erkennen des 
gerade vorliegenden Falles entworfen. Später sind @. W. Hil®), 





67) ©. F. Gauß, Monatl. Corr. 20 (1809), p. 197 = Werke 6, p. 148, 

68) J. F. Encke, Astr. Nachr. 27 (1848), p. 241, 257; J. F. Encke, Berlin. 
Abh. 1848, p. 1. 

69) @. W. Hill, Runkles Math. Monthly. 3 (1860), p. 26 = Works 1, p. 2. 


398 VI29. @. Hergloiz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Th. v. Oppolzer”®), N. Herz‘) und W. H. Young?) hierauf zurück- 
gekommen. 

Zur Berechnung von o, 0” aus dem bekannt gewordenen oe’ kann 
man sich statt (31) auch irgend zweier in (29) enthaltenen Gleichungen 
bedienen, in denen bloß e, 0’ bzw. 0”, 0’ auftreten, was dann der Fall 
ist, wenn man den Bezugskreis X durch den dritten bzw. ersten 
scheinbaren Planetenort gehen läßt. Die hiebei restierende Willkür 
in der Wahl von K kann zur Vereinfachung der beiden Gleichungen 
benutzt werden, was meist dadurch geschieht, daß man K noch durch 
den dritten, bzw. ersten scheinbaren Sonnenort hindurch gehen läßt, 
was P'=(0 bzw. P=0 ergibt. Nur wenn hiebei die Koeffizienten 
von e und o” sehr klein werden, was eintritt, wenn die drei Sonnen- 
orte mit dem ersten oder dritten Planetenort nahe in einem größten 
Kreise liegen, wird man, um die dadurch bedingte Unsicherheit in der 
Bestimmung von g9, eo” zu vermeiden, anders über K verfügen. 

Sind so die drei vollständigen heliozentrischen Orte des Himmels- 
körpers mit ihren geozentrischen nnd heliozentrischen Distanzen be- 
kannt geworden, so könnten die für das Weitere wichtigen helio- 
zentrischen Zwischenwinkel (38) direkt vermöge: 


„ ei 


sin 2f: sin 2f:sin2f"=nr:r:n 
f=r+f), 

bestimmt werden, da hienach 2f, 180° — 2f’, 2f” die Winkel eines 
Dreiecks der gegebenen Seiten nr, r’, nr" sind. Doch wird nume- 
risch eine größere Sicherheit erlangt, wenn man nach Gauß f’ trigono- 
metrisch aus den beiden äußeren heliozentrischen Orten des Himmels- 
körpers, und dann bloß f, f” aus (48) berechnet. 

Für den Zwischenwinkel n. er hiebei: 


J @ 
sin? f = cos’ — sin? nd sin? I n? de 


= +V+2 « htr, 
worin .J den Winkel der Ebenen SEH und SE”H”, p, 9” die Winkel 
ihrer Schnittlinie mit SE bzw. SE” bedeuten und %, 2 und %”, 2” 
die zu %, 2 analogen Größen für die erste und dritte Beobachtung 
sind, also alle diese Winkel bis auf z, z” direkt durch die Beobach- 
tungen bestimmt sind. 
Nach Bekanntwerden der Gaußschen Methode haben insbesondere 


(48) 


(49) 


70) Th. von Oppolzer, Astr. Nachr. 92 (1878), p. 97; Th. von Oppolzer, 
Wien Ber. 86 (1882), p. 885. 

71) N. Herz, Wien Ber. 86 (1882), p. 1125. 

72) W. H. Young, Lond. Astr. Soe. Monthly Not. 57 (1897), p. 379. 


11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. 399 


J.F.Encke”®), P.A. Hansen"*) und F.Tietjen‘®) eingehende Darstellungen 
derselben geliefert, und für die numerische Rechnung weitere spezielle 
Vorschriften und weitere Umformungen der einzelnen zu berechnen- 
den Ausdrücke angegeben. 

Die Verwendung der Näherungswerte (42) der Dreiecksverhält- 
nisse, welche bloß die Werte von M und ® in der Gaußschen SchluB- 
gleichung (47) abändert, hat J. F. Encke in einem Zusatze zu seiner 
ebengenannten Arbeit im Berliner Jahrbuch vorgeschlagen. 

b) Methode von Th. v. Oppolzer. Die dieser Methode zugrunde 
liegenden Ausdrücke (43) der Dreiecksverhältnisse liefern in allen 
Fällen zweite Näherungswerte für die geozentrischen Distanzen. Da 
dieselben bloß r und r” enthalten, so hat man in der ersten und 
dritten Gleichung des Systems (31), wenn r und r” unter Bezugnahme 
auf die Dreiecke SHE und SH”’E” durch oe und E” ausgedrückt 
gedacht sind, zwei Gleichungen für die zwei Unbekannten e, 0”, die 
aber keiner weiteren Reduktion auf eine so einfache Form, wie Gauß’ 
Schlußgleichung fähig sind, sondern in ihrer ursprünglichen Gestalt 
durch sukzessive Näherung gelöst werden müssen. 

Statt hierauf ge’ etwa aus der zweiten Gleichung des Systems (31) 
abzuleiten, schreitet v. Oppolzer zuvörderst zur trigonometrischen Be- 
rechnung des Zwischenwinkels f' aus den beiden durch o, 0” bekannt 
gewordenen äußeren heliozentrischen Orten des Himmelskörpers, und 
‚bestimmt dann r’ gleichzeitig mit f und f” aus (48). Ausführlich 
dargestellt findet sich diese Methode in v. Oppolzers Lehrbuch der 
Bahnbestimmung 1. (1882) (zuerst 1869 in der 1. Auflage), auch gab 
F. Tietjen”®) ein vereinfachtes vollständiges Rechenschema für die- 
selbe an. 

c) Methode von J. W. Gibbs. Die ihr zugrunde liegenden Aus- 
drücke (44) der Dreiecksverhältnisse liefern im allgemeinen dritte, bei 
gleichen Zwischenzeiten aber vierte Näherungswerte für die geozentri- 
schen Distanzen. Da in jenen Ausdrücken die drei, heliozentrischen 
Distanzen gleichzeitig auftreten, ist eine unmittelbare Reduktion auf 
weniger als drei Unbekannte nicht möglich, weshalb J. W. Gibbs 
auch nicht. das besondere System (31) benutzt, sondern jene drei 
Gleichungen, welche aus (29) hervorgehen, wenn der Bezugskreis K 
der Reihe nach in die drei Ebenen des geozentrischen Ekliptikal- 


73) J.F.Encke, Berlin astr. Jahrb. für 1854, p. 316; J.F. Encke, Astr. Nachr. 
30 (1850), p.33 und 49; Berlin Ber. 1848, p. 60; 1849, p. 167; Berlin Abh. 1849, p.1. 
74) P. A. Hansen, Leipzig Ber. 15 (1863), p. 83. 
75) F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. für 1879, 
76) F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. für 1887. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 27 


400 VIs,9. G@. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


koordinatensystems gelegt wird, weil die dann auftretenden Koeffi- 
zienten rascher zu bilden sind. Als Unbekannte wählt Gibbs die 
Projektionen der drei heliozentrischen Distanzen auf die zugehörigen 
geozentrischen und erzielt hiedurch eine gewisse Vereinfachung der 
differentiellen Korrektionsformeln des Newionschen Näherungsverfahrens, 
nach welchem er sein System auflöst. Außer in der Originalarbeit””) 
von @ibbs findet sich seine Methode auch in Klinkerfues- Buchholz, 
"Theoretische Astronomie, ausführlich dargestellt. 

W. Fabritius”®) hat ein besonderes Approximationsverfahren zur 
Lösung der drei @ibbsschen Gleichungen in Vorschlag gebracht, 
welches immer nur die wiederholte Auflösung einer Gleichung mit 
einer Unbekannten erfordert. Desgleichen hat R. Vogel?) weitere 
Vereinfachungen angegeben. 

d) Die von P. Harzer?) auf Grund seiner bis &'% gehenden 
Reihen für », »’ ausführlich entwickelte Methode bildet das End- 
glied jener Reihe von Untersuchungen, welche vor allem Glieder mög- 
lichst hoher Ordnung in den Zwischenzeiten gleich beim ersten Schritt 
zu berücksichtigen trachten. 

Nach anderer Richtung ist E. Weiß®!) gegangen, welcher sich 
das Ziel stellte, die für die Praxis gerade ausreichende Genauigkeit 
auf dem kürzesten Wege zu erlangen. Er hat hiezu den Einfluß 
der einzelnen Glieder 3'* und 4 Ordnung von n, n” auf die Grund- 
gleichungen einer eingehenden numerischen Abschätzung mit Rück- 
sicht auf die speziell bei Asteroiden vorliegenden Bahnverhältnisse 
unterworfen und wurde dadurch zu einer von der Gaußschen wenig 
verschiedenen Grundgleichung, als der für Asteroiden einfachsten und 
zweckmäßigsten geführt. 

Gleicherweise ist die von W. Ebert®?) auf den Näherungsaus- 
drücken (45) aufgebaute Methode speziell für nahe kreisförmige Bahnen 
zugerichtet, läßt aber bei diesen im allgemeinen bessere Werte der 
Distanzen erwarten als die Gaußsche Gleichung (47), wiewohl sie auf 
eine ähnliche, nicht kompliziertere Schlußgleichung führt. 


12. Methode von Laplace. Satz von Lambert. Auf einem von 
dem früheren verschiedenen Gedankengang beruht die von P. $. Laplace®?) 


77) J. W. Gibbs, National acad. of sciences 4 (1888) = Papers 2, p. 118, 149. 

78) W. Fabritius, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 225. 

79) R. Vogel, Astr. Nachr. 129 (1892), p. 37. 

80) P. Harzer, Kiel Sternw. Publ. 11 (1901). 

81) E. Weiß, Wien Denkschr. 60 (1893), p. 345. 

82) W. Ebert, Wien Denkschr. 78 (1906), p. 645; Paris Bull. astr. 23 (1906), 
p. 209. 


12. Methode von Laplace. Satz von Lambert. 401 


entwickelte Methode der Bahnbestimmung. Bei dieser werden zuerst 
aus den beobachteten drei oder eventuell mehreren Orten die beiden 
Winkelkoordinaten des geozentrischen Ortes mit ihren ersten und 
zweiten Differentialquotienten nach der Zeit für einen passend zu wäh- 
lenden Zeitpunkt interpolatßgch berechnet, und dann als Unbekannte 
die geozentrische Disianaı a i heilen ersten Differentialquotienten 


u 1 3 für eher Väis sen Zeitpunkt gewählt. Die 
Bestimmungsgleichungen für diese n. %gan direkt in den drei 
Bewegungsgleichungen des Himmelskörpers rölahjy zur Erde, welche 
bei Wahl des Visionsradius, der relativen Geschwihäligkeit normal zu 


diesem und der zu beiden normalen Richtung als Bezugsachsen lauten: 


nach der Zeit: oe, 


FE | 
Kvo = KRsin«e siny (3 —_ =) 





(50) 2ude + o— — RR cos a sin p (3: — )' 
Em =— (Gr N er) 
t 


Hierin bedeuten K die geodätische Krümmung der auf die Einheits- 
kugel übertragenen scheinbaren geozentrischen Bahn des Himmels- 
körpers (positiv gezählt, wenn die Bahn gegen den scheinbaren 
Sonnenort zu konvex ist), v die scheinbare Geschwindigkeit desselben 
senkrecht zum Visionsradius, und « den Winkel, welchen diese mit 
dem den Planetenort und den gleichzeitigen Sonnenort verbindenden 
größten Kreise bildet. DBemerkt sei, daß die früheren Grund- 
gleichungen (29) bei verschwindenden Zwischenzeiten gerade in dieses 
System (50) übergehen. 

In der ersten Gleichung hat man, die geometrische Beziehung 
zwischen r und go hinzugedacht, eine Gleichung 8%" Grades für @ 
allein, welche sich aber wegen der Wurzel “= —=() auf den 7" Grad 


erniedrigt, und nach deren Lösung a und = linear aus der zweiten 


und dritten folgen. Durch o und © ist dann Lage und Geschwindig- 


keit des Himmelskörpers für den de ahiken Zeitpunkt gegeben, woraus 
nach Gl. (2) die Elemente selbst abgeleitet werden können. Auf der 
gleichen Methode basieren J. W. Lubbock®), G. B. Airy°), A. Cauchy**®) 


83) P. $. Laplace, Paris Hist. de l’acad. 1780, p. 18 = Oeuvres 10, p. 93 und 
Mec. cel. 1 (= Oeuvres 1), p. 218. 
84) J. W. Lubbock, Lond. Astr. Soc. Mem. 4 (1830), p. 39. 
85) @. B. Airy, Lond. Astr. Soc. Mem. 11 (1840), p. 181. 
86) A. Cauchy, Zahlreiche Abhandlungen in: Paris C. R. 23 (1846), 25 (1847), 
26 (1848) — Üeuvres ser. 1, t.10. ; 
27* 


402 VIa,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


und Y. Villarceau®”). Später haben A. Bruns®®), K. Schwarzschild®?) und 
P. Harzer ®) weitere Ausführungen zu derselben gegeben. Die Ge- 
nauigkeit der Laplaceschen Methode untersuchte H. Poincare?") und 
zeigte, daß man bei Interpolation der scheinbaren Bahn aus drei be- 
obachteten Orten und Wahl des arithmetischen Mittels der drei Be- 
obachtungszeiten als Epoche der Bahnbestimmung stets gleich zweite 
Näherungswerte der den drei Orten zugehörigen geozentrischen Distanzen 
de d?o 2 

9, u ie erhält. 

Aus der ersten Gleichung des Systems (50) liest man, wie dies 
E. Vicaire””) tut, unmittelbar den Lambertschen Satz ab, dß r<R 
oder r> R ist, je nachdem die scheinbare Bahn des Himmelskörpers 
ihre konkave oder konvexe Seite dem scheinbaren Sonnenorte zukehrt. 
Dieser Satz wurde zuerst von J. H. Lambert”?) aus geometrischen Be- 
trachtungen hergeleitet, welche analytisch gefaßt zu der mit der 
Gaußschen Gleichung (47) im wesentlichen identischen, aber erst von 
Lagrange”) aufgestellten und zur Bahnbestimmung verwandten ap- 
proximativen Relation: 

‚sin p’ 1 „{1 1 

(51) ns a) 
überleiten, so daß bei Lambert der erste Keim der Gaußschen Methode 
zu suchen ist, was des näheren J. Glauser”) und H. Bruns®®) erörtert 
haben. Bei der ersten Bahnbestimmung der Ceres und Pallas hat 
sich Gauß noch direkt der Gleichung (51) bedient. Auf ihren geo- 
metrischen Inhalt sind R. Lehmann-Filhes”") und @. Sidler®®) näher ein- 
gegangen. Soll die scheinbare geozentrische Bahn einen Wendepunkt 
zeigen, also X = 0 sein, so muß nach (50) entweder r = R sein, oder 
der jene tangierende größte Kreis den scheinbaren Sonnenort ent- 
halten. Damit letzteres eintritt, muß die Relativgeschwindigkeit des 
Himmelskörpers gegen die Erde in die durch diese beiden und die 


durch Interpolation aus 


87) Y. Villarceau, Paris Ann, de l’obs. 3 (1857), p. 1. 
88) H. Bruns, Astr. Nachr. 118 (1888), p. 241. 

89) K. Schwarzschild, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 211. 
90) P. Harzer, Astr. Nachr. 141 (1896), p. 177. 

91) H. Poincare, Paris Bull. astr. 23 (1906), p. 161. 
92) E. Vicaire, Paris ©. R. 100 (1885), p. 778, 842. 
93) J. H Lambert, Berlin Nouv. M&em. 1771, p. 352. 
94) J. L. Lagrange, Berlin M&m. 1778 = Oeuvres 4, p. 451. 
95) J. Glauser, Astr. Nachr. 121 (1889), p. 65. 

96) H. Bruns, Astr. Nachr. 118 (1888), p. 241. 

97) R. Lehmann-F'lhes, Astr. Nachr. 98 (1881), p. 307. 
98) @. Sidler, Astr. Nachr. 99 (1881), p. 139. 


13. Bestimmung d. Elemente aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten. 403 


Sonne gelegte Ebene fallen, wofür ©. F. Gauß®”) die Bedingung: 
rsinu _ Rsin(L— 9) 


vr vP 





(52) 
angibt. 


13. Bestimmung der Elemente aus zwei vollständigen helio- 
zentrischen Orten. Mit den geozentrischen Distanzen o, 0’, 0” sind 
drei vollständige heliozentrische Planetenorte bekannt geworden, und 
es erübrigt nun, den zweiten Schritt zu tun, aus diesen die sechs 
Bahnelemente herzuleiten, wozu offenbar bereits zwei Orte gerade 
ausreichen. Man wird den ersten und dritten, HZ und 4”, hiezu 
wählen, um durch Ausdehnung des Intervalls möglichste Schärfe zu 
erlangen, und wird dann den mittleren Ort MH’ zur Probe der Richtig- 
keit der Rechnung verwenden. Da die Ebene HSH” die Bahnebene 
ist, so sind © und N} trigonometrisch sofort zu berechnen. Die Ge- 
stalt des Kegelschnittes, also die Elemente a und e, lassen sich aus 
den zwei Radienvektoren r und r” und dem von ihnen eingeschlos- 
senen Winkel 2f=v”— v ermitteln. Gauß führt ihre Bestimmung 
auf diejenige der Differenz der zu beiden Orten gehörigen exzentrischen 
Anomalien 29—= E”— E zurück. Zunächst nämlich folgt aus den 
Formeln der elliptischen Bewegung: 


(53) ar er (+ en), Day seven, 


sin? g sin g ; 


— sin T 
l cos g— sin r 











(54) e cos BER, en 
l un ein? = 

wobei zur Abkürzung: 

55 BO Le Mar) KRRR ER 

180) 4Yrr”cosf’ 


gesetzt ist. 

“ Auf der anderen Seite wird der Flächeninhalt des Segmentes, 
das durch die Sehne HH” von der Ellipse abgetrennt wird, durch 
den Ausdruck 4ab (29 — sin 2g) dargestellt. Daher ergibt die Be- 
dingung: 

(56) Sektor = Dreieck + Segment = 4Y p®’ 


unmittelbar die zur Bestimmung von = sin? dienende transzendente 


99 C. F. Gauß, Werke 7, p. 303. Es bedeuten P den Parameter der Erd- 
bahn, Z die wahre Länge der Erde. 


404 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Gleichung: 


m 


Vyitz 





1+3(+ 0) - 


RR 3 29 —sin2g 
aa) = Q(sin®$) u ee 


67) . 
m = ® 
(2Vrr” cos n)* 
Ist g gefunden, so folgen aus (53) die Elemente a, e, und dann mit 
Hilfe von (54) E, also auch «. Da nun der Ort H völlig bekannt 
ist, so wird durch » die Richtung der Apsidenlinie, also x gegeben. 
Die Beobachtungszeit # liefert schließlich das letzte Element {, oder 
&. Die Formeln (53—55) sind übrigens von Gauß noch weiterer 
Umgestaltungen zwecks numerischer Rechnung unterzogen worden. 
Die Auflösung der Gleichung (57) durch sukzessive Näherung 
oder Reihenentwicklung stützt sich darauf, daß vermöge der Klein- 
heit der Zwischenzeit x eine Größe 2 Ordnung in den Zwischen- 
zeiten ist. Aus einem später (Nr. 14) ersichtlichen Grunde führt 
Gauß das Verhältnis Sektor : Dreieck: 





SE RER JE y. re 
(58) = Ver DR Te I 
statt x als Unbekannte ein, und setzt dann die Gl. (57) mit Rück- 
1 ’ 
sicht darauf, dad — — — ein Näherungswert von Q(x) ist, in der 
; 6 5 ’ 
—_——% 
5 
Form an: 


‚ ‚ m? ‚ 1 6/1 
Nr +5): -2+, 05-1!) 
wo zwar &(x) durch x noch von n’ abhängt, aber von 2'* Ordnung 
in x ist. Die Berechnung einer fortlaufenden Kette von n’- und 
x-Werten nach (58) und (59), ausgehend von = 0, bildet daher 
ein rasch konvergentes Verfahren zur Bestimmung dieser Größen, 
das durch die von Gauß gegebenen Tafeln noch wesentlich ver- 
einfacht wird. Eine weitere Modifikation desselben gibt F. Tietjen'”) 
und die Gaußischen Tafeln auch J. Bauschinger!"). Der Umstand, 
daß Q(x) eine hypergeometrische Funktion ist: 


(60) e@)=F(1,3, 2,2), 


bildet die Quelle verschiedener von Gauß angegebener Kettenbruch- 
und Reihendarstellungen von &(x). Später sind P. A. Hansen‘) und 
neuerdings W. Fabritius!®) und L. de Ball!®) auf solche zurück- 


gekommen. 
100) F. Tietjen, Berl. astr. Jahrb. für 1879. 


101) J. Bauschinger, Tafeln, Nr. 19 und 20. 
102) P. A. Hansen, Leipzig Ber. 15 (1863), p. 83. 


13. Bestimmung d. Elemente aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten. 405 


Reihenentwicklungen für die Lösung der Gl. (59) haben 
P. A. Hansen‘) und C. F. Encke!%) aufgestellt, und zwar entwickelt 


ersterer 7 nach Potenzen von / und einer mit m? verschwindenden 


Größe, während letzterer Ign’ nach Potenzen von —  __ und sin 2 


e+ 3 : 
(vgl. Gl. (85)) entwickelt. 

Besonders bemerkenswert ist die große Unempfindlichkeit des 
durch (57) und (58) berechneten Wertes von n’ gegenüber von Ver- 
änderungen des Zwischenwinkels f’. Da nämlich angenähert: 

en 
(2) a 
ist, so erzeugen Fehler von f’ immer in x’ Fehler einer um drei 
Einheiten höheren Ordnung bezüglich e. Die zu erwartende Genauig- 
keit der Elemente untersucht P. Harzer !®). 

Ein anderes bereits von Gauß!®) angedeutetes Verfahren zur 
Bestimmung der Bahn aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten 
besteht darin, die Gl. (57) durch die Lambertsche Gl. (17) zu ersetzen, 
indem man zunächst aus dieser den Wert von a bestimmt. Mit 
diesem folgt dann x aus (53) und hierauf die übrigen Elemente 
ebenso wie früher. Es empfiehlt sich dieses Verfahren, von welchem 
neuerdings auch O. Callandreau!”) eingehend handelt, bei nahe para- 
bolischen Bahnen und größeren Zwischenzeiten. 





Da für diese wegen der Kleinheit von n auch &, ö klein und 
daher ihre Differenz gegen den Sinus durch trigonometrische Tafeln 
schlecht bestimmbar werden, so setzt man hier die Lambertsche Glei- 
chung in die Form: 

[4 Ja 3 ® „ . Ö 
—=(r Hr’ + ’Q(sin’Z) — (r+r"— ’Q(sin’ 2), 
se  r+r+s 90 r+r—s 
Bi a 


und legt vermittels der erwähnten hypergeometrischen Reihen oder 
Kettenbrüche für Q(x) Tafeln an, wie dies J. @. Watson'”®), Th. v. Op- 
‚polzer‘%) und J. Bauschinger*) tun. Die wieder für kleine Zwischen- 


(62) 





103) W. Fabritius, Astr. Nachr. 129 (1892), p. 49. Hierzu L. de Ball, Astr. 
Nachr. 129 (1892), p. 283. 

104) J. F. Encke, Berlin astr. Jahrb. für 1854, p. 316. 

105) P. Harzer, Publik. d. Sternwarte Kiel 11 (1901). 

106) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 109 (Schluß). 

107) O. Callandreau, Determ. d. orbites. Paris. ann. de !’obs. 23 (1902), p. G.1. 

108) J. C. Watson, Theor. astr., Tafel 15 und 16. 

109) Th. v. Oppolzer, Bahnbest. 2, Tafel 17. 

110) J. Bauschinger, Tafeln Nr. 23. 


406 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


zeiten entstehende Schwierigkeit, daß 6° sich nach (62) als Differenz 
nahe gleicher Größen bestimmt, zu beheben, gibt A. Marth'!") unter 
Einführung des Hilfswinkels sin y = Gr eine andere Umformung 
und Reihenentwicklung, deren Benutzung er durch besondere Tafeln 
erleichtert. Eine für kleine Exzentrizitäten und Zwischenzeiten rasch 
konvergierende Reihenentwicklung gibt M. Kowalski"). 

J. W. Gibbs endlich zieht zur Bestimmung der Bahn alle drei 
heliozentrischen Orte jedoch mit Weglassung der Beobachtungszeiten, 
heran. Das hiedurch erlangte überzählige Datum gestattet die Lösung 
von (57) zu umgehen, indem der Parameter der Bahn aus: 





(63) en an 
folgt, welche Relation unmittelbar aus (28) erhalten wird, wenn 
man die Ebene normal zur Apsidenlinie wählt. Indessen erscheint p 
als Quotient von Größen 2** Ordnung unsicher bestimmt, ein Um- 
stand, den Gauß vermieden wissen wollte, obzwar er auch dieses 
Verfahrens zur Herleitung der Elemente ausführlich gedacht hat!!?®). 
Gleiches gilt auch von den zu (63) analogen Ausdrücken für e, v, v', v”, 
welche W. Fabritius!“*) hergeleitet hat. 

Es kann nach Gauß"'?) aber auch bei Verwendung von nur 
zwei Orten p direkt ‚zu mindest sehr angenähert bestimmt werden, 


indem aus O'Yp = [rar mittels der Cotesschen Formeln als erste 
Näherung folgt: 5 R 

(64) Nr) 

mit welcher der den Winkel (rr”) halbierende Radius r, berechnet 
werden kann: 





cos f’ 1:[% 1 f 
os rauen hun 
mit dem nun wieder nach den Cotesschen Formeln als zweite Nähe- 
rung folgt: E: 
(66) eyYpr=4f(r+r"’+4r2). 


111) A. Marth, Astr. Nachr. 65 (1865), p. 321. Vgl. hierzu noch ©. Cal- 
landreau, Paris Bull. astr. 18 (1902), p. 127 und analoge Tafeln bei J. Bauschinger, 
Tafeln. 

112) M. Kowalski, St. Petersburg. Bull. de l’acad. 20 (1875), p. 559. 

113) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 86. 

113°) ©. F. Gauß, Theoria motus art. 82, 83. 

114) W. Fabritius, Über die Berechnung der en Dibtanzeii Kiew 1877 
und Astr. Nachr. 90 (1877), p. 217, 225. 


14. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. 407 


Diesen auf L. Euler zurückgehenden Weg hat Gauß bei seinen ersten 
Bahnbestimmungen der Ceres und Pallas wirklich eingeschlagen. Wird 
aber in (66) r, aus r?, r’?, r"? interpoliert: 


rer 


so resultiert der von F. R. Moulton"?) zugrunde gelegte Näherungs- 
ausdruck. 





14. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. Die 
vorigen Verfahren der Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen 
müssen, um als wirkliche Bahnbestimmungsmethoden bezeichnet werden 
zu können, durch ein weiteres Approximationsverfahren ergänzt werden, 
das die geozentrischen Distanzen und damit die Elemente mit be- 
liebiger Genauigkeit zu finden gestattet. Die Auffindung eines solchen 
Verfahrens von praktisch leichter Durchführbarkeit ist, zumindest 
was nicht parabolische Bahnen angeht, ein ganz wesentlicher Fort- 
schritt, den Gauß seinen Vorgängern gegenüber erzielt hat. Der 
Kern desselben mag gleich unter spezieller Bezugnahme auf die 
Gaußschen Näherungsausdrücke (41) der Dreiecksverhältnisse, die hier 
kurz durch (n) und (n”) bezeichnet werden sollen, angegeben werden. 
Will man v + 1% Näherungswerte der Distanzen ermitteln, so ge- 
nügt es, für n, n” in das System (29) einzuführen: 

(68) n=(m)+R, "—(n)+R”, 

unter R, R” die auf (n), (n”) in den Reihenentwicklungen (34) 
folgenden Glieder bis mindestens &”*? inklusive verstanden. Hat nun 
eine vorhergehende Näherung für die heliozentrischen Distanzen 
v** Näherungswerte r;, r%, r. ergeben, so wird man in n, n” bzw. 
n-+n" Fehler der erlaubten Ordnungen &’+? bzw. +? begehen, 
wenn man in R, R’ eben diese Werte für die heliozentrischen 
Distanzen einsetzt, und also auch statt (68) in dem System (29) ein- 
führen können: 

(69) "= mW)+R, W"=-W)+tR. 

Hier sind nun R,, R,' numerisch bekannte kleine Größen, daher die 
Ermittlung v + 1‘ Näherungswerte aus v‘” durch formal genau eben- 
dieselben Gleichungen geschieht, wie unter (Nr. 11a) diejenige erster. 

Dies wäre im Grunde noch das von Lagrange vorgeschlagene 
Verfahren. 

Der Schwerpunkt des Gaußschen Verfahrens ruht aber nun 
weiter in seiner von den umständlichen Reihenentwicklungen der n, n” 


115) F. R. Moulton, Astr. Journ. 22 (1902), p. 43. 


408 VI»2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


unabhängigen Methode der Berechnung dieser numerischen Korrek- 
tionen R,, Rx". Sie sind die Überschüsse der mit den Werten r;., 7, 14" 
bis mindestens &”*? inklusive genau gebildeten n, n” über die mit 
den gleichen Werten berechneten Näherungsausdrücke (»), (n”): 
(70) Ran. — (N)g, BR’ — N. — (M)e- 

Berechnet man aber nach Nr. 13) aus r,;, rx', rx” und den zugleich 
mit diesen bei der vorhergehenden Näherung bekannt gewordenen 
v + 1‘ Näherungswerten f;, fx, fx der Zwischenwinkel die Ver- 
hältnisse 7%, 7%, 27% der drei Sektorflächen zu den zugehörigen 
Dreiecksflächen, so kann man in (70) nehmen: 

(71) ng ie, n— m 
Denn der hiebei begangene Fehler rührt allein von der Ersetzung 
der zu r%, r%, x exakt gehörenden Werte der Zwischenwinkel durch 
die Werte f;, fx, / her, welche voneinander um Größen der Ord- 
nung &’*! verschieden sind, da beide von den wirklichen Werten 
derselben bloß um solche abweichen, und dies ergibt in den 74,7%, 2% 
Fehler der Ordnung &’+?, so daß n,,n," sogar um eine Einheit ge- 
nauer folgen als fürs erste nötig ist!!®). Die so der » + 1" Näherung 
‚zugrunde zu legenden Ausdrücke (69) lassen sich noch leicht, ohne 
die erforderliche Genauigkeit zu unterschreiten, in die von Gauß ver- 
wandte Form bringen: 


(72) N = TrP (1 — a): N = IEF (1 + u) ’ 


[24 [73 


(73) Bar ES N KR 

Q u; are " T: "re a8 2 ah "x ne c08 fs 608 fe co3 %- ; 
welche überdies den Vorteil besitzt, die Berechnung bloß von y%, n% 
zu erfordern. 

Dies Verfahren wird erst in der „Theoria motus“ auseinander- 
gesetzt, während bei den ersten Bahnbestimmungen der Ceres und 
Pallas Gauß sich entweder der Methode der Variation der geozen- 
trischen Distanzen (Nr. 26) bediente oder auch nach Hinzufügung der 
Differenz Beob.-Rechn. zum beobachteten mittleren Orte zu einer 
neuen Bahnrechnung schritt. 











116) Ein Verfahren aber, welches bei den folgenden Näherungen direkt die 
numerischen Werte n,, n,'’ in die Grundgleichungen einführt, worauf im wesent- 
lichen W. Fabritius Berechnung der richtigen Distanzen, Kiew 1877 und Astr. 
Nachr. 90 (1877), p. 127 hinauskommt, entbehrt hienach der theoretischen Grund- 
lage seiner Konvergenz. 


15. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen. 409 


Aus der Tatsache, daß die auf obigem Wege ermittelten n,, nx", 
bis e**° inklusive genau sind, erhellt die Möglichkeit, bei Ersetzung 
der Näherungsausdrücke (n), (n”) durch genauere bei jedem Schritt 
immer gleich um zwei Einheiten in der Genauigkeit zu steigen. Bei 
gleichen Zwischenzeiten ist dies bei der geschilderten Gaußschen 
Methode von selbst der Fall, bei beliebigen Zwischenzeiten aber, wenn 
man mit v. Oppolzer obiges Approximationsverfahren an seine Methode 
anschließt. Aus der gleichen Tatsache erhellt aber auch die Un- 
möglichkeit, auf dem gleichen Wege etwa bei Verwendung der 
Gibbsschen Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse um mehr als zwei 
Einheiten in der Genauigkeit bei jedem Schritt zu steigen. 

Übrigens geht Gibbs auch hier einen anderen Weg. Da er die Ele- 
mente aus allen drei heliozentrischen Orten ohne Heranziehung der 
Zwischenzeiten bestimmt, so ist die Bedingung, der die strengen Werte 
der Distanzen genügen müssen, diese, daß die umgekehrt aus den Ele- 
menten und heliozentrischen Orten herschüle Zwischenzeiten 0, 0” 
den gegebenen ®, 0” gleich sind. Dies mit beliebiger Gehmilgkeit zu 
erreichen, ersetzt er in den Ausdrücken (44) der ” n' die 6, 6” 
durch so zu bestimmende unbekannte Größen r, r”, daß @, 0", die 
jetzt bestimmte Funktionen von r, r” sind, gerade gleich 0,6” werden. 
Da nun allgemein sehr nahe = r, 0” —= 1” ist, so EM die r, r” 
einfach durch sukzessive Iteration erhalten, indem man immer beim 
folgenden Schritt r, 7” ersetzt durch +0 — 0,1” + 0" — 0’ und 
beim ersten natürlich wie vorhin r = 6, r = 0” nimmt. 


15. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen. Fällt die Bahn- 
ebene des Planeten mit der Ekliptik zusammen, so sind alle geozen- 
trischen Breiten Null, und da aus dem Verschwinden zweier Breiten 
bereits das jeder anderen folgt, so liefern hier drei Beobachtungen 
bloß fünf unabhängige Daten und lassen also die Bahn unbestimmt. 
Daher werden bei sehr geringer Neigung der Bahnebene gegen die 
Ekliptik die Elemente durch drei Beobachtungen sehr unsicher be- 
stimmt sein. Diesen Übelstand zu beseitigen ersetzt man nach Gauß"") 
die Angabe der einen geozentrischen Breite durch jene der geozentri- 
schen Länge einer vierten Beobachtung, oder man zieht allgemeiner 
gesprochen (Oppolzer)*'®) die acht Daten von vier Beobachtungen (der 
Zeiten £,, %,, iz, £,) dadurch in sechs unabhängige zusammen, daß man 
die Angabe zweier der scheinbaren Orte (t,, 1) ersetzt durch die 
zweier, je einen der beiden Orte enthaltender größter Kreise K,, K, 





117) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 164 ff. 
118) Th. v. Oppolzer, Bahnb. 1, p. 413. 


410 VIz,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


und stellt so die neue Aufgabe: jene Bahn zu finden, welche zwei 
Gerade und zwei Ebenen zu gegebenen Zeiten t,,t, und £,, £, schneidet. 
Die Grundgleichungen der auf den Prinzipien von Nr. 8 beruhenden 
Methode ihrer Bestimmung sind die aus der Anwendung der Relation (29) 
auf die Orte 4, {,t, mit K, (= 2,3) als Bezugkreis und der Rela- 
‘tion (48) auf eben diese Orte folgenden Beziehungen 4): 


Al; 3 A; i 
(dab) As (g, ein p.,— A, sin B,) + A (qsinp,— Rysin Du) 
DR =(, (= 2,3), 


Ari — sin 2f,,:sin 2f,:sin2fi, (=2,3), 


(75a,b) a 





A,, 
LA 104 


nebst einer zu (49) analogen Gleichung (75e), welche den helio- 
zentrischen Zwischenwinkel f,, trigonometrisch durch o,, oe, ausdrückt. 

Sie reichen in der Tat, den Zusammenhang zwischen r, und og, 
bemerkt, gerade aus die Distanzen r, samt den Zwischenwinkeln f,; 
zu ermitteln, falls noch die Dreiecksverhältnisse wie früher durch ihre 
Ausdrücke in den r, ersetzt werden. Hiezu hat man aber einerseits 
festzustellen, daß abweichend gegen früher bei Verwendung »v'” Nähe- 
rungswerte der Dreiecksverhältnisse bloß » — 3 Näherungswerte der 
Distanzen folgen, und andererseits zu beachten, daß bloß jene Nähe- 
rungsausdrücke, die r,, r, allein enthalten, praktikabel sind, weil bei 
diesen dann (74a,b) bloß die beiden Unbekannten r,,r, enthalten, 
und sich so die numerische Rechenarbeit auf die durch Versuche zu 
erfolgende Auflösung dieser zwei Gleichungen reduziert, während die 
übrigen Unbekannten sich nachher aus (75a,b,c) direkt bestimmen. 
Obwohl hienach vierte Näherungswerte der Dreiecksverhältnisse die 
niedrigst zulässigen wären, so langt Gauß!!") doch, wenigstens bei 
mäßiger Exzentrizität und nahe gleichen Zwischenzeiten, mit seinen 
Ausdrücken aus, weil die Glieder dritter Ordnung in ihnen für Kreis- 
bahnen allgemein, für gleiche Zwischenzeiten aber vermöge seiner 
Vorschrift, die äußeren Orte als unvollständig zu wählen (,<t,<t,<t,), 
verschwinden. Die gleiche Methode gibt auch J. C. Watson '”°). 

Th. v. Oppolzer‘'?) wählt zur Erhöhung der Genauigkeit der Be- 
stimmung der Bahnlage die beiden inneren Orte als unvollständig 
(, <t,<t,<t,) und hat in den von ihm aufgestellten Ausdrücken (43) 
nun unmittelbar bloß »,, r, enthaltende vierte Näherungswerte der Drei- 
ecksverhältnisse, denen er übrigens noch die mit der Exzentrizität nicht 


119) Unter A,,, 2/,, ist das Dreieck und der Winkel zwischen r,, r;, unter 
Pr, P;: der sphärische Abstand des Planeten und der Sonne zur Zeit £, von K, 
verstanden. 

120) J. ©. Watson, Theor. astr., p. 282. 


16. Bestimmung einer Kreisbahn. 411 


verschwindenden Glieder vierter Ordnung hinzufügt, die ebenfalls durch 
Y,,r, allein ausdrückbar sind. Die Ermittlung beliebig genauer Werte 
der Distanzen erfolgt jedesmal genau so wie in Nr. 14, indem man 
immer mit den zuletzt gefundenen Näherungswerten der r,, f,, die n- 
Größen und aus diesen die numerischen Korrektionen der angewandten 
“Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse bestimmt, durch deren Verwen- 
dung dann die nächsten Näherungswerte der Distanzen folgen. Die 
Elemente ergeben sich dann nach Nr. 13 aus zweien, am besten den 
beiden äußeren, der durch die Distanzen bekannt gewordenen helio- 
zentrischen Orte. | 

Die @ibbsschen Ausdrücke der Dreiecksflächen zieht W. Fabri- 
tius'”') heran. 

Unter numerischer Diskussion der einzelnen Glieder der Reihen- 
entwicklungen der Dreiecksflächen sucht E. Ooddington '”?) ein verein- 
fachtes Verfahren aufzustellen, bei dem insbesondere die Korrektion 
der Dreiecksflächen statt durch Berechnung der n-Größen einfach 
durch Berechnung weiterer Glieder ihrer Reihenentwicklung erfolgt. 
Zur Ermittlung beiläufiger Näherungswerte der Distanzen gibt A. .Der- 
berich"”?) ein abgekürztes Verfahren. Verschiedene zweckdienliche 
Winke auch bei Klinkerfues-Buchholz'?*). 


16. Bestimmung einer Kreisbahn. Im Falle die zu bestimmende 
Bahn von vornherein als kreisförmig vorausgesetzt wird, wie dies zur 
Erlangung einer allerersten Orientierung über die Bahnlage eines neu- 
entdeckten kleinen Planeten bisweilen geschieht, sinkt die Zahl der 
zu ermittelnden Elemente auf vier, indem mit der Exzentrizität auch 
die Perihellänge in Wegfall kommt, und es reichen also zu ihrer Be- 
stimmung die vier Daten von zwei vollständigen Beobachtungen gerade 
aus. Da diese jetzt wieder zwei Gerade liefern, auf denen der 
Planet sich zu den Beobachtungszeiten befinden muß, und seine gleich- 
zeitigen heliozentrischen Entfernungen immer gleich dem Radius der 
Bahn sind: r—=r"=a, erscheint die Lage der beiden Orte im 
Raum von der einzigen Unbekannten a abhängig, zu deren Bestim- 
mung man nun die Bedingung heranzuziehen hat, daß der von den 
Radienvektoren der beiden Orte angeuchlogseng‘ Winkel 2f' den vom 


zweiten Keplerschen Gesetz geforderten Wert —;- hat. Dies liefert 


121) W. Fabritius, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 321. 

122) E. Coddington,. Dissertation, Berlin 1902. 

123) A. Berberich, Veröffentl. d. kgl. Recheninst. Nr. 20 (1902), p. 81. 
124) W. Klinkerfues-H. Buchholz, Theor. Astr., p. 460. 


A192. VI 2,9. G. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


nach Nr. 11 Gl. (49) die Gleichung: 








in? SE BE te 7 
SINN S 7 BIN 5.008 FAN Ten = 
[44 „ „ „” 
(76) 94045, dep'tute, 
R Rn. ae 2 
inz=7-siny, in’—--siny”, . 


welche durch Versuche nach a aufzulösen ist, worauf die übrigen 
Elemente N,i,e aus den jetzt bekannt gewordenen beiden heliozen- 
trischen Orten folgen!®). Die Frage, wann den beiden Beobachtungen 
durch eine Kreisbahn nicht genügt werden kann, also (76) keine reelle 
Lösung zuläßt, behandelte unter der Voraussetzung, daß die Beo- 
bachtungen nahe der Ekliptik gelegen und der Opposition zeitlich 
benachbart sind, F\ Tisserand'?°) und zeigte, daß dies dann eintritt, 
wenn die Bewegung in Breite eine gewisse Grenze übersteigt. Seine 
Darlegung vereinfachte H. Bourget'?”). 

Die Aufgabe, aus drei Beobachtungen eines in der Ekliptik sich 
bewegenden Planeten eine Kreisbahn und gleichzeitig die Konstante k 
zu bestimmen, behandelt G. W. Hill!?®). 


b) Kometenbahnen. 


17. Formulierung der Aufgabe. Grundgleichungen. Im Falle 
die zu bestimmende Bahn von vornherein als Parabel vorausgesetzt 
wird, wie dies bei einer ersten Kometenbahnbestimmung ausnahmslos 
geschieht, erscheinen die noch übrigen fünf Elemente durch die sechs 
Daten dreier Beobachtungen überbestimmt, und man zieht deshalb die 
beiden Angaben der mittleren Beobachtung dadurch in eine einzige 
zusammen, daß man einen noch beliebig zu fixierenden größten 
Kreis K durch den mittleren Kometenort auf der scheinbaren Himmels- 
kugel legt, und dann allein die Bedingung benutzt, daß der mittlere 
Ort auf K liegen soll — mit anderen Worten, man ersetzt in der 
Formulierung von Nr. 7 der allgemeinen Bahnbestimmungsaufgabe 
die Gerade E’H’ durch eine sie enthaltende Ebene. Dies hat zur 
Folge, daß man von den drei in (29) enthaltenen Grundgleichungen 
bloß die eine bei Wahl von K als Bezugskreis resultierende bilden 
kann; also mit den Bezeichnungen von Gl. (29) und Berücksichtigung 








125) Klinkerfues-Buchholz, Theor. Astr., p. 237 (nach mündl. Mitt. v. Gauß). 

126) F\. Tisserand, Paris C.R.119 (1894), p.881. Paris Bull. astr. 12 (1895), p. 53. 

127) H. Bourget, Paris Bull. astr. 23 (1906), p. 81. 

128) @. W. Hill, Proc. of the Amer. Acad. 3 (1870), p. 201 = Works 1, 
p. 77; The Analyst. 1 (1874), p. 43 = Works 1, p. 170. 


17. Formulierung der Aufgabe. Grundgleichungen. 413 


daß p —=0 ist: 





(77) e"=Mo+m, 
Gr ich M 
(78) i n” sin p”’? 
et (nRsin P-+ n’R’sin P’— R’'sin P)). 


Diese erste Grundgleichung enthält nun bloß 0, e” oder die mit 
diesen in einfacher geometrischer Beziehung stehenden r, r” als Un- 
bekannte. Denn hier bei der Parabel sind, wie eine Konstanten- 


zählung lehrt, oder aus Nr. 9 wegen 20 hervorgeht, n, »” durch 


r, r', 0, 0° allein, ohne Heranziehung von r’ ausdrückbar. 

In endlicher Form sind hier die Dreiecksverhältnisse in ihrer 
Abhängigkeit von den beiden äußeren Radien und den Zwischen- 
zeiten durch die von F. W. Bessel'??) hergeleiteten beiden kubischen 
Gleichungen gegeben: 


i 42° — 3(r Hr) + +0"—=0 
(79) y-— + Hr +7" — 209)y+40"—r)2— 4(0’— 0, 
n=ı—y W=rH+y. 


„ 


Die zur Bestimmung von r, r’ nötige zweite Grundgleichung 
bildet dann der Eulersche Satz: 


(80) ltr let, 
da die Sehne s= HH” ebenfalls mit r, r” in einfacher trigonometri- 
scher Beziehung steht. 

Diese beiden Gleichungen müssen nun wieder dadurch erst trak- 
tabel gemacht werden, daß man in der ersten für n, n” passende 
Näherungsausdrücke verwendet, wobei man überdies aus der noch 
willkürlichen Lage von X wird Nutzen zu ziehen haben. In dieser 
Richtung hin ist es wesentlich festzustellen, daß, wie zuerst T’h. Olausen '?°) 
klargelegt hat, es hier, um r, r” bis Größen der Ordnung &” exklusive 
genau zu erhalten, genügt für M, m bis Größen der Ordnung e”*! 
exklusive genaue Werte einzuführen. Solche zu erhalten, genügt es 
bei allgemeiner Lage von K für n, n” bis ®”+! exklusive genaue Werte 
zu verwenden, wofern diese nur nn” bis &’+? exklusive genau 
geben; bei der Olbersschen Wahl von K aber genügt hiezu, daß n/n” 
bis &*! exklusive genau ist. 


129) F. W. Bessel. in der Zeitschrift: „Astronomische Abhandlungen‘, hrsg. 
v. Schumacher, Heft 2, Altona 1823. Abgedruckt in Bessel, Abh. 1, p. 13. 

130) Th. Clausen, St. P&tersb. bull. (phys.) 10 (1852), p. 175; vgl. auch J. F. 
Encke, Berlin astr. Jahrb. für 1856, p. 362. 


414 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


18. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen nach 
der Methode von W. Olbers"?!). Diese liefert im allgemeinen erste, 
bei gleichen Zwischenzeiten, 0 = 6”, aber zweite Näherungswerte der 
Distanzen. 

Bei ihr wird zunächst der größte Kreis X durch den mittleren 
Sonnenort gelegt, wonach p, p’, P, P’ im allgemeinen Größen der 
Ordnung e sind und P=0 wird, so daß nach (30) aus (78): 

n sin n sin P sin P” vr n N\sinP 
N, ra 
folgt. Für M, m werden nun niedrigst zulässige, also zweite Nähe- 
rungsausdrücke verwendet. Solche sind aber, da m durch die beson- 
dere Wahl von X von der Ordnung e? bei gleichen Zwischenzeiten 
von der Ordnung &° geworden ist: 

0 sin 

(82) N=—; ng” m—=0, 
welche Ausdrücke im besondern bei gleichen Zwischenzeiten dritte 
Näherungswerte repräsentieren. Die Bestimmung von r,r” aus den 
durch die geometrischen Beziehungen zwischen r, r” und 0, 0”,s zu 
ergänzenden Gleichungen (77) und (80) wird dann von Gauß"??) auf die 
Ermittlung einer einzigen mit oe linear zusammenhängenden Unbekann- 
ten u zurückgebracht, durch die sich s und # + r” in der Form dar- 
stellen: 
(3)s-Ve FE, r—Valu+ BL, "’-Vaa FE" Hy" 
und die nun so zu bestimmen ist, daß diese Werte die Eulersche 
Gleichung (80) erfüllen. Dies geschieht durch Anwendung der regula 
falsi oder eine Art fortgesetzter Iteration. Auch kann die Enckesche 
Behandlung der Eulerschen Gleichung (vgl. Nr. 19) hiebei mit Vor- 
teil benutzt werden. 

Eine der Olbersschen im wesentlichen gleiche Methode hat, wor- 
auf W. Fabritius'””) aufmerksam machte, bereits A. Du Sejour'?*) 
vorgeschlagen. Auch J. Lambert'?’) kam derselben äußerst nahe und 
benutzte später!?®) direkt die Olberssche Gleichung (77) mit den Werten 
(82), was des näheren R. Vogel"?”) und J. Bauschinger'?®) erörtern. 

















131) W. Olbers, Abh. über Kometenbahnen = Werke 1, p. 3. 

132) ©. F. Gauß, Monatl. Corr. 28 (1813), p. 501; Gött. Com. soc. reg. 2 
(1813) = Werke 6, p. 25. 

133) W. Fabritius, Astr. Nachr. 106 (1883), p. 87. 

134) A. P. Dionis du Sejour, Paris Hist. 1779, M&m. p. 51. 

135) J. Lambert, Insign. propr. 1761, probl. 31. 

136) J. Lambert, Berlin M&m. 1771, p. 352. 

137) R. Vogel, Astr. Nachr. 136 (1894), p. 83. 


19. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen. 415 


Läßt man ferner insbesondere die Zwischenzeiten 6, 0°’ nach Null 
konvergieren, so gehen die Grundgleichungen der Olbersschen Methode 
in diejenigen der auf parabolische Bahnen zugeschnittenen Laplace- 
schen Methode (vgl. Nr. 12) über: 

2 .2 
e ee, 
in denen V die Geschwindigkeit des Kometen in seiner Bahn, p aber den 
jeweiligen sphärischen Abstand des scheinbaren geozentrischen Kometen- 
ortes von jenem größten Kreise bezeichnet, der zur „Beobachtungszeit“ 
diesen mit dem gleichzeitigen Sonnenort verbindet. Die erste Gleichung 
kann auch unmittelbar als Ausdruck der Tatsache gefunden werden, 
daß die Relativbeschleunigung des Kometen gegen die Erde in der 
Ebene von Sonne—Erde— Komet liegt. Aus beiden Gleichungen folgt, 


die kinematische Beziehung zwischen es und Y hinzugedacht, eine 


Gleichung 6 Grades für oe, welches wieder der niedrigste Grad ist, 
auf den das Kometenproblem reduzierbar ist. Sind indessen die ersten 
und die zweiten Differentialquotienten der beiden Koordinaten des 
scheinbaren Ortes vollständig gegeben, so kann durch Hinzunahme 


der Relation V? = a zu dem System (50) e im Prinzip rational 


gefunden werden, worauf neuerdings L. Picart'??) zurückkommt. Das 
Verhältnis der Laplaceschen zur Olbersschen Methode erörtert R. Ra- 
dau“). Die mehrfachen Lösungen des Kometenproblems untersucht 
Th. v. Oppolzer'*"), indem er die Eulersche Relation näherungsweise 





durch ?— 80; ersetzt und zeigt, daß die dann resultierende Gleichung 


6'® Grades für eg immer nur eine oder drei reelle positive Wurzeln 
besitzt. Dieselbe Frage behandelt dann E. Pasquwier '*?). 


19. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen. Die die 
Bahnlage fixierenden Elemente i, Q ergeben sich wie bei Planeten- 
bahnen sofort trigonometrisch aus den durch o, 0” bekannt gewor- 
denen heliozentrischen Orten. Den Weg zur Bestimmung der übrigen . 
Elemente eröffnet die Ermittlung der Gestalt der Parabel, also des 
Parameters 9, welche hier abweichend von Nr. 13") durch die beiden 


138) J. Bauschinger, Veröffentl. d. Kgl. Recheninstitutes Nr. 20, (1902), p.1. 
139) L. Picart, Paris. Bull. astr. 16 (1899), p.412; Paris 0. R. 129 (1899), p. 17. 
140) R. Radau, Paris. Bull. astr. 4 (1887, p.409; Paris ©. R. 105 (1887), p. 457. 
141) Th. v. Oppolzer, Wien Ber. 86 (1882), p. 885; Oppolzer, Bahnb. 1, p. 308. 
142) E. Pasquier, Belg. Bull. (3) 32 (1896), p. 111. 
143) Die dortigen Formeln auf die Parabel anzuwenden, hat man bloß zu 
bemerken, daß für diese stets = — 0 ist. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 28 


416 YVIs»,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Radien r, r” und die Zwischenzeit 0’ allein bestimmt erscheint, da 
der dort unter Zuhilfenahme der Beobachtungen abgeleitete Zwischen- 
winkel 2f’ hier vermöge der Sehne s gefunden werden kann, welche 
selbst wieder aus (80) zu berechnen ist. Letzteres geschieht nach 
J. F. Encke‘“*) praktisch durch: 

(85) en (r m r") sin Y; sin z = v2 sin = sin = N 
oder durch Benutzung der ebenfalls von J. F. Encke'°®) entworfenen 


u-Tafel, welche mit dem Argument en den Wert von 
3 cos 


(86) ar gibt, mit welchem s— 
folgt. 


Da sich weiter das Verhältnis von Sektor zu Dreieck in der 
Form darstellt: 
a LE SER 1 
(87) ar 7 Vs 


20 
Ye 








so ist hienach auch der Parameter: 


(88) Va nrr" sin 2f’ DM Yer? Mm a eosy 


2 cos 
sin — fr 





gegeben. Nach dessen Bestimmung aber a Perihellänge © und 
Perihelzeit {, ohne weiteres aus den Gleichungen der parabolischen 
Bewegung. 

20. Ermittelung beliebig genauer Werte der Distanzen. Auch 
für das weitere auf den Prinzipien von Nr. 14 beruhende Approxi- 
mationsverfahren zur Auffindung beliebig genauer Werte der Distanzen 
gestalten sich bei der Olbersschen Wahl von K die Verhältnisse be- 
sonders günstig. Um v + 1% Näherungswerte der Distanzen zu er- 


halten, genügt es, für — einen v + 2‘ Näherungswert in M und m 
Rn 


einzuführen. Hat nun eine vorhergehende Näherung v' Näherungs- 
werte r,, vr; der Distanzen ergeben, so wird man einen Fehler der 
erlaubten Ordnung &”*? (bei gleichen Zwischenzeiten der Ordnung &”*°) 


. . ”n 
begehen, wenn man ebendiese in den Ausdruck von - durch v,r", 6, 


144) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. für 1833, p. 264. Eben diese Umfor- 
mung bei A. P. Dionis du Sejour Paris Hist. 1779, M&m. p. 51; ferner in Gauß 
Nachlaß Werke 7, p. 327, früher von Klinkerfwes mitgeteilt Gött. Abh. 10, p. 196 
unter Beifügung einer Tafel für u und n. Fine ebensolche bei B. Nicolai, Astr. 
Nachr. 10 (1833), p. 233 und J. Bauschinger, Tafeln, Nr. 22 und 24. 


20. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. 417 


einsetzt, und man wird also für M und m die numerischen Werte: 
n, sinp De sin P R sin P’ R' 
(89) My rag N," sin p” , My IE N, sin p’ + sin p” 











verwenden können. Einen Fehler an Ordnung begehend, 
kann man aber weiter m, auch durch -- m, ersetzen, was darauf 


hinauskommt, die Grundgleichungen mit den Werten: 
(90) M=M,+2%, m—0, 


anzusetzen, so daß die Ermittelung » + 1'% Näherungswerte aus „'” 
wieder durch formal genau ebendieselben Gleichungen geschieht wie 
unter Nr. 18 die erster. Gleichzeitig erhellt aus den angegebenen 
Fehlerordnungen, daß bei gleichen Zwischenzeiten dies Verfahren bei 
jedem Schritt stets um zwei Einheiten genauere Werte der Distanzen 
liefert. 

* 


. n . 
Die Berechnung von „*; aus r,,r,', 0, 0” kann hier streng ent- 
* 


weder durch die Besselschen Gleichungen (79) geschehen, oder dadurch, 
daß man auf Nr. 19 basierend noch vr,’ und damit n,, x ermittelt. 
Mit einer wenigstens für die ersten Schritte, die aber in der Praxis 
stets ausreichen, genügenden Genauigkeit kann man sich nach E. Weiß") 
und W. Fabritius‘) hiezu auch mit Vorteil des Gibbsschen Aus- 
druckes bedienen: 

Eesakhehlize ih 

(91) a en 
* 1 Te 
welcher im allgemeinen bis zu dritten Näherungswerten der Distanzen 
in drei Schritten, bei gleichen Zwischenzeiten aber bis zu vierten 
Näherungswerten in zwei Schritten führt. Endlich kann auch bei 
den weiteren Näherungen die Auflösung der mit dem verbesserten M 
gebildeten Grundgleichungen dadurch umgangen werden, daß man die 


Änderung von M als differentiell betrachtet und den Differential- 


quotienten -; ei aus (77), (80) bildet. Den Ausdruck für _ leitet 


4.0. Teuschner tn ab und gibt gleichzeitig Formeln für die differen- 
tiellen Änderungen der Elemente bei Variation von o, 0”. Ein von 
obigem verschiedenes sukzessives Näherungsverfahren hat Carlini 
in Vorschlag gebracht. Man kann nämlich auch die strengen 


145) E. Weiß, Wien Ber. 100 (1891), p. 1132. 
146) W. Fabritius, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 225. 
147) A. O. Leuschner, Berlin. Dissertation 1897. 
28* 


418 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Werte der Distanzen mit der Annahme (82) bestimmt denken, wo- 
fern man bloß den Bezugskreis K nicht mehr durch den mittleren 
Kometenort gehen läßt, sondern unter Festhaltung seines Knotens 
seine Neigung r abändert. Und zwar wird dieses r so zu be- 
stimmen sein, daß wenn man mit den aus o, o” folgenden Ele- 
menten, den Ort für die Zeit der mittleren Beobachtung berechnet, 
die Neigung ® des durch ihn und den mittleren Sonnenort ge- 
legten Kreises der beobachteten # gleich ist: $=#. Da nun wieder 
allgemein bis auf Größen höherer Ordnung $ —= r ist, so findet man 
t durch sukzessive Iteration, indem man immer beim folgenden Schritt 
t ersetzt durch v+9#— # und beim ersten natürlich wie vorhin 
t=%# setzt. 

21. Ausnahmefälle. Methode von Gauß. Die Konvergenz der 
Olbersschen Methode erscheint in dem Falle zunächst wenigstens fraglich, 
in welchem 9, p” von höherer als erster Ordnung in s sind, also die drei 
scheinbaren Kometenorte und der mittlere scheinbare Sonnenort sehr 
nahe auf einem größten Kreise liegen. Einerseits wird dann nämlich m 
von niedrigerer als zweiter Ordnung in eg, also nicht zu vernachlässigen 
sein, andererseits erscheint auch M numerisch recht unsicher bestimmt. 
Nun läßt sich durch andere Wahl von K, etwa normal zu dem die 
beiden äußeren Kometenorte verbindenden größten Kreise, oder nach 
E. Weiß'“®) so, daß sein Knoten in der Ekliptik um 90° von der 
Mitte zwischen den beiden äußeren Sonnenorten absteht, sofort er- 
reichen, daß », p” von erster Ordnung, also M numerisch sicher be- 
stimmbar ist. Dagegen bleibt m auch dann noch, wie (30) lehrt, von 


erster Ordnung, wird aber doch durch den in seinen Gliedern nieder- 


ster Ordnung auftretenden Faktor u _ in den meisten Fällen 


R®: 

erheblich verkleinert, da die Kometen zumeist in Erdnähe entdeckt 
werden. Th. v. Oppolzer“®) behält in solchen Fällen m bei und er- 
setzt n, n’ durch die beiden ersten bloß von r + r” abhängigen 
Glieder seiner Näherungsausdrücke (43), wonach seine Grundgleichungen 
freilich nieht mehr auf die einfache Olbers-Gaußsche Form reduzier- 
bar sind. Sie liefern wie diese im allgemeinen erste, bei gleichen 
Zwischenzeiten aber zweite Nähernngswerte der Distanzen. 

Indessen findet sich im Nachlasse von ©. F. Gauß") eine Me- 


thode ausgearbeitet, der die gleiche Genauigkeit wie der Olbersschen 





148) E. Weiß, Wien. Ber. 92 (1885), p. 1456, wo auch ein weiterer Kunst- 
griff zur genaueren Berechnung von M angegeben wird. 

149) Ih. v. Oppolzer, Wien. Ber. 57 (1868), p. 219; €0 (1870\. p. 918; 64 
(1871). p. 676. 

150) ©. F. Gauß, Werke 7, p. 332—350. 


22. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration. 419 


zukommt, aber bei beliebiger Wahl von K und einem ebenso ein- 
fachen Rechenschema. Gauß setzt in der Grundgleichung: 
0 Z 1 

02) nA 

ae) 
was im allgemeinen n, n” bis &® und n-+ n” bis &° exklusive genau 
wiedergibt, bei gleichen Zwischenzeiten 6 — 6’ aber bis e° bzw. &* ex- 
klusive, und erhält damit aus (29) statt der Olbersschen Relation 
oe" FAR Mo: 


BERE 1 
(93) Me+ eTR= er) 
und hiemit bei Einführung einer Hilfsgröße u analog zu (83): 
B 2 
(94) ?=wW#"+4H+ a c), 


2 
"—elut+ 2m) + 


(95) ie ; ai; 
r?—d'(u+B Karat 


Die Eulersche Relation (80) aber ersetzt nun Gauß mit großer 
Annäherung durch: 
(96) An 2 


kis 14 70° 
ae IE 


und geht nun zur Auffindung von r, r”, s, u in der Weise vor, daß 
zu einem angenommenen Werte von r + r” aus (96) s, damit aus 
(94) u, und damit aus (95) r, r’” berechnet werden, wobei dann r +r” 
dem angenommenen Werte gleichkommen muß, was durch Iteration 
oder Anwendung der regula falsi sehr rasch erreicht wird. Statt (96) 
werden übrigens noch verschiedene andere Formen benutzt und auch 
ein besonderes Verfahren*!) zur Herleitung der Elemente aus r, r”, s 
gegeben. 








22. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration. Da die 
durch die Beobachtung gelieferten Visionsstrahlen nicht unmittelbar 
die in Nr. 7 zugrunde gelegten Verbindungsgeraden zwischen Erd- 
mittelpunkt und Himmelskörper darstellen, sondern die noch durch 
die Aberration verfälschten Verbindungsgeraden zwischen dem Be- 
obachtungsorte und dem Himmelskörper, so müßten noch durch An- 
bringung der Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration jene 
aus diesen hergeleitet werden. Da nun einerseits die zur Reduk- 


151) ©. F. Gauß, Werke 7, p. 827. 
3 


420 VlI2»,9. :@. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


tion des beobachteten Ortes auf den Erdmittelpunkt nötige geo- 
zentrische Distanz des Himmelskörpers von vornherein unbekannt ist, 
und sich andererseits die Rechnungen zur Ermittlung der Bahn etwas 
vereinfachen, wenn die drei Erdorte mit der Sonne in einer Ebene 
liegen, so legt man nach Gauß"??) zur Elimination der Parallaxe die 
Durehschnittspunkte der Visionsstrahlen mit der Ekliptik als fiktive 
Erdorte (locus fictus) der Bahnbestimmung zugrunde, bringt also 
eine entsprechende Korrektion an den den Tafeln entnommenen Ko- 
ordinaten der Erde an. Der Einfluß der Aberration??) dagegen muß 
zunächst unberücksichtigt bleiben, und erst nach Erlangung der 
ersten Näherungswerte der geozentrischen Distanzen können die dies- 
bezüglich korrigierten Beobachtungsdaten gewonnen werden, welche 
dann der Ermittlung der nächsten Näherung zugrunde zu legen 
sind. Hiebei handelt es sich noch darum, diese Korrektion in einer 
solehen Weise anzubringen, daß möglichst wenige von den schon für 
die erste Näherung aus den Beobachtungen abgeleiteten Hilfsgrößen 
geändert werden. Dies wird erreicht, indem man ausgehend von der 
Bemerkung, daß der von der Fixsternaberration befreite, beobachtete 
Ort gleich dem vom selben Erdort aus gesehenen, wirklichen Ort zur 


Zeit E— - ist, die von eg unabhängige Fixsternaberration gleich von 
e 


vornherein an den Beobachtungen anbringt, und nach Erlangung der 
ersten Näherungswerte der Distanzen jede Beobachtungszeit um die 
zugehörige Lichtzeit verringert, und so mit alleiniger Abänderung der 
Zwischenzeiten zur nächsten Näherung schreitet. 


III. Definitive Bahnbestimmung. 


23. Allgemeine Formulierung der Aufgabe. Die für die Kon- 
vergenz der Bahnbestimmungsmethoden aus drei Beobachtungen not- 
wendige Voraussetzung kleiner Zwischenzeiten hat zur Folge, daß 
die den Beobachtungen anhaftenden Fehler solche von erheblich 
größerem Betrage in den Elementen erzeugen, die sich dann in den 
mit der Zeit anwachsenden Differenzen zwischen den berechneten und 
beobachteten Orten zu erkennen geben. Es wird durch diese Ele- 
mente also nur eine erste vorläufige Bahn festgelegt und aus wei- 
teren Beobachtungen eine genauere definitive Bahn zu ermitteln sein. 
Hiebei wird man einerseits sich durch die Kenntnis der genäherten 
ersten Bahn von der Beschränkung auf zeitlich benachbarte Beob- 
achtungen befreien, andrerseits zur Erreichung möglichster Genauig- 


152) ©. F.Gauß, Theoria motus, art. 117. 
153) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 118. 


24. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte. 421 


keit gleich sämtliche bekannten Beobachtungen heranziehen, indem man 
die definitive Bahnbestimmung als Bahnverbesserungsaufgabe im An- 
schluß an die Ausgleichungsrechnung so formuliert: eine bekannte 
vorläufige Bahn so zu korrigieren, daß die Quadratsumme der schein- 
baren geozentrischen Abstände der beobachteten Orte von den gleich- 
zeitigen berechneten Orten ein Minimum wird. Die Grundlage ihrer 
Behandlung bildet die Voraussetzung, daß die an den vorläufigen 
Elementen oder irgend sechs Bestimmungsstücken der Bahn anzu- 
bringenden Korrektionen genügend klein sind, um ihre Quadrate und 
Produkte vernachlässigen zu können. 


24. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte. 
Sind daher in einem beliebigen geozentrischen Koordinatensystem zu 
irgend einer der Beobachtungszeiten Länge und Breite des aus der 
vorläufigen bzw. definitiven Bahn berechneten und des beobachteten 
Ortes: L, B, bzw. L+6L, B+öBund L+6’L, B+ö’B, und 
führt man die kleinen sphärischen Abstände der beiden letzten Orte 
von dem dureh den ersten gehenden Längen- und Breitenkreis ein: 
97 do—=cosBödL, Ö’o= cosBö'L, 

Bi ör=6B, oe, 
so wird zuvörderst sein sollen: 
(98) A4= Z[(d6 — 0’6)’ + (dr — Ö’r)?] = Minimum. 

Hier sind jetzt Ö’6, ö’r bekannte numerische Größen, do, Ör 
aber nach Voraussetzung homogene, ganze lineare Verbindungen mit 
bekannten numerischen Koeffizienten der unbekannten sechs Korrek- 
tionen irgend welcher sechs Bestimmungsstücke der Bahn, die sich 
sonach aus sechs linearen Gleichungen bestimmen. Die Wahl dieser 
Bestimmungsstücke und die Entwicklung der analytischen Ausdrücke 
der ds, ör, also die Bildung der Differentialquotienten der geozen- 
trischen Koordinaten nach jenen, ist nun Sache der speziellen Me- 
thodee Am unmittelbarsten bieten sich hier als Bestimmungsstücke 
die Elemente selbst dar, welche Wahl der bereits von ©. F. Gauß'°t) 
verwandten und seither am meisten benutzten und bearbeiteten Me- 
thode der Variation der Elemente zugrunde liegt. (Über die Ausdrücke 
der 66, ör bei dieser vgl. Nr. 25.) U. J. Leverrier"”°) brachte die 
Wahl der dreien der Beobachtungszeiten entsprechenden geozentrischen 


154) 0.F.Gauß, Theoria motus, art.187 und ©. F. Gauß, De elementis ellipticis 
Palladis, Gött. Com. soc. reg. 1 (1811) = Werke 6, p. 3, abgedr. in Börsch-Simon, 
Gauß’ Abhandlungen zur Methode der kleinsten Quadrate, Berlin 1887. 

155) U.J. Leverrier, Paris C. R. 20 (1845), p. 1071. Astr. Nachr. 23 (1846), 
p. 183. 


422 VI»,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


Orte in Vorschlag, derart, daß die diesen Zeiten zugehörigen 66, ör 
die Unbekannten der Aufgabe werden, was den Vorteil gewährt, bei 
den Koeffizienten in den Ausdrücken der übrigen d6, ör mit wenig 
Ziffern auszureichen. Seither ist nur R. Radau'?®) auf diese Methode 
kurz zurückgekommen. Th. v. Oppolzer'°”) wählte die einer mittleren 
Epoche zugehörigen rechtwinkligen, heliozentrischen Koordinaten und 
Geschwindigkeiten des Himmelskörpers als Bestimmungsstücke. Da 
nämlich von diesen die heliozentrischen Koordinaten zu einem be- 
nachbarten Zeitpunkte nahe linear abhängen, so wird, wenn das Be- 
obachtungsmaterial einen mäßigen Zeitraum (etwa eine Opposition) 
umspannt, bei dieser Wahl der Vernachlässigung der Quadrate und 
Produkte der Korrektionen eine erhöhte Genauigkeit zukommen. Er- 
gänzungen zu\dieser Methode hat F. Kühnert!°®) gegeben. 

Den gleichen Vorteil zu erreichen hat F. Tietjen'°”) die vollstän- 
digen, zweien der Beobachtungszeiten zugehörigen geozentrischen 
Koordinaten als Bestimmungsstücke gewählt, die do, ör aber wegen 
der Kompliziertheit ihrer Ausdrücke nur für zeitlich benachbarte 
Beobachtungen entwickelt. 


25. Differentialguotienten der geozentrischen Koordinaten 
nach den Elementen. Um für die Methode der Variation der Ele- 
mente die Größen ö6, Ör oder gleich vollständiger do, do, Ör durch 
die Änderungen der sechs Bahnelemente auszudrücken, hat man nach 
dem Vorgange von Th. Olausen'‘) und W. Goetze'*') die Bemerkung 
zu benutzen, daß do, od6, odr die Komponenten der Verrückung 
ös sind, welche der Planetenort im Raume durch die Variation der 
Elemente bei festgehaltenem t erfährt, und zwar genommen nach den 
drei zueinander normalen Richtungen 0, 6, r, gebildet vom Visions- 
strahl o und den Tangente ns bzw. r, welche in dem scheinbaren, 
geozentrischen Orte des Himmelskörpers an den durch ihn gehenden 
Breiten-, bzw. Längenkreis gelegt werden. Die Verrückung Ös 
selbst aber wird, wenn R die Richtung des Radiusvektors des Him- 
melskörpers, 7 die Normale seiner Bahnebene und $ die zu diesen 
beiden normale Richtung bedeutet, in einfachster Weise durch ihre 
nach diesen drei Richtungen genommenen Komponenten öR, 068, 06T 





156) R. Radau, Paris Bull. astr. 21 (1904), p. 401. 

157) Th. von Oppolzer, Berlin Ber. 1878, p. 583; Oppolzer, Bahnb. 2, p. 428. 
158) F. Kühnert, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 145. 

159) F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. für 1878. 

160) Th. Olausen, J. f. Math. 7 (1831), p. 108. 

161) W.C. Goetze, Astr. Nachr. 28 (1849), p. 97, 113 und 32 (1851), p. 113. 


24. Differentialquotienten d. geozentrischen Koordinaten n. d. Elementen. 423 


festgelegt: 
doR=Ör, da=sinzsinidN\+tcoszdi, 
(99) 68=r(dv+dy)=r(döu+t cosiön), HB=ecosasinidN— sinzdi, 
d T=r(sinvda— cosvöß) Öoy=cstöNtör, 


—=r(sinudi— cosusinidgl), 
wobei d«, öß, öy die kleinen Drehungen sind, welche das Dreikant 
R, S, T bei Variation von i, , x um seine Achsen ausführt, und 
ör, öv endlich sich aus den Gleichungen von Nr. 3 ergeben zu: 


i 2 
A 97 = (OU + 1On) — a cosude — 7,00, 
ra VE (60, + 1ön)+ a sino(1 T 2) de, 





unter M, die mittlere Anomalie zur Epoche {= 0 verstanden. Bei 
hyperbolischen Bahnen hat man in diesen Formeln M,, n, V1—e, 


1 1 re 
bzw. durch — M,, —n, iVe!—1 zu ersetzen. 


Hienach können nun sofort do, 006, odr aus OR, 68, OT ver- 
möge der leicht trigonometrisch zu berechnenden Richtungskosinusse 
zwischen den Achsen o, 6, r und R, S, T zusammengesetzt werden, 
welche Ausdrücke sich dann nach E. Schönfeld'®) durch Einführung 
der Gaußschen Hilfsgrößen des Achsensystems o, 6, r (siehe Nr. 3) 
noch erheblich zusammenziehen lassen. Mit der Herstellung der Dif- 
ferentialquotienten beschäftigen sich noch M. Kowalski") und Th. 
v. Oppolzer') Eine Vereinfachung auf anderem Wege zu erreichen 
bezieht F\. Tietjen!®) Länge und Breite, L, B auf ein geozentrisches 
System, dessen Achsen den Richtungen R, S, 7’ parallel sind, wodurch 
wegen X (6, 7) = 90° öT aus Ö6 herausfällt, während, wie J. .Dau- 
schinger!®°) anmerkt, sein Koeffizient cos (r, 7) in ör wegen 
(101) co8?(6, 7) + cos?(r, 7) = sin?(e, T) 
seinen maximalen Wert sin (0, 7)—= cos B erreicht. Dies gewährt 
den Vorteil, daß sehr angenäherte Werte der Elementenkorrektionen 
einfacher so zu erlangen sind, daß man erst Z(d6 — ö’6)’, welches 
jetzt bloß von 6.M,, ön, de, öy abhängt, zu einem Minimum macht 


162) E. Schönfeld, Astr. Nachr. 113 (1886), p. 65. 

163) M. Kowalski, Rech. astr. de l’obs. de Kasan 1859, p. 91. 

164) Th. v. Oppolzer, Wien. Ber. d. k. Akad. 49 (1864), p. 271. 

165) F\. Tietjen, Astr. Nachr. 67 (1866), p. 91; F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. 
für 1878. Im wesentlichen das gleiche früher bei 7. H. Safford, Mem. Am. 
Akad. 6 (1858), p. 461; vgl. die histor. Angaben bei R. Radau, Paris Bull. astr. 21 
(1904), p. 401. 

166) J. Bauschinger, Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 23, 1903. 


424 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


und dann noch d«, öß so bestimmt, daß unter Einführung der ge- 
fundenen Werte jener vier Korrektionen Z(ör—0’r)? ein Minimum wird. 

R. Radau'®') erzielt eine Trennung der Unbekannten dadurch, 
daß er die Komponenten von ds in Richtung der Schnittgeraden der 
Ebene or mit den Ebenen ST, TR, RS bildet, in denen bzw. ÖR, 
8, 87T nicht auftritt, und die dritte in Verbindung mit der ersten 
oder zweiten statt Ö6, ör der entsprechenden Minimalbedingung 
unterwirft. Eine ähnliche Vereinfachung sucht A. Orlof!®) zu er- 
zielen, während V. Cerulli'#) hiezu die Bildung der Bedingungs- 
gleichungen für den Zeitpunkt der Opposition oder des Knotendurch- 
gangs des Planeten vorschlägt. Auf die Tietjenschen Formeln ist 
neuerdings @. Boccardi!'®) zurückgekommen. Bei nahe kreisförmigen 
Bahnen wird der Natur der Sache nach dx nur unsicher erhalten 
werden können, weshalb sich in diesem Falle die Einführung von 


i i 1—e|t8” 
ecosz, esinx, oder nach K. Bohlin''') von a, . _ an Stelle 
1-telsinz 


von e, x empfiehlt; P. V. Neugebauer”?) ersetzt im gleichen Falle 
örx durch eöy. Bei nahe parabolischen Bahnen, wird durch Ein- 
führung der Elemente e, g, t, statt e,n, My: 
dq 
1) 


Ir— [ram ® 
pP 
+ cos vdq — Et Öt,, 
v9 — ın® r us je q 
00 [gsinv(1 +7) — Vallgz.r =) 
—sino (142) 09 — VR or, 


esin® 











(102) 


wo nun zwar die Koeffizienten von de für parabolische Bahnen be- 
stimmte Werte erlangen, aber für nahe parabolische Bahnen numerisch 
unsicher bestimmt sind, und daher so umgeformt werden müssen, 
daß sich der Nenner 1—e kürzen läßt. Dies zu erreichen ent- 
wickelte bereits €. W. @oetze''?) in ziemlich umständlicher Weise die- 
selben nach Potenzen von 1— e, unter Hinzufügung diesbezüglicher 
Hilfstafeln. In einfacher Weise gelangten dann E. Weiß!) und 


167) R. Radau, Paris Bull. astr. 5 (1888), p.5; Paris ©. R. 105 (1837), p. 432. 
168) A. Orloff, Paris Bull. astr. 22 (1905), p. 291. 

169) V. Cerulli, Catania Mem. soc. spett. 34 (1905), p. 175. 

170) @. Boccardi, Publ. d. Os. di Collurania Nr. 2 (1900), p. 37. 

171) K. Bohlin, Astr. Nachr. 159 (1902), p. 165. 

172) P. V. Neugebauer, Astr. Nachr. 157 (1902), p. 21. 

173) C. W. Goetze, Erg.-Heft d. Astr. Nachr. (1849), p. 159. 

174) E. Weiß, Wien Ber. 83, (1881), p. 466. Tafel v. J.v. Hepperger. 


26. Methoden mit Bevorzugung zweier Orte. 425 


Th. v. Oppolzer“®) durch Entwicklung nach Potenzen von tg? = 


und E. Schönfeld‘) durch Heranziehung der Gaußschen Methode 
der Bestimmung der wahren Anomalie in nahe parabolischen Bahnen 
zum Ziele — Gewährt die Vernachlässigung der Quadrate und Pro- 
dukte der Korrektionen der Elemente noch keine genügende An- 
näherung, so muß das ganze Verbesserungsverfahren ein zweites Mal 
mit Zugrundelegung der das erste Mal gefundenen verbesserten Bahn 
wiederholt werden. Die Bildung der neuen do, dr kann hiebei in 
leicht zu ersehender Weise durch Benützung der zweiten Differential- 
quotienten der geozentrischen Koordinaten nach den Elementen, 
welche L. Schulhof"'”) entwickelte, durchgeführt werden. 


26. Methoden mit Bevorzugung zweier Orte. Weniger streng 
vom Standpunkte der Ausgleichungsrechnung aus, aber mit geringerer 
Rechenarbeit verbunden sind jene Verfahren, welche die Zahl der 
Unbekannten dadurch verringern, daß sie gewisse Bestimmungsstücke 
‚der Bahn, als welche insbesondere zwei der beobachteten geozentri- 
schen Orte gewählt werden, als nicht zu verändernd festhalten. Als 
zu korrigierende Bestimmungsstücke werden dann bei der bereits von 
Gauß*'®) besprochenen und seither vielfach angewandten Methode 
der Variation der geozentrischen Distanzen eg, o” genommen, deren 
Korrektionen de, do” nun die beiden Unbekannten der Aufgabe sind. 
Die Bestimmung der numerischen Werte der vier Koeffizienten von 
de, de” in den einer der Beobachtungszeiten zugehörigen Größen 
06’, ör’ geschieht in der Praxis meist einfach dadurch, daß auf dem 
Wege über die Elemente, welche aus den passend zu wählenden 
Wertepaaren n, o und o, n” von do, do” folgen, die entsprechenden 
Wertepaare für 00’, ör’ berechnet werden. Mit den weitläufigen 
analytischen Ausdrücken derselben haben sich ©. W. Goetze‘'”) und 
N. Herz'?®) beschäftigt. Zu einfacheren genäherten Ausdrücken ist 
J. Bauschinger '°‘) gelangt, welcher nach dem Vorgang von F. Tietjen'*?) 
von der Bemerkung ausgeht, daß nach Gl. (28), zwischen den durch 








175) Th. von Oppolzer, Berlin Ber. 1878, p. 852; Astr. Nachr. 95 (1879), 
p. 13. Tafeln v. F. K. Ginzel in Oppolzer, Bahnb. 2, Tafel 16. 

176) E. Schönfeld, Astr. Nachr. 113 (1886), p. 65. 

177) L. Schulhof, Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 151, 192. 

178) ©. F.Gauß, Theoria motus, art. 188, 

179) ©. W. Goetze, Astr. Nachr. 32 (1851), p. 113 und Erg.-Heft (1849), 
p. 159. 

180) N. Herz, Wien Ber. 92 (1885), p. 590. 

181) J. Bauschinger, Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 23 (1903). 

182) F. Tietjen, Berl. astr. Jahrb. für 1878. 


426 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 


eine Bahnänderung erzeugten Verrückungen ös, ds’, ös” dreier Orte 
die vektorielle Gleichung besteht: 


(103) dos’ —=nds + n”ds’ + (rön) + (r’ On”), 


wenn die beiden eingeklammerten Größen Verrückungen dieses Be- 
trages in Richtung der beiden Radienvektoren bedeuten. Hienach 
sind, wenn für n, n” bloß r, r” enthaltende Näherungsausdrücke (vgl. 
diesbez. Nr. 10) gesetzt werden, ös’° und dadurch auch do‘, ör' 
gegeben, da sich ös, ör und ös”, dr” unmittelbar durch do bzw. 60” 
ausdrücken lassen. Für eine zu verbessernde parabolische Bahn 
werden als zu korrigierende Bestimmungsstücke bei 0. Hornsteins'??) 
Methode des Übergangs von parabolischen auf nahe parabolische 


Bahnen das Verhältnis M = $ der den beiden festgehaltenen Orten 
zugehörigen geozentrischen Distanzen und der reziproke Wert der 


großen Halbachse « = — gewählt, und die Ausdrücke 06’, örT’ wie 


früher aus zwei speziellen Annahmen über dOM und da = = ge- 


wonnen. Aus den verbesserten Werten von M, a folgen dann o, 
eo” mittels eines unmittelbar aus der Olbersschen Methode durch Ein- 
führung der Lambertschen Relation an Stelle der Eulerschen hervor- 
gehenden Verfahrens, worauf aus den bekannt gewordenen zwei helio- 
zentrischen Orten die Elemente in verschiedener Weise gefunden 
werden können, je nachdem man hiebei auf den bekannten Wert 
von @ rekurriert oder nicht. Die Methode der Variation des Ver- 
hältnisses der geozentrischen Distanzen geht aus diesem Verfahren 
hervor, wenn auch die verbesserte Bahn als parabolisch vorausgesetzt, 
also an dem Werte «= 0 unverändert festgehalten wird. Die ana- 
lytischen Ausdrücke der Differentialquotienten gibt für letztere 
O. Leuschner'*). 








183) C. Hornstein, Wien Ber. 38 (1864); C. Hornstein, Astr. Nachr. 38 
(1854), p. 323. 
184) O. Leuschner, Berl. Diss. 1897. 


(Abgeschlossen im Dezember 1906.) 


VI 2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 427 


V12,10. DIE BESTIMMUNG DER METEOR- 
BAHNEN IM SONNENSYSTEM. 





Von 
G. v. NIESSL 
IN WIEN. 
Inhaltsübersicht. 
Literatur. 
Allgemeines. 


I. Ermittelung des Radiationspunktes und der geozentrischen Geschwindigkeit. 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Orten. 
a) Bestimmung des Endpunktes der Bahn. 
b) Bestimmung des scheinbaren Radianten. 
c) Lage der Bahn, Bahnlänge, Höhe des Aufleuchtens. 
d) Geozentrische Geschwindigkeit. 
e) Zenitattraktion. 
2. Einseitige Beobachtung verschiedener Körper desselben Stromes. 


II. Ableitung der Bahn im Sonnensystem. 


III. Beobachtungs- und Rechnungsergebnisse. 


1. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und der Rechnungsergebnisse. 

2. Ergebnisse für die Höhen des Aufleuchtens und der Hemmung, und ihre Be- 
ziehungen zu anderen Faktoren (Massen, Geschwindigkeit). Vergleich mit der 
Theorie des Luftwiderstands. 

3. Masse der Sternschnuppen. 

4. Durchschnittliche und außergewöhnliche Bahnlängen. 

5. Die heliozentrische Geschwindigkeit und Bahnform. 


Literatur. 


H. W. Brandes in J. F. Benzenberg: Über die Bestimmung der geographischen 
Längen durch Sternschnuppen. Hamburg 1802. (Methoden der Höhenbestim- 
mung von Brandes und Olbers.) 

— Unterhaltungen für Freunde der Physik und Astronomie. Leipzig 1826 u. f., 
dann in Gehlers phys. Wörterb. IV, 1827. 


428 VIa,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


A. Quetelet, Sur les &toiles filantes. Corresp. math&matique et physique. Brüssel 
T. IX, 1837. 

Fr. W. Bessel, Über Sternschnuppen. Astr. Nachr. 16 (1839), p. 321. 

A. Erman, Über die Sternschnuppen der Augustperiode ete. Astr. Nachr. 17 
(1840), p. 3. 

J. G. Grunert, Über eine geometrische Aufgabe. (Die Gleichung einer geraden 
Linie zu finden, welche vier gerade Linien im Raume, deren Gleichungen 
gegeben sind, schneidet. Mit Anwendung auf die Bestimmung der Cometen- 
bahnen.) Archiv Math. Phys. I. 1841. 

— Die verschiedenen Auflösungen des Sternschnuppen-Problems aus einem all- 
gemeinen Gesichtspunkte dargestellt. Arch. Math. Phys. 

J. C. Houzeau, Sur les &toiles filantes periodiques du ‚mois d’Aoüt etc. Me&m. 
de l’Acad. de Bruxelles. T. XVIII. 1844. 

F. Petit, Methode pour determiner la parallaxe et le mouvement des bolides. 
Mem. de l’Acad. de Toulouse V. 1849. 

— Recherches analytiques pour la trajectoire et la parallaxe des bolides. Paris 
C. R. 32 (1851). 

E. Heis, Die periodischen Sternschnuppen ete. Köln 1849. 

4A. Laussedat, Sur la methode employde pour determiner la trajectoire du bolide 
du 14. Mai 1864. Paris C. R. 58 (1864), p. 1222, 59 (1864), p. 74. 

A.S. Herschel, Method of determining the path of a meteor. Proceed. of the 
Brit. Meteorol. Soc. II. 1866. 

E. Weiß, Beiträge zur Kenntnis der Sternschnuppen. Wien Ber. 57 II (1868), 
p. 281 und 62 II (1870), p. 277, sowie Astr. Nachr. 72 (1868), p. 81 und 76 (1870), 
p. 194 (Weiß, Beiträge). 

J. V. Schiaparelli, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen. 
Autorisierte deutsche Ausgabe der Note e Riflessioni sulla teoria astronomica 
delle stelle cadenti von @. v. Boguslawski, Stettin 1871 (Schiaparelli). 

E. Reimann, Die Höhenbestimmung der Sternschnuppen. Breslau 1870. (Enthält 
u. a. eine kritische Darstellung der bis dahin bekannt gewordenen älteren 
Methoden.) 

J. G. Galle, Über die Berechnung der Bahnen heller, an vielen Orten beobachteter 
Meteore etc. Astr. Nachr. 83 (1874), p. 321. 

H. Bruns, Bemerkung über die Berechnung der Höhe von Sternschnuppen aus 
korrespondierenden Beobachtungen. Astr. Nachr. 84 (1874), p. 379. 

R. Lehmann Filhes, Zur Theorie der Sternschnuppen. Inaug. Dissert. Berlin 1878. 

— Über die Bestimmung des Radiationspunktes eines Sternschnuppenschwarms 
mit Hilfe eines neuen Meteoroskops. Astr. Nachr. 96 (1880) p. 241. 

— Die Bestimmung von Meteorbahnen nebst verwandten Aufgaben. Berlin 1883. 

@.v. Niepl, Theoretische Untersuchungen über die Verschiebungen der Radiations- 
punkte aufgelöster Meteorströme. Wien Ber. 83 (1881), p. 96. Dann des 
Verfassers zahlreiche Bestimmungen von Meteorbahnen, ebenda. 

K. Necker, Zur Ausgleichung von Massenbeobachtungen atmosphärischer Licht- 
erscheinungen. Inaug.-Dissertation. Wien 1894. 

E. Weiß, Höhenberechnung der Sternschnuppen Wien Denkschr. 1905. 

P. Moschick, Eine neue Methode zur Bahnbestimmung von Meteoren. Mitteilungen 
der Sternwarte zu Heidelberg V. Karlsruhe 1905. 

H. Rosenberg, Über eine Methode zur Bestimmung der Meteorbahnen. Astr. 
Nachr. 167 (1905). 


Allgemeines. 429 


Bibliographie. 
J. C. Houzeau — 4A. Lancaster, Bibliographie generale de l’Astronomie, tome II, 
Brüssel 1882, p. 714. 


Allgemeines. Die Bahnen der Körper, welche durch ihr Ein- 
dringen in die Atmosphäre Feuermeteore hervorrufen, haben im 
Sonnensystem planetarischen Charakter. Sie sind Kegelschnittslinien, 
in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet. Der durch die 
Beobachtungen nachgewiesene Teil derselben ist jedoch so klein, daß 
er selbst für die genauesten Bestimmungen nur geradlinig angenommen 
werden kann. Unregelmäßige Bewegungen, welche, durch besondere 
Gestalten dieser Körper bedingt, zuweilen vorkommen, bleiben hier 
außer Betracht. 

Für alle auf diese Weise sichtbar werdenden Bahnen ist die 
kleinste Entfernung vom Erdmittelpunkt, oder in geozentrischer Be- 
ziehung das Perigeum, im Vergleiche mit der Entfernung von der 
Sonne oder dem betreffenden Radiusvektor der Erdbahn verschwin- 
dend klein und gegen letzteren stets zu vernachlässigen. Es wird 
somit für die Fallepoche der heliozentrische Radiusvektor der Meteor- 
bahn als identisch mit dem der Erdbahn angenommen. Weil ferner 
aus demselben Grunde das Zusammentreffen mit der Erde als gleich- 
bedeutend mit dem Durchgange des Meteors durch den einen Bahn- 
knoten gelten kann, so findet man aus der Sonnenephemeride für das 
Falldatum direkt stets die Länge und den Radiusvektor eines Bahn- 
knotens. 

Die scheinbare Lage der Lichtbahn am Himmel hängt parallak- 
tisch mit der Lage des Beobachtungsortes zusammen. Sie wird daher 
für die näheren Bahnpunkte größere scheinbare Verschiebungen zeigen 
als für die entfernteren. Ein Punkt der geradlinigen Bahn oder ihrer 
Verlängerung nach rückwärts, welcher von allen Beobachtungsorten 
schon so weit entlegen ist, daß deren gegenseitige Entfernung nicht 
mehr in Betracht kommt, würde von allen Orten an derselben Stelle 
des Himmels gesehen werden. Dieser perspektivische Divergenzpunkt 
aller an den verschiedenen Erdorten statt der wahren Bahn aufgefaßten 
scheinbaren Bahnen ist der scheinbare Strahlungs- oder Radiations- 
punkt. Er bestimmt die geozentrische Richtung der nachgewiesenen 
geraden Bahnstrecke. Diese ist jedoch, abgesehen von der Wirkung 
der Erdschwere, welche leicht in Abrechnung gebracht wird, zu- 
sammengesetzt aus der Bewegung der Erde und aus der wahren 
heliozentrischen Meteorbewegung. Der projektivische Richtpunkt der 


430 VIa2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


letzteren am Himmel ist der wahre Radiationspunkt, welcher also die 
wahre Bahnrichtung am Knoten der Meteorbahn bestimmt. 

Da die Sonne sich in der Bahnebene des Meteors befinden muß, 
so ist diese bestimmt durch den Radiusvektor und die Bahnrichtung 
am Knoten, oder auf der Kugel durch den Großkreis, welcher den 
Ort der Sonne und den wahren Radianten enthält. 

Durch letzteren ist aber auch der Winkel, welchen die wahre 
Bahnrichtung mit dem Radiusvektor am Knoten bildet, gegeben, und 
es sind dann alle weiteren Bahnelemente nur mehr von der Ge- 
schwindigkeit in diesem Teile der Bahn abhängig, welche entweder 
aus den Beobachtungen abgeleitet wird, oder aus theoretischen Folge- 
rungen hervorgeht. 

Die vorliegende Aufgabe besteht demnach aus zwei voneinander 
ziemlich strenge gesonderten Teilen, von welchen gewissermaßen der 
erste die geozentrischen, der zweite die heliozentrischen Beziehungen 
behandelt. Diese sind: 


I. Die Ermittlung des Radiationspunktes und jener Größen, welche 
zur Abschätzung der relativen Geschwindigkeit nötig sind. 


II. Die Ableitung der Bahn im Sonnensystem. 

Hinsichtlich des ersten Teiles, welcher die schwierigeren und ver- 
wickelteren Arbeiten umfaßt, dessen Resultate aber zugleich auch für 
die Ergebnisse des zweiten ganz entscheidend sind, können die Aus- 
gangspunkte und Ziele verschieden sein. Die wichtigsten Fälle der 
Radiantenbestimmung sind folgende: 

1. Ermittlung der Bahnlage gegen die Erde und des Radianten 
durch mehrfache Beobachtungen desselben Meteors aus verschiedenen 
Erdorten (korrespondierende Beobachtungen im weitesten Sinne). 

2. Nachweisung des Radianten durch Beobachtung mehrerer zu 
demselben Radianten (Meteorstrom) gehörigen scheinbaren Bahnen aus 
einem Erdorte (einseitige Beobachtungen). 


I. Ermittlung des Radianten und der geozentrischen 
Geschwindigkeit. 


l. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 
Reichliche Erfahrungen lehren, daß, je nach der Lage der Bahn gegen 
die einzelnen Beobachtungsorte, der Anfang der wahrgenommenen 
leuchtenden Strecke (Aufleuchten) gewöhnlich nicht identisch auf- 
gefaßt wird, ja, daß in dieser Hinsicht Unterschiede bis zur Länge 
großer Bogen und, im linearen Maß, bis zu Hunderten von Kilo- 
metern vorkommen können. Ausgenommen hiervon sind die Fälle 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. © ’ 431 


mit" lang anhaltender,"scharf markierter ’Spur, wenn sich Beobach- 
tungen speziell auf diese‘ — "nicht auf die ganze’ Bahn '— ‘beziehen. 

In der Regel‘ darf die’ Ableitung der Bahn vonder‘ Annahme 
der Identität für die bezeichneten Aufleuchtungspunkte nicht ausgehen. 

‘Da die währe Bahn von’ der Geraden nicht merklich‘ abweicht, 
sö bestimmt sie mit dem Auge des Beobachters eine Ebene, welche im 
Sehnitt mit der gedachten Kugel einen größten Kreis liefert. Die'an 
verschiedenien Orten beobachteten „scheinbaren Bahnen“ können daher 
als Bogen’ größten Kreises’ betrachtet werden, welehe‘ in ihrer‘ Ver- 
längerung' nach rückwärts (nämlich entgegen dem Lauf‘ des Rn 
als’ Schnittpunkt den ‚scheinbaren Radianten“ bezeichnen. gsia 
'»Die Ermittlung dieses seheinbaren Strahlungspunktes kommt ‘also 
darauf hinaus, den einen Schnittpunkt (der’ andere ist ‘dann selbst- 
verständlich)‘ andlnfurbe durch’ die Beobachtung’ derselben Meteorbahn 
ah‘ verschiedenen ‚Orten gegebenen, nicht er ee Be 
Kreise zu bestimmen! | / 2 

Liegen nur zwei’ söoleher Balnbogen’ vor, so ist die Köshng rech- 
nerisch oder’ graphisch #0° einfach, daß’ sie einer‘ weiteren Rrörkerung 
hier nicht“bedarf.‘"Verwickelter wird’ die Aufgabe, wennviele. über- 
zählige Beobachtungen zu vereinigen sind; und doch ist es gerade 
zar Ermittlung’ der Bahtnverhältnisse ‘großer Feuerkugeln wie auch 
der Meteöriten,. für welche oft 'nur" minder "genaues, teilweise auch 
invollständiges Material’ zur‘ Verfügung steht, ‘besonders erwünscht,ja 
notwendig, eine große Überzahl von. Beobachtungen verwenden zu 
können." "Dies'sind"die' typischen Fälle, auf welehe sich nachstehende 
SELTENEN vörnehmlich beziehen. 

‘Die Stelle," an © weleher‘‘der'"planetarische Lauf 'eines. größeren. 
Meteors durch den" Widerstand ‘der "irdischen "Atmosphäre ‘gehemmt 
wird („Hemmüngspunkt“, „Endpunkt“. der Bahn) ist fast’ immer durch: 
besondere Erscheinungen so ausgezeichnet, daß’ über die Identität kin- 
sichtlich‘ dieses Punktes’ selten Zweifel bestehen. Gewöhnlich: ist''es 
auch der einzige‘ Bahnpunkt, von. dem dies mit. gleicher Wahrschein- 
lichkeit "angenommen "werden kann.‘ Überdies‘ ist in"Bezug auf 'den- 
selben 'die' nähere Verständigung ‘mit den Beobachtern ziemlich sicher: 
und "zuweilen ‘dessen Erforschung "auch dureh’ Schallwahrnehmung, 
wenn’ 'nieht'gar durch Auffindung' von 'Fallstücken: begünstigt. 

Die’ möglichst’ genaue Festlegung der Lage und Höhe des: End.) 
pünktes bildet daher‘ in’ der Regel eine sehr wichtige, manehmal' un- 
eiitbehrliche Grundlage aller weiteren Untersuchungen. © 

"Es hat zwar keine großen geometrischen Achwiorigcbibih, die 
Aufgabe allgemeiner so’zu lösen, daß die drei Raumkoordinaten des 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 29 


432 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Endpunktes zusammen mit den sphärischen Koordinaten des Radianten 
aus einem Ausgleichssystem hervorgehen. Allein eine solehe Lösung 
würde, abgesehen davon, daß sie sich äußerst langwierig und wenig 
lohnend gestaltet, nur selten zu brauchbaren Resultaten führen. Sie 
wird daher hier weiter nicht berücksichtigt, sondern es wird die Aus- 
mittlung des Endpunktes als wesentlichste Vorarbeit abgesondert er- 
örtert. 

a) Bestimmung der geographischen Koordinaten und der Höhe des 
Endpunktes. Aus guten Gründen wird auch bei dieser Aufgabe in 
der Regel eine Teilung nützlich sein, indem man vorerst die geo- 
graphische Lage und hierauf die lineare Höhe ermittelt. In einzelnen 
Fällen wird allerdings die allgemeine Behandlung notwendig oder 
doch zweckmäßig. Um alle drei Unbekannten zu bestimmen, müssen 
die Beobachtungen drei geeignete Stücke aus mindestens zwei Orten 
liefern, unter welchen sich ein Höhenwinkel (scheinbare Höhe) be- 
finden muß. Die beiden anderen können Richtungsangaben (Azimute) 
sein, und es ist meist zweckmäßig, wenn dies der Fall ist. Drei 
Azimute reichen offenbar nicht aus, um auch die lineare Höhe zu 
finden, wogegen die Aufgabe durch drei scheinbare Höhen im all- 
gemeinen bestimmt sein kann. Die Ausmittlung der geographischen 
Lage bloß durch die Parallaxe in Höhe wird sogar die einzig mög- 
liche, wenn die Azimutalparallaxe versagt, also z. B., wenn die Be- 
obachtungsorte zugleich mit dem Endpunkt nahezu in demselben 
Vertikalschnitt angeordnet sind. 

Zuweilen sind die beobachteten Höhen so unsicher, daß durch 
ihre Verbindung mit den Richtungsbeobachtungen das Resultat un- 
günstig beeinflußt wird. Hat man brauchbare Azimute bei aus- 
reichender Parallaxe, so ist es vorzuziehen, die Lage des Endpunktes 
aus diesen allein zu ermitteln, wobei völlig ausreichend dem Erd- 
sphäroid eine Kugel von entsprechendem Radius substituiert wird. 
Man kann sich mit Vorteil folgenden Näherungsverfahrens bedienen. 

An den Orten 0, @=1,2,3...n) der Erdoberfläche, bestimmt 
durch die geographischen Koordinaten L,, p, seien die Azimute A, 
des Endpunktes E (L,, p,) der Meteorbahn beobachtet worden. 

Nach irgend einem kurzen, auch graphischen Verfahren werden 
zunächst Näherungswerte Z,, 9, für Z,, p,, dann auch ein solcher H, 
für die lineare Höhe H, gesucht. Gewöhnlich ergeben sich diese 
schon sozusagen von selbst vor Beginn des eigentlichen Rechnungs- 
vorganges, da man beim allmählichen Einlangen der Beobachtungen 
über die Lage des Endpunktes sich ein beiläufiges Urteil bilden muß, 
um danach weiteren Nachforschungen nützliche Richtung zu geben. 


e 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 433 


In allen bedeutenderen Fällen, welche eine eingehendere rechnerische 
Behandlung verdienen, wird man über diese Größen beiläufig bald 
orientiert sein. 

Mit diesen Näherungswerten berechnet man nun genäherte Azi- 
mute von OÖ, gegen E, die hier mit A,, und auch die leicht hieraus 
zu findenden Gegenrichtungen E— O,, die mit A,, bezeichnet werden, 
ferner genäherte Distanzen O0, E oder die sphärischen Amplituden z, 
und beiläufige scheinbare Höhen h,,. Letztere beeinflussen diese Be- 
stimmung nur soweit, daß auch ganz rohe Näherungen genügen, wenn 
man die beobachteten Größen nicht verwenden will. 

Endlich sind die Zahlenwerte für alle Unterschiede 

4,. Tr A. = 0, 
zu bilden. Wird nun 


=bL+rAL, 9 —=Mt Am 
genommen, wobei also AL, und Ag, die zu bestimmenden Verbesse- 


rungen für die vorläufigen Koordinaten des Endpunktes bezeichnen, 
so erhält man aus der Gleichung 


tg p, cos 9, —= cotg A,,sin (L,— L,) + sin , cos (L,— L,) 
für die Fehlergleichungen im bekannten Sinne: 
() = 4t as + by, 


worin 
Se AL, 08 9, = Ay 








[ 0,= 0, cos h,,, 
cosh;, 
(2) Fe A; 
cosh,, . 
e = Bra sine, -sın A,= Fer a, tang Az 


Der allgemeine Faktor cos h,, ist um so notwendiger, je ungleicher 
die Entfernungen, also auch die h,, sind, weil die solchen Beobach- 
tungen gewöhnlich anhaftenden Richtungsfehler nicht eigentliche Azi- 
mutdifferenzen, sondern kleine sphärische Bogen sind, welchen je nach 
der Zenitdistanz sehr verschiedene Azimutwerte entsprechen. 

Aus den Gleichungen (1) gehen — eventuell unter Erteilung ver- 
schiedener Gewichte an die einzelnen Beobachtungen — nach der 
Methode der kleinsten Quadrate AL, und Ag,, also auch L, und g, 
mit ihren mittleren Fehlern hervor. 

Die endgültigen Azimute sind dann 

A.=A,+ vu, sech,.- 


29* 


434 Vla, 10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Fallen die ®, groß aus, so ist es zu empfehlen, die A,;, nochmals direkt 
aus dem endgültigen L,, @, zu berechnen. 

x und y erhält man selbstverständlich in der Einheit des Ab- 
solutgliedes o,. In dieser Hinsicht kann man je nach Umständen ver- 
schiedene Modifikationen bevorzugen. 

Bezeichnet u, den sphärischen Abstand des genäherten Endpunktes 
E,(Lg, Pu) von. der beobachteten durch A,, bezeichneten Richtung, so 

u; 
sine, B 





ist genähert: 0, — 


Wird dann gesetzt: 





+®) 


cos h;, 
ne; = YV), 
| cos A, = a, sin A, —b, 
so ist 
(4) Br V» (u, +.0,% + b,y) 


und Yy, ist ein Gewichtsfaktor für die ganze Gleichung. 

Wünscht man z. B. bei Abnahme aus. der Karte für u, als 
Einheit ein Längenmaß, welches dann auch für x und y gilt, wäh- 
rend die ® im Gradmaß hervorgehen sollen, daß also allenfalls die 
Einheiten 1 km und 1° (für die Azimute und Höhen) zu nehmen 
seien, so wird die frühere Gleichung für Yy; noch mit 





1 1 
ST tn 0.0089807 


zu multiplizieren sein, wenn der Erdradius R = 6380 km gesetzt wird. 


Es können dann, wie leicht einzusehen, auch die Koeffizienten a, 
und b, mit Vorteil graphisch abgenommen werden, namentlich, wenn 
die Beobachtungen nicht die äußersten rechnerischen Rücksichten ver- 
dienen. 

Findet man es rätlich, zur Bestimmung der Lage des Endpunktes 
(Z,, p,) auch die Parallaxe in Höhe einzubeziehen, was, wie schon er- 
wähnt, manchmal kaum zu vermeiden ist, so wird man den Näherungs- 
wert H, genauer aufzusuchen und die daraus für die vorläufigen Ent- 
fernungen D,, geltenden scheinbaren Höhen h,, sorgfältiger zu rechnen 
haben. 

Ist H,—=H,-+ AH,, femer AL, cos 9, —%, Ap—y, AH, —:z 
im Längenmaß, während die Verbesserungen der beobachteten Rich- 
tungen und der beobachteten Höhen h,, im Gradmaß hervorgehen 
sollen, und wird gesetzt: 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 435 


(tangh,, + sins,) cs, —=äK,, 








ik 
3 Ba we Vy,: coh,=#;; 
(8) han 
— FAK,sn A, = a, 
— F.R,cs A, —=b,, 

F, — (6, 


‘ i 

so sind die Fehlergleichungen 

(6) vn ty +byHt 62 

denjenigen beizufügen, welche man bloß aus den Richtungen erhalten 
hat. Hieraus ergeben sich wieder die Normalgleichungen und die Un- 
bekannten. 

Das Verfahren soll jedoch nur mit verläßlichen Höhen und dann 
angewendet werden, wenn solche aus Orten in der Nähe des End- 
punktes mit weiter entfernten zu verbinden wären. 

Soll die lineare Höhe des Endpunktes abgesondert, auf Grund der 
bereits endgültig ermittelten geographischen Lage desselben bestimmt 
werden, so pflegt man gewöhnlich die einzelnen, auf den verbesserten 
Endpunkt bezüglichen Entfernungen D,, mit den zugehörigen beob- 
achteten scheinbaren Höhen h,, zu verbinden, um Einzelwerte für ZZ, 
zu erhalten, aus welchen dann ein Mittelwert gebildet wird. Die Ent- 
fernungen brauchen, wenn sie in bezug auf den vorläufigen Endpunkt 
aus den früheren Arbeiten bekannt sind, nicht neuerdings berechnet 
zu werden, da sie aus den ermittelten Verbesserungen AL, cos p, und 
Ay, namentlich mit Hilfe der Azimute A,, leicht auf den definitiven 
Punkt L,,, ergänzt werden können, denn 


Da die Reduktion der Distanz auf die Sehne für derartige Höhen- 
bestimmungen meist überflüssig ist, kann man nehmen: 


sin (M Rn &) 
(7) HDi ee 
Wird h,—+ a — h; gesetzt, so gilt noch bis ungefähr 1000 km Ent- 
fernung die Näherung 


D. tg h’)2 
(8) m, Di täng hr Crew, 
für einige hundert Kilometer genügt auch das erste Glied. Die An- 


bringung ‚der Refraktion wird gegenüber den übrigen Unsicherheiten 


436 VIs,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


selten besondere Vorteile gewähren, doch kann sie bei besonders 
großen Entfernungen immerhin erfolgen. 

Wenn man bei Vereinigung der einzelnen Bestimmungen H, zu 
einem Mittelwert die Gewichte derselben berücksichtigen will, so muß 
man dabei mit Vorsicht die Gewichte der angewendeten beobachteten 
h, auch mit berücksichtigen, welche man gewöhnlich nicht ganz leicht 
abschätzen kann. 

Größere Unterschiede in den Seehöhen der einzelnen Beobach- 
tungsorte sind leicht anzubringen. 

b) Bestimmung des scheinbaren Radiationspunktes. Die hierzu brauch- 
baren Angaben können in verschiedener Form gegeben sein, nämlich: 

1) Koordinaten vom Anfang und Ende der scheinbaren Bahn 
(A, h oder «, Ö). 

2) Zwei andere Punkte der Bahn oder auch nur einer, wenn er 
dem, als bereits sichergestellt, vorausgesetzten Endpunkt nicht 
zu nahe liegt. Hierher gehört auch die Richtungsbezeichnung 
durch entferntere Sterne. 

3) Die scheinbare Neigung des Bahnteiles am Endpunkt gegen 
den Vertikal desselben, gewissermaßen der Positionswinkel 
gegen den Vertikal. Dieser kann auch für eine andere gut be- 
zeichnete Bahnstelle gegeben sein. Bei Bahnen, welche einen 
Kulminationspunkt zeigen, ist die scheinbare Höhe desselben 
oft ausreichend, minder das Azimut. Eine mehr als bei- 
läufige Angabe des scheinbaren Bahnknotens am Horizont 
(scheinbare Bewegungsrichtung gegen einen Horizontpunkt) 
ist zuweilen gut verwendbar. 

Auch die Benutzung der unter 3) angeführten Stücke setzt 
voraus, daß der Endpunkt bereits aus anderen bestimmt werden konnte. 
Sie sind zuweilen, namentlich bei sehr kurzen Bahnen, besser ver- 
wendbar als die Koordinaten für Anfang und Ende der Bahn. Gra- 
phische Beobachtungsskizzen sind in solchen Fällen stets eine er- 
wünschte Beigabe. 

Zunächst werden nun aus der bekannten Lage und Höhe des 
Endpunktes dessen scheinbare äquatoreale Koordinaten («,’, d,”) für 
die einzelnen Beobachtungsorte berechnet und im Falle 1) statt der 
beobachteten, im Falle 2) für den nicht bezeichneten Endpunkt ge- 
nommen. 

Auch in den unter 3) erwähnten Fällen dienen diese berechneten 
Koordinaten für den Anschluß der angegebenen scheinbaren Bahn- 
bogen. Ist nämlich N’ die in der unvollständigen Beobachtung an- 
gegebene Neigung der scheinbaren Bahn gegen den Vertikal des End- 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 437 


punktes (A,,h,) dagegen N die Neigung gegen den Horizont im 
scheinbaren Bahnknoten und A, das Azimut dieses Knotens, so ist 


cos N=sin N cosh,, 
(9) tang f = tang N’sin h,, 
4, En 2,8 r f; 


+ f, je nachdem die Bewegung des Meteors im Sinne der Zählung 
des Azimuts oder entgegengesetzt erfolgte. 

In ähnlicher Weise wird die Verbindung hergestellt, wenn der 
Winkel mit dem Vertikal an einem anderen Punkt des Bahnbogens, 
für den entweder Azimut oder Höhe oder Bogenabstand vom End- 
punkt mitgegeben sein muß, beobachtet wurde. 

In den Fällen 1) und 2) wird aus den Koordinaten «/, 6, und 
«&;', 6; der beiden gegebenen Bahnpunkte sodann für den hierdurch 
bestimmten Großkreis die Rektaszension «, des aufsteigenden äqua- 
torealen Knotens und die Neigung J gegen den Äquator gerechnet. 


tg f 
Mit er s wird 
‚ _.. __ssin(e’— eo‘) 
tg (a — 0) — 1—s cos (@”— «')? 


(10) ee re 


sin (@—a,) sin(e’—«,)? 








«, ist so zu nehmen, daß beide Gleichungen für J erfüllt sind. 

Diese Bestimmungen können mit Benutzung eines Kartennetzes 
gnonomischer Projektion, bei entsprechend großem Maßstab auch gra- 
phisch, rasch und hinreichend genau vorgenommen werden. 

Hiernach ergibt sich auch das Verfahren im Falle 3). Es wird 
also schließlich jeder Beobachtungsort, welcher brauchbare Angaben 
lieferte, einen durch «, und J mit der zugehörigen Bewegungsrichtung 
bestimmten Großkreis für die Ermittlung des Radianten darbieten. 
Wären diese scheinbaren Bahnen fehlerfrei, so müßten sie nach rück- 
wärts verlängert sich sämtlich im Radiationspunkt a, d schneiden, 
d. h. die Gleichung 


(11) sin (a — «,,) tang J, = tang d 


müßte dann für «=1,2,3...,n erfüllt werden. 

Da dies der Beobachtungsfehler wegen nicht der Fall ist, müssen 
an den beobachteten Bahnbogen die entsprechenden Verbesserungen 
angebracht werden. Abgesehen von einigen Ausnahmefällen wird 
dabei angenommen, daß die Koordinaten «”, ö” unverändert bleiben, 
daß also die Verbesserungen nur auf «’, ö’ (Anfangspunkt) oder auf 
«, und J entfallen, was durch eine Drehung um den scheinbaren End- 


438 VI, 10: @%.\Niessl. » Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


püunkto@’,ö” bewirkt wird, Diese Drehung, hätte (demnach )so ‚zu .er- 
folgen, daß für die nötigen ‚Verbesserungen: cos 9,,.A&, und-Ad, mit 
Rücksicht auf die etwaigen Gewichte 9; .. 
[p (Ad’?: eos?ö 4 A0"2)] — Minimum ) 
wird. 
Zu diesem Zweck wird wieder (wie bei der Ermittlung der geo- 
gräphischeh Koordinaten des Endpunktes)—— am einfachsten graphisch — 
ein vorläufiger Wert für a, d, welcher hier mit &,, d, bezeichnet ist, 
ahgenoimmen und der normale Abstand A, desselben von jedem schein- 
Bern Bahnbögen &,,, J, berechnet, oder’ auch graphisch entnommen. 
 Bezeichnet man 'A als positiv. wenn &,, d, \inherhalb des’ nörd- 
lichen Polraumes von «,; J,; liegt, so findet man holen Abstand, wenn 
er streng berechnet werden soll, aus“ En | Ä 


(12): sin A, = — c08 J; sin d, + sin 3. cos.d, sin ex — ee 


Da: nun ..die A;.die Widersprüche vorstellen „ 80.:sind ‚die: | Vierbesse- 
rungen Aa, cos d, und Ad, so zu bestimmen, daß. jene Null 
werden. tu 


Setzt man RE 
sin I Co8°’(a, — ,,) = 008 P,,| 
cos J, see.d 2 a 
(13) ER sın 25, 
Aa, co h=R%,,.Ad—=Y, 
‚sinA—=4, 


so bestäht die et 
(14) i Our Ayaricos Pj: 3 Juni Pig! 


A Um die Fehlergleichungen richtig anzusetzen, muß jedoch noch 
berücksichtigt werden, daß A,' die Verschiebung, welche der vorläufig 
angenommene Radiant Kadopis ‚müßte, um in den beobachteten Bahn- 
bogen zu kommen, keine beobachtete Größe ist, denn der durch die 
Drehung zu verbessernde Ort ist «', 0. BErchnet 4 die Verände- 
rung, welche ‘dieser dabei erleiden uf 3 A 


sind, RL sin 
ind OR nr) 


wenn die Bogenlänge von «', v bis , 2. mit 5 jene von 0: d bis 


0” mit 7 bezeichnet ap" 


‚ Der ‚Faktor be y3. ist daher als. Bewichtsfaktor u ganzen 


Gleichktingg anzuhängen.) Unterläßt' man dies, sö.wird..den kurzen Bahn- 
bogen, für welche: dieses’ ‚Sianswerhälinis. ein“ ee Baiteh ist, ein 
viel: zu,großes ‚Gewicht ‚beigelegt. t 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 439 


Ist die betreffende scheinbare Bahn nicht durch «‘, ‘6°, sondern 
durch die scheinbare Neigung am Endpunkt bezeichnet, so kommt 
man der richtigen Bewertung am nächsten, wenn man-sin?= 1 nimmt. 

Selbstverständlich ist überdies auch ‚noch in allen besonderen 
Fällen das etwa nachweisbare Gewicht der beobachteten Größe an- 
zubringen. 

Das: hier erörterte ‚Verfahren stützt sich, wie erwähnt, auf. die 
Voraussetzung, daß der Endpunkt sicher genug ermittelt wurde, um 
die aus demselben berechneten scheinbaren Positionen «;”, 0,’ auch 
bei: der Bestimmung des Radianten unverändert zu lassen. Wäre dies 
nicht zulässig, so müßte man die Gewichte: der einzelnen «;', 0,” aus 
den ‚mittleren Fehlern bei der Bestimmung. der Lage und Höhe des 
Endpunktes ableiten und dann auch das Gewicht für den ersten Punkt 
der. Bahn «,, ö;' abschätzen... Die Verbesserungen der beiden Punkte 
müssen dann den Gewichten pP’ und 9” verkehrt proportional be- 
stimmt: werden, d.h. die Drehung der: scheinbaren Bahn hat nicht 
um:.den ‘Punkt «”, 6”, sondern um jenen Bahnpunkt: zu erfolgen, 
welcher von diesem um die Größe ag .J und von «', d’ um ara 
absteht. Bezeichnet /” die sphärische Entfernung dieses Teilungs- 
punktes vom vorläufigen Radianten a,d,, so wäre der Faktor 


Pa: 
RR 2 
9 sin?” 


sin 


Kann oder will man den Endpunkt der Bahn gar nicht vorher 
bestimmen, so wird man in der Regel den beiden Punkten «’ö’ und 
in 

«”ö” gleiches Gewicht beimessen, so daß Yg — nv 
Ist der Radiant durch .die endgiltigen Koordinaten a, d bestimmt, 

so wird für jeden Beobachtungsort der Bogen von a, d bis «,”, 6,’ der 
Lage nach die verbesserte scheinbare Bahn bezeichnen. Die normale 
Projektion des Punktes «', 6’ auf diesen Bogen liefert einerseits die 
verbesserte scheinbare Bahnlänge, andererseits die auf die Bahnrichtung 
normale Komponente des Beobachtungsfehlers. Die in der Bahnrichtung 
gelegene ist selbstverständlich wegen der Ungleichheit der Auffassung 
unbestimmbar. Die nach. dieser Andeutung leicht vorzunehmende 
Verbesserung von «', Ö’ ist. jedoch nur dann notwendig, wenn die 


zu nehmen wäre.!) 


1) Über die Ermittlung des Radianten aus überzähligen Beobachtungen 
ohne vorhergegangene Endpunktbestimmung vgl. auch R. Lehmann-Filhes. Zur 
Theorie der Sternschnuppen. Berlin 1878. 


440 VI2,10. @.v. Niessi. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Angabe verläßlich genug ist, um sie noch zur Bestimmung der Auf- 
leuchtungshöhe und der reellen Bahnlänge zu verwenden. 


c) Lage der Bahn gegen die Erde; Bahnlänge; Höhe des Auf- 
leuchtens. Werden für den endgültig ermittelten Hemmungspunkt 
(L,, 9,) mit der diesem Meridian entsprechenden Fallzeit des Meteors 
aus den äquatorealen Koordinaten des definitiv bestimmten Radianten 
a, d die auf den Horizont des Hemmungspunktes bezogenen Werte 
für Azimut und Höhe des Radianten berechnet, so entspricht ersteres 
zugleich dem Azimut der linearen Meteorbahn und letztere der Neigung 
derselben gegen den Horizont des Endpunktes. Dem Azimut, welches 
die Projektion der Bahn auf die Erdoberfläche bezeichnet, kann man 
in der Karte oder rechnerisch diejenigen Orte entnehmen, über deren 
Scheitel das Meteor hingezogen, und die Neigung in Verbindung mit 
der Höhe des Endpunktes gibt die lineare Höhe, welche es an irgend 
einer Stelle dieser Bahn über der Erdoberfläche hatte. 


Man kann weder von der wirklichen Bahnlänge des Meteors in 
der Atmosphäre noch von der Höhe des Aufleuchtens im allgemeinen 
sprechen, weil, wie schon einmal erwähnt, die Beobachter sehr häufig 
verschiedene Bewegungsphasen auffassen. Da die linearen Bahnlängen 
in Verbindung mit den Dauerschätzungen ungefähr auf die geozen- 
trische Geschwindigkeit schließen lassen, so müssen die reellen Bahn- 
längen insbesondere für jene Beobachtungen ermittelt werden, welche 
auch Abschätzungen der Dauer liefern. Als Höhe des ersten Auf- 
leuchtens kann dann immerhin diejenige genommen werden, welche 
aus der längsten noch sicher ermittelten Bahn hervorgeht. 


Zur Bestimmung dieser Größen sind aber, sobald die oben er- 
wähnte Projektion der reellen Bahn auf die Erdoberfläche und die 
Neigung sichergestellt sind, alle Behelfe gegeben. Für jeden einzelnen 
Beobachtungsort wird nun die verbesserte Position «’, ö’ des frühest 
gesehenen Bahnpunktes in Betracht kommen. Das entsprechende 
Azimut liefert dann den Richtungseinschnitt in die Bahntrajektorie, 
woraus mit Benutzung der Bahnneigung gegen den Horizont sowohl 
die entsprechende Bahnlänge als auch die Höhe des Meteors über 
diesem Punkt sich ergibt. 

d) Geozentrische oder relative Geschwindigkeit. Sind L, und t, zu- 
sammengehörige Werte einer aus den Beobachtungen gerechneten 
wirklichen Bahnlänge und des durch Schätzung ermittelten Zeitinter- 
valles für die Zurücklegung derselben Strecke in Zeitsekunden, so ist 


1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 441 


der aus dieser Beobachtung hervorgehende Durchschnittswert der rela- 
tiven Geschwindigkeit des Meteors, behaftet namentlich mit der großen 
Unsicherheit, welche die Dauerschätzung fast unvermeidlich mit sich 
bringt. Ein Durchschnittswert, weil man annehmen muß, daß die 
Geschwindigkeit im Verlauf der Bewegung durch die atmosphärischen 
Schichten nicht völlig konstant geblieben sein kann. 

Liegen mehrfache, zusammengehörige Angaben Z,, #,, . . . vor, sO 
wird man sorgfältig zu erwägen haben, ob etwa eine einzige an- 
scheinend sehr verläßliche Schätzung von # mit dem dieser Beobach- 
tung entsprechenden Werte L allein beizubehalten oder ein Mittel 
abzuleiten wäre, immer nur im Hinblick auf Zusammengehöriges. Die 
aus dem frühesten Aufleuchten hervorgehende größte Bahnlänge mit 
dem Mittel aller Dauerschätzungen zu verbinden, was zuweilen ge- 
schieht, ist nicht zu empfehlen, weil unter diesen gewöhnlich viele 
Schätzungen vorkommen, die sich nur auf kürzere Bahnteile beziehen. 

Am besten ist es in der Regel, die Geschwindigkeit aus jedem 
Paare ZL, t für sich zu bestimmen und dann das Mittel mit oder ohne 
Rücksicht auf Gewichte zu nehmen. Die häufig vorkommenden starken 


Überschätzungen der Dauer — also stets einseitige Fehlerquellen — 
machen jedoch den Erfolg einer scharfen Gewichtsbemessung sehr oft 
fraglich. 


Findet sich in keiner Beobachtung die zur bezeichneten Bahn- 
länge gehörige Dauerschätzung, so mag etwa das Mittel sämtlicher 
L mit dem Mittel der £ verbunden werden. | 

Nicht selten liefern lange, größtenteils die höheren Schichten der 
Atmosphäre durchschneidende und auch schon in größerer Höhe 
endigende Bahnen wesentlich größere Werte für die Geschwindigkeit 
als solche, welche erst in den tieferen Schichten in geringer Länge 
nachgewiesen wurden. Die Beantwortung der Frage, ob solche Er- 
fahrungen den verzögernden Einfluß des Luftwiderstandes auch quan- 
titativ darstellen, oder mehr in der Überschätzung der Dauer be- 
gründet sind, durch welche bei kurzen Bahnen das Resultat merklicher 
entstellt wird als bei langen, bedarf noch weiterer Studien. Der Fall, 
daß sich einzelne Angaben der Beobachtungen mit Sicherheit auf be- 
sondere, bestimmt begrenzte höher oder tiefer gelegene Bahnteile be- 
ziehen, ist also immer sehr wichtig und deshalb für sich eingehender 
zu untersuchen. 

e) Zenitattraktion. Geschwindigkeit und Radiant sollen für die 
weitere planetarische Rechnung noch von dem Einflusse der Erdschwere, 
welche erstere vergrößert und letzteren dem Zenit näher bringt, be- 
freit werden. 


442 Vle2, 10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der. Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Ist z die Zenitdistanz des nachgewiesenen scheinbaren Radianten 
im Endpunkt L,9, und v’ die von der Erdschwere befreite relative 
oder geozentrische Geschwindigkeit, dann. 2’ die im selben Sinne ver- 
besserte Zenitdistanz, so wird?) (g Schwerebeschleunigung) 


v—=YVB°—2gR, 


worin, wenn alles in Kilometern gilt, 


2.9R>= 128.18, 
DE Be 
(18) tang —- ir tang an 
!=2+ Az. 


Das Azimut des Radianten erleidet hierdurch keine Änderung. 
Die äquatorealen Koordinaten des letzteren sind mit diesem und der 
verbesserten Zenitdistanz neuerdings zu rechnen. Wo sie im folgen- 
den für die Berechnung der planetarischen Bahn benutzt werden, sind 
sie nun mit a’, d’ bezeichnet. 

2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes aus 
einem Erdorte. Wenn mehrere, demselben Strahlungspunkte an- 
gehörige scheinbare Bahnen vorliegen, welche innerhalb eines nicht 
zu langen Intervalles nur an einem Orte beobachtet wurden, und 
wenn die während dieser Zeit eingetretenen Änderungen in den 
Koordinaten des Radianten unbedeutend sind?) oder berücksichtigt 
werden, können diese Koordinaten auch wieder nach dem Grundsatze 
bestimmt werden, daß sie den wahrscheinlichsten Schnittpunkt der be- 
treffenden größten Kreise bezeichnen. “Indessen hat man bei ein- 
seitigen Beobachtungen nie die volle Sicherheit, daß die in Betracht 
gezogenen Bahnen wirklich zum gleichen Strahlungspunkt gehören, wo- 
durch die Anwendung strengerer Methoden etwas an Wert verliert. 

Bei einseitigen Beobachtungen kann auch die geographische Lage 
und Höhe des Endpunktes irgend einer Bahn nicht angegeben werden. 


2) Schiaparelli p. 251 

3) Die Zenitattraktion bewirkt eine mehr oder weniger merkliche eben mit 
der Zenitdistanz zusammenhängende Änderung im Orte des Radianten. Bei 
Meteoren, welche die Erde mit geringer Geschwindigkeit treffen, kann diese 
immerhin recht merklich werden. Man sollte daher bei solchen Strömen (zu 
welchen u. a. die „Bieliden‘“ gehören) nur solche Beobachtungen in eine Be- 
stimmungsgruppe vereinigen, welche hinsichtlich der Zenitdistanz des Radianten 
nicht allzuweit auseinander liegen. Die mit der Sonnenlänge vor sich gehende 
Verschiebung bleibt aber zumeist für mehrere Tage innerhalb der Grenzen, 
welche durch die Beobachtungsfehler gezogen sind. Die Vereinigung von Be- 
obachtungen, welche sich auf mehrere Wochen erstrecken, wird in der Regel 
nur beiläufige Resultate liefern können. 


2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 443 


Es entfällt somit die im betreffenden Teile des vorigen Abschnittes 
erörterte Verbesserung der Endposition «”, 6”, welche also nur un- 
gefähr gleichwertig sein wird mit «, 6”. Demnach wird es nahe- 
liegend sein, die Verbesserungen gleichmäßig zu verteilen und die 
nötige Drehung des Bogens um die Bahnmitte vorzunehmen. Der 
Ag 

Faktor der Fehlergleichung wird also ——; sein, wenn F den Abstand 
der Bahnmitte vom vorläufigen Radianten bezeichnet. Sonst wird 
man das gleiche Verfahren wie dort anwenden können und zwar auch 
bei der in solchen Fällen gewöhnlich bevorzugten graphischen Be- 
stimmung durch die Eintragung in Kartennetze. 

R. Lehmann-Filhes*) erörtert die Methode, den scheinbaren Ra- 
dianten bei einseitigen Sternschnuppenbeobachtungen aus scheinbaren 
Bahnen abzuleiten, welche je durch einen beliebigen Punkt «, Ö der- 
selben und ihren Positionswinkel gegen den Deklinationskreis dieses 
Punktes bestimmt sind. Hat der Beobachter die Wahl dieses Punktes 
frei, so wird er ihn häufig durch die Nähe eines ihm bekannten 
Sternes sicherstellen können, und wenn die Aufmerksamkeit nicht all- 
zusehr durch die genaue Fixierung von Anfang und Ende der Bahn 
in Anspruch genommen ist, dürfte die Bahnrichtung, also auch der 
Positionswinkel vermutlich genauer erhalten werden als durch Fest- 
legung jener beiden Punkte, die bei einseitigen Beobachtungen nur 
beiläufig angedeutet zu werden brauchen, wenn man sie überhaupt 
berücksichtigen will. 

Die Gleichungen (14) bis (17) in welchen der Positionswinkel P 
am Stundenkreis des vorläufigen Radianten a,, d,, also nicht der in 
einem beliebigen anderen Bahnpunkte «, ö bestimmte, vorkommt, lassen 
sich ganz leicht auf diese Art der Lösung anwenden. 

Bezeichnet W den in «, ö bestimmten Positionswinkel, wo diese 
Koordinaten also bezeichnet sein müssen, so ergibt sich sofort «, aus 


( tang (« — «,) = tang W sin ö 
(19) ünd. sit = — z sin W, 
0 


08 (A, — &) 





cos P = cosW. 





v c08 (8 — @,) 


Setzt man diese Werte in die erwähnten Gleichungen, so sind sie für 
die vorstehende Lösung modifiziert. 
Endlich mag noch erwähnt werden, daß bei: einseitigen Beob- 


4) R. Lehmann-Filhes, Astr. Nachr. 96 (1880) p. 241. 


444 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


achtungen die Zenitattraktion für die Verbesserung des Radianten nur 
hypothetisch bestimmt werden kann, denn man muß dazu das Zenit 
des Bahnendpunktes, der unbekannt ist und die relative Geschwindig- 
keit kennen. Für den letzteren kann der Beobachtungsort genommen 
werden, woraus große Fehler nicht entstehen können. Statt der un- 
bekannten Geschwindigkeit wird gewöhnlich die aus der parabolischen 
Bahn sich ergebende geozentrische Geschwindigkeit genommen. 


II, Ableitung der Bahn im Sonnensystem. 


Die von der Zenitattraktion befreiten Koordinaten des schein- 
baren Radianten a’, d’ sollen in der Beziehung auf die Ekliptik mit 
%, ß' bezeichnet werden. Diese und die geozentrische (relative) Ge- 
schwindigkeit v’ entstehen durch die Zusammensetzung der helio- 
zentrischen Bewegung des Meteors mit der Geschwindigkeit v aus der 
durch die analogen Koordinaten A, ß bezeichneten Richtung mit der 
Größe und Richtung der heliozentrischen Erdbewegung am Knoten 
der Meteorbahn. A, ß bestimmen den wahren Radiationspunkt und v 
ist die heliozentrische Geschwindigkeit an dieser Stelle. Der viel zu 
unbedeutende Einfluß der Erdrotation kann hier außer Betracht bleiben. 

Als Einheit zur Bezeichnung von v und v’ soll nun wie üblich, 
wenn nichts anderes bemerkt ist, die Geschwindigkeit der Erde in 
der mittleren Entfernung von der Sonne genommen werden. Die in 
Kilometern ausgedrückten Größen werden auf diese Einheit hinreichend 
genau zurückgeführt, indem man durch 29.59 dividiert. 

Für den Radiusvektor, oder die Entfernung der Erde von der 
Sonne, gilt als Einheit die mittlere Entfernung oder die große Halb- 
achse der Erdbahn. Für jene Stelle der Erdbahn, an welcher die 
Sonnenlänge © ist, beträgt die zugehörige Entfernung in dieser Einheit: 

r=1-+ec0o(® — I. 
Hierin kann noch für lange Zeit hinreichend e’—= 0.01676 und, wenn 
T die Jahreszahl bezeichnet, 
II = 101° 12.8’ + 1.03’ (7 — 1900) 
genommen werden. Übrigens ist r für alle Tage in jedem astrono- 
mischen Jahrbuch gegeben. 


Bezeichnet © die Länge der Normalenrichtung an dem Punkt 
der Erdbahn, für welchen die Sonnenlänge ® beträgt, so ist 


O-©+ ,sin ©- M=-©+576-sin(@ —M 


und demnach ist die Länge des in der Ekliptik liegenden jedesmaligen 
Zielpunktes oder Apex der Erdbewegung = ®& — 90°. 





2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 445 
Endlich ist die heliozentrische Geschwindigkeit der Erde in der 


Entfernung r von der Sonne gegeben durch > —1. 





Zwischen A’, ß, v’ und A, ß, v bestehen die drei Gleichungen: 


v cos ß sin (®’ — A) = v’ cos P’ sin (®’ — A) — Ye —1, 
(20) | v cos ß cos (©’ — A) = v’ cos P’ cos (O’ — A), 

v sin ß —=v sin), 
woraus man A, ß und v findet. 


Will man allein die Größe der heliozentrischen Geschwindigkeit 
kennen lernen, so erhält man hieraus 


21) !=V"+ (; _ 1) — 2 V — 1: cos f’ sin (© — 4) 
und die halbe große Achse der betreffenden Meteorbahn 
r 
(22) ad = RR Di 
Diese Bahn ist also eine Ellipse oder eine Hyperbel, je nachdem «@ 
positiv oder negativ ausfällt, je nachdem v? s- ist. 


Der Parabel für = ®© entspricht daher der besondere Grenz- 


eAle=-. 
- 


Zuweilen wird aus der periodischen Wiederkehr besonders reich- 
lich auftretender Meteore eines bekannten Radianten A’, ’ (z. B. der 
„Leoniden“) auf die Umlaufszeit U eines dichtern Meteorschwarmes 
geschlossen und diese danach als gegeben betrachtet. Um die übrigen 
Bahnelemente in einem solchen Falle zu berechnen, erhält man 


(23) a= U 


und hiernach auch v. Dann liefern die drei Gleichungen (20) v’, A 
und ß, aus welchen die Bahnelemente des Stromes nach dem Folgen- 
den abgeleitet werden können. 

Bezeichnen: i die Neigung der heliozentrischen Meteorbahn gegen 
die Ekliptik, r den Winkel der Tangente an diese Bahn mit dem 
Radiusvektor r der Erdbahn im Knoten der Meteorbahn, p den halben 
Parameter, e die Exzentrizität, q die Periheldistanz derselben und w 
deren wahre Anomalie für den Radiusvektor r, so erhält man diese 
Größen aus nachstehenden Gleichungen: 


| sinisinr= sin ß, 
(24) cosisint = — cos ß sin (O — A), 
co T—= — cos ß cos (OÖ — A), 


446 VI», 10. @.v. Niessl.' Die Bestimmung der Meteorbalinen im Sonnensystem. 


( p=rv%sindr, 
ee a 4 2 SR1OT 7 Rn 
(25) } Ka er ee e), 
ERS 3 | 
DU Ei 








e 


Wegen Ermittlung der weiteren Elemente kann auf die Bahn- 
berechnung der Kometen und ‘Planeten verwiesen werden, da nun- 
mehr alle hierzu nötigen Stücke gegeben sind, Die: Größen i und r 
müssen stets. in gegenseitiger Beziehung gezählt werden. Rechnet 
man r von der gegen 180 + ®  hinausgehenden. Verlängerung des 
Radiusvektor r gegen die Sonne hin stets nur im 1. oder 2. Qua- 
dranten, so erhält sin { immer das Vorzeichen von sin ß.' Für'nörd- 
liche Radianten. ist daher der betreffende Knoten stets der absteigende 
und es ist dann = ®. Die Bewegung ist unter dieser Voraussetzung 
(nämlich für positive ß) recht- oder rückläufig, je nachdem i im 
1. oder 2. Quadranten liegt. Für Radianten in südlicher Breite wird 
%&—=180+ © und die Bewegung recht- oder rückläufig, je nachdem 
‘ aus den Gleichungen im, 3. oder 4. Quadranten hervorgeht. ‚Bei 
der späteren Darstellung der Elemente wird aber ö. für ‚den betreffen- 
den aufsteigenden Knoten mit dem Beisatze recht- oder: rückläufig 
angegeben. | 


Da für eine erhebliche Anzahl großer (auch sogenannter deto- 
nierender und. selbst auch mit dem Niederfallen von Massen verbun- 
dener) Meteorerscheinungen durch sorgfältige Benutzung des Beobach- 
tungsmaterials festgestellt ist, daß deren heliozentrische Geschwindigkeit 
v die oben bezeichnete parabolische Grenze wesentlich überschreitet, 
so daß @ negativ, e>1, die heliozentrische Bahn demnach eine aus- 
gesprochene Hyperbel darstellt, welehe schon der Lage nach unmög- 
lich im Sonnensystem erzeugt worden sein konnte, so muß angenommen 
werden, daß solche Körper aus dem Weltraum in. das Sonnensystem 
eingedrungen sind. 

Körper, welche im. Weltraume nahezu parallele Bahnen: in großen 
lateralen. Abständen mit identischer Geschwindigkeit beschreiben, also 
gleichsam einem siderischen. Strome von bedeutender Ausdehnung an- 
gehören, können die Erdbahn in. so verschiedenen Knotenlängen treffen, 
daß außer «, welches von der ursprünglichen kosmischen Geschwindig- 
keit abhängt, alle anderen gleichnamigen Bahnelemente und danach 
auch die Koordinaten der scheinbaren Radianten gänzlich verschieden 
ausfallen können. 

Was unter ‚solehen Umständen eine Vergleichung verschiedener 


2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 447 


Fälle ermöglicht, ist nicht der Komplex jener Elemente, welche für die 
Bahnen der Planeten und Kometen charakteristisch sind, sondern nach 
dem hier Gesagten ausschließlich die Größe und Richtung der Be- 
wegung für so große Werte des Radiusvektor o, gegen welche selbst 
r nahezu als verschwindend klein angesehen werden kann. Da ein 
solcher Bahnteil der Asymptote sehr nahe kommt, kann man für diese 
Entfernung og = © nehmen. 

Der Richtpunkt dieser Asymptote an der scheinbaren Himmels- 
kugel, dessen Länge und Breite hier /, b heißen sollen, kann als der 
siderische oder kosmische Ausgangspunkt des Meteors bezeichnet werden. 
Die Bestimmung desselben, für verschiedene Annahmen von @(v), bei 
gegebenem Strahlungspunkt A’f’, ist hinsichtlich der hyperbolischen 
Meteore eigentlich das wichtigste Ziel. 

Ist w’ die wahre Anomalie der Meteorbahn für den Radiusvektor 
e=® und 6 der Winkel, welchen die Riehtung der Asymptote 
(aus dem Punkt /, b) mit dem Radiusvektor r am Bahnknoten der 
Erdbahn bildet, völlig in analoger Zählung und Bedeutung wie r, so 
erhält man 





(26) cos = —-, oc=w—w, 
oder, wenn 
%) Vers" 

6 m sin t 
(28) tang Benin 1-+m cost ) 
für umgekehrte Bestimmungen bequemer, auch 
(29) cos (dr — a) Zee 
l, b erhält man dann aus: 

sin (O — !) cosb = — sin 0 c0si, 

(30) cos (O — P) eosb = — cos 6, 


sin b = sin 6 sin i. 
Die Geschwindigkeit für den Eintritt in das Sonnensystem 
(e = ®) gibt 


on et 


Für parabolische Bahnen wäre rv — 2—=(, also = x, hier- 
nach: 
p= 2r sin?r, e=1 w= 180°— 2r, 


(32) = rn =rsin?r, w = 180°, 


eo 2r, v0 z=10! oO +w. 


Encyklop. d math. Wissensch. VI 2. 30 


448 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Es kann zuweilen von großem Interesse sein, die Aufgabe in um- 
gekehrter Ordnung zu lösen, d h. also den scheinbaren Radianten 
4',ß' für einen bestimmten Tag des Jahres (©) zu bestimmen, wenn 
als gegeben vorausgesetzt werden: 

a) die nötigen Elemente der elliptischen Meteorbahn, oder 

b) das parabolische Aphel durch /, b oder endlich 

c) der hyperbolische kosmische Ausgangspunkt, auch wieder 

durch /, b mit vo, oder v. 

Es ist dann nach dem Früheren bei den elliptischen Bahnen «a, 
wenn nicht ohnehin direkt durch das Elementensystem, durch die 
Umlaufszeit U, bei den hyperbolischen durch die Gleichungen (31) 
oder (22) gegeben. 

Ferner 


(33) eye 


Unter den elliptischen Elementen sind auch e? und i gegeben. 
Man kann also berechnen: 


(34) p=al—e), sinr= Te. 


rv? 
dann aus System (24) den Ort A,ß des wahren und aus (20) A, ß',v 
für den scheinbaren Radianten. Die Zenitattraktion kann nur für eine 
bestimmte Polhöhe und Sternzeit angebracht werden. 

Bei hyperbolischen Bahnen ist in der Gleichung für v @ negativ, 
bei parabolischen unendlich zu nehmen. 

Das System (30) liefert mit ©, Z und 5, dann i und o, ferner 
erhält man aus (29) r, aus (24) A,ß und zuletzt auch wieder 4’, ß’ 
und v. 

Gleichung (29) liefert für jede Ausgangsrichtung /,b ein zusammen- 
gehöriges Radiantenpaar. Umgekehrt gibt es daher auch für jede © 
stets zwei zusammengehörige und mit einem 1,b konjugierte scheinbare 
Radianten an weit voneinander entfernten Stellen des scheinbaren 
Himmelsgewölbes. Man findet beide leicht, wenn man bedenkt, daß 
cos (2r — 6) auch bei feststehendem Vorzeichen stets zweierlei Werte 
für 27 — o, also für ein bestimmtes 6 zweierlei r, entsprechend den 
in jeder Ebene und für identischen Brennpunkt möglichen Hyperbeln, 
welche nach einer Seite hin parallele Asymptoten besitzen. Dabei ist 
die eine Bahn rechtläufig, die andere rückläufig, und ihre Perihele 
liegen auf entgegengesetzten Seiten des Radiusvektor. Da eine der 
beiden Periheldistanzen gewöhnlich sehr klein ist, fällt der zugehörige 
Radiant meist noch in den vom Sonnenlicht beherrschten Himmels- 
raum. Für die parabolischen Bahnen müßten die wahren Orte der 


2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 449 


beiden zusammengehörigen Radianten einander diametral gegenüber 
liegen. 

Die im vorstehenden angegebenen Ausdrücke für die Bahn- 
bestimmung gehen bei dem gegenwärtigen Stande der Beobachtungs- 
technik hinsichtlich der rechnerischen Genauigkeit über das erforder- 
liche Maß hinaus. Sie werden daher zweckmäßig nur dann anzuwenden 
sein, wenn es sich um die Weiterentwicklung von bestimmten theo- 
retischen Annahmen handelt. Bei der Verwertung von Beobachtungen 
‘ aber wird man schneller und doch ohne merklichen Genauigkeits- 
verlust ans Ziel gelangen, wenn man überall hinsichtlich der Erdbahn 
e=(0, r=1, © = © und auch die Geschwindigkeit der Erde durch- 
weg = 1, kurz die Erdbahn als kreisförmig nimmt. 

Es ist leicht, die vorhin angeführten Ausdrücke durch diese 
Substitutionen zu vereinfachen, nur wäre zu erwähnen, daß es nicht 
notwendig ist, den wahren Radianten aufzusuchen, wenn man auf 
dem kürzesten Wege zu den gewöhnlichen Elementen gelangen will. 

Man rechnet nämlich 

@=v?-+1— 2v cos fsin (@ — A), 
(85) 


don e cos ß’ cos (O — 4), 
sini—= — tang ß’ cotg r see (© — A), 
(36) 1+veosrtang (@—A) 





cost — : 
vsınr 


Das Weitere ergibt sich durch die angeführte Substitution in die 
bekannten Formeln. 
Für die Bestimmung des siderischen Ausgangspunktes /, b wird 


m sin t 
© 1-+mcost’ 


. ® 6 
mit — me Mm  „‚tang 


(37) vv’— 2 
_2+(@?— 2) cos o 


cos (2T— 6) = s 








worauf man aus System (30) Z und 5 findet. Die Geschwindigkeit 
für = © wird, =Vv! — 2. 

Die Vereinfachung der umgekehrten Aufgabe, aus /!, b den Ra- 
dianten A’, 8’ zu finden, bedarf hiernach keiner weiteren Ausführung. 
Rechnungsergebnisse für die Bahnelemente aus der den ‚Beobachtungen 
entnommenen Geschwindigkeit sind fast wertlos, weil die Grundlage 
für diesen Zweck zu unsicher ist. Die möglichst sorgfältige Ableitung 
der Geschwindigkeit ist allerdings sehr wichtig, um wenigstens den 
Grad der Wahrscheinlichkeit kenntlich zu machen, daß die betreffende 


planetarische Bahn von der Parabel nach der einen oder anderen 
30* 


450 VIs»,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Seite abweicht. Die Berechnung der Elemente jedoch, wenn man 
sich damit befassen will, soll mit verschiedenen angenommenen, zweck- 
mäßig gewählten Werten für die Geschwindigkeit durchgeführt werden, 
wodurch die Gesamtergebnisse zur Vergleichung mit anderen Fällen 
anschaulicher gestaltet werden. 


III. Beobachtungs- und Rechnungsergebnisse aus Meteor- 
beobachtungen. 


1. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und der Rech- 
nungsergebnisse. 


a) Am End- oder Hemmungspunkt der Bahn. Der mittlere Fehler 
einer Richtung (eines Azimuts) ergab sich im Durchschnitt aus 351 
benutzten Beobachtungen zu + 5.8°. 


Die Feststellungen erfolgten nur in 12%, durch sogleiche Be- 
ziehung auf Gestirne, in etwa 20°/, auf Grund späterer Messungen, in 
den übrigen Fällen durch Bezeichnung irdischer Objekte der Um- 
gebung nach Plänen und Karten usw. 


Der mittlere Fehler einer Bezeichnung der scheinbaren Höhe oder 
Zenitdistanz kann aus 235 Angaben zu + 4.1° angenommen werden. 
Es wurden in der Regel nur Beziehungen auf Gestirne oder doch 
nachträgliche Messungen berücksichtigt. Rohe „Abschätzungen“ liefern 
bekanntlich fast immer viel zu große scheinbare Höhen. Wo solche 
ausnahmsweise in Verwendung kamen, wurden sie in der Regel auf 
2/, bis °/, des angegebenen Betrages reduziert. 


Die Azimute, bei welchen solche einseitige Fehler minder zu be- 
sorgen sind, wurden nicht so streng gesichtet, was auch an dem 
größeren mittleren Fehler einer Beobachtung zu erkennen ist. 


Der mittlere Fehler in der Bestimmung der geographischen Lage 
des Endpunktes ergab sich aus 42 Fällen zu + 8.3 km. Die besten 
Bestimmungen blieben noch bis 31,—4 km ungenau. Der mitt- 
lere Fehler der abgeleiteten linearen Höhen beträgt durchschnittlich 
+ 3.4 km. 


b) Am Anfangspunkt der beobachteten Bahn. Die Umstände der 
Beobachtungen verursachen es, daß ein Meteor von mehreren Beob- 
achtern an ganz verschiedenen Stellen seiner Bahn zuerst aufgefaßt 
werden kann. Dies sind Unterschiede, welche ganz und gar nicht 
den Charakter von Beobachtungsfehlern tragen. Als solche können 
nur die transversalen Abweichungen von der verbesserten scheinbaren 
Bahn betrachtet werden. 


1. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und der Rechnungsergebnisse. 451 


Diese betrugen für den Anfangspunkt aus 217 Angaben im 
Mittel + 4.2, Sie wurden in ähnlicher Weise wie für den Endpunkt 
erhalten, jedoch gröbere Angaben häufiger als dort ausgeschlossen. 


Bei Beziehungen auf Gestirne, wenn sie sogleich nach der Beob- 
achtung hergestellt wurden, ergab sich der mittlere Fehler einer 
solchen für den Anfangs- oder Endpunkt im Durchschnitt zu + 31,0 


c) Schätzungen der scheinbaren Neigung der beobachteten Lichtbahn 
wiesen in 250 benutzten Fällen durchschnittlich einen mittleren Fehler 
von + 6.5° auf. Solche Schätzungen bezogen sich gewöhnlich auf 
den Vertikal des gesehenen Endpunktes oder eines sonst bezeichneten 
Bahnpunktes und wurden zumeist durch graphische Skizzen geliefert. 
Radianten, welche nicht weit über dem Horizonte liegen, werden ge- 
wöhnlich nur durch einen geringen Teil dieser Unsicherheit beeinflußt. 


d) Erreichte Genauigkeit in der Ableitung der Radianten. _ Bei 43 
verläßlichen Bestimmungen von Radianten großer, zumeist detonie- 
render Feuerkugeln aus 537 scheinbaren Bahnen (also durchschnitt- 
lich aus 12—13 Beobachtungen für je einen Fall) stellte sich der 
mittlere Fehler in der Lage dieses Punktes am Himmel im Durch- 
schnitt auf + 3.3°. 


Die Anzahl der in den einzelnen Fällen verwendbaren Bahn- 
bogen war aber sehr ungleich und betrug manchmal über 40, aber 
oft auch nur 3—4. 


Gegenwärtig sind mehr als 420 Feuerkugel-Radianten nachge- 
wiesen, von welchen jedoch ungefähr 30%, mit anderen identisch sein 
dürften. Viel größer ist die Anzahl der in den letzten Katalogen 
verzeichneten Radianten von Sternschnuppen. Denning?) führt aus 
der betreffenden Literatur, sowie nach eigenen Beobachtungen 4367 
solcher Strahlungspunkte an, von denen indessen wahrscheinlich mehr 
als die Hälfte mit andern zusammenfällt. 


Wenn er dabei®) bemerkt, daß durchschnittlich in jeder Nacht 
mehr als 50 Radianten wirksam sind, so ist dies sicher richtig, nur 
können wegen zu geringer Frequenz an einzelnen Meteoren viele davon 
nicht jedesmal am selben Ort und in jedem Jahre nachgewiesen werden. 


Die reichen Sternschnuppen-Ströme liefern so viel Beobachtungs- 
material, daß ihre Radiationspunkte zumeist genauer als jene der 
Feuerkugeln bestimmt werden konnten, wie nachstehende Beispiele, 
in welchen die mittlern Fehler angesetzt sind, zeigen: 


5) W. F. Denning, General-Catalog (1899). 
6) W. F. Denning, Ebenda p. 203. 


452 VIa, 10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Ort des scheinb. Radianten: 


. Rectase. Deelinat. Maximum 
Leoniden 150.1° (+ 0.3%) + 23.0° (+ 0.2°) November 14 
Perseiden 44.0 — + 56.9 — August 10 
Lyriden 271.5° (+ 0.79) + 33.4 (+ 0.49%) April 20 
Andromediden 23.8° (+ 0.9%) + 44.0° (+ 0.2°) November 25—28 
Quadrantiden 230.9° (+ 0.7°%) + 51.3° (+ 0.4°%) Jänner 2 


Geminiden 108.3° (+ 0.5%) + 33.6° (+ 0.4%) Dezember 10—12 
oa | 89.7° (+ 0,5%) + 15.6° (+ 0.3%) Oktober 10—16 
91.5°(+03%) + 15.7° (+ 0.53%) Oktober 16-—22 
für die „Perseiden“ glaubt Denning‘) die Wirksamkeit von Juli 11 
bis August 19 annehmen zu sollen, wobei der Radiant eine Ver- 
schiebung von « = 11.5° ö = 47.7° bis « = 56.6° d = 59.1? erfährt. 
Alle diese Ströme führen längs ihrer ganzen bisher bekannt 
gewordenen Bahnen mehr oder weniger dicht verbreitete Partikel, 
aber nur die „Leoniden“ überdies einen in sichergestellter Periode 
von 33'/, Jahren zur Sonnennähe wiederkehrenden besonders reichen 
Schwarm. 


2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hem- 
mung, und ihre Beziehungen zu anderen Faktoren. In dieser Hin- 
sicht muß unterschieden werden zwischen den kleineren Erscheinungen, 
welche man gewöhnlich als „Sternschnuppen“ bezeichnet, und den 
großen Meteoren, die als „Feuerkugeln“ häufig mit außerordentlicher 
Lichtentwicklung, oft auch bedeutenden Schallimpulsen, zuweilen nach- 
weisbar von Meteoritenfällen gefolgt, ihren Lauf in der Atmosphäre 
beschließen. 

Hinsichtlich der Sternschnuppen des sogenannten Perseidenstroms 
im August fand Weiß®) in Wien aus der Bearbeitung von 49 ver- 
läßlichen korrespondierenden Beobachtungen als Mittelwerte für die 
Höhen: 

Beim Aufleuchten: 115 km, 
„ Brlöchn: 88 „. 

Unabhängig davon wurden von H. A. Newton?) ebenfalls für die 

„Perseiden“ aus 39 Beobachtungen durchschnittlich folgende Höhen- 


mittel abgeleitet: 
Beim Aufleuchten: 112 km, 


„»..: Brlöschen:: 90. .,.» 
Eine vortreffliche Übereinstimmung. 


7) W. F. Denning, Astr. Nachr. 148 (1899) p. 283. 
8) E. Weiß, Wien. Ber. 1868. 
9) H. A. Newton, American Journal of Science and Arts. 2. Serie. 40. 


2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung. 453 


Für die Sternschnuppen der „Leoniden“ im November dagegen 

berechnete Newton!®) aus 78 Bestimmungen die Höhenmittel: 
Für das Aufleuchten: 155 ku, 
» 2» ° Brlöschen: 738, . 

Danach liegt für diese durchschnittlich die ganze Lichtbahn höher 
als für die „Perseiden“, was offenbar damit zusammenhängt (s. unten), 
daß die „Leoniden“ mit rund 70 km und die „Perseiden“ nur mit 
60 km relativer Geschwindigkeit in die Atmosphäre eintreten. Übri- 
gens scheinen die Massen des Novemberstroms auch chemisch beson- 
ders charakterisiert zu sein.'!) 

159 Höhenbestimmungen von Sternschnuppen (5. bis 1. Größe) 
der verschiedensten Radianten'?), wobei also auch geringere Geschwin- 
digkeiten vertreten sind, geben im Durchschnitt 

für das Aufleuchten: 108.5 km, 

»  » Erlöschen: 86,3% , 
also eine nur geringe Abweichung von den für die „Perseiden“ er- 
langten Resultaten. 

Für die großen Meteore, einschließlich jener mit Detonationen 
und Meteoritenfällen, fand ich aus besonders sichern Bestimmungen 
ohne Auswahl der größten Erscheinungen: 

für das Aufleuchten (121 Fälle): 138.6 km, 
eher I u )EAOT 2. 

Diese Zusammenstellung zeigt, insbesondere wegen der vergleichs- 
weise geringern Höhe des Hemmungspunktes, also des tieferen Ein- 
dringens in die Atmosphäre, den Einfluß größerer Massen. Dieser 
drückt sich noch deutlicher aus bei weitergehender Unterscheidung. 
Ich fand!?) die Höhe des Hemmungspunktes im Durchschnitte: 

für 147 Feuerkugeln ohne Detonation: 60 km, 
57 detonierende Meteore: BEN, 
„ 16 Meteoritenfälle: pe 

Hiernach dürfte es wohl begründet sein, diese verschiedenen 
Typen durch graduelle Massenunterschiede zu erklären, da größere 
Massen einen relativ geringeren Widerstand in der Atmosphäre er- 
fahren und daher tiefer herabsteigen können als die kleineren. 

10) H. A. Newton, Ebenda. 

11) Die „Leoniden“ liefern unter allen Sternschnuppen die meisten lange 
nachleuchtenden Rückstände in der Atmosphäre. 

12) Memoirs of the British Astronomical Association. Bd. 9, 12. Part. 1 
(1900—1903). 

13) @.v. Niessl, Über die Periheldistanzen und andere Bahnelemente jener 


Meteoriten, deren Fallerscheinungen mit einiger Sicherheit beobachtet werden 
konnten. Brünn 1891. 


” 


454 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Noch wichtiger sind die Beziehungen der Höhen des Endpunktes 
zu den Werten der geozentrischen Geschwindigkeiten, welche man aus 
den Beobachtungen erhält. Um einseitige Auffassungen möglichst zu 
vermeiden, habe ich in dieser Hinsicht sehr verschiedenes Material 
untersucht und ich führe die wesentlichsten Ergebnisse in den Zu- 
sammenstellungen I bis IV mit der Vorbemerkung an, daß die 
Gruppen unter I und II sich hauptsächlich auf kleinere Erschei- 
nungen (Sternschnuppen), III und IV überwiegend auf Feuerkugeln 
beziehen. 

Mittel der beobachteten 


Höhenlage Zahl der \ Mittel der 
des Endes Fälle REREENSEISCDER LAW Endhöhen 
schnittsgeschwindigkeiten 
1.) 

Über 100 km 23 67.7 km 106.6 km 
80—100 „ 48 51:.6.:',, 89.8: „ 
60—80 „ 33 35.5 „ 130 3, 
30—60 „ 17 EN er 46.2 ,„ 
unter 30 „ 2 232 ,„ 288 „ 

| 11.25) 

Über 100 km 10 72.3 km 112.2 km 
80—100 „ 11 43.0 ,„ 06.5 „ 
60—80 „ 13 405 „ 142 ,„ 
50—60 „ 6 35.4 „ 59,2... 
unter 50 „, 14 274 „ 33.9 „ 
IIL®) 

Über 60 km 12 (1 deton.) 51.8 km 86.4 km 
50—60 „ 19 (3 deton.) 55.0 „ D42 „ 
30—50 ,„ 43 (16deton.) 40.6 „ 39.0 „ 
unter 30 , 28 (13 deton.) 37.6 ,„ 24.0 ,„ 





14) Die Fälle unter I sind den vorerwähnten „Memoirs of the Br. Assoc. (Fuß- 
note 12) entnommen. Es sind 78°, Sternschnuppen, 11°, Meteore von 1 bis 
4facher Venusgröße, 11%, Feuerkugeln bis Mondgröße ohne Detonations-Angaben. 

15) II bezieht sich auf ältere von Denning veröffentlichte Bearbeitungen. 
(W. F. Denning, 107 Real paths of Fireballs and Shooting-Stars observed in 
England from 1886 to 1896. Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 57, p. 161, worunter 
74°, Sternschnuppen wie oben, 6°, Meteore von Venusgröße oder etwas mehr, 
20%, Feuerkugeln, einschließlich einer detonierenden. 

16) III ist entnommen einer Liste von zumeist sehr großen Meteoren, welche 
ich selbst im gleichen Hefte der Monthly Notices p. 170 veröffentlicht habe. Von 
den dort angefiihrten 100 Fällen konnte jedoch nicht überall die Geschwindigkeit 


” 


2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung. 455 


IV.) 
Über 100 km 9 76.8 km 116.8 km 
80—100 9 TEE 893 „ 
60—8044,©.:46 494 , 725: „ 
5060. „Au 41, 89:5, 
30-50 „85 DT N 390 ,„ 
unter 300 „ 21 36.6 „ > 53 We 


Alle vier Zusammenstellungen zeigen völlig deutlich einen gesetz- 
mäßigen Zusammenhang zwischen der aus Beobachtungen abgeleiteten 
geozentrischen Geschwindigkeit und der Höhe des Hemmungspunktes in. 
dem Sinne, daß die eine mit der anderen abnimmt. 

Es liegt nahe, hieraus zu schließen, daß ein Meteor um so tiefer 
in die Atmosphäre eindringen kann, mit je geringerer Geschwindig- 
keit es auftrifft. Daß dieser Schluß zu Recht besteht, wird noch 
durch folgende Tatsachen erhärtet. 

1) Die rascheren Leoniden erlöschen in größeren Höhen, als die 
langsameren Perseiden, wie oben erwähnt wurde. 

2) Unter Voraussetzung gleicher heliozentrischer Geschwindigkeit 
müssen Meteore, welche der Erde in ihrem Laufe direkt (vom Apex 
her) begegnen, mit einer relativen Geschwindigkeit in die Atmosphäre 
eintreten, welche rund 56 km größer ist, als jene der Meteore von 
der entgegengesetzten Seite (vom Antiapex). Ordnet man die Meteore 
nach der Elongation ihres Radianten vom Apex, so findet man fol- 
gende Ergebnisse: 


1. Aus dem Material Fußnote *°). 
Scheinbare Elongation Anzahl der Durchschnittliche Höhe 


der Radianten Fälle des Endpunktes 
zwischen 0° und 40° 12 95.6 km 

FT RBB; 12 845 „ 

BER RUE 3. 12 61.6 „ 

are tg 10 SR 

>. 210.) 186 10 521, 


bestimmt werden; mit den seitherigen Ergänzungen ergaben sich aber 102 zu- 
sammengehörige Bestimmungen von Endhöhe und Geschwindigkeit. 

Dieses Material enthält nur 8°/, Sternschnuppen 1. bis über 4. Größe und 
27°/, Meteore von ein- bis mehrfacher Venusgröße. Dagegen sind 65°, große 
Feuerkugeln mit Mond- oder Sonnengröße verglichen, darunter 30°, detonierend 
und 7 Meteoritenfälle. 

17) IV entstammt einer Analyse von 111 Fällen, die ich nach Materialien 
der älteren Literatur bearbeitet habe. Da früher die Größenbezeichnungen minder 
bestimmt lauteten, kann ich nur sagen, daß diese Daten sich ebenfalls mehr auf 
große Meteore (darunter 22°, detonierende) beziehen. 


456 VIs,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


2. Aus dem Material Fußnote !#). 
Scheinbare Elongation Anzahl der Durchschnittliche Höhe 


der Radianten Fälle des Endpunktes 
zwischen 0° und 80° 13 54.2 km 

a 9 50.5 „ 

BE 100 10 445 „ 

100°, 110 un 402 „ 

„LO E20 7 383.6 „ 

„E20; E50 13 38.6 „ 

„OHLEON. 5'180 7 364 „ 


Abgesehen von Details, welche für diese Feststellung unwesent- 
lich sind, zeigen beide Reihen den erwarteten Zusammenhang zwi- 
schen Elongation und Endhöhen. Daß letztere in der ersten Liste 
überhaupt größer sind als in der zweiten, ist wohl gewiß darin be- 
gründet, daß sich jene überwiegend auf kleine, schon in großen Höhen 
erlöschende, meine dagegen fast nur auf große Meteore bezieht. In 
dieser Hinsicht bildet daher letztere gewissermaßen eine ergänzende 
Fortsetzung der ersteren. Zum Teil muß die geringere beobachtete 
Geschwindigkeit der tieferen Meteore selbstverständlich auch auf der 
Abnahme der Geschwindigkeit während des Laufes durch die Atmo- 
sphäre beruhen. Die schließliche Hemmung ist fast momentan, doch 
liegen auch einzelne Erfahrungen vor, daß aus Beobachtungen, die 
sich nur auf die untersten Bahnteile in den tieferen atmosphärischen 
Schichten beziehen, geringere Geschwindigkeiten erhalten werden, als 
die durchschnittliche, welche bei Berücksichtigung der ganzen Bahn- 
länge in demselben Falle hervorgeht"®). Freilich erschweren die Fehler 
in der Schätzung kurzer Zeitdauern hier ein abschließendes Urteil. 

Vergleich mit der Theorie des Luftwiderstandes. Zur Berechnung 
des Luftwiderstandes, welchen die Meteore in den einzelnen Phasen 
erleiden, hat man versucht, die Erfahrungen zu benutzen, welche aus 
Experimenten mit sphärischen Geschossen der Artillerie abgeleitet 
wurden. Die nachstehenden Zusammenstellungen sind auf die Robert- 
sche!?) Widerstandsformel gegründet. Sie setzen vertikale Bewegung 
eines 118 Gramm schweren kugelförmigen Körpers von 3.5 Dichte 
und 2 cm Halbmesser voraus. Die beiden Annahmen über die Ge- 
schwindigkeit, mit der jener in die Atmosphäre eintritt, bezeichnen 
für eine parabolische Bahn die Extreme (vom Apex und Antiapex 


18) Vgl. @.v. Niessl, Wien. Ber. 114 (1905), p. 1511. 
19) Schiaparelli p. 23 und 24 nach $. Robert, Del moto dei Projettili nei mezzi 
resistenti. Torino 1855. (Memorie dell’ Academia delle scienze di Torino, II 9 16.) 


2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung. 457 


her). Wäre bei derselben Dichte der Halbmesser 2r cm und die 
Neigung der Bahn gegen den Horizont h, so können in der Spalte 
für die Geschwindigkeit die Werte ungeändert bleiben, wenn der zu- 
gehörige Luftdruck mit r sin h multipliziert wird. 


I I 
Eintrittsgeschwindigkeit: 72 km Eintrittsgeschwindigkeit: 16 km 
Luftdruck Höhe Geschwindigkeit Luftdruck Höhe Geschwindigkeit 
mm km km mm km km 
— — 12 — — 16 
0.00007 129 70 0.006 94 14 
0.00014 125 68 0.016 86 12 
0.0005 114 60 0.032 80 10 
0.0013 106 48 0.062 75 8 
0.0031 99 36 0.128 69 6 
0.0082 91 24 0.305 62 4 
0.036 80 12 1.229 51 2 
0.082 13 8 4.299 41 1 
0.315 62 4 11.619 33 0.5 
1.249 51 2 
4.318 41 1 
11.639 32 0.5 


In beiden Fällen kommt die Höhe (33 km), in welcher die 
planetarische Geschwindigkeit nahezu aufgebraucht erscheint, der für 
detonierende Meteore im frühern angeführten durchschnittlichen Hem- 
mungshöhe fast gleich. Die Art der Geschwindigkeits-Abnahme wider- 
spricht jedoch allen sonstigen Erfahrungen. So würde z. B. die durch 
Abschätzung der Dauer für den Fall I aus 129 km bis 353 km er- 
haltene Durchschnittsgeschwindigkeit nur Y/,, der Eintrittsgeschwindig- 
keit und bei Meteoren, welche erst in tieferen Regionen, z. B. zwischen 
80 km und 33 km beobachtet wurden, was nicht selten vorkommt, 
gar nur !/,, derselben betragen. Tatsächlich erhält man für Meteore, 
welche nur im untersten Bahnteil beobachtet wurden, allerdings fast 
immer viel geringere Geschwindigkeiten, aber bei weitem nicht in 
dem hier angeführten Maße. 

Für 16 km Eintrittsgeschwindigkeit würde (II) die beobachtete 
Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen 94 und 33 km Höhe auch nur 
!/; der ursprünglichen, also immer noch viel zu wenig betragen. An 
diesen Umständen ändert sich auch nichts Wesentliches, wenn man 
andere Annahmen unterlegt. 

Die wirkliche geozentrische Geschwindigkeit der „Leoniden“, unter 
welchen besonders viele helle Sternschnuppen vorkommen, ist uns aus 


458 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


der bekannten Umlaufszeit sicher gegeben und beträgt nicht viel 
weniger als 72 km. Für ein Körperchen dieses Stromes von 2 mm 
Halbmesser und 0.12 Gramm Gewicht, dessen Bahn die Atmosphäre 
in 30° Neigung gegen den Horizont durchschneidet, hätte man die 
oben unter I angeführten Luftdrucke durch 20 zu dividieren, woraus 
sich dann die zugehörigen Höhen wie folgt ergeben: 


II. 
Höhe Geschwindigkeit Höhe Geschwindigkeit 
km km km km 
153 70 103 12 
147 68 97 8 
138 60 86 4 
130 48 75 2 
123 36 65 1 
115 24 57 0.5 


Für die ganze Bahn aus 153 km bis 57 km würde sich als 
Durchschnittsgeschwindigkeit auch hier nur ungefähr 4 km oder !/,, 
der Eintrittsgeschwindigkeit ergeben. Wie früher mitgeteilt wurde, 
liegen die Bahnen der Leoniden im Mittel zwischen 155 und 98 km, 
vermutlich, weil die Partikel durch die bedeutende Wärmesteigerung 
gänzlich aufgelöst werden, ehe sie tiefer herabkommen können. In 
der Tat hinterlassen die Körper dieses Stromes unter allen Stern- 
schnuppen die meisten anhaltenden Schweifrückstände Es scheint 
daher zweckmäßig, das vorstehende Schema nur innerhalb ähnlicher 
Grenzen, also zwischen 153 und 97 km zu betrachten. Dabei erhält 
man dann im Durchschnitt etwa 27 km oder ®%, der ursprünglichen 
Geschwindigkeit, während aus den Beobachtungen die Differenz gegen- 
über der theoretischen im Mittel viel geringer ausfällt. 

Direkte Beobachtungen, so lückenhaft ihre Ergebnisse auch noch 
sind, machen es überhaupt wahrscheinlich, daß die Verminderung der 
Geschwindigkeit in den höheren atmosphärischen Regionen geringer, 
dagegen in dem letzten, untersten Teil der Bahnen, welche tiefer 
herabreichen, größer sein müsse, als sie nach den vorstehenden 
theoretischen Ansätzen erscheint. Auch so manche optische Wahr- 
nehmungen bei der Hemmung von Feuerkugeln sprechen dafür. 

Die Abhängigkeit der Höhe des Endpunktes der Lichtbahn von 
der Eintrittsgeschwindigkeit erfordert noch eine Aufklärung. Es ist 
unter wahrscheinlicher Annahme nachgewiesen (vergl. Schiaparelli 
231 u. w.), daß die großen, aber sehr verschiedenen Geschwindigkeiten 
zweier Körper, welche unter sonst ganz gleichen Umständen in die 
Atmosphäre eintreten und sie in geradliniger Bahn durchlaufen, durch 


3. Masse der Sternschnuppen. 459 


den Widerstand derart vermindert werden, daß sie in irgendeiner 
Höhe fast genau den gleichen Betrag erreichen. In den Beispielen 
I und II ist dies bei rund 62 km schon der Fall. 

Man darf daraus jedoch nicht schließen, daß die Endhöhen von 
der Eintrittsgeschwindigkeit unabhängig sind. Denn das mit der 
größeren Geschwindigkeit eintreffende Meteor setzt bis zum Abstieg 
auf 62 km viel mehr kinetische Energie in Wärme um und wird da- 
durch viel rascher verbraucht. 


3. Masse der Sternschnuppen. A. Herschel folgerte”) aus der 
Vergleichung der Leuchtkraft von Sternschnuppen in bekannter Ent- 
fernung mit jener einer gegebenen Menge Gases, daß die Meteore 
„i. Größe“ durchschnittlich höchstens wenige Gramme und die kleinern 
nur Bruchteile eines Gramms wiegen. 

Durch ähnliche Vergleichungen mit dem Drummond-Licht gelangte 
B. F. Sands?") hinsichtlich der „Leoniden“ von 1867 zu nachstehenden 
Gewichtsschätzungen für Sternschnuppen verschiedener „Größenklassen“, 
Scheinb. Helligk.: Jupiters Sirius 1.Gr. 2.Gr. 3.Gr. 4.Gr. 5. Gr. 
Gewicht (Gramm): 0.67 0.45 0.06 0.02 0.01 0.006 0.004. 

Wenn auch derartige Schätzungen nur beiläufige Ergebnisse liefern 
können, so bekräftigen sie doch die Annahme, daß als Substrat des 
Sternschnuppen-Phänomens nur sehr geringe Massen in Frage kommen, 
die vermutlich im ursprünglichen Zusammenhange die Erdoberfläche 
kaum erreichen können. 

Nach Buchner”) wiegt der kleinste unter den aufgefundenen 
‚Aeroliten, von denen man vermuten kann, daß sie als einzelne Körper 
herabgekommen sind, noch immer 24 Gramm. Viel geringere Partikel, 
welche im Lauf unter dem Schutz vorangehender größerer Stücke die 
Atmosphäre in kleinen Aggregaten durchziehen und „Steinregen“ ver- 
ursachen, sind in dieser Hinsicht mit den Sternschnuppen nicht ver- 
gleichbar. Sie bilden mit den größern zusammen eine Feuerkugel. 
Erfahrene Beobachter der Sternschnuppen sprachen sich wiederholt 
dahin aus, daß ihr äußerer Anblick notwendig auf große Verschieden- 
heiten in ihrer Zusammensetzung schließen läßt?®). Einiges mögen 
die beträchtlichen Unterschiede der Geschwindigkeit dazu wohl auch 
beitragen. Solange man über die physische Natur der Sternschnuppen- 
Materie nichts Genaueres kennt, wird man beim Vergleiche mit den 


20) A. Herschel, Proc. Brit. meteor. Soc. II 19. 
21) F. Sands, Wash. Obs. 1867, p. 19—30. 

22) Schiaparelli p. 203. 

23) Weiß, Beiträge p. 303. 


460 VIs2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


Meteoriten hauptsächlich die Massenunterschiede zu berücksichtigen 


haben. 

4. Durchschnittliche und außergewöhnliche Bahnlängen. Aus 
185 berechneten Bahnen von Sternschnuppen 5. bis 1. Größe der 
letzten englischen Materialien fand ich im Mittel für die Länge der 
sichtbar gewordenen Lichtbahn 57 km, dagegen für 120 große und 
in etwa 30%, detonierende Meteore aus meinen eigenen und anderen 
Bearbeitungen durchschnittlich eine Bahnlänge von 319 km. In 
einigen Fällen, besonders wenn die betreffenden Radianten sich in der 
Nähe des Horizontes befinden, kommen noch weit längere Bahnen 
vor. Ein solches Beispiel soll hier angeführt werden. 

Das Meteor vom 7. Juli 1892*) wurde sichtbar, als es 74 km 
hoch über der Gegend von Slobozia in Rumänien sich befand und 
konnte ununterbrochen verfolgt werden bis 158 km hoch, etwa 70 km 
WNW der Tibermündung über dem tyrrhenischen Meer. Dort entzog 
es sich der Beobachtung nicht sowohl durch eine „Explosion“, als 
durch anscheinend allmähliche Entfernung. Bei dieser großen Höhe 
ist es nicht unwahrscheinlich, daß die noch übrig gebliebenen Massen 
die Atmosphäre wirklich wieder verlassen haben. Die nachgewiesene 
Bahnlänge beträgt 1350 km. Es ist der erste und bisher auch ein- 
zige mir bekannt gewordene Fall einer zweifellos aufsteigenden Bahn. 
Da der Punkt in 74 km ungefähr das Perigäum darstellt, so muß 
weiter gegen Osten hin ein mindestens ebenso langer Bahnteil in der 
Atmosphäre angenommen werden. 

Bemerkenswert ist ein am 18. Oktober 1892 in Niederösterreich 
und Böhmen beobachtetes Meteor®®) besonders durch den ganz un- 
gewöhnlich langen Streifen, in welchem die Residuen zurückblieben. 
Soweit die Bahnstrecke mit einiger Sicherheit nachgewiesen werden 
konnte, verlief sie in etwa 1630 km Länge von 257 km über der 
Gegend 70 km östlich von Königsberg in Preußen bis etwa 43 km 
hoch, etwas südlich der Insel Elba. Der Lichtstreifen, „gerade und 
horizontal wie mit dem Lineal gezogen“, war mindestens 634 km lang 
und blieb durch etwa 3 Minuten sichtbar, so daß sein Verlauf zwi- 
schen den Sternen bequem festgestellt werden konnte. 


5. Die heliozentrische Geschwindigkeit, welche aus der beob- 
achteten geozentrischen hervorgeht, überschreitet weitaus in den 
meisten Fällen ganz erheblich den parabolischen Grenzwert und führt 


24) @.v. Niessl, Wien. Ber. 102 (1893), p. 265. 
25) @. v. Niessl, Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brünn. 


Brünn 1901. 39, p. 220. 


5. Die heliozentrische Geschwindigkeit. 461 


zur notwendigen Annahme ausgeprägt hyperbolischer Bahnen. Es ist 
gewiß bemerkenswert, daß dies fast immer gerade bei denjenigen 
Bahnen am entschiedensten zu Tage tritt, welche für die möglichst 
genaue Ausmittlung der Geschwindigkeit die günstigste Lage haben, 
nämlich bei den aus der Umgebung des Antiapex her gerichteten, 
wie z. B. bei den Meteoriten von Pultusk, für deren Bahn J. @. Galle?) 
die Exzentrizität e= 2.277 als Minimalwert nachgewiesen hat. 

Das Mittel aus 26 der sichersten Bahnbestimmungen, zumeist 
detonierende große Feuerkugeln betreffend, gibt für die heliozentrische 
Geschwindigkeit 59.05 km, also sehr nahe = — 4. Bei den wenigen 
Meteoritenfällen, für welche hinreichende Beobachtungen vorliegen, um 
einen Schluß auf die Bahnform zu ziehen, ist die hyperbolische außer 
jedem Zweifel. 

Für 154 große Meteore, deren Bahnverhältnisse älterem Material 
entnommen oder auch von mir erst bearbeitet wurden, ergab sich die 
heliozentrische Geschwindigkeit im Mittel zu 59.8 km. 

Schiaparelli?”) hat schon vor mehr als 36 Jahren erklärt, es sei 
„in der Tat bemerkenswert, daß man allemal, wenn man mit irgend- 
welcher Annäherung die Geschwindigkeit, mit welcher ein Meteorit 
oder eine Gruppe von Meteoriten in die Atmosphäre eingedrungen 
ist, hat untersuchen können, auch gefunden hat, daß die entsprechende 
absolute Geschwindigkeit größer als die parabolische war“. 

Die großen Meteore sind also zweifellos im allgemeinen inter- 
stellaren Ursprungs. Dem steht gegenüber, daß Sternschnuppen- 
ströme in denselben Bahnen laufen, wie einige Kometen bekannter 
Umlaufszeit, also gegenwärtig interplanetar sind. Hiernach würde 
man zunächst geneigt sein, die großen Meteore für interstellar, die 
kleineren Sternschnuppen für interplanetar zu halten. Doch muß die 
unleugbare Tatsache hervorgehoben werden, daß die meisten Radiations- 
punkte von Meteoriten und detonierenden, sowie auch anderen großeıf 
Meteoren, sofern sie sichergestellt werden konnten, mit bekannten 
Sternschnuppenradianten zusammenfallen. Es ist schwer, in solchen 
Fällen den zugehörigen kleinen Erscheinungen interplanetarische 
Bahnen zuzuschreiben, wenn die gestreckten Hyperbeln der großen 
Meteore aus denselben Radianten in den Weltraum hinaus weisen. 

Zur Lösung dieser anscheinenden Widersprüche wird man viel- 


26) J. G@. Galle, Über die Bahn des am 30. Januar 1868 beobachteten und 
bei Pultusk im Königreiche Polen als Steinregen niedergefallenen Meteors. 
Breslau 1868, 

27) Schiaparelli p. 207 und 209, 


462 VIs,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 


leicht annehmen können, daß unter dem Namen der „Sternschnuppen“ 
verschiedene, äußerlich ähnliche Erscheinungen zusammengefaßt wer- 
den, deren dynamische Grundlagen und kosmische Bedeutung vermut- 
lich nicht gleichartig sind. Aus den vielen Erfahrungen der letzten 
Jahrzehnte wird man wenigstens zunächst den Schluß ziehen müssen, 
daß sich in dem Gesamtphänomen neben den begrenzteren interplane- 
tarischen auch ausgedehnte interstellare Meteorströme durch Partikel 
verschiedenster Grade geltend machen. 


(Abgeschlossen im November 1907.) 


VIsa,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 463 


V12,1. BAHNBESTIMMUNG DER DOPPEL- 
STERNE UND SATELLITEN. 


Von 
J. v. HEPPERGER. 


IN WIEN. 


Inhaltsübersicht. 


1. Beobachtung von Doppelsternen. 
2. Einleitung zur Bahnbestimmung von Doppelsternen. 
3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 
a) Benutzung einzelner Örter. 
b) Benutzung der vollständigen scheinbaren Ellipse. 
c) Bahnverbesserung. 
d) Bemerkungen über die bekannten Doppelsternbahnen. 
«. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 
. Einige Ergebnisse der Beobachtung und der Bahnbestimmung spektroskopi- 
scher Doppelsterne. 
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 
a) Algolsterne. 
b) Veränderliche von kontinuierlicher Lichtschwankung. 
7. Bahnbestimmung der Satelliten. 


SU 


Literatur. 


I. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 

F. Savary, Sur la Determination des orbites, que d6crivent autour de leur centre 
de gravit6 deux &ötoiles tr&s rapproch6es l’une de l’autre. Conn. des Temps 
pour 1830. 

J. F. Encke, Über die Berechnung der Bahnen der Doppelsterne, Berl. astr. Jahrb. 
für 1832. 

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Astr. Soc. Mem. V, 1883. 

— On the Determination of the most probable Orbit of a Binary Star, Lond. 
Astr. Soc. Mem. XVIII, 1850. 

A. J. F. Yvon-Villarceeau, M&moires et Notes sur les etoiles doubles, Conn. des 
Temps pour 1852. 2 
Enoyklop. d. math. Wissensch. VI 3. 31 


464 VlIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


— Methode pour calculer les orbites des 6toiles doubles, d&eduite de considerations 
geometriques, Conn. des Temps pour 1877. 

W. Klinkerfues, Über eine neue Methode die Bahnen der Doppelsterne zu :be- 
rechnen, Diss. Göttingen 1855. 

— Über die Berechnung der Bahnen der Doppelsterne. Astr. Nachr. 42 (1856). 

— Allgemeine Methode zur Berechnung von Doppelsternbahnen Astr. Nachr. 47 (1858). 

H. Seeliger, Zur Theorie der Doppelsternbewegungen, Diss. Leipzig 1872. Unter- 
suchungen über die Bewegungsverhältnisse in dem dreifachen Sternsystem 
&Cancri, Wien. Denkschr. 44 (1881). Fortgesetzte Untersuchungen über das 
mehrfache Sternsystem £Cancri Münch. Abh. 17 (1892). Über den vierfachen 
Stern £Cancri, München Ber. 24 (1894). Über optische Ungleichheiten in der 
Bewegung der Doppelsterne, München Ber. 19 (1889). Artikel Doppelsterne 
in Valentiner, Handwörterbuch I, Breslau 1897. 

Th. 2hiele, Neue Methode zur Berechnung von Doppelsternbahnen. Astr. Nachr. 
104 (1888). 

S. v. Glasenapp, On a graphical Method for determining the Orbit of a Binary 
Star, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 49 (1889). 

K. Schwarzschild, Methode zur Bahnbestimmung der Doppelsterne. Astr. Nachr. 
124 (1890). 

T. J. See, On a practical Method of determining double star orbits by a graphi- 
cal Process, and on the Elements 2 and A. Astron. and Astroph. J. 12 (1893). 

H: Zwiers, Über eine neue Methode zur Bestimmung von Doppelsternbahnen. 
Astr. Nachr. 139 (1896). 

H. C. Plummer, An Application of Projeetive Geometry to Binary Star Orbits, 
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 60 (1900). 

G. Comstock, The Determination of Double Star Urbits, Science 15 (1902). 

P. Salet, Determination des orbites des etoiles doubles. Paris, Bull. Astr. 19 (1902). 

R. Jonckheere, Methode graphique pour determiner les el&ments des orbites des 
etoiles doubles, Bull. de la Soc. astr. de France 22 (1908). 


II. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne und veränderlicher 
Sterne. 


A. Rambaut, On the Determination of Double Star Orbits from Spectroscopie 
Observations of the Velocity in the Line of Sight. Lond. Astr. Soc. Monthly 
Not. 51 (1891). 

J. Wilsing, Über die Bestimmung von Bahnelementen enger Doppelsterne aus 
spektroskopischen Messungen der Geschwindigkeitskomponente. Astr. Nachr. 
134 (1894). 

R. Lehmann-Filhes, Über die Bestimmung einer Doppelsternbahn aus spektro- 
skopischen Messungen der im Visionsradius liegenden Geschwindigkeitskom- 
ponente. Astr. Nachr. 186 (1894). 

K. Schwarzschild, Ein Verfahren der Bahnbestimmung bei spektroskopischen 
Doppelsternen. Astr. Nachr. 152 (1900). 

H. N. Russell, An Improved Method of Calculating the Orbit of a Spectroscopie 
Binary. Astroph. Journ. 15 (1902). 

A. Nijland, Zur Bahnbestimmung von spektroskopischen Doppelsternen. Astr.. 
Nachr. 161 (1908). 

W. Zurhellen, Bemerkungen zur Pababm Hung spektrosk. Doppelsterne. Astr. 
Nachr. 175 (1907). 


1. Beobachtung von Doppelsternen. 465 


K. Laves, A Graphic Determination of the Elements of the Orbits of Spectro- 
scopic Binaries. Astroph. Journ. 26 (1907). 

W. F. King, Determination of the Orbits of Spectroscopie Binariee. Astroph. 
Journ. 27 (1908). 

H. ©. Plummer, Notes on the Determination of the Orbits of the Spectroscopie 
Binaries. Astroph. Journ. 28 (1908). 

H. D. Curtis, Methods of Determining the Orbits of Spectroscopic Binaries. 
Publ. of the Astr. Soc. of the Pacific 20 (1908). 

F'. Schlesinger, The Determination of the Orbit of a Spectroscopie Binary by the 
Method of Least-Squares, Allegheny Publ. 1 (1908). 

M. Meriau, Densite des &toiles variables du type d’Algol, Paris, ©. R. 122 (1896). 

G. W. Myers, The System of $Lyrae. Astroph. Journ. 7 (1898). 

A. Roberts, Density of close Double Stars. Astroph, Journ. 10 (1899). 

— On the Relation existing between the Light Changes and the Orbital Ele- 
ments of a close Binary System. Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1908); 
65 (1905). 

J. v. Hepperger, Über den Zusammenhang zwischen der Lichtünderung und den 
Elementen des Systems ß Lyrae. Wien. Ber. 1909. 


II. Bahnbestimmung der Satelliten. 

F. W. Bessel, Bestimmung der Bahn des Hugenischen Saturnsatelliten. Astr. 
Nachr. 9 (1831). 

A. Marth, Researches on Satellites, Astr. Nachr. 44 (1856). 

W. Meyer, Bahnbestimmung der Satelliten des Saturn Enceladus, Tethys, Dione 
und Rhea nach einer neuen Methode. Astr. Nachr. 99 (1881). 

— Le Systöme de Saturne, Mem. Soc. de Phys. et d’Hist. nat. de Gendve 1884. 

H. Struve, Bestimmung der Elemente von Japetus und Titan aus der Verbindung 
dieser Satelliten untereinander. Astr. Nachr. 111 (1885). 

— Verbindung der Saturntrabanten Titan und Rhea. Astr. Nachr. 111 (1885). 

— Vorläufige Resultate aus den Beobachtungen der Saturntrabanten am 30zölligen 
Refraktor. Astr. Nachr. 123 (1890), 125 (1890). 

— Beobachtungen der Saturntrabanten, Poulk. Obs. Centr. Nie. Publ. (2) XI (1898). 

W. Klinkerfues, Theoretische Astronomie, Braunschweig I. Aufl. 1871, II. Aufl. 
(Buchholz) 1899. 

J. Bauschinger, Die Bahnbestimmung der Himmelskörper, Leipzig 1906. 

A. O. Leuschner, Versuch der Bahnbestimmung mit sofortiger Berücksichtigung 
der Störungen. Astr. Ges. Vjs. 43 (1908). 


PUB ER AS OO RER VORNE OR 


1. Beobachtung von Doppelsternen. Schon frühzeitig wurde. 
die Wahrnehmung gemacht, daß einige Sterne, welche das freie Auge 
einfach sieht, durch das Fernrohr betrachtet doppelt erscheinen, so 
namentlich & Centauri (Feuillee 1709) y Virginis, Castor, 61 Cygni 
(J. Bradley 1753). Die paarweise Anordnung von Sternen blieb als 
vermeintliche Wirkung der Perspektive wenig beachtet, bis Christian 
Mayer sie zur Bestimmung der Eigenbewegungen auszunützen ge- 
dachte und zu diesem Zwecke emsig nach neuen Paaren suchte. Das 


Resultat seiner Bemühungen war ein Katalog!) (1779) von 72 Doppel- 
31* 


466 VIz,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


sternen, unter denen viele weite Paare vorkommen. Ungefähr um 
diese Zeit hatte William Herschel seine erfolgreichen Nachforschungen 
begonnen, die binnen kurzem zur Entdeckung von 269 Doppelsternen 
führten. Die Publikation dieser Entdeckungen veranlaßte J. Michell 
der Frage näher zu treten, ob das Vorkommen so vieler Paare mit 
einiger Wahrscheinlichkeit dem Walten des Zufalls bei der Verteilung 
der Sterne zugeschrieben werden könne. Mi:hell?) fand, daß diese 
Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist, und entschied sich für die An- 
nahme, daß in den meisten Fällen die paarweise Anordnung auf 
Rechnung der Gravitationswirkung zu setzen sei. Schon. W. Herschel 
vermochte durch die Beobachtung relativer Bewegung ein wertvolles 
Argument für die Richtigkeit der Anschauung Michells beizubringen. 
Die Bedeutung der Tätigkeit W. Herschels auf dem Gebiete der Doppel- 
sternkunde liegt vor allem in der großen Zahl?) (703) der von ihm ge- 
fundenen Paare und den vielen, trotz erheblicher Unsicherheit ihres 
Alters wegen schätzbaren Messungen derselben. Man verdankt ihm 
auch die Einführung der noch jetzt üblichen Messungsmethode, wonach 
der Ort des einen Sternes durch Bestimmung des Positionswinkels 
und üer Distanz auf den Ort des andern Sternes bezogen wird. Der 
Anhaltstern wird Hauptstern, der andere Nebenstern oder Begleiter 
genannt. Als Hauptstern hat die hellere Komponente zu gelten; ist 
der Helligkeitsunterschied nicht deutlich markiert, so ist die als 
Hauptstern gewählte Komponente auf andere Weise kenntlich zu 
machen. Die Zählung des Positionswinkels ist von Herschel nicht 
immer in derselben Weise vorgenommen worden. Wilhelm Struve 
hat eine einheitliche Zählweise inauguriert durch die Festsetzung, 
daß der Positionswinkel (0) der Winkel am Hauptstern ist, um wel- 
chen der von diesem zum Nordpol führende Kreisbogen nach der 
Seite hin, auf welcher die Sterne mit größeren Rektaszensionen liegen, 
gedreht werden muß, um den Nebenstern in sich aufzunehmen. 
Distanz (e) ist der in Bogensekunden ausgedrückte scheinbare Ab- 
stand des Nebensternes vom Hauptsternee Hat der Hauptstern die 
Koordinaten «, d, der Nebenstern «’, ö’, so wird 


(@ — «) cosd = e sin 
0” — 6 = 0c0s0. 


1) De novis in coelo sidereo phaenomenis; Mannheim 1779; Berl. astr. 
Jahrb. für 1784. 

2) On the means of discerning the distance...of fixed stars; Lond. Phil. 
Trans. 1783. 

3) Synopsis of all Sir W. Herschel’s Microm. Measurements by Sir J. Herschel; 
Lond. Astr. Soc. Mem. 35 (1867). 


1. Beobachtung von Doppelsternen. 467 


. Die Verdienste, welche W. Struve durch die Fülle der Entdeckungen, 
die Vollständigkeit der Beobachtungen und die Gediegenheit der Mes- 
sungen sich um die Wissenschaft erworben hat, können kaum über- 
schätzt werden. Seine Mensurae Micrometricae‘), die Messungen von 
2712 doppelt- und mehrfachen Sternen nebst Angaben ihrer Größe 
und bei helleren auch ihrer Farbe enthalten, sind noch jetzt von 
hervorragender Bedeutung für die Doppelsternastronomie. In das 
Beobachtungsprogramm sind nur Paare aufgenommen worden, für 
welche e< 32”; die Astronomen haben sich daran gewöhnt, nur 
Paare von dieser Beschaffenheit als Doppelsterne (im engeren Sinne) 
zu betrachten. Auch für die weitesten Paare dürfte das Verhältnis der 
Zahl der optischen Doppelsterne (konstante Eigenbewegung) zur Zahl 
der physischen (veränderliche Eigenbewegung) noch durch einen sehr 
kleinen Bruch dargestellt sein. _ 

Die Arbeiten W. Herschels sind datch dessen Sohn John Herschel 
mit großem Erfolge fortgesetzt und durch Ausdehnung des Arbeits- 
feldes bis zum Südpol in glücklicher Weise ergänzt worden. J. Herschel 
hatte den Plan gefaßt, eine synoptische Geschichte der Doppelsterne 
zu schreiben und zu diesem Behufe eine Liste der Positionen aller 
von ihm selbst und von anderen Astronomen gefundenen Doppel- 
sterne anzulegen unternommen, deren Publikation aber erst nach 
Herschels Tode unter dem Titel „A Catalogue of 10300 Multiple and 
Double Stars“®) erfolgt ist. Durch Festhalten an dieser Ziffer würde 
man jedoch die Zahl der bis zum Jahre 1874 bekannt gewordenen 
Doppelsterne sehr überschätzen. Otto Strwe, Sohn W. Struves und 
ebenfalls durch die Pflege der Doppelsternastronomie zur Berühmtheit 
gelangt, sagt in einer Besprechung‘) des Katalogs, den er für einen 
temporären Arbeitskatalog hält, J. Herschel dürfte die geplante syn- 
optische Geschichte nur auf solche Sternpaare ausgedehnt haben, 
welche innerhalb der von W. Struve aufgestellten Grenzen als Doppel- 
sterne zu bezeichnen sind, und dann auch den Katalog revidiert und 
diesen Grenzen angepaßt haben, womit die Zahl der Sterne auf nicht 
viel über die Hälfte herabgesunken wäre. Einen großen Fortschritt 
verdankt die Doppelsternkunde zunächst der unermüdlichen Tätigkeit 
des -Barons E. Dembowski, der in den Jahren 1852—1878 etwa 20000 
vorzügliche Messungen ausgeführt hat, dann aber auch den Be- 
mühungen vieler Astronomen, unter denen Dawes, Duner, Schiaparelli, 





4) Stellarum duplicium et multipl. Mensurae Micrometricae; St. Peters- 
burg 1887. 

5) Lond. Astr. Soc. Mem. 40 (1874). 

6) Astr. Ges. Vjs. XI (1876). 


468 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


A. Hall, H. Strwe, Doberck als Beobachter, Burnham, Aitken und 
Hussey als Entdecker hervorragen. Die Zahl der neueren Funde über 
trifft sicherlich die Zahl der selbst bei strenger Revision aus Herschels 
Kataloge zu streichenden Positionen, so daß von Doppelsternen im 
engeren Sinne wahrscheinlich mehr als 11000 bekannt sind. Burnhams 
Kataloge”) verzeichnen 1336 Doppelsterne, darunter viele sehr enge 
Paare. Die laufenden Nummern der Kataloge von @. Aitken?) und 
J. Hussey”) reichen bis 2300 bzw. 1337. Burnhams Generalkatalog”) 
(1906) verzeichnet 13655 Doppelsterne, wovon, da eine Beschränkung 
auf die Struvesche Grenze nicht stattfand, sehr viele (nach des Autors 
eigener Schätzung mehrere Tausende) optische Doppelsterne sein 
dürften. Von älteren Werken möge hier noch erwähnt werden: A 
Handbook of Double Stars by E. Orossley, @. Gledhill and J. Wilson 
(London 1829), das von den Methoden der Beobachtung sowie der 
Bahnbestimmung handelt und eine chronologische Zusammenstellung 
der Messungen von 1200 Paaren gibt. 

Nicht selten scheinen die Komponenten von Doppelsternen Licht 
von verschiedener Farbe auszustrahlen; das Erkennen der Farbe ist 
um so schwieriger je höher die Größenklasse der Sterne ist. Die 
auf 596 Paare ausgedehnten Untersuchungen W. Struves ergaben 
gleiche Farbe der Komponenten bei 476 und verschiedene Farbe bei 
120 Paaren‘). Der beobachtete Farbenunterschied besteht häufig im 
Vorherrschen von Gelb oder Rot gegen Weiß oder Gelb, aber auch 
nicht selten in komplementärer Färbung der Komponenten, wovon 
eine, und zwar gewöhnlich der Hauptstern, rot oder gelb, die andere 
grün oder blau erscheint. Nach Struve nimmt die Zahl der blauen 
Begleiter rasch mit der Distanz zu, während sehr enge Doppelsterne 
dieselbe Farbe haben. Im allgemeinen erweist sich auch die Hellig- 
keit um so verschiedener, je verschiedener die Farben sind!®); der 
Unterschied in Helligkeit wächst ebenfalls mit der Distanz. Die 
Farbenschätzungen verschiedener Beobachter stimmen häufig nicht 
überein. Manchmal, wie es für W. Herschel und W. Struve einiger- 
maßen zutrifft, genügt eine konstante Verschiebung der Farbenskala 
zu einer in. der Hauptsache befriedigenden Ausgleichung der Diffe- 
renzen.*) Das Vorkommen einer verschiedenen Färbung der Kom- 


7) A General Catalogue of Double Stars within 121° of the North Pole; 
Washington 1906. 

8) Lick. Obs. Bull. 188 (1910). 

9) Lick. Obs. Bull. 117 (1907). 

10) W. Doberck, On the colour of revolving’ Double Stars; Astr. Nachr. 
95 (1879). 


1. Beobachtung von Doppelsternen. 469 


ponenten in der Farbenfolge weiß-gelb-rot wird wohl von allen Beob- 
achtern zugestanden; daß es aber auch Paare geben soll, in welchen 
die Komponenten komplementär gefärbt sind, wurde von mehreren 
erfahrenen Beobachtern lebhaft bestritten und die Empfindung dieser 
Farben auf Sinnestäuschung durch Kontrastwirkung zurückgeführt. 
Bei einigen Paaren, deren Spektra untersucht werden konnten, wird 
diese Wirkung jedenfalls wesentlich unterstützt durch die verschieden- 
artige Lichtemission, indem der gelbliche Stern ein Spektrum II. Klasse, 
der bläuliche ein Spektrum I. Klasse besitzt.!') 

Zu den Messungen von Position und Distanz dient ein in Grade 
geteilter Positionskreis in Verbindung mit dem Fadenmikrometer oder 
das Heliometer. Auch Interferenzmethoden scheinen mit gutem. Er- 
folge verwendet werden zu können??), sowie verschiedene andere Arten 
von Doppelbildmikrometern.'?) 

Die Messungen der Positionswinkel sind im allgemeinen viel ge- 
nauer und zuverlässiger als die der Distanzen, so daß Änderungen 
der relativen Lage der Komponenten eines Doppelsternes. viel sicherer 
aus den Positionswinkeln als aus den Distanzen erkannt werden. 
Unter den Fehlern der Messung sind die von der Eigenart des Beob- 
achters abhängigen persönlichen Fehler!*) wegen ihres systematischen 
Charakters von besonderer Bedeutung; sie treten bei Vergleichung 
der Messungsreihen je zweier Beobachter als persönliche Gleichung 
mitunter sehr deutlich hervor. Wegen der veränderlichen Natur 
dieser Fehler empfiehlt es sich, sie stets aus den auf dasselbe Objekt 
sich beziehenden Messungen abzuleiten und dabei auch die Möglich- 
keit zu beachten, daß durch große Zeitintervalle getrennte Messungen 
desselben Beobachters einer verschiedenen Korrektur bedürfen. (Vgl. 
Artikel VI2, 6 Cohn Seite 263.) 


Zur Reduktion der beobachteten relativen Koordinaten des Be- 
gleiters auf ein fixes Äquinox i, bedarf es, bei der Kleinheit von g, 
nur der Berücksichtigung der durch Präzession veranlaßten Anderung 


11) E.C. Pickering, The Discovery of Double Stars by means of their Spectra; 
Astr. Nachr. 127 (1891). 

12) A. A. Michelson, Memoirs of the National Acad. of Sciences; Washington 
5 (1891); K. Schwarzschild, Über Messung von Doppelsternen durch Interferenzen; 
Astr. Nachr. 139 (1896). 

13) M. Brendel, Über die Brechung des Lichtes in Prismen aus einachsigen 
Kristallen und über deren Anwendung zu mikrometrischen Messungen. 1891. 

14) O. Stone, on personal equation in double star observations; Astr. Nachr. 
92 (1878), 94 (1879); E. Großmann, Untersuchungen über systematische Fehler 
bei Doppelst.-Beob. Diss. Göttingen 1892. 


470 VIe,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


des Positionswinkels im Betrage von 
8 — 0, = 0°. 0056 sin asecd(t — 4), 
wenn die Zwischenzeit ? — i, in Jahren ausgedrückt ist. 


2. Einleitung zur Bahnbestimmung. Nachdem die an Doppel- 
sternen ausgeführten Messungen in vielen Fällen eine krummlinige 
Bewegung des Begleiters außer Zweifel gestellt und die allgemeine 
Gültigkeit des Newtonschen Gesetzes noch wahrscheinlicher gemacht 
hatten, fing man an nach Methoden zu suchen, welche eine genäherte 
Bahn des Begleiters aus einigen Örtern desselben nach Analogie einer 
ersten Bahnbestimmung von Planeten zu berechnen gestatten. Da 
die Beziehung zwischen mittlerer Bewegung und Halbachse nur durch 
Einführung einer neuen, von der Masse und der Parallaxe des Doppel- 
sternes abhängigen Unbekannten hergestellt werden kann, so war es 
klar, daß jede Bahnbestimmung sich auf mindestens 7 voneinander 
unabhängige Beobachtungsstücke gründen muß. Die ausschließliche 
Verwendung von Positionswinkeln oder Distanzen genügt zu einer 
vollständigen Bahnbestimmung nicht, da hierbei entweder die Dimen- 
sion der Bahn oder die Bahnlage unbestimmt bleibt. Werden mehr 
als 7 Beobachtungsdata benützt, so wird man eine Ausgleichung vor- 
nehmen müssen. 

Denken wir uns durch den Hauptstern, der sich in der Ent- 
fernung Z von der Erde befinden soll, ein rechtwinkliges Koordinaten- 
system so gelegt, daß die z-Achse die Fortsetzung des Visionsradius Z 
bildet, so ist die xy-Ebene die Referenzebene für die durch die 
visuelle Beobachtung gelieferten Koordinaten des Begleiters. Auf 
diese oder eine zu ihr parallele Ebene werden auch die von der 
Bahnlage abhängigen Elemente der Bewegung des Begleiters um den 
Hauptstern oder den gemeinsamen Schwerpunkt in gleicher Weise 
bezogen, wie die Elemente eines Planeten auf die Ekliptik, nur mit 
dem Uhterschiede, daß der Positionswinkel an die Stelle der Länge 
tritt. Dementsprechend hat man die Achsen so zu legen, daß die 
Koordinaten des bewegten Punktes werden 2 = gc030, y= eg sin 9; 
die Koordinaten sind auch gegeben durch: 


x = r(cosu c0o8®& — sinu sin & cos i) 
y=r(cosu sin®& +4 sinu cos & cos i) 
z=rsinusinti. 


Die Bezeichnungen sind hier und im folgenden in Übereinstimmung 
mit dem Artikel VI2,9 (Herglote) Seite 381—384 gewählt. 


2. Einleitung zur Bahnbestimmung. 4711 


Die :Zeit {, des Periastrons und die Periode P = “= werden bei 


visuellen Doppelsternen in Jahren ausgedrückt. Zur Bezeichnung 
der Bewegungsrichtung dienen die Ausdrücke direkt (Zunahme der 
Positionswinkel mit der Zeit) und retrograd (Abnahme der Positions- 
winkel). Bei Angabe dieser Bezeichnung kann für die Neigung stets 
der spitze Winkel genommen werden. Der aufsteigende Knoten läßt 
sich vom niedersteigenden aus Messungen von 0 und og allein nicht 
unterscheiden, da, wie auch aus obigen Gleichungen ersichtlich ist, 
eine Änderung des Vorzeichens der Neigung x und y, mithin auch 
6 und oe ungeändert läßt. 

Ist die Neigung von Null verschieden, so beziehen sich infolge 
der endlichen Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes die beob- 
achteten Örter der Komponenten eines Doppelsternus im allgemeinen 
auf verschiedene Zeitpunkte. F. Savary"”) hat zuerst darauf auf- 
merksam gemacht, daß dieser Umstand zu Aberrationserscheinungen 
Anlaß geben müsse, aus denen, wie er meinte, die Parallaxe des 
Doppelsterns bestimmt werden könnte. Dies wäre jedoch nach den 
grundlegenden Untersuchungen Villarceaus'®) nur dann möglich, wenn 
das Massenverhältnis der Komponenten bekannt ist. L. Birkenmeyer'”) 
hat die Ableitung der Villarceauschen Formeln etwas vereinfacht 
und durch deren Anwendung auf die Bahn von & Ursae maj. einige 
interessante Resultate erhalten. H. Seeliger?) gibt eine sehr einfache 
und klare Darstellung der wichtigsten Resultate Villarceaus und 
außerdem eine Theorie der optischen Ungleichheiten, die durch die 
Abhängigkeit der Geschwindigkeit des Lichtes von seiner Intensität 
veranlaßt würden. Eine solche Abhängigkeit könnte durch die Bahn- 
bestimmung von Doppelsternen nur dann nachgewiesen werden, wenn 
die Eigenbewegung sehr groß, die Parallaxe sehr klein und die 
Helligkeit der Komponenten sehr verschieden ist. Die endliche Ge- 
schwindigkeit des Lichtes bewirkt eine konstante, in den Beobach- 
tungen nicht zu erkennende Veränderung von 9, :, © und eine perio- 
dische, durch Beobachtungen bestimmbare Ungleichheit der Bewegung, 


die durch Korrektion der Beobachtungszeit um — "—"*r voll- 
m, + m, 





15) Conn. des Temps pour 1830. 

16) Theorie analytique des inegalites de lumiöre des &toiles doubles. Conn. 
des Temps additions pour 1878. 

17) Über die durch die Fortpflanzung des Lichtes hervorgerufenen Un- 
gleichheiten. Wien. Ber. 1886. 

18) Über optische Ungleichheiten in der Bewegung der Doppelsterne. 
München Ber. 19, 1889. 


472 VlIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


ständig berücksichtigt wird, wo r den in Lichtzeit ausgedrückten 
Unterschied der geozentrischen Entfernungen der Massen m, und m, 
bedeutet. | 
Die Bahn, welche eine Komponente um die andere oder um den 
gemeinsamen Schwerpunkt im Raume beschreibt, setzen wir als eine 
Keplersche Ellipse voraus und nennen sie die wahre Bahn oder die 
wahre Ellipse. Die Projektion der wahren Ellipse oder die scheinbar 
in einer zur Gesichtslinie senkrechten Ebene beschriebene Bahn, die 
auch eine Ellipse ist, heißt die scheinbare Bahn (scheinbare Ellipse). 
Der Mittelpunkt der scheinbaren Ellipse ist die Projektion des Mittel- 
punktes der wahren Ellipse. Die Projektionen der Brennpunkte der 
wahren Ellipse fallen aber (für > 0) nicht mit den Brennpunkten 
der scheinbaren Ellipse zusammen. Wenn nämlich die durch den 
Brennpunkt getrennten Teile einer Fokalchorde mit r und r’ bezeichnet 
werden, so ist 
tr Pal) 
Ist & der Neigungswinkel der Sehne gegen die xy-Ebene, so 
sind die Projektionen der Sehnenabschnitte g = rcos&, g'=r'cos$; 


: 1 1 2 7 
daraus folgt, daß die Summe Er + ver! (wegen der Verän- 


derlichkeit von &) nicht konstant, der Punkt g—=0 daher kein Brenn- 
punkt ist. Fürr=r=p wirdgo=o’=p cos$; setzt man pcos$=s, 


so läßt sich mit Hilfe der Gleichung + rn = - für jedes Paar 


@, 0" je ein auf eg und e’ oder in der Verlängerung dieser Linien 
gelegener Punkt mit der Entfernung s vom Orte des ruhenden Sternes 
finden. Der geometrische Ort dieses Punktes ist eine Ellipse (Thiele- 
sche Hilfsellipse'®), welche die Projektion eines in der Ebene der 
wahren Bahn mit dem Radius »7 um den Hauptstern beschriebenen 
Kreises darstellt. s wird ‚ein Maximum für &=0 (Knotenlinie). 
Die große Halbachse der Hilfsellipse ist daher = p und liegt in der 
Knotenlinie.e Der Minimalwert von s, die kleine Halbachse der Hilfs- 
ellipse, stellt den Wert p cosi dar; es ist daher gleich dem Exzen- 
trizitätswinkel der Hilfsellipse. In gleicher Weise benützt H. Zwiers”®) 
eine andere, der Projektion eines mit dem Halbmesser «a um den 
Mittelpunkt der wahren Ellipse beschriebenen Kreises entsprechende 
Hilfsellipse zur konstruktiven Darstellung der Elemente. 

Die Halbachsen der scheinbaren Ellipse sind im folgenden mit 





19) Th, Thiele, Über einen geometrischen Satz zur Berechnung von Doppel- 
sternbahnen; Astr. Nachr. 52 (1860). 


2. Einleitung zur Bahnbestimmung. 473 


&,,ß,, die Projektionen der Halbachsen a, I, auf die Ebene der schein- 
baren Bahn mit a,, b, bezeichnet. Die Neigungswinkel der Achsen 
gegen diese Ebene seien durch die Gleichungen a,—=acos&,, b,=beos$, 
bestimmt. Den Übergang von der scheinbaren auf die wahre Ellipse 
vermitteln die Beziehungen, daß jene die Projektion dieser ist, woraus 
folgt &,ß, = ab cosi, und daß die konjugierten Durchmesser, von denen 
einer durch den Ort des ruhenden Sternes geht, die Projektionen der 
Achsen der wahren Ellipse vorstellen, weshalb auch die Projektion 
der großen Halbachse durch den Ort des ruhenden Sternes im Ver- 
hältnis e: 1 geteilt wird. Die Bestimmung von e ist sonach graphisch 
leicht durchführbar. Die durch den Punkt e=0 gehende und in 
diesem Punkte halbierte Sehne der Projektionsellipse ist parallel 
zu b.. 

Die Dimensionen der Bahn und die Koordinaten des bewegten 
Massenpunktes werden auf die den Messungen zugrundeliegende Ein- 
heit des Weges bezogen. Ist diese Einheit die Bogensekunde, so 
können, wenn f die Anziehung zweier Masseneinheiten in der Einheit 
der Entfernung und das Dehnungszeichen — die Wertung der Koor- 
dinaten und Halbachsen in linearem Maße bedeuten, Gleichungen von 
der Form = Zasin!” FerpRneRk werden, um aus jeder der Be- 


er z.B. er 25 a r mr £=0, die entsprechende 


= ri ui —=( abzuleiten. Die nr: jedes System charakteristische 


Konstante der Gravitation ist daher gegeben durch = Ken 


Z°sin®1” 
Wird die Vertauschung des Doppelsternsystems an dem System 
Sonne-Erde durch den Index O0 (m, = Sonnenmasse), der Ausdruck 





Vırı durch *k,, die Parallaxe des Sternes durch x bezeichnet, 
M 

1 + —, 
Mm, 


so bestehen die Relationen 








f a a a’n? at > m m’ 
Zul l2-—; f=- —- —--; M=an— + ek; 
7 a m + m m, + m, Mm, 
mtm n° 
a==% m+m asen ER 





m tm,  n! 
k, geht in die Gaußsche Konstante über, wenn n, auf den Tag be- 


zogen wird. Der Annahme m + m’= m, + m, entspricht die „hypo- 


thetische Parallaxe“ 


Ri N 
3 


at 


Die Bahnbestimmung eines Doppelsternes von bekannter Parallaxe 


’ 


474 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 
m+m m 


x vermittelt, indem n?a? — °ky, die Kenntnis der Masse des 


mM, 


Systems. Da ” gleich ist dem Verhältnis zwischen den Abständen 


der Komponenten vom gemeinsamen Schwerpunkte und aus den Achsen 
der. Bahn einer Komponente bezüglich des Schwerpunktes und des 
Ortes der anderen Komponente berechnet werden kann, so wird das 
Massenverhältnis bekannt, sobald für eine beider Komponenten ver- 
änderliche Eigenbewegung konstatiert ist. 

Hat man veränderliche Eigenbewegung eines Sterns, ohne daß 
der Begleiter sichtbar ist, so hat man zunächst aus möglichst ent- 
legenen Beobachtungen die als gleichförmig anzusehende Bewegung 
des Systemschwerpunktes zu ermitteln und dann die Relativkoordi- 
naten des Sterns gegen den Schwerpunkt wie diejenigen eines Doppel- 
sterns zu behandeln. °®) 

Zur Vorbereitung seien noch folgende Formeln angemerkt: 

Die Gleichung des Flächensatzes zdy — ydz = cdt, in welcher 


c=kYpcosi—any1— ecosi= abn cosi— «PN, 
läßt sich auch schreiben 
y cdt x — cdt 
Ä - Fn a(y) ET 
die Integration zwischen den NEN die Indizes 1 und 2 bezeichneten 
Grenzen gibt 


er "dt 
I, Yyp— Bfı EC un: 1 Ro un] r : 


iı &ı 


Die doppelte Dieischelänhe als Funktion der wahren oder der 
exzentrischen Anomalien (in der wahren Bahn) ist 


% Yg — %ayı = 0,0, Sin (6, — 0,) = r,rz sin(dy — v,) 608% 
— — [sin (E, — E,) — e (sin E, — sin E,)] 


= «A,lsin, — E)— (B,—E)+n—4)]- 

3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 

a) Benutzung einzelner Örter. Die älteste, von Savary?!) (1827) 
ersonnene Methode verwertet vier Positionswinkel mit den zugehörigen 
Distanzen und Zeiten; sie führt im Wege fortgesetzter Versuche, 
durch welche die in den Zwischenzeiten erfolgte Änderung der exzen- 
trischen Anomalien bekannt werden soll, zur Bestimmung der schein- 


20) H. Seeliger, Valentiners Handwörterbuch I; Breslau 1897. 
21) F. Savary, Conn. des Temps pour 1830. 


8. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 475 


baren Bahn, aus der dann die wahre abgeleitet wird. Unter Benutzung 
von Relationen, welche zwischen zwei konjugierten Durchmessern der 
Ellipse und den durch die vier Örter parallel zu den Durchmessern 
gezogenen Sehnen bestehen, erhält man zwei Gleichungen mit 
B—Eb=g9 ,—-E=Y% E-E=YV 

als Unbekannten. Da in den Gleichungen 

Bın(t; — &) — 9,08 5in (0, — 0,) = aß, (pP — singp) 

Br (tz — 4) — 0105 Sin (d, — 0) = a, Pd — siny) 

nt, — 4) — 919, sin (0, — 0,) = a, ß,(W — sin y‘) 
das Produkt «8, sich aus den Werten p und % berechnen läßt, so 
bleiben nach Elimination von «,ß,n noch zwei von den Zwischen- 
zeiten abhängige Gleichungen, im ganzen also vier Gleichungen zur 
Bestimmung der Unbekannten. Es wird daher im allgemeinen kein 
Wert von p angenommen werden können, welcher ohne Änderung der 
Beobachtungsdaten allen Gleichungen genügt. J. F. Encke??) glaubt _ 
die Übereinstimmung am zweckmäßigsten durch Änderung einer Distanz 
erreichen zu können. Nach seiner Methode, deren Formeln den 
Rechner mehr befriedigen, werden die geometrischen Beziehungen 
zwischen 9, %, %’ durch Gleichungen vermittelt, welche den Flächen- 
inhalt (123) eines durch drei Punkte der scheinbaren Ellipse be- 
stimmten Dreiecks einerseits durch die gegebenen Koordinaten dieser 
Punkte und andererseits durch die Unbekannten ausdrücken; letztere 
Gleichungen sind von der Form 


(123) = 2a, ß, sin — =p sin — = — p)sin — 


‚und gestatten eine bequeme Berechnung von g, %, %’ aus einem an- 
genommenen Werte von Y+Hy+g. 

H. Seeliger hat in seiner Inauguraldissertation?®) nach detaillierter 
Besprechung der Methoden von Savary und Encke eine neue Methode 
der Bahnbestimmung aus vier Positionswinkein und drei Distanzen 
gegeben, welche die Rechnungsoperationen vereinfacht, indem sie die 
Dimension der scheinbaren Ellipse zunächst unbestimmt läßt und bis 
zu deren Ermittlung statt der drei Distanzen nur zwei Verhältnisse 
derselben benützt. Bezeichnet y den Winkel zwischen der Richtung 
Hauptstern — erster Ort und der großen Achse, & und n die Koordi- 
naten des Hauptsternes bezüglich der großen und kleinen Achse der 
scheinbaren Ellipse, so läßt sich der Gang der Rechnung folgender- 


22) Berl. astr. Jahrb. für 1832. 
23) Zur Theorie der Dibaalikiinbeiranunren. Diss. Leipzig 1872. 


476 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


maßen darstellen. Die (im Versuchswege zu bestimmenden) Werte 
von p und % geben mit Hilfe von sechs (nur einmal zu berechnenden) 
N ßı 


—-, — und a’ erhalten werden. Diese 
RB’ 


9, %, %' müssen drei Zeitgleichungen, in denen die Produkte der Di- 
stanzen durch deren Verhältnisse ersetzt sind, genügen. «, kann dann 


Konstanten y, woraus E,, 8; 
han 


der Gleichung o, cosy = «, (cos E, — 2) entnommen werden. Seeliger 


gibt noch eine elegante Bestimmung der scheinbaren Ellipse aus den 
Werten von p, x und «,ß,, welche auch bei den Methoden von Savary 
und Encke anwendbar ist. 

Unter den Methoden, welche eine direkte Bestimmung der wahren 
Bahn bezwecken, ist die Methode von Yvon-Villarceau*) (1849) die 
älteste. Sie beruht auf der Entwicklungsfähigkeit von 6, o und der 
Differentialquotienten dieser Funktionen nach Potenzen der Zeit. 
Das Wesen der Methode besteht darin, daß durch wiederholte Differen- 
tiation von 2=0_c0560, y=gsin®, z=otg& und Ersetzung der 
zweiten Differentialquotienten durch ihre den Bewegungsgleichungen 
entnommenen, als Funktionen von k®, 6, o, & ausgedrückten Äquiva- 


lente eine lineare Gleichung zur Bestimmung von tg &- - und durch 
deren Vermittlung nach Elimination von %® und «u eine Gleichung 
4'® Grades erhalten wird, in welcher nur tg?& und tg*& als Unbekannte 
auftreten. Die Gleichung hat nur zwei reelle, gleich große und entgegen- 
gesetzt bezeichnete Wurzeln, wie es dem Mangel eines Kriteriums zur 
Unterscheidung zwischen auf- und niedersteigendem Knoten entspricht. 


Nach Auswahl eines & und des zugehörigen 3 gelangt man zur 


BR d . 
Kenntnis von Ä?, x, y, 2 7: 2 ! a welche Daten zur Bestimmung 


der wahren Bahn genügen. Eine zweite Abhandlung Villarceau s®*) 
enthält eine Spezialisierung der Methode für den Fall, daß die Ge- 
sichtslinie gegen die Bahnebene nur sehr wenig geneigt ist. 

K. Schwarzschild®°) gelangt in einfacher Weise zur Bestimmung 
der Koordinaten und Geschwindigkeiten, indem er von den Potenz- 
reihen für x und y ausgeht, welche, wenn die Zahl der Striche die 
Ordnung der Differentialquotienten bezeichnet, der Bedingung genügen 
müssen 


24) Conn. des temps pour 1852. 
25) Methode zur Bahnbestimmung der Doppelsterne; Ast. Nachr. 124 (1890). 


3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 477 


Es sei 
% 


w 


r: i Y Pi 
= u’; .daan it ——— 
k 2) w 


oe 


Mit Hilfe dieser Relation wird aus der Gleichung r?—= g°+ 2? und 
ihrer ersten und zweiten Ableitung nach der Zeit durch Elimination 
von r’ und r” die Formel erhalten 


A a ne 
++] 


Da oe, w und ihre Derivierten ohne weiteres aus x, y und deren Diffe- 
rentialquotienten gefunden werden können, ist dies eine quadratische 
Gleichung für r. Aus r (doppelte Lösung möglich) erhält man 
+2 + und Ak? womit die Aufgabe gelöst erscheint. 

Die Zuverlässigkeit der nach diesen Methoden erhaltenen Resultate 
wird dadurch wesentlich beinträchtigt, daß die Entwicklung der Funk- 
tionen nach Potenzen der Zeit nur so lange durchführbar ist, als die 
Zeit einen gewissen Bruchteil der Periode nicht überschreitet, und 
daß die Fehler der Beobachtung die Koeffizienten um so stärker be- 
einflussen, je höher die Potenz der Zeit ist. 

Viel leistungsfähiger ist die Methode von Klinkerfues?°), welche 
davon ausgeht, daß das Verhältnis der Flächen je zweier in der 
Bahnebene gelegenen Dreiecke gleich ist dem Verhältnisse ihrer Pro- 
jektionen. auf die Ebene der scheinbaren Bahn. 

r,sin(®, —®) _ ge, sin(0, — 0) ; 
r, sin(w, —®) 0, sin(0, — 6) 

Das Verhältnis zweier Gleichungen, welche aus dieser durch Be- 

teilung von v und 9 mit dem Index 2 bzw. 4 hervorgehen, ist 
sin (v, — 9,)sin(m, —v,) _ sin(0, — 0,)sin(d, —6,). 
. sin(d — 9,)sin(v, —v,)  sin(0, — 6,) sin (6, — 0,) 

Je nachdem ein g und sechs 6, zwei vollständige Örter und drei 
0 oder drei vollständige Örter und ein ® gegeben sind, hat man 
unter Bevorzugung der äußersten Positionen drei, zwei oder eine der 
Gleichungen von der zweiten Form und keine, eine oder zwei Glei- 
chungen von der ersten Form zu bilden. Die rechten Seiten der 
Gleichungen sind bekannt. Mittels der Formeln, welche v mit t ver- 
binden, ist im Versuchswege auf Grund hypothetischer Werte von 
n und {, die Erfüllung der entsprechenden Gleichungssysteme anzu- 














26) Diss. Göttingen 1855, Theoretische Astronomie, Braunschweig 1871 und 
1899; Astr. Nachr. 42 (1856), 47 (1858). 


478 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


streben. Ist dies erreicht, so kennt man e, n, i,. Die von der Bahn- 
lage abhängigen Elemente werden aus drei Gleichungen von der Form 
tg (9 — 2) = cositg(v + @) abgeleitet. Zur Bestimmung der Halb- 
achse muß eine Distanz herangezogen werden. 


b) Benutzung der vollständigen scheinbaren Ellipse. 

Da die Elemente der wahren Bahn aus Örtern, die in der Ebene 
der scheinbaren Bahn liegen, abgeleitet werden müssen, so hängt ihre 
Verläßlichkeit von der Genauigkeit ab, mit welcher die scheinbare 
Ellipse durch die Beobachtungen bestimmt wird. Die Fehler der 
Messung lassen den Charakter dieser Ellipse um so schwieriger er- 
kennen, je kleiner die durch die äußersten Beobachtungen markierte 
Winkelbewegung des Begleiters ist. Ist sie kleiner als 180°, so darf 
man erfahrungsgemäß kaum hoffen, einigermaßen genäherte Bahn- 
elemente zu erhalten. Aber auch bei größerer Bewegung werden die 
bisher besprochenen Methoden, soweit sie überhaupt noch anwendbar 
sind, je nach Auswahl der Beobachtungsstücke im allgemeinen sehr 
verschiedene Resultate geben, so daß es geboten erscheint, das vor- 
handene Beobachtungsmaterial schon zum Zwecke einer provisorischen 
Bahnbestimmung intensiver auszunützen. Hierzu eignen sich Methoden, 
nach welchen die scheinbare Ellipse durch Konstruktion oder auf 
analytischem Wege bestimmt wird und die Ermittlung von Dimen- 
sion, Form und Lage der wahren Ellipse ohne Inanspruchnahme der 
Beobachtungszeiten erfolgt. 

Die Konstruktion der scheinbaren Ellipse wird auch bei genügen- 
der Zahl und günstiger Verteilung der beobachteten Örter häufig 
Schwierigkeiten begegnen, welche durch Fehler in den Positionswinkeln 
und noch viel mehr durch Fehler in den beobachteten Distanzen veran- 
laßt sind. Um diese Schwierigkeiten zu beheben, sucht J. Herschel?') 
zunächst die Fehler der Positionswinkel durch graphische Darstellung 
von 0 als Funktion der Zeit auszugleichen, und berechnet dann mit 
Hilfe der 0-Kurve die Distanzen nach der sich aus dem Flächensatz 


ergebenden Formel og = Ga in welcher nur c aus den gemessenen 
di 

Distanzen bestimmt wird. Da die so berechneten og den elliptischen 

Charakter der aus zusammengehörigen Werten von # und g konstru- 


ierten scheinbaren Bahn nicht garantieren, muß noch untersucht 
werden, ob die Bahn sich einer Ellipse genügend nähert, und falls 


27) On the Investigation of the Orbits of revolving Double Stars; Lond. 
Astr. Soc. Mem. V (18383). 


3. Bahnbestimmung visneller Doppelsterne. 479 


dies nicht zutrifft, durch Nachbesserungen die Annäherung an die 
elliptische Form herbeigeführt werden. 

Ist die scheinbare Ellipse mit dem Orte & des ruhendes Sternes 
und der Richtungslinie #0 gezeichnet, so lassen sich der Mittelpunkt 
O der Ellipse und ihre Achsen 2«,, 2ß, durch Konstruktion finden. 
Der durch O und Z gehende Halbmesser ist a,, der konjugierte b,. 
Bezeichnet ® den Winkel zwischen Knotenlinie und a, (vom auf- 
steigenden Knoten gegen die Projektion des Periastrons hin gezählt), 
so ist tg@ = tg w’ - seei. Die Größen p, © und die Lage der Knoten- 
linie, mithin auch ein Wert von & kann durch Konstruktion der 


Thieleschen Hilfsellipse, deren Zentrum 2 ist, erhalten werden. Nach 


N 20 
Messung von ®' gelangt man zur Kenntnis von @, wodurch, da e=-, 


die Bestimmung der Elemente bis auf die von {, und P durchgeführt 
ist. 4, ist durch die Zeit gegeben, welche dem Positionswinkel der 
Projektion des Periastrons entspicht. P kann aus dem Verhältnis der 
Fläche eines Sektors zur Ellipsenfläche nach der Formel 


ia 
dj od — 2ma,P,(y — fı) 
bh 


oder, wenn 0, — 6, > 2x, durch Interpolation der Zeiten berechnet 
werden, welche zu nahe um 2x differierenden Positionswinkeln ge- 
hören. 
Die graphische Methode von H. Zwiers®) ermöglicht eine vorteil- 
haftere Bestimmung von a, 2,i. Sie beruht auf der Konstruktion 
einer anderen Hilfsellipse, welche aus der scheinbaren Ellipse durch 
symmetrische Verlängerung von 2b, und der zu diesem Durchmesser 
parallelen Sehnen im Verhältnisse 1:Y 1 — e? erhalten wird. Diese 
Hilfsellipse (mit dem Zentrum in O) ist daher die Projektion eines 
der wahren Ellipse umschriebenen Kreises. Durch die Projektion er- 
leidet nur der parallel zur Knotenlinie liegende Durchmesser des 
Kreises keine Verkürzung, weshalb die große Achse der Hilfsellipse 
die Länge 2a besitzt und die Richtung der Knotenlinie markiert. 
Der zur Knotenlinie senkrechte Durchmesser des Kreises erfährt die 
stärkste, dem Neigungswinkel ö entsprechende Verkürzung. Durch 
Messung der Halbachsen «’, #’ der Hilfsellipse wird also a und i be- 
kannt, dd a= «a; acosi= ß’. wo’ ist der Winkel zwischen «’ und a;; 


tgo —=tgo sei— tg. 


28) Über eine neue Methode zur Bestimmung von Doppelsternbahnen ; 
Astr. Nachr. 139 (1896). 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 32 


480 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Zur Berechnung von 2, o, i aus Bestimmungsstücken der schein- 
baren Ellipse sind die Formeln von Klinkerfues?®) sehr geeignet. 
Sind P,, Pı die Positionswinkel der Achsen der wahren Ellipse 
(entsprechend den Punkten v—= 0 und v = 90°), so wird 


a, = acosß,; sin@cosi—= cosh,sin(P, — 2); sin (@ - Z)eosi 


—= cos&, sin (P, — 2) 
= bcos$,; cos = cos $, cos (P, — R); Cos (© En 3) 


—= cos&,cos (PR, — 2). 
Es ist daher 
2 sin @ c05 0 cosi = (=) sin2(, — 2) =— (2) sin2(P,— 8) 
oder 





ER 4) __ sin2(A—M 
(d (5) = sin2(P, —®) 


Aus dieser Gleichung, deren linke Seite als bekannt zu gelten 
hat, folgt & durch Rechnung oder einfache Konstruktion. ?®) 

Der Bedingung, daß die scheinbare Bahn eine sich den Beobach- 
tungen unter Berücksichtigung ihrer relativen Güte möglichst an- 
schmiegende Ellipse sein soll, kann leichter auf analytischem als auf 
graphischem Wege entsprochen werden. Schon J. Herschel?®) hat 
den Vorteil der analytischen Bestimmung der scheinbaren Bahn er- 
kannt und eine Methode angegeben, welche die Elemente aus den 
Koeffizienten der Ellipsengleichung finden lehrt und in etwas verein- 
fachter Form hier auseinandergesetzt werden soll. 

Fünf Örter bestimmen die Koeffizienten der Ellipsengleichung 
ax + By +yay+öcx + ey—1= 0; liegen mehr Örter vor, so 
wird der günstigste Anschluß der Kurve durch die Berechnung der 
Koeffizienten nach der Methode der kleinsten Quadrate gesichert. 


Es sei 
0—2—=B, 


—=oc0o(# +2) 
y—esin(# +2) 


dann ist 


oder 
xcos2 + ysin&® =pcos#—=rcosu 


— sind +yeaR—=gsIn$®—=rsinu cosi. 


Unter Berücksichtigung dieser Relationen kann die Gleichung der 


29) On the Determination of the most probable Orbit of a Binary Star; 
Lond. Astr. Soc. Mem. 1850. 


3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 481 


wahren Ellipse nach Be der Substitution 





ecosw-rcosu+* -rsinucsi=p—r, 


cost 
ec08@ —=9cos@ 


e sin w 
cosi 


—=gsin@G 
geschrieben werden 

gecs(# — G)=p—r 

r=p—9x2cos(Q® + G) — gysin (2 + 6). 
r ist andererseits gegeben durch die Gleichung 
r=-?+yVP+2=-:+y+ 0°’sin’stgi—= all + tg?isin? 2) 
+ y?(1 + tg?i cos? Q) — xytg?isin22. 

Die durch Elimination von r? hervorgehende Gleichung ist die der 


scheinbaren Ellipse. Die Identifizierung der Koeffizienten der veränder- 
lichen Größen gibt 


ep —=1--tgisin?Qd — co? (+ 6) 
BP—=1-1tgtico®?Q — sin? (2 + @) 
vP®—=—tgisin2R8 — gsin2(2 + G) 
dop=29c08(28 + G) 
ep—=29sin(Q + @). 

Hieraus u; die von Kowalsky®) aufgestellten Formeln 


sin 2a —y— 


oder 


0?— e? 


“ 
pi’ cs22=ß— u —- z 


2 + ht +err 


Pt 
esino—=-p cosi(— Öösin® + ecos2) 








ecoso — (0 cos + esin2). 


n und, werden am sichersten aus Wertepaaren von 6, ti nach der Methode 
der kleinsten Quadrate erhalten. 

Zur Bestimmung von «, ß... aus der. Figur. der scheinbaren 
Ellipse eignet sich die Methode von $. v. Glasenapp®‘) sehr gut. 


80) Wissenschaftliche Schriften der Kasaner Universität für 1873; D. Dubjago, 
Astr. Nachr. 109 (1884). 
81) On a Graphical Method for determining the orbit of a Binary Star; 
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 49 (1889). 
82* 


482 VlIa,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Sie beruht auf der Messung der Koordinaten von fünf Punkten der 
Ellipse, wovon vier in den Achsen des zur Konstruktion der Ellipse 
verwendeten Koordinatensystems liegen. Die zwei in der x-Achse 
gelegenen Punkte haben die Abszissen x,, %,; diese müssen der Be- 


dingung genügen a +d2—1=0, woraus folgt «= — A 


%, %g 

sat, j 

% %g 
gelegenen Punkten mit den Ordinaten %,, % 
EN ua, 
Yıya YıYa 
y wird durch die Koordinaten x,, y, eines fünften Punktes bestimmt, 
der so gewählt werden soll, daß das Produkt x,y, möglichst groß sei. 

Die Verwertung der Beobachtungszeiten zur Bestimmung aller 
Elemente gestattet die von T'h. Thiele®?) ausgearbeitete, auch bei sehr 
großen Neigungen anwendbare Methode, welche dadurch, daß sie sich 
auf ein Integrationsverfahren stützt, den Einfluß der Beobachtungs- 
fehler auf die Resultate wesentlich vermindert. Nach den in Nr. 2 
gegebenen Entwicklungen ist: 


n gleicher Weise erhält man aus den in der y-Achse 


2 
dt 1 “ 
Has: Sans uf = [B,-47 sin(E, — E})], 
1, 

wo x durch y ersetzt werden kann. Indem man einmal an Stelle des 
ersten Orts, ein anderes Mal an Stelle des zweiten den dritten Ort 
verwendet, erhält man drei Gleichungen, welche, da die Integrale 
durch Quadratur erhältlich sein sollen, zur Ermittlung von 


n,E,—E=9 E—-E=vY 


ausreichen. Infolge der Bestimmung der Bahn aus acht (in den drei 
Gleichungen enthaltenen) unabhängigen Größen ist eine scharfe Dar- 
stellung der drei Örter nur dann zu erwarten, wenn die Gleichung 
6 
Mr Nr AA 

J) ==: -2)- 9 — 189) 

tı 
in ihrer Anwendung auf den dritten Ort durch denselben Wert von ce 
befriedigt wird. 

Die Keplersche Gleichung bestimmt 
nr 


e Co8 a = (| und ecos a care D 


32) Neue Methode zur Berechnung von Doppelsternbahnen; Astr. Nachr. 
104 (1883). 


3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 483 


aus den Werten von p und y; e und E, werden aus den Gleichungen 
gefunden 


: . E,—E 

Ceos 2 — Deos® = esin E, sin +: ? 

Ba. 
C sin ne — Dsin = = cos E, sin Kar we . 


i, wird durch E bestimmt. Thiele führt an Stelle der übrigen Ele- 
mente der scheinbaren Bahn a,, b,, P,, P, ein, welche mit x, y durch 
die Gleichungen zusammenhängen 


x = _ 0080 = a, cos P,(cos E— e) + b, cos P, sinE 
y=osin®= a, sin P,(cos E—e)-+b, sin P, sinE 


und aus zwei Örtern berechnet werden können. 

c) Bahnverbesserung. Zur Verbesserung der nach irgendeiner 
Methode erhaltenen Elemente einer Doppelsternbahn wird man aus 
diesen eine Ephemeride rechnen, die Unterschiede zwischen den beob- 
achteten und berechneten # und oe bilden und in Normalörter zusammen- 
fassen und dann mittels der Differentialquotienten der Koordinaten 
des Ortes nach den Elementen die Größen ableiten, welche zu den 
ursprünglichen Elementen summiert, alle Örter mit Rücksicht auf das 
jedem einzelnen zukommende Gewicht am besten darstellen. Die 
Differentialquotienten findet man bei A. Marth?®). Die Bildung der 
Funktion, die ein Minimum werden soll, aus den Quadraten der Ab- 
weichungen in Richtung und Distanz muß dem Takt des Rechners 
überlassen bleiben. 

d) Bemerkungen über die bekannten Doppelsternbahnen. Der Umstand, 
daß eine Bahnbestimmung sich auf Beobachtungen stützen muß, die sich 
über den größeren Teil eines Umlaufs des Begleiters erstrecken, macht 
es erklärlich, daß die Zahl der bekannten Doppelsternbahnen noch gering 
ist. @. Aitkens®) Katalog enthält die Elemente von 91 Bahnen, wo- 
von 53 gut bestimmt, die übrigen aber unsicher sein sollen. Darf 
man behaupten, daß die Bewegung der Doppelsterne, deren Bahnen 
gut bestimmt sind, durch das Newtonsche Gesetz beherrscht werden? 
Die Behandlung des Bertrandschen Problems®), die Form der mit 
den Bedingungen, daß die Flächengeschwindigkeit in der wahren Bahn 
konstant und daß die scheinbare Bahn eine Ellipse sei, verträglichen 





33) A. Marth, On the formulae for correcting Approximate Elements of 
the Orbits of Binary Stars; Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 47 (1887). 

34) Lick Obs. Bull. 84 (1905). 

35) J. B. Bertrand, G@. Darboux, G@. H. Halphen, Paris C.R. 84 1877; 
F. Tisserand, Paris Bull. astr. IV 1887. 


484 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Kraftgesetze zu bestimmen, läßt bei einigen an sich sehr wahrschein- 
lichen Annahmen das Newtonsche Gesetz als die einzige Lösung er- 
scheinen. Die Unvollkommenheit der Doppelsternmessungen erschwert 
jedoch die Prüfung des elliptischen Charakters der scheinbaren Bahn 
so sehr, daß das Urteil Duners®®): „Es wäre kaum zu rechtfertigen, 
irgendeine der bisherigen Bahnbestimmungen als Bestätigung der 
Gültigkeit des Newtonschen Gesetzes außerhalb des Sonnensystems 
anzuführen“ auch jetzt noch als zutreffend anzusehen ist, wenn man 
eine Bestätigung von einiger numerischer Exaktheit fordert. Die 
kleinste Periode, wahrscheinlich 5, 7 Jahre, besitzt ö Equule. Unter 
den Exzentrizitäten kommen fast alle Werte vor; doch sind wenige 
so klein, wie bei den Planeten, oder so groß, wie bei den Kometen. 
Die kleinste Exzentrizität (0,13) hat & Scorpii, die größte (0,90) 
y Virginis. Der aus den Exzentrizitäten von 40 Bahnen abgeleitete 
mittlere Wert e = 0,48 dürfte, da die Häufigkeit der Bahnen, welche 
auf gleiche Änderungen von e entfallen, in der Nähe dieses Wertes 
ein klar ausgesprochenes Maximum besitzt, den Bahnen visueller 
Doppelsterne im allgemeinen ungefähr entsprechen.?”) Je größer P 
ist, desto größer ist im Durchschnitt auch e. Durch Einteilung von 
45 nach der Länge der Periode geordneten Bahnen in drei Gruppen: 
P<50, 50 <P<120 und P>120 fand @. Doberck?®) für die 
mittleren Exzentrizitäten die Werte 0,37, 0,50 und 0,62. Die nahe 
liegende Schlußfolgerung, daß die Exzentrizitäten mit der Entfernung 
der Komponenten zunehmen, ist aber vielleicht doch zu weitgehend, 
da Dobercks®®) Untersuchungen über die Werte: von n?a® andeuten, 
daß enge Doppelsterne entweder eine kleinere Parallaxe oder eine 
kleinere Masse besitzen als weite. Die Neigung der Bahnen zeigt 
keinen Zusammenhang mit irgendeinem größten Kreise der Sphäre, 
wohl aber die Verteilung der Doppelsterne. Nach Doberck*°) findet 
eine Anhäufung der Paare gegen den Kreis hin statt, dessen nörd- 
licher Pol die Koordinaten hat « = 11"40”; d = + 22°, und daher 
dem Pole des Gouldschen Kreises!) sehr nahe liegt. Die Dichte der 
Paare in der Nähe des Kreises ergab sich ungefähr dreimal so groß 
als in der Nähe seiner Pole. Die in Betracht gezogenen Paare sind, 





86) Einige Bemerkungen über verschiedene Berechnungen von Doppel- 
sternbahnen. Astr. Nachr. 132 (1893). 

87) T.J. See, Researches on the Evolution of the Stellar Systems Vol. I, 1896. 

838) On Double Star Orbits. Astr. Nachr. 147 (1898). 

89) On the Axes and Periods of Double Stars. Astr. Nachr. 138 (1895). 

40) On the Distribution of Binary Stars. Astr. Nachr. 158 (1902). 

41) H. Kobold, Der Bau des Fixsternhimmels (Seite 154) Braunschweig 1906. 


8. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 485 


um optische Doppelsterne nach Tunlichkeit fern zu halten, so aus- 
gewählt worden, daß der Abstand der Komponenten und die Größen- 
klasse der helleren Komponente die Grenzen 2”,0 bzw. 7,5 nicht 
überstiegen. 

Daß ein Fixstern, dessen Eigenbewegung im Laufe eines Jahr- 
hunderts sich als veränderlich erweist, mit einem oder mehreren 
anderen Sternen zu einem physischen Systeme verbunden sein muß, hat 
Bessel bewiesen. Pond glaubte in den Eigenbewegungen einiger Sterne 
Veränderungen zu bemerken, die aber durch spätere Beobachtungen 
nicht bestätigt worden sind. H. W. Bessel‘”) dagegen konnte aus den 
Rektaszensionen des Sirius und den Deklinationen des Procyon eine 
Veränderlichkeit der Eigenbewegung konstatieren. Die Bahn des 
Sirius ist von Peters*?) und später von A. Auwers“*) bestimmt worden, 
noch bevor A. Clark (1862) gelegentlich der Prüfung des Washing- 
toner 26-Zöllers den Begleiter (Stern 10 Größe) entdeckt hat. 
Messungen der Distanz gaben die noch unbekannte Halbachse der 
a Deine Nach Zwiers®) ist P=488, a=17",59, e= 0,59, 


ie 7 = 33; Ru 50 (Auwers). Procyon beschreibt nach Auwers“°) 


a Kreisbahn ni dem Radius 0”98 (nach L. Struve: 074) in nahe 
40 Jahren. Schäberle*”) hat (1896) einen Begleiter 13" Größe ent- 
deckt (= 319%, g—=4",6); der berechnete Wert von ® ist 284°, 
A. Auwers“) hält die Identität des entdeckten Begleiters mit dem 
störenden Körper in dem System des Sirius für sicher, in dem des 
Proeyon aber, besonders mit Rücksicht auf die beobachtete Änderung 
der Distanz, für sehr zweifelhaft. Mehrere Sterne scheinen dunkle 
Begleiter zu besitzen; die Bewegungen der Komponenten des drei- 
fachen Sternes & Caneri“) und des Doppelsternes 70 Ophiuchi°®) 
machen zu ihrer Erklärung die Annahme unsichtbarer Begleiter not- 
wendig. 





42) Über Veränderlichkeit der eigenen Bewegungen der Fixsterge. Astr. 
Nachr. 22 (1845); Bessel Abhdl. I. 

43) C. A. F. Peters, Astr. Nachr. 32 (1851). 

44) Untersuchungen über veränderliche Eigenbewegungen, I. Teil, nigs- 
berg 1862, II. Teil, Leipzig 1868. 

45) W. W. Campbell, Variable Radial Velocity of Sirius. Astrophys. Journal 
21 (1905). 

46) Berl. Ber. 1873. 

47) Astr. Nachr. 142 (1897). 

48) Astr. Nachr. 164 (1904). 

49) H. Seeliger, Wien. Denkschr. 44 (1881); Münch. Abhdl. 17 (1892); Münch. 
Ber. 24 (1894); P. Harzer, Astr. Nachr. 116 (1887). 

50) A. Prey, Wien. Denkschr. 72 (1901). 


486 VIs,ı1. J.v. Hepverger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. Die zu- 
erst von Huggins im Jahre 1867 angewandte Methode der Be- 
stimmung der Radialgeschwindigkeit von Fixsternen durch direkte 
Messung der Verschiebung von Linien des Sternspektrums gegen die 
Linien eines Vergleichsspektrums ist durch die von H. ©. Vogel und 
.J. Scheiner 1888 eingeführte und seither immer mehr vervollkommnete 
spektrographische Methode schon seit Jahren vollständig verdrängt 
worden, da es sich gezeigt hatte, daß die Linienverschiebung in den 
Spektrogrammen viel sicherer gemessen werden kann als in dem 
sich dem Auge darbietenden vibrierenden und fluktuierenden Spektral- 
bande. Die Vergleichung der aus mehreren Beobachtungen eines ein- 
fachen Sternes abgeleiteten, auf die Sonne reduzierten Radialgeschwin- 
digkeiten gibt ein Maß für die Sicherheit ihrer Bestimmung. Diese 
ist gegenwärtig so groß, daß unter besonders günstigen Umständen 
(starke Zerstreuung, scharfe Linien) die Abweichungen nur Bruchteile 
eines Kilometers betragen. Die hohe Leistungsfähigkeit der neuen 
Methode wurde schon im Jahre 1889 bewiesen, indem Vogel?!) aus 
ılen beobachteten Radialgeschwindigkeiten Algols eine Veränderlichkeit 
derselben im Höchstausmaße von 80 Kilometern konstatieren und den 
Nachweis erbringen konnte, daß der Lichtwechsel dieses Sternes 
in dessen zeitweiliger Bedeckung dureh einen relativ dunklen Be- 
gleiter begründet ist. Einige Jahre darnach hat die Lick-Stern- 
warte die systematische Beobachtung der Radialgeschwindigkeiten der 
Fixsterne und namentlich auch der Sterne mit veränderlicher Radial- 
geschwindigkeit (spektroskopische Doppelsterne) in ihr Arbeitspro- 
gramm aufgenommen, welchem Beispiele dann auch die Yerkes-Stern- 
warte folgte. Das rasche Anwachsen der Zahl der Entdeckungen 
spektroskopischer Doppelsterne ist vornehmlich dem Beobachtungs- 
dienste an diesen Instituten zu danken. 

W. W. Campbells Second Catalogue (Lick Obs. Bull. 181, 1910) 
verzeichnet bereits 306 spektroskopische Doppelsterne und darunter 
mehr als 70, wovon ziemlich verläßliche Bahnbestimmungen vorliegen. 
Die Duplizität von Sternen, deren Geschwindigkeitsänderung weniger 
als 6 Kilometer beträgt, oder deren Helligkeit geringer ist als die 
eines Sternes 7!" — 8°" Größe, ist zurzeit schwer nachweisbar. Sehr 
bemerkenswert ist die Häufigkeit einer veränderlichen Geschwindigkeit 
bei Sternen vom Oriontypus. Wie unter den visuellen Doppelsternen 
enge Paare viel häufiger vorkommen als weite, so entfallen auf die 
gleiche Anzahl von Sternen auch weit mehr spektroskopische Doppel- 
sterne als visuelle.’?) 

51) Spektrographische Beobachtung an Algol. Astr. Nachr. 123 (1890). 


4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 487 


Die Bahn, welche eine Komponente des Doppelsternes um dessen 
Schwerpunkt beschreibt, wird durch die Radialgeschwindigkeiten dieser 
Komponente, die Bahn, in der sich eine Komponente um die andere 
bewegt, durch die Differenzen der Radialgeschwindigkeiten beider 
Komponenten bestimmt. Der Erfolg einer Bahnbestimmung ist in 
der Regel nur dann gesichert, wenn die beobachteten Geschwindig- 
keiten die Periode erkennen lassen und, eventuell durch Änderung 
der Beobachtungszeiten um ganzzahlige Vielfache von P, innerhalb 
des ganzen Zeitraumes einer Periode die Geschwindigkeit als Funktion 
der Zeit zu bestimmen gestatten. Den Zusammenhang von Ge- 
schwindigkeit und Zeit kann man wohl am bequemsten dadurch 
finden, daß man die auf eine und dieselbe Periode reduzierten Beob- 
achtungszeiten als Abszissen, die zugehörigen Geschwindigkeiten als 
Ördinaten aufträgt und eine regelmäßig verlaufende Kurve zu ziehen 
versucht, welche sich den Endpunkten der ÖOrdinaten bestmöglich 
anschließt. Je schärfer die Geschwindigkeitskurve durch die Beob- 
achtungen bestimmt erscheint, desto größer wird auch die Sicherheit 
der Bahnbestimmung sein. 

Die Einheiten der Zeit und des Weges seien mittlerer Tag und 
Kilometer. Da sich die Radialgeschwindigkeiten der Sterne stets auf 
die Sekunde beziehen, so wird ihre Reduktion auf die gewählte Zeit- 
einheit durch den Faktor 7 = 86400 bewerkstelligt. 

Der Stern Z habe die Masse m, Z’ die Masse m’. Der Schwer- 
punkt des Systems befinde sich in $, die Sonne in O. Es sei 

dZz, 


z20=Z Z—Z=$ = er 
Z0-Z 2-2: Z=y 
Os 'Z, sE-g = yV 
Zr: 
« = Halbachse der Bahn von 2 mit Bezug auf 8 
bi. 
ar „ ” D) ev» 2» ” „2. 


Dann findet sich nach den Gesetzen der Keplerschen Bewegung: 
(m+m)g=ms; = 


—g; 
a 
(m + m’) = m’a; Eat, "na 1—e 


d 
= ; (cos u + e cos). 


2=rsinusini 


52) Lick Obs. Bull. 79 (1903). 


488 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Je nachdem die auf die Sonne reduzierten Radialgeschwindig- 
keiten \/ des Sternes & oder die Differenzen V der Radialgeschwin- 
digkeiten von & und 3’ gegeben sind, wird man von den Gleichungen 


ausgehen 
1 dz 


0}; 
übers Ba HP 7) oder ee 
Durch Integration der ersten Gleichung zwischen den Grenzen 
t und {+P, für welche & denselben Wert besitzt und daher fa = 0 


ist, erhält man die Radialgeschwindigkeit des Schwerpunktes: 


Vz fvar. 


Diese Gleichung kann man auch schreiben of (V\—\)dt=0 und 
demnach \, aus der Bedingung ableiten, daß eine zur Abszissenachse 
parallele Gerade, welche die auf entgegengesetzten Seiten liegenden, 
von ihr und der Geschwindigkeitskurve begrenzten Flächenstücke 
gleich groß macht, die Ordinate \, besitzen muß. 
Ist \” die Ordinate eines Kurvenpunktes mit Bezug auf diese 
Gerade, so wird 
V=T(eosu-+ ecoso); T= 


nasind 
AT 
V’ erreicht den größten positiven Wert (A) für v=0, den 
größten negativen (— B) für u=n; es ist also: 
A+B, 
2 ; ecosoa = AÄ+B s 
Um e zu finden, bestimmte A. A. Rambaut°?), welcher von diesen 
Gleichungen zuerst Gebrauch gemacht hat, zunächst die Projektion 
der wahren Ellipse auf eine die Gesichts- und Knotenlinie enthaltende 


Ebene (6,9. Fra— + it 5-0, V-1. 


Ist T einer dieser Zeitpunkte, so folgt aus dem Flächensatz: 








T m 








Entsprechen ferner den Momenten, in welchen der Reihe nach 
V= 4,0, —B, 0 wird, die Zeiten r,, t,, 1, %,, so ist 


ea yfvar. 


53) On the Determination of Double Star Orbits; Lond. Astr. Soc. Monthly 
Not. 51 (1891). 


4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 489 


Damit ist die Projektionsellipse gegeben, aus der sich e leicht ablesen 
läßt. Da die Projektionsellipse nur zur Ermittlung von e dienen soll, 
kann c’ nach Belieben angenommen werden. 

R. Lehmann-Filhes®*) gibt eine bequemere Lösung durch Auf- 
stellung einer Gleichung für esino. Besitzt % für {,, 4 die Werte 
U, %,, So ist, da 


| A--B 

0O<u<r und a<w<2z, CO nn DO = 
N 2y AB 
“=2r—- u; siınw=+ ee 


Aus 


&= osinu sin? 


Er al —e?) 
er 1-+ ecos (u — o) 


folgt für die Zeiten #, und %&... 











A era sin u, — esino 
B:. %  sinwm-+esino 
und daraus 
e sin — at sin. 
A) 


A ern durch Quadratur erhalten aus 


er fVa ger fva. 


Nach Bestimmung von e und » ergibt sich /, aus den Formeln 


1— = 
tg Vi - u: E—-esnE=n(t —i,), 


welche am zweckmäßigsten für i, und f, zu verwenden sind. Bei 





großen Exzentrizitäten leistet die Formel Y1— ®—=xtgu, (+ — 2) 
gute Dienste. Die I' definierenden Gleichungen geben 


«sin? = 2 Yı—e. 


2, «, i bleiben unbestimmt, da die Radialgeschwindigkeit von 2 un- 
abhängig ist und die Elemente « und ö nur in der Kombination 
« sin‘ enthält. 

Sind die relativen Geschwindigkeiten 7 gegeben, so bleibt \, 
unbestimmt. Die zur Berechnung der Bahnelemente dienenden For- 
meln bleiben in Gültigkeit, wenn V, r, « an Stelle von \’, g, « ge- 


54) Über Bestimmung einer Doppelsternbahn aus spektr. Mess. Astr. Nach. 
136 (1894). 


"490 Vla,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


setzt werden. Da 


i ’ 2 3 ’ 
m m n a , mtm .,. 
————:, wird —'— sın?di = N 
My ki” Mm, kn 





1 Bor 

20, R 
wodurch eine untere Grenze für die Masse des Doppelsternes fest- 
gelegt ist. Die Erdbahnhalbachse a, ist in Kilometern auszudrücken; 
lg k, = 8,23558. 

Vorzüge der Methode von Lehmann-Filhes sind ihre allgemeine 
Anwendbarkeit und die Sicherheit der Bestimmung der Elemente 
durch Quadraturen; die Umständlichkeit der Ausführung von Qua- 
draturen bildet aber einen Nachteil, den K. Schwarsschild®®) durch 
Verwertung der Koordinaten gewisser Punkte der Geschwindigkeits- 
kurve vermeidet. 

Bedeutet M das Maximum, N das Minimum der Radialgeschwin- 
digkeit Y= \u+ T'(cosu + ecos ») und ist W definiert durch 


W=N—- PER, so wrd W=Tcou T= TER: 
Wenn W= — W ist, wird cosw= — cosu und demnach ent- 
weder 
&) vru—l, 
oder für > u 
(2) u—u=n. 


'Nennt man ein von der größten und kleinsten Ordinate begrenztes 
Stück der Geschwindigkeitskurve einen Zweig derselben, so ist für 
einen Zweig 0<u<x für den andern m <u< 2x; die Relation 
(1) drückt daher aus, daß die Punkte W,t und — W,t auf gleichen, 
die Relation (2), daß sie auf verschiedenen Zweigen der Kurve liegen. 
Für „— u=x wird 


Bi #,.» i+e 
vr 1 te 
RE EN DD EU Sad 
ig 2 — cotg tg, ER 1+cosv’ 
woraus folgt 
R '—E . E+E E—-E 
eco +" — oo, sın + = 0089 Sin —.— 








und unter Bezugnahme auf die Keplersche Gleichung 
EF—-E—snE—- H=n(lt—1t). 
Der spezielle Fall, wo die Zeitdifferenz 4P beträgt, soll hier durch die 


55) Ein Verfahren der Bahnbestimmung bei spektr. Doppelsternen. Astr. 
Nachr. 152 (1900). 


4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 491 


Indizes 1 und 2 gekennzeichnet sein. Das Punktepaar, für welches 
W=—-Wb—t=4P,w— u =, entspricht, daauh, — = rn 
ist, dem Periastron und Apastron. Die Zeit des Periastrons ist dem- 
nach eine der Abszissen t,, t, des auf verschiedenen Zweigen der 
Kurve gelegenen durch W=— W, und ,—1,—=4P bestimmten 
Punktepaares. Das Periastron hat ein’ positives bzw. negatives \W, je 
nachdem die Kurve der positiven bzw. negativen \/ rascher durch- 
laufen wird und in der Nähe des in Frage kommenden Punktes stärker 
gegen die Abszissenachse geneigt ist. 

© wird bestimmt durch I’cos® = Ordinate \W des Periastrons. 
Die Anwendbarkeit dieser Methode erfährt eine Beschränkung durch 
die für große Werte von cos » auftretende Unsicherheit der Bestim- 
mung von » aus cos ©. Um e zu finden, wähle man einen Kurvenpunkt 
(W, £) ungefähr in der Mitte zwischen Periastron und Apastron, 
suche auf dem anderen Zweige der Kurve einen zweiten Punkt (W’, ), 
so daß W’=— W, und bediene sich der oben angesetzten Gleichungen 
unter Berücksichtigung, daB v = u — o; cosu—= M - Die Auflösung 
der transformierten Keplerschen Gleichung wird durch eine Tafel mit 
dem Argument ? — t wesentlich erleichert. Die übrigen Unbekannten 


erhält man aus \,= Fe -— eT coso; asini = z ryi—e 
Sind die Werte von V gegeben, wird, nachdem ® bekannt ge- 
worden ist, e aus der Gleichung r- ecos® gefunden. 


H. Nijland°®) empfiehlt zur Bestimmung von e die Wahl der 
durch ihre symmetrische Lage zum Periastron im allgemeinen leicht 


bemerklichen Punkte v—= + 5 ‚ deren Ordinten W=+ T’sino 
sind. Die Auffindung dieser Punkte wird bei sehr kleinen Werten 
von sin o@ unsicher. Ist At ihre Abszissendifferenz, so wird 
2E — sin2E=At; e= cosE. 
‚ Zwei Wertepaare von V, V genügen zur Bestimmung von V, und 
—, dad\/Y=\W\+t —- V und r —. no; werden die Radialgeschwin- 


digkeiten von EZ und &’ mit g und g’ bezeichnet, so ist 

9, g-Y-V md HH - 2 + IN: 
W. Zurhellen®') empfiehlt, zunächst aus diesen Gleichungen \, und 
- zu bestimmen. 


— 


56) Zur Bahnbestimmung von spektr. Doppelsternen. Astr. Nachr. 161 (1903). 
57) Bemerkungen zur Bahnbestimmung spektr. Doppelsterne. Astr. Nachr. 
175 (1907). 


492 VI»,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Wenn die anfangs gezeichnete Geschwindigkeitskurve beträcht- 
liche Fehler aufweist, wie dies bei Sternen, deren Spektra schwierig 
zu messen sind, gewöhnlich vorkommt, werden die wahrscheinlichsten 
Bahnelemente nur im Wege fortgesetzter Näherungen zu erhalten 
sein. In solchen Fällen kann man den angestrebten Zweck durch 
sukzessive Verbesserungen der Geschwindigkeitskurve erreichen, wozu 
sich die graphische Methode von W. F. King°®) besonders eignet. 

Die Bahnelemente eines spektroskopischen Doppelsternes können 
auch auf analytischem Wege erhalten werden, indem man \ durch 
Reihenentwicklung als Funktion der Zeit darstellt und die Koeffizienten 
aus den Beobachtungsdaten bestimmt. J. Wilsing®”) hat sich auf die 
Bestimmung . von Bahnen mit kleiner Exzentrizität beschränkt; bei 
größeren Exzentrizitäten kann man sich der Methode von N. H. Russel ®°) 
bedienen, welche die Reihenentwicklung voraussetzt: 


V=0(,+0(,csN-+ (,cs2N-+-- ee IR 


wo N=n(t— r), r= Epoche; die zu r gehörige mittlere Kurbeln 
(M) sei mit M, bezeichnet. Durch die Substitution O= @ cos g; 
S= — Gsing erhält man 
V=6+&ea(N+g)+Rcs@N+9)+:- 
In eine Reihe von derselben Form läßt sich die Gleichung 
1d 
Verietz a 
überführen; es ist nämlich 


2 or—Ze+X, cosM + 2 cs2M-+--- 


2 sind— YsnM+7- 1 eY,en2M+-- 


Die Koeffizienten sind Funktionen der Exzentrizität, die von der 
Einheit nur um Größen von der Ordnung e? verschieden sind. 


Setzt man 
Xsino= bsin ß 


Yeswo=bcosß, 
so ist, da &= osinisnvw+ o) und M=N + M, 


\=-\%\+t .. : [b, cos(N+M,+ß,)+ eb, cos(2 N+2M,+Bß,)+--)- 





58) Determination of the Orbits of Spektroscopic Binaries. Astroph. Journ. 
27 (1908). 

59) Über die Bestimmung von Bahnelementen enger Doppelsterne aus 
spektr. Mess. Astr. Nach. 134 (1894). 

60) An improved Method of calculating the Orbit of a Spectr. Binary. 
Astrophya. Journal 15 (1902). 


5. Einige Ergebnisse der Beob. und der Bahnbest. spektrosk. Doppelsterne. 493 


Die Elemente werden auf dem Wege fortgesetzter Näherungen 
erhalten. Die erste Näherung, bei welcher schon e? unberücksichtigt 
bleibt, ist die Wüsingsche Lösung: X = Y=b=1; B=o: 


Bar G 
V= @%; esini—.G; mn M=-9%-9; 0=29, —%- 


5. Einige Ergebnisse der Beobachtung und der Bahnbestimmung 
spektroskopischer Doppelsterne.°!) Die Änderung der Radialgeschwin- 
digkeit nimmt zugleich mit der Geschwindigkeit der Revolutions- 
bewegung bei wachsender Entfernung der Komponenten eines Doppel- 
sternes ab und wird demnach, wenn die Entfernung eine gewisse 
Grenze überschreitet, aufhören, meßbar zu sein. Diese Grenze dürfte, 
bei ausreichender Lichtstärke der Komponenten, öfters zur Auflösung 
des Doppelsternes durch das Fernrohr mehr als genügen. Bis jetzt 
sind aber nur sehr wenige Sterne bekannt, deren Duplizität durch das 
Fernrohr mit und ohne Spektroskop zu erkennen ist. Hierzu ge- 
hören & Hydrae und ö Equulei, deren Perioden 15,7 bzw 5,7 Jahre 
betragen. Da man in solchen Fällen die Neigung i der Bahn aus 
den direkten Messungen der Komponenten, a sini dagegen aus den 
spektrographischen Beobachtungen bestimmen kann, so können die 
Dimensionen der Bahn in linearem Maße sowie die Parallaxe ge- 
funden werden. 

Im allgemeinen entfernen sich aber die Komponenten der spek- 
troskopischen Doppelsterne zu wenig voneinander, als daß es möglich 
wäre, sie im Fernrohre getrennt wahrzunehmen, und man ist daher 
bei der Untersuchung dieser Systeme lediglich auf die Messung der 
Radialgeschwindigkeiten angewiesen. Zurzeit (Ende 1910) sind, wie 
erwähnt, ungefähr 70 Bahnen spektroskopischer Doppelsterne bekannt, 
und es ist bereits möglich gewesen, einige allgemeinere Schlüsse über 
ihre Eigentümlichkeiten zu ziehen. Zusammenfassende Diskussionen 
des vorhandenen Materials sind gleichzeitig von F\. Schlesinger und 
R. H. Baker®?), H. Ludendorff®) und W. W. Campbell) geliefert 
worden. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeiten sollen hier kurz 
dargelegt werden. 


61) Verfaßt von H. Ludendorff in Potsdam. 

62) F. Schlesinger and R. H. Baker, A Comparative Study of Spectroscopic 
Binaries. Publications of the Allegheny Observatory of the University of Pitts- 
burgh. Volume I, No. 21 (1910). 

63) H. Ludendorff, Zur Statistik der spektr. Doppelsterne. Astr. Nachr. 
184 (1910). Ä 

64) W. W. Campbell, Second Catalogue of Spectroscopie Binary Stars. 
Lick Obs. Bull. No. 181 (1910). 


494 VlIa,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Was zunächst die Exzentrizitäten angeht, so zeigt es sich, daß 
die Bahnen der spektroskopischen Doppelsterne durchschnittlich be- 
‘deutend weniger exzentrisch sind als die der visuellen Doppelsterne. 
Sowohl bei den letzteren wie bei den spektroskopischen Doppelsternen 
verrät sich im Durchschnitt eine deutliche Zunahme der Exzentrizität 
mit der Periode. Dies erkennt man an der folgenden, von Schlesinger 
und Baker gegebenen Tabelle: 




















| EEE | Bee 

Spektroskopische Doppelsterne v. kurzer Periode 4 Tage | 0,07 5 
h, 5 „langer „ 129...4:%i::0,80 
Visuelle ‚R „kurzer... 5 | 36 Jahre | 0,45 
a £ „langer ©, er 186: zire 084 


Für die visuellen Systeme hat übrigens, wie bereits in Nr. 3d 
erwähnt, W. Doberck schon früher auf dieses Verhalten aufmerksam 
gemacht. Die auffallende Gesetzmäßigkeit ist für die Entwicklungs- 
geschichte der Sterne von Interesse. Dasselbe gilt von folgender 
Tatsache: Diejenigen spektroskopischen Doppelsterne, welche Spektra 
besitzen, wie sie nach den heutigen. Anschauungen einer verhältnis- 
mäßig frühen Entwicklungsstufe entsprechen (Spektra der Vogelschen 
Spektralklasse Ib und Ia,) haben im Durchschnitt kürzere Umlaufs- 
zeiten und engere Bahnen als diejenigen, deren Spektra weiter ent- 
wickelt sind (Spektra der Spektralklassen Ia, und IIa). Es ist nämlich 
für die erste Gruppe im Mittel P = 30 Tage, a sin : = 16 500000 km, 
für die zweite Gruppe P = 167, a sin i = 29500000 km. Es ist 
hierbei allerdings zu beachten, daß man unter den spektroskopischen 
Doppelsternen der ersten Gruppe bisher hauptsächlich solche mit großen 
Anderungen der Radialgeschwindigkeit zur Bahnbestimmung ausge- 
wählt hat, so daß das obige Resultat dem Sinne nach reell, numerisch 
aber etwas übertrieben sein dürfte. 

Über die Massen der spektroskopischen Doppelsterne kann man 
nur dann einigen Aufschluß erhalten, wenn die Radialgeschwindig- 
keiten beider Komponenten gemessen worden sind. Man kann als- 
dann die Größen m sin®i und m’ sin?‘ angeben. ; ist zwar im all- 
gemeinen unbekannt, immerhin liefern jene beiden Größen aber 
Minimalwerte für die beiden Massen. Es hat sich nun gezeigt, daß 
die lichtschwächere Komponente in allen diesen Systemen auch stets 
die kleinere Masse besitzt. Die numerischen Werte von m sin®‘ und 


5. Einige Ergebnisse der Beob. und der Bahnbest. spektrosk. Doppelsterne. 495 


m’ sin®‘ variieren innerhalb ziemlich weiter Grenzen. Die bisher 
beobachteten Extreme sind (in Sonnenmassen ausgedrückt) 0,52 und 
0,38 bei $ Aquilae, 11,2 und 10,6 bei n Orionis. Im Mittel aus 15 
von Schlesinger und Baker aufgeführten Fällen ist (m + m’) sin’i—=6 
Sonnenmassen, so daß also diese Systeme durchschnittlich weit größere 
Massen haben als die Sonne. Man wird sich aber vor dem Schlusse 
hüten müssen, daß große Masse eine allgemeine Eigenschaft der 
spektroskopischen Doppelsternsysteme ist. Denn es ist zu beachten, 
daß es sich in jenen 15 Fällen um helle Sterne handelt, für die schon 
ihrer Helligkeit wegen größere Massen‘ wahrscheinlich sind. 

Ist bei einem spektroskopischen Doppelstern nur das Spektrum 
(m + m’)? 
ist. Da sowohl i wie — un- 


einer Komponente sichtbar, so kann man nur die Größe 





(a sin s)® 
En 
bekannt sind, so kann man keinerlei Angaben über die Einzelmassen 
machen. Immerhin ermöglicht das Verhalten der asin: und P bei 
den verschiedenen Systemen den Schluß, daß die Größe und die Ver- 
teilung der Massen in den einzelnen Systemen durchschnittlich recht 
gleichmäßig ist. Ordnet man nämlich die Bahnen der spektroskopischen 
Doppelsterne nach der Periode P und bildet aus benachbarten Werten 
von P und den zugehörigen Werten von asin: die Mittel P, und 
(a sin i),, so zeigt sich nach. H. Ludendorff, daß die (a sin i),’ und P,? 


in einem einigermaßen konstanten Verhältnis stehen, so daß sich 
m’? sin? 


mm)" 


berechnen, welche proportional 


also für kurzperiodische Systeme ungefähr derselbe Wert von 


ergibt wie für langperiodische. 

Der Fall, daß nur das Spektrum der helleren Komponente sichtbar 
ist, ist der weitaus häufigere. Immerhin hat man bisher bei ungefähr 
60 Systemen mehr oder weniger deutliche Spuren des Spektrums des 
Begleiters nachweisen oder vermuten können. In mehreren Fällen sind 
die beiden Komponenten gleich hell und besitzen gleiche Spektra, so daß 
alsdann infolge der relativen Radialbewegung beider Komponenten 
periodische Linienverdoppelungen eintreten. Klassische Beispiele für 
diesen Fall sind die Sterne 8 Aurigae und $, Ursae majoris. Für letzteren 
sind die Elemente der relativen Bahn nach AH. C. Vogel®): P = 201,5, 
A= 128 km, B= 149 km, e= 0,52, asini= 33000000 km. Auch 
der etwa 14” von £&, Ursae majoris entfernı stehende visuelle Begleiter 
'&, Ursae majoris ist ein spektroskopischer Doppelstern und ebenso der 





65) H.C. Vogel, Weitere Untersuchungen über das spektr. Doppelstern- 
system Mizar. — Archives Neerlandaises des sciences exactes et naturelles. 
Serie II, Tome VI. 1901, p. 661. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 33 


496 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


etwa 11’ entfernte Alkor. Da, wie aus der Gleichheit der Eigen- 
bewegungen hervorgeht, Alkor und das visuelle Doppelsternsystem 
& Ursae majoris physisch zusammengehören, so haben wir hier ein aus 
drei spektroskopischen Doppelsternen bestehendes System vor uns. 

Ein visueller Doppelstern, dessen beide Komponenten spektro- 
skopische Doppelsterne sind, ist auch « Geminorum (Castor), dessen 
durch eine Distanz von 6” getrennte Komponenten eine Umlaufszeit 
von mehreren hundert Jahren haben, so daß ihre relative Bahn noch 
nicht mit Sicherheit hat bestimmt werden können. Beide Kompo- 
venten sind nun, wie schon erwähnt, spektroskopische Doppelsterne. 
Nach H. D. Curtis‘®) sind für die hellere Komponente («, Geminorum) 
die Elemente: P—= 9122, A=13,0 km, B= 14,1 km, e= 0,50, 
a sin? == 1485000 km, V,=-+ 6 km, für die schwächere («, Gemi- 
norum): P = 24,93, A = 31,7 km, B= 31,8 km, e= 0,01, asini= 
1279000 km, /,—= — 1km. Die relative Radialgeschwindigkeit von 
7 km der beiden Komponenten gegeneinander deutet auf eine ziem- 
lich große Masse des ganzen Systems hin. 

Von anderen interessanten spektroskopischen Doppelsternsystemen 
seien hier noch kurz erwähnt die zwei mit den kürzesten bisher fest- 
gestellten Perioden, nämlich 8 Cephei (P= 04,19) und ß Canis majoris 
(P = 01,25), ferner das System ß Arietis mit außerordentlich großer 
Exzentrizität (e= 0,88) und einige Systeme, in denen die Amplituden 
der Radialgeschwindigkeit sehr groß sind, nämlich « Hereulis (hellere 
Komponente A + B= 199 km, schwächere Komponente A+ B= 
506 km), n Orionis (4 B= 290 km), Y Orionis (A + B== 288 km). 

Besonders bemerkenswert sind einige wenige Fälle, in denen die 
Werte der Radialgeschwindigkeit so verlaufen, daß man zu der An- 
nahme eines dritten Körpers in den betreffenden Systemen gezwungen 
ist. Das bekannteste Beispiel dieser Art ist der Polarstern, dessen 
Natur als spektroskopischer Doppelstern von W. W. Campbell‘) ent- 
deckt wurde. Seine Bahnelemente sind P = 39,97, A+ B=6,1 km, 
e—= 0,13, asini— 164500 km. Der Schwerpunkt dieses Systems 
hat aber, wie Campbell bemerkte, keine konstante Radialgeschwindig- 
keit; vielmehr bewegt er sich in einer Bahn mit den Elementen 
P—= 11,9 Jahre, A+ B= 6,0 km, e=0,35, «sin i—= 166 800000 km. 
Wir haben uns das System also wie folgt vorzustellen: Ein sehr 
enges Doppelsternsystem mit viertägiger Umlaufszeit bewegt sich in 


66) H. D. Curtis, The System of Castor. Astroph. Journ. 23 (1906), p. 351. 
67) W. W. Campbell, The Variable Velocity of « Ursae Minoris in the Line 
of Sight. Astroph. Journ. 10 (1899), p. 180. 


5. Einige Ergebnisse der Beob. und der Bahnbest. spektrosk. Doppelsterne. 497 


zwölfjähriger Periode um den Schwerpunkt des aus ihm und einem 
dritten Körper gebildeten Systems in einer Bahn, deren auf den Visions- 
radius projizierte große Halbachse etwas größer ist als die große 
Halbachse der Erdbahn. Auch bei einigen andern spektroskopischen 
Doppelsternen hat man Abweichungen von der einfachen elliptischen 
Bahnbewegung bemerkt, die aber zumeist noch nicht näher unter- 
sucht sind.°®) Zur Erklärung der beobachteten Erscheinungen wird 
man wohl meist die Existenz eines dritten, störenden Körpe:s an- 
nehmen müssen. Auch ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu 
weisen, daß in gewissen Fällen die Linienverschiebungen nıchit durch 
Radialbewegung, sondern auf andere Weise, z. B. durch Druckände- 
rungen, zustande kommen. 

Bei den bisherigen Betrachtungen ist eine Klasse von Sternen 
ganz außer acht gelassen worden, die in gewisser Weise den andern 
gegenüber eine Sonderstellung einnimmt. Es sind dies diejenigen 
spektroskopischen Doppelsterne, die zugleich veränderliche Sterne vom 
ö Cephei- und & Geminorum-Typus sind. Die Helligkeitsänderungen 
dieser Sterne verlaufen mit großer Regelmäßigkeit in Perioden von 
meist nur wenigen Tagen. Die Radialgeschwindigkeiten erleiden 
Änderungen von derselben Periode wie die Helligkeit, und das Maxi- 
mum der Helligkeit fällt sehr nahe mit der größten Annäherungs- 
geschwindigkeit, das Minimum mit der größten von der Erde fort- 
gerichteten Geschwindigkeit zusammen.‘°®) Charakteristisch für die 
Bahnen ist ziemlich starke Exzentrizität (0,31 im Mittel aus elf be- 
kannten Bahnen) und kleine Werte von asini (856000 km bis 


2000000 km). Durchweg ist die Größe an sehr klein, näm- 

(m+ m) 
lich gleich durchschnittlich 0,0034 Sonnenmassen. Dies deutet darauf 
hin, daß m’ im Verhältnis zu »m ziemlich klein ist, da man sonst sehr 
geringe Gesamtmassen annehmen müßte. Eine befriedigende Erklärung 
für den Zusammenhang zwischen den Änderungen der Helligkeit und 
denen der Radialgeschwindigkeit ist bisher noch nicht gefunden worden. 
(Vgl. unten Nr. 6b).) Die Spektra dieser Sterne sind durchweg, von 
gewissen Eigentümlichkeiten abgesehen, dem Sonnenspektrum ähnlich, 
und Andeutungen des Spektrums des Begleiters sind nicht wahrzu- 
nehmen. 


68) Vgl. z.B. J. S. Plaskett, The Speetroscopie Binary ß Orionis. Astroph. 
Journ. 30 (1909), p. 26. 
69) J. C. Duncan, The Orbits of the Cepheid Variables Y Sagittarii and 
R T Aurigae; with a Discussion of the Possible Causes of this Type of Stellar 
Variation. Lick Obs. Bull. Nr. 151 (1909). 
33* 


498 VIs, 11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher 
Sterne. Wenn man den Lichtwechsel eines veränderlichen Sterns 
auf Verfinsterungserscheinungen zweier umeinander kreisender Körper 
zurückführen will, so ergibt sich das Problem, aus der Lichtkurve 
die Bahn und die relativen Dimensionen der beiden Körper zu be- 
rechnen. Es zeigt sich, daß sich dabei auch noch interessante‘Schlüsse 
auf die Dichte der Körper machen lassen. 

a) Algolsterne. Besonders klar und zweifellos mit Verfinsterungen 
hat man es zu tun bei den Algolsternen — so genannt nach dem 
hellsten dieses Typus Algol (8 Persei) —, bei denen in regelmäßigen 
Intervallen für eine kurze Zeit eine beträchtliche Verminderung der 
sonst konstanten Normalhelligkeit eintritt. Unter der Voraussetzung, 
daß beide Körper als Kugeln angenommen werden können, seien 
R,d, R,d die Radien und Dichten der Massen m und m’. Die durch 


die Gleichung D = definierte mittlere Dichte des Systems 
ist (bei Vernachlässigung der Masse Erde + Mond) in Einheiten der 
‚mittlren Dichte D, a Sonne gegeben durch 
3 a? 
2 Pe) Par”) 

Ist # die Dauer des Lichtwechsels (die Zeit zwischen den beiden 
äußeren Berührungeri der Körper von der Erde aus gesehen), so wird 
für eine Kreisbahn, wie geometrisch leicht ersichtlich: 





R+R=ayV1-— cos ini — ao. 


3 
v=4P, () 
so kann geschrieben werden 


D (R+R% 1 
D, "uRIRS' Pe 


Setzt man 





Da 
-< era <1 und o>sin, 





ist auch 





Das Gleichheitszeichen bezieht sich auf den Fall 


R=R, i-Z; 








70) M. Meriau, Densit6 des 6toiles variables dü type d’Algol, Paris C. R. 
122, 1896. 


6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 499 


wird P in Stunden ausgedrückt, so ist log» = 1,4905. Für elliptische 
Bahnen wird 6 durch eine sehr komplizierte Formel dargestellt.?°) 
Die meisten Algolsterne zeigen nur ein Minimum. Nur die Be- 
deckung des Hauptsterns durch den Begleiter, nicht aber die des Be- 
gleiters durch den Hauptstern gibt eine merkliche Lichtabnahme. In 
diesem Falle muß, wenn von großen Bahnexzentrizitäten abgesehen 
wird, bei welchen die zweite Bedeckung überhaupt ausfallen kann, 
die Helligkeit des Begleiters um mindestens 2—3 Größenklassen ge- 
ringer sein als die des Hauptsternes, so daß der Begleiter als dunkel 
aufgefaßt werden kann. Sofern sich der Begleiter zur Zeit des Mini- 
mums vollständig auf den Hauptstern projiziert und dessen Ober- 
fläche in allen ihren Teilen Licht von gleicher Intensität uns zusendet, 
läßt sich die Maximaländerung Am der Sterngröße ausdrücken durch 


Am— 2ölg — ya; R<R. 
1-(z) 
Aus dieser Gleichung kann z bestimmt werden. Dann tritt in dem 


Ausdruck für D nur noch sin‘ als Unbekannte auf, welche Größe 
wohl nie sehr weit von der Einheit abweichen dürfte Da 





Be 
fnaleepi ke) 120 


und die Vertauschung von R, m mit R’, m’ die Gleichung für 5 gibt, 
0 


so bedarf man nur der Kenntnis von P,t und 2, um zu Grenzwerten 
der Dichten zu gelangen gemäß der Relation 
| R,\® ei 
7) 
A NE sin: =t : 
Fe) ın ® 


Hat das Minimum selbst, die Zeit zwischen den beiden inneren Be- 
rührungen, eine Dauer t,, so besteht auch die Gleichung 








R— R—ayY1-— cos? Zh sins;, 


welche die Bestimmung von D, = ; = und i ermöglicht. Die weitere, 


aus spektroskopischer Beobachtung gewonnene Kenntnis von «sini, 
mithin auch von «, kann, wie Barnard’?) gezeigt hat, zur Bestimmung 


71) A Roberts, Density of close Double Stars. Astroph. Journ. 10 (1899). 
12) R. J. A. Barnard, Note on the Algol System. Astroph. Journ. 23 (1906). 


500 VIs,11. J.r. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


der Minimalwerte von R, R’ und der Maximalwerte von d, d’ ver- 


wendet werden, indem, wenn = —=ı4 und = = x gesetzt wird, 


1-+1’r 


+1 
= Fe) :6 und d = D 


K 2c+1 


a6 
Ten 
und d’ sind D(A°-+ 1) bzw. p(1 4 =) Für das System Algol 
(D = 0,13) fand Barnard 


m DT 
z d d’ — Se 
Mm, Mm, 


400 0,07 .027 0,08 0,05 
100 013 013 051 023 
025 01T 004 1920 2,4. 


ist. Der kleinste Wert von R ist die größten Werte von d 


Die Massenwerte werden, wie man sieht, außerordentlich stark von 
der Annahme über & beeinflußt. 


Der Lichtwechsel Algols ist von A. Pannekoek”?) zum Gegen- 
stande eingehender Untersuchung gemacht worden, die zum Ergeb- 
nisse führte, daß die Lichtkurve symmetrisch ist und eine periodische 
Schwankung in der Helligkeit des Minimums oder in der Dauer der 
Verfinsterungen nicht nachgewiesen werden kann. Es muß deshalb 
dahingestellt bleiben, ob nicht doch gewisse Ungleichheiten vorkommen, 
die $. C. Chandler’*) durch eine Bewegung des Doppelsterns um einen 
dritten Körper, F. Tisserand”) durch eine Drehung der Apsidenlinie 
der Doppelsternbahn zu erklären versuchten. J. Stebbins’®) hat durch 
Verwendung von Selenzellen die Helligkeit Algols und anderer heller 
Sterne mit einer Genauigkeit zu bestimmen vermocht, die durch 
visuelle oder photographische Methoden bisher nicht erreicht. worden 
ist. Nach seinen Beobachtungen besitzt die Lichtkurve Algols ein 
sekundäres Minimum, in dem die Helligkeit des Sterns eine Abnahme 
um 0”,06 erfährt. Die aus der Lichtkurve unter der Annahme einer 
größeren Flächenhelligkeit (J,‘) der vom Hauptsterne beschienenen 


73) Untersuchungen über den Lichtwechsel Algols. Dissertation Leiden (1902). 

74) Contributions to the Knowledge of the variable stars, Astronomical 
Journal XI (1892). 

75) Sur l’etoile variable ß de Persee (Algol), Paris C. R. 120 (1895) 

76) The Measurement of the Light of Stars with a Selenium Photometer, 
with an Application to the Variations of Algol, Astrophys. Journ. 32 (1910). 


6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 501 


Seite des Begleiters erhaltenen Bestimmungsstücke des Systems sind: 
i=823 R=10 J=1W0 P= 68832 D=007D, 
e=00 R=1,i14 J=009 t= 980 d4<0.18D, 

a=4N1 J=0,05 d<012D, 
Die Dichte der Algolsterne ist viel geringer als die der Sonne (1,4). 

Der Durchschnittswert der oberen Grenze für D dürfte etwa 0,2 sein. 
Einige Algolsterne, wie Z Herculis’”), UZ Cygni”) zeigen schon 

bei roherer Beobachtung zwei Wiyima von ungleicher Helligkeit. Photo- 

metrische Beobachtungen des Lili echsels dieser Sterne geben der 

Bahnbestimmung eine sicherere G@ lage als Beobachtungen vor 

Sternen, die nur ein Minimum haben. @nter der Annahme i — S 


können die Zeiten des beginnenden und ende Lichtwechsels in sehr 
einfacher Weise zur Bestimmung von Bahnelemef%gn verwertet werden. 
Je nachdem sich die Zeiten auf das Ende und ah Aare der 
Maxima oder auf Beginn und Ende der Minima beziehen, sei 
RIE_g oder Fa 

Wenn diese Zeiten, vom Beginne des durch die Verdeckung des Be- 
gleiters entstehenden Lichtwechsels an gezählt, der Reihe nach mit: 
tı, ig, ti, t, bezeichnet werden, sind die ihnen entsprechenden r 
und v an die Gleichungen gebunden 


208, +0)=— cs (wu +0)=— "cos (+ 0) 
5 — 00, +0o)=d 


Ersetzt man r, v durch a, E, so ergibt sich hieraus unter Be- 
nutzung der Substitutionen 
Bay BA A 


E, 
iltehihiag ray! Meine Rad DE. dmeniinue mi 


gG,=-g,=-—Vl— edtgo 
6089, + c08 9, = 2ecos @, 








USW. 


2d cos @, 
OB De = OR. em. 
G=6; = er Be 


G+&%=20;  -=— +9 
77) E. Hartwig, Der veränderliche Stern vom Algoltypus Z Herculis, Astr. 
Nachr. 152 (1900). | 
78) E. Hartwig, Ein Zwischenminimum des langperiodischen Algolsterns 
U Z Cygni. Astr. Nachr. 165 (1904). 





502 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 
Aus den vier Keplerschen Gleichungen folgt 


29, — sin 95 (0089, + cosg,)— n (1 — th) 
29, — sin 9, (6089, + c089,) = n(t, — ) 
2esin G, (608, — cosg,)=n(, — a —t, +14,)."°) 


Die zwei ersten Gleichungen bestimmen g,, 9,, woraus e, G@ und dann 
@, d erhalten werden. {, wird durch E,=g,+ @, bestimmt. Je 
größer der Helligkeitsunterschied der beiden Minima ist, desto un- 
sicherer wird die Beziehung der Zeiten auf gleiche d und daher auch 
die Bestimmung der Elemente. 

Die kleine Distanz und geringe Dichte der Komponenten der 
Algolsterne bedingen eine elliptische, von der jeweiligen Größe der 
zerrenden Kräfte abhängige Gestalt dieser Körper. Die Flutbewegung, 
deren Lebhaftigkeit mit der Bahnexzentrizität wächst, hat gewiß auch 
Verschiebungen der an und nahe der Oberfläche gelegenen, stark ab- 
sorbierenden Dämpfe zur Folge, wodurch die Intensität der Licht- 
emission geändert wird. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die 
Annahme einer der scheinbaren Größe der leuchtenden Fläche pro- 
portionierten Lichtintensität auch nicht imstande ist, die Lichtände- 
rung der Algolsterne in ganz befriedigender Weise darzustellen. Die 
Beobachtung zweier Minima läßt die Unverträglichkeit der Annahmen, 
daß die Körper kugelförmig seien und Licht von konstanter Intensität 
aussenden, mitunter sofort erkennen. Die analytische Formulierung dieser 
Annahme führt nämlich, wenn | ,, |, die Intensitäten des Vollichtes 
jedes der Körper, |, die Intensität des Maximums, |, |’ die des 
Haupt- und Zwischenminimums bedeuten, und u,, u, positive zwischen 
den Grenzen O0 und 1 liegende Größen ausdrücken, zu den Relationen 


“Lıtb=L 
L+Wl,= LE 
L[trb=L; 
woraus folgt L+L > 1; die Schwächung des Lichtes von UZ Cygni 


Be 
beträgt im Hauptminimum 2,7, im Zwischenminimum 0,4 Größen- 
klassen. Es wird daher IH —= 0,78. Ob dieses Resultat mehr auf 


i 0 
Rechnung der Deformation oder der Veränderlichkeit der Lichtemission 
der Komponenten zu setzen ist, läßt sich vorläufig nicht entscheiden. 





79) J. v. Hepperger, Über den Zusammenhang zwischen der Lichtänderung 
und den Elementen des Systems ß Lyrae. Wien. Ber. 1909. 


6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 503 


b) Veränderliche von kontinuierlicher Lächtschwankung. Während 
das Licht der Algolsterne nur zeitweilig veränderlich ist, weist eine 
andere Klasse von veränderlichen Sternen einen ununterbrochenen 
Wechsel des Lichtes auf. Wahrscheinlich bestehen alle diese Sterne, 
von denen mehrere spektroskopische Doppelsterne sind, aus zwei oder 
mehreren Körpern, deren Konstellation für die zur Erde gelangende 
Lichtmenge bestimmend ist. Daß der Lichtwechsel auch ohne Ver- 
finsterung einer Komponente durch eine andere erfolgen kann, lehren 
die spektroskopischen und photometrischen Beobachtungen von 
ö Cephei®®), welche wohl dieselbe Periode (524) ergeben, aber mit 
der Annahme einer Verfinsterung von bemerkenswerter Phase kaum 
verträglich sind. Die große, diesem Systeme eigene Bahnexzentrizität 
(0,5) läßt eine von der Flutbewegung abhängige, veränderliche Licht- 
' emission vermuten, doch liegt, wie in Nr. 5 erwähnt, für diese Art 
des Lichtwechsels noch keine ganz befriedigende Erklärung vor. 

Verfinsterungen werden wieder wahrscheinlich, wenn sich die 
Komponenten eines Doppelsternes in nahe kreisförmigen Bahnen be- 
wegen; dann wird ihre Figur und Lichtemission nur kleine Ände- 
rungen erfahren. Eins leicht erkennbare Veränderlichkeit des Lichtes 
kann in diesem Falle ohne partielle Bedeckung der Körper wohl kaum 
zustande kommen. 

Die Bestimmung der Bahn und der Pinandonen der Kompo- 
nenten aus der Lichtkurve eines solchen kontinuierlich veränder- 
lichen Sternes, wofür 8 Lyrae als Typus gelten kann, ist hun, 
auch wenn man eine nahe kreisförmige Bahn und Bedeckungen 
voraussetzt, ohne weitere willkürliche Annahmen bezüglich der Form 
der leuchtenden Flächen und der Helligkeit ihrer Elemente nicht 
möglich. Da die Lichtschwankungen wegen ihrer, im Verhältnis zur 
Beobachtungsgenauigkeit geringen Amplitude zur Bestimmung vieler 
Unbekannten nicht ausreichen und die zu bildenden Annahmen die 
Lösung der Aufgabe. nicht zu schwer machen sollen, werden die vor- 
ausgesetzten Eigenschaften des Systems von den wahren in mehr- 
facher Beziehung und oft beträchtlich abweichen, so daß die gewon- 
nenen Resultate auch bei guter Darstellung der Lichtkurve mit großen 
Fehlern behaftet sein können. Der Deformation kann einigermaßen 
durch die Annahme Rechnung getragen werden, daß die Oberflächen 
der Komponenten unveränderliche gestreckte Rotationsellipsoide seien, 
deren große Achsen in einer und derselben Geraden liegen und zu 


80) B. Meyermann, Resultate aus den Beobachtungen von öCephei. Astr. 
Nachr. 167 (1905). 


504 VIsz11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


den kleinen Achsen in' demselben Verhältnisse stehen. Mit Bezug auf 
die Lichtemission empfiehlt sich die Annahme, daß die von jeder 
Komponente herrührende Lichtmenge der scheinbaren Größe ihrer 
unverfinsterten Oberfläche proportioniert sei.®!) 

Das Ellipsoid &, dessen Zentrum sich in O befinde, habe die 
Halbachsen A, B; die größte Intensität des von & herrührenden 
Lichtes sei |,; für das Ellipsoid 2’ seien die entsprechenden Be- 
stimmungsstücke mit 0’, AA, AB und 1 — |, bezeichnet. Die Maxi- 
malintensität des Systems ist daher der Einheit gleichgesetzt. Be- 
deutet - — ö den Winkel zwischen der Linie O0’ und der Gesichts- 
linie, so sind die Halbachsen «, $# der durch Projektion von & auf 
eine zur Gesichtslinie senkrechte Ebene entstehenden Ellipse: 

a=4A:x, ß=B, »=-YVl-— sind, ?= u 
die Halbachsen der Projektion von 2’ sind Aa, Aß. Das Dreieck 
00°C, in welchem 00’ —=rcosd ist, und OC=«, OC=4u sein 
soll, habe bei O bzw. 0’ den Winkel A bzw. x, so daß 











in Das 
cp + icsg—- Tin, 
Bar. 
copy — tr Hi 


Setzt man zur Abkürzung 
2% — sin2Y» + 1%(2y — sin2y) = 2(y + Ay — vsiny) = 2q, 

so ist der Inhalt F der beiden Ellipsen gemeinschaftlichen Fläche. 
F= eßng. 

Die Intensität | des Systems ist, wenn 2’ vor 2 liegt: 

—F 23 
L=L uf En (1 — 1) oe een «(1 — 4Lo)» 

im entgegengesetzten Falle aber 


L=x(1-95°).®) 


Die typischen Eigenschaften der Lichtkurven der Gruppe von 
veränderlichen Sternen, um die es sich hier handelt, nämlich bestän- 
diger Wechsel des Lichtes, Gleichheit oder nur geringe Verschieden- 
heit der Intervalle zwischen den Epochen der Maxima und Minima 
deuten darauf hin, daß r nur wenig von A-+AA verschieden ist und 
als nahezu konstant gelten kann. Man wird sich daher vorerst mit 


81) @. Myers, The System of ß Lyrae, Astroph. Journ. 7 (1898). 


6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 505 


der Näherung r—= A(1-+-4) begnügen und r—=1 setzen, wodurch A 
in Teilen des Radius der Kreisbahn ausgedrückt erscheint. Da in 
der Kreisbahn die Änderung von « der Zeit proportioniert ist, und 


die Minima für = + 5 eintreten, so ist durch die Lichtkurve 


auch der Zusammenhang von % und | gegeben. Aus sind=sinusins 
folgt für 


De EHEN 1+14 ; 
u-+2....-V1-—- mt; BR +1) cosi 


% , 
für 





7 In 1 Bas, 
u=+- und +... .-Vi-4tesni; 


A. Roberts®:) geht von den Annahmen |,=4#, 4=1 aus und 
bestimmt & und ? aus den zwei mittleren Werten der vom Helligkeits- 


maximum an gezählten Größenänderung Am des Systems für = + - 


und die ungeraden Vielfachen von . Die Erzielung eines engeren 
Anschlusses an die Lichtkurve bleibt der Ausgleichsrechnung vor- 
behalten. Die Berechnung zweier Tafeln, welche mit den doppelten 


Argumenten e°, i auf Grund der Relationen 
1 a 1 
11, 09-59, 19-2 —sin2y, L=-r(ll—;0) 
Am = 2,5 log n- 


die Werte der Funktion Am für v= ” und = geben, ermöglicht 


eine rasche Bestimmung von & und :. 

Die dem Robertsschen Verfahren zugrunde liegenden Annahmen 
Lo>=%, 4=1 sind nur bei gleicher Intensität der Minima vereinbar 
und widersprechen sich um so mehr, je größer der Intensitätsunter- 
schied ist. Wenn dieser mehr als ungefähr 2 bis 3 Zehntel einer 
" Größenklasse beträgt, erscheint es vorteilhafter, die Unbekannten ohne 
Zuhilfenahme neuer Hypothesen zu bestimmen, was am einfachsten 
durch Auflösung eines Systems von vier Gleichungen geschehen kann, 
in denen die Intensitäten der Minima und noch zweier Punkte der 





82) A. Roberts, On the Relation existing between the Light Changes and 
the Orbital Elements of a close Binary System. Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 
63 (1903); On a Method of Determining the Absolute Dimensions of an Algol 
Variable Star. Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 66 (1906). 


506 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


Liehtkurve vorkommen, für welche die Summe der ö gleich Null ist. 
Bei Auswahl der. Punkte v=—+ > können, wenn Yl— e’sini=tgw 
gesetzt wird, die Gleichungen geschrieben werden 


7 


u-—3.-w(l—qo)-L; 


2 
= 
4 





1 
u IL; 
el 


4 al ze)=T, 





wo q eine Funktion von A und v == (1 + A)cosicotgw, q’ dieselbe 
Funktion von A und V=Y(1 + 4)?+ v’sin?’w ist. Durch Berech- 
nung einer einzigen Tafel, welche mit den Argumenten A, » die 
Größen q gibt, ist man daher in den Stand gesetzt, den einem be- 
liebigen Wertepaare g, A bzw. g’, A zugehörigen Wert von v bzw. v/ 
auf dem Wege der Interpolation zu finden. Zur Bestimmung von w 
dienen die Gleichungen 





L—-U_, N 'L—-LTD & 
0-7 -V3; sin 14-1 Y3; osinwts)=1. 





Es ist ferner 
RR 1—i, tgu—L. _ 1-Leotgw, »_1—L’YV2cosw, 
lo tguw—L’ q E ’ 4% L 3 

L, ist versuchsweise so zu bestimmen, daß die zu A, q, q’ gehörigen 
Argumente », v’ die Gleichung erfüllen v»’?—= (1 + )?+ v? sin? w; 
die übrigen Elemente werden durch die Gleichungen 
coBt —= . tgw, esini = nn Am en B=Ayl—® 
bekannt. ’®) 

Wenn.auch die Zeiten der Maxima und Minima die Annahme 
einer Kreisbahn rechtfertigen, so kann doch r von A(1-+4) um eine 
Größe n verschieden sein. Sollte es sich zeigen, daß für n„=0 eine 
befriedigende Darstellung der beobachteten Intensitäten nicht zu er- 
reichen ist, so wäre n so zu bestimmen, daß die Fehler der Darstellung 
möglichst klein werden. 1 

Ungleichheit der Intervalle in der Reihenfolge der Maxima und 
Minima weist auf eine elliptische Bewegung der Komponenten hin, 
bei welcher im allgemeinen die Lage der Minima nicht mehr genau 


durch u= + - oder durch die Richtung einer Fokalchorde markiert 
2 














6. Bestiimung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 507 


ist. Bezeichnen At, Av, 29 die Änderungen der Zeit, der wahren 
und exzentrischen Anomalie vom Hauptminimum zum Nebenminimum, 
At, A’v, 2g’ die Änderungen von dem auf das Hauptminimum fol- 
genden Maximum zum nächsten Maximum, so ist 
Ar=n 
29 — sin2g—=nA't 


® 
— — sin — cotg’. 








yvı—e 
Aus Av2x folgt, daß die Relationen 29 — sin 2g = nAt 
und Teer, c08@ = cotgg nur als näherungsweise richtig angenom- 


men werden dürfen. Die zur Berechnung von e, »® aus den Zwischen- 
zeiten gemachte Annahme Av— x bedarf daher noch einer Kontrolle 
durch die nach Bestimmung der übrigen Elemente sich ergebende 
Lage der Minima. 

Der Lichtwechsel. des spektroskopischen Doppelsternes ß Lyrae 
(P = 124,91, Max. 3”,4, Min. 3”,9, 4”,5) wird nach den Untersuchungen 
von Myers durch die Annahme erklärt: | 

a=1,.e=002;, A=052, B=043, 1 = 0/5, 
I, & = (0,56, Lo 0,71, 
er läßt sich aber auch ebensogut durch ein wesentlich anderes Ele- 
mentensystem darstellen, nach welchem das Hauptminimum durch Ab- 
blendung des Lichtes des kleineren Körpers zustande kommt. ’®) 

Den spektroskopischen Beobachtungen zufolge ist für 
n 
gr 


ya 


v= 


:a@ = 50,2 Mill. Kilometer, E — 20,9, = — 9,6; 
hieraus folgt, daß die Komponenten ungefähr dieselbe mittlere Dichte 
0,0006 haben und daher weniger dicht sind als die Luft an der Erd- 
oberfläche. 

Die Untersuchungen Roberts über die veränderlichen Sterne 
U Pegasi (P= 9,0) und RR Centauri (P —= 14",5)®?) scheinen die 
Annahmen zu rechtfertigen, daß die Komponenten von gleicher Größe 
sind und sich bei gegenseitiger Berührung in Kreisbahnen bewegen. 
Die durch die elliptische Gestalt der zu engen Systemen verbundenen 
Körper bedingte Zunahme des Radiusvektors und der Bahnexzentrizität | 
‚und die damit zusammenhängende Drehung der Apsidenlinie bewirken 
. eine Änderung der Form der Lichtkurve, welche jedoch nur aus Be- 
obachtungen, die sich über sehr viele Jahre erstrecken, zu konsta- 
tieren sein wird. 


508 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 


7. Bahnbestimmung der Satelliten. Die Methoden der Bahn- 
bestimmung visueller Doppelsterne haben die Unveränderlichkeit der 
Lage des den Messungen zugrundeliegenden Koordinatensystems zur 
Voraussetzung und sind daher auf ein System Planet—Satellit nur 
dann ohne weiteres anwendbar, wenn die Bewegung des: Satelliten so 
rasch erfolgt, daß während eines Umlaufs die Änderung des geozen- 
trischen Ortes des Planeten vernachlässigt werden darf. Wird durch 
die Beobachtungen die Projektionsellipse hinreichend bestimmt, so 
empfiehlt sich die Anwendung graphischer Methoden zur Ermittlung 
genäherter Bahnelemente, die daun auf ein vom scheinbaren Orte des 
Planeten unabhängiges Koordinatensystem übertragen werden können. 
Lage und Dimension der Ringe des Saturn®?) ergeben sich aus Mes- 
sungen der Richtung und scheinbaren Größe der Achsen der sicht- 
baren Projektionsellipsen, die für e= (0 Zwierssche Hilfsellipsen sind. 

Bei verhältnismäßig rascher Bewegung des Planeten kann man 
versuchen, die Beobachtungen des Satelliten durch eine Kreisbahn 
darzustellen, welche, wenn die mittlere planetozentrische Bewegung 
des Satelliten bekannt ist, durch zwei Positionsmessungen bestimmt 
wird.®%) 

‚Zur Zeit i seien die geozentrischen äquatorialen Koordinaten des 
Planeten A, A, D, die planetozentrischen, äquatorialen Koordinaten 
des Satelliten r, «, d, Positionswinkel und Distanz 6, o; die Beziehung 
auf eine andere Zeit soll dureh Beifügung eines Striches angedeutet 
sein. Bezeichnet 180° — 6 den Winkel am Planeten im Dreieck Erde — 
Planet—Satellit, so ist zur Zeit 


| t...sin(6 — )— sine 


(1) | R 


..sin (’ — 0) = = sin g' 


Der Winkel zwischen den Richtungen r, r’ ist die planetozen- 
trische Bewegung des Satelliten und auch gleich dem Winkel, welchen 
die vom Erdzentrum parallel zu r und »’ gezogenen Geraden ein- 
schließen. Denkt man sich die Erde im Zentrum einer Sphäre vom 
Radius 1 und nennt die Punkte der Sphäre, gegen welche diese Linien 
gerichtet sind, &, &’, die sphärischen Örter, des Planeten und Satel- 
liten M, M’, S, $’, so liegen die Punkte M,$, & in einem, M’, 8’, 2’ in 
einem anderen Bogen größten Kreises. Der nächste Schnittpunkt der 


83) F. W. Bessel, Abhdgl. 1. 
84) A. Marth, Researches on Satellites. Astr. Nachr. 44 (1856). — J. Bau- 
schinger, Die Bahnbestimmung ‘der Himmelskörper, Leipzig, 1906. 


7. Bahnbestimmung der Satelliten. 509 


Bögen MS und M’S’ sei C; der Nordpol befinde sich in P. Die 
Auflösung des sphärischen Dreiecks MCM', in welchem zwei Seiten 
und der von ihnen eingeschlossene Winkel A’— A bekannt sind, 
gibt die Seite MM’ und die anliegenden Winkel, woraus mit Hilfe 
der Positionswinkel 0, 6° von MS und M’S’ die Seiten MC=&, 
M'C= und der von ihnen gebildete Winkel s berechnet werden 
können. Da MZ=o, M'xX’—= 6, wird 


‚cos EX’ = cos (£ — 0) cos ( — 0) + sin (6 — oJtin (£ — 0’) cose. 


Durch diese Gleichung und die Gleichungen (1) werden für eine 
Kreisbahn (22° =-n#—d); r=r=a) die drei Unbekannten 
6, 0’, a bestimmt, allerdings nicht in eindeutiger Weise, da nach (1) 
6 — o, 0’ — 0’ im I. oder II. Quadranten liegen können, was bei der 
weiteren Rechnung zu beachten ist. 

Zur Bestimmung der Länge N des aufsteigenden Knotens und 
der Neigung ./ der Satellitenbahn mit Bezug auf den Himmelsäquator 
bedarf man der « und d; die Koordinaten des Punktes (E), in dem 
die Verlängerung der von der Erde zum Planeten gezogenen Geraden 
die um den Planeten beschriebene Sphäre trifft, sind A, D; die Lage 
des Punktes ($) mit den Koordinaten «, d ist dadurch gegeben, daß 
im sphärischen Dreieck (E) P(8) die Seite (E)(S)=6 und der Winkel 
bei (E) als Neigungswinkel der Ebene EMS und EMP gleich ® ist. 
Der Winkel bei P ist « — A; «’, ö’ werden durch dieselben Formeln 
erhalten wie «, d. N und J ergeben sich aus tgJsin(e — N)=tg6; 
tgJsin(« — N)=tg0’; das der Zeit ? entsprechende Argument der 
Breite U folgt aus der Formel tg U=tg(@«— N)secJ. Die analoge 
Berechnung von U’ muß hierfür einen Wert ergeben, welcher die 
Gleichung erfüllt U’ — U=n(f — 

Sind N, J und U, a oder allgemeiner U, r gegeben, so werden 
6, oe mit Hilfe der sich auf denselben Zeitpunkt beziehenden Größen 
A, A, D durch einfache Koordinatentransformation gefunden. 

Wie Positionswinkel und Distanz, können auch Rektaszensions- 
und Deklinationsdifferenzen durch die Elemente ausgedrückt werden.) 
Genauere Elemente werden mittels der Differentialformeln der Bahn- 
verbesserung erhalten (vgl. Artikel VI2, 9 Herglotz Seite 422). 

Sofern Näherungswerte von N und JJ vorliegen, kann man nach der 
Methode von W. Klinkerfues®®) aus drei Beobachtungen eines Satelliten 


85) F. W. Bessel, Abhälg. I, Astr. Nachr. 9 (1831). — W. Meyer, Le Sy- 
steme de Saturne (Mem. de la Soc. de Phys. et d’Histoire nat. de Gen&ve) 1884. 
— H. Struve, Astr. Nachr. 111 (1885), 123, 125 (1890), 

86) Theoretische Astronomie (1885), (1890). Braunschweig, I. Aufl. 1871, 


510 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmuug der Döppelsterne und Satelliten. 


genäherte Bahnelemente bestimmen. Für das Datum jeder Beobach- 
tung werden zunächst die Werte i, & und „= u— U und dann 
mittels der Formeln: 


cotg 6 —= sin (O — L) tgi, rsin(@—g)—=Asine, 
9—28 
tg (u + 0) = 8059 


cos®i 





die von r, U bekannt. 

Aus drei Gleichungen von der Form a(l — e)=r(l1-+ ecosv) 
folgt, da die Differenzen der U denen der wahren Anomalie v gleich 
sind, 

U —U. U”— U, UÜ”— U 
4rrr ein sın sın 
in 2 2 2 
a rr sin (U’ — U)— rr” sin (U” — U) + r'r"sin(U” — U’) 


2e sin ® +? sin “ —=al- 9) — 5) 

















2 r' 
dt" +v uU” U 1 1 
2e cos —.— cos rei- tr 2 


wodurch a,e, U—v und v,v” daher auch n, t, bestimmt werden. 
Sind die angenommenen Werte von N, J nahe richtig, so wird auch 
der Unterschied zwischen n(t’— t,) und der aus v’ berechneten mittleren 
Anomalie klein sein. Zur Bahnverbesserung muß mindestens noch 
eine Beobachtung verwendet werden. Die Kenntnis von N, J genügt 
überdies zur Reduktion aller Beobachtungen auf einen und denselben 
geozentrischen Planetenort, wodurch die für Doppelsterne gegebenen 
Methoden der Bahnbestimmung auch für Satelliten Geltung erlangen. 

A. O0. Leuschner®”) hat auf der Versammlung der Astr. Gesellschaft 
in Wien (1908) die Grundzüge einer Bahnbestimmung mit sofortiger 
‚Berücksichtigung der Störungen angegeben. Diese Methode, deren 
vollständige Darlegung im Vol. VII of the Publications of the Lick 
Observatory erfolgen soll, eignet sich, wie aus der Berechnung der 
Bahnen des 7'® und 8 Jupitertrabanten hervorzugehen scheint, sehr 
gut zur Bahnbestimmung von Satelliten, deren Bewegung durch die 
Sonne bedeutend gestört wird. Aus den Beobachtungen sind zunächst 
für eine bestimmte Zeit Rektaszension und Deklination des Satelliten 
sowie der erste und der zweite Differentialquotient dieser Koordinaten 
nach der Zeit zu bilden. Hierdurch werden mit Hilfe von drei, durch 





II. Aufl. 1899 (Die Ableitung der „reduzierten“ Positionswinkel P, P, ‚deren Diffe- 
renz gleich » — v’ sein soll, ist unrichtig gegeben). 

87) A. Leuschner, Versuch der Bahnbestimmung mit sofortiger Berück- 
sichtigung der Störungen. Astr. Ges. Vjs. 43 (1908); Lick Obs. Bull. 137 (1908). 


7. Bahnbestimmung der Satelliten. 511 


Transformation der Grundgleichungen für die spezielle Störungsrechnung 


2 
zu erhaltenden Gleichungen die geozentrische Distanz o und =, zs 


als Funktionen der Entfernung des Satelliten vom Planeten und von 
der Sonne bestimmt, worauf mit Rücksicht auf die für die Dreiecke 
Erde, Satellit, Planet und Erde, Satellit, Sonne geltenden Beziehungen 
die Distanzen des Satelliten vom Planeten und von der Sonne, daher 
auch die Anziehungskräfte bekannt werden. Die Berechnung der 
Elemente bedarf keiner neuen Entwicklungen. 


(Abgeschlossen im Dezember 1910.) 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 34 


512 VI, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


VI2, 12. PRINZIPIEN DER STÖRUNGSTHEORIE 
UND ALLGEMEINE THEORIE DER BAHN- 
KURVEN IN DYNAMISCHEN PROBLEMEN. 


Von 
E. T. WHITTAKER 


IN DUBLIN. 


(Aus dem Englischen übersetzt von A. Haar in Zürich.) 





Inhaltsübersicht. 


1. Reduktion der Differentialgleichungen des allgemeinen Dreikörperproblems. 
2. Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörperproblems. 
8. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems. 
4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. 
5. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie. 
6. Spezielle periodische Lösungen. 
?. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der benachbarten 
Lösungen. i 
8. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der Bewegung 
für lange Zeiten. 
9. Die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen; die älteren 
Untersuchungen. 
10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen. 
11. Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der Glieder der Reihen. 
12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. 
13. Eigenschaften der Koeffizienten spezieller Glieder in den Reihen der Himmels- 
 mechanik. 


‚Literatur. 


Lehrbücher und Monographien. 

P. 8. de Laplace, Trait€ de mecanique celeste I-V. Paris 1799—1827. 

4A. Gautier, Essai historique sur le problöme des trois corps. Paris 1817. 

P. G. de Pontecoulant, Theorie analytique du syst@me du monde I—IV. Paris 
1834—56. 

U.J.J. leVerrier, Recherches astronomiques. Annales de l’Observatoire de Paris, 
1855— 77. 

©. E. Delaunay, Theorie du mouvement de la lune I—II. Paris 1860—67. 


Vorbemerkung. 513 


A. Cayley, Report on the progress of the solution of certain problems in dynamics. 
British Association Report., London 1862. 

P. A. Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnung der. in den Mondtafeln 
angewandten Störungen I—I. Leipzig 1862—64. 

O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen. Pe 1888. 

F. Tisserand, Traite de m&canique celeste I-IV. Paris 188996. 

H. Poincare, Les mö&thodes nouvelles de la m&canique c&leste I—III. Paris 1892—99. 
(Poincare Meth. Nouv.) 

H. Gylien, Trait6 analytique des orbites absolues des huit plandtes principales 1. 
Stockholm 1893, I. 1909. 

E. W. Brown, An introductory treatise on the lunar theory. Cambridge 1896. 

N. Herz, Artikel „Mechanik des Himmels“ in Valentiners Handwörterbuch der 
Astronomie. Breslau 1898. 

E. T. Whittaker, Report on the progress of the solution of the Problems of 

Three Bodies. British Association Report. London 1899. 

H. Andoyer, Theorie de la lune. Paris 1901. 

F. S. Moulton, An introduction to Celestial Mechanics. New York 1902. 

C. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels I—II. Leipzig 1902—07. 

E. T. Whittaker, A treatise on Dynamics, including the Problem of Three Bodies. 
Cambridge 1904. (Whittaker Dynamics.) 

H. Poincare, Legons de Me&canique Celeste. Paris 1905—10. 

@. W. Hill, Collected Mathematical Works I-IV. Washington 1905—07. 


Vorbemerkung. 


Das fundamentale Problem der Himmelsmechanik besteht darin, 
die Bewegungen der Himmelskörper unter dem Einfluß der gegen- 
seitigen Anziehung zu bestimmen, die sie nach dem Newtonschen 
Gravitationsgesetz aufeinander ausüben. Dieses Problem kann in ge- 
schlossener Form nicht durch bekannte Funktionen gelöst werden, 
und daher sind für praktische Zwecke eine Anzahl von Methoden 
unter dem Namen von „Planetentheorien“ oder „Mondtheorien“ erdacht 
worden, welche Annäherungen für die Bewegung der verschiedenen 
Körper geben, die im Sonnensystem wirklich vorkommen, und zwar 
in einer zur numerischen Berechnung geeigneten Form. Neben diesen 
Untersuchungen ist die Dynamik eines Systems von Punkten, die sich 
nach dem Newtonschen Gesetz anziehen, vielfach vom rein theoreti- 
schen Standpunkt aus betrachtet worden. Was sich hier ergab und 
was aus der allgemeinen Theorie der Bahnen in dynamischen Systemen 
bekannt war, wurde verwandt, um über gewisse wichtige Grundfragen 
der Astronomie Aufklärung zu gewinnen, z. B. über die der Stabilität 
der Bahn des Mondes und der Planeten. 

In gegenwärtigem Artikel wird versucht, den wesentlichen Inhalt 
aller dieser Untersuchungen von den Anwendungen loszulösen, mit 

34* 


514 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


denen ursprünglich viele von ihnen verknüpft waren, und so unsere 
Kenntnisse über das Hauptproblem der Himmelsmechanik von all- 
gemeinen theoretischen ‘Gesichtspunkten aus darzustellen. 

l. Reduktion der Differentialgleichungen des allgemeinen Drei- 
körperproblems. Unter Dreikörperproblem versteht man die Aufgabe, 
die Bewegung im Raume von drei Punkten gegebener Masse zu be- 
stimmen, die sich gegenseitig nach dem Newtonschen Gesetz anziehen. 

Seien die Massen der Punkte m,, m,, m,, seien ihre Koordinaten 
bezogen auf feste rechtwinklige Achsen resp.: (q,, 9, 93), (Q4> 95 9)) 


(4;, 9» 9). Ferner bezeichne man m, ar durch p,, wo t.die Zeit be- 


zeichnet und % die größte in 4({r-+ 2) enthaltene ganze Zahl bedeutet. 
Dann wird das Problem analytisch durch die Differentialgleichungen 
ausgedrückt: 


dq, _0H dp, __ 0oH r=1,2,...,9) 


dt Op, dt 04. 
wobei 


H=) Ber mm (aa + + at 

I mm ++ a) 

ist. mm + +} 
18 


Diese Gleichungen bilden ein kanonisches System der 18. Ordnung. 

Lagrange‘) zeigte zuerst, daß die Ordnung des Systems der Be- 
wegungsgleichungen reduziert werden kann, indem man die bekannten 
Integrale des Systems benutzt. Sechs Integrale werden durch den 
Umstand geliefert, daß die Bewegung der Teilchen relativ zu ihrem 
gemeinsamen Schwerpunkt unabhängig von der absoluten Bewegung 
dieses Schwerpunktes ist. Drei weitere Integrale bedeuten, daß die 
Komponenten der Flächengeschwindigkeit um die drei Achsen konstant 
sind. Nimmt man noch den Energiesatz hinzu, so hat man im ganzen 
zehn bekannte Integrale. Ferner geht die Zeit # in die Differential- 
gleichungen nur mittels ihres Differentiales dt ein, daher kann die 
Ordnung der Gleichungen auch noch durch Elimination von dt redu- 
ziert werden. Nach der Integration des so reduzierten Systems kann 
dann die Zeit durch eine einfache Quadratur gefunden werden. 

Man denke sich ferner die Anordnung des Systems in irgend 
einem Augenblick mit Hilfe von Koordinaten ausgedrückt, von denen 
eine die Orientation des ganzen Systems in bezug auf eine im Raume 
feste Linie ausdrückt, so daß eine Vergrößerung dieser Koordinate 2 


1) Recueil. des pidces, qui ont remport6 les prix de l’Acad. de Paris 9 (1772). 


1. Reduktion d. Differentialgleichungen d. allgemeinen Dreikörperproblems. 515 


um einen Betrag « unter Festhaltung der übrigen Koordinaten eine 
Rotation des ganzen Systems um den Winkel « um jene feste Linie, 
wie bei einem starren Körper, zur Folge hat. Solch eine Wahl der 
Koordination läßt sich offenbar für die drei Körper leicht treffen. 
Dann ist X eine sog. verborgene Koordinate, und das entspreckende 
Integral (welches in diesem Falle eines der Flächensätze ist) setzt 
uns in den Stand, die Ordnung der Bewegungsgleichungen um zwei 
Einheiten statt um eine herabzusetzen. Letzteres Faktum ist implizite 
in Lagranges Arbeit?) enthalten, wurde aber erst von Jacobi?) deut- 
lich ausgesprochen, der es Elimination der Knoten nannte. 

Mit Hilfe der zehn bekannten Integrale, der Elimination der Zeit 
und der. Elimination der Knoten kann die Ordnung des Systems. der 
Bewegungsgleichungen um zwölf Einheiten reduziert werden, so daß 
das reduzierte System von der 6. Ordnung wird. Lagrange‘) gelang 
tatsächlich die Ausführung dieser Reduktion, doch kann seine Re- 
duktionsart jetzt als überholt gelten durch die symmetrischeren Ver- 
fahren, die die kanonische Form der Gleichungen erhalten und die 
nunmehr zu schildern sind. 

Wir haben zunächst von den Schwerpunktsätzen Gebrauch zu 
machen, um das System von der 18. auf die 12. Ordnung zu redu- 
zieren. Dies kann nach einer von Jacobi’), Bertrand‘), Radau”) aus- 
gebildeten Methode in folgender Weise geschehen. 

Sei 9 der Schwerpunkt von m, und m,. Seien q,', 95, 9; die 
Projektionen der Strecke m, m, auf feste rechtwinklige Achsen und 
I» 9, 96 die Projektionen der Strecke Hm, auf dieselben Achsen. 
Sei ferner: 





ne—p (1,23, wen (r—4,5,6), 
wobei: | 
u— ad “= m; (mM, + m;) 
ist m, + m,’ m, + Mm; + m, 
ist. 


Die Variabeln q,', 99,.: 96» Pi» 295 -- 2, Zusammen mit sechs 
anderen Variabeln, welche nur von der Bewegung des Schwerpunkts 


2) loc. eit. 

3) J. f. Math. 26 (1843), p. 115. 

4) loc. cit. . Serret gab in dem Bull. des Sc. Math. 6 (1873), p. 46 eine Dar- 
stellung der Lagrangeschen Arbeit, wo auch die Reduktion von Hesse, J. f. Math. 74 
(1872), p. 97 besprochen wird. ; 

5) J. f. Math. 26 (1843), p. 11. 

6) J. de math. 17 (1852), p. 893. 

7) Paris C. R. 66, p. 1262; 67, p. 171, 316, 841; Annales de l’Ecole Normale 

. (1808), p. 311. bi 


516 VIa, 12. E.T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


des Systems abhängen, können aus den Variabeln q,, @, - - -, 0, 
21» Pa, -- 2, durch eine Berührungstransformation abgeleitet werden, 
und daher kann das System der Bewegungsgleichungen als ein System 
12. Ordnung in der Form geschrieben werden (unter Weglassung der 
Akzente von den neuen Variabeln): 


eo ir — =, (iu 8, 2, 
Wie Bertrand bemerkte, kommt diese Reduktion auf die Ersetzung 
dreier Massen durch zwei fiktive Massen » und u’ hinaus. 

Eine entsprechende Reduktion gibt Poincare an.?) Seien 4,', 9, 
die Koordinaten von m, bezogen auf ms, 94, 45, % die Koordinaten 
von m, relativ zu m,, 97, 95, 9 die Koordinaten von m, selbst. Seien 
Pı, Pa, Ps die Impulskomponenten von m,, 2,', 25,2, diejenigen von 
m, und 9,', 3, 2, die Impulskomponenten des ganzen Systems. Der 
Übergang von den Variabeln (9, ,:- -, 9» Pır Pas -- »P9) zu den 
Variabeln (9,',93,--@» Pr Pe»-- Ps) wird durch eine Berührungs- 
transformation vermittelt, und infolgedessen behalten die Bewegungs- 
gleichungen ih den neuen Variabeln die kanonische Form. Es zeigt 
sich, daß die Gleichungen für die Variabeln q,', 94, 99, Pr, 2g, Pa von 
dem übrigen System abgetrennt werden können, und so erhalten wir 
wieder ein System der Form von der 12. Ordnung. 

Es ist nun weiter das System von der 12. auf die 8. Ordnung 
zu reduzieren mit Hilfe der Flächensätze und der Elimination der 
Knoten. Bour und Radau®) gehen zu diesem Zweck aus von dem 
oben angegebenen System 12. Ordnung von Jacobi und Bertrand. 
Seien q,, 9 die vom Nullpunkt an gerechneten Radienvektoren der 
beiden fiktiven Massen u und w. Sei q, der Winkel zwischen q,’ 








8) Paris C. R. 123 (1886), p. 1031; Acta math. 21 (1897), p. 88. 

9) Bour, Journ. de l’Ecole Polytechnique Paris 21 (1856), p. 35; Radau, 
Annales de l’Ecole Normale 5 (1868), p. 311. Ein Versehen von Bour wurde von 
Mathieu bemerkt, J. de math. (8) 2 (1876). Die Variablen von Bour sind von 
denjenigen von Radau verschieden. Bour mißt die Winkel q,’ und q,’ in der 
Ebene der Radienvektoren von der Schnittgeraden dieser Ebene mit der veränder- 
lichen Ebene an. 

Verschiedene Mathematiker untersuchten die Reduktion des Problems auf 
ein Problem 8. Ordnung in mehr oder weniger ähnlicher Weise wie Bour und 
Radau. Brioschi, Paris C. R. 66 (1868), p. 710, leitet Bours Gleichungen ab und 
gibt eine interessante Form der Flächensätze. Stiacei, Atti di Torino 6 (1871), 
p. 440; Paris C. R. 78 (1874), p. 110, zeigte, wie man eine Anzahl von Gleichungs- 
systemen konstruieren kann, die den Bourschen analog sind. 

Eine Arbeit von Vernier, Paris C. R. 119 (1894), p. 451, ist im wesentlichen 
nur eine Wiedergabe der Arbeit von Siacei von 1874. 


4. Reduktion d. Differentialgleichungen d. allgemeinen Dreikörperproblems. 517 


and der Schnittlinie (Knotenlinie) der unveränderlichen Ebene mit 
einer Ebene durch zwei aufeinanderfolgende Lagen von q,. Die 
Variable q,’ hat die entsprechende Bedeutung für u’. Man setze ferner: 


pn =u a; rn =u en i 

Schließlich mögen »,’ und »,’ die Flächengeschwindigkeiten der beiden 
Massen u und w’ in ihren augenblicklichen Bahnebenen bedeuten. 
Dann lassen sich analog, wie in den obigen Fällen, vier weitere 
Variable hinzufügen, so daß eine Berührungstransformation zwischen 
neuen und alten Variablen besteht und die Gleichungen für diese vier 
weiteren Variablen — eben infolge der Gültigkeit der Flächensätze — 
von dem übrigen System abgetrennt werden können. Die-Bewegungs- 
gleichungen bilden dann (unter Weglassung des Indices der neuen 
Variablen) das folgende kanonische System 8. Ordnung: 








44, OH op, oH 
dt — 9p,’ aa 7% (r=1,2,3,4), 
wobei: 
Wr EB De 
H= (+24) + 2, (04 2) 4ı 
2 ı_-9,°—29° .. h 
— mm; ee (000 94-0000, sin 9 sinq,) 
PER. RE, 
(m, + m,)3 2 
2 ı_p'— 2°. 
— MM, 14’+ een (008,00, —* Be = sin g,-sing,) 
RR. RER 
tm) 


ist und noch x die Gesamtflächengeschwindigkeit des Systems be- 
deutet. 
Entsprechende Reduktionen auf die 8. Ordnung sind von Scheibner'®), 
Bruns‘) und Whittaker‘?) gegeben worden. In den beiden ersteren 
Fällen figurieren die drei wechselseitigen Abstände der drei Körper 
unter den Endvariablen, während im letzteren Fall q,, 9, 9, Q, die 
rechtwinkligen Koordinaten von m, und m, sind, bezogen auf beweg- 
liche Achsen durch m, in der Ebene der drei Körper. 

Die Reduktion der Bewegungsgleichungen des Dreikörperproblems 
von der 12. Ordnung auf die 8. Ordnung mit Hilfe der Flächensätze 
und der Elimination des Knotens kann auch durch Zie’s Methode zur 


TRENNT R 
10) J. f. Math. 68 (1868), p. 390. 
11) Acta Math. 11 (1887), p. 25. 


12) Dynamics Kap. XII. 





518 VIe, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Auflösung partieller Differentialgleichungen vollzogen werden.!?) Die 
Lösung des kanonischen Systems 12. Ordnung 

ög, OB .0B, oH 
TS RC RRNE 7 Mreseugr 7° 
hängt mit der zugehörigen Hamilton-Jacobischen partiellen Differential- 
gleichung 





(v=1,2,..,6) 


H (q; 9% -- +96 PırPas - - 3m) =h 
zusammen, wo 

eV 
Eu gg, (=1,2,...,6) 


ist. 
Bezeichnen wir mit 
“ F,= konst, F,= konst, F,= konst. 


die drei Flächensätze, so daß die Funktionen F\, F,, F, die Relation 
(H, F)= 0 befriedigen, so sind auch die Gleichungen 
F,PA)=-R, RFR)=F, KF)=F 

erfüllt (wo das Symbol (u, ») den Poissonschen Klammerausdruck be- 
deutet), und es bilden daher die Funktionen F\, F,, F, eine Funk- 
tionsgruppe. Daraus können wir nach der Lieschen Methode das 
zugehörige Involutionssystem ableiten, das aus Funktionen besteht, 
die miteinander und mit HZ in Involution sind. Im vorliegenden 
Falle besteht das System aus den Funktionen F, und F?+ FF? + F}?. 
Mit Hilfe dieser zwei Funktionen kann die partielle Differentialgleichung 


H (3-46 Pır-- De) —h 
auf eine partielle Differentialgleichung, mit 6 — 2 —= 4 unabhängigen 
Variablen zurückgeführt werden; das ist aber die Hamilton-Jacobische 
Differentialgleichung eines Hamiltonschen Systems 8. Ordnung, womit 
die fragliche Reduktion erfolgt ist. 

Mit Hilfe des Energiesatzes und der Elimination der Zeit kann 
man die erhaltenen Systeme auf die 6. Ordnung reduzieren bei Bei- 
behaltung der kanonischen Form. In der Tat, bezeichnen wir das 
Energieintegral des Systems 8. Ordnung 


U rl BE ar A sole 159,8, 


de. Pu. Mi, .08 


H(q,:-»96 Pr. -„Pp)t+h=0 
und lösen diese Gleichung in bezug auf p, auf 


K (9,2, 0, 9: »W)+tP1 = 9; 





mit 


' 13) Math. Ann. 8 (1875), p. 215. 


2. Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörperproblems. 519 


so können wir den Zusammenhang zwischen den Veränderlichen 
PP? U - - „» 94 durch die Gleichungen 6. Ordnung: 


a, _?K dn__%E „_934 


dag, Op,’ PRERREr 








darstellen. 

2. Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörper- 
problems. In gewissen Spezialfällen des Dreikörperproblems verein- 
fachen sich die Differentialgleichungen. Der wichtigste Fall dieser 
Art entspringt dem Umstand, daß die drei Körper immer in einer 
Ebene bleiben, wenn sie selbst und zugleich ihre Bewegungsrich- 
tungen in einem bestimmten Moment in einer Ebene lagen, es ist 
der Fall des „ebenen“ Dreikörperproblems. 

Das unreduzierte kanonische Gleichungssystem wird hier von der 
12. Ordnung. Es existieren vier Integrale für die Bewegung des 
Schwerpunkts, ein Flächensatz und das Integral der lebendigen Kraft. 
Die Elimination der Knoten und der Zeit kann, wie früher, ausgeführt 
werden. Auf diese Weise läßt sich das Problem schließlich auf ein 
kanonisches System der 4. Ordnung reduzieren. 

Viele der im vorigen Paragraphen erwähnten Arbeiten enthalten 
auch den Übergang vom allgemeinen auf das ebene Dreikörperproblem. 
Das Gleichungssystem von Bour und Radau wird: 


re =--% (r=1,2,3), 
WO 91, 9 Pi, Pa die frühere Bedeutung haben, während g, jetzt der 
Winkel zwischen q, und 9, ist und », die Differenz der Flächen- 
geschwindigkeiten von u und u’ ist. 

Scheibner ‘*) reduziert das System auf dieselbe Form, wo g,, 99, 9 
die wechselseitigen Distanzen der drei Körper bedeuten. Whittaker'?) 
erhält diese Form, indem er g, den Abstand m,m,, q, und g, die 
Projektionen von m; m, auf m,m, und auf eine dazu Senkrechte be- 
deuten läßt. 

Die fernere Reduktion des Systems auf die 4. Ordnung kann wie 
in Nr. 1 erfolgen. 

Ein andrer Spezialfall des Dreikörperproblems, der in neueren 
Untersuchungen eine besondere Rolle spielt, ist das restringierte Drei 
körperproblem. Dasselbe lautet folgendermaßen: Zwei Körper $ und 
J bewegen sich unter ihrer gegenseitigen Anziehung in kreisförmigen 


14) J. f. Math. 68 (1868), p. 390; vgl. auch Perchot und Ebert, Bull. Astr. 16 
(1899), p. 110. 
15) Dynamics. Kap. XIII. 


520 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Bahnen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt 0. Ein dritter Körper P 
von verschwindender Masse (oft der Planetoid genannt), der also die 
Bewegung von S und J nicht stört, bewegt sich unter der Anziehung 
dieser beiden Körper. Seine Bewegung ist zu bestimmen. 

Dieses Problem wurde zuerst von Jacobi!) behandelt, der zeigte, 
daß es von einem Differentialgleichungssystem der 4. Ordnung ab- 
hängt, von welchem ein Integral — jetzt allgemein das Jacobische 
Integral genannt — sofort hingeschrieben werden kann. Seien näm- 
lich x und y die Koordinaten des Planetoiden in einem rotierenden 
rechtwinkligen Koordinatensystem, dessen Nullpunkt mit dem Schwer- 
punkt O und dessen x-Achse stets mit der Linie JS zusammenfällt, 
dann lautet das System 4. Ordnung: '”) 

de _0H dy_dH du__2H do__ ou 
” Prag 775 23 TYbzeueldr 7ER 20 Fans 7° a 
wobei: 
Ba 


1 1 
H= ee) + n(uy— ve) 55 — Ip 
ist und m,, m,, n resp. die Massen von $ und J und die mittlere Be- 
wegung von 8 und J in ihrer Bahn, SP und JP ihre Abstände von 
P bedeuten. Das Jacobische Integral lautet: 


H == konst. 


Tisserand'®) gibt kanonische Variable an, die von den Elementen 
der oskulierenden Ellipse abhängen, die der Planetoid um einen der 
beiden anderen Körper beschreibt. Poincare'”) bringt ähnlich die Be- 
wegungsgleichungen auf die Form: 


dq, _2H dp, ___2H 

a Er ee Te 
wobei die Ellipse zugrunde gelegt wird, die der Planetoid, von seiner 
augenblicklichen Lage und Geschwindigkeit ausgehend, unter der An- 
ziehung eines Körpers der Masse 1 im Schwerpunkt O beschreiben 
würde; q, bedeutet die mittlere Anomalie des Planeten in dieser Ellipse, 
q, die Perihellänge, p, ist gleich Ya, p, gleich Ya(1— e‘), wenn a 
und e die halbe große Achse und die Exzentrizität der Ellipse bedeuten. 
Setzt man die Massen von $ und J gleich 1— u resp. u, so kann 
man H bei kleinem u in der Form entwickeln: 


H=-H ++ WB +: 


(r Bey) 1, 2), 


16) Paris C. R. 3 (1836), p. 59. 

17) Scheibner, J. f. Math. 65 (1866), p. 291. 
18) Bull. Astr. 4 (1887), S. 183. 

19) Acta Math. 13, p. 1. 


8. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems. - 521 


wobei: 
| 1 
A 32: "Da 
und H,, H,,:.. periodisch in q, und g, von der Periode 2x sind. 


Durch Elimination der Zeit unter Benutzung des Jacobischen 
Integrales kann das restringierte Dreikörperproblem auf ein kanonisches 
System der 2. Ordnung reduziert werden. 


3. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems. Ist die 
Zahl der anziehenden Körper größer als drei, so wird die Behand- 
lung verwickelter, ohne sich im Wesen. zu ändern. Lagranges Re- 
duktionsart für das Dreikörperproblem wurde von Seydler?) auf vier 
Körper übertragen. Das Gleichungssystem wird von der 12. Ordnung. 

Das allgemeine n-Körperproblem kann mit Hilfe der zehn be- 
kannten Integrale, der Elimination der Knoten und der Zeit von der 
6nt® auf die 6%” — 12. Ordnung reduziert werden. Der Nachweis 
hierfür stammt von Radau?!), welcher schon früher??) eine Reihe von 
Möglichkeiten angegeben hatte, wie man die Schwerpunktssätze bei der 
Reduktion benutzen kann. Die tatsächliche Reduktion des n-Körper- 
problems auf ein kanonisches System der 6» — 10. Ordnung, welches 
Bours Gleichungssystem 8. Ordnung für das Dreikörperproblem völlig 
analog ist, wurde von Mathieu ausgeführt.) 


4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. Es 
wurden viele Versuche unternommen, in dem Dreikörperproblem neue 
Integrale aufzustellen, die den zehn bekannten analog sind, also nur 
bekannte Funktionen in geschlossener Form enthalten. Das Mißlingen 
dieser Versuche legte den Gedanken nahe, daß es keine weiteren Inte- 
grale von dieser einfachen Art gibt; diese Vermutung wurde durch 
ein wichtiges Theorem von Bruns bestätigt?*), das aussagt, daß in dem 


20) Abhandlungen der k. böhm. Ges. d. Wiss. (7) 1 (1885), Nr. 5. 

21) J. de math. (2) 14 (1869), p. 167; die Möglichkeit dieser Reduktion 
wurde auch von Allegret untersucht, J. de math. (3) 1 (1875), p. 277. (Über die 
Lücken in Allegrets Arbeit vgl. Mathieu, J. de math. (8) 3, p. 216; 4 (1877), p. 69, 
und (anknüpfend an Lagranges Arbeiten) von Betti, Annali di mat. (2) 8 (1877), 
p- 301. 

22) Annales de l’Ec. Norm. 5 (1868), p. 311; Allegret gab, Paris C. R. 79 
(1874), p. 656, ein von dem Radauschen Theorem nicht wesentlich verschiedenes 
Resultat. Vgl. auch Andrade, Paris C. R. 108 (1889), p. 226, 280, und ein all- 
gemeines Theorem von Sir R. $. Ball, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 37 (1877), 
p. 265. 

23) J. de math. (3) 3 (1877), p.5. Vgl. Bennett, Mess. of Math. (2) 34 
(1904), p. 118. 

24) Berichte der kgl. Sächs. Ges. der Wiss. zu Leipzig (1887), S. 1, 55; Acta 


622 VI», 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


vorgelegten Problem außer den bekannten Integralen kein anderes 
algebraisches Integral existiert. 

Dem Beweis von Bruns werden die Differentialgleichungen des 
n-Körperproblems in der nichtreduzierten Form als ein Gleichungs- 
system 6n“* Ordnung zugrunde gelegt, das man also in der Form 

ey, u — f,(a, Ygy: + Bm) (=1,2,...,3n) 
schreiben kann, wobei s die Summe aller wechselseitigen Entfernungen 
der Körper bedeutet; der Grund der Einführung von s ist der, daß 
die Funktionen f, rationale Ausdrücke von (2, %,,-- „ %;,, 5) werden, 
obwohl sie irrationale Ausdrücke von (2,,%5,...,%;,) allein sind. 

Angenommen, dieses Gleichungssystem besäße ein Integral von 
der Form 


p(2,; U) ey Zanı Yır Yar ** Yan) Be konst,, 


wobei p eine algebraische Funktion ihrer Argumente ist und also 
die Wurzel einer algebraischen Gleichung darstellt, deren Koeffizienten 
rationale Funktionen von x, y sind. Es wird gezeigt, daß dann ent- 
weder alle Koeffizienten dieser Gleichung in selbst Integrale sind oder 
aber p einer Gleichung von geringerem Grade genügt, deren Koeffi- 
zienten rationale Funktionen in x, y, s sind. Auf diese Weise wird 
bewiesen, daß alle Integrale, die algebraische Funktionen von x, Y 
sind, algebraische Kombinationen von anderen Integralen sind, die 
selbst rationale Ausdrücke in x, y, s sind. Wir betrachten also nur 
diese letztere Klasse von Integralen. 

Es wird sodann gezeigt, daß die Integrale von der zuletzt be- 
trachteten Gattung aus einer anderen Gattung von Integralen auf- 
gebaut werden können, die Bruns homogene Integrale nennt. Wenn 
ein homogenes Integral in Faktoren zerlegt ist, die Polynome in 
bezug auf die Größen y sind, so ist jeder Faktor entweder selbst 
schon ein Integral oder wird durch Hinzufügung bestimmter Faktoren 
ein Integral. Jedes Integral des n-Körperproblems, das algebraisch 
in den Variablen x, y und unabhängig von t ist, kann also schließ- 
lich auf algebraische Weise aus Integralen einer bestimmten Gattung 
aufgebaut werden, die Polynome von y, rationale Funktionen von x 
und s und außerdem homogen sind. Es wird ferner gezeigt, daß, 
wenn 9 ein solches Integral bedeutet und man mit 9, diejenigen 
Glieder bezeichnet, die in bezug auf die Größen y von möglichst hoher 


math. 11, p. 25. Ein Versehen in Bruns’ Beweis wurde von Poincare, Paris C. R. 
.123 (1896), p. 1224 rektifiziert. 


4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. 528 


Ordnung sind, die Funktion 9, die Größen z nur ganz und rational 
und nur in der Verbindung (y,2,—y,z,) enthält; 9, ist von s un- 
abhängig. Wir bezeichnen mit A, B, C die drei Komponenten der 
Flächengeschwindigkeit des Systems, mit L’, M’, N’ die Komponenten 
der Geschwindigkeit und mit L, M, N die Koordinaten des Schwer- 
punktes und setzen 


A’=MN— NM, B=LN—LN, C=LM—LM. 


Wir nehmen an, daß diese Größen durch x, y ausgedrückt sind, so 
daß jede von ihnen gleich konst. gesetzt ein bekanntes Integral des 
Problems ist. Es wird bewiesen, daß 9, die Variablen x nur in der 
Verbindung A, B, C, A’, B’,C’ enthält und ein. Polynom in 4, B, C, 
4A’, B’,C’ und in den y ist. Sodann wird bewiesen, daß 9, ein 
Polynom in A, B,C, A’, B’, C', L', M’, N’, T ist (wo T die kinetische 
Energie bedeutet). Setzen wir 


9%=f(4,B,0;4',B',C'; L,M',N’; T). 


Bezeichnen wir mit V die potentielle Energie des Systems, so daß 
T-+YV ein Integral ist, Der Ausdruck 
J=f(4,B,C, 4', B',C',L,M,N,T+WV) 
ist ein Integral, da er aus Integralen allein aufgebaut ist. Die Differenz 
g=9—J 

ist daher ein Integral von derselben Gattung wie p, nur ist ihr Grad 
in den Veränderlichen y mindestens um 1 geringer als der Grad von 
p in diesen Variablen. Folglich kann jedes Integral p in einer Form 
dargestellt werden, die außer den bekannten Integralen nur noch von 
einem Integral abhängt, deren Grad in y kleiner ist als der Grad 
von 9 in diesen Veränderlichen; es kann also — durch Fortsetzung 
dieses Verfahrens — g dargestellt werden in einer Form, die außer 
den bekannten Integralen nur von einem Integral von der nullten 
Ordnung in y abhängt; ein solches Integral ist aber eine Konstante. 
Bruns gelangt also zu dem Theorem: Alle von der Zeit freien Inte- 
grale des n-Körperproblems, die die Koordinaten und Geschwindigkeiten 
algebraisch enthalten, lassen sich aus dem Schwerpunktsatze, Flächen- 
satze und Energiesatee algebraisch aufbauen. Eine leichte Erweiterung 
dieser Überlegung zeigt auch, daß mit Ausnahme der bekannten Inte- 
grale keine weiteren Integrale existieren, die die Zeit und die Variablen 
x, y algebraisch enthalten. 

Bruns untersuchte auch noch die Frage, ob Integrale des redu- 
zierten Systems existieren, die die Form von Integralen von totalen alge- 


524 VIs,12. E.T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


braischen Differentialen haben, sich also aus verallgemeinerten Abel- 
schen Integralen zusammensetzen, wie sie von Picard untersucht 
worden sind. Dies ist gleichfalls unmöglich. Das Resultat kann auf 
das n-Körperproblem ausgedehnt werden, da man aus einem solchen 
Integral des n-Körperproblems ein entsprechendes Integral des Drei- 
körperproblems dadurch erhalten kann, daß man alle Massen mit 
Ausnahme dreier gleich Null setzt. 

Painleve®) hat das Brunssche Theorem verallgemeinert, indem 
er bewies, daß jedes Integral des »-Körperproblems, das die Geschwindig- 
keiten algebraisch, die Koordinaten aber beliebig (algebraisch oder 
nicht) enthält, eine algebraische Kombination der bekannten Inte- 
grale ist. 

Ein dem Brunsschen Theorem ähnliches, in mancher Hinsicht 
noch allgemeineres Theorem wurde später von Poincare publiziert.?®) 
Wir schreiben die Bewegungsgleichungen des restringierten Dreikörper- 
problems in der Form: 

N FERN N BEE PERERE Si 
Bl a Pe 
wobei H nach den Potenzen der Konstanten u entwickelbar ist: 


H=H+uH+WB +; 
H, ist eine Funktion von 9,, ?, allein, und wir können durch eine 
einfache Transformation erreichen, daß die Funktionaldeterminante 
von H, in bezug auf p,,?, nicht gleich Null ist. H,, H,,... sind 
periodische Funktionen in bezug auf g,, g, von der Periode 2x. 

Sei nun p eine Funktion von (g,, 9, 21, Ps; w), die in bezug auf 
9, 9 periodisch ist mit der Periode 2”; wir nehmen ferner an, daß 
diese Funktion eine eindeutige analytische Funktion ist für jedes 
reelle Wertsystem g,, 9,, für hinreichend kleine Werte von u und für 
solche reelle Wertepaare 9,, 2,, die ein bestimmtes beliebig kleines 
Gebiet D ausfüllen. Unter diesen Annahmen kann man die Funktion 
in einer Reihe 








v=1,2), 


y=antrıpntept 


entwickeln. Poincares Theorem sagt nun aus, daß das restringierte 
Dreikörperproblem außer dem Jacobischen Integral kein anderes Integral 
von der Form 

p = konst. 


besitzt, wenn p eine Funktion dieser Art bedeutet. 


25) Paris ©. R. 124 (1897), p. 173; Bull. Astr. 15 (1898),'p. 81. 
26) Acta Math. 13 (1890), p. 259; Meth. Nouy. I, chap. 5 (1892). 


4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. 525 


Angenommen es gebe ein Integral dieser Art; die Bedingung, 
daß p ein Integral ist, kann mit Hilfe der Poissonschen Klammern, 
wie folgt, ausgedrückt werden: 


(H,, 99) =(, (4:: 9) + (H,; 9,) =(,... 

Man kann leicht zeigen, daß man, wenn @ und H wesentlich ver- 
schiedene Integrale sind, und @, eine Funktion von H, allein ist, 
aus p ein anderes Integral derselben Art ableiten kann, das so be- 
schaffen ist, daß es keine Funktion von H, allein wird, wenn man 
u= 0 setzt. Wir können daher annehmen, daß 9, keine Funktion 
von H, allein ist. Die Annahme, daß 9, die Variablen g,, q, wirk- 
lich enthält, ist aber unverträglich mit der Gleichung (H,, 9,) = 0; 
wir können daher g, als eine Funktion von 9,, », allein annehmen. 

Da H, und 9, periodische Funktionen von g,, q, sind, gestatten 
sie eine ag. 


— Bm ematmn, = EM em tm), 
My ig MM, 


wobei m,m, ganze Zahlen bedeuten und die Koeffizienten B und C 
nur von 9,, 2, abhängen. Die Gleichung 


(H,, 90) + (B,; 9,) = (0 


Bam (m; irn Er) it Omym (mM = tm au) | 


Im allgemeinen enthält jedes noch so kleine Gebiet D unendlich viele 
Brüche m, :m,, für die nicht jeder der zugehörigen Koeffizienten B,, „, 
verschwindet, wenn man p,, fa solche Werte erteilt, daß 

oH, 

OP: 

ist. Im allgemeinen Falle (zu dem das restringierte Problem gehört) 
ist daher die Gleichung | 


ergibt 





m, u +m 


ge un "nn Zu —=( 


eine Folge der kat 


oH, oH, 


8 Pal nie Dr Prog dp, =(0, 


woraus wir schließen, daß die Jacobische Determinante un 
1122 


verschwindet. Dieses Resultat hat zur Folge, daß 9, eine Funktion 
von H, sein müßte, was, wie wir gesehen haben, nicht der Fall ist; 
die zugrunde gelegte Annahme über die killen von p muß tallen 
gelassen werden, womit Poincares Theorem für das restringierte Drei- 
körperproblem bewiesen ist. Man kann zeigen, daß das Theorem auch 


526 VIa,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


für das allgemeine Dreikörperproblem richtig bleibt. Painleve?”) ver- 
allgemeinerte dieses Resultat in derselben Weise wie das Brunssche, 
indem er zeigte, daß außer den bekannten Integralen kein anderes 
Integral existiert, das eindeutig und analytisch in den Geschwindig- 
keiten ist, wobei das Auftreten der Koordinaten durch keine Be- 
dingung eingeschränkt ist. 

ö. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie. Das Drei- 
körperproblem besitzt Partikularlösungen, bei denen die wechsel- 
seitigen Entfernungen periodische Funktionen der Zeit sind. Solche 
Lösungen bezeichnet man als periodische Lösungen oder als periodische 
Bahnkurven des vorgelegten Problems. Man wendet allgemein diese 
Bezeichnung für Lösungen eines dynamischen Problems an, bei denen 
die Bahnkurven geschlossen sind. sStäckel zeigte”), daß in sehr aus- 
gedehnten Fällen der lösbaren dynamischen Probleme in jedem Punkte 
diejenigen Anfangsrichtungen, die zu periodischen Lösungen führen, 
in jedem Winkel überall dicht liegen. 

Die Theorie der periodischen Lösungen entstand aus der Theorie 
gewisser spezieller periodischer Lösungen (vgl. die nächste Nummer); 
die allgemeine Existenztheorie — die später entwickelt wurde — rührt 
von Poincare her.?”) 

Betrachten wir das restringierte Dreikörperproblem, wenn der 
kleine Parameter u, der von dem Verhältnis der Massen von J und S 
abhängt, gleich Null ist, so existieren offenbar periodische T,ösungen, 
denn in diesem Fall wird der Planetoid von .J nicht gestört und be- 
schreibt daher um $ eine Keplersche Ellipse; die Lösung ist periodisch, 
wenn die beiden Umlaufszeiten, die von P und die von J um $, 
kommensurabel sind. Betrachten wir nun ein System von Differential- 
gleichungen, das noch einen Parameter u enthält und für u = 0 
periodische Lösungen besitzt; es kann gezeigt werden, daß, wenn eine 
bestimmte Jacobische Determinante nicht verschwindet, das vorgelegte 
Öystem auch. für von Null verschiedenes u periodische Lösungen be- 
sitzt, die von den vorgelegten nur wenig verschieden sind.) Un- 
glücklicherweise ist in den Problemen der Himmelsmechanik jene 
Determinante das Produkt zweier anderen Determinanten, von denen 
‚die eine — die die Hessesche Determinante der von u freien Glieder 


27) Paris C. R. 130 (1900), p. 1699. 

28) Math. Ann. 54 (1901), p. 86. 

29) Bull. Astr. 1 (1884), p. 65; Acta Math. 13 (1890), p. 1; Meth. Nouv, I 
(1892). 

30) Die Jacobische Determinante verschwindet, wenn einer der charakte- 
ristischen Exponenten der periodischen Lösung (vgl. No. 7) gleich Null ist. 


5. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie. 527 


der Störungsfunktion ist — verschwindet. In dem restringierten Drei- 
körperproblem kann man diese Schwierigkeit durch einen einfachen 
Kunstgriff leicht beseitigen®!), bei dem allgemeinen Dreikörperproblem 
jedoch ist dies nicht so leicht zu erreichen.??) _ 

Zu jeder periodischen Lösung gehört ein bestimmtes System von 
Veränderlichen, von der Beschaffenheit, daß die Gleichung dieser 
Lösung in bezug auf diese Variable eine besonders einfache Form 
annimmt.®) Betrachten wir z. B. eine periodische J,ösung des Systems 


09,’ dt 0gq, = E 2), 


wobei H eine Funktion von q,, @, 21,3, ist, die durch die folgenden 
Gleichungen definiert ist: 
He %=AG, Merl), Au. 


Durch Elimination von t aus diesen Gleichungen erhalten wir ein 
Gleichungssystem, das wir in die Form 


4 =9(P), = (pP), mM = 9;(P,) 


setzen; wenn wir statt der Variablen (q,,2,, 9,2,) durch die Be- 
rührungstransformation 

= 9(B), 

= — dl) + (a —9(2))9; (BP) — (Pi — ‚ov)6, '(B), 

P,=mn— 99), 

P,=» 
die neuen Variablen Q,, Q,, P,, P, einführen, so lauten die Be- 
wegungsgleichungen: | 

daQ, _ _0H ap,__9H 

u > 0q,’ 











während die periodische Lösung jetzt durch die Gleichungen 


a=0, 9 =0, P=0, Bull) 
definiert ist. 
Ein von Whittaker”*) herrührendes Kriterium zur Auffindung 
von periodischen Lösungen in dem restringierten Dreikörperproblem 
lautet wie folgt: 


31) Poincare, Acta Math. 13, p. 122;.Meth. Nouy. I, p. 117. 
32) Poincare, Möth. Nouv. I, p. 133; Kobb, ‚Öfversigt of K. Sv. Vet-Ak. Förh. 52 
(1895), p. 216. 
33) Poincare, Meth. Nouv. II, p. 369. 
34) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 62 (1902), p. 346. Vgl. auch Signorini, 
Palermo Circ. Rend. 33 (1912). 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 35 


528 VI2, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Wir bilden in den Bezeichnungen von No. 2 die Funktion 


m, m + 
Kt tree t+n), 


wo h die Energiekonstante im Jacobischen Integral bezeichnet; wenn 
in der Bewegungsebene eine geschlossene. Kurve existiert, die ganz 
innerhalb einer anderen geschlossenen Kurve verläuft, von der Be- 
schaffenheit, daß der Ausdruck 


RT! 38 .. 
tree pt 7, up+Y2n 


(wo g den Krümmungsradius bezeichnet) in jedem Punkte der inneren 
Kurve negativ, in jedem Punkte der äußeren Kurve positiv ist, so 
existiert in dem von beiden Kurven umschlossenen ringförmigen Gebiet 
eine periodische .Bahnkurve des Planetoiden, die die beliebig vorgeschriebene 
Größe h als Energiekonstante besitzt. 


Poincar€E gab nach dem folgenden Prinzip eine Einteilung der 
verschiedenen periodischen Lösungen des restringierten Dreikörper- 
problems: die Lösung wird als eine Lösung der ersten Klasse (premier 
genre) bezeichnet, wenn die relative Bahnkurve des Planetoiden sich 
schließt, bevor der Planetoid einen einzigen Umlauf um 5 beendet 
hat; wenn der Planetoid mehr als einen +Umlauf macht, bevor seine 
Bahnkurve sich schließt, so wird die Lösung als Lösung von der 
zweiten Klasse (deuxieme genre) bezeichnet. Eine Methode, periodische 
Lösungen von der zweiten Klasse zu erhalten, ist die folgende®®): 
man betrachte die Bewegung des Planetoiden in der Nähe einer 
stabilen periodischen Bahn der ersten Klasse; wenn die Periode kleiner 
Schwankungen um diese Bahn nahezu kommensurabel ist mit der 
Periode 7 der periodischen Bahn selbst, so existiert im allgemeinen 
unter den Nachbarbewegungen eine periodische Bahn der zweiten Klasse. 
Poincare teilt ferner die periodischen Bahnen der ersten Klasse, die 
in der Ebene von $ und .J verlaufen, in zwei Sorten, je nachdem ihre 
Exzentrizität gleich Null ist oder nicht, d. h. je nachdem die Bahnen 
sich einer Kreisbahn nähern oder nicht, wenn die Masse von J un- 
begrenzt abnimmt.?°*) 


Periodische Lösungen jeder Art können leicht bestimmt werden 
durch geeignete Spezialisierung der unten zu besprechenden Entwick- 


55) Acta Math. 13 (1890), p. 228; Meth. Nouv. III (1899), p. 201. 

35*) In bezug auf die Einteilung der periodischen Lösungen vgl. ferner 
Charlier, Mechanik des Himmels Bd.2 und H. von Zeipel, Upsala Nova Acta (2) 
20 (1904). 


6. Spezielle periodische Lösungen. 529 


lungen, die die allgemeinen Lösungen des Dreikörperproblems dar- 
stellen®®), da diese im allgemeinen divergenten Entwicklungen gerade 
im Fall periodischer Lösungen konvergent werden. 


6. Spezielle periodische Lösungen. Die einfachsten periodischen 
Lösungen des Dreikörperproblems wurden von Lagrange?”) gefunden; 
er zeigte, daß man die Bewegungsgleichungen durch eine Klasse von 
Lösungen befriedigen kann, wobei die drei Körper in den Eckpunkten 
eines bewegten gleichseitigen Dreiecks liegen; bei einer anderen Klasse 
von Lösungen liegen die drei Körper stets auf einer geraden Linie; 
wir bezeichnen diese Bewegungen als die Lagrangesche Bewegung der 
drei äquidistamten bzw. gradlinig angeordneten Massenpunkte. Betrachten 
wir jetzt speziell das restringierte Dreikörperproblem; hier erhält 
man das Resultat, daß der kleine Planet bei geeigneter Anfangs- 
geschwindigkeit ständig in einer unveränderten Lage in bezug auf S 
und J bleibt, wenn er an einer der beiden Stellen steht, wo er mit 
S und J ein gleichseitiges Dreieck bildet, oder wenn er sich an einer 
von drei bestimmten Stellen der geraden Linie $.J befindet. Diese 
fünf Stellen werden Librationszentra genannt. Keine dieser Gleich- 
gewichtslagen ist vollständig stabil, es sei denn, daß die Massen von 
S und J die Ungleichung”) 


(m, + m;)? > 27m, m, 


erfüllen; in diesem Falle ist die Konfiguration des gleichseitigen Drei- 
ecks stabil; von den zwei normalen Schwingungen um die geradlinige 
Konfiguration ist die eine stabil, die andere instabil. 

Man erhält eine neue Klasse von periodischen Lösungen, wenn 
man entsprechend der Methode der kleinen Schwingungen die Be- 
wegungen des Planetoiden in der Nähe der Librationszentra betrachtet. 
Die schwingenden Bewegungen dieser Art in der Nähe der Librations- 
zentra wurden von verschiedenen Autoren untersucht, unter anderen 


36) Poincare, Bull. Astr. 15 (1898), p. 289. 

37) Recueil des pieces, qui ont remport& les prix de l’Acad. de Paris 9 
(1772). Auf den Fall mehrerer anziehender Körper wurden die Lagrangeschen 
Resultate von verschiedenen Autoren erweitert; vgl. Hoppe, Arch. Math. Phys. 64 
(1879), p. 218; Lehmann-Filhes, Astr. Nachr. 127 (1891), p. 137; Sloudsky', Bull. 
de la soc. Imp. Natur. Moscow. 1892, p. 437; Moulton, Amer. M.S. Trans. 1 (1900), 
p. 17; Dziobek, Astr. Nachr. 152 (1900), p. 33; Pizzetti, Roma Lincei Rend. 5* 13 
(1904), p. 17; Lovett, Quart. Jour. Math. 35 (1904), p. 116. 

Eine imaginäre Lösung, die aus der Lagrangeschen Arbeit entsteht, ist von 
Whittemore, Math. Ann. 64 (1907), S. 150 betrachtet worden. 

38) Routh, London Math. Soc. Proc. 6 (1875), p. 86. 

35* 


530 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


von Gylden®®), von Burrau‘®) (der gefunden hat, daß die Reihe der 
Bahnen durch eine sog. Ejektionsbahn abgeschlossen wird, in der der 
Planetoid von einem Zusammenstoß mit 5 oder J ausgeht), von 
Thiele*'), Perchot und Mascart“?), (der die Poincar6sche Theorie auf 
die Lösungen anwandte), von Darwin*?), Charlier“) (der auch Bahnen 
in der Umgebung der Librationszentra des zleichseitigen Dreiecks 
betrachtet) und von Plummer.*?) 

Die Bewegungen der drei äquidistanten Massenpunkte haben da- 
durch praktisches Interesse gewonnen, daß seit 1906 mehrere Asteroiden 
(588 Achilles, 617 Patroclus, 624 Hector, 659 Nestor) entdeckt worden 
sind, deren Bewegung in Schwingungen in der: Nähe dieser Konfi- 
guration besteht*°*). 

Für die neuere Entwicklung der Theorie der periodischen Bahnen 
bilden den Ausgangspunkt die Arbeiten von Hill.) Hill betrachtet 
das restringierte Dreikörperproblem (mit einer für uns unwesentlichen 
Vernachlässigung) und sucht periodische Lösungen, bei denen der 
Planetoid in einer periodischen Bahn S umkreist. Seine Methode be- 
steh: darin, daß er in die Differentialgleichung eine Entwicklung von 
der gesuchten Form mit unbestimmten Koeffizienten einsetzt; er be- 
stimmt diese Koeffizienten als Funktionen eines Parameters m, der 
von dem Verhältnis der Periode der Lösung und der Umlaufszeit der 
Linie $J abhängt. Bei Änderung von m erhält man verschiedene 
periodische Lösungen; für kleines m ergibt sich die sehr nahe mit 
einer Ellipse übereinstimmende „Variationskurve“, für wachsendes m 
erhält Hill als letzte Lösung (die Bahn von größter Lunation) eine 
Kurve mit Spitzen in den Quadraturen, an den Stellen, wo der Winkel 


39) Öfversigts of K. Sv. Vet.-Ak. Förh. 4 (1884), p. 3; Bull. Astr. 1 (1884), 
p. 361. 

40) Astr. Nachr. 136 (1884), p. 161. 

41) Astr. Nachr. 138 (1895), p. 1. 

42) Bull. Astr. 12 (1895), p. 329. 

43) Acta Math. 21 (1897), p. 99. 

44) Meddelanden fran Lunds Obs. No. 18 (1901). 

45) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 62 (1901), p. 6; 63 (1908), p. 436; 64 (1904), 
p- 98. 

45*) Vgl. Linders, Stockholm Arkiv för Math. 4 (1908), Nr. 20. 

46) Hill benutzte zuerst periodische Lösungen in einer Arbeit, die in 
Cambridge. Mass. U. S. A. bei J. Wilson & Sohn 1877 veröffentlicht und in den 
Acta Math. 8 (1886), p. 1 abgedruckt wurde. In ausführlicher Form ist der Teil 
über die periodischen Lösungen in Am. Journ. Math. 1 (1878), p. 5, 129, 245 er- 
schienen. Die Konvergenz der Hillschen Reihen im Falle der Mondbewegung 
wurde von Liapounoff, Trans. Imp. Soc. Nat. Mosc. 13 (1896) und Happel, Tnaug.- 
Diss. Göttingen 1900 bewiesen. 


6. Spezielle periodische Lösungen. 531 


von SJP ein rechter Winkel ist. Hill hielt diese Bahn für den Ab- 
schluß seiner Reihe; Poincare?') aber wies darauf hin, daß die Fort- 
setzung durch eine Reihe von Kurven mit Schlingen gegeben wird, 
und Kelvin‘) zeichnete mittels graphischer Methoden eine solche 
Lösung. 

Darwin“) berechnete numerisch eine große Anzahl von periodi- 
schen Lösungen in dem restringierten Dreikörperproblem und teilte 
sie in sechs Klassen; in einer Klasse (Planet A) beschreibt der Planet 
eine geschlossene Kurve um $, wie bei den Hillschen Bahnen; in 
zwei anderen Klassen (oszillierende Satelliten a und b) oszilliert der 
Planetoid um eine der geradlinigen Librationszentra (der Satellit b 
beschreibt Burraus Bahnen); in den anderen drei Klassen (Satellit A, 
B,C)) beschreibt der Satellit geschlossene Bahnen um J. 

‚Darwin fand, daß in der Klasse des Satelliten A die Bahnen 
wesentlich von der Wahl der Energiekonstante im Jacobischen Integral 
abhängen. Für bestimmte Werte der Konstanten sind die Bahnen 
einfache Ovale und sind stabil; bei anderen Werten dieser Konstante 
haben die Bahnen die Form einer 8 und sind instabil. Poincare®®) 
vermutete, daß die instabilen Lösungen nicht die analytischen Fort- 
setzungen der stabilen Lösungen sind, und Hougk bewies®!) dies durch 
Betrachtung solcher Bahnen, wo die anfängliche Geschwindigkeit 
retrograd ist. 

Schwarzschild°?) untersuchte die periodischen Lösungen des restrin- 
gierten Dreikörperproblems, die in die zweite Sorte von Poincare ge- 
hören. Nimmt man an, daß der Planetoid so in Bewegung gesetzt 
wird, daß er — bei verschwindender Masse des Planeten J — um 8 
eine Ellipse beschreiben würde, deren Periode kommensurabel mit der 
Umlaufszeit von $ um J ist, so läßt sich mit Hilfe der Poincar&schen 
Methoden zeigen, daß man auch, wenn die Masse von .J klein, aber 
nicht verschwindend ist, durch Variation der Elemente des Planetoiden 
eine periodische Bahn erhalten kann. 

Besondere Aufmerksamkeit haben in den letzten Jahren diejenigen 
periodischen Bahnen des Planetoiden gefunden, die in einer einfachen 


47) Meth. Nouv. 1 (1892), p. 106. 

48) British Association Report (1892), p. 648; Phil. mag. 34 (1892), p. 447. 

49) British Association Report (1896), p. 708; Acta Math. 21 (1897), p. 99: 
Math. Ann. 51 (1899), p. 523. 

50) Meth. Nouv. III (1899), p. 352. 

51) Acta Math. 24 (1900), p. 257—288. In bezug auf die Darwinschen 
Bahnen vgl. ferner: Schlitt, Diss. Kiel 1903; Moulton, Trans. Amer. Math. Soc. 
7 (1906), p. 537; Strömgren, Astr. Nachr. 174 (1907), p. 33. 

52) Astr. Nachr. 147 (1898), 8. 17, 289. 


532 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Kurve $ umkreisen und deren Periode annähernd gleich der Hälfte 
der Umlaufszeit von S.J ist. Diese Lösungen werden allgemein als 
Lösungen vom Hekubatypus bezeichnet, da die mittlere Bewegung des 
kleinen Planeten Hekuba annähernd zweimal so groß ist, wie die von 
Jupiter. Wegen der annähernden Kommensurabilität der Perioden 
sind die Störungen, die der Planetoid von J erfährt, ungewöhnlich 
groß. Betrachten wir zunächst die periodischen Lösungen der ersten 
Sorte von Poincare für eine mittlere Entfernung von S$ unterhalb 
derjenigen, die der doppelten mittleren Bewegung von J entspricht°®), 
so finden wir, daß die Bahn des Planetoiden relativ zu der bewegten 
Geraden 8J in der Richtung der Senkrechten auf $.J verlängert ist. 
Diese Erscheinung wird um so ausgeprägter, je mehr die Entfernung 
an jenen kritischen Wert heranrückt, je genauer die Kommensurabilität 
wird, und schließlich geht die Lösung in eine Poincaresche Lösung 
zweiter Sorte über, die auch bei verschwindender Masse .J eine end- 
liche Exzentrizität hat. Wenn nun die mittlere Entfernung die Stelle 
überschreitet, die der Kommensurabilität entspricht, so werden die 
Bahnkurven in der Richtung von 8J verlängert; wächst die mittlere 
Entfernung weiter, so gehen die Lösungen zweiter Sorte wieder in 
Lösungen erster Sorte über, und die Bahnform wird wieder nahezu 
kreisförmig. °®*) 

7. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter 
der benachbarten Lösungen. Wir betrachten die Bewegung eines 
Massenpunktes unter dem Einfluß gegebener Kräfte; wir setzen eine 
Partikularlösung der Bewegungsgleichung als bekannt voraus und unter- 
suchen die Bewegung eines Massenpunktes, der von einer der gegebenen 
Bahnkurve benachbarten Stelle ausgeht und daselbst eine Geschwindig- 
keit besitzt, die der Größe und Richtung nach nur wenig von der Ge- 
schwindigkeit in dem betreffenden Punkte der Bahn verschieden ist. 
Wir wollen untersuchen, ob dieser Massenpunkt während seiner Be- 
wegung nur um die gegebene Bahnkurve oszilliert und in ihrer Nähe 
bleibt, oder ob sich die Bahn des Massenpunktes von der bekannten 
Bahn mehr und mehr entfernt, so daß schließlich eine Bewegung von 


53) Brendel (Abhandl. der K. Ges. der Wiss. zu Göttingen 1 (1898)) wendet 
Gyldens Methode an; Poincare, Bull. Astr. 19 (1902), p. 177, 289; Hill, Astron. 
Journ. 22 (1902), p. 93, 117; Schwarzschild, Astr. Nachr. 160 (1903), p. 385, unter- 
sucht die Stabilität dieser Bahnen. Vgl. auch Simonin, Nice Obs. Ann. 6 (1897) A, 
Bull. Astr. 19 (1902), p. 129; Andoyer, Bull. Astr. 20 (1903), p. 321; Welkens, 
Astron. Abh. als Ergänzungshefte zu den Astr. Nachr. Nr. 8 (1905). 

53*) In bezug auf andre Kategorien periodischer Lösungen vgl. Pavanint, 
Annali di Mat. (3) XII, p. 179 und Griffin, Trans. Amer. Math. Soc. 9 (1908), p. 1. 


7. Die Stabilität der Lösungen. 533 


ganz anderem Charakter resultiert. Diese beiden Möglichkeiten werden 
häufig als Stabilität bzw. Instabilität bezeichnet. 

Sei @ (das wir als kleine Größe annehmen) die normale Ent- 
fernung des Massenpunktes von der bekannten Bahn zu einer Zeit {, 
bezeichnen wir ferner mit s die Länge des Bogens auf der gegebenen 
Bahn von einem bestimmten Punkte gerechnet bis zu dem Fußpunkte 
der Normalen ®, mit v die Geschwindigkeit und mit o den Krümmungs- 
radius in der bekannten Bahn an dieser Stelle; schließlich sei 7 die 
potentielle Energie des Massenpunktes. Schreiben wir die Bewegungs- 
gleichungen des Massenpunktes in den Koordinaten © und s und eli- 
‚minieren die Größe (ds/dt — v), so erhalten wir die Differentialgleichung 

2 2 2 

ze HET HE0=0 
die die normale Verrückuug der gegebenen Bahn von der Nachbar- 
bahn angibt. 

Wenn man in dem kinetischen Potential die Glieder 2. Grades 
in den Geschwindigkeiten (d. h. die kinetische Energie) nicht trennen 
kann von den Gliedern nullter Ordnung in den Geschwindigkeiten 
(d.h. von der potentiellen Energie), so ist eine kleine Modifikation 
nötig, dieser Umstand tritt z. B. in dem restringierten Dreikörper- 
problem auf, da die Energiefunktion in diesem Falle ein Glied von 
der Form n(uy—vx) enthält (Nr. 2). 

In dieser Weise untersuchte Mill?) die kleinen Oszillationen des 
Planetoiden um eine der von ihm gefundenen periodischen Bahnen. 
Berechnen wir den Koeffizienten von »® in der Differentialgleichung, 
so erhalten wir die Gleichung 


+ (0, + 0, e0s2:+9,cos4t+--)o —=0, 


wo 6, @,, -.. Konstante bedeuten. Diese Gleichung wird die Hillsche 
Gleichung genannt.®) In der allgemeinen Theorie der linearen Diffe- 
rentialgleichungen mit periodischen Koeffizienten wird gezeigt, daß 


54) Acta Math. 8 (1886), p. 1, Abdruck einer 1877 in Cambridge (Mass.) 
veröffentlichten Arbeit. Adams bemetkt Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1877), 
p. 43, daß er schon einige Jahre vorher die Bewegung des Mondknotens nach 
einer Methode untersucht hat, die der Hillschen für das Mondperigäum ähnlich 
ist, und daß er dabei zu einer ähnlichen unendlichen Determinante gelangte. 

55) Es ist dies eine Verallgemeinerung der Gleichung 

d’o 
ts -+ (6, +6, co8 28) == 0, 
die die Funktionen des elliptischen Zylinders definiert, vgl. Heine, Kugelfunk- 
tionen p. 404. 


534 VI, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie, 


die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung die Form 
o—= Ad“ f(t) + Be'“'f,(t) 

hat, wo c eine bestimmte Konstante bedeutet, die reell ist, wenn @, 
eine positive Zahl ist, die nicht das Quadrat einer ganzen Zahl ist; 
A und B sind willkürliche Konstanten, und f(£) und f, (?) sind periodische 
Funktionen von der Periode x. Zur Bestimmung von c entwickelte 
Hill die folgende Methode: 

Setzen wir e'= $, so lautet der Koeffizient von ® in der Diffe- 


rentialgleichung: 
20.0", 


n==o 


wo die Größen ®, reell sind. Hill setzt für ® die Reihe Div,get® 


n=—=o 


an und führt diesen Ausdruck von ® in die Differentialgleichung ein. 
Da jede Potenz von & einen verschwindenden Koeffizienten haben 
muß, so erhalten wir unendlich viele Gleichungen, die die Größen b 
linear enthalten. Durch Elimination dieser Größen erhält man eine 
Determinante mit unendlichvielen Zeilen und Kolonnen, in der nur € 
und die bekannten Größen 9, vorkommen. Diese Determinante gleich 
Null gesetzt gibt den Wert von c.®) 

Dieses Ergebnis kann’ auf die Mondtheorie übertragen werden; 
die kleinen Öszillationen um die periodische Bahn können als Folge 
der Exzentrizität der Mondbewegung betrachtet werden, und die Kon- 
stante c gibt die Bewegung des Mondperigäums an. Die Stabilität 
der Bewegung — in dem Sinne, wie sie oben definiert wurde — 
hängt offenbar von der Realität der Größe c ab; die Größen ic und 
— ic werden die „charakteristischen Exponenten“ der betrachteten 
periodischen Lösung genannt, und die Bedingung der Stabilität ist 
die, daß die charakteristischen Exponenten der periodischen Lösung rein 
imaginär ausfallen. Die allgemeine Theorie der Stabilität der Lösungen 
und insbesondere der periodischen Lösungen rührt von Routh°”), Korte- 
weg°’®) und Poincare®®) her; der Name „charakteristischer Exponent“ 
wurde vom letzteren eingeführt. Das Resultat all dieser Unter- 
suchungen kann folgendermaßen zusammengefaßt werden. 


56) Hill untersucht nicht die Konvergenz dieser unendlichen Determinante; 
diese Lücke wurde von Poincare ausgefüllt, Bull. de la Soc. math. de France. 14 
(1886), p. 77. 

57) Stability of motion, Cambridge 1876. 

58) Wien. Ber. 93 (1886). 

59) Acta Math. 13 (1890), p. 1; Meth. Nouv. I (1892). 


7. Die Stabilität der Lösungen. 535 
Betrachten wir das Differentialgleichungssystem: 


de: # 
X (12...) 


wobei X,, X,,..., X, Funktionen von %,,%,,..., %, bedeuten. Nehmen 
wir an, ein System von periodischen Lösungen 


s=pl) (i=1,2,...,n) 
von der Periode T sei bekannt, so daß 9,(t+T) = g;(t) ist (wenn 
x, eine Winkelvariable bedeutet, so soll diese Beziehung. folgender- 


maßen lauten: 
9 +T)= gp(t) + 2nz, 


wo n eine ganze Zahl ist). Betrachten wir eine Nachbarbewegung, 
die analytisch durch die Gleichungen: 


s=9l)+ 5 G=1,2,...,n) 
gegeben ist, wo die Größen &, so klein sein mögen, daß man ihre 
Quadrate und Produkte vernachlässigen kann. Die Größen &, werden 
aus den Differentialgleichungen 


a ar 0X, i 
ai G@=12,..,n) 


bestimmt. Da dies ein System von linearen Differentialgleichungen 
ist mit periodischen Koeffizienten, so ergeben sich die Funktionen & 
als Summe von Ausdrücken von der Form e“*!$,,, wo die Funk- 
tionen S,, periodische Funktionen der Zeit von derselben Periode wie 
die 9,(t) sind, und die Konstanten e?'”** Wurzeln einer algebraischen 
Gleichung n'" Grades sind. Die Konstanten «, werden die charakte- 
ristischen Exponenten der periodischen Lösung genannt; wenn sie rein 
imaginär ausfallen, so bleiben die Funktionen & klein, und die periodische 
Lösung ist stabil; im entgegengesetzten Falle ist die Lösung instabil. 

Wenn zwei charakteristische Exponenten gleich sind, so tritt in 
der allgemeinen Lösung ein Glied von der Form te“! auf. Es ist 
übrigens klar, daß die charakteristischen Exponenten nicht eindeutig 
definiert sind, sondern bis auf ganzzahlige Vielfache von 2xi un- 
bestimmt bleiben. 

Wenn die Funktionen X, von t unabhängig sind, so ist stets einer 
der charakteristischen Exponenten gleich Null;®) gibt es ein Integral 
von der Form F== konst., wo Feine eindeutige analytische Funktion 
ihrer Veränderlichen ist, so verschwindet noch ein charakteristischer 
Exponent.®!) 





60) Meth. Nourv. I, p. 180, 
61) ibid. p. 187. 


536 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Wenn das ursprüngliche Differentialgleichungssystem die kanonische 
Form hat, so sind stets zwei charakteristische Exponenten entgegengesetzt 
gleich; die verschiedenen Werte von «? werden die Stabilitätskoeffizienten 
der zugrundegelegten periodischen Lösung genannt; wenn sie alle ver- 
schieden sind und einen negativen reellen Wert haben, dann ist die 
Lösung stabil. Wenn die Hamiltonsche Funktion die Zeit nicht ent- 
hält, so ist einer der Stabilitätskoeffizienten gleich Null. Bewegt 
sich ein Massenpunkt in einer periodischen Bahn unter dem Einfluß 
konservativer Kräfte mit zwei Freiheitsgraden, z. B. in einer periodi- 
schen Bahn des restringierten Dreikörperproblems, so verschwinden 
zwei charakteristische Exponenten, die anderen beiden sind entgegen- 
gesetzt gleich. Dieses Resultat wurde zuerst von Poincare ausge- 
sprochen; es ist im wesentlichen schon in einem Theorem enthalten, 
das früher von Korteweg‘?) aufgestellt wurde: wenn u,, U,,1, Urs 
die normalen Verrückungen bedeuten von einem gegebenen Punkte der 
periodischen Bahn dieses Charakters zu dem entsprechenden Punkt der 
Nachbarlösung bei drei aufeinanderfolgenden Umläufen, so hat das 
Verhältnis 

Un+3 Er U 


U,+41 


einen konstanten Wert, der unabhängig von der Lage des Punktes 
auf der Bahn und unabhängig von der Wahl der Nachbarlösung ist; 
das Verhältnis hat den Wert 2 cosh «7, wo « einer der charakte- 
ristischen Exponenten der periodischen Bahn ist. 

Im Dreikörperproblem sind die charakteristischen 'Exponenten 
einer periodischen Lösung in eine nach den Potenzen der Quadrat- 
wurzel des kleinen Parameters u fortschreitende Reihe entwickelbar. 

Darwin®®) untersuchte die Stabilität der von ihm gefundenen 
periodischen Lösungen des restringierten Dreikörperproblems. 

Eng verknüpft mit der Theorie der charakteristischen Exponenten 
ist die Theorie der asymptotischen Lösungen.) Im allgemeinen gibt 
es charakteristische Exponenten mit negativem Realteil. Diejenigen 
Glieder in der Darstellung der Funktionen &, die einen charakteristi- 
schen Exponenten mit nicht negativem Realteil enthalten, können 
durch eine passende Wahl der Integrationskonstanten beseitigt werden; 
wir erhalten auf diese Weise Partikularlösungen der Differential- 


62) loc. cit. Fußnote (58). 

63) Acta Math. 21 (1897), p. 144. 

64) Korteweg, loc. eit.; Poincare, Acta Math. 13 (1890), p. 136; Meth. Nouv. I 
(1892), III (1899). 


7. Die Stabilität der Lösungen. 537 


gleichungen für die &, in denen die Funktionen & durch eine Summe 
von Gliedern dargestellt sind von der Form e*’S,,, wo der Realteil 
von & negativ ist. 

Wenn i über alle Grenzen wächst, konvergiert &, gegen Null; 
mit anderen Worten, die erhaltene Lösung nähert sich mit wachsender 
Zeit mehr und mehr der ursprünglichen periodischen Lösung; diese 
Lösungen werden als asymptotische Lösungen bezeichnet. In ähnlicher 
Weise kann eine andere Klasse von Lösungen gebildet werden, die 
für {= + oo von der periodischen Lösung wesentlich abweichen, 


aber für {= — oo sich der periodischen Lösung asyınptotisch an- 
nähern; diese Lösungen bilden eine zweite Klasse von asymptotischen 
Lösungen. 


Poincare®) hat ferner die Existenz von Lösungen bewiesen, die 
beiden Klassen von asymptotischen Lösungen angehören, d. h. die 
sowohl für {= — oo, wie auch für = + oo sich der periodischen 
Bahn asymptotisch annähern und keine periodischen Lösungen sind. 
Dies sind die sog. doppeltasymptotischen Lösungen. Poincare®®) zeigt 
noch, daß man die Reihen, die die asymptotischen Lösungen dar- 
stellen, aus den allgemeinen Lösungen des Dreikörperproblems er- 
halten kann; er wendet ferner®”) das Prinzip der kleinsten Wirkung 
auf die Theorie der periodischen Lösungen an und gibt eine Klassi- 
fikation der instabilen periodischen Lösungen, indem er zeigt, daß 
man durch kontinuierliche Variation der Konstanten der Bewegung 
eine periodische Lösung in eine andere nicht überführen kann, wenn 
die Instabilität der beiden Lösungen verschiedenartig ist. 

Die Frage, ob die Methode der kleinen Schwingungen und der 
charakteristischen Exponenten auch hinreichende Bedingungen für die 
Stabilität liefert, wurde von Levi-Civita untersucht®®): 

Betrachten wir bei einem dynamischen System von zwei Freiheits- 
graden eine periodische Lösung, für die der charakteristische Ex- 


ponent « rein imaginär und = kommensurabel mit der mittleren 
Bewegung = ist. Wir bezeichnen mit (9,, Ps; 9, 9) die dieser 


Lösung entsprechenden Poincareschen Normalvariablen (vgl. Nr. 5). Die 
Methode der kleinen Schwingungen gibt für die Nachbarbewegungen 


65) Acta Math. 13, p. 25; Meth. Nouv, III, Ch. XXXIH. 

66) Bull. Astr. 15 (1898), p. 289. 

67) Paris C. R. 123 (1896), p. 915; Paris C. R. 124 (1897), p. 713; Meth.. 
Nouy. III (1899), p. 249. 

68) Paris C. R. 131 (1900), p. 170, 236; Annali di Math. 5 (1901), p. 221. 
Vgl. ferner Cigala, Annali di Mat. (3) 11, p. 67. 


538 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


die Gleichungen 
PC t Gh Bit ad 


wo x und y Konstante, c,,6,€2%s periodische Funktionen der Zeit 
bedeuten. Wenn wir nun die Glieder 3. Ordnung in der Hamilton- 
schen Funktion nicht mehr vernachlässigen, so werden die Größen 
x, y Variable, welche bestimmten nach der Methode der Variation der 
Konstanten zu erhaltenden Differentialgleichungen genügen. Wenden 
wir die Transformation, der x und y bei einer vollständigen Umkrei- 
sung der periodischen Bahn unterworfen sind, hinreichend oft auf einen 
Punkt, dessen Koordinaten x, y sind, an, so wird der Punkt schließ- 
lich von dem Inneren in das Äußere eines gegebenen Kreises gelangen. 
Wir erhalten also das Resultat, daß die periodische Lösung, die zu- 
folge der durch die Theorie der kleinen Schwingungen gelieferten 
Kriterien stabil zu sein schien, instabil wird, wenn man die Glieder 
höherer Ordnung berücksichtigt.‘°) 


8. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter 
der Bewegung für große Werte der Zeit. Der Begriff der Stabilität 
wird oft in anderem Sinne gebraucht als in voriger Nummer. 
Eine Lösung des Dreikörperproblems wird häufig als stabil bezeichnet, 
wenn die gegenseitigen Entfernungen der Körper für alle Zeiten 
zwischen bestimmten Grenzen bleiben, so daß die Körper weder ein- 
ander sehr nahe kommen, noch sich sehr weit voneinander entfernen. 
Hi’), Bohlin”‘) und Darwin'?) haben gezeigt, daß bestimmte Be- 
wegungstypen im restringierten Problem in diesem Sinne stabil sind 
(durch Abgrenzung der Gebiete, wo die Geschwindigkeit des Planetoiden 
imaginär werden müßte, um das Energieintegral zu befriedigen). Man 
‚benutzt ferner auch das Wort „Stabilität“ bei Bewegungen von der Art, 
daß das betrachtete System unendlich oft eine Konfiguration annimmt, 
die der anfänglichen Konfiguration beliebig nahe kommt, wobei die 
dazwischen vorkommenden Öszillationen keiner Einschränkung unter- 
worfen sind. Poincare benutzt den Ausdruck StabilitE a la Poisson, 
um eine Bewegung letzterer Art zu charakterisieren. Ein von Hada 
mard'®) herrührendes Theorem ist in der Hinsicht sehr interessant. 
Betrachten wir die Bewegung eines Punktes der Einheitsmasse unter 
dem Einfluß einer Kraft, die aus einem Potential Y abgeleitet ist 


69) Vgl. auch Korteweg, loc. cit. 
70) Am. J. Math. 1 (1878), p. d. 

71) Acta Math. 10 (1887), p. 109. 
72) Acta Math. 21 (1897), p. 99. 

73) J. de Math. (5) 3 (1897), p. 331. 


$. Die Stabilität der Lösungen. . 5349 


auf einer überall regulären Fläche, deren Flächenelement durch die 
Gleichung: 
ds? = Edu? + 2 Fdudv + Gdv? 
gegeben ist. Bezeichnen wir mit J die Funktion 


A,(V)A,(V) 2 +V(P, A,(N)), 

wo A,, A, den ersten und zweiten Differentialparameter und V den 
Differentialparameter der zwei Funktionen V, A,(V) bedeutet.’*) V sei 
auf der ganzen Fläche regulär und besitze nur eine endliche Anzahl 
Maxima und Minima. Derjenige Teil der Fläche, wo ./ positiv ist, 
werde mit Hadamard als anziehendes Gebiet bezeichnet. Dann ist 
entweder derjenige Teil der Bahn, der im anziehenden Gebiet ver- 
läuft, der Länge nach größer als jede endliche Zahl, oder aber die 
Bahnkurve strebt asymptotisch einer instabilen Gleichgewichtslage zu. 
Im allgemeinen durchsetzen die Bahnkurven unendlich oft das an- 
ziehende Gebiet und haben dabei Stabilität & la Poisson. 

Poincares Untersuchungen'*®) über die Kurven, die durch Diffe- 
rentialgleichungen definiert sind, haben gezeigt, daß in dem allgemeinen 
n-Körperproblem die Stabilität & la Poisson wesentlich von der Stabilität 
im Sinne von Hill abhängt. Die ganze Frage der Stabilität hat der- 
selbe Autor wesentlich gefördert durch Einführung und Anwendung 
der Integralinvarianten:”°) Die Existenz der asymptotischen Lösungen 
zeigt, daß es in dem restringierten Dreikörperproblem unendlich viele 
Partikularlösungen gibt, die instabil sind in Poissons Sinne. Poincare 
beweist aber”®), daß es auch unendlich viele in diesem Sinne stabile 
Lösungen gibt, und daß die instabilen die Ausnahme bilden und die 
stabilen die Regel sind in demselben Sinne, wie die rationalen Zahlen 
die Ausnahme bilden und die irrationalen die Regel sind. Mit anderen 
Worten, die Wahrscheinlichkeit, daß eine Anfangsbedingung zu einer 
instabilen Bewegung führt, ist gleich Null. Der Beweis dieser Sätze 
gelingt auf Grund des folgenden Theorems: Wenn sich der Punkt 
(&is %gy +: Ru Yır Yar - Yu) SO bewegt, daß die Koordinaten dieses 
Punktes stets endlich bleiben, und das Integral 


Saz, ... ax, ay,.... ay, 


‚Invariant ist — eben eine Integralinvariante bildet, dann gibt es zu 
jedem noch so kleinen Raumteile », Bahnkurven, die unendlich oft 
durch diesen Raumteil (v,) hindurchgehen; in der Tat haben die- 


74) Vgl. Bd. III 3, p. 123 dieser Enzyklopädie. 

74*) J. de Math. (3) 7, p. 375; (8) 8, p.251; (4) 1, p. 167; (4) 2,p. 151; (1881—86). 
75) Vgl. Bd. II, p. 253 dieser Enzyklopädie (Artikel IIA 4b, Vessiot). 

76) Acta Math. 13 (1890), p. 67; M6th. Nouv. IIT (1899), p. 162. 


540 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


jenigen Punkte von »,, von denen eine Bahnkurve ausgeht, die diese 
Eigenschaft nicht besitzt, einen verschwindend kleinen Inhalt im Ver- 
gleich zu »,. 

Ähnlich wird gezeigt, daß, wenn die Energiekonstante im restrin- 
gierten Dreikörperproblem zwischen bestimmten Grenzen bleibt, die 
Bewegung stabil ist, nicht nur im Sinne von Hill und Bohlin, sondern 
auch im Sinne von Poisson; wenigstens ist die Anzahl der Ausnahme- 
fälle verschwindend gering gegenüber der Anzahl der stimmigen Fälle. 


9. Die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen; 

die älteren Untersuchungen. Die Beobachtungen der Himmelskörper 
legen unmittelbar eine bestimmte Form der analytischen Ausdrücke 
nahe, durch welche ihre Bewegung darzustellen ist. Man fand, daß 
diese Darstellung jedenfalls so weit, wie unsere Nachrichten in die 
Vergangenheit zurückreichen, durch die Annahme ermöglicht wird, 
daß die Planeten in Ellipsen die Sonne umkreisen. Diese Ellipsen 
sind freilich nicht unveränderlich, sondern ihre Elemente (Exzentrizität 
usw.) variieren von Jahr zu Jahr. Manche dieser Ungleichungen oder 
Störungen sind periodisch, d. h. können durch Glieder von der Form 
a sin (bt ++ c) dargestellt werden, wo a,b, c Konstanten bedeuten; solche 
Störungen verursachen keine wesentlichen Änderungen in den Ver- 
hältnissen des Sonnensystems; andere Störungen, die durch Glieder 
von der Form at+bi? +... dargestellt werden, werden säkulär 
genannt; ihr Einfluß besteht in einer fortwährenden Änderung der 
Bahnen, die schließlich zu einer total verschiedenen Konfiguration 
führen könnte. 

Die Methoden der klassischen Planetentheorie schließen sich diesen 
den Beobachtungen entnommenen Tatsachen an. In dem Sonnensystem 
überwiegt die Masse der Sonne alle Planeten; dementsprechend dient 
in der Planetentheorie als Prinzip der Annäherung die Voraussetzung, 
daß die Masse des einen Körpers groß gegen die Gesamtmasse der 
anderen Körper ist. Auf Grund dieses Prinzipes fand man, daß sich 
mit Hilfe der Methode der Variation der Konstanten”) analytische Aus- 
drücke finden lassen, die mit einer bestimmten Annäherung die Diffe- 
rentialgleichungen des Problems erfüllen und deren physikalische 
Deutung auf die oben erwähnten veränderlichen Ellipsen führt. 

Frühzeitig zeigte sich aber, daß diese Art von Lösung einen be- 
stimmten Nachteil hat, Die säkulären Störungen der Elemente führen 
nämlich zu Gliedern von der Form ct und c# sin bt in den Ausdrücken 
der Koordinaten. Diese Glieder wachsen nun mit £ über alle Grenzen, 


77) Vgl. den Artikel VI 2, 14 über die Planetentheorie. 


10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstränsformationen. 541 


und das. macht es von vornherein unwahrscheinlich, daß die so er- 
haltenen Reihen für eine beliebig lange Zeit approximative Dar- 
stellungen der Bewegungen sind. Es entsteht naturgemäß die Frage 
nach dem wahren Charakter der säkulären Störungen, wenn die Diffe- 
rentialgleichungen nicht näherungsweise, sondern streng gelöst werden. 
Die erste Annäherung mag durch Glieder von der Form ct gegeben 
werden, wo c eine Konstante ist; doch besteht die Möglichkeit, daß 


dies nur das erste Glied der Entwicklung z. B. von — sin mt ist, wo 


m eine kleine Zahl bedeutet. Wenn dies der Fall ist, so sind die 
säkulären Glieder tatsächlich periodisch, nur von sehr langer Periode. 
Die Beantwortung dieser Frage hat eine fundamentale Wichtigkeit 
bei den Untersuchungen über die Stabilität des Sonnensystems und 
bei der Darstellung der Koordinaten für sehr lange Zeiten. 

Die Sache wurde noch verwirrter durch den Umstand, daß 
man in der Monatheorie Reihen von etwas verschiedener Bauart er- 
hielt. Die Mondtheorie versucht — gleich der Planetentheorie — 
die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen; doch 
die Annäherungen gründen sich in diesem Fall auf die Annahme, 
daß zwei der Körper einander umkreisen, während sie gemeinsam um 
einen dritten Körper von überwiegender Masse rotieren; die Mond- 
theorie liefert also ebenfalls eine Lösung des Dreikörperproblems, 
deren Geltungsbereich aber von dem der Planetentheorie verschieden ist. 

Diese theoretischen Schwierigkeiten, die der klassischen Planeten- 
und Mondtheorie wenigstens teilweise im Wege standen, werden durch 
die Auffindung von Lösungen des Dreikörperproblems in rein trigono- 
metrischer Form bewältigt; wir gehen jetzt zu der Theorie dieser 
Reihen über. 

10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstrans- 
formationen. Die von den verschiedenen Autoren zur Lösung des 
Dreikörperproblems angewandten Methoden zerfallen in zwei Klassen; 
die erste Klasse der Methoden beruht auf dem Prinzip der Variation 
der Konstanten; die zweite Klasse von Methoden beruht auf dem An- 
satz von Reihen bestimmter Bauart und der der sukzessiven Bestimmung 
‚Ihrer Glieder wachsender Ordnung. Wir wollen zuerst zeigen ’®), wie 


78) Diese Methode ist nicht wesentlich von der Delaunayschen Methode 
verschieden (Theorie de la lune, Paris 1860—67); Delaunay selbst wandte seine 
Methode nur auf die Mondbewegung an, die Anwendung auf das allgemeine 
Dreikörperproblem rührt von Tisserand her (Obs. de Paris ann., mem. 18 (1885)); 
vgl. auch Hill, Amer. M. S. Trans. 1 (1900), p. 205—242. Die hier gegebene Dar- 
stellung rührt von Whittaker her (Proc. Lond. Math. Soc. 1901). Die Methode 
von Newcomb (Smithsonian Contributions 1874, p. 1), der zuerst das Theorem 


542 Via,12. E.T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


man zu einer Methode der ersten Klasse kommt, welche Reihen liefert, 
in denen die Zeit nur als Argument von trigonometrischen Funktionen 
‚auftritt. 

Zum Ausgangspunkte wählen wir die Bewegungsgleichungen in 
‚der folgenden Form (Nr. 1): 


dq, oH dp, oH 
un Fe (v=1,2,3,4), 
wobei. 
-;, Ps 1/22. M\__ mm 
Hd er + + +) FR 


2 iR rose Re ER 
| -+ 
a, ap a 


—9’—p° 
27,24 


MM [9° +, m, m (cos 95 cosgq, — 


sin g, sin 4) 

m,* 2 + 
; + (m, +m,)? q 
gesetzt ist. Wir wenden auf dieses Gleichungssystem eine Berührungs- 
transformation an, die durch die Gleichungen: 

oWw P oW 
2,= er, 2v,=— er (v—=1,2,3,4) 

definiert ist, wobei 


IE 8 5 2 .2,% 
fe + ee) dq,, 


2 2 2 p} d mm *8 & 
+f|-® Fre Br a Ken) dq, 
ist. Man sieht leicht ein, daß die Funktion A in eine periodische 
Funktion der neuen Variablen »,', 2,', 2, 9, übergeht; die neuen Be- 
wegungsgleichungen können auf die Form 
en, u (v=1,2,8,4) 
gebracht werden, wobei wir die Akzente bei den neuen Veränder- 
lichen weggelassen haben und H durch eine unendliche Reihe von 
der Form: 











H= Igyoo + Da, Gm c08 (N,Pı 7 NgPs + N3P3 + N,D,) 
dargestellt ist; die Größen a hängen nur von g,, 9, 4; Q, ab, und 
über die Lösbarkeit des Dreikörperproblems mit Hilfe rein trigonometrischer 


Reihen aussprach, hängt mit der Methode der Variation der Konstanten eng 
zusammen und ist eine Erweiterung der klassischen Planetentheorie. 


10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen. 543 


die Summation ist über alle positive und negative ganzzahlige Werte 
von N,,N,, %,, N, zu erstrecken, wobei nur die Kombination 


nennen =) 


anzuschließen ist. Wenn m, und m, kleine Größen sind im Vergleich 
mit m,, so überwiegt das konstante Glied in der Entwicklung von 
H die periodischen Glieder; eine approximative Integration zeigt, daß 
sich in diesem Falle die Größen q,', 9, , 43, %4, 2, Ps; nur sehr wenig 
ändern, und die Größen p,', 2,' beinahe proportional mit der Zeit sind. 

Betrachten wir nun ein periodisches Glied von HZ, das die anderen 
periodischen Glieder überwiegt, etwa 


mm cos (np, 7 NgPa zn N3P; #- N,P,) F 


HA = ao + Ann, 080 + R, 


wobei # zur Abkürzung für n,p, + np: + n3?5 + n,p, steht und 
R die Summe der anderen periodischen Glieder bedeutet. Wenden 
wir auf das Gleichungssystem die durch die Gleichungen 


P ow 0 
pP, 77,’ =) (v„=1,2,3,4) 


wir setzen 


definierte Berührungstransformation an, wobei 


v9 +49 +49 + up + fa) %,%, 4,9) 
ist, und die Funktion f so gewählt ist, daß # in dem Ausdrucke 


’ D) ’ 7) ’ ’ P) 
ron (9, Han dh, 9a tm, 93 +36, U +55) 


‚ 0 ie 0 ‚ 0 ‚ 0 
+ Guman(d u N, a 9 I, ı- N zT, g3 7 N5 ar, % r n, 58) cosd 


gar nicht mehr vorkommt, daß also dieser Ausdruck nur von q,',99,95 > 
abhängt; diese Funktion von q,', 95, 93, 9 —- wir bezeichnen sie mit 
Ayo (4 » 9a 95, 4) — ist durch die Bedingung bestimmt, daß, wenn 
man aus der Gleichung 


1 
Aygoo + G, mn cos 6 Su Aoo00 


die Funktion E berechnet und in der Form 


of a a 
36 — la) > 9) 94) oo) + Da, 4 „45, 94 > oo) ©08 kO 
k=1 
darstellt, das Glied c, identisch verschwindet: 


Die soeben definierte Berührungstransformation kann also explizite 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 36 


544 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


durch Gleichungen von der Form: 


P, I: r + >, sin k6', 
k=1 


= (v=1,2,3,4) 
q, Sa 4, + 2,29 cos k6 
k=1 


dargestellt werden, wobei = n,2,' + Nn3Pg + NP; + np, gesetzt 
ist. Durch Anwendung dieser Berührungstransformation gehen die 
Bewegungsgleiehungen in das neue Gleichungssystem 

dq, oH dp; oH 
dt dp}? r Brent = (v=1,2,3,4) 
über, und H läßt sich in eine unendliche Reihe von der Form 


H = Go + San, mmm, 608 (mp, + mapz' + MP, + m,p,)) 
entwickeln, wobei die Koeffizienten a nur von g,', 95, 95, 9, abhängen. 
Das neue Gleichungssystem hat dieselbe Form wie das alte; der einzige 
Unterschied besteht darin, daß das neue konstante Glied ayooo Zwei 
alte Glieder repräsentiert, nämlich das ursprüngliche konstante Glied @,g9 
und gleichzeitig das alte periodische Glied 


Gy nnyn, 08 (RP, + NaPı + NgDs + ıP.). 
Der Effekt der Transformation ist also der, daß das konstante Glied 
von H noch überwiegender wird wie früher, und daß den periodischen 
Gliedern in H eine noch unwesentlichere Rolle zukommt. Wir wählen 
‚jetzt wiederum eines der wesentlichsten periodischen Glieder in der 
neuen Entwicklung von H heraus und vereinigen es wieder mit dem 
konstanten Glied durch Anwendung einer Berührungstransformation 
von der soeben beschriebenen Art. Auf diese Weise können wir 
sukzessive alle wesentlichen periodischen Glieder von H mit dem 
konstanten Glied vereinigen, und das Überwiegen des konstanten 
Gliedes über die periodischen Glieder wird bei jedem Schritt be- 
deutender; schließlich werden die periodischen Glieder in H so un- 
wesentlich werden, daß man sie vernachlässigen kann. Wir bezeichnen 
mit (@,, &%, &, &, Bi, Be, Be, Bı) die Variablen, zu denen wir nach 
diesen Transformationen gelangen; die Bewegungsgleichungen lauten: 
= 55 (v„—=1,2,3,4), 

wobei H nur von «,, &, &, &, abhängt; es sind daher «,, &, &%, & 
konstante und ß,, ß,, ßs, ß, lineare Funktionen der Zeit: 


B,= 1,t+ &; (v„=1,2,3,4); 
die Integrationskonstanten sind &,, &, &%, &yy E15 Ey &gy &4- 





\ 


10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen. 545 


Durch die sukzessiven Transformationen, die die ursprünglichen 
Variablen des Dreikörperproblems in die Variablen «@,, &,, &, &,, ßı, 
Ba, Bs, ß, überführen, sind folglich auch diese ursprünglichen Koor- 
dinaten als Funktionen der Zeit bestimmt; die Form der Transfor- 
mationen zeigt, daß die Variablen in dem ursprünglichen kanonischen 
System 8. Ordnung durch Ausdrücke von der Form 


q,=c,+ Zu. cos (m, ß, + mzßs + m; ß, + m,ß,) 
»,=B,+ BAER sin (m, ß, + myß; + m;ß; + m,ß,) 


dargestellt sind, wobei die Größen a, b,c Funktionen von «,, &,&, 0, 
sind und die Summation über alle ganzzahligen Werte von m,, m,, 
m,, m, zu erstrecken ist, mit Ausnahme der Kombination 


(= 1,2,3,4) / 


n=m=m=m=0. 


Mit Rücksicht auf die Transformation in Nr. 1 sehen wir, daß in dem 
Dreikörperproblem die Koordinaten der Massenpunkte durch Ausdrücke 
von der Form 


Du. ir (MB + NA + Nßs + Pr + NsPß5) 


dargestellt werden können, wobei ß,, ßg, ßs, Pu, ß, lineare Funktionen 
der Zeit sind und die «a Konstanten bedeuten; die Summation ist über 
alle ganzzahlige Werte von n,, %g, 3, N,, N, zu erstrecken. Bei Be- 
wegungen vom Typus der Planetenbewegungen, wo die Massen m, 
und m, verglichen mit der Sonnenmasse m, kleine Größen sind, werden 
demzufolge auch drei von den Winkeln 8 — etwa ß,, ß,, ß,; — sehr 
langsam variabel (entsprechend den langen Umläufen der Perihele und 
Knoten im Planetensystem) und die anderen beiden Winkel, ß, und ß,, 
repräsentieren angenähert die mittleren Anomalien der Planeten m, 
und m, bei ihrer Bewegung um m,. 

Im Lichte dieser Ergebnisse klären sich die Begriffe „säkulare 
Glieder“ und „periodische Glieder“ der alten Theorie folgendermaßen: 
In den soeben abgeleiteten Reihen kommen Glieder vor, deren Argu- 
mente nur von den langsam variierenden Winkeln ß,, ß,, ß, abhängen; 
diese Glieder entsprechen den säkularen Gliedern. Die Glieder, die 
eine oder beide der rasch veränderlichen Winkel ß,, ß, enthalten, 
stellen die sog. periodischen Störungen dar.’®) 

Gylden faßte die säkularen Glieder etwas anders auf.) Denken 
wir an irgendein Glied der Störungsfunktion; dieses Glied gibt Anlaß 


79) Vgl. Hül, Astron. Journ. 22 (1902), p. 183. 
80) Trait& des orbites absolues I (1893). Vgl. Hill, Astron. Journ. 25 (1906), 
p. 1; Poincare, Acta Math. 29 (1905), p. 235. 
36* 


546 VIe, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


zu einem entsprechenden Glied in der Entwicklung der Koordinaten. 
Wenn bei der Integration der Koeffizient dieses Gliedes durch eine kleine 
Größe von der Größenordnung der störenden Massen u dividiert wird, 
so daß der Einfluß dieses Gliedes in der endgültigen Entwicklung der 
Koordinaten viel wesentlicher ist als in der Störungsfunktion, so wird 
das Glied ein elementares Glied genannt. Diese elementaren Glieder 
geben tatsächlich die säkularen Glieder; denn wenn das Argument 
eines Gliedes nur die langsam variierenden Winkel ß,, ß,, ß, enthält, 
so ist der Koeffizient von t in diesem Argument eine kleine Größe 
von der Ordnung u; bei der Integration wird aber dieses Glied durch 
diesen kleinen Koeffizienten dividiert, und daher fällt dieses Glied in 
die Klasse der Glieder, die soeben als elementare Glieder definiert 
wurden. 


11. Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der 
Glieder wachsender Ordnung der Reihe. Wir wollen jetzt ein Bei- 
spiel für die zweite Art von Verfahren geben, die Lösung des Problems 
in der Form einer trigonometrischen Reihe zu erhalten. Die Methode, 
die wir hier entwickeln, ist die von Ländstedt®‘) und Poincare.®”) 

Betrachten wir das restringierte Dreikörperproblem; wir können 
das Gleichungssystem auf die Form 


de 28 dp oH 


ea u 


bringen (Nr. 2). Diejenigen Glieder von H, die von der kleinen 
Größe u unabhängig sind, bezeichnen wir mit H,; es ist 


= 1, 2) 





1 
H=;,;t"%%- 


Die Funktion H— H,, die den Faktor u besitzt, ist eine periodische 
Eunktion von p, und 9,; wir bezeichnen sie mit uH,. Für u=0 
sind q, und g, konstant. Wenn die kleine Größe u von Null ver- 


81) Paris C. R. 47 (1883), p. 1276, 1353; Astr. Nachr. 107 (1888), p. 197; 
Annales de l’Ecole Normale (3) 1 (1884), p. 85. Eine Lücke in Lindstedts Arbeit 
wurde von Poincare ausgefüllt, Bull. Astr. 3 (1886), p. 57, der durch eine An- 
wendung des Greenschen Theorems bewies, daß in jeder Lindstedtschen An- 
näherung nur ein säkulares Glied auftritt, und daß man dieses stets weg- 
schaffen kann. 

82) Acta Math. 13, p. 1; Möth. Nouv..IL. H.e. Zeipel, Bihang till K. Sv. 
Vet.-Ak. Handl. 24 (1898), Nr. 8, leitet auf eine neue Weise die Lindstedtschen 
Reihen ab und erhält die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ihre 
Existenz; er zeigt ferner (ibid. 26 (1901), Nr. 8) daß die Lindstedtschen Reihen 
für die Bewegung eines kleinen Planeten nicht existieren, wenn die Neigung der 
Bahnebene des kleinen Planeten eine bestimmte Grenze übersteigt. 


11. Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der Reihenglieder. 547 


schieden ist, und wenn &, und &, die Anfangswerte von q, und 
bezeichnen, so sind die Größen q, — &, und 9 — &, von derselben 
Größenordnung wie u. Setzen wir 


oH,(&; OH,(&, , &) 
Bun ai an &,) De se 2) 
so sind die Größen 
OH, (4 , %) Piz Be 0H, (4, %) 3ER 
BR a a n, und 24, Ng 


von derselben Größenordnung wie u; wir können also schreiben 


2H, >H, 
ZT mu — da Petr 9). 
Die Bewegungsgleichungen lassen sich auf die folgende Form bringen: 
ag, _ „OH: 4% __ „A 
area a Zn’ 





mtl), Beamten 4) 


Fassen wir jetzt die Variablen g,, 9, P,, 25, die wir bisher als 
Funktionen von ? aufgefaßt haben, als Funktionen der zwei Veränder- 
lichen &, =4,t+ 8, @ = 4,t-+ : auf, wo A,, A, zwei Konstanten 
bedeuten, die wir später bestimmen werden, und &,, &, Integrations- 
konstanten sind. Unser Gleichungssystem bekommt die Form: 








u 04 ua ah 
hı do, + Ag do, Kaya Mon, , 
12% 0% OH, _ 
hd, u (1) 
0) 0 "04H, 
hde, +4 1 Fee nu) 9, 
°P dpa oH\ 
Aa, rt Ar Gem ul 5) 0. 


Diese Größen können in Potenzreihen nach u .entwickelt werden: 


ht ti Fast 
n—- 9 =um tw +: 
,=ohtuhtesht 
= tun + ut, 
B—- 9 =um + wm +. 
»=ohtmht WR gig ur 
wo die Koeffizienten ‚2, Konstante und die Ausdrücke ,‚p,, ‚q, nach den 
Vielfachen von ©, und ®, geordnete trigonometrische Reihen be- 


548 VI, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


deuten. Setzen wir diese Entwicklungen von A,, Ay, 21 Pa, 4; % in 
die linken Seiten der Gleichungen (1) ein, so erhalten wir vier Potenz- 
reihen von u, deren Koeffizienten trigonometrische Reihen von o, 
und ®, sind; wir bezeichnen diese Funktionen mit ®,, ®,, ®,', 8. — 

Das Theorem von Lindstedt lautet folgendermaßen: Wie groß 
auch die ganze Zahl k gewählt ist, es ist stets ın“glich, die Konstanten 


oA, ıdı, ERS PIE ofg, 1dg, RN »l8 
und die trigonometrischen Reihen 


oQı> **» alı» 09a ler 1Pır -»-aPır 1ıDas --» aPa 


derart zu bestimmen, daß in.der Entwicklung von ®,, ®,, ®,', ®, das 
von u freie Glied und die Koeffizienten derjenigen Glieder, deren Ord- 
nung in bezug auf u nicht größer als k ist, verschwinden; mit anderen 
Worten, daß die Bewegungsgleichungen bis auf Glieder (k + 1)" Ordnung 
in u befriedigt werden. 

Wir finden zuerst 


Amann, Am Ast Rt 


wobei y, und %, Integrationskonstanten bedeuten, von denen wir an- 
nehmen, daß sie von der Größenordnung von u sind. 
Nehmen wir an, wir hätten die Werte 


A da +. 14 0% +7 %-105 1Po --» x-ıP =1,2) 


gefunden, und suchen ;A,, zAg, z1> 92 »Pı, »2s zu bestimmen. Diese 
Größen sind aus der Bedingung zu bestimmen, daß in ©,®,®,,®, 
der Koeffizient von u* verschwinden soll; wir erhalten also ein 
Gleichungssystem, das wir in der folgenden Form schreiben können: 





+ m. ch —X, N. a4 md —X, 
Mn ee ng + Ah=J do nu na +4h=J,- 





wobei n X,, Y,, Y, bekannte trigonometrische Reihen bedeuten. 
Die Auflösung dieser Gleichungen ist möglich, wenn 

1. das Verhältnis »,/n, inkommensurabel ist, was wir annehmen 
wollen, 

2. die von ®, und o, unabhängigen Glieder in den trigonometri- 
schen Reihen X,, X, verschwinden; diese Tatsache kann mit Hilfe 
der ritirirmilen bewiesen Veran, 

3. die von @, und ®, unabhängigen Glieder in den krigonometri- 
schen Reihen Y,, Y, mit ‚A, bzw. ‚A, identisch sind; wir können diese 
Bedingung erfüllen, indem wir ‚A, und ‚A, passend wählen; Die Auf- _ 


12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. 549 


lösung dieser Gleichungen ist also stets möglich, womit das Theorem 
von Lindstedt bewiesen ist. 

Das allgemeine Dreikörperproblem kann in ähnlicher Weise be- 
handelt werden; wir gelangen zu demselben Resultat wie in Nr. 10 
mit dem Vorteil, daß die Entwickelbarkeit nach Potenzen von u an- 
schaulicher in Evidenz gesetzt ist. Wir können also sagen, daß die Diffe- 
rentialgleichungen für die Koordinaten im Dreikörperproblem formal 
befriedigt werden durch unendliche Reihen, die nach Potenzen des 
kleinen Parameters u fortschreiten, der von der Ordnung der kleinen 
Massen ist; die Koeffizienten dieser Potenzreihen sind unendliche 
Reihen, deren Glieder Sinus und Kosinus von linearen Funktionen 
der fünf Argumente 
Berttn, Buhtt, Bmhttg, B-htite, B—htts 
sind (&,, &9, &3, &4, & sind willkürliche Konstanten) multipliziert mit 
von den anderen Integrationskonstanten abhängigen Konstanten. Zwei 
der Größen ß, etwa ß, und ß,, sind wieder näherungsweise gleich den 
mittleren Anomalien der beiden kleinen Massen in ihren instantanen 
Bahnen um die große Masse, während die anderen drei Argumente 
ßs, ß,, ß, nur langsam veränderlich®®) sind. 


12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. Wir 
haben gesehen, daß man die Differentialgleichungen für die Koordinaten 
im Dreikörperproblem formal erfüllen kann durch Reihen von der Form 


htuhtehrt 
wobei fy, fi, fa, - . - selbst unendliche Reihen von der Form 


Be On Be (nB, + +n,B;) 


ne =—n 


sind und 


B,=4t+ 8, 


ist; wir untersuchen jetzt die Konvergenz dieser Reihen. Diese Unter- 
suchung zerfällt natürlich in zwei Teile: 1. Die Konvergenztheorie 
der Reihen f, fi, fa, . . . und 2. die Konvergenztheorie der vollständigen 
Reihe , tu tu + :- 

Wir behandeln zuerst die Reihen 


Be Cn,: 40% or (n,B, Es Reh am n,ß}). 


my R=—n 


83) Poincare gab eine andere Ableitung dieser Reihen, Bull. Astr. 14 /1897), 
p. 241. 


550 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Aus den Gleichungen, mit deren Hilfe wir sukzessive die Funktionen f, 
nach der Lindstedtschen Methode berechnet haben, sehen wir, daß 
diese Reihen aus anderen bekannten Reihen (die sich schließlich aus 
der Störungsfunktion ergeben) durch Integration nach der Zeit ab- 
geleitet wurden. Dabei erhält der Koeffizient c, „myn,...,n, den 
Divisor nA, ++ n,A,. Da die Konvergenz der Entwicklung der 
Störungsfunktion denselben Charakter hat, wie die einer Potenzreihe 
von mehreren Variablen, in der der Koeffizient des Gliedes mit dem 
Argument (n,ß, ++ n,ß,) in bezug auf die Variabeln von den 
Ordnungen |n,|, |ns|,...., |n,| ist, so hat die Konvergenz der be- 
trachteten Reihen denselben Charakter wie die der Reihe 


a Imigml  glmgl 
= PEN. 
mt tm 


Ay N=—S 





Nehmen wir der Einfachheit halber k = 2, so können wir die Frage 
auf die Untersuchung der Konvergenz der Reihen von dem Typus 


ZIEL 


m=1in= 





einschränken, wo A die positive Zahl Fa ist. 

Der Wert der Konstante A häugt von den willkürlichen Inte- 
grationskonstanten ab; wenn A eine rationale Zahl ist, so ist die 
Reihe offenbar divergent, da die Glieder, für die = —= A ist, unend- 
lich werden. Wenn A eine ganze algebraische Irrationalität ist®%), 


d. h. die Wurzel einer irreduziblen algebraischen Gleichung mit ganz- 
zahligen Koeffizienten 


2A... EO-O, 


so ist die Reihe konvergent, wie wir sofort zeigen werden. Zu diesem 
Zweck multiplizieren wir Zähler und Nenner jedes Gliedes der Reihe 


DIE at 


m=1in= 


(m—nA)(m—nA}"). 





mit dem Produkt 


wobei A’, A”,.... die anderen Wurzeln der Gleichung sind. Der 
Nenner wird ein Polynom in m und n mit ganzzahligen Koeffizienten ; 
und da er nicht verschwinden kann, muß er mindestens gleich 1 


84) Diese Bemerkung rührt von Bruns her, Astr. Nachr. 109 (1884), p. 216. 


12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. 551 


sein. Der Zähler ist ein Polynom (s— 1)" Grades in m und n; man 
sieht unmittelbar, daß in diesem Falle die Reihe konvergiert. 

| Es ist übrigens leicht zu zeigen®®), daß es unendlich viele irrationale 
Werte von A gibt, für die die Reihe divergiert; man sieht auch, daß 
in jedem noch so kleinen Intervall unendlich viele Werte von A exi- 
stieren, wo die Reihe konvergiert, und unendlich viele, wo die Reihe 
divergiert. Es liegen also in jedem noch so kleinen Gebiete der reellen 
Variablen A,, . . ., A, unendlich viele Wertsysteme dieser Konstanten, für 
die die Teilreihen von f komvergieren, und unendlich viele Wertsysteme, 
für die sie divergieren. 

Die Folgen der Divergenz dieser Reihen kann man indessen um- 
gehen durch Anwendung eines Kunstgriffes, der auf der Willkürlich- 
keit in der Wahl der Konstanten u beruht und vermöge dessen man 
erreichen kann, daß jede der Teilsummen nur eine endliche Anzahl 
von Gliedern enthält. Man kann dies z. B. für ein Glied von f,, das 
p”g" als Faktor besitzt (p, q sind kleine Größen von der Größen- 
ordnung der Exzentrizitäten oder Neigungen der Bahn), dadurch er- 
reichen, daß wir seinen Koeffizienten als von der Größenordnung »*+”+” 
ansehen in bezug auf einen neuen Parameter ». 

Trotzdem wird natürlich die Schnelligkeit der Konvergenz der 
Reihen der Himmelsmechanik immer leiden unter dem Auftreten der 
kleinen Divisoren bei den Integrationen, die von der näherungsweisen 
Kommensurabilität der Größen A herrühren. Die Glieder, in denen 
diese kleinen Divisoren auftreten, werden von Gylden charakteristische 
Glieder genannt; sie werden in vielen Fällen im Planetensystem sehr 
bedeutend. So hat in der Theorie von Jupiter und Satum eine Un- 
gleichung, deren Periode 900 Jahre ist, einen beträchtlichen Koeffi- 
zienten, der von dem kleinen Divisor 5n — 2n’ herrührt, wo n und n’ 
die mittleren Bewegungen von Jupiter und Saturn bedeuten. Noch 
bedeutender werden die charakteristischen Glieder bei den kleinen 
. Planeten vom Hekubatypus. Methoden zur Beseitigung der Schwierig- 
keiten, die von dem Auftreten der charakteristischen Glieder herrühren, 
sind von vielen Seiten entwickelt worden.®®) 


856) Bruns loc. eit. 

86) Vgl. den Artikel über kleine Planeten. Wir erwähnen an dieser Stelle 
die Methode von Bohlin, Bihang till K. Sv. Vet.-Ak. Handlingar 14 (1888), Nr. 5; 
Astr. Nachr. 121 (1889), p. 17, der durch Anwendung der Jacobi-Hamiltonschen 
Theorie Reihen erhielt, bei denen die Divisoren ganze Zahlen sind; Bohlins 
Arbeiten wurden von Poincare, Meth. Nouv. II, Ch. 19—21 weitergeführt. Vgl. 
auch Charlier, Archiv för Math. 1 (1904), p. 449, der auch die Jacobi-Hamiltonsche 
partielle Differentialgleichung benutzt und zeigt, daß bei jeder Wahl der Inte- 


552 VIs, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


Nachdem wir nun die Konvergenz der Partialsummen f,, f}, fs» - -- 
untersucht haben, wenden wir uns zur Diskussion der Reihe vom Typus 


htrehitehr +» 


die die Koordinaten im Dreikörperproblem darstellt. Es wurde von 
Poincare gezeigt?”), daß diese Reihe ‚nicht gleichmäßig konvergent 
sein kann für alle Werte der Zeit und für alle Werte der Integrations- 
konstanten, die in einem endlichen Gebiet liegen. Nehmen wir näm- 
lich an, die Reihe wäre gleichmäßig konvergent; wir könnten dann 
aus ihr periodische Lösungen ableiten, wenn wir den Integrations- 
konstanten solche Werte erteilen, daß die Größen A kommensurabel 
ausfallen. Die charakteristischen Exponenten dieser periodischen 
Lösung werden gefunden durch Differentistion der Reihe nach den 
willkürlichen Konstanten; bezeichnen wir mit x eine der Koordinaten, 
mit ® eine der willkürlichen Konstanten, so müßten wir erhalten: 


0 
eP Aaa0} 


WO &3; %y,... die charakteristischen Exponenten der periodischen 
Lösung bedeuten, und 9,(tf) periodische Funktionen der Zeit sind, 
deren Periode mit der der Lösung übereinstimmt. Nun können aber 
aus der Differentiation unsrer trigonometrischen Entwicklungen niemals 
Exponentialgrößen e** entstehen, deren Periode von der Periode der 
Ausgangslösung verschieden wäre. Daraus würde aber folgen, daß alle 
charakteristischen Exponenten der periodischen Lösung verschwiuden; 
da dies unmöglich ist®®), erhalten wir das Theorem, daß die Reihe 
nicht gleichmäßig konvergent sein kann für alle Werte der Zeit und 
für alle Werte der Integrationskonstanten in einem endlichen Gebiet. 
Charlier®®) hat die Konvergenz der Reihe 


htuhitehr +: 


direkt untersucht mit Hilfe eines Theorems von Cauchy und Poincare, 
das folgendermaßen lautet:°) 
Betrachten wir die Differentialgleichungen 


dx; ; 
Fr. ZC7E Bye y Zt, Mi) G=1,2,..,n) 


grationskonstanten die Größe A so bestimmt werden kann, daß die Reihe kon- 
vergiert. 

87) Acta Math. 13 (1880), p. 249; Möth. Nouv. II, Ch. 13, vgl. auch Schwarz- 
schild, Phys. Zeitschr. 4 (1908), p. 765. 

88) Poincare, loc. eit. 

89) Bull. Astr. 19 (1902), p. 380. 

90) Möc. Cei. I, p. 58. 


18. Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den Reihen. 553 


und sei 

= 0;(t, u) 
eine Lösung dieser Gleichungen, bei der die Anfangswerte von z,,.. .,z, 
verschwinden für {=0. Nehmen wir an, daß für alle Werte von t 
zwischen 0 und 4, die Funktionen 9,,..., p, in Potenzreihen nach 
u und 2, — 8,(1,0) i=1,...,n) entwickelbar sind, deren Koeffizienten 
noch von t abhängen. Es lassen sich dann die Funktionen 


9,4, u), . .., 0,(6, u) 
für alle Werte von t zwischen O0 und , in eine nach den Potenzen 
von u fortschreitende Reihe entwickeln für hinreichend kleine Werte 
von |w. | 

Charlier zeigt nun, daß der Radius dieser Potenzreihe in u 
gegen Null konvergiert, wenn {, über alle Grenzen wächst; wenden 
wir dieses Theorem auf die Differentialgleichungen des Dreikörper- 
problems an, so erhalten wir das Resultat, daß die Entwicklungen 
der Lösungen des Dreikörperproblems nach Potenzen der störenden 
Massen zwar konvergent sind, doch die Konvergenz ist keine gleich- 
mäßige, da der Konvergenzradius (in den Massen) eine Funktion der 
Zeit ist. 

Ein Fall, wo die Reihen, die die Lösung des Dreikörperproblems 
darstellen, nach einer bestimmten Zeit sicherlich aufhören müssen zu 
konvergieren, ist der Fall des Zusammenstoßes zwischen zweien der 
drei Körper. Painleve’‘) deutete an, daß die Anfangsbedingungen, 
die einem Zusammenstoß entsprechen, zwei verschiedene analytische 
Bedingungen erfüllen müssen, die im Falle des ebenen Dreikörper- 
problems in eine einzige Bedingung übergehen; Painleve zeigte auch ”?), 
daß diese Bedingungen nicht algebraisch sein können. Levwi-Oivita®?) 
hat den Charakter dieser Bedingungen im Falle des restringierten 
Problems näher untersucht und gezeigt, wie man sie finden kann. 
Bisconcini”*) erweiterte Levi-Civitas Resultate auf das allgemeine Drei- 
körperproblem und verifizierte die Andeutungen von Painleve. 


13. Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den 
Reihen der Himmelsmechanik. Der Unterschied zwischen den säku- 


91) Paris C. R. 123 (1896), p. 871; Legons sur la theorie analytique des 
€quations differentielles. Paris 1897, p. 586. 

92) Paris C. R. 125 (1897), p. 1078. 

93) Annali di Mat. 9 (1903), p. 1: Paris C. R. 136 (1903), p. 82, 221. Acta 
Math. 30 (1906), p. 305. 

94) Rend. della R. acc. d. lincei (5) 12 (1903), p. 552; Acta Math. 30 (1906), 
p. 49. Vgl. ferner Sundman, Acta Soc. Scient. Fenn. 34 (1907), Nr.6; Block, 
Stockholm Arkiv för Mat. 5 (1908), Nr. 9: Medd. frän Lunds Obs. 2, Nr. 6. 


554 VI2,12. ET. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


laren und periodischen Störungen der elliptischen Elemente der Planeten- 
bahn wurde schon erläutert. Laplace”°) zeigte, daß eins dieser Ele- 
mente — die miillere Entfernung oder die halbe große Achse der 
Bahn — keine säkularen Störungen erfährt, wenn man diejenigen 
Glieder vernachlässigt, die von höherer als 1. Ordnung in den Massen 
oder von höherer als 2. Ordnung in den Exzentrizitäten und Neigungen 
sind; Lagrange”) wies nach, daß das Resultat richtig bleibt, wenn alle 
Potenzen der Exzentrizitäten und Neigungen mitgenommen werden; 
Poisson®") bewies schließlich die Richtigkeit des Theorems auch für 
den Fall, daß die Quadrate der Massen mitgenommen werden. — 
Mathieu”) erweiterte diese Untersuchungen in der Weise, daß er 
auch Glieder 3. Ordnung in den Massen berücksichtigte. Mit Hilfe 
der Jacobischen Transformation ersetzte er die Sonne und die Planeten 
durch drei fiktive Planeten, die sich um ein festes Zentrum in Bahnen 
bewegen, die homothetisch mit den wirklichen Bahnen sind. Er zeigte 
durch Entwicklung der Störungsfunktion bis zu den Gliedern 3. Ord- 
nung in den Massen, daß die reziproken mittleren Entfernungen keine 
säkularen Störungen dieser Ordnung erfahren. Poisson®) glaubte 
bereits ein Resultat bezüglich der Nichtexistenz säkularer ' Störungen 
3. Ordnung in den mittleren Entfernungen erhalten zu haben. Haretu:%) 
zeigte jedoch, daß Poisson bestimmte Glieder dieser Klasse weggelassen 
hat, und bewies, daß diese Glieder tatsächlich eine säkulare Störung 
zur Folge haben; daher haftet das Theorem über die Invariabilität 
der großen Achsen an den Gliedern 2. Ordnung in den störenden 
Massen. 

Eginitis zeigte!"'), daß die säkularen Störungen 3. Ordnung der 
mittleren Entfernungen nur von dem Glied 


1 ( ii 





n?a? 


herrühren, wobei Ei das Aggregat der Glieder 1. und 2. Ordnung 


95) Paris. M&m. des Savans Etrangers 7 (1773). 

96) Mem. de l’Acad. de Berlin (1776). 

97) Journal de l’Ecole Polyt., cah. 15 (1808), p. 1. Poissons Beweis wurde 
von Tisserand vereinfacht, M&m. de l’Acad. de Toulouse (7) 7, p. 374, Annales 
de l’Ecole Normale Sup. (2) 7. p. 261 (1875—76). Tisserand wendet die Jacobi- 
Radausche Transformation an und reduziert das Dreikörperproblem auf ein 
Problem 12. Ordnung, bei dem nur eine einzige Störungsfunktion auftritt. 

98) Paris C. R. 79 (1875), p. 1045; J. f. Math. 80 (1875), p. 97. 

99) Me&moires de l’Acad. des Sciences I (1810), p. 58. 

100) Paris ©. R. 85 (1877), p. 504; Obs. de Paris ann., mem. 18 (1883). 
101) Paris ©. R. 108, p. 1156; Obs. de Paris ann., mem. 19 (1889). 


18. Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den Reihen. 555 


bedeutet. Er zeigte zugleich, daß solche Störungen in der Tat auf- 
treten, und daß sie periodisch sind, wenn auch von sehr großer Periode. 

Der Übergang von der alten Planetentheorie mit ihren säkularen 
und periodischen Störungen zu der modernen Himmelsmechanik, bei 
der alle Glieder periodisch sind, berührte natürlich auch die Theoreme 
dieser Art. Tisserand'’?) gab die neue Fassung des Theorems der 
Invariabilität der großen Achsen, wenn die Lösung des Dreikörper- 
problems durch Reihen ausgedrückt ist, wie die der Delaunayschen 
Mondtheorie. Er zeigte, daß das Theorem nicht richtig ist, wenn 
man auch diejenigen Glieder berücksichtigt, die 4. Ordnung sind in 
bezug auf das Verhältnis der mittleren Bewegungen. 

Rein vom modernen Gesichtspunkte aus wurde die Frage behandelt 
von Andoyer‘®), Hill!%) und Poincare'®), welcher bewies, daß in 
dem restringierten Dreikörperproblem der Ausdruck der mittleren 
Entfernungen eine bestimmte Klasse von Gliedern, die den säkularen 
Gliedern der alten Theorie entspricht, nicht enthält, wie weit man 
auch die Annäherung führt. 

Einige merkwürdige Resultate verwandter Richtung fand Adams!'®) 
in der Mondtheorie. Bezeichnen wir mit e die Exzentrizität der Mond- 
bahn und mit y den Sinus der halben Neigung der Mondbahn gegen 
die Ekliptik (diese Größen sollen wie in der Delaunayschen Theorie 
definiert sein): sei » die mittlere Bewegung des Mondes, (1 — c)n die 
mittlere Bewegung des Mondperigäums, (1 — g)n die mittlere Bewegung 
des Mondknotens, & die mittlere Entfernung und v der Radius vector. 


Der nichtperiodische Teil von = gestattet eine Entwicklung der Form: 


A+Be& +07 + Et +2Fe?+Gy%+--: 
wobei A, B,C,... Funktionen der Exzentrizität der Erdbahn und 
des Verhältnisses der mittleren Bewegungen von Sonne und Mond 
sind. In ähnlicher Weise bezeichnen wir mit He? + Ky? die Glieder 
von c, die e? und y? enthalten, und mit Me? + N? die entsprechenden 
Glieder von g. Adams’ Theorem lautet 


; 
B=0, C=0, EK—FH=0, FN—GM=0. 


Alle diese Resultate werden durch denselben Prozeß gewonnen, der 


102) Paris C. R. 106 (1888), p. 788. 

103) Annales de la Fac. de Toulouse 4 (1898); Obs. de Paris ann., mem. 23 A 
(1902). 

104) Astron. Journ. 24 (1904), p. 27. 

105) Meth. Nouv. II (1893), p. 109; Bull. Astr. 14 (1897), p. 261. 

106) Lond. Astr. Soc. Monthly not. 38 (1878), p. 460. 





556 VI», 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie. 


für das erste folgendermaßen geschildert werden kann: es werden 
zwei Monde betrachtet, von denen die Bahn des einen weder eine 
Exzentrizität noch eine Neigung, die des anderen keine Neigung be- 
sitzt. Es wird gezeigt, daß eine bestimmte Funktion der Koordinaten 
der. beiden Monde eine periodische Funktion ist, und dies hat das 
Verschwinden der Größe B zur Folge. 

Diese Resultate wurden von E. W. Brown”) und Picart’%) er- 
weitert. Andere Eigenschaften der Koeffizienten. bei der Lösung des 
allgemeinen Dreikörperproblems durch trigonometrische Reihen wurden 
von Newcomb'®), Siacci"") und E. W. Brown'!") gefunden. 


107) Amer. Journ. Math. 17 (1895), p. 318; Trans. Amer. Math. Soc. 4 (1903), 
p. 284; Proc. Lond. Math. Soc. 28 (1897), p. 148. 

108) Paris ©. R. 181 (1900), p. 63—68. 

109) Paris C. R. 75 (1872), p. 1750. 

110) Paris C. R. 77 (1878), p. 1288. 

111) Proc. Lond. Math. Soc. 28 (1897), p. 130. In dem Resultat (X) dieser 
Arbeit findet sich ein Versehen, das aber den weiteren Teil nicht beeinflußt. 


(Abgeschlossen im März 1912.) 


VIs3,13. H.v, Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion 557 


VI 2,13. ENTWICKLUNG DER STÖRUNGS- 
FUNKTION. 


Von 
H. v. ZEIPEL. 


IN UPSALA. 





Inhaltsübersicht. 
Einleitung. 
1. Allgemeines über die Störungsfunktion und ihre Ableitungen. 


1. Kreisbahnen in einer Ebene. 

2. Koeffizienten db von Laplace. 

3. Reihenentwicklungen derselben 

4. Integralausdrücke derselben. 

5. Ältere Berechnungsmethoden. 

6. Methode von Newcomb. 

7. Koeffizienten von Cauchy. 

8. Koeffizienten von (ylden. 

9. Koeffizienten von Radau. 
10. Tafeln. 


1I. Kreisbahnen in geneigten Ebenen. 


11. Koeftizienten b"’ von Jacobi. 

12. Integralausdrücke derselben. 

13. Rekursionsformeln von Jacobi. 

14. Entwicklungen bei kleiner Neigung. 

15. Entwicklungen von Tisserand. 

16. 17. Entwicklungen von Hansen. 

18. 19. Appelsche hypergeometrische Entwicklungen. 
20. Berechnungsmethode von Sundman. 


IIL. Entwicklungen nach Potenzen von e und €, 
21. Methode von Leverrier. 
22. Methode von :Newcomb. 
Encoyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 37 


558 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


28. Entwicklungen von Cauchy. 

24. Entwicklung von Gylden. 

25. Entwicklung von Hill. 

26. Gruppenentwicklungen von Bohlin. 
27. Zweiter Teil der Störungsfunktion. 
28. Kanonische Elemente. 


IV. Entwicklungen nach Potenzen des Verhältnisses der großen Achsen. 


29. Koeffizienten X;"”” von Hansen. 
30. Störungsfunktion der Mondtheorie. 


V. Konvergenz der Entwicklungen. 


31. Formulierung der ersten Aufgabe. 

32. Integralausdrücke der Koeffizienten. 

38. 34. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale. 
85. Konvergenz der Entwicklungen für die Koeffizienten A,,m und Bin 
‚und B#’ 


m m, m“ 


12 


86. Konvergenz der Entwicklungen für die Koeffizienten A,,’ 
37. Formulierung der zweiten Aufgabe. 
88. Konvergenz der Entwicklung von AT". 


VI. Allgemeine Theorie der Rekursionsformeln und Differentialgleichungen. 


39. Formulierung der Aufgabe. 

40. Reduktion einiger Doppelintegrale. 

41. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen mit rationalen Koeffizienten. 

42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen mit 
eindeutigen Koeffizienten. 


VII. Numerische Entwicklungsmethoden. 


43. Unzulänglichkeit der analytischen Entwicklungen. 

44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren. 

45. Zweiter Teil der Störungsfunktion. 

46. Entwicklungsmethode von Jacobi. 

47. Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwicklungen durch mecha- 
nische Quadratur. 

48. Methode von Liouville. 

49. Trigonometrische Interpolationsmethode von Leverrier. 

50. Cauchys gemischte Methode. 

51. Entwicklung von Hansen. 

52. Elimination von E”. 

58. Anwendung der elliptischen Funktionen. 

54. Gauß' Theorie der säkularen Störungen. 


VIII. Asymptotische Ausdrücke für Funktionen großer Zahlen. 
65. Formulierung der Aufgabe. 
56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten in der Taylorschen und 
Laurentschen Reihe. 
57. 58. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale. 


Literatur. 559 


IX. Asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten der Entwicklungen 
der Störungsfunktionen. 


59. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der mittleren 
Anomalie des einen Planeten. 

60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der beiden mitt- 
leren Anomalien. 


Literatur. . 


Monographien. 


J. Lalande, Astronomie 2, 1764; 2° &d. 8, 1771. 

P. S. Laplace, Trait& de mecanique celeste I—V. Paris 1799—1827. 

P.@.de Pontecoulant, Theorie analztique du systöme du monde III—IV. Paris 
1834 —46. 

U. J. J. Leverrier, Recherches astronomiques. Annales de l’Observatoire de Paris 
IL, II, 1856-56. 

P. A. Hansen, Auseinandersetzung einer zweckmäßigen Methode zur Berechnung 
der absoluten Störungen der kleinen Planeten, Abh. I. Abh. d.K.S. Ges. d. 
Wiss. II. Leipzig 1857. 

S. Newcomb, Development of the Perturbative Function and its Derivatives in 
sines and cosines of multiples of the Eccentric Anomaly, and in Powers of 
the Eccentricities and Inclinaisons. Astron. Papers. III,. Washington 1884. 

H. Gylden, Trait& analytique des orbites absolues des huit planötes principales 1. 
Stockholm 1893. 

S. Newcomb, Development of the Perturbative Function in cosines of multiples 
of the Mean Anomalies and of Angles between the Perihelia and Common 
Node and in Powers of the Eccentricities and Mutual Inclination. Astron. 
Papers V,. Washington 1895. 


Lehrbücher und Bibliographien. 


H. Resal, Trait& el&mentaire de m&canique c6leste, 2° 6dition. Paris 1884. 

O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen. Leipzig 1888. 

F. Tisserand, Trait de Mecanique ce&leste I, II, IV. Paris 1889--96. 

N. Herz, Artikel „Mechanik des Himmels“ in Valentiners Handwörterbuch der 
Astronomie. Breslau 1898. 

H. Burkhardi*), Die Entwicklung analytischer Funktionen in harmonische trigo- 
nometrische Reihen. Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung, 
Bd. X, Heft 2, erster Halbband. Leipzig 1901—2. 

I". R. Moulton, An Introduction to Celestial Mechanics. New York 1902. 

C. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels I, II. Leipzig 1902, 1907. 

H. Poincare, Legons de mecanique c&leste I, IL. Paris 1906, 1907. 





*) Der sehr vollständigen Bibliographie von H. Burkhardt sind viele be- 
sonders von den älteren Literaturangaben entnommen. 





37* 


560 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Einleitung. 


l. Allgemeines über die Störungsfunktion und ihre Ablei- 
tungen. Mit dem Namen Störungsfunktion wird gewöhnlich die eine 
oder die andere der Funktionen 


a) 1 rcosH Rmt _rcaH 


ee" a g\ Fu 





wo 
A=r+r?—2rr cosH, 


bezeichnet. Hier sind r und »’ die Radiivektoren zweier Himmels- 
körper, H der von r und r’ eingeschlossene Winkel (vgl. den Artikel 
VI 2,14). In der Mondtheorie heißt Störungsfunktion der Ausdruck: 

ha 1 ap 1 
KEIM, Sa (1— o)Yr*—2r’r(1— 0) cos H+fr*(1—o)?  eyVr:+@rrocosH+r’o: 
Dabei bedeutet r den Radiusvektor des Mondes, bezogen auf den 
Schwerpunkt der Erde, r' den Radiusvektor der Sonne, bezogen auf 
den Schwerpunkt zwischen Erde und Mond, H den von r und r’ ein- 
geschlossenen Winkel, « das Verhältnis zwischen der Masse des Mondes 
und der Summe der Massen von Mond und Erde (vgl. den Artikel 
VIa, 16). h 

In der Bewegungstheorie der Himmelskörper geht man im all- 
gemeinen von der elliptischen Bewegung als erster Annäherung aus. 
Die erste Aufgabe für eine Berechnung der Störungen wird dann, in 
die Störungsfunktion für die Koordinaten der beiden Himmelskörper 
ihre Ausdrücke durch die Keplerschen Elemente einzuführen und die 
entsprechende komplizierte Funktion in zweckmäßiger Weise zu ent- 
wickeln. 

Nach der Theorie der elliptischen Bewegung ist: 


E—esnE=M, r=a(l-—ecosE) 
rcosv—=alcs#E —e, rsinv=ayl— esinE. 


Für den zweiten Körper gelten dieselben Gleichungen, wenn nur alle 
Buchstaben gestrichelt werden. Weiter iet: 


cos H = cos(r + @) cos(r’ + @') + cosJ sin(v + ®) sin(v’ + @’). 


Dabei bezeichnen in Übereinstimmung mit den vorausgehenden Artikeln: 
a, a’ die halben großen Achsen der beiden Bahnen; e, e’' die Exzentri- 
zitäten; @, @’ die Perihellängen von der Schnittlinie der Bahnebenen 
an gerechnet; .J die gegenseitige Neigung der Bahnebenen; M, M’ 
die mittleren, E, E’ die exzentrischen, v, v’ die wahren Anomalien. 
Das Problem der Entwicklung der Störungsfunktion läßt sich 











(3) 


2. Koeffizienten bi? von Laplace. 561 


nun in der Hauptsache so charakterisieren. Wenn man den Fall aus- 
schließt, daß sich die beiden Ellipsen schneiden, ist die Störungs- 
funktion für alle reellen Werte der mittleren Anomalien M und M’ 
endlich. Es existieren dann für sie und ihre partiellen Ableitungen 
trigonometrische Entwicklungen nach den Vielfachen von M und M’, 
in welchen die Koeffizienten von den übrigen Elementen a, «', e, €', 
@, ©, .J abhängig sind. Das Problem besteht im wesentlichen in der 
Bildung dieser Koeffizienten. Für die Integration der Bewegungs- 
gleichungen für kürzere Zeit (einige Jahrhunderte) ist es hinreichend, 
die Koeffizienten der trigonometrischen Entwicklungen für konstante 
Werte von a, a’ usw. berechnen zu können. In diesem Falle kann 
man die Koeffizienten durch mechanische Quadratur berechnen, be- 
dient sich aber doch meist analytischer Entwicklungen in Gestalt von 


’ 


Reihen, die nach Potenzen kleiner Größen, wie e, €‘, sin? Z oder a/a 


fortschreiten, solange wenigstens die Konvergenz dieser Reihen ge- 
nügend ist. Bei Untersuchungen über die wahre Natur der Bewegung 
und über die Veränderung der Bahnen im Laufe von Jahrtausenden 
ist man natürlich auf die analytische Form für die Entwicklungs- 
koeffizienten angewiesen. 

Es sei vorausbemerkt, daß sich die Betrachtung fasi «lurchweg 
auf den sog. „Hauptteil“ der Störungsfunktion 1/A beschränkt, während 
(die einfache Berücksichtigung des zweiten oder „indirekten“ Teils der 


Störungsfunktion era resp. bi ge H für sich erfolgt (Nr. 27, 45). 


I. Kreisbahnen in einer Ebene. 

2. Koetfizienten b,® von Laplace. Wenn e, e’ und J verschwin- 
den, wird die Entwicklung der Störungsfunktion einfach. Mit Ein- 
führung der Bezeichnungen 

uy— 


[77 
ml, Z2=(C R 


unter c die Basis der natürlichen Logarithmen verstanden, ergibt sich 
A: a?—=1+a?—2ac H=l+a— ale + )=(1—az)(l—ar}). 
Die Aufgabe wird also, die Entwicklungen 


ER NERE N) ie =. ı Diy0 cosiH, 


i=—o 


(4) 


a 


+» 
I+e®—aß+rt)) = 3 DI 00% 


i=—» 


562 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


zu studieren, wo n eine ungerade positive Zahl ist. Die Größen 5 
werden die Koeffizienten von Laplace genannt. Dieselben spielen in 
der Theorie der Störungsfunktion eine ganz hervorragende Rolle. 

Offenbar ist 

u» — p® 

Es genügt also diejenigen p" zu betrachten, für welche © nicht 
negativ ist. 

3. Reihenentwicklungen der b®. Die Koeffizienten von Laplace 


können in verschiedene hypergeometrische Reihen entwickelt werden. 
Es ergibt sich, unter Anwendung der Bezeichnungen 


=rß+td..-vti—d), 9-1 


Faßy)=1+ + ar e+ . 


und 








mw: , 
7 PR & ‘) ai n in i at 4a! 
5) OT, a a 
(+ e)) 


(6) ZU — cu N urle,n +hiH+l, e*) 





—,i . 
aD) he F-3+1,—5+i+Li+4l,e) 





id le n +1 
(8) EN (1, 9) (d+ ar +2 F(z +, Bi 2? ‘+ ‚ats 





RER 
N 5 ‘) as N Bu 1 ’ — 4a 
(9) 2 (1, i) Ya ar +23 F(> un ee r 2? 2i + Ir) 





(d) (5) ai n “;% — a! 
ne nie 





(1—aN? 
A (3) ai a n IR — 1! 
EN EI tree) 
(1-a)? 


Die ersten Glieder der Reihen (5) wurden von L. Euler!) für 


1) L. Euler, Sur les inegalit6s du mouvement de Saturne et de Jupiter, 
Paris 1749, $ 25, p. 26. Die Abhandlung war ursprünglich für den 7. Band des 
Pariser „recueil des piöces qui ont remport6 les prix‘‘ bestimmt (Vgl. dessen Vor- 
rede), ist aber in manchen Exemplaren dem 6. angehängt oder fehlt auch ganz. 


8. Reihenentwicklungen der bi, 563 


i=0,1,2,3 berechnet. Er entwickelte zuerst nach den Potenzen von 
cos.H und ordnete nachher um, indem er von dem allgemeinen Aus- 
druck von cos’ H durch cosiH, cos —2)H,... Gebrauch machte. 
Die allgemeine Form dieser Reihen erkannte J. B. L d’ Alembert?). Die 
Reihe (6) rührt von J. L. Lagrange?) her. Er zerlegte 1+0°—2«cosH 
in die beiden komplexen Faktoren (1 — «c#V-!), (1— «c#V-1) und 
entwickelte die (— 2) Potenz jedes Faktors für sich nach Potenzen 


von «, multiplizierte aus und ordnete nach den Kosinus der Viel- 
fachen von H. Durch Transformation der hypergeometrischen Reihe 
in (6) leitete L. Euler‘) aus (6) die Formel (7) ab. C. F. Gauß?) 
führte in seiner Abhandlung über die hypergeometrische Reihe noch 
die Entwicklungen (8) und (9) an, die sich aus den beiden Identitäten 


n 


‚AN? 
n 40 C08* — 
(1+e)"(1+«?— 2«cos H) and Aarar 


HR 
4a cos? — 


(1—eo)(1+a—2«cosH) n ne nn. 


ergeben. Die wichtige Formel (10) wurde von A. M. hen mittels 
der Methode der unbestimmten Koeffizienten gefunden. Dieselbe Ent- 
wicklung sowie auch (11) wurden endlich von A.L. Cauchy”) aus 
einem Integralausdruck (18) erhalten, wovon später die Rede sein wird. 

Die Reihen (5)—(8) sind konvergent, wenn 0<«<‘1. Die Kon- 
vergenz der Reihe (9) besteht nur, solange 0O<«<3— V8 = 0,172... 
Die in (10) und (11) vorkommenden hypergeometrischen Reihen kon- 


vergieren nur, wein 0 <«< 7 = 0,707... A.L.Cauchy®) und nach 
ihm O. Callandreau®”) haben aber gezeigt, daß die Formel (10) auch 








2) J. B. L. d’ Alembert, Recherches sur differens points importans du syst&me 
du monde, 2, Paris 1754, p. 61. 

8) J. L. Lagrange, Misc. Taur. 8,, 1762/65 [66], Nr. 73 = (Euvres, 1, p. 619; 
Paris, recueil des ... prix 9, (1766), Nr. 18 = (Euvres 6, p. 87. 

4) L. Euler, Institutiones calc. integr., 2. ed., 4, Petrop. 1794, p. 250—259. 

5) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 2 (1813), Nr. 6 = Werke 3, p. 128. 

6) A. M. Legendre, Exercices de calcul integral, tome 2, 5° partie, Paris 
1817, Nr. 156, p. 278. 

7) A. L. Cauchy, Paris 0. R. 19 (1844), p. 58 = (Euvres (1) 8, p. 248. 

Reihen nach Potenzen von F u ) gibt J. Hellins, Lond. philos. trans. (1798), 
p. 535, 557. nr 

8) A. L. Cauchy, Paris C. R. 34 (1852), p. 159 = (Kuvres (1) 11, p. 402. 

8) O. Callandreau, Paris.C. R. 115 (1892), p. 386; Journ. Ecol. Pol. (2) 7 
(1902), p. 47. 





564 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


für größere Werte von « mit Vorteil angewandt werden kann, wenn 
nur i eine große Zahl ist. Die Reihe ist in der Tat semikonvergent, 
und der Fehler ist gleich dem ersten weggelassenen Glied mit einem 
echten Bruche multipliziert, wenn nur die Anzahl der mitgenommenen 


Glieder größer als 5 1 ist. 


4. Integralausdrücke der b{. Die Koeffizienten 5% können auch 
durch bestimmte Integrale ausgedrückt werden. Die erste der Glei- 
chungen (4) gibt in der Tat 


nz 


(12) =" | (1+a!— 2ucosy) 3 cos ivdy. 
ö 


Diese Darstellung fanden schon J. B. L. d’Alembert?) und A. C. 
Olairaut '°). 

Durch Anwendung seiner Methoden zur Lösung von Differenzen- 
gleichungen fand P. S. Laplace'') die Relation 


z 
2 


ng sin?'ap Ay 
(13) W=-— “f 








Vi— «!sin’y x 


Dieselbe wurde später auch von A. M. Legendre'?) gewonnen, indem 
er die Reihenentwicklung des Integrals nach Potenzen von «* mit der 
Entwicklung (7) für n=1 verglich. 

Von der Formel 

za 


ä de PR—N). P—i+N RES IN 
Jr z ewizde— 13T Ser Ir sin'izdx 
[} 





ausgehend hat (. @. .J. Jacobi'?) die allgemeine Gleichung 





(14) [reos=) cosirde = -— Ser Teen Sr eos) sin®'xdz 
0 0 


9) J. B. L.d’Alembert, Recherches sur differens points importans du systöme 
du monde 2, Paris 1754, p. 66. 

10) A. C. Clairaut, Paris hist. (2) mem. 1754, p. 548 (Juli 1757). 

11) P. 8. Laplace, Mec. cel. livre 15, Nr. 3 (1824) = (Euvres 5, p. 873. Er- 
rata Conn. d. temps pour 1828, p. 815. 

12) A. M. Legendre, Trait& des fonctions elliptiques et des integrales Eule- 
riennes 2, Paris 1826, appendice, sect. I, p. 536. 


18) 0. @. J. Jacobi, J. f. Math. 15 (1886), p. 3, 10 [Juli 1835] = Werke &, 
p- 88, 89, 98. 


4. Integralausdrücke der b@. 565 


abgeleitet. Aus ihr ergibt sich infolge (12): 
j ee WE S>D8 ; rt sin’'pdy 
15) 1 — Be 








—— + 
0 (i+ae? Re, 


Durch Anwendung der Landenschen Transformation 





sing —= nr 
PR BT yealenig 
ndet er: 
a». +9, - a +3 —2), 2 , 
(16) DI) m 1-3 -:.- (2? —1) a 


n—l 








sin’ pdg (VYi—e*sin’p+«cosp 
Vi-esin’g | ri 
Für n=1 ergibt sich hieraus als Spezialfall die Formel (13). 
Als hypergeometrische Funktionen müssen sich die b(’) auch durch 
hypergeometrische Integrale ausdrücken lassen. Eine solche Darstellung 
fand J. Binet'*) im Spezialfalle » = 1: 


1 


(17) 0 — = “ (ua) ® A de. 


Eine Entwicklung nach Potenzen von « führt in der Tat auf die 
Formel (6) von Lagrange. Ein allgemeinerer Ausdruck rührt von 
A. L. Cauchy'?) her, der seine Theorie der komplexen Integrale nutz- 
bar machte. Er nn vom Integrale 


(18) 0 — VE loan ?(1—- 5) Tp-1g; 


aus, wo der Integrationsweg der Einheitskreis ist. Diesen Integrations- 


weg ersetzt er durch einen anderen: |z2|=«(1-+s), wonach sich 
ergibt: 
1 3, e -: er 
1) „W=-——JI(i—es) (1) *a-tda. 
z|=1+e 


€ ist hier eine beliebig kleine positive Größe. 

H. Poincare‘*) führte in die Theorie der Koeffizienten D@ die 
elliptischen Funktionen p(u) von Weierstraß ein. Er setzte in der 
Gleichung (18) 


1 
s=pW)—4, (=&,—6&, ware atatam I 





14) J. Binet, J. Ec. Polyt. cah. 27 (1839), p. 332. 
15) A. L. Cauchy, Paris C. R. 15 (1842), p. 266 = (Euvres (1) 7, p. 97. 
16) H. Poincare, Legons de me&ec. eel. 2 (1907), p. 57. 


566 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 
womit folgt: 

dan) @— a), Ep (m) 
und 


eo) imw-L() 


2 \a@ 


2w, 
fr loW—ear rau 

0 

Die zu integrierende doppeltperiodische Funktion F(u) wird nur un- 
endlich für v= 0, o,, ©, ©, (P(®,) = &,). Weiter ist 


F(u) = F(—u), F(o,+ u) = F(o, — u). 


Die Funktion F(w) ist daher linear zusammengesetzt aus den Ab- 
leitungen ungerader Ordnung der Funktionen $(w), &(u — @,),v=1,2,3. 
Es ist daher (n,—= &(,)): 
b® —_Fn+ Yo, : 
aya 


wo P und @ rationale Funktionen von « sind. 

A. Wilkens'') hat gezeigt, wie die Berechnung von P und Q 
durch Rekursionsformeln erleichtert werden kann. 

Von den Laplaceschen Koeffizienten d® sind 5 und b{!) die wich- 
tigsten. Infolge der Gleichung (13) können dieselben leicht durch die 
elliptischen Integrale 

Fi 
EB ar 
ni Vi — «?sin? : 
ausgedrückt werden. Man findet: 


4 Py /RBeNS 
(21) w—=/F, w—_ au. 





F, 





a 
2 
5, — (VI-eEnGay 
ö 


Andererseits ergibt sich aus (20) 
1 


1 
«3 (« +) 9A 
7 Ve ; 
Für die Berechnung von F, bietet die Theorie der elliptischen 
Integrale mehrere Methoden, die sehr rasch zum Ziele führen. Nach 
©. F. Gauß?) ist 


(23) vn 





(22) b0 — ee , W— 





n 1 
3 a1, yı—«:)’ 


17) A. Wilkens, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 213, 214. 
18) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 4 (1818) nr. 16, = Werke 3, p. 352. 


4. Integralausdrücke der b®. 567 


wo das arithmetisch-geometrische Mittel M(m, n) durch die Formeln 
m—ttr, n,=Vmn, 





m,_ıt Nn,-ı 


m = — nn nme 92 den 
M(m,n) = lim m, = lim n, 
vyv=»© vr=o© 


definiert ist. Diese Methode wurde besonders von P. A. Hansen'?) und 
S. Newcomb?°) empfohlen. Letzterer setzt 


«= sin®, 
log 0) — log N — log cos — 1-log cos 0 
und gibt die Werte von log N (N nahe = 2) für « = 0,45; 0,46; ...; 0,75. 


R. T. A. Innes?‘) bemerkte, daß die Tafel von Newcomb Fehler in der 
siebenten Dezimalstelle enthält. Er setzt 


log 60) — log 8 — 2log 1 +VI— a) +N.. 
Die Größe 10®N, ist von F. Robbins*?) für « < 0,85 tabelliert worden 


Für F, hat A. M. Legendre®®) das rasch konvergierende unendliche 
Produkt gegeben: 


R=-( +a)1+@)1+8):-;, 


1— yı — ad, 

ne 1+ Yı-a?_,’ 

ist. Für numerische Rechnung noch zweckmäßigere Formeln wurden 
hieraus von H. Gylden®*) abgeleitet. Er fand 


wo 





W=«, v=1,2,3,... 











Fr — * Veos0, e0s0, cos®, ... We .. 1 
r R Veos0 (cos 5 con Cı 005 % ) 
2 2 2 


wo 
0, 
@ = sin 6, sin 0, — tg?-", 6,=9, va1,2,3,:... 


Die in der Formel (22) auftretenden Perioden ®, und 7, können 
leicht durch Anwendung der sehr konvergenten #-Reihen von Jacobi 





19) P. A. Hansen, Paris C. R. Suppl. 1 (1856), p. 165. [Eingereicht 1846.] 
20) 5. Newcomb, Wash. Astron. Papers, vol. 3, part. 1 (1884), p. 69. 

21) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 69 (1909), p. 688. 

22) F. Robbins, ibid. p. 649. 

23) A. M. Legendre, Trait& des fonctions elliptiques 1 (1825), p. 83. 

24) H.Gylden, Stockholm Bih. K. Vet. Akad. Handl. Bd.6, Nr.16, p.26 (1881). 


568 Vle,13. H.o. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


berechnet werden. Die hierfür nötigen Formeln hat H. 4. Schwarz?) 
zusammengestellt. Je nachdem « < N oder «> = ‚ kommen ver- 


schiedene Formeln in Anwendung. Dadurch erreicht man, daß die 
Größe I, nach deren Potenzen die #-Reihen fortschreiten, stets 


<e"—= 0,04321... 
ist. Die Konvergenz ist deshalb immer eine sehr große. 


“ ö. Ältere Berechnungsmethoden. Für die numerische Berechnung 
der Koeffizienten der trigonometrischen Entwicklung von A” ist es 
im allgemeinen nötig, die numerischen Werte von b® nebst deren Ab- 
leitungen nach « zu kennen. Obwohl die Reihen (6) konvergent sind, 
wenn |«|<1 ist, so sind sie in numerischer Hinsicht als unzweck- 
mäßig zu bezeichnen, besonders wenn «>4. Es ist deshalb nötig 
gewesen, andere Berechnungsmethoden aufzusuchen. Dabei haben ge- 
wisse Rekursionsformeln eine wichtige Rolle gespielt. 

Es seien 
IF, = 1a, ß,, Pi, %) i=1,2,3,... 
beliebige hypergeometrische Reihen, für welche die Differenzen 
6, B—B; 779 (j=1,2,3,...) 

ganze Zahlen sind. ©. F. Gauß?®) hat gezeigt, daß zwischen drei be- 
liebigen der Funktionen 7", eine homogene, lineare Relation besteht 
mit Koeffizienten, die rationale Funktionen von x, «, ß und 7 sind. 
Nun sind die Koeffizienten d® mit allen ihren Ableitungen homogene, 
lineare Ausdrücke mit rationalen Koeffizienten solcher hypergeome- 
trischen Reihen. Es folgt da.aus, daß zwischen drei beliebigen der 
Funktionen 

a’ u%) 


1 W=012..5n—1,3,8,°.) 


eine homogene, lineare Rekursionsformel besteht mit Koeffizienten, 
die rationale Funktionen von « sind. Mehrere von diesen Rekursions- 
formeln waren schon im 18. Jahrhundert bekannt. So hatte Z. Euler?”) 
die folgende abgeleitet: 


(24) bit) — rs (e + 2) RE ey 
” U 3 


a) 2i—n+?2 * 


Mit ihrer Hilfe können b® 


nn)» 


b®), ... berechnet werden, wenn 5 und 


256) H. A. Schwarz, Formeln und Lehrsätze zum Gebrauche der elliptischen 
Funktionen, Göttingen 1885, Nr. 45, p. 61. 

26) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 2 (1818), nr.7, 8 = Werke 3, p. 180—131. 

27) L. Euler, Sur les indgalit6s du mouvm. de Sat. et de Jup., Paris 1749, 
8 26, p. 27, 


5. Ältere Berechnungsmethoden. 569 


d() bekannt sind. Von J. L. Lagrange”) rühren zwei Formeln her, die 
”, durch d® und 2*” oder durch b” und b“”" ausdrücken. Mit 
ihrer Hilfe können z. B. RR und ER durch ur und v" berechnet 


werden. Eine spätere Abhandlung von J. L. Lagrange?”) drückt die 
0) 
Ableitung “'” durch 2° und 50, , aus. Endlich hat A. M. Legendre®) 


die folgenden Formeln gegeben: 
(+1) __ (2i+n)0 — (2i—n+2) vet ı 








(2) 

(25) bu +42 v b, e 3- RE n(1 — 0)? ? 
ya ern _ At et 
n+2 n+2 n(1+ «)* 


Bei den Rechnungen, die P. S. Laplace und A. Boward für die 
Mecanique Celeste ausführten, kam die Formel (24) zur Anwendung. 
P. @. Pontcecoulant°") und später U. J. «J. Leverrier?) wiesen darauf hin, 
daß diese. Formel aus zwei Gründen fehlervergrößernd sein kann. 
Erstens wird b@+2 als Differenz von zwei größeren Zahlen gefunden; 
zweitens tritt bei kleinen Werten von « ein Fehler in 5% stark ver- 
größert in bÜ+D auf. 

U.J.J. Leverrier?®) hat deshalb auf die Anwendung der Formel (24) 
bei kleineren Werten von « verzichtet. In solchen Fällen berechnete 
er die Funktionen 5, bW, 5®,.... und die Ableitungen derselben mit 
Hilfe von Reihen, die durch eine die Konvergenz vermehrende Um- 
formung aus den Reihen (6) abgeleitet wurden. Die Koeffizienten dieser 
transformierten Reihen wurden später auch von $. €. Walker®) nume- 
risch gegeben. Übrigens hat auch O. Uallandreau®°), ausgehend von, 
der Integralformel von Cauchy dieselben Reihen behandelt und in 
bezug auf ihre Konvergenz diskutiert. Nachdem die bÜ) bekannt waren, 
berechnete Leverrier D$, b@, b@,... durch sukzessive Anwendung der 
Rekursionsformeln (25). Aber auch diese sind, besonders für größere 





28) J. L. Lagrange, Misc. Taur. 3, 1762/65 |66], n® 73 = Oeuvres 1, p. 622; 
Paris, regueil des ... prix 9 (1766), n® 20 = Oeuvres 6, p. 91. 

29) J. L. Lagrange, Berl. nouv. m&m. 1781 [83], n® 45 = Öeuvres 5, p. 185. 

30) A. M. Legendre, Excercises de calcul integral, tome 2, 5" partie (1817), 
n" 164, p. 284. 

31) P. @. de Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du monde 3 
(1834), p. 63. 

32) U. J. J. Leverrier, Paris C. R. 10 (1840), p. 751. — Developpements sur 
plusieurs points de la theorie des perturbations des planetes, Paris 1841, p. 33. 
33) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 2 (1856), add. I, p. [1]—[10]. 

34) S. C. Walker, Amer. Ephem. Appendix 1857, p. 95—117. 
35) O. Callandreau, Paris C.R. 90 (1880), p. 1540, 


570 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Werte von «&, für numerische Rechnung wenig geeignet. Für die Be- 
rechnung der Größen 
ei v@ 
Te 
leitete endlich U.J.J. Leverrier*) eine Reihe Rekursionsformeln ab, die 
aber kompliziert und in numerischer Hinsicht ziemlich unzweckmäßig 
sind. Übrigens treten die Größen (26) nicht direkt in der Leverrier- 
schen Entwicklung der Störungsfunktion auf. Die für diese Entwick- 
lung nötigen Größen sind tatsächlich 
na 
vel) 
g! de’ 
6. Methode von Newcomb. Für die Berechnung der Größen 


n—=1,3,5,..35i=0,1,2,..3j=1,2,3,...) 





ame F ) BETTY. ig eh 
D=u! W=2 1) n F(5, title) 


und ihrer Ableitungen nach log « 








{ ; a’ cd R 
(27) Das Jmhäbn. 


hat $. Newcomb®”) ein durch Eleganz und Schärfe ausgezeichnetes Ver- 
fahren gegeben. 
Newcomb führt anstatt c® eine allgemeinere Funktion 


(3. Heer 
(1,543) 
Ft Stirn itit he) 
ein. Es ist dann offenbar 
(29) Dr+1 6 — NT Den + Dieas+n, 
ET 


Durch diese Formeln (29) können die in der Newcombschen Ent- 
wicklung der Störungsfunktion vorkommenden Größen (27) für 
j= 0,1,2,..., m berechnet werden, sobald die numerischen Werte 
der Funktionen (28) für j= 0,1,2,...,m bekannt sind. 

Zur Berechnung dieser Funktionen (28) dienen einige von New- 


‚(28) EEE) 








36) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 2 (1856), ch. 5, n° 4, p. 7—9. 
37) S. Neweomb, Wash. Astron. Papers 8, part. 1 (1884), p. 42—47; 5, part. 4 
(1895), p. 809-317. 


6. Methode von Newcomb. 571 


comb abgeleitete Rekursionsformeln: 
30) (it 2jtn— Dad — 2tj tie) 
+ in +2) HM —= 0, 
(31) 2ijtn)ad 2 — it) Lak — 0, 
(32) n+YB)a ne ++ Ne], 
+ nat je 0. 
Unter Einführung der Bezeichnung 








(83) Ar ankea 
E FE) 
können dieselben in folgender Weise geschrieben werden: 
(34) 26 2. pr | 
E 1 — ge per 9? 
(35) est ya (25+ 1a pl) RN) | 


1 VAR apbi+n 





(36) N ea. u 
Hann 2a] — ann + jap’ 


wo P@3 und Q@ als bekannt betrachtet werden können. 
Newcomb beginnt mit der Berechnung von p%?, wo k eine große 
Zahl, z.B. k= 10, ist. Es ist 


BE 3 F 
Pr 2.+27 °*pm 


Fe F(A, B, 0, e?), FR=F(AB-+I1, C+1,0), 
A=7ti Bez tt, C=kHj. 
Für die Berechnung von En wendet 5. Newcomb°®®) eine sehr konver- 
gente Kettenbruchentwicklung von C. F. Gauß°®) an. 

Nachdem in dieser Weise die p%) bekannt geworden sind, wer- 
den die p@9 für i=k—1,k—2,...,3,2,1 durch (34) erhalten. 
Den ersten Koeffizienten c(»9 — 5{0) berechnet Newcomb durch das arith- 
metisch-geometrische Mittel [siehe (21), (23). Durch sukzessive An- 
wendung der Formel (35) ergeben sich dann die c{"D, c0®,.... Da- 
nach können c ,c@»),... nacheinander mittels (36) berechnet werden. 


Durch die Formel (33) werden endlich nach und nach die Werte von 
AI, N, 8, ... erhalten. 





wo 


38) $. Newcomb, Wash. Astron. Papers 3, part. 1 (1884), p. 48. 
39) C. F. Gauß, Gott. comm. rec. 2 (1813), nr. 12 = Werke 3, p.-134. 


572 VIe, 13. H.r. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Die von Newcomb gegebene Rekursionsformel (30) geht für j—= 0 
in die Eulersche Gleichung (24) über. Rekursionsformeln dieser Art 
waren schon vorher von (. F. Gauß*), C.@.J. Jacobi*') und P. A. 
Hansen*?) durch Kettenbrüche aufgelöst worden. 

R.T. A. Innes“®) hat die Newcombsche Methode in einem wesent- 
lichen Punkte umgestaltet. Er ging von der neuen Rekursionsformel 
(37) ED ui HN 


n+2 
aus, setzte j= 0, und drückte ci» und c@-b®9 mittels c#-», De; -® 
und D?c#“-» unter Anwendung der Formeln (29) aus. Es ergab sich 
in dieser Weise und nach m-facher Differentiation 


n? Dr ce” 


0, {+ Der 
[4 Dee 


Nachdem die Größen D’c®) nach Newcombs Methode (für » = 1) 
berechnet worden sind, ergeben die Formeln (38) nach und nach die 
Werte von Dic®, D/ic® usw. 

In einer späteren Abhandlung bemerkt R.T. A. Innes“), daß in- 
folge (38) die Größen c@, c@, c@, usw. nebst ihren \bleitungen elimi- 
niert werden können. Die Koeffizienten der Störungsfunktion werden 
dann (siehe Nr. 22) linear zusammengesetzt aus den b® und ihren 
Ableitungen in bezug auf log«. Damit gewinnt man aber keine Ver- 
einfachung in numerischer Hinsicht. 








(38) 





%. Koeffizienten von Cauchy. Aus den numerischen Werten der 
Funktionen (26), die U. J. J. Leverrier*?) für die verschiedenen Kom- 
binationen der Hauptplaneten gegeben hat, geht hervor, daß dieselben 
mit wachsender Ordnungszahl 5 abnehmen, wenn «< 4, daß sie da- 
gegen zunehmen, wenn «> }. In strenger Weise hat später F\ Tisse- 
rand*“*) bewiesen: 


PB TEC) 4. 
(39) ee I 
aa ji de |oo, wenn «> }- 
40) C. F. Gauß, Nachlaß, Werke 8, p. 84 (1813?). 
41) C. @. J. Jacobi, Astr. Nachr. 28 (1848), p. 77, 78 = Werke 7, p. 156. 
42) P. A. Hansen, Paris C. R. Suppl. 1 (1856), p. 163. [Eingereicht 1846.] 
Leipzig Ges. Wiss. Abh. 2 (1855), Nr. 5, p. 187. 
43) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 69 (1909), nr. 8, p. 635. 
Die Formel von Innes p. 635, 1.7 scheint von einem Druckfehler entstellt zu sein. 
44) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 70 (1909), nr. 2, p. 194. 
45) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 2 (1856), p. 67—86. 
46) F. Tisserand, Paris C. R. 90 (1880), p. 1021, 1093. 


7. Koeffizienten von Cauchy. 573 


Diese Arbeit von Tisserand veranlaßte einige weitere Unter- 
suchungen über den asymptotischen Wert der Funktion (26) für 
große j. O. Callandreau?‘) leitete das Hauptglied des asymptotischen 
Ausdruckes ab. Auf Grund einer sehr allgemeinen Methode, von der 
in Nr. 56 die Rede sein wird, hat J. @. Darboux*?) die fünf ersten 
Glieder gegeben. Später hat J. @. Darboux‘”) sein Resultat auch in 
anderer Weise wiedergefunden. 

Es folgt aus der eben besprochenen Eigentümlichkeit der Funk- 
tionen (26), daß die numerischen Werte der Koeffizienten der Störungs- 
funktion für große « als Differenzen von großen Zahlen erhalten 
werden, wenn diese Koeffizienten aus den Funktionen (26) aufgebaut 
sind. Um diesem Übelstand abzuhelfen, führte A. L. Cauchy’) andere 
Transzendenten ein. Er setzte 


(m) 1 a ah a; 
(0) ON — je fein a) 3 (14) Farr-tae. 
x =1+8: 


Es ist also, infolge von (19) 


us Ye 0) 
(41) dern. an steht, dam Eher 


b &, 5) (dat) (2.5) (das)? 
In hypergeometrischen Reihen ausgedrückt, wird 





N. . 
’ u r, +5) RE INN OR AN 
a) = FE tt th iHir te): 
Die Koeffizienten von Cauchy sind sehr eng mit den e“ 9 von New- 
comb verwandt. Es ist in der Tat, infolge (28) und (42) 


(43) | 9" — 6. 


u-j n+zi+sj—1 ; 
„+ (> i ;) & 2 
Durch partielle Integration der rechten Seite der Gleichung (40) 
erhielt Cauchy°!) die Rekursionsformel 


(4) ne" = 2 +5+N)O"° + (2j+n)aro"? 


j+1 i+.j+2" 








47) O. Callandreau, Paris C. R. 90 (1380), p. 1154, 1201. 

48) J. @. Darboux, Paris C. R. 90 (1880), p. 1416. 

49) .J. @. Darboux, Paris C. R. 90 (1880), p. 1472. 

50) A. L. Cauchy, Paris C. R. 15 (1842), p. 255, 301, 357, 478 — (Euvres (1) 
7, p- 86, 101, 104, 121. 

51) A. L. Cauchy, Paris C. R. 15 (1842), p. 483 = (Euvres (1) 7, p. 126 (Cauchy 
gibt eigentlich fehlerhaft Bas +„ Im letzten Glied der Gleichung (44)). 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 38 


574 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Mit ihrer Hilfe können die or mit den Indizes n=3,5,... be- 
rechnet werden, wenn die oN bekannt sind. Die Rekursionsformel (44) 
spielt also dieselbe Rolle wie die Gleichung (37) von Innes. Die beiden 
Gleichungen sind aber nicht zusammenfallend. 

Noch andere Rekursionsformeln zwischen den eo wurden von 
F. Tisserand®?) abgeleitet. 

8. Koeffizienten von Gylden. 25 Jahre später, aber wie es 
scheint, unabhängig von Cauchy, führte A. Gylden®®) die nach ihm ge- 
nannten Koeffizienten y”” ein durch die nur wenig von Cauchys 
Gleichung (41) abweichende Definition 


wir. 
m +i+2 az 2,9) 











(45) vn ER 
Aus dieser Formel ergibt sich im Vergleich mit (41) und (43): 
g 8 
(2) 2 
ni \2") Rt) 8 ) 
(46) EN 9,,= Razer a 


Aus den Rekursionsformeln (37) und (44) bzw. folgen also für 
die y-Koeffizienten zwei entsprechende. Auf die zweite von diesen hat 
HB. v. ir ke die Aufmerksamkeit gelenkt. Mit ihrer Hilfe können 
die Y ih . berechnet werden, wenn die y bekannt sind. Die- 
selben fe RE als die von H. Gylden®s) für denselben Zweck 
abgeleiteten. 

Die Berechnung von Ye führt Gylden auf die Berechnung Bo 
Transzendenten 

Te 
(47) +) _2 sin“ pdy 


i ”) Vi eranyPtt 





zurück.°®) Der Integralausdruck (13) in der Be (45) 
für n=1 eingeführt, gibt ihm 


Ir SR: 2) rr gas+i) 
(48) 1.0 a“ # ß; 
Infolge der ersten der Gleichungen (46) ist ß/}"” nichts anderes 


als die von Cauchy eingeführte Funktion on. Übrigens hatte auch. 


62) F. Tisserand, Paris C. R. 90 (1880), p. 557. 

58) H. Gylden, Astr. Nachr. 70° (1867), p. 151. 

54) H.v. Zeipel, Stockholm, Arkiv för matematik etc. -Bd.7, Nr. 3 (1911), p. 1. 

56) H. Gylden, Stockholm, Bih. K. Vet. Akad. Handl. Bd. 7, Nr. 2 (1882), 
p.51,. 52; Orbites absolues 1 (1898), p. 386, 887. 


8. Koeffizienten von Gylden. 575 


Scheibner°®) diese Transzendenten für die Entwicklung der Störungs- 
funktion angewandt. Aber H. Gylden gebührt das Verdienst, geeignete 


Formeln für die Berechnung von pe’ has gegeben zu haben. Für 


diesen Zweck leitete er Rekursionsformeln ab, die als Spezialfälle 
(für n— 1) der Newcombschen Gleichungen (30) und (31) betrachtet 
werden können. Bei Auflösung derselben benutzte A. Gylden?”)’?) eine 
Methode, die nur in bezug auf die Bezeichnungen von dem Newcomb- 
schen Verfahren für n = 1 abweicht. 

Es ist zu erwähnen, daß P. Harzer®®) und O0. Callandreau°®) die 
Koeffizienten 8 nach der Formel (47) mittels mechanischer. Quadra- 
turen — in speziellen Fällen — leicht und genau berechnet haben. 

Die Koeffizienten von Laplace können in verschiedenen Weisen 
durch die Gyldenschen 8 ausgedrückt werden. J. ©. R. Radau®!) hat 





1 Pr i+2v a(n+2») (n+2r) 5 i+2r „(2r—1) 
zb be ke BT v M,« lg 
v=0 v=0 


wo K,, L,, M, gewisse rationale Zahlen sind, von welchen K,>0, 
L,>0, (-1M,>®. 
F. dh nö: ‚ von der Definitionsgleichung (45) für 


nl ausgehend, * linear durch die er a (k=0, 1, rd) 
aus. In Kittghkehrbär in hat A. Wilkens®®) kelancken der Form 
a’ v9 - Ka oe, R 
=D N Ip y G=1,2,3, 4) 


j 
da k=0 


wo die N} positive ganze Zahlen sind, gegeben. Diese Formeln sind 
für die Berechnung der Ableitungen von o. zweckmäßiger als die 


Leverrierschen. Offenbar könnte man analoge Formeln auch für 
n=3,5,... ableiten. 





56) W. Scheibner, Über die Berechnung einer Gattung von Funktionen, welche 
bei der Entwickl. der Störungsfunkt. erscheinen. Gotha 1853. (Diese Arbeit war 
mir nicht zugänglich.) 

57) H. Gylden, Stockholm, Bih. K. Vet. Akad. Handl. Bd. 6, Nr. 16 (1881), 
p. 22, 23. 

58) H. Gylden, Orbites absolues 1 (1893), p. 401. 

59) P. Harzer, St Pet. m&m. (7), 34 (1886), Nr. 12, p. 27, 125. 

60) O. Callandreau, J. Ec. Polyt. (2) 7 (1902), p. 39. 

61) J. C. R. Radau, Paris Bull. astr. 13 (1896), p. 7. 

62) F. Tisserand, Trait& de Mec. cel. 4 (1896), p. 384. 

68) A. Wülkens, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 209. 

38* 


576 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


9. Koeffizienten von Radau. Um bei der Entwicklung der Stö- 
rungsfunktion kleine Differenzen zwischen großen Zahlen zu vermeiden, 
führte auch J. ©. R. Radau) anstatt der Ableitungen der Laplace- 
schen Koeffizienten andere Transzendenten ein. Er setzte 

Ab® — b) — abe», 
A Re Abi EN adbi- RN be — 2abE- 1) el m, 


vo RR »o ai aber 2, 
v0 — VbN — aVbe+) — BO — 2ubi+) + arbeit, 


Auch diese Größen lassen sich, wie die vorher von Cauchy, Gylden 
und Newcomb angewandten, als Produkte einer Potenz von « mit einer 
hypergeometrischen Reihe darstellen. Es ergibt sich die Relation: 


n . 
EN (3) n+j1 ae 


RE +25" 


Für die Berechnung von Ab und Vb hat Radau Rekursions- 
formeln gegeben. 


10. Tafeln. Die Werte der im vorstehenden besprochenen: Koef- 
fizienten sind zum Teil tabuliert, und zwar etwa in dem Umfange, in 
dem sie für eine Entwicklung der Störungsfunktion bis auf Glieder 
4. Grades in bezug auf die Exzentrizitäten und Neigungen (s. u.) nötig 
sind. Die vor allen wichtigen b(® und 5" berechnen sich infolge (21) 
mit Hilfe der Tafeln von A. M. Legendre‘®). Diese Tafeln geben 
log F, und log E, mit 12 bis 14 Dezimalen und mit 3 bis 4 Diffe- 
renzen für die Werte 0°,0; 0%,1; 092; ...; 890,9; 909,0 des Argumentes 
are sin «. 

Ausgedehnte Tafelwerke von J. D. Runkle‘®) geben mit fünf bis 
sieben Stellen die Werte der Funktionen 


[e?’’(1—« 


für & = 0,00C; 0,005; 0,010; ...; 0,745; Be 

Die Werte von log ß{@’+" wurden mit vier bis sieben Stellen von 
H. Masal”) tabuliert für log «= 9,30; 9,31; ...; 9,59; 9,600; 9,601; ...; 
9,850; und für ‚= 0,1,2,3,4; h=3j,j+1,j+2,..., 12. 


e 2 








64) J. C. R. Raduu, Obs. de Paris ann. 21 (1895), p. 22. 

65) A. M. Legendre, Trait6 des fonc. ellipt. 2 Paris (1826), p. 221—243; 
Exercises du Calc. integr. tome 3, Paris 1816, p. 125—147. 

66) J. D. Runkle, Smiths. Contr. to Knowl. 9 Wash. 1857, Appendix (1855). 

67) H. Masal, Stockholm Obs. Astr. iakttagelser. etc. 4, Nr. 3 (1891). 


11. Koeffizienten bi-5 von Jacobi. 12. Integralausdrücke derselben. 577 


Endlich hat H. Gylden“®) sehr vollständige und bequeme Tafeln 
mit vier bis sieben Stellen von log y,"' für log « = 9,620; 9,621; ...; 
9,799; 9,800 gegeben. 


II. Kreisbahnen in geneigten Ebenen. 


1l. Koeffizienten b’'/ von Jacobi. Wenn die Exzentrizitäten e 
und e’ verschwinden, die Neigung .J aber beliebig ist, wird die Ent- 
wicklung der Störungsfunktion immer noch verhältnismäßig einfach. 
Unter Einführung der Bezeichnungen ' 


k = cos? —- vsintl, (u+rv=|1) 
= L— L', Yy=L-+L), = avi, n=cW-1, 


wo L und L die mittleren Längen vom gegenseitigen Knoten an ge- 
zählt bedeuten, ergibt sich 


(49) o—=cosH—=pcosa+veosy—4n(i EN) +4v(n+n"N), 
‚AM: =1-+ 0°— 200 = D?. 


Die Aufgabe wird also, die Entwicklungen 


(50) er 
ia Ze cos du + 2 dw. ’cosjy+ «> >32 "5 608 iX 08 jYy, 
j=1 ee 
en N > Den, (bi) — bil») 
u 


zu studieren. Die Koeffizienten b’'’ sind Funktionen von & und JJ. 
Für die praktische Anwendung ist es erforderlich, diese Koeffizienten 
und ihre Ableitungen in bezug auf « berechnen zu können. 


12. Integralausdrücke derselben. Die Koeffizienten b''/ können 
durch bestimmte Integrale ausgedrückt werden. Es folgt aus der Ent- 
wicklung (50): 


Le; 
62) B9— 1.[ [D-' 008 in cosjyandy— — Jen Taaeer 
00 SZ Inl=1 


Von der oben besprochenen allgemeinen Gleichung (14) ausgehend 
hat C. G@. J. Jacobi) den Ausdruck (52) in den folgenden trans- 





68) H. Gylden, Astr. Ges. Publ. 21 (Leipzig 1896). 
69) C.@. J. Jacobi, J. f. Math. 15 (1836), p. 14 [Juli 1835] = Werke 6, p. 103. 


578  VIs,18 H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


formiert: 


x n 
vs it DZ F D-*-33-1sint a sin’ ydady. 
er, =). 





Aus dieser Gleichung geht hervor, erstens daß die 5’ >0O sind, 
zweitens ihre annähernde Größenordnung. 


13. Rekursionsformeln von Jacobi. Mit Hilfe der Identitäten 


+3 Be u) Da + 32-0 


leitete C. @. J. Jacobi?®) zwei homogene lineare Relationen ab, durch 
welche b’+15 und 5%/+! mittels 5%), 5-45 und 54/1 ausgedrückt wer- 
den. Durch Anwendung dieser Rekursionsformeln berechnen sich die 
b’'’, sobald vier von ihnen, z. B. 59°, 51-0, 99-1, d1-1, bekannt sind. 
Diese Berechnungsmethode ist aber nicht zweckmäßig. Die Jacobi- 
schen Rekursionsformeln sind in der Tat fehlervergrößernd wie die 
vorher behandelte Formel (24). Als Kontrollformel können aber jeden- 
falls diese Relationen angewandt werden. 


14. Entwicklungen bei kleiner Neigung. Wenn die Neigung J 
hinreichend klein ist, so ist es erlaubt, nach Einführung von u=1—v 
die Funktion D-! nach Potenzen von » zu entwickeln. In dieser 
Weise sind in der Tat U. J. J. Leverrier"') und $. Newcomb"?) vor- 
gegangen. Es ergibt sich 





Be — (4, m) [2«v(cos y — cos x)]” 
ur A WE 
Beer [1+@?--2ucosa] ?° 


Nach Entwicklung der verschiedenen Glieder in trigonometrischen . 
Reihen findet man die folgenden Reihen für b’’: 
Dt — 46,0 — Bann =D 4 «b,®+D) 
i6v v?(a*b,t-9 + 406,9 + a?b,#+9) ke 
ie ehe 
Br 


S. Newcomb"?) hat diese Reihen bis zu »* einschl. getrieben. 





70) ©. @. J. Jacobi, J.f. Math. 15 (1836), p. 209 [Okt. 1835] = Werke 6, p. 124. 
71) U.J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 260. 

72) S. Newcomb, Wash. Astr. Papers 3, (1884), p. 14. 

73) 8. Newcomb, Wash. Astr. Papers 5, (1895), p. 27. 


15. Entwicklungen von Tisserand. 579 
Die obige Entwicklung von D”* ist nur erlaubt, wenn 
EN | 
(54) a 


Es wird sich später ee daß die Reihen (53) nur unter 
der Bedingung (54) konvergent sind. Bei größeren Neigungen müssen 
deshalb andere Entwicklüngsmethoden angewandt werden. 


15. Entwicklungen von Tisserand. Eine solche wurde schon von 
U. J. J. Leverrier"*) angedeutet, aber erst von F. Tisserand durchge- 
führt. Dieser ging von der ersten der Formeln (4) für n„=1 aus 
und führte in diese die Entwicklung 


coonH= >) a Co8 iX 608 jy 
17 


ein. Damit folgt: 
e 432% (@+j+2m) n(i+j+2m) 
(55)  — we b, 9%, 


In mehreren Noten lieferte Tisserand”®) allgemeine Ausdrücke 
für = { ” ; ai i eb nach Potenzen von sin? .J geordnet. Weiter 


zeigte er’), wie die Q/°.” durch die Kugelfunktionen X, wdX, , 


ausgedrückt werden können. Wegen der Dinwookmkfigkeik der Sana 
schen Rekursionsformeln suchte er ferner. die allgemeine Form für 


g. Er ging dabei’) von der Ideniität 


sinn +H sinn—1)H 
sin H ein H 


aus, definierte Br. als Funktionen von v durch den Ansatz 


sinn +1)H (n) i r 
en = D’RN c08 iX cos jy 
Fer 


2cosonH—= 





und erhielt so 


(n) (n) (n—2) 
(56) 20N)=RN— RK, 
Durch Induktion wies er nach, daß 
(57) sahen Fr en ur (= m,m+i+j+1lj+1l,v), 


i+j+2 . 
o 0/*®”) ein numerischer Faktor ist. 





74) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 331—383. 

756) F. Tisserand, Paris C. R. 88 (1879), p. 97, 137, 201. 

76) F. Tisserand, ibid. p. 1229. 

77) F. Tisserand, Obs. de Paris ann. 15 (1880), p. C 12; Auszüge Paris C. R. 
89 (1879), p. 558, 585. 


580 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Tisserand’®) gab schließlich den asymptotischen Ausdruck 





ge 2 rd 1) 


cos nJ, 


für große n, aber endliche i und j. Er ging dabei von dem asym- 
ptotischen Wert für Fan, —n,y,x) aus, den @. Darboux als 
Beispiel seiner allgemeinen Methode zur Bestimmung asymptotischer 
Werte angeführt hatte. (Siehe später Nr. 56.) 


Eine elegante Ableitung der Formel (57) wurde später von 
T. J. Stieltjes’®) gegeben. In dem Polynom 


U (6) ER sinn +1)H 


HH, woo=cosH, 


setzte er, die Beziehung (49) verallgemeinernd: 
= cos Yy cos y’ cosz + sin Y sin Y cos y. 
Von der bekannten Differentialgleichung 
(1— oe?) U, (6) — 30U,(6) + n(n + 2)U,(e) = 0 


ausgehend leitete er dann für U, als Funktion von x, y und % die 
folgende Gleichung ab: 


. U, U, “7, 
(58) + 2 ot Fe re u a tn +2)T, = (. 


8?ap dx* 
Weiter setzte er 
= IT" (cos % cos Y")'(sin Y% sin w’)’ cos ix cos jy 


und erhielt so, infolge (58), für 7,., eine hypergeometrische Diffe- 
rentialgleichung, aus der sich ergab 


- wu 2,7 I 
20 = F(iti P,ätite ‚+1, sin’ y), 





unter CO’ eine Funktion nur von %’ verstanden. Da % und %’ in sym- 
metrischer Weise in er eingehen, so wird also 


rt +1, sin’ y) 


1] Beat a BE ar 1, sin? %)- 








In dieser Formel 
, J 


setzend fand Stieltjes die Tisserandsche Gleichung (57) wieder. 
18) F. Tisserand, ibid. p. 31. 


79) T. J. Stieltjes, J. de Math. (4) 5 (1889), p. 55; Auszug Paris C. R. 95 
(1882), p. 901, 1043. Vgl. auch Tisserands traite 1, p. 448—456. 


16. Entwicklungen von Hansen. 581 


16. Entwicklungen von Hansen. P. A. Hansen®®) entwickelte 
b’'5 nach Potenzen von « und zeigte, daß die Koeffizienten dieser 
Reihen, von einem einfachen Faktor abgesehen, hypergeometrische 


v . . . 
Polynome von v oder — E sind. Der Beweis von Hansen ist kom- 


pliziert. A. Cayley®‘) hat später dieselbe Aufgabe einfacher behandelt. 
F. Tisserand®®) ging von der Entwicklung 


DH Ze"P,(0), 
n=0 


wo P,(6) Legendres Polynom ist, aus. Auf Grund der bekannten Diffe- 
rentialgleichung zweiter Ordnung für P,(6) leitete Tisserand für P, 
als Funktion von J, x und y folgende Differentialgleichung ab: 
op, ar OB LE 

Bau» + cot JF7 + ” 7 es öy: E= n(n E- 1)P, =(. 

In dieser führte er die endliche Reihe 
P(e) = PH co8 iX cos jy 
u 

ein und erhielt für die so definierten Funktionen An von J eine 


Differentialgleichung zweiter Ordnung. In dieselbe setzte er 
a - w v’ Bi 

und führte » anstatt J/ als unabhängige Veränderliche ein. Für = 

ergab sich dann eine hypergeometrische Differentialgleichung. In solcher 

Weise fand Tisserand die Formel 


(59) AT N  /F(—2m,2m+2i+2j+1,2j+1,») 


wo kn +?”) eine Konstante ist, die er durch Bildung der Koeffizienten 


von vIti+2m eogix cosjy ın P. 6) bestimmte. 
JY i+j+2m 


Die Hansensche Entwickeluug von b‘'? nach Potenzen von « 
ist also: 


(60) ER er Wie 


ee j 


P. A. Hansen®?) gibt für A +?”) auch eine Form, wo das hyper- 





80) P. 4. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abh. 2 (1855), p. 307—347. 

81) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 28 (1860), p. 207—215. 

82) F. Tisserand, Obs. de Paris ann. 18 (1885), p. C 1—11; Auszug Paris 
C. R. 97 (1883), p. 815. Vgl. auch traite 1, Nr. 197, p. 456—459. 

83) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abh. 2 (1855), p. 329. 


582 VIa, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


geometrische Polynom F(— 2m, —2m —2:i,257 +1, — Pe auftritt. 
Für die Koeffizienten dieser Polynome gibt er numerische Werte.) 
Auch entwickelte Hansen®) das in (59) auftretende Polynom F' nach 
cos der Vielfachen von J. 

17. Andere Entwicklungen von Hansen. P. A. Hansen®”) hat 
außerdem b*'’ nach Potenzen von dr} und auch nach Potenzen von 
1 —= ß entwickelt. Indessen macht Hansen darauf aufmerksam, 
daß diese Reihen für ein gegebenes « schlechter konvergieren als die 
Entwicklungen nach Potenzen von «. Hansen zeigte, wie die Koeffi- 
zienten der nach Potenzen von ß geordneten Reihe sich leicht durch 
hypergeometrische Polynome mit dem Argumente v*: u? ausdrücken 
lassen. Hansens Resultat wurde durch mehrere Noten von P. Appell®®), 
R. Radau?”), O. Backlund®®) bestätigt. 

In Analogie mit (50) wird allgemein gesetzt 


+ 
(61) Dr _ Din cos iX cos jy. 


ve j=—o 


B 
Um die Funktion (1+.«?)? b,‘’ nach Potenzen von ß zu entwickeln, 
wurde zuerst die Funktion 


(Fu? 


nach dem Binomialsatz entwickelt. Nachdem für die verschiedenen 
Potenzen von 6 ihre endlichen trigonometrischen Reihen nach cos ix 
und cosjy eingeführt waren, ergab sich die Hansensche Formel 


ü- i an (Dititem) i+2m 
(2) Ge—lt) a. RT EETTSTERe  zale 


Mar nik, 2): 





84) Ibid. p. 357 370. 

85) Ibid. p. 334. 

85’) Ibid. p. 347—352. 

86) P. Appell, Paris C, R. 97 (1888), p. 1036. 

87) R. Radau, Obs. de Paris ann. 18 (1883), p. D 14. Analyse: Paris Bull. 
astr. 1 (1884), p. 449. Auszüge Paris C. R. 97 (1883), p. 1130, 1275. 

88) O. Backlund. Paris C. R. 97 (1883), p. 1470; vgl. R. Rudau, Paris C. R. 
97, p. 1548. 


18. Appellsche hypergeometrische Entwicklungen. 583 


18. Appellsche hypergeometrische Entwicklungen. P. Appell®®) 
hat gezeigt, daß die b,’ mit Hilfe der von ihm®) eingeführten hyper- 
geometrischen Reihen von zwei Veränderlichen dargestellt werden 
können. Unter Verwendung der Bezeichnung 

‚AL S@mtnm+nary 
(63) Fa, By, y',2,y) = (,m)(y,n)(Q,m)(ı,n) 


mn= 


ergibt sich, nach leichter Umformung, aus (62): 


(2) 


(64) N Bu)Br)- 


BE RHFFE 641,541, (280) (2BV))- 
Wenn diese Reihe nach Potenzen von v geordnet wird, findet man: 


» (2,i+5) 


= (lt) 2 Bu Br) 


(65) 
. „arts er a ie in 
PAR mr Ft tn. + Anirl@pu)) 





19. Fortsetzung. F. Tisserand®?)”) versuchte die Hansensche 
Formel (60) zu generalisieren und die allgemeinen Ausdrücke der 
Koeffizienten in den Entwicklungen von b,'’ nach Potenzen von « 
zu geben. Es gelang ihm zu beweisen, daß diese Koeffizienten im 
Spezialfalle <= j durch hypergeometrische Polynome zweiter Ordnung 
von der Form 





I (a, m) (d,m) (em), s rm 
ne 


dargestellt werden können. 

P. Appell®) betrachtete im Ausdrucke (49) für 6, u und v als 
voneinander unabhängige Größen und zeigte, daß die in Frage stehen- 
den Koeffizienten hypergeometrische Polynome von u? und »? sind. 
Nach Entwicklung der verschiedenen Glieder der Hansenschen Reihe (62) 
nach Potenzen von « fand Appell die Formel 


($ ‚m+i Er 
IST Pr u “ m 
(66) ! > RD 1,9(1,5)(1,m) . 


m= 


en — m, i+l,j+l, 0, 9‘) 


89) ‚P. Appell, J. de Math. (3) 8 (1882), p. 173 (presente & l’Acad. mars 1880). 
90) F. Tisserand, Paris C. R. 97 (1883), p. 880. 





584 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Für die numerische Berechnung der Polynome F, hat A. Lebeuf?") 
einfache Rekursionsformeln abgeleitet. 

In seiner Abhandlung über die hypergeometrischen Funktionen 
von zwei Veränderlichen hatte P. Appell?) gezeigt, daß die durch die 
Formel (63) definierte Funktion 7‘, zwei homogenen, linearen, partiellen 
Differentialgleichungen zweiter Ordnung genügt. Von diesen Diffe- 
rentialgleichungen ausgehend fand O. Callandreau??), daß für die in (65) 
vorkommende Funktion F,, nachdem u = 1 — v gesetzt worden war, 
eine homogene, lineare Differentialgleichung dritter Ordnung mit den 
Singularitäten v—= 0, 1, oo besteht. Bald darauf gelang es P. Appell”), 
diese Differentialgleichung dritter Ordnung wirklich zu bilden. Er zeigte 
auch, daß dieselbe für ©=j in die Differentialgleichung der hyper- 
geometrischen Funktionen zweiter Ordnung vom Argumente 4v(1— v) 
übergeht. Dadurch wurde ein schon von F\. Tisserand”®) gefundenes 
Resultat bestätigt. Endlich hat R. Radau®*) die Polynome F', nach 
Potenzen von »v entwickelt und die komplizierten allgemeinen Aus- 
drücke der auftretenden Koeffizienten gebildet. 


20. Berechnungsmethode von Sundman. Für die analytische 
Entwicklung der Störungsfunktion, wenn die Exzentrizitäten klein 
sind, braucht man nicht nur die numerischen Werte von b’'’, sondern 
auch die Werte der Ableitungen dieser Funktionen in bezug auf «. 
Für hinreichend kleine Neigungen berechneten Leverrier, Newcomb u. a. 
die Werte dieser Ableitungen mit Hilfe der Reihen, die durch Diffe- 
rentiation der Formel (53) entstehen. Die in den $$ 15—19 be- 
sprochenen Entwicklungen von Tisserand, Hansen und Appell können 
wohl im allgemeinen für die Berechnung von b’'’ angewandt werden, 
aber die durch Differentiation dieser Entwicklungen hervorgehenden 
Reihen konvergieren wenigstens für größere Werte von @ zu langsam, 
um für die Berechnung der Ableitungen von b'/ brauchbar zu sein. 
Eine auch in den schwierigen Fällen vorzügliche Methode zur Be- 
rechnung der Funktionen a | 
(67) ad a 


m! da” 
ist von K. F. Sundman””) gegeben worden. Er betrachtete in D* u 


91) A. Lebeuf, Sur une nouvelle d&monstration des polynomes Hansen- 
Tisserand, Thöse soutenue & la Sorbonne (1897), Nr. 11, p. 17; Analyse Paris 
Bull. astr. 15 (1898), p. 74. 

92) O. Callandreau, Paris C. R. 97 (1883), p. 1187. 

93) P. Appell, J. de Math. (3) 10 (1884), p. 418. 

94) R. Radau, Paris C. R. 97 (1883), p. 1275. 

95) K. F. Sundman, Über die Störungen der kleinen Planeten usw. Akade- 
mische Abhandl. Helsingfors (1901), p. 24—36. 


20. Berechnungsmethode von Sundman. 585 


und v als voneinander unabhängig und entwickelte D-! nach Potenzen 
von v. Unter Verwendung der Bezeichnungen 


Dr. =1-+ 0 — 2«u cost, 


D’— = B®” + D'B% cos ix 
n=1 
findet man leicht 





a: Mae < (4, m) (2x » cos y)" 
D '— J 1, m) 29 : 
und Y: 
3 _ N) vu B® 4342 rt ge 
(68) 256° BE ad Br AWDA5+HND Bayıs 








+4 
er ee a A 

Es sei nebenbei bemerkt, daß diese Entwicklung als Spezialfall 
der Formel (65) für py—= 1 betrachtet werden kann. 

Die Reihe (68) ist für beliebige Werte der Neigung konvergent. 
(Vgl. Nr. 35.) 

Durch Differentiation der Sundmanschen Reihe (68) wird die Be- 
rechnung der Größen (67) auf die Berechnung von 


) I gi nl) 

Reken 
et a 
zurückgeführt. 


Sundman bemerkt, daß die Größe B,,, der Koeffizient von 0’ cosix 
in der Entwicklung von 


P® —[1-+.a!1+ 0) — 2a(l1+ o)u cos at 


in eine Fouriersche Reihe und nach Potenzen von e ist. Nach Ein- 
führung der Größen x, y, A durch die Gleichungen 


»Al+N)=1+e, „y=au, Klee nders 


ergibt sich: 
Pi) — {1 + Y%(1+ 0)?— 2y(1+ 0) cos2 + A(20+09)] °. 


Wenn . die Laplaceschen Koeffizienten mit dem Argumente y 
bezeichnen, und wenn 


(0<yr<1) 


N) 
PRO EEE N 50. (4>0) 


nl 1! dy! ’ .n,0 n n,—N 





gesetzt wird, so ist also in endlicher Form: 


586 VI2,18. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 
rn) (#) (@) (@) 
% B,: Sig zen 2 54200, FR us SR 
n.“+2, @) @ () 
er 4 a2[4B/ PETE ET Dura, r- . 
nn+?n 
2 


ee 2[85.) «> 12 np 


n+6,1—3 


4 n+6,1—4 


() (‘ 
+65, +6, 1- ts: 
Hierdurch können die Br berechnet werden, nachdem die Werte 
der br bekannt sind. Zur Berechnung dieser letzteren können die 


schon besprochenen Methoden von Leverrier oder Newcomb angewandt 
werden. 


III. Entwicklungen nach Potenzen von e und e'. 

21. Methode von Leverrier. Wenn die Exzentrizitäten e und e’ 
klein sind, so können die Koeffizienten der trigonometrischen Entwick- 
lung der Störungsfunktion nach Potenzen von e vr e entwickelt 
werden. Wir betrachten zuerst nur den Hauptteil 4 der Störungs- 


funktion. 
Die für kreisförmige Bahnen geltende Entwicklung (51) kann 
offenbar in ger Weise geschrieben werden 


(70) E — DA sg) V-ieL+sn), 


wo für s und s’ alle positiven und negativen ganzen Zahlen, für welche 
s+s’ gerade ist, zu nehmen sind. Die Koeffizienten A(s, s’) sind. 
durch die Formel 


”—s 8’ +3 


(71) 4,9)= 5°" (6) 


mittels der in Kap. II vorkommenden Funktionen b’/ ausgedrückt. 
Theoretisch ist es leicht, von der speziellen Formel (70) zu der 


allgemeinen Entwicklung von x überzugehen. Infolge der Glei- 


chungen (3) für die elliptische Bewegung ist in der Tat 
r=a(ll+r), v=MH+y v+o=L+y, 


wo x und Y— 1y Potenzreihen mit rationalen Zahlenkoeffizienten 
nach Potenzen von ecY 14 und ec-Y-1# sind, die übrigens mit diesen 
Größen verschwinden. Für r’ und v’ gelten dieselben Formeln, wenn 
nur alle Größen gestrichelt werden. Wenn man also in der Glei- 
chung (70) an die Größen 

u WED E 


21. Methode von Leverrier. 587 


die Zusätze 


(4 


UL, ax, Yy, Yy 
anbringt und nach Potenzen der Größen 


(72) ectV-IM,  eesV-im 
ordnet, so bekommt man eine Entwicklung von der Form 
m,m’ m ei" auaR I(@L+s’L’+9M+g’M’) 
(13) a Zi (,8)e ; 
wo 
de —m,:-;, +®, sts’ = gerade, 


m — ||, m — ld =(0,2,4,...,-+o- 
Die Koeffizienten An, (8,5) für gegebene s und s’ sind offenbar 
durch die Entwicklung von 


s‘—s 8’ +5 
—XxT 


(U) en en: 
ae (8,8) e" €” eV raa+7 
91 


nach Potenzen der Größen (72) definiert. Dieselben nehmen deshalb 
folgende Form an 





+ ’ 
(75) Ebene (s s) IN So ak dk u 2. 
99 7a k kl dek ’ 
k=0 


wo die CO, Polynome von s und s’ vom Grade m + m’— k sind mit 
rationalen Zahlenkoeffizienten, die von m, m’, q, q’ und %k abhängen. 
Eine für die Integration zweckmäßigere Form des Argumentes 

ergibt sich nach Einführung in (73) von 

M=L-—-o, M=LlL—-o, s=-p—g, Ss=r—d. 

Wenn die Neigung J zwischen den Bahnebenen hinreichend klein 
ist, so können, infolge von $ 14, die b’' und also auch die Koeffi- 
zienten (75) nach Potenzen von v = sin? Ei entwickelt werden. Man 
bekommt so die Leverriersche Entwicklung 


Fi; m, €” nd 2/ ’— gu—g'w 
(716) ge ae (sin n57) ce VUpL+P 1’ qu-g' r 
wo 

P,29,, = —8,:--, +%, p+p—g—d gerade, 
ger FIR Me ld, 2f— p+P—gqa—gd|] Nr 0, 2, 4, tr oo. 

Die allgemeine Form der Koeffizienten geht aus der Gleichung 

m, m’ m',f f 

A,r P—,r—-)- Ay, ag? 
f 

in Verbindung mit den Formeln (75) und (53) hervor. 


588 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Die wirkliche Durchführung der eben skizzierten Entwicklungs- 
methode bietet natürlicherweise große Schwierigkeiten dar. Nach 
Lagrange und Laplace, welche die Glieder dritten Grades vernach- 
lässigten, haben sich eine ganze Reihe von Astronomen mit diesem 
Probleme beschäftigt. In erster Linie muß eine Arbeit von J. ©. Burck- 
hardt*®) erwähnt werden. In derselben wird die Entwicklung bis zu 
den Gliedern sechsten Grades in e und e’ einschl., aber mit Vernach- 
lässigung der Neigungsglieder, getrieben. Burckhardts Arbeit enthält 
wesentliche Fehler, und Burckhardt hat übrigens selbst eine genaue Kon- 
trolle für nötig gehalten. Aber Burckhardts Verdienst ist es, gezeigt zu 
haben, daß eine Entwicklung in so großer Ausdehnung praktisch aus- 
führbar ist. Die Frage wurde bald wieder von J. Binet?”) aufgenommen. 
Er hat in einer an die Acad&mie des Sciences 1812 eingereichten Ab- 
handlung, die Pontecoulant im Manuskript vorgelegt war, die für eine 
Entwickelung bis zum siebenten Grade einschl. nötigen Vorbereitungen 
gegeben. Von Binets Untersuchungen scheint aber nur ein Auszug””) 
gedruckt zu sein. @. de Pontecoulant”®) hat die Resultate von Burck- 
hardt kontrolliert und außerdem durch Hinzufügung der Neigungs- 
glieder vervollständigt. Die Entwicklung von Pontecoulant enthält 
keine Glieder siebenten Grades und vpn den Gliedern sechsten Grades 
nur diejenigen, für welche ip + »’| = 6. Von den Gliedern dritten, 
vierten und fünften Grades gibt Pontecoulant alle, wo 'p+p| =3, 
4 oder 5 ist, aber nur die von der Neigung unabhängigen, wo 
lo+p',=0,1 oder 2. Eine vollständige Entwicklung bis zu den 
Gliedern sechsten Grades einschl. wurde von B. Peirce””) publiziert. 
Als Grundlage seiner Theorie der großen Planeten entwickelte U.J. J. 
Leverrier'”) von neuem die Störungsfunktion und berücksichtigte da- 
bei auch die Glieder siebenten Grades. Für alle so auftretenden Koef- 
fizienten hat Leverrier die analytischen Ausdrücke gegeben. Außer- 
dem hat er auch Tafeln geliefert, welche die numerischen Werte der 
in den meisten und wichtigsten Koeffizienten auftretenden Zahlenfaktoren 
geben. Unter Verwendung der von Leverrier eingeführten Methoden 
und Bezeichnungen hat F. Boquet'”') alle Glieder achten Grades hin- 
zugefügt. 





96) J. C. Burckhardt, Paris Inst. (math.) möm. 1808, (1809), p. 36—67. 

97) J. Binet, Paris, Soc. philomatique bulletin 3 (1812), p. 113. (Diese Ab- 
handlung ist mir nicht zugänglich gewesen.) 

98) G. de Pontecoulant, Theorie analytique du syst&m“ du monde 3 (Paris 
1834), p. 26—55, Nr. 6—16. 

99) B. Peirce, Astr. Journ. 1 (1849), p. 1, 31, 33. 

100) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 277—380, 358—383, 


22. Methode von Newcomb. 589 


22. Methode von Newcomb. Die Rechnungen, durch welche 
Leverrier und Boquet zur Entwicklung der Störungsfunktion gelangten, 
müssen als sehr verwickelt bezeichnet werden. Von $8. Newcomb wurde 
deshalb eine einfachere und systematischere Entwicklungsmethode vor- 
geschlagen !%?), und in allen Einzelheiten durchgeführt.'%) Später hat 
H. Poincare'®*) eine in mathematischer Hinsicht elegantere Darstellung 
der Neweombschen Methode geliefert. Von einer beliebigen Funktion 
F(x,:x’) ausgehend schreibt Poincare die Tayiorsche Formel in sym- 
bolischer Weise: 

(77) Fia+s,2 +8) = e?+t Fa, 2). 

Auf der rechten Seite steht die Exponentialfunktion anstatt ihrer Ent- 
wicklung nach Potenzen von D und D’. In dieser gedachten Ent- 
wicklung hat ferner 


DD*E 
die Bedeutung von 

ECM 

PEACE Au 





PoincareE nimmt an, daß & und &’ Potenzreihen mehrerer Veränder- 
lichen h und A’ sind, die übrigens mit diesen k und A’ verschwinden. 
Durch die Entwicklung 


(78) aD+®.D —_ SIR = IL, 

m,m'=0 
werden die Polynome II, „, vom Grade m + m’ in D und D’ defi- 
niert. Für die Entwicklung von F(x-+e,x’+ €”) nach Potenzen von 


h und h’ bekommt Poincare in dieser Weise den symbolischen Aus- 
druck 


(79) Fats,2+) = > KR" IL m: Fa, ©). 


Diese Grundsätze können auf die Entwicklung der Störungsfungs- 
funktion angewandt werden. Bei verschwindenden Exzentrizitäten be- 


trachtet Newcomb = als Funktion von loga,_L, loga, L’, die also 
die Rolle von x, x’ spielen. Anstatt e und e’ kommen hier die Größen 


e=lg-, y=v—M, e=1log-, y=v—M 


101) F. Boquet, Developpement de la fonetion perturbatrice. These de 
doctorat. Paris 1885, Analyse Bull. astr. 2 (1885), p. 386. 
102) S. Newcomb, Paris C. R. 70 (1870), p. 385. American Journ. of Math. 3 
(1880), p. 198-209. 
103) Wash. Astr. Papers 3, (1884); 5, (1895). 
104) H. Poincare, Legons de mec. cel. 2, (Paris 1907), p. 86. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 39 


590 VIe,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfuuktion. 


in Betracht. Dieselben können infolge der Formeln (3) für die ellip- 
tische Bewegung nach Potenzen der kleinen Größen 

(80) ectY-IM und e’ctY-ım 

entwickelt werden. Diese letzteren spielen also die Rolle von %h und h‘. 
Die auf der linken Seite der Formel (78) vorkommende Größe ist hier 


D “\D’ 
(81) coD+YDi+g'D+yY Di — (2) co—ıM)D,. (4) an) D/ 
a a 


wo D, D,, D‘, D,’ die Differentialsymbole in bezug auf loga,Z, 
log a’, L’ bedeuten. Die Aufgabe wird also, die Größe (81) nach Po- 
tenzen der Größen (80) zu entwickeln. Poincare setzt 


a Lad 
m,g 


m=(,1,2,..., 00, m — |q| = 0, 2,4,... 


und definiert dadurch die Polynome IIL,”(ß8,y) vom Grade m in ß 
und y. Die in diesen Polynomen auftretenden Koeffizienten sind ratio- 
nale Zahlen. Die der Formel (78) entsprechende Entwicklung wird nun 


cgD+yD,+g'D’'+y’D,’ 


- Zur(0, 2)n7(0, Do )eewoonen, 

In la mit (79) wird dann die Entwicklung der Störungsfunktion: 
+ = De DD, ve) nF (D = = 

Für ge muß hier seine Entwicklung (70) eingesetzt werden. Nun 


ist aber 





( in 3 ;)o —1@L+ 12) — gngm , V-ileL+sn), 
v-ı) \y-i 


Man findet also für 4 eine Entwicklung der Form (73), wo 
an" 6) = ID, FD, S)A6,S) 


Diese Formel kann noch etwas vereinfacht werden. Die Koeffhi- 
zienten A(s, s’) der Entwicklung (70) sind in der Tat homogene Funk- 
tionen vom Grade — 1 von a und a’. Es ist also 

ara —4, 
d. h. 
D+D=--—1, 


32, Methode von Newcomb. 591 


d.h. 
D=-—D-—1. 


Unter ng der Bezeichnung 
(83) 1" (D,s,s) = I (D,) 1 (—D—1,s) 


bekommt man also für die Bildung der allgemeinen Koeffizienten der 
Entwicklung (73) die Gleichung 


(84) AR (s,5)= I), ‘(D,s,8)- A(s,s'). 


Die rechte Seite ist hier eine Kt lineare Funktion von A(s,s’) 
und deren Ableitungen nach loga. Die Entwicklung der Störungs- 
funktion ist also auf die Bildung der Polynome II zurückgeführt. 
Die Polynome I werden die Differentialoperatoren von Newcomb 
genannt. 

Für die sukzessive Bildung der Polynome II,”(ß,y) hat S. New- 
comb!®) Rekursionsformeln abgeleitet. Dieselben können durch Diffe- 
rentiation der Definitionsgleichung (82) nach log e gefunden werden. 
Es ergibt sich in Aieser Weise die Identität 


= N, (B, y)mer cV-ieM 
m, q 


— (Bet + *) Zmoner 


ay-: 


nalen Koeffizienten, die age RL der Größen ec+Y-1# fort- 
schreiten und mit e verschwinden. Der Vergleich der Koeffizienten 
von e” in den beiden Seiten der eben angeführten Identität gibt also 
für IT"(ß,y) einen homogenen linearen Ausdruck aus den Polynomen 
II"-!, 11"=?, ... niedrigeren Grades als m. Die Koeffizieriten dieses 
linearen Ausdruckes sind offenbar homogen und linear in bezug auf 
ß und y» mit Koeffizienten, die rationale Zahlen sind. In der er- 
wähnten Abhandlung Newcombs!®) findet man (8. 27—29) die Poly- 
nome II,”(D,—i) für m< 8. Ebenso findet man (8. 30—32) die 
Polynome I7”(— D—1,i). Weiter hat Newcomb (S. 32--42) die 


Polynome 17" (D, —i,i) für m + m’< 7 und (8. 42—48) die Po- 
lynome I (D,—i+1,i+1) für m + m’<5 gegeben. 


00 


Nun sind aber e- de und e—- = bekannte Potenzreihen mit ratio- 





105) S. Newcomb, Wash. Astr. Papers 5, (1895), p. 13. 
89* 


592 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 
Für die Bildung der Polynome II,” hat P. H. Cowell) die Formel 


(85) I1°(B, y) PAR (B, 0,137" (0, 7) 


vorgeschlagen, welche eher aus der Definitionsgleichung (82) 
folgt. In der Doppelsumme nimmt m’ die Werte 0, 1,2,...,m. Für 
ein gegebenes m’ muß g’ alle diejenigen Zahlenwerte durchlaufen, für 
welche m’ — |g’| und m — m —|q—g| gerade positive Zahlen oder 
Null sind. Man brauchte also im voraus nur die Polynome IZ,”(ß,0) 
und /1,”(0,y) zu kennen. Diese Cowellsche Methode ist besonders 
bequem, wenn man ein isoliertes Polynom II von hohem Grade ab- 


zuleiten wünscht. 
A. 5. Chessin!?) hat eine Rekursionsformel 


(86) 2 (By) = 2, 9 (RE, 7) 


abgeleitet, in welcher die 2”*(y) unabhängig von 8 und Polynome 


von y sind. Der Grad dieses Polynoms ist nie höher als die kleinere 


der Zahlen A; und en. Infolge dieser Relation und der Gleichungen 


(83) und (84) findet lg die Formel 


(By. Asuele,e) - I Ser ee 
=0 #=0 

Es wäre also nur nötig, die Koeffizienten A” na, s’) direkt zu be- 
rechnen. Die Formel (87) ist besonders wichtig und vereinfacht in 
hohem Grade die Berechnung von "rast „.(8,8') und . ‚(8 8), da 
in diesen Fällen die Anzahl der Glieder nur m +1 und m +1 ist, 
während die Polynome ® höchstens ersten Grades sind. 

Von den Newcombschen Rekursionsformeln ausgehend hat R.T. A. 


Innes'") einige andere abgeleitet. Dieselben drücken II”(ß,y) und 


II"_,(ß,y) linear durch I7,(ß, y), II, (ß,y), ... und IT ,(ß, y) aus. 
Innes gibt das allgemeine Gesetz der Koeffizienten, die linear in bezug 
auf 8 und y sind. 

Mit Hilfe einiger Rekursionsformeln und Differentialgleichungen 
für die Koeffizienten X”’”’ von Hansen (siehe Nr. 29) hat schließlich 
H. v. Zeipel‘”'”) eine allgemeine und doch aus nur wenigen Gliedern 


106) P. H. Cowell, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 69 (1909), p. 170. 

107) A. 8. Chessin, Astron. Journ. 19 (1898), p. 73, 159. 

107”) R.T. A. Innes, Trans. Roy. Soc. South Africa 2, (1912), p. 301. 
107’) H.v. Zeipel, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv 8 No. 19 (1912), p. 6. 


22. Methode von Newcomb. 593 


zusammengesetzte Relation zwischen den Operatoren von Newcomb 
gegeben: 
4m 11" (8, y)=(—2ß+4y) 17, (Br +) —(2B+4y) I), (Br —1) 


+ B+H NZ BY +D +28 + 4m — 8)" (B, r) 


175 (ß Ei IT, B, em 2). 
Hieraus ergibt sich für q = m: 


4mII"(B,y)=(—2ß+4y) I, (By HD) + BY) IR, (By +2). 


m 


Für die Berechnung von II,_, gibt Zeipel die ebenso einfache Formel: 


am" (BY) = — (2B +4), y— 1) 
— (+4 + m — 2)", (B, > 


Nach derselben Methode hat S. Newcomb!®) auch eine Entwick- 
lung der Störungsfunktion hergestellt, wo die Argumente der trigo- 
nometrischen Funktionen nicht aus den mittleren, sondern aus den 
exzentrischen Anomalien und Längen zusammengesetzt sind. Die Koeffi- 
zienten dieser Entwicklung sind nach Potenzen von & und &’ geordnet, 


wo 
28 N 28 


it! . Ti 
Für die Differentialoperatoren II, und II,, = (m,m’<T) und für 
I””" (m-++-m’<6) hat Nensorab die chen Ausdrücke ge- 
En Weiter hat er die numerischen und die logarithmischen Werte 
der Koeffizienten dieser Operatoren (für m + m’< 6) in Tafeln zu- 
sammengestellt. In diesem Falle ist die Herleitung der Operatoren 
einfacher, da og und y besonders einfache Funktionen der exzentrischen 
Anomalie sind. Doch scheint die Berechnung der Koeffizienten 


e = 


Au "(s,s’) ebenso mühsam zu sein bei dieser Entwicklungsart (wenn 


man von den Tafeln absieht), wie bei der schon betrachteten Entwick- 
lung nach den mittleren Anomalien. In seiner Arbeit über die Be- 
wegung der vier inneren Hauptplaneten hat Newcomb jedoch zuerst 
nach den exzentrischen Anomalien entwickelt, um erst vor der Inte- 
gration mit Hilfe der Besselschen Funktionen (siehe Nr. 44) zu den 
mittleren Anomalien überzugehen. Bei Wahl der exzentrischen Ano- 
malien ist die Entwicklung der Störungsfunktion rascher konvergent, 
und die Zahl der nötigen Glieder wird deshalb viel kleiner als bei der 
Entwicklung nach den mittleren Anomalien. Dieser Vorteil scheint 


108) S. Newcomb, Wash. Astr. Papers 8, (1884). 





594 VIs,13 H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


aber durch den notwendigen Übergang zu den mittleren Anomalien 
mit Anwendung der Besselschen Funktionen neutralisiert zu werden. 

Die von Cowell abgeleitete Formel (85) ist offenbar auch für 
die bei der Anwendung der exzentrischen Anomalien auftretenden Ope- 
ratoren gültig. 

Es erübrigt noch zu erwähnen, daß A. S. Chessin!®)'!%) für die 
Entwicklung nach den exzentrischen Anomalien Rekursionsformeln ge- 
geben hat, die analog und sogar einfacher sind als die Gleichungen (86) 
und (87). Endlich hat Chessin!) auch einige Rekursionsformeln für 


die Berechnung der Koeffizienten A,’ ",(s, 8) publiziert. 


23. Entwicklungen von Cauchy. Von A. L. Cauchy wurden zwei 
Methoden vorgeschlagen, die derjenigen von Leverrier ziemlich ver- 
wandt sind. In der ersten!!!) zeigte Cauchy, wie die Koeffizienten (75) 
durch die Transzendenten b,’"’ anstatt durch b,''’ und seine Ableitungen 
ausgedrückt werden können. Gleichzeitig hat er für die Berechnung 
von 5,’ die später von Sundman angewandten Entwicklungen von 
der Form (68) vorgeschlagen. 

Bei seiner zweiten Methode?) entwickelte Cauchy, wie Leverrier, 


& nach Potenzen von v = sin? 7. Bei den darauffolgenden Entwick- 


lungen von 
+ r?— 2rr cos w+o—vV—oN)] ? 


führte er die vom Argumente r/r’ abhängigen Laplaceschen Koeffi- 


zienten p. (7) ein. Dann wurden die Funktionen 


r\:i,o/r 
er Fe 
nach Potenzen der Größe : 
(9) a4 
entwickelt, wodurch die im $ 7 betrachteten Transzendenten oe ein- 


geführt wurden. In dieser Weise werden die Koeffizienten A, Be 


der Entwicklung (76) linear durch die 0, +2 ausgedrückt. Diese von 


Cauchy skizzierte Methode ist aber nie in allen Einzelheiten ausge- 
führt worden. 


109) A. S. Chessin, Astron. Journ. 14 (1894), p. 105, 153. 

110) A. $. Chessin, Astron. Journ. 20 (1899), p. 73. 

111) A. L. Cauchy, Paris C. R. 11 (1840), p. 453, 501 = (Euyres (1) 5, 
p. 288, 811. 


24. Entwicklung von Gyldön. 25. Entwicklung von Hill. 595 


24. Entwicklung von Gylden. Die von H. Gylden angewandte 
Entwicklungsmethode ist der zweiten eben besprochenen von Cauchy 
sehr ähnlich. Gylden°®) entwickelte zuerst A-! in eine Fourriersche 
Reihe nach Vielfachen des Winkels H zwischen den beiden Planeten. 
Die so auftretenden Funktionen (88) (für » = 1) entwickelte er nach 
Potenzen der kleinen Größe (89) und führte so die Transzendenten 


AN » ein, die mit den Funktionen 9, von Cauchy zusammenfallen. 


Später kam Gylden°®), bei der Entwicklung von A-*, auf die Tran- 
szendenten y,”'. Der Zusammenhang derselben mit Cauchys 0” wurde 


schon in $ 8 hervorgehoben. Als unabhängige Veränderliche verwandte 
Gylden nicht die Zeit, sondern die wahre Anomalie des gestörten 
Planeten. Zuerst bildete er die besonders einfache „fundamentale Ent- 
wicklung“, welche nach den Vielfachen der beiden wahren Anomalien 
fortschreitet. Diese Form ist aber für die Integration nicht geeignet. 
Deshalb wurde die wahre Anomalie des störenden Planeten mittelst 
der Keplerschen Gleichung durch die wahre Anomalie des gestörten 
Planeten ausgedrückt. In dieser Weise entstand Gyldens „diastema- 
tische Entwicklung“ der Störungsfunktion. Die Entwicklv rsmethode 
Gyldens ist Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen anderer Astro- 
nomen gewesen. Betreffs derselben wird hier auf den Artikel von 
K. Sundman verwiesen (VI2, Nr. 14). Hier sei nur gesagt, daß die 
„diastematische Entwicklung“ von Gylden analytisch komplizierter ist, 
als die Entwicklung (76) von Leverrier und Newcomb. Bei Gylden 
sind in der Tat die Koeffizienten y,** mit Faktoren multipliziert, welche 
Polynome des Verhältnisses der beiden mittleren Bewegungen sind, 
während bei Leverrier und Newcomb die Laplacesci. :n Koeffizienten 
und ihre Ableitungen nur mit rationalen Zahlen multipliziert vor- 
kommen. Durch die Wahl der wahren (oder exzentrischen) Anomalie 
des einen Planeten als unabhängiger Veränderlicher anstatt der Zeit t 
wird die analytische Entwicklung der Störungsfunktion nur verwickelter. 


25. Entwicklung von Hill. Unter der Annahme, daß die Bahn- 
ebenen zusammenfallen, hat G. W. Hill"!?) die negativen ungeraden 
Potenzen von A in trigonometrischen Reihen nach den Vielfachen der 
wahren Anomalien entwickelt. Er geht dabei von der Reihe 


PP Ze 


112) G. W. Hill, Coll. Math. Works 4 (1907), p. 398—407. 


596 VIsa, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


aus. In der Taylorschen Entwicklung 


Miele 
vernachlässigt er alle Glieder, wo j>8. Dann wird approximativ nach 
Entwicklung von (=: en 1): 
re. 
m=0 


wo die K einfache lineare Ausdrücke von den Größen (26) sind. Für 
die Potenzen von r und r’ führt Hill ihre Fourierschen Reihen 


(-Zomae" 


ein und findet endlich erh: 


(z )— > | Dx2.000 DE Keyloinrin 


N, g,’=-o m= 

Die Größe ®,”(e) entwickelt Hill bis zum achten Grade einschl. für 
m—=—9, —8,..,+7,-+8. 

26. Gruppenentwicklungen von Bohlin. Um die angenäherten 

Störungen der kleinen Planeten gruppenweise zu berechnen, hat 


K. Bohlin‘‘?) den Vorschlag gemacht, die Koeffizienten der trigono- 
metrischen Entwicklung der Störungsfunktion nicht nur nach Potenzen 


von e, e' und sin? = zu entwickeln, sondern auch nach den Potenzen 
einer kleinen Größe w, welche durch die Gleichung definiert ist: 


eo. (1 Se %), 
wo u das Verhältnis der beiden mittleren Bewegungen und u, eine 
einfache rationale Zahl wie 4, 4, 2, --- ist. Solche Entwicklungen 
sind von K. Bohlin‘'®) im Falle von u,=+4, von H. v. Zeipel!) für 
4, = 4 und von H.G. Block!) für u, = + ausgeführt worden. End- 
lich hat K. G@. Olssin"!*) analoge Entwicklungen nach Potenzen von 


[2 


a eh ; 
0 2 250 
e— arcsin 12, e, sin——sin?6% 1 3u 


118) K. Bohlin, Nova Acta Reg. Soc. Sc. Upsaliensis (3) 17 (1896). Siehe 
auch: Sur le developpement des perturbations planetaires. Stockholm 1902. 

114) H. v. Zeipel, St. Pet. mem. (8) 12 Nr. 11 (1902). 

115) H. @. Block, Stockholm Obs. Astr. Jakttagelser etc. 8, Nr. 5 (1907). 

116) K. @. Olsson, Stockholm Bih. K. Vet. Akad. Handl. 25, Nr. 8 (1900). 


27. Zweiter Teil der Störungsfunktion. 597 


veröffentlicht. Bei allen diesen Arbeiten wurde nach Hansens Vorgang 
die exzentrische Anomalie des gestörten Planeten als unabhängige Ver- 
änderliche verwandt. 

In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß H. Luden- 
dorf“) Entwicklungen gegeben hat, mit deren Hilfe die Gyldenschen 
p,®+D für j=0; h=0,1,2,...,12 und für j=1,3,3; h=12 
berechnet werden können, wenn log « nahe = 9,880 ist (die Hilda- 
gruppe der kleinen Planeten). 

27. Zweiter Teil der Störungsfunktion. Von den bisher be- 
handelten Entwicklungen für den Hauptteil - der Störungsfunktion 
ist es leicht, zu den entsprechenden Entwicklungen der vollständigen 
Störungsfunktion R oder R’ [vgl. (1)] überzugehen. Für den zweiten 
Teil der Störungsfunktion R ergibt sich für verschwindende Exzen- 
trizitäten der Ausdruck 
ne [ne + Ar le A? ver -tE+2) ide A. 

Um aus der Entwicklung (70) für - die entsprechende Reihe 
für R, abzuleiten, müssen also in der Formel (71) an b+%0 und b%#! 
folgende Korrektionen angebracht werden 

ob 0 — — Lou, ob" t1— — 4ev. 


Die entsprechenden Korrektionen für den Übergang von I zu 


&, 
R, sind offenbar: 
bt — — Aaru, bett — ta’. 

Infolge der Ausdrücke (53) von b’' müssen deshalb an die Laplace- 
schen Koeffizienten folgende Verbesserungen angebracht werden 

b,4d— —e, d(ab,0) = — 2u; 

N — a? lab) = — 2a. 
Durch Differentiation dieser Ausdrücke ergeben sich leicht die- 
jenigen Verbesserungen, welche an die, in den von T. J. Leverrier''?), 
S. Newcomb"?) und H. Gylden“?®) gegebenen analytischen Entwick- 


lungen von rn ‚ auftretenden, von & abhängigen Transzendenten anzu- 


(90) 


bringen sind, wenn man von dem Hauptteil x zu der vollständigen 
Störungsfunktion R bzw. R’ überzugehen wünscht. 


117) H. Ludendorff, Astr. Nachr. 140 (1896), p. 197. 

118) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 273. 

119) $. Newcomb, Wash. Astron. Papers 3, (1884), p. 56. 

120) H. Gylden, Orbites absolues etc. 2, Stockholm (1908), p. 178, 178. 


598 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


28. Kanonische Elemente. Wenn man in den Differentialglei- 
chungen kanonische Elemente benutzt, was in vieler Beziehung vor- 
teilhaft ist, so empfiehlt es sich, auch die Störungsfunktion nach 
kanonischen Elementen zu entwickeln. 

Ch. E. Delaunay'?') hat in seiner Mondtheorie anstatt der ellip- 
tischen Elemente die kanonischen Elemente 


(91) L, G, ®, 1, 9, 0 
angewandt, wo 


L=Yya, G=Yal—e), = Yall—e) cosi, 
während i die Neigung der Bahn, / die mittlere Anomalie, 9 die Länge 
des Perihels vom aufsteigenden Knoten, ® die Länge dieses Knotens 
bedeutet. Derselben Elemente (91) hat sich übrigens, wenigstens teil- 
weise, ©. @. J. Jacobi'??) bedient bei seiner Integrationsmethode des 
Problems der zwei Körper. Von H. Poincare'?®) wurden zwei andere 
kanonische Elementensysteme 


(92) u HA 
und 
(93) A, B, pP, 4,0, 


eingeführt. Hier ist (mit 8 einen von den Massen abhängigen Faktor 
bezeichnend) 


A= BL, H=Pß(L—G@), Z=Bß(G— 0), 
i=1+9+0, h=—9—9, = —9, 
&=YV2HcosÄh, n=YV2Hsinh, 


p=V2Z cost, q=YV2Z sine. 

Dieselben Elemente wurden übrigens ungefähr gleichzeitig von 
P. Harzer‘*) in Anwendung gebracht. Die Elemente (93) sind den 
Elementen (91) und (92) vorzuziehen. Die Elemente & und n sind 
nämlich von der Größenordnung der Exzentrizität, » und q von der 
Größenordnung der Neigung i. Weiter können ecosh, esinh, vcos$, 
isin& nach Potenzen von &,n,7,g entwickelt werden. Es folgt daraus 
für die Störungsfunktion eine Entwicklung nach den Vielfachen der 


121) Ch. E. Delaunay, Paris Memoires de l’Acad. d. Sciences 28 (1860); 
29 (1867). 

122) C. @. J. Jacobi, Vorlesungen über Dynamik (1842—43): 24. Vorl. = 
Werke 7, p. 183—189. 

123) H. Poincare, Methodes nouvelles etc. 1, Paris (1892), p. 30. 

124) P. Harzer, Die sükularen Veränderungen der Bahnen der großen Pla- 
neten. Preisschr. der F. Jablonowsk. Ges. Leipzig 1895, p. 4. 


29. Koeffizienten X” von Hansen. 599 


mittleren Längen und nach den Potenzen der Größen &, 7,9, 9, 8, 7,25,‘ 
In allen Einzelheiten ist diese Entwicklung von @. Noren und J. A. 
Wallberg'‘°) bis zu den Gliedern zweiten Grades einschl. durchgeführt 
worden. 


IV. Entwicklungen nach Potenzen des Verhältnisses der großen 
Achsen. 


29. Koeffizienten X,»* von Hansen. Wenn das Verhältnis y 
der Radienvektoren wesentlich kleiner als Eins ist, kann es in manchen 
Fällen vorteilhaft sein, die Entwicklung der Störungsfunktion in erster 
Linie nach den Potenzen dieses Verhältnisses zu ordnen. So z.B. 
wenn es sich um die Berechnung der allgemeinen Störungen der kleinen 
Planeten oder einiger Kometen durch Saturn handelt. Vor allem ist 
aber eine solehe Entwicklung der Störungsfunktion in der Mondtheorie 
von Bedeutung. 

Infolge der Formeln (70) und (71) im Verein mit der Entwick- 
lung PN von Hansen ergibt sich die Reihe 

en : y” ’ a ag 


5 8 it yrrı 

















wo 
n=0,1,2,-.-,-+ o, 


s,s=-—n —n+2, —n+4..,n—2,n 
Die Größe Ni ist durch die Formel (59) gegeben. Nun sind r und 


v Funktionen der mittleren Anomalie M, während r’ und v’ von M’ 
abhängen. Nach Einführung der durch die Gleichung 


(94) (rote = Dixpe om 


i=—-o 


definierten, von der Exzentrizität e abhängigen Größen X,** bekommt 
man die Entwicklung 


E 1 n, -n-1l,s n a 
(95) N X, +q’ Sr (@)- 2 as s| \s’+s Tat. 


n,3,8',9,9' 








i VteL+rltadM Mm’) 
’ 


wo noch die ganzen Zahlen qg und g’ alle Werte von — x zu + oo 
annehmen. Die Entwicklung der Störungsfunktion R oder lieber die- 


125) G@. Noren und J. A. Wallberg, Öfversigt af K. Sv. Vet. Akad. Förhandl. 
1899, Nr. 9. Stockholm 1900 = Meddelanden frän Lunds astr. observatorium Nr. 10. 
Vgl. auch ©. V. L. Charliers Mechanik des Himmels Bd. I, p. 301—316. 


600 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


jenige von R— 4 erhält man durch Ausschließen der Glieder, wo 
n=0,1. 

Allgemeine Reihenentwicklungen für die Koeffizienten X,”* hat 
P. A. Hansen“) gegeben. Er geht von dem Integralausdrucke 


ER ER, I =) _ı 82 
aller 


]=1 
aus, Wo 
zu ch-ie, y=cV-1E, 2 = c/ -1M 


ist. Als Integrationsvariable wählt er anstatt z entweder x oder y 
und bekommt so für X,»* zwei andere Integralausdrücke. Die Inte- 
gration wird nach Entwicklung der zu integrierenden Funktion nach 
positiven und negativen Potenzen von x bzw. y ausgeführt. So findet 
Hansen für X,”»* ziemlich komplizierte Reihenentwicklungen, wo die 


Glieder rationale Funktionen von = k ee sind. Für i=0 


werden die Entwicklungen einfacher, und man wird dann auf hyper- 
geometrische Reihen oder Polynome geführt. Eine elegante Darstellung 
dieser Hansenschen Formeln hat F. Tisserand!??) gegeben. 
Eine andere Darstellung von X,”* verdanki man @. W. Hill.'®) 
Er bemerkt, daß X,”* das konstante Glied von 
ie 1 
AH+NTAyl— er (l— =). tr) 


ist. Die Entwicklung des rationalen Faktors nach positiven und nega- 
tiven Potenzen von y führt auf Koeffizienten, die immer mit Hilfe 
von hypergeometrischen Polynomen von s? ausgedrückt werden können. 
Die Koeffizienten der Entwicklung des transzendenten Faktors sind 


die Besselschen Funktionen der Argumente n Man bekommt so für 
X,»* eine unendliche Reihe, deren Glieder aus hypergeometrischen Po- 
lynomen und Besselschen Funktionen einfach zusammengesetzt sind. 

Die Koeffizienten X,** können offenbar nach Potenzen von e ent- 
wickelt werden. Dabei treten als Koeffizienten die Operatoren von 
Newcomb auf (vgl. Nr. 22). Infolge der Definitionsgleichung (82) 


dieser Operatoren ist in der Tat 


(96) =D, Jr, m—lga=0,23,4,..., +. 


126) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 2 (1855), p. 270. 
127) F. Tisserand, Trait& de Me&e. cel. 1, p. 249—261 
128) @. W. Hill, The Analyst 2 (1875), p. 176 = Works 1, p. 221. 


80. Störungsfunktion der Mondtheorie. 601 


G. W. Hill“) hat versucht, die analytische Form der Koeffizienten 
der Reihe (96) zu finden, kam aber dabei im allgemeinen auf sehr 
komplizierte Ausdrücke. Nur für den ersten Koeffizienten II,2!(n, s) 
hat er einen ziemlich ein@ehen Ausdruck publiziert. Mit Hilfe des- 
selben und infolge der Neweofßbachen Gleichungen (83) und (84) ist 
die analytische Form des AnfangSfdigdes der Entwicklung nach Po- 
tenzen von e und e’ eines beliebigen ®ßeffizienten der Fourierschen 
Reihe (73) vollständig bekannt. Als Spe ip eines Theorems von 
F. Tisserand'®) ergibt sich übrigens unter einfa@tez symbolischer Form 
die allgemeine Entwicklung von X;*° nach Potenzefogon e. 

Für numerisch gegebene Werte der Indizes q, m und n sind die 
Il,”(n,s) Polynome von s vom Grade m. Einige dieser Polynome 
können leicht aus denjenigen Entwicklungen abgeleitet werden, welche 
U. J. J. Leverrier*?') für die Größen 

(2) nn s@—M) n=0,—1,—2,..,—7 
gegeben hat. Numerische Werte für die Koeffizienten der Entwick- 
lungen von X»* nach Potenzen von e bis zum siebenten Grade einschl. 
und fira=—5, —4,.., +4; s=0,1,...,5 sind von,A. Cayley'??) 
publiziert worden. Endlich hat R.T. A. Innes"”?) die Koeffizienten 


. n,8 N.8 n,8 e 
der Entwicklungen X/”', X), ..-, X,,, nach Potenzen von e bis 


zum siebenten Grade einschl. als Polynome von n und s ausgedrückt 
Dieselben Polynome sind übrigens schon von $. Newcomb'*) in noch 
größerer Ausdehnung (bis zum achten Grade einschl.) gegeben worden. 
Man hat nur in Newcombs Ausdriieken n, s anstatt D, —i einzuführen 


30. Störungsfunktion der Mondtheorie. Unter Hinweis auf den 
Artikel VI2, 16 von E. W. Brown über Mondtheorie sei hier nur 
folgendes bemerkt. In den Mondtheorien von Lubbock, Pontecoulant 
und Delaunay wird die durch die Gleichung (2) gegebene Störungs- 
funktion R” nach Potenzen der kleinen Größen «, e, €‘, v entwickelt. 
Offenbar wird diese Entwicklung aus (95) erhalten, indem man zuerst 
mit 


diejenigen Glieder, für welche n—=0, 1 ist, wegläßt, dann ji 
a 


dem Faktor [(1 — 6)"-?— (— 0)"-1] multipliziert und endlich die Funk- 


129) @. W. Hill, ibid. p. 222, 223. 

130) F\. Tisserand, Paris C. R. 91 (1880), p. 897. 

131) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 346, 348—355. 

132) A. Cayley, Lond. Astr. Soz. Mem. 29 (1861) (Read Jan. 1859), p. 257—304. 
133) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soz. Mem. 54 (1904) (Read Dez. 1902), p. 137. 
134) S. Newcomb, Wash. Astron. Papers 5, (1895), p. 27—29. 


602 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 

tionen a, X), Kr »*(g) unter Verwendung der Formeln (59) 
und (96) nach Potenzen von v bzw. e oder e’ entwickelt. Die so auf- 
tretenden Koeffizienten sind in großer Ausdehnung von @. de Ponte- 
coulant!”), A. Cayley'°°) und Ch. E. Delaunay'?”) berechnet worden. 
Am weitesten hat es der letztere getrieben, indem er alle Kombinationen 


nr EEE | 2/ 
" rg“ (sin _ J) 


art 2 
berücksichtigte, für welche (m + m’ +2f-+2n) < 10 ist. 


V. Konvergenz der Entwicklungen. | 


31. Formulierung der ersten Aufgabe. Die Störungsfunktion 
kann, als eine periodische Funktion der in ihr auftretenden Winkel- 
variabeln, in trigonometrischen Reihen entwickelt werden, die entweder 
nach den Vielfachen der mittleren Anomalien M, M’ oder auch nach 
Vielfachen von M, M’, ®, ®’ fortschreiten. Statt M und M’ können 
auch z. B. die exzentrischen Anomalien E und E’ angewandt werden. 
Die Konvergenz dieser trigpnometrischen Entwicklungen ist evident, 
solange man den Fall eines Schnitts der Ellipsen ausschließt. Nun 
lassen sich aber die Koeffizienten der trigonometrischen Reihen selbst 
in all den im vorausgehenden behandelten Weisen in Potenzreihen 
nach kleinen Größen wie e,e’, v, « entwickeln. Die hier auftretende 
erste Aufgabe ist, die Konvergenz dieser Potengreihen für die einzelnen 
Koeffizienten der trigonometrischen Entwicklung zu studieren. 

Für den indirekten Teil der Störungsfunktion ist die eben be- 
zeichnete Konvergenzfrage mit wenigen Worten zu erledigen. Die 
Koeffizienten sind nur in bezug auf e und e’ transzendent, und ihre 
Entwicklungen nach Potenzen von e und e’ konvergieren, wenn nur 
le|<1, je] <1 ist (siehe z. B. Tisserand, Trait& Vol. I, Chap. XII). 


Im folgenden wird daher nur der Hauptteil & der Störungsfunktion 
betrachtet werden. 


32. Integralausdrücke der Koeffizienten. Die wichtigsten trigo- 
nometrischen Entwicklungen der Störungsfunktion sind die folgen- 


135) @. de Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du monde 4, Paris 
(1846), p. 58—61. 

136) A. Cayley, Lond. Astr. Soz. Mem. 27 (1859), p. 76—86. Errata ibid. 28 
(1860), p. 216. 

137) Ch. E. Delaun:y, Paris, M&m. de l’Acad. des Sciences 28 (1860), 
p. 33—54, 883, 


32. Integralausdrücke der Koeffizienten. 603 


den vier: 


en a Kyle UmM+m'M+su+3' w) 


(97) m, m’ ® m, m’, s,8 
da —ImE+mEN) __ B** R Bad, i(mE+m'E +sw+s'w') 
B,, m € m, m’ 
ın,m m, m’, s,8’ 
(m, m’, s, s' ganzzahlig). 
Die Koeffizienten A, m, B,m’ Jassen sich nach der elementaren 


Theorie der Fourierschen Reihen als Doppelintegrale darstellen. Das- 
selbe gilt auch für die Koeffizienten Ar; und BY; für die zunächst 


vierfache Integrale erhalten werden. Schreibt man nämlich: 


< Au >’ 0*" eV -16o+sw), 
Er 


so lassen’ sich die Koeffizienten ®** dieser Entwicklung durch ein- 
fache Umsetzung aus der Entwicklung (51) entnehmen, und zwar gilt: 


‘8 +3 


(98) Be, 
r 
wo b%/ die dort a al Jacobischen Koeffizienten sind. Da nun: 
N ABER 3,8’ an ImM+mM) __ ss®’ V-1imE+m'E) 
D Ar m’ Era - B,. m’ c 
Ni, m’ m, m’ 


ist, so erhält man die Koeffizienten A”* 
Doppelintegralen über ®** 

In allen diesen Doppelintegralen werden passend anstatt M und 
M’ oder E und E’ als Integrationsvariabele 


FRE, ‚Z1E' 
= ; y—( 


B*”, durch Bildung von 


m, m’) m, m’ 


gewählt. Nach Einführung ‘der Bezeichnungen 
riet], 


Re me Ay me \s 
re a en ie Se Fern) Leert HERD, 





ergibt sich: 


| 1 Ve?dx dy 
(100) a a egal 
52 
ss 1 ss Ve” dady 
(101) 4,m=— ff? rt ymir 


Die Integrationswege sind hier die Kreise in der komplexen Ebene 
für z bzw. y |] =1, |yl=1. 


604 VIe, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Wenn V=1, &=0 in (100) und (101) gesetzt wird, so be- 
kommt man die Ausdrücke von B, „, und Bis, 

Um die Konvergenzbedingungen der Entwicklungen von A, m 
Bun Aa Bin, zu finden, sieht man sich nun auf das Problem, 
geführt, die Singularitäten der entsprechenden Doppelintegrale, als 
Funktionen der elliptischen Elemente betrachtet, zu suchen, da die 


dem Nullpunkt nächstliegende Singularität die Konvergenzgrenze angibt. 


33. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale. 
.H. Poincare'*) hat allgemein gezeigt, wie solche Singularitäten ge- 
funden werden können. Er betrachtet zuerst eine durch ein einfaches 
Integral gegebene Funktion 

fo—[F@, dx, 

wo die Integration längs einer geschlossenen Kurve in der komplexen 
x-Ebene auszuführen ist. Die im Endlichen liegenden Singularitäten 
von F(z, z), als Funktion von x, werden mit &,, 25, . ... bezeichnet. 
Dieselben sind im allgemeinen mit z beweglich. Es wird angenommen, 
daß keiner der Punkte x, sich auf dem Integrationswege befinde. Der 
Integrationsweg kann kontinuierlich in beliebiger Weise deformiert 
werden, ohne daß f(z) seinen Wert ändert, solange nicht einer der 
Punkte x, überschritten wird. Es werde jetzt weiter vorausgesetzt, 
daß z in stetiger Weise sich verändert. Wenn dann irgendeiner der 
Punkte x, sich dem Integrationswege nähert, so kann man diesen 
Weg deformieren, um der heranrückenden Singularität auszuweichen. 
Dies ist immer möglich, und f(z) bleibt holomorph, solange nicht 
entweder zwei von verschiedenen Seiten des Integrationsweges kom- 
mende x, zusammenfallen oder eine innerhalb der Integrationskurve 
liegende Singularität x, sich ins Unendliche entfernt. Poincare nimmt 
an, daß die x, Wurzeln einer Gleichung 


p(z, 2) = 0 
sind, welche sich in mehrere voneinander unabhängige Gleichungen 
9%, 2) =(, p(, £) =(, 
auflösen läßt. Unter dieser Annahme befinden sich die gesuchten 


Singularitäten von /(z) unter den Wurzeln der Gleichungen, die er- 
halten werden, wenn x aus den verschiedenen Paaren von Gleichungen 


Be ,jm 1,2... 
(102) 0, k=1,2,... 


9,=0, = km 1,2,... 
138) H. Poincare, Methodes nouvelles 1 (1892), p. 282; Paris Bull. astr. 15 
(1898), p. 450—454; Legons 2, (1907), p. 101-106. 


‘ 


34. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale. Fortsetzung. 605 i 


eliminiert wird. Denn jede Lösung eines solchen Gleichungspaares 
bezeichnet das Zusammenfallen zweier Singularitäten. 

Jeder in dieser Weise gefundene Wert von z . aber offenbar 
noch nicht notwendig eine singuläre Stelle für f(z). Hierüber wird 
in jedem einzelnen Falle eine spezielle Untersuchung nötig, die oft 
den schwierigeren Teil der Aufgabe ausmacht. 

34. Fortsetzung. Poincare geht weiter zum Aufsuchen der Singu- 
laritäten des Doppelintegrals 


f(e) —/ def Fz, y,2)dy 

als Funktion von z betrachtet. Die Integration wird zuerst in der 
y-Ebene längs einer mit x und z veränderlichen geschlossenen Kurve 
C, ausgeführt und danach in der x-Ebene längs einer mit z beweg- 
lichen geschlossenen Kontur (,. 

Poincare nimmt an, daß die Singularitäten von F(x,y, 2) durch 
die Gleichung 

p(2,y,2) = 0 

gegeben sind, und daß sich diese Gleichung in die folgenden irreduk- 
tibeln Gleichungen auflöst: 


(103) p(%, y,2)=I, Ps(®, Y; £) =(, pt, y,2)=0, 
Zuerst werden die Gleichungspaare 


9 =9,—0, ,j=123,... 

09; 
(104) p, = 2 —(, 1,2, 8,... 
Gy =0, y—=w, —=1,2,3,... 


betrachtet. Durch dieselben werden eine Reihe von Funktionspaaren 
(2), y.(2) n=1,2,3,... 

. definiert, welchen in den x- und y-Ebenen mit z bewegliche Punkte- 

paare x,, %, entsprechen. 

Solange die Kontur C,, während der stetigen Veränderung von z, 
den Punkten x,(z) ausweichen kann, so lange bleibt offenbar f(z) holo- 
morph. Nur wenn zwei von verschiedenen Seiten von ©) kommende 
Punktepaare (z,,y,) und (z,,y,) zusammenfallen oder wenn ein Punkt x, 
ins Unendliche rückt, kann f(z) aufhören, holomorph zu sein. Die 
möglicherweise singulären Werte von 2 sind also diejenigen, für welche 
entweder eins der Systeme (104) eine Doppellösung oder zwei dieser 
Systeme eine gemeinsame Lösung oder endlich eins von diesen 
Systemen eine ins Unendliche rückende Lösung bekommt. Da die 


Integrationsordnung beliebig ist, so brauchen unter allen Systemen 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 40 


606 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


von je drei Gleichungen, die so erhalten werden, nur diejenigen in 
Betracht gezogen zu werden, in welchen die Differentiationen nach 
x und y syınmetrisch auftreten. Alle diejenigen z, die möglicherweise 
singulär für f(z) sein können, werden also nach Elimination von x 
und y aus den verschiedenen Systemen von je drei Gleichungen 


== —d; i,j,k=1,2,... 
0(p,,9, FT 
ee 
(105) Ba 
09, 209, 9 
Kg 7 u i=1l,2... 
9,—=0, z=y=m. i=1,2,... 


erhalten. Aber wieder sind nicht alle diese Werte notwendig singu- 
läre und eine spezielle Untersuchung ist in jedem einzelnen Falle nötig. 


35. Konvergenz der Entwicklungen für A, und B, „. Im 
Falle des Integralausdruckes (100) für A,,„. (und B, „ fr V=1, 


2 = 0) werden die Gleichungen (103) 
(106) =0,, 90, FIR ed: 


Die Funktion z?y?A? ist ein Polynom sechsten Grades in x und y 
mit Koeffizienten, die nur fre=-+1, ed = 1 nicht holomorph 
sind. Da die letzte Gleichung sehr kompliziert ist, so ist es noch 
nicht gelungen, die allgemeinen Konvergenzbedingungen für die Ent- 
wicklungen von A. und DB, „. aufzustellen. 

Für den allgemeinen Fall hat jedoch A. Poincare?’) den Satz aus- 
gesprochen: Die Entwicklungen aller Koeffizienten A, „. und BD, m 
besitzen denselben Konvergenzbereich. Dieser Satz folgt daraus, daß 
die Gleichungen (106) unabhängig von m und m’ und außerdem dieselben 
für A... und Bm Sind. 

Von Spezialfällen hat H. Poincare*) zuerst denjenigen behandelt, 
wo e=e=( ist. Dann ist xyA? ein Polynom zweiten Grades in 
x oder y. Die Auflösung der Gleichungssysteme (105) gibt dann für 


die Singularitäten der Koeffizienten b’’ die Bedingungen 
(107) n=0, v=0, IT+a+2atutrv)=0. 


In eingehender Weise sind diese Singularitäten von H. v. Zeipel‘*') 
untersucht worden. Für die Entwicklungen (53) hat er den Konver- 





139) H. Poincare, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 457; Lecons 2, (1907), p. 107. 

140) H. Poincare, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 457—459; Legons 2, (1907), 
p- 108—112. 

141) H. v. Zeipel, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv. 6, Nr. 83 (1911), p. 17. 


35. Konvergenz der Entwicklungen für A, „ und B,, m 607 


genzkreis 

v|= ae)! 

a © 
gefunden. Außerdem hat er gezeigt"‘?), daß die Hansensche Entwick- 
lung (60) auf ihrem Konvergenzkreis |«| = 1 nur die Singularitäten 


in P V-1J) 
besitzt. Für «= +1 sind diese Funktionselemente holomorph, 
venn O<J<m. 
Aus den Bedingungsgleichungen (107) geht weiter hervor, daß 
die Appellschen Entwicklungen (64) konvergent sind, sobald 


12Bul + 12Pvi<I1. 
Ebenso findet man für die Sundmansche Entwicklung (68) die 
Konvergenzbedingung 
vIi< kung u. 
. 20 
Die Entwicklungen (60), (62), (64), (65), (66), (68) sind für alle 
Werte der Neigung konvergent, wenn nur @«<1. 

H. Poincare“'?) hat ferner auch den Spezialfall J= 0 behandelt. 
Dann ist A? eine Summe von zwei Quadraten und kann deshalb in 
zwei Faktoren aufgelöst werden. In diesem Falle ergeben sich für 
die Entwicklungen von A, und B,„, nach Potenzen von e und € 
die Konvergenzbedingungen 

lel<1, jel<1l, 
a? e| + a’?le'?| + 2aa’ |ee' cos (a — ©) < (a -—- a)”. 
In einem dritten Spezialfalle, wo die Bahnen konzentrisch sind 


(€ = ae), hat A. Feraud“) die Konvergenzbedingungen der Entwick- 
lungen von A,„„’ und B,„’ nach Potenzen von e und sin J, oder 


von e und sin? £, oder von e, cos Z, sin® 2 anfgestellt. 

Endlich hat A. Feraud'*) versucht, diejenigen Spezialfälle zu be- 
handeln, wo die eine Bahn kreisförmig ist, während die Apsidenlinie 
der anderen Bahn mit der Knotenlinie zusammenfällt oder dazu senk- 
recht steht. Er leitet die Gleichungen (105) ab. Es ist ihm aber nicht 
gelungen, aus diesen komplizierten Gleichungen die gesuchten Kon- 


vergenzbereiche zu finden. 





142) H.v. Zeipel, ibid., p. 12, 15. 
143) H. Poincare, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 460—464; Legons 2, (1907), 
p. 112—117. 
144) A. Feraud, Paris Bull. astr. 16 (1899), p. 449—456. 
145) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 10 (1902), p. i—37. Auszüge Paris 
C. R. 130 (1900), p. 1376; 131 (1900), p. 661. 
40* 


608 VI», 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


36. Konvergenz der Entwicklungen für ing und BE; Da 
die Singularitäten von 5%’ durch die Bedingungen” (io7) käksene. sind, 
so findet man leicht, daß die Gleichungen 
e0, yo r-0, r-0, r+4r—0, r tet Vr—0 
alle endlichen Singularitäten der in (101) integrierten Funktion geben. 
Aus diesen Gleichungen und aus den entsprechenden Systemen (105) 
hat H.v. Zeipel““®) die Singularitäten von A und 9 abgeleitet 
und außerdem die Konvergenzbedingungen für die Entwicklungen 
dieser Funktionen aufgestellt. 

Diese Bedingungen sind 

el<1, Jei<1, ale + aje| <Ya+a?—2aa’ cosJ 
für die Entwicklungen nach Potenzen von e und e’; und 

f PR, #7 1 ran iR 2 
el<1, aliteli<a—a, <a 
für die- Entwicklungen nach Potenzen von e, e’ und ». 

Die Konvergenz der Entwicklungen nach Potenzen von e und e’ 
nimmt also mit der Neigung der Bahnen zu. 








37. Formulierung der zweiten Aufgabe. Bei der praktischen 
Anwendung der analytischen Entwicklungsmethoden werden meistens 
die Koeffizienten der betreffenden Fourierschen Reihe nach Potenzen 
der kleinen Größen e, e’ und v entwickelt. Dabei werden alle Glieder 
von höherer Ordnung als z. B. der siebenten vernachlässigt. 

Was man also vornimmt, ist im Grunde gar keine trigonome- 
trische Entwicklung, sondern eine Entwicklung der ganzen Störungs- 
funktion nach Potenzen der kleinen Größen e, €’, v, und es ist die 
Konvergenz dieser Potenzentwicklung, welche zu untersuchen ist 
und welche eigentlich viel mehr Interesse hat als die bisher behan- 
delte Konvergenzfrage für die einzelnen Entwicklungskoeffizienten. 

Die Entwicklung des zweiten Teiles der Störungsfunktion nach 
Potenzen von e und e’ ist wieder eine ziemlich einfache. Bei Anwen- 
dung der wahren oder der exzentrischen Anomalien sind die Konver- 
genzbedingungen 

al. 1; lei. 
Wenn aber die mittleren Anomalien gewählt werden, dann treten die 
der Keplerschen Gleichung entsprechenden Lagrangeschen Reihen auf. 
Die Konvergenzbedingungen lauten dann (für beliebige reelle Werte 
von M und M’) 
lel<x, jel<x, wo x = 0,6627434193... 





146) H.v. Zeipel, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv 6, Nr. 33 (1911), p. 20, 37,44. 


838. Konvergenz der Entwicklung von A-'. 609 


Der Wert von x wurde zuerst von P. $. Laplace‘*”) aus den asympto- 
tischen Ausdrücken der Koeffizienten hergeleitet. Dieselbe Grenze 
wurde später verschiedentlich aus funktionentheoretischen Gesichts- 
punkten bestimmt. [Siehe II B1, Nr. 15 (Osgood) und VI 2,9, Nr. 4 
(Herglotz)]. In letzter Zeit hat noch H. Poincare‘“*) diese Kufzabe 
behandelt. 


38. Konvergenz der Entwicklung von A-!. Die Konvergenz- 
bedingungen für die Entwicklungen des Hauptteils der Störungsfunk- 
tion A=! nach Potenzen von e, e' (und v) zu finden, scheint eine sehr 
schwierige Aufgabe zu sein, die jedenfalls bisher in ihrer Allgemein- 
heit noch ungelöst ist. K. F. Sundman') hat den Fall behandelt, 
wo v=( ist. Dann ist 

7 Wer N (Mer 


an een 


Es wird gesetzt 
eg’ ""?, e ZDERT M 
wo 0, g' reell und positiv, p, p’ reell sind. Mit 9 und 9° werden 
solche Werte von go und o’ bezeichnet, daß A?—=0 für o=9, 0 =!’ 
und für gewisse reelle Werte von M, M’, 9,9, © — ®, während 
dagegen A?-+-0, solange e<p, 0 < Y Die gesuchten Bars 
bedingungen für die Entwicklung von A”? nach Potenzen von e und 
e' sind dann offenbar 
lei<p, lei<e. 

Sundman setzt weiter 
V-1v 

, 





IR ia re —1v 





R=|re 


und bezeichnet mit Ry(g) den größten Wert von R für gegebenes go 
und beliebige M und 9; mit R/(e’) den kleinsten Wert von R’ für 
gegebenes o’ und beliebige M’ und p’. Die gesuchten Werte von 
und 0 werden dann offenbar durch die Gleichung 


Ru(e) auge: Rn(E') 


verbunden. Sundman hat gezeigt, daß R einen Maximalwert 


all+2g+0+,0+--) für M=3, 9-% 
147) P. S. Laplace, Paris mem. pres. (2) 6, annde 1823 (1827), p. 61 = 
(Euvres 12, p. 549—560. Vgl. Mee. cel. Suppl. au 5° Vol., Nr. 2, 3 (1825) = 
(Euvres 5, 5 473 —484. 
148) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 28—33. 
149) K. F. Sundman, Ohr: die Störungen der kleinen Planeten usw. Akad. 
Abh. Helsingfors (1901), p. 18—23. 





610 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


und einen Minimalwert 
2 
a(1 2 +®-ze+:) fr M=7, 9-7 
besitzt. Damit sind aber vielleicht nicht das größte Maximum und 
und das kleinste Minimum gefunden. Deshalb kann Sundman nur 
folgendes Divergenzkriterium formulieren: Die Entwicklung von A? 
nach Potenzen von e und e’ divergiert, wenn 


a<a, ‘=6,; 
al+2e+e +3 +3e+-)>a(l—2e +e?— Fe? +3e!—.-.). 
Einige hinreichende (aber nicht notwendige) Bedingungen für die 


Konvergenz der Entwicklung von A! nach Potenzen von e, e’ und 
v hat @. Silva”) aufgestellt. 


VI. Allgemeine Theorie der Rekursionsformeln und 
Differentialgleichungen. 


39. Formulierung der Aufgabe. In der Theorie und bei der 
praktischen Berechnung der Laplaceschen Koeffizienten 5,® spielen die 
Rekursionsformeln, die zwischen je dreien von diesen Koeffizienten 
und ihren Ableitungen bestehen, eine wichtige Rolle. Vermutlich 
würde auch die Berechnung der Koeffizienten b»’ und ihrer Ablei- 
tungen durch geeignete Ausnutzung der Jacobischen Rekursionsformeln 
(oder damit analoger) vereinfacht werden können. Ein noch wesent- 
licherer Fortschritt wäre es, wenn man direkt die Koeffizienten der 
rein trigonometrischen Entwicklungen der Störungsfunktion (oben 
Gl. (97)) durch Rekursionsformeln berechnen könnte. Dann wäre man 
der Frage der Konvergenz der Entwicklungen nach den Potenzen 
der Exzentrizitäten und anderer kleiner Größeu enthoben und hätte 
es nur mit den zweifellos konvergenten trigonometrischen Entwick- 
lungen selbst zu tun. Schon 0. @. J. Jacobi'') hat angegeben, daß 
die Koeffizienten B,,„. der Entwicklung nach den exzentrischen Ano- 
malien mittels 15 von ihnen durch lineare Rekursionsformeln ausge- 
drückt werden können. Das folgt aus den Identitäten: 


Den 


mtl, freie, 


wenn man für A! die trigonometrische Kaas: a A? seinen 
Ausdruck als gänze Funktion von x, 1/2, y, 1/y einsetzt. Zugleich 
schwieriger und wichtiger ist es, analoge Rekursionsformeln für die 





150) G. Silva, Paris Bull. astr. 26 (1909), p. 49, 97. 
151) ©. @. J. Jacobi, Werke 7, p. 287 (Nachlaß). 


40. Reduktion einiger Doppelintegrale. 611 


Koeffizienten A, „, der trigonometrischen Entwicklung nach den mitt- 
leren Anomalien aufzustellen. Zur Lösung dieser Fragen hat H. Poin- 
care52)153)154) die allgemeine Theorie der Doppelintegrale algebraischer 
Funktionen von zwei Veränderlichen herangezogen. Die auf diesem 
Wege bisher erhaltenen Resultate werden im folgenden dargestellt. 
Es sei aber bemerkt, daß eine Durcharbeitung dieser Rekursionsfor- 
meln bis zur rechnerischen Brauchbarkeit noch aussteht. 

Mit der Existenz von Rekursionsformeln ist überall die von ent- 
sprechenden Differentialgleichungen höherer Ordnung für die Koeffi- 
zienten verbunden. 


40. Reduktion einiger Doppelintegrale. Poincare betrachtet?) 19%) 
die Doppelintegrale 


32 
(108) Hin He’dady 


j ayr: 

welche längs gewissen geschlossenen Flächen im Gebiete der komplexen 
Veränderlichen x und y ausgeführt werden. In denselben ist 2s eine 
ungerade Zahl. & und F' sind gegebene Polynome von x, x7!, y, y! 
vom Grade » bzw. f, während H ein beliebiges Polynom vom Grade h 


ist. Ein Polynom 
(109) 97 Azıy 


heißt dabei vom Grade n, wenn |a|<n, |b|<n. Das allgemeine 
Polynom vom Grade » enthält (22 + 1)? arbiträre Konstanten. 

Die Integrale IT können auf eine gewisse Anzahl voneinander 
linear unabhängiger unter ihnen reduziert werden. Es ist in der Tat 
IT=0, wenn H durch die Gleichung 
(110) ee 0 ln DU va 

xy F* öx yF" oy «F” 
bestimmt wird, wo P und Q beliebige Polynome vom Grade y=h—f—o 
bezeichnen. Es scheint zunächst, als ob man auf diese Weise ent- 
sprechend den 2(2p-+1)? willkürlichen Konstanten von P und ® 
auch ebensoviele Rekursionsformeln zwischen den (2% + 1)? Inte- 
gralen II fände. Indessen sind offenbar alle solche Kombinationen 
von Funktionen P und Q auszuschließen, bei welchen H identisch 
Null wird. Man erhält alle Kombinationen letzterer Art, indem man 
in den Gleichungen 
(111) Te 2 (ER), ein 2 25) “ 

yF oy\F xF ox\F 
152) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 180. 
153) H. Poincare, J. de Math. (5) 3 (1897), p. 203—276. 
154) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 119—139. 

















612 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


S so bestimmt, daß P und @ Polynome vom Grade py<h—-f—o 
werden. Poincare zeigt nun, daß dann 5 notwendig ein Polynom vom 
Grade (p—f—o) ist. Die Zahl der auf diese Weise zu findenden 
linearen Relationen ist also nur 2(2p +1)? — [?(p —f—o) +1]. 
Damit folgt, daß es höchstens 


(R+ 1 — 2[2—f—o)+ 1] + [2(0—2f—20) +1? 8(f+ 0)’ 
voneinander linear unabhängige Integrale II von der Form (108) gibt. 
Diese Anzahl ist unabhängig von h und s. 

Um zu beweisen, daß 5 ein Polynom ist, studiert Poincare die 
Verzweigungen der Funktion 


Sc” BEER 5 OR au [ie Ben). 
F'? Fr’! x Fr! yJ 





Diese Funktion kann offenbar nur dann aufhören, holomorph zu sein, 
wenn eine der Gleichungen 

(112) 0, y=0, AyFay)=fl,y)—0 

befriedigt ist. 

E. Picard'®) hat gezeigt, daß jeder vor x, y beschriebene ge- 
schlossene Weg durch kontinuierliche Deformation in einen anderen 
transformiert werden känn, welcher aus einem Punkte der y-Ebene 
und einem geschlossenen Weg in der x-Ebene besteht, ohne daß 
irgendeine der Gleichungen (112) befriedigt wird. Es genügt daher, 
nur die Verzweigungen der Funktion 


2 
F x 


zu studieren. | 

Die zyklischen Perioden dieser Funktion sind infolge der Inte- 
grabilitätsbedingung des Systems (111) von y unabhängig. E. Picard'°®) 
hat weiter gezeigt, daß jeder Zykel, auf welchem YF eindeutig bleibt, 
in eine Anzahl Partialzykeln aufgelöst: werden kann, von welchen 
jeder durch Variation von y in einen Punkt zusammengezogen werden 
kann, so daß die entsprechende zyklische Periode Null ist. Der Be- 
weis von Picard setzt nur voraus, daß die Gleichung (112) irreduk- 
tibel ist, und daß für die singulären Werte von y nur zwei Wurzeln 
sich untereinander vertauschen. Unter diesen Bedingungen besitzt 
also U keine zyklische Periode. 

Polare Perioden können nur für = 0 auftreten und dann nur, 





155) E. Picard, Thsorie des fonctions algebriques de deux variables inde- 
pendantes 1 (Paris 1897), p. 68, 69. 
156) E. Picard, ibid., p. 88—90. 


40. Reduktion einiger Doppelintegrale. 613 


wenn. f eine gerade Zahl ist. Auch die polare Periode ist von y un- 
abhängig, wechselt aber ihr Vorzeichen, wenn y eine ungerade Wurzel 


der Gleichung ae 
mer 


umkreist. In dieser Weise fand Poincare, daß die Funktion U keine 
polare Periode besitzt, wenigstens wenn f(0,y) oder f(x, 0) ungerade 
Nullstellen haben. 

Wenn x einen Zyklus beschreibt und YF dabei sein Vorzeichen 
wechselt, so geht U in einen Wert T=h— U über, wo h eine 
Konstante ist, denn man hat 

ai, Pe” ou 


2 El lager Yy 9y 
Die Konstante h hat für alle solche Zykeln denselben Wert, sonst 
würde U eine von Null verschiedene Periode haben. 
Durch Hinzufügung einer Konstanten kann U offenbar so defi- 
niert werden, daß U sein Vorzeichen zusammen mit YF wechselt. 


Dann ist UYF und also auch S eine eindeutige Funktion. 


Diese Funktion $ kann nur mit 27 und I unendlich werden, 


0x 
d. h. für 
wo, y=o, 1.0, y=0, F=). 

Wenn F=0 ist, so werden = und ee unendlich von der Ord- 
nung s—1 und deshalb U unendlich von der Ordnung s— 2, woraus 
folgt, daß S endlich bleibt. Indem Poincare endlich die Größenordnung 
von 8 zuerst für große und kleine x, dann für große und kleine y 
untersucht, findet er, daß S ein Polynom vom Grade p — f— o in 
z, a Y, 7 ist. 

Die Anzahl voneinander linear unabhängiger Doppelintegrale II 
wird kleiner, wenn die Polynome gewisse Symmetrieeigenschaften be- 
sitzen. So z. B. wenn F, & und H unverändert bleiben, wenn x und 
y gleichzeitig ihr Vorzeichen wechseln. Im Ausdruck (109) für diese 
Polynome sind dann a und b gleichzeitig gerade oder gleichzeitig un- 
gerade. Ein Polynom vom Grade n mit dieser Eigenschaft enthält nun 

o(n)=2n’+2n +1 
willkürliche Konstanten. Poincar& zeigt, daß in diesem Falle nur solche 
Polynome P, Q und $ zu betrachten sind, welche ebenfalls die oben 
erwähnte Symmetrieeigenschaft besitzen. Er findet, daß in diesem 
Falle die Integrale IT durch eine Anzahl von höchstens 
(113) eh) — 20(h— f— o) + 9(h— 2f— 20) = 4(f-+ 0)? 


unter ihnen linear ausgedrückt werden können. 


614 VIa,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


41. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen mit ratio- 
nalen Koeffizienten. Die vorstehende allgemeine Theorie hat H. Poin- 
care'®') angewandt, um die Rekursionsformeln und Differentialglei- 
chungen der durch die Formel (100) definierten Koeffizienten A,, „. 
(und B,„') zu studieren. Anstatt x und y führt er als Integrations- 
variablen & und n durch die Transformation 


z=$&n, y-- 


ein. Dann werden A?, welche Funktion die Rolle von F spielt, und 
2 Polynome von &, &4, n, n"! vom Grade f=2 undo=1 (vo=0 
für B,,,.) mit Koeffizienten, die rationale Funktionen der Keplerschen 


Elemente 
’ ‚ J N 
(114) a, ad, £, &£, tg 9? tg Y tg 5 


sind. Die Koeffizienten A, und B, „. nebst ihren Ableitungen nach 
den Elementen (114) können so durch Integrale von der Form (108) 
ausgedrückt werden. Dabei ist aber zu bemerken, daß 2 für die 
Koeffizienten A, „, und ihre Ableitungen die Indizes m und m’ ent- 
hält. Die Funktion A? erfüllt im allgemeinen Falle die Bedingungen, 
welche dem Polynome F' in Nr. 40 auferlegt wurden. Poincar& ge- 
langt daher zu folgenden Sätzen: 

Zwischen den Koeffizienten B,, „. in der trigonometrischen Ent- 
wicklung von A”! nach den Vielfachen der exzentrischen Anomalien 
existieren lineare Rekursionsformeln mit Koeffizienten, die rationale 
Funktionen der Elemente (114) sind. Mit Hilfe dieser Rekursions- 
formeln können alle diese Koeffizienten D, „, durch 16 unter ihnen 
ausgedrückt werden. 

Jeder Koeffizient B,,„,, als Funktion eines der Elemente (114) 
betrachtet, genügt einer homogenen linearen Differentialgleichung von 
höchstens 16. Ordnung mit Koeffizienten, die rationale Funktionen der 
Elemente (114) sind. 

Jeder Koeffizient A, „. in der trigonometrischen Entwicklung 
von A! nach den Vielfachen der mittleren Anomalien, als Funktion 
eines der Elemente (114) betrachtet, genügt einer homogenen linearen 
Differentialgleichung von höchstens 36. Ordnung mit Koeffizienten, 
die rationale Funktionen der Elemente (114) sind. 

In dem Spezialfalle e= e—0 ist A, „= Bu,m, und diese Koeffi- 
zienten gehen in die Jacobischen b"’ über. Das Polynom A? ist vom 
Grade f= 1 und bleibt unverändert, wenn x und y gleichzeitig ihre 





157) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 127—132. 


41. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen. 615 


Vorzeichen wechseln. Es ist in der Tat'®) 

= a+a?— adu(ey'+arty) — adv(ay+ar'yr)). 
Weiter ist xyA? irreduktibel und besitzt für = (0 einfache Null- 
stellen. Es folgt also der Satz: 

Zwischen den Koeffizienten b’’ und ihren Ableitungen nach «, 
u oder v existieren lineare Rekursionsformeln mit Koeffizienten, die 
«, u, v rational enthalten. Mit Hilfe dieser Rekursionsformeln können 
die b5/ und ihre Ableitungen mittels vieren von ihnen ausgedrückt 
werden. 

Denselben Satz beweist Poincare°®) auch in anderer Weise, in- 
dem er anstatt x und y die Veränderlichen z und w durch die Trans- 


formation 
g=iy"", w—= xy 


einführt. Für den Beweis stützt er sich auf den Umstand, daß A? in- 
variant ist, wenn z durch > oder w durch Z ersetzt wird. 


Bei einem dritten Beweis führt Poincare'), um zu zeigen, daß 
S ein Polynom ist, im Integralausdruck für U die elliptische Funk- 
tion p(w) anstatt x ein. Von den Poincareschen Grundgedanken ge- 
leitet hat übrigens A. Feraud'®') gleichzeitig gezeigt, daß die Zahl 
der linear unabhängigen unter den b’’/ höchstens vier ist. 

Von denselben Prinzipien ausgehend hat ferner A. Feraud'®) auch 
eine Reihe anderer Spezialfälle behandelt und eine obere Grenze für 
die Anzahl der unabhängigen Koeffizienten bei Entwicklung von A! 
nach Vielfachen der exzentrischen Anomalien bestimmt. Dabei hat er 
sich der für jeden Spezialfall charakteristischen Symmetrien des Po- 
lynomes A? bedient. 

Von A. Lambert") sind einige Differentialgleichungen für die 
durch die Entwicklung (61) definierten Koeffizienten b,'’ abgeleitet 
worden. Einer dieser Differentialgleichungen widmete er eine eingehende 
Untersuchung. Diese Gleichung ist 

ı 927 41-1 4°—1 
DIA ARD uxX— yi’ 








(115) 





158) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 136, Nr. 297. 

159) H. Poincare, ibid., p. 132—136. 

160) H. Poincare, Paris Bull. astr. 14 (1897), p. 449—466; 15 (1898), p. 70—71. 

161) A. Feraud, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 369—377. 

162) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 8 (1898), p. 1—66; Auszüge Paris‘ 
C. R. 126 (1898), p. 1402; Paris Bull. astr. 16 (1899), p. 93—101. 

163) A. Lambert, Obs. de Paris ann. 26 (1910), p. CO 1—45. Auszug Paris 
©. R. 144 (1907), p. 183. 


616  VIe, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion 


wo 


3 2-1. , acosJ 
Zi=(1+0)? asinJ).bi), X- Yo : 


& 
1+0? 1+.0? 





Lambert zeigte, wie die Gleichung (115) durch sogenannte 
Moutardsche Transformationen'!®) in die entsprechenden Differential- 
gleichungen für 

Bersrt Bir A Re Fe 


übergeführt werden kann. 

Lambert wendete außerdem das sog. Riemannsche Integrationsver- 
fahren für die Gleichung (115) im Falle «=j= 0 an. B. Riemann!) 
hat, wie bekannt, einen Ausdruck für diejenige Lösung der Gleichung 


(116) a aa, y) 


gegeben, welche auf den beiden Linien >= a und y=b gegebene 
Werte annimmt. Für die Anwendbarkeit dieser Methode ist es nötig, 
die sog. Riemannsche Funktion zu kennen, d.h. eine Lösung 2(2, y; &,, %.) 
mit zwei Parametern x,, y, und mit der Eigenschaft 


2(&9, Y; 2 Y) E 28, Yo; u El. 
Lambert hat die Riemannsche Funktion für die Gleichung (115) im 
Falle <=j = 0 abgeleitet. 


42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differential- 
gleichungen mit eindeutigen Koeffizienten. Es werde wie oben an- 
genommen, daß in der Formel (108) die Integration längs einer ge- 
schlossenen zweidimensionalen Fläche im vierdimensionalen Gebiete 
der komplexen Veränderlichen x und y auszuführen ist. Weiter werde 
angenommen, daß auf dieser Fläche die Funktion unter den Integral- 
zeichen stetig und eindeutig ist. Solange diese Bedingung erfüllt ist, 
behält die sog. Periode II ihren Wert unverändert, wenn auch die 
Integrationsfläche in kontinuierlicher Weise deformiert wird. Es gibt, 
wie bekannt, eine gewisse Anzahl von solchen geschlossenen Flächen 


(117) es A ee 
oder von entsprechenden Fundamentalperioden 
(118) IL, I, ..., I, 


mit der Eigenschaft, daß jede beliebige Periode II eine lineare Kom- 
164) M. Moutard, J. Ecole Polyt. cah. 45 (1878), p. 1—11 (presente a 
l’Acad. 1870). Vgl. Darboux, Theorie des surfaces 2, p. 144. 
165) B. Riemann, Göttingen Abh. der K. Ges. Wiss. 8 (1860) = Werke, 
2. Aufl., p. 156. Vgl. Darboux, Theorie des surfaces 2, p. 71. 


42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen. 617 


bination mit ganzzahligen Koeffizienten dieser Fundamentalperioden ist 
H. Poincare®®) betrachtet nun k + 1 Perioden IT 


(119) mo, I7®, ..., Im@+», 


in welchen die Polynome H oder 2 verschieden, aber das Polynom F' 
und die Integrationsfläche für alle gemeinsam sind. Man kann z. B. 
aus den Koeffizienten A, „.,, B.,m’ und ihren Ableitungen eine Anzahl 


von k +1 beliebig herausgreifen. Die den Flächen (117) entsprechenden 
Fundamentalperioden von II® werden mit 


1,9, I19, ..., 1,0 


bezeichnet. Zwischen den Perioden (119) besteht dann offenbar die 
Rekursionsformel 


12 A 3 ee A, 
(2) (2) (2) \ 


e+D IL0rD .,. nern | 


welche auch in der Form 
I7%+9) = ©1790 + &,1® +... ®,11® 


geschrieben werden kann. Poincar& beweist, daß die Koeffizienten ® 
eindeutige Funktionen der Elemente (114) sind. Dieselben sind in 
der Tat Quotienten aus Determinanten der Ordnung k, die aus den 
k letzten Kolonnen der Determinante (120) gebildet werden. Wenn 
die Elemente (114) einen beliebigen geschlossenen Weg im komplexen 
Gebiet beschreiben, so wird auf jeder Zeile dieser Determinanten eine 
und dieselbe lineare Substitution ausgeübt. Jede von diesen Deter- 
minanten wird dann also mit einem und demselben Faktor multipli- 
ziert. Die Quotienten ®,, ..., ®, sind deshalb eindeutig. 

Wenn die Integrale IT nur algebraische Singularitäten besitzen, 
so sind die Koeffizienten offenbar rationale Funktionen der Ele- 
mente (114). Dieser Fall trifft zu für &—=0. Die Zahl der linear 
unabhängigen unter den B,, „‚ ist aber höchstens 16 im allgemeinen 
und-4, wenn die Exzentrizitäten Null sind. Für die Störungsfunktion 
weiß man daher, daß k<16 in dem allgemeinen Falle, und daß k<4, 
wenn e=ed—=(. 

In dieser Weise hat H. Poincare& den folgenden Satz gefunden: 

Zwischen den Koeffizienten A, „. in der trigonometrischen Ent- 
wicklung von A”! nach den Vielfachen der mittleren Anomalien 
existieren lineare Rekursionsformeln mit Koeffizienten, die eindeutige 





166) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 137—139. 


618 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Funktionen der Elemente (114) sind. Mit ihrer Hilfe können alle 
diese Koeffizienten A, „, durch höchstens 16 unter ihnen ausgedrückt 
werden. Jeder Koeffizient A, „., als Funktion der Elemente (114) be- 
trachtet, genügt außerdem einer homogenen linearen Differentialglei- 
chung von höchstens 16. Ordnung mit Koeffizienten, die eindeutige 
Funktionen dieser Elemente sind. 

Poincare spricht die Hoffnung aus, es werde sich bei dem Auf- 
suchen der Fundamentalperioden zeigen, daß die Ordnungszahl % be- 
trächtlich kleiner als 16 sei. 


VI. Numerische Entwicklungsmethoden. 


43. Unzulänglichkeit der analytischen Entwicklungen. Die 
analytischen Entwicklungen der Störungsfunktion sind für die allge- 
meine Störungstheorie von großer Bedeutung, besonders bei Unter- 
suchungen über die allgemeinen Eigenschaften der Planetenbewegung. 
Aber auch bei Aufgaben von beschränkterer Natur, wenn es sich 
z. B. um die Vorausberechnung der Bewegung der Planeten für einige 
Jahrhunderte handelt, können dieselben von Nutzen sein. Ein großer 
Vorteil ist dabei, daß isolierte Glieder direkt berechnet werden können, 
unabhängig von den übrigen Gliedern. Eine notwendige Voraussetzung 
für die Anwendbarkeit der Leverrierschen und Newcombschen Ent- 
wicklungen ist aber im allgemeinen, daß wenigstens die Exzentrizi- 
täten sehr kleine Größen sind. Für die Bahnen der großen Planeten 
scheint ja diese Bedingung erfüllt zu sein. Aber auch bei diesen 
Hauptplaneten kommt es zuweilen vor, daß gewisse Störungen von 
sehr langer Periode in der Praxis nicht berechnet werden können 
mit Hilfe von Reihen, die nach Potenzen der Exzentrizitäten geordnet 
sind, da die Glieder dieser Reihen im Anfang zu langsam abnehmen. 
Die Exzentrizitäten mancher Asteroidenbahnen sind so groß, daß Ent- 
wicklungen nach Potenzen derselben von vornherein vermieden werden 
müssen. Weiter ist es offenbar, daß solche Entwicklungen bei Unter- 
suchungen über die Bewegungen der Kometen unbrauchbar sind. 

In manchen Fällen müssen deshalb die Koeffizienten der Fourier- 
schen Reihen für die Störungsfunktion und ihre Ableitungen durch 
Methoden berechnet werden, bei’ welchen schon von Anfang an die 
numerischen Werte der Elemente a, u‘, e, e', @, ®, J in die Rech- 
nung eingeführt werden. Es kann übrigens die Frage aufgeworfen 
werden, ob nicht bei allen Bewegungstheorien in unserm Sonnensysteme 
die numerischen Entwicklungsmethoden den analytischen vorzuziehen 
sind, wenn eine der Genauigkeit der modernen Beobachtungen ent- 
sprechende Schärfe der Theorie angestrebt wird. 


44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren. 619 


44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren. Bei 
mehreren dieser numerischen Methoden werden die Reihen zuerst 
nach den Vielfachen einer exzentrischen Anomalie geordnet, weil die 
Distanz A einfacher durch diese Anomalie als durch die mittlere aus- 
gedrückt wird. Um von der Entwicklung einer Funktion nach den 
Vielfachen von E zur entsprechenden Entwicklung nach Multipeln 
von M überzugehen, wird die von ©. @.J. Jacobi!) und P. A. Hansen !“®) 
abgeleitete Formel 


+0 | FR 
(121) ala 2. 6 Dr Aka 


angewandt. Dieselbe folgt leicht aus der Definitionsgleichung 


27 


(122) J, (2) — [eos (E—zsinE)dE, 


27 


durch welche F. W. Bessel'%) die nach ihm benannten Besselschen 
Funktionen J,(z) in die Analyse einführte. 
Infolge (121) können die gesuchten Koeffizienten A; der Reihe 


+» 
Kiss DE 


i=—x 


aus den bekannten Koeffizienten B, der Entwicklung 


+% 
F= Rn KR I 
j=-» 


durch die Formeln 


Mr Sina, se), = 0 
(123) 2 39 


A=B—,(Bı+B,) 


berechnet werden. 


167) C. @. J. Jacobi, J. f. Math. 15 (1836), Nr. 9 (Juli 1835) = Werke 6, 
p- 100. 

168) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 2 (1855), p. 249. 

169) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1824, Nr. 8 = Ges. Abhdl. 1, p. 92. Bessel 
schreibt I! anstatt J,(z2). Für die Theorie der Besselschen Funktionen sei auf 
IA10, Nr. 44—61 (Wangerin) verwiesen. 


620 VIe2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


In ähnlicher Weise findet man durch die Formeln 


+» 
Am ZE-HE-MACAHEN Ben,  HirO 


k,k'=—o 


+0 , | 
id. = Da — k)d,(ie) [Bio —(B_.-ı % Buandadlı 


k=—o 


(124) ® en. 
ÜAow aa D’e—K) I,@e)| Bor-r TR —(B_1#_r + Bien ’ 
a ’+0 
Ay, NER By, an: rn (B_,.o a5 B,,,0) SR © (B,,-ı +B 22) 


“* = B_,-.tB,H4t+t#1-1r B;1,+1) 


die unbekannten Koeffizienten A,., einer Entwicklung 


+» es 
alle DA BT Teen rn 


wU=—ow 


aus den bekannten B, , der entsprechenden Reihe 


+0 
F— SB .Y-1VE+Hr®) 
> R FRE) 
derselben Funktion F'. 

Bei den in (123) und (124) auftretenden Summen brauchen nur 
einige wenige Glieder mitgenommen zu werden, da die Größen J,(ie) 
und J,(e) mit wachsenden |k| und |A’| rasch abnehmen. 

Die Ausdrücke (123) und (124) folgen auch leicht aus folgendem 
Satz von A. L. Cauchy'"°): Der Koeffizient A, von c/-!'# in der Ent- 
wicklung einer Funktion F' nach Vielfachen der mittleren Anomalie 
ist gleich dem Koeffizienten von cV/-1:E in der Entwicklung jeder 
der Funktionen 

ie sin E 1 -liesinz dF 
(1—ecos HE). ”' r; wa ae 
nach Vielfachen der exzentrischen Anomalie. Die erste Hälfte dieses 
Satzes fand Cauchy, indem er im Integralausdrucke für A, als Inte- 
grationsvariable die exzentrische Anomalie statt der mittleren ein- 
führte; die zweite Hälfte erhielt er aus demselben Integral nach par- 
tieller Integration. 


170) A. L. Cauchy, Paris C. R. 12 (1841), p. 88 = (Euvres (1) 6, p. 21. 


45. Zweiter Teil der Störungsfunktion. 621 


45. Zweiter Teil der Störungsfunktion. Von den aus der Theorie 
der elliptischen Bewegung wohlbekannten Formeln 


Zcosv—=cosE—e, —snv—=yl1-— esinE, 
a a 

(125) - d* cos ; a? 7. sin 
ei it Fe 
ig am’ am® 


ausgehend entwickelte F. W. Bessel!"') die auf den linken Seiten 
stehenden Funktionen in trigonometrische Reihen nach Vielfachen 
von M. Die Koeffizienten drückte er einfach durch die Besselschen 
Funktionen aus. Durch Kombination dieser Reihen leitete .Bessel'?) 
für den zweiten Teil 


rcosH 
2 
r 


der Störungsfunktion R die allgemeine Entwicklung nach Vielfachen 
der mittleren Anomalien ab. In diesem Teil der Störungsfunktioh 
kommt offenbar kein konstantes Glied vor, weil derselbe die zweite 
Ableitung einer periodischen Funktion ist. Eine Folge davon ist, daß 
keine säkularen Störungen erster Ordnung aus dem zweiten Teil der 
Störungsfunktion hervorgehen. 

Die partiellen Ableitungen der Störungsfunktion in bezug auf die 
Koordinaten sind lineare Ausdrücke der negativen ungeraden Potenzen 
des Abstandes A mit Koeffizienten, die aus den durch die Formel (94) 
entwickelten Funktionen zusammengesetzt sind. Die Ausdrücke der 
in der Praxis vorkommenden Ableitungen sind von P. A. Hansen!"®) 
und @. W. Hill!) abgeleitet. Von den dabei auftretenden Funktionen 
von der Form (94) können außer den Funktionen (125) noch mehrere 
andere mit Hilfe der Besselschen Funktionen nach Vielfachen von M 
(oder M’) entwickelt werden. !??) 175) 176) 

Die im folgenden behandelten numerischen Entwicklungsmetho- 
den beziehen sich nur auf die Entwicklung der Funktionen A-*. 


171) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. (1824), Nr. 4, 8 = Ges. Abh. 1, p. 88, 93. 

172) F. W. Bessel, ibid., p. 89, 983. 

173) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 5 (1856), p. 120. (Auseinander- 
setzung 1. Abhdl., p. 120.) 

174) @. W. Hill, Wash. Astron. Papers 4 (1890), p. 66, 201 —= Works 3, 
p. 66, 201. 

175) F. W Bessel, Astr. Nachr. 14 (1837), p. 33—36 — Ges. Abh. 1, p. 46, 47. 

176) H. Poincare, Lecgons 2, (1907), p. 24—26. Siehe auch F Tisserands 
Traite 1 (1889), p. 224—227. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 41 


622 vil2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


46. Entwicklungsmethode von Jacobi. Von (. @. J. Jacobi!'”) 
rührt eine Entwicklungsmethode her, welche eine mittlere Stellung 
zwischen den analytischen und den numerischen Methoden einnimmt. 
Jacobi entwickelt A" nach Vielfachen der exzentrischen Anomalien. 
Er setzt 
(126) = +6, 
wo Ö nur Glieder zweiten Grades in bezug auf die Exzentrizitäten 
und die Neigung enthält. Als Voraussetzung wird angenommen, daß 
die Entwicklung von A! nach Potenzen von Ö rasch genug kon- 
vergiert. Die Funktion ö wird so gewählt, daß 


A = H’{1+9?+Y"”— 27 cos (E— E+B—B’) — 2y’eos (E’+B’) 


+2yy’eos(E+B)} 
= H’(1— y»—Yyı)l—ya!— yet), 
wo ; 


7 


IlEnE Se; 
PETER A 1(E +B u 


u EIETUEeN: 
während H, y, y’, B, B’ konstante von den Bahnelementen abhängige 
Größen sind. Ihre analytischen Ausdrücke hat F' Tisserand""®) gegeben. 

Die Entwicklung von A-” wird infolge (126) auf die einfacheren 
Entwicklungen von A,-", A,""3, ... zurückgeführt. 

H. Poincare‘“”) hat in eleganter Weise die Zerlegung von A? 
durchgeführt. Er hat außerdem bemerkt, daß der Koeffizient von #*2* 
in der Entwicklung von A,-”, von einem Faktor C,,y*y”* abgesehen, 
eine Appellsche hypergeometrische Reihe der Veränderlichen p? und p”? 
ist. Die genannten Reihen können nach Potenzen von y’?, die eine 
kleine Größe zweiten Grades in bezug auf die Exzentrizitäten und 
die Neigung ist, entwickelt werden. Dabei treten als Koeffizienten 
die gewöhnlichen hypergeometrischen Reihen von y? auf, welche in 
analoger Weise wie die Laplaceschen Koeffizienten berechnet werden 
können. Jacobi waren die Appellschen Reihen unbekannt. Seine etwas 
abweichende Analyse für die Entwicklung von A,-* findet man in den 
schon angeführten Arbeiten. 177)178) 

Der Übergang zur Entwicklung nach Vielfachen der mittleren 
Anomalie geschieht numerisch mit Hilfe der Formeln von Nr. 44. 


47. Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwick- 
lungen durch mechanische Quadratur. In schwierigeren Fällen 


177) 0. @. J. Jacobi, Astr. Nachr. 28 (1848), p. 65—94 = Werke 7, p. 145—174. 
Auszug Berl. Ber. (1843), p. 50 = Werke 7, p. 9. 

178).F. Tisserand, Trait& de mec. c&l. 4 (1896), ch. 18, p. 301—311. 

179) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 148—145. 


47. Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwicklungen. 623 


können die schon erwähnten Entwicklungsmethoden unbrauchbar 
werden, obwohl die trigonometrische Entwicklung der Störungsfunk- 
tion gut konvergiert. Solche Fälle treten häufig auf, wenn es sich 
um die Berechnung der Störungen der kleinen Planeten durch Jupiter 
handelt. Für die numerische Bestimmung der Koeffizienten in den 
Fourierschen Reihen für R und ihre Ableitungen wird dann die Me- 
thode der mechanischen Quadratur von großer Bedeutung. 
Die Koeffizienten C, in der trigonometrischen Entwicklung 


+0 
(127) Yy - 0 A 
i=—-o 


einer periodischen Funktion y(w) sind, wie bekannt, durch die Formel 
9x 
EU BR er 
Ge. |y.e du 
0 
gegeben. Wo die Integration nicht analytisch ausgeführt werden 
kann, ist sie doch stets wenigstens wenn y endlich ist, mit Hilfe von 
mechanischer Quadratur möglich. Am einfachsten wird der Integrations- 
weg in gleiche Teile zerlegt. Wenn %,, %,--:, %,_, die bekannten 


x = 2u 28: n . 
Werte von y sind füra=0, —,..., n— 1), ist näherungsweise 


1 EV 
(128) = De Y E73 4 


Die exakte Formel wird erhalten, indem der linken Seite das Kor- 
rektionsglied 
19) Bd t+ int t 
hinzugefügt wird. Dieses Glied wird im Verhältnis zu CO, beliebig 
klein, wenn, für ein gegebenes ö, » hinreichend groß gewählt ist. 
Diese Methode zur Berechnung der Koeffizienten trigonömetrischer 
Entwicklungen wurde schon von L. Euler“) angewandt bei seiner 
Bestimmung der säkularen Störungen von Jupiter und Saturn. In 
derselben Weise berechnete später A. Clairaut!®!) einige periodische 
Störungen der Sonnenbewegung. 
Später wurde _die Anwendung der Formel (128) auch von F\ W. 
Bessel'®?) und P. A. Hansen'*?) befürwortet. Die besonders einfachen 





180) L. Euler, Sur les inegalit6s du mouvement de Saturne et de Jupiter; 
Paris 1749, $ 29, p. 30. 
181) A. Clairaut, Paris hist. (2) mem. 1754 (59), p. 546 (Juli 1757). 
182) F. W. Bessel, Jenaische Literatur-Zeitung (1814), p. 412; Königsb. 
41* 


624 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion 


Fälle, wo n== 16 oder 32, wurden von P. A. Hansen‘) in seiner 
Untersuchung über die gegenseitigen Störungen des Jupiter und 
Saturn eingehend behandelt. In seiner Auseinandersetzung'®) usw. hat 
er Rechnungvorschriften für die Fälle » = 12, 16, 24, 32 gegeben. 
Weiter findet man in den Arbeiten von U. J. J. Leverrier'**) detallierte 
Formelsysteme für n = 8, 16, 32. Endlich hat auch C. Runge'?”) be- 
queme Rechnungsmethoden für n = 12 und 24 veröffentlicht. Vgl. 
auch den Artikel II A 9a (Burkhardt), p. 685. 

Für die Bestimmung eines geeigneten n schlägt F. W. Bessel'?®) 
die Methode von P. 8. Laplace'°”) vor, durch welche Integrale, die 
sehr große Zahlen enthalten, geschätzt werden können. (Vgl. im folg. 
Kap. VIII) 

Auch die in der trigonometrischen Entwicklung 


(130) v- Do, Re 


WW =—n 


einer periodischen Funktion y(u,«u’”) von zwei Veränderlichen auf- 
tretenden Koeffizienten C,,, welche durch Doppelintegrale gegeben 
sind, können mit Hilfe mechanischer Quadraturen berechnet werden 
Der angenäherte Ausdruck für O,, wird dann 


n—-1n—1 


Q,; ni ” 2 Zn ler (ar v7 =), 


=0 #=0 
? .. 27 . 
wo Y,„ den Wert von y für v= Er W= k—,; bezeichnet. 
’ N n 


Diese Methode zur Berechnung von Doppelintegralen wurde von 
F. W. Bessel!”) empfohlen. Aber P. A. Hansen'®) war.der erste, 
welcher in größerer Ausdehnung ausgeführte doppelte mechanische 


Beob. 1 (1815), p. III = Ges. Abhdl. 2, p. 25; Berl. Abhdl. für 1816—17, p. 49 = 
Ges. Abhdl. 1, p: 18; Astr. Nachr. 6 (1828), p. 336 —= Ges. Abhdl. 2, p. 366. 

183) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 7 (1829), p. 475—478. 

184) P. A. Hansen, Untersuchung über die gegenseitigen Störungen des 
Jupiter und Saturn, Berlin (1831), p. 49—57. 

185) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 5 (1856), p. 158—165. (Aus- 
einandersetzuug 1. Abh., p. 158—165.) 

186) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 107—118, 137—151. 

187) C. Runge, Zeitschr. für Math. u. Physik 48 (1903), p. 443; 52 (1907), 
p- 117; Göttingen, Nachr. der K. Ges. Wiss. (1908), p. 275. 

188) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1820—21, p. 56 = Ges. Abhdl. 2, p. 363. 

189) P. S. Laplace, Tu6orie analytique des probabilites, 2° &d. Paris (1814), 
2° partie, 1° ch. = (Euvres 7. 

190) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1820—21, p. 55 = Ges. Abhdl. 2, p. 362. 


48. Methode von Liouville. 625 


Quadraturen veröffentlichte. Er berechnete in dieser Weise die Koeffi- 
zienten in den trigonometrischen Entwicklungen von A-!, A-°? und 
A-5 im Falle Jupiter-Saturn. Dabei teilte er der Differenz M — M’ 
der mittleren Anomalien 32 Werte und der mittleren Anomalie M’ 
Saturns 16 Werte zu. Dieselbe Methode war übrigens schon 1811 von 
C. F. Gauß?') in Anwendung gebracht worden bei seiner erst neuer- 
dings veröffentlichten Berechnung der allgemeinen Störungen der Pallas 
durch Jupiter. Den Umkreis teilt Gauß für M — M’ in 48, für M 
in 24 Teilen. 


48. Methode von Liouville. J. Liouville'”?) hat gezeigt, wie 
Koeffizienten von hohem Grade in der Entwicklung der Störungs- 
funktion mit großer Annäherung durch einfache Integrale gefunden 
werden können. Unter der Annahme, daß ö und :’ für den gewünschten 
Koeffizienten relative Primzahlen sind, führt Liouville in die Reihe (130) 
statt u und w’ zwei neue Variable 6 und 9 ein gemäß den Gleichungen: 


i - (7 
u=—io, w=i Hr, 


woraus sich noch ergibt 
in+iW=9. 


y(u,w') wird dann eine periodische Funktion von 6 mit der Periode 2x. 
Das von o unabhängige Glied in der trigonometrischen Entwicklung 
von y nach Vielfachen von 6 ist 


+9 2n 
> 1 1 ne (7) 
0 


p=-»2 

3% 
ah 
und erhält dann, infolge der Formeln (128) und (129), die Gleichung 


= 70 va) + Viel) rl} 9 


Bu O_3,,-3% "F RER #4 C_14,-10 + Qy,9r + ie 


Wenn y die Störungsfunktion, u und «’ die mittleren Anomalien be- 
zeichnen, so ist O,, vom Grade |+| in bezug auf die Exzentrizi- 
täten und die Neigung. Das Korrektionsglied ö ist vom Grade |3:+ 3?| 
und wird deshalb oft vernachlässigt werden können. 


Dem Argumente @ erteilt Liouville die vier Werte 9=0, —, z, 


wo 


191) ©. F. Gauß, Ges. Werke 7 (1906), p. 489—564 (Nachlaß). 

192) J. Liouville, J. de Math. 1 (1886), p. 197. Auszug Paris C. R. 2 (1836), 
p. 217. Siehe auch Poissons Rapport über Liouvilles Arbeit Paris C. R. 2 (1836), 
p. 394. 


626 VIa,13. H.v. Zeipel.: Entwicklung der Störungsfunktion. 


Die Integration in bezug auf o, um die erforderlichen Werte 


von %(6) für 0 =0, - z, 3” zu erhalten, kann durch mechanische 


2 

Quadratur ausgeführt werden. Dabei muß aber 2x in sehr viele Teile 
zerlegt werden; denn die trigonometrische Entwicklung von A! nach 
Vielfachen von o konvergiert nur langsam. 


49. Trigonometrische Interpolationsmethode von Leverrier. Um 
die Schwierigkeiten zu umgehen, welche in der geigneten Bestimmung 
von n in der Formel (128) stecken, hat U.J.J. Leverrier'?®) vorgeschlagen, 
die Funktion y(w) für äquidistante Werte v=0, rt, 2r,..., 2nr zu 
berechnen, wo r mit 2% inkommensurabel ist. Aus den Gleichungen 


+n 

(130) Be>C.. ie01., 8 

eliminiert Leverrier nacheinander C,, C;,, C;, usw. und findet schließ- 
lich analytische Ausdrücke für C, und C_,. Wenn diese Koeffizienten 
nicht klein genug sind, so ersetzt er » durch ein größeres »’. Dabei 
werden die Ausdrücke für CO, und O_,, ebenso leicht gewonnen, wie 
wenn man von Anfang an n’ anstatt n gewählt hätte. Wenn die C,„ 
klein genug sind, so werden die folgenden Koeffizienten vernachlässigt. 
Darauf geben die Leverrierschen Formeln rückwärts analytische Aus- 
drücke für Oyw_1» Oiw-ap ---, Orr, Co. Leverrier hat in eingehen- 
der Weise die Formeln numerisch entwickelt in dem Falle r = 42° 14’ 
und n=20. J. F. Encke‘”*) hat die Darstellung Leverriers veran- 
schaulicht durch Einführung von trigonometrischen Funktionen anstatt 
der Exponentialfunktion. Endlich hat G. J. Houöl!”) mit Anwendung 
von Determinanten die Gleichungen aufgelöst, welche aus (130) durch 
Einführung vonk=0, +1, +2,..., +» entstehen. 

U. J. J. Leverrier'**) hat seine Interpolationsmethode angewandt, 
um die große Ungleichheit vom Argumente 18 M’— 7M, welche in 
der mittleren Länge von Pallas infolge der Einwirkung Jupiters auf- 
tritt, zu berechnen. Um die beiden erforderlichen Glieder in der Ent- 
wicklung von A-! zu finden, berechnete Leverrier diese Funktion 
für die Werte 0, r, 2r, ..., 407 (r=42°14’) der mittleren Länge 


193) U. J. J. Leverrier, Developpements sur plusieurs points de Ja theorie 
des perturbations des planttes, Paris (1841), p. 1—29. Obs. de Paris ann. 1 (1855), 
p. 384—397, 

194) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. (1860), p. 313 = Ges. Abhdl. 3, p. 188. 

195) @. J. Houel, Obs. de Paris ann. 8 (1866), p. 83—130; Rapport Paris 
C. R. 53 (1861), p. 880. 

196) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 397—418 


50. Cauchys gemischte Methode. 627 


von Pallas und für die Werte 0°, 5°, 10%, ..., 355° der mittleren 
Anomalie von Jupiter. 

50. Cauchys gemischte Methode. Die Berechnung der Koeffi- 
zienten in der trigonometrischen Entwicklung von A” dutch mecha- 
nische Doppelquadraturen ist eine ziemlich verwickelte Aufgabe. Glück- 
licherweise gibt es eine bequemere Methode, bei welcher man mit 
einer einfachen mechanischen Quadratur auskommt, indem die andere 
Quadratur analytisch ausgeführt wird. Auf die Möglichkeit einer 
solchen gemischten Methode hat schon F. W. Bessel'””) hingewiesen. 
Er dachte dabei an eine Verallgemeinerung der Gaußschen Theorie 
der Säkularstörungen erster Ordnung. Der Gedanke Bessels wurde in- 
dessen nicht ausgeführt. Aber eine in derselben Richtung gehende 
Methode wurde 25 Jahre später von A. L. Cauchy'?®) aufgestellt. Cauchy 
hat dieselbe angewandt, um den von Leverrier berechneten Wert der 
großen Ungleichheit in der mittleren Länge von Pallas zu kontrol- 
lieren. Auf Aufforderung von Leverrier hat V. Puiseux'?”) eine zusam- 
menfassende Darlegung der Methode gegeben. Endlich hat J. Bourget?®), 
von den Ideen Cauchys geleitet, vollständige Formeln für die Ent- 
wicklung der Störungsfunktion und ihre partiellen Ableitungen gegeben. 

Cauchy geht von der Entwicklung 


+0 

At DE "el 
aus. Für A®, betrachtet als Funktion von y=c/-1F, gilt der ein- 
fache Ausdruck 
(131) M=4A+By+-By'+CcY+Cy®, 
wo A, B,..., ©’ in bekannter Weise von E abhängen. Darauf gründet 
sich die Möglichkeit, die Koeffizienten B, in analytischer Form zu 
geben, wie gleich gezeigt werden wird. Mit Hilfe der analytischen 
Ausdrücke für B, werden nun die Werte dieser Koeffizienten für 
äquidistante Werte von E berechnet. Durch Anwendung der Formel 


+% 
An Dr Ilm e) Buy, 
k=—-o 


197) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1820-21, p. 55 = Ges. Abhdl. 2, p. 363, 364. 

198) A. L. Cauchy, Paris C. R. 18 (1844), p. 625; 19 (1844), p. 1228; 20 
(1845), p. 769, 825 — (Euvres (1) 8, p. 168, 348; 9, p. 124, 141. 

199) V. Puiseux, Obs. de Paris ann. 7 (1863), p. 165—235. Vgl. auch Tisse- 
rand, trait6 4 (1896), ch. 17, p. 278300. 

200) J. Bourget, Obs. de Paris ann. 7 (1863), p. 263—300. Vgl. auch Fr. Faä 
de Bruno, Paris thöse 1856; Berger, Toulouse thöse 1863; J. Hou&l, Obs. de Paris 
ann. 8 (1866), p. 131 und Prag Archiv 1 (1875). 


628 VIa,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


[vgl. (123)] folgt weiter der Koeffizient A,, in der Reihe 
+0 
(132) At >> A 


für die BEER Werte von E. Der gesuchte Koeffizient A, „ 
in der Entwicklung (97) nach den Vielfachen von M und M’ wird 
schließlich aus dem Integrale 


97 
RER -Y-1imM PIcR 
Au, -[Ane (1—ecosE)dE 
ö 


durch eine einzige mechanische Quadratur erhalten. 
Die analytischen Ausdrücke für die Koeffizienten B, selbst findet 
Cauchy in folgender Weise. In der Formel (131) ist 


CC’ 1a’eR. 
A ist reell, B und B’ sind konjugierte komplexe Größen. Die Wurzeln 
der Gleichung A? = 0 sind deshalb von der Form 
,‚ u 1 2: ’ Pa GW, I... ’ 
(133) ee, Zenie ße Kr, F° Fre, 


’ 
(wO<f<Wd<|) 

woraus folgt, daß 
DT — 20’ 00 (Ey) + a1 — 2 000 (E+y) +87). 

Die von E abhängigen Größen «’, ß’, 9 werden durch Auflösung 
einer Gleichung dritten Grades mit reellen Wurzeln erhalten (siehe 
z. B. Tisserands Traite 4, p. 283). Die Koeffizienten dieser Gleichung 
sind einfäche trigonometrische Funktionen von E. Man kann auch 
die Gleichung dritten Grades vermeiden und die Größen a’, ß’, @’ nach 
Potenzen der kleinen Größe C = 4a’?e’? entwickeln (siehe z. B. Tisse- 
rands Traite 4, p. 285—287). Dabei können Schwierigkeiten auftreten, 
wenn « sehr nahe = 1 ist. Wie man dieselben umgehen kann, hat 
Ch. Trepied?'*) gezeigt. 

Nach Entwicklung der beiden von E’ abhängigen Faktoren von 
A! nach den Vielfachen von E’ findet Cauchy für B, den analytischen 
Ausdruck 


in 
Ei Veh >, #9 (0), (BP). V-iei-ng, 
i=—-» 


in welchem die von «’ und ß’ abhängigen Laplaceschen Koeffizienten b,® 
auftreten. 


201) Ch. Trepied, Paris C. R. 90 (1880), p. 1474. 


51. Entwicklung von Hansen. 52. Elimination von E'. 629 


5l. Entwicklung von Hansen. Die gemischte Methode wurde 
von P. A. Hansen®”) in zwei Hinsichten vereinfacht. Analytisch ent- 
wickelt er nach den Vielfachen von E’— E. Die Entwicklung der 
Koeffizienten nach Vielfachen von E durch mechanische Quadratur 
wird dann einfacher als die entsprechende Entwicklung bei Cauchy. 
Weiter vermeidet Hansen die Auflösung von A? in zwei Faktoren. 

Mit Einführung der Bezeichnungen 


N=-A+ Te 5 BerE a are? Ir Re N 


4 
wird infolge (131) | 
ä A=A +0. 


Unter der Voraussetzung, daß ö: A; eine kleine Größe ist (wie im all- 
gemeinen in der Praxis), entwickelt Hansen A=” nach Potenzen von Ö 
und wird so auf die Entwicklung der einfacheren Funktionen A), 
Ar, As°, ... geführt. Er setzt 


A) = Mf1 + 0? — 20 cos (E’— F)] 


und findet 
+9 
ne “ ne Pl en 
wo v 


a0 _ Am togerzur-n 


Die Größen M, 6 und F— E, und also auch die ®.” sind 
periodische Funktionen von E. In der Entwicklung 


+0 
BUN BEN VIE 
n ; 2 n 
ist RN vom Grade j in bezug auf die Exzentrizitäten und die Neigung. 
Die Berechnung dieser Koeffizienten ar durch mechanische Quadra- 
tur ist deshalb eine einfache Aufgabe. 
In dieser Weise findet Hansen für A”, Ar"-3,... Entwick- 
lungen nach Vielfachen von E und E’. Nach Multiplikation mit den 
Potenzen von Ö ergeben sich für A" ähnliche Reihen. 


52. Elimination von E’. In seiner Theorie der kleinen Planeten 
wählt Hansen als unabhängige Veränderliche die exzentrische Ano- 
malie E des gestörten Planeten. In den nach den Vielfachen von E 


202) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 3 (1857), Nr. 64, p. 157; Nr. 68, 
p. 167. (Auseinandersetzung 1. Abh., p. 157, 167.) 


630 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


und E’ fortschreitenden Reihen führt er?) zuerst die mittlere Ano- 

malie M’ anstatt E’ ein. Darauf substituiert er für M’ den Ausdruck 
M=-—M+ = E—Ze sin E, 

wo 


E=-#E+0 


ist [a und n’ sind die mittleren Bewegungen, © eine Konstante]. In- 
folge dieser Umformungen geht z. B. die Reihe 


(134) A BE eV -imE+m'E)) 
in eine andere 
(135) At 3 eV -imE+m’E,) 


über. Durch die Formeln 


m Cm = Diem — kJ, (- E m’e) J(m’e) B„_ı,m_-r; m’ +0 


k,k'=—o 
C„o Sun Bo BR 5 (Bis “> DB.) 


in welchen wieder die Besselschen Funktionen auftreten, können die 
Koeffizienten der Reihe (135) aus, denjenigen der Reihe (134) be- 


rechnet werden. 


53. Anwendung der elliptischen Funktionen. C. V. L. Charlier?%) 
betrachtet A-” als periodische Funktion von E (oder E”) und E— E’ 
und macht darauf aufmerksam, daß die Entwicklung nach den Viel- 
fachen von E (oder E’) analytisch ausgeführt werden kann, während 
die dabei auftretenden Koeffizienten mit Hilfe mechanischer Quadratur 
nach Vielfachen von E— E’ entwickelt werden können. Die Glieder 
der analytischen Entwicklung nehmen dann rasch ab, denn der Koef- 
und die Neigung. Man braucht deshalb nur wenige Werte von k in 
Betracht zu ziehen. Im Anschluß an die Theorie von C. F. Gauß®®) 
über die Säkularstörungen drückt Charlier?®) die Koeffizienten mit 
den Indizes k=0, +1, +2 in der Entwicklung von A-? mit 
Hilfe zweier elliptischer Integrale, mit von E — E’ abhängendem 


208) P. A. Hansen, ebd. Nr. 69, p. 169; Nr. 74, p. 180. 

204) C. V. L. Charlier, Stockholm K. Vet. Akad. Handlingar 22, Nr. 2 
(1887), p. 11. 

205) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 4 (1818) = Werke 3, p. 831—355. 

206) ©. V. L. Charlier, Stockholm K. Vet. Akad. Handlingar 22, Nr. 2 
(1887), p. 19. 


53. Anwendung der elliptischen Funktionen. 631 


Modul, aus. Die mechanischen Quadraturen, durch welche die Koeffi- 
zienten der vollständigen Reihe gefunden werden, werden jedoch bei 
Charliers Vorschlag komplizierter als bei Hansen. 

H. Poincare®°) hat vorgeschlagen, die Koeffizienten der Reihe 


A" = IB" eV Im’ E' 


mit Hilfe der elliptischen Funktionen von Weierstraß zu berechnen. 
In der Formel 








RE. ee.” 
"gay ß 
> (y’A®)? 
vI=1 


genügt die Beschränkung auf Werte m’<0, denn die ur und B. 
sind konjugiert komplexe Größen. Von den Wurzeln (133) der Glei- 
chung y?A?—= 0) werden die inneren mit «, ß; die äußeren mit y, Ö 
bezeichnet. Poincare setzt 

y a, 2=p() 
und bestimmt die Größen s, s’ in der Weise, daß 

dy Sa dz 

V-1Vy -)y-AYy-NW-N Var g2—g 


Die Größen s und s’ sowie die Wurzeln e,, &,, e, der Gleichung 


= du. 











4 — 98 — 90 
werden dann einfache rationale Funktionen von «, ß, 7, d. Die Wur- 
zeln e,, e,, e; sind übrigens reell. In dieser Weise findet man 


2m, 


(136) 2 zu ol" (pu— Ss)" (pu)”"t"du, 
0 


wo ® eine rationale Funktion von «, ß, y, d bezeichnet. 

Die elliptische Funktion Fu) unter dem Integralzeichen wird 
unendlich nur für u= 0, @,, @, ©, +%,, wo p(o, ya „=1,2,3) 
und p(u,) = s. Weiter u F(— u) = F(u), F(o,— u) = F(o,+ u). 
Nach der Theorie der elliptischen Funktionen ist das in (136) vor- 
kommende Integral linear zusammengesetzt aus den ee 

2a 20, 


Ja — 20, f (u)du = 27,, 6 (uto)du=2n, 


ee rien 





207) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 151—153. 


632 VIse, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Sei noch: 
= Ww+VY— 1w. 


(a’e)" B" 


74 


Die Koeffizienten 


sind aus den vier reellen Transzendenten 


’ „ 
O,, Ni Nor No 
linear zusammengesetzt mit Koeffizienten, die rational in «a, ß, 
y, Ö sind. 


Wenn 
Im] <n, 


treten übrigens nur @, und n, in den Koeffizienten auf. 
. Für die Berechnung der Transzendenten @,, 7, und «, hat H.A. 
Schwarz?®) sehr bequeme Formeln zusammengestellt. 


54. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. Die in den vorigen 
Nummern erwähnten Methoden stehen in enger Beziehung zu der von 
C. F. Gauß?®) gegebenen Methode zur Berechnung der säkularen 
Störungen erster Ordnung in den Bahnelementen von Planeten oder 
Kometen. 

Diese Störungen treten in folgender Form auf 

9n 9r 


(137) Jfw us +7 -+w% GG )dMaM.. 


Hier sind A, B, C die rechtwinkligen Koordinaten des gestörten Kör- 
pers; U, V, W sind unabhängig von der Lage des störenden Planeten 
in seiner Bahn, d. h. unabhängig von der mittleren Anomalie M’. Als 
A- und B-Achse wählt Gauß die Hauptachsen der Bahnellipse des 
störenden Körpers. Für A? gilt dann der einfache Ausdruck 

= (A— adcosE)% + (B—b’sinE’)?’ +0? wdb=ayl— e*. 
Gauß zeigt, wie die Integration in bezug auf M’ ausgeführt werden 
kann mit Hilfe von elliptischen Integralen erster und zweiter Gattung. 
Dieses von Gauß gelöste Problem fällt offenbar mit dem Problem zu- 
sammen, die Attraktionskomponenten eines materiellen Ringes zu be- 
stimmen, welcher entsteht, wenn die Masse des störenden Planeten 
längs seiner Bahn verteilt wird im Verhältnis der Zeiten, in welchen 
der Planet die verschiedenen Teile seiner Bahn beschreibt. Nach Ein- 
führung der exzentrischen Anomalie E’ anstatt M’ nehmen die ge- 


208) H. A. Schwarz, Formeln und Lehrsätze zum Gebrauche der elliptischen 
Funktionen, Göttingen (1885), Nr. 45, p. 61; Nr. 49, p. «0. 


54. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. 633 


nannten Attraktionskomponenten die Form der partiellen Ableitungen 
in bezug auf A, B, C der Funktion 


ie cos E’) ‚ 
fi A dE 


0 
an. 
In die so entstehenden Integrale führt Gauß anstatt E’ die Va- 


riable 7’ ein, indem er setzt 
HesE—=«+ «cos T+«”sinT, Ei ET sin T, 
H=y-+yeosT-+y'sinT. 
Die Koeffizienten «, «, ..., 7” werden durch die Bedingung 
IPA! — G + @co®?7T + @"sin®7T 


bestimmt. Diese Bestimmung ist möglich, wenn @, — @’, — @” die 
Wurzeln der Gleichung 

A? B? 0! 
(138) ee +—=l 
sind. Gauß zeigt, daß die Wurzeln dieser Gleichung reell sind, und 
daß eine positiv, zwei negativ sind. Die Koeffizienten «, «', ..., y” 
sind alle reell, wenn die Größen G, @’, @” so gewählt werden, daß 
keine von ihnen negativ ist, was hiernach immer möglich ist. Infolge 
der von Gauß eingeführten Transformation ist 


HaE = +dT. 


Für die Attraktionskomponenten des Ringes bekommt Gauß so 
Ausdrücke, die aus den beiden elliptischen Integralen erster und zweiter 
Gattung mit dem Modul 


(139) M— 


linear zusammengesetzt sind. 

Nach vielen Jahren wurde das von Gauß behandelte Problem 
wieder von E. Bour?) aufgenommen. Dieser betrachtet den Kegel, 
welcher die Bahn des störenden Planeten als Basis und die Lage des 
gestörten Körpers als Spitze hat, und findet so die geometrische Be- 
deutung der von Gauß eingeführten Größen. Die Gleichung des Kegels 
in bezug auf die reg desselben ist 


2? 
@ +. 


Weiter ist 7’ die exzentrische Anomalie in der Hauptellipse des Kegels. 
Eine elegante Ableitung der von Gauß gewonnenen Resultate hat 





BR 
FG 





209) .E. Bour, J. de l’&cole polytechnique cah. 36 (1856), p. 59— 84. 


634 VI», 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


G. H. Halphen®'®) geliefert. Wie Bour, legte er die Koordinatenachsen 
durch den angezogenen Punkt und parallel mit den Hauptachsen des 
schon betrachteten Kegels. Aber außerdem führte Halphen in die 
Integrale 


27 97 ER 
(140) X, ee, Yy, = A Z, ee, 
0 ö ö 

wo A=2°+y?+ 2°, anstatt dM’ das vom Radiusvektor beschrie- 
bene Flächenelement do durch die Formeln 

dM’ _ de 

2% na'b’’ 

2hdo = a,(ydz— zdy) + y,(ede— zde) + 2,(e dy— ydı) 

ein, wo h den Abstand des gestörten Körpers von der Bahnebene des 
störenden Planeten, x,, Y%9, 2, die Koordinaten der Sonne bezeichnen. 
Die Integrale (140) werden dann, von dem Faktor (2xha’b)-! ab- 
gesehen, 


x(ydz — zdy) "ylede— xd2) 2(cdy— ydı) 
Top ‚3 ‚ % I OR A 2) A: ® 


Ihr Werte verändern sich nicht, wenn anstatt der Bahnellipse des 
störenden Planeten eine Hauptellipse des Kegels als Integrationskurve 
gewählt wird. Man kann deshalb setzen 











z=YV@cosT, y=-YG’snT, s=YVG. 
In dieser Weise werden die Attraktionskomponenten (140) sehr ein- 
fach durch die vollständigen Integrale erster und zweiter Gattung 
mit dem Modul (139) ausgedrückt. 

G. H. Halphen?'‘) hat auch eine andere Form für die Lösung 
des Problems von Gauß gegeben, in welcher die von Weierstraß 
eingeführten Perioden ®, und n, der elliptischen Integrale erster und 
zweiter Gattung auftreten. Er hat dann auch gezeigt, wie die Attrak- 
tion des Ringes vollständig berechnet werden kann ohne Auflösung 
der Gleichung dritten Grades von Gauß. 

Dieser Umstand hängt mit einem von ZH. Bruns?"?) bewiesenen 
Satze zusammen. Bruns hat nämlich gezeigt, wie die Fundamental- 
perioden ®,, @,, 21, Ns der elliptischen Integrale erster und zweiter 





210) @. H. Halphen, Traite des fonctions elliptiques 2 (Paris 1888), p. 310—316. 
Vgl. Tisserands Trait6 1, p. 431—440. 

211) @. H. Halphen, ibid., p. 316—328. Auszug Paris C. R. 103 (1886), 
p: 363. 

212) H. Bruns, Über die Perioden der elliptischen Integrale erster und 
zweiter Gattung, Dorpat 1875. 


54. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. 635 


Gattung mit Hilfe der Invarianten 9, und 9, einfach ausgedrückt 
werden können. Die dabei auftretenden Transzendenten sind hyper- 
geometrische Reihen, in welchen das vierte Element nur von der 


absoluten Invariante 
2 
I 





abhängt. 

Die in dieser Nummer erwähnten Arbeiten hatten hauptsächlich 
den Zweck, die Attraktionskomponenten des elliptischen Ringes zu 
bestimmen. Um die Methode von Gauß für die Störungsrechnung 
fruchtbar zu machen, blieb noch übrig, die Rechenvorschriften auf- 
zustellen, durch welche die zweite Integration in (137) ausgeführt 
werden konnte. Bei dieser Integration ist man offenbar auf die mecha- 
nische Quadratur angewiesen. Anstatt M wird die Anomalie E als 
Integrationsvariable eingeführt. Einige der nötigen Formeln wurden 
von H. Seeliger?!) abgeleitet. @. W. Hill?) gibt eine für die nume- 
rische Rechnung bequeme Zusammenstellung nebst Tafeln, um die 
Berechnung einiger Kombinationen von elliptischen Integralen zu er- 
leichtern. Auch O. Callandreau?"°) und R.T. A. Innes?'°) haben ähn- 
liche Tafeln publiziert. Nach den Untersuchungen Halphens hat G@. W. 
Hül”"')®) die Frage von neuem aufgenommen. Für die Berechnung 
der elliptischen Integrale empfiehlt Hill in diesen Arbeiten die be- 
kannten #-Reihen. Infolge der sehr raschen Konvergenz dieser Reihen 
sind Tafeln beinahe zwecklos. In Anschluß an die eben erwähnten 
Arbaiten von Bruns und Halphen haben L. Arndt?!) und R.T. A. Innes®?°) 
vollständige Formeln gegeben, mit deren Hilfe die Säkularstörungen 
ohne Auflösung einer Gleichung dritten Grades gefunden werden können. 
Für die Berechnung der in den Ausdrücken für ©, und n, auftreten- 
den zwei hypergeometrischen Reihen findet man ausführliche Tafeln 
in Arndts Arbeit. Für die von Innes angewandten analogen hyper- 


213) H. Seeliger, Astr. Nachr. 94 (1878), p. 1—30. 

214) @.W. Hill, Wash. Astr. Papers 1, (1882), p.317—361 = Works 2, p.1—46. 
Referat von H. Seeliger, Astr. Ges. Vjs. 17 (1882), p. 169. 

215) O. Callandreau, Obs. de Paris ann. 18 (1885), p. A 1—46. 

216) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 54 (1894), p. 289—296; 
Errata p. 401. 

217) G. W. Hill, American J. of Math. 23 (1901), p. 317—336 — Works 4, 


p. 219 238. 

218) @. W. Hill, American J. of Math. 22 (1901), p. 53—56 — Works 4, 
p. 236— 243. 

219) L. Arndt, Neuchätel, Bull. de la soc. d. sciences naturelles 24 (1896), 
p. 3—44. 


220) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 67 (1907), p. 427—443. 


636 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


geometrischen Reihen hat F. Robbins??") Tafeln veröffentlicht. In einem 
Zusatze zu einer Berechnung der Säkularstörungen des Planeten Ceres 
hat endlich ©. J. Merfield®*”) die numerischen Werte der 20 ersten 
Koeffizienten der von Innes angewandten hypergeometrischen Reihen 
zusammengestellt. 


VII. Asymptotische Ausdrücke für Funktionen großer Zahlen. 


55. Formulierung der Aufgabe. Wenn die Umlaufszeiten zweier 
Planeten nahe kommensurabel sind, so treten in ihren Längen gewisse 
langperiodische Störungen auf, die zuweilen sehr bedeutend sind. Solche 
Störungen von hoher Ordnung können ohne Anwendung von zeitrauben- 
den doppelten mechanischen Quadraturen viel leichter berechnet werden 
mit Hilfe von gewissen, für große m’ geltenden, asymptotischen 
Ausdrücken der in der Entwicklung (132) auftretenden Koeffizienten 
A,., und darauffolgende einfache mechanische Quadratur. Will man 
jede Quadratur vermeiden, so wird man vor die noch ungelöste Auf- 
gabe gestellt, asymptotische Ausdrücke für die durch die Formel (100) 
definierten Koeffizienten A, zu finden. Die Ableitung dieser beiden 
Sdrten von asymptotischen Ausdrücken hängt nahe zusammen mit der 
Aufgabe, asymptotische Ausdrücke entfernter Glieder einer Laurent- 
schen Reihe zu finden und ebenso mit der noch allgemeineren Auf- 
gabe, solche Ausdrücke für Integrale von der Form 


(141) St grau 
aufzustellen, wo n eine große positive Zahl bedeutet. 


56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten in den 
Reihen von Taylor und Laurent. Solche Ausdrücke für die Koeffi- 
zienten A, (n>0) der Entwicklung 


(1-7) re) - ee a” 


wurden von A. L. Cauchy®®) abgeleitet unter den Annahmen, daß 
0<s<1 und f(x) eindeutig und holomorph ist zwischen zwei kon- 
zentrischen Kreisen mit den Radien a und a,, wo a,<!|k <a. In 


der Formel 
+7 


(12) A, =, f ar(1—%) fa)ap, wo eh" h<|kl 


-_n 





221) F. Robbins, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 67 (1907), p. 444—447. 
222) ©. J. Merfield, Astr. Nachr. 176 (1907), p. 245—246. 


223) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 708—722 = (Euvres (1) 9, 
p. 102—116. 


56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten. 637 


setzt Cauchy = k. Er spaltet f(x) durch den Ansatz: 
frei) = f(k) + PP, 
wo P und seine Ableitungen kontinuierliche Funktionen von p sind, 
in zwei Teile. Die Integration für den ersten Teil führt auf das be- 
kannte Eulersche Integral und gibt den Wert k-"f(k)[s],, wo 
[s, = s(s +1). -s+-n—]1) au T(n-+ s) ; 
* 1-.2...n T’)I(n+1) 
Im Iutegralausdruck des zweiten Teiles ö integriert Cauchy partiell 


in bezug auf den Faktor e-V-!1”>. Er findet so, bei der Annahme 


0<s<1, daß lim »k"ö eine endliche Größe ist. Da en von Jder 


Größenordnung mei ist, so folgt, daß mit wachsendem n der Beitrag 
des zweiten Teils klein wird gegen den des ersten, und daß daher der 
asymptotische Ausdruck gilt: 

(143) An fh)h"[sh. 


Um mehrere Glieder im Ausdruck für A, zu gewinnen, führt 





Cauchy in die Formel (142) die Entwicklung f(ke/-1r) — Di onp" 


m=0 


—@_ und EUR findet er so den 


ein. Unter der Annahme, daß c” < 17 Ir 
ı 


symbolischen Ausdruck 


BA 
(144) = hen flke a») [s],.- 
Cauchy betrachtet speziell den Fall, wo f(x) = (2, „) und 


führt anstatt der Ahleitungen in bezug auf » die endlichen Diffe- 


renzen 
d 


Ar) = pn +1) — yn)=eirpln)—1, 


d 
von—=- pn) gr Y=-e"om)+1 
ein. Dann wird die Formel (144) 
(145) A,„= k"F(k — kV, k=!+ kr!A)[s],- 


In dieser Weise findet er eine Reihe für A,, nachdem 7 nach Po- 
tenzen von V und A entwickelt worden ist und nach Einführung von 
v"-Ar fs), =[s—m— nm) ym: 

Diese Größe ist von der Größenordnung n’-!-”-”" Die Glieder im 
Reihenausdrucke für A, nehmen also anfangs rasch ab, wenn n eine 
große Zahl ist. Auf vorher publizierte Untersuchungen ?**) hinweisend, 


224) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1915), p. 280—293; 463—481 = (Euvres 
(1) 9, p. 5—19; 54—74. | 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 42 


638 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


hebt Cauchy hervor, daß diese Reihe für A, für große n konvergent 
ist, wenn die Entwicklung von F(k — ky, k=!-+ k=!z) nach Potenzen 
von y und 2 für |yr!| + |2°!|<1 konvergiert, daß sie aber halb- 
konvergent ist, wenn die Entwicklung von 7 unter den Bedingungen 
yı>1, |2|>1 konvergiert. 

Einige Jahre später hat Cauchy??®) gefunden, daß die besprochenen 
Formeln mit Vorteil durch andere einfachere ersetzt werden können. 
Er betrachtet dabei die Funktion 


Z= (1 — 227')"F() = Sur, 


wo F(z) eindeutig und holomorph ist in der Nähe von 2] = 2|. 
Im Ausdrucke 


1 
(146) ER rag IV - 1. 
führt er ein 


zms dv 1 Fu) du 
le el et w—.. 





ln), wols>|al, 








wo |v| > |z|, |u| < |2,!. Dabei setzt er 


1 1 2—8, 
vw. v— 2, —(2—2,) Ka RR # ( — 2,)? ve 


@—2 — 2)" 
2% (— 3)" + w—2)”"(w—2) 


; die anloge. Identität an. In dieser Weise wird 











zu 1 








und wendet für 
erhalten 


(1) 4,— [har Fe) ar) +: 


1 sm-ı ( m—1 -) 
Ba 2 ae (+ on 


wo das Restglied o,, die folgende Form hat: 


n+m—-1 Ra ms 
1) mh . 4 ran sy" Flo)dede 


(v ar 2,) + 2) 


Ai a —_ 2,571)" 7" Fu) de du 
4n? (u — 2)" (u— 2) 


Wenn die Taylorsche Entwicklung von F(z) nach Potenzen von 
2— 2, längs des ganzen Integrationsweges in (146) konvergiert, so 
kann dieselbe dort eingeführt werden. Es ergibt sich so für A_, eine 
konvergente Reihe, und man hat in (147) limo, =. 




















225) A. L. Cauchy, Paris 0. R. 83 (1851), p. 709; 34 (1852), p. 9, 70, 1211 — 
(Euvres (1) 11, p. 385—399, 


56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten. 639 


Cauchy sagt, daß die Größe von ge, immer abgeschätzt werden 
kann, und daß o, mit beliebiger Genauigkeit berechnet werden kann 





mit Hilfe einer konvergenten Reihe, die nach Entwicklung von er r 


und 





2 in Reihen nach Potenzen von — oder “ aus (148) folgt. 
ww, ® 2 


Man muß hiergegen doch bemerker, daß im allgemeinen keine 
obere Grenze für |e,| wirklich abgeleitet ist, und daß es sogar im 
allgemeinen unbekannt bleibt, in welcher Weise |o,| mit wachsen- 
dem % gegen Null geht. 

Nur in demjenigen speziellen Falle, wo F(z) in allen Punkten 
des Gebietes |z| < z,| holomorph ist, gibt Cauchy?*®) für den Modul 
von _, eine obere Grenze. In diesem Falle fällt das zweite Glied im 
Ausdrucke (148) für o,, weg. In das erste Glied wird die Entwicklung 


70-33) 


eingeführt. Weiter wird dort die Funktion (; Eier )" ö . i nach posi- 
PatgPE, Zargen 

tiven Potenzen von = und Be entwickelt. Endlich wird für ( — a)" i 

1 


[7 





seine Entwicklung nach positiven Potenzen von .- gesetzt. In dieser 
Weise findet Cauchy den Ausdruck 





pr [8], [1 — s]m n+m m 
1) un anregt 0 Me), 


Mm1<1, 
wo &")(z,) die m‘ Ableitung in bezug auf z der Funktion 


00- Di2.(:) 


für 2=2, ist. [Die Formel (149) setzt voraus, daß m>s— 1, was 
Cauchy zu erwähnen unterläßt.] 

Wenn die Koeffizienten B, positiv sınd, so ist ®(z) = F(z), 
Dann ist auch 0<9, <1, und das Restglied og, wird ein Bruchteil 
des ersten weggelassenen Gliedes in der halbkonvergenten Reihe für 
A_,. Cauchy zeigt, daß dies bei der Entwicklung (10) von Legendre 


zutrifft, und daß diese Entwicklung deshalb auch, wenn «> 7 ist, 


für die Berechnung der Laplaceschen Koeffizienten anwendbar ist, 
wenn nur der obere Index eine große Zahl ist. 





226) A. L. Cauchy, Paris C. R. 34 (1852), p. 156 = (Euvres (1) 11, p. 399— 403. 
42° 


640 VI2,13. H.v. Zeibel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


G. W. Hi?) hat darauf hingewiesen, daß die Formel (144), 
welche geschrieben werden kann: 


A + +), 
unbequem wird, wenn die Ableitungen von f(x) komplizierte Funk- 
tionen sind. Er setzt deshalb 
„—krls),tfk—ky) + afk—ky)t + Sf(k—ky,)) 

und bestimmt %,, Yo, X, Yı» ++, 22%, 80, daß bei der Entwicklung 
dieses Ausdruckes nach Potenzen von %, Y%ı, ---, %, dieselben Fak- 
toren für f(k), f(k),...., f??*!(k) erhalten werden wie in jenem 
Ausdrucke. Hill zeigt, daß %,, %, - . -, 9, von der Größenordnung n 
sind, und daß diese Größen Wurzeln einer Gleichung vom Grade p-+1 
sind. Für 9 = 0 ist offenbar 





1—5 
%=,15_-1’ 
Auch für p=1 gibt Hill die Ausdrücke von %,, Y%9, &, Yı- Fürp=2 
schreibt er die Gleichung dritten Grades für y auf. Außerdem findet 
man in der Abhandlung von Hill numerische Werte mit sieben Stellen 
von log [s], für 23=1,3,5,7,9;n=1,2,3,...30. 

Mehrere Jahrzehnte nach Cauchys Arbeiten über diesen Gegen- 
stand wurde die Theorie der Funktionen großer Zahlen in hohem 
Grade durch @. Darboux?®) gefördert. Dieser sucht asymptotische 
Ausdrücke für die Koeffizienten a, der Taylorschen Reihe 

Fo)=at+%2+: +92" +:-;, 
wenn n eine große Zahl ist. Er nimmt zuerst an, daß F'(z) auf dem 
Konvergenzkreise, dessen Radius I sei, eine einzige Singularität z—= «a 
besitzt, und daß in der Umgebung von z= a 


(150) F()— %4,(1— 2)” +96) 


gilt, wobei p(z) in der Nähe von z= a holomorph ist. Die A, sind 
Konstante, die «, mit » zunehmende Zahlen, von welchen keine eine 
positive ganze Zahl oder Null ist. (Darboux macht auch die unwesent- 
liche Annahme, daß «,— «, ganze Zahlen sind.) Der Koeffizient 


h 
von (z)" in der Entwicklung von (1 — . ist 
a a 
BR I'(n — h) 
T(h,n) = THIRD 

227) @. W. Hill, American J. of Math. 6 (1884), Nr. 4, p. 125—130 = Works 2, 
p. 58—863, 

228) G@. Darboux, J. de Math. (3) 4 (1878), Nr. 1, p. 9-20. 


%o=1. 








56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten. 641 


Darboux zeigt, daß in dem Ausdrucke 

(151) a, = a"(A,T(e,,n) ++ 4,T(e,,n) + 8.) 

die sukzessiven Glieder innerhalb der Klammer von den Größenord- 
nungen n-!-%&, ..., n-!7%, n"!"%+1 sind. 

Der Beweis ist folgender: 

Wenn die Anzahl der Exponenten «,, &,, ... endlich ist, was 
z. B. für einen Pol zutrifft, so ist offenbar p(z) holomorph in allen 
Punkten des Gebietes |z|<_R. Derjenige Teil von a,, welcher von 
der Entwicklung von p(z) nach Potenzen von z stammt, hat dann 
eine kleinere Größenordnung als R-*.n-*, wo s eine beliebige Zahl 
ist, denn die Entwicklungen von @(z) und seinen Ableitungen sind 
konvergent, wenn |z|= R. Da weiter die Größe T(h,n) für große 
positive Werte von n von der Größenordnung n-!-* ist, so folgt 
Darboux’ Satz für diesen Fall. 

Wenn aber die Exponenten «,, &, ... in unendlicher Anzahl 
vorkommen, stützt Darboux seinen Satz auf folgendes Theorem von 
O. Bonnet??): „Wenn eine Funktion f(z), welche durch eine Taylor- 
sche Reihe nach Potenzen von z gegeben ist, auf dem Konvergenz- 
kreise dieser Reihe in eine trigonometrische Reihe entwickelt werden 
kann, so konvergiert die Taylorsche Reihe auf dem Konvergenzkreise 
und stellt dort die Funktion f(z) dar.“ Darboux setzt «,,, =v—e, 
wo v eine nicht negative ganze Zahl ist, und O<«<1; darauf 
wendet er Bonnets Theorem auf die Funktion 


fe) — ag FO — ZA) = ,(2)" 


an. Auf dem Konvergenzkreise, wo = ReY/-!°, gilt dann die 
Gleichung 


0 ner Dwa,läjrorme. 
n=0 

Die hier entwickelte Funktion wird unendlich von der Ordnung « für 
den z=a entsprechenden Wert des Argumentes 0. Die Koeffizienten 
der trigonometrischen Entwicklung (152) sind von derselben Größen- 
ordnung wie die entsprechenden Koeffizienten in der Fourierschen 
Entwicklung der Funktion (#— 0,)"“. Darboux zeigt mit Hilfe der 
Integraldarstellung dieser letzteren Koeffizienten, daß sie die Größen- 





229) O. Bonnet, Memoire sur la theorie generale des series (Couronne par 
l’Academie royale de Belgique en 1849). [Diese Arbeit habe ich nicht einsehen 
können.) 


642 VIe, 183. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


ordnung n-!*“ besitzen. Es folgt daraus, daß d, von der Größenord- 
nung n"!7%p+1 ist. 

Wenn die Funktion F(z) auf dem Konvergenzkreise mehrere 
Singularitäten von der betrachteten Natur (150) besitzt, so behandelt 
man jede Singularität für sich und vereinigt in dem asymptotischen 
Ausdrucke für a, die von den verschiedenen Singularitäten stammen- 
den Glieder. 

J. B. Flamme?) hat nach Verallgemeinernng des Theorems von 
Bonnet gezeigt, daß der asymptotische Ausdruck von Darboux auch 
für die Koeffizienten a, (n > 0) der Laurentschen Reihe 


+% 


(153) Fe)= ar 


n=—%0 


gilt, wenn die Singularitäten von F(z) auf dem äußeren Konvergenz- 
kreise von der Natur (150) sind. Um analoge Ausdrücke für a, (n<0) 


zu finden, hat man nur z durch ; zu ersetzen. 


57. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale. 
J. B. Flamme?®‘) hat auch in anderer Weise die Aufgabe verallge- 
meinert. Nach einer Untersuchung der Singularität 2=« der Funktion 


B B 
F(z)dz ü dz 
Fa - ID: iur 


A "a 


hat er gezeigt, daß der asymptotische Ausdruck (151) auch für die 
allgemeine Funktion 


(154) M, ur al? (a Er (n>0) 





gültig bleibt, wenn |A,> a, |B|> ja] und der Integrationsweg 
äquivalent ist mit einem Wege, von welchem nur ein unendlich 
kleiner Halbkreis, in retrograder Richtung um a beschrieben, inner- 
halb des Kreises |2| = |a! liegt. („Contour de premiere espece“ nach 
der Terminologie von M. Hamy.) Der Koeffizient a, (nr >0) in der 
Reihe (153) ist offenbar aus ebensovielen Integralen M, linear zu- 
sammengesetzt, wie es Singularitäten auf dem äußeren Konvergenz- 
kreise dieser Reihe gibt. 

Am weitesten in der Verallgemeinerung geht M. Hamy.??®) Bei 


230) J. B. Flamme, Obs. de Bordeaux ann. 2 (1887), p. 49—68. 
231) Ibid., p. 68—76. 
232) M. Hamy, J. de Math. (6) 4 (1908), p. 209-239, 267—275. Mehrere 


57. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale. 643 


ihm ist n nicht notwendig eine ganze Zahl, und er macht außerdem 
allgemeinere Annahmen über die Natur der Singularitäten von F(z) 
und über die Lage des Integrationsweges. 

Hamy betrachtet einerseits das Integral 


(155) - w-f Fer 


wo der Integrationsweg, mit Ausnahme des Anfangspunktes a, ganz 
außerhalb des Kreises |z| = ja| liegt. (Contour de troisieme esp£ce.) 
Er nimmt an, daß a0, daß keine Singularitäten für F'(z) unend- 
lich nahe an a vorkommen, und daß die Funktion F(z) in der Um- 
gebung von a die folgende Form hat 


(156) F(e) = Br (= 1)” log" (-— 1) 


+ I _ 1) v@ log? ( — 1) . 
Die hier vorkommende Funktion »(z) ist für z=a endlich. Die 
Yı3 +++, 9, Q sind positive ganze Zahlen oder Null; weiter ist 
mau, <e<e, 
Die Konstanten A,, A,, ..., A, sind so gewählt, daß die Binome 
(-— 1)” reell und positiv sind, wenn - >. 
Sein Resultat ist in diesem Falle folgendes. Sei 


TA+V)T(n—h) 
(157) Uo(h,n )- | ng }- 





Dann sind im Ausdruck: 

(158) ;=— ar(A, Ua, mn) ++ 4,U0lay,n) + 8) 

die sukzessiven Glieder innerhalb der Klammer für große Werte von n 
von den Größenordnungen: 


log?! n log” n log?n 
De Tag joop mean ie; b} ” 
nit ’ nItr%’ n'te 





Andrerseits betrachtet Hamy das Integral - 
(159) [FO er 
wo der Integrationsweg wie im Integral (154) definiert wird. (Contour 


seiner Resultate hatte Hamy schon vorher ausgesprochen. Siehe Paris C. R. 114 
(1892), p. 993; 125 (1897), p. 926; J. de Math. (4) 10 (1894), p. 398-408. 


644 VIe,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


de premiere espece.) In der Umgebung der isolierten Singularität a ist 


Fo=$(@)+ F@+[(t — 2)"log: (1 — &)]v@. 
%(z) ist im Punkte a endlich, p(z) in demselben Punkte holomorph. 


Weiter ist 
p 
F, (z) _ D’4, (1 Sr .) log?r (1 Se —) 5 
v=1 


Die q,,..-, 9,, q sind positive ganze Zahlen oder Null; weiter ist 
zu<:i<a<e,, Den 
Wenn q,=(0, so wird angenommen, daß das entsprechende «, nicht 
eine ganze Zahl oder Null ist. Die Konstanten A,, ..., A, sind so 
gewählt, daß die im Ausdrucke für F,(z) vorkommenden Funktionen 
zZ 


(1 — =)” log! (1 — I reell und positiv sind, wenn —< 1. 


a 
Sein Resultat in diesem zweiten Falle lantet: Sei 


d? T(n—h) \, 


T®(h,n) — am ITChATa+I) 





dann sind im Ausdruck: 

(160) M,— a (4, To (@,n) +++ 4,7%(a,,n) + 8} 

für das Integral (159) die sukzessiven Glieder innerhalb der Klammer 
für große Werte von n von den Größenordnungen: 


logan log» n log?!n 


..., 5 
„ira? ni+% „ira 








Hier muß man qg,— 1 bzw. g—1 statt q, bzw. q einsetzen, wenn 
«, bzw. « eine ganze positive Zahl oder Null ist. 

Schon vor Hamy hatte J. Hadamard?°®) asymptotische Ausdrücke 
für die Koeffizienten einer Taylorschen Reihe angedeutet, wenn die 
entwickelte Funktion auf dem Konvergenzkreise logarithmische Singu- 
laritäten der obigen Art besitzt. Eine wirkliche Durchführung der 
Größenabschätzungen für diesen Fall ist vor Hamy schon von O. Blumen- 
thal gegeben?*) worden. Weiter hat dann noch A. Feraud”®°) dieselbe 
Aufgabe behandelt. Er betrachtet neben der gegebenen Reihe 


F() = Dar 


233) J. Hadamard, J. de Math. (4) 8 (1892), 3. Partie, p. 154—186. 
234) O. Blumenthal, Dissertation Göttingen 1898, .p. 37. 
235) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 7 (1897), 1. Partie, p. 48—69. 





58. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Integrale. 645 


die adjungierte 


p(t) — [a -2)-°-: Fit) de = Ne) Dnea,t 


und sucht zuerst asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten dieser 
letzten Reihe. 


58. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Inte- 
grale. Im innigsten Zusammenhange mit dem in voriger Nummer be- 
handelten Probleme steht die Aufgabe, asymptotische Ausdrücke für 
die Integrale 


(161) I — /f(u) p(u)" du 


zu finden, wie gleich des näheren gezeigt werden wird. Diese Auf- 
gabe wurde zuerst von P. $. Laplace?®®) in Angriff genommen für den 
Fall, wo der Integrationsweg reell ist. Die Deduktion von Laplace 
ist aber nicht einwandfrei. Sein Resultat hat A. L. Cauchy?®”) be- 
stätigt und erweitert in Zusammenhang mit seinen Untersuchungen 
über die Konvergenz der Lagrangeschen Reihe. Cauchy betrachtet 


das Integral I zwischen den reellen Grenzen c— —- und c-H — und 


Yr Vr 
nimmt an, daß 
(162) 2 =(0, |p(w)|=max. füru=c; 


übrigens wird vorausgesetzt, daß a eine große, Tr aber eine kleine 
N 
Größe ist. Er setzt v=c-+ TR p= c”, entwickelt w und f nach 
N 
Potenzen von t und findet leicht den asymptotischen Ausdruck 


+a 


x 19" 
(163) I Se f®* "a ne ra ner 


wo f, g und p” die Werte von f(u), p(u) und o ei für v=c sind. 


Wenn |p(c)| das maximum maximorum von a ist im Gebiete 
w<u<u,, so-gilt, für große Werte von », der asymptotische Aus- 
druck (163) auch für das Integral (161) zwischen den Grenzen u, 
und u.. 





236) P. S. Laplace, Theorie analytique des probabilites, 2° edition, Paris 
1814, Nr. 27, p. 103 = (Euvres 7, p. 108. 

237) A.L.Cauchy, Paris M&m. de l’acad. roy. des sciences 8 (1829), p. 101—107 
(vom Sept. 1827). Vgl. auch Paris C. R. 29 (1849), p. 42 = (Euvres (1) 11, p. 139. 


646 VIe,ı3. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Cauchy bemerkt, daß die Gleichung er =( in zwei zerfällt, 
wenn @ komplex ist; wenn aber p einen Parameter r enthält und der 
Wert von I von r unabhängig ist, so könne man oft r und e so 
wählen, daß die Bedingungen (162) erfüllt sind. Unter Anwendung 
dieses Grundsatzes gelingt es Cauchy*®), auch denjenigen Fall zu be- 
handeln, wo der Integrationsweg ein Kreis in - Ebene der kom- 


plexen Veränderlichen « ist. Wenn für v= . en =0(0 und |p(e)| 


das maximum maximorum von |p(w)| längs des Kreises |u| = el ist, 
so nennt Cauchy?®°)*%°) |p(c)| den Prinsipalmodul von p(u). In dieser 
Weise findet Cauchy, daß die Relation (163) auch dann besteht, wenn 
der Integrationsweg ein Kreis ist, auf welchem p(u) einen Prinzipal 
modul besitzt. 

Cauchy*°) kehrte im Zusammenhange mit seinen astronomischen 
Arbeiten mehrmals zu demselben Probleme zurück. Er leitete dabei 
aufs neue die Relation (163) ab und zeigte außerdem, wie asympto- 
tische Ausdrücke von größerer Annäherung erhalten werden können. 
Diese Ausdrücke sind aber später von anderen ganz verdrängt worden. 

Ungefähr 30 Jahre nach Cauchy hat sich @. Darbouxr*?") der 
Theorie dieser Integrale zugewandt. Er bemerkt, daß dieselben als 
Koeffizienten für ?* in den Entwicklungen der Funktionen 


_fu)du f(u) du 
164 le pre) 
2 vi-toW" 1—tp(u) 


nach Potenzen von ? auftreten. Er nimmt an, daß der Integrations- 
weg, ohne die Singularitäten von f(w) und von g(u) zu berühren, 
deformiert werden kann, so daß derselbe durch einen Punkt v=c 


geht, wo = — (0), während |p(u)| < |p(c)| längs des ganzen Integra- 
tionsweges ist. Auf dem Konvergenzkreise der Entwicklungen der Funk- 


tionen (164) gibt es dann nur eine Singularitüt, und zwar = = 
Unter Anwendung seiner Methode für die Herstellung von asympto- 
tischen Ausdrücken für die Koeffizienten der Taylorschen Reihe findet 
Darboux die Formel (163) von Laplace und Cauchy wieder. 

Der Zusammenhang der jetzigen Aufgabe mit der in voriger 


Nummer behandelten wird am deutlichsten, wenn man dem Vorschlage 


238) A. L. Cauchy, ibid., p. 108—110. 

239) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 546 = (Euvres (1) 9, p. 75. 
240) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 704 = (Eurvres (1) 9, p. 97. 
241) G. Durboux, J. de Math. (3) 4 (1878), p. 29-85. 


58. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Integrale. 647 


von J. B. Flamme**?) folgt, das Integral (161) durch die Substitution 





(165) ;—— =) 
zu transformieren. Mit Einführung der Bezeichnung 
ER 
F(z) = ge 


wird 
(166) 1- (For 


in formaler Übereinstimmung mit den in Nr. 57 behandelten Inte- 
gralen. Natürlich ist die Art der Singularitäten aber besonders zu 
studieren. Flamme weist schon darauf hin, daß asymptotische Aus- 


drücke für / erhalten werden können, nicht nur in dem von Darboux 


betrachteten Spezialfalle, sondern auch in anderen Fällen, wo z= 5 


eine Singularität für F(z) ist, während |p(w)| <|p(c)| längs he 
Integrationsweges ist. Die vollstänitie Durchführung verdankt man 
wieder M. Hamy.”°) Hamy studiert zuerst den Fall, wo der Modul 
von p(u) längs des Integrationsweges seinen größten Wert an der 
unteren Grenze u—=c des Integrals (161) annimmt. Im transformierten 


Integral (166) ist dann |2]| > EA (Contour de troisieme espece par 


rapport ä a)" Er nimmt an, daß f(w) und p(u) in der Umgeburg 
von c in folgender Weise entwickelt werden können: 


fl) — DB, — Pr log” (u— 0), 
(167) is 


Yu) yo) + 2 Alu g*, 


wo A und B Konstanten, die g, ganze positive Zahlen oder Null 
sind, während 


mI<BRShRch< in, << <m<-- 


Unter diesen Voraussetzungen gilt für F(z) in der Nähe von z= ir 


eine Entwicklung von der Form (156) mit a = 5 Hamy findet in 


dieser Weise und unter Anwendung der Gleichung (158) den gesuchten 
asymptotischen Ausdruck für I. 
In dem speziellen Falle, wo /(u) und p(w) für u = c holomorph 





242) J. B. Flamme, Obs. de Bordeaux ann. 2 (1887), p. 76—82. 
243) M. Hamy, J. de Math. (6) 4 (1908), p. 239—267, 275—281. 


648 VIs, 18 H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


sind und außerdem p’(c)= 0, 9”(c)+0, hat man in der Nähe von 
1 
Ta; i S 
168) Fe)—=C@p—1) "+ Gep—1+G@y—1) "+. 
Infolge der Gleichungen (157) und (158) wird dann der asymptotische 
Ausdruck von der Form 
Sr D D 
I = c)]® BE 2 Ban IS = ... 
Fort tm tirk 


n n 
wo die D, rationale Funktionen von f und @ und ihren Ableitungen 
für v= c sind. 

Weiter betrachtet Hamy den von Cauchy®®) und Darbouxr*!) 
studierten Fall, wo der deformierte Integrationsweg durch einen 
Punkt u=c hindurchgeht, in welchem f(w) und @(u) holomorph 
sind und p’()=0, 9”(c)=+0, während außerdem auf dem ganzen 
übrigen Integrationsweg |p(u) <|p(c)| ist. Die ersten Glieder des 
asymptotischen Ausdrucks werden: 


—2 7 ? IV 
as) I- VRrYErlt+ 374 Hl 
5 far Sr - 
er r At): 
Das Vorzeichen der Quadratwurzel hängt mit der Richtung des Inte- 
grationsweges im Punkte u = c zusammen.) 

Hamy nimmt schließlich an, daß, nach Deformation des Integra- 
tionsweges in (161), der Integrationsweg des transformierten Inte- 
grals (166) „de premiere espece“ ist in bezug auf den singulären 
Punkt = 7 für F(z). Er setzt außerdem voraus, daß f(u) und 


y(u) wie in den Formeln (167) entwickelt werden können. Die 
Formel (160) gibt dann für I einen asymptotischen Ausdruck. 

Ein interessanter Spezialfall tritt auf, wenn (u) holomorph ist 
für u=c, p (+0, 

fu) = w— oP[B, + B(u— co) + B(u—0)’+--], 

und wenn außerdem auf dem Integrationswege |p(u)| <|Y(c)| mit 
Ausnahme eines unendlich kleinen Halbkreises um c, wo |p(u)|>|$(e)\. 
Dann ist unter der Voraussetzung, daß u in retrograder Richtung 
um c geht, 


a ar EP eR-1)2-38] 








+30) 


” * * 1 
wobei ein bestimmter Wert von )* zu benutzen ist.2#5) 


59. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach einer Anomalie. 649 


IX. Asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten der Entwick- 
lungen der Störungsfunktion. 

59. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen 
der mittleren Anomalie des einen Planeten. Nach einem Satze von 
Cauchy''®) ist der Koeffizient A,, in der Entwicklung (132) gleich 
dem Koeffizienten für x’” in der Entwicklung der Funktion 

hd 
. al ” 7) t '-5) m’e 


’ 





F(x') = 


nach Potenzen von x. Um einen asymptotischen Ausdruck für A,, zu 
finden, betrachtete Cauchy**®) c’ als eine von m’ unabhängige kon- 
stante Größe und suchte einen für große m’ geltenden asymptotischen 
Ausdruck für den Koeffizienten von x’” in der Entwicklung 'von F(«’). 
Für reelle Werte der exzentrischen Anomalie E ist 


ERN £ 3 V-1y' 
gene 


die auf dem äußeren Konvergenzkreise liegende Singularität von F(x’) 
(vgl. Nr. 50). In der Umgebung dieser Singularität ist 


= x -+ Pe | 
Fe&)- (1-7) "Fe, z): 
wo der Ausdruck 7 leicht aus dem Ausdruck für A? (Nr. 50) ab- 


geleitet wird. Durch Anwendung seiner Formel (145), und indem a 


er e'”? im Vergleich mit Eins vernachlässigt wurden, fand Cauchy den 


angenäherten Ausdruck 


11 g_m  WePp +le-2)-$ lH) a 
Ale ne en: 

Cauchy hat diese Formel angewandt, um im Falle Pallas-Jupiter 
die numerischen Werte von A,. (für m’ —=18) für die äquidistanten 
Werte E = 0°, 10°, 20°, ..., 350° der exzentrischen Anomalie von Pallas 
zu berechnen. Aus diesen Werten fand er durch eine mechanische 
Quadratur den Wert des Koeffizienten A_,,, in der Entwicklung von 
A! nach Vielfachen der beiden mittleren Anomalien. Für die lang- 
periodische Störung in der mittleren Länge von Pallas ergab sich in 





244) Ibid., p. 246. 

245) Ibid., p. 266. 

246) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 843—845 — (Euvres (1) 9, 
p. 160-162. 


650 VIe, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


dieser Weise der Wert”) 
906”,3 sin (18 M’— 7. M — 2% 3’ 25”). 


Kurz vorher hatte Cauchy mit Hilfe seiner komplizierteren gemischten 
Methode (vgl. Nr. 50) den Wert?) 


906”,6 sin (18 M’— 7 M — 29° 3’ 55”) 


gefunden. In dieser Weise ist es Cauchy gelungen, den von Leverrier'?®) 
durch sehr zeitraubende mechanische Doppelquadraturen . berechneten 


Wert 
895” sin (18 M’— 7. M — 29° 4’) 
zu kontrollieren. 

Die eben betrachtete Methode Cauchys setzt voraus, daß die 
Exzentrizität e’ eine kleine Größe ist, M. Hamy*?) hat andere asympto- 
tische Ausdrücke für A,, gegeben, welche nur voraussetzen, daß die 
beiden Bahnellipsen sich nicht schneiden. Hamy geht von den Formeln 


€’ 1 

1— — (7 +— 
fe). a 2) 
An Sta ipar, m>o 


IFj=1 


ee, 





aus und wendet seine Untersuchungen über Integrale von dieser Form 


an.#®) Die Gleichung 9’(z”) = 0 hat zwei Wurzeln: z’—= tg > und 
x = cot en wo siny’= e. Eine wichtige Rolle spielen die Kurven, 
auf welchen |p(x’)| = const. Man hat |p(a’)| = 1 auf dem Kreise 
|«|=1. Wenn |p(«’)| abnimmt, so geht dieser Kreis in eine ge- 
schlossene Kurve N über, die sich immer mehr gegen den Nullpunkt 
zusammenzieht, und auf welcher der Radiusvektor wächst, 2 das 


Argument von x’ von 0 gegen + x geht. Im Falle «= tg % — nimmt 
N eine spezielle Lage N, ein. Die Funktion f(x’) besitzt, Machen 
von <=0 und z= oo, nur die vier in der Formel (133) ausge- 
schriebenen Singularitäten. Unter re liegt immer eine innerhalb 
der Kurve N,, denn es ist #’< g > . 

Hamy betrachtete zwei Fälle: 

1. Die Singularität Z—= «’c/-1# liegt zwischen der Kurve N, 
und dem Kreise |*’|= 1. Dann wird der anfängliche Integrations- 


247) Ibid., p. 846. 
248) Ibid., p. 843. 
249) M. Hamy, Paris Ü. R. 147 (1908), p. 1251—1256. 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 651 


weg |x’| = 1 so deformiert, daß er schließlich zwischen N, und der 
Kurve |p(x’)| = |p(Z)| liegt mit Ausnahme eines unendlich kleinen 
Halbkreises um Z, welcher außerhalb der letzten Kurve bleibt. In 
der Nähe von Z sind Yx’— Z:f(&) und 9(z’) holomorph. Weiter 
ist 9 (Z)==0. Durch Anwendung der Formel (170), wo = —-4, findet 
daher Hamy den aymptotischen Ausdruck 


08 V- (2- 1%) (2- 4; x) 


nn V2r m ysin y(Z—2)(Z— 2) (Z— 2,) 





A [AZ 








Wo 2,, 24, 2, die drei übrigen Wurzeln der Gleichung x’”’A? = 0 be- 
zeichnen. Das Restglied ist von der Größenordnung - 

2. Die Singularität Z—= «’c/ 1? liegt innerhalb der Kurve N.. 
(Nach Hamy dürfte dieser Fall wohl nie in der Praxis vorkommen.) Dann 
wird der Integrationsweg durch den Punkt 2 =tg x ‚und zwar durch 
das Gebiet zwischen der Kurve N, und dem Kreise |z’| = tg . ge- 
legt. Auf einem solchen Wege nimmt |p(x’)| seinen größten Wert im 
Punkte 2 = tg} an. In diesem Punkte sind f(x’) und p(z’) holo- 
morph; weiter ist dort p’(x’)=0, 9”(z)=+0. Die Formel (169) 
gibt daher für diesen Fall einen asymptotischen Ausdruck für A_,. 
Da tg nd eine einfache Wurzel von f(x’) ist, so enthält das erste 
Glied m’-* als Faktor. 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen 
der beiden mittleren Anomalien. a) Methoden von Cauchy und Hamy. 
A.L. Cauchy?°®) hat auch asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten 
einer Potenzreihe 


+» 
Fa,y)— DZ) Anaa”y" 
M,N=—X 


. von zwei Veränderlichen gesucht. Er nimmt dabei an, daß die Funk- 
tion F(x,y) in der Umgebung von |x|=1, |y|=1 in der Form 


Fa,y)—(1—*) "f@, 9) 


geschrieben werden kann, wo v eine Funktion von x ist, deren 
Modul >1 ist im betrachteten Gebiete der Veränderlichen x, während 


250) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 722—726 — (Euvres (1) 9, 
p. 116—121. 


652 VIa,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


f(x, y) holomorph ist, wenn 1<y<v. Der Koeffizient A, von y* in 
der Entwicklung von F(x, y) ist, infolge von (143) oder (144), durch 
eine Formel 


=, ir mp0) 


gegeben. Dieselbe gilt, solange x in einem gewissen den Kreis |x|=1 
enthaltenden Gebiete @ bleibt. Um einen angenäherten Wert für den 
Koeffizienten A_,, zu finden, sucht Cauchy das konstante Glied in 


der Entwicklung von 


Ayan — [s], a" 7") Aa,o)(ı +9) 


nach Potenzen von x. Er nennt « denjenigen Wert von x, welcher 
dem Prinzipalmodul des Produktes x”v”” entspricht, und setzt voraus, 
daß die beiden Kreise |x| = u und |x| = 1 und der ringförmige Be- 
reich zwischen ihnen innerhalb des Gebietes @ liegt. Unter diesen 
Annahmen wendet Cauchy seine bei den Untersuchungen ?®®) über das 
Integral (161) gewonnenen Resultate an und findet so den asympto- 
tischen Ausdruck: 


My Rn fu, v) 
ea [5]. u v 2 Yran (1 * e), 
wo « gegen Null geht mit 2 und 2. In dieser Formel ist außerdem 
Mm n 


a — 


1 dgezdo 
s2aalı 2) 
für z=u. 

Cauchy hat vorgeschlagen ®°'), diese Methode auf die Entwicklung 
der Störnngsfunktion anzuwenden, ist aber dabei nicht in Einzelheiten 
eingegangen. 

In nächstem Anschluß an diesen Ideen Cauchys stehen Arbeiten 
von M. Hamy über die asymptotischen Ausdrücke für die Koeffi- 


zienten A, „. in der Entwicklung von - Hamy hat zuerst?°?) den 


einfachen Fall behandelt, wo die Exzentrizitäten e und e’ Null sind, 
die Neigung aber einen beliebigen von Null verschiedenen Wert hat. 


Dann ist zyA? ein Polynom vom zweiten Grade in x und in y. Weiter 
ist infolge von (100) 


A 





m, m!’ "mal m+1 nase) 





251) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 1612—1620 = (Euvres (1) 9, 
p. 205— 214. 

252) M. Hamy, Paris Bull. astr. 10 (1893), p. 41—56, 84—90; Auszug Paris 
C. R. 114 (1892), p. 993; 115 (1892), p. 869. 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 653 


Das Polynom zyA? hat zwei Wurzeln y’ und y”, von welchen |Y|<1, 
|y’|>1, wenn |z2|=1. Die Diskriminante von xyA?, betrachtet als 
Funktion von y, ist vom vierten Grade in bezug auf x. Ihre Wurzeln 


sind reell und von der Form -,, —u, +u, + (O<u<1). 


Solange die Veränderliche x die Querschnitte 


1 1 
84, -u— + 4, — +» 


nicht überschreitet, kann als Integrationsweg in der y-Ebene eine 
Kurve „de premiere espece“ in‘ bezug auf die Wurzel y” gewählt 
werden (vgl. Nr. 57). Solange x in dieser Weise sich verändert, bleibt 
übrigens y’*+ oo. In der Nähe von y=y” ist nun 


ital -Ft+-:;, 


und die Koeffizienten f(x),... in dieser Entwicklung sind eindeutig 
und holomorph, solange x die Querschnitte nicht erreicht. Unter An- 
wendung der von J. B. Flamme?®‘) generalisierten Darbouxschen Me- 
thode findet Hamy die Formel 


dy_ _ yr-m _ Em +B) F 
eh. fa) (149), 


Berti T()Tm’ +1) 








wo ö von der Größenordnung Z ist, solange x den Querschnitten 
nicht unendlich nahe kommt. Für A, „. ergibt sich also der Ausdruck 


1 T(mM’+% A 
Ant T Gay Darin J ROH Ds" de, 





wo 
x9 1 
"ar 
ist. Um einen asymptotischen Ausdruck von der Form (169) für A, m 
zu finden, sind nun die Nullstellen der Funktion 9’(z) zu suchen. 
Dieselben sind Wurzeln einer algebraischen Gleichung vom achten 
Grade, sind übrigens paarweise reziprok und paarweise entgegengesetzt 
gleich. In dem von den erwähnten Querschnitten begrenzten Gebiete 
der x-Ebene gibt es zwei reelle und zwei rein imaginäre Wurzeln 
für p’(x). Von den beiden reellen, die mit + Z bezeichnet werden, 


liegt die eine zwischen — ei und — u, die andere zwischen + u 
und + = In den Punkten + Z hat |p(x)| längs der reellen Achse 


ein Minimum. Auf dem Kreise D, welcher mit dem Nullpunkt als 
Zentrum durch die Punkte + Z öe, nimmt |p(x)| seinen ErORHR 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 43 


654 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Wert in diesen Punkten + Z an. Mit dem Kreise D als Integrations- 
weg findet sich daher für A,„, ein asymptotischer Ausdruck nach 
der Formel (169). Genau genommen betrachtet übrigens Hamy die Ent- 
wicklung der etwas allgemeineren Funktion p(z)-A”‘, wo 2s=1,3,5,... 
und »(z) ein Polynom in x und - ist, und gibt für die Koeffizienten 


dieser Entwicklung asymptotische Ausdrücke unter Angabe der zwei 
ersten Glieder in der halbkonvergenten Reihe nach fallenden Potenzen 
von m’. 

Andere Spezialfälle behandelt Hamy in einer späteren Arbeit.*°°) 
Er setzt in etwas abweichender Bezeichnung: 


Zu, Vaud, VM—t-t.g 
m h 


und findet so den Ausdruck 


1 w m gzät at 
em Sa > x 
te1l|lz=1 
Anstatt # wird z durch die Substitution (wo e=sin y) 
t 6-) ARE di! A sin t Y g® / 
u), Mar rt) 


eingeführt. Es ergibt sich dann 
> Finale J- 


2zy—1i 





A es j Fix, 2)a-"-'dx, 


I2;=1 
F(z, 2) m — ar. 


Hamy entwickelt I nach Potenzen von sin’4y, wo y die Neigung 
zwischen den Bahnebenen bezeichnet, und sucht asymptotische Aus- 
drücke für die Koeffizienten dieser Ban Da die Diskussion für die 


Koeffizienten verschiedener Potenzen von sin? + ungefähr dieselbe ist, 


wollen wir uns hier auf den Koeffizienten Ahr nullten Potenz be- 
schränken, also einfach die Neigung gleich Null setzen. 
Hamy betrachtet Bu den Fall, wo die äußere Bahn kreis- 


förmig ist - (,.o—=-; > < 1). Dann ist 
ei. 291: 2); 
253) M. Hamy, J. de Math. (4) 10 (1894), p. 405410. 


254) Ibid., p. 410-466; Errata: J. de Math. (5) 2 (1896), p. 439. Kinür 
Paris C. R. 117 (1898), p. 1050; 118 (1894), p. 88, 698. 


- 00 





60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 655 


wo 
in: sinw /1 -8 
Me A 


Die Singularitäten für F(x,z), als Funktion von x betrachtet, sind 
2 
<=(0, ©,u,v, wu= Zt v= = ra Man hat u = 0 oder 
v= oo nur für z=(0 oder z= oo. Die Bedingung u =», d.h. 
r?= a” zerfällt in zwei Gleichungen vom zweiten Grade in bezug 
auf z. Die eine (r—=.«’) hat zwei negative reziproke Wurzeln 2, und 
2 (,<2<0). Die andere (r = — a’) hat zwei positive reziproke 
Wurzeln 2,’ und 3’ (2'’>2,>0). Die Singularitäten für J sind des- 
halb (vgl. Nr. 33) z,, z,, 0, 2,', 2,', 00. Solange die Veränderliche z 
die‘ geradlinigen Querschnitte — oo 2 a —- Ba, + o 
nicht berührt, bleibt J eindeutig und holomorph. Wenn außerdem 


2=$ cot > (damit u endlich sei), so ist es möglich, einen Integra- 








tionsweg „de premiere espece“ in bezug auf u zu wählen. Unter An- 
wendung der von Flamme?®®!) generalisierten Darbouxschen Methode 
findet dann Hamy den asymptotischen Ausdruck » 


at) J= #7) >. (1 + &), wet I I 


az Var r Vz : 


Die von z und m’ abhängige Größe R bleibt für unendlich große m’ 





endlich, wenn nur z den Querschnitten oder dem Punkte z = cot x 
nicht unendlich nahe rückt. - 

Im Ausdrucke für I ist es erlaubt, den Integrationsweg zu ver- 
ändern, wofern nur die Singularitäten von ./ vermieden werden. So- 
lange der Integrationsweg nicht unendlich nahe an die Punkte 2,, %, 


0,2,84,, ©, cot* rückt, darf man für große m’ in der Formel (171) 


R:m’ im Vergleich mit Eins vernachlässigen. A, „. erscheint dann 
angenähert als ein Integral von der Form (161). Um einen asympto- 
tischen Ausdruck für A,„. zu finden, sind also die Wurzeln der 
Gleichung 9’(e)—=0 zu suchen. Diese Bedingung führt nun zur 
Gleichung 


(172) ®siny («—t8?) (— cot +) En 22(2 + cot}) =(. 


Die Nullstellen der von # abhängigen Diskriminante bezeichnet Hamy 

mit 0°, 0°, 0”. Man hat 0”<0”"<0<6, wenn %>0. Wenn 

— 0<0<60” ist, dann sind die drei Wurzeln der Gleichung (172) 

positiv. Die kleinste wird mit Z bezeichnet. Wenn 6” <#< 6", so 
43* 


656 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


sind zwei Wurzeln konjugiert komplexe Größen. Dieseiben werden 
mit Z;, bezeichnet. Wenn 0”<0<0 ist, gibt es zwei negative und 
eine positive Wurzel. Die kleinste negative Wurzel wird Z genannt. 
Wenn 0<@<.0', so sind noch zwei Wurzeln negativ und eine po- 
sitiv. Dann bezeichnet aber Z die mittlere Wurzel. Wenn endlich 
0<0< oo, so sind zwei Wurzeln Z+; konjugiert komplex. 

Hamy zeigt, daß auf einem Kreise D, welcher mit Zentrum im 
Nullpunkt durch den Punkt Z bzw. durch die Punkte Z;, geht, der 
Modul von (2) seinen größten Wert in Z bzw. Z;, annimmt. In 
diesem Punkte ist übrigens 9’(z) = 0. Hamy deformiert den anfäng- 
lichen Integrationsweg |z| = 1 so, daß derselbe zum Schluß mit dem 
Kreise D zusammenfällt. Wenn nötig, werden dabei die Singulari- 
täten von J auf Doppellinien längs der Querschnitte und auf kleinen 


Kreisen umgangen. Dabei treten zwei verschiedene Fälle auf. Im 
ersten Fall: | 
IsI<Z bzw. |Zu]<!z, 


ist eine Deformation des Kreises D nicht nötig, da dieser Kreis die 
Querschnitte nicht schneidet. Je nachdem Z oder Z+,; in Betracht 
kommt, hat man dann infolge von (169) entweder 


(173) I=H(Z)(1-+.e) 

oder 

(174) T= (HZ) + H(Z_)} (+0). 
Hier ist 





wer. 29() pl)” 
Bo. Ve, 


während & von der Größenordnung - ist. 
Im zweiten Falle: 
IZ| bzw. |Z1,|>|z,| oder <|jz! 

muß man den Kreis D in der eben angedeuteten Weise deformieren, 
um 2, oder 2, zu vermeiden. Der durch z, (z, oder z,) deformierte 
Integrationsweg in der 2-Ebene geht dann teilweise unendlich nahe 
an z, vorbei. Für die Untersuchung des entsprechenden Teiles von I 
ist der Ausdruck (171) nicht mehr anwendbar. Diese Schwierigkeit 
wird durch Wechsel der Integrationsordnung umgangen. In dieser 
Weise zeigt Hamy, daß im Falle 


2a) Ip(Z)] bzw. |p(Z4)|>|P@,)| 
der asymptotische Ausdruck (173) bzw. (174) noch gilt; im Falle 
2b) Ip(Z)| bzw. \p(Zu)|<Ipla,)| 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 657 
dagegen findet er den asymptotischen Ausdruck: 
I=&@)(l-+08), 


CH — 4 e@) A : p(2) 2 — 171-4 p(2)”” 
E@)= — ee ee) + «sin y re en, 


wo 





und & von der Größenordnung - ist. 


Schließlich hat M. Hamy?®) in ganz analoger Weise den Fall 
behandelt, wo die innere Bahn kreisförmig ist. 

b) Methode von Poincard. Etwas vor den erwähnten Arbeiten von 
Hamy hatte H. Poincare”°®) von der Darbouxschen Methode ausgehend 
asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten A, „;..n+a gesucht, 
wenn n eine sehr große Zahl ist. Er nimmt dabei an, daß a,b,c,d 
bestimmte ganze Zahlen sind, und daß a und c keinen gemeinsamen 
Divisor haben. Unter Verwendung der Substitution 


VA VA 
und nach Einführung der Bezeichnung 
Fı,)= A-tge-se-1g° 
ergibt sich für F(z,t) die Entwicklung 


m'’—d 


Fa, = ZA tn 


Poincare definiert durch die Formel 


©(e) ar er de F(e,t) dt 


eine Funktion ®(z). Nach der obigen Entwicklung für F(z,t) ist 
offenbar 


+» 
(175) &(z) Dee 


n=—%0 


Für ®(z) ergibt sich ein einfacher Ausdruck, indem man anstatt i als 
1 


Integrationsvariable x° durch die Substitution 
1 e/1 
ER Ce, 


255) M. Hamy, J. de Math. (5) 2 (1896), p. 381—439; Auszug Paris C.R. 122 
(1896), p. 980, 1082, 

256) H. Poincare, Les methodes unouvelles de la mecanique celeste 1, Paris 
1892, chap. 6, p. 280—325; Auszug Paris C. R 112 (1891), p. 269. 


658 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


einführt. Dann wird 
(176) Gl.) = 


RR forte] er der. 
s=yzi), 2 \z i 


x“ |=1 








Die Funktion x?y?A? ist ein Polynom vom sechsten Grade in x und y, 
wo x und % dieselbe Bedeutung wie in Nr. 32 haben. Zwischen z, y 
und z besteht offenbar die Relation 


(177) = re :)]' fi sl; „)] 4 


Für |x° 








[4 
= 1, |g° | —= 1 hat. man |y|=1. In dieser Weise wird y 
R 1 2 


als Funktion von x° und z° vollkommen definiert. Die Funktion 
innerhalb des Integralzeichens im Ausdrucke (176) für ®(z) ist also 


im allgemeinen Falle ein ganz bestimmter Zweig einer unendlich viel- 
i 1 


deutigen Funktion von z° und 2°. Um nach dem Vorschlage Poin- 
cares asymptotische Ausdrücke für A,„42,.n+a für große Werte von n 
zu finden, muß man die dem Kreise |2|—= 1 am nächsten liegenden 
Singularitäten für ®(z) entdecken und studieren. Dabei kommen die 
in Nr. 33 erwähnten Prinzipien zur Anwendung. Die Singularitäten 


der Funktion innerhalb des Integralzeichens in (176), als Funktion 
1 1 1 


von x° betrachtet, sind, außer &° = (0) und x° = oo, entweder solche, 
für welche y aufhört holomorph zu sein, oder auch solche, für welche 
A= () ist. Diejenigen Werte von x und y, welche nach Einführung 
in (177) Singularitäten für ®(z) geben, sind Wurzeln algebraischer 
Bedingungsgleichungen, durch welche ausgedrückt wird, daß zwei 
Singularitäten der Funktion innerhalb des Integralzeichens zusammen- 
fallen. Das Aufsuchen der Wurzeln dieser algebraischen Bedingungs- 
gleichungen ist keine schwierige Aufgabe, besonders wenn die Exzen- 
trizitäten und die Neigung kleine Größen sind. Schwieriger scheint 
es zu sein, diejenigen Fälle anzugeben, wo die zusammenfallenden 
Singularitäten nicht nur dem betrachteten Zweig der Funktion inner- 
halb des Integralzeichens zugehören, sondern auch vor dem Zusammen- 
fallen sich auf verschiedenen Seiten des Integrationsweges befinden. 
Diejenigen Werte von z, welche diesen Fällen entsprechen, nennt 
Poincare „zulässig“ (admissibles). 

Poincar6 leitet die genannten algebraischen Bedingungsgleichungen 
ab, wenn die Neigung Null ist. Bei der folgenden Diskussion, durch 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 659 


welche zu entscheiden ist, welche Singularitäten zulässig sind, macht 
er außerdem die sehr vereinfachende Annahme, daB !—=0 ist. 


Dann ist 
(= — r)? d— rn)? 


(178) =’ u [By . era [By"* ti el 


tg - (arcsin e), = — 








Abgesehen von 2=(0, x = oo werden die Singularitäten der Funk- 
tion innerhalb des Integralzeichens in (176) aus der einen oder anderen 
der Gleichungen 


(170) [st AT Leer 


Baresal ’ 
(180) a [zT Ba+emay 


(1 — xr)? 





erhalten. Damit diese Gleichungen eine gemeinsame Wurzel besitzen, 
ist notwendig und hinreichend, daß 


(181) (—)(1—- a) BI HM) = 0. 


In dieser Weise werden vier Singularitäten „de premiere espece“ un- 
abhängig von den ganzen Zahlen a und c erhalten. Sie sind alle 
reell. Die Bedingung, daß die Gleichung (179) oder (180) eine zwei- 
fache Wurzel besitze, wird durch die erste oder die zweite der Glei- 
chungen gegeben: . 


(182) ea +) IH) Hal— ar) —T)—=0, 
(183) cal+ar) IHM) +aa—)(l—ar) =0. 


Indem die Gleichungen (179) mit (182), (180) mit (183) kombiniert 
werden, findet man sechs Singularitäten „de deuxieme espece“, welche 
mit a und ce veränderlich sind. Abgesehen von z=0 und z= mw 
besitzt also die Funktion ®(z) höchstens zehn Singularitäten. Die- 
selben sind paarweise reziprok. | 

Die Diskussion, durch welche zu entscheiden ist, welche von 
diesen Singularitäten zulässig sind, führt ‚Poincar& in eingehender 
Weise nur unter einigen einschränkenden Bedingungen durch. Er 
nimmt an, daß e (oder r) eine kleine Größe ist, daß 8 >1, und daß 


e ' TERTL ; 
— —, nur wenig vom Verhältnis der mittleren Bewegungen der beiden 


Planeten abweicht. Dann sind alle Singularitäten reell. Die Kurven 
(179) und (180) werden geometrisch dargestellt, indem |z und x als 
rechtwinklige Koordinaten eines Punktes gedeutet werden. Die Sin- 
gularitäten für ®(z) entsprechen denjenigen Punkte, wo die beiden 
Kurven einander schneiden, oder wo |z| ein Maximum oder ein Mini- 


660 VI2, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


mum hat. Um zu entscheiden, ob eine Singularität 2, zulässig ist 
oder nicht, läßt Poincare |z| von dem Wert |2,| gegen den Wert |j2|=1 
gehen. Nur dann ist 2, zulässig, wenn die beiden von |z| = |z,| aus- 
gehenden Werte von x sich an verschiedenen Seiten des Kreises | «| —=1 
befinden, sobald |2| = 1 geworden ist. Unter den gemachten An- 
nahmen findet Poincare in dieser Weise, daß die einzigen zulässigen 
Singularitäten für ®(z) diejenigen reziproken Werte sind, welche den 
negativen Wurzeln der Gleichungen (182) und (183) entsprechen. 
Poincare zeigt weiter ganz kurz, wie die Resultate verallgemeinert 
werden können. Er sucht zuerst die zulässigen Singularitäten in dem- 


jenigen Falle auf, ww J=0, 9 —©=(, während e und e klein 


sind. Darauf geht er zu dem allgemeineren Falle über, wo die Neigung 
eine kleine Größe ist, und deutet an, wie die zulässigen Singularitäten 
dann gefunden werden können. Darauf beweist er den Satz, daß die 
Natur einer Singularität (ob zulässig oder unzulässig) im allgemeinen 
unveränderlich ist, wenn die Bahnelemente sich verändern. Nur als 
eine Singularität, vom Nullpunkte aus gesehen, hinter einer zulässigen 
geht, kann dieselbe in gewissen Fällen ihre Natur wechseln. Durch 
geeignete kontinuierliche Veränderung der Elemente würde man also 
die zulässigen Singularitäten für ®(z) in jedem gegebenen Falle finden 
können. 

Poincare zeigt endlich, daß in der Nähe einer zulässigen Sin- 


gularität 2,: 
D(2) — Dy(e) + Ds(e) log (2 — 20) 


ist, wo ®, und ®, für =, holomorph sind. Man kann also die 
verallgemeinerte Darbouxsche Methode anwenden, um für große Werte 
von n asymptotische Ausdrücke für A,„,..n+a zu finden. 

Die eben erwähnten, von Poincare teilweise nur skizzierten Ideen 
sind von N. Coculesco®”) mehr ins Detail ausgeführt worden für den 
Fall, daß die Balinebenen zusammenfallen, die Exzentrizitäten klein 
sind, die Perihelien in derselben Richtung liegen, und c:@a<O ist. 
Die eigentliche Schwierigkeit der Aufgabe liegt in dem Umstande, daß 
die Funktion innerhalb des Integralzeichens in (176) eine unendlich 


vieldeutige Funktion von z° und z° ist, und daß die Integration 
1 


nicht mehr, wie im Falle e = 0, in der x°-Ebene ausgeführt werden 
kann. Der Integrationsweg muß in der Tat auf der Riemannschen 


257) N. Coculesco, J. de Math. (5) 1 (1895), p. 359—442. Auszüge Paris 
C. R. 118 (1894), p. 59; 120 (1895), p. 32. 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 661 


Fläche, welche der Relation (177) entspricht, gezogen und deformiert 
werden. Diese Fläche hat unendlich viele Blätter und ist außerdem 
mit z veränderlich. Diese Schwierigkeit sucht Coculesco zu beseitigen, 
indem er die Relation (177) angenähert auflöst. In erster Annähe- 
rung ist: 


o|r 


ee 
und in zweiter: 


1 1 

Mit solcher Annäherung ist y eindeutige Funktion von x° und s°. (Es 
würde noch zu untersuchen sein, inwieweit die Resultate der Dis- 
kussion durch diese Vereinfachung beeinflußt werden.) Die den Sin- 
gularitäten von ®(z) entsprechenden Werte von x und y werden nach 
Potenzen der kleinen Größe r entwickelt. Dabei wird r’:r als Pa- 
rameter betrachtet. Coculesco sucht die Singularitäten auf den Kon- 
vergenzkreisen der Entwicklung (175) und findet mittels der Darboux- 
schen Methode asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten A, ;2cn+a- 
c) Methode von Feraud. Eine dritte Methode für die asymptotische 
Berechnung der durch die Formel (100) definierten Koeffizienten A 


in der Entwicklung von & ist von A. Feraud?°®) vorgeschlagen worden. 
Er setzt 


m,m’ 


m=—ap+b, M=—cp-+d, 


wo a,b,c,d bestimmte ganze Zahlen sind, a und c ohne gemein- 
samen Divisor, c>0. Er bildet die Funktion 


(184) y(l) = ne A 


p-0 


Mit Einführung der Bezeichnungen (vgl. Nr. 32) 
=, a@-e)+ u), 
- Ze) + FUN) 
wird erhalten 
(186) HH) - — 


® “ 
«!=1 y =1 


Die Entwicklung (184) für p(t) konvergiert offenbar, wenn |t >1. 


yet Iggdy 
E _ era yIA 





258) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 7 (1897), p. 100—238. Auszüge 
Paris C. R. 122 (1896), p. 871; Bord. Proc. 1896/97, p. 98. 


662 VI2,12. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Um nach dem Vorschlage von Feraud asymptotische Ausdrücke für 
die Koeffizienten A_,,43,_cp+a (für große Werte von p) zu finden, muß 
man die Singularitäten der Funktion p(t) auf dem Konvergenzkreise 
der Reihe (184) entdecken und studieren. Dabei kommen die in Nr. 34 
erwähnten Prinzipien zur Anwendung. Es ist ziemlich leicht, alle die- 
jenigen Werte von £ zu finden, die überhaupt singulär für die ver- 
schiedenen Zweige der Funktion g(t) sein können. Schwieriger ist 
es, zwischen allen diesen verdächtigen Werten diejenigen zu entdecken, 
welche auf dem Konvergenzkreise der Reihe (134) liegen und für 
diese Entwicklung wirklich ‚singulär sind. 

Die wirkliche Durchführung der Untersuchung geschieht auch 
von Feraud wieder für den Fall von Kreisbahnen in verschiedenen 
Ebenen und für den Fall eines Kreises und einer Ellipse in der- 
selben Ebene. 

Falls die Exzentrizitäten Null er während die Neigung einen 
beliebigen Wert hat, ist g(z, yJ) = 245 ein Polynom zweiten Grades 


von x bzw. y. 

Weiter ist in diesem Falle V=1, &, = 2,= 0. Feraud studiert 
zuerst eine Funktion ®(z, t), welche für |x|=1, |t|>1 durch das 
Integral | 








dı 
D(z,t) = u 
ya (1 Er )Vay° ga, W) 


vl=1 


definiert wird. Die Singularitäten von ®(x, t), als Funktion von & 
betrachtet, werden nach den Prinzipien der Nr. 33 gefunden. Dabei 
werden 8 feste (von t en Singularitäten erhalten, und zwar 


die 4 Verzweigungspunkte + u, + — - (alle reell) der durch die Gleichung 
(186) 98, h HA 


definierten Riemannschen Fläche nebst den 4 auf der imaginären Achse 
dieser Fläche liegenden Punkten, wo y=(0 oder y= oo. Weiter 
werden dann auch bewegliche Singularitäten gefunden, welche durch 
die Relation 

(187) = z°y° 


auf der genannten Riemannschen Fläche definiert werden. Diese Rie- 
mannsche Fläche besitzt zwei Blätter. Man gelangt von dem einen 


zu dem anderen über die Querschnitte — oo bis — 7 — ubis + u, 


= n bis + 00. Auf dem Kreise |x|—=1 ist |y|<1 auf dem unteren 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 663 


Blatt und ‚y >1 auf dem oberen. Darauf geht Feraud zum Auf- 
suchen der Singularitäten der Funktion 


(188) On 7 D(x, ddr. 


Jede Singularität von p(t) (von #= 0 abgesehen) muß entweder ein 
solcher Wert von £ sein, für welchen eine bewegliche Singularität von 
®(x, t) mit einem Verzweigungspunkte zusammenfällt oder auch ein 
solcher Wert von t, für welchen zwei bewegliche Singularitäten von 
®(x, it) in einem und demselben Punkte der Riemannschen Fläche 
sich begegnen. Diese letzteren Werte von ? werden erhalten, indem 
im Ausdrucke (187) für t die gemeinsamen Lösungen des Systems 


BER ey, _ 
(189) a0, ED 0 


eingeführt werden. Die Resultante dieses Systems ist vom 8. Grade. 
Ihre Wurzeln sind von der Form <= -+»,, +4, +V-—-1», 
1 


+y-1,, wo v, und », reell, positiv und <1 sind. Die Punkte 


1 . . . b 1 
v, und —- liegen immer zwischen den Verzweigungspunkten u und r 
1 


Jede Singularität von g(?) ist entweder reell oder rein imaginär. 
Um auf einer beliebigen der Halbachsen in der i-Ebene die von dem 
Ursprung entfernteste zulässige Singularität zu finden, läßt Feraud 
die Veränderliche diese Halbachse in der Richtung gegen den Ur- 
sprung durchlaufen. Die durch die Gleichung (187) auf der Riemann- 
schen Fläche (186) definierten beweglichen Singularitäten von ®(z, £) 
beschreiben dann auf: dieser Fläche gewisse Kurven. Wie schon er- 
wähnt, können zwei von diesen Kurven sich nur in denjenigen 8 Punkten 
schneiden, welche den gemeinsamen Lösungen des Systems (189) ent- 
sprechen. Die für große t-Werte mit dem Kreise x; —= 1 im unteren 
Blatt der Riemannschen Fläche zusammenfallende Kurve wird auf 
dieser Fläche kontinuierlich deformiert, so daß dieselbe den auf dieser 
Fläche liegenden Singularitäten für ®(x, t) ausweicht. Feraud zeigt, 
daß diese Kurve als Integrationsweg im Integrale (188) angewandt _ 
werden kann. Er beweist mit andern Worten, daß p(t) holomorph 
bleibt, solange die eben betrachtete Kurve in der angedeuteten Weise 
deformiert werden kann. Feraud findet in dieser Weise schließlich, 
daß die Singularitäten auf dem Konvergenzkreise der Reihe (184) sind 


+t, wenn a--c ungerade, 


+1, wenn a--c gerade ist. 


664 VIe,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion. 


Hier bezeichnet t, diejenige von den beiden Größen i, und >, für 


welche das Modul <1 ist. 

Feraud hat auch die analytische Natur der Entwicklungen der 
Funktion p(t) in der Nähe von diesen Singularitäten studiert. Durch 
Anwendung einer von H. Poincard®°®) bei seinen Untersuchungen über 
Doppelintegrale gegebene Methode findet er, daß 


(190) FM = A) + pl) legt — ho), 

wo 9, und 9, im singulären Punkte 4, holomorph sind. Mit Hilfe 
der Methode von Darboux können also asymptotische Ausdrücke für 
die Koeffizienten A_,,+,-cp+a gefunden werden. 

Im Falle, daß die Bahnebenen zusammenfallen und die eine Bahn 
kreisförmig ist (e = 0), gilt für A? der Ausdruck (178). Die Riemann- 
sche Fläche A?= 0 besteht also aus zwei getrennten Blättern, dem 
unteren und dem oberen, dem ersten und dem zweiten Faktor des 
Ausdrucks für A? entsprechend. Die Funktion @(t) wird wie in der 
Formel (188) geschrieben. Die Funktion ®(z,t), als Funktion von x 
betrachtet, besitzt in diesem Falle (abgesehen von <= 0, 2—= m) 
6 feste Singularitäten, und zwar die 4 Berührungspunkte der beiden 
Blätter der Riemannschen Fläche (alle reell und durch die Glei- 
chungen (181) gegeben) nebst den 2 Punkten 2=r und = 7! 
auf dieser Fläche, wo y=0 bzw. y= oo. Die beweglichen Singu- 
laritäten von ®(x, t) werden auf den beiden Blättern der Riemannschen 
Fläche durch die beiden Gleichungen (179) und (180) definiert (wo 
nur £ anstatt 2 gedacht wird). 

Als anfänglichen Integrationsweg (für große Werte von ?) im 
Integralausdrucke für @(t) wählt Feraud den Kreis x =1 in dem- 
jenigen Blatt der Riemannschen Flüche gezogen, wo |y|<1, als 
x =1. Dieser Weg liegt deshalb im unteren Blatt, wenn ß>1, 
dagegen im oberen Blatt, wenn &# < 1. Feraud beweist, daß der Inte- 
grationsweg nur deformiert zu werden braucht, um diejenigen Singu- 
laritäten für D(x, t) zu vermeiden, welche in demselben Blatt wie der 
Integrationsweg liegen. Wenn 8 >1, so gibt es also (abgesehen von 
. t=0) keine anderen Singularitäten für g(t) als diejenigen, welche 
durch Einführen der Wurzeln der Gleichungen (181) und (182) im 
zweiten Membrum der Formel (179) erhalten werden. Wenn dagegen 
ß <1, so werden (abgesehen von t = 0) alle Singularitäten gefunden, 
indem die Wurzeln der Gleichungen (181) und (183) im Ausdrucke (180) 
eingesetzt werden. Wenn die Gleichung (182) bzw. (183) imaginäre 


259) H. Poincare, Acta mathematica 9 (1887), p. 321—380. 


60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 665 


Wurzeln besitzt, so gibt es im allgemeinen zwei konjugiert komplexe 
Singularitäten i+,; für (ft). Feraud zeigt, daß diese Singularitäten 
zulässig sind, indem er # mit konstantem Argumente von oo gegen t+; 
variieren läßt. Die reellen Singularitäten für @(f) studiert Feraud, 
indem er ? die reellen Halbachsen von |? = oo durchlaufen läßt und 
dabei die beweglichen Singularitäten von ®(x, t) graphisch verfolgt. 
Bei dieser Diskussion treten verschiedene Fälle auf, je nach der rela- 
tiven Lage der reellen Wurzeln der Gleichungen (181) und (182) 
bzw. (183). In jedem Falle sucht Feraud diejenige von diesen Wurzeln 
auf, welche die vom Ursprung am weitesten entfernte, zulässige Singu- 
larität von p(f) gibt. 

Er zeigt ferner, daß „(t) in der Umgebung einer solchen Singu- 
larität von der Natur (190) ist. Die Methode von Darboux liefert 
also für große Werte von » asymptotische Ausdrücke für die Koeffi- 


zienten A, 





V12,14.. THEORIE DES ERDMONDES. 


Von 


. ERNEST W. BROWN 


IN NEW HAVEN. 


(Übersetzt und mit einigen Zusätzen versehen von A. v. Brunn in Danzig.) 


3 
4 
> 
6. 
7. 
8. 
9 
10. 
11. 


12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17. 
18. 
19. 


20. 
21. 





Inhaltsübersicht. 


Historischer Überblick. 
Verhältnis der Mondtheorie zum n-Körperproblem. 


I. Das Hauptproblem. 
Die Kräftefunktion. 
Bewegungsgleichungen. 
Spezielle Differentialgleichungen. 
Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. 
Konvergenz und Divergenz, 
Intermediäre Bahnen. Lösungsmethoden. 
Entwicklung der Störungsfunktion. 
Variation der willkürlichen Konstanten. 
Eigenschaften der Lösung. 


II. Die Lösungsmethoden. 


Geometrische Methoden: Newton. 

Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche: Laplace, Olawraut, d’Alem- 
bert, Damoiseau, Plana. 

Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Veränderlicher: de Ponte- 
coulant, Lubbock, Aüry, Neison. 

Variation der Konstanten: Euler, Poisson, Puiseux, Delaunay,. Poincare. 
Bewegliche rechtwinklige Koordinaten: Euler, Hill, Brown, Poincare. 
Mittlere Anomalie und Verhältnis der Entfernung zu einem elliptischen 
Radiusvektor als abhängige Variable: Hansen, v. Oppolzer, Weiler. 

Wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche: Euler, Gylden, Brendel. 


III. Planetarische und andere störende Einflüsse. 
Behandlungsmethoden. 
Die Figur der Erde und des Mondes. 
Die direkte Wirkung der Planeten. 


Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 44 


668 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


22. Die indirekte Wirkung der Planeten. 

23. Die säkularen Beschleunigungen. 

24. Störungen zweiter Ordnung. 

25. Andere mögliche störende Ursachen. 

26. Der gegenwärtige Stand der Mondtheorie. Vergleich mit der Beobachtung. 
27. Tafeln der Mondbewegung. 


Bemerkung. Dieser Artikel behandelt ausdrücklich nur das Problem des 
Erdmondes. Er nimmt daher nur gelegentlich nebenbei Notiz von Entwick- 
lungen, die zwar aus diesem Problem herstammen, aber entweder auf ähnliche 
himmlische Systeme oder überhaupt auf andere Probleme anwendbar sind; diese 
Dinge sind in IV 1,12 und VIsa, 12, 13 u. 18 behandelt. Andrerseits sind auch 
Resultate, welche in jenen Artikeln entwickelt sind und auf die Mondtheorie 
angewandt werden können, im allgemeinen hier nicht wiederholt. Die Litteratur 
. und die Methoden, die sich auf die Bestimmung der Konstanten aus Beobach- 
tungen beziehen, gehören in den Artikel VIs, 19. 


Literatur. 
Lehrbücher. 


@. B. Airy, Mathematical tracts on physical Astronomy, Cambridge, 1. Aufl. 1826, 
2. Aufl. 1831. 

H. Godfray, Elementary treatise on the Lunar theory, London, 1. Aufl. 1853, 
3. Aufl. 1871. 

F. Tisserand, Traite de mecanique c&leste 3, Paris 1894. 

E. W. Brown, An introductory treatise on the Lunar theory, Cambridge 1896. 

J. C. Adams, Lectures on the Lunar theory, Cambridge 1900. 

H. Andoyer, Theorie de la Lune. Scientia, Paris 1902. 

H. Poincare, Legons de mecanique celeste 2, Paris 1909. 

@. Boccardi, Elementi di Astronomia, Torifno, 1912. 


Monographieen. 

I. Newton, Philosophiae naturalis prineipia mathematica, London, 1687. 

A. C. Olairaut, Theorie de la Lune, 1. Aufl. St. Petersburg 1752, 2. Aufl. Paris 
1765. 
L. uler, Theoria motus Lunae exhibens omnes ejus inaequalitates (mit einem 

Additamentum), St. Petersburg 1753. 

J. d’Alembert, Recherches sur differents points importants du systöme du Monde 
1, Paris 1754. 

L. Euler, Reflexions sur la variation de la Lune, Berl. Acad. Mem. 1766, p. 334—353. 

— Theoria motuum Lunae nova methodo pertractata ete., St. Petersburg 1772. 

P. 8. Laplace, Trait& de mecanique celeste liv. 7, Paris 1802. 

M. C. T. Damoiseau, M&moire sur la theorie de la Lune, Paris mem. pres. 3 ser. 
1 (1827), p. 318—598, 

@. A. A. Plana, Theorie du mouvement de la Lune (3 Bde.), Turin 1832. 

J. W. Lubbock, On the theory of the Moon and on the perturbations of the 
Planets. Lond. Phil. Trans. 1831, p. 217—66, 1832, p. 1—49, 229— 236, 361—381, 
601—607, 1834, p. 123—141 = Tracts on the theory of the Moon and on 
the perturbations of the Planets, London 1834, 1836, 1837, 1840 und, eine 
Diskussion vieler Fragen enthaltend, 1861. 


1. Kurzer historischer Überblick. 669 


S. D. Poisson, M&moire sur le mouvement de la Lune autour de la Terre. Par. 
m&m. pres. 3 ser. 13 (1835), p. 209— 335. 

P. A. Hansen, Fundamenta nova investigationis orbitae verae, quam Luna per- 
lustrat, Gotha 1838. 

P. @. D. de Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du Monde 4, Paris 1846. 

J. ©. Adams, On the secular variation of the Moons mean motion, Lond. Phil. 
Trans. 143 (1853), p. 397—406 — Colleeted works 1, p. 140—157. 

C. Delaunay, Theorie du mouvement de la Lune, Paris mem. pres. 28 (1860) u 
29 (1867). 

P. A. Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnung der in den Mondtafeln 
angewandten Störungen, Leipzig. Ges. Wiss. Abhal. 6 (1862), p. 91—498, 7 
(1864), p. 1—399. 

V. Puiseux, Sur les prineipales inegalites de la Lune, Ann. &c. norm. sup. Paris, 
ser. 1 1 (1864), p. 39—80. 

G. W. Hill, Researches in the Lunar theory, Amer. Journ. of Math. 1 (1877), 
p. 5—26, 129—147, 245—260 —= Works 1, p. 284—335. 

— On the part of the motion of the lunar perigee which is a function of the 
mean motions of the sun and Moon, Cambridge U. S.A. 1877 = Acta math. 
8 (1886), p. 1—36. = Works 1, p. 243—270. 

J.C. Adams, On the motion of the Moons node ete., Lond. Astr. soe. Manhis 
Not. 38 (1877), p. 43—49. = Collected works 1, p. 181—188. 

H. Gylden, Die intermediüre Bahn des Mondes, Acta math. 7 (1885), p. 125—172., 

G. B. Airy, Numerical Lunar theory, London 1886. 

H. Poincare, Les me&thodes nouvelles de la m&canique ce&leste, 3 Bde., Paris 1892, 
1893, 1899. 

Th. v. Oppolzer, Entwurf einer Mondtheorie etc, Wien Denkschr. 51 (1886), 
p. 69—105, 54 (1888), p. 49—244. 

R. Radau, Recherches concernant les inegalites planetaires du mouvement de la 
Lune, Obs. de Paris ann., m&m. 21 (1893), p. 1—114. 

S. Neweomb, Action of the planets on the moon, Wash. Astron. Papers 5 (1894), 
p. 97—295. 

E. W. Brown, Investigations in the lunar theory, Amer. Joum. of Math. 17 
(1895), p. 318—358. 

— Theory of the motion of the moon etc., Lond. Astr. soc. mem. 53 (1897), 
p. 39-116, (1899), p. 163—202, 54 (1900), p. 1-68, 57 (1905), p. 52—145, 59 
(1908), p. 1—103. 

H. Poincare, Sur les &quations de la lune, Paris bull. astr. 17 (1900), p. 167—204. 

M. Brendel, Theorie des Mondes, Astron. Mitt. d. kgl. Stw. Göttingen 1905. — 
Gött. Math. Abh. N. F. Bd. 3, Nr. 4. 

S. Neweomb, Investigation of Inequalities produced by the action of the planets, 
Carn. Inst. Publ. 72 (1907). 

E. W. Brown, Inequalities produced by the direct action of the planets, Cam- 
bridge University Press XII u. 93 p. 1908. 


1. Kurzer historischer Überblick.') I. Newton (1687) selbst war 
der erste, der die Bewegungen des Mondes seinem Gesetz vom reci- 





1) Nachweisungen siehe unten. Die Hauptquellen, aus denen man sich 
über die Geschichte der allgemeinen Astronomie unterrichten kann, sind A. Gautier, 
44* 


670 VI 2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


proken Quadrat der Entfernung unterordnete, indem er aus ihm 
angenäherte Werte für die hauptsächlichsten Ungleiehheiten und Be- 
wegungen ableitete. Eine analytische Methode wandte zuerst Olairaut 
(1747) an, der den Kunstgriff gebrauchte, eine Ellipse mit beweg- 
licher Apsidenlinie in die Gleichungen einzuführen; er erhielt eine 
zweite Annäherung für die Apsidenbewegung, welche zeigte, daß das 
Newtonsche Gesetz allen Tatsachen genüge. Diese Theorie war 
numerisch. Eine ähnliche rein analytische Theorie arbeitete @’ Alembert 
(1751) aus. 1753 publizierte Euler den ersten seiner zahlreichen Ver- 
suche, brauchbare analytische Darstellungen und Lösungen des Problems 
zu finden; er benutzte zum ersten Male bewegliche rechtwinklige Ko- 
ordinatenachsen, die Variation der Konstanten, eine der Hansens analoge 
Methode, den Ausdruck der Koordinaten durch trigonometrische Funk- 
tionen der Zeit, Annäherungen zunächst nach Potenzen der Exzentri- 
zitäten und Neigungen und erst dann nach Potenzen der störenden 
Kraft und unendlich unbestimmte Koeffizienten zur Aufstellung und 
Lösung von Bedingungsgleichungen, um so numerische Werte der 
willkürlichen Konstanten zu erhalten. 7. Mayer gab, indem er Bulers 
Methode von 1753 benutzte und Theorie und Beobachtung vereinigte, 
in den Jahren 1753 und 1770 Tafeln heraus. 


Laplace nahm den Gegenstand 1770 auf; seine Untersuchungen 
sind zum größten Teile im 3. Bande seiner Mecanique celeste (1802) 
enthalten. Er stellte die allgemeinen Bewegungsgleichungen auf, gab 
eine generelle Lösungsmethode, die er in beträchtlichem Umfange 
durehführte, und welche die von der Figur der Erde und der An- 
ziehung der Planeten herrührenden Störungen berücksichtigte, wies 
auf die Bedeutung der langperiodischen und säkularen Terme hin und 
klärte die Ursache der Säkularbeschleunigung auf. Damoiseau (1827) 
und Plana (1832) entwickelten Laplaces Methode bis zu einem viel 
höheren Grade der Annäherung, jener numerisch, dieser analytisch. 


„Essai historique sur le problöme des trois corps“, (Paris 1817) und die Einleitungen 
der hauptsächlichsten Monographieen sowie der Lehrbücher von Tisserand und 
Brown. 

Die nach Gegenständen geordnete „Bibliographie generale de l’Astronomie“ 
von Houzeau und Lancaster und das „Vademecum de l’Astronomie* von Houzeau, 
Brüssel 1882 und 1887 bzw. 1882, enthalten Titel und Verlagsort der meisten 
Bücher und Abhandlungen bis 1880. Zur Vervollständigung der mathematischen 
Kataloge enthält das Paris bull. astr. (seit 1884) ein Verzeichnis der meisten der 
im betreffenden Jahre erschienenen Werke. Endlich gibt (seit 1900) der „Astro- 
nomische Jahresbericht“ von Walther F. Wislicenus ein nach (egenständen ge- 
ordnetes Verzeichnis nebst kurzer Besprechung der Publikationen, 


1. Kurzer historischer Überblick. 671 


De Pontecoulant und Lubbock begannen um 1830 ihre Untersuchungen 
unter Verwendung der Zeit als unabhängiger Veränderlicher; des 
ersteren vollständige Resultate wurden 1846 veröffentlicht. In ungefähr 
dieselbe Zeit fallen Hansens erste Publikationen seiner Methoden: Die 
„Fundamente usw.“, die seine Theorie enthalten, erschienen 1838, die 
„Darlegung usw.“ mit seinen numerischen Resultaten 1862 und 1864 
und die „Tafeln“ 1857. Poissons Memoire, welches die Variation der 
Konstanten anwendete, kam 1835 heraus. Adams’ Abhandlung von 1853 
zeigte, daß Laplaces theoretischer Wert der Säkularbeschleunigung 
trotz der scheinbaren Übereinstimmung mit der Beobachtung um die 
Hälfte seines Betrages falsch war. Delaunay kündigte seine Methode, 
die Variation des Konstanten anzuwenden, 1846 an und führte sie so 
weit durch, daß er (1867) eine analytische Entwicklung für die Sonnen- 
störungen bis einschließlich der Größen 7. Ordnung in der störenden 
Kraft erhielt, die Sonnenbahn als elliptisch vorausgesetzt. Die An- 
wendung seiner Methode auf planetarische und andere Ungleichheiten 
ist durch Hill, Newcomb, Radau, Brown und andre gemacht. Airys 
Versuch (1886), numerisch Delaunays Resultate zu verifizieren, schlug 
fehl. Weiler (1872), Neison-Nevill (1877) und v. Oppolzer (1887) haben 
ebenfalls allgemeine Methoden gegeben. 

In Hills Schriften von 1877 trat die Idee hervor, eine periodische 
Bahn anstatt der Ellipse mit beweglicher Apsidenlinie als erste An- 
näherung zu benutzen. Indem er Eulers Gedanken einer Annäherung 
nach Potenzen der Exzentrizitäten und Neigungen aufnahm, erhielt er 
mit hoher Genauigkeit den Teil der Störungen, die von jenen unab- 
hängig sind. Den gleichen Gedanken hatte Adams gehabt, dessen 
Abhandlung über die Bewegung des Knotens unmittelbar folgte. Die 
angedeutete Methode ist vollständig entwickelt durch Brown, der alle 
Terme einschließt, die Koeffizienten bis zum Betrage von 0”,01 liefern 
können, und diese auf 0”,001 genau rechnet. Die Anwendung peri- 
odischer Bahnen ist von Poincare von der mathematischen Seite aus auf 
alle Gebiete der Himmelsmechanik ausgedehnt, und ähnliche Probleme 
sind von Darwin, Schwarzschild und anderen behandelt. Gyldens Ab- 
handlung aus dem Jahre 1886 zeigt die Anwendung seiner eigenen 
Methoden auf die Mondtheorie; Brendel (1905) und andere Autoren 
haben seine Methoden modifiziert und sein Werk fortgeführt, aber es 
ist nicht zu einer vollständigen Entwicklung gekommen. Im Jahre 
1900 hat Poincard eine allgemeine Methode gegeben, die auf der von 
Hill und Brown basiert. Cowell (1903—5) hat zahlreiche theore- 
tische Koeffizienten durch eine direkte Analyse der Mondbeobachtungen 
verifiziert. 


672 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


2. Verhältnis der Mondtheorie zum n-Körperproblem und zur 
Planetentheorie. Jeder Körper im Sonnensystem kreist scheinbar inner- 
halb einer ringförmigen Fläche um einen andern, der das Zentrum dieser 
Fläche einnimmt; letzterer (b) bestimmt den Hauptteil der Bewegung 
des ersteren (a), und die übrigen Körper (c) „stören“ diese Be- 
wegung in höheren oder geringerem Grade. In der Planetentheorie 
sind diese Körper: a ein Planet, b die Sonne, c die übrigen Planeten; 
in der Mondtheorie dagegen sind es: a der Mond, b die Erde, c die 
Sonne und die Planeten. Die Unterscheidung dieser beiden Probleme 
ist nur vorgenommen, um ihre analytischen Verschiedenheiten hervor- 
zuheben. Es seien nämlich « und » mittlere Entfernung und mittlere 
Bewegung des gestörten Körpers um den Zentralkörper der Masse E; 
ebenso m’, a’, n' Masse, mittlere Entfernung und mittlere Bewegung 
des störenden Körpers. Dann erfordert die Lösung des Bewegungs- 
problems eine Entwicklung nach positiven oder negativen Potenzen 

m 


an nl. 1 “u a n 
von =» „77 9° In der Planetentheorie ist are, während 7 und es 


(oder En =) die Einheit erreichen können. In der Mondtheorie da- 


gegen, wenn die Sonne der störende Körper ist, hat man: 


m’ a 1" 1 
ungefähr. In jenem Fall ist die Schwierigkeit die, die merkbaren 
m 
. 
Potenzen davon mitgenommen werden; und daß man im Mondproblem 
von einer solchen Entwicklung nach der störenden Masse, die ja die 
Einheit um mehr als das Dreihunderttausendfache übertrifft, überhaupt 
sprechen kann, hat nur dadurch einen Sinn, daß sich infolge der Eigen- 
tümlichkeit des Problems die Gesamtheit der Entwicklungen nach 
5; und “; tatsächlich auf eine solche nach (—) und , reduziert. 
a N a 

Und weiter: Während die Apsiden- und Knotenbewegungen der Pla- 
neten so langsam vor sich gehen, daß Ausdrücke der Form 


D(A+ Bt+ ---) sin (at + ß), ww «= in + jn,, 


zur Darstellung der Elemente für sehr lange Zeit genügen, würden 
solche für den Mond schon nach Ablauf einiger Monate unbrauchbar 
werden: Man muß daher so verfahren, daß die Zeit nur in trigono- 
metrischen Funktionen vorkommt, welche von 4 (der Zeit proportio- 
nalen) Argumenten abhängen, z. B. den beiden mittleren Längen in 
der Bahn, der mittlere Perihellänge und der mittleren Knotenlänge 


Glieder 1., selten 2. Ordnung in —, zu erhalten, in diesem müssen viele 


3. Die Kräftefunktion. 673 


des Mondes. Die zu berücksichtigenden Vielfachen dieser Argumente 
sind beim Monde nicht hoch, während in der Planetentheorie vielfach 
ziemlich hohe Werte von © und j noch mitzunehmen sind. 

Wegen der im Verhältnis zur Sonne kleinen Massen der Planeten 
und überhaupt der ganzen Konfiguration des Systems ist es möglich, 
das gesamte Mondproblem in Unterprobleme zu teilen, die nachein- 
ander getrennt behandelt werden können; und zwar folgendermaßen: 


1. Das Hauptproblem: in ihm werden Erde, Mond und Sonne 
auf ihre Schwerpunkte mit den Massen E, M, m’ reduziert (be- 
ziehungsweise die Körper als Kugeln mit konzentrischen Kugelschichten 
gleicher Dichte aufgefaßt). Die Bewegung des Schwerpunktes @ von 
E und M um m’ kann als in einer bekannten festen Ellipse vor sich 
gehend gedacht werden (Nr. 3—18). 

2. Die Wirkungen, die durch den Unterschied zwischen angenom- 
mener und wirklicher Figur von Erde und Mond hervorgerufen werden 
(Nr. 20). 

3. Die direkte Anziehung von M durch die als Massenpunkte ge- 
dachten Planeten (Nr. 21). 

4. Die Wirkungen der Abweichungen der Bewegung von @ von 
einer festen Ellipse; diese werden durch die Planeten hervorgerufen 
und sind als deren indirekte Wirkung bekannt (Nr. 22 und 23). 


5. Störungen, die von den Quadraten und Produkten der in 2, 
3, 4 genannten Kräfte abhängen (Nr. 24). 

6. Andere Ursachen, deren Wirkungen entweder zu klein sind, um 
beobachtet werden zu können, oder deren Charakter und Beträge noch 
größtenteils hypothetisch sind; das sind: Die Gezeiten. auf der Erde 
die Abweichungen vom Newionschen Gesetz, Massengewinn oder 
-verlust, Einfluß eines widerstehenden Mittels usw. (Nr. 25). 


I. Das Hauptproblem. 


3. Die Kräftefunktion. Es seien &,y,2, r und «, y', z’, r' Koordi- 
naten und Abstand von Mond bzw. Sonne in einem festen Koordinaten- 
system, dessen Anfang in E liegt; A sei der Abstand Mond—Sonne; 
E, M, m’ die Massen von Erde, Mond und Sonne, gerechnet in astro- 
nomischen Einheiten. Dann lauten die Bewegungsgleichungen des 


Mondes?): 
dx 6F dy_ OF die 9F 


a de de Dy ai De 


2) Laplace, Mecanique celeste, liv. 2, Nr. 14. 


674 VI2, 14 Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


wo 





Ft 4 er (-” muy ter) 
ist. 

Die Sonnenkoordinaten sind auf @, den Schwerpunkt von Eund M 
bezogen, und von der Sonne wird vorausgesetzt, daß sie eine feste 
Ellipse um G@ als Brennpunkt in der xy- Ebene (Ekliptik) beschreibe; 
es ist also = 0. Man setzt nun z@’+ yy' = rr' cos ®, wo also 
9 —=<-MEm’, und entwickelt nach Potenzen von 5, das ungefähr 2 


ist. Es werde außerdem bezeichnet;:?) 


a ee le 


dann ist 


Da 
330 000 


m"=n®’a’(l —A), 


wo n’ und a’ mittlere Bewegung und große Halbachse der Sonnenbahn 
sind. Es sei nun P, die Kugelfunktion j‘* Ordnung von 9. Dann 
kann man schreiben 


j=o 


#— +4 = a ds Du, P,(#)- Er= +. 





r 
j=2 

In den meisten Theorien wird A—= 0 und «,—= 1 gesetzt. In der Tat 
bringt auch 4 nur eine kaum merkliche Veränderung in der Apsiden- 
und Knotenbewegung hervor, und den Größen #, wird annähernd Rech- 


J N 
nung getragen, wenn man in den Schlußresultaten vr we statt ri 


setzt.) Die Störungsfunktion ist R; ist sie null, so geht die Mond- 
bewegung in einer Ellipse mit E als Brennpunkt vor sich. Die Zeit 
tritt in R explizit nur in der Form „nt + dundnt+.— =! 
auf, wo € und ®’ die mittlere Länge und die Perigäumslänge der 
Sonne für 2=0 sind; und zwar kommt »’t-+ e’ in $ nur so vor, 
daß, wenn man die Bewegung auf ein bewegliches Koordinatensystem 
bezieht, dessen Anfang in E liegt, und dessen &-Richtung nach dem 
mittleren Sonnenort zeigt, in F' die Zeit £ explizit nur.durch 7 ein- 
geht. Wir können dann R mit Formeln, wie sie für die elliptische - 
Bewegung gelten, nach Kosinus der Vielfachen von 7” und Potenzen 
von e', der Exzentrizität der Sonnenbahn, entwickeln; dabei tritt e'* 
in dem Koeffizienten von cos kl’ als Faktor auf. 





3) P. Harzer, Astr. Nachr. 123 (1889), col. 193—200. 
4) Für die Begründung dieser Vereinfachung siehe E W. Brown, Treatise 
on the Lunar theory, Chap. 1, Cambridge 1896. 


4. Die Bewegungsgleichungen. : 675 


4. Die Bewegungsgleichungen. Den Bewegungsgleichungen sind 
vielerlei verschiedene Formen gegeben worden. Einige der wich- 
tigsten sind: 

a) Für Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Ver- 
I ) 





OR , FOR 
EN r?) — +- =, +2R—2n fan 
a © Bl +9 _ - -/3 oR R at, 
> Fl u _Vi+soR FE AB 
(a) ” vır® r 2 Vi s? Or ? 


wo a und h Integrationskonstanten sind und s die trig. Tangente der 
Breite über der xy-Ebene, v die sphärische Länge der Projektion von 
r auf die «y-Ebene von der x-Achse aus gerechnet, &’ die mittlere 
Länge der Sonne für *=0, und u=E+M ist. Wenn R= 0 ist, 
so ist 2@ die große Achse und 4h die Flächengeschwindigkeit in der 
x y-Ebene. 

b) Polarkordinaten mit v als unabhängiger Veränderlicher:°) 
d’u 10F e OF == 1 - ao. d’u oF ch 
wart nd ag Mu 0s Au’ 7r dv den +) | vm® 
d’s s öF 1+s?0F 1 dsörF 2 oFdv 
dr ii er a Du? 

dt 


oF =) 3 








an Ki (14% dv u? 


Hier hat h eine ähnliche Bedeutung wie in a); ——r,, ist die Pro- 
jektion des Radiusvektors auf die zy-Ebene. 

e) Rechtwinklige Koordinaten, auf ein bewegliches Achsensystem 
bezogen.”) Es sei die x-Achse stets nach dem mittleren Sonnenort 
gerichtet und außerdem bezeichnet: 


F=F++n?(@° +). 





Dann ist | 
d’x ‚dy__ OF d’y ra Sr Zr 
Te a ST a 


5) Laplace, M&canique celeste, liv. 2, Nr. 46 und de Pontecoulant, Systeme 
du monde 4, Nr. 1. 

6) Laplace, Mecanique celeste, liv. 2, Nr. 15; 7, Nr. 1. 

7) @. W. Hill, Researches in the Lunar theory, Amer. Journ. of Math. 1 
(1877), p. 5—26, 129—147, 245—260. = Works 1, p. 284—335. 


676 VIa,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Man setze nun: 


“ati, geeemin, g-y—1 


und führe das Opernlsonsenichin D ein für 


d 1 d 
Fra in — nn) dt 
ferner sei 
u ET Ger 
pP—=» 
Tm!(u+ s)— me 2 
=?2 
Dann ist 2, eine homogene Funktion p' Grades von u, s, z, welche 
(° als Faktor enthält; 2, enthält außerdem e’ als Factor. Dann 


kann man die Differentialgleichungen folgendermaßen umformen:?) 


D!(us+2°)— Du Ds— (D2)’—2m(uDs—s Du) + 2m?(u+ s)’— 3 m? 2? 


2 , Ss se 
(n — n’)? 


=(0 -3 K2+ 1)2,+ DD,2,)], 


p=» 


Pr 08 
D(uDs—sDu—2mus)+z > m3(u? —)— Y>6 SE er un.) 
p=2 i 


Re, BES 1,09, 09, 
D(u Dz—2Du)—2mzDu—m’uz— 5; m :(u+9- (3 aa, U 72) 
ee 2 2 


Hier bedeutet D, die Operation D angewandt auf die Teile von 2, 
welche die Zeit explizite enthalten; D°, die Wiederholung der Operation 
D, und D-!, die inverse Operation zu D,, sind so zu verstehen: 


Dr— sale), Dr! +0, 
n ist die mittlere Bewegung des Mondes und C eine willkürliche 
Konstante. Wenn € = 0, so besitzen die Differentialgleichungen das 
Jacobische Integral”), und C ist die relative Energiekonstante. Wenn =() 
ist, dann sind die Gleichungen in ihrer ersten Form, abgesehen von 


xc Y PA . . . . 
den Termen 75’ 75’ „5 linear in bezug auf x, y,z und bilden die 





8) E. W. Brown, Investigations in the Lunar theory, Amer. Journ. of 
Math. 17 (1895), p. 318—358. ung Gleichungen sind zuerst aufgestellt und 


behandelt unter der Beschränkung =ed=z=0 durch @. W. Hill. 


9) 0.@.J. Jacobi, Paris C.R. 3 SiBaeı p. 59—61. = Gesammelte Werke 4, 
p- 37—38. 


5. Spezielle Differentialgleichungen. 677 


Grundlage von Adams Untersuchungen über die Bewegungen der 

Apsiden- und der Knotenlinie (Nr. 11). In der zweiten Form sind 

sie homogen und vom 2. Grade, abgesehen von der Konstanten C. 
d) Kanonische Formen. Setzt man 


2T=:2"+y’+.:.:9),0=-T—-F 

und behandelt x, y, 2, &,y, 2’ als gleichberechtigte abhängige Ver- 
änderliche, so nehmen die ursprünglichen Bewegungsgleichungen die 
kanonische Form an: 

dx 08 da 08 

11 Dual KA ee 
Poincare'*) hat eine Transformation gegeben, die ein System kanonischer 
Gleichungen liefert, bei dem ® nicht explizite von der Zeit abhängt. 
Wenn man sich nach ce) eines beweglichen Achsensystems bedient und 


X=-0—ny Y=y+na,Z=37), 

1X ++ (FH + ZI Fe W—nL 
setzt, dann sind (x, y, 2, L), (X, Y, Z, 7) kanonische Variable, und ® 
ist die charakteristische Funktion des Problems; es besteht also das 


Integral ® = const. L ist definiert durch A- Ep Ein ähnliches 
kanonisches System kann bei festen Achsen'?) benutzt werden, wenn 
dlL __0® 


man setzt 4, —;, mdo—=T— F—n LwT=4(@?+y’+2°). 
5. Spezielle Differentialgleichungen. Ein Typus von Differential- 

gleiehungen, auf den man immer wieder stößt, ist 

“. 4 n?’z Da, cos &,;t. 

Wenn «,=#n, so enthält die Lösung nur trigonometrische Funktionen 

der Zeit; wenn jedoch «,—=n, so tritt t als Faktor dieser Funktionen 

auf. Da Terme dieser Form möglichst vermieden werden müssen, 

so ist es nötig, daß man auf die Gleichung zurückgeht, aus der der 

obige Typus hervorgegangen ist. In der Mondtheorie sind das Diffe- 

rentialgleichungen der Form: 


d’x ? 
dt? + nx = fix, d), 


wo f nach Potenzen von x entwickelbar ist und ? nur in periodischen 
Gliedern enthält. Die wichtigsten speziellen Typen, auf die man dabei 


10) Die gestriichenen Größen sind Ableitungen nach der Zeit, nicht Sonnen- 
koordinaten. 

11) Paris Bull. astr. Nr. 17 (1900), p. 167 ff. 

12) E. W. Brown, Amer. Math. Trans. 4 (1903), p. 333—350. 


678 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


geführt wird, sind die folgenden: 


a) Ga ten + Da, eos 2it) = 0 (Gylden-Lindstedische Wleichung). 
i=1 

Clairaut'?) hat zuerst, und zwar auf indirektem Wege, versucht, dieser 
Gleichung durch rein trigonometrische Funktionen von £ zu genügen, 
wobei Argumente ?, gE + ß auftreten; D’Alembert‘*) erreichte das in 
seinen Untersuchungen direkt. Unsere Gleichung a) ist ein spezieller 
Fall der linearen Differentialgleichung mit periodischen Koeffizienten 
(112,7), und ihre Lösung in der Himmelsmechanik hängt eng zu- 
sammen mit der von 


dex 2 15 
trennt umerte ) 


Die Lösung kann im allgemeinen in der Form ausgedrückt werden 
2 b>'e, cos (gt + ßB + 2it), 
i=0 

wo die «, und q allein von » und den a, abhängen, und b und ß 
Integrationskonstanten sind. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, eine 
rasch konvergierende Reihe für q zu finden. Das letztere Problem 
ist zuerst von @. W. Hill“) und J. ©. Adams!) gelöst, welche die 
obige Lösung formell in die Differentialgleichung einsetzen und (q 
ist stets verschieden von einer ganzen Zahl vorausgesetzt), indem sie 
die Koeffizienten der einzelnen periodischen Terme gleich null setzen, 
ein System unendlich vieler linearer Gleichungen?) mit ebenso un- 
endlich vielen Unbekannten erhalten; damit diese linearen Gleichungen 
ohne konstantes Glied miteinander verträglich seien, muß die Deter- 
minante der Koeffizienten der «, verschwinden, welche also ebenfalls 
unendlich viele Zeilen und Kolonnen enthält; dadurch wird eine Be- 
dingung für die Unbekannte g geliefert. Durch Ausnutzung der 


13) Olairaut, Theorie de la Lune, St. Petersburg 1765. 

14) Opuscules, Paris 1768, Bd. 5, p. 328—390. 

15) Die Gleichung ist von Lagrange auf drei verschiedenen Wegen durch 
Annäherungsmethoden integriert. Oeuvres 1, p. 476, 554—66. Siehe ferner 
Cauchy, Oeuvres ser. 5, p. 264 und R. Radau, Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 481—487. 

16) Motion of the Perigee, Cambridge U.S.A. 1877 = Acta math. 8 (1886), 
p: 1—36. = Works 1, p. 243—270. 

17) Motion of the node, Lond. Astr. Soc. Monthly not., Nr. 38 (1877), p 
43—49. — Coll. works 1, p. 181—188, 2, p. 85—103. Andere Meanoden gibt er 
in Coll. works 2, p. 64—67, 132—135. 

18) Poincard bemerkt, daß man sie besser als Ungleichungen wie als Glei- 
chungen ansehen sollte, Bull. soc. math. 14 (1886), p. 77—90. 


5. Spezielle. Differentialgleichungen. 679 


Eigenschaften dieser Determinante gelingt es, q zu isolieren und 


BE 
‚sin? g, 





sin®n # 
2 


durch eine andere unendliche Determinante auszudrücken, die schließlich 
in eine Reihe entwickelt wird; die Konvergenz derselben hat Poincare 
bewiesen.) Gylden?®) führt, indem er unter der Voraussetzung, daß 
die a, sehr klein sind, gewisse Termen wegläßt, unsere Gleichung a) 
auf die Lamesche Differentialgleichung zurück (Il 1, 10) und integriert 
durch elliptische Funktionen. Er hat in ähnlicher Weise auch die 
Gleichung 


d? 
Ze +z1lr v,) = do, 


wo %, und %, periodische Funktionen von # mit verschiedener Periode 
sind, behandelt?!) und ebenso auch 


d? 

Tat = ir + Aa”) 
Lindstedt?) findet q, im Falle, daß a,=0 für i>1, durch Ketten- 
brüche, die auf eine Reihe ähnlich der Hills zurückgeführt werden 
können; damit sind dann auch die Koeffizienten der periodischen Terme 
gefunden. Auch die allgemeinere Gleichung 


d’x 9 
tra thrt 

wo die % periodische Funktionen sind, gelingt es Lindstedt zu inte- 
grieren. Poincare”) hat die Ländstedtschen Methoden in der Jacobi- 
schen Form dargestellt und außerdem noch auf eine andere Weise, 
wodurch er sie von einer Einschränkung befreit.) Eine Diskussion 
zwischen Lindstedt?®), Gylden?") und Backlund®®) klärte gewisse Schwie- 
rigkeiten, die sich in Gyldens Abhandlung finden, auf. 

19) Paris Bull astr. 17 (1900), p. 134. Me&canique celeste, chap. 17. Über 
allgemeine Eigenschaften unendlicher Determinanten siehe IA 2 u. 3, 

20) Stockholm Acad. Bih. 6 (1881), Astr. Ges. Vjs. 16 (1881), p. 296—304. 

21) Paris C. R. 93 (1881), p. 127—131. 

22) Ib. p. 537—538; 122 (1896), 160—165, 585—588. Siehe auch 92 (1881), 
p. 1083—1038. 

23) St. Pet. mem., ser. 7, 1 (1883) Nr. 4, p.1-—20; Tisserand, Mecanique 

celeste 3, chap. 1. 

24) Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 57—61. 

25) Paris C.R. 108 (1889), p. 21—24. 

26) Astr. Nachr. 103 (1882), p. 211—220, 257—268; 104 (1883), p. 145—150. 

27) Ib. 103 (1882), p. 321—324. 

28) Ib. 103 (1882), p. 323—326. 


680 VI2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Beweise für die Existenz der Lösungen unserer Differentialglei- 
chungen hat Lindstedt?”) unter Benutzung der gewöhnlichen Methoden 
fortgesetzter Annäherungen geliefert. Einige Lücken in der Strenge 
seiner Beweisführung hat Bruns’) ausgefüllt und zugleich Reihen- 
entwieklungen der Lösung gegeben. O. Callandrean?') macht sich die 
Resultate der Theorie der Differentialgleichungen mit periodischen 
Koeffizienten zunutze und gelangt dadurch zu einem kurzen und 
strengen Existenzbeweis, der außerdem auf eine elegante Form des 
Ausdrucks zur Bestimmung von g führt.””) Eine sehr allgemeine Be- 
handlung von Gleichungen dieses Typus geben Moulton und Mac- 
Millan®”) = 

"x 


b) ar” u HLc+Ly—=H, 


Um @tLc+Ly=R, 


r. u g; w 608 9 r, cos ‚ 
er. “ = >, Zain ®F rs, ren —n)(t — 1). 


Im Falle R= R' = 0 führt Hill!) diese Differentialgleichung auf 
den Typus a) zurück, indem er ein bekanntes partikuläres Integral 
benutzt, und findet: 


x P;,c08 | 


a ‚on Airdrth). 


Die Lösung für Rund F=+0 hat E. W. Brown in einer Form, in 
der nur Quadraturen vorkommen, gegeben.®*) Mit den Bezeichnungen 
von Nr. 4c) gehen nämlich die obigen Gleichungen über in: 


(D+-m)u+ Mu+Ns=4A; (D—-m)’s+Ms+Nu=Ä4, 


wo A die Form _I,R,& hat, M und N von der Form I;Q;€' und 
N und A zu N und A konjugiert sind; (D—+ m)? sind Symbole 


29) Ib. 105 (1883), p. 9T—112. 

30) Ib. 106 (1888), p. 198—204; 107 (1883), p. 129—132. 

31) Ib. 107 (1884), p. 33—38; Tisserand, Mecanique celeste 3, chap. 1. 

32) Andere Arbeiten stammen von P. Harzer, Astr. Nachr. 118 (1888), 
p. 273—280; 119 (1888), p. 273—294, welcher Bruns Methode auf Gyldens Rech- 
nungen zum Zwecke uumerischer Resultate ausdehnte und eine analytische Ent- 
wicklung in schnell konvergierende Reihen für jede Zahl von Perioden gab; 
Andoyer, Face. Toul. Ann. 1 (1887), M p. 1—72. Siehe auch Poincare, M&canique 
celeste chap. 17. 

33) Amer. Journ. Math. 33 (1911), p. 68—96. 

34) Cambridge Phil. mem. 18 (1900), p. 94—106. Das Resultat ist schon 
mitgeteilt London Astr. Soc. Mem. 53 (1899), p. 167. 


6. Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. 681 


für DD +2mD“ + me“ . Es seien nun 
ee Sl (im 1, 2, 3,4) 


vier linear unabhängige Integrale der obigen Gleichungen im homo- 
genen Fall, f= ( ein gewisses erstes Integral derselben; alsdann zeigt 
Brown, daß die allgemeine Lösung der nichthomogenen Gleichung die 
Form annimmt: 


Cu= D{wD-g,,4+u,,4)—W,ıD" (A) i—=1,3. 


Poincare®) hat die Methode auf 2» Variable ausgedehnt; die Form 
der Lösung bleibt dabei die gleiche, nur geht ö von 1 bis 2» — 1 


| = =all+ar+.-)siny; 
| 2 —alb, +b,2°+.-.)+all+6%0°+»--) cos y. 


Dabei sei x eine kleine Größe.) Um Entwicklungen nach negativen 
Potenzen von x zu vermeiden, setzt man 


e) 


E=rcosy, 1=rsiny 
und findet damit 


Enten; Teat+k+ vn), 

wo und w Potenzreihen nach & und n sind, die mit den zweiten 
Potenzen beginnen. Die Lösung erfolgt durch fortgesetzte Annähe- 
rungen. 

6. Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. Die Kräfte- 
funktion F' ist entwickelbar nach Potenzen von e’ und 4 und enthält, 
wenn bewegliche Koordinatenachsen benutzt werden, ? explizit nur in 
der Form cos kl’; die Koeffizienten von (+) sind homogene Funk- 
tionen von &, y, z vom Grade p— 2, und der Koeffizient von 
cos kl’ hat außerdem e’'*' (Nr. 3) als Faktor. Wenn = I 0, so 
reduzieren sich die Differentialgleichungen auf die Hills (Nr. &c) mit 


2,=:2=0), der gezeigt hat”), daß sie das folgende partikuläre 
Integral besitzen: 


«) „aa Da a (@i+1)D, Dant+e—nt—e; i—=0, +1... 


35) Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 96—104. 

36) ©. Delaunay, Paris Inst. (math.) mem. 28 (1860), p. 106-110. Conn. des 
temps pour 1861, Add. p. 3—44. F. Tisserand, Paris Bull. astr. 7 (1890), p. 265—-271. 

37) Amer. Journ. Math. 1 (1877), p. 5—26, 129—147, 245260. 


682 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


won und e willkürliche Konstanten sind, "= E-+-M=u ist, 
und die a, nach Potenzen von m = —. entwickelt sind. Er hat 


ferner gezeigt®®), daß eine erste Annäherung der allgemeinen Lösung 
durch einen Ausdruck der folgenden Gestalt gegeben ist: 


)+aDAenti+2i+1D), 


wol=cnt+ e— © ist,eund © willkürliche Konstanten und e und A, 
Potenzreihen nach m sind. Es folgt hieraus, daß die allgemeine Lösung 
der Hillschen Gleichungen von folgender Form ist: 


I, A reitdD El), 


sin 
wo A,, N c nach Potenzen von m und e? entwickelt sind. ao 
man at die Terme hinzu, die auftreten, wenn +0 und — + Ö, 
so zeigt die Methode der fortgesetzten Annäherungen, daß als Argu- 
mente den Typus ji + (@-+1)D-+kl’ und die Koeffizienten den 
Typus 04, ‚„e'’le'* (2) 4 bekommen, wo die A und ce nach Potenzen 


a\? i > r ; r 

von m, e&, e'?, (#) entwickelt sind, und 2— @==0, mod 2 ist. Gehen 
wir weiter zu 2, so nimmt die Differentialgleichung für diese Koor- 
dinate für  — 2 —= (), falls man nur die erste Potenz von 2 berück- 
sichtigt, die Form Nr. 5a) an, und man findet z= ay 3,4, sin (F+2&D), 
wo F=gnt-+ e— #%; dabei sind y und # Integrationskonstanten — 
die erstere im Falle des Mondes klein von der Ordnung der Bahn- 
neigung — und A, und g wiederum Potenzreihen von m. Fährt man 
so fort, so findet man als allgemeine Ausdrücke für die Koordinaten, 
bezogen auf ein System, dessen x-Achse Eg dem mittleren Sonnenort 
gerichtet ist, die folgenden: 


BL DS HART LEE Ey A +1) D+ji+kl ah 


Yy sin 


=); Aussstıe gi (2) fr rl 
| in DAT HORDE 
l=cont+e—-o, F=gnt+.e—9, Dent+ce—nt— 
ij, hi, rl, +, +2.; i—-d=0mod2; 


. 1 b 2 
c, 9, A Potenzreihen von m, e?, €’, (2) PP 


a 
Wen med — . — () ist, so reduzieren sich die Differential- 
gleichungen auf die der elliptischen Bewegung, und ce und g werden 





33) Acta math. 8 (1886), p. 1—36. 


6. Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. 683 


— 1; e und y sind Exzentrizität und Sinus der Bahnneigung. Da n’ 
in R als Faktor auftritt (Nr. 3), so müßte der Wert m = 0 die Resul- 
tate auf die der elliptischen Bewegung reduzieren; daß dies scheinbar 
nicht der Fall ist?®), rührt von einer etwas anderen Auffassung der 
Integrationskonstanten her.) Es muß nun noch die Annahme, daß 
nur positive Potenzen der Parameter auftreten, als richtig erwiesen 
werden. Negative Potenzen können nur durch die Integrationsdivi- 
soren auftreten. Alle diese Divisoren haben die Form iHdm-+i"z, 
+i”9,, wo n=1l-— Fr und 9, =1— en die mittleren Be- 
wegungen der Apsiden- bzw. Knotenlinie sind. Nun sind aber die 
Terme niedrigster Ordnung in =, und 9;: 


ml + m+:); m tm +). 
Es können also Divisoren von der Ordnung m? nur auftreten im Falle 
=i—=0,i’=i". Daß die Divisoren der Ordnung m? keine nega- 
tiven Potenzen von m in die Koeffizienten einführen, geht daraus 
hervor, daß R bei der Methode der Variation der Konstanten (Nr. 10) 
m? als Faktor enthält. Der Fall der Divisoren von der Ordnung m° 
ist nicht vollständig untersucht, indes enthält die elliptische Entwick- 
lung der Störungsfunktion (Nr. 9) keine derartigen Glieder, so daß 
die zweite Annäherung jedenfalls nicht zu negativen Potenzen von m 
Anlaß gibt. 

Die Charakteristik!) der niedrigsten Ordnung, in der dieser 
Divisor auftreten kann, ist ey?e'*.*) 

Eine Methode, den Genauigkeitsverlust durch kleine Divisoren zu 


39) Siehe z.B. die Schlußausdrücke von Delaunay, Theorie du Mouvement 
de la Lune, chap. 11. 

40) Gogou, Obs. d. Paris ann. mem. 18 (1885)E; P. H. Cowell, Lond. Astr. 
Soc. Monthly not. 56 (1895), p. 3—11. 

41) Diese Bezeichnung ist von E. W. Brown eingeführt, Lond. Astr. Soc. Mem. 


53 (1897), p. 61 und bedeutet den nur von e, e’, y, = abhängigen Faktor eines 


Koeffizienten. Die Ordnung der Charakteristik des oben gegebenen allgemeinen 
Koeffizienten von z ist |5j| + |k | + ]i]+12>|. 

42) Über diese Frage und die langperiodischen Sonnenglieder siehe Laplace, 
Mee. cel. 7, Nr. 5. J. W. Lubbock, Lond. Phil. Trans. 1834, p.123—126, Philos. 
Mag. 17 (1840), p. 338—346; 8. D. Poisson, Par. M&m. pres. 13 (1835), p. 209—835, 
Paris ©. R. 4 (1837), p. 475—486; de Pontecoulant, Paris C.R. 4 (1837), p. 280--291; 
V. Puiseux, Paris &cole normale sup., serie 1, 1 (1864), p. 39—80; Poincars, 
Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 289—8310; E. W. Brown, Amer. Journ. math,. 17 
(1895), p. 356—358, Amer. math. Trans. 3 (1902), p. 159—185. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 45 


684 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


vermeiden, hat Brown gegeben.*?) Poincare**) zeigt, daß bei hin- 
reichender Fortsetzung der Näherungen negative Potenzen von m 
auftreten. Er unterscheidet diesen Fall von demjenigen, in welchem 
sehr kleine numerische Divisoren für bestimmte Werte der Konstanten 
auftreten können. 

Alle andern Darstellungen als Summen von harmonischen Gliedern 
lassen sich leicht aus den obigen ableiten. Für Polarkoordinaten wird 
die wahre Länge = nt + + Glieder wie die in y, nur daß in den 
Winkeln iD statt («+ 1)D steht; der Radiusvektor oder die Paral- 
laxe wird wie & mit derselben Änderung in den Winkeln; die Breite 
wird wie 2. Hansens Ausdrücke (Nr. 17) enthalten Terme der Form 
sin oder cos (1 + harmonische Glieder), welche, da die harmonischen 
Glieder kleine Koeffizienten haben, in Ausdrücke der obigen Art ent- 
_ wickelt werden können. 


7. Konvergenz und Divergenz. Die nach Potenzen von m an- 
geordneten Entwickelungen sind wahrscheinlich ‘ divergent.*°) Das 
hindert aber nicht, daß sie zur Berechnung benutzt werden können, 
da Poincare gezeigt hat‘), daß divergente Reihen dazu benutzt werden 
können, Funktionen bis zu einem beschränkten Grade der Genauigkeit 
zu berechnen — die übrigens im Falle des Mondproblems jedenfalls 
größer ist, als es für die Vergleichung mit der Beobachtung erforder- 
lich ist. | 

Wenn man mit rein numerischen Werten der Parameter operiert 
und die Reihen nach Vielfachen der Argumente anordnet, liegt die 
Schranke für die erreichbare Genauigkeit noch höher. Für praktische 
Zwecke handelt es sich wesentlich um die Frage einer langsamen oder 
schnellen „numerischen“ Konvergenz der ersten Glieder der Reihen. 
Eine schlechte Konvergenz tritt hauptsächlich bei der grundsätzlichen 
Entwicklung nach Potenzen von m ein; denn, obgleich m = 0,07 ist, 
bewirken große numerische Faktoren, daß die Reihen (nach m) in 
einigen Koeffizienten nur etwa in demselben Verhältnis konvergieren 
wie eine geometrische Reihe mit dem Quotienten 0,5. Die Methode 
von Hill-Brown (Nr. 16) und Brendel (Nr. 18) läßt diese Schwierig- 
keit so ziemlich verschwinden, indem hier Annäherungen nur nach 
den andern Parametern (e, y, usw.), nicht nach m gemacht werden, für 
welches vielmehr von vornherein sein numerischer Wert benutzt wird. 








43) Amer. Math. 'Trans. 3 (1902), p. 159—185. 

44) Paris Bull. astr. 25 (1908) p. 321—360. 

45) Poincare, Mec. cel. 2, chap. 14. 

46) Ib. chap, 8. Siehe auch E. Borel, Legons sur les series divergentes, 
Paris 1901. 


8. Intermediäre Bahnen. 685 


Gewisse Gruppen von Gliedern für sich genommen sind kon- 
vergent. So bekanntlich die von der Elliptizität der Bahn herrührenden 
für e< 0,6627432.*°) Ferner Hills periodische Bahn (Nr. 16) in dem 
Falle, den unser Mond tatsächlich darbietet“*); dann die Terme, die 
nur von m und den ersten Potenzen von e oder y abhängen”); end- 
lich auch für eine aus Gliedern einer bestimmten Charakteristik ge- 
bildeten Reihe, wenn man den numerischen Wert von m benutzt und 
nach Vielfachen des Argumentes 2 D anordnet.°) Eng verknüpft mit 
der Frage der Konvergenz ist die nach der Stabilität des Systems, 
die hauptsächlich von der oberen und unteren Grenze für den Radius- 
vektor des Mondes abhängt (Häillsche Grenzkurve.°!)) 


8. Intermediäre Bahnen. Wenn man die analytische Form der 
Koordinaten kennt, so könnte man die A, c, 9 (Seite 682) mit der 
Methode der unbestimmten Koeffizienten finden; aber die Kompliziert- 
heit der Bestimmungsgleichungen für die Koeffizienten macht diesen 
Weg praktisch ungangbar, man muß vielmehr die Arbeit in verschiedene 
Schritte teilen. 

Der erste Schritt führt zur sogenannten intermediären Bahn. °?) 
Die meisten älteren Untersuchungen benutzen als solche die unge- 
störte Ellipse; durch Einsetzen der aus ihre folgenden Koordinaten- 
werte in die Störungsfunktion erhalten sie eine zweite Annäherung, 
damit eine dritte usf. Die Ellipse wurde dann dadurch modifiziert, 
daB man cent +e — © statt nt +e — © und gnt+e— # statt 
nt+& — ® einführte, wo ce und g durch die Bedingung bestimmt 
werden, daß für jede Annäherung die der Zeit proportionalen Terme 
verschwinden. Die Annäherungen schreiten so nach Potenzen der 
störenden Kräfte fort. Von den moderneren Theorien benutzt Hansen 
(Nr. 19) eine in der momentanen, Oppolzer eine in der mittleren Bahn- 


47) Laplace, Par. M&m. pres., ser. 2, 6 (1823), p. 61—80. 

48) Liapunoff, Mosk. Phys. Soc. 8 (1896); H. Happel, Diss. Göttingen 1901. 

49) Poincare, Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 87—96. 

50) E. W. Brown, Cambr. Phil. Trans. 18 (1900), p. 94. 

51) Siehe Hill, Researches in the Lunar theory, Amer. Journ. Math. 1 
(1877); Happel, a. a. 0. 

52) Die Bezeichnung stammt von Gylden; ihre Bedeutung ist nicht streng 
definiert, hat aber den Sinn, daß die intermediäre Bahn in gewissem Sinne in 
der Mitte zwischen der Ellipse und der wahren Bahnkurve liegt: Stock. Acad. 
Bib. 6 (1881), Nr. 8; Paris C.R. 92 (1881), p. 1262—1265; Astr. Nachr. 100 (1881), 
p. 97—102; Astr. Ges. Vjs. 16 (1881), p. 296—304. Die Bezeichnungen im Text, 
die nicht ganz mit denen Gyldens übereinstimmen, werden jetzt vielfach ge- 
braucht. Betreffs einer Erweiterung der Bezeichnung siehe Thiele, Astr. Nachr. 
102 (1882), p. 65—70. 

45* 


636 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


ebene bewegliche Ellipse; Delaunay (Nr. 15) eine feste unter dem 
mittleren Winkel gegen eine feste Ekliptik geneigte Ellipse; Hill 
(Nr. 16) eine periodische Kurve, die nur von dem Parameter m ab- 
hängt. Gylden (Nr. 18) schließt in F eine Anzahl von Termen ein, 
die dazu dienen, den Hauptgliedern in den Koeffizienten der größten 
Störungen von vornherein Rechnung zu tragen. Hill?®) hat vorge- 
schlagen, F auf die Terme - En —h («+ y?) + r 2? zu beschränken, 
wo k und %’ Konstanten sind, die so bestimmt werden müssen, daß 
die mittleren Bewegungen der Apsiden- und der Knotenlinie ihre be- 
obachteten Werte haben. Die Bewegungsgleichungen reduzieren sich 
damit auf die folgenden: 


tut kt I-0; ut stBsut—0, 


wou= - v = der wahren Länge, s—=tang der Breite; « und 


sind gewisse kleine Konstanten, die von k, X und gegebenen Para- 
metern abhängen. 

Die Lösung bewirkt er, indem er zunächst s vernachlässigt, für 
die erste Gleichung durch elliptische Integrale’*) oder fortgesetzte 
Näherungen; dann folgen Annäherungen nach Potenzen von s. Man 
findet dann % und s als Reihen, die nach Vielfachen der Argumente 
cv + r, und g’v + 9, fortschreiten, und # aus einer Gleichung ähnlich 
der dritten von b) in Nr.4. Perchot°°) schlägt vor, von Delaunays 
Gleichungen (Nr. 15) auszugehen, und wendet, unter der Annahme, daß 
die mittleren Bewegungen von Perigäum und Knoten kommensurable 
Werte haben, die sehr nahe mit ihren tatsächlichen Werten überein- 
stimmen, Poincares°°) Theorie der periodischen Lösungen an. Die so 
erhaltene intermediäre periodische Bahn ist frei von dem Mangel, daß 
Apsiden- und Knotenlinie festliegen. Die Lösung wird durch die Methode 
von Poincare gefunden (Nr.15), die in einer Modifizierung der Delaunay- 
schen besteht. 

Diese speziellen Methoden geben im allgemeinen gute Annähe- 
rungen für die großen Glieder und sind in theoretischer Beziehung 
nützlich, ihr Wert für die Entwicklung einer vollständigen Mond- 
theorie ist aber bisher noch nicht erwiesen. Weitere Methoden, inter- 


53) Astron. Journ. 18 (1897), p. 81—87. = Works 4, p. 136—149. 

54) Eine Ableitung dieser Formeln nach Jacobis Methode ist von A. W. 
Krassnow, Astr. Nachr. 146 (1898), p. 7—10 337—340, gegeben. 

55) Par. Ec. norm. sup., ser. 3 10 (1893) S, p. 3—94. 

56) Mec. cel., chap. 3. 


9. Die Entwicklung der Störungsfunktion. 687 


mediäre Bahnen abzuleiten, sind von R. Radau studiert worden.°”) 
Brendel (Nr. 18) schließt die Terme, die von m, = 
seine intermediäre periodische Bahn ein. 


= abhängen, in 


9, Die Entwicklung der Störungsfunktion. Mit er Bezeich- 


nungen von Nr.3 und 4 hat man cs®=(1+ s°) 3 cos (v — v), 
wo v’ die wahre Länge der Sonne ist. Entwickelt man danach die 
P, nach Potenzen von s, dann ist R eine Funktion von 


r,r,rcosv,rsinv,r cosv,, r sin v, s. 


Führt man, wie es in einigen Theorien geschieht, die elliptischen 
Werte für die Koordinaten ein°®), so finden wir: 


R= wat > (1 — A) x, Bee "y?ra% cos N; 
hier ist 
a 


U =) 
a 


Nein te aD) +. + — 9) +2, (nt He — 9) +55 
B ein Quotient von 2 ganzen Zahlen; 
und weiterhin gilt: 
= nt+e—nt—E), 
Ju Jar Ir a =(0,+1,+ 2.2, 
ii, 2, und >]; Ial, 1258 |, O mod 2. 
Die Derivierten von R erhält man so: 


„OR —_ 
or 


OR 0R 


ten 


Dagegen muß = aus der Entwicklung in der Form, die sie vor Ein- 


setzen der elliptischen Werte hat, gewonnen werden. Wird v als un- 
abhängige Veränderliche benutzt, so müssen für r und s deren ellip- 
tische Ausdrücke durch v eingeführt werden, ferner muß in r’ und v’ 
die Zeit durch ihren elliptischen Ausdruck als Funktion der wahren 
Länge v ersetzt werden. Die Entwicklungen, die für spezielle Methoden 
gelten, werden im einzelnen bei der Darlegung jener Methoden an- 
gegeben. Die höheren Annäherungen in R können durch das Taylor- 
sche Theorem erhalten werden, wenn man die entsprechende Annähe- 
rung für die Koordinaten gefunden hat. 


57) Paris Bull. astr. 9 (1892), p. 321—340. 
58) Tafeln zu diesem Zweck hat A. Cayley, aufgestellt, Lond. Astr. Soc, 
Mem. 29 (1861), p. 191—306. = Coll. Works 3, p. 360—474. 


638 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


10. Die Variation der Konstanten.°”) Die Lösung der Bewegungs- 
gleichungen für die elliptische Bewegung ist die gleiche wie in der 
Planetentheorie (VIs, 14), und Lagranges Gleichungen für die Varia- 
tion der Elemente a, e, y, &, ©, ® behalten also dieselbe Gestalt. 

Die Jacobische kanonische Grundform des Problems ist 


da; öR dß, 





md 
DIE a ee 


wo sich die kanonischen Elemente durch die elliptischen folgender- 
maßen ausdrücken: 


gs —Ö ar; 
rREHTRN TG EFT FT v, 2 Eaana Y, 


B,=— Fr Ps —=Yua(1—e}), ß; = B, eos y. 


Für R=0, also «,= const., ß,— const. ergibt sich natürlich die 
elliptische Bewegung. Man hat noch andere Formen der kanonischen 
Differentialgleichungen vorgeschlagen, deren jede ihre besonderen Vor- 
züge hat. Jede Berührungstransformation der 6 Variabeln (Enzyklop. 
IV 2), verbunden mit einer entsprechenden Änderung der charakte- 
ristischen Funktion, erhält ja die kanonische Form der Differential- 
gleichungen. Die meistbenutzten anderen Formen sind: 

a) Delaunays‘®) Form, die das Auftreten der Zeit außerhalb des 
Arguments auf der rechten Seite der Gleichungen vermeidet. Man 
setze dazu: 


L=Yna; G=ßy; H=ß,; I=n(t+ 0), 9—0; =; R= 37: + R,, 
dann ist 


0 d © 
Et, G,H)= (dr d9 77) R 13 19; = — (sr 3@’ za) 


Hier ist jetzt R, periodisch mit der Periode 2x in bezug auf |, g, h, T, 
und die Koeffizienten der periodischen Terme sind Funktionen von 
L,@, H und den festen Konstanten. 

b) Die modifizierte Delaunaysche Form erhält man, indem man setzt: 


»—L,9n»=-6—-L,p=-H-G ,—i+9+h,9=9+h,g—h. 
Dabei sind p, und p, von den Ordnungen e? und y°, und q, ist die 
mittlere Lange, g, die Länge des Perihels, 9; die des Knotens. 


9) Die Literatur hierüber ist sehr umfangreich. Der Gegenstand ist unter 
eingehender Literaturangabe behandelt von: Tisserand, Mec. cel. 1 und 3; 
Dziobek, Theorie der Planetenbewegungen, Leipzig 1888; Brown, Treatise; 
Charlier, Mech. des Himmels 1 (1902), Abschn. 5. Siehe auch die reports von 
A. Cayley, Brit. Ass. 1857, 1862 u. E. T. Whittaker, ib. 1899. ferner Encyel. IV 2. 

60) Theorie du mouvement de la Lune, chap. 1. 


11. Verschiedene Eigenschaften der Lösung. 689 


c) Poincares®') Transformation. Man setze 
r B Br 1,2 Ve co 
PP hi, ,-VAL- sin —V2(G—H) n®; 


. . ’ [4 ’ ’ 1 
dann ist R entwickelbar nach Potenzen von > 92, P3, 95, ©, „7 und 


ist mit 2x periodisch in q,’ und !. Wenn man nun mit dieser Trans- 
formation noch den Gedanken (Nr. 4d) kombiniert, zwei neue Variable 
?,, 9 mit der entsprechenden Änderung in R, einzuführen, so er- 
reicht man, daß R, allein in q,' periodisch und nach den übrigen 
kanonischen Koordinaten p/, q; @= 2, 3, 4) entwickelbar wird; es er- 
gibt sich aber dann natürlich ein System von vier Paaren kanonischer 
Differentialgleichungen. 

d) Hansens‘?) Transformation auf „Pseudoelemente“ 2 derart, daß 


dA — I'(A,dp, + B;dg,) 


kein vollständiges Differential ist. Diese kann in gewissen Fällen, wo 
R die A nicht explizit enthält, nützlich sein (Nr. 17). 

e) Browns®®) Transformation auf das nicht kanonische System 
N, Pa5 Ps, 9; 9a, 9, wird ausgiebig bei der Bestimmung planetarischer 
und anderer Störungen gebraucht (Nr. 19—24). 


11. Verschiedene Eigenschaften der Lösung. Das erste kano- 
nische System von Nr. 4 d) führt auf 6 willkürliche Konstanten 
a, B,"">®; hier kommen die ß, nur in Argumenten &,—b;t-+ ß, 
vor, in denen die b, Funktionen der «, und fester Konstanten sind. 
Bezeichne jetzt f, g irgend zwei dieser Größen°%); entweder aus dem 
Satze «,, ß, oder «,, ©, so haben wir: 

BETEN RT OPER Ey BUT, Taman a8 aa 
KON Ba ee rer: 
[f, 9] = eonst. 

Hier sind x, y,2, x, y',z’ als durch die willkürlichen Konstanten und £ 
ausgedrückt zu denken. Die Symbole in runder und eckiger Klammer 
unterscheiden sich nur dadurch, daß entweder die &;, ß,; oder die «,, ®, 


61) Mec. cel. 1, chap. 1. 

62) J. f. Math. 42 (1850), p. 1—31; ferner A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem, 
27 (1859), p. 1—29 —= Collected works 3, p. 270— 292. 

63) Trans. Amer. Math. Soc. 4 (1903), p. 241—242; ib. 5 (1904), p. 279— 284; 
Lond. Astr. Soc. Mem. 59 (1908), p. 5—9. 

64) Dies sind eigentlich neue Variable. Die f, 9 sind Konstante, wenn man 
sie aus dem Satz «,, ß; wählt; die g hängen von der Zeit ab, wenn man den 
Satz «;, o; wählt. 


690 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


eingesetzt zu denken sind. Weiter ist nach Nr. 6: 


(@;, «,) = (ß,, ß,) = [a,, «,] = [o,, ®@,] = 
de, , dB i,j=1,2,3 
(@;, ß,) el [e;, @;] — Fr b=— de; 


wo c, in B von den ß, unabhängige Konstanten sind. Die Systeme 
6, ß, und c,, ®, sind kanonisch; wir haben also: 


(4, B,) = 6, @,] = = 
je nachdem Be 
mr 
T 
ist. 65) öi 
Bezeichne ferner [Q] den zeitlichen Mittelwert irgendeines Aus- 
druckes Q@, also den konstanten Teil in der Entwicklung von @ in 
trigonometrische Reihen nach den von der Zeit abhängigen Argu- 


menten. Dann lassen sich (Nr. 6) - D u [] in Potenzreihen nach 
e? und y? entwickeln, deren Koeffizienten ihrerseits Potenzreihen nach 
m, ec, (2) sind. Wenn man (= 2) vernachlässigt, so sind, wie 
J. C. Adams‘®) gezeigt hat, die Koeffizienten von e® und y? in | 
gleich null; und ferner ist: 








Koeff. von e* File! WER Koeff. von e® . [2]; & 
Koeff. vony? n  Koeff. von 2e?y? np 


Koeff. vone®. #, Koeff. von 2e?y?. [2] 


Koeff. von y? N,  "Koefl. von y* 





rl 


E. W. Brown®“) hat, indem er eine Formel zur Berechnung der 
Terme 2g** Ordnung in bezug auf e und y in der Entwicklung von 


[] erhielt, diese Beziehungen erweitert und auf alle Potenzen von 
e und y? ausgedehnt. Er hat ferner bewiesen®), daß 


[#] =B+ba+b%+ bc; 


ist, und daß diese Beziehung die Theoreme von Adams und deren . 
Erweiterungen einschließt. Wir wählen in diesem Falle ß, = &,ß,=®, 
ß;,=# so daß b,—=n, b,=n,, b,—=#, werden. Mit den Resultaten von 


65) Siehe hierfür Poincare, Sur les equations du mouvement de la Lune, 
Paris Bull. astr. 17 (1900) p. 167 u. ff. 

66) Lond, Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1878). =Collected works 1, p. 189— 204. 

67) Investigations, Amer. Journ. Math. 17 (1895), p. 345—356. 

68) London Math. Proc. 28 (1897), p. 143—155. 


11. Verschiedene Eigenschaften der Lösung. 691 


Adams hat sich auch L. Picard®°) beschäftigt, der zu ihrem Beweise 
die Theorie der Integralinvarianten heranzieht. Eine weitere Reihe 


von Beziehungen, die gelten, wenn Fr. nicht vernachlässigt wird, hat 
wiederum E. W. Brown") erhalten: 


(@) tan te de 

(B) ng nee 
d dF7ıı 

9) 2-& 


wobei « eine gegebene Konstante ist, die in F, aber nicht in dem 
Winkel n’t + e' vorkommt und von n’ unabhängig ist, und wo nn 
bedeuten soll, daß die Ableitung nach « nur soweit dasselbe in dem 
ursprünglichen Ausdruck für F explizit vorkommt, genommen werden 


soll. Ferner 








Zu at dc, ap u 
T-F—H0=—B w %-- 7, ) 
daB oF 3LZ 2 et UR 

(0) Zur = Te => + E Ar 


wo Gr bedeutet, daß die Ableitung des ursprünglichen Ausdruckes 


von F nach dem explizit auftretenden » ohne Rücksicht auf sein 
Vorkommen in »’t + €’ genommen werden soll. 

Diese Relationen werden auf beliebige Funktionen der gegebenen 
Konstanten und von £ in einer weiteren Arbeit””) ausgedehnt. 

Brown”*) gibt noch eine andere Schar von Beziehungen zwischen 
den Derivierten von Funktionen der Koordinaten nach den willkürlichen 
Größen. Insbesondere wird gezeigt, wie Derivierte nach n aus einer 
Theorie gefunden werden können, in der » numerisch benutzt ist, 
wenn nur die andern willkürlichen Größen unbestimmt gelassen sind. 
Es wird zunächst gezeigt für die Systeme b) und c) von Nr. 10 und 
dann’) für Rechnungszwecke erweitert auf die Konstanten e, k seiner 


Theorie (Nr. 16). 


69) Paris ©.R. 131 (1900), p. 6683—665. 

70) Amer. Math. Trans. 4 (1903), p. 333—350. 

71) Resultate, welche den («) u. (ß) entsprechen, hat Newcomb für das all- 
gemeine 3-Körperproblem erhalten; Smiths. Contr. 21 (1876), Nr. 3. 

72) Vgl. auch Nr. 4d, 

73) E. W. Brown, Trans. Amer. Math. Soc. 6 (1905), p. 332—343. 

74) Trans. Amer. Math. Soc. 3 (1903), p. 234—248, 

75) Lond. Astr. Soc. Mem. 59 (1908), p. 10—13. 


692 VIe, 14 Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


II. Die Lösungsmethoden, 


12. Die geometrischen Methoden. Der erste, der die haupt- 
sächlichsten Ungleichheiten der Mondbewegung aus dem Gravitations- 
gesetze herleitete, war J. Newton selbt"), der alle seine Ableitungen 
in eine geometrische Form goß; er erhielt die Koeffizienten der Un- 
gleichheiten — abgesehen von der Evektion — ziemlich genau. Auch 
die mittleren Bewegungen der Apsiden- und Knotenlinie hat er bestimmt; 
jedoch ergab sich für erstere nur ungefähr die Hälfte des beobachteten 
Wertes; aus den Manuskripten‘”) scheint jedoch hervorzugehen, daß 
es ihm später gelungen ist, ihren Wert innerhalb 8°%, genau zu 
finden. Seine Methode ist im wesentlichen die Variation der Kon- 
stanten (Nr. 15); sie ist von einigen späteren Autoren in analytische 
Form umgegossen worden.) 

Die Hauptungleichheiten haben die folgenden Bezeichnungen er- 
halten: 

die elliptischen Ungleichheiten sind die mit den Argumenten 
I, 21, 3l usw.; 

die jährliche Gleichung ist die mit dem Argument 7’; 

die Variation die mit dem Argument 2D; 

die Evektion die mit dem Argument 2D—|; 


die parallaktische Ungleichung ist der mit ne multiplizierte Haupt- 


teil des zum Argument D gehörigen Termes. 

Die mittlere Bewegung der Apsidenlinie ist die auf die Zeiteinheit 
bezogene Veränderung des Argumentes nt ge — I; die mittlere Be- 
wegung der Knotenlinie jene des Argumentes nt + = — F (Nr. 6). 
Ursprünglich haben sich diese Namen auf den Gesamtbetrag gewisser 
beobachteter Ungleichförmigkeiten in der Mondbewegung bezogen; 
heute bezieht man sie lediglich auf die angeführten bestimmten Argu- 
mente; sie werden mit Vorteil vor allem bei geometrischen Ableitungen 
der Mondbewegung benutzt. ””) 


13. Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche. Laplace®®) 
benutzt die modifizierte Ellipse (Nr. 8) als intermediäre Bahn und 





76) Principia, 3. Buch. 

77) Portsmouth Collect., Cambridge 1888. 

78) Laplace, Mec. cel., liv. 16; J. ©. Adams, Coll. Works 2, p. 227—232; 
Tisserand, M&c. cel. 3, chap. 3. 

79) J. Herschel, Outlines of Astronomy, London 1883; Airy, Gravitation, 
London 1834; Möbius, Elemente der Mechanik des Himmels sect. 3, Leipzig 1843. 
— Gesammelte Werke 4. 

80) M&e. cel. 3, liv.7. In bezug auf Laplaces Methode siehe auch: Airy, 


13. Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche. 693 


setzt die aus ihre folgenden Koordinatenausdrücke in R (Nr. 3), und 
dann dessen Ausdruck in die zwei ersten Gleichungen Nr. 4 b) ein. 
Seien u,,s, die der modifizierten Ellipse entsprechenden und u=u, +6u; 
s—=s,+6ds die gesuchten genauen Werte, so kennen wir (Nr. 6 mit 
v statt nt + e) für du und ös den formalen Ansatz als trigono- 
metrische Reihe mit unbestimmten Koeffizienten; die durch das Ein- 
setzen in die Differentialgleichungen sich ergebenden Bedingungs- 
gleichungen bestimmen diese letzteren. 

In du treten zwei neue Integrationskonstanten in der Form 
A cos (cv + «) auf; Laplace setzt « = — ©, und für A einen Wert, 
so daß der formelle Ausdruck der hauptsächlichsten elliptischen Un- 
gleichung in Länge ungeändert bleibt; ce wird aus den Bedingungs- 
gleiehungen der anderen Terme dieses Arguments durch die Forderung 
bestimmt, daß » nicht außerhalb trigonometrischer Funktionen vor- 
kommen soll. Der Hauptterm von ds ist von der gleichen Form; 
die Integrationskonstanten und g werden auf analoge Weise bestimmt. 
Wenn du und ds als Funktionen von v erhalten sind, dann gibt die 
dritte Gleichung Nr. 4b) ? als Funktion von v; die neu auftretenden 
Integrationskonstanten werden so gewählt, daß stets nt + & gleich 
dem unperiodischen Teil von v wird; nunmehr findet man durch 
Reihenumkehrung v, und damit endlich u und s als Funktionen von t. 
Sobald die Bedingungsgleichungen aufgestellt sind, setzt Laplace, ab- 
gesehen vom Koeffizienten des Hauptgliedes jeder Periode, die nume- 
rischen Werte ein (Nr. 6). Die so er haltenen Näherungswerte schließen 
die zweiten Potenzen der störenden Kraft, also die Quadrate und 
Produkte der du und ds und, für gewisse Terme, bei denen kleine 
Divisoren auftreten, die dritten Potenzen ein. 

Clairaut®") ist zunächst davon ausgegangen, in Nr. 4b) die Breite 
zu vernachlässigen, und hat dann die Lösung durch fortgesetzte Nähe- 
rungen gesucht. Er führte zuerst die modifizierte elliptische Bahn 
in die Differentialgleichungen ein und veröffentlichte einen mit den 
Beobachtungen genügend nahe übereinstimmenden Wert für e; er hat 
seine Resultate auf numerischem Wege erlangt. D’Alembert??) befolgte 
eine ähnliche Methode, jedoch unter Benutzung analytischer Entwick- 
lungen; er gab auch allgemeine Entwicklungen für die Koordinaten, 
welche allein periodische Glieder enthalten, und endlich erkannte er 


Math. Tracts, Cambridge 1831; Godfray, Treatise, London 1871; Resal, Mee. 
c@l., chap. 12, Paris 1884; Tisserand, Me&c. ce@l. 3, chap. 7. 

81) Theorie de la Lune, St. Petersburg 1752, 1765. 

82) Recherches, tome 1. 


694 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


es auch als wichtig, sich mit der Konvergenz dieser Reihen zu be- 
schäftigen. | 

Damoiseau®?) und Plana°®) sind der Methode Laplaces gefolgt, 
ersterer numerisch, letzterer analytisch, und zwar bis zu einem viel 
höheren Grade der Annäherung. Plana gelangte zu Entwicklungen, die 
bis zu den 5. Ordnungen in den Parametern gehen, aber es schlichen 
sich viele Irrtümer®®) in seine Arbeit ein, die ihren Wert vermindern; 
sie wurde durch Delaunays Theorie vollständig in den Schatten ge- 
stellt (Nr. 15). Laplaces Methode ist auch vielfach für spezielle 
Gruppen von Störungsgliedern angewandt, aber die Reihenumkehrung 
und die Darstellung von cos, sin!’ als Funktionen von v, welche 
bei ihr erforderlich sind, haben ein ernstes Hindernis für ihre Ent- 
wicklung bis zu einer modernen Anforderungen genügenden Genauig- 
keit gebildet. 

14. Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Veränder- 
licher. De Pontecoulant?®) benutzt die Gleichungen Nr. 4a und löst 
sie, indem er zunächst s vernachlässigt, vollständig bis zur 5. Ord- 
nung in den kleinen Größen, für gewisse Koeffizienten sogar bis auf 


höhere Ordnungen; die Methode ist die der unbestimmten Koeffizienten. 


Für die Breite geht er auf die Differentialgleichung ne = rn zurück, 


welche einfacher als die Gleichung für s ist; in diese werden die 
früher erhaltenen Werte für r und v eingesetzt, und man findet dann 
alle Terme, die von der ersten Potenz von y oder 2 abhängen. Die 
Gleichungen für r und v geben die von y?, jene für z die von y° 
abhängigen usf. Die willkürlichen Konstanten sind so definiert, daß sie 
ihrer Bedeutung nach mit denen von Laplace übereinstimmen, und 
sie weichen auf diese Weise von ihrer für diese Theorie naturgemäßen 
Definition ab®”). J. W. Lubbock®®) befolgte unabhängig fast die gleiche 
Methode, trieb sie aber nicht bis zu derselben Genauigkeit; jedoch deckte 
er, indem er häufig seine Resultate mit denen von Plana und de Ponte- 
coulant verglich, mehrere Fehler auf. Die Arbeit von Stockwell®®) ist 


83) Theorie de la Lune, Paris m&m. pres. ser. 3 1 (1827), p. 313—598. 

84) Theorie du mouvement de la Lune, 3 Bde., Turin 1832 

85) Lubbock, Lond. Astr. Soc. mem. 30 (1862), p. 1—37; Adams, Lond. 
Astr. Soc. Month. Not. 13 (1853), p. 262 = works 1, p. 110; Cayley, ib. 23 (1863), 
p. 211—215; 25 (1865), p. 182—189 — works 7, p. 357—360, 361—366. 

86) Systeme du monde, 4, Paris 1846. Die Methode ist im einzelnen aus- 
einandergesetzt in den Lehrbüchern von Tisserand, Brown, Andoyer. 

87) Siehe Brown, Treatise, Art. 152, 159. 

88) Siehe das Verzeichnis zu Anfang dieses Artikels. 

89) Gesammelt in „Theory of the Moon’s motion“, Philadelphia 1881. 


15. Die Variation der willkürlichen Konstanten. 695 


infolge von Fehlern in der Theorie nicht sehr zuverlässig. Über die 
Arbeiten von Aöry und Cayley siehe Nr. 15. E. Neison (= Nevill)°®) hat 
eine Methode skizziert, die Mondtheorie innerhalb der Richtlinien 
Pontecoulants so zu behandeln, daß für jeden Koeffizienten und jedes 
Argument, welche in der Entwicklung der Glieder der Differential- 
gleichung vorkommen, ein besonderes Symbol eingeführt wird, welches 
die Herkunft des Gliedes andeutet. Man kann dann die Gleichungen 
entwickeln, integrieren und den Wert jedes Koeffizienten nach der 
Integration einsetzen; so trifft jeder etwa begangene Fehler nur den 
Term, in dem er begangen ist. Dies ist die Methode der unbestimmten 
Koeffizienten in ihrer allgemeinsten Form, aber die Kompliziertheit 
des Verfahrens läßt seinen praktischen Wert zweifelhaft erscheinen. 
H. Andoyer®*) hat sie jedoch mit Erfolg zu sehr genauen allgemeinen 
Entwicklungen spezieller Terme (Nr. 6) verwandt und durch Vergleich 
mit Delaunay (Nr. 15) viele kleine Fehler bei letzterem berichtigt. 


15. Die Variation der willkürlichen Konstanten. Die erste An- 
wendung dieser Methode auf die Mondtheorie stammt von Euler”?), 
der sich aber im wesentlichen damit begnügte, die Gleichungen anzu- 
geben. Poisson”?) schlug vor, die Differentialgleichungen für die sechs 
Elemente a, e, i, &,@,% (VI 2,15, Nr.6) zu einer allgemeinen Entwick- 
lung nach fortgesetzten Näherungen zu verwenden. Er erkannte in- 
dessen schon, daß sie am nützlichsten bei der Behandlung der lang- 
periodischen und säkularen Terme sein müßte, und seine Beispiele 
betreffen zum größten Teil Berechnungen einzelner von diesen; es steht 
jedoch allgemein fest, daß die Methode für eine vollständige Entwick- 
lung nicht brauchbar ist. V. Puwiseux”) hat sie modifiziert, indem er 
in der Störungsfunktion nur die für den besonderen Zweck erforder- 
lichen Terme beibehielt. Er kommt so zu einer schnelleren Berech- 
nungsweise für gewisse säkulare und langperiodische Ungleichheiten, 
besonders die, welche von der Wirkung der Planeten herrühren. 


90) Lond. Astr. Soc. mem. 44 (1879), p. 1—49. 

91) Face. Toul. Ann. 6 (1892), J; 7 (1893), E = Toul. Obs. Ann. 3 (1899), 
B, C; Paris Bull. Astr. 18 (1901), p. 177—208; 19 (1902), p. 401—418; 24 (1907), 
p- 395—412. In der letzten Arbeit ist die Methode modifiziert. Siehe auch das 
Buch des Verfassers im Literaturverzeichnis. Die modifizierte Methode wendet 
P. Coubet, Face. Toul. Ann. Ser. (3) 1 (1909), p. 381—471 auf von der Neigung 
abhängige Ungleichungen an. 

92) Theoria motus Lunae, St. Petersburg 1753, Appendix; Berl. Acad. mem. 
1763 (publ. 1770), p. 141—193. 

93) M&moire sur le mouvement usw., Paris möm. pres. (3) 13 (1835), p.209—335. 

94) Paris Ec. norm. sup. Ann. ser. 1 (1864), p. 39—80. 


696 VI2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Delaunays Theorie®°) geht von den Gleichungen Nr. 10a aus, wo 
der Wert von R unter der Voraussetzung der elliptischen Bahn ent- 
wiekelt (Nr. 9) und damit implizit durch die Variabeln /, g, h, L,G,H 
ausgedrückt ist. Man setzt ,—=— B—4Acos#® + KR, wo —B 
der Teil von AR, ist, der unabhängig von !,g,h,! und — 4 cos®# 
einer der periodischen Terme in R, ist. Man löst diese Gleichungen, 
indem man zunächst R,’—= 0 setzt. Dann erscheinen statt der ellip- 
tischen Werte /!, g, h, Z, @, H neue willkürliche Konstanten /,, 9, 
h,, L, &, H,. Will man nun AR, berücksichtigen, so sind diese 
Größen nieht mehr konstant. Es zeigt sich aber, daß sich die Diffe- 
rentialgleichungen, aus welchen sie zu bestimmen sind, wiederum auf 
die kanonische Form bringen lassen; also 

BEN URN SENELFLTE TIER 

Br ra TB ee 
wo R, sich von AR, dadurch unterscheidet, daß einmal die alten Größen 
!...H durch die neuen /,... A, ausgedrückt sind, und daß ferner 
eine gewisse Funktion von L,, @,, H, hinzugefügt werden muß. Der 
Effekt dieses Verfahrens ist, daß in der neuen Funktion .R, das Glied 
A cos ® nicht mehr vorkommt. Dasselbe Verfahren wird nunmehr 
unter Heraushebung irgendeines periodischen Gliedes in R, usf. so 
lange wiederholt, bis alle merklichen periodischen Glieder eliminiert 
sind. Die Differentialgleichungen reduzieren sich dann auf: 

Bası SRH ale, Sir To 

di ET 2L, as 
welche unmittelbar gelöst werden können. Allerdings treten in diesem 
Verfahren bei jedem Schritt neue periodische Terme in R, auf, aber 
dieselben sind jeweils von höherer Ordnung als die bereits eliminierten; 
auf die Weise braucht der Prozeß nur so lange fortgeführt zu werden, 
als die Koeffizienten noch merklich sind. Die Modifikationen und 
Einzelheiten findet man bei Delaunay”) in Kap. 5 und in späteren 
Auseinandersetzungen der Methode durch verschiedene Autoren °®). 

Nachdem diese Operationen erledigt sind, müssen die verschiedenen 
Transformationen, welche die Integrationskonstanten hintereinander er- 


litten haben, in die elliptischen Reihenentwicklungen für Breite, Länge 


und Parallaxe (oder ) eingesetzt werden, die damit Funktionen von 


t und den endgültigen willkürlichen Konstanten werden. Endlich 





95) Theorie de la Lune, Paris mem. pres. 28 (1860), 29 (1867); er gibt 
seine Methode auch in Conn. des Temps, Add. (1861), p. 3—44. 

96) Tisserand, Mee. cel. 3, chap. 11, 12; Brown, Treatise, chap. 9. Siehe 
auch die späteren Noten dieser Nr. 


15. Die Variation der willkürlichen Konstanten. 697 


müssen diese letzteren aus praktischen Gründen noch einmal durch 
neue ergänzt werden, welche folgenden Anforderungen entsprechen: 
1) nt + & ist der nichtperiodische Teil der Länge; 2) der hauptsäch- 
lichste Term sowohl in Länge als in Breite (Argumente: cent +: --ö, 
gnt + e— ®) müssen für ihre Koeffizienten denselben Ausdruck haben 
wie in der elliptischen Bewegung; 3) &— © bzw. &—% sind die 
konstanten Teile dieser Argumente; 4) na =u=E-+M. Alle 
Entwicklungen sind bei Delaunay bis zum 7. Grade einschließlich in 
den kleinen Größen (m = ;\, als kleine Größe erster Ordnung betrachtet) 
geführt, abgesehen von einigen Koeffizienten, die weiter geführt sind, 
wegen auftretender großer numerischer Multiplikatoren, welche ihre 
Konvergenz verlangsamen?”). Aöry®) und Cayley”’) schlugen vor, 
"Delaunays Endresultate durch Einsetzen in die Gleichungen Nr. 4a) 
zu kontrollieren und nachzusehen, welcher Korrektionen sie bedürfen; 
ersterer führte diese Arbeit auch in ziemlichem Umfange durch, ver- 
fiel aber in Irrtümer"). Die Methode ist auch unvollständig''!), weil 


Delaunay r nur bis zur 5. Ordnung gibt, während man für Gleichung 


Nr. 4a) diesen Ausdruck bis zu demselben Genauigkeitsgrade braucht 
wie Länge und Breite. Tafeln, die auf Delaunays Theorie gegründet 
sind, sind von Radau veröffentlicht worden.!”) 

Der wesentliche Punkt von Delaunays Theorie ist der Übergang 
von einem Satze kanonischer Differentialgleichungen zum andern; er 
selbst erreicht dies durch direkte Transformation, Brown!) durch 
die Methode der willkürlichen Variationen, Tisserand'!*) und, kürzer, 


97) Die numerischen Ausdrücke der Koordinaten sind von Delaunay ge- 
geben: Conn, des Temps pour 1869, Add. p. 3—42; die vollständigen analytischen 
Ausdrücke von Knoten- und Apsidenlinie in Paris C. R. 74 (1872), p. 17—21; die 
analytischen Ausdrücke der Koordinaten in Conn. des Temps 1865, Add. p. 3—87 
sind ohne die Zusätze gegeben, die er durch ergänzende Untersuchungen — Paris | 
mem. pres. 29 (1867), chap. 10 — fand, welche unternommen waren, um langsam 
konvergierende Koeffizienten bis zu höheren Ordnungen genau zu erhalten. 

98) London Astr. Soc. Monthly Not. 34 (1874), p. 89—98; Greenw. obs. 1875, 
App. p. 1—68; Numerical Lunar Theory, London 1886. 

99) London Astr. Soc. Monthly Not. 52 (1892), p. 2—5 = works 13, p. 206 
— 209. 

100) Ibid. 49 (1889), p. 2. 

101) R. Radau, Paris Bull. astr. 4 (1887), p. 274—286 — Lond. Observatory 
10 (1887), p. 339—345, 377—383; J. C. Adams, London Astr. Soc. Monthly Not. 48 
(1888), p. 319—322 — Coll. Works 1, p. 264—267; E. J. Stone, London Astr. Soc. 
Monthly Not. 52 (1892), p. 68—69. 

102) Paris 1911. 

103) Treatise, chap. 9. 

104) J. de Math. (2) 13 (1868), p: 255—303; Mec. ceel. 3, chap. 11. 


698 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Brown‘®) durch die Benutzung der Jacobischen Methode. Die Lösung 
jedes Satzes kommt auf die folgender Gleichungen hinaus: 
dr BRD dB 08 - 
Kt cs + go tin; 7 A su 9. 
Diese Gleichungen ergeben als Lösung: 
Acos#® + B+ in = ( = const. 


do 
ei :-T V4?—-(C— B- in 9)!’ 


A und B sind Funktionen von ®, und i ist der Koeffizient von 7’ in 
%. In der Mondtheorie ergeben diese Gleichungen ® als periodische 
Funktionen von 9,(t+ c), wo ®, eine bestimmte Konstante ist. Das 
Integral ist vollständig für alle Fälle von Poincare!%®) studiert worden. 
Die Gleichungen sind im allgemeinen vom Typus Nr. 5c), und es 
müssen also in speziellen Fällen die dort gegebenen Modifikationen 
eintreten. 

Poincare'”) hat darauf hingewiesen, daß die kanonischen Glei- 
chungen Nr. 10b) mit Vorteil vor den Delaunayschen benutzt werden 
können, indem es dann unnötig ist, sowohl @ und H als e und y 
in den Formeln hervorzuheben, und Brown!) zeigte weiter, daß, wenn 
man Nr. 10b) verwendet, man die Lösung in einer Form vornehmen 
kann, die jede Anzahl von periodischen Gliedern einzuschließen ge- 
stattet. Endlich haben Bohlin!®) und Poincare"!”) eine Methode ge- 
funden, welche die Transformationen von einem Satz kanonischer 
Gleichungen zum nächsten zu vermeiden gestattet; in Poöncares Aus- 
einandersetzung stellt sich die Methode als eine Entwicklung dar, 
welche dadurch erreicht wird, daß die „Hauptfunktion“ ihrerseits in 


der Form: 

S=S8+ ms, + m’S,—+ --- 
entwickelt auftritt, wo die S,, $S, usw. durch Rekurrenzen bestimmt 
werden. 


Für Perchots Modifikation von Delaunays Methode vgl. Nr. 8. 


16. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. In 
seiner späteren Theorie benutzt Euler''') rechtwinklige xy-Achsen, 


105) London math. proc. 27 (1896), p. 385—390. 

106) M&c. c&@l., chap. 19. 

107) Mec. c&l., chap. 1, p. 80; O. Callandreau [Paris Bull. Astr. 12 (1895), 
p. 369—372] zeigt, wie die Rechnung in diesem Fall vor sich geht. 

108) London Math. Proc. 28 (1897), p. 146. 

109) Bih. Stockholm Akad. 14 (1889), Nr. 5. 

110) Mee. ce&l., chap. 19. 

111) Theoria motuum Lunae etc., S" Petersburg 1772. 


und 








16. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. 699 


die sich in der Ebene der Ekliptik mit der mittleren Winkelgeschwin- 
digkeit des Mondes bewegen, während die z-Achse konstant senkrecht 
zur Ekliptik steht. Die Lösung des Problems wird als in der folgen- 
den Form entwiekelbar vorausgesetzt: 

A+Be+Be+:...+0e+0,de+:--®D+-:-;, 
wo die A, B, C, usw. aus periodischen Gliedern bestehen. Das ist 
nun möglich bis zur zweiten Ordnung, jedoch nicht für die höheren 
Ordnungen, indem auch die Bewegungen der Apsiden- und Knoten- 
linie die Potenzen von e?, e” usw. enthalten. Indessen vermeidet Euler 
diese Schwierigkeit, indem er die aus den Beobachtungen abgeleiteten 
Werte dieser mittleren Bewegungen anwendet und deren theoretische 
Werte nur zur Verifikation benutzt. Er erhält dann eine Reihe von 
Systemen von Differentialgleichungen für die sukzessive Bestimmung 
der A, B usw., und jedes System kann dann nach der Methode der 
unbestimmten Koeffizienten integriert werden, da ja die Ausdrücke 
der Form noch bekannt sind. Er gibt die Lösung von 31 solchen 
Systemen von Differentialgleichungen und berechnet danach Tafeln 
für die Bewegung. Seine Methode ist von J. 7. Schubert‘'?) weiter- 
geführt, der die von e? und e’” abhängigen Terme mit ziemlicher Voll- 
ständigkeit erhält. Er benutzt diese letzteren, um Laplaces Wert für 
die Säkularbeschleunigung (Nr. 23) wiederzufinden, muß aber zu dem 
Zweck zu festen Achsen übergehen. 

@. W. Hill?) schlug vor, die Bewegung auf Achsen zu beziehen, 
die sich mit der mittleren Winkelgeschwindigkeit der Sonne in der 
Ekliptik bewegen, und die Störungen in Gruppen nach Maßgabe ihrer 
Charakteristiken abzuteilen. Er behandelt zunächst die Glieder mit 


der Charakteristik 1 (d. h. diejenigen, welche von e, e‘, y, Z unab- 


hängig sind). Das Resultat ist Hills erste intermediäre Bahn, auf die 
in Nr. 8 Bezug genommen wurde; es ist die partikuläre Lösung («) 
in Nr. 6 der Gleichung Nr. & (c), falls gesetzt wird 2,—=2—= (0; 
und zwar enthält sie nur zwei von den erforderlichen vier willkür- 
lichen Konstanten und ist periodisch in bezug auf die beweglichen 
Achsen !!). Hill setzt diese Lösung, —=x,, y=y,, formal in die 


112) Petersb. Nova Acta 13 (1802), p. 418—462. 

113) Amer. Journ. math. 1 (1877), p. 5—26, 129—147, 245—260 —= Works 1, 
p. 284—335. 

114) Diese Bahn kann man auch als „Variationsbahn“ bezeichnen, da ihr 
hauptsächlichster periodischer Term eben das Hauptglied der „Variation“ (vgl. 
Nr. 12) ist. Schon Euler hat ihre Wichtigkeit erkannt (Hist. Mem, Berl. Acad. 
1766 (publ. 1768), p. 334—353) und gemeint, daß ihre vollständige Bestimmung 
viele Schwierigkeiten der Mondtheorien lösen würde, 

Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 46 


700 VI2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Differentialgleichungen ein und löst die Bedingungsgleichungen für 
die Koeffizienten numerisch bis auf 15 Dezimalstellen und analytisch 
bis m’; er untersucht dann diese Bahn auch für andere Werte von m 
(siehe Nr. 1). In einer anderen Abhandlung*") beginnt er die voll- 
ständige Lösung der reduzierten Gleichungen, indem er setzt 


=n+d y-yt by 


und alle Produkte von dx und dy wegläßt; die dadurch neu hinzu- 
tretenden Glieder sind die mit der Üharakteristik e Für dx und öy 
ergeben sich auf diese Weise zwei lineare Differentialgleichungen 
zweiter Ordnung, die sich mit Hilfe bekannter Integrale auf eine 
einzige zweiter Ordnung reduzieren lassen’); ihre Form und Lösung 
ist in Nr. 5 (a) gegeben. Bei der numerischen Auswertung beschränkt 
er sich auf die Berechnung des Teiles der Bewegung des Perigäums 
(d.i. qg in Nr. 5 a)), welcher von m allein abhängt, und zwar bis 
auf 15 Stellen. In einer späteren Schrift!!”) wendet er die Methode 
an, um auch analytisch die Perihelbewegung bis m!! zu finden. Be- 
züglich der Konvergenz dieser Entwicklungen sei auf Nr. 7 verwiesen. 

J. ©. Adams") hat eine ähnliche Untersuchung über die Knoten- 
bewegung veröffentlicht, nachdem er vorher dieselbe intermediäre 
Bahn auf eine ganz andere Art wie Hill bestimmt, aber nichts dar- 
über veröffentlicht hatte Wenn r, den aus der intermediären Bahn 
folgenden Radiusvektor darstellt, so bestimmt Adams den Hauptteil 
von 2 durch die Differentialgleichung: 


BEE Hm)e=0, 


welche also bereits die Form Nr. 5 (a) besitzt. Der hieraus sich er- 
gebende Teil der Knotenbewegung wird auf 15 Stellen berechnet. Die 


115) Motion of the Lunar perigee, Cambridge, U.S.A., 1877 = Acta math. 
8 (1886), p. 1—36 = works 1, p. 243— 270. 

116) @. H. Darwin [Acta math. 21 (1897), p. 183—139 — Math. Ann. 51, 
p. 538—543 — Works 4, p. 27—32, zuerst publiziert bei Brown, Treatise, p. 211) 
und J. C. Adams [Lectures, p. 85—88 — Coll. Works 2, p. 81—84] haben gezeigt, 
daß diese Gleichung die einer senkrechten Verrückung von der Variationsbahn aus 
ist. E. A. Hermann [London Astr. Soc. Monthly 63 (1903), p. 541—543] hat eine 
kurze Ableitung dieses Resultats gegeben. 

117) @.W. Hill, Amer. Ann. Math. 9 (1895), p. 31—41 = Works 4. p. 41—50. 
Hills Variationsbahn und Perihelbewegung hat A. W. Krassnow nach Jacobis Me- 
thode abgeleitet, Astr. Nachr. 170 (1906), p. 309—318; 173 (1907), p. 49—56; 
174 (1907), p. 129—134. 

118) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1878), p. 43—49 —= Coll. Works 1, 
p. 181— 188. 


16. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. 701 
Störungsglieder mit den Charakteristiken (2): =1,2,3] hat E.W. 
Brown”) durch eine Vervollständigung der Hellschen Gleichungen 
bis zu eben diesen Gliedern erhalten. Er hat auch Hills Arbeit über 
die Apsidenbewegung fortgeführt '?), indem er die periodischen Terme 
der Charakteristiken e, e?, e® und den Teil der Perigäumsbewegung 
mit der Charakteristik e? fand. Die periodische Lösung, welche streng 


alles berücksichtigt, was von m und n allein abhängt, einschließlich 


der Teile der Störungsfunktion, die ei ı enthalten (Nr.3), hat wiederum 


@.W. Hill?) gegeben!?). Die ‚Mothode, die er hier verwendet, um die 
Korrektionen zu ermitteln, die eignen und Browns Resultate er- 
fordern, ist eine Modifikation der Gfgungen von Laplace (Nr. 4 (b)) 
Die Glieder mit den Charakteristiken #9 4°, „* und den Teil der 
Knotenbewegung, der y? als Faktor enthält&yerdankt man P.H. 
Cowell'*). Endlich hat noch Hill die Glieder mit (&g, Charakteristiken 


€’ (2) berechnet, indem er sich einer früher angegelAggn Methode 


bedient'!?°), und hat Andoyer'?*) nach einer modifizierten Methode von 
Hill die Koeffizienten, die von m, e’ und der ersten Potenz von e ab- 
hängen, analytisch abgeleitet. 

Alle diese Arbeiten haben die Auffindung von Gliedern ganz be- 
stimmter Charakteristiken zum Ziel; eine generelle Methode zur 
strengen Behandlung des ganzen Problems ist von E. W. Brown'?”) 
skizziert. Er erhält zunächst die allgemeinen Gleichungen Nr. 4 (ec) 
und entwickelt, indem er setzt: 


uw=wtbu s=s+ Ös, 


nach Potenzen von du, Ös, z, so daß die Ordnung der Charakteristik 
von (du (dös)* «+j+k%k ist. Indem nun die Bestimmung der 


119) Amer. Journ. Math. 14 (1892), p. 141—160; Lond. Astr. Soc. Monthly 
Not. 52 (1892), p. 71-80. 

120) Amer. Journ. Math. 15 (1898), p. 244—263; 321—338. 

121) Astron. Journ. 15 (1895), col. 136—143 — Works 4, p. 78—93. Moulion 
[Trans. Amer. math. Soc. 7 (1906), p. 537—571], der Polarkoordinaten gebraucht, 
erhält sie analytisch mit großer Genauigkeit. Vgl. auch Brendel (Nr. 18). 

122) Ein kleiner Fehler Hills in der Reduktion von Browns Resultaten be- 
wirkte, daß die Korrektionen groß zu sein schienen; Hills endgültige Resultate 
sind aber trotzdem korrekt. 

124) Amer. Journ. Math. 18 (1896), p. 99—127. 

125) Astr. Journ. 20 (1899), p. 115—124 = Works 4, p. 153—168. 

126) Fac. Toul. Ann. 6 (1892) J; 7 (1893) E. 

127) Investigations, Amer. Journ. Math. 17 (1895), p. 318—358. 

46* 


17192 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Störungsglieder einer bestimmten Charakteristik auf die Lösung eines 
Systems von linearen Differentialgleichungen der Form Nr. 5 (b) zu- 
rückgeführt wird, werden sukzessive die Störungen einer bestimmten 
Charakteristik erhalten. Die Integrationskonstanten a, &, ®, # werden 
in der gewöhnlichen Weise definiert; die Konstante a als Hauptterm 
der „Variationsbahn“ so, daß a=af(m), wo a’n’—= u; die Kon- 
stante ae als Koeffizient der hauptsächlichen elliptischen Glieder in x; 
endlich ak als die des Hauptgliedes in 2. Alsdann werden zusammen 
mit denen gewisser Charakteristiken dritter Ordnung die Koeffizienten 
der Charakteristiken zweiter Ordnung in der Apsiden- und Knoten- 
bewegung bestimmt, indem für sie lineare Gleichungen erhalten werden, 
die frei sind von allen unbestimmten Koeffizienten. Dieser eben 
skizzierte Plan ist in einer Reihe von Abhandlungen im Detail aus- 
gearbeitet!?®\. Zuerst werden die rechtwinkligen Koordinaten des 
Mondes abgeleitet, wobei von Anfang an der numerische Wert von m 
eingesetzt wird, während die andern Konstanten unbestimmt bleiben. 
Alle früheren Resultate mit Ausnahme von Hills Variationsbahn !?”) 
werden neu gerechnet oder kontrolliert. Die Hauptarbeit reduziert 
sich auf Multiplikation aufsteigender und absteigender Potenzreihen 
mit numerischen Koeffizienten, wobei jedes Reihenprodukt leicht kon- 
trolliert werden kann, Auch werden verschiedene Wege zur Kontrolle 
der Gesamtresultate benutzt. Am durchgreifendsten sind dabei die 
aus Adams’ Theorem (Nr. 11) folgenden Relationen. Meistens wird 
mit den komplexen Variabeln in ihrer ursprünglichen Form gerechnet, 
nur für Terme und Charakteristiken der Ordnung 5, 6 werden die 
homogenen Formen (Nr. 4 (c)) gebraucht. Die Resultate werden auf 
Polarkoordinaten transformiert, die Konstanten a, e, k in diejenigen 
von Delaunay (Nr. 15) übergeführt und ihre numerischen Werte ein- 
gesetzt, so daß alle Koeffizienten schließlich in Bogensekunden aus- 
gedrückt sind. Fast alle Koeffizienten in Länge und Breite über 
0”,001 und in Parallaxe über 0”.0001 werden erhalten, ohne Ausnahme 
die über 0”.01 bzw. 0”.001. Die jährlichen mittleren Bewegungen von 
Perigäum und Knoten werden auf 0”.01 genau bestimmt. In der letzten 
Arbeit werden andere bekannte Schwerewirkungen (Nr. 20—25) ebenso 
genau berechnet"). Tafeln, die alle diese Störungen einschließen, 
sind gegenwärtig in Ausführung '?"), 


128) Theory of the Motion of the Moon, siehe das eingangs gegebene Ver- 
zeichnis von Monographieen. Eine andere Darstellung gibt Poincare, Legons de 
Me&c. cel. 2, chap. 24—28. 

129) Amer. Journ. Math. 1 (1877), p. 248 = Works 1, p. 324. 

130) Die Endergebnisse finden sich in Lond. Astr. Soc. Mem. 57 (1905), 


17. Mittlere Anomalie als abhängige Variable. 1703 


Poincare??) hat eine Modifikation dieser Methode angegeben, die, 
falls man auf eine rein analytische Entwicklung ausgeht, eine Ab- 
kürzung der Arbeit darstellt. Er geht dabei von den Eigenschaften 
des Klammerausdruckes [f, 9] (Nr. 11) aus. Wenn nämlich Q irgend- 
eine Koordinate oder Geschwindigkeitskomponente bezeichnet, so hat 


= den Faktor e, 2 
von Nr. 6), so daß, wenn man für f: nt-+ &,n, für g der Reihe nach: 


e, b oder y, F usw. setzt und außerdem voraussetzt, daß die Koeffi- 
dx dy dz 


dr’ ar’ dt 
wickelt sind, die Ableitungen der Koordinaten und Geschwindigkeiten 
nach f in ihren Üharakteristiken um eine Ordnung niedriger sind 
als die nach g. Infolge dieser Tatsache hängt die Berechnung der 
Störungsterme einer bestimmten Charakteristik von je einem Paar 
linearer Differentialgleichungen ab, die etwas einfacher sind als die 
von Brown (Nr. 5 (b)). Es werden die Gleichungen von Nr. 4 (d) 
benutzt und nach Poincares Modifikation von Delaunays Methode 
(Nr. 15) behandelt; dabei wird eine spezielle Untersuchung über die 
Apsiden- und Knotenbewegung und für einige andere Terme erforder- 
lich, deren Koeffizienten nicht durch die Gleichungen [f, 9] = const. 
geliefert werden. 


den Faktor y» (entsprechend den Bezeichnungen 


“ a 
zienten von &, Y, 2 nach Potenzen von e, e', y, z ent- 


17. Mittlere Anomalie und Verhältnis der Entfernung zu 
einem elliptischen Radiusvektor'””) als abhängige Variable P.A. 
Hansen!) geht aus von einer Ellipse fester Größe und Form in der 
instantanen Bahnebene. Die Längen werden von einem „Anfangs- 


p. 130—145; 59 (1908), p. 94—103 mit Verbesserungen in Lond. Monthly Not. 
70 (1910), p.-3, 148; 74 (1914), p.424. Verschiedene Nebenresultate und Diskus- 
sionen in Artikeln in den Lond. Montbly Not. 1891—1910. 

131) E. W. Brown, Lond. Monthiy Not. 70 (1909), p. 148—175; 71 (1911), 
p- 639—650, 651—660. 

132) Paris Bull. Astr. 17 (1900), p. 167—204; Legons de M&c. cel., chap. 29. 

133) Dieses Verhältnis ist zuerst von Euler (siehe Nr. 18) als abhängige 
Veränderliche benutzt. 

134) Hansen hat seine Methoden in einer Reihe von Veröffentlichungen dar- 
gelegt mit dem Titel: Disquisitiones circa theoriam perturbationum, quae motus 
corporum coelestium affieiunt, Astr. Nachr. 7 (1829), col. 417—448, 465—484; 11 
(1834), p. 49—104, 309—368; 12 (1835), p. 321—364; 13 (1836), p. 97—142. Die 
auf die Mondtheorie bezüglichen Teile sind gesammelt und vervollständigt in 
den Fundamenta nova usw., Gotha 1838; die „Darlegung usw.“, Sächs. Ges. Abh. 6 
(1862), p. 91—498; 7 (1864), p. 1—399, ist hauptsächlich zur Verifikation früher 
ausgeführter Rechnungen geschrieben, aber sie enthält zugleich die leichteste 
Darstellung im allgemeinen. Es empfiehlt sich, die der Planetentheorie gewid- 
meten Schriften ebenfalls zu Rate zu ziehen: Eneyel. VI 2, 15. 


704 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


punkt“!?°) aus gerechnet, der dadurch definiert ist, daß sich bei einer 
infinitesimalen Drehung der Bahnebene die Längen nicht ändern. Die 
Apsidenlinie hat in der Bahnebene von diesem Anfang gerechnet, die 
gleichförmige Bewegung n,y. Bezeichnet n,2 die mittlere Anomalie 
in dieser Ellipse, so hat man z=t-+- const. für eine rein elliptische, 
2—=t-- const. + öz in der tatsächlichen Bewegung. Sind nun ö und 
7 Länge und Radiusvektor in der Ellipse, v und r in der tatsäch- 
lichen Bahn, so setzt Hansen: 


v=d; r=Ffll+o), 
so daß also die Bewegung in der wahren Bahn auf die Bestimmung 


von öz und v reduziert ist. Es seien weiter: 2a,, &,, f große Achse, 
Exzentrizität und wahre Anomalie in der Hilfsellipse, ferner 


bedeuten endlich 9, p dieselben Funktionen einer Variabeln &, wie 7, 
f von z sind, und ®, T die Komponenten der störenden Kraft in 
Richtung des Radiusvektors und senkrecht dazu in der instantanen 
Bahnebene, dann ergeben sich für z und v folgende Differential- 





gleichungen: 
dz I So h, y 2 Yy F\2 
a er 
dv  10W, 1 ylA+tnd/r\ 
eher 9 ur er 
Dabei ist 


ei r\2dz Yy r\2 
(7) arte) 


und W wird erhalten, indem man z statt & nach Integration der fol- 
genden Differentialgleichung setzt: 


aWw ° r ® rn) en 
here FM +2 en —1] 


dt 
2 ine NO 
+ 2h, r Pr sın (f p) + le) n,0£ 
1 h, 


ae 


_ 


unter der Annahme, daß & = const. ist!#). y wird so bestimmt, daß 





135) Der englische Ausdruck „Departure point“ ist als Terminus von 
A. Cayley, Quart. Journ. Math. 1 (1857), p. 112—125 — Coll. Works 3, p. 19 ein- 
geführt. 

136) Methoden, zu diesen Differentialgleichungen zu gelangen, sind gegeben 
von Zech, Astr. Nachr. 41 (1855), col. 129—142, 205—208; Hansen, ibid. 42 (1856), 
col, 273—280; Brünnow, ibid. 64 (1865), col. 259-266; A. Cayley, Quart. Journ. 


17. Mittlere Anomalie als abhängige Variable. 1705 


nur periodische Glieder in der Lösung vorkommen. Indem man zu- 
nächst die elliptischen Werte: 

s—=t-+tceont, v=U h=eh, W —0 
in die rechte Seite der Differentialgleichung für W einsetzt, erhält 
man eine zweite Annäherung für diese Funktion und damit dann aus 
den Gleichungen » und z solche für diese Funktionen usf. 

Um die Bewegung der Bahnebene zu finden, ersetzt Hansen die 
Gleichungen für die Veränderungen von Knoten und Neigung (Eneyel. 
VI2, 15 Nr. 22) wie folgt: Seien 

N+K—N—K, —mle—n)i; 

N —-K—N+LK, —mle+n)t 
bezgl. die periodischen und Säkularteile der Mondknotenbewegung in 
der momentanen Bahnebene bzw. der momentanen Ekliptik; J der 
Winkel zwischen diesen Ebenen; — w’ die mittlere Länge des Mond- 
knotens in der momentanen Ekliptik; @ und 0’ Neigung und Knoten- 
länge der momentanen in einer festen Ekliptik gegebenen Epoche -— 
die Länge gerechnet von einem „Anfangspunkt“ in der ersteren 
Ebene. Bezeichnet man ferner: 


P = 2sin = sin(N—N,, p'= sin ’ sin 6, 
Q = 2sin d cos (N—N,), = sin i cos 6’, 
dann sind die Gleichungen, denen P, ®, K Genüge leisten müssen: 
2 = — md — >: cos? 14 E +22) 
ei og Su: cos u MEN. eg sin “), 
N mePp+ ng e 0 u 4.055) 


c08 — 








dp ag 
ae es sin W 77. dt cos w), 


mn + n(PIS + 055) 
a ER HE) + (Oi ) 


4Cos? cos - 
2 


Math. ı 1 (1857) —= Works 3, p. 13—24; @. W. Hill, Amer. Journ. Math. 4 (1881), 
p. 256—259 — Works 1, p.348—350; W. Scheibner, Sächs. Ges. Abh. 25 (1899), 
p. 131—156. Eine Schwierigkeit bei der Integration der Differentialgleichungen 
ist von E. W. Brown, London Astr. Soc. Monthly Not. 56 (1896), p. 52—53, auf- 
geklärt worden. 


706 Vl 2,14. Ernest W. Brown. "Theorie des Erdmondes. 
Wenn die störende Kraft vernachlässigt wird, so ist 
P=0, Q-2in®, KR, 

In den höheren Näherungen sind « und n stets so zu bestimmen, daß 
P, Q, K nur periodische Glieder enthalten. 

Zu bemerken ist, daß hier uR statt R die Störungsfunktion ist. 
In den Entwicklungen von R'?) führt Hansen den numerischen Wert 
von — ein und setzt ferner 


r=#f(l+v), 
cos 9 —= cos (f + ®) cos (+ ©) + sin (? + o@) sin (f’-+ @') cos J, 


wo © und ®’, die Abstände der Apsidenlinien der beweglichen Hilfs- 
ellipsen für Mond und Sonne vom gemeinsamen Knoten sind; ferner sollen 
f',n,,v', y dieselbe Bedeutung für die Erdbahn haben wie f, n,, v, y 
für die Mondbahn; dann läßt sich R entwickeln nach Potenzen von v, v’, 
65 2 sin? = und nach Kosinus der Aggregate von Vielfachen 
von Nok, N%,2, @ + ®'. Die Kraftkomponenten T und ® sind zunächst 
durch die partiellen Derivierten von AR nach e, und ® ausgedrückt. 


Endlich aber gestatten die Definitionsgleichungen für P und © zu- 
sammen mit 


o+o=ntyty+2e)+2N oe — oa =mtly —y'— 27) +2K 
R durch P, @, K auszudrücken. 

In den Endresultaten bezeichnen dann ® und ®’ nur die nicht- 
periodischen Bestandteile der vorher durch diese Buchstaben bezeich- 
neten Funktionen, während 9 und g’ die nichtperiodischen Anteile von 


n,2 und n,2’ sind, so daß also zu .Delaunays endgültigen Bezeich- 
nungen die folgenden Beziehungen bestehen: 


=1; Jy-l; gto=F; y+0o—g—o=D. 


Schließlich wird der Übergang von der instantanen Bahnebene auf die 
instantane Ekliptik vollzogen. Hansens Resultate sind, da sie die in- 


[2 


direkten Planetenstörungen durch Berücksichtigung von v', ir, = usw. 
einschließen, allgemeiner als die anderen Theorien, die sich mit dem 
Hauptproblem beschäftigen. Aber seine Theorie ist keineswegs frei 


von empirischem Einschlage, da sie für die Perigäums- und Knoten- 


137) Hansen, Fundamenta, Sect. IV, Sächs. Ges. Abh. 2 (1855), p. 181— 231; 
283—376, Siehe auch Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 27 (1859), p. 69—95; 28 


(1860), p. 187—215; 29 (1861), p. 191-306 — Works 8, p. 293—318, 319343, 


17. Mittlere Anomalie als abhängige Variable. 107 


bewegung die beobachteten Werte einführt, mit denen die berechneten 
nicht ganz übereinstimmen (Nr. 25). Bei der Bildung seiner Tafeln 
(Nr. 27) bringt er außerdem noch andere empirische Korrektionen an, 
und später haben noch weitere hinzugefügt werden müssen, um die 
Tafeln mit den Beobachtungen in Übereinstimmung zu bringen. 
Hansens Resultate sind auch verschiedentlich umgeformt werden, um 
sie mit anderen Theorien, besonders der von Delaunay vergleichbar 
zu machen, so von Wilding'?®) und von Newcomb und Maier‘?°). Man 
hat vielfach versucht, die Darlegung der Theorie zu vereinfachen !*°). 

Th. v. Oppolzer'*') folgt Hansen, insofern er die Störungen in der 
Bahnebene zur mittleren Anomalie hinzufügt. Die Länge und Paral- 
laxe werden in gleicher Weise wie bei Hansen ausgedrückt, aber die 
dritte Koordinate ebenso wie die Parallaxe behandelt. Die Bewegung 
wird auf die mittlere instantane Bahnebene bezogen, d.h. diejenige, 
welche statthaben würde, wenn man alle periodischen Störungen der 
instantanen Bahnebene beiseite läßt und nur die säkularen beibehält. 
Die drei Differentialgleichungen für die rechtwinkligen Koordinaten 
ergeben sich dann in folgender Form: 


d? ’ d* ’ 13; ’ % 
(e) tut) Kata tdi N Tatttn)s=Z, 


wo u und w Konstante sind, und X, Y, Z sowohl die Komponenten 
der eigentlichen störenden Kraft als auch die von den Bewegungen 
der Achsen herrührenden Reaktionskräfte enthalten. Oppolzer setzt dann 


£4 Y 2 r 1 


PRELPE VIER IN Ra To PER Re =D, 


138) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 40 (1880), p. 8—10. 

139) Wash. Astr. Pap. 1 (1880), p. 57—107. Hierher gehört auch eine 
Arbeit von Cowell (Lond. Monthly Not. 64 (1904), p. 159—168) der die Hansen- 
schen Tafelformeln, welche von den theoretischen Formeln verschieden sind, um- 
geformt hat. 

140) Eine Übersicht über die „Fundamenta“ und „Darlegung“ hat E. W. 
Brown, Treatise chap. 10, gegeben. Tisserand, Meec. cel. 3, chap. 17, gibt eben- 
solche für die „Darlegung“. Weitere Auseinandersetzungen von Hansens Methode 
findet man bei Hansen, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 201—216; 18 (1841), p. 237— 
288; 19 (1842), p. 33—92; Delaunay, Journ. des Sav. 1858, p. 16—17. Eine Ver- 
gleichung der Theorien von Clairaut, Hansen, Oppolzer, Gylden gibt R. Radau, 
Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 433—449; 475—487. Siehe auch R. Radau, Bull. 
des Sc. math., ser. II, 5 (1881), p. 270—295; Scheibner, Sächs. Ges. Abh. 25 (1899), 
p. 131—156; Enceyel. VI2. | 

141) Wien. Denkschr. 51 (1886), p. 69—-105; 54 (1888), p. 59—244; letzteres 
von R. Schramm herausgegeben. Eine frühere Abhandlung bezieht sich haupt- 
sächlich auf die Planetentheorie. 


708 VI 2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


so daß wir jetzt also die 6 Variabeln x), Yo, 20, Y, &, # statt der alten 
x,y,2,t haben. Die zwei willkürlichen Bedingungen, denen diese 
Größen demnach noch unterworfen werden können, definiert er durch: 

2 2 4 

traut Na=9 TEtatN)d—0 
zusammen mit 1, —= 2% + Yo, so daß also der Punkt z,%, eine Ellipse 
mit der mittleren Anomalie $ beschreibt. Die Gleichungen («), die 
zweiter Ordnung sind, werden so ersetzt durch 6 Gleichungen erster 
Ordnung. Von diesen sind 3 die Differentialgleichungen für die Pro- 
jektionen der Flächengeschwindigkeiten auf die drei Koordinatenebenen, 
von denen die auf die xy-Ebene bezogene die Gestalt annimmt: 

TE 5 TEE CR > < 








wo a, I Konstanten sind. Zwei weitere Gleichungen geben den Betrag 
der Geschwindigkeitsänderung in der @y-Ebene, und die letzte, die & 
gibt, lautet: 


G-lü+Da+N 


Wenn diese Gleichungen durch fortgesetzte Näherung nach Potenzen 
der störenden Kraft gelöst sind, so findet man die Koordinaten durch 
Einsetzen von & in ihre elliptischen Ausdrücke; der Wert von y 
(welcher als Funktion der sechs benutzten Variabeln erhalten wird), 
gibt die Parallaxe, und z, wird in ähnlicher Weise ausgedrückt. Nach 
des Autors Tode sind seine Resultate insoweit vervollständigt, als es 
sich um eine vollständige analytische Entwickelung der Ausdrücke 
nr der rechten Seite der Differentialgleichungen, abgesehen von der für 
av 
führung der ersten Näherung in bezug auf die störende Kraft; das 
erstrebte Endziel an Genauigkeit war dasjenige von Delaunay, jedoch 
so, daß numerische Werte für die Konstanten benutzt werden sollten. 
A. Weiler‘?) schlägt als intermediäre Bahn eine bewegliche 
Ellipse von veränderlicher Größe, aber konstanter Gestalt in der in- 
stantanen Bahnebene vor. Sowohl für die gestörte als die ungestörte 
Bewegung gelten die Gleichungen 
; = er) 
ei N + e cos fj; d=n(2) yvi—e, 


r 


handelt, herausgegeben worden; sie sind also fertig für die Durch- 





142) Astr. Ges. Publ. 12 (1872). Diese Abhandlung gründet sich auf eine 
frühere Arbeit, ibid. 3 (1866), die sich hauptsächlich mit dem allgemeinen Drei- 
körperproblem beschäftigt. Seine späteren Entwickelungen sind im wesentlichen 
in verschiedenen Nrn. der Astr. Nachr. enthalten, von denen sich aber viele nicht 
speziell auf die Mondtheorie beziehen. 


18. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. 709 


wo n,e konstant sind und f die wahre Anomalie ist. Diese Glei- 
chungen geben r und f als Funktionen von a und £. Die Länge v 
und die Länge des Perigäums ©, gerechnet zunächst längs der Bahn 
bis zum Knoten und von da in der Grundebene bis zu einem festen 
Anfangspunkt, hängen durch v—=f-+ © zusammen; so erhält man v 
und r, wenn a und ® bekannt sind; die Beziehung n?a°— u gilt hier 
in der gestörten Bewegung nicht mehr in aller Strenge. Die Stö- 
rungen von i, # bestimmen die Bewegung der Bahnebene. Die Glei- 
chungen, die man für ©, ®, i erhält, sind erster, die für a (oder p) 
ist dritter Ordnung; diese letztere wird durch 3 Gleichungen erster 
Ordnung für die abhängigen Veränderlichen h, k, q ersetzt, die so 
definiert sind: 
sen) —heoso+hsinv; a cosv + sinv—0, 

wo 9,. der ungestörte Wert von 9 ist; für q gilt eine Gleichung, die 
der Energiegleichung einigermaßen analog ist. Alsdann werden die 
störenden Kräfte eingeführt und die 6 Gleichungen mannigfach um- 
geformt; schließlich wieder die Lösung in Näherungen nach Potenzen 
der störenden Kräfte durchgeführt. Die gleichzeitige Gültigkeit der 


obigen Gleichungen gestattet die Integration von gr = 


m ganze Zahlen sind) durch endliche Ausdrücke. Die Konvergenz der 
der für p erhaltenen Reihen, die Weiler behauptet, scheint nicht streng 
bewiesen zu sein!*?). 


mv (won, 


18. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. Euler 
geht in seiner ersten Theorie!) von den auf Zylinderkoordinaten be- 
zogenen Gleichungen: 


2 E} 2 
Erde er 
aus, wo r, und v die Projektion des Radiusvektors und die Länge sind. 
Er transformiert dann die Gleichungen auf die wahre Anomalie f als 
unabhängige Variable. Dann setzt er 
A al —e”)(1+») 
1-tecosf 


und gelangt zu einer Differentialgleichung erster Ordnung für v und 
einer zweiter Ordnung für v, die diese Größen als Funktionen von f 





143) Zusammenfassungen und Auseinandersetzungen der Theorie sind ge- 
geben worden durch R. Radau, Bull. des Sc. math., ser. II, 5 (1881) p. 270—295 
und A. Weiler, Astr. Nachr. 106 (1883), p. 686—76 und Astr. Ges. Vjs. 35 (1900), 
p. 319—322. 

144) Theoria motus Lunae, St. Petersburg 1753. 


710 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


zu bestimmen gestatten. Die Lösung der ersteren Gleichung ist 
v— const. 2 + periodische Glieder; dabei ist offenbar 1 — c die 


mittlere Apsidenbewegung. Euler setzt nun für ce seinen beobachteten 
Wert ein und zeigt, daß in dem Kraftgesetz, welches er in der Form 


Ei — ö voraussetzt, ö sehr klein sein muß. Statt der dritten der 


obigen Gleichungen führt er die Variationen von Knoten und Neigung 
ein. Um die willkürlichen Konstanten zu bestimmen, rechnet er mit 
seinen Resultaten 13 Finsternisse und bestimmt dann durch Vergleich 
mit den Beobachtungen die Konstanten. 

H. Gylden“®) verwendet eine modifizierte wahre Anomalie v, als 
unabhängige und zwei Größen u und y als abhängige Veränderliche, 
die folgendermaßen definiert sind: 

ed = re wye; v=w-+yx, wo c= constans. 
0 

Er erhält seine intermediäre Bahn, indem er F' (Nr. 3) auf die Teile 
beschränkt, die fri=0,k,=1,j=2,s=( übrig bleiben; die 
Gleichungen für die intermediäre Bahn ergeben sich dann so: 

d’u ie er 

TB “(14 5) RIED 
Die Absicht bei dieser Formulierung ist, in der intermediären Bahn 
die Hauptteile der größten Glieder zu berücksichtigen; dafür genügt 
es, in der ersten Näherung in R zu setzen: 


v—v'=mv,-+ const., 


wodurch von Gliedern, die kleine Divisoren erhalten, erst die 4. Ord- 
nung vernachlässigt wird. 
Gylden setzt nun 


u=a(l+0)=a+aEY1l-+ n, cos (Au — A), 


wo 4, n,, 4, A Konstanten sind; für E ergibt sich dann eine Gleichung 
von der Form Nr. ö(a). Gylden selbst löst dieselbe durch elliptische 








145) Acta math. 7 (1885), p. 125—172. Vgl. auch Andoyer, Toul. Fac. Ann. 
1 (1887)M, und Tisserand, Toul. Fac. Ann. 2 (1888) D; Me&c. c&l. III, chap. 8. 
Die Methode ist analog zu Gyldens allgemeiner Behandlung der Störungstheorie, 
VIs, 15 Nr.31. Für die nähere Auseinandersetzung der Theorie sei auch verwiesen 
auf: Gylden, Astr. Nachr. 100 (1881) p. 97—102; O. Callandreau, Paris C. R. 93 
(1881), p. 779—81, Paris Bull. Astr. 3 (1886), p. 35857, 7 (1890), p. 471-497; 
O. Backlund, Astr. Nachr. 101 (1882), p. 19—22; M. Brendel, Astr. Nachr. 116 


(1886), p. 161—166; R. Radau, Paris Bull. Astr. 3 (1886), p. 433—449; Shdanow, 
Dissertation Stockholm 1885. 


18. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. 711 


Integrale. Tisserand‘“) weist aber darauf hin, daß die Einführung 
solcher nicht erforderlich ist, und führt die Lösung durch trigono- 
metrische Reihen durch. Für die Weiterbehandlung werden nun drei 
neue Variable S, &,% und zwei Funktionen @, und P, folgender- 
maßen eingeführt: | 


a—h—N—1j+y; di= (1+5S) r’do, Bade; in r’,dv, 





% Y r Ve ve By 
TE-P+P A+HNTF-UÜHNGHR, 


wo P, und Q, diejenigen Anteile sind, welche der intermediären Bahn 
entsprechen. Die Gleichungen für die Abweichungen der wahren von 
der Be; Bahn werden dann: 


HRS HIGH W-— A 

1 dSd a 1 .4S d /d 

ar, De NErNETTT Han En Te BSHÄIT THE I (n) 
= — P—-(2S+S®)(P,+P:) 

Gylden selbst hat diese Gleichungen nicht weiter behandelt, da es ihm 
nur auf die intermediäre Bahn selbst ankam, hat auch die von der 
Neigung abhängigen Störungen nicht berücksichtigt. Tisserand '") 
hat die Behandlung der letzteren aufgenommen, indem er die zweite 
Gleichung von Nr. 4 (b) benutzt, dieselbe in Gyldens Sinne umformt 
und sie dadurch auf die Form Nr.5 (a) bringt. Die Methode ist 
weiter durchgeführt von Shdanow'), der bis zur 2. Näherung ein- 
schließlich geht und damit die Apsiden- und Knotenbewegung auf ;;, 
bzw. ;o ihres wahren Wertes erhält. 

M. Brendel“) hat die Modifikation der Gyldenschen Methoden, 
die er in seiner Theorie der kleinen Planeten’) benutzt hat, auch 
auf den Mond angewandt, so daß Entwicklungen nach den Charakte- 
ristiken leicht zu erhalten sind. Mit v als mittlerer Anomalie in der 
oskulierenden Ellipse setzt er: 

ad—m) „dv _VMal—m) 
RITTER RE er Vo 








wo ; 
ie E°® 

i REN (E + m’? 

ist. 


146) Toul. Fac. Ann. 2 (1888) D; Mec. cel. 3, chap. 8. 
147) Toul. Fac. Ann. 2 (1888) D. 

148) Dissertation Stockholm 1885. 

149) Gött. Ges. Abh. N. F. (3) 4 (1905), p. 1—97. 

150) Ib. I, 2 (1898), p. 171 usw. 





739 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmonder. 


Dabei ist der Ursprung der Schwerpunkt des Systems Erde-Mond. 
Er setzt ferner: 


N ee 

erh (o+T)+he,. ®. 
Hier sind % und I’ Konstanten, die der Exzentrizität und Perihel- 
länge entsprechen, & ist die mittlere Bewegung der Apsidenlinie; X‘, 
das Fr ;—= « als Faktor enthält, verschwindet, wenn die Sonne sich in. 


einer festen Ellipse bewegt. Ist die Mondbewegung ungestört, so ver- 
schwinden R und 5. 
Die Gleiehungen für $ und o werden: 





a NUT nat 
te =— Br oral +25 +38°—(1+5)!P 
i d (1 +8)? 
rs aa ee RT rer 7) + 1—n? 0, »\(14+9), 
wo 


08 r? 08 

2 

erg 97 ao 

ist und 2 die Störungsfunktion bedeutet. Der Ausdruck von t als 
Funktion von v wird in der Form angesetzt: 


nt + const.— v + IB, sin iv — x) + W, 
wobei n?a?—= M’ ist. Das zweite Glied rechts ist dabei die Mittel- 


punktsgleichung, mit n und x als Exzentrizität und Perihellänge ge- 
rechnet. Für W ergibt sich die Gleichung: 


BR N 
. 2 
ei rel 6 7: rel 
— {IB siniw— m), 


wobei S- die Ableitung nach v, nur soweit es in n und = auftritt, 


bedeutet. Die Kräfte P, @ werden nach Potenzen von n,e', R, W 
entwickelt. Brendel erhält zuerst eine intermediäre Bahn, indem er 
n und e' vernachlässigt. Diese fällt zusammen mit der zuerst von @. 
W. Hill’) numerisch berechneten. Brendel läßt die Entwicklungen 
zunächst allgemeiner, löst aber dann auch ein System von Gleichungen 
mit in Strenge unendlich vielen Unbekannten rein numerisch auf. 
Weiter werden dann die von n und e’ abhängigen Terme bestimmt, 


wobei die beobachtete Apsidenbewegung eingesetzt und nachträglich 
an der Theorie geprüft wird. 








Planetarische und andere störende Einflüsse. 19. Behandlungsmethoden. 713 


III. Planetarische und andere störende Einflüsse. 


19. Behandlungsmethoden. Jeder kleinen störenden Ursache 
kann man Rechnung tragen, indem man der Kräftefunktion ein Glied 
«2 hinzufügt, wo « eine kleine Konstante ist, deren Quadrat selten 
merklich ist. & bedeutet eine Funktion der Zeit, der Koordinaten, 
und eventuell der Geschwindigkeiten des Mondes. 

Meist wird die Methode der Variation der Konstanten verwandt, 
wobei aber als neue Variabele nicht die Konstanten der elliptischen 
Bewegung, sondern die des Hauptproblems gewählt werden müssen, 
da jeder überhaupt in Betracht kommende Term durch die Wirkung 
der Sonne wesentlich beeinflußt wird. ??) 

Wenn man von den kanonischen Gleichungen für die Variationen 
ausgeht, so braucht man nur auf Grund der Delaunayschen Theorie 
(Nr. 15) den entsprechenden Schritt weiter zu gehen, indem man, falls 
«® vernachlässigt werden darf, in «% die aus dem Hauptproblem sich 
ergebenden Werte der Konstanten einsetzt. G. W. Hill”°”) hat die In- 
tegration der Gleichungen für diese störenden Einflüsse auf eine Form 
gebracht, die unmittelbarer Anwendung fähig ist. Er findet nämlich, 
daß einem Gliede in «2% von der Form: 


füa,e,y) akcs Gl Haug +uhtpt+p)=Aecos(ut-+ u), 
wo a,k,p, p’ unabhängig von den Mondelementen sind, eine zuge- 
ern Anderung der Elemente von folgender Form entspricht: 


2 de, oy=(Zi,a, A an wir) 


. 08, 60, 9 — (Zi,b, + — .2),6,) —z sin (ut +), 


wo 


q=1,2,3 


. ser % df df 
E Cage “a “and ri Ja ar? 


und a,,b,,c, numerische Größen sind, die für jedes Element verschiedene 
Werte haben und nur von den Derivierten der endgültigen Delaunay- 


schen Elemente L, @, H nach a, e, y abhängen, in denen die nume- 
rischen Werte von m, e,e y, a eingesetzt sind. Radau!?®) und New- 
comb"°*) haben ähnliche Gleichungen, aber mit etwas anderen Werten 





151) Fast alle früheren Behandlungen kranken daran, daß diese Überlegung 
nicht berücksichtigt worden ist. 

152) Wash. Astr. Pap. 3 (1891), p. 390 = works 2, p. 336. Eine Skizze 
davon gibt R. Radau, Paris Bull. astr. 9 (1892), p. 361 —63. 

153) Paris Obs. Mem. 21 (1895) B, p. 35—36. 

154) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 211—212; Carnegie Inst. Publ 72, chap. 2. 


714 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


für a,, b,, e, erhalten. Die Schwierigkeit, diese Werte genau zu be- 
rechnen, rührt von der langsamen Konvergenz der Potenzreihen nach 
m her, besonders bei den Koeffizienten, die Ableitungen nach n ent- 
halten. E. W. Brown“®) hat Gleichungen ähnlicher Form direkt aus 
seiner Theorie abgeleitet, wobei der numerische Wert von m auf 
Grund des letzten Resultates in Nr. 11 substituiert ist. Statt der 
obigen Form für A benutzt er die Derivierten von A nach n,e, k, 
den Konstanten seiner Theorie vor dem Übergang von rechtwinkligen 
zu Polarkoordinaten, was in seinem Falle das bequemste ist. So werden 
die Variationen der Variabeln », 23, P3, 9, 9, 95 (Nr. 10e) gefunden. 
In einzelnen Fällen werden von Brown die Delaunayschen Entwick- 
lungen benutzt, diese aber kontrolliert und die aus der langsamen 
Konvergenz entspringenden Fehler als unmerklich nachgewiesen. 


20. Der Einfluß der nichtsphärischen Figur der Erde und des 
Mondes. Erde: Sind A, B,C,J die Trägheitsmomente um die drei 
Hauptträgheitsachsen und um die Verbindungslinie der Mittelpunkte von 
Erde und Mond, so ist in hinreichender Näherung gemäß der Ent- 
wicklung des Erdpotentials in Kugelfunktionen 

„a _A+B+0-3I 


73 





oder, da man die beiden äquatorialen Trägheitsmomente der Erde als 
gleich annehmen kann, also A=B, 
a 
wo Ö die Deklination des Mondes ist. 
Die Differenz C — A von polarem und äquatorealem Trägheits- 
moment kann durch Pendelbeobachtungen oder durch die Gleichung 


}(C— A)— ER!(@— 1B) 
bestimmt werden, wo E, R, « Masse, Äquatorealradius und Abplattung 
der Erde sind und 8 das Verhältnis von Zentrifugalkraft zur Schwer- 
kraft am Äquator bezeichnet. Sind ferner 2.» Bm, & ekliptische Länge 
und Breite des Mondes und Schiefe der Ekliptik, so ist nach den ge- 
wöhnlichen Formeln der sphärischen Astronomie 





sind — sin ß,, cos & + cos ß,, sin A, sin @. 


Mit Hilfe dieser Beziehung kann man «2 als Funktion der Zeit und 
der Mondelemente ausdrücken. Bestimmungen der sich so ergebenden 


155) Adams Prize Essay, Cambridge 1908, p. 10. Die verbesserte endgültige 
Form findet sich in Lond. Astr. Mem. 59 (1908), p. 14, wo die Transformation 
" von 92, p, aufe, Y, gegeben ist. 


21. Die direkten Planetenstörungen. 715 


Ungleichheiten in der Mondbewegung sind durchgeführt von Zaplace'°), 
de Pontecoulant"°”), Hansen“”®) — ziemlich vollständig auf Grund seiner 
Methode —, Hill"®) — sehr vollständig nach der Methode von Delaunay 
—, Brown) — vollständig bis auf 0”,01 in Länge und Breite. Hill 
drückt die Ungleichungen. als Zusätze zu den Koordinaten, Brown als 
solche zu den Integrationskonstanten aus, was eine kürzere Dar- 
stellung gibt. 

Mond: Laplace‘*) betrachtete den Einfluß und bezeichnete ihn als 
unmerklich. Hansen (Nr. 25a) schob eine (jetzt als nicht bestehend 
erkannte) Abweichung von Theorie und Beobachtung auf diese Ursache. 
E. W. Brown“) findet mit den neuesten Bestimmungen der Abplat- 
tungen des Mondes kleine Zusätze zur Bewegung des Perihels und 
Knotens, die in letzterem Falle gerade an das Beobachtbare heran- 
reichen. 


21. Die direkten Planetenstörungen. Die Formeln für R in Nr. 3 
sind für die direkten Planetenstörungen ohne weiteres benutzbar, wenn 
man statt x, y', 2’, m’, r' die geozentrischen Koordinaten, Masse und 
geozentrischen Entfernung des Planeten: &,n, &, m”, D einsetzt. Für 
die Koordinaten des Mondes in der Störungsfunktion «2, welche sich 
so ergibt, sind die Werte einzusetzen, die das Hauptproblem ergibt, 
für die Planetenkoordinaten ihre als bekannt vorausgesetzten Funk- 
tionen der Zeit. Hat man alsdann die Störungsfunktion entwickelt, 
so ist die Methode von Nr. 19 anwendbar. Hill!) hat die Störungs- 
funktion in eine Summe von Produkten zerlegt, von denen je das eine 
nur von den geozentrischen Mondkoordinaten, das andere nur von den 
heliozentrischen Erd- und Planetenkoordinaten abhängt, von der Form: 


uf? — 332 / 1 36 
et —=m 4 ones], 








156) Mec. cel. Livre 7, chap. 2; Livre 16, chap. 3; Paris Inst. .(math.) mem. 
3 (1801), p. 198—206; Conn. des Temps pour 1823, p. 219—225; 332—35 (eine 
Neuberechnung der Resultate in der Me&e. cel.); ibid. 232—239 = Oeuvres 13, 
p- 189—197, 205— 212, 221—228 (der Anteil, der von der eventuellen Verschieden- 
heit der Hemisphären herrührt). 

157) Systeme du monde 4, chap. 4. 

158) Darlegung usw., Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 6 (1864), p. 459-474; 
ibid. 7 (1865), p. 273—322. 

159) Wash. Astron. Papers 3 (1884), p. 201—344 — works 2, p. 179—320. 

160) Lond. Monthly Not. 68 (1908), p. 454—455; Lond. Astr. Mem. 59 (1908), 
p. 78—80. Eine Verbesserung in Lond. Monthly Not. 70 (1910), p. 3. 

160*) Mec. Cel. Liv. 7, Nr. 21. 

160°) Lond. Astron. M&m. 59 (1908), p. 80—81. 

161) Amer. Journ. Math. 6 (1883), p. 115—130 = Works 2, p. 47—63. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 47 


716 VIe,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Ist y” der Sinus der halben Neigung zwischen Planetenbahn und 
Ekliptik, A’ die Knotenlänge der Planetbahn, 7”, r" heliozentrische 
Länge und Radiusvektor des Planeten V’ die Länge der Erde, so 
findet man: 

FREE 
Dat a leos(P’ + 77 — 20) — con (P’ — 9) +: 
wo 
De =r?+r"?— 2r'r" cos (V’— V”). 

Die verschiedenen Entwicklungen von D? werden in der Theorie 
» der Hauptplaneten (VI 2, 13 Nr.2) mitgeteilt.!®) Im allgemeinen 
würden diese Störungen wegen der Kleinheit der Massen m” und 








.. . a . . . . . 
des Verhältnisses FL unmerklich sein, wenn nicht bei den langperio- 


dischen Störungen infolge des Auftretens kleiner Divisoren, d.h. der 
Kleinheit von u (Nr. 19) eine enorme Vergrößerung einträte, und 
einzelne Glieder sehr wohl merklich machte. Bei dem Fehlen einer 
allgemeinen Methode, um zu entscheiden, ob ein bestimmter Term 
langer Periode einen merklichen Koeffizienten gibt, und bei der großen 
Zahl solcher Terme ist die Untersuchung mühselig. 

Nur zwei Terme mit Koeffizienten über 1” in Länge sind be- 
kannt.!%*) Der eine stammt von Venus und hat bei einer Periode von 
273 Jahren einen Koeffizienten über 14”.1%®) Der andere ist bekannt 
als die „Jupiterevektion“, die Periode ist nahe die der Evektion 
(Nr. 12), und der Koeffizient ist 1”,14.16) 


162) In diesem Zusammenhange sei, als speziell auf die Mondtheorie be- 
züglich, für die Berechnung von Ungleichheiten hoher Ordnung verwiesen auf: 
Flamme, Diss. Paris 1887; O. Callandreau, Paris C.R. 115 (1892), p. 386—89; 
Ecole pol. Journ., ser. II, 7 (1902), p. 29—99; M. Hamy, Paris Bull. astr. 10 (1893), 
p. 41—56, 84—92. 

162®) Gogou, Obs. de Paris ann. mem. 17 (1883) A 1—101, zeigt, daß der, 
Koeffizient von 7”,55, den E.Neison (Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1878) 
p. 49—53) einer von Mars herrührenden Ungleichheit zuschreibt, in Wirklichkeit 
unmerkbar ist; er erklärt den Irrtum in Lond. Astr. Soc. Mem, 48 (1885), p. 419—437. 

162°) Diese Störung wurde von Hansen entdeckt, Astr. Nachr. 25 (1847), 
p. 325—332, Paris C.R. 24 (1847), p. 795—99; Lond. Astr. Soc. Mem. 16 (1847), 
p. 465—476, der für den Koeffizienten zu verschiedenen Zeiten die Werte 16”, 
27”, 23” fand. Dieser ist genau berechnet worden von Delaunay, Conn. des 
Temps, pour 1862, Addition, p. 3—58, und von Tisserand, Paris C R. 113 (1891), 
p-5—9. Für eine andere Ungleichheit von 239 jähriger Periode gab Hansen den 
Koeffizienten 23” an, Delaunay hat jedoch gezeigt, daß derselbe in Wirklichkeit 
< 0”,3 ist: Paris C. R. 49 (1859), p. 923—27, Conn. des Temps pour 1863, Add., 
p- 1—56; sieheauch Hamy, Radau, Newcomb, Brown, Fußn. 162, 153, 154, 155, 160. 

163) Eotdeckt durch eine Analyse der Beobachtungen von Newcomb, Trans. 
Venus Pap. 3 (1876) und erklärt von Neison (= Nevill), Lond. Monthly Not. 87 


21. Die direkten Planetenstörungen. 717 


Außer den erwähnten sind Berechnungen spezieller Ungleich- 
heiten von E. Neison (Nevill)?%), E. v. Haerdil"®) und anderen Mond- 
theoretikern 1%) ausgeführt worden. 

Der erste Versuch, eine vollständige Liste der Planetenstörungen 
aufzustellen, stammt von Radaw'°”), der Hills Teilung der Störungs- 
funktion und dessen Variationsgleichungen mit wenig veränderten 
numerischen Werten (Nr. 19) benutzt. Er entwickelt jeden Planeten- 
faktor nach Potenzen der Planetenelemente und benutzt für die Mond- 
faktoren Delaunays Theorie. Es werden über 120 Terme in Länge 
erhalten. Newcomb#®) gab 1894 eine allgemeine Methode zur Be- 
handlung des Problems, die er später durchführte.!%) Jeder Planeten- 
faktor wird numerisch aus speziellen Werten entwickelt, während die 
Mondfaktoren und ihre Ableitungen teils aus Delaunays, teils aus 
Browns Theorie entnommen werden. Er benutzt seine eigene Glei- 
chungsform (vgl. Nr. 19). Seine Liste ist etwas umfangreicher als 
die Radaus bei etwa gleicher mittlerer Genauigkeit. Beide Autoren 
schließen die indirekte Wirkung (vgl. Nr. 22) ein. 

Brown“) nimmt sieh vor, alle Planetenstörungen über 0,01 zu 
ermitteln. Er teilt mittels einer allgemeinen Formel die Störungs- 
funktion in Hills Art und zeigt, daß die Planetenfaktoren als Ab- 
leitungen von 55 nach «’, €, y”, W’ dargestellt werden können. Lever- 
riers Buchstabenentwicklung von 5 


dieser Faktoren benützt werden, statt jeden einzelnen entwickeln zu 
müssen. Kurze Verfahren!’!) zur Berechnung der auftretenden Funk- 


kann daher zur Ableitung aller 


. a . “r . . . 
tionen von — werden eingeführt und die numerischen Werte in Tafeln 


gegeben. Die Mondfaktoren und ihre Derivierten entnimmt Brown 


(1877), p. 248, der auch (ib. p. 359) den richtigen Koeffizienten berechnete, wie 
verschiedene spätere Untersuchungen bestätigten. Der Koeffizient schließt die 
indirekte Wirkung ein. 

164) Lond. Astr. Soc. Monthly Not., vols. 37, 38, 42, 45, 46, 47; jedoch ist zu 
bemerken, daß einzelne seiner Resultate angezweifelt worden sind. 

165) Wien Denkschr. 59 (1892), p. 385—408; Paris Bull. Astr. 10 (1893), 
p. 124—130; 12 (1895), p. 145—48. 

166) Siehe Tisserand, Mee. cel. 3, chap. 18. 

167) Par. Obs. Ann, 21 (1895), B p. 1—114. 

168) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 97 - 295. 

169) Carnegie Inst. Publ. 72 (1907), p. 1—160. 

170) Adams Prize Essay, Cambr. 1908, p. 1—93. Lond. Astr. Mem. 59 
(1908), p. 24—77. 

171) Weiter verbessert von R.T. A. Innes, Lond. Monthly Not. 69 (1909), 
p. 633—638; 70, p. 194—196. 

47* 


718 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


seiner eigenen Theorie unter Beachtung des letzten Satzes aus Nr. 11. 
Mittels einer Näherungsformel, die unmittelbar eine obere Grenze für 
den Betrag jeder Störung liefert, vermag er etwa hundert Terme aus- 
sondern, die allein Koeffizienten über 0”,01 geben können. Diese 
nebst den kurzperiodischen Termen werden genau berechnet. Browns 
schließliche Liste!’?) enthält, die indirekten Störungen eingeschlossen, 
über 400 Terme. 


92. Die indirekten Planetenstörungen. Diese rühren von den 
Störungen der Erdbahn durch die Planeten her. Sie werden gleich 
von vornherein formal berücksichtigt in den Theorien von Hansen 
und Brendel (Nr. 17, 18), bleiben dagegen in den anderen Theorien 
einer besonderen nachträglichen Bestimmung überlassen. Die ur- 
sprünglichen elliptischen Werte x’, y', 2° erhalten dadurch kleine Zu- 
wächse dz’, öy', öz’, so daß die Zusatzstörungsfunktion lautet: 


DRS, 0m.) 0OB.7 


Vielfach ist es bequemer, diese Störungen so zu berücksichtigen, daB 
man die Zuwüchse da’, de‘... benutzt, welche die Sonnenelemente 
erhalten. Da nun in dem Hauptproblem eine feste Ekliptik als Be- 
zugsebene benutzt wird, so sind die Sonnenelemente, welche die 
Lage dieser Ebene bestimmen, nicht die instautanen; es ist also noch 
eine besondere Untersuchung erforderlich, um den Einfluß der Be- 
wegung der Ekliptik auf die Mondbahn zu bestimmen. Die Säkular- 
beschleunigungen, obwohl aus indirekten Planetenstörungen herrührend, 
sollen in Nr. 23 besonders behandelt werden. 

Umfassende Untersuchungen über die entsprechenden periodischen 
Ungleichheiten sind zusammen mit den direkten Störungen angestellt 
von Adams, Newcomb, Brown (siehe Nr. 21 und die dort angegebenen 
Zitate). Newcomb!") hat das Problem als nochmals gestörtes Drei- 
körperproblem aufgefaßt. Er bestimmt die Variationsgleichungen der 
Elemente des Systems, wenn eine äußere störende Kraft wirkt. Er 
zeigt, wie sich diese in zwei Gruppen teilen lassen, von denen sich die 
eine hauptsächlich auf die Störungen der Erdbewegung, die andere 
auf die der Mondbewegung bezieht. Im Verlaufe der Arbeit entdeckt 


172) Lond. Astr. Mem. 59 (1908), p. 94—103. In Lond. Montly Not. 68 
(1908), p. 148—170 wird mit den von Radau und Newcomb berechneten Formen 
verglichen, und es werden die meisten Unstimmigkeiten aufgeklärt. 

173) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 105—203. Die Methode dieser Abhand- 
lung ist kurz dargestellt und vervollständigt von E. W. Brown, Lond. Math. 
Proc. 28 (1897), p. 130—142. Es ist dabei in $ X ein kleiner Irrtum unter- 
gelaufen; siehe E. T. Whittacker, Brit. Ass. Rep. 1899, p. 156. 


22. Die indirekten Planetenstörungen. 719 


er ein bemerkenswertes Theorem über die Wirkung säkularer Ände- 
rungen der Erdbahn auf die Mondbewegung (vgl. Nr. 23). 

Brown hat bei zwei Gelegenheiten !*) den Fall behandelt, daß 
die Parameter in einem dynamischen Gleichungssystem zeitlich variabel 
werden; hierunter gehören indirekte Störungen jeder Art. Ist u eine 
Funktion von t und den Parametern und erzeugen kleine variable Zu- 
sätze in diesen Parametern die Zusätze du und nen in u und en so 
erhält man ‘die Wirkung der Veränderlichkeit der Parameter, indem 
man zur Störungsfunktion einen Betrag u(z; dou—6 =) hinzufügt, 


wo U eine gewisse Funktion der Zeit und der Parameter ist, die aus 
dem ursprünglichen Problem gewonnen wird. Man hat dann die 
Variationsgleichungen für die Integrationskonstanten des ursprüng- 
lichen Problems zu bilden und aufzulösen und die gefundenen vari 
abeln Werte der Integrationskonstanten wie der Parameter in die 
ursprüngliche Lösung zu substituieren. Newcombs erwähntes Theorem 
wird als ein Spezialfall wiedergefunden. Bei der Anwendung auf die 
Mondtheorie ergibt sich für langperiodische Terme, wo ö? vernach- 
lässigt werden kann, daß der kleine Divisor in der Mondbewegung 
höchstens im Quadrat auftritt, selbst wenn die entsprechende Un- 
gleichung in der Erdbewegung sein Quadrat enthält. 

Eine besondere Untersuchung, die hierunter fällt, ist die Bestim- 
mung, des Einflusses, den die Veränderlichkeit der Ebene der Erdbahn 
auf die Mondbewegung ausübt. 

Das Hauptglied, das von der Bewegung der Ekliptik hervorge- 
rufen wird, hat in Breite einen Koeffizienten von 1”,4, in Länge von 
0”,3. Laplace!”) hatte dieses Glied für unmerklich gehalten, und erst 
Hansen“'®) konnte zeigen, daß, wenn auch kleine, so doch merk- 
liche periodische Glieder entstehen. Später sind nach verschiedenen 
Methoden die indirekten Planetenstörungen- untersucht von Adams’), 
Lespiault””®), A. Cayley!"®), G. B. Airy"®), @. W. Hill"), Radau'”), 


174) Trans, Amer. Math. Soc. 4 (1908), p. 333—350; 6 (1905), p. 332—343. 
Der Beweis in Art. 17 des ersten Aufsatzes ist falsch; oben ist auf den zweiten 
Bezug genommen. 

175) Mee. cel. Livre 7, Nr. 3. _ 

176) Astr. Nachr. 29 (1849), p. 198—196; Darlegung (1860), p. 118—120, 
480— 91. 

177) In Artikel 113 von Godfray, Lunar theory (1. Ed. 1853); Lond. Astr. 
Soc. Monthly Not. 41 (1881), p. 385—403 — Works I, p. 231—52. 

178) Bordeaux phys. m&m. 2 (1861), p 7—58. 

179) Lond. Astr. Soc. Mem. 31 (1863), p. 43—56 = Works 3, p. 505—15, 

180) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 41 (1881), p. 264—71, 375. 


720 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Newecomb'??) und Brown'®*), der auch die Wirkungen kleiner peri- 
odischer Schwankungen der Ekliptik berücksichtigt. 


23. Die säkularen Beschleunigungen. 1693 fand Halley'°°) bei 
einer Berechnung alter Finsternisse, daß die mittlere Umlaufszeit 
des Mondes nicht ganz konstant sein könne. Seither haben verschie- 
dene Autoren (vgl. Nr. 26) dieses Element aus den Beobachtungen 
hergeleitet mit dem Resultat einer Zunahme der mittleren Länge von 
61% bis 13”2, wo t, die Anzahl der Jahrhunderte ist: der Koeffi- 
zient von £,? wird säkulare Beschleunigung genannt. Die letzten sind 
Newcomb'"*°), der 8” erhält, und Cowell'®”), der Beschleunigungen von 
7” bzw. 2”A4 in den Winkelabständen der Sonne vom Mond bzw. 
vom Mondknoten findet. Die Werte hängen wesentlich von der. Be- 
wertung der alten Finsternisberichte ab.!%®) 

Als analytisch-dynamische Ursache der Erscheinung entdeckte 
Laplace'*) 1786 die Veränderlichkeit von e’; die erste Näherung er- 
gab etwa 10” für diese Störung in guter Über en mit der da- 
maligen Berechnung aus den Be ne Seine unmittelbaren Nach- 
folger Plana und Pontecoulant verfuhren, um die höheren Näherungen 
zu erlangen, fälschlicherweise so, daß sie die Differentialgleichungen 
integrierten, als ob e’ konstant wäre, und erst nach erfolgter Inte- 
gration die zeitliche Veränderlichkeit dieses Elementes berücksichtigten; 
sie erhielten auf diesem Wege nur unwesentliche Änderungen von 
Laplaces Wert. Erst Adams") führte, als er eine strenge Berechnung 
der Säkularbeschleunigung vornahm, richtigermaßen die Veränderlich- 
keit von e’ bereits in die Differentialgleichungen ein und fand auf die 
Weise andere Terme höherer Ordnung, welche den Laplaceschen 
(richtigen) ersten Näherungswert auf fast die Hälfte reduzierten. Seine 
Resultate und Methoden wurden bestritten") von Hansen‘), Plana 





181) Amer. Ann. math.1 (1884), p.5—10, 25—31, 52—58 —= Works 2, p.64—79. 

182) Paris Bull. Astr. 9 (1892), p. 363—373. 

183) Carnegie Inst. Publ. 72 (1907), p. 127—132. 

184) Lond. Monthly Not. 68 (1908), p. 450-454; Lond. Astr. Mem. 59 (1908), 
p. 46—48. 

185) Lond. Phil. Trans. 17 (1693), p. 913—921. 

186) Lond. Monthly Not. 69 (1909), p. 167. 

187) Lond. Monthly Not. 66 (1906), p. 352. 

188) Wichtig hierfür sind Arbeiten von J. K. Fotheringham, in den Lond. 
Monthly Not. 69 (1909). 

189) Paris Inst. M6m. 2 (1788), p.126—182 = Works 11 (Ed. 1895), p.243—271. 

190) Lond. Phil. Trans. 143 (1853), p 397—406 = Works 1, p. 140—157; 
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 40 (1880), p. 472—482 — Works 1, p. 211-223; 
Works 2, p. 120-—29, 237—38. 


23. Die säkularen Beschleunigungen. 721 


und de Pontecoulant*??), jedoch späterhin bestätigt durch Delaunay'*), 
der*"®)die vollständigste analytische Entwicklung des Koeffizienten der 
Säkularbeschleunigung gegeben hat, Plana'”), Cayley'?'), Lubbock!?) 
und P. Puiseux"). Weitere numerische Bestimmungen sind dann noch 
von Newcomb?®), Brown?®'), Andoyer?”®) und v. Brunn?) durchge- 
führt worden. Laplace®*) konnte nun zeigen, daß, ebenfalls wegen 
der säkularen Veränderlichkeit der Erdexzentrizität, auch die mittleren 
Bewegungen von Apsiden und Knotenlinie Beschleunigungen erfahren, 
und gab das Verhältnis der Werte dieser beiden Beschleunigungen 
an. Er hat für beide die ersten (gleichen) Näherungswerte gegeben. - 
Weiterhin haben dann auch die meisten der vorerwähnten Autoren 
Werte dafür erhalten. 

Die älteren Methoden zur Berechnung der Säkularakzelerationen 
sind bei größeren Genauigkeitsansprüchen sehr mühsam. Die meisten 
der erwähnten Autoren, die überhaupt korrekt rechneten, haben sich 
mit den ersten zwei oder drei Gliedern nach m begnügt. Delaunay 
hat indessen nach seiner Methode eine allgemeine Entwicklung ge- 
geben, die nach einer Korrektur durch Andoyer?®®) noch die genaueste 
in dieser Form ist. Die Rechenarbeit ist durch die Theoreme von 
Neweomb und Brown einfach geworden. Newcomb?®) zeigte, daß, 
wenn die Werte der Koordinaten im Hauptproblem durch Delaunays 
Endwerte von L, G, H (vgl. Nr. 15) ausgedrückt werden, der variable 


191) Die Diskussion wurde hauptsächlich geführt in Paris C. R. und Lond. 
Astr. Soc. Monthly Not. von 1859—66. Ihre Geschichte ist zusammengefaßt 
worden von Delaunay, Conn. des Temps 1864, Add. p. 21—68; Glaisher, Adams 
Works 1, p. XXXV—XXXIX, Tisserand, Mee. cel. 3, chap. 13, 19. 

192) Hansen gibt schließlich die Richtigkeit von Adams Theorie zu, Lond. 
Astr. Soc. Monthly Not. 26 (1866), p. 173. 

193) Paris C. R. 48 (1859), p. 137—8, 817—827; 49 (1859), p. 309—14; Conn. 
des Temps 1862 App., p. 59—68; 1864 Add., p. 21—68. 

194) Paris C.R, 72 (1871), p.495—96. Teile davon sind geprüft von Andoyer. 

195) Ib. 74 (1872), p. 152—3. 

197) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 22 (1862), p. 173--228 — Works 3, 
p. 522—561. ; 

198) Lond. Astr. Soc. Mem. 30 (1862), p. 38—52. 

199) Paris Ec. norm, ann. 8 (1879), p. 361—444. 

200) Carnegie Inst. Publ. 72, p. 119. 

201) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 57 (1897), p. 342—349. 

202) Paris C. R. 135 (1902), p. 432. 

203) Die Säkularbeschleunigung des Mondes, Diss., Göttingen 1905. 

204) Paris Inst. (math.) m&m. 2 (1799), p. 126—182 = Oeuvres 12, p. 191— 
234; Conn. des Temps 1800, p. 362—378 — Oeuvres 13 (Ed. 1895), p. 3—4. 

205) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 191. 


122 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Wert von e' für den konstanten Wert eingesetzt werden darf, wo 
immer er in diesen Ausdrücken auftritt. Wenn dann L, @, H durch 
n, e, Y,e' ausgedrückt werden, so können die Änderungen von n,e, Y 
aus denen von €’ we nn mittels der Kae 


0-51-°7 Z 5 n. 5 2 de e+207+% 


und zweier ähnlicher a 0@G and öH. Die Säkularänderungen der 
mittleren Bewegung, des Perigäums und des Knoten werden dann ge- 


geben durch 
Sönat, fözar, fooat, 


wo z und 9 die mittleren Bewegungen von Perigäum und Knoten 
sind. Brown?) zeigte ferner: Wenn «aP das konstante Glied in der 
schließlichen trignometrischen Entwicklung von a/r im Hauptproblem 
ist, und wenn 9,, ?, die kanonischen Konstanten aus Nr. 10b sind, 
dann können bei Vernachlässigung von (a/a’)’ — das nur unmerkliche 
Glieder gibt — die Veränderungen von n, e, Y aus den drei Glei- 
chungen erhalten werden: 


6 3 = 
tn na add z («= n, e, Y) 


wo: 


= ön. +öe .+8Y,, +8e a 


Ps, 2, läßt sich direkt finden (vgl. Nr. 11). Da P die ersten Potenzen 

von e?, Y* nieht enthält und 9,,p, bzw. diese Faktoren enthalten, so 

wird speziell der Teil von dr, der nur von m und de’ abhängt, gleich: 
0:P 0° 


DR ehr al 
Durch Kombination der allgemeinen Entwicklungen mit seiner halb- 
numerischen Theorie findet er?®), mit de —= — [6,5968 — 10] im 


Jahrhundert und unter Berücksichtigung eines Terms zweiter Ord- 
nung?) (vgl. Nr. 24), für die totalen Säkularbeschleunigungen 
mittl. Bewegung 6,02 + 0”,02; Perigäum — 38”2 + 0,1; 
Knoten 6”,36 + 0,02, 
wobei die Fehler die größtmöglichen aus allen bekannten Unvoll- 
kommenheiten der Mondtheorie hervorgehenden sind. Die Werte 
stimmen innerhalb 0”,2 mit den erwähnten von .Delaunay-Andoyer, 





206) Lond. Math. Proc. 28 (1896), p. 154. 

208) Lond. Month. Not. 57 (1897), p. 342—849; Lond. Astr. Mem. 59 (1908), 
p. 56. Andoyer erhält denselben Wert, siehe Fußnote 202. 

209) Lond. Month. Not. 70 (1909), p. 148. 


24. Störungen zweiter Ordnung. _ 123 


Neweomb und v. Brunn überein, wenn der angeführte Newcombsche 
Wert?!) von de’ benutzt wird. | 
Es bleibt demnach, wenn man die mittlere Länge durch 


2 
nt +: + 6",0- 
darstellt (£ in Jahren gerechnet), eine Differenz von 2” in dem mit 
?? multiplizierten Gliede zwischen Theorie und Beobachtung bestehen. 
Versuche, diese Differenz aus der Gravitationstheorie allein zu erklären, 
hat V. Puiseux?!!) gemacht, indem er die höheren Glieder, die von ??, # 
abhängen, und den Einfluß der Säkularänderung der Ekliptik ?'°) prüfte; 
er fand diese Einflüsse unmerklich innerhalb historischer Zeiträume. 
Zum gleichen Resultat gelangt v. Brunn?"!*), der für Erdexzentrizität 
und -perihellänge statt der säkularen die langperiodische Form ein- 
führt. A. Weiler?'?) glaubte, daß die Figur der Erde die Differenz er- 
klären könnte, aber Seeliger*'?) und Hill?!) zeigten, daß dadurch keine 
Glieder der erforderten Art hervorgebracht werden können; diese Be- 
richtigung wurde dann von Weiler selbst vollkommen bestätigt.?'°) 
Die Differenzen zwischen Theorie und Beobachtung. werden jetzt 
meist auf die Wirkung der Flutreibung geschoben, die die Umdrehungs- 
dauer der Erde (unser Zeitmaß) und die mittlere Bewegung des 
Mondes ändert. P. H. Cowell?') glaubt auch an eine Beschleunigung 
der mittleren Länge der Erde; aber die von ihm gefundenen Ab- 
weichungen können ebenso gut unbekannten Änderungen der mittleren 
Länge des Mondes und seines Knotens zur Last fallen. 


24. Störungen zweiter Ordnung. In den Nummern 20—23 sind 
allein Glieder von erster Ordnung in den störenden Kräften betrachtet; 
die aus den Quadraten und Produkten der störenden Kräfte entsprin- 
genden Glieder studiert Brown®'”). Es zeigt sich, daß die kleinen 
Divisoren in dieser zweiten Näherung im allgemeinen nicht in höherer 
Ordnung auftreten als in der ersten. Es ergeben sich einige lang- 
periodische Terme mit kleinen Koeffizienten. 





210) Wash. Astr. Pap. 6 (1895), p. 9. 

211) Paris Me&m. div. Sav. 21 (1875), p. 263—391. 

211°) Diss. Göttingen 1905. 

212) Astr. Nachr. 90 (1877), col. 369—82; 91 (1878), col. 1-12, 17—30, 
35—48. 

213) Ibid. 91 (1878), col. 193—206. 

214) Ibid., col. 2531—54 — Works 1, p. 282—283. 

215) Ibid. 92 (1878), col. 289—300, 305—318, 321—328. 

216) Lond, Month. Not. 66 (1906), p. 3—5. 

217) Lond. Astr. Mem. 59 (1908), p. 82—98. 


724 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


Eine von Stockwell®!8) zuerst bemerkte säkulare Änderung ergibt 
sich aus der Kombination der Bewegung der Ekliptik mit Termen, 
die der Abplattung der Erde entspringen. Brown?) findet als Zu- 
sätze zu den Säkularbewegungen der mittleren Länge, des Perigäums 
und des Knotens bzw. + 0”,20, + 0”,11, — 0”,10. 


25. Andere mögliche störende Ursachen®"®). Es sind zu er- 
wähnen: 

a) Die Annahme, daß der Exponent des Attraktionsgesetzes nicht 
streng = — 2, sondern = — 2 — Ö ist (Halls®!%®) Hypothese). Der 
Wert ö = 0,00000015 würde die bekannte Anomalie in der Perihel- 
bewegung des Merkur erklären, ohne die Übereinstimmung von Theorie 
und Beobachtung bei den übrigen Planeten zu stören?!?®). Die gleiche 
Annahme würde in der Mondtheorie eine Vermehrung der jährlichen 
mittleren Apsidenbewegung um 1”,5 hervorbringen, ohne die Knoten- 
bewegung merklich zu beeinflussen. Hansens Theorie zeigt in der 
Apsidenbewegung gerade diese Differenz?!®*), welche Hansen selbst 
einem Unterschied zwischen Schwerpunkt und Figurmittelpunkt zu- 
schrieb 21%®) -aber er findet gleichzeitig auch eine Differenz in der 
Knotenbewegung von — 2”,86. Browns??®) Rechnungen haben endlich 
gezeigt, daß die theoretischen mittleren Bewegungen mit dem Be- 
obachteten innerhalb 0”,3 übereinstimmen, so daß Ö keinesfalls größer 
sein kann als 0,00000004. Vgl. Fußn. 233a). 


b) Eine Änderung der Periode der Erdrotation infolge der Ge- 


218) Theory of the moons motion, Philadelphia 1881, p. 363. Er setzt die 
veränderliche Neigung statt der konstanten in die fertige Lösung. Der theore- 
tische Fehler macht in diesem Falle praktisch fast nichts aus. 

219) Lond. Month. Not. 70 (1909), p. 143—148. 

216°) Vgl. auch den Artikel VI2 (Oppenheim). 

217®) Newcomb, Astronomical Constants, Washington 1895, p. 119. 

218*) Hansen [Astr. Nachr. 19 (1842), col. 191—198] sagt, daß ein Fehler 
von 0”,1 in der Evection einen solchen von 1”,47 in der jährlichen Apsiden- 
bewegung hervorbringt und Wand [Astr. Nachr. 126 (1891), col. 129—138] stellt 
fest, daß die Koeffizienten der periodischen Terme bei Hansen nicht zuverlässig 
genug sind, um die Apsidenbewegung auf mehr als 2” genau garantieren zu 
können. 

219®) Lond. Astr. Soc. Mem. 24 (1856), p. 29—89; Darlegung, p. 175, 
474—479; Newcomb [Phil. Mag. (4) 37 (1869), p. 32—35] ist der Meinung, daß 
die Korrektion unberechtigt ist. Aber seine Argumente wurden von Hansen nicht 
anerkannt, Leipz. Ber. 23 (1871), p. 1—12. 

220) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1908), p. 396—397. Eine frühere 
Diskussion des Gegenstandes durch den gleichen Autor findet sich ibid. 57 (1897), 
p. 332—341. Siehe auch P. H. Cowell, ibid. 65 (1905), p. 275. 


25. Andere mögliche störende Ursachen. 725 


zeitenreibung?®'), säkulare Kontraktion des Erdkörpers oder Massen- 
zuwachs durch herabfallende Meteore???). Es ist möglich, daß die 
beiden erstgenannten Ursachen merkbare Änderungen hervorbringen ?®), 
dagegen ist es unwahrscheinlich, daß die letztere eine beobachtbare 
Wirkung haben kann. 


€) Der Einfluß eines widerstehenden Mittels ist höchstwahrschein- 
lich zu klein, um sich in den Beobachtungen bemerkbar zu machen. 


d) Eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Schwerkraft 
nach irgendeinem wahrscheinlichen Gesetz wird schwerlich imstande 
sein, die Mondbewegung merklich zu beeinflussen, ohne zugleich auf 
die Planetenbewegung mehr, als es die Erfahrung zuläßt, einzu- 
wirken ???), 


e) Elektrodynamische Theorien der Gravitation und das Relativi- 
tätsprinzip. Diese würden sich wahrscheinlich nur in den Bewegungen 
des Knotens und der Apsidenlinie äußern. 


Die einzigen annehmbaren Erklärungen für die Unstimmigkeiten 
bei der Säkularbeschleunigung dürften die beiden ersten unter b) ge- 
nannten Ursachen sein. 


Brown®?®) hat sich auch bemüht, Newcombs langperiodische em- 
pirische Terme (vgl. Nr. 26) zu erklären. Magnetische Kräfte hält 
er trotz anderer Andeutungen magnetischer Wirkungen für unwahr- 
scheinlich. Eine mögliche Wirkung der Mondlibration bleibt aus 
Mangel an Beobachtungsmaterial noch offen. Eine nahe Koinzidenz 
zwischen der Sonnenrotation und dem drakonitischen Monat würde 
genügen, wenn die Sonne eine Abplattung von "sn hätte. D. St. 
Blancat??") prüft die Wirkung eines etwaigen intramerkuriellen Planeten, 
dessen Masse aber dann der des Merkur vergleichbar angenommen 
werden müßte. 





221) Delaunay, Paris ©. R. 61. (1865), p. 1023—1032 — Journ. de Math. (2) 
10 (1865), p. 401—411; W. Ferrel, Astron. Journ. 3 (1854), p. 138—141; Airy, 
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 26 (1866), p. 221—235. 

222) Dufour, Bull. Soc. Vaud. Laus. 9 (1868), p. 252—254. 

223) Thomson and Tait, Natural Philosophy 2, App. G. 

225) BR. Lehmann-Filhes [Münch. Ber. 25 (1895), p. 371—422] zeigt einmal, 
daß eine endliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraft keine Beschleu- 
nigung, sondern eine Verzögerung hervorbringt, und zweitens, daß diese Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit von der Ordnung 1000000 x Lichtgeschwindigkeit sein 
müßte, wenn nicht unmöglich große Störungen sich ergeben sollen. 

226) Amer. Journ. Sc. ser. 4, 29 (1910), p. 529—539. 

227) Fac. Toulouse Ann. (2) 9 (1907), p. 1108. 


726 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


26. Der gegenwärtige Stand der Mondtheorie. Eine zusammen- 
fassende Darstellung vom gegenwärtigen Stande der Mondtheorie geben 
Tisserand®?®) und Newecomb®). Die vollständigste theoretische Be- 
stimmung der Mondbahn, die zum Vergleich mit der Beobachtung 
zur Verfügung steht, ist noch immer die von Hansen (Nr. 17), 
wenn man folgende Korrektionen daran anbringt: (1) eine Ungleich- 
heit von 239 Jahre Periode und von 21”,47 Amplitude in Abzug 
bringt (Nr. 21), deren Koeffizient in Wahrheit nur 0”,3 beträgt; 
(2) statt des empirischen Wertes von 12”,2 für die Säkularbeschleu- 
nigung, den Hansen verwendet, den theoretischen von 6”,0 einsetzt; 
(3) kleine Änderungen der Konstanten vornimmt, die teils von den 
Änderungen (1) und (2) und von eingeführten empirischen Termen 
herrühren, teils von den modernen Beobachtungen gefordert werden; 
und (4) einen oder zwei kleine zufällige Fehler berichtigt. Indeß ist 
es nicht vollkommen sicher, in welchem Umfange empirische Daten 
in die Theorie eingeführt sind (vgl. Nr. 17). Immerhin bleiben, wenn 
man Hansens Resultate nach Anbringung der oben erwähnten Kor- 
rektionen als den gegenwärtigen Stand der eigentlichen Theorie des 
Mondes gelten läßt, eine Reihe nicht unerheblicher Differenzen zwischen 
Theorie und Beobachtungen, die Neweomb?°®), Tisserand*®), Neison ?°?) 
und Cowell?®®) zu eingehenden Untersuchen veranlaßt haben. Folgende 
empirischen Korrektionen nach Newcomb scheinen die Beobachtungen 
seit 1620 am besten darzustellen: 1. Eine Ungleichung mit einem 
Koeffizienten von ungefähr 13” und einer Periode von 270 Jahren, 
die aber gegen das langperiodische Venusglied eine Phasenverschiebung 
von etwa 60° zeigt. 2. Eine Ungleichheit von 2—3” Amplitude und 
der Periode von 60—70 Jahren. 3. Einige Terme kurzer Periode mit 
Koeffizienten bis an 1”. Ein Grund für diese Abweichungen ist nicht 
bekannt (vgl. Nr. 25). 

Eine ausführliche Vergleichung zwischen Theorie und Beobach- 
tung hat Oowell”*) unternommen, der die verbleibenden Differenzen 
auf Glieder von der Periode vorgegebener theoretischer Terme ge- 
prüft und so deren Koeffizienten empirisch bestimmt hat. Die Veri- 


228) Mec. cel. 3, chap. 19 = Paris Bull. Astr. 8 (1891), p. 481— 5083. 

229) Rome Math. Congress 1 (1908), p. 135—143. 

230) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1908), p. 316—324. 

231) Mec. Cel. 3, p. 414. 

232) Lond. Astr. Soc. Mem. 48 (1884), p. 283—418. 

233) Lond. Month. Not. 65 (1905), p. 34—53. Vgl. auch die Diskussion in 
den Lond. Month. Not. 1903—1909. 

234) Zahlreiche Arbeiten in der Lond. Month. Not. 1908—1907. 


27. Tafeln der Mondbewegung. 127 


fikation von etwa 300 Koeffizienten bestätigt die allgemeine Verläß- 
lichkeit der theoretischen Werte.???®) 

Vollständige Vergleichungen der Resultate versehenen moderner 
Theorien sind ausgeführt von Neweomb und Maier??), die Hansens 
Theorie in Delaunays Form überführten und mit letzterer verglichen; 
von Cowell?®), der die Terme in Hansens Tafeln in ähnlicher Weise 
transformierte; und von Brown??”), der die Koeffizienten seiner Theorie 
im Hauptproblem mit denen von Hansen und®®®) in den planetaren 
Gliedern mit denen von Radau und Newcomb verglich. Eine teilweise 
Vergleichung der Resultate seiner noch unpublizierten Theorie mit 
- Hansen und Brown führte E. Newill?®) aus. 


27. Tafeln der Mondbewegung. Clairaut””) war der erste, der 
Tafeln zur Berechnung des Mondortes zu jeder beliebigen Zeit angab, 
die allein auf die Gravitationstheorie gegründet waren; sie wurden 
in verbesserter Gestalt 1765 **!) neu herausgegeben. Auch Euler *?) 
brachte seine Ergebnisse in Tabellenform. Eine eigenartige Stellung 
nehmen die Tafeln von Tobias Mayer?“?) ein, indem für ihre Her- 
stellung die Argumente aus der Theorie hergenommen, die Koeffizienten 
jedoch aus einer größeren Reihe von Beobachtungen bestimmt wurden; 
sie sind späterhin unter Benutzung der inzwischen zahlreich ange- 


233°) Newcombs letzte Arbeit (Wash. Astr. Pap. 9 (1913) Part. 1) enthält eine 
Vergleichung von Sternbedeckungen seit 1620 mit der nach Browns Theorie kor- 
rigierten Hansenschen Theorie. Brown hat in Fortsetzung von Cowells Unter- 
suchungen ähnlich eine Vergleichung der Greenwicher Meridianbeobachtungen 
seit 1750 ausgeführt (Lond.Monthly Not. 73 (1913), p.692—714; 74 (1914), p. 156— 167, 
396—424, 552—568). Die allgemeinen Schlüsse haben sich hierdurch nicht ge- 
ändert, und es ist jetzt sicher, daß die empirischen Terme nicht auf Beobachtungs- 
fehlern beruhen. Brown zeigte, daß innerhalb der Genauigkeit von Theorie und 
Beobachtung die theoretischen Werte der mittleren Bewegung von Perigäum und 
Knoten mit den beobachteten übereinstimmen, wenn man der Erdabplattung den 
Betrag 1/293.5 gibt. Die Unterschiede in den jährlichen Bewegungen sind dann 
kleiner als 0.03 (vgl. Nr.25a). Diese Arbeiten enthalten auch die letzten Werte 
der Integrationskonstanten. Die letzte Zusammenfassung siehe Brown, Lond. 
Observatory 37 (1914), p. 206—211. 

235) Wash. Astr. Pap. 1 (1880), p. 57—107. 

236) Lond. Month. Not. 64 (1904), p. 159—168. 

237) Ibid. 65 (1905), p. 276—296. 

238) Ibid. 68 (1908), p. 148—170. 

239) Ibid. 65 (1905), p. 658—662. 

240) Theorie de la Lune, 1. Aufl., St. Petersburg 1752. 

241) Theorie de la Lune, 2. Aufl., St. Petersburg 1765. 

242) Theoria motuum Lunae (2. Theorie), St. Petersburg 1772 

243) London 1755; verbessert 1770. 


128 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes. 


häuften Beobachtungen verbessert worden von ©. Mason“), J.T. 
Burg®®), J. K. Burckhardt*®). Damoiseau””) hat auf Grund seiner 
Theorie Mondtafeln veröffentlicht, die, neben denen Burckhardts, bis 
zum Erscheinen der Hansenschen am meisten im Gebrauch waren. 
Die Tafeln Hansens endlich*®) mit den von Newcomb für dieselben 
angegebenen Korrektionen®?) liegen allen Mondephemeriden bis auf 
den heutigen Tag zugrunde. 

Auch nach Planas Theorie sind nach Anbringung einiger Korrek- 
tionen von .B. Peirce®) Tafeln gerechnet worden. 

Tafeln, die unter R. Radaus Leitung aus Delaunays Theorie mit 
Verbesserungen und Zusätzen aus verschiedenen Quellen konstruiert 
sind ?°!), werden zukünftig für die Mondephemeride der Connaissance 
des Temps gebracht werden. E. W. Brown hat Tafeln auf Grund 
seiner Theorie in Arbeit (Nr. 16). 


244) London 1787. 

245) Paris 1806. 

246) Paris 1812. 

247) Tables de la Lune, Paris 1828, 

248) Tables de la Lune, London 1857. 

249) Corrections to Hansen’s Tables etc., Papers publ. by Venus Commission 
Pt. II, p. 1—51. 

250) Washington 1853/4. 

251) Paris 1911. 


(Abgeschlossen Juli 1914.) 


2. 
3. 
4. 


5. 
6, 
8. 
9. 

10. 

11, 

18. 

14. 

15. 


16. 
17. 
18. 


19. 
20. 
21. 
22. 


23. 


24. 
25 


VI2, 15. THEORIE DER PLANETEN. 


Von 


KARL F. SUNDMAN 
IN HELSINGFORS 


Inhaltsübersicht. 


Einleitung. 
Numerische Verhältnisse. 
Die Differentialgleichungen der Bewegung. 
Die erste Annäherung. Das Zweikörperproblem. 
Die Störungen. 


I. Die Methode der Variation der Konstanten. 
Anwendungsweise der Methode in der Störungstheorie. 
7. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. Differentialgleichungen. 
Integration. 
Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation. 
Säkulare Störungen. 
12. Angenäherte Berechnung der säkularen Werte der Elemente. 
Die säkularen Störungen der kleinen Planeten. 
Säkulare Glieder höheren Grades. 
Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen Störungen in: den 
periodischen Gliedern. 
Langperiodische Glieder. 
Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen Planeten. Libration. 
Die Methode von Poincare, 


II. Die Hansensche Methode. 
Vorbemerkung. 
Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Koordinaten. 
Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instantanen Bahnebene. 
Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahnebene und die Lage 
der x-Achse. 
Differentialgleichungen zur Bestimmung des Radiusvektors und der mittleren 
Anomalie. 
Bestimmung der Funktion W. 
Bestimmung der Breite. 


730 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


26. Weitere Ausführung der Methode. 
27. Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlichen. 
98. Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche. 


III. Koordinatenstörnngen. 


29. Störungen der rechtwinkeligen Koordinaten. 
30. Störungen der polaren Koordinaten. 


IV. Theorie von Gylden. 
31. Vorbemerkung. 
32. Differentialgleichungen der Gyld&nschen Koordinaten. 
33. Zerlegung der Variablen. 
34. Entwicklung der Größen P, Q und R. Fundamentale Entwicklung. 
35. Diastematische Entwicklung. 
36. Einteilung der Glieder. 
37. Integration. 
38. Integration der elementaren und charakteristischen Glieder. 
39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gyldenschen Methode. 
Methode von Brendel. 


V. Verschiedene Methoden. 
40. Methode von Backlund. 
41. Die Jupitergruppe. 
42. Angenäherte Störungen. 


5 Literatur. 
Lehrbücher und Monographien. 

P. 5. Laplace, Traite de mecanique ce&leste I—V. Paris 1799— 1827. (Cit.: m&c. c£l.) 

P. @. de Pontecoulant, "Theorie analytique du systeme du monde I, III. Paris 
1829—1834. 

P. A. Hansen, Untersuchung über die gegenseitigen Störungen des Jupiters und 
Saturns. Berlin 1831. 

U. J. J. Leverrier, Recherches astronomiques. Annales de l’Observatoire de 
Paris, 1855—1877. 

P. A. Hansen, Auseinandersetzung einer zweckmäßigen Methode zur Berechnung 
der absoluten Störungen der kleinen Planeten. Abh. I—II—II. — Abh. d. 
K. S. Ges. d. Wiss. II—IV—V. Leipzig 1857—1861. 

J. F. Encke, Über die allgemeinen Störungen der Planeten. Berliner Astr. Jahr- 
buch für 1857, Berlin 1854. 

H. Resal, Traite &l&mentaire de me&canique celeste, 2° Edition. Paris 1884. 

O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen. Leipzig 1888. 

F. Tisserand, Trait6 de m&canique celeste I, IV. Paris 1889, 1896. 

H. Poincare, Les meöthodes nouvelles de la mecanique celeste I—III. Paris 
1892— 1899. 

O. Backlund, Über die Bewegung einer gewissen Gruppe der kleinen Planeten. 
M&m. de l’Acad. de St. Pötersbourg, VII: Ser., 38 Nr.4. St. Petersburg 1892. 


1. Numerische Verhältnisse. 731 


H. Gylden, Trait& analytique des orbites absolues des huit plandtes principales I. 
Stockholm 1893, II. 1909. 

K. Bohlin, Formeln und Tafeln zur gruppenweisen Berechnung der allge- 
meinen Störungen benachbarter Planeten. Nova Acta Reg. Soc. Se. Ser. II. 
Upsala 1896. 

N. Herz, Artikel „Mechanik des Himmels“ in Valentiners Handwörterbuch der 
Astronomie. Breslau 1898. 

M. Brendel, Theorie der kleinen Planeten I—-IV. Abh. d. K. Ges. d. Wiss. zu 
Göttingen. Neue Folge I, VI, VII. Berlin 1898—1911. 

F. R. Moulton, An Introduction to Celestial Mechanics. New York 1902. 

C. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels I, II. Leipzig 1902, 1907. 

H. Poincare, Lecons de mecanique celeste I. Paris 1905. 


l. Numerische Verhältnisse. Da eine strenge und allgemeine 
Lösung des Problems der Planetenbewegung nicht gelungen ist, mußte 
man für praktische Zwecke geeignete Annäherungsmethoden suchen. 
Dabei sind gewisse rein numerische Verhältnisse im Sonnensystem 
von wesentlicher Bedeutung. Es seien daher einige solche angeführt. 

Nach ihrer Größe teilt man die unsere Sonne umkreisenden 
Planeten in zwei Gruppen: große oder Hauptplaneten und kleine 
Planeten (Asteroiden oder Planetoiden). Zurzeit sind 8 Hauptplaneten 
bekannt, und zwar Merkur (3), Venus (2), Erde (&), Mars (3), Jupiter (2), 
Saturn (5), Uranus (8) und Neptun (f). Die Anzahl der Entdeckungen 
von Asteroiden in dem letzten Jahrhundert geht aus folgender Tafel 
hervor: 


Jahre Anzahl Jahre Anzahl 
1801— 1807 4 1871—1875 45 
1808— 1844 0 1876— 1880 62 
1845— 1850 9 1881—1885 34 
1851—1855 24 1886—1890 49 
1856— 1860 25 1891—1895 107 
1861 — 1865 23 1896— 1900 54. 


1866— 1870 27 


Bis zum Jahre 1912 sind zusammen etwa 750 Asteroiden ge- 
funden worden. Um in einfacher Weise diese zu unterscheiden, wird 
jedem nach Vorschlag von Encke außer einem Namen eine in einen 
Kreis oder durch eine Parenthese eingeschlossene Nummer beigelegt, 
z. B. (108) Hekuba, (153) Hilda. 

Nach J. Bauschinger‘) seien hier die Logarithmen der großen 
Halbachsen (a), mittlere tägliche Bewegung (n), Exzentrizitätswinkel 


1) J. Bauschinger, Tafeln zur theoretischen Astronomie, Leipzig 1901. — 
Veröffentl. d. Kgl. Astr. Recheninstituts Nr. 16, Berlin 1901. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 48 


1732 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


(e= sin p), Neigung gegen die Ekliptik (ö) und die Masse (m) für 
die Hauptplaneten und einige typische Asteroiden angeführt.?) 














Epoche | log a N p i = 
Merkur 1900.0 | 9.5878 |14732'.4 11052 | 7° 0 6.000000 
Venus 1900.0 | 9.8598 | 5767”.7 0023 | 3024 408.000 
Erde 1900.0 0.0000 | 3548”.2 0058 0° 0 329 390 
Mars 1900.0 | 0.1829 | 1886”.5 5°21° |; 1°51’ 3093 500 
(46) Hestia 1865.0 | 0.4025 883,7 ge2s’ | 2018’ 
(108) Hekuba | 1878.9 0.5063 617.4 5054 | 4094 
(153) Hilda 18840 0.5965 452.2 9044 | 7958 
(279) Thule 1891.1 | 0.6297 403.2 4048’ | 2028’ 
Jupiter 1850.0 | 0.7162 299.1 2046 119 1047.355 
Saturn 1850.0 | 0.9795 120.5 30138° | 2030’ 3501.6 
Uranus 1900.0 | 1.2831 42.23 2042° | 0946’ 22869 
Neptun 1900.0 | 1.4781 21”.58 0°29 | 1947’ 19700 

















Die Bahnen der Asteroiden liegen zwischen Mars und Jupiter. Aus- 
nahmen sind (433) Eros, dessen Bahn teilweise innerhalb der Mars- 
bahn liegt, und die vier Asteroiden der sog. Jupitergruppe, deren 
Bahnen nahe dieselbe große Achse haben wie die Jupiterbahn. Die 
Bahnen der großen Planeten haben, Merkur ausgenommen, kleine 
Exzentrizitäten und Neigungen. Dagegen kommen bei den Asteroiden 
Exzentrizitäten bis 0.4 und Neigungen bis 35° vor. 

Die Massen der Asteroiden sind sehr klein. Nach Bauschinger') 
dürfte die Summe der Massen aller Asteroiden nicht mehr als 35500000 
der Sonnenmasse betragen, und von dieser Gesamtsumme kommt die 
Hälfte auf Vesta und Ceres allein. Die Einwirkung eines Asteroiden 
auf die übrigen Planeten ist daher unmerklich. Nur wenn zwei 
Asteroiden einander sehr nahe kommen, ist eine merkbare Einwirkung 
möglich. Unter den vielen Untersuchungen über die kleinsten Ab- 
stände (Proximitäten) zwischen den Asteroiden sei nur diejenige von 
A. Galle?) angeführt, welcher Abstände bis zu ;.,; der großen Halb- 
achse der Erdbahn herab findet. 


2) Vollständige Elementenverzeichnisse werden im Berliner Astronomischen 
Jahrbuch publiziert. Die Elemente der Planeten in Bezug auf die unveränder- 
liche Ebene finden sich bei A. A. Psilander, Öfversigt af K. Sv. Vet. Akad. För- 
handl. 1900, Nr. 8, Stockholm 1901 = Meddelanden frän Lunds astr. observa- 
torium Nr. 16, abgedruckt in ©. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels, Tafel I 
und III, Leipzig 1902. 

3) A. Galle, Zur Berechnung der Proximitäten von Asteroidenbahnen. Diss. 
Breslau 1883, 


2. Die Differentialgleichungen der Bewegung. 133 


2. Die Differentialgleichungen der Bewegung. Um die Be- 
stimmung der Bewegung eines von Satelliten umkreisten Planeten zu 
vereinfachen, zerlegt man sie in die folgenden drei: 

a) die Bewegung des Schwerpunkts @ des von dem Planeten und 
seinen Satelliten gebildeten Systems P; 

b) die Bewegung des Schwerpunkts des Planeten um G, und 

c) die Bewegung des Planeten um seinen Schwerpunkt. 

Diese Bewegungen sind im allgemeinen nicht ganz unabhängig. 
Wie die Verhältnisse im Sonnensystem sind, hat jedoch die letzt- 
genannte Bewegung keine merkbare und die unter b) genannte nur 
ausnahmsweise eine zu berücksichtigende Einwirkung auf die erst- 
genannte Bewegung. Sobald die Bewegungen der Satelliten um ihren 
Hauptplaneten durch die Mondtheorien bekannt sind, folgt die unter 
b) genannte Bewegung aus der bekannten linearen Gleichung zwischen 
den Koordinaten des Planeten, der Satelliten und des Schwerpunktes @. 
(Vgl. Jung IV 2, 2.) Die eigentliche Aufgabe der Planetentheorien ist 
die unter a) genannte Bewegung zu bestimmen. 

Seien x, y, 2 die rechtwinkligen auf im Raume feste Achsen be- 
zogenen Koordinaten des Schwerpunkts @ eines Planeten. Nach dem 
sogenannten Schwerpunktssatz*) sind dann die Bewegungsgleichungen 


d?x 


d? y d? 
(1) mas — X, mM =Y, m Z, 


a. as ; 
wo £ die Zeit, X, Y, Z die Summe der x-, bzw. y- und z-Kompo- 
nenten aller auf den Planeten und seine Satelliten wirkenden äußeren 
Kräfte und m die Summe der Massen des Planeten und seiner Satelliten 
bezeichnen. Die Gleichungen (1) gelten auch für die Bewegung des 
Schwerpunkts der Sonne. 

Unter den äußeren Kräften sind zunächst die nach dem Newton- 
schen Gesetz wirkenden Anziehungen der bekannten Himmelskörper 
unseres Sonnensystems zu berücksichtigen. Würden die Himmels- 
körper aus homogenen konzentrischen sphärischen Schalen gebildet 
sein, so dürfte man vollkommen streng bei der Berechnung der Kraft- 
komponenten annehmen, daß ihre Massen in ihre resp. Schwerpunkte 
konzentriert seien.’) Da die Massenverteilung in den Körpern unseres 
Sonnensystems nicht viel hiervon abweicht und dazu die Entfernungen 
zwischen den Planeten im Verhältnis zu ihren Dimensionen groß sind, 


4) Vgl. Stäckel, IV 6, 29; P. Appell, Trait& de mecanique rationnelle II, 
p-. 18 und 224, Paris 1904 und übrigens alle Lehrbücher der Mechanik. 
5) Wie Laplace, Mee. cel. I, p. 143 — Oeuvres1 p. 160 zeigt, hat nur ein An- 


ziehungsgesetz von der Form Ar + = diese Eigenschaft (A und B Konstanten). 
48* 


734 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


kann man in den Planetentheorien ohne merklichen Fehler diese An- 
nahme machen. Bis auf Größen höherer Ordnung ist nämlich der 
Fehler, den man bei dieser Annahme in der Berechnung der Kom- 
ponenten der zwischen zwei einander anziehenden Himmelskörpern 
wirkenden Kraft begeht, im Verhältnis zu dieser Kraft absolut ge- 
nommen kleiner als 





9 5 ne Se) 

wo r die Entfernung der Schwerpunkte der Körper, oe und go’ die 
größten von ihren resp. Schwerpunkten aus gerechneten Erstreckungen 
der Körper bezeichnen. 

Man betrachte zwei Systeme von Körpern P und P’, jedes be- 
stehend aus einem Planeten und den ihn umkreisenden Satelliten. 
Seien m, &-+ 2, y+ Y;, 2 + 2, die Masse und die Cartesischen Ko- 
ordinaten der verschiedenen zum System P gehörigen Körper P, 
(@—=1,2,3,...), wobei x, y, 2 die Koordinaten des Schwerpunktes @ 
des Systems bezeichnen sollen. Die entsprechenden Größen bei dem 
System P’ seien @', P,,m,, a, y, 2, +2, y+9y,2+2;- 

Die Summe der Komponenten der Kräfte, welche die Körper des 
Systems P’ auf die Körper des Systems P ausüben, sind dann gleich 
den partiellen Ableitungen nach x, y und z der Funktion 


wobei 

A,= Ve+s—d— u,” +W+4—-y-y’+@+3—2—2,) 
die Entfernung der Körper P, und P/ bezeichnet und k die GauB- 
sche Attraktionskonstante®) ist. Unter der Voraussetzung, daß die 
Entfernungen zwischen den Körpern P, untereinander und zwischen 


den Körpern P,' untereinander klein sind im Verhältnis zur Entfernung 








6) Die Konstante % hat nach C. Fr. Gauß (Theoria motus, p. 2 = Werke 
VL, p. 14) den Wert k = 0.017202099 [log k = 8.2355814414], wobei er als Zeit- 
einheit den mittleren Sonnentag, als Masseneinheit die Sonnenmasse und als 
Längeneinheit die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne wählte. Später, 
als die Erdbewegung genauer bekannt war, hätte man wohl einen genaueren 
Wert von k berechnen können. Um die mit dem Gaußschen Wert ‚von k be- 
rechneten Tafeln nicht verändern zu müssen, behält man nach U. .J. J. Leverrier 
(Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 189) für die Gaußsche Konstante den obigen 
Wert bei, verändert aber die Einheit der Länge um ein Unbedeutendes. In 


theoretischen Untersuchungen pflegt man die Zeiteinheit so (— 1- 58.13 244.087 


mittlere Sonnentage) zu wählen, daß die Gaußsche Konstante gleich 1 ist. 


2. Die Differentialgleichungen der Bewegung. 135 
der Schwerpunkte @ und @': 
(2) A= Va’ +YW—Y’+@— 2), 


läßt sich U durch Reihenentwicklung in zwei Teile 








@) ur 
und 
ML — + Gy, + 25)°] 
He Eee 7 > us | 
i j 





' m Tl — x) (0. — 0,’ gg — zz. — zz. 
1 3» I" > mm, | —&) (8; —&,)+ (Y : Y—-Yy)t@— 22; Zu 
i $ f) 


4 


+ Glieder höherer Grade in ,— 2,, ;—Y,, 3 — 2; 


J 
0 = a, ii m # 
Mm = M;, mM = mM j 


ö J 


zerlegen, wo 


die Massen der Systeme P und P’ bezeichnen. 

Im allgemeinen kann man T, vernachlässigen und U = U, setzen, 
was bedeutet, daß man die Massen der Systeme in ihre resp. Schwer- 
punkte konzentriert. Nach P. $. Laplace”) ist die aus U, stammende 
Störung merkbar nur bei dem System Erde-Mond. In den Planeten- 
theorien versteht man auch überall (wie auch stets im folgenden), 
wo kein Mißverständnis zu fürchten ist, unter einem Planeten eben 
den materiellen Punkt, der erhalten wird, wenn die Masse des Planeten 
und diejenigen seiner eventuellen Satelliten in ihrem gemeinsamen 
Schwerpunkt konzentriert gedacht werden. Die Differentialgleichungen 
der Bewegung des Planeten P schreiben sich dann einfach 


dz _ 8U dıy OU die U 


ae gr ae äyr a Da 


ist und das Summenzeichen angibt, daß jeder Planet (außer P selbst) 
und die Sonne ein zu MT analoges Glied in die Funktion U ein- 
führen. 

Weil die Sonne als Zentralkörper eine besondere Stellung ein- 
nimmt, pflegen die Astronomen öfters die Koordinaten der Planeten 
in bezug auf ein Koordinatensystem, dessen Nullpunkt in den Schwer- 
punkt der Sonne fällt, anzugeben. Seien jetzt m, x, %, z die Masse 


7) P. 8. Laplace, M&c. cel. livre 6, chap. 4 (1802) = Oeuvres 2 p. 63. 


136 VIa,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


und die Koordinaten des Planeten P in bezug auf die Sonne, deren 
Masse gleich 1 angenommen wird. Die Differentialgleichungen der 
relativen u sind dann 














k?(1 O8 
et Pt mE 
d’y 1 = 
(4) di? + Bam _ k*(1 + m) ar: 
d’z k?(1 4 m)z 
BER — B(1+m)8 r ’ 
wobei 2, 
m (1 autyytee 
2m (A | 
(8) AS 1 rcos H 
4m (& a er) 


die sog. Störungsfunktion (eingeführt von J. L. de Lagrange?); Name 
von Laplace) ist. Es bezeichnen hierbei m’, x, y', 2’ die Masse und 
die Koordinaten des Planeten P’ in bezug auf die Sonne. Ferner sind 
(6) r=Ve+ty+R, | 

@) KVeHste, 

(9) A-Vae ey FO IT HEN Vrtrt Hr usH 
die Abstände der Planeten P und P’ von der Sonne und voneinander. 
H ist der von r und r’ eingeschlossene Winkel. In dem angegebenen 
Wert von & ist nur die Einwirkung eines Planeten berücksichtigt. 
Jeder weitere einwirkende Planet fügt zu dem in Gleichung (5) ge- 
gebenen & ein der rechten Seite von (5) analoges Glied hinzu. Weil 
aber zunächst am besten jedes Glied von & besonders behandelt wird, 
pflegt man meist wie oben nur ein Glied von 2 anzuschreiben. 

Die Differentialgleichungen der Bewegung von P’ werden er- 
halten, wenn man in den Gleichungen (4) und (5) die gestrichenen 
und ungestrichenen Größen vertauscht. Dadurch geht 2& in 

‚ m 1 r cos H 
* - a a) 


über. Bei der Entwicklung der Störungsfunktion pflegt man anzunehmen, 
daß der Planet P’ weiter von der Sonne entfernt ist als der Planet P. 


Öfters läßt man auch die konstanten Faktoren . er und ; 7 weg. 


3. Die erste Annäherung. Das Zweikörperproblem. Wie schon 
hervorgehoben, kann man die Bewegungsgleichungen (4) nicht streng 
integrieren. Man muß bei ihrer Integration zu Annäherungen und 




















8) J. L. de Lagrange, Nouv. M&m. de Berlin 1777 = Oeuvres 4, p. 401. 


3. Die erste Annäherung. Das Zweikörperproblem. 137 


Reihenentwicklungen greifen. Um die Lösungen zu vereinfachen, hat 
.man sich an die tatsächlich vorhandenen Bewegungsverhältnisse im 
Planetensystem zu halten. Je genauer man die Bewegungen übersehen 
kann, um so vorteilhafter wird man im allgemeinen das Integrations- 
verfahren anlegen und die jedesmaligen erleichternden Bedingungen 
ausnützen können. Für die Astronomen ist es ja vor allen Dingen 
nötig, leicht und sicher berechenbare Ausdrücke zu erhalten. 

Unter den Umständen, welche im Planetensystem die Lösung er- 
leichtern, ist zunächst der zu nennen, daß die Anziehungskraft der 
Sonne auf einen Planeten groß ist im Verhältnis zu der der anderen 
Planeten, was von der Kleinheit der Massen und den großen Ent- 
fernungen zwischen den Planeten herrührt. 

Die Massen der Asteroiden sind so klein, daß ihre Einwirkung 
auf die übrigen Planeten bis jetzt unmerkbar ist. Man kann daher 
erst die Bewegungen der Hauptplaneten unter alleiniger Berücksich- 
tigung der Anziehung der Sonne und ihrer gegenseitigen Anziehungen 
bestimmen. Es zeigt sich, daß nur die einander nächsten Planeten 
‚größere Einwirkungen aufeinander ausüben. Bei der Bestimmung der 
Bewegung eines Asteroiden braucht man nur die Einwirkung der 
Hauptplaneten zu berücksichtigen. 

Die Methoden der Lösung der Differentialgleichungen der Be- 
wegung sind für große und kleine Planeten wesentlich dieselben. Die 
Verschiedenheiten hängen nur von dem größeren oder kleineren Um- 
fang der einzelnen Teile der Formeln ab. 

In der ersten Annäherung vernachlässigt man die gegenseitigen 
Anziehungen der Planeten. Dies wird erreicht, wenn man rechts iu 
den Differentialgleichungen die Massen und also & gleich Null setzt, 
wodurch die Bewegungsgleichungen eines Planeten in dem solcher- 
weise ‚entstehenden Zweikörperproblem die folgenden werden: 





(d?x kri-tme N 
di? TR rd; 
d? k?(1 
(9) a an 
#2 |, KiÜtm: _o 
\dt? r® ' 





Diese Gleichungen bestimmen x, y und z als Funktionen von # und 
sechs Integrationskonstanten, wobei es sich zeigt, daß die Bewegung 
des Planeten nach den Keplerschen Gesetzen vor sich geht. Wählt 
man als Integrationskonstanten die Keplerschen Elemente: @ die große 
Halbachse, e die Exzentrizität, © die Neigung der Bahn gegen die 
Ekliptik, 8 die Knotenlänge, x den Abstand zwischen Perihel und 


138 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Knoten (oder anstatt x die Perihelläinge 9 =x+ 8), & die mittlere 
Länge zur Epoche (t=0), so sind die Koordinaten durch die Formeln 





(10) Ban De 
(11) M=nt+s—-9=1—9, 
(12) M=E-—esinE, 
(13) tg > v -y:+ tg = E, 
6, 2 
(14) r=a(l—ecosE)= nn ; 
(15) u=-vtra=ı +9 — 8, 
in —= r[eos(u+ 2) + sin u sin (1 — cos )], 
(16) y=r|sin (u+ 8) — sin u sin Q(1— cos;)], 
58%; sin u sin ö 


zu berechnen. Vgl. den Artikel VI2, 9, Nr. 1—3 (Herglotz). 


4. Die Störungen. Die bei der ersten Annäherung erhaltene 
Keplersche Bewegung stellt nur für kurze Zeiten die Beobachtungen 
dar. Der Einfluß der vernachlässigten rechten Seiten der Gleichungen (4) 
macht sich im Laufe der Zeit geltend durch Abweichungen (Störungen 
genannt) von der sonst stattfindenden Keplerschen Bewegung, welche 
daher ungestörte Bewegung genannt wird. Die tatsächlich statt- 
findende Bewegung heißt gestörte Bewegung. Der Planet, dessen Be- 
wegung man untersucht, heißt gestört, während die übrigen Planeten 
als störende bezeichnet werden. Diese Bezeichnungen sind in den 
klassischen Planetentheorien, wie sie z. B. von Laplace, Leverrier, Hansen 
entwickelt sind, durchgängig. Je nachdem man die Abweichungen in 
den Elementen oder in den Koordinaten betrachtet, spricht man von 
Elementenstörungen oder Koordinatenstörungen. In bezug auf die 
Prinzipien, auf welche die Lösungsmethoden der Bewegungsgleichungen 
gegründet sind, sei auf den Artikel von Whittaker (Vl2, 12, Nr. 9—11) 


verwiesen. 


I. Die Methode der Variation der Konstanten. 

5. Anwendungsweise der Methode in der Störungstheorie. Es 
seien für einen Planeten die Gleichungen (4) und für die. übrigen 
n — 1 Planeten ganz analoge Gleichungen zu integrieren. Alle diese 
Gleichungen können durch das System der Gleichungen 


d , du . : 
(17) Be Z+B= Q,; (=1,2,3,..., 39%), 


6. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. 739 


ersetzt werden, wo jedes Glied von @Q, eine der Massen der störenden 
Körper als Faktor hat und die Funktionen P, im allgemeinen so ge- 
wählt werden, daß die Lösungen der Gleichungen 


Ana 1 2 ; 
Then re —=1,2,3,..,3n), 


welche die erste Annäherung geben, leicht und einfach erhalten werden 
können. Seien c, Integrationskonstanten und 

Ä i=1,2,...,3n 
(18) fl, c), =, 6), . 1,2... = 


diese Lösungen. Nach den Prinzipien der genannten Methode fordert 
man, daß die Lösung der Gleichungen (17) durch die Formeln (18) 
gegeben ist, muß dann aber die Größen c, nicht mehr als Konstanten, 
sondern als mit t veränderliche Größen ansehen. Die Bedingungs- 
gleichungen, welche die c, zu erfüllen haben, sind dann 


of, de, of; de, . 
ufe ; =Q, (=1,2,..,3n), 


LE Dia de, di 
v v 





aus welchen man ein Gleichungssystem der Form 
d 
Zn ==:F'(t, c,), (v=1,2,...83n) 

ableitet (vgl. Vessiot, IIA, 4b, Nr. 22). Je nach der Wahl der ver- 


änderlichen Konstanten erhält man spezielle Fälle dieser Methode. 


6. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. Diffe- 
rentialgleichungen. Untersuchungen über die Veränderungen der Ele- 
mente durch Störungen findet man schon bei L. Euler’), aber die 
wirkliche Grundlegung dieser Methode verdankt man J. L. de Lagrange'”). 
Unter den vielfachen Anwendungen dieser Methode seien als Stellen, 
die vor allem die Anlage der praktischen Rechnung unter verschiedenen 
Umständen wiedergeben, genannt: die Theorien der großen Planeten 
von U.J.J. Leverrier‘"), die Neptunstheorie von S. Newcomb'?), die 
Pallastheorie von C©. Fr. Gauß'?), die Vestatheorie von J. Perrotin '*). 





9) L. Euler, Recueil des pieces qui ont remporte les prix de l’Acad. des 
Sciences (Paris) VI, Nr. 6 (1749), VII, Nr. 2 (1752) und VIII (1756 gedruckt 1771), 
Berl. hist. M&m. (1749), Petersb. Commentarii (1747/8). Die Formeln von: Euler 
sind indessen nicht alle richtig. 

10) J. L. de Lagrange, Turin mel. III (1766) = Oeuvres I (1867), p. 471. 
Paris m&m. pres. 10 (1785) = Oeuvres 6, p. 403 und vor allem in Paris Inst. 
 (math.) mem. (9) 1 (1808) = Oeuvres 6, p. 713. 

11) U.J.J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 1, 2, 4, 5, 6, 10—12, 13, 14 
(1865 — 1877). 
12) 8. Newcomb, Smiths. contr. 15 (1867). 


740 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Die Gleichungen (10)—(16) geben in der ungestörten Bewegung 
%, y und 2 als Funktionen der Zeit und der elliptischen Elemente a, 
e, &, ©, & und ©. Nach den in voriger Nummer dargestellten Prin- 
zipien der Lagrangeschen Methode sind die Ableitungen der Elemente 
nach der Zeit aus den folgenden Gleichungen zu bestimmen: 


Oxda , öxde oadi 
adtraatrt Tan 


öy da , Oyde ‚9yW__ 
RETTET ums 
02 da 02 de 02 di 


ren 


0x da 0°x de 0x di 08 
a teaatetaaand +m) 7 


0°y da 0°y de 9y di r 08% 
at ratrtt rhrn 
0°z da 0°z de 022 di j OR. 
Ya trarat tan Plrm, 


Um zu vermeiden, daß i explizite als Faktor von gewissen Gliedern in 
den Ableitungen auftritt, ersetzt man nt in der Gleichung (11) durch 


(19) oe—=/ndi, 
so daß M und / durch die Gleichungen 
. (20) M=/nd+e—9, I=o+: 


zu berechnen sind und M oder ! nicht bei Bildung der Ableitungen 
nach «a als veränderlich betrachtet werden. 

Unter Anwendung der Gleichungen (10)—(16) gewinnt man aus 
den obigen Gleichungen durch eine ziemlich verwickelte Elimination ') 
die Formeln 


da. _ 2,08% 

as [= ana a}; 

wi) de ___ 940208 +4 area , naeyi—e? 08 
Fa EREE Wenger WRITER ram SE TE 





18) 0. Fr. Gauß, Werke 7, Nachlaß p. 489—577 (1906). Bei @. Struve, Die 
Darstellung der Pallasbahn durch die Gaußsche Theorie für den Zeitraum 1803 
bis 1903. Diss. Berlin (1911) findet man interessante Tafeln über die Abweichungen 
zwischen Theorie und Beobachtung. 

14) J. Perrotin, Obs. de Toulouse 1 (1880). 

15) Bezüglich der geeignetsten Methoden, diese oder entsprechende Diffe- 


zentialgleichungen abzuleiten, sei auf die Lehrbücher der Himmelsmechanik ver- 
wiesen. 


6. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. 741 


de _ nayı—e: 88 naeyi—e? 98 
a kei, ,oB. 1, 
dö nayı —e: 52 
rer, 
dan er et oR 
ad Vie sin: a’ 
23 
( ) an. mat 22 natg BE FE 08) 
ae Vie! sini 202 »5 NM-e Data 91 9%)’ 
in welchen er Em und die an enthaltenden Glieder mittels der 


E. .--98° dt 

ersten Gleichung 0) eliminiert werden könnten, so daß die rechten 
Seiten dieser Gleichungen nur von den Elementen und den partiellen 
. Ableitungen der Störungsfunktion nach den Elementen abhängig 
werden. Diese Möglichkeit wurde gleichzeitig von Lagrange'?) und 
P.S. Laplace‘‘) gefunden. Die veränderlichen Elemente nennt man 
auch oskulierende, weil die durch sie bestimmte Bahn und Bewegung 
sich für jeden Augenblick der wirklichen Bahn und Bewegung mög- 
lichst anschmiegen und für dieselbe sowohl den Ort als die Ge- 
schwindigkeit des Planeten richtig angeben. 

Man könnte auch Elemente durch andere Bedingungen zu definie- 
ren suchen, um anderen Verhältnissen als den wesentlich formalistischen 
der Lagrangeschen Methode Rechnung zu tragen. Solch ein Vorschlag 
ist auch von M. Brendel'?) gemacht worden. 

Wenn i klein ist, wird das erste Glied der rechten Seite von 
(23) groß und diese Gleichungen selbst unzweckmäßig zur Bestimmung 
von ö und 2. Lagrange'?) vermeidet diesen Übelstand, indem er statt 
i und SR die Elemente 
(24) p=tgising, qmtgico‘ 

‚einführt. 

Bei den Gleichungen (22) tritt derselbe Übelstand ein, wenn e 
klein wird. Man vermeidet ihn gleicherweise durch Einführung der 
Elemente 
(25) g=ecos@, h=esin®. 


Die Differentialgleicehungen zur Bestimmung von g, h, p und q sind: 


16) J. L. de Lagrange, Paris Inst. (math.) m&m. 9, Nr. 1 (1808) = Oeuvres 6, 
p- 713. 

17) P.S. Laplace, Suppl. au M&c. cel. = Oeuvres 8 p. 325—348. 

18) M. Brendel, Astr. Nachr. 187 (1911) p. 97; Göttingen, Ges. Wiss. Neue 
Folge (8) 1 (1911) p. 89—98. 

19) J. L.de Lagrange, Paris hist. (2) mm. (1774) = Oeuvres 6, p. 635. 


























hitg 
de. 7727730 nz —h 08 ’. IM 
7 na|yI ar „+ I+\i- g-MA ' Mg 
(26) ; ; 
an a ET gtg— 
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er na[ Vi Ariy I+yi- pP Both gm) 
dp u * 82 nap u 
u Vi e:costi 09 2yi—et cosieost Eat a) 
en 1, 
u: na “oo naq —(& ER =): 
v Vie: cossi 0P ayi et cos icon : oa ol 


7. Fortsetzung. Die rechten Seiten der Gleichungen (4) sind 
den &-, y- und <-Komponenten der störenden Kraft gleich. Wenn 
diese sich nicht als partielle Ableıtungen einer Funktion ausdrücken 
lassen, wie das z. B. bei verschiedenen Widerstandskräften eintritt, 
ist es nötig, die Ableitungen der Elemente unmittelbar durch die 
Komponenten der störenden Kraft auszudrücken. Zwei verschiedene 
Komponentensysteme kommen in praxi vor: Die Komponenten R, $, 
W parallel zur Verlängerung des Radiusvektors, zur Senkrechten auf. 
dem Radiusvektor in der Bahnebene (positiv nach der Seite wachsender 
Längen gezählt) und zur Normalen auf der Bahnebene (positiv nach 
Norden). Andrerseits die Komponenten 7, N und W; T parallel zur 
Tangente an die Bahn (positiv in Richtung der Bewegung), N parallel 
zur Normale auf die Tangente in der Bahnebene (positiv nach der 
Seite der Sonne), W wie oben. 


Die Differentialgleichungen der Elemente werden: 














ni ut re 
en Be ae nn 

Es - Po [R sin» + S(cosv + cos E)], 

( ao _ = mr en] + 
zn Perg: — —W vo +5 —8), 
Tee Sr ae 


8. Integration. 743 














(da _ 2e@a—n) 
og er ’ 
de _ Be esin v Er ) EN da 
Ber 57 1-+ecosv 1tVi—e di 
RE a 
29) | +2y1— esin re 
Ge here 
dt c ac 
da 2sinv 1 r 008 © gi dN 
wen ec T+-2+ )N + sin 2 dt’ 
wo abkürzend ; 
——ı/3 1 
e=kVl+mV—- 


gesetzt worden ist. Sie sind sogar einfacher direkt abzuleiten, als die 
Gleichungen (21), (22) und (23), und werden besonders wichtig, wenn 
man sich über die Einwirkung irgendeiner Kraft auf die Elemente 
orientieren will. 


8. Integration. Um die Gleichungen (21)—(23) zu integrieren, 
entwickelt man im allgemeinen die Elemente nach Potenzen der 
störenden Massen und bestimmt durch aufeinanderfolgende Annähe- 
rungen die Glieder erster, zweiter, ... Ordnung. Die Ordnung eines 
Gliedes ist gleich der Anzahl der in ihm enthaltenen Massenfaktoren. 
Dagegen nennt man Grad eines Gliedes die Anzahl der eingehenden 
Faktoren von Exzentrizitäten und Neigungen, wenn nach Potenzen 
dieser Größen entwickelt wird. 

Es bezeichne n, ein Element oder eine Funktion nur von Ele- 
menten und absoluten Konstanten. Nach Potenzen der störenden 
Massen entwickelt sei 


(80) Det tren Tr =n Tr 9m, 
wo n von nullter und d,n von v** Ordnung ist. Um die Integration 


analytisch ausführen zu können, muß man 2 zweckmäßig entwickeln. 
Der Störungsfunktion kann man die Form (vgl. v. Zeipel, VI, 13) 


(31) 2—= DIN cosD 
geben, wo 
(32) D=-3U+3M+0=-jI+5T+ 0 


ist und die Größen N, C und C’ nur von den Elementen der Planeten 
abhängig sind (j und 5 ganze Zahlen). Entwickelt man nach Po- 
tenzen der ön, so wird 

(83) L=HFIRALFHLH: 

wo 2, erster, 6,2 (v + 1)" Ordnung ist. 


144 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Weil & erster Ordnung ist, folgt aus den Gleichungen (21)—(23), 
daß die Teile nullter Ordnung der Elemente Konstante sind, welche 
auch als Integrationskonstante betrachtet werden können. 2, wird aus 
2 erhalten, wenn man allen Elementen diese konstanten Werte gibt. 
Dann folgt, daß 


M=nt 

(24) ne 
M=nt-+ec, 

wird, und 2, nimmt die Form an 

(35) = ZDN,,wsD, (D=jnt+jnt+?), 


woc,c,&, N,, standen sind. 

Die rechten Seiten der Gleiehungen (21)—(23) haben dieselbe 
Form wie 2,, wenn nur Glieder erster Ordnung berücksichtigt werden. 
Durch Integration jedes Gliedes unter Anwendung der Formel 








sin. D, 

(36) fs Dat = 5, 

werden die Störungen erster Ordnung der Elemente in der Form 
N,; 

(37) 6,n=N er 5 cin D, 


erhalten. Um M zu erhalten, hat man noch die Integration der Glei- 
chung (19) oder nach (10) der Gleichung 

d? 08 
(38) 7 Was 
auszuführen. Die rechte Seite dieser Gleichung und diejenige der 
ersten Gleichung (21) enthalten selbstverständlich nur in / und also 
in ? periodische Glieder. Daraus folgt das Theorem von Laplace, daß 
ö,a kein mit £ und o kein mit £? proportionales Glied enthalten kann. 


o hat daher die Form 
D ER : RER . 


Hierbei ist vorausgesetzt daß keiner der Integrationsdivisoren jn + Jr’ 
gleich Null ist. 

Werden in den Differentialgleichungen der Elemente die eben 
erhaltenen in erster Ordnung genauen Werte der Elemente eingeführt 
und nach Potenzen der d,n entwickelt, so erhält man zur Bestimmung 
der Glieder zweiter Ordnung Gleichungen der Form 


ABM N+ IN, 08 D)+t IN, sin D,, 
woraus unter eine der Formel (36) und 


40 ; u IRA, 000 D, 
(40) Soon Dat u + rw 





9. Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation. 745 


für die d,n die Form folgt 
ns m. 2 
dn=Nt+ 2 zw sin DD + RE rue 608 Ds 


N, ? 
- De sın ‚Di. 


Mittels der Glieder zweiter Ordnung erhält man in analoger Weise 
die Glieder dritter Ordnung der Elemente. Bei den aufeinander- 
folgenden Annäherungen hat man nur Integrale der Form 


fe eos (vt + c) dt 


auszuführen, was mittels der Formel 








. 7 
m sin (vt+h+p 7) 
(a1) fir oo wt + at= 5"; . im-p 
p=0 
oder, falls v» —= 0, mittels der Formel 
a gm+1 


geschieht. 

Man bestimmt so nach und nach die Glieder der aufeinander- 
folgenden Ordnungen, was also einfach und schematisch vor sich 
geht?®). Die Anzahl der Glieder von gegebenem Grade wächst jedoch 
ungeheuer schnell und würde die ganze Methode praktisch unbrauch- 
bar machen, wenn man höhere Ordnungen als die zweite ganz mit- 
nehmen müßte. Zufolge der Kleinheit der Massen ist die Konvergenz 
jedoch oft hinreichend, um die Methode anwenden zu können. 


9. Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation. 
Nach dem Obigen überblickt man leicht, daß die Darstellung der 
Elemente bei fortgesetzter Annäherung von der Form 


D'Ntr cos D 
wird, wo die Argumente D von der Form 
SM+ SM HU + Han) 
sind (die j ganze Zahlen; die M mittlere Anomalien der verschiedenen 


Planeten). 
Die Glieder, bei denen p = 0), sind periodisch und werden nach 
der Größe von v in langperiodische und kurzperiodische Glieder geteilt. 


20) Eingehende ausführliche Formeln zur Berechnung der Glieder zweiter 
Ordnung sind von U. J.J. Leverrier [Obs. de Paris mem. 2 (1856), p. 43—57 und 
10 (1874), p. 192ff.] gegeben. Die Glieder dritter Ordnung behandelt M. A. Gaillot 
[Paris Bull. Astr. 5 (1888), p. 329—344, 377—384]. 


746 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Langperiodisch ist ein Glied, wenn » klein ist im Verhältnis zur 
mittleren Bewegung des gestörten Planeten. Ein langperiodisches 
Glied in der Störungsfunktion (eigentlich in den Ableitungen der Ele- 
mente nach der Zeit) wird durch die Integration vergrößert in die 
Elemente übergehen. Infolgedessen sind die langperiodischen Glieder 
sehr wichtig, vor allem, wenn » sehr klein ist. 

Ein Glied, für welches p >1, nennt man säkular. Ist speziell 
v = (), so wird es nach Poincare rein säkular genannt, sonst aber ge- 
mischt säkular (seculaire mixte). Das einzelne rein säkulare Glied wird 
mit der Zeit unendlich groß. Das gemischt säkulare Glied schwankt, 
wenn £ wächst, zwischen immer größeren Grenzen. Die säkularen 
Glieder sind daher besonders für große Werte von # zu berücksichtigen. 

Die Größe eines Gliedes in den Störungsausdrücken ist wesent- 
lich abhängig von seinem Grad, seiner Ordnung (s), dem Exponenten 
(p) von t und der Anzahl (g) seiner kleinen Integrationsdivisoren. 
H. Poincarc?‘) bezeichnet als „Rang“ eines Gliedes die Zahl 


SUR 
und als „Klasse“ eines Gliedes die Zahl 


2a ARE) CU 
ns 2 


Über die Bedeutung eines Gliedes geben sein Grad, seine Ordnung, 
sein Rang und seine Klasse einen gewissen genäherten Aufschluß. Je 
größer der Grad, die Ordnung oder die Klasse eines Gliedes ist, um 
so kleiner ist es. 

Die relative Bedeutung der Ordnung, der Klasse und des Ranges 
hängt von der Länge der Zeit ab, für welche man die Bewegung dar- 
stellen will. Wenn man die Bewegung für kürzere Zeiten betrachtet, 
sind die Glieder der niedrigsten (1') Ordnung die wichtigsten. Wünscht 
man eine Darstellung für ziemlich lange (mit den Perioden der lang- 
periodischen Glieder vergleichbare) Zeiten, so sind die Glieder niedrig- 
ster Klasse die wichtigsten, Für sehr lange Zeiten schließlich treten 
die Glieder niedrigsten Ranges in den Vordergrund. 

Aus den von H. Poincare??) für kanonische Elemente bewiesenen 
Sätzen über das Vorkommen von Gliedern eines gewissen Ranges und 
gewisser Klassen folgert man die Sätze: 

1. Es gibt keine Glieder, deren Klasse negativ wäre; die kon- 
stanten Teile ausgenommen jet die Klasse aller Glieder in den Ent- 


21) H. Poincare, Legons de m&e. cel. I, p. 129, Paris 1905. 
22) H. Poincare, ibid. p. 131, 341. 


10. Säkulare Störungen. 747 


wicklungen der Elemente a, 9, h,p,q (in den Gleichungen (26) und 
(27)) immer >4. 

2. In den Entwicklungen der Elemente g, h,p,g, und o (das 
Glied »4 ausgenommen) ist der Rang aller Glieder > 0. 

3. Der Rang der periodischen und derjenige der gemischt säku- 
laren Glieder ist >1. 

4. Das konstante Glied ausgenommen ist in der Entwicklung von 
a der Rang aller Glieder > 1. 

Der letztgenannte Satz ist eine Verallgemeinerung des Satzes von 
Lagrange über die Invariabilität der großen Halbachsen (siehe Whittaker 
VIa, 12, Nr. 13). Der folgende von H. Poincare?”’) bewiesene Satz 
gibt unmittelbar eine Verallgemeinerung des Poissonschen Satzes: 

In der Entwicklung von @ gibt es keine rein säkularen Glieder 
vom Range 1. | 

Zu bemerken ist auch, daß o keine rein säkularen Glieder des 
Ranges Null hat. 


10. Säkulare Störungen. Die säkularen Störungen, deren Rang 
>1 ist, sind unbedeutend im Verhältnis zu denen des Ranges Null. 
Da in a keine Störungen des Ranges Null vorkommen und alle Glieder 
des Ranges Null rein säkular sind, werden die Differentialgleichungen 
zur Bestimmung der Glieder des Ranges Null erhalten, wenn man in 
den Formeln (21), (26) und (27) in der Störungsfunktion & alle in 
e und @’ periodischen Glieder wegläßt. Sei & der solcherweise er- 
haltene sogenannte säkulare Teil der Störungsfunktion, d. h. die Summe 
aller nichtperiodischen Glieder von 2. Da 2 von & und < unabhängig 
ist, können die säkularen Glieder vom Rang Null in den Elementen 
e,©,i und & oder g, h, p und q getrennt von solchen Gliedern in & 
und &’ bestimmt werden. Nachdem man die genannten Glieder in den 
9,h,P, 4,9, h', p' und q’ bestimmt hat, werden die Glieder in & durch 
eine einfache Quadratur erhalten. 

Auch die rein säkularen Störungen können nur durch Annähe- 
rungen erhalten werden, und zwar wird dabei öfters die in 8 dar- 
gestellte Methode, die Glieder der sukzessiven Ordnungen zu bestimmen, 
angewandt. 

Wir wollen für die rein säkularen Teile der Elemente die- 
selben Bezeichungen anwenden, wie für die Elemente selbst. Zur Be- 
stimmung der säkularen Glieder erster Ordnung erhält man die Dif- 
ferentialgleichungen aus den Gleichungen (21), (26) und (27), wenn 
man in diesen überall & durch 2 ersetzt und in den rechten Seiten 





23) H. Poincare, ibid. p. 307. 
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 49 


748 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


allen Elementen konstante Werte gibt. Wenn die Elemente g, h, p, 
9, 9,..-. klein sind, kann 2 und also 2, welches übrigens nur 
Glieder geraden Grades enthält, nach Potenzen dieser Größen ent- 
wickelt werden, und man kann die rechten Seiten der genannten 
säkularen Gleichungen ohne andere Schwierigkeit als die Länge der 
Rechnung numerisch finden. Aus den so erhaltenen Gleichungen der 
Form 


dn _ 
a=#B 


gewinnt man unmittelbar das Glied erster Ordnung 
n—= Ht. 


In dieser Weise hat D.J. J. Leverrier*) die säkularen Änderungen 
der Elemente der Hauptplaneten berechnet. Wenn die Konvergenz 
der Entwicklung von & schwach ist, oder wenn man die säkularen 
Störungen erster Ordnung genauer berechnen will, wendet man die von 
©. F. Gauß”°) gegebene Methode zur Berechnung der rechten Seiten 
der Differentialgleichungen der Störungen an. Geht man von den 
Gleichungen (28) oder (29) aus anstatt von den Gleichungen (21), 
(22) und (23), so findet man, daß die Ableitungen nach ? der säku- 
laren reg erster ne in der Form 


5 0 95 
FF at dMdM’ 


erhalten wärdche wo A, B, © die rechtwinkligen Koordinaten des ge- 
störten Körpers und U, V, W unabhängig von der mittleren Anomalie 
M' ist. Bezüglich der Berechnung sei auf den Artikel von v. Zeipel 
(VIe, 13, Nr. 54) verwiesen. 


11. Angenäherte Berechnung der säkularen Werte der Elemente. 
In dem Falle, daß die Exzentrizitäten und Neigungen klein sind, kann 
man sich auf die Berücksichtigung der Glieder erster Ordnung und 
ersten Grades in den Differentialgleichungen der säkularen Störungen 
beschränken. Indem die g, h, p und q für die n verschiedenen Planeten 
durch untere Indizes kenntlich gemacht werden, erhält man zur Be- 
stimmung der genannten Größen die folgenden linearen Gleichungen 


24) U.J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann., m&m. 2 (1856), p. 87—105 und 
II 1 (1876). Unter Berücksichtigung nur der Glieder ersten Grades berechnete P. 8. 
Laplace (Mee. c&l. III, Ch. VII) die säkularen Änderungen der Elemente der sieben 
innersten Planeten. 


25) ©. F.Gauß, Gott. comm. rec. 4 (1818) = Werke 3, p. 3831—855. 


11. Angenäherte Berechnung der säkularen Werte der Elemente. 749 





= 26 zer 

(43) in inf 54 m +3 » ne vvV=1,2,..,n), 
(9 Sau Bea (v, v') .. (m, v)g,, 

(44) q a, N Se „ u De We l,2,.,.,n), 


wo die Größen (v, v’) und [v, v’] nur von den Massen und den großen 
Halbachsen der Planeten P, und P,, abhängen und also als Konstanten 
betrachtet werden können. Der Strich bei dem Z-Zeichen gibt an, 
daß bei der Summation v’ nicht gleich » werden darf. Die Bestimmung 
der Größen g, und A, ist also bei dieser Annäherung von der der 
Größen p, und g, unabhängig. 

Die linearen Gleichungen (43) können streng integriert werden. 
Ihre Lösungen sind bekanntlich von der Form (siehe Vessiot, IIA, 4b, 
Nr. 28): 


[ 


9, — 2, N,9 eos (6,1+7,), 


(45) x («—1,2,..,n) 
h,— DN,® sin (6,6+7,); un. 





\ 
wo die Verhältnisse der Konstanten N,(® durch die » Gleichungen 

(A, 9,)N,9+ A,aN, nn A,,5N3” 3. Fr AN? —(, 
A,, ıN9+(4,, A Ar, N, K ‘Wr Aa, ms Ü—0, 
I A A a ct A, 





A, +A, Nor. a IRRE N, 0, 
(4.= I (ur), A,=—b,v)) 


bestimmt werden, sobald die Größen 6, erhalten sind, welche die 
Wurzeln der „Saeeulardeterminante“ 
A, G, A, 4,3 2° 3 A, 


A, As — 6, Ay3, ECRGE, As 
(7) Ay da Aus Be 6, e 4; ER 








A ir are 


N,17 n,n 
49* 


750 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


bilden. Die Koeffizienten A,, haben solche Werte, daß die Deter- 
minante in eine symmetrische Determinante derselben Form übergeht, 


z 1 
wenn man die v* Zeile mit a,Ym,n, und die »’' Kolonne mit 





San; 
multipliziert. Man kann daher, ohne die Wurzeln 5 zu verändern, die 
A,, in (46) und (47) durch die Gleichungen 


= Va N, 
4,v RT Mn, v, 


definieren und hat dann 








A, = Ay: 


Die 4, „ sind reelle Größen, weil in unserem Planetensystem alle 
Planeten in demselben Sinne sich um die Sonne bewegen (n, > 0). 
Die n Wurzeln der Gleichung (47) sind alle reell, was P. S. Laplace?®) 
unter Anwendung des aus den Gleichungen (43) abzuleitenden Inte- 
grales 


(48) D/m,Vi+ m,Va,g,’+h,%) 
-) m,V1l-+ m,Va,e, = Konstans 


zuerst allgemein bewies. Dagegen ist der von Laplace (a. a. O.) ge- 
gebene Beweis, daß nicht mehrere Wurzeln 6, gleich sein können, 
unrichtig. Daß gleiche Wurzeln nicht möglich sind, findet man im 
Falle n = 2 unmittelbar. Im Falle » = 3 ist dies von H. v. Seeliger ?”) 
bewiesen. ©. V. L. Charlier?'*) untersucht, wie die säkularen Störungen 
sich ausdrücken lassen, wenn zwei Wurzeln gleich sind. Aus der 
Gleichung (48) folgert Laplace auch, daß die Exzentrizitäten immer 
klein bleiben. Wie Lagrange bemerkte, ist das indessen nicht stich- 
haltig, wenn eine Masse m, klein ist, weil dann das zugehörige e, 
groß werden kann. Übrigens ist ja die Gleichung (48) nur bis auf 
Glieder vierten Grades richtig. 

Die Auflösung der Gleichung (47) und die Berechnung der Ver- 
hältnisse der N, aus den Gleichungen (46) für das System der 
Hauptplaneten ist sehr weitläufig. J. L. de Lagrange ®) gab die Lösung 


26) P. 8. Laplace, Paris hist. (2) m&m. (1784) —= Oeuvres 11, p. 88—92. 
Siehe weiter A. Cauchy, Exercices de Math. IV (1829), p. 140; O. Jacobi, J. f. Math. 
12 (1834); J. A. Grunert, Arch. d. Math. 29 (1857), p. 442; Sourander, J. de Math. 3, 
Ser. 5 (1879), p. 195—209. 

27) H.v. Seeliger, Astr. Nachr. 93 (1878), p. 358—364. 

27°) ©. V.L. Charlier, Öfversigt of K. Vet. Soc. Förh. Nr. 97, Stockholm 
1900 = Meddelanden fr. Lunds Obs. Nr. 15. 


28) J. L. de Lagrange, Berl. M&m. de l’Akad. 1782 = Oeuvres 5, p. 211—344. 


12. Fortsetzung. 151 


für die damals bekannten Hauptplaneten. M. @. Pontecoulant?”) und 
U. J. J. Leverrier®) führten die Rechnung für die sieben innersten 
Planeten durch. Nach der Entdeckung des Neptun haben U. J. J. 
Leverrier®‘), J. M. Stockwell®?) und P. Harzer®?) die Rechnungen für 
alle acht Hauptplaneten ausgeführt. 

Bei den Hauptplaneten wird die Auflösung der Gleichung (47) 
dadurch vereinfacht, daß das System der vier inneren und das System 
der vier äußeren Planeten aufeinander nur eine geringe Einwirkung 
haben und die Gleichungen (46) dementsprechend in zwei fast unab- 
hängige Systeme von je vier Gleichungen zerfallen. Ebenso zerfällt 
die Gleichung (47) in zwei fast unabhängige Gleichungen. Wie 
man die numerische Berechnung der Wurzeln von (47) durch all- 
mähliche Vereinfachung dieser Gleichung bewerkstelligt in der Weise, 
daß in der Determinante der linken Seite die Elemente außerhalb der 
Diagonale nach und nach verkleinert werden, hat ©. @. J. Jacobi) 
gezeigt. 

Um die Größe der Wurzeln beurteilen zu können, seien hier die 
Werte, welche J: M. Stockwell?”, bei den Hauptplaneten gefunden hat, 
angeführt. Sie lauten: | 


6 = 5”.463802, 6,— 0”.6166849, 
= 172484279, = 2’.1276592, 
6, = 17”.0143734, 6,= 3”.7166075, 
6, — 17”.7844562, 6, = 22”.4608479, 


wobei als Zeiteinheit das Julianische Jahr genommen ist. Stockwell 
gibt auch Formeln, um Änderungen in den angenommenen Massen- 
werten berücksichtigen zu können. 


12. Fortsetzung. Die Werte von g, und h, werden für eine be- 
stimmte Zeit aus den Beobachtungen entnommen. Nachdem die Ver- 
hältnisse zwischen den Größen N,® und N,® aus den Gleichungen 
(46) berechnet sind, erhält man die Konstanten y, und die N,@) aus 
den Formeln 


29) M.@. Pontecoulant, Theor. Anal. du Syst. du Mond, Bd. 3 (1834). Seine 
Werte sind jedoch mit zu wenig Dezimalen gerechnet. 

830) U.J. J. Leverrier, J. de Math. 5, p. 220ff. = Conn. des temps pour 1843. 

831) U.J.J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 2. p. 105—170. 

32) J. N. Stockwell, Smiths. contr. 18, Washington 1870. 

33) P. Harzer, Preisschriften der Fürst. Jablonowsk. Ges., Leipzig 1895. In 
dieser Arbeit bedient er sich der sog. kanonischen Elemente anstatt elliptischer. 

34) 0.G.J. Jacobi, J. f. Math. 30 (1846), p. 51—94 = Werke 7, p. 97. 


752 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 
m,h, N) 
Lo na, N 
N,® sin (6,t+y7)= — 


m, N) x! 
a 
m,g, N,” 
2 n,a, N 
N,® cos (9,8 En Y.) u ig ve zo 
Sea) 
Um zu sehen, wie sich die Perihellänge ©, des Planeten P, ver- 
ändert, bildet man aus den Gleichungen (25) und (45) die Relation 
DIN sin (6, — SE +10 — Ya) 


a" 
N DIN 608 (6,— 6,)t + Ya — 70) 

















tg (©, Dr 5,8 PR Ya) 


Wenn der Nenner der rechten Seite nicht Null werden kann, folgt, 
daB ©,— 6,t— y, von seinem Mittelwert nicht mehr als 90° ab- 
weichen kann, und daß also ©, eine mittlere Bewegung gleich ©, hat, 
was für die Beurteilung der Bahnlage und der Veränderungen der 
störenden Kräfte von Nutzen sein kann. Die Kriterien für das Be- 
stehen einer mittleren Bewegung sind noch nicht vollständig ent- 
wickelt. Betrachtet man nur zwei Planeten (n = 2), so hat ©, immer 
eine mittlere Bewegung. Ist für einen gewissen Wert von « 


2 DIN, 


so hat ©, die mittlere Bewegung 6,.°°) Im Falle » = 3 hat P. Bohl®®) 
gefunden, daß in gewissen Fällen eine Entscheidung der Frage be- 
züglich der Existenz einer mittleren Bewegung unmöglich ist, weil 
eine noch so kleine Veränderung in den aus den Beobachtungen ent- 
nommenen Konstanten bewirken kann, daß eine vorhandene mittlere 
Bewegung zu existieren aufhört oder umgekehrt. 

Nach den Rechnungen von Stockwell (a. a. ©.) haben die Perihel- 
längen der Planeten Merkur (6,), Mars (6,), Jupiter (6,), Saturn (6,), 
Uranus (6,) und Neptun (6,) mittlere Bewegungen. 

Die Integration der Neigungsgleichungen (44) wird ganz wie die 
der Gleichungen (43) ausgeführt. Zu bemerken ist dabei nur, daß 


35) J. L.de Lagrange, M&m. de l!’Akad. de Berlin (1782) = Oeuvres 5, p. 285. 
36) P. Bohl, J. f. Math. 135 (1906), p. 189—283. Daselbst findet man über 
die Versuche, diese Frage zu lösen, referiert. 


13. Die säkularen Störungen der kleinen Planeten. 7153 


eine der entsprechenden Wurzeln ©, gleich Null ist, was mit dem Be- 
stehen des Flächensatzes zusammenhängt. 

13. Die säkularen Störungen der kleinen Planeten. Bei den 
Asteroiden hat man die Vereinfachung in den Gleichungen (43) und 
(44), daß die zu den Hauptplaneten gehörenden g,, h,, p,, q, als bekannt 
angesehen werden können. Die Differentialgleichungen zur Bestimmung 
von 9 und h sind dann von der Form ’?”) 


= es 92,0, v) — 210, v]9,, 
” = — h >)(0, v) + 210, vjh,, 


dh 
dt ae Be (0, v) — DM, cos (6,8 Fr By 


oder 


d ‘ 
Fr = — h>.(0, v) + DM, sin (6,2-+7,)- 
Die Lösungen dieser Gleichungen sind 


h—M sin (t I'(0, ») + >) ar Te sin (5,14 7,), 


g=M cos (t. >’, v) +?) Een ER (Be 








) — 


wo M und » Integrationskonstanten bedeuten. Wenn 6, gleich 
< (0, v) wäre, würden g und h unendlich große Werte erkiktihhe können. 


Dies würde indessen nur anzeigen, daß die Integrationsmethode nicht 
anwendbar ist, weil wir ein Resultat erhalten, das gegen die voraus- 
gesetzte Kleinheit von g und h verstößt. ©. V. L. Charlier®®) hat in- 
dessen gefunden, daß für die Asteroiden zwischen Mars und Jupiter 
-6, nicht gleich (0, v) wird. 


Für die Größen p und g erhält man analoge Differentialgleichun- 
gen und Lösungen. Dabei zeigt sich jedoch, daß für einen Asteroi- 
den, dessen Abstand von der Sonne —1.98 ist, der (0, v)— 6 


entprechende Integrationsdivisor Null ist. U. J. J. Leverrier?”) schließt 


37) Die numerischen Werte der Koeffizienten (0, 0) und [0, 0] findet man 
bei @. Noren und $. Raab, Lunds Univ. Ärsskrift 36, Afd. 2, N.8=K. Fysiogr. 
Sällsk. Handl. 11, Nr. 8 — Meddel. fr. Lunds obs. Ser. II, Nr. 2, (1901). 

38) ©. V. L. Charlier, Mech. d. Himmels I, p. 424, Leipzig 1902. 

39) U.J.J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 2, p. 165 und Add. p. 35, 


754 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


daraus, daß ein kleiner Planet, welcher sich in diesem Abstand von 
der Sonne bewegt, sich von seiner ursprünglichen Bahn entfernen 
muß und eine große Neigung gegen die Ebene der Jupiterbahn er- 
halten würde. Dies sei also ein Fall, wo man bei der Berechnung 
der säkularen Glieder der Neigung nicht mit den Gliedern ersten 
Grades auskomme, obwohl die Neigung ursprünglich klein wäre. 
Über die Maximalweıte der Neigung kann man indessen nichts sagen, 
ohne daß man die Glieder höheren Grades mitnimmt. Bei Berück- 
sichtigung dieser finden M. F. Tisserand‘®) und C. V. L. Charlier*'), 
daß die singuläre Stelle bei « = 2.05 liegt, und daß die Schwankungen 
in der Neigung innerhalb ziemlich enger Grenzen liegen. 


14. Säkulare Glieder höheren Grades. Lagrange und Laplace 
hatten angenommen, daß die Glieder höheren Grades eine so kleine 
Einwirkung hätten, daß man sie unberücksichtigt lassen könnte. U. J. 
J. Leverrier*?) versuchte die Glieder dritten Grades zu berücksichtigen. 
Er wendet die Methode der sukzessiven Annäherungen an und be- 
rechnet in den Differentialgleichungen die Glieder dritten Grades 
mittels der bei bloßer Berücksichtigung der Glieder ersten Grades er- 
haltenen Werte. Durch eine kleine Veränderung der in den letzt- 
genannten Gliedern enthaltenen Konstanten kann er die Lösung noch 
in periodischer Form erhalten, wobei in den Argumenten auch lineare 
Verbindungen der ursprünglichen Argumente mit ganzen Koeffizienten 
auftreten. Indessen finden sich in der Lösung sehr kleine Integrations- 
divisoren, welche bewirken, daß die Konvergenz der Annäherungen 
sehr fraglich ist. Bei dem jetzigen Stande der Himmelsmechanik 
scheint es in der Praxis am besten zu sein, wenigstens die Glieder 
höheren Grades nicht in periodische Form zu bringen, sondern sie 
als Entwicklungen nach Potenzen der Zeit zu geben, deren Konver- 
genzverhältnisse man freilich untersuchen müßte. Selbstverständlich 
sind auch die Glieder des Ranges eins, zwei, ... zu berücksichtigen, 
da besonders aus langperiodischen Gliedern entstandene säkulare Glieder 
höheren Ranges sehr merkbar sein können. 


15. Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen 
Störungen in den periodischen Gliedern. Um in einfacher Weise 
die Genauigkeit der Berechnung der periodischen Glieder zu steigern, 
pflegen die Astronomen oft diese Glieder nicht mit den konstanten 
Werten der Elemente, sondern mit der Summe der konstanten Werte 


40) M.F. Tisserand, Obs. de Paris ann., m&m. 16 (1882), p. 56—57. 
41) ©. V. L. Charlier, Mech. d. Himmels I, p. 432. 
42) U.J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 2, Add. p. 88-51. 


15. Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen Störungen usw. 755 


der Elemente und ihrer säkularen Störungen zu berechnen. Nennen 
wir der Kürze wegen diese Summe säkulares Element. Nachdem man 
die säkularen Elemente bestimmt hat, berechnet man in der ersten 
"Annäherung die rechten Seiten der Differentialgleichungen der Ele- 
mente mit den säkularen Elementen. Jedes Element 7 = (n) + 67 
ist dann aus einer Gleichung der Form 

dön 


5 = A+ ZB, sin (in + nt + 30, cos (in+im)t 


zu bestimmen, wo A, B,, und O,, Funktionen der säkularen Ele- 


Ri 


mente sind (# und : ganze Zahlen). Die Gleichung 


d(n) 
Fr -+ 


definiert die säkularen Elemente selbst. Der periodische Teil dr des 
Elementes 7 wird erhalten durch partielle Integration nach der Formel 














d Q, p d! B, r 
ae cos in + in’)t Ei dt IE 
an PN 2, in GW 19 (in + in) gr (in Lim): — .. | 
dB, , d?C 








sin (in +’ m')t ar A u 
ri in + in 1% ar n+in) (in+im) alrir? | ; 


Die Gleichung (38) gibt zur Bestimmung des periodischen Teils von 
o eine Gleichung der Form 
„ei — DB, , sin (in +! n)t + IC, , cos (in + mM)t, 
woraus durch partielle Integration wieder folgt 
AP Bur 
> sin (in + #’w)t "dt de b. 
Gr, (in + in’)? 2- in+in  (in+in) T | 
„AB; „Co 
cos (in + i'm’)t di di: | 
un (in + in’)? 10 re intin  (in+tim) 8 | ; 
Man wendet also eine allgemeinere und genauere Bahn als die Kepler- 
sche Ellipse schon in der ersten Annäherung an. 
Die Glieder, deren Periode sehr lang ist, haben die Eigenschaft 
der säkularen Glieder, sich langsam zu verändern, und man kann die 
Genauigkeit der Rechnung noch erhöhen, wenn man sie bei der Be- 


rechnung der periodischen Störungen mit den säkularen Elementen 
vereinigt. Die größten langperiodischen Glieder finden sich in o. Man 




















756 VIa, 15. Karl F.Sundman. Theorie der Planeten. 


beschränkt sich oft darauf, die langperiodischen Glieder von g in Ver- 
bindung mit nt zu halten. In der Theorie von Pallas verwendet z. B. 
©. F. Gauß"?) in den Argumenten die mit der Hauptstörung der Pallas- 
länge behaftete Pallaslänge und die mit der sog. großen Ungleichheit 
der Jupiterlänge behaftete Jupiterlänge. In den Theorien der kleinen 
Planeten berücksichtigt man immer in dieser Weise die große Un- 
gleichheit von Jupiter. 

16. Langperiodische Glieder. In Nr. 8 ist gezeigt worden, daß 
in den Elementen bei der Integration jedes Gliedes ein Divisor 

v=jn+jn 

eingeführt wird. Bei der Integration der Gleichung (38) dagegen er- 
hält man in o den Integrationsdivisor »?. Je länger die Periode des 
Argumentes eines Gliedes ist, desto kleiner ist v» und desto mehr 
wird das Glied bei der Integration vergrößert, wodurch große Un- 
gleichheiten in den Elementen und besonders in o entstehen. Um 
eine möglichst richtige Bestimmung der Ungleichheiten zu erhalten, 
muß man in den weiteren Annäherungen v gleich dem Koeffizienten 
von £ in dem Argumente des betreffenden Gliedes setzen, so daß man 


etwa hat 
v=jn+jn-+e, 


wo 6 jedenfalls eine sehr kleine Größe von der Ordnung der störenden 
Massen ist. Ein kleiner Integrationsdivisor entsteht, wenn die mittleren 
Bewegungen kommensurabel oder nahe kommensurabel sind. Je kleiner 
die ganzen Zahlen © und © sind, durch welche man das Verhältnis 
n:n' ausdrücken kann, desto größer sind im allgemeinen die Koef- 
fizienten des Gliedes mit dem Argument öl — ‘+ c in der Störungs- 
funktion, und desto größer werden die entstehenden Ungleichheiten. 
Bei den kleinen Planeten z. B. sind die langperiodischen Glieder 
sehr bedeutend, wenn das Verhältnis ihrer mittleren Bewegungen zu 
derjenigen des Jupiter nahe gleich 2 (Hekubatypus oder Typus #), 
% (Hildatypus oder Typus 3), 3 (Hestiatypus oder Typus 4), ..... ist. 

Bei den kleinen Planeten kommen mehrere Fälle vor, wo die 
Kommensurabilität der mittleren Bewegungen mit derjenigen des 
Jupiter sehr scharf und die langperiodischen Glieder die bedeutendsten 
sind. In dem System der großen Planeten sind besonders bekannt 
die sog. große Ungleichheit in den Bewegungen von Jupiter und 
Saturn und die sog. lange Ungleichheit in der Bewegung der Erde. 
Die erstgenannte entsteht, weil die 5malige mittlere Bewegung Saturns 
nahe gleich der mittleren 2 maligen Bewegung Jupiters ist. Die letzt- 
genannte, weil die 13fache mittlere Bewegung der Erde nahe gleich 


17. Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen Planeten. 757 


der $fachen mittleren Bewegung der Venus ist. Die Berechnung von 
Ungleichheiten, welche größeren Werten von ö und © entsprechen, ist 
deswegen schwer, weil man die Koeffizienten entfernter Glieder irn der 
Störungsfunktion zu bestimmen hat. Für solche Fälle sind vor allem 
die asymptotischen Ausdrücke der Koeffizienten benutzt worden (vgl. 
VI2, 13 Nr. 59, 60 v. Zeipel). 

Bei den Gliedern höherer Ordnung treten in den Argumenten 
lineare Verbindungen der verschiedenen Planetenlängen auf, und dem- 
entsprechend erhält man Integrationsdivisoren der Form 


in Han + + on, 

wo die j") ganze Zahlen sind. Wenn die mittleren Bewegungen n" ge- 
geben sind, kann man leicht Zahlen 5") erhalten, welche den be- 
treffenden Divisor sehr klein machen. Es zeigt sich jedoch im Planeten- 
system, daß nur wenige solche Glieder merkbare Ungleichheiten geben. 
Ausgeschlossen ist jedoch nicht, daß die Summe aller derartigen 
Glieder merkbar würde. Je weiter man die Annäherungen treibt, desto 
mehr solcher Glieder entstehen, und die Konvergenz wird immer frag- 
licher. Wie man strenge der Schwierigkeit der kleinen Divisoren 
entgehen soll, ist noch eine ungelöste Frage. Für kürzere Zeiten 
entgeht man der Schwierigkeit dadurch, daß man die fraglichen Glieder 
als säkulare Glieder behandelt. Bei sehr langen Zeiten aber hängt 
diese Frage mit der Frage der Existenz von mittleren Bewegungen 
überhaupt zusammen. 

P. 8. Laplace®?) hat gefunden, daß zwischen den langperiodischen 
Teilen do und 0’ der Größen o und 0’ zweier einander störender Pla- 
neten die angenäherte Gleichung 

mYado = — m Va’dgo' 
stattfindet. 

17. Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen 
Planeten. Libration. Da die langperiodischen Ungleichheiten bei sehr 
naher Kommensurabilität der mittleren Bewegungen sehr groß sind, 
wollte man daraus schließen, daß die Störungen hier so groß würden, 
daß eine mittlere Bewegung nicht möglich wäre, und suchte darin 
die Erklärung der von Kirkwood*) entdeckten Lücken im System der 
kleinen Planeten für bestimmte mittlere Bewegungen. Die ausgeprägtesten 
Lücken findet man da, wo die mittleren Bewegungen sich zu der- 
jenigen des Jupiter wie 2, $, ? verhalten. Die in dieser Hinsicht von 


43) P.S. Laplace, M&e. c@l. 1, p. 334 = Oeuvres I p. 360. 
44) Kirkwood, Proc. of the Amer. Philos. Soc., Philadelphia 1871. 


158 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


O. Callandreau*°), H. Gylden*®), F. Tisserand*‘) und andern angestellten 
Untersuchungen haben kein entscheidendes Resultat gegeben, weil man 
über diese Verhältnisse aus den ersten Gliedern der Störungen kein 
solches erhalten kann. Sie zeigen jedoch wenigstens an, daß in Zeiten 
von erheblicher Länge nichts passiert, was die Lücken als Folge der 
Gravitation der gegenwärtig vorhandenen Massen verständlich machte. 

In nahem Zusammenhang mit diesen Untersuchungen steht die 
Frage der Libration. Wenn die Störungen bewirken, daß ein Argu- 
ment in der Störungsfunktion nur zwischen endlichen Grenzen schwankt, 
sagt man, daß eine Libration vorhanden ist. Solche können entstehen, 
wenn die mittleren Bewegungen der Argumente nahe kommensurabel 
sind. Da die säkularen Bewegungen der Perihelien und diejenigen der 
Knoten sehr klein sind im Verhältnis zu den mittleren Bewegungen 
der Planeten, hat man im allgemeinen nur Librationen einzeln für sich 
zwischen Perihelbewegungen, Knotenbewegungen und mittleren Be- 
wegungen zu betrachten. Ein besonderes Interesse beanspruchen die 
Librationen unter den mittleren Bewegungen. Sei 


D=ie—igo+te 
das betrachtete Argument, wo c eine konstante oder wenigstens sehr 
langsam veränderliche Größe ist. Mittels der Gleichung (38) und der 


analogen Gleichung für den störenden Planeten findet man, daß D 
eine Gleichung der Form 


d’D i 
a > h, sin D, 


zu erfüllen hat. Auf der rechten Seite dieser Gleichung betrachtet man 
nur Glieder der Form 


h,sin (uD-+-e,), (e, = Konst.) 

oder man vereinfacht noch weiter und bestimmt D aus einer Gleichung 

d?D : 

Zee hsin (D-+.c,), 
welche die Bewegungsgleichung eines schwingenden Pendels ist. Es 
ist bekannt, daß das durch diese Gleichung bestimmte D je nach 
den Werten der Integrationskonstanten entweder um einen gewissen 
Wert schwingt, was eine Libration geben würde, oder mit der Zeit 
unendlich wächst oder schließlich mit der Zeit sich einer endlichen 
Grenze asymptotisch nähert. Indessen scheint es unmöglich, etwas 


45) O. Callandreau, Obs. de Paris ann., mem. 22 (1896). 
46) H. Gylden, Öfversigt af K. Vet. Akad. Förh. 52. p. 608, Stockholm 1895. 
47) F. Tisserand, Mee. ceel. 4, p. 417 —444. 


18. Die Methode von Poincar£. 759 


Bestimmtes daraus für den Verlauf der Planetenbewegungen in äußerst 
langen Zeiten zu schließen, da der Einfluß der vernachlässigten Glieder 
nicht hinreichend untersucht ist. Schon C. F. Gauß*?) vermutete, daß 
zwischen den mittleren Bewegungen von Pallas und Jupiter eine Libra- 
tion stattfände. Die Untersuchungen von O. Callandreau®), F. Tisse- 
rand*') und anderen zeigen, wenngleich sie nur angenähert sind, daß 
wahrscheinlich keine solche Librationsfälle im System der kleinen 
Planeten sich finden. Die Librationsbewegungen zwischen anderen in 
den Argumenten vorkommenden mittleren Bewegungen hat ©. V. L. 
Charlier“?) behandelt. 


18. Die Methode von Poincare. Auf die Resultate der allge- 
meinen theoretischen Untersuchungen und Andeutungen von A. Poincare®®) 
versuchten M. Simonin°!) und M.K. Popoff°”) eine Theorie des Planeten 
Hekuba zu gründen. Der Grundgedanke der Poincar&schen Methode ist, 
eine periodische Lösung aufzusuchen, welche sich so nahe als mög- 
lich der Bewegung des untersuchten Planeten anschließt, und durch 
Zufügung kleiner Variationen die noch übrigbleibenden Abweichungen 
zu berücksichtigen. Da in der periodischen Lösung die Bewegung für 
alle Zeiten bekannt ist, so sollte man erwarten können, dadurch eine 
wenigstens für sehr lange Zeiten gültige Lösung des Problems zu er- 
halten. Es scheint jedoch bei der praktischen Ausführung mit Schwierig- 
keiten verbunden zu sein, periodische Lösungen zu finden, welche sich 
hinreichend nahe den wahren Bewegungen anschließen. Man müßte, 
um das Ziel zu erreichen, periodische Lösungen anwenden, deren 
Periode sehr groß im Verhältnis zu den Umlaufszeiten der Planeten 
ist. Bezüglich der bis jetzt angewandten periodischen Lösungen sei 
hier auf den Artikel von Whittaker (VI2, 12, Nr. 5, 6) verwiesen. 
Die praktische Verwendung der Poincar&schen periodischen Bahnen 
behandelt A. Wilkens°®®). 

Bei diesen Untersuchungen bedient man sich öfters, dem Vor- 
gange von Poincare folgend, der kanonischen Elemente. Man hat 
dann den Vorteil, daß die Differentialgleichungen der Bewegung die 


48) ©. F.Gauß, Werke VII, Nachlaß p. 421, 557—559. 

49) 0. V. L. Charlier, Öfversigt af K. Vet. Soc. Förh. Nr. 2 = Meddel. fr. 
Lunds Obs. Nr. 12, Stockholm 1900. 

50) H. Poincare, Les meth. nouv. de m&ec. cel. 1, 2, 3, Paris 1892, 1893, 
1899; Leg. de m&ec. cel. 1, Paris 1905; Bull. Astr. 19 (1902), p. 177—198 und 
289-310. 

51) M. Simonin, Obs. de Nice ann. 6, Paris 1897. 

52) M.K. Popoff, Sur le mouv. de (108) Hecube, Diss. Paris 1912. 

52%) A. Wilkens, Astr. Nachr. 195 (1913) p. 385—412. 


760 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


sehr einfache Form 

dq, OH dp, oH 
Ce 
haben, wo p», und q, die kanonischen Elemente bezeichnen (siehe den 
Artikel von Whittaker VI2, 12, Nr. 1). Ein Nachteil ist dagegen, daß 
die Entwicklung der Störungsfunktion komplizierter wird, und daß 
ein Übergang zu elliptischen Elementen für die praktischen Zwecke 
der Theorien öfters von den Astronomen gewünscht wird. Außer den 
im vorgehenden genannten Integrationsmethoden ist bei. Anwendung 
kanonischer Elemente die von Delaunay in seiner Mondtheorie an- 
gewandte Methode, bei welcher nach und nach jedes Glied streng aus 
der Funktion. 4 wegintegriert wird, besonders vorteilhaft.®) 4. Posncare°*) 
hat gezeigt, daß die langperiodischen Glieder der niedrigsten Klasse, 
welche die wichtigsten sind, erhalten werden, wenn man in den Glei- 
chungen (49) alle kurzperiodischen Glieder wegläßt. 


(r=1,2, 3,...) 


II. Die Hansensche Methode. 


19. Vorbemerkung. Obgleich die Methode der Variation der 
Konstanten in analytischer Hinsicht viele Vorteile gewährt und ohne 
Zweifel das Störungsproblem an seinen innersten Wurzeln faßt, hat 
sie in praktischer Hinsicht doch mehrere Nachteile. Als solche nennt 
P. A. Hansen’®) z. B. 

1. Man muß für jeden Planeten die Störungen in sechs Elementen 
berechnen, während man, um seine Lage im Raume zu bestimmen, 
nur drei Koordinaten nötig hat. 





53) @. W. Hül, Trans. of the Amer. Math. Soc. I, Washington (1900) 
p- 205—242 — Werke 4 p. 169—206. 

54) H. Poincare, Leg. de mec. cel. 1, Ch. 13, Paris 1905. 

55) P. A. Hansen hat selbst seine Methode in mehreren Abhandlungen dar- 
gestellt. Von diesen seien hier nur die folgenden angeführt: Untersuchung über 
die gegenseitigen Störungen des Jupiter und Saturn, Berlin 1831; Astr. Nachr. 
15 (1838), p. 201 ff., wo Hansen die Prinzipien seiner Methode darstellt; Astr. 
Nachr. 18 (1841), p. 237 f.; Astr. Nachr. 42 (1856), p. 273f., und schließlich mit 
aller Vollständigkeit in „Auseinandersetzung einer zweckmäßigen Methode zur 
Berechnung der absoluten Störungen der kleinen Planeten“, Leipzig Ges. Wiss. 
Abhdl. 3 (1857) [Erste Abhandlung], 4 (1857) [Zweite Abhandlung], 5 (1861) 
[Dritte Abhandlung], welche allgemein als „Auseinandersetzung“ 1., 2. oder 
3. Abh. zitiert werden. Weiter ist diese Methode beinahe unverändert in seiner 
Mondtheorie angewandt (vgl. VI, Nr. 15). Die Hansenschen Differentialgleichungen 
findet man weiter abgeleitet bei: Brünnow, Astr. Nachr. 64 (1865), p. 259— 266; 
O. Lesser, Untersuchung über die allgemeinen Störungen der Metis, Diss. Marburg 
1861; H. v. Zeipel, St. P&t. mem. 12 (1902). Ein Beispiel, wie die Hansensche 
Theorie für einen kleinen Planeten mit den Beobachtungen übereinstimmt, gibt 
H. Samter, Astr. Nachr., Ergänzungshefte Nr. 17. (1910). 


20. Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Koordinaten. 761 


2. Die Störungen der Elemente sind im allgemeinen weit größer 
als die Störungen zweckmäßig gewählter Koordinaten, und um die be- 
absichtigte Genauigkeit in den Koordinaten’ zu erhalten, muß man in 
den Ausdrücken der Elementenstörungen eine größere Anzahl von 
Gliedern berechnen, die sich nachher bei dem Übergang zu Koordi- 
naten fast ganz aufheben. Dies kommt daher, daß die Veränderungen 
der Geschwindigkeiten des Planeten in den Elementenstörungen auch 
einbegriffen sind. 

3. Die Störungsfunktion hängt von doppelt so viel Elementen 
als Koordinaten ab. Bei der Berechnung der Störungen höherer Ord- 
nung hat man daher eine weit größere Anzahl Ableitungen derselben 
nach den Elementen als nach den Koordinaten zu bilden. 

Die genannten Nachteile sucht Hansen durch eine Abänderung 
der Methode zu vermeiden. Er hebt hervor, wie wichtig es ist, so- 
wohl die zu bestimmenden Größen als die Funktionen der Zeit, durch 

welche man die Störungen ausdrücken will, zweckmäßig zu wählen. 
Am geeignetsten findet Hansen die Störungen der mittleren Länge 
oder diejenigen der mittleren Anomalie und diejenigen des mit der 
für die Störungen korrigierten mittleren Anomalie berechneten Radius- 
vektors®®) und die Breite über der Bahnebene oder die senkrecht 
auf ihr stehende Koordinate. In seinen ersten Arbeiten wählte er die 
mittlere Länge oder die mittlere Anomalie zur unabhängigen Ver- 
änderlichen. Später erkannte er, daß es weit vorteilhafter ist, die 
exzentrische Anomalie des gestörten Körpers als unabhängige Variable 
zu wählen, indem dann mehrere in den Entwicklungen vorkommende 
Faktoren aus einer kleinen Anzahl endlicher Glieder bestehen, wo- 
durch an vielen Stellen schwach konvergierende Entwicklungen nach 
Potenzen der Exzentrizität vermieden werden. 

Endlich ist hervorzuheben, daß Hansen, auf explizite analytische 
Ausdrücke der Koeffizienten verzichtend, im weitesten Masse numerische 
Rechnungen anwendet, um langsam konvergierende Reihen zu vermeiden. 


20. Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Ko- 
ordinaten. In der ungestörten Bewegung vereinfacht sich die Inte- 
gration der Bewegungsgleichungen dadurch, daß die Bewegung in einer 
festen Ebene vor sich geht. Die Gleichungen und Konstanten, welche 
die Bahnebene bestimmen, trennen sich dann unmittelbar von den 
Gleichungen und Konstanten, welche die Bewegung in der Bahnebene 
bestimmen. Hansen erreicht eine entsprechende Trennung in der ge- 


56) Anstatt des Radiusvektor wird bisweilen dessen natürlicher Logarithmus 
angewandt. 


762 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


störten Bewegung, indem er anstatt eines festen Koordinatensystems 
X, Y,Z ein anderes bewegliches Koordinatensystem x, %, 2, das seinen 
Ursprung im Schwerpunkt der Sonne hat, einführt. 

Bei der Methode der Variation der Konstanten werden die Ver- 
änderungen der Elemente durch die Bedingung bestimmt, daß die auf 
feste Achsen bezogenen Koordinaten X, Y, Z und ihre ersten Ab- 
leitungen nach der Zeit die gleiche analytische Form in der gestörten 
wie in der ungestörten Bewegung haben sollen und daß man also 


na Elemente als Konstanten ansehen kann, wenn man ex : eE und 


id ; dureh Differentiation der Ausdrücke von X, Y und Z bildet. 
Von dem Ort des Planeten abhängige Größen, welche diese Eigen- 
schaft haben, nennt Hansen „ideale“ Koordinaten. Eine jede Funktion 
von nur idealen Koordinaten und Konstanten ist wieder eine ideale 
Koordinate. 

Es sei 


Pr e.X+,Y+wZ 
50) y=ßX+BAY+BZ 
| 
ey 192, 
Wo &, &,...7g die neun Richtungskosinus der beweglichen Achsen 


darstellen. Hansen will, daß x, y und z ideale Koordinaten werden 
sollen. Die Richtungskosinus müssen dann die Bedingungsgleichungen 


de, de, 
Rerrerzal 0, 


(51) IX ieh 0, 





+ zen + Zr = 0 
erfüllen. Setzt man bu 
d 
A=pE ++ ee, 
d d 
B=otl+ta 0% Zete er 
d d 
a 
so können diese Gleichungen wie folgt geschrieben werden: 


(52) Ay—B=0, Ar—(z=0, Be—- Oy—=0, 


Die Gleichungen (51) stellen also nur zwei unabhängige Bedingungen 
zwischen den Richtungskosinus dar und besagen geometrisch, daß das 
bewegliche ideale Koordinatensystem sich jederzeit um den augen- 


de, 


21. Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instanten Bahnebene. 763 


blicklichen Radiusvektor des gestörten Planeten dreht. Daher be- 
stimmen die sechs bekannten Bedingungen 


++ el ABrah tat, 
P+B’+B’=|, ey tat ar —0, 
++ Prrtbnthn— I 


in Verbindung mit den Gleichungen (51) nicht vollständig die Rich- 
tungskosinus des idealen Koordinatensystems. Um dies zu erreichen, 
wählt Hansen als neunte Bedingung 
(53) =, 
woraus folgt, daß der Radiusvektor stets in der zy-Ebene sich be- 
findet, oder daß die xy-Ebene, welche also die instantane Bahnebene 
ist, sich um den in dieser Ebene sich befindenden augenblicklichen 
Radiusvektor dreht. Durch diese Bestimmungen wird die z- und somit 
auch die y- und z-Achse vollkommen bestimmt für jeden beliebigen 
Zeitpunkt, wenn die Lage der x-Achse in der Bahnebene für eine ge- 
gebene Ausgangsepoche gewählt ist. 

Um die Lage des Planeten zu erhalten, hat man folglich die 
Lage der Bahnebene, die Lage der x-Achse in der Bahnebene und 
die Bewegung des Planeten in dieser Ebene zu bestimmen. 


21. Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instan- 
tanen Bahnebene. Unter Anwendung der Gleichungen. (50) und der 
Differentialgleichungen der Bewegung für die auf feste Achsen be- 
zogenen ee’ X, Y, Z leitet man die Gleichungen 


(I+-m)x 
an fi ne ehe 


5 + rn a (1 + m m), 


ab, wo die Störungsfunktion r den vorher (Nr. 2) angegebenen Aus- 
druck hat und, weil z=0, der Radiusvektor durch die Gleichung 


(65) Party 
gegeben ist. Dabei ist k —= 1 gesetzt?). 
Führt man statt x und y die Polarkoordinaten r und » durch 
die Gleichungen 
(56) z=rcosw, y=rsinw 


(54) 


ein, so geben die Gleichungen (54) 
d’r dw\? 1 5 m 
a-@)+ m -u4n 


„dw drdw _d a 082 
Ir a tern le) - tm) 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI ?. 50 


(87) 





1764 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Die Gleichungen (54) und (57) sind von den Astronomen oft an- 
gewandt worden”) Wie man sieht, kann die Bewegung der Bahn- 
ebene, nur soweit 2 davon abhängt, auf die Bewegung in der Bahn- 
ebene einen Einfluß ausüben. 


22. Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahn- 
ebene und die Lage der &-Achse. Die Lage der xy-Ebene bestimmt 
sich am einfachsten durch Angabe ihrer Knotenlänge & und ihrer 
Neigung ö in bezug auf eine feste Grundebene X Y (z. B. die Ekliptik 
für eine beliebige Zeit). Die Lage der x-Achse wird gegeben durch 
den in der Bewegungsrichtung des Planeten gezählten Abstand 6 von 
der x-Achse bis zum aufsteigenden Knoten der xy-Ebene auf der 
festen X Y-Ebene. Den Wert o,, welchen 6 für die Epoche t=0 
annimmt, bestimmt Hansen durch die Gleichung 


(58) = 8a; 

wo S, die oskulierende Knotenlänge für {= 0 bezeichnet. Für die 
Größe 6 findet man die auch durch geometrische Betrachtungen leicht 
abzuleitende Differentialgleichung 


ds .d2 
(59) 1 wi 


wo 2 und i z. B. durch die Gleichungen (23) erhalten werden können. 


Sei B der Winkel, den der Radiusvektor mit der XY-Ebene 
macht und Z der Winkel zwischen der X-Achse und der Projektion 
des Radiusvektors auf die X Y-Ebene. Dann ist 


X=rcosBeosL, 
(60) Y=rcosBsinL, 
Z=rsind, 
und 
cos B sin (L— 9) = cosi sin (w— 6), 
- (61) cos B cos (L— 8) = cos (w — 6), 


sin B = sin i sin (w — 6). 


Diese Gleichungen sind indessen nicht die geeignetsten zur Er- 
mittlung von Z und B, weil die konstanten Teile der Elemente nicht 
von den variablen Teilen derselben getrennt sind. Hansen erreicht 
eine solche Trennung durch Transformation der Gleichungen (61) in 
die folgenden 


5) Sie sind zuerst von Hansen gegeben. Nach Y. Villarceau (Paris Bur. 
Long. annales 2 (1882)) hat Wronski 1842 dieselben Gleichungen gefunden. 


22. Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahnebene usw. 765 


[cos Bsin (L— &— I) = eos i, sin (w — Rp) — s(tg‘, + u) 
(62) cos Beos(ZL— &—T) = eos (w — Ro) ne 


sin B = sin i, sin (w— Ro) + 5; 





wo 

P = sin i sin (6— Ru), 
(63) Q = sin i cos (6 — R%,) — Sin ig, 

x — c08 i,(6083, + 6082) — Q sin i,, 
(64) s— Q sin (w — Rp) — P eos (w — 8%) 


ist, und die Größe I’ durch die Gleichung 


; (cost + cosi,) sin (6 — %,) 
tg (OR — un — Be (1-+ cos? co83,) cos (6 — 2,) — Sin? sin, 





gegeben ist. Am einfachsten ist jedoch I’ aus der Differentialgleichung 


dl  hrs9% 
(2 und 
zu erhalten, wobei 
2 Vi-+m 
in Neiaaes 


gesetzt worden ist. 
Die Größen P und @ können auch durch die Gleichungen 


hr sin (w — &%o) = cos i, 
(67) do 08% : 
u — hr cos (w — Ru), C08 i 


bestimmt werden, wobei die Integrationskonstanten so gewählt werden 
müssen, daß P und @ Null werden, wenn = (0 ist. 
Die Größen P, Q und s sind von der ersten Ordnung, wogegen I’ 


zweiter Ordnung ist. In den Gleichungen (62) sind T, ui und _*® 


* C08 8, 
in den meisten Fällen ganz unmerklich und können unberücksichtigt 
bleiben. 

Ersichtlich sind r, w und nach den letzten Gleichungen (60) und 
(62) auch s ideale Koordinaten. Aus der Gleichung (64) folgt daher 
de = (Q 005 (m — 2) + Psin w— Ro) 
welche Gleichung in Verbindung mit (64) unmittelbar P und Q gibt, 
wenn die analytischen Ausdrücke von » und s bekannt sind. Da 
man immer mit hinreichender Genauigkeit x = 2cos? i, setzen kann, 
ist die Bestimmung der Lage des Radiusvektors in der Hauptsache 
auf die Ermittlung von w und s zurückgeführt. 





50* 


766 VIe2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


23. Differentialgleichungen zur Bestimmung des Radiusvektors 
und derjenigen der mittleren Anomalie. Anstatt der Veränderlichen 
r und w führt Hansen zwei neue Größen v» und & oder nd& durch 
die Gleichungen 


kb=-u—», tg, Em Ver: 
i— 
(68) AR” er e a —a(l—ecosE), 


r=n(l+v, Ma=1l-+m, 
ne=nt+c+nöd=E-—esinE 








ein, wo ®, a, e und c Konstante sind, welche am zweckmäßigsten 
gleich Mittelwerten der elliptischen Elemente ©, a, e und & für die 
Zeit, welche die Theorie umfassen soll, gewählt werden. Bevor solche 
bekannt sind, kann man sie gleich den oskulierenden Elementen zur 
Zeit der Epoche (t=0) setzen. Durch diese Wahl wird erreicht, daß 
v und Ö& Größen erster Ordnung werden. 

Aus den Gleichungen (57) und (68) leitet man die Gleichungen 





er. »si+m) _ 14m (08 esinv 08 
t? r,(1+»® n(-+») va — s—e) ) 





9 1-m 
SH, bh at (25-+ 8°), 
ec FR Fake uud 
ed all Fe)? 
daS ı/1i+m 982 
(70) ur VE or 


ab, welche nach Hansen indessen nicht zur Berechnung allgemeiner 
Störungen geeignet sind, weil sie auf schwach konvergierende Reihen 
führen. 

Um seine zur Berechnung allgemeiner Störungen anzuwendenden 
Gleichungen abzuleiten, geht Hansen von den für die elliptische Be- 
wegung geltenden Formeln 


1—& 
v_-u,+49, tg- Eu ViTä tg! 2 91 
seh .1—e?) 3 
r it eroose, — alla cos H,), nPar=l+tm, 


nt, — 9, =E-esinE, 


| 


aus, wobei a,, &,, & und ®, die oskulierenden Elemente sind. Die 
aus (68) und (71) folgenden Gleichungen 


Pa 


2: = VÜFmad—e, r% —VÜtmal—eN) 








23. Differentialgleichungen zur Bestimmung des Radiusvektors usw. 767 











geben . e 
g 
(72) en 
wo 7 ‚g9i 
A He a E22 Yitm 
(13) a dur le 
ist, und h die früher (Gl. (66)) eingeführte Konstante ist. Weil 
1 r, 
if r 
ist, bekommt man nach den Gleichungen (68) und (71) 
h,\2 .’% 
(74) (5) (14 8”% eoso +9” sinv), 
wo 
E coo?p—e co (W, —O)— e, 
(75) Yco®p—=e, sin (0, —O), 
e= sing 
ist. Unter Anwendung der Gleichung Se erhält man aus (72) 
2 
(762) E-1l+W+, (5) 
oder nach @. W. Hill®®) a 
(76b) [hr and ” 
wo 
(77) ER TIR 
ist und die sogenannten Hansenschen Elemente durch die Formeln 
ar 
=2 7 Area or 
2h, 
(78) { nn Ba &, 
2h, 
De 





gegeben sind. 

Eliminiert man r cos v und e aus den Gleichungen (74), (77) 
und (78), so findet man bis auf Glieder höheren als "zweiten Grades 
inW und # die Entwicklung 
HEHE 
Oft wendet man indessen diese Gleichung nur zur Kontrolle an und 
berechnet » aus der Gleichung 


(80) eo (Teinv — P(cosv+o), 


58) @. W. Hill, Amer. Journ. of Math. 4 p. 246 (1881) = Works 1 p. 348. 


1768 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


welche man durch Differentiation der Gleichung (75) und Substitution 
des Wertes (72) für % erhält, wobei die Elemente als Konstanten 


betrachtet werden können, weil » eine ideale Koordinate ist. 

@. W. Hill?®) hat noch gezeigt, wie man v aus den ersten Glie- 
dern von W berechnen kann, wenn & bekannt ist. 

24. Bestimmung der Funktion W. Da #£, T, # bekannte Funk- 
tionen der oskulierenden Elemente sind, so könnte man, um W zu 
erhalten, unter Anwendung der Gleichungen (21) und (22) jede ein- 
zelne dieser Größen durch eine Differentialgleichung bestimmen. Um 
W nicht in dieser Weise zerlegen zu müssen, wodurch seine Ent- 
wicklung weitläufig gemacht wird, leitet Zansen durch Differentiation 


einen Ausdruck für 4. ab, wobei indessen nur die Größen #, T, #, 


dt 
nicht aber r, und v als von ? abhängig betrachtet werden. Um die 
festgesetzte Unabhängigkeit dieser explizite in W eingehenden Größen 
r, und v von den in den störenden Kräften eingehenden und von £ 
abhängigen Variablen r, und v unzweideutig zu kennzeichnen, führt 
Hansen für sie und die von ihnen abhängigen variablen Größen neue 


Bezeichnungen ein. Seien in diesem Sinne 


(G). , Yutsih, & und, 5% 
durch 
)T) T, @g, Po, No, X und dx, 


bezeichnet, wonach man die Gleichungen 


ny=ntr+c+ noy =, — esin N 


1 1—e 1 
(81) Iesn-Vir.w m 
a(l —e? 
= en = a(l— ee cosn,) 


hat. Die Funktion 
(82) V=#5+ r2 c08 0, + gl sin ©, 





geht also in W über, wenn überall die Größen (T') durch die ent- 
sprechenden Größen (G) ersetzt werden, wenn also die Unabhängig- 
keit der Größen (I') von t wieder aufgehoben wird, was von Hansen 
(wie hier) durch einen Strich über der betreffenden Funktion ange- 
zeigt wird. 


Weil 
a — -"-(Tsin o— V(coso,-+ e)) 


de "—Ioosp 


59) @. W. Hill, Amer. Journ. of Math. 4 p- 258 — Works 1 p. 350. 


25. Bestimmung der Breite. 769 
ist, kann die Gleichung (80) 
(83) : asian 
geschrieben werden, wodurch die Bestimmung von v von der Funk- 
tion W abhängig gemacht wird. 


Differentiiert. man die Funktionen W und vn nach ? und führt für 


die Derivierten der Elemente die Ausdrücke (1) und (22) ein, so er- 
hält man die Gleichungen 


(84) —n[ cos (v— o,) —1 +2) - [eos (v — 0.) — 


+ 2n% sin B-a)r 





1) 


und 
h,. 928 


durch welche W und h, zu bestimmen sind. 


25. Bestimmung der Breite. Zur Bestimmung der durch die 
störenden Kräfte bewirkten Abweichung der Bahn von der durch 2 
und ö bestimmten Bahnebene benutzt Hansen anstatt s (vgl. Nr. 22) 
das Produkt 


(86) u-ts—"0Qsin(w+9— 8) —  Pcos +5 —8). 


Weil u eine ideale Koordinate ist, kann man wieder bei der Bildung 
von = die Größen P und @ als Konstanten betrachten. Wird 


87) R= Qsn(, +9 —-8)— "Peos (+9 — 8), 
gesetzt, so findet man, daß 


(88) u=R 
und 


2, 


wo der Strich die vorher angegebene Bedeutung hat. Aus diesen 
beiden Gleichungen muß derselbe Ausdruck für u folgen, was zur 
Kontrolle dient. 
Um ZR zu bestimmen, wendet man den Ausdruck 
dR 
dt 
‚an, welcher aus den Gleichungen (23) und (87) leicht abzuleiten ist. 


(90) 


u 082 
= hr sin (©, —v) cos u, 


770 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


26. Weitere Ausführung Methode. Um 68, v und u zu 
erhalten, hat man zunächst W, ,- % und R aus den Gleichungen (84), 


(85) und (90) zu bestimmen. Die rechten Seiten dieser Gleichungen 
enthalten jedoch die zu bestimmenden Größen, und man muß Annähe- 
rungsmethoden anwenden. Da d£, v und u kleine Größen erster Ord- 
nung sind, entwickelt Hansen nach Potenzen derselben. Schreibt man 


NM tUN EM Tr 

R=R+4,R+4ISR-+---, 

} h h h 

= merEp FOL tur 

wo Wi, Ro, don - die Glieder erster Ordnung, 6, Wa R,, nr die 
1 


Glieder Be Ordnung sind usw., so erhält man durch Gleich- 
setzung der Glieder erster Ordnung in den Gleichungen (84), (85) 
und (90) 











aW, 
> h|2,- cos (0— ©) —1-+2 a „ [eos @— 0) —1]} & 
+ 2%, sin W—o)r.,, 
a 1 daR, 08 
eh | ah” — sin W— 9); 
h 
a 
\ dt ov’ 
wo 
nrtc=n-—esinn, 
1 1 
(92) ge to— Vit!igln, 
ge 
e= ns = alle cosn) 


ist. Um die Glieder zweiter Ordnung zu bestimmen, erhält man weiter 


(93) nF — Aö6+ By + 09,4 + Dw+ ER 
+ FO + Guy + Hu, ” 
de, R da, 
und analoge Ausdrücke für —,, und —.,'-, wo A, B,..., H Funk- 


tionen von r, @ und den partiellen Ableitungen der Störungsfunktion, 


Oo&, Yos Un E die in der ersten Annäherung erhaltenen Werte erster 


Ordnung von Ö£,v, u, ae und Ö,8, v,, % die analogen Größen für 


27. Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlichen. 7171 


den störenden Planeten sind. Das Glied E = erklärt sich dadurch, 
daß die ei... ee den Größen Pe er Q und diese wieder 


ds 
von s und 7, ; oder u und ze abhängen. 


27. Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlichen. 
Wenn die Exzentrizitäten klein sind, kann man die Zeit als unabhängige 
Veränderliche anwenden und dabei doch eine genügende Konvergenz 
erhalten. Hansen‘) selbst und nach ihm @. W. Hill®') haben in dieser 
Weise die Theorien verschiedener von den großen und A. W. Leusch- 
ner®?) von den kleinen Planeten behandelt. 

Die Störungsfunktion und ihre partiellen Ableitungen entwickelt 
man in Reihen der Form (siehe den Artikel VI,, 13, v. Zeipel) 


DKR j5M +7’ +0), 


wo M=nt-+c und M'=nt-+.c die mittleren Anomalien des ge- 
störten und des störenden Körpers, © und K Konstanten, ö und 
ganze Zahlen bezeichnen. Die in den Differentialgleichungen enthaltenen 
Funktionen von oe und ® sind in der Form Fourierscher Reihen von 
(M)=ntr + c zu entwickeln, so daß schließlich die rechten Seiten 
der Gleichungen (91) in der Form 


(94) DER uM)+iM+i’M-+C) 


erhalten werden (ı eine ganze Zahl). Hansen‘®) zeigt, wie man die 
Koeffizienten K für alle verschiedenen Werte von ı einfach berechnen 
kann, sobald man K für die speziellen Werte — 1, O0 und + 1 be- 
stimmt hat. Bei der Integration sind nur M und M’ von der Zeit 
abhängig, und man erhält durch lineare Integration gemäß der Formel 


j® [u(M) +iM-+iM' + Oldi 


cos B ag 
ER mer ae a 


für W,, R, und d,,- " Ausdrücke der Form (94). Um die Störungen 
erster Ordnung De v, und u, zu berechnen, hat man in W,, RB, 


60) P. A. Hansen, Untersuchungen über die gegenseitigen Störungen des 
Jupiter und Saturn, Berlin 1831; Leipzig. Ges. Wiss. Abhdl. 1876. 

61) @. W. Hill, Wash. Astron. Papers 4 (1890) = Works 3. 

62) A. W. Leuschner, Mem. of Nat. Acad. of Science 10 (1910). 

63) P. A. Hansen, Untersuchungen über die gegenseitigen Störungen des 
Jupiter und Saturn, Berlin 1831, p. 26—28. 


1123 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


uf 05 die Zeit # anstatt r und also M anstatt (M) zu setzen, 





01 
Wedirch die rechten Seiten der aus (76a), (83), (88) und (89) folgenden 
Gleichungen RE 
ddE_ ar dv, 1/0 
Re br 
] du, (OR,\ 
Da er Ze 


erhalten werden. Um die Störungen zweiter Ordnung zu erhalten, 
berechnet man die rechte Seite der Gleichung (93) und die analogen 


h 
dd, R Adız 


Ausdrücke in den Gleichungen für —,,- und an, wonach erst 


6,W,6d,R, 6, r und weiter d,&, v, und «, ähnlich wie die Störungen 


erster Ordnung erhalten werden. Ähnlich berechnet man nach und 
nach Störungen höherer Ordnung, wenn dieses nötig ist. Natürlich 
ist es wichtig, ein zweckmäßiges Rechenschema anzuwenden, um 
keine merklichen Glieder in den im allgemeinen eine große Anzahl 
von Gliedern enthaltenden Reihen zu übergehen. Es sei hervorgehoben, 
daß Hansen alle Koeffizienten in numerischer Form hält, wodurch bei 
der Rechnung die Größe der Glieder gleich hervortritt und die mit- 
zunehmenden Glieder leicht zu finden sind. 


28. Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche. 
Wenn die Exzentrizität des gestörten Körpers, wie es bei den kleinen 
Planeten öfters statthat, nicht klein ist, vermeidet Hansen durch An- 
wendung der ungestörten exzentrischen Anomalie als unabhängiger 
Veränderlichen mehrfach schwach konvergierende Reihenentwicklungen. 
Dementsprechend werden oe und ® als Funktionen von n dargestellt, 
womit erreicht wird, daß n, aber nicht Vielfache von n in den Argu- 
menten eingehen. Mit dieser unabhängigen Veränderlichen ist die 
Methode von Hansen in seinen „Auseinandersetzungen“ eingehend dar- 
gestellt und ist in der daselbst gegebenen Form vielfach von den 
Astronomen ganz oder fast ganz unverändert angewandt worden. 

Die exzentrische Anomalie, welche hier von Hansen benutzt 
wird, ist die, welche aus der Zeit und den den Störungsrechnungen 
Snörumäsgnlegken konstanten Elementen folgt. Sie sei der Deutlichkeit 
wegen mit & bezeichnet. Man hat dann 


nt+c=s—esine 
und erhält weiter einen dazugehörenden Radiusvektor (r) 


(r) = a(l—e coss). 


28. Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche. 773 


Unter Anwendung der Gleichung 








e dt — N 
folgt aus (91) 
dW, 
ge =T,, 
(96) 
a = qui csi—=U,, 


wo die Größen M, N und @ durch die Gleichungen 


cos? p M = — 3(1—}e) + 2e cos & — te! cos 22 + e’ cos (+ E) 
— 3ecosn + (4—e) cos (n— e) — e cos (N —2e), 
copy N =esins—4esin2e+e®sin(m—+te)—esinn 
— (2 — e?) sin (n—e) + e sin (n— 28), 
Q=esins—tesin2s++esin(n-+e) — $esinn 
+ (1-+4e) sin (m — &) — $e sin (7 — 28) 
gegeben sind. Die Glieder zweiter und höherer Ordnung in W und 
R werden nach und nach ähnlich wie in Nr. 26 und 27 erhalten. 


Die Größen 88, v und u sind vermittels der aus (76a), (83), (88) 
und (89) abzuleitenden Gleichungen 




















. -ofm, +5, UL IT Bm ALOPI N arne ı, 
ne 
(97) 0) () Bear +4, 
a a LE 
le 
| er 


zu bestimmen, wobei jedoch auf den rechten Seiten nur Glieder erster 


und zweiter Ordnung ausgeschrieben sind. 
Aus der Gleichung (72) findet man, daß 


Ba ee au an) 


ist, kann aber n bis auf Glieder zweiten Grades durch die aus (85) 


774 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


abzuleitende Gleichung 


a 
0) rat 


erhalten. 
Die Störungsfunktion und die zur Berechnung der Störungen 
erster und höherer Ordnung nötigen Ableitungen derselben entwickelt 


Hansen vermittels einer gemischten, numerisch-analytischen Methode 
(vgl. v. Zeipel, VIe, 13, Nr. 51, 52) in Reihen der Form 


NT sın nr 
DE, lc Weiden), 


’ 
” 


Em 


wo 


und c’, n die ce und » entsprechenden Größen des störenden Planeten 
sind. Bei diesen Entwicklungen befolgt Hansen den Grundsatz, alle 
Glieder, welche eine vorgeschriebene Größe erreichen, mitzunehmen, 
was bei der eingeschlagenen numerischen Entwicklung unmittelbar 
durchgeführt werden kann. 

Die oben angeführten Werte von M, N und Q geben in Ver- 
bindung mit den Ableitungen der Störungsfunktion für 7, und U, 
Reihen der Form 


DE fan + dis —re@—ecn), 


wo A nur die Werte — 1,0 und + 1 annimmt. Nach den Gleichungen 
(96) finden sich dann für W, und R, Reihen der Form 


Be 
PET + in Anh ende re —cu)} 
+ DR, 00 a {Qn) + ot hycosn + Iysinn], 


wo ky, k, und k, von n unabhängige Integrationskonstanten sind. 
Wenn » und »’ kommensurabel oder nahe kommensurabel wären, 
könnte der Divisor ©— iu gleich oder nahe gleich Null sein, ohne 
daB == 0 sind. In diesen Fällen müßte die Integration anders 
ausgeführt werden, weil die Konvergenz nach Potenzen der störenden 
Kräfte nicht mehr stattfindet. Hansen nimmt an, daß die mittleren 
Bewegungen nicht solche Werte annehmen, daß die Divisoren zu klein 
werden. Um bei kleinen Divisoren die Hansensche Methode anwenden 
zu können, schlägt K. @. Olsson®) vor, äbnlich wie in den Gylden- 
schen Theorien, das in den Argumenten vorkommende d& in zwei 


64) K.@. Olsson, Stockholm, Bih. K. Vet. Akad. (22) 2 (1896). 


29. Störungen der rechtwinkligen Koordinaten. 7175 


Teile, wovon der eine, Ö&,, nur Glieder von langen Perioden, der andere, 
ö£,, nur solche von kurzen Perioden enthält, zu zerlegen und nur Ö&, 
aus den Argumenten durch Reihenentwicklung wegzuschaffen, wogegen 
ö&, in den Argumenten stehen bleibt und die einzelnen Glieder durck 
partielle Integration integriert werden. 

Mit den oben angegebenen Werten von W, und R, findet man 


nach den Gleichungen (97) und (99) für d,8, v,, %, und d, z Aus- 
1 
drücke der Form 
K,+ Kg + K,s cos & + K,e cose + K,e cos 2: + K,s sin 2 


+ DK, v es Id — Üu)e — de — cn) I; 


wo. die Integrationskonstanten ÄK,, K}, ..., K, zweckmäßig zu be- 
stimmen sind. Die Störungen zweiter Ordnung kann man aus den 
Gleichungen (97) und (99) gewinnen, sobald die Störungen erster Ord- 
nung erhalten sind. Im allgemeinen sind nur die Glieder zweiter und 
höherer Ordnung merkbar, welche kleine Divisoren enthalten, was 
ihre Aufsuchung bedeutend erleichtert. 


III. Koordinatenstörungen. 
29. Störungen der rechtwinkeligen Koordinaten. Seien %,, Yo, £o 
die Koordinaten der ungestörten Bewegung, welche also die Geichungen 
(4) für 2 = 0 erfüllen, und d,x, d,y, d2 die Störungen u Ordnung 
des gestörten Körpers. Setzt man in den Gleichungen (4) k—= 1 und 
| tet hat, 
tr99+9sy4+°°;, 
++ et, 

statt x, y, z, so erhält man durch Gleichsetzung der Glieder derselben 


Ordnung zur Bestimmung der Störungen u®* Ordnung Differential- 
gleichungen der Form 


‚ad, x A+-md,x 3 + m)a 0, Et Y0.Y + 208,2) 




















dt? a 1 Kal Kun 
(100) ad, y A+m)d,y.3AHm@ dc + YIuy rt 209,2) it 
dt? 1° e; I a a 
I (1 +m)d,2 3(1+ m) I, Ct Y9uY tr 20%) 
8 38T 5 EN 


ar 1, r, Ir 
wo 

n=% + % + 2% 
ist und X,, Y,, Z, nur von bekannten Größen und von den Störungen 
bis zur (uw — 1)t® Ordnung abhängen. Wenn die Bahnen der störenden 


776 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Körper nicht bekannt sind, hat man gleichzeitig durch ähnliche Glei- 
chungen deren Störungen zu bestimmen. Man gewinnt nun vermittels 
der Gleichungen (100) nacheinander 
6,2, 0,y, 6,2 füru=1,2,3,.... 
Die Koordinaten &,, %,, 2, und ihre Ableitungen 
= re har A = KEN 

sind bekannte Funktionen der Zeit und von sechs Integrationskon- 
stanten (z. B. den elliptischen Elementen) C,(»= 1, 2,..., 6), und 
umgekehrt sind die Konstanten CO, Funktionen von %,, Yo, 205 &> No» 
&, und £. Nach O. Deiobek‘°) sind die Lösungen der linearen Glei- 
chungen (100) durch die Formeln 


6 6 
0% 0% 02 
=, 70; 0 ns 30, Out - D4, 20, 
yum1 


v=1 v=1 





zu erhalten, wo die A, durch die re 


2 FR x 2% ne 
ee Ku +Y,5 He A (v1 


bestimmt werden. Eine a Form der Lösung w 


ö 
ö „DB, ge 1.4 DB,5n» Ö,2 a, 


v1 vi v1 


wo die B, aus den Gleichungen 


aB, _ 0% ey 
RR. BT 30,72 a 


erhalten werden. Daneben x“ noch die Formeln 


EEE Du, An im Hehe Ze 


ya vi 








Wel,2,..., 6) 








= 


Ba 





zu bemerken. 

Führt man in die Störungsfunktion anstatt der Koordinaten x,y, 8 
die Werte von &%,, Yy, 2), als Funktionen der Zeit und der elliptischen 
Elemente ein, bildet das Integral 


ah 
to 


65) O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen, 
Leipzig 1888, p. 161—168. 


29. Störungen der rechtwinkligen Koordinaten. 177 


und ersetzt in U wieder die Elemente des gestörten Planeten durch 
ihre Ausdrücke in %9, Yo, 245 0, 90; &0, So kann man die Störungen 
erster Ordnung durch die einfachen Formeln ®) 


oU oU oU 

Zu Au Fe (2 = BE 
eU eU eU 
erg 


erhalten, welche eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den kanonischen 
Differentialgleichungen zeigen. 

J. F. Encke‘®), welcher zuerst die Methode der Berechnung der 
allgemeinen Störungen in rechtwinkligen Koordinaten entwickelt hat, 
führt indessen die Integration in anderer Weise aus, indem er das 
dritte Glied der drei Gleichungen (100) zunächst für sich ermittelt 
und dadurch das weitere Problem vereinfacht. 

Multipliziert man die Gleichungen (4) der Reihe nach mit 


dz 
LER 


addiert und integriert, so folgt: 
d dy\2 d 2(1 ‚ 
Der Tat mfaarE, 


wo K eine Konstante und 

, 02 dx o2dy | 02dz 
er mm en det dy dt Fr Da) 
ist. @2 ist also das Differential von 2, wofern nur die von dem ge- 
störten Körper abhängigen Größen variiert werden. Aus den Gleichungen 
(4) und (101) findet man 





(10) Gr = 2K+214+m) (ri, +2/a8) 

und dadurch für Pr (die Störung u" Ordnung von r) die Gleichung 
d’(r,d ö 

(104) une 2 i. R,, 


wo R, nur von bekannten Größen und von den Störungen bis zur 


(u—1)'® Ordnung abhängt. Da 
%,0,% 4 Y%0y + 2042 — r,ö,r nz (dr), 


ist, wo (ör), auch nur von bekannten Größen und den Störungen bis 
zur (u—1)“* Ordnung abhängt, kann man nach der Integration der 


66) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. f. 1857. Schubert hat Tafeln einiger 
kleiner Planeten nach der Methode von Encke gerechnet. Z.B. Tafeln der Eu- 
nomia, Washington 1866. 


7178 VIa, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Gleichung (104) das dritte Glied der Gleichungen (100) als bekannt 
ansehen. Die Gleichungen (104) und (100) sind dann alle von der 
Form 


d’o @ 
(105) eg, 


8 
N, 





wo Q bekannt ist und wo ® nacheinander den Wert 10,7, Iu%, 0,9, 
6,2 bekommt. Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lautet 


y, [2 9dt— x, | yı Yat 





ES TI Vahmyaa 
wo 
(107) y=Nn08Y%, Yznsinv, 


ist und v,, @%, &, die wahre Anomalie, die halbe große Achse und 
die Exzentrizität der ungestörten Bewegung bezeichnen. Um die In- 
tegration auszuführen, werden die Störungsfunktion und ihre Ab- 
leitungen in Reihen der Form 


Da cos iM, + iM’) + DB sin dM, + iM’) 
entwickelt, ww M, = nt + 9 — ©, und M—=nt+ € — 9 die mitt- 
leren Anomalien des gestörten resp. des störenden Körpers bezeichnen. 
Encke‘) entwickelt x, und y, in Fouriersche Reihen von M, und 


leitet Formeln ab, wodurch man unmittelbar aus einem Gliede in @ 


von den Formen 
c08 


en EM, +iM)\, atı, |6M,) 
das entsprechende Glied in ® erhält, was für die Bestimmung von 
ö,r, 6,2, ö6,y und d,2 hinreichend ist. 

@. W. Hill‘) hat die Formeln noch kürzer schreiben können, 
indem er anstatt # die wahre Länge als unabhängige Veränderliche 
einführt. 

Die Störungen in den rechtwinkligen Koordinaten wachsen ver- 
hältnismäßig schnell an. Dadurch wird es früher als bei anderen 


Methoden nötig, die Störungen höherer Ordnung zu berücksichtigen. 


30. Störungen der polaren Koordinaten. Die polaren Koordi- 
naten, Radiusvektor r, Länge w in der beweglichen Bahnebene (im 
Sinne von Hansen; siehe Nr. 20), von einer in dieser Ebene festen 
Linie gerechnet und der Abstand z des gestörten Körpers von einer 
festen Ebene, wozu öfters die Bahnebene des gestörten Körpers zur 
Ausgangsepoche gewählt wird, können durch die Gleichungen (57) 
und die letzte der Gleichungen (4) bestimmt werden. Eine der Glei- 


6/) @. W. Hill, Astr. Nachr. 83 (1874) p. 209 —224 = Works 1 p. 151—166. 


30. Störungen der polaren Koordinaten. 779 


chungen (57) ersetzt man indessen oft durch die Gleichung (103). 
Anstatt z sucht man auch 3 = — d.h. den Sinus der Breite über der 


Ausgangsebene. 
Seien 
r=-n+Iırt+dhrt 
w—-wtIwtdw-t:, 
ati rin 


WO rg, %g, 30 (= 0) den Radiusvektor, die Länge und den Sinus der 
Breite in der ungestörten Bewegung und ö,r, dyr,... die Störungen 
erster, zweiter, ... Ordnung bezeichnen. Führt man diese Werte in 
der Gleichung (108) und in der durch r dividierten ersten Gleichung 
(57) ein, so erhält man die Gleichungen 


d? 06, 1 ) 00, 
RE N Ak Malle 





(108) 
dw, dö d?r, d?ö, 3(1 Öd, 
en in ur BT Much 84H, 
wo G, und H, die Glieder bezeichnen, welche höherer als erster Ord- 


nung sind. Wird De aus diesen Gleichungen eliminiert, so be- 


kommt man die Gleichung 
dö dd, d , 082 
(109) ai eat (ar + 8,792) — 3fA nn, + Hr 


wo H, wieder die Glieder zweiter Ordnung bezeichnet. Sie wird von 
P. $. Laplace®®) in Verbindung mit der ersten Gleichung (108) ange- 
wandt, um ö,r und d,w zu bestimmen. 

S. Neweomb‘®) verwendet in seiner Uranustheorie, um die Berech- 
nung der Glieder höherer Ordnung zu erleichtern, etwas modifizierte 
Gleichungen. Er setzt 


e—lır, 9 =In, ge = mt de; w— w, = dw 
und erhält aus (103) und (57) 


yet jan Pa enge ENEke r  — NL, 


(111) | ae (1200) ee di 
— 2V1+mya(1—e) (d0 — (00°) + H,, 


wo G, und H, die Glieder höherer als zweiter Ordnung bezeichnen. 





68) P.S. Laplace, M&ec. ceel. 1 p. 256 = Oeuvres 1 p. 281. 
69) S. Newcomb, Smiths. contrib. XIX, Washington 1874. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VT 2. 51 


780 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Die letzte der Gleichungen (4) gibt bis auf Glieder zweiter Ordnung 

d’(r, 1-4 m)r 02 

(112) a ER Er En od __ 5,’ 

aus welcher man die Störungen erster Ordnung »,d,5 in der dritten 
Koordinate bestimmt. 

Die Gleichungen (108), (110) und (112) sind von der Form (105) und 
können nach der Formel (106) integriert werden, und man berücksichtigt 
dabei die Glieder aller Grade in den verschiedenen Ordnungen. Ist 
indessen die Exzentrizität klein, so daß man nur die Glieder, welche 
von niedrigen Graden sind, zu berücksichtigen braucht, so ordnet man 
besser die Integration nach Potenzen der Trieeiririlät: 

Entwickelt man mit P. $. Laplace"°) : nach Potenzen der Ex- 


zentrizität (Mittlere Anomalie = M), so wi z.B. die Gleichung (108) 
d?(r,6, r) . 2 


(113) art rg r—2[a8 u+r dr, 
— 3NgMrod,r(ecos M+ecos2M-+---)+---, 
aus welcher man durch sukzessive Annäherungen »,6,r bestimmt. 
Ein Glied der rechten Seite dieser Gleichung von der Form 


«cos(vt+ N) 


—— 608 (vE + N), 


gibt in r,d,r das Glied 

N, Rn 
wenn &, v(nZv) und N als Konstanten betrachtet werden. Daraus 
folgt, daß die Glieder der rechten Seite, deren Periode nahe mit der 
Umlaufszeit des gestörten Planeten übereinstimmt, für welche » also 


nahe gleich n ist, bei der Integration sehr vergrößert in r,6,r über- 
gehen. Wenn v—=n ist, erhält man in r,d,r das säkulare Glied 


rt 
> sin (nt + N), 


welches dadurch berücksichtigt wird, daß man die Elemente mit ihren 
säkularen Teilen vereinigt. 
Weil die Gleichung (112) dieselbe Form hat wie die Gleichung 
(110), gilt das eben Gesagte auch von den in r,6,3 entstehenden Gliedern. 
Um die Gleichung (109) oder (111) zu integrieren, hat man sich 
ersichtlich der Formeln 


fe cos (vt + N)dt = = sin (vt + N), 
 Lfafe sin (vi + Nd=—, ;sin(wv?+ N) 


70) P. S. Laplace, M&c. ce. 3, p. 5 = Oeuvres 3 p. 5. 


(114) 





30. Störungen der polaren Koordinaten. 781 


zu bedienen, wenn «, v und N Konstanten sind. In dw werden also 
diejenigen Glieder bei der Integration am stärksten vergrößert, welche 
langsam veränderlich sind, und besonders ist das der Fall mit den 


aus d’Q, oder = entstehenden Gliedern, welche durch doppelte Qua- 


dratur erhalten werden. 

Die Astronomen pflegen indessen von vorneweg die säkularen Stö- 
rungen der Elemente zu berücksichtigen, so daß «, v und N langsam 
veränderliche Größen werden, statt der Formeln (114) hat man dann 
die folgenden’) 


f. cos (vi + Nd=-— sin (v? + N) 


r 1 d(asinN) 1d*(acos N) 
+ sin vi; FTSE Dr 7 As: a" 


2 
+ cos vil,; or Sn N)__ u on ) 2 

















(115) ! 
fuf« sin (vt + N)d—— „;sin (wt+- N) 
sin ve[}, 2 ee Lore) 
| 5 cos vt[— = ee 3 —n +2], 


und ein Glied der Form 
acos(vte+ N) 


auf der rechten Seite der Gleichung (113) würde zu r,d,r den Beitrag 





a ei 
Tee za 008 (vH N) +08 vi | - —B She a 


— sin vi ee er va: ei: Br u, a3 








liefern. 

Bezüglich der langperiodischen Glieder in dr und dw, welche aus 
S d' 2 entstehen und infolge der doppelten Integration durch das Quadrat 
eines kleinen Divisors dividiert sind und daher zu den bedeutendsten 
gehören, hat P. S. Laplace”?) gezeigt, daß man sie am einfachsten be- 
rücksichtigt, wenn man überall in den elliptischen Werten für r, und 
w, die mittlere Bewegung », in dem Ausdruck 


M= |) mdi+ 9 — % 


71) P.S. Laplace, Mec. cel. 1, p. 335; 3, p. 7 = Oeuyres 1 p. 361 u. 3 p. 7. 
72) P.S. Laplace, Mec. c@l. 1, p. 292—293 = Oeuvres 1 p. 315—316. 
DRS 


1823 VI, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


um die langperiodischen Glieder von 


ns Re) 
van St 
vermehrt. 


Die in (115) und anderen ähnlichen Formeln enthaltenen Ablei- 
tungen der mit den säkularen Werten der Elemente berechneten 
Koeffizienten werden gewöhnlich nicht direkt gebildet, sondern man 
berechnet nach dem Vorgange von P. $. Laplace”?) den Wert der be- 
treffenden Koeffizienten X für zweckmäßig gewählte Zeiten innerhalb 
des Intervalles, für welches die Theorie gültig sein soll, und bestimmt 
danach auf interpolatorischem Wege die Koeffizienten 

Ka, 
in der Taylorschen Entwickelung 


dK,, 
K=R+yt—-W)+: 


IV. Theorie von Gylden. 


31. Vorbemerkung. Bei den bisher besprochenen Methoden 
wurden die Annäherungen nach Potenzen der störenden Massen (oder 
der schon annähernd ermittelten Störungsbeträge) geordnet, und 
Potenzen der unabhängigen Veränderlichen traten multipliziert mit 
Konstanten sowie mit periodischen Gliedern auf, wodurch man auf 
eine Entwickelung geführt war, welche teilweise nach Potenzen der 
unabhängigen Veränderlichen fortschritt. Die erhaltenen Ausdrücke 
der Störungen könnten daher, auch wenn sie konvergent wären, was 
indessen höchst unwahrscheinlich ist, in praxji nur für eine begrenzte 
Zeit angewandt werden. Das Hauptprinzip der Gyldenschen Methode 
ist, konsequent alle Entwickelungen nach Potenzen der unabhängigen 
Variabeln zu vermeiden, wodurch wenigstens die Möglichkeit offen 
bleibt, für beliebig lange Zeiten brauchbare Ausdrücke zu erhalten. 

Um den Integrationsprozeß einzuleiten und die Annäherungen 
stärker konvergent zu machen, versuchte MH. Gylden'*) schon in seinen 
älteren Arbeiten eine Ausgangsbewegung als erste Näherung zugrunde 
zu legen, die allgemeiner war und sich näher an die wirkliche Bewegung 
anschließen sollte als die sonst verwandte elliptische Bewegung. Schon 
in der ersten Annäherung setzte er nicht die störenden Massen gleich 
Null, sondern nahm aus der störenden Kraft einige vom Radiusvektor r 


73) P. 8. Laplace, Mec. cel. 3, p. 25 = Oeurvres 3 p. 26. 
74) H. @ylden, Stockholm Bih. K. Vet. Akad. Handl. (6) 8 u. 16 (1881). 


32.. Differentialgleichungen der Gyldenschen . Koordinaten. 183 


abhängige Glieder mit, welche so gewählt wurden, daß gewisse nachträg- 
lich schwer zu integrierende Teile der Störungsfunktion dadurch berück- 
siehtigt wurden, und daß die erhaltene Differentialgleichung doch noch 
leicht und durch einfache Ausdrücke integriert werden konnte. Die 
so erhaltene Bahn, in welcher die Perihellänge veränderlich war, 
nannte Gylden intermediäre Bahn. Nach Gylden sind auch von anderer 
Seite bei Störungsproblemen verschieden definierte intermediäre Bahnen 
vorgeschlagen worden.”®) Indessen zeigte sich bald, daß auch die in- 
termediäre Bahn zu speziell war, um den genügenden Ausgangspunkt 
 zubilden. In demselben Gedankengang fortschreitend, gelangte Gylden ®) 
zur Einführung der sogenannten absoluten Bahn, welche für jeden 
Planeten von sechs absoluten Konstanten (Elementen) abhängt und 
so bestimmt sein soll, daß sie sich von der wirklichen Bewegung des 
Planeten immer nur um Größen von der Ordnung der Planetenmassen 
unterscheidet. 

Die Ausdrücke der Koordinaten in der absoluten Bahn lassen 
sich nur durch Annäherungen ermitteln. Um die wirkliche Bahn zu 
erhalten, muß man zu den Koordinaten der absoluten Bahn Glieder 
zufügen, welche von der Ordnung der störenden Massen sind und 
deren größter Teil von den augenblicklichen Konfigurationen der 
Planeten abhängt. Die Glieder in der Störungsfunktion, welche bei 
der Integration so vergrößert werden, daß sie nullter Ordnung sind, 
müssen folglich in der absoluten Bahn schon berücksichtigt sein. 

Es sei bemerkt, daß bisher kein Beweis geliefert ist, daß die 
Gyldenschen absoluten Bahnen die obigen Forderungen betreffend ihre 
Abweichung von der wirklichen Bahn tatsächlich erfüllen. 


32. Differentialgleichungen der Gyldönschen Koordinaten. 
Ebenso wie Hansen zerlegt Gylden die Aufgabe in zwei, nämlich die 
Bestimmung der Bewegung in der Bahnebene und die Bestimmung 
der Lage der Bahnebene. Als xy-Ebene wählt Gylden wie Hansen 
die augenblickliche Bahnebene, bestimmt aber die Lage der x-Achse 
in anderer Weise. Bezeichnet, wie oben, w den Winkel zwischen dem 
Radiusvektor des gestörten Planeten und der Hansenschen in der Bahn- 
ebene unbeweglichen x-Achse, so führt Gylden als unabhängige Variable 


756) 2.B. T. N. Thiele, Astr. Nachr. 102 (1882), p. 65; ©. V. L. Charlier, 
Lunds Meddelanden 21 (1904); M. H. Andoyer, Contribution & 1» theorie des 
orbites intermediaires, Paris thöse 1886. 

76) H. Gylden, Stockholm Bih..K. Vet. Akad. Hand]. (7) 2 (1882); Orbites 
absolues des planötes principales 1u.2, Stockholm 1893 resp. 1908 [zitiert: Or- 
bites abs.). 


784 VI, 16. Karl F. Sundman. "Theorie der Planeten, 


den durch die Gleichung 
(116) v 


Kar w 
ch 
definierten Winkel v ein, wo 9 eine Konstante ist, die so bestimmt 
werden soll, daß die durch die Gleichung 
(117) vV+G=o—R 
eingeführte Funktion G keine mit » proportionalen Glieder enthält, 
wobei 6 wie in Nr. 22 der Winkel zwischen der Hansenschen x-Achse 
und denmi aufsteigenden Knoten auf der Grundebene ist. Die Gylden- 
sche x-Achse, die zur Unterscheidung als &-Achse bezeichnet werde, 
ist beweglich in der Bahnebene und bildet mit der Hansenschen z- 
Achse einen Winkel gleich gv — iu in der Bewegungsrichtung 
des Planeten, .woraus folgt, daß v der Winkel zwischen dem Radius- 
 vektor und der &-Achse ist. Der Winkel zwischen dem aufsteigenden 
Knoten auf der Grundebene und der &-Achse in der Bewegungsrich- 
tung des Planeten st = + @ und unterscheidet sich also nur durch 
die periodische Funktion @ von der Knotenlänge. 

Aus den Gleichungen (59) und (117) folgt: 

49 


mn rn 
(118) u en 2 sın 3 a5 


woraus hervorgeht, daß G keine anderen Argumente hat als die in ö 
und & enthaltenen. Da die Koordinaten des Planeten in bezug auf 
im Raume feste Achsen durch r, v und trigonometrische Funktionen 
von i, & und @ ausgedrückt werden können, so folgt daraus, daß @ 
keine neuen Argumente in die Formeln einführt. Würde man die 
Hansensche Achse anstatt der Gyldenschen &-Achse und demgemäß 
w als unabhängige Veränderliche anstatt vo anwenden, so scheint es, 
als würde man bei den auf feste Achsen bezogenen Koordinaten ein 


Argument mehr erhalten, indem das Argument -w dann in den 


Richtungskosinussen der beweglichen Achsen vorkommt. Auf Grund 
der Relation (116) schließt man jedoch, daß man ebensogut w anstatt v 
als unabhängige Variable anwenden kann, ohne fremde Argumente 
einzuführen. Man würde nur für die Konstanten etwas veränderte 
Werte erhalten. So benutzt z.B. M. Brendel bei seiner Verwendung 
der Gyldönschen Methode w anstatt v. 

In Analogie mit den Formeln der elliptischen Bewegung setzt 
Gylden | 








\ _al—n?) 
(119) Yr— 27. y 
(120) „av _Vatmalı—m) 





To i+8 


32. Differentialgleichungen der Gyldenschen Koordinaten. 185 


wo a eine Konstante (Protometer genannt) und 7 eine langperiodische 
positive Funktion ist, die etwa der Summe des konstanten und des 
säkularen Teils der Exzentrizität entspricht und welche später genauer 
bestimmt werden wird. Vermittels der Gleichungen (57) findet sich 
leicht, daß o und S durch die Differentialgleichungen 








f dn? as 
3 dv dv ide 
2.08 n 1+8Jdv 


dn?\2 d’n? dn® |, 
mar di An | , de du de 
a2ı) | Hr Ti-ri+s0 

















dn’\?2 din? dn’ dS 
d dv? d 
BRRRR? 2 Matt erraten 
td+SPP, 
das cd 
i de 1 (+9)? 
(122) 58.77.3475 Sk cur Q, 
erhalten werden, wobei gilt: 
(123) P=+al— 9% = ; 
(124) ER EINS 


1-+o* 0 
Bei der Bildung von 5 sind dabei alle von v abhängigen Glieder, 


welche sich auf die Ian der Planetenbahn beziehen, als konstant 
anzusehen. 


Die Länge L in der festen Grundebene berechnet sich nach der 
Formel 


N (L») ah _ sin@ + 2sin’fisin Ww—R— G) cos — SR) 
8 c0s@ — 2 sin? Hisin w— R — sin m — Q) 


oder durch die Gleichungen 
(195) So cos L= cos (v —@) +(1— cosi) sin & sin (0 —@ — 8), 
cos Bsin LZ=sin w— @)— (1— cos) cos 2 cos —E — 28). 
Auf Gründ der Gleichungen | 
3 =sinisinw — 8 —G) 
1a_ (1-+9)sinicsw — 2 —@) 


wird die Bewegung der Bahnebene durch den mit 3 bezeichneten Sinus 
der Breite B über der festen @Grundebene erhalten. Weil 


(127) _—r 





1126) 


786 Vie, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


ist, leitet man aus der dritten Gleichung (4) nach einigen Transfor- 
mationen die Differentialgleichung 


23) Fra+Ny-Ut+S[@ os R+ 


ab, wo 3° den Sinus der Breite des störenden Planeten über der Grund- 
ebene bedeutet und 








} aıl—n) 2982 
(129) R= (1-+0)? 9cosH 
ist. Zu bemerken ist noch die Gleichung 
(130) g— — nl 


Aus den Gleichungen (118) und (126) findet man 


(++ mn) 
Fk een. 
(131) 2(1 +9) cosicos® = 


-— (truth) (I-7+% sin’: +7 d init .. -); 


welche Gleichung 7 und @ bestimmt, indem sin?i aus (126) folgt 
und 5 gleich den konstanten Gliedern der rechten Seite zu setzen ist. 

Zur Bestimmung der Zeit als Funktion von v dient die Gleichung 
(120), die in der Form 





\ 


dt 1— 
(132) n“ AN mS (1 +8) 
geschrieben werden kann, rt 
(133) PFRRRL. Ärapl., 
a? 


die absolute mittlere Bewegung bezeichnet. 


33. Zerlegung der Variablen. Die Grundgleichungen (121), (122), 
(128) und (132) müssen für die beabsichtigte Form der Lösung zur 
Integration noch weiter transformiert werden. Es handelt sich hierbei 
in erster Linie darum, in den zu bestimmenden Größen die Glieder, 
welche mit den störenden Massen nicht verschwinden, von den Gliedern 
zu trennen, welche mit den störenden Massen verschwinden. Wenn 
die Massen verschwinden, muß die Summe der erstgenannten Glieder in 
die entsprechenden Größen bei der ungestörten Bewegung übergehen 
und die Elemente derselben bestimmen. Diese Glieder werden daher 
elementare genannt. Gylden setzt 


(134) e=(e)-+ do 


und bezeichnet mit ög die Summe aller nichtelementaren Glieder. 


33. Zerlegung der Variablen. 187 


Die Summe (oe) aller elementaren Glieder von g kann in der Form 
(135) (0)=xcos ! — 0) + ef; cos (d — @,) 


geschrieben werden. Dabei bezeichnet x eine positive Integrations- 
konstante, den sog. diastematischen Modul, und x, Konstanten, die 
sog. diastematischen Koeffizienten, welche von den störenden Massen 
abhängen, aber mit denselben nicht verschwinden. Indem A, T,T, 
konstante Winkel bezeichnen, von welchen 4 und I’ Integrations- 
konstanten sind, gilt weiter für die Winkel 


wi =st—AHT, 

=,W— AT, 

wobei g und s; kleine mit den störenden Massen verschwindende 
Konstanten sind. 


Die früher eingeführte Funktion 7 und der Winkel I/ werden nun 
durch die Gleichungen 


nceos(I—TI)=x +2%; co8 (® — ®,), 


(136) 


(137) 

ysin (I —I)= — In, sin (@ — 0,), 
definiert. Nach (135) wird somit 
(138) (0)=ncos F 


erhalten, wo der Winkel 
(189) F=v— 0 — (H— T)=v— st — N— H=v— (o) 


das sog. diastematische Argument ist. Wenn |x} > D]z,| ist, so liegt 
IT — T' immer zwischen — 90°, und + 90° und der säkulare Teil des 
Winkels F ist in v— © abgesondert, welcher also die mittlere Be- 
wegung 1— sg hat. Wäre dagegen ein Koeffizient x, größer als die 
Summe von x und der übrigen x, , so würde man analog 


F=v—,— (I,—T) 


finden, wobei — 90 < 7, — T,< + 90°, und der Winkel F’ hätte die 
mittlere Bewegung 1 — g.. 

Gylden””) hat versucht nachzuweisen, daß das Argument F eine 
mittlere Bewegung hat, auch in anderen 'als diesen beiden Fällen, je- 
doch ohne überall durchzudringen. Die Bedeutung der Existenz einer 
mittleren Bewegung liegt darin, daß dann das Argument I] — TI’ resp. 
IL,—T, für alle Zeiten innerhalb konstanter Grenzen liegt. Hier 
werden wir mit Gylden die Form (139) voraussetzen. 

Ganz ebenso wie die Funktion o zerlegt wurde, wird dies auch 


77) H. Gylden, Stockholm Obs. Astr. Takttagelser etc. (5) 4 (1896). 


188 VIa, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


mit 3 gemacht, indem 

(140) = W)+ I; 

gesetzt wird. Indem ®, ©, konstante Winkel und r, r, kleine mit den _ 
störenden Massen verschwindende Konstanten bezeichnen, setzt man 


(# = —ıt—A)+9, 

(141) 9, — 1, — A-+ 9,, 
Jos (A — 9)=ı+ 21,008 (8 —9;), 
(142) (2 — 0) — u, sin (# — ®,), 


wo ı, ı, Konstanten sind, von welchen ı anastematischer Modul und 

die ı, anastematische Koeffizienten genannt werden, und erhält 

(143) G)=Jsin T, 

wobei das sogenannte anastematische Argument folgendermaßen ge- 

schrieben werden kann: 

(144) V=-r—- 9 —(A- 9)=-rv+rW  N-2=rV-M). 
Die Zeit t zerfällt in zwei Teile 

(145) t=(l) + Öl, 


wobei (?), das reduzierte Zeit genannt wird, durch die Gleichung 


dv (+) 
definiert wird. dt wird Zeitreduktion genannt. 


In Analogie mit den Formeln der 'elliptischen Bewegung setzt 
Gylden weiter 


a3 
(146) at) _ (di. n)° 





(147) tg —E -yiz" tg — Es 
(148) | He eng = 
wodurch 
RR 
(149) n-% il = a(l—ncosE) 


erhalten wird, Vermittels der Gleichung (146) findet man für das 
sogenannte mittlere Argument @ den Ausdruck 




















(150) G=l—)na)+A— H+A— 9X, 
wobei X aus der Gleichung 
dX 
(1-5) dv 
asy!__ Vi-n?(@+ncosF)sinF (cos a yalsa Sen ) +sin (IT- en mr )) 
(inc! BR 
(1— n?)® € d(nsin (MT) d dr) 
- 1 1) (cos) er — sinn) _ 7 


34. Entwicklung der Größen ?P, Q und R. Fundamentale Entwicklung. 789 


erhalten wird. Im allgemeinen ist X sehr klein und kann oft gleich 
Null gesetzt werden. 

Um noch mehr Freiheit zu haben, hat Gylden‘®) versucht, die 
unabhängige Variabele v auch in zwei Teile zu zerteilen. Es sei hier 
nicht auf diese weitere Komplikation eingegangen. 


34. Entwicklung der Größen P, Q und R. Fundamentale 
Entwicklung. Um die Integration der Gleichungen (121), (122), 
(128) und (132) ausführen zu können, müssen die Größen P,Q und R 
zweckmäßig entwickelt werden. 

Wenn von der Betrachtung des zweiten Teiles der Störungs- 
funktion, welcher leicht zu berücksichtigen ist (siehe den Artikel von 
v. Zeipel VlIe, 13 Nr. 27), und konstanten Faktoren abgesehen wird, 


hat man 





a 
r 
zu entwickeln. Gylden setzt 
(152) w=v—vV’—(E—-G@) 
(153) cos H=cosw-+h, 
und erhält nach Potenzen von h entwickelt 
+» 
a m m 
(154) =D wem, 
wo % 
“ d,m)(2 r r\m 2m+1 
(155) ER (a, an 2) (5) 


(Die akzentuierten Größen beziehen sich auf den störenden Pla- 
neten.) Dabei wurde 


(156) @& 7 D’=r’+r?— 2rr' cos w 
VER HD... +), 9-1 


gesetzt. In Fouriersche Reihen a) gelte 


(157) w— wm ı > W” cos nw, 
und 
2m+i1 urn 
(158) (5) — U” +2) UN” cos nw. 
n=1 


Nach (155) hat man dann 
jr wi” — nl Y 2)" um, 


(1,m)\« a «a 





28) H. Gylden, Orbites abs. I, p. 515. 


790 VIa, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 
Die Größe 
y\2m+1 
ee 


ist Funktion nur der Größe « und von: 


= na\®, da lae* 
N Fu aan 62 Yale ae Kesyhtewk 
Nach Potenzen von y entwickelt hat man dann 
2m+1l_ (m gen m,n m,n 
as) AT + 


(162) (2 Erneut grmsing nr 


welche Gleichungen die Gyldenschen $- und y-Transzendenten defi- 
nieren, und aus welchen noch die Relation 


m,n 2m+1,n N 2m+l,n nn—2%2 2m+l,n 
r e u 4 + v 9 4... 
ı 


i 2 ii ER‘ i—2 


4 N N ee Pu 
zwischen den beiden Transzendenten folgt. Betreffs derselben sei auf 
den Artikel von v. Zeipel verwiesen (VIa2, 13, Nr.8 und 24). Ent- 


. f r en 
wickelt man —» —> und y nach Potenzen von n?, 9”, e', so erhält 


man aus den Gleichungen (159), (161) und (162) Entwicklungen der 
Form 

(162) Ww— Zyeln, s, s),„e’e''n?"n'?” 

wo y) Polynome in den y?”+b” oder 9” Transzendenten sind. 
Die Koeffizienten dieser zuerst von P. Harzer'”) gegebenen Polynome 
von y-Transzendenten hängen von m und n ab und sind für größere 
Werte vom » mühsam zu berechnen. Die Logarithmen einiger dieser 
Koeffizienten gab H. Masal®®). 

Eine bedeutende Vereinfachung erreichte Gylden durch Einführung 
der &-Transzendenten, weil die Koeffizienten der Polynome dann nur 
von m abhängen. In den Anwendungen werden nur die niedrigsten 
Werte von m gebraucht. 

Es bezeichne N eine beliebige der Funktionen a2, P, Qoder R. Da 

LEER 
0co H 22h 
ist, schließt man aus den Gleichungen (123), (129) und (130), daß 


bis auf das zu Q hinzuzufügende Glied — P ur N in der Form 
(163) N-) Non, s, S),„‚hrg, 0" ee 


79) p. Harser, St. P6t. mem. 7. Reihe (34) 12 (1886). 
80) H. Masal, Stockholm K. Vet. Akad. Handl. (28) 7 (1889). 


35. Diastematische Entwicklung. 7191 


geschrieben werden kann, wo bei der Summation m, n, s, 8, v und v/ 
alle ganzzahligen Werte zwischen O0 und» + oo annehmen und die 
Koeffizienten N@)(n, s, s’),„ als Polynome der Koeffizienten y') oder 
der » oder der $-Transzendenten ausgedrückt werden können. 


Aus den Gleichungen Z und (126) findet man,. daß h nach 


Potenzen von 3, 3, m und Fi entwickelt werden kann, und daß 


(164) = N; +3’) cesw+-— (63 =; ns sinw+337 +: 
ist, wobei die Glieder höheren als dritten Grades weggelassen sind. Wird 
hier (4) +63, (4) + 3 für 3 und 3 eingeführt, so kann man wieder 
(165) h=(h) +öh. 

schreiben, wobei jedes Glied von dh wenigstens eine der sogenannten 


anastematischen Ungleichheiten ö3, 03 oder ihrer Ableitungen N, 
döz 


de als F aktor hat. 
Es ist hiernach ersichtlich, daß N in der Form 
(166) N= ZN, ,,($h) (do) (do) 


entwickelt werden kann, und daß die N, Ei ihrerseits von der Form 
(161) N, = DIN) 0,8,9),, WE Yan? mw 


sind. Die hier auftretenden Koeffizienten folgen nach der Formel 





(m) m+Lt +1, (+ 1,7) arm 
N, 9 5 Se KW EN ERRELORS Nm) (n,s, s’) 
sofort aus den Koeffizienten der für «&=ß=y7-=0 gültigen Ent- 
wieklung (163). 


Die Entwicklung von N nach Vielfachen von w und nach Po- 


tenzen von 
(h), (0), (0), 9, m, Oh, 69, dp 
nennt Gylden die fundamentale Entwicklung. 


yr 


35. Diastematische Entwicklung. Um die Integration der Diffe- 
rentialgleichungen (121), (122) und (128) möglichst einfach ausführen zu 
können, muß man, soweit als möglich, ihre rechten Seiten als Funktion 
der unabhängigen Variablen ausdrücken, was indessen nur durch suk- 
. zessive Annäherungen und Integrationen zu erreichen ist, indem die 
Größen ög, öde’, ö4, dh und dt nur solcherweise zu erhalten sind. 

Aus der Gleichung (143) und der analogen Gleichung 
(168) (4) = J"sin U’ 
folgt, daß 


a —=Jcos U+(f), “) — J' cos U’+(d), 


192 VI 2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


wo ($) und (£) kleine und leicht zu erhaltende Größen von der Ord- 
nung der Masse bezeichnen, welche auch oft vernachlässigt werden 
können, und das Argument 
(169) UV=V’ — -— !—-N=V/+r/W—- N l—=VvV— (9) 
ist. Vereinigt man der Kürze wegen die aus ($) und (£') entstehenden 
Glieder mit öh, so ergibt sich aus (164) daß (h), welches wenigstens 
vom zweiten Grade ist, nach Potenzen von J und J’ und nach Ko- 
sinussen der Vielfachen von w, U und U” entwickelt werden kann. 
Die in $ 34 mit N oder N, ,,, bezeichneten Funktionen, ebenso 
wie die auf den rechten Seiten der Gleichung (128) sich befindenden, 
von denselben abhängigen: Ausdrücke können daher zunächst in der 
Form 


(170) N=- INMITTEN) sin [9 +gU +4 UV‘) 


geschrieben werden. 
Für den störenden Planeten hat man nun die Gleichungen 


(171) F = ee ac in =—=vy — !W— A) IT =rv ER (@'), 


12) g;E- tg -F, @=E'—ıYsinE, 
(173) Ban + rue, 
(174) t=(f) +0, 

(175) (()=n cos F". 


Durch diese Gleichungen und die entsprechenden der gestörten 
Planeten ist auch die Abhängigkeit der Länge v’ von v gegeben. 

Die zur Einführung von v anstatt v’ und umgekehrt nötigen 
Formeln sind von H. Gylden®') vollständig gegeben. Der von ihm 
beschrittene Weg ist etwa der folgende. Durch Elimination von £, (?) 
und (?) aus den Gleichungen (145), (150), (173) und (174) findet er 


+1 —- T=96—- +V/+T, 
wo 
1— n 
4 wesp% u, se a? 
Me Be 2 N ei. 
hr —= (1 — S[u(ndt — X) — (nd! — X) 
Unter Anwendung der Bezeichnung 
(177) H=F—-@-—-o(F—-6) 


y= 
(176) . 


81) H. Gylden, Orbites abs. 1, p. 133—151. 


85. Diastematische Entwicklung. 793 


hat man dann 


o—r a N ae 
(178) ge 
Y— Oo -u- eg u Fr 


wo noch H als Funktion von v darzustellen ist, was indessen selten 
nötig ist, da H immer klein und s’ von der Ordnung der Masse ist. 


In „Orbites absolues“, p. 143—147, gibt Gylden Formeln, um laH 


cos 
in trigonometrische Reihen von v oder v’ zu entwickeln (« eine Kon- 


stante). 
Vermittelst der Entwicklung 


(119) 6— F= Sz,sneH, en) 


leitet Gylden die nach Potenzen von n und der Konstante A entwickel- 
baren Koeffizienten Y,(A, n) der Entwickelung 


+» 
e-iA(@—F) — > Y,(A, n)e-'r? 


v=—o 


ab “=YV— 1 und e die Nepersche Basis). Andererseits hat man die 
Entwickelung (v und v’ ganze vu 


men A 5x, ‚(m, n)e-*”®. 





v=1 


vV=—o 


Zwischen den Koeffizienten der beiden Entwickelungen existiert die 


Beziehung 
At), mM)=AXLA— vn). 


Unter Anwendung der vorstehenden Gleichungen erhält man 
nacheinander 
emo 0) — e- im )—im(@+T—T”), 


ae P2® (m, were 2 N, 
ee 
= >2.:0 (m, n)etlatng@- tm +D-rar—T)], 
v 
= IX,.m, T)Y,(pm-+rv),n)e’ Prtmt HM -vıd— rn] 


und daher schließlich”nach einigen Reduktionen 
(180) eimß-) 
og Pe (m, 7) L, (p (m + v)), n)e' Im —v)o— (m+N)(ue + B)+r(w)-+ v’(w)] 


794 VI 2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


wobei 
(181) B=1—ud4+ umdt — X) wit —X) +, 
ist und durch Gleichsetzung der reellen und imaginären Teile für sich 


die Entwickelung von m(v — v)) erhalten wird. 


Die Formeln (178) und (180) gestatten alle in den Argumenten 
vorkommenden von v abhängigen Größen in einfacher Weise durch v 
auszudrücken. -. In „Orbites absolues“, p. 198—320, gibt Gylden die 
Ausdrücke in v von 


(CE )" cos mw, + SD), 
bis auf Glieder sechsten Grades in 7 und /, und von verschiedenen 
6, ) (2) (5) enthaltenden Gliedern. 
Nach der Gleichung (167) übersieht man nun, daß die Funktionen N, 


nachdem v’ durch die vorstehenden Formeln eliminiert ist, in der 
folgenden Form erhalten werden: 


(182) N= DA, „(9,9',9,0) ,(89—8(uv+B)+p(e)+P'(@) 
++) C++) -M)}, 
wo die ganzen positiven oder negativen Zahlen s, s’, p, p', gq, q’ die 
Gleichung 
a ea Aue | 
erfüllen. Die Koeffizienten A haben die Form 


1.09, = 24.00, EN 
(ya, vw 0,1, 2,..., +00), 


wo die A-Koeffizienten Polynome von @ = u : er sind, deren Koef- 


fizienten sich aus den Koeffizienten der Fundamentalentwicklung zu- 
sammensetzen. Die Entwickelung (182) nennt Gylden die diaste- 
matische Entwickelung. Streng genommen wäre noch die in B ent- 
haltene Größe era H, welche oft vernachlässigt werden kann, sowie 
(©) und (#°) durch v auszudrücken. 

Die expliziten Ausdrücke der Koeffizienten der diastematischen 
Entwiekelung von P, Q und R gibt Gylden in Orbites abs. 1 p. 448—453 
und 2 p. 242—270 für alle Glieder von niedrigerem als viertem Grad 


in n und x’, sowie für die wichtigsten Glieder vom vierten, fünften 
und sechsten Grad. 


H. Masal®) drückt diese Koeffizienten bis auf Glieder einschließ- 
lich dritten Grades in n und n’ durch y-Transzendenten aus und 
gibt Formeln und Tafeln zu ihrer Berechnung. 


36. Einteilung der Glieder. 195 


In seinen „Hilfstafeln“®?) hat Gylden Formeln für die zur Berech- 
nung der Hauptungleichheiten der kleinen Planeten nötigen Koeffi- 
zienten gegeben und ihre Berechnung durch ausgedehnte numerische 
Tafeln erleichtert. 


36. Einteilung der Glieder. Unter den auf den rechten Seiten 
der Differentialgleichungen der Bewegung vorkommenden Gliedern 
treten vier Formen auf, welche besondere Schwierigkeiten bei der 
Integration darbieten. Erstens hat man die beiden Formen 


(A) antm+4, B) binla-r—B), 


0 cos 


wo a,b, A, B Konstanten sind und die o mit den störenden Massen 
verschwinden. Diese immer auftretenden Glieder sind nach der Gylden- 
schen Terminologie elementare Glieder. Diesen zur Seite treten im 
Falle angenäherter Kommensurabilität der mittleren Bewegungen 
Glieder der beiden Formen 

(0) emtAv+lCl, DD da„tÜ+Me+D), 


wo enic und d.. i D aus Gliedern der Form (A) zusammengesetzt 
sın sın 


sind und, indem das Verhältnis u der mittleren Bewegungen des 
störenden und des gestörten Planeten nahe gleich dem ganzzahligen 
Bruche = angenommen wird, 
A=p—gü 

ist. Die Glieder der Formen (C) und (D) nennt Gylden „charakte- 
ristische“. Die Formen (A) und (C) sind langperiodische, (B) und (D) 
dagegen kurzperiodische. Bei dem Integrationsprozeß können die Glieder 
der Form (C) Divisoren von der Ordnung A?, diejenigen von. der 
Form (D) aber Divisoren von der Ordnung A erhalten. Die elementaren 
Glieder, welche den säkularen Gliedern der anderen Theorien ent- 
sprechen, erhalten Integrationsdivisoren von der Ordnung der Masse 
und geben also Veranlassung zu Gliedern, die formell von der nullten 


Ordnung sind. 
Die Glieder (A), (B), (C) und (D) sind mindestens vom Grade resp. 


eg len) |. 


Die nieht zu den genannten vier Formen gehörenden Glieder 
werden „gewöhnliche“ genannt. 


82) H. Gylden, Astr. Ges. Publ. XXI, Leipzig 1896. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 52 


796 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


37. Integration. Die Bestimmung der Größen o, 5, 3 und dt nach 
den Gleichungen (121), (122), (128) und 


R | g__ LHA@ +20 + 32a) 
(183) dt (149)? d+@+6e? 
— (1— 29 cos F+.-)S-(2 +37? + )(1+S)de+---, 


welch letztere aus (132),(145) und (146) folgt, vereinfacht Gylden dadurch, 
daß er diese Größen in mehrere Teile spältet und ebenso die Diffe- 
rentialgleichungen in solche für diese Teile zerlegt. Das hierbei be- 
folgte Prinzip besteht darin, alle die Glieder, welche von derselben 
Form sind und etwa dieselben Schwierigkeiten bieten, in eine Glei- 
chung zu vereinigen. 

Seien gewöhnliche Glieder und Glieder der Formen (A), (B), (C), 
(D) einer Größe durch die bezüglichen Indizes g, a, b, c, d gekenn- 
zeichnet. Aus den genannten Gleichungen ergeben sich dann für (oe), 
O0 en tt) 
resp. Gleichungen der Formen 





(184) a iu Meo—=R, (0 = (Q), 60.; 99. Ida, $9,), 
(185) .EDBRTT Ya (Bot Sri 84:8 6) 
(186) ZT, (dt — t,, öt,, öt,, öt,, öt,), 
(187) - FU Tr) 4, GW, Ida Ger dar Id,)) 


wo a und b kleine Konstanten erster Ordnung sind und AR, (8), T, und Z 
die resp. Glieder der Differentialgleichungen von og, S, öt und öz2 be- 
zeichnen, welche von der Form der zu bestimmenden Teile sind. 

Die rechten Seiten dieser Gleichungen lassen sich nur durch fort- 
gesetzte Annäherungen bestimmen, denn sie enthalten die gesuchten 
Größen selbst, wenn auch mit kleinen Faktoren multipliziert. Eine 
Ausnahme bilden dt und 7, welche in die Argumente mit Faktoren 
nullter Ordnung multipliziert eingehen. 

Handelt es sich darum, die Theorien der Hauptplaneten aus- 
zuarbeiten, so erhält man für jeden ein System von Gleichungen 
wie (184), (185), (186), (187), und alle diese Systeme sind dann 
gleichzeitig zu integrieren. Solch eine Integration, die mit ganz be- . 
deutenden Schwierigkeiten verbunden sein muß, ist niemals ausgeführt 
worden. Ä 
Die diesbezügliche Arbeit von Gylden (Orbites absolues) ist leider 
unabgeschlossen geblieben. Aber auch wenn es sich um die Bahnen 


38. Integration der elementaren und charakteristischen Glieder. 7197 


der kleinen Planeten handelt, wo die Bewegungen der Hauptplaneten 
als bekannt angenommen werden, ist die Integration der genannten 
Gleichungen mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden, wenn man 
streng an dem Gyldönschen Prinzip festhält, alle gesuchten Größen als 
Summen von periodischen Gliedern ausdrücken und keine Entwicke- 
lung nach Potenzen der unabhängigen Variablen zuzulassen. 

Es sei im folgenden vorausgesetzt, daß die von den störenden 
Planeten abhängigen Größen bekannt seien. 

Aus der Form der Gleichung (184) folgt, daß in o nur diejenigen 
Glieder der Formen (B) and (D) Schwierigkeiten verursachen, in denen 
sehr kleine Divisoren auftreten. Die übrigen Glieder können nach 
der in $ 30 gegebenen Formel, ein Glied « cos (vt + N) der Gleichung 
(113) zu integrieren (« und N langsam veränderlich), erhalten werden. 
Dabei kann und muß man, ebenso wie öfters auch in den übrigen 
Gleichungen, die in den Argumenten vorkommenden Ödt,, öt, und Öt, ver- 
mittelst Reihenentwickelung wegschaffen. 

In den Gleichungen (185) und (186) aber bieten nur Glieder dar 
Formen (A) und (C) Schwierigkeiten. Die übrigen Glieder können 
nach der ersten Formel (115) integriert werden. Weil S in R (Glei- 
chung (184)) eingeht, ohne die Masse als Faktor zu haben, muß man 
jedoch auch kleine Glieder in $ von der Form (B) oder (D) berück- 
sichtigen. Überhaupt kann man von den Gleichungen (184), (185) 
(186) sagen, daß sie die verschiedenen Gruppen von Gliedern nur 
formal trennen, und daß man. in Wirklichkeit die Framung erst durch 
mühsames Aussuchen bewerkstelligen muß. 

38, Integration der elementaren und charakteristischen Glieder. 
Nach der Gleichung (184) erhält man zur Bestimmung von (og) eine 
Gleichung der Form 


as) OHIO tete + 

wo die Koctäntanden b periodische Reihen in » von der Ordnung der Masse 
sind. A. Lindstedt??) zeigte, wie diese Gleichung in periodischer Form 
formell integriert werden kann (vgl. VI2, 12, Nr. 11 Whittacker). Die 
Lindstedtschen Reihen sind jedoch im allgemeinen divergent. Um eine 
konvergente Entwickelung zu erhalten, suchte Gylden schon in der 
ersten Annäherung gewisse Glieder höheren und besonders dritten 
Grades zu berücksichtigen. Unter Anwendung der angenäherten Werte 


ncsF=(), „snf=-— =, 


(+ + (0) Pos 2 Fr (9 pi ach 


83) Mr Lindstedt, Pet. me&m. 7.. Reihe (31) 4 (1883). 
52* 


198 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


schaffte er aus der diastematischen Form der Entwickelungen die ele- 
mentar werdenden Glieder weg. Er erhält in dieser Weise die soge- 
nannte verallgemeinerte Fundamentalform, welche in die Differential- 
gleichung von go eingeführt, zur Bestimmung von (e) eine Gleichung 
gibt, welche, wenn nur die wichtigsten Glieder explizite ausgeschrieben 
werden, die Gestalt hat 


ss) OH (it + a7 ++ 0" (R), 


wo die Koeffizienten a Konstanten erster Ordnung und nullten Grades 
sind, deren Werte in den Annäherungen nur unbedeutend verändert 
werden. (R) bezeichnet eine Summe von elementaren Gliedern. Es 
ist zu zeigen, daß (oe) von der antizipierten Form (135) ist, und daß 
die darin enthaltenen Koeffizienten #, so bestimmt werden können, daß 
die Reihe für (o) konvergiert. Indem die konstanten Teile von n? 
und »'? mit [n?], und [y’?], bezeichnet werden, nimmt die Gleichung 
(189) unter den aufeinanderfolgenden Annäherungen die Form 


FOL At +AB+ Em +) (B) 


an, wobei ß,, Aß, ß und ß, Konstanten sind und Aß so zu bestimmen 
ist, daß kein Glied der Form n cos F mal einer Konstante in (R) 
auftritt. Man kann (R) die Form 


(R) —- Dry, — sw — N— T,) 


geben und erhält für (o) die antizipierte Form (135), wenn 6 und «, 
durch die Gleichungen 


(190) (1 — ’=1+A+Aß+Pln”b + lab» 
(191) 1 





as ri 
2; — 5’ ++ APß+Plm bo +nh 
bestimmt werden. Da nach (137) 


[n?) ne ; 3. % 
Yo =423%,? 


ist, so werden die #, durch Lösung einer algebraischen Gleichung 
höheren Grades erhalten. Ist nur ein x, zu bestimmen, so ist die 
Gleichung (191) dritten Grades, und Gylden®%) zeigt, daß x, höchstens 
von der Größenordnung Y7, ist. Das Vorkommen von I, in dem 
Nenner würde also die Größe von |x,| begrenzen. Gylden nennt daher 
> x” eine rg ae Funktion. Vermittels der horistischen Funktion 


und analog 


84) H. Gylden, Acta math. 15 (1891), p. 75—79. 


38. Integration der elementaren und charakteristischen Glieder. 799 


glaubte Gylden®) nachweisen zu können, daß man bei Anwendung 
derselben für (e) eine konvergente Reihe erhalten würde. H. Poincare®®) 
hat gezeigt, daß dies unrichtig ist, und daß Gylden Glieder auf der 
rechten Seite von (189) vernachlässigt, welche ebenso wichtig sind 
wie die Glieder der Form Konstante mal (e). Berücksichtigt man 
aber auch jene Glieder, so dürfte indessen der Gyldensche Vorgang 
mit Vorteil angewandt werden können, wenn es sich darum handelt, 
Ausdrücke zu erhalten, welche für sehr lange, wenn auch nicht be- 
liebig lange Zeiten gültig sein sollen. 

Die wichtigsten elementaren Glieder von o hat Max Wolf?‘) ge- 
geben. 

Die Glieder von e von der Form (D) sind aus einer Differential- 
gleichung zu bestimmen, welche von derselben Form ist wie die Glei- 
chung für die elementaren Glieder, und können auch in derselben 
Weise erhalten werden. Oft dürfte es sogar am zweckmäßigsten sein, 
die Glieder der Formen (B) und (D) gleichzeitig zu behandeln. Die 
in den Argumenten der Glieder von der Form (D) eingehende Zeit- 
reduktion, berücksichtigt man durch teilweise Integration der lang- 
periodischen Glieder und Reihenentwickelung der übrigen. 

Die Glieder der Formen (A) und (C) in den Gleichungen (185) 
und (186) werden kritisch, wenn die linearen Integrationsdivisoren 
sehr klein sind, und eine lineare Integration kann dann ganz illu- 
sorische Resultate liefern. Eine bessere Integrationsmethode suchte 
Gylden zu erhalten, indem er von vornherein das Eingehen der zu 
bestimmenden Größen in die Argumente berücksichtigte. Wie aus 
der Gleichung (183) hervorgeht, entsteht der wichtigste Teil von 7 
in der Gleichung für dt, und dt, aus S, resp. S, und die wichtigsten 
Teile von dt, und dt, sind daher aus einer Gleichung der Form 


(192) =D’ Asin (2iv-+ söt + 20) 
zu bestimmen, wo 24 eine kleine Konstante, A RN C aber Konstanten 
oder Summen von elementaren langperiodischen Gliedern von der ersten 
Ordnung sind. Hieraus ist ersichtlich, daß dt, und öt, bei linearer 
Integration den kleinen Integrationsdivisor 24 im Quadrat erhalten 
und daher sehr vergrößert werden. 

Bei den Gliedern der Form (A), wo die Integrationsdivisoren von 
der ersten Ordnung sind, würde man das Entstehen von Gliedern der 


85) H. Gylden, Acta math. 15 (1891) u. 17 (1893). 
86) H. Poincare, Acta math. 29 (1905), p. 235—271. 
87) Max Wolf, Stockholm Obs. Iakttagelser ete. (4) 4 (1891). 


800 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


Ordnung — 1 oder sogenannten hyperelementaren Gliedern erwarten 
können. Gylden®®) hat indessen schon früh gezeigt, daß die Koeffi- 
zienten erster Ordnung der elementaren Glieder in (192) sich gegen- 
seitig heben, und daß also hyperelementare Glieder in dt, sich nicht 
finden, was nichts anders ist als das Poissonsche Theorem auf die 
Gyldensche Theorie übertragen. 

Die vielen Versuche Gyldens®°), die Gleichung (192) zu integrieren, 
haben nicht zu definitiven Resultaten geführt. Gewöhnlich zerlegt 
er öt in mehrere Teile 6,8, Ö,t,..., welche nacheinander bestimmt 
werden können. Indem nur ein, aber das wichtigte, Glied der rechten 


Seite von (192) berücksichtigt wird, bestimmt er Ö,t 7 aus der 


bekannten Gleichung eines schwingenden Pendels 
= Bsin2(Av + + 0), 
welche, da B und Ü nach seiner Bestimmung Konstanten sind, ver- 
mittelst elliptischer Funktionen integriert werden kann. Der Unter- 
schied dt — d,t wird durch eine Hilfsgröße V vermittelt, die durch 
eine Gleichung der Form 
> T- 8 
7m Pa + DHRs®r+-hl=X 

zu bestimmen ist, wo k, h und die in& = yv + @ eingehenden zweck- 
mäßig zu bestimmenden Größen » und p Konstanten sind und X teils 
bekannte, teils durch Annäherungen zu erhaltende auch von V ab- 
hängige langperiodische Glieder enthält. Die Integration dieser Glei- 
chung sucht Gylden unter Anwendung der von Ch. Hermite?’) gege- 
benen Lösung der Lameschen Differentialgleichung zu bewerkstelligen. 

Eine andere von Gylden stammende Methode, die Gleichung (192) 
zu integrieren, ist von P. Harzer’?) ausgearbeitet worden. Indem 
wieder nur das bedeutendste periodische Glied explizite ausgeschrieben 
wird, kann man nämlich der genannten Gleichung die Form 


«9 + Bene +9)—X 


geben. In erster Annäherung nimmt er ß und # als Konstanten und 
X=( an und erhält dann für ® eine zwei Integrationskonstanten 
enthaltende, durch einfache elliptische Funktionen ausdrückbare Lösung. 
Die Funktion X und die Variabilität von ß und ® werden in den 


88) H. Gylden, Stockholm K. Vet. Akad. Handl. (7) 2 (1882), p. 187—144; 
Orbites absolues 1, p. 536—541. 


89) Ch. Hermite, Paris C.R. 85 (1877), 2" sem. Mehrere Aufsätze. 


39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gyldenschen Methode. 801 


folgenden Annäherungen durch Variation der Integrationskonstanten 
berücksichtigt. 

Die Einführung der elliptischen Funktionen in die Lösung kom- 
pliziert indessen die weiterend&&nnäherungen ungeheuer, es wird un- 
möglich zu überblicken, was in », Differentialgleichungen berück- 
siehtigt ist und was nicht. Natürlich yß zugegeben werden, daß in 
einigen Fällen durch ihre Einführung schw@eh konvergierende Reihen 
kürzer geschrieben und berechnet werden könn®t%, Viele bei Störungs- 
problemen vorkommende Entwickelungen der ellıft@schen Funktionen 
hat Gylden an den in Fußnote”) verzeichneten Stelle egeben. 

Schließlich ist noch zu erwähnen, daß Gylden”') auch die Zeit- 
reduktion auf die Ermittelung einer Größe V zurückzuführen versucht 
hat, die ihrerseits aus einer Gleichung der Form 

dv 


er v? V = X 


zu bestimmen wäre. Das Vorkommen der horistischen Funktion v? 
würde das Entstehen beliebig kleiner Divisoren verhindern. Gemäß 
den Untersuchungen von H. AR %) ist auch dieser Integrations- 
versuch unwirksam. 


39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gylden- 
schen Methode. Methode von Brendel. (Gylden selbst hat keine 
vollständigen Anwendungen seiner Theorie gegeben. Dagegen sind ver- 
schiedene Teile seiner Methode und die bei den verschiedenen Pla- 
netentypen am besten geeigneten Formeln von anderen Astronomen 
weiterentwickelt und ausgearbeitet worden. 

P. Harzer”) behandelte den Hecubatypus und untersuchte dabei 
besonders die charakteristischen Glieder. 

Die Planeten des 4-Typus untersuchte M. Brendel®?). Die Gylden- 
schen Differentialgleichungen integrierte er dabei in der Weise, daß 
die Koeffizienten der angesetzten Reihen nach der Methode der un- 
bestimmten Koeffizienten bestimmt wurden. In ähnlicher Weise be- 
handelte K. @. Olsson®?) einen kleinen Planeten desselben Typus, wobei 
er noch verschiedene Koeffizienten nach Potenzen der Größe n — 3n’ 
entwickelte. 





90) H. Gylden, St. P&t. mem. 7. Reihe (16) 10 (1871); BWookholn K. Vet. 
Handl. (11) 9 (1874). 

91) H.Gylden, Acta math. 17 (1893); Astr. Ges. Publ. 21, Leipzig 1896, 
p. XLIV—L. 

92) M. Brendel, Stockholm Obs. Iakttagelser ete. (4) 3 (1891). 

93) K.@. Olsson, Stockholm K. Vet. Akad. Handl. (25) 8 (1893). 


802 VIs,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


In seiner später erschienenen Theorie der kleinen Planeten teilt 
M. Brendel”*) die Planeten nach ihren Kommensurabilitätsverhältnissen 
in bezug auf Jupiter in drei Klassen: 

1. gewöhnliche, deren mittlere Bewegung nicht nahe kommensurabel 
mit derjenigen Jupiters ist; 

2. charakteristische, deren mittlere Bewegung nahe, aber nicht sehr 
nahe kommensurabel mit derjenigen Jupiters ist; 

3. kritische, deren mittlere Bewegung sehr ne kommensurabel 
mit derjenigen Jupiters ist, so daß strenge Kommensurabilität (Libra- 
tion) befürchtet werden kann. 

Die charakteristischen und kritischen Planeten sind von der v-ten 


Klasse, wenn das Verhältnis der mittleren Bewegungen “- nahe gleich 
N 


ee ist (p und » ganze teilerfremde Zahlen). 


Bei der Integration wendet Brendel”) hier öfters die partielle 
Integration an, indem erst 7, n, J, ®,... als’ Konstanten betrachtet 
werden. Die aus der Veränderlichkeit des in den Argumenten ent- 
haltenen 7’in den Lösungen entstehenden Glieder werden „exargumen- 
tale“, die aus der Veränderlichkeit der elementaren Größen n, J,®,... 
entstehenden Glieder werden „Zusatzglieder“ genannt. Brendel be- 
handelt speziell die gewöhnlichen und die Planeten der Typen 4, 4, 2 
und gibt explizite die Hauptglieder der Störungen, sowohl in ana- 
lytischer Form als auch numerisch tabuliert, wobei indessen für die 
kritischen Planeten die Behandlung noch nicht ganz durchgeführt ist. 

Um die Berechnung einer Ephemeride zu vereinfachen, führt er auch 
in die erhaltenen Störungsformeln die Zeit als unabhängige Veränderliche 
ein. Weiter leitet er aus den Störungen der Gyldenschen Koordinaten 
auch die Störungen in den Elementen ab. Bisweilen findet er es vor- 
teilhaft, statt oskulierender Elemente sogenannte instantane Elemente '®) 
anzuwenden, welche so gewählt werden, daß sie zu jeder Zeit die 
Koordinaten des Planeten, nicht aber auch gleichzeitig deren Ab- 
leitungen darstellen. 

Nach der Brendelschen Methode haben H. Ludendorff”°) und 
J. Kramer‘) die Theorien der kleinen Planeten des Typus 4 und 
H. Buchholz®®) diejenigen des Typus 2 ziemlich ausführlich entwickelt. 
Kramer entwickelt dabei die elementaren Glieder in säkularer Form. 


BR M. Brendel, Göttingen Ges. Wiss. Abhdl. Neue Folge (1) 2 (1898), (6) 4 
(1909), (6) 5 (1910), (8) 1 (1911). 

95) M. Brendel, Math. Ann. 55 (1901), p. 248—256. 

96) H. Ludendorff, Die Jupiterstörungen der kl. Pl. vom fs. 
Berlin 1897. 


40. Methode von Backlund. 803 


Y, Verschiedene Methoden. 


40. Methode von Backlund. Um die bei Anwendung der wahren 
Anomalie als unabhängiger Veränderlichen erforderliche komplizierte 
Entwickelung der Störungsfunktion zu vermeiden und die Störungen 
_ durch eine wenig von der Zeit verschiedene Veränderliche auszu- 
drücken, hat O0. Backlund”®) auf Grund der Laplaceschen Theorie der 
Jupitersatelliten!®) eine neue Methode entwickelt, in welcher übrigens 
die Gyldenschen Hauptprinzipien bezüglich der Form der Störungs- 
ausdrücke zur Anwendung gekommen sind. 

Backlund setzt die wie bei Gylden definierte Länge in der Bahn an: 


v_n+tVv+y+rA, 
wo A eine Konstante, d eine langperiodische Funktion und y eine 


kleine Größe ist, nach deren Potenzen die Störungsfunktion entwickelt 
werden kann. Als unabhängige Veränderliche wählt er 


rent+v 


und indem er als zu bestimmende Größen w, den Sinus der Breite 5 
und die durch die Gleichung 


"=a(1+0®-+o), n?’a?—= k?(1 + m) 
(® eine überzählige Konstante von der Ordnung der Masse, welche 
so zu bestimmen ist, daß og nur periodische Glieder enthält) definierte 


Größe o nimmt, folgen aus den Gleichungen (101), (103) und (128) 
zu ihrer Bestimmung Gleichungen der Form 


te = Rt RR; 


d 
it m+ Mm 


Ar je Zi 


wo Ro, War Zus Ri; Wı, Z, nach Potenzen von ®, o, Y, Sr, a ; und 


den entsprechenden Größen des störenden Planeten entwickelt sind. 
R,, W,, Z, haben die störende Masse als Faktor, R,, W,, Z, hingegen 


97) J. Kramer, Die genäherte absolute Bewegung des Planet. (108) Hecuba. 
Inaug.-Diss. Berlin, Göttingen 1902, Göttingen Ges. Wiss. Neue Folge (2) 2 (1901) 
und (5) 3 (1907). 

98) H. Buchholz, Wien. Denkschr. 72 (1902) und 77 (1905). 

99) O. Backlund, St. Pet., mem. 7. Reihe (38) 11 (1892) und 8. Reihe (6) 
10 (1898). 

100) P. S. Laplace, Traite de mee. c&l. 4 (1805), p. 5-- 82 = Oeuvres 4, p. 1—94; 
Paris hist. (2) mem. (1788/9) = Oeuvres 11 p. 309-—473. 


804 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. - 


nicht. Die Integration, welche Backlund mit einigen Vereinfachungen 
nach Gyldens Muster bewerkstelligt, wird durch das Vorkommen der 
Größen R,, W,, Z, ein wenig kompliziert, indem die Annäherungen 
teilweise nur nach Potenzen der Exzentrizitäten und Neigungen fort- 
schreiten. 

Die Methode ist von Backlund für die kleinen Planeten des 4-Typus 
spezieller entwickelt und bezweckt zunächst nur eine angenäherte 
Lösung. Hilfstafeln zur Berechnung der Hauptungleichheiten hat 
A. Iwanow'!?') gegeben. 


41. Die Jupitergruppe. Eine allgemeine Theorie dieser erst nach 
1906 entdeckten Planetengruppe ist noch nicht gegeben. Da ihre 
mittleren Abstände von der Sonne nahe gleich demjenigen Jupiters sind, 
kann die gewöhnliche Entwicklung der Störungsfunktion nicht ange- 
wandt werden. Da aber diese Planeten seit ihrer Entdeckung in der 
Nähe der Lagrangeschen Dreieckspunkte verblieben, konnte man die 
Untersuchungen über die Bewegungen kleiner Massen in der Nähe 
dieser Punkte anwenden (siehe VIe, 12, Nr. 6, Whittaker). Die Stö- 
rungsfunktion entwickelt man nach den Potenzen des Abstands der 
Planeten vom Dreieckspunkt. F. J. Linders'®) bestimmte in erster An- 
näherung die Variationen der Delaunayschen kanonischen Elemente, 
wobei die Jupiterbahn kreisförmig vorausgesetzt wird. W. W. Heinrich") 
berücksichtigt noch die Jupiterexzentrizität. 


42. Angenäherte Störungen. Um die kleinen Planeten wieder zu 
erkennen oder ihre Örter für die Beobachtungen bis auf einige Bogen- 
minuten genau zu berechnen, braucht man nur angenäherte Lösungen. 
Eine solche wird z.B. erhalten, wenn man in einer genauen Theorie 
mit genau bestimmten Konstanten nur die größten Glieder beibehält. 
In dieser Weise würde man eine für lange Zeiten geltende genäherte 
Lösung erhalten. Gewöhnlich entwickelt man indessen nur die Haupt- 
glieder der Lösung und fordert nur eine ziemlich kurze Darstellungs- 
zeit (höchstens etwa 100 Jahre). Um die Konstanten aus den be- 
obachteten Örtern einigermaßen genau zu erhalten muß man den Ein- 
fluß der Vernachlässigungen in der Lösung durch Vermehrung und 
gleichmäßige Ausdehnung der Beobachtungen über möglichst lange 
Zeiten abzuschwächen suchen, was indessen nicht immer gelingt, da 
die Fehler oft systematisch wirken. 


101) A. Iwanow, St. P6t. bull. (10) 1 (1899); (18) 3 (1900). 

102) F.J. Linders, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv (4) 20 (1908) — Medde- 
landen fran Lunds astr. Obs. 38. 

103) W. W. Heinrich, Prag. Ges. Wiss. Ber. (Febr. 1913). 


42. Angenäherte Störungen. 805 


Die in Nr.39 und 40 genannten Methoden sind auch speziell 
für solche angenäherte Lösungen ausgearbeitet worden. Denselben 
Zweck hat auch die von K. Bohlin'%) ausgebildete Methode der 
gruppenweisen Berechnung der Störungen. Er wendet die Hansen- 
sche Methode bis auf die Entwicklung der Störungsfunktion (vgl. 
VI2,13, Nr.26, v. Zeipel) und die Integration an und gibt speziell 
die für den Typus } nötigen Formeln und numerischen Tafeln. In 
der Entwicklung der Störungsfunktion und derjenigen ihrer Ableitungen 
führt er anstatt der mittleren Anomalie des störenden Körpers, welche 
wie bei Hansen in der Form 

M=nt+cd-+ndf 
geschrieben sei, die verhältnismäßig langsam veränderliche Größe 
= w(E-—esinE) — M’ 
ein, wobei u, eine einfache Zahl, wie 3, #,4,... ist, die nahe 
dem Verhältnis u = — der beiden mittleren Bewegungen liegt, so daß 


u=-1—-- 
al) 
für die betreffende Planetengruppe eine kleine Größe ist. Diese Ent- 


wicklungen sind von der Form 

sinf. .r .r ? 

DENE -ÜmWEHi 6+L), 

wo L und K Konstanten bezeichnen, von denen die letzteren nach 
Potenzen von w entwickelt sind. Indem als unabhängige Veränder- 
liche die gestörte exzentrische Anomalie E anstatt der in Nr. 28 ein- 
geführten ungestörten Anomalie s angewandt wird, werden die Diffe- 
rentialgleichungen die den Formeln (96) ganz analogen Formen 

aWw ı dR 

N 
annehmen. 7 und U sind in Fouriersche Reihen von der Form 


si . . .r 
| DESVE- wE+iO HAM HL], 
entwickelt, wo n, die in den Gleichungen (81) vorkommende Größe 
ist und A nur die Werte — 1,0 und + 1 annimmt. Die Größe W 
wird daher in der Form 
W=x-+4yeosn + 2sinn 
erhalten, wo &, y, 2 von n, unabhängig sind. 
Nach (81) und (82) findet man dann, daß 

ran JS K=z-+ ey 


104) K. Bohlin, Nova Acta Reg. soc. sc. Upsaliensis (3) 17 (1896); Stock- 
holm Obs. Jakttagelser etc. 7 (1902). 


806 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. 


ist, und da BB 
W=|W=x+yesE+zsinE 


10=E 

ist, kann v» nach der Gleichung (79) unmittelbar berechnet werden. 
u folgt am einfachsten aus der Größe R nach der der Gleichung (88) 
analogen Formel E 

ü=R=|R. 

1o=E 
Die Störung der mittleren Anomalie nd& folgert Bohlin aus der 
Gleichung 
= wwng +1 — wndd) — dd +uc—c, 

nachdem ® selbst aus der durch na der Gleichungen (68) 
und (76b) abgeleiteten Gleichung 


d6 
ds 





[m + au) tz] (1—ecosE) en == H 


bestimmt ist. 
Bohlin spaltet nun 6 in zwei Teile 


0-6, +9, 


und entwickelt alle # enthaltenden Glieder nach Potenzen von 6,. Bei 
den Annäherungen wird H ebenso nach und nach in zwei Teile 


H=H, + Hr 


zerlegt, wobei in H, alle Glieder von H aufgenommen werden, die 
0, aber nicht E enthalten. 9, und 9, bestimmen sich dann aus den 


Gleichungen 


d6, d8 


ar Po» 1 = Hr. 


dE 

Charakteristisch für die Methode von Bohlin ist, dad W und R 
als Funktionen der beiden Veränderlichen 9, und E vermittels der 
partiellen Differentialgleichungen 


oW oW 
DE F Ho 55, IT IE Der, 
OR | 
+ u a EL ar 
bestimmt werden, ohne daß man 9, als Funktion von E zu kennen 
braucht. Um die Integration auszuführen, spaltet er W und R ın 
derselben Weise wie H in zwei Teile 

W=W,+W;, R=Re+ Rs 
und setzt die Glieder der beiden Seiten der Gleichungen (193), welche 
nur 6, enthalten, für sich gleich und ebenso die übrigen Glieder für 
sich. Wird weiter in den solcherweise erhaltenen Gleichungen für 


(193) 


42. Angenäherte Störungen. 807 


jede Größe eine vorausgesetzte Entwicklung nach Potenzen von w, z.B. 
MW;=Woo+ Woıw+ Wow + ;, 


eingeführt und die Glieder gleichgesetzt, welche dieselbe Potenz von w 
enthalten, so erhält man eine Reihe von Gleichungen, aus welchen die 
einzelnen Teile von W und R und damit diese Größen selbst leicht. 
zu erhalten sind. 

Da u, eine rationale Zahl ist, so werden die Integrationsdivisoren 
der periodischen Glieder © — i’u, nicht unendlich klein, wohl aber 
Null, woraus folgt, daß E in den Störungsausdrücken außerhalb der 
Zeichen sinus und cosinus vorkommt. H. Poincare!®), der beinahe 
gleichzeitig mit Bohlin dieselbe Integrationsmethode fand, zeigt, daß 
die erhaltenen Reihen nicht konvergieren. Wie die von Bohlin'%) und 
anderen gemachten Vergleichungen mit anderweitig abgeleiteten Stö- 
rungsausdrücken zeigen, liefert die Bohlinsche Methode indessen recht 
gute Darstellungen der Störungen, wenigstens wenn man die ersten 
Potenzen von w berücksichtigt. Ä 

Die speziellen Formeln und Tafeln für den $-Typus sind von 
AH. v. Zeipel!®), für den 3-Typus von D. T. Wilson!) gegeben. v. Zeipel 
macht dabei einige Abänderungen. Er spaltet @ nicht, sondern behält 
es als Argument bei. Indem W und R in der Weise gespalten werden, 
daß . und - keine von E unabhängigen Glieder enthalten, er- 
zielt er, daß E aus den Argumenten nicht heraustritt. Er vermeidet 
eine konsequente Entwicklung nach Potenzen der Masse m’, setzt 
vielmehr zw für w, m’ für m’ und entwickelt die verschiedenen 
Größen durchgehend nach Potenzen der (zum Schluß wieder gleich 1 
zu setzenden) Größe x. Ein Glied, welches x? u Faktor hat, be- 
trachtet er als vom Range gq. 

Um die von den langsam veränderlichen Gliedern herrührenden 
Schwierigkeiten zu vermindern, sollte man bei der Ausarbeitung der 
Methoden auf die Länge der Zeit, innerhalb deren die Lösung gelten 
soll, mehr Rücksicht nehmen, als bisher geschehen ist. Die auf die 
Beherrschung langer Zeiten abzielenden Methoden sind sicherlich 
nicht die besten für kurze Zeiten. 

105) H. Poincare, Les meth. nouv. de la me&ec. cel. II, p. 315—476, Paris 1893. 

106) H.v. Zeipel, St. Pet., mem. 8 Serie (12) 11 (1902). 

107) D.T. Wüson, Stockholm Obs. Jakttagelser ete. (10) 1 (1912). 


(Abgeschlossen im Februar 1915.) 


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V12. 16. DIE SATELLITEN. 
Von | 


KURT LAVES 
IN CHIKAGO (ILL.). 


Inhaltsübersicht. 
Einleitung: Überblick. 


A. Die empirische Methode. 1610—1760. 


1. Das Jupitersystem 
2. Das Saturnsystem. 


B. Die analytische Methode. 1760 bis zur Gegenwart. 


3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satelliten 
und Neuentdeekungen. 
4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem. 
5. Die Auffindung der Satelliten von Uranus, Neptun und Mars. 
6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise. 
7. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse des Haupt- 
planeten. 
8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der Ringe. 
9. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines Satelliten 
10. Die Störungsfunktion R. 
11. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten und Neigungen. 
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme: 
«) Das Jupitersystem: Die vier Galileischen Satelliten. 
ß) Das Saturnsystem: 
a) Japetus, 
b) Titan und Rhea, 
c) Hyperion, 
d) Dione, Tethys, Enceladus und Mimas, 
e) Phöbe und Themis. 
y) Die Satelliten des Mars, Uranus und Neptun. 
13. Die säkularen und langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten, der 
Längen der Perizentren und mittleren Längen, 
«) Das Jupitersystem: 
a) Die vier Galileischen Satelliten, 
b) Die übrigen Satelliten. 
Fncyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 53 


s10 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


ß) Das Saturnsystem: 
a) Japetus, Titan und Rhea; Phöbe und Themis, 
b) Die Satellitenpaare, bei denen Librationsglieder auftreten: 
Hyperion-Titan, 
Enceladus-Dione, 
Tethys-Mimas. 
y) Die übrigen Satellitensysteme. 
14. Die kurzperiodischen und die von der Sonne herrührenden Ungleichheiten. 
15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme. 


Literatur. 


Lehrbücher und Monographien. 
Lehrbücher. 


P. S. Laplace, Trait& de M&canique celeste, t. IV, Paris 1805 = Oeuvres 4 (1880), 
p. 1—190. 
F. Tisserand, Trait€ de Mecanique celeste, Paris 1896, t. IV, chp. 1—9. 


Das Jupitersystem. 


J. Bailly, Essai sur la theorie des satellites de Jupiter, Paris 1766. 

J. Lagrange, Recherches sur les inegalites des satellites de Jupiter. Oeuvres VI, 
p. 67 fl. 

J. Delambre, Tables des satellites de Jupiter. Conn. des temps pour 1791 = La- 
lande Astr. I (1792), p. 236. 

M. Cl. de Damoiseau, Tables &cliptiques des satellites de Jupiter. Paris Bur. 
Long. tabl. astr. V (1836), und deren Fortsetzungen von D. P. Todd: A conti- 
nuation of de Damoiseaus tables of the satellites of Jupiter. Wash. Americ. 
Bureau of Navig. 1876 (for.1880—1900), und L. Pottier, Par. Bull. astr. 13 
(1896), p. 67 u. 107 (für 1900-1920). 

©. L. Sowillart, Theorie analytique des mouvements des satellites de Jupiter 1. 
Lond. Astr. Soc. Mem, 45 (1879). 

— Theorie analytique des mouvements des satellites de Jupiter II. Paris M&m. 
30 (1837). 

A. Marth, Formules for positions of satellites and correetion of elements. Lond. 
Astr. Soc. Month. Not. 47 (1887), p. 333. 

— Data for computing the positions of satellites of Jupiter with Tables of the 
inequalities. Lond. Astr. Soc. Month. Not. 51 (1891), p. 505. 

W. de Sitter, Discussion of Heliometer observations of Jupiters satellites. Gro- 
ningen (Dissertation) 1901. 

— Determination of inclin. and nodes of satellites of Jupiter. Cape obs. ann. XII. 
Part 3 (1906). 

— Libration of the 3 inner satellites of Jupiter. Groningen Laboratory Nr. 17 
(1907). 

— On the masses and elements of Jupiters satellites and the mass of the 
system. Amsterdam Akad. 10 (1908). 

B. Cookson, Determination of mass of Jupiter and orbits of satellites. Cape obs. 
ann. XII, Part. 2 (1906). 

— Determination of the elements of the orbits of Jupiters satellites. Cape obs. 
ann. XII, Part. 4 (1907). 


Inhaltsübersicht. Literatur. sil 


R. A. Sampson, A discussion of the eclipses of Jupiters satellites 1878—1893. 

Harvard obs. ann. 52, Part 2 (1910). 

Tables of the 4 great satellites of Jupiter. Durhani obs., 1910, p. 1—299. 

. Cohn, Bestimmung der Bahnelemente des V. Jupitermondes. Astr. Nachr. 142 

(1897), p. 289. 

. Struve, Bestimmung der Säkularbewegung des V. Jupitermondes. Berlin Ber. 

1906, p. 790. 

. Wilkens, Über die Säkulargleichungen der vier helleren Jupitermonde. Astr. 
Nachr: 201 (1915), p. 85. 


Be 


Das Saturnsystem. 


F. W. Bessel, Untersuchungen über den Planeten Saturn, seinen Ring und seine 
vier Trabanten, Königsbg. Archiv für Naturw. u. Math. I (1812), p. 113 = 
Abh. I, p. 110. Zitiert als Bessel I. 

— Bestimmung der Bahn des Hugenischen Saturnsatelliten, Astr. Nachr. 9 (1831), 
p. 1, samt erster Fortsetzung Astr. Nachr. 9. (1831), p. 381 u. zweiter Fortsetz. 
Astr. Nachr. 11 (1834), p. 17 = Abbh. I, p. 127, 147 u. 148. Zitiert als Bessel II. 

— Bestimmung der Lage und der Größe des Saturnringes und der Figur des 
Saturn, Astr. Nachr. 12 (1835), p. 153 = Abh. I, p. 150. Zitiert als Bessel III. 

— Theorie des Saturnsystems, Astr. Nachr. 28 (1849), p. 1, 49, 321 u. 3711 = 
Abh. I, p. 160. Zitiert als Bessel IV. 

H. Struve, Beobachtungen der Saturnstrabanten am 15’’ Refraktor. Poulkova obs. 
Suppl. 1 (1888). 

— Beobachtungen am 30zölligen Refraktor. Poulkova obs. (2) XI (1898). 

W. Meyer, Recherches sur Saturne, ses anneaux et ses satellites. Me&m. Societe 
phys. de Gen&ve 27 (1881), und Le syst&me de Saturne, ibid. 30 (1884). Zitiert 
als Meyer (Geneve). 

K. Bohlin, Sur les &l&ments de l’orbite de Töthys. Acad. des Sciences de Suede (1885). 

A. Hall, The six inner satellites of Saturn. Wash. obs. 1883, App. 1 (1886). 

— The orbit of Japetus. Wash. obs. 1882, App. 1 (1885). 

H. Struve, Neue Bestimmung der Libration von Mimas und Tethys. Astr. Nachr. 
162 (1903), p. 325. 

F. Tisserand, Sur un cas remarquable du problöme des perturbations. Paris Bull. 
astr. 3 (1886), p. 425. 

— Sur les mouvements des apsides des satellites de Saturn. Ann. Toulouse 2 (1886). 

— Sur le deplacement seculaire du plane de Japetus. Ann. Toulouse 2 (1886). 

S. Newcomb, On the motion of Hyperion (a new case in the celestial mechanic). 
Wash. Astron. Pap. 3 (1884). 

@G. W. Hill, On the motion of Hyperion and the mas of Titan. \stron. Journal 8 
(1888), p. 57. 


Die Satellitensysteme von Mars, Uranus und Neptun. 


H. Struve, Bestimmung der Abplattung und des Äquators von Mars. Astr. Nachr. 
138 (1895), p. 217. 

S. Newcomb, Discussion of observations of the sat. of Uranus and Neptune. Wash. 
obs. 1873, App. 1 (1875) = Wash. Astr. Pap. 1. 

F. Tisserand, Deplacements seculaires de l’&quateur d’une planete. Paris Bull. 
astr. 11 (1814), p. 337. 

H. Struve, Beobachtungen des Neptuntrabanten amı 30zölligen Refraktor. St. Pet. 
mem. 42 (1894), Nr. 4. 


53* 


812 VI2, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


Einleitung. 

Die Entwicklung‘ der Satellitentheorie zerfällt der Zeit nach in 
zwei Abschnitte: 

1. Die Zeit vor der Einführung des Newtonschen Gravitations- 

gesetzes 1610—1760, 

2. Die Zeit von 1760 bis zur Gegenwart. 

Im ersten Abschnitt werden an der Hand der Finsternisbeob- 
achtungen der vier Galileischen Satelliten auf empirischem Wege die 
Hauptungleichheiten in der Länge bei der Bewegung dieser Satelliten auf- 
gefunden. Die Schwierigkeit, die Ungleichheiten in der Breite zu er- 
schließen, führt vorwiegend zum Aufgeben der empirischen Methode. 
Dieses geschieht etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Seit dem 
Eintreten von Lagrange und Laplace beherrscht die analytische 
Methode das Feld und gewinnt in der Laplaceschen Satellitentheorie 
der vier Galileischen Trabanten eine scheinbar endgültige und ab- 
schließende Darstellung. 

Im Saturnsystem geben Bessels heliometrische Feinmessungen 
die Basis für seine grundlegende Theorie der Saturntrabanten. Wesent- 
liche Weiterführungen der letzteren Theorie sind einmal in der New- 
combschen Theorie des Hyperion, und andrerseits in H. Struves syste- 
matischen Untersuchungen des Gesamtsystems zu sehen. 

Die auf der Laplaceschen Theorie aufgebauten Tafeln der Finster- 
nisse von Delambre und Damoiseau bringen infolge schwerwiegender 
Inkonsistenzen die Forschung im Jupitersystem zu einer langjährigen 
Stagnation. Durch Sowillarts Weiterführung der Zaplaceschen Theorie 
und Marths vielseitige Bemühungan und endlich durch die systema- 
tisch angestellten Feinmessungen von Gill, Finlay, de Sitter, Cookson, 
ferner Pickering und Sampson ist die Basis für eine spätere moderne 
Theorie der vier Galileischen Trabanten geschaffen worden. 


A. Die empirische Methode. 1610—1760. 


l. Das Jupitersystem. Die vier ersten Trabanten des Jupiter 
wurden von Galblei!) am 7. Januar 1610, von Simon Mayer?)?) unab- 


Für die ältere Literatur vgl.: Houzeau et Lancaster: Bibliogr. generale de 
l’Astr., Bruxelles 1882. Vol. II: 1888—1406; R. Grant, History of Physical. Astr., 
London 1855, p. 76—96, u. R. Wolf, Handbuch der Astr., ihrer Geschichte u. Lite- 
ratur, Bd. I u. II, Zürich 1890 u. 1892. 

1) Sidereus Nuntius, Opere di Galileo 2, p. 5, engl. Ausgabe von Carlos 1880. 

2) Oudemans et Bosscha, Galilee et Marius, Arch. neerl. Science. VIII (1903). 

3) J. Klug, 5. Marius aus Guggenhausen und Galilei. München Akad. Abh. 
2 (1902), p. 385. 


1. Das Jupitersystem. 813 


hängig davon am 8. Januar entdeckt. Aus den von Galilei noch un- 
genau bestimmten Umlaufszeiten und Distanzen leitete Kepler die 
Gültigkeit seines dritten Gesetzes für das Jupitersystem ab. 1675 
entdeckte Olaus Römer aus den Verfinsterungen des I. Satelliten die 
endliche Fortpflanzungszeit des Lichtes. Die Bestimmung der geogra- 
phischen Längen‘) wurde durch die Beobachtung der Verfinsterungen 
des I. Satelliten wesentlich verbessert und dadurch die Aufmerksam- 
keit der Astronomen diesen Beobachtungen und ihren tabellarischen 
Vorausbestimmungen zugewendet. Solche Tabellen werden vor allen 
von J. D. Cassini?), Bradley®) und Wargentin”) veröffentlicht. Wäh- 
rend Cassini nur beim I. Satelliten die Lichtgleichung ansetzt, weil 
die unregelmäßigen Bewegungen der andern Trabanten nicht da- 
durch behoben zu werden schienen, wird bei den Tafeln von Brad- 
ley und Wargentin sowohl auf die Lichtgleichung Rücksicht genommen, 
wie auch schon die große Ungleichheit von 437 Tagen in Rechnung 
gestellt wird. Dieser große Fortschritt wird gleichzeitig und unab- 
hängig von beiden Forschern erreicht, doch gebührt Wargentin, der 
Zeit der Publikation nach, der Vorrang. Spätere Neuausgaben der 
Wargentinschen Tafeln stellen zwei langperiodische Ungleichheiten 
beim III. Satelliten in die Berechnungen ein. Die starke Exzentri- 
zität der Bahn des IV. Satelliten wurde von Brudley zuerst klar er- 
kannt, und von Maraldi II?) wird der Wert seiner Mittelpunkts- 
gleichung schön sehr genau angegeben. Damit fiel endlich das eine 
der Cassinischen Axiome, daß alle Trabantenbahnen Kreisgestalt 
haben. Das andere Axiom, wonach die Bahnen gleiche und konstante 
Neigung im Raume haben sollten, wird ebenfalls als durch die Be- 
obachtungen nicht bestätigt erkannt. Die Neigung des IV. Satelliten”) ° 
zur Jupiterbahn ist kleiner als diejenige der anderen Satellitenbahnen; 
bei scheinbarer konstanter Neigung zur Jupiterbahn bewegt sich der 
Knoten der Bahn in direkter Richtung auf der Jupiterbahn. Zu 
dieser wichtigen Erkenntnis trat die andere, daß die Neigungen der 








4) J. D. Reuß, Repert. commentationum a societatibus literariis editarum. 
Göttingen 1804, tom. 5 (Astron.), p. 258. 

5) J. D. Cassini, Comparaison des satellites de Jupiter et de Saturne. Paris 
hist. 1730. 

6) J. Bradley, Indication de la periode de 437 jours des trois premiers sa- 
tellites de Jupiter, Lond. Phil. Trans. 1726. 

7) P.W.Wargentin, Tabulae pro calculandis eclipsibus satellitum Jovis. Acta 
Upsal. 1741. 

8) J. D. Maraldi, Vgl. Artikel in Paris hist. (2) mem. 1 und 2 von 1732 an. 

9) —, Mouvement des noeuds du 4itme satellite. Paris hist. (2) mem. 1758. 


814 VI2, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


drei innern Satellitenbahnen variabel sind und nach Maraldi'’) durch 
die Annahme einer Libration des Knotens um eine mittlere Lage 
dargestellt werden. Die Periode dieser Librationen bei den einzelnen 
Satelliten ist verschieden; sie wächst mit dem Abstande vom Zentral- 
körper. Diese allgemeinen Andeutungen werden genügen, um anzu- 
deuten, wie außerordentlich erfolgreich die heuristische Methode bei 
der Diskussion der zahlreichen und relativ sehr genauen Verfinste- 
rungsbeobachtungen gewesen ist. Trotzdem Bradley, durchaus klar- 
blickend, die endgültige Aufklärung nur auf der Basis des Newton- 
schen Grundgesetzes schon um 1745 voraussagt, bedarf es doch noch 
einer Reihe wichtiger Vorarbeiten, bis hierfür der Boden reif ist. 
Dahin kann man Olairauts wichtige Arbeiten über die Mondbewegung'') 
und die Gestalt der Erde'?), ferner Eulers'?) Untersuchung über die 
Apsidenbewegung eines Satelliten rechnen. 

2. Das Saturnsystem. Durch Galileis'*) Entdeckung der unregel- 
mäßigen Gestalt des Saturn war die Anregung geboten, diesen Pla- 
neten intensiver mit den neugeschaffenen optischen Mitteln zu beob- 
achten. Die Natur des Ringsystems wurde durch Huygens'?) scharf- 
sinnige Erklärung „annulo eingitur, tenui, plano, nusquam cohaerente, 
ad eclipticam inclinato“ erschlossen. Das hiernach vorausgesagte Ver- 
schwinden der Ringe und ihre Wiedererscheinung wurde durch die 
Beobachtung bestätigt, und eine erste approximative Bestimmung der 
Neigung der Ringebene zur Ekliptik ermöglicht. Die Entdeckung des 
größten der Saturnsatelliten, Titan, durch Huygens"?) fällt in das Jahr 
1655, in dem auch das Verschwinden der Ringe eintrat. In den 
Jahren von 1671 bis 1684 gelang es Cassini 1, vier weitere Trabanten 
zu entdecken, wovon der als zweiter entdeckte Japetus in nahezu drei- 
fachem Abstande Saturn—Titan erst in 79 Tagen den Zentralkörper 
umkreist. Die drei andern Satelliten sind Rhea, Dione und Tethys, in 
den Abständen 9, 6 und 5, wobei der Radius des Saturnkörpers als 
Einheit genommen ist. Ein volles Jahrhundert sollte verstreichen, ehe 
die Vervollkommnung der astronomischen Instrumente weitere Neu- 


10) J. D. Maraldi, Variation de l’inclinaison et libration des noeuds du 
second satellite. Paris hist. (2) mem. 1768. 

11) Clairaut, L’orbite de la Lune. Paris hist. (2) m&m. 1743, p. 17, u. 1748 
p. 421. 

12) Olairaut, Nouvelle theorie de la figure de la Terre. Paris 1743. 

13) Euler, Du mouvement des apsides des satellites de Jupiter. Berl. hist. 
1773, p. 311. 

14) Galileo, Opere T. 2; edit. Padua. 

15) Huygens, Systema Saturnium. Hagae 1659. 

16) Huygens, De Saturni luna observatio nova. Hagae 1656. 


8. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satelliten. 315 


entdeckungen möglich machte. Die in dieser Zeit angestellten sehr 
spärlichen Beobachtungen des Durchgangs durch die Ringebene sind 
von Bessel!?)'®) zusammengestellt und diskutiert, sowie auch alle mit 
Bezug auf die Satelliten gemachten Beobachtungen. 


B. Die analytische Methode. 1760 bis zur Gegenwart. 


3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Gali- 
leischen Satelliten und Neuentdeckungen. Der erste Schritt zur 
Einführung des Newtonschen Gravitationsgesetzes in die Satelliten- 
theorie geschah durch Newton?) selbst, der die Bewegung der Bahn- 
ebene des IV. Satelliten auf der Jupiterbahn durch die störende 
Wirkung der Sonne zu erklären suchte. Hierbei ergab sich ihm aber 
eine retrograde Bewegung statt der durch die Beobachtung erwie- 
senen direkten. Der Grund für diese Differenz lag, wie sich erst viel 
später herausstellte, in der Vernachlässigung der störenden Wirkungen 
des III. Satelliten und der Abplattung. Der nächste Versuch in 
dieser Richtung war Baillys?)*)®) Übertragung der Clairautschen 
Mondtheorie auf die Jupitersatelliten. Der Erfolg seiner Arbeiten war, 
daß er die große Ungleichheit von 437 Tagen wirklich analytisch 
darstellte und durch geschickte Kombination die Masse des II. Satel- 
liten bestimmte. Dem spezifischen Charakter des Problems der Jupiter- 
satelliten war Bailly aber noch nicht nahe gekommen, erst Lagrange 
war dieses vorbehalten. Lagrange?”) gibt in seiner Preisarbeit die 
Differentialgleichungen der Bewegungen der Satelliten unter Berück- 
sichtigung der gegenseitigen Anziehungen, der Attraktion der ellipsoi- 
dischen Jupitermasse und der Sonnenanziehung. Indem er diese Glei- 
chungen zunächst unter Vernachlässigung der Exzentrizitäten und 
Neigungen integriert, kommt er auf die Ungleichheit von 437 Tagen 
bei den Verfinsterungen der drei innern Satelliten. Bei der Berück- 
sichtigung der Exzentrizitäten und Neigungen stößt er auf die näm- 
liche Schwierigkeit, die Euler und Lagrange bei der Theorie von 


17) F. W. Bessel UI. 

18) F. W. Bessel II. 

19) Newton, Principia, lib. III prop. 23. 

20) Bailly, Essai sur la theorie des satellites de Jupiter. Paris hist. (2) 
me&m. 1766. 

21) Bailly, La cause de la variation de l’inclinaison de l’orbite du second 
satellite de Jupiter. Paris hist. (2) m&m. 1765. 

22) Bailly, Mouvement des noeuds et variation de l’inclinaison des satellites 
de Jupiter: Paris hist. (2) m&m. 1766. 

23) Lagrange, Recherches sur les inegalites des satellites de Jupiter. Turin 
Mel. 3 (1766) = Oeurr. 6, p. 67. 


816 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


Jupiter und Saturn erfahren hatten. Lagrange verfährt hier ähnlich, 
wie er es dort getan hat. Er erhält so für jeden Satelliten vier 
Mittelpunktsgleichungen und vier Breitengleichungen. Diese letztern 
denkt er sich geometrisch nachgebildet durch vier Ebenen, wovon 
sich die erste auf der Jupiterbahn bewegt, die zweite auf der ersten, 
die dritte auf der zweiten und die vierte, welche die Bahnebene des 
Satelliten selber ist, auf der dritten. 

Indem aber Lagrange die Neigung zwischen Jupiteräquator und 
Jupiterbahnebene vernachlässigt, bringt er Glieder zum Verschwinden, 
die sehr charakteristisch bei den Breitenstörungen sind. Diese Lücke 
wird von Laplace**)?)?°) ausgefüllt, der dann vor allem durch seine 
Untersuchungen, die sich an die Gleichungen u, — 2u, + 3u, = 0 
und /, — 21, + 31, = 180° anschließen, die Gesamttheorie auf einen 
hohen Grad von Vollkommenheit erhebt. Seine Formeln werden von 
Bouvard?”) numerisch berechnet, doch bleiben noch die 31 Unbe- 
kannten darin stehen: die Elemente und Massen der vier Satelliten, 
die Abplattung Jupiters und die Neigung und Knotenlänge seines 
Äquators. Die große Arbeit, die Werte dieser 31 Unbekannten aus 
mehr als 2000 Finsternisbeobachtungen zu bestimmen, wurde durch 
Delambre®®) ausgeführt. Eine Revision seiner Tafeln der Finsternisse, 
die sich auf 6000 Beobachtungen stützte, erschien im Jahre 1804. 
Die Werte der Delambreschen Koeffizienten legte Laplace seiner Be- 
stimmung der Massen und Elemente der Satelliten sowie der Be- 
stimmung der Abplattung Jupiters zugrunde Die 1836 erschie- 
nenen Damoiseauschen””) Tafeln sind nicht bloß eine Weiterführung 
der Delambreschen Tafeln, sondern suchen eine Verbesserung der 
Koeffizienten durch Hinzuziehung weiterer Beobachtungen zu geben. 
Dabei haben eine Reihe von Koeffizienten Änderungen erfahren, 
während andere ihre ursprünglichen Werte behielten. Da das Ver- 
fahren, nach welchem die Änderungen vorgenommen sind, von 
Damoiseau nicht angegeben ist, ist der Zweifel gerechtfertigt, ob alle 


24) Laplace, Theorie des satellites de Jupiter. Paris hist. (2) mem. 1788—89. 

25) Laplace, Mecanique celeste, t. 4, livre 8, chp. 1—16 (1805). 

26) Laplace, Du mouvement des satellites de Jupiter notice historique. Mec. 
c@l., t. 5, livre 16, chp. 5. 

27) Zur Geschichte der Entwicklung der Theorie und der Tafeln der 
Jupitersatelliten vgl. A. Souchon, TraitE d’astronomie pratique. Paris 1883. 
Introduction historique: tables du mouvement des satellites de Jupiter. 

28) Delambre, Table des satellites de Jupiter. Conn. des temps pour 1791 = 
Lalande Astr. Paris I (1792), p. 236, und Corrections: Conn. des temps pour 1794. 

29) Damoiseau, Tables &cliptiques des satellites de Jupiter. Paris 1836, 
samt Fortsetzungen von Todd u. Pottier. Siehe Literatur. 


3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satelliten. 817 


Ungleichheiten durch ein und dasselbe Elementensystem dargestellt 
werden können. Das stellt aber den ganzen Wert der Damoiseauschen 
Tafeln in Frage. Bessel?”), Adams®®) und Souillart?') haben sich in 
diesem Sinne geäußert. 

Von Souillart?®)®") wird die Laplacesche Theorie der Gableischen 
Trabanten wesentlich weiterentwickelt, und Marth®?)*®°)?*)®) veröffent- 
licht auf der Basis dieser neuen Theorie Tafeln für die Berechnung 
der Positionen der Trabanten, ohne die eine Benutzung der Beob- 
achtungen für die Theorie unmöglich war. Durch Marth angeregt, 
werden von 1891 Heliometermessungen der Satelliten untereinander 
von @iül und Finlay vorgenommen, die durch photographische Auf- 
nahmen ergänzt werden. De Sitters®®)?)40)41) und Cooksons *?)*?) 
Diskussionen dieser und ähnlicher Beobachtungen sowie solcher in 
Helsingfors und Pulkova“*) ergeben zum ersten Male eine zuverlässige 
Bestimmung der Neigungen und Knoten der Satellitenbahnen sowie 


30) L. C. Souillart, Theorie analytique des satellites de Jupiter I. Lond. 
Astr. Soc. Mem. 45 (1879). 

31) L. C©. Sowillart, Theorie analytique I. Paris M&m. 30 (1887). 

32) A. Marth, Researches on satellites. Astr. Nachr. 44 (1856), p. 113. 

33) A. Marth, On the formulae for computing the apparent positions of a 
satellite. Lond. Astr. Soc. Month. Not. 47 (1886), p. 333. 

34) A. Marth, Data for computing the positions of satellites of Jupiter. 
Lond. Astr. Soc. Month. Not. 51 (1891), p. 505, ferner regelmäßige Vorausberech- 
nungen in den laufenden Nummern der Monthly Notices. 

35) A. Marth, Observatory 1890, Aprilnummer: Über Mikrometermessungen 
im Jupitersystem. 

36) J. ©. Adams, Repetitions on some numerical calculies to the theory of 
Jupiter’s satellites. Scient. Papers 2 (1875), p. 191. 

37) F. W. Bessel, Bestimmung der Masse des Jupiter. Astr. Untersuch. 2 
(1836), p. 25. | 

38) W..de Sitter, Discussion of Heliometer Observ. of Jupiter's satellite. Gro- 
ningen 1901 = Cape obs. ann. XI, part 1. 

39) W. de Sitter, Determination of the inclinations and nodes of satellites 
of Jupiter. Cape obs. ann. XII part 3 (1906). 

40) W. de Sitter, Some points in the theory of Jupiter satellites. Amster- 
dam Akad. Proc. X (1907), p. 95. 

41) W. de Sitter, Über die Libration der 3 großen Jupitersatelliten (hollän- 
disch.) Handl. Need. Nat. Geneesk Congress. X 1905, p. 124 — Astr. Lab. Grön. 
17 (1907). 

42) B. Cookson, Determination of the mass of Jupiter and orbits of satel- 
lites. Cape obs. ann. XII part 2 (1906). 

43) B. Cookson, Determination of the elements of the orbits of Jupiter 
satellites. Cape obs. ann XII part 4 (1907). 

44) F. Renz, Phot. Positionen der Jupitertrabanten. 1. und 2. Teil. St. Pet. 
Acad. mem. VIII (1902). 


818 VI2, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


auch der Koeffizienten gewisser kurzperiodischer Ungleichheiten. De 
Sitters Ergebnisse werden im X. Band der Sitzungsberichte der 
Akademie von Amsterdam“) zusammengefaßt. — Parallel hiermit 
geht Sampsons *)*")4®) Reduktion der photometrischen Beobachtungen 
der Jupitersatelliten am Harvard Observatorium, die von E. Pickering 
in systematischer Weise fast ein Vierteljahrhundert lang ausgeführt 
worden sind. Im Gegensatz zu der alten Beobachtungsmethode ge- 
währen diese photometrischen Beobachtungen eine Genauigkeit wie 
die von Heliometermessungen.*?)°) Sampsons*®) Tafeln beruhen ledig- 
lich auf dem Vergleich dieser Beobachtungen mit der Theorie von 
Souillart. Der von de Sitter*‘) gefundene Betrag von 0,158° in der 
Libration der drei innern Satelliten wird von Sampson nicht bestä- 
tigt, wie er auch beträchtlich in dem Werte der Dauer dieser Oszil- 
lation von de Sitter abweicht. Beachtenswert ist der von de Sitter 
geäußerte Wunsch nach einer den dynamischen Bedingungen mehr 
entsprechenden Theorie der drei inneren Satelliten, bei der der Jupiter- 
äquator als Beziehungsebene benutzt wird. Griffins®!) Arbeit kann 
voraussichtlich hierfür die Basis bilden. — 1892 wird der V. Satellit 
von E. E. Barnard auf der Licksternwarte aufgefunden. Elementen- 
bestimmungen werden von F\. Oohn??), E. E. Dobbin°?) und H. Struve°*) 
abgeleitet. Auf die starke jährliche Bewegung des Perijoviums wird 
zuerst von Tisserand )°®), dann Adams’) und Callandreau®®) hinge- 


45) R. A. Sampson, A discussion of the eclipses of Jupiter satellites 1878 
—1893. Harv. obs. ann. 52 part 2 (1910), p. 143. 

46) R. A. Sampson, Tables of the 4 great satellites of Jupiter. Durham 
Observat. (1910), p. 1. 

47) W.de Sitter, Sampson, Controverse Ba. 24, 25 des Journal Observatory 
1901 ff. 

45) R. T. A. Innes, Professor Sampsons Tables of the satellites of Jupiter. 
Observatory 33 (1910), p. 478. 

49) A. Obrecht, Etude sur les &clipses des satellites de Jupiter. Paris 1844. 

50) M. A. Cornu, Etudes &xperimentales relatives ä& l’observations photo- 
metriques des satellites de Jupiter. Paris C. R. (1883), p. 1815. 

51) F. L. Griffin, Periodie Orbits of k finite bodies, revolving about a 
relatively large central mass. Amer. Math. Soc. Trans. IX p. 1 (1908). 

52) F.Cohn, Bestimmung der Bahnelemente des V. Jupitermondes. Astr. 
Nachr. 143 (1897), p. 289. 

53) E. E. Dobbin, On the orbit of the V. satellite of Jupiter. Astr. 
Journ. 24 (1904), p. 83. 

54) H. Struve, Bestimmung der Säkularbewegung des V. Jupitermondes. 
Berl. Ber. 1906, p. 790. 


55) F. Tisserand, Sur le mouvement du Vitme satellite de Jupiter. Paris 
C. R. 117 (1898), p. 1024. 


4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem. 819 


wiesen und sie durch Cohn und H. Struve genauer aus den Beobach- 
tungen hergeleitet. Der VI. und VII Satellit werden von Perrine 
auf photographischem Wege 1905 und 1906 aufgefunden, Melotte in 
Greenwich findet auf gleiche Weise 1908 den VIII. Satelliten.?®) ®°) 
Die Neigung aller drei Satelliten zur Jupiterebene ist nahezu 30°, 
der VI. und VII. bewegen sich, wie es scheint, in derselben Ebene 
derart, daß sich ihre Bahnen schneiden; der VIII.®) in so großer 
Entfernung vom Planeten, daß die Stabilität®!®) seiner Bahn zweifel- 
haft erscheint. 


4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem. Im Jahre 
1789 entdeckte W. Herschel die beiden innersten Saturnsatelliten 
Mimas und Enceladus, 1848 fanden fast gleichzeitig W. Bond und 
Lassell den Satelliten Hyperion, und auf photographischem Wege ge- 
lang es W. Pickering 1890 und 1904 Phöbe und Themis zu ent- 
decken. 

Konjunktionsbeobachtungen der Satelliten mit Punkten des Pla- 
neten oder des Ringes sowie gelegentliche Beobachtungen der nur 
selten sich ereignenden Verfinsterungen oder Schattenvorübergänge 
bildeten bis auf Bessel das unzulängliche Material, auf das sich eine 
Theorie der Bewegungen der Satelliten hätte gründen lassen. In 
voller Erkenntnis dieser Tatsache beschränkte sich Laplace‘?) darauf, 
aus der Theorie die Erklärung für die vom Saturnäquator stark ab- 
weichende und variable Bahnlage des Japetus herzuleiten (vgl. Nr. 12 ßa). 
Bessels®®) mikrometrische und heliometrische Messungsreihen, die 
er bei noch unzureichenden Beobachtungsmitteln schon 1806 in 
Liliental begann und mit Unterbrechungen am Königsberger Helio- 
meter bis zu seinem Ende fortsetzte, bildeten die Basis für seine 


56) F. Tisserand, Sur excentrieit6 de l’orbite du Vime satellite de Jupiter. 
Paris C. R. 119 (1894), p. 581. 

57) W.S. Adams, The polar compression of Jupiter and the Vth satellite. 
Astr. Tourn. 20 (1899), p. 133. 

58) O. Callandreau, Sur Yanomalie du mouvement du perihelie du Viöme 
satellite de Jupiter. Paris C. R. 130 (1900), p. 17. 

59) VI., VII. und VIII. Trabant des Jupiters. Vgl. Lond. Astr. Soc. Month. 
Not. 67—72 und Observatory 28—31. 

60) F. E. Ross, Elemente des VIl. Satelliten. Astr. Nachr. 174 (1907), p. 359. 

61) A. C. Crommelin, The motion of Jupiter VIII satellite from 1908 to 
1916. Lond. Astr. Soc. Month. Not. 71, (1911) p. 50. 

61a) C. Kobb, Sur un cas d’instabilit& possible. Paris Bull. astr. 18 (1901), 
p. 219. 

62) Laplace, Mec. c@leste, t. IV, lib. 8, chp. 17. 

63) F. W. Bessel 1. 


320 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


fundamentalen theoretischen Untersuchungen über das Saturnsystem. 
Aus den Heliometerbeobachtungen des Titan, die über alle vier Qua- 
dranten seiner Bahn sich erstreekten, in Verbindung mit überlieferten 
Konjunktionsbeobachtungen des 17. und 18. Jahrhunderts, gelang es 
Bessel, die Elemente dieser Bahn'®) so erschöpfend zu bestimmen, 
daß auch die modernen Beobachtungen noch sicher genug durch 
diese Elemente dargestellt werden. Neigung und Knotenlänge der 
Ringebene®*)'”), die bis dahin nur aus Beobachtungen des Verschwin- 
dens und Wiedererscheinens des Ringe bestimmt waren, wurden von 
Bessel aus direkten Heliometermessungen abgeleitet. Die Elongations- 
messungen von Rhea, Titan und Japetus bestätigten die Bestimmung 
der Masse des Saturn, die vorher lediglich aus den Bahnstörungen, 
die Jupiter von Saturn erfährt, hergeleitet worden waren. Ferner er- 
gab die Diskussion der älteren und neueren Beobachtungen des Ver- 
schwindens und Wiedererscheinens der Ringe einen wichtigen Schluß 
mit Bezug auf die Dieke der Ringe. Daß Bessel eine erschöpfende 
Bearbeitung des Saturnsystems vor Augen gehabt, etwa wie es 
Laplace beim Jupitersystem getan hat, geht einmal aus den leider 
unvollendet gebliebenen Untersuchungen über das Saturnsystem her- 
vor®), dann aber auch aus den Relativmessungen der einzelnen 
Satelliten untereinander. Diese Beobachtungsmethode, die in der 
Folgezeit große Bedeutung gewonnen hat, ergab für die Ermittlung 
der Bahnelemente der anderen Satelliten, wenn sie so mit Titan durch 
Relativmessungen verbunden wurden, einen gleichen Grad der Genauig- 
keit wie bei diesem. — Die Beobachtungen von Lassell, Marth, Bond, 
Jacob, Meyer®®), A. Hall*")‘®)‘®) und andern ergaben für die weitere 
Erschließung der Bewegungen im Saturnsystem wichtiges Beobach- 
tungsmaterial. Jedoch sind es erst die langjährig fortgesetzten syste- 
matischen Mikrometermessungen der Satelliten untereinander sowie 
auch mit Bezug auf das Planetenzentrum, wie sie H. Struve'®) ') 1?) 9) 


64) F. W. Bessel, Über die Neigung der Ebene des Saturnringes. Berl. 
astr. Jahrb. für 1829, p. 175 = Abh. I, p. 319. 

65) F. W. Bessel IV. Vgl. dazu auch Schumacher (Herausgeber der Astr. 
Nachr.), Literatur in den Astr. Nachr. bis Band 60 auf p. 194, und Houzcau 
Lancaster, Bibliogr. astr. II, p. 1440—1740. 

66) W. Meyer, Geneve. 

67) A. Hall, The six inner satellites of Saturn. Wash. obs. 1883, App. 1 
(1886). 

68) A. Hall, The orbit of Japetus. Wash. obs. 1882, App. 1 (1885). 

69) A. Hall, Determination of the orbit of Titan. Yale Univers. Obs. 1889. 

70) H. Struve, Bestimmung der lülemente der Saturntrabanten. Astr. 
Nachr. 111 (1895), p. 1 u. 17. 


6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise. 821 


mit dem 15- und später mit dem 30-zölligen Refraktor zu Pulkova 
ausführte, durch deren Diskussion Struve unsere Kenntnis des Systems 
wesentlich vertiefte. Diesen Untersuchungen geht: Newcombs'*) wich- 
tige Arbeit über das System Hyperion-Titan voraus, deren Resultate 
erst durch A. Halls Beobachtungsreihen mit dem 26-zölligen Re- 
fraktor zu Washington möglich gemacht wurden, und an die sich 
Hill”) und O. Stone”*) anschließen. 

5. Die Auffindung der Satelliten von Uranus, Neptun und Mars. 
W. Herschel entdeckte die beiden äußeren Uranussatelliten Titania und 
Oberon im Jahre 1787. 1851—52 fanden Lassell und Marth die zwei 
innern Ariel und Umbriel auf Lassells Sternwarte auf Malta. Die 
wichtigste Eigenschaft der Bahnen dieser Satelliten ist ihre Neigung 
von gegen 98° zur Ekliptik. — Neptuns Satellit wurde gleichfalls 
von Lassell entdeckt, 1846; O. Struve, W. Bond und Newcomb”) 
haben die Elemente der Bahn bestimmt. Die von Marth zuerst be- 
merkte Veränderung der Bahnlage des Satelliten wurde von Tisserand 
als die Störung erkannt, welche die Abplattung des Planeten auf den 
Satelliten ausübt. — Die Monde des Mars wurden 1877 von A. Hall 
in Washington entdeckt. Auffallend ist die schnelle Umlaufszeit des 
innern Satelliten Phobos, die etwa nur ein Drittel der Rotations- 
dauer des Planeten selbst ist, sowie die nahe Koinzidenz der Ebenen 
beider Satellitenbahnen mit der Äquatorealebene des Mars. 

6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise. 
Um die Theorie der Satellitenstörungen in allgemeiner Form darzu- 
stellen, wird das Saturnsystem als der allgemeine Fall aufgefaßt. 
Darnach kann der Hauptplanet als ein konzentrisch geschichtetes 
Rotationsellipsoid angesehen werden, das von einem Ring enggeschich- 
teter Massenpartikel umkreist wird, die sich alle nahezu in der- 
selben Ebene bewegen. Diese Ringebene fällt nahezu mit der Äquator- 
ebene des Planeten zusammen. Die Massen des Planeten, der Ringe 


71) H. Struve, Beobachtungen der Saturntrabanten am 15” Refr. Poul- 
kova obs. Suppl. 1 (1888). 

72) H. Struve, Beobachtungen am 30” Refraktor. Poulkova obs. (2) XI 
(1898). Vgl. auch Astr. Nach. 123 (1889), p 251 und 162 (1903) p. 325. 

73) H.St#uve, Beobachtungen des Saturntrabanten Titan. Berlin Ber. 1908. 

74) 8. Newcomb, On the motion of Hyperion, a new case in the celestial 
mechanic. Wash. Astr. Pap. 3 (1884). 

75) G. W. Hill, On the motion of Hyperion and the mass of Titan. Astr. 
Journ. 8 (1888), p. 57. 

76) O. Stone, On the motion of Hyperion. Annals of Mathematics 3 
(1837), p. 161, u. 4, (1888) p. 53. ; 

77) Houzeau et Lancaster: Bibliographie astr. II, 1470—1740. 


822 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


und einzelnen Satelliten seien mit m,, mr, m; bezeichnet. Der Koordi- 
natenanfang liege im Schwerpunkt von m,, und die positiven Achsen 
der &,y,2 weisen resp. nach dem Frühlingspunkt, Sommersolstitium 
und Nordpol der Ekliptik zur Zeit t. Die Bahnebene des Satelliten 
m; ist zur xy-Ebene unter dem Winkel ;, geneigt, die Länge des 
aufsteigenden Knotens sei »;; für Äquator und Ringe seien die ent- 
sprechenden Größen i4,04,ir,r. Mit Bezug auf die Äquatorealebene 
seien diese Größen resp. mit y; und #, und mit bezug auf die Bahn 
des störenden Körpers m; mit y;, und #;, bezeichnet. Die Keplersche 
Bewegung des Satelliten erleidet Störungen folgender Art: 


1. Störungen, die von der ellipsoidischen Gestalt des Haupt- 
planeten, 


2. Störungen, die von den Ringen, 


3. Störungen, die von den gegenseitigen Anziehungen der Se- 
telliten, 


4. Störungen, die von der Sonne 


herrühren. Diese Störungskräfte machen sich bemerkbar in zweierlei 
Hinsicht: 


(1) Die Bahnebenen ändern ihre Lagen im Raume, und 


(2) die Form der Bahnkurve und die Bewegung in derselben er- 
leiden Veränderungen. 


Die Diskussion von (1) bedingt als notwendiges Vorstudium die 
Untersuchung der rotierenden Bewegung des Hauptplaneten, insofern 
als die Lage und Neigung seiner Äquatorealebene mit in die Lösung 
eines Systems von simultanen Differentialgleichungen eingeht. Aus 
einer erschöpfenden Diskussion von (1) und (2) ergeben sich durch 
Vergleich mit den Beobachtungen Masse und Gestaltbestimmung des 
Hauptplaneten, der Ringe und ihrer Lagen im Raum sowie die sieben 
Elemente jedes einzelnen Satelliten. 


7. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungs- 
achse des Hauptplaneten. Die Poissonsschen Differentialgleichungen 
sind: 


08 di 
(1) sin 4 Ba ig 2 


4A 
0 A 0. 


J 024 
C,p,sini,on, 





Die hier auftretende Größe 2, setzt sich zusammen aus den Bei- 
trägen, welche die Sonne, die Satelliten und die Ringe liefern: 


2u= er Zm; V;. Die Potentiale V; werden je nach den speziellen 


Annahmen durch einen der drei folgenden Ausdrücke gegeben: 


8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der Ringe. 823 


(ay_" sfsalteyi Te), 
@) VE sr foa(eyfie) ” 











3/0. er v1 e) 
(2): Franz | 
m 3e:/ö da® ; 3e* fd da’ =... 
@r=rl1- 3:5r: fd da° %r 5:7rtSöda° ur | 


m 3e?a? 3eta* 
&r=*l1- eV ae ar SE Fr ur) 
wobei (a) das Potential eines aus elliptischen Schichten bestehenden 
Rotationsellipsoides, 
(b) das Potential für den Fall, daß alle Schichten ähnlich sind, 
(e) das Potential eines homogenen Rotationsellipsoides ist. 


Hierbei bezeichnen Ö die Dichte, a die halbe große Achse der 
elliptischen Schichten, und die y, sind Kugelfunktionen einer Veränder- 
lichen. Bei der Kleinheit von e und a/r sind diese Reihen äußerst 
konvergent, so daß ein Mitnehmen des y‚-Gliedes nur bei den inner- 
sten Satelliten nötig ist. Durch Wahl des Äquators als Bezugsebene 
und Einführung von y und des Arguments der Breite, « — T, in die 
y-Funktionen (vgl. VI213 $30 und 14 $ 20) wird: 





(3) Uu=—ihlr — sin? y,[1 — cos2 (u, = Pit „sin“ YR 


+ Se sin?y,[1 — cos2(u, — rn)]} 

k _ Sddlareyi1 — ei) 

41 Seal Vie) 
so werden die Differentialgleichungen (1): 

an, Hy 4 IRBABN? /NHEPt VERREB Pi 


(4) ae Kay TE REN Fe Try 


Setzt man , = 2kı _1J8d(ae’ Vie‘) 


en C,;, 2 fdlayi—e) 


wo — Ru —= R, gesetzt ist. 


8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungs- 
achse der Ringe.) Nach Analogie mit (4) sind diese Gleichungen: 
di, ah, OB, en 3hzöRz 

(5) — = I— SDR = — - —— 
dt 8 p,sin i,0n, dt 8 Ppbir 
die Rr-Funktion ist genau wie die R,-Funktion gebaut, hier ist Ar — 1. 





78) Vgl. 65) $ 3, dann 72) sowie Tisserand: Sur le deplacement du plan 
de Japetus. Ann. Toulouse II (1886), ferner: Mouvement des apsides des satel- 
lites de Saturne, ebenda, und Un cas remarquable du probleme des pertur- 
bations. Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 425 u. 504. 


824 VI2,16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


9. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines Satelliten.) 





(ae mtmatee, _ 08 
dt? +1 - Em = ER ER 0x 
Ö In gun tntnn en 
die gmtrmitm OR 
dt? g" 02 
rqı Ex, ‚rt yy,r268, 
R=V,+ Vrtm| RT Kreee EN | 


Ex, a yy,+ 22, 
+ > m; n ET 
pPVi A; r; 


Statt der Differentialgl. in x,y und z werden allgemein die in 
den Bahnelementen bei der Satellitentheorie benutzt. Dieselben sind: 




















RE ns ER 2. 
dt yalıe Ei 
di 1 öR ‚ofoR , eR 
di” 0 ya 1—e) Fr von +tgi/2 (Fi +38) 
da —-OR 
2 V07E 
de _ Ne öR vi- 132 
(7) dt . eya De ie vie |58 
dw _Vıe öR , tgi2 OR 
dt eya de | Yaıcen di 
dE_ “IR ne | realer 
tg er öR 
\ er 1—e) ei 
\ m;ky Be 
(8) R—— "441 Ssin’yall—cos2(w— Tu] 


4 a 1 — E sin’pr|1 — 0052 (u — Be 


1 m el Bi ] 22, + yy; +22, 


10. Die TE ER ER % E TE in bekannter 
Weise nach säkularen, langperiodischen und kurzperiodischen Gliedern 
entwickelt. Im Jupiter- und Saturnsystem treten zu den säkularen und 
langperiodischen Gliedern noch Librationsglieder. Dieses kann unter 
Umständen die Entwicklung von R bis zum Quadrat der störenden 





79) F. Tisserand, Mee. cel. IV, p. 9, 


11. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten und Neigungen. 325 


Massen notwendig machen. Im allgemeinen sind die Bahnen der 
inneren Satelliten sehr wenig zur Äquatorialebene des Planeten ge- 
neigt, während die der äußeren beträchtliche Neigungen aufweisen. 
R wird deshalb für beide Fälle verschieden entwickelt werden. Die 
Sonne, der einzige störende Körper von außerhalb, der zu berück- 
siehtigen ist, bewegt sich in einer scheinbaren Bahn, die bei Jupiter 
zur Äquatorealebene geringe, bei Mars, Saturn, Uranus und Neptun 
größere Neigung aufweist. 


ll. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten und Neigungen. 
Um in den Reihenentwicklungen für R,, Rz und Rs die säkularen 
'Glieder abzusondern, denkt man sich R nach den mittleren Anoma- 
lien des störenden und gestörten Körpers entwickelt. Durch doppeltes 
Mittelbilden in bezug auf diese Variablen werden die säkularen Glieder 
erhalten. Es genügt, bis zu den Quadraten der Entwicklungsparameter 
vorzugehen. Dann enthält R die Variable E nicht mehr und ® nur 
in den quadratischen Gliedern. Vernachlässigt man diese, die auch in 


% quadratisch auftreten, so trennen sich die Gleichungen für B: 


und = gänzlich von den übrigen säkularen Gleichungen. Für ein 


System von » Satelliten bestehen dann 2» simultane Differentialglei- 
chungen, zu denen noch vier weitere Differentialgleichungen für die 
säkularen Änderungen der Äquatoreal- und Ringebenen treten. Die 
Störungsfunktion nimmt dann die folgende Gestalt an: 


(8a) R= — (, sin „u — GC, sin? y, — DC; sin? y,, 
wo die Ü-Größen von den Massen der störenden Körper und den 
Elementen des gestörten und störenden Körpers abhängen. 


Die 2» + 4 Differentialgleichungen sind dann: 
[ dn 





0 0 . 
Ba I DK; sin Yyı; COS Yı; COS Yr; 
di, : 
Er = > Kr; sın Yi; C08S Yı; SIn Y,; 
dn x 
ae R n & h 
ini = DiKu; sin Yaj COS Yaz COS Yas 
(9) i di, j 
dt >Z DK, sin Ya; COS Yaj sin Va x 
an 
ie R Y ® 
SID An tar >’ Kr; SIN Yrj COS Yrj COS. Yrj 
di . 
R ” . . 
2 m DiKr, sin Yrj COS Yrj Sin Yrj, 


Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 54 


826 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


hier ist %,; der Bogen der gestörten Bahn, der zwischen Ekliptik und 
störender Bahn liegt. 

Beim Saturnsystem werden später Ring- und Äquatorebene als 
zusammenfallend angenommen werden, so daß sich bei allen Planeten 
die Säkularstörungen durch ein System von 2n + 2 simultanen Dif- 
ferentialgleichungen bestimmen. Wenn die Elemente und Massen be- 
kannt sind, werden durch Gleichungen (9) die Geschwindigkeiten der 
Pole der Satellitenbahnen für jede Zeit t gegeben, für welche die 
Elemente bekannt sind. — Durch die Integration der Gleichungen 
gelangen wir andererseits zur Kenntnis der Verbindungen, die zwi- 
schen den Satelliten in säkularer Hinsicht statthaben. Es ist hierzu 
vorteilhaft, neue Variablen, wie folgt, einzuführen: 


T; = sın %; cos N, 


(10) y,= sin i,sinn, 
2, = 008 i, 
und 
(11) C0oS Y;, = 2,%, + YyY%t 2,0 = Sr 


Hierbei bezieht sich der Index j auf sämtliche Mitglieder des 
Systems inklusive der Sonne. Die Gleichungen nehmen die folgende 


Gestalt an: 
dx A 


a — |Kusbasza+ Kan baren + IK, 833) Ya 
— [Krabra zul yr — (Ku 6,24ly — IKaı Sa alı — [I ..- 
21 TE — — [Knstnaenlya+ [Knukasent Knataaca+ I 1Yo 
— [En taszal 9 — [Kr rail yı > 
ER 





und ähnliche Gleichungen in den y. 

In die Klammerausdrücke rechts gehen nur die z- und £-Koor- 
dinaten ein. 

Wenn x, y und z bekannt sind, bestimmen diese Gleichungen 
sämtliche Variablen. Die Klammergrößen von (12) werden Konstante 
und die Gleichungen damit linear und integrierbar, wenn die Kosinus 
sämtlicher Neigungen, d. h. alle z und £, als unveränderlich ange- 
nommen werden. Bessel?‘) zeigt, wie dann die Integrale von (12) 
erhalten werden, bei der einen oder anderen der folgenden Annahmen 


über x und y: (2) u — Ih sin [it + H] 
= Dh cos[it + H] 


12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 827 


oder (b) u —=ht 
yht 
Soweit bekannt, haben die allgemeinen Untersuchungen Bessels, 
die bis zu diesem Punkt von ihm gebracht sind, keine Fortsetzung 
gefunden. Die Anwendungen auf die speziellen Systeme sind für Ju- 
piter schon vor Bessel durch Laplace gegeben worden. Weiterführungen 
hierfür sind von Sowillart gegeben. Im Saturnsystem sind für Japetus 
durch Laplace, für die anderen Saturntrabanten teils durch Bessel, 
teils vor allen durch A. Struve die speziellen Untersuchungen geführt 
worden. 


12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 
«) Das Jupitersystem. Die vier Galileischen Satelliten. Da die Pole 
der inneren Satellitenbahnen und auch der der festen Ekliptik 
nahezu in der Tangentialebene des Poles des Äquators liegen, so 
können die x und y als ebene Polarkoordinaten dieser Pole mit Be- 
zug auf einen Punkt Q angesehen werden. Nimmt man die vier Gali- 
leischen Satelliten zusammen, so stellt sich ein System von zehn 
Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten zur Lösung, das 
von Laplace bereits annähernd aufgelöst worden ist. Souillart hat 
unter Benutzung der genaueren Stockwellschen®®) Werte der säkularen 
Störungen der Planeten die auf der rechten Seite auftretenden Stö- 
rungsglieder berücksichtigt. Die Integrale werden dann in bekannter 
Weise erhalten. Die Differentialgleichungen sind, wie folgt: 
dx 
u. — Au Yı + AeYya + Qısys + arıyı + maya = — Kı: Yı 


dy n 
1 
da + MuRı — A028 — A150 — au — HıRXı = + Kuss 


dx, 


(13)!at AsYı + Qusya + asys + Quya + Hay = — Kısyı 
dy, 
u. + au — Age — Aslz — Aus — yarı = + Kst, 
dx, i 
4 MaıYı 4 Rraya + Qssys + Qssyı + asuıyı = — Ku 
dy, 





ar + Asıkı — Asz2d2 — Asslg — Asadı —— As sata = + Kuss 


und bei Vernachlässigung der rechten Seiten werden die allgemeinen 
Integrale: 


80) Stockwell, Secular variations of the elements of the 8 planets. Smithson. 
Contrib. to Knowledge 17 (1873). 
54* 


828 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


% = Nhı 608 (bit + G) + Nas cos (bet + 3) + Nis cos (b3t + 65) 
+ Ny4 eos (bit + a) + Naa cos (bit + ca) : 

(14) y, = Na: sin (bit + ©) + Nas sin (bet + ©) + Ni5 sin (dat + c5) 
+ Na sin (bt + a) + Niasin (bit + ca) 

\ i=1,2,3,4 4, 


wo die d, die Wurzeln der Fundamentalgleichung 5. Grades sind; die 
C1, Ca, C3, C4, CA und Nı1, Nis, Nıis, N, Nıa sind die zehn willkürlichen 
Konstanten. Bei Berücksichtigung der störenden Glieder treten rechts 


Fouriersche Reihen von der Form on Ss in 


cos 
mation sich auf alle störenden Planeten bezieht. Nimmt man nun 
die zehn Größen N,; sinc; und N,;cosc, als Funktionen von t 
an, so ergeben sich z. B. für den I. Satelliten nach der Integration 
Zusatzglieder von der Form: 


= Ds(, 4, andonjgie 4.) 608 (st — 0) 
are ee 
Is +, +. Br sin (st — 6) 


zu =) cos 6, 


Souillarts numerische Berechnungen haben ergeben, daß die 
Zusatzglieder für den III. und IV. Satelliten eben merklich wer- 
den, während sie für die anderen ganz unmerklich bleiben. — Geht 
man zur Darstellung der Breiten der Satelliten über der augenblick- 
lichen Jupiterbahn über, so setzen sich diese entsprechend dem Vorher- 
gehenden aus vier resp. fünf Sinusgliedern zusammen; der Koeffizient 
des von der Abplattung herrührenden Gliedes ist dabei weitaus der 
bedeutendste. Dieses Glied charakterisiert bei jedem der Satelliten die 
„Laplacesche feste Ebene“, die durch den gemeinsamen Durchschnitt 
der Äquator- und Jupiterbahnebene hindurchgeht. Die Neigungen 
dieser festen Ebenen zur Äquatorebene sind resp. 10”, 67”, 4, 38” und 
24° 12”, und die augenblicklichen Satellitenebenen entfernen sich 
periodisch nur wenig von diesen festen Ebenen. 





(st — 6) auf, wo die Sum- 


(1 Alla 





ß) Das Saturnsystem. a) Japetus. Schon Laplace hat die be- 
trächtliche Bahnneigung des Japetus und die Bewegung seiner Kno- 
ten auf der Bahnebene auf den störenden Einfluß der Sonne zurück- 
geführt. Die beträchtliche Neigung der störenden Bahnen zur ge- 


12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 829 


störten macht es erwünscht, auf die ursprüngliche Form der Diffe- 
rentialgleichungen zurückzugreifen: 
sin i = — — K,sin y, cos y, cos y, — K’ sin ya 608 ya C08 Ya 
ai _ 
dt 
Hier st X=K, + IE, wo in K, die Wirkungen der Abplat- 
tung und der Ringe vereinigt gedacht sind. Die Integration dieser 
Gleichungen geschieht unter der Annahme, daß Äquator- und Planeten- 
ebene einen konstanten Winkel A miteinander bilden. Durch die Ein- 
führung der Laplaceschen „festen“ Ebene läßt sich die Integration in 
geschlossener Form vermittels elliptischer Funktionen ausführen. Die 
feste Ebene geht durch die Schnittlinie der Äquator- und Planeten- 
ebenen; ihre Neigung zu der ersteren ist gegeben durch: 
K,sin 2 A 
K+K,co24 
Bezeichnet man mit A, F und $ die Pole der drei Ebenen auf der 
Einheitskugel, so geht der Pol J der Japetusbahn in einer sphäri- 
schen Ellipse um F’ derart, daß F' den Ellipsenmittelpunkt bildet. 
Tisserand”®) hat diese Bewegung näher diskutiert. Die Dauer der 
Öszillation von J um F’ ist um so größer, je kleiner X, und X’ sind. 
Aus einer Diskussion von älteren und neueren Beobachtungen, die 


etwa 100 Jahre voneinander getrennt sind, bestimmte AH. Struve 
= — 0,750 und die Periode zu etwa 3300 Jahren. 

b) Titan und Rhea. Bessel"?) hat die Bahn Titans einer muster- 
gültigen Untersuchung unterzogen, sodaß sein Elementensystem noch 
jetzt die modernen Beobachtungen gut darstellt. Allein bei der Be- 
stimmung von Neigung und Knotenlänge sind H. Struves'!)'?) 12) 
neuere Untersuchungen als eine wesentliche Verbesserung aufzufassen. 
Bessel begnügte sich, den Einfluß von Abplattung und Ringen ge- 
nähert anzusetzen, indem er die Bewegung in » als Bruchteil der 
durch die Sonne verursachten Bewegung des Knotens auf der Saturn- 
bahn voraussetzte. Als eine Folge davon ergab sich eine äußerst ge- 
ringe Veränderung der Bahnneigung, die auf lange Zeiträume hin 
unmerklich geblieben wäre. An Stelle dessen zeigen die neueren Be- 
obachtungen mit Evidenz ein allmähliches Anwachsen der Neigung, 
‘welches durch die kombinierte Wirkung der Störungen von Sonne, 
Abplattung und Ringen und Japetus erklärt wird. Rheas Bahnlage 
wird in ganz ähnlicher Weise wie die von Titan beeinflußt, nur daß 


(16) 


— K,sin y, cos y, sin d, — K’ sin yı C08 ya sin Ya. 


..tang 2, = 


8330 VIa, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


der schon bei Titan geringe Einfluß von Japetus ganz vernachlässigt 
werden kann. Streng genommen ergibt sich für die beiden Satelliten 
das folgende System simultaner Differentialgleichungen: 





dx, = 
ae. ven Brur-Yr + KrsYs + Kr,Yıy + DIKr,y; 
d a 
= = + Prur:&r — KrsAs — Kor Xı— DKr; T 
(17) d 
TR 
er Prur:Yr+ KrsYs+ Krr Yı + Kr 
d 
ar —= + Prur £r— KrsXÄs— Krs: X, — IKr2; 
wo Bıur — Aja + SK,; und 
3 —=sini-(m—Nı) Xs= — sin ys cos Ys sin vs 
yaı-dlı Ys = — sin ps 608 Ys C08 Yys 
(18) X, = — sin p C08 Y sin Y, 
Y, = — sin 9, 08 7 608 %;. 








\ 


Sowohl für die Sonne wie für Japetus werden die XY-Größen 
durch Reihen von der Form gegeben: 


e X Da (sin b; 2 2,004 hit) 
Y= Da (cos b, — hit) 


gegeben. Statt die Gleichungen simultan zu integrieren, genügt es, 
die zwei Gleichungen für jeden Satelliten separat zu behandeln. Bei 
genügend eingeschränkter Zeit können auch die XsYs und X,Y, als 
konstant angesetzt werden. Es ergibt sich so: 


Ki 5 
Ir = cr sın (br TB) Prurt) - Di) Xrs + ar f X, 
Prür Prur 


Korr 
(19) Prür FERN, Prur “ z 
Yr = Cr ©08 (br — Brurt) + we 2. BI: Y, 
Krrtr ; 
Prur sog PruRr : 


hier ist der Einfluß von Rhea ganz vernachlässigt worden. Bei 
Rhea kann von Japetus ganz abgesehen werden, während Titan in- 
folge seiner Masse und größeren Nähe berücksichtigt ist. Man er- 
hält so: 


12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 831 
Krs K 








RER sin (dk — Brurt) - Prks us Kot Pr&, ne "Brkr Xsk 
K 
RER Cr sin (br — Prurt) 
(20) PruR— Prür 
Krs kr K 
Yr = Cr 608 (br — Brurt) + Pzur Ysr+ Denn Bro Ysr 
K 
PruRr Eu 0 ERBE (basze Prur Ö 


c) Das System Hwyperion-Titan. Bei Hyperions Bahn, die in 
größter Nähe von Titans Bahn ist, tritt zu den säkularen Wirkungen 
der Abplattung, der Sonne und des Titan noch das Librationsglied 
des Titan. Die Störungsfunktion, insofern nur die Störungen der 
Bahnebene in Betracht kommen, ist: 

aR=4y?[P,+ Pıe eosV” + P,e c0s2V +---), 

wo V = 4ly — 3lr— ©z und die Zahlen P von den Entwicklungs- 
koeffizienten B abhängen; y ist die Neigung der Bahn des Hyperion 
zu der des Titan. Für die Säkularänderungen setzt man V = 180, 
e = const., und es wird: aR= — 1p?-P,wP=P,—P,e+P,e® + 
Die höheren Koeffizienten sind sehr kompliziert, und die Konvergenz 
der Reihe tritt erst in den höheren Gliedern ein und ist sehr lang- 
sam. Es ist daher besser, wie es H. Struve tut, P aus den Beobach- 
tungen zu bestimmen. Setzt man wie früher: 





(ei) [mr a A Fee Nr) ir = n re 
Yaz=lı Ir Yr=UuUU 
so wird 
Es. EURE. Fer: (Kurt Kys)ya + + (KasYas — Krs Yrs) 
(22) { du + (Kra— Ky4)Yyr 
—._—+ (Kur + Kurs)ea Serge (Kas Xus — Krs Xrs) 
\ + (Kra er Kyı) Xr; 











hierbei ist Kra = Mr Buck hi 
Vi-e; ? 
Die Gleichungen ergeben integriert: 
—K 
ya =. 18x. 
a In + 1 Sin — hr) 
(23) ı x 
Ya = Cu C08 (by oa: hzt) u a Ysr 
hy 
+ Kur Ka) + ni ar GO (ir — hr}. 
hr 





832 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


d) Dione, Tethys, Enceladus und Mimas. Der Einfluß von Titan, 
der bei Rhea Ungleichheiten von 2’ bis 4’ in x und y hervorbringt, 
geht bei Dione schon auf 0,3° bis 0,4’ herab. Ungefähr von derselben 
Ordnung sind die säkularen Ungleichheiten, welche Tethys in der Bahn- 
ebene von Dione verursacht. Das von der Sonne abhängige Glied 
wird bei diesen vier Satelliten ganz unmerklich. Sofern demnach nur 
die säkularen Störungen in Frage kommen, kann man für die vier 
Satelliten schreiben: 

(24) ak (b — But) 

y= c.cos(b — But). 
Auf die Librationsglieder, die in jedem der Systeme ähnlich wie bei 
Hyperion-Titan auftreten, braucht bei den Störungen der Bahnebene 
nicht Rücksicht genommen zu werden, weil ihre Beträge unterhalb 
der Beobachtungsfehler verbleiben. 


e) Phöbe und Themis. Die Bahnen von Themis und Phöbe sind 
noch zu kurze Zeit bekannt, als daß die Eigentümlichkeiten der Be- 
wegung dieser Satelliten genügend überblickt werden könnten. Es 
scheint, daß sich 'Themis®?)°*) in großer Nähe von Titan und Hyperion 
bewegt bei einer Bahnneigung von etwa 40° zur Ekliptik. Titans 
Einfluß auf die Bahnlage von Themis wird fraglos bedeutend sein, 
doch fehlen noch Angaben, die sich auf gesicherte Beobachtungen 
stützen. Phöbes®!)®?)%)®) Bahnneigung zur Ekliptik ist gleichfalls 
bedeutend, bei der überaus großen Entfernung dieses Trabanten von 
Saturn wird die Sonnenstörung die Bahnlage noch viel stärker beein- 
flussen, als es bei Japetus der Fall ist. In der Tat bringt die Sonne 
nach den Berechnungen von Roß eine jährliche Knotenbewegung von 
0,431° und eine Neigungsänderung von 0,02° zustande Roß hat die 
Bahnstörungen nach Delaunays Methode ausgeführt. 


y) Die Satelliten des Mars, Uranus und Neptun. Für die Bahn- 
lagen der Satelliten dieser Systeme gelten Gleichungen (16) Während 


81) W. H. Pickering, The IX" satellite of Saturn, Harvard obs. ann. 53 
(1904), Nr. 3. 


82) W. H. Pickering, An investigation of the Xt* satellite of Saturn, Har- 
vard obs. ann. 61 (1908), p. 86. 


83) W. H. Pickering, Phoebe, the IX!" satellite, Harvard obs. ann. 53 (1904), 
Nr. 5 \ 


84) W. H. Pickering, The XI! and X" satellite of Saturn, Harvard obs. 
ann. 53 (1905), Nr. 9, p. 173. 


85) F. E. Roß, Investigations on the orbit of Phoebe, Harvard obs. ann. 53 
(1905), Nr. 6, p. 101. 


86) A. Hall, The orbits of the satellites of Mars, Wash. obs. for 1875 (1878). 


12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme 833 


bei den Marssatelliten ®)®”) die Knotenbewegung infolge der Sonnen- 
attraktion noch 0,1° resp. 0,2° beträgt, kann sie beim Uranus- und 
Neptunsystem ganz vernachlässigt werden. Die Pole der Laplaceschen 
festen Ebenen liegen beim Marssystem nahe dem Pol des Planeten- 
äquators — für Phobos in einem Abstand von weniger als 1’, bei 
Deimos etwa 1° —, und um diese Pole bewegen sich die Pole der 
Satellitenbahnen mit nahezu uniformer Geschwindigkeit. Marth®®), 
J. C. Adams®?), Tisserand®°) und Struve®')”?) haben diese Bewegungen 
unter verschiedenen Annahmen über die Marsabplattung diskutiert. 

Die Knotenbewegungen für die beiden innern Uranmustraban- 
ten 93) 94) 95) 96,97) können vor der Hand nur aus den noch sehr ungenau 
bestimmten Bewegungen des Periuraniums ermittelt werden. Für die 
beiden äußeren Trabanten fehlen noch alle Angaben. 

Die von Marth®®) zuerst wahrgenommene Bewegung des Kno- 
tens des Neptuntrabanten auf der Bahnebene des Planeten wurde 
von Tisserand””) und Newcomb') zu einer Bestimmung der Lage des 
Planetenäquators benutzt. H. Struve!"") hat aus fortlaufenden Beobach- 
tungsreihen am 30-zölligen Pulkovaer Refraktor die Dauer der Periode 
zu 1734 sin y Jahren berechnet, wobei » noch nicht bestimmt ist. 


87) Harshman, The orbit of Deimos, Astr. Journ. 14 (1894), p. 144. 

88) A. Marth, On the satellites of Mars, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 369. 

89) J. C. Adams, On the elliptieity of Mars and its effeet on the motion 
of the satellite, Lond. Astr. Soc. Month. Not. 40 (1879), p. 10 = Scient. pap. I, 
p- 275. 

90) F. Tisserand, Sur les satellites de Mars, Paris C. R. 84 (1879), p. 961. 

91) H. Struve, Bestimmung der Abplattung und des Äquators des Mars, 
Astr. Nachr. 138 (1895), p. 217. 

92) H. Struve, Über die Lage der Marsachse und die Konstanten im Mars- 
system, Berl. Ber. 1911, p. 1056. 

93) $S. Newcomb, The Uranian and Neptunian systems, Wash. obs. 1873, 
App. 1 (1875). 

94) O. Bergstrand, Über die Bahn des ersten Uranussatelliten, Upsala Nova 
Acta 20 (1904). 

95) O. Bergsirand, Sur le mouvement du 2idme satellite d’Uranus, Arkiv 
for Matem. 6 (1909), p. 6. 

96) O. Bergstrand, Sur la figure et la masse d’Uranus, Paris C. R. 149 
(1909), p. 333. 

97) A. Hall, The orbits of Oberon and Titania, Wash. obs. 1885, App. 1. 

98) A. Marth, Ephemeris of the satellite of Neptune, Lond. Astr. Soe. 
Month. Not. 46 (1886), p. 504. 

99) Tisserand, L’applatissement de Neptune, Paris C. R. 107 (1908), p. 804. 

100) $.Newcomb, Note on the satellite of Neptun, Astr. Journ. 8 (1888), p. 143. 

101) H. Struve, Beobachtungen des Neptuntrabanten am 30” gig 
St. Pet. m&m. 42 (1894), Nr. 4. 


334 VIs,16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


13. Die säkularen und langperiodischen Ungleichheiten der 
Exzentrizitäten, der Längen, der Perizentren und der mittleren 
Längen. «) Das Jupitersystem. a) Die vier Galileischen Satelliten. Die 
säkularen Ungleichheiten in den Exzentrizitäten und Perijovien müssen 
mit den langperiodischen Gliedern vereinigt werden, die infolge der 
nahen Kommensurabilitäten der drei innern Satelliten bedeutende Be- 
träge annehmen. Souillart hat Laplaces Untersuchungen wesentlich 
hier ausgedehnt, indem er zu den Gliedern von den Argumenten 
21,—l, — ©, die Zusatzglieder von den Argumenten 4,— 21, — 29, 
41, — 21, — 9, — 9, und 4, — 21, — 29, und entsprechende für 
den zweiten und dritten Trabanten hinzufügte. Die Differentialglei- 
chungen für die LDagrangeschen Koordinaten h,=e,sin®, und 
k,= e, c08s ©, haben die Form: 


dh 
Pe — Ok + Cishe + Gy + Cukı 


—= — Im,uFcosuw + «,,(k, cos 2u + h, sin 2u) 
— ßis(k, cos 2u + h, sin 2u) 


dk 2 
det rd — Oral — Ghz — Cuhy 


= + 4m,uF sinu + «,(h, cos 2u — k, sin 2u) 
— ßs(h, cos 2u — k, sin 24) 

dh, | 

ey + Ok — Coohg + Oggy + Cyuhy 

= — u, (m, @— m; F’) cosu + (&, + &,)(k, cos 2u + h, sin 2u) 

— By, (k, cos 2u + h, sin 24) — Ps (k, cos 2u + h, sin 2u) 


dk 
3 — Cy1 h, 52 Cahy TER: Cozhz NER PUR 


29) m tu, (m, @ — m; F’) sinu + (a, + @,)(h, cos 2u — k, sin 2u) 
— By, (h, cos 2u — k, sin 24) — By,(h, cos 2u — k, sin 2u) 
dh, 


dt + Gsıkı 4 Opahe — Ghz + Och, 
—= 4 m,u, @ cosu + &,(k, cos 24 + h, sin 24) 
— ß,,(k, cos 2u + h, sin 2u) 


dk 
de sl — ya 4 gs — Cyıhy 


= — 4m,u, @’ sinu + a,,(h, cos 2u — k, sin 2u) 
— By, (h, eos 2u — k, sin 2u) 
dh, 
de + Cakı + Che + Csliz — Cuk, — 0 


dk 
ar ah — al — op + cu 0, 





ig 12, —l, 2, —L; 


13. Die säkularen u. langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 835 


wegen der Beziehung !, — 3l, + 21, — 180° ist «,, durch u,, aus- 
drückbar, was auf der rechten Seite geschehen ist, wo die Indizes 
unterdrückt sind. 

Die Integration ohne die rechten Glieder führt zu den Integralen: 
h,= DM, sin (9,2 + B;) 


1,2,3,4 


k, uaöi Di M,,; 08 (gt + B}), 


1,2,3,4 





(26) 
| 


wo die g, die Wurzeln der Fundamentalgleichung 4. Grades sind. Von 
den 16 Größen M,, sind vier willkürlich, diese mit ß,, ß,, ßs, P, 
bilden die acht willkürlichen Integrationskonstanten des Systems. 

Berücksichtigt man zunächst rechts in (25) nur die Glieder vom 
einfachen Argument %,, und “,, so ergeben sich die allgemeinen 
Integrale, wobei noch «,, nicht durch ,, ausgedrückt ist: 


(a — 4 alt _ sin u, + I’Mu sin (gt + 8) 




















2, —2. + 
_1_ muf, 
=; gu a 008 My + D'Mı; cos (git + ß}) 
1 m, u, @ ü 1 mM, U, F' ; 
h == — 112 77 ra 72372 u 
2 u — u; 4 62 mt 2 Us — 2; + Cys kai. 
+ I’ Ms; sin (gt + 2) 
1 m, u, @ 1 m, u, F' 
TERROR. ı lg u s ste fs u 
(27)3 5 2 u — 2: 4 09 ET 2 U — 2; + 02 en. 
HI’ Mai cos (nt + 8) 





1 M; U, @ ; \ 
ea Sin ts + I Mia sin (gat + Ba) 


1 _mu®% 
h OWL + N +23M: E- (git 7 ß:) 


h,—= I'M. sin (gt + Bı) 
\k, = IM: cos (gıt E- ß:). 


Neuerdings wies Wilkens'"®) nach, daß man die Gleichungen (25) 
direkt integrieren könne. Durch die Substitution 








h,sinu + k,cosu=e, 
h, cosu — k,sinu = y, 


und mit der Berücksichtigung, daß 





102) A. Wilkens, Über die Integration der Grundgleichungen der Theorie der 
Jupitermonde, Berl. Ber. (1914), p. 552, und: Über die Säkulargleichungen der 
vier helleren Jupitermonde, Astr. Nachr. 201 (1915), p: 35. 


836 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


au _ 
dt 

konstant ist, gehen sie über in ein System von linearen Differential- 
gleichungen mit konstanten Koeffizienten und konstanten rechten Seiten. 
Ein Vergleich der noch nicht abgeschlossenen numerischen Entwick- 
lungen Wilkens’ mit denen Souillarts zeigt eine genügende Überein- 
stimmung. Merklichere Unterschiede finden sich nur beim zweiten 
Monde vor, was seinen Grund haben dürfte in der Kommensurabilität 
seiner Bewegung sowohl zum ersten wie zum dritten Mond. 

Nun sind noch die rechts auftretenden Größen “,, und u,, Stö- 
rungen unterworfen, die von den langperiodischen Gliedern der Stö- 
rungsfunktion abhängen. Für dieselben gelten die Differentialglei- 
chungen: 

a’e, _ 3 Mau? \ 
dr — 2 Mami [F,(k, sin ug, — h, c08 U,,) 


= 5 G, (k, sin Us Rn h, cos Ug,)} 


d 
1 2 — Ar (2% — 21) = 2% — N, — 2, — ng 


d’o, 3 9 ö 
Zi" z Mm bs 1 G, (kg sin Ug, — Ri, COS %,,) 


4- © F,(k, sin u, — h, c08 4, )} 
3 « 
+5 Mau | F3(k, sin U, — hy cos Us) 


+ FL (k, Sin Ugg — Az COS Ug,)} 


(28) 


d? A 
Zr = — 3m,u2 {@,(k, sin u — hy COS Us) 


4 „R (k, SID Ugg — Mg COS Ugs)}- 





Bei Mitnahme der in den Massen linearen Glieder ergibt sich für 
%,, die Ungleichheit: 
sin EA) +: 
wo die Koeffizienten W,®,& linear in den Massen sind. ER für %s5. 
Bei Berücksichtigung dieser Glieder auf der rechten Seite von (25) 
wird die Fundamentalgleichung für g jetzt nicht mehr vom 4. Grade 
sein, sondern infolge des Nenners in (29) nimmt sie einen höheren 
Grad an. Ihre approximative Auflösung ergibt dann ein neues (26) 
entsprechendes System von Gleichungen. Nimmt man nun auf die 
Souillartschen Glieder auf den rechten Seiten von (25) Rücksicht, so 
werden die Gleichungen (27) die Integrale von (25) darstellen, wenn 
man in den Nennern die Größen c durch die Größe « sich vergrößert 
denkt. Die Berücksichtigung entsprechender Glieder in den Glei- 
chungen (28) ist mit keinen weiteren Schwierigkeiten verknüpft. 
Natürlich treten die Werte von h und k auch in die Ausdrücke für 





13. Die säkularen u. langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 837 


die Sonnenstörungen ein und bedingen je 4 Glieder, die dem Evek- 
tionsglied in der Mondtheorie entsprechen. — Die Glieder vom Qua- 
drat der Massen, die bei der Diskussion der Gleichungen in h und k 
vernachlässigt wurden, spielen eine wichtige Rolle in den Differential- 
gleichungen für die mittleren Längen. Setzt man nämlich 

9—=U: —4, und PP?=K : ®+ m 7 m), 


u, 
wo Ku ton te 
u — 2 + u 


so ergibt sich die von Laplace zuerst aufgestellte Differentialgleichung 
der Libration: ; 


(30) d’Y 


dt? 
Aus den Beobachtungen ergibt sich angenähert # = 180° und 
dieses führt mit Hilfe von (30) zu den allgemein gültigen Zaplace- 
schen Relationen: 
(31) 4 — 3 +2, =0 una 
(32) , —3l, + 21, = 180°. 
Dieselben werden, wie Laplace gezeigt hat, auch durch von außen 
eintretende Störungen auf die Dauer nicht in Frage gestellt. Das 
allgemeine Integral von (30) ist: 
(33) 9 —= 180° — D sin (ßt + E). 
Delambres Diskussion der Finsternisse hat ergeben, daß die Ampli- 
tude von &® — 180° verschwindend klein ist, was durch Sampson *) 
bestätigt zu sein scheint, während de Sitters‘') Diskussion 0,158 
ergibt. — Mit Benutzung von (32) werden die aus den Integralen 
von (25) sich ergebenden Störungen der Längen der drei innern 
Satelliten auf die Form gebracht: 
(34) dev = (Dsin (Ut+ ut); d,, = — (U) sin (Ut-+ ust); 

09 = — (ID) sin (Ut + ut — 90%), 

wenn man die Zeit von einer gemeinsamen Konjunktion der beiden 
ersten Satelliten zählt und wenn u‘, w,, u, die mittleren synodischen 
Bewegungen bezeichnen. Es ist 
(34a) U-v — 2, = — 27,. 
Souillarts Werte für I, II und III sind: 1634”, 3860” und 262”, 
während Laplace dafür 1561”, 3737” und 226” gefunden hatte, be- 
deutende Abweichungen, die den Wert der Sowillartschen Theorie be- 
stätigen. Die bekannte Finsternisperiode 7’ = 437,659 Tage ergibt 


sich aus (34a): T= gr 


—= ß? sin ®. 


338 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


b) Die übrigen Satelliten. Beim V. Satelliten sind Knoten- und 
Perijoviumbewegung einander numerisch gleich. Da ein Fall von 
Kommensurabilität hier nicht auftritt, kann man in dem Newcomb- 
Tisserandschen Satz — vgl. $ 128 — m’ gleich Null setzen und erhält: 


(h = esin (b + But) 
\k = ecos (b + But). 


Die Beobachtungen haben die jährliche Bewegung des Perijoviums zu 
916° ergeben, ein Wert, der von dem theoretischen Werte Tisserands °°) °°) 
abweicht. — Die Bahnen des VI. und VII. Satelliten sind noch zu 
wenig bekannt, als daß sich etwas Definitives über die Bewegungen 
in denselben aussagen ließe. Sollte es sich bestätigen, daß sie in 
derselben Ebene liegen und sich schneiden, so würde damit ein neuer 
Fall der Himmelsmechanik vorliegen, der große theoretische Schwierig- 
keiten bieten wird. — Der VII. Trabant bewegt sich retrograd in 
seiner Bahn. Cowell und Crommellin‘!) haben gefunden, daß Delau- 
nays Methode nicht direkt anwendbar ist, weil die Parameter hier zu 
große Werte annehmen und darum die Reihenentwicklungen zu lang- 
sam konvergieren. Nach Kobb®'*) ist die Bahn möglicherweise in- 
stabil. 


ß) Das Saturnsystem. a) Japetus, Titan und Rhea. Phöbe und T’hemis. 
Die Differentialgleichungen für die Länge des Perisaturniums und die 
Exzentrizität enthalten auf den rechten Seiten die von der Sonne, Ab- 
plattung, Ringen und je den benachbarten Satelliten herrührenden Stö- 
rungen. Es brauchen nur Glieder vom Quadrat des Sinus der Nei- 
gung der Bahnebenen und der Exzentrizitäten mitgenommen zu werden. 
Da keine Kommensurabilitäten zwischen den mittlern Bewegungen 
stattfinden, treten keine langperiodischen Glieder hier auf. 

b) Die Satellitenpaare, bei denen Lihrationsglieder auftreten. Wenn 
die mittleren Bewegungen, u und u’, zweier Satelliten so beschaffen 
sind, daß (j + 1)u’— ju (j ganze Zahl) klein ist im Verhältnis zu u’ 
und u, so werden bei einem ellipsoidischen Zentralkörper die Integrale 
der Differentialgleichungen für h, k; W, X, wenn V=(j + I)’ —jl 
gesetzt wird, die Form haben: 

= ce sin(b+ But) + Am’ sinV 
(36) k=c cos(b + But) + Am’ cosV 
"= c sin (b’ + But) + A’m sin V 
k= ec c0s(b’+ Bw) + Am cosV. 
A und A’ sind gegebene Funktionen der Elemente, c,c und 5, 


(35) 


13. Die säkularen u. langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 839 


sind die willkürlichen Konstanten. Sind ce und ce’ Null, so ergibt sich 
das allgemeine Theorem: 


Bei zwei ursprünglichen Kreisbahnen werden, wenn die Bewegung 
des Konjunktionspunktes im Verhältnis zu den Satellitenbewegungen klein 
ist, die gegenseitigen Störungen wechselseitig eine Exzentrizität erzeugen, 
und die so erzeugten Apsidenlinien werden bei beiden Bahnen durch den 
Konjunktionspunkt gehen. 

Wenn c und c’ klein sind, ohne doch gleich Null zu sein, so 
wird das System eine Libration um jene Mittellage erleiden. Die 
Systeme Hyperion-Titan, Mimas-Tethys und Dione-Enceladus können 
alle unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. 


‘ Hyperion-Titan. A. Hall stellte die Beobachtungen des Hyperion 
zufriedenstellend dar, indem er für die Länge des Perisaturniums die 
Formel ableitete: 


© — 174,24° — 20,344% — 0,1030. 


Newcomb!°) verband diese retrograde jährliche Bewegung von 20° 
mit dem nahezu gleichen Betrag, den 4ur — 3ur in einem Jahre an- 
nimmt, und erkannte die hohe Wichtigkeit des Argumentes: V — 4ly 
— 3lr — ®,. Indem in der Störungsfunktion außer den säkularen 
Gliedern das erste Glied ezÜCcos V genommen wird, erhält man die 
Gleichungen: | 





d 
+ 3,91 mzuir sin V 
dE 
(37) 1-5 = + 4,22 mzulr cos V 
düj,, | 
\ Ser; u Mrun(4,53 —+- 3,26 COS e. 


Für V ergibt sich die Differentialgleichung: 


d’V { d 
Die Beobachtungen zeigen, dad V um den mittleren Wert x herum 
schwankt. Macht man Y = 180° — H, so wird angenähert: 


(39) = — 15,6mz sin H. 
Aus dem Integral dieser Gleichung: 
(40) H= «cos Kunt — ßBsin Kuut, 





103) S. Newcomb, On the mutual action of the satellites of Saturn, Astr. 
Journ. 8 (1888), p. 104. 


840 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


wo K = V15,6mr ist, ergibt sich eine Massenbestimmung des Titan, 
deren genauer Wert aber erst durch Berücksichtigung der andern 
merklichen Glieder der Störungsfunktion erhalten werden könnte. 
Nun ist aber die Berechnung der Koeffizienten dieser Glieder infolge 


a 
T E Krhre . R 

des großen Wertes von _—- mit großen Schwierigkeiten verknüpft, so 
H 


daß es Newcomb vorzog, durch Quadratur ihren Betrag in Rechnung 
zu stellen. Die Bestimmung der Masse des Titan gelang so mit großer 
Genauigkeit. Hill”), Tisserand”®), O. Stone") haben ihrerseits durch 
periodische Lösungen das gleiche Problem sehr elegant behandelt und 
gleichfalls durch Quadratur die Störung in © für einen halben syn- 
odischen Umlauf bestimmt und damit auf die Größe der Masse des 
"Titan geschlossen. Eine zufriedenstellende analytische Theorie, welche 
die wesentlichen Glieder in der Entwicklung von R berücksichtigt 
und zugleich auf die Exzentrizität der Titanbahn Rücksicht nimmt, 
ist bisher noch nicht entwickelt worden. Jedoch hat H. Strwe aus 
einer Diskussion der Beobachtungen eine Darstellung von V in der 


Form: 0 
Y—180-+ Asin (7 (t— %)) 


gegeben, in der er nicht nur die Konstanten A und £,, sondern auch 
T, die Periode der Libration, durch die Beobachtungen bestimmt. 
Eichelberger'*) hat gleichfalls auf rein empirischem Wege eine Dar- 
stellung von V erhalten, bei der zu der Darstellung von Struve 
noch Glieder vom Sinus des Vielfachen des Winkels II treten, 
der gleich der Differenz der Längen der Perisaturnien der beiden 
Bahnen ist. 


Enceladus-Dione. Aus dem Theorem von Neweomb folgt, daß 
die Exzentrizität und Apsidenbewegung von Enceladus sich aus zwei 
Teilen zusammensetzt. Wäre die Masse der Dione Null, so wäre 
e=c,9—=b-+- But; die Apsidenbewegung wäre in diesem Falle 
gleich der Knotenbewegung. Ist umgekehrt c sehr klein gegenüber f, 
wo f== Am’ gesetzt ist, so wird genähet e=f und 9 = 2!’ —-|, 
die Apsidenbewegung ist dann 2u’— u, das Perisaturnium von Ence- 
ladus fällt beständig mit dem Konjunktionspunkt der beiden Tra- 
banten zusammen. Die Beobachtungen Struves zeigten, daß der letz- 
tere Fall der Wirklichkeit entspricht. Aus e=f—= Am’ folgt, daß 
die Masse Diones aus dem Mittelwert für e erhalten werden kann. 
Der Wert von c kann nicht aus den Werten der oskulierenden Werte 


104) Eichelberger, The orbit of Hyperion, Astr. Journ, 11 (1892), p. 145. 


77 Dr a 


13. Die säkularen u langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 841 


von e bestimmt werden, wohl ist es aber möglich, auf dem Umweg 
durch die Längen hierzu zu gelangen, wie dieses Strwve”?) gezeigt 
hat. Hierbei ist von Wichtigkeit, daß sich die Werte von ßu für 
beide Satelliten mit hinreichender Genauigkeit aus den Knoten- 
bewegungen von Tethys und Mimas bestimmen lassen. 

Tethys-Mimas. Die merkliche Neigung der Bahnen von Tethys 
und Mimas zum Saturnäquator haben es möglich gemacht, die säku- 
laren Bewegungen der Knoten aus den Beobachtungen mit Sicherheit 
zu bestimmen. Darauf fußend, hat H. Struve‘?) die merkwürdige 
Beziehung aufdecken können, die zwischen den mittleren Bewegungen 
der Trabanten und den säkularen Bewegungen der Knoten besteht 
und zu der großen Libration zwischen Thetys und Mimas Anlaß gibt. 
Der Librationswinkel ist hier: W = 4lr — 2ly — 0r — 9y. Die 
Störungsfunktion hat die folgende Form: 

PERS ER W, 
24 Y Mm, 4 YrYı cos ’ 

wenn man nur die hauptsächlichsten säkularen und Librationsglieder 
mitnimmt. Aus den Differentialgleichungen für die Elemente ergibt 
sich eine Differentialgleichung 2. Ordnung in W, die mit genügender 
Annäherung auf die Gleichung für Pendelschwingungen reduziert 
werden kann. Die Beobachtungen zeigen, daß in der Tat der Fall 
des oszillatorischen Pendels statthat, d. h. Librationsbewegung. Die 
Differentialgleichungen in ur und u, ergeben durch doppelte Inte- 
gration die großen Librationsglieder in den Längen beider Satelliten. 
Unter der Annahme, daß der Ausschlag von W etwa 79° beträgt, wie 
die Beobachtungen zeigen, ferner daß das Verhältnis der Massen der 


. ist, ergibt sich für die Länge von Mimas eine Am- 
plitude von 45°, für die Länge von Thetys etwa 2,5°, wenn man bei 
beiden nur die ersten Glieder in Betracht zieht. Das Verhältnis der 
Koeffizienten der beiden Librationsglieder ergibt einen Wert für das 
Verhältnis der Massen der beiden Satelliten, während die Periode 
der Libration sogleich die Masse des großen Satelliten ergibt. Man 
kann betreffs der Konjunktionen von Mimas und Thetys aussagen, 
daß sie immer um die Mitte des Bogens statthaben werden, der 
auf dem Saturnäquator zwischen den aufsteigenden Knoten der bei- 
den Trabanten gelegen ist. Von diesem Punkt können sie sich in. 
maximo bis auf 45° entfernen. Die Dauer der.Oszillation ist etwa 
63 Jahre. 

y) Die übrigen Satellitensysteme. Da Kommensurabilitäten in den 
Bewegungen der Satelliten dieser Systeme nicht aufzutreten scheinen, 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 55 


Trabanten = 


842 VIse, 16. Kurt Laves. Die Satelliten. 


so werden die Gleichungen für die Größen % und %k beim Neptun- 
und wohl auch dem Marssystem sich wie die für den V. Jupiter- 
mond schreiben lassen, während bei den Uranustrabanten noch auf die 
gegenseitigen Anziehungen der Satelliten untereinander wird Rück- 
sicht genommen werden müssen. 

14. Die kurzperiodischen und die von der Sonne herrühren- 
den Ungleichheiten werden analog den unter VI2 B14 und 15 ent- 
wickelten Prinzipien hergeleitet und brauchen daher hier nicht weiter 
besprochen zu werden. Infolge der nahen Kommensurabilitäten der 
mittleren Bewegungen der drei inneren älteren Jupitermonde sind 
diese kurzperiodischen Ungleichheiten sehr bedeutend, wie man aus 
den Kapiteln 13, 14 und 15 von Bd. IV der Mecanique celeste von 

Tisserand ersehen kann. 
15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme. 
Durch die beobachteten säkularen Verschiebungen der Knoten und 
Apsidenlinien werden für jeden Satelliten theoretisch zwei Gleichungen 
gegeben, in die neben den von den Potentialen des Planeten und der 
Ringe herrührenden Konstanten k,, lı und kr, !x die Massen der 
meßbar einwirkenden Satelliten eintreten. Überall, wo einesteils Ab- 
weichungen von der Kreisbahn oder andrerseits Abweichung der 
Trabantenbahnebene von der Äquatorealebene des Planeten sich 
nicht haben beobachten lassen, scheiden die betreffenden Satelliten 
aus den die Massen bestimmenden Gleichungen aus. Die Massen der 
Planeten ergeben sich aus den Elongationsbeobachtungen vorwiegend 
der äußeren Satelliten. Der VIII. Satellit Jupiters sowie der IX. Sa- 
tellit Saturns werden in der Zukunft wohl die allergenauesten Massen- 
bestimmungen ihrer Planeten ergeben. Für die Konstantenbestim- 
mungen im Jupitersystem finden sich in der Mecanique celeste von 
Laplace und ebenso in der von Tisserand eingehende Erörterungen, 
die noch in den Diskussionen von de Sitter und Sampson im An- 
schluß an Sowsillarts Werk weitergeführt sind. Den Anteil, den der 
V. Jupitermond dabei hat, ist von Cohn und de Sitter näher disku- 
tiert worden. Für das Saturnsystem findet man alles Nötige im 16. 
und 17. Abschnitt der zweiten Pulkovaer Abhandlung von H. Struve. 
Für Uranus werden erst zukünftige genauere Satellitenmessungen ein 
verläßliches Resultat erbringen. Aus der Knotenverschiebung des 
Neptunsatelliten wird sich in nächster Zukunft nieht nur die Lage 
des Neptunäquators, sondern auch die Größe der Abplattung bestim- 
men lassen. Auch bei Jupiter und Saturn sind die so errechneten 
Bestimmungen der Lagen.des Planetenäquators den durch direkte 
Messung gewonnenen Werten überlegen. Das gleiche gilt für den 





15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme. 843 


Planeten Mars'®), dessen Abplattung mit einiger Genauigkeit bisher 
fast nur auf diesem Wege bestimmt werden konnte. Betreffs der 
Figur der Planeten und des Saturnrings vgl. VI 2, B 20 (Oppenheim) 


105) Vgl. Hartwig, Untersuchungen über die Durchmesser der Planeten Mars 
und Venus, nach Heliometermessungen ausgeführt auf der Kgl. Sternwarte in 
Straßburg, Astr. Ges. Publ. 15 (1879); ferner: Untersuchungen über den Durch- 
messer und die Abplattung des Mars, Astr. Nachr. 150 (1899), p. 313, sowie die 
unter 91) und 92) zitierten Abhandlungen H. Struves; endlich die zahlreichen 
Beobachtungen von P. Lowell in Lowell-Obs. Annals I (1898), Observations of 
the Planet Mars during the opposition 1894—95, made at Flagstaff (Arizona); 
bes. capt. II, $ 3, und ebenda Bull. Nr. 24, 33, 46, 56 (1912). 


(Abgeschlossen im Sommer 1916.) 


55* 


V12,17. BESTIMMUNG UND ZUSAMMENHANG 


2. 
3 
4. 


Os 


- 


die 


8. 


DER ASTRONOMISCHEN KONSTANTEN. 


Von 
J. BAUSCHINGER 


IN LEIPZIG. 


Inhaltsübersicht. 


Einleitung. 
Die astronomischen Konstanten. 
Geodätische Konstanten. 
Physikalische Konstanten. 
Astronomische und physikalische Einheiten. Die Gravitationskonstante. 


Erde. 
Die Sonnenparallaxe. Trigonometrische Bestimmung. 
Die Aberrationskonstante. 
Die Lichtgleichung. 
Die Mondgleichung in der Erdbewegung. Beziehung zwischen Mondmasse 


‘und Sonnenparallaxe. 


10. 
11. 
12. 
13 
14. 
15. 


16. 
17. 
18. 
19. 
20. 


21. 
22. 
28. 
24. 
25 
26. 


Die Präzessions- und die Nutationskonstante. 

Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde. 
Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt. 
Tropisches und siderisches Jahr. 

Sternzeit und mittlere Zeit. 

Verwendung der Schweremessungen. 

Die Erdmasse und ihre Beziehung zur Sonnenparallaxe. 


Mond, 
Die Mondparallaxe. 


Die parallaktische Ungleichheit in der Mondbewegung. 
Die Elemente der Mondbahn. 
Die Störungsglieder der Mondbewegung. 
Die Mondmasse. 

Planeten. 
Die Theorien der Sonne und der großen Planeten. 
Bestimmung der Planetenmassen. 
Ableitung der Massen von Merkur, Venus und Erde aus den Säkularstörungen. 
Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde. 
Die Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden. 
Die Massen von Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun. 


EEE EREN NEE 


1. Die astronomischen: Konstanten. 845 


Literatur. 

Wm. Harkness, The solar Parallax and its related Constants, including the figure 
and density of the Earth. Washington Observations for 1885 Appendix III, 
Washington 1891. (Hierin findet man die ältere Literatur.) 

S. Neweomb, The elements of the four inner Planets and the fundamental Con- 
stants of Astronomy. Suppl. to the American Ephemeris for 1897. Washington 
1895. (Zitiert: Fund. Const.) 

F. Tisserand, Resume des tentatives faites Jusqu’ici pour determiner la parallaxe 
du Soleil. Obs. de Paris ann., mem. XVI. 1882. 

S. Newcomb, Investigation of the distance of the Sun and of the elements which 
depend upon it. Wash. obs. 1865 App. II. . 

D. Gill, Determination of the Solar Parallax. Combination of Results and Ge- 
neral Conclusions. Cape Obs. ann. Vol. VI, part 5. 1897. 

F. W. Bessel, Fundamenta Astronomiae. Regiomonti 1818. 

—, Tabulae Regiomontanae Reductionum, Regiomonti 1830. 

U. J. Leverrier, Annales de l’Observatoire de Paris, t. 1—14. 1855—1877. 

S. Neweomb, Astronomical Papers prepared for the use of the American Ephe- 
meris and Nautical Almanac. Washington Vol. I-IX. 1882—1912. (Zitiert: 
Astr. Pap.) 

F. R. Helmert, Die mathematischen und physikalischen Theorien der höheren 
Geodäsie. 2 Bände. Leipzig 1880—1884. (Zitiert: Helmert, H. G.) 

P, A. Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnung der in den Mondtafeln 
angewandten Störungen. Leipzig. Ges. Wiss. Abhdl. 6 (1862), p. 91—498, 
7 (1864), p. 1—399. . 

Einleitung. 

l. Die astronomischen Konstanten. Als astronomische Kon- 
stanten werden hier sowohl diejenigen Größen verstanden, die die 
Grundeinheiten aller Maßbestimmungen in der Astronomie bilden, 
wie die Sonnenparallaxe, die Gravitationskonstante u. a., als auch 
jene, die bei der analytischen Behandlung der Probleme als Integra- 
tionskonstante auftreten, wie die Präzessionskonstante, die Planeten- 
elemente u. a. Allen ist gemeinsam, daß sie direkt oder indirekt 
durch Messung bestimmt werden müssen, daß ihre zahlenmäßige Be- 
stimmung infolge der Fortschritte der Meßkunst also in der Regel 
eine lange Geschichte hinter sich hat; ferner, daß zwischen ihnen 
eine ganze Reihe von Zusammenhängen besteht, die nicht nur an 
sich wichtig sind, sondern auch für die zahlenmäßige Festlegung 
der Größen und die Prüfung der Theorien bedeutungsvoll werden. 
Auf die Entwicklungsgeschichte einzugehen, ist hier nicht beabsich- 
tigt; an der Hand der unten zitierten Werke!) wird man sie leicht 

1) J. C. Houzeau, Vade-mecum de l’astronome. App. & la nouv. serie des 


Ann. astr. de l’Obs. de Bruxelles. Bruxelles 1882. — Wm. Harkness, The solar 
Parallax and its related Constants. Washington 1891. 


846 VlI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


verfolgen können; dagegen ist neben der Angabe der Messungs- 
methoden und der jetzt zuverlässigsten Werte die Auseinandersetzung 
der Zusammenhänge das Hauptziel des Artikels. Die Anordnung ist 
der Inhaltsübersicht zu entnehmen. Da es sich vielfach um eine Nach- 
lese zu anderen Artikeln des Bandes handelt, war eine weitergehende 
systematische Darstellung zwecklos. 

2. Geodätische Konstanten. Die in der Astronomie gebrauchten, 
der Geodäsie zu entlehnenden Konstanten sind die Dimensionen des 
Erdkörpers und die Bestimmungen der Schwerkraft der Erde. Wir 
verweisen betreff näherer Ausführungen auf Band VI1, insbesondere 
Artikel 3 (Pizetti), Nr. 50 und 51 und Artikel 7 (Helmert), Nr. 4 und 
geben hier nur die zuverlässigsten im folgenden verwendeten Resultate: 


Halbe Er, Achse des Erdellipsoids oe, = 6377397 m [6,8046435] 
nach Bessel (1841). 


Abplattung a — — 0,0033428 [7,524107_,,]. 


1 
299,153 
Beschleunigung der normalen Schwerkraft (nach Helmert (1901)): 

9 = 918,046 (1 + 0,005302 sin? 9 — 0,000007 sin! p) cm, 
p —= geogr. Breite; 


1 


hieraus Abplattung a = = 


Länge des Sekundenpendels (nach J/wanoff') 
I — 99,0997 + 0,5240 sin? 9 — 0,0016 (sin  — > sin? @’) om, 


p — geogr. Breite, 9’ = geoz. Breite; 
1 


hieraus Abplattung a — ante 


Für die geozentrische Breite p,’, die aus 
sing, = v} 
bestimmt ist und mittlere Breite genannt wird, findet man 
9, = 35°15’52” 
und die dazu gehörige geographische Breite 
9, = 3502642”. 
_ Hierfür wird der entsprechende Radiusvektor der Erde 
—= [9,9995142] o, = 6370268 m [6,8041577] 
und die Being 
— 978,046 > [0,000773] = 979, 187. em [2,991132]. 


2. Geodätische Konstanten. 3. Physikalische Konstanten. 847 


Der vertikale Teil der Zentrifugalkraft in der Breite p ist 


4 = @ 008 cos p 


x? ’ 





wo oe der zu g’ gehörige Radiusvektor und r — 86164 die Rotations- | 
dauer der Erde in Sekunden mittlerer Zeit ist. Für die mittlere 
Breite g, wird sie — 2,253 cm 


und daher die von Zentrifugalkraft befreite Schwere oder die An- 
ziehung G, — 979,787 + 2,253 — 982,040 em. 


Das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere wird aus den ge- 
gebenen Ausdrücken berechnet; am Äquator wird es: 











3,391 1 
Co T g78006 0,0034672 — 288,41? 
; _. 4m?gcospcosp _ 4ECOSPCosp 
allgemein = gesis® —  Tssıo® 
und in der mittleren Breite 9, 
c; = 0,0022997 [73616710] = gg455 


und damit die Anziehung 


Get) ell+u)= Lu. 
3. Physikalische Konstanten. Aus physikalischen Messungen 
gehen die Lichtgeschwindigkeit c und die Dichtigkeit der Erde hervor. 
Die älteren Werte für c sind von Harkness?) 8. 29 zusammen- 
gestellt. Als zuverlässigster Wert kann der aus den Versuchen von 
Michelson und Newcomb?) hervorgehende gelten: 


c = 299860 + 30 km pro Sekunde. 
Er wird bestätigt durch neuere Versuche von Perrotint), der aus 
zwei Reihen findet: 

c = 299880 + 50 km pro Sekunde. 
Wir haben im folgenden 

c = 299865 + 26 km pro Sekunde 


angenommen. 
Über die Dichtigkeitsbestimmungen der Erde sei auf Encykl. V 1 
Art. 2 (Zenneck), Nr. 9 verwiesen, wo gefunden wird: 
4= 5,513; 
daraus folgt die in Nr. 4 abgeleitete Gravitationskonstante: 
0,6675 >< 10-7 em? see”? gr". 
2) W. Harkness, The solar Parallax...., s. Literatur. 


3) Astr. Pap., Vol. II, p. 202. 
4) Perrotin, Paris ©. R. 1902, p. 881. 


848 VlIsa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


4. Astronomische und physikalische Einheiten. Die Gravita- 
tionskonstante. Das jetzt in der Physik gebräuchliche System der 
Einheiten der Länge, der Masse und der Zeit, das Zentimeter-Gramm- 
Sekundensystem (wobei Gramm — Masse — m, nicht gleich Gewicht, 
sondern Gewicht = mg, g = Beschleunigung), wird in der Astronomie 
nur dann verwendet, wenn sie sich auf physikalische Maßbestim- 
mungen bezieht; im übrigen bedient sie sich, um zu große Zahlen zu 
vermeiden, seit jeher eines besonderen Systemes von Einheiten. 


1. Längeneinheit ist die halbe große Achse a der Erdbahnellipse 
mit der kleinen Abänderung, die weiter unten besprochen wird. Um 
die Beziehung zu einem irdischen Maß herzustellen, wird der Winkel 
rs eingeführt, unter welchem der Radius des Erdäquators o,, der 
durch geodätische Messungen bestimmt wird, in der Entfernung a ge- 
sehen wird; dieser Winkel, die Sonnenparallaxe, ist durch astrono- 
mische Messungen bekannt; es wird 
BR. 
zo sin 1” 

Mit 0, = 637739715 [8,50464346] Zentimeter folgt: 
[14,1190686] _ 


astr. Längeneinheit — = 
"0 


a= 





oder mit z& = 879 
astr. Längeneinheit = [13,1750797] em. 
In dieser Einheit werden alle Entfernungen im Sonnensystem an- 
gegeben. 
In der Stellarastronomie wird diejenige Länge als Einheit ge- 
braucht, in welcher die eben besprochene «a unter einem Winkel von 
1” erscheint; diese Länge, Sternweite genannt, ist also 


1 Sternweite = 206264,8 Erdbahnhalbachsen. 


ar.» . | . r 
Ist p” die Parallaxe eines Sternes, so ist „> seine Entfernung ir Stern- 
weiten. 


2. Zeiteinheit ist der mittlere Sonnentag, dessen Definition in 
Nr. 13 gegeben ist; er ist gleich 1,002737909 Rotationen der Erde 
um ihre Achse und wird in 86400 mittlere Zeitsekunden geteilt. Da- 
mit ist die Beziehung zwischen physikalischer und astronomischer 
Zeiteinheit gegeben. Eine Rotation der Erde wird in 86164,091 mittl. 


Zeitsekunden ausgeführt; die Erde rotiert also mit der Winkelge- 
schwindigkeit 


2 i 
(siscosı) Radien = 15”’0411 in der Sekunde. 


3 la FT a ie 


43 n= 


4. Astronomische und physikalische Einheiten. Die Gravitationskonstante. 849 


3. Die Einheit der Masse wird in die Astronomie durch das 
Newtonsche Gesetz eingeführt, wonach die Anziehung zwischen zwei 


k?mm’ 
TEE ) 


Massen m und m’ in der Entfernung r gegeben ist durch 
hierin ist k® die Anziehung zwischen zwei Masseneinheiten in der 
Einheit der Entfernung. Hat man %? für die Längeneinheit bestimmt, 
so ist dadurch die Masseneinheit festgelegt. Masse im astronomischen 
Sinn ist also nicht gleich Anziehungskraft, sondern entspricht dem, 
was die Physik Masse nennt, nicht dem, was die Physik Gewicht 
nennt. Die analytische Behandlung des Problems der Bewegung der 
zwei Körper m und m’ führt auf die Gleichung: 

22 71 /k?(m m’) 

Keira A 

(das dritte Keplersche Gesetz), worin 7’ die Umlaufszeit, «a die große 
Halbachse der Bahnellipse ist. Nimmt man als die beiden Körper 
die Sonne m und die Erde m’, legt die Längen- und die Zeiteinheit 
wie oben fest, benutzt die aus anderen Erscheinungen hervorgehende 
Tatsache, daß die Anziehungskraft der Erde auf die Einheit der Ent- 
fernung der 354710 Teil von der der Sonne ist, und nimmt für 7 
die siderische Umlaufszeit der Erde um die Sonne —= 365,2563835 
Tage (beides nach den Annahmen von Gauß°)), so wird obige Be- 


ziehung: 1 a } 
Km(1 + g50770) — (sopanessss) 
und gibt in km — 0,0002959122082 [6,4711628828_,.] 


die Anziehungskraft der Sonne auf die Masseneinheit in der Einheit 
der Entfernung und in der Einheit der Zeit. Setzt man %? gleich 
obiger Zahl 0,0002959122082, so ist die Masse der Sonne m—=1 zu 
nehmen und ist damit die Masseneinheit definiert. Die Konstante %? 
(Gaußsche Konstante, Attraktionskonstante des Sonnensystems, An- 
ziehungskraft der Sonne) ist oben nach Gauß mit Werten der Erd- 
masse und des siderischen Jahres gerechnet, die nicht mehr als richtig 
bezeichnet werden können. Statt aber die Konstante den jeweiligen 
besten Werten dieser beiden Größen anzupassen, zieht man es vor, sie 
ungeändert beizubehalten und dafür die Längeneinheit einer leichten 
Änderung zu unterwerfen, damit die Richtigkeit der Gleichung (1) 
erhalten bleibt. Mit den Werten 


‚ 1 E 
m 0, und 7 = 365,25636042 


5) C. F. Gauß, Theoria motus corporum coelestium. 1809, art. 1 = Werke, 
Band 7. 


850 VI»,17. J. Bauschinger. "Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


wird log a = 0,000000013, 

und die Einheit der Entfernung ist also streng genommen nicht die 
die halbe Erdbahnachse, sondern eine Größe, in der ausgedrückt die 
halbe Erdbahnachse den eben angegebenen Wert hat. Der Unter- 
schied ist in den Sonnen- und Planetentafeln kaum merkbar. 

Würde man als Zeiteinheit die Dauer von 1:% = 58,13244087 
mittleren Sonnentagen einführen, so würde als Attraktionskonstante 
sich 1 ergeben. Zur Vereinfachung der Schreibweise wird hiervon 
bei theoretischen Untersuchungen vielfach Gebrauch gemacht. 

Wird die Sonnenmasse — 1 gesetzt, so erscheinen die Planeten- 
massen als reine Zahlenfaktoren m’, m”, ...., die mit %? multipliziert 
die Anziehungskräfte derselben in der Einheit der Entfernung geben. 
So wird die Anziehungskraft von Erde + Mond in der Entfernung 1 


0,0002959122082 





330200 
und die des Erdkörpers allein (Mondmasse — = 58 Erdmassen gesetzt) 
0,0002959122082 „ 
sa — — [9,947092,,1. 


Um diese Zahl in das cm/sec-System der Physik überzuführen, ist 


sie mit 14978738000000° Ä 
Te een |29,6533981] 





(entsprechend dem Desselschen Radius des Erdäquators und der zu 
obiger Masse gehörigen Sonnenparallaxe 8”782) zu multiplizieren und 


wird dann [20,600490] = 398556 > 10%, 


Dies ist also die Anziehungskraft der Erde in einer Sekunde und in 
l cm Entfernung vom Erdmittelpunkt. 

Diese Größe läßt sich durch Messung der Länge des Sekunden- 
pendels "auch physikalisch bestimmen. Nach Helmert (s. Nr. 2) wird 
für die Breite @,’, deren sin gleich 1:3 ist, 


die Schwere . . 2... = YI9,T8T om/sec?, 
die Korr. für Zentrifugalkraft gs + 2,253 
also die Anziehung der Erde an der EEE 
Oberfläche der Breite 9, . . 982,040 em/see?. [2,992130] 


Der Radius der Erde in der Breite @,’ ist nach Bessel 
637026800 em [8,8041577] 
und folglich die Anziehung in 1 em/see? 
982,040 > 637026800? — [20,600444] = 398515 > 10". 


5. Die Sonnenparallaxe. . Trigonometrische Bestimmung. 851 


Für die Anziehungskraft des Mondes erhält man in denselben 
Einheiten [18,689173] — 488847 >< 101 
und für die der Sonne 


[26,124561] — 133218 > 109. 


Die Anziehung eines Kubikzentimeters Masse von der mittleren Dichtig- 
keit der Erde 4 = 5,513 erhält man aus obiger Zahl [20,600490], 
wenn man sie durch die Masse der Erde in Grammen, also durch 


- [27,034565] Kubikzentimeter 2 
[ 0,741388] Dichte 


[27,775953] Gramm 
dividiert. Es ergibt sich somit in 
[2,824537_,0] = 0,6676 > 10-7 em? sec=? gr=" 


die Gravitationskonstante im Einheitensystem der Physik. 





Die Konstanten der Erde und der Erdbewegungen. 


5. Die Sonnenparallaxe. Trigonometrische Bestimmung. Unter 
Sonnenparallaxe versteht man in abgekürzter Bezeichnung den Win- 
kel x5, unter welchem im Mittelpunkt der Sonne der Radius des Erd- 
äquators o, erscheint, wenn die Erde sich in ihrer mittleren Entfer- 
nung a von der Sonne im Horizont eines Punktes des Erdäquators 
befindet; die vollständige Bezeichnung ist Äquatorealhorizontalparallaze- 
Um a in irdischem Maß auszudrücken, hat man die Beziehung: 
00 206264,8 
eh 
Mit den Werten go, = 6377,397 km und x, = 8”80 wird 

| “ a = 149480976 km. 


Die trigonometrische Methode zur Bestimmung von zo wird, da 
sich die Sonnenscheibe zu genauen Messungen nicht eignet, nicht 
direkt auf die Sonne angewendet, sondern auf einen der Erde mög- 
lichst nahen Planeten des Sonnensystems, aus dessen gemessener Ent- 
fernung dann unter Heranziehung der Eigenschaften der Gravitation 
(des dritten Keplerschen Gesetzes) auf die Entfernung der Erde von 
der Sonne geschlossen wird. Wegen der näheren Ausführung sei auf 
den Artikel VI 2,2 (Cohn) Nr: 9b verwiesen, hier werden nur die 
„Resultate aufgeführt, und zwar nur jene, die heute noch als stimm- 
berechtigt gelten können: 


sin to —= - oder «a 





852 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Mittl. 


3 - z Ge 
1. Aus der Marsopposition 1877, beobachtet von Gill 2 Fehler 
SUP Ascona 8” 780 + 0”020 1,0 
. Aus Kontaktbeobachtungen während der Venusdurch- ; 
gänge 1761, 1769, 1874, 1882 nach der Diskussion von 
EEE a Pa ER Fa I ee 8'794 + 0022 0,8 
3. Aus Heliometer- und ER Messungen während der 
Venusdurchgänge 1874 und 1882 nach der Diskussion 


[0 


WIE SNODOOMED®]. 20 ...4 Les ee Te ae 8” 857 + 0”023 0,8 
4. Aus Heliometermessungen der kleinen Planeten Vik- 
toria, Sappho und Iris 1888/89 nach Gills Plan®) . . 87802 +0”"007 8 


5. Aus Meridianbeobachtungen der kleinen Planeten Vik- 
toria, Sappho und Iris 1888/89 nach der Diskussion 


TR N 8806 + 0044 0,2 
6. Aus Beobachtungen des Planeten Eros 1900/01, mikro- 

metrisch, nach der Diskussion von Hinks'') . . . . 87806 + 0”006 11 
7. Aus Beobachtungen des Planeten Eros 1900/01, babe: 

wemskinch, nach: Hinka!®), 2 ns 8” 807 +0”004 25 


Die Gewichte sind unter Annahme des mittleren Fehlers der Ge- 

wichtseinheit + 0”020 angesetzt und führen zu 

ro —= 8"806 + 0”003 (trig. Meth.). 
Es können nur solche Messungsmethoden bei Bestimmung dieser wich- 
tigsten Zahl der Astronomie zugelassen werden, bei denen kein un- 
kontrollierbarer systematischer Fehler zu befürchten ist. Hierüber 
haben Newcomb in Fund. Const. 5. 154 und @i1") Es ge- 
macht. 

Außer der direkten hat man noch vier indirekte Methoden, zur 
Kenntnis der Sonnenparallaxe zu gelangen, die auf den Eigenschaften 
des Lichtes und der Gravitation beruhen. Man sehe die Nr. 6, 8, 15, 
17 und die Zusammenstellung in Nr. 25. 


6. Die Aberrationskonstante. Durch die Theorie der jährlichen 
Aberration (siehe VI 2,2 (Cohn) Nr. 7a) wird die Größe 


A="*7? oder „A, — 7477 206264” 8 
€ . c- 

6) D. Gill, Account of a determination of the solar parallax from obs. of 
Mars, made at Ascension in 1877. Lond. Astr. Soc. mem. 46 (1880/81). 

7) 8. Newcomb, Fund. Const., p. 146. 

8) Id., p. 144. 

9) Cape Obs. Ann. VI (1897), part. 6, p. 11. 

10) Id., part 5, p. [95]. 

11) A. R. Hinks, Solar Parallax Papers, Lond. Astr. Soc. Month. Not. 70 
(1910), p. 603. 

12) Id., vol. 69, p. 566. 

13) D. Gill, On Solar Parallax. Observatory I (1878). 


6. Die Aberrationskonstante. 853 


eingeführt, die Aberrationskonstante, die in der Verbindung der line- 
aren Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn mit der Lichtgeschwin- 
digkeit die wichtigste Konstante der Astronomie und Physik ist. Da 
nn’ —= n206264”8 die mittlere Winkelbewegung der Erde um die 
Sonne, a die halbe große Erdbahnachse, @ der Exzentrizitätswinkel 
der Erdbahnellipse ist, .so stellt der Zähler naseep von A das Mittel 
aus der größten (Perihel-) und der kleinsten (Aphel-) Lineargeschwin- 
digkeit der Erde in ihrer Bahn vor, der Nenner ist die Lichtge- 
schwindigkeit c, A also das Verhältnis beider; oder A ist die mitt- 
lere Erdgeschwindigkeit selbst, wenn c als Einheit genommen wird. 
Durch Einführung der Sekunde mittlerer Zeit als Zeiteinheit und des 
Kilometer als Längeneinheit wird aus A” 





[7,732622] 
R H ng, sec p - 206 264,8 54028370 
(2) A ET SER 32571 ae ” hi 
4 86400 LOK; n„e 


Diese Beziehung zwischen Aberrationskonstante, Sonnenparallaxe und 
Lichtgeschwindigkeit (n” = 3548193, o, = 6377,39” km und 9 = 
0°57'35”3 können als völlig bekannte Größen betrachtet werden) 
wird uns unten weiter beschäftigen; hier gehen wir zunächst auf die 
direkte astronomische Bestimmung der Aberrationskonstante ein. Sie 
gehört zu den wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der 
praktischen Astronomie; denn da die Beobachtungen, bei denen im 
Gestirnsort infolge der Aberration die größten Ausschläge eintreten, 
zu entgegengesetzten Jahres- und Tageszeiten angestellt werden müs- 
sen, sind systematische Fehler nur bei besonderen Anordnungen der 
Messungen und bei besonderen Vorsichtsmaßregeln zu beseitigen. Die 
Diskussion der Aberrationsformeln (dieser Band S. 56) läßt erkennen, 
daß man,vier verschiedene Methoden anwenden kann: 1. Messung 
von Rektaszensionen eines Polsternes, 2. Messung von Meridianzenit- 
distanzen eines Polsternes, beides in oberer und unterer Kulmination, 
3. Durchgangsbeobachtungen von Zenitsternen im ersten Vertikal nach 
dem Vorschlag von W. Struve't), 4. die Talcottsche Methode der Mes- 
sung von Unterschieden der Zenitdistanzen je zweier in nahezu glei- 
chen Abständen nördlich und südlich vom Zenit kulminierender Sterne 
nach dem Vorschlag von Küstner.'”) Die Resultate aus allen vorhan- 
denen Bestimmungen zu einem definitiven Wert der Konstante zu- 


14) F. @. W. Struve, Sur le coefficient constant dans l’aberration des etoiles 
fixes... St. Pet. m&m. tom. 3 (1844), 

15) F. Küstner, Neue Methode zur Bestimmung der Aberrationskonstante. 
Berlin, Sternw. Ergebn., Heft 3 (1888). 


854 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


sammenzustellen, ist dreimal unternommen worden, von Harkness’*), 
Neweomb*") und Chandler'?) mit den Ergebnissen: 


Harknes -. . . » -.. 2... ..20”466 + 0”011 wahrsch. F. 
Neweomb, Pulkowaer Bestimm. . 20”493 + 0”011 

“ Anderweitige Bestimm. 20”463 + 0”013 
Chandler, Benutzte Bestimm. . . 20”521 + 0”005 

% Ausgeschl. Bestimm. . 207450. 


Der Harknesssche Wert kommt nicht mehr in Betracht, weil dabei 
der Veränderlichkeit der Polhöhe, die 1888 durch Küstner aufgedeckt 
wurde, noch nicht Rechnung getragen ist. Diese Entdeckung machte 
eine Neureduktion aller älteren Beobachtungsreihen notwendig, die 
durch Chandler vorgenommen wurde, von dessen Resultaten auch 
Newcomb Gebrauch macht. Newcomb faßt ohne ersichtlichen Grund 
alle Pulkowaer und alle anderweitigen Bestimmungen zu je einem 
Wert zusammen, wie in obiger Übersicht bereits angegeben. Am 
. durchgreifendsten verfuhr Chandler, indem er von 67 Bestimmungen 
24 meist ältere wegen des Verdachtes systematischer, nicht mehr zu 
ermittelnder Fehler ausschloß. Wir geben eine Übersicht seiner Werte: 


Gew. 
1. Aus 3 Pulkowaer Reihen Rektasz. von Polaris... .... 20” 53 6 
2. Aus 10 Reihen Meridianzenitdistanzen von .Polstenen . . . 20”514 22 
3. Aus 3 Pulkowaer Reihen Durchgangsbeobacht. im I. Vert. . 20”525 24 
4. Aus 25 Reihen nach Küstners Methode. .. ... 2... 20” 523 151 
5. Aus 2 Reihen nach Loewys Methode!?). .... 2. 22.. 2048 5 
6. Aus 7 Reihen Rektasz. von Polstenen . ... 2.2... [2045] 5 
7. Aus 13 Reihen Meridianzenitdistanzen . . ... 2.22... [2046] 5 
8. Aus 2 Reihen Durchgangsbeobachtungen im I. Vert. . . . . [20”43] 2 
9. Aus 2 Reihen nach Küstners Methode . ......... [20° 44] 1 


Die Werte 1. bis 5. ergeben 
A = 20"521 + 0”007 mittl. F. 


Werden die von Chandler ausgeschlossenen Werte 6. bis 9. hinzu- 
gezogen, so wird A — 20517. 
Der abgerundete Wert 


A = 2052 + .0”007 mittl. F. 


muß also unter allen Umständen als wohlgesichertes Ergebnis aller 
bisherigen Messungen betrachtet werden. 


16) Wm. Harkness, (s. Literatur) p. 27 (1891). 

17) Fund, Const., p. 135 (1895). 

18) 5. O. Chandler, The Probable Value of the Constant of Aberration. 
Astr. Journ., vol. 23, p. 1 (1903). 


19) Diese Methode (Paris ©. R. 112 (1890)) wurde hier als praktisch fast un- 
ausführbar nicht weiter berücksichtigt. 


2 
7. Lichtgleichung. 855 


Durch die Aberrationskonstante wird die mittlere Geschwindig- 
keit der Erde in ihrer Bahn v, in ihrem Verhältnis zur Lichtge- 
schwindigkeit bestimmt. Diese Geschwindigkeit hängt nun einerseits 


2m ky1- + ®) 


mit den Erdbahnelementen zusammen (n == 2 


8 





nnasey—T aseey— ee — secp (m—=m” +)) 


und kann daraus berechnet werden, läßt sich aber auch direkt durch 
spektrographische Methoden messen, wie zuerst Küstner ?®) vorge- 
schlagen und ausgeführt hat. Daß man hieraus dann die Sonnen 
parallaxe ableiten kann, zeigt Gl. (2); das primäre Resultat ist aber 
die Aberrationskonstante und gehört daher an diese Stelle; denn durch 


die Linienverschiebung i im Bpakbrum direkt gemessen wird -, ”, Küstner 
findet hierfür 


29,617 40,057 a 2 
29 — 0,000098766 = 20”37 + 004. 


Diesem vorläufigen Wert sind weitere Bestimmungen nach dieser Me- 
thode noch nicht gefolgt. 

Die oben abgeleitete Beziehung (2) zwischen A, z& und c wird, 
wenn man c = 299865 Er einführt: 


(3) A”"ns = [2,255696]. 
Folgende Tafel gibt zusammengehörige Werte von A” und xo: 
20”470 ..... 878020 20”510 . . . 877848 
480... 7976 520... 7805 
490... 793 530... 7762 
DOOR BO. 2,517: EB; 


Die Konstante der täglichen Aberration (siehe diesen Band, S. 54), 
hervorgehend aus der Rotationsgeschwindigkeit ® der Erde (in 1° 


mittl. Zeit) 1% 8 — (% 15x 1,002739)’— 07320, 


wird immer aus g, und c berechnet, da sie wegen ihrer Kleinheit 
direkt nicht beobachtbar ist. 

7. Lichtgleichung. Die Lichtgleichung, d. h. die Zeit, welche 
das Licht zur Zurücklegung der halben großen Achse der Erdbahn 
gebraucht, wird auf astronomischem Wege durch die Beobachtung der 
Veriasierunge der Jupitersatelliten bestimmt. Es liegen nur zwei 


20) F. 7. Küstner, Eine spektrographische Bestimmung der Sonnenparallaxe. 
Astr. Nachr. 169 (1905), p. 241. 


® 
856 VIa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Diskussionen, von Delambre?‘) und von Glasenapp??), vor mit den 


Resultaten: Delambre 493°2 
Glasenapp 500°8 + 12, 
deren Mittel L = 491°0 


nur als Wert von geringem Gewicht geschätzt werden kann. Man 
bestimmt die Liehtgleichung jetzt sicherer aus der Erdbahnhalbachse 
a und der Lichtgeschwindigkeit ce: 


a 206264,8 > 
ee a 

8. Die Mondgleichung in der Erdbewegung. Beziehung zwischen 
Mondmasse und Sonnenparallaxe. Die Erde bewegt sich im Laufe 
eines Monats um den Schwerpunkt von Erde und Mond, der, abge- 
sehen von den Planetenstörungen, in elliptischer Bewegung sich he- 
findet. Diese Schwankung wird als Störungsglied in die Erd-(Sonnen-) 
bewegung eingeführt und hängt in erster Linie vom Verhältnis u der 
Mond- zur Erdmasse ab. Der analytische Ausdruck des Hauptgliedes 
dieser sog. Mondgleichung für die Störung in Länge ist: 

TE h R 
Bien ungen SIR (Ly BE Lo); 
wo L, und Lo die mittleren Längen, x), und x, die Parallaxen von 
Mond und Sonne sind. Der Koeffizient 
MR a 
1-+usinzy 

kann durch Beobachtungen der Sonne zu den Zeiten der Mondqua- 
draturen (L, — La = + 9%) bestimmt werden und leidet natürlich 
unter der Unsicherheit der Sonnenbeobachtungen überhaupt; systema- 
tische Fehler jedoch sind nicht zu befürchten, da stets beide Sonnen- 
ränder beobachtet werden können und in beiden Quadraturen der Be- 
trag systematischer Beobachtungsfehler derselbe ist. Immerhin war 
es ein Fortschritt, als Gill®) einen neuen Weg erkannte, L durch 
schärfere Beobachtungen zu ermitteln. Statt der Sonne beobachtet _ 
er mehrere Lunationen hindurch einen Körper des Sonnensystems, der 
nahe an der Erde ist und sich scharf beobachten läßt, z. B. einen 
kleinen Planeten (Viktoria); in die geozentrischen Örter desselben 
gehen die Koordinaten der Sonne ein, die die Mondgleichung ent- 











21) J.B.J. Delambre, Tables cliptiques des satellites de Jupiter. Paris 1817. 
22) 5. Glasenapp, Untersuchung der Verfinsterungen der Jupitersatelliten 

(russisch). St. Petersburg 1874. (Referat von Downing, The Observatory XII, 1889.) 
23) Lond. Astr. Soc. Month. Not. 54 (1894); Cape Obs. ann. VI, p. 536. 


ala 


9. Die Präzessions- und die Nutationskonstante. 857 


halten. Man kann also aus ihnen Korrektionen der benutzten Mond- 


gleichung ableiten. Da x, gut bekannt ist, führt Gil 
@ et m6 


als Unbekannte ein, die mit ZL durch 


% 
sin 7) 





zusammenhängt. 
Aus Sonnenbeobachtungen auf sieben Sternwarten 1820—1864 * 
fand Newcomb (Fund. Const., p. 142) 


L = 6'485 + 0”027 mittl. F. 


Gil (Cape obs. ann., vol. VI, part 6, p. 29; korrigiert nach Monthly, 
Not., vol. 70, p. 74) fand 


L = 6"413 + 0”013. 
Hinks (Monthly Not. 70 (1909, p. 72) fand aus den Beobachtungen 
des Eros 1900/01 L = 6”431 + 0”005. 
Werden diese drei Werte von Z nach Maßgabe ihrer mittleren Fehler 
vereinigt, so ergibt sich 
L = 6”430 + 0”005 mittl. F. 

und daraus mit sin x, = [8,21990] 

x = 0,10669 + 0,00008. 
Setzt man u = 1/E, so wird 





Bi‘ 
i+u i+E 
und daher die Gleichung (4) 
(5) 1+Dsk=n13. 


Diese Beziehung zwischen der Mondmasse und der Sonnenparallaxe 
wird zur Bestimmung der Mondmasse benutzt (siehe Nr. 20), kann 
aber auch, allerdings mit geringem Vorteil, zur Ermittlung der Sonnen- 
parallaxe verwendet werden, wenn die Mondmasse anderweitig be- 
kannt geworden ist (Nutation). 


9. Die Präzessions- und die Nutationskonstante. Über Theorie 
und Verwendung der Präzession und Nutation ist auf die Artikel 
VI2,2 (Cohn) und VI2,22, sowie auf die Lehrbücher der Mechanik 


des Hinmels%) zu verweisen. 


24) Z. B. F. Tisserand, Mecanique celeste, t. II, p. 371; Th. Oppolzer, 


‘ Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Planeten und Kometen, Band I®, p. 124 (gibt 


die Entwicklungen in größter Ausdehnung); J. Bauschinger, Bahnbestimmung der 
Himmelskörper, p. 51; $. Newcomb, A ERORRENE of Spherical Astronomy, p. 225. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 56 


858 VIa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Infolge der Anziehung von Mond und Sonne auf das Erdsphäroid 
geht der Knoten des Erdäquators auf der festen Ekliptik (für eine 
bestimmte Epoche, hier durchweg 1850,0) mit einer Geschwindigkeit 
zurück, die Lunisolarpräzession in Länge genannt wird und deren 
Betrag durch die Theorie in der Form geboten wird: 


Lunisolarpräzession = P, + Po in einem jul. Jahr 


C—A 
P, = [5,975052] cos 8 -—, 
(6) re 


Pa — [8,72509] cos «I 





C 


Die Wirkung des Mondes ist durch P,, die der Sonne durch Po ge- 
geben. Die mit ihren Logarithmen angesetzten Zahlenkoeffizienten ®°) 
sind lediglich aus den Elementen der Mond- und Sonnenbahn zu- 
sammengesetzt und können als Konstante betrachtet werden. Es ist 


ferner , _ Schiefe der Ekliptik für 1850,0 = 23027'31”68, 
u = Verhältnis der Mondmasse zur Erdmasse, 
A = Trägheitsmoment der Erde, bezogen auf Achsen im 
Äquator, 
C —= Trägheitsmoment der Erde, bezogen auf die Drehungs- 
achse der Erde. 
Hiernach ist die Größe 


D rat _ 


cose 


— [[5,975052],t, + [3,2509] 7 en 

eine absolute Konstante. Newcomb 2 sie als „Präzessionskonstante“ 
ein, während man früher die unten eingeführte allgemeine Präzession 
mit diesem Namen belegte. Da aber & sich stark ändert, ist P,+ Po 
ebenfalls starken Änderungen unterworfen, und es ist daher vorzu- 
ziehen, P als „Präzessionskonstante“ zu verwenden. 

Die Rückwärtsbewegung des Knotens des Erdäquators auf der 
durch die Planetenstörungen bewegten Ekliptik geschieht mit einer 
Geschwindigkeit, welche „allgemeine Präzession in Länge“ genannt 
wird. Ihr Betrag wird erhalten, wenn Zur Lunisolarpräzession die 
sogenannte „Planetenpräzession“ hinzugefügt wird, deren Wert 


— # sin Leotge = — 0”1231 lediglich durch die Theorie aus den 
Planetenmassen berechnet wird. Es wird also 
(8) Allgemeine Präzession = P cos & — 01231. 


Aus diesen Größen können die entsprechenden Geschwindigkeiten be- 
zogen auf das System des Aquators berechnet werden, nämlich die 





25) S. Newcomb, Fund. Const., p. 132. 


9. Die Präzessions- und die Nutationskonstante. 859 


(9) Allgemeine Präzession in Rektasz. = m —= P cos &® — 01342, 
Lunisolarpräzession in Dekl.....= n= Pos: sine. 
Diese beiden Größen m und n können und müssen aus den Beobach- 
tungen der Fixsterne bestimmt werden, m aus den Rektaszensionen, 
n aus den Deklinationen. Man benutzt hierzu Beobachtungen der- 
selben Gestirne zu zwei möglichst voneinander entfernten Epochen. 
Da bei allen diesen Bestimmungen naturgemäß wenigstens teilweise 
dasselbe Beobachtungsmaterial verwendet wird, wird hier auf die An- 
führung früherer Bestimmungen verzichtet und nur die neueste von 
Newecomb ausgeführte angegeben?®): die instantanen Geschwindigkeiten 
für ein tropisches Jahr und gültig für die Epoche 1850 ergaben sich zu: 
m —=46"0T1l, n=20"0511, 


und hieraus dann: 


Allgemeine Präzession in Länge 50”2453, 


(10) ? 
Lunisolarpräzession „ ,„ 503684 

und schließlich ; 

(11) P = 54”9066 — 0”0000364 7 


(T in Jahrhunderten von 1850 aus gezählt). Es ist hier die geringe 
Veränderlichkeit von P mitangegeben, die eine Folge der säkularen 
Änderung der Exzentrizität der Erdbahn ist, welche auf die Zahlen- 
werte in (7) einwirkt; sie ist natürlich rein theoretisch. 

Die Bestimmung der Präzessionskonstante ist eine schwer zu be- 
friedigende Aufgabe. Schon die Verwendung recht ungleichförmigen 
Materiales, wie es durch die Verschiedenheit der Epochen geboten 
ist, erschwert die Lösung. Neuerdings erkannte systematische Ver- 
fälschungen der Beobachtungen, wie die Helligkeitsgleichung bei Me- 
ridiandurchgängen, lassen sich bei den älteren Beobachtungen nicht 
mehr berücksichtigen, ebenso die Unterschiede, die bei Tag- und 
Nachtbeobachtungen auftreten. Aber auch prinzipielle Bedenken ma- 
chen sich dagegen geltend, daß man in dem bestimmten Werte P das 
vor sich habe, was er nach Gleichung (7) darstellen soll. Wenn die 
benutzten Sterne einem System angehören, das eine Rotationsbewegung 
ausführt, dann läßt sich diese von der Präzessionsbewegung nicht 
trennen, da man keine absolut feste Richtung am Himmel hat.?*®) An- 


26) S. Newcomb, A new determination of the Precessional Constant. Wash. 
Astr. Pap., vol. VIII, part 1. Washington 1898. Die definitiven Werte stehen 
Seite 72. 

26a) H. Seeliger, Über die sogenannte absolute Bewegung. München Ber. 
36 (1906). 

56* 


860 YVI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


dere Schwierigkeiten bereiten die Eigenbewegungen der Fixsterne und 
ihr systematischer Charakter in der Apexbewegung. Die ausschließ- 
liche Benutzung kleinster Sterne, bei denen noch am ehesten die ge- 
nannten Einflüsse verschwinden werden, scheitert gegenwärtig noch 
an dem Mangel von älterem Beobachtungsmaterial. Aber die Fragen, 
die in nicht ferner Zeit an die Stellarastronomie herantreten werden, 
werden nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer möglichst einwand- 
freien Kenntnis der Präzessionskonstante hinweisen. 


Das Hauptglied der Nutation in Schiefe, mit dem das Hauptglied 
der Nutation in Länge theoretisch zusammenhängt, hat, wie die Theorie 
lehrt, die Zusammensetzung a 
(12) N = [5,0289] cose; ER 
wo wieder der logarithmisch angesetzte Zahlenfaktor eine genau be- 
kannte, aus den Elementen der Mond- und Sonnenbahn berechenbare 
Größe ist. Insbesondere geht .in ihn ein die mittlere Bewegung des 
Mondknotens auf der Ekliptik, die bekanntlich den Knoten der Mond- 
bahn in etwa 183 Jahren durch den ganzen Umkreis führt. Die Länge 
dieses Knotens ist auch das Argument der Hauptglieder der Nutation. 
Mit dem Wert von s = 23°27'31”68 für 1850,0 wird die Gleich. (12) 

Be 64 
(13) N = [5.365422], 5 
Die Bestimmung der Nutationskonstante aus Gestirnsbeobachtungen 
geschieht, wie die Gleichungen, dieser Band, S. 40, lehren, durch Ver- 
folgung mehrerer Gestirnsörter, am besten von Polsternen, durch eine 
ganze Periode des Mondknotenumlaufes. Sind die Gestirne durch die 
Stunden der Rektaszension wohl verteilt, so ist zu erwarten, daß sich 
alle systematischen Fehler von selbst eliminieren. Die berühmteste 
Bestimmung ist die von Peters®"), dessen Wert für N = 9"223 + 0020 
mehr als 50 Jahre in fast allgemeinem Gebrauch gewesen ist. Später 
hat Newcomb das gesamte Material, hauptsächlich von den Sternwarten 
Greenwich, Pulkowa und Washington herrührend, neu diskutiert und 


gefunden ?®) N = 9’210 + 0008. 


Die letzte Zusammenfassung gibt Chandler?) mit Benutzung von 
nahezu demselben Material. ‚Hier ist seine Tabelle: 





27) ©. A. F. Peters, Numerus constans Nutationis. St. Pet. Mem. 3 (1844). 
28) Fund. Const., p. 131. 
29) Astr. Journ. 16 (1895), p. 1. 


10. Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde. 861 


Aus Rektaszensionen: N p 
Peters (Dorpat), Polaris. . .. 2. .... 9216 4 
De Ball (Pulkowa), 3 Polsterne. .. . . 217 7 
Newcomb (Greenwich), 4 Polsterne. . . . 196 10 

Aus Deklinationen: 

Lundahl.(Dorpat), Polaris... ..... 236 1 
Chandler (Pulkowa), 3 Zenitsterne. !. . 210 2 
De Ball (Pulkowa), 3 Polsteme . . . . . 234 7 
Newcomb (Greenwich), 47 Sterne... .. 194 21 
Neweomb (Washington), 69 Sterne. ... . 204 9 
Chandler (Greenwich), 34 Sterne. ... . 192 25 


Das Mittel ist N = 9” 202. 


Gegenwärtig gilt als sicherster Wert der von der internationalen Kon- 
ferenz zu Paris 1896 gewählte®®): 


(14) N —= 9”210 (gültig für 1900). 


N ist etwas veränderlich wegen des Faktors cose in (12) und der 
Säkularänderung von &. Für die hier angenommene Epoche 1850 wird 
N —= 9214 + 0008, 

ein Wert, den wir für das Folgende zugrundelegen wollen. 

Die beiden Gleichungen (7) und (13) geben nach Einsetzung der 
gewonnenen Zahlenwerte (P ist um 00012 korrigiert zur Reduktion 
auf das julianische Jahr als Einheit) 


54"9078 — [[5,975052] + 13,72509]) u, 


9"214 — [5,86542] a 


und können zur Bestimmung von w und ni dienen. Die Auflösung 


ergibt = — 0,003278 — 1/305,1. 
(16) 1 

MT 91,51 0,20° 
ga kann auch noch aus der Mondbewegung bestimmt werden 
(Nr. 10), und u ergibt sich auch durch die Mondgleichung der Erdbe-. 
wegung, wenn man die Sonnenparallaxe als bekannt annimmt (Nr. 8). 


Weiteres siehe Nr. 10 und Nr. 20. 


10. Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde. Diese 
beiden Konstanten müssen hier, als mit mehreren astronomischen 
Konstanten zusammenhängend, mitbehandelt werden. Es wurde in 
Nr. 9 gefunden, daß der Unterschied der Trägheitsmomente um die 
Polarachse und um eine Äquatorialachse € — A die Erscheinungen 


(15) 


30) Paris Bull. astr. 15 (1898). 


862 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


der Präzession und Nutation erzeugt und daß aus den beobachteten 
Werten dieser letzteren gefunden wird: 
C—A4A 


(17) Te = 0,003278, 


Diese selbe Differenz wirkt nun nicht nur auf die Lage der Erdachse, 
sondern weiter auch auf den Mond und erzeugt in dessen Bewegung 
einige periodische Störungsglieder in Länge und Breite von etwa 
8” Größe und der Periode eines Mondknotenumlaufes bzw. eines Mond- 
umlaufes um die Erde, die beobachtet und zur Kenntnis von C und 
A verwertet werden können. Das Glied in Länge wurde von Tobias 
Mayer empirisch entdeckt, dann von Laplace erklärt, unter Hinzu- 
fügung der Glieder in Breite. Die Behandlung dieser Glieder gibt 
Laplace in Mee. cel., livre VII, no. 20, seine Zahlen sind heute ohne 
Bedeutung. Hansen (Darlegung I, p. 459; II, p. 273) zeigt zuerst ihre 
genaue Zusammensetzung, vergleicht sie mit der Beobachtung und 
leitet aus dem Breitenglied C-— A und die Abplattung ab. Helmert 
(H. @. II, p. 469) vervollständigt Hansens Rechnung; ihm sind die 
folgenden Zahlenangaben entnommen: aus den Gliedern in Breite und 
Länge folgt 
B 


(18) m(e- aan =) ; — 0,001070 bzw. 0,001103, 


im Mittel = 0,001086, 
worin M und o, Masse und Äquatorradius der Erde bedeuten. 
Newecomb (Astr. Pap., vol. IX, p. 225) gewinnt mittelst des Haupt- 
gliedes in Breite aus einer sehr großen Reihe genauer Mondbeob- 
achtungen 


(19) #(e- 95 — 0,001117 
er 0) 


und macht auf die Unsicherheit dieses Resultates aufmerksam, da es 
die genaue Kenntnis der Schiefe der Ekliptik voraussetze. 

Außer diesen periodischen Störungsgliedern erzeugt die Differenz 
C — A säkuläre Störungsglieder in der Bewegung der Länge des 
Perihels und des Knotens der Mondbahn; daß diese Glieder nicht 
unmerklich sind, hat zuerst Hansen (Darlegungen I, p. 470) ausge- 
sprochen; Newcomb (Astr. Pap. IX, p. 225) leitet aus der Bewegung 
des Perihels und des Knotens ab: 


(20) „(ec - 4%) Fr — 0,001117 bzw. 0,001121, 


im Mittel = 0,001119. 


Aus den Werten (18), (19), (20) ergibt sich mit den Gewichten 
2, 1, 2, wenn zugleich B= A gesetzt wird, 


11. Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt. 863 


(21) ud (C — A) = 0,001105. 


Werden die Gleichungen (17) und (21) verbunden, so folgt (Hansen, 
Darlegung I, p. 472) 
C = Mo, 0,3371, 

(22) A = Mo, 0,3360. 
Die hieraus sich ergebenden Schlüsse auf die Massenanordnung des 
Erdinneren gehören nicht hierher. 

Mit den Trägheitsmomenten des Erdkörpers hängt die Abplattung a 
durch die von Laplace aufgestellte Be zusammen: 
30—A 
2. Me, mn: BR DE , 
die von Helmert (H. G. II, p. 83) in die merklich genauere verbessert 
wurde: 

3 0—A 


1 3 1 
(23) ee ee; 
hierin bedeutet c das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere am 
Äquator, also nach Nr.2  — 0,0034672. 


Mit dem oben gefundenen Werte 
1 0—A4A 


Mm u = 0,001105 


folgt dann: 

(24) a = 0,003386 = 1: 2%,3. 

Aus Schweremessungen mittelst des Sekundenpendels hat Helmert ab- 
geleitet (siehe VI 1,3 (Pizzetti), Nr. 51) 

(25) a=1:298,3 

und Jwanoff (ebendort) 

(26) a= 1:296,6. 

Bekanntlich geben is geodätischen Vermessungen Abplattungen 


so0155 (Pessel), (Clarke), 


1 
an 15 293,465 


zwischen denen die obigen liegen. 


ll. Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt. Die 
Neigung des Erdäquators gegen die Erdbahn, die Schiefe der Eklip- 
tik & und der Knoten beider Ebenen, der Frühlingspunkt T, gehen 
aus Meridianbeobachtungen der Sonne hervor, die in der Nähe der 
vier Hauptpunkte der Sonnenbahn angestellt werden. Deklinations- 
 beobachtungen zu den Zeiten der Solstitien geben &, Deklinationsbe- 
obachtungen und Durchgänge der Sonne und der Zeitsterne um die 
Zeit der Äquinoktien geben T. Die Praxis dieser Bestimmungen ist 


864 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


in dem Artikel VI 2, 2 (Cohn), Nr. 3—5 auseinandergesetzt. Die Be- 
stimmung der Schiefe leidet, außer an der Unsicherheit der Sonnen- 
beobachtungen überhaupt, wesentlich daran, daß Beobachtungen ver- 
glichen werden müssen, die unter ganz verschiedenen atmosphärischen 
Bedingungen zustande kommen, Sommer- und Winterbeobachtungen, 
die außer verschiedenen instrumentellen Einflüssen auch Unterschieden 
der Refraktion unterliegen, denen schwierig beizukommen ist. Ge- 
häuft werden die Schwierigkeiten bei Bestimmungen der Säkular- 
änderung der Schiefe, weil hier notwendig noch verschiedene Beob- 
achter und Instrumente konkurrieren. Neweomb (Fund. Const., p. 33) 
hat aus einer eingehenden Diskussion sich schließlich für den in den 
Sonnentafeln angenommenen Wert entschieden: 


1900, Jan. O0 Greenwich OR M. Z. 
(27) & = 23°27'8”26 — 46”845 T — 0”0059 T? + 0”00181 T? 
(T in jul. Jahrhunderten von 1900 an gezählt). 

Die Festlegung des Frühlingspunktes hängt sowohl von Deklina- 
tionsmessungen als von Durchgangsbeobachtungen ab. Wird die Schiefe 
der Ekliptik als bekannt angenommen, so gibt die gemessene Dekli- 
nation der Sonne d„ die Rektaszension &„ durch 

sin ao — cotge tg do, 

&o aber bestimmt den Abstand der Sonne vom Frühlingspunkt im 
Moment des Durchganges und damit diesen selbst. Sofort angeschlos- 
sene Durchgänge von Fixsternen legen den Frühlingspunkt auch durch 
diese fest. Das auf diese Weise aufgestellte System von. Fixstern- 
rektaszensionen (das Fundamentalsystem) dient dann statt des.direkten 
Anschlusses an T für die Koordinatenmessung am Himmel. Sein Fehler 
geht in alle Messungen ein und muß sorgfältig überwacht werden. 
Für weitere Einzelheiten wird auf die unten angeführten Werke®!) 
verwiesen. 


12. Tropisches und siderisches Jahr. Durch Bearbeitung von 
etwa 40000 Sonnenbeobachtungen in dem Zeitraum von 1750 —1890 
fand Newecomb°?) für die mittlere tropische (d. h. auf den Frühlings- 
punkt bezogene) Bewegung der Sonne in einem julianischen Jahr- 
hundert von 36525 mittleren Sonnentagen den Betrag 


31) A. Wagner, Poulkova obs. 3 (1870), 12 (1887); A. Auwers, Neue Reduk- 
tion der Bradleyschen Beobachtungen aus den Jahren 1750--62, 1, St. Peters- 
burg 1903; F. Cohn, Königsb. Beob. 39 (1899); $. Neiwcomb, Fund. Const., p. 15; 
8. Neweomb, Catalogue of 1098 Clock and Zodiacal Stars, Astr. Pap., vol. 1; 
5. Neweomb, Catalogue of Fundamental Stars, Astr. Pap., vol. VII. 

32) Fund. Const., p. 182. 


13. Sternzeit und mittlere Zeit. 865 


12960276674, (gültig für 1850), 


der vor Einführung in die Sonnentafeln®®) noch um den Betrag -+ 030 
verbessert und auf die Epoche 1900 gebracht wurde (durch Anbringung 
der berechneten Säkularstörungen); er kam dann auf 
(28) 129602768” 13 + 27178 T, 
worin T in julianischen Jahrhunderten von 1900 Jan. 0 0% Om 08 
mittl. Zeit Greenwich ab zu zählen ist; er ist die Grundlage der’ Zeit- 
rechnung. Zuerst folgt aus ihm für die Dauer eines Zropischen 
Jahres, d. h. des Zeitraumes, den, der Mittelpunkt der Sonne von 
einem Durchgang durch den Frühlingspunkt bis zum Durchgang 
durch den nächsten, inzwischen rückwärts gegangenen braucht: 
BE 365,25 129600 BER 1296 000” 

, 1296 0276813 + 0702178 T 3548’ 33043 4 0’’0000596 T 

— 365,24220 — 0,00000614 T Tage. 


Sodann der Wert für die mittlere tägliche tropische Bewegung: 
(30) 3548” 33043 -+- 0”0000596 T. 


Durch Subtraktion des eintägigen Betrages der allgemeinen Präzession 

- in Länge, nämlich / 

50” 2564 + 0'0222 T 
365,2422 








(29) 





— 0” 137600” 000060 T 


erhält man ferner die mittlere tägliche siderische Bewegung der Sonne: 
(31) ER n"—= 3548” 19283 

und die Dauer des söderischen Jahres: 

(32) T,— gcyaraansg — 365,25636 Tage — 31558148"9 m. Z. 

Das tropische Jahr beginnt nach einer von Bessel getroffenen 
Festsetzung in dem absoluten von keiner Ortszeit abhängigen Mo- 
ment, in welchem die Größe A (s. Nr. 13, 61.34) ohne die Nutation, 
also die mittlere AR. der mittleren Sonne 
(33) A, = 279° 41’ 2754 + (3548353043 >< 365,25) t 
jeweils den Betrag 280° erreicht. Auf diesen Moment (bezeichnet mit 
z. B. 1919,0) pflegt man die Angaben der Fixsternastronomie zu be- 
ziehen: seine Beziehung zum Beginn des jeweiligen bürgerlichen 
Jahres ‚wird ein für allemal vorausberechnet (s. Bauschinger, Tafeln 
der theor. Astr. Taf. XXXlIa) 


13. Sternzeit und mittlere Zeit. Die Zeit wird durch die Um- 
drehung der Erde um ihre Achse, die als gleichförmig angenommen 


33) Astr. Pap. Vol. VI,p. 9. 


866 VIs,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


wird, gemessen; Zeitmessung wird dadurch Winkelmessung. Es muß 
ein Punkt an der Himmelssphäre vereinbart werden und auf der 
Erde ein Index, der stets zugänglich ist. Der Winkel zwischen beiden 
mißt die stattgehabte Bewegung und gibt das Maß für die dazu ge- 
brauchte Zeit. Als Index gilt der Meridian des Erdortes, der mit der 
rotierenden Erde die Himmelssphäre in der Richtung von West nach 
Ost überstreicht. Als Fixpunkte an der Sphäre sind zwei im Ge- 
brauch, die beide auf dem Äquator liegen: der Frühlingspunkt F und 
der Mittelpunkt $ einer fingierten im Äquator sich gleichmäßig be- 
wegenden Sonne,‘ die stets möglichst nahe an der wahren, sich un- 
gleichförinig bewegenden Sonne bleibt. Der erste führt zur Sternzeit, 
der zweite zur mittleren Sonnenzeit. Der Winkel zwischen Meridian 
und F' bzw. S, in der entgegengesetzten Richtung der Bewegung vom 
Meridian aus gezählt, heißt Stundenwinkel und mißt: die Zeit. 

Der Frühlingspunkt wird durch Präzession und Nutation (s. Nr. 9) 
bewegt, aber so nahe gleichförmig, daß seiner Benutzung zur Her- 
stellung eines gleichförmigen Zeitmaßes kein Bedenken entgegensteht. 
Der Moment, in dem der Meridian eines Ortes über den wahren 
Frühlingspunkt hinweggeht, ist der Beginn eines Zeitintervalles, des 
Sterntages, dessen Ende mit der nächsten Koinzidenz von Meridian 
und Frühlingspunkt zusammenfällt. Der Stundenwinkel des wahren 
Frühlingspunktes mißt die seit Beginn des Sterntages verflossene 
Ortssternzeit. 

Die mittlere (fingierte) Sonne bewegt sich mit derselben mitt- 
leren Geschwindigkeit im Äquator, wie die wahre in der Ekliptik, 
d. h. ihre Rektaszension wird durch folgenden Ausdruck definiert) 
A = 279% 41’ 27” 54 + (3548”33043 >< 365,25) t 

+ 0”0001395 #? + Nutation in AR 
oder in Zeitteilung: 

A = 184 38” 45° 836 + (3m 56° 55536 >< 365,25) t 
+ 0°0000093 #? + Nutation in AR, 

wobei £ in julianischen Jahren von dem Moment 1900 Jan. 0 = 1899 
Dez. 31 0% mittlerer Zeit Greenwich an gezählt ist. Der Moment, 
in welchem der Meridian eines Ortes über diese mittlere Sonne hin- 
weggeht (mittlerer Mittag) ist der Beginn eines Zeitintervalles, des 
mittleren Sonnentages, dessen Ende mit der nächsten Koinzidenz zu- 
sammenfällt. Der Stundenwinkel der mittleren Sonne mißt die seit 
Beginn des mittleren Sonnentages verflossene mittlere Ortszeit. 


(84) 





34) Newcomb, Astr. Pap. VI, p. 9. 


14. Verwendung der Schweremessungen. 867 


Die Formel (34) zeigt, daß ‘die mittlere Sonne sich in jedem 
mittleren Tag um den Winkel 
354833043 — 3” 56° 55536 
in der Richtung der Rotationsbewegung, also von West nach Ost, 
vom Frühlingspunkt entfernt. Da der Meridian in einem Sterntag 
360° — 1296000” — 86400° 
beschreibt, braucht er 


MB 2230 850, 00900 Sterntage, 





129600 86400 
um die bewegte Sonne einzuholen, und es ist daher 
(35) 1 mitt]. Sonnentag — 1,002737909 Sterntage, 
woraus 1 Sterntag = 0,997 269567 mittl. Sonnentage 
oder 1 mittl. Sonnentag — 24% 3” 56°55536 Sternzeit 
1 Sterntag — 23» 56” 4°09058 mittl. Zeit 


— 86164°09058 mittl. Zeit. 


Der Überschuß von 3” 56°55536 Sternzeit der Dauer eines mittleren 
Tages über die Dauer eines Sterntages häuft sich in 


86400 ö 
236,55536 == 365,24220 mittl. Tagen 


zu einem vollen Sterntag an. Man hat also zwischen Sternzeit und 
mittlerer Zeit auch die Beziehung: 
(36) 366,24220 Sterntage — 365,24220 mittl. Tage. 

14. Verwendung der Schweremessungen. Wir stellen hier die 
Formeln zusammen, die die Benutzung der Schweremessungen auf 
der Erdoberfläche für astronomische Zwecke vermitteln. 

Nennt man 1, m”, m”u die Massen von Sonne, Erde (ohne Mond) 
und Mond, m,’ = m”(1-+ u) die Masse von Erde und Mond zu- 
sammen, so ergibt sich für die Anziehung @, in der mittleren Breite 
9,, der der Erdradius o, entspricht, die Formel 
(37) kim” = 0°G,, 
worin G, durch =?L, bestimmt ist (Z, — Länge des Sekundenpendels), 
Damit verbinden wir die Keplerschen Gleichungen für die Mond- 
und für die Erdbewegung: 


(88) Km’ + u) = na 
(39) ®i+m’l+ W) =n"d”, 
Aus (37) und (38) folgt: 
ie n) 
35 (=r 1 er ) 


en) 


| 
wm 








868 VlI»2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


oder, wenn mit 7, die siderische Umlaufszeit des Mondes in Sekunden 


. 27 . 
bezeichnet und %,—= 7 gesetzt wird: 
> 1 


ER m 4n’ og, er 4 L EN 
(40) sin ,— a, 0ı % ar are) (7 


Diese Gleichung dient zur Bestimmung der ungestörten Mendparollara 
x). Die gestörte ergibt sich hieraus durch Hinzufügung des kon- 
stanten Betrages der Störungen oder durch Multiplikation mit dem 
Faktor 1,0009077; dies gibt dann die Konstante im sin der Mond- 
parallaxe (Nr. 16). 

Aus (37) und (39) IR 








[73 
ee ®% m, 


sin 7 Sure (F) YV [Z 
ER 01 @, a "E u) 1m, 


= in @ / m 
Seht en 

wo gesetzt ist n” —= e und 7 die siderische Umlaufszeit der Erde 
in Sekunden bedeutet. Diese Gleichung ist die Beziehung zwischen 
Sonnenparallaxe und Erdmasse (Nr. 15). 

Wir fügen hinzu, daß, wenn an Stelle der Anziehung auf einen 
Punkt der Erdoberfläche die Anziehung auf den Mond herangezogen 
wird, die entsprechende Beziehung sich aus (38) und (39) ergibt: 


(42) A . es ( 2) 1 








(41) 


wii... (2) ehe = ”o)' FE 2 
a sin, 


wo 7, die siderische Umlaufszeit des Mondes um die Erde ist. 
Hieraus kann man die Erdmasse bestimmen (Nr. 17), wenn das 
Verhältnis der Sonnen- zur Monparallaxe irgendwie bekannt wird. 


15. Die Erdmasse und ihre Beziehung zur Sonnenparallaxe. 
Durch Vergleichung der Anziehung @,, welche die Masse der 
Erde auf einen Punkt ihrer Oberfläche ausübt und die durch die 
Messung der Länge L, des einfachen Sekundenpendels gefunden wird, 
mit jener, welche sie auf die Sonne ausübt, ergibt sich die Beziehung 
(41) zwischen der Erdmasse und der Sonnenparallaxe: 
EEE EC 
in: V(T) ann IF m” 
Hierin ist die Anziehung G, für mittlere Breite gebraucht, da die 
Mechanik zeigt, daß Punkte, die auf dem Parallel der geozentrischen - 


Breite 9,’ der Erdoberfläche liegen, welcher durch sing,’ -V+ 





16. Die Mondparallaxze. 369 


bestimmt ist, bei jeder Hypothese über Gestalt und Massenordnung 
der Erde so angezogen werden, als ob deren Gesamtmasse in ihrem 
Mittelpunkte vereinigt wäre. 

Trägt man in die Formel die Zahlenwerte aus Nr. 2, 12, 20 


o, = [6,8046435]m eo, = [6,8041577] m 
G, = [0,992130] mise. T= [7,4991115] Sekunden 


uw = 1:81,55 
ein, so folgt: 


m, 
14m,” 


1 2 
ar gesetzt wird, 





3 
x = 607”02. 


oder bequemer, wenn M — 





3 


(43) xo VM = 607"02 [2,783202] 
M = Sonnenmasse in Einheiten der (Erde + Mond) Masse. 
Folgende Tabelle enthält zusammengehörige Werte von x. und M 


To M (Erde + Mond) 
8”770 331590 140 
1780 330460 
1130 
190 329330 
800 328210 1 


810 327090 1120 
Durch Differenzieren der Formel und Einführung der Abplattung a 


der Erde durch 2—=1+ - erhält man: 
7 PARREN [4940241 dM + [3,66271] de, — [5,51708] d 
—-10 —10 —-10 


und sieht, daß 1000 m Unsicherheit in g, und 10 Einheiten im Nenner 
von a noch keine 0”001 in x=% hervorbringen, daß also die Zahl 
607”02 hier als Konstante gelten kann. Wenn daher die Säkular- 
störungen den Wert der Erdmasse auf 0,003 ihres Betrages genau 
geben, so folgt aus der Formel (43) die Sonnenparallaxe auf 0”01 
genau. Jedenfalls ist man gezwungen, die Werte von x. und M so 
zu wählen, daß (43) erfüllt ist. 


Der Mond. 


16. Die Mondparallaxe. Die Bestimmung der Mondparallaxe 
kann wie die der Sonnenparallaxe auf zwei Wegen erfolgen, dem trigo- 
nometrischen und dem durch Benutzung der Eigenschaften der Gravi- 
tation. Der erste ist hier wegen der Größe des gesuchten Winkels 


870 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


technisch leicht ausführbar, leidet aber an dem Umstande, eine genaue 
Kenntnis der Erdabplattung vorauszusetzen, in so hohem Maße, daß 
man umgekehrt vorgeschlagen hat, durch Messungen der Mondparallaxe 
die Erdgestalt zu bestimmen (siehe Helmert, Höh. Geod. II, p. 451). 
Das scheitert nur daran, daß die Methode einerseits genauere Mond- 
tafeln voraussetzt, als wir zurzeit besitzen, und daß sie andererseits von 
systematischen Messungsfehlern freiere Meridianbeobachtungen von 
absoluten Monddeklinationen verlangt, als zurzeit unsere Instrumente 
leisten können. Immerhin ziehen es die Mondtheoretiker seit Laplace 
vor, die Mondparallaxe durch die Gravitation zu ermitteln, besonders 
seitdem ein großes Netz von Schweremessungen vorliegt. 


Die trigonometrische Methode besteht in der Vergleichung von 
Meridiandeklinationen des Mondes, die an zwei auf demselben Meri- 
dian liegenden Sternwarten der Nord- und Südhalbkugel- der Erde 
angestellt werden z. B. in Greenwich und am Cape. Es liegen zwei 
Bearbeitungen der Mondbeobachtungen dieser beiden und einiger an- 
derer Sternwarten vor, die von Dreen (Lond. Astr. Soc. mem. 32 (1863)) 
und die von Stone (ebenda 34 (1865)). Nach der Interpretation von 
. Newcomb (Astr. Pap., vol. I, p. 79) sind ihre Resultate: 

Breen sin nm, = 3422”62 sin 1” 
Stone sin m, = 3422, 70 sin 1”. 


Ersterer Wert beruht auf 123 Beobachtungen des Mondes, angestellt 
am Öape von 1830—1837 mit entsprechenden Beobachtungen von Green- 
wich, Edinburgh und Cambridge, letzterer beruht auf 239 Cape-Beob- 
achtungen 1856—1861, verglichen mit entsprechenden in Greenwich. 


(44) 


- Die eben angegebene Zahl pflegt man meist als die Konstante der 
Mondparallaxe zu .bezeichnen, es kommt aber auch vor, daß man xy 
selbst, nicht seinen Sinus so benennt; es ist =) = (sin @,) + 0157; 
wir werden im folgenden die Zahlenangaben stets für den Sinus 
machen und überhaupt definieren: Die Konstante der Mondparallaxe 
ist das konstante Glied im vollständigen Störungsausdruck für den 
Sinus der Parallaxe des Mondes. Diese von der Definition der Sonnen- 
parallaxe abweichende Fassung ist hier notwendig, da bei den starken 
Störungen der Mondbahn nicht ohne schärfere Definition von einer 
mittleren Entfernung oder der großen Halbachse der Bahnellipse ge- 
sprochen werden kann. Das konstante Glied ist verschieden bei den 
verschiedenen Mondtheorien, und bei der Vergleichung sind Trans- 
formationen erforderlich. | 


Das Prinzip der physikalischen Bestimmuug der Mondpar- 
allaxe beruht auf der Vergleichung der Anziehung der Erde auf 


16. Die Mondparallaxe. 871 


Punkte ihrer Oberfläche, ermittelt durch Messung der Länge des 
Sekundenpendels, mit der auf den Mond ausgeübten Anziehung, wie 
sie durch das dritte Keplersche Gesetz geboten wird (siehe Nr. 14 
Gleichung (40)), also auf der Verbindung der Gleichungen: 

BET 

rn 1l+)-al+n)=@ 

Km’ +u)—=na; 
darin bedeutet m” die Erdmasse (ohne Mond), u das Verhältnis der 
Mondmasse zur Erdmasse, /, die Länge des einfachen Sekundenpendels, 
%, das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere, g, die Schwere, 
alle drei für die mittlere Breite 9,', og, den zugehörigen Radius der 
Erde, ny; die mittlere siderische Bewegung des Mondes, a, die große 
Halbachse der Mondbahnellipse, in der der Mond sich bewegen würde, 
wenn er keinen Störungen unterworfen wäre.””) Die Gleichungen 
geben 1 

A Bl My? 9 \° 

(#9) 47. lrree) 
und lassen erkennen, ‘daß kein direkt beöbachteter Wert mit dem 
hieraus berechneten an Genauigkeit konkurrieren kann, daß es also 
verschwendete Mühe ist, eine Korrektion der Parallaxe durch Ein- 
führung in ‚irgendwelche Bedingungsgleichungen erzielen zu wollen. 
Der erste Faktor in der Klammer rechts kann als völlige Konstante 
angesehen werden: eine Änderung im Nenner von u um + 0,1 würde 
die Parallaxe übrigens nur um + 0”017 ändern; der zweite Faktor allein 
hängt von Größen ab, die noch unter Diskussion stehen; in welchem 
Maße dies der Fall ist, erkennt man daraus, daß eine Änderung von 


+ 1000 m in o, die Parallaxe um + 0718 
und von +imm ınG, „ . „ dl 


ändern würde. Die Unsicherheit von o, und @, übersteigt die ange- 
gebenen Grenzen sicher nicht und ist fast ausschließlich durch den 
adoptierten Wert der Abplattung bedingt. Die Unsicherheit der be- 
rechneten Parallaxe bleibt also unter + 0”10; für die ‚beobachtete 
Parallaxe müßte beim heutigen Stand der Mondbeobachtung an Me- 
ridiankreisen mindestens der dreifache Betrag angesetzt werden. 

Mit (45) rechnet zuerst Laplace 1799 in Mee. cel, Livre II Nr. 5 
die Mondparallaxe und wiederholt diese Rechnung in Livre VII Nr. 19. 





35) Dieser Zusammenhang kann auch zur Bestimmung des Äquatorialradius 
der Erde verwendet werden, wenn man die Mondparallaxe als bekannt voraus- 
setzt, siehe Helmert, Höh. Geod. II, p. 460. 


872 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Ihm folgt Hansen, der sein Verfahren in den „Fund. nova...“ p.126, 
in Astr. Nachr. 17 (1840), p. 297, in den „Tables de la Lune“ p. 4 und 
in der „Darlegung....“ I, p. 415 auseinandersetzt, und von Neweomb 
in Astr. Pap. I, p. 77 kommentiert wird. Hansen rechnet mit der 
anomalistischen Bewegung »,, und infolgedessen ist seine mittlere Ent- 
fernung a) abweichend von den anderen Theorien definiert, die die 
siderische Bewegung zugrunde legen; es lassen sich daher nur die 
Resultate vergleichen. Es ist wichtig, die Hansensche Parallaxe genau 
zu kennen, da seine Tafeln nun schon 60 Jahre fast allen Mondunter- 
suchungen zugrunde liegen. In den Astr. Nachr. a, a. O. gibt Hansen 
selbst als sinz, 3422”06 an, diese Zahl scheint aber durch Rechen- 
unsicherheiten etwas entstellt zu sein, Newcomb a. a. O. findet mit den- 
selben Daten, die Hansen benutzt, 3422”09, allein auch diese Zahl 
hält einer genaueren Prüfung nicht stand. Um zu finden, welche 
Parallaxe tatsächlich den Tafeln zugrunde liegt, muß man die An- 
gaben in diesen selbst a. a. O. und in der damit übereinstimmenden 
Darlegung a. a. O. zusammenstellen, da Hansen selbst das Schluß- 
resultat nicht mehr angibt; dann aber erhält man zweifelsfrei: 


sin x, = 53419’41 + 2771 = 342212. (Hansen) 
Adams?®®) findet nach derselben Methode, aber mit anderen Werten 
für die Mondmasse und für die Länge des Sekundenpendels 
sin x, = 3422”325, (Adams) 
ebenso Newcomb (Fund. Const. S. 193) mit Clarkes Erddimensionen 
und Helmerts Pendellänge 
sin m) = 342255. (Newecomb) 
Reduziert man alle drei Angaben auf das iu Nr. 2 adoptierte System 
und die Mondmasse 1:81,53, so wird: 
Hansen sin x, = 3422”39 
Adams 3422,39 
Neweomb 3422,43. 
Dabei ist zu beachten, daß diese Zahlen bereits den konstanten Teil 
des Störungsbetrages enthalten. Die Gleichung (45) gibt nämlich mit 
den eben erwähnten Daten die ungestörte Parallaxe 3419”39, d. h. 


die Parallaxe ohne den konstanten Betrag der Störungen. Nach der 
Theorie von Delaunay®‘), die auch für den obigen Wert von Adams 


36) J. C. Adams, On new Tables of the moons Parallax, Lond. Astr. Soc. 
Month. Not. 13 (1862), p. 263 und Naut. Alm. 1856. 

37) Ch. Delaunay, Expressions numeriques des trois coordonnees de la 
lune. Conn. des Temps 1869. Add. p. 10. 


N 


16. Die Mondparallaxe. 373 


gilt und von Neweomb bei Ableitung des seinigen adoptiert wurde, 
erhält man daraus den konstanten Teil im Störungsausdruck des sin 
der Parallaxe, wenn mit 1,0009077 multipliziert wird, in unserem Falle 


sin z, = 3422” 50. 


In den Theorien von Delaunay®®) und Brown®”) (s. auch VI 2, 14 
(Brown)) wird von dem beobachteten, also dem gestörten Wert der 
Konstante ausgegangen, und zwar von dem oben (Gleichung 44) an- 


gegebenen sin m, = 3422” 70 — - (nach der Bezeichnung von Brown); 


der ungestörte Wert —, wo a die Halbachse der intermediären oder 


Variationsbahn ist, die für die Durchführung der Theorie als Funda- 
mentalkonstante gebraucht wird, ergibt sich durch Multiplikation von en 


f 1 
mit 0,9990931 = 1,0009077 zu 


2 — 3419” 596, 


a 


Der genannte Zahlenfaktor wird von Delaunay a a. O.p. 10, von 
Hill“) und von Brown (a. a. O. Bd.53, p. 88, Bd. 57, p. 109) ab- 
geleitet. Die Halbachse a genügt mit dem beobachteten (siderischen) 


Wert von n, streng dem Keplerschen Gesetz 


na? —=k?m’(l + u) 
und führt mit der Gleichung für die Erde 
n""a®—=k(il+m’l+ u), 


wenn entsprechend a 
z„’ = Io 


und n” gleich der siderischen mittleren Bewegung der Erde gesetzt 
wird, zum zugrunde liegenden Wert der (Erde + Mond)-Masse m,” 
i IN ® >, 


m,” = er ” 
1+m” \n” £ 
a 
Mit dem sehr genau bekannten Verhältnis der siderischen Bewegungen 
von Sonne und Mond 








= — 0,0748013 " 18,8739091_.] 


und dem beobachteten Wert der Mondparallaxe (44) sin x, = 3422” 70 


38) Ch. Delaunay, Theorie du mouvement de la Lune, Paris 1860, 1867. 
39) E. W. Brown, Theory of the motion of the Moon. Lond. Astr. Soc. mem. 
53 (1897), 54 (1900), 57 (1905), 59 (1908). 
40) G. W. Hill, Res. in the Lunar theory, Americ. J. of Math. I (1877) 
— Works I, p. 284—335. Siehe auch Tisserand, Mec. cel. Vol. IIl p. 272. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 57 


874 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


sin 1”, korrigiert für Störungen: sin m) = — 3419’60 sin 1” ergibt 
diese Gleichung: 


2 


25V 14 Ha m,” m es 3 60708, 


Dieses ist dieselbe Gleichung wie (43), nur ist der Zahlenwert rechts 
auf anderem. Wege bestimmt, nämlich hier durch die Mondbewegung, 
dort durch Pendelmessungen. 

Es ist von Interesse, den besten zurzeit erreichbaren Wert der 
Konstante des sin der Mondparallaxe zu kennen. Wir berechnen ihn 
mit folgenden Daten. Die Länge des Äquatorialradius der Erde wird 
nach der Berechnung von Battermann‘') aus Helmerts Berichten über 
die Tätigkeit des Zentralbureaus der Internationalen Erdmessung für 
1906 und 1907 zu o, = 6378102 m mit der zugehörigen Abplattung 
1:298,3 angenommen; die Beschleunigung der Schwerkraft nach 
Nr. 2, die Mondmasse nach Nr. 20 zu 1:81,53 und die mittlere 
siderische Bewegung des Mondes in einer Sekunde nach Neweomb zu 
logn = 4,425159—10 (in Bogen). Es ergibt sich 

sin x, (ohne den konst. Teil der Stör.) = 3419"52 
sin x) (für die Variationsbahn) —= 3422,62. 


17. Die parallaktische Ungleichheit in der Mondbewegung. Mit : 
diesem Namen wird eines der größeren Störungsglieder in der Mond- 
länge bezeichnet, dessen Koeffizient vom Verhältnis der Sonnenpar- 
allaxe zur Mondparallaxe abhängt und dessen Argument die Differenz 
der Mond- und Sonnenlänge ist. Der analytische Ausdruck kann in 
der Form aufgestellt werden 


(46) An un Fee ee ‚sin (in — Lo), 





worin Ü ein von der benutzten Störungstheorie abhängiger Zahlen- 
faktor, u das Verhältnis der Mond- zur Erdmasse, x, die Sonnenpar- 
allaxe, (xy) die Parallaxe der ungestörten Mondbahn, L, und Lo die 
mittleren Längen von Mond und Sonne sind. Nach einer Berechnung 
von Battermann“:) sind die Werte von log C in den Theorien von 


log C 
Hansen, Tables de la Luıne . . . . .4,696510 
' Hansen, Darlegung der in den Mondtafeln 
angewandten Störungen . . . 4,696311 


Brown, Theory of the Motion of the Moon 4,697 301. 


41) H. Battermann, Beitrag zur Bestimmung der Mondbahn. Berlin Stern- 
warte Ergebn. Nr. 13 (1900), p. 12. 
42) Ebenda p. 15. ® 


17. Die parallaktische Ungleichheit in der Mondbewegung. 875- 


Mit der Mondmasse 1:81,53 und der oben abgeleiteten ungestörten 
Mondparallaxe (x))”—= 3419’52 ergeben sich hiernach für den Koef- 
fizienten P der Ungleichheit die Werte: 


P= [1,151891,] #5 = -- 14,1870 a5 Hansen, 
(47) [1,151692,] x5 = — 14,1805 x5 Hansen, 
[1,152682,] x3 = — 14,2129 a5 Brown. 


Nach Delaunay (Theorie du mouvement de la lune II, p. 847) 
wird log © = 4,696856 und daher mit obigen Daten: 


P— [1,152237] x. — — 14,198 { Delaunay. 


Könnte man P mit hinlänglicher Sicherheit aus den Beobach- 
tungen ermitteln, so läge in dieser Gleichung ein ausgezeichnetes 
Mittel zur Bestimmung der Sonnenparalla® vor. Allein hierzu wer- 
den sowohl einwandfreie Beobachtungen und eine genaue Kenntnis 
des Mondhalbmessers als auch eine exakte Mondtheorie erfordert. Die 
Gleich. (46) zeigt, daß die Beobachtungen bei L, — La = + 90°, also 
bei den Quadraturen angestellt sein müssen; dies erfordert Meridian- 
beobachtungen bei Tageslicht, wo die Irradiation eine große Rolle 
spielt, und für die beiden Quadraturen ist an verschiedenen Rändern 
des Mondes einzustellen; die Reduktion erfordert also eine genaue 
Kenntnis des Mondhalbmessers und wird außer durch die Irradiation 
noch erschwert durch die Unregelmäßigkeiten des Mondrandes. Ältere 
Meridjanbeobachtungen, bei denen die Rücksichtnahme auf diese Um- 
stände erschwert ist, scheiden hier völlig aus; die aus ihnen abgelei- 
teten Werte von P sind in die unten folgende Zusammenstellung 
nicht aufgenommen. Durch zweierlei Beobachtungsarten des Mond- 
ortes ist in neuerer Zeit ein Fortschritt erzielt worden: 1. durch die 
ausschließliche Benutzung von Sternbedeckungen durch den Mond 
nach dem Vorschlag von H. Battermann“?), 2. durch die Ableitung 
der Mondörter aus der Beobachtung des Kraters Moesting A nach 
dem Vorschlage von J. Franz.*) Diese bleiben daher allein neben‘ 
einem von Newcomb*°) aus den Greenwicher und Washingtoner Meri- 
dianbeobachtungen seit 1862 und einem von Cowell‘®) aus den Beob- 
achtungen 1847 — 1901 abgeleiteten Werte stimmberechtigt. Die 
Werte sind: 


43) Berlin Sternw. Ergebn. 5 (1891), 11 (1902), 13 (1910). 

44) Astr. Nachr. 136 (1894), p. 353. 

45) Fund. Const. p. 151. 

46) P.H.Cowell, Analysis of.145 Terms in the Moons Longitude 1750— 1901. 


Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1905), p. 108. 
67* 


876 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Newcomb, Beob. am Mer.-Kreis Greenw. u. Washingt. — 12453 +0”16 
Battermann, aus etwa 1000 Sternbedeckungen — 124, 93 +0,18 
Franz aus Beobachtungen von Moesting A — 124, 36 + 0,27 
Cowell ausd&reenwicher Beobachtungen 1847—1901 — 124, 90 

Mit den Gewichten 2, 5, 1, 2 folgt hieraus: 

(48) —= — 12486; 

die Unsicherheit kann auf &twa + 0”15 geschätzt werden. 

Nicht nur die Ableitung von P aus den Beobachtungen setzt 
eine exakte Mondtheorie voraus, weil sonst die Ablösung von P von 
den übrigen Störungsgliedern nicht möglich ist, sondern die oben an- 
gegebenen Werte von log Ü zeigen auch, in wie hohem Grade das 
Verhältnis von P zur Sonnenparallaxe von der Theorie abhängig ist. 
Die theoretische Unsicherheit in der Sonnenparallaxe steigt hiernach 
bis 0”020; eine Verwendung der Gleichung zu ihrer Bestimmung ist 
daher zurzeit noch aus Gründen der Theorie und der Beobachtung nur 
mit Vorbehalt möglich. 

Hansen‘') leitet aus der Vergleichung seiner mit dem Faktor 


9) 


7 multiplizierten Störungsglieder, also in der Hauptsache der par- 


allaktischen Ungleichheit, mit den Beobachtungen eine Korrektion 
des genannten Faktors ab und bestimmt dann mit dem verbesserten 
Faktor durch die Gleichung (42) 


die Erdmasse und mittelst dieser dann nach Gleichung (43) die Sonnen- 


parallaxe. Dabei hat er für — das Verhältnis der anomalistischen 
D) 


Bewegungen zu nehmen, das auch sonst seiner Theorie zugrunde liegt. 


Die von ihm erhaltenen Werte (Erdmasse — x —= 8906) 


u ’ 
zeigen die Unsicherheit der Grundlage. 
Newcomb (Fund. Const. p. 190) leitet aus der Gleichung (47) 
P = [1,15173,] ro 
die unsichere Konstante P selbst mittelst der Sonnenparallaxe 5 
—= 8”79 ab: P = _ 124"66 
in erträglicher Übereinstimmung mit dem beobachteten Wert. 


47) P. A. Hansen, Darlegung der in den Mondtafeln angewandten Störungen 
U, art. 266—269 


18. Die Elemente der Mondbahn. 877 


18. Die Elemente der Mondbahn. Gegen Ende des 17. Jahrh. 
waren durch reine Beobachtung, an der die Babylonier, Ptolemäus 
und Tycho Brahe den größten Anteil hatten, die Hauptzüge in der 
Bewegung des Mondes erkannt: die Mittelpunktsgleichung im Betrage 
von etwa 53°, die Neigung der Bahn gegen die Ekliptik im Betrage 
von etwa 5°, die rückläufige Bewegung des Knotens, welche ihn in 
6793 Tagen durch den Umkreis führt, die rechtläufige Bewegung des 
Perigäums, welche es in 3233 Tagen den Umkreis beschreiben läßt, 
die Hauptstörungsglieder in Länge, nämlich die Evektion (Ptolemäus) 
welche in den Syzygien und Quadraturen den Ort des Mondes um 
11° verschiebt, die Variation (Tycho Brahe), welche in den Oktanten 
eine Änderung von 40’ erzeugt und die jährliche Gleichung (Tycho 
Brahe) im Betrage von 11’; endlich die mittlere Bewegung, welche 
durch die Verbindung der an Finsternisse mit den neueren Beob- 
achtungen mit einer Genauigkeit bekannt war, wie bei keinem an- 
deren Himmelskörper. Newton und seine Nachfolger erklärten die er- 
kannten Bewegungen durch die Gravitation und wiesen theoretisch 
kleinere Störungsglieder nach, die die Beobachtung bestätigte. Es ent- 
standen Mondtafeln, welche aus einer Mischung von Theorie und Be- 
obachtung zusammengesetzt, schließlich ZLaplace und seinen Nach- 
folgern ermöglichten, eine reine Theorie des Mondes aufzubauen, 
welche die Beobachtung so gut darstellt, daß die genaue Bestimmung 
der Mondbahnelemente durch Bedingungsgleichungen stattfinden kann. 
Diese Gleichungen, welche die differenziellen Änderungen der Mond- 
bahnelemente und ihrer säkularen Bewegungen in Verbindung mit der 
Differenz Beobachtung minus Theorie setzen, bilden von da ab das 
einzig gebrauchte Mittel, die der Beobachtung zu entnehmenden Ele- 
mente der Theorie zuzuführen. Es muß hier genügen, auf einige der 
neuesten Arbeiten dieser Richtung hinzuweisen.*) Auf der Grundlage 
der Hansenschen Mondtafeln*”) bestimmt Newcomb aus den genauesten 
Beobachtungen von 275 Jahren, hauptsächlich Sternbedeckungen durch 
den Mond, die Mondelemente; wir geben seine Resultate, soweit sie 
Konstante betreffen. 

Als mittlere Länge des Mondes für die Epoche 1850 Jan. 0,0 
‚m. Z. Gr. und ihre Änderung ergaben die Beobachtungen: 


48) S. Newcomb, Researches on the Motion of the moon I, Washington 1878 
(W ashington Observations 1875), II. Astr. Papers, Vol. IX (1912), p. 1. 

H. Battermann, Beitrag zur Bestimmung der Mondbahn und des Mond- 
halbmessers aus Beobachtungen von Sternbedeckungen. Berlin Sternw., Ergebn. 
Heft 5, 11, 13, 1891—1910. 

P. H. Cowell, Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1905), p. 108, 721. 

49) P. A. Hansen, Tables de la Lune, London 1857. 


EI 
- 


878 VIs, 17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten 


(49) A = 123° 4'47’66+ 17325644”0211 2+ 908 7? + 0”0068 7°, 


wobei ? in julianischen Jahren, 7 in julianischen Jahrhunderten von 
1850 ab zu zählen ist, und der Betrag der allgemeinen Präzession in 
Länge mit inbegriffen ist. Wird dieser mit 


(50) Allg. Präz. = 50”2453 t + 1”11 T? + 0”00087 T? 
in Abzug gebracht, so erscheint in dem Ausdruck 
(51) A) = + 171325593” 7758 2 + 7”977? + 0”0059 7° 


als erstes Glied die siderische jährliche Bewegung in Länge und als 
zweites die Säkularakzeleration derselben. Die Darstellung der Beob- 
achtungen durch diesen Ausdruck und durch die Theorie ist keine 
befriedigende. In den Differenzen zeigt sich eine große Wellenbewegung 
mit kleineren darüber gelagerten Wellen, über welche die Theorie 
zurzeit keinen Aufschluß geben kann; die Abweichungen steigen über 
12” mit einer Periode von etwa 275 Jahren (s. Tabelle und graphische 
Darstellung bei Newcomb Res. II, p. 211). Infolgedessen bleibt auch 
der aus den Beobachtungen abgeleitete Wert der Säkularakzeleration 
7”97 unsicher, und die Frage dieser schicksalsreichen Zahl kann noch 
nicht geregelt werden. Wir verweisen auf ihre in Theorie und Be- 
obachtung interessante Geschichte in Tisserand, Meec. cel. vol. II, 
p. 240, und Encykl. VI 2, 14 (Brown), Nr. 23, p. 720. 


Für die Länge des Perigäums und des Knotens ergaben die Be- 
obachtungen für dieselbe Epoche und mit derselben Bezeichnung 
wie oben: 

(52) == 99°51’54”14 + 146485”5315 t — 37”177?— 07045 7° 
(53). & = 146 13 40, 01— 69629, 2020 + 7,577? +0, 008 7°. 
Wird auch hier die Präzession in Abzug gebracht, so erscheinen in: 
(54) An = + 146435”2862 t — 38”28 7? — 0”046 T? 

(55) A2—= — 69679, 4473t-+ 6,46 7? +0, 007 T? 

die beobachteten säkularen Störungen der beiden Elemente. Sie stehen 
in guter Übereinstimmung mit den theoretischen Beträgen, die Brown 
(Mem. R. A. S. vol. 59, p. 94) abgeleitet hat: 4x7 = + 146435”’21 und 
A2 —= — 6967936 und haben gestattet, einen neuen Wert für die 
Differenz der Trägheitsmomente des Erdkörpers abzuleiten (siehe 


Nr. 10). 


' Die Formel (49) gibt die tropische Umlaufszeit des Mondes oder 
den tropischen Monat, die Formel (51) den siderischen Monat, näm- 
lich für 1850 gültig: 


18. Die Elemente der Mondbahn: 879 


1296 000 >< 365,25 
17325644,02 


; 1296 000 >< 365,25 
(57) sid. Monat = — 7355 598,78 


(56) trop. Monat — — 2713215811 — 27ATHAZm 461 





— 2713216610 — 2717,43=11°51 
— 2360591°51. 


Für die Umlaufszeiten in bezug auf das Perigäum und in bezug auf 
den Knoten erhält man durch die Divisoren 14 — Az und 11 — 42: 











(58) Anomalistischer Monat — era a — 27155455041 
| — 27413 19m33°16 
(59) Drakonitischer Monat — 1°.” — 27421221993 
— ATl5r5m35°80. 


Wir fügen die Dauer des synodischen Monats bei, die aus der Diffe- 
renz der siderischen Bewegung von Mond und Sonne erhalten wird. 
nämlich aus 

1732559378 — 1295977743 = 1602961635 


1296. 000 > 365,25 Ban 
(60) synod. Monat =" 5050010.55 — 2953058775 — 29112444m 278 





Die beiden Elemente Exzentrizität und Neigung zeichnen sich 
im Gegensatz zu den beiden letztbesprochenen durch außerordentliche 
Konstanz aus, so daß sie, abgesehen von den periodischen Störungen 
für historische Zeiten als nahe konstant gelten können. Die Ex- 
zentrizität e ergibt sich aus der Beobachtung durch den Koeffizienten 
des Hauptgliedes der Mittelpunktsgleichung, nämlich durch 


(61) (2e _ n e+ = e) sing g= mittl. Anomalie. 


Airy°’) bestimmte den Koeffizienten aus allen Greenwicher Mond- 
beobachtungen 1750—1847 zu 2263906, und Neweomb°') fand aus 
den Greenwicher Beobachtungen 1846—1874 und den Washingtoner 
1862—1874 2263958. In der Theorie von Delaunay wird der Aörysche 
Wert und entsprechend e = 0,05489930, in den Tafeln von Hansen 
wird e = 0,05490807 gebraucht, Brown?) adoptiert den Neweomb- 
schen Wert 22639,58 und entsprechend e = 0,05490056, Batter- 
mann°®) erhält aus seinen drei Reihen als Korrektion des Hansen- 


= 


50) @. B. Airy, Corrections of the elements of the Moons orbit. Lond. Astr. 
Soc. mem. 29 (1859). 

51) $S. Neweomb, Transformation of Hansens Lunar Theory. Astr. Pap. 
vol. I p. 69 

52) Brown, a. a. O. Bd. 57, p. 109. 

53) Battermann, a. a. O. Heft 13, p. 48. 


880 V12,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


schen Wertes — 0”53 + 0,08, also e = 0,05490550. P. H. Cowell 
(Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1905), p. 147) findet aus Beobach- 
tungen 1750—1901 22639”50 und gibt (ebd. p. 745) eine Zusammen- 
stellung. 


In derselben Weise wird die Neigung der Mondbahn gegen die 
Ekliptik I durch das Hauptglied in der Breite 8 bestimmt. Dieses 
hat in der Theorie von Delaunay°*) die Zusammensetzung 


(62) ß -(y— ye—, + 5 re) sin (9 + ®) 


y= sin 2 © — Abstand des Perigäums von Knoten. 
Airy bestimmte in der oben zitierten Arbeit aus den Greenwicher 
Beobachtungen 1750—1847 den Koeffizienten zu 18461”26, womit 
sich ergab 

| y = 0,04488663 
und 


I = 5°8'43” 29. 


Newcomb°°) stellte als entsprechenden in Hansens Tafeln implizite 
enthaltenen Koeffizienten 18461”63 fest und fand dazu aus den 
Greenwicher und Washingtoner Beobachtungen 1862—1874 die Kor- 
rektion — 0”15 und später (Res. II, p. 223) — 0”18. Mit diesem 
letzteren ergibt sich 18461”45. Hansen selbst gibt in seinen Tafeln 
den Wert an: 

I = 5'839” 96. 


Den Wert von Newcomb adoptiert Brown (Astr. Soc. mem. 57 (1905), 
p. 138). Aus 5646 Beobachtungen von 1847—1901 findet Cgwell 
(a. a. O. p. 564) 18461”35 + 0”05. 


19. Die Störungsglieder der Mondbewegung werden durch die 
Theorie bestimmt, welche ihre Zusammensetzung angibt. Die folgende 
Tabelle gibt die Zahlen für die größten Glieder nach den Theorien 
von Hansen, Delaunay und Brown und für die Parallaxe von Adams. 
Hinzugefügt sind die direkt aus der Beobachtung ermittelten Werte 
nach COowell.’®) 

54) Conn. d. T. 1869, p. 10 

55) Astr. Pap. I, p. 76. 

56) P. H. Cowell, Analysis of 145 Terms in the Moons Longitude 1750 


—1901 (Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1908), p. 108). The Moons observed 
Latitude 1847—1901 (ebenda p. 721). 














20. Die Mondmasse. 881 
g | g Hansen | Delaunay Brown Cowell 
Länge ‚Mittelp.Gl.| 1 0 22640” 15, 22640” 15, 22639” 58 + 22639’ 50 
Jährl. Gl. | 0 — 1 + 669,85'+ 669,76+ 668,944 668,2 
20 — 20 
Evektion | 1 — 2! |+ 4586,56 + 4586,44+ 4586,44 4586,4 
Variation | 2 — 2° + 2369,75 + 2369,74 2369,90 + 2370,2 
o— o 
Parall.Gl.| 1 —ı1 |— 12543 — 125,985 — 124,78— 124,90 
: . 
Breite | Red. Ekl. | 1 0 |+18461”65 418461” 26 + 18461” 48|+ 18461” 35 
Adams 
sin Parall.. Konst. 0 0 3422,12 3422,70 3422,70 3422,32 
20 — 20 | | 
Evektin | 1 —2 + 3431+ 3429| + 34314 34,80 
Variation | 1 —2 + 28,22 + 28,204 28,23 + 28,23 

















20. Die Mondmasse. Man hat zwei Wege zur Bestimmung der 
Mondmasse, den durch die Nutationskonstante (Nr. 9) und den durch 
die Mondgleichung (Nr. 8). Der erste gibt 

1 
u 5151020’ 
bei Ansetzung des mittleren Fehlers ist der mittlere Fehler der Prä- 
zessionskonstante schätzungsweise zu + 0”005 angenommen worden. 

Der zweite gibt, wenn für die Sonnenparallaxe der trigono- 

metrische Wert x5 = 8”806 + 0”003 eingeführt wird: 
1 
MT SEE 0,08 
Die Vereinigung beider Werte führt auf den endgültigen Wert 
1 
RT 81,55 + 0,08 
der infolge der guten Übereinstimmung der durch ganz verschiedene 
Methoden gewonnenen Einzelresultate nicht nur das Vertrauen auf 
ihn selbst stärkt, sondern auch auf die Konstanten der Sonnenparal- 
. läxe, der Präzession und Nutation, aus denen er hervorging. 
| Nimmt man die Mondmasse als bekannt an, so gestatten die 


Gleichungen (15) der Nr. 9 nicht nur die Ermittlung von Sn son- 


dern man wird dann auch die Nutationskonstante aus ihrer theore- 
tischen Zusammensetzung ableiten können. 


Die erste Gleichung gibt mit u = 
C—A4 


ET 


1 
81,53 
— 0,003278; 


882 VIs,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


- die rechte Seite der zweiten Gleichung (15) gibt für die Nutations- 
konstante für 1850: N— 9'218, 


der in völliger Übereinstimmung mit dem direkt aus den Beobach- 
tungen hervorgegangenen Wert sich befindet. 


Die Planeten. 


21. Die Theorien der Sonne und der großen Planeten. Die 
Bahnelemente der Sonne und der Planeten gingen von Piolemäus un- 
geändert auf Copernikus über mit Ausnahme der Entfernungen, für 
die dieser zum ersten Male statt Vermutungen gemessene Werte setzen 
konnte. Genau kannte man nur die Umlaufszeiten. Kepler bestimmte 
aus den Beobachtungen 7. Brahes die Bahnelemente im heutigen Sinn 
und legte sie den Rudolfinischen Tafeln zugrunde (1627). Nach Ein- 
führung des Newtonschen Gesetzes (1686) begann man um die Mitte 
des 18. Jahrhunderts Störungen zu rechnen, zuerst tastend an ein- 
zelnen Erscheinungen, die die Beobachtungen gezeigt hatten, dann 
zum erstenmal zusammenfassend durch Laplaces Mecanique celeste 
(1798—1825). Zum zweitenmal nahm Leverrier das Gesamtproblem 
auf (Annales de l’Obs. de Paris, T. 5—14, 1859 —1877) und zum 
drittenmal Newcomb (Astr. Pap., T. 1—7, 1882 —1898). Die Bestim- 
mung der Konstanten, zu denen seit Newton die Massen getreten 
waren, geschieht durch Bedingungsgleichungen, die zwischen den 
Änderungen der Elemente und Massen einerseits und den Änderungen 
der Koordinaten des geozentrischen Ortes andererseits aufgestellt wer- 
den. Zur Bildung, praktischen Aufstellung und Lösung dieser Glei- 
chungen sei besonders auf 

S. Newcomb, Formulae and Tables (Astr. Pap., vol. II (1891), p. 1), 

G. W. Hill, Tables of Jupiter, Saturn (Astr. Pap., vol. VII (1898), 

....P. 7, 149) 
verwiesen. 

Auf die Angabe der Bahnelemente kann verzichtet werden, da 
man sie in allen Ephemeriden und Tafelsammlungen findet.?”) 


22. Die Massen der Planeten. Die Massen der Körper des 
Sonnensystems werden aus den Wirkungen bestimmt, die sie nach 
dem Newtonschen Gesetz auf benachbarte Körper ausüben. Die Haupt- 
wirkung ist ausgesprochen in dem dritten Keplerschen Gesetz für die 
Planeten: ®(M -F m) — n?a® 

k?(M + m’) = n’’a” 


57) Die authentischen Werte finden sich in den Neweomb-Hillschen Tafeln (l.c.). 


22. Die Massen der Planeten. 883 


wo M die Sonnenmasse, m, m',... die Planetenmassen bedeuten, und 
unter n,”’,...,@,... die der elliptischen, ungestörten Bewegung zu- 
gehörigen Werte der mittleren ‘Bewegungen und großen Halbachsen 
zu verstehen sind. Setzt man die Sonnenmasse als Einheit der Masse, 
die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne als Längeneinheit 
fest, bestimmt n durch Messung der Länge des siderischen Jahres 
und m durch Messung der Sonnenparallaxe (Nr. 15), so wird k? be- 
kannt, aber dies reicht nicht aus, die übrigen Planetenmassen zu be- 
stimmen, da wohl die ”',..., aber nicht die a, ... mit genügender 
Schärfe ermittelt werden können. Man benutzt daher umgekehrt obige 
Gleichungen zur Bestimmung der a’,..., wenn die Massen anderweitig 
bekannt geworden sind. Dagegen führt die Anwendung desselben Ge- 
setzes auf die Satelliten der Planeten zu so genauen Massenbestim- 
mungen, daß man davon bei allen Planeten, die von Satelliten um- 
laufen werden, Gebrauch macht. 

Mit der Bezeichnung: Sonnenmasse — 1, Erdmasse = m, Planeten- 
masse —= m’ (Gesamtmasse einschließlich aller Satelliten), Masse aller 
Satelliten = m’&, Masse eines einzelnen = m’u, mittlere Bewegungen 
- der Erde, des Planeten und des Satelliten bzw. n, »’, v, große Halb- 
achsen derselben Körper bzw. 1, a’, a’ sin A, folgen aus 


k®(1 + m) = n?, 

Pi+nm)=n?a’, 

km (1 — Z+ u) = v?a’’sin 4? 
die drei Formen 


ee) erirzn, 
(63) m — (>) (a sin aA +m) + &£— u), 2 


2 . 
m —(F) «Sina + Zu). 
- 4 ist die große Halbachse der Satellitenbahn, gesehen aus der mitt- 
leren Entfernung a’, und kann bei den Elongationen des Satelliten 
direkt gemessen werden. Die v, n, n folgen aus den Umlaufszeiten, 
die man auch direkt in die Formeln einführen kann. Die Attraktions- 
konstante Ak? in der letzten Formel ist auf dieselben Einheiten zu 
bringen, in denen » ausgedrückt ist. Der Faktor 1+ 2— u kann 
nur verwendet werden, wenn die Massen der Satelliten bekannt sind; 
er ist nur von verschwindendem Einfluß. 

Obige Formeln setzen die elliptischen, d. b. die ungestörten Werte 
von v und 4 voraus; da die gestörten Werte beobachtet werden, sind 
diese zuerst vom Betrag der Störungen zu befreien. Es kommen zu- 





884 VlI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


nächst die Störungen der Satellitenlänge in ‚Betracht, die von der 
Abplattung des Hauptkörpers, von der Sonne und von den übrigen 
Satelliten herrühren, und zwar nur die Säkularstörungen; v» wird aus 
der Vergleichung der Längen für verschiedene Epochen abgeleitet und 
begreift also in sich den säkularen Teil der Störungen in der Epoche; 
dieser ist aus allen drei Ursachen zusammengefaßt gleich 


[24 (5) zu] 709), 


und die oben statt » einzutragende ungestörte mittlere Bewegung », 
wird also: „srl 


Im Ausdruck von 6 bedeuten a die große Halbachse der Satel- 
litenbahn = a’sinf und % die Abplattungskonstante, deren Zu- 
sammenhang mit der Abplattung des Planeten folgender ist. Sind a 
und b Äquatorial- und Polarhalbmesser des als Rotationsellipsoid an- 
genommenen Planetenkörpers, also 

—_ — y = Abplattung, 


ferner p das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere am Kam 
tor, so gibt die Gleichgewichtsbedingung 


Kr} 


und, wenn 7 die Umlaufszeit des Satelliten, U die Rotationszeit des 
Planeten ist, die Gleichung 


»- (0) 
al) +io 


die a berechnet und mit der beobachteten verglichen wer- 


die Größe p, so daß aus: 


den kann. E jaßt sich aus den beobachteten Säkularstörungen der 


Elemente Ai Satelliten bestimmen, oder es läßt sich umgekehrt aus 
der beobachteten Abplattung ableiten: 


k a\? 
„=Ga-t9()- 
Für den ungestörten Wert a, von a=a'sin4 findet man: 
sind 
(13°) 


58) P. $. Laplace, Meec. cel., vol. IV, ch. 2; H. Strwe, Beobachtungen der 
Saturnstrabanten. Supplement I aux Obs. de Poulkova 1888, p. 63 und 118. 





a, = 


32. Die Massen der Planeten. 885 


Es sind also obige Formen (63) noch mit dem Faktor 
u 2 
(64) ee 17 (1-10), .-(24-()) 
zu multiplizieren, um den Störungen Rechnung zu tragen. 

Durch diese Methode wurden die Massen aller großen Planeten 
bestimmt, die mit Satelliten versehen sind, das sind also alle mit 
Ausnahme des Merkur und der Venus. Die übrigen jetzt zu bespre- 
chenden Methoden sind für sie nur zur Sicherung und Prüfung heran- 
gezogen worden. 

Das zweite Mittel, Planetenmassen zu bestimmen, beruht auf der 
Verwendung der Säkularstörungen der vier Bahnelemente, Länge des 
Perihels und des Knotens, Neigung und Exzentrizität; die große 
Halbachse hat keine Säkularstörungen, und die Störungen der mitt- 
leren Länge für die Epoche lassen sich in der Beobachtung nicht von 
der mittleren Bewegung trennen. Die Säkularstörungen eines Ele- 
mentes werden durch die Theorie in der Form geboten 

cm’ + c"m” +: --, 
wo die ce bekannte Funktionen der Elemente, die m die Massen der 
störenden Planeten sind. Werden sie mit angenommenen Massenwerten 


Mg, My, . berechnet: R und andererseits beobachtet: B, so erhält 

man, wenn die wahren Massen mit m, (1 + v), my (1+ v”),... be- 
' zeichnet werden, die Bedingungsgleichung 

(65) em v +c'm)v”” +. -=B—R 


Solche Gleichungen erhält man vier für jeden Planeten einer zu- 
sammenbetrachteten Gruppe (für die Erde nur drei, weil an Stelle 
von Knoten und Neigung die Schiefe der Ekliptik tritt), also 4n 
(bzw. 4n — 1), und leitet daraus durch Ausgleichung die » Unbe- 
kannten v’,... ab. In- jeder der drei großen Bearbeitungen des Pla- 
netensystems durch Laplace (Mec. cel.), Leverrier (Ann. de l’Obs. de 
Paris) und Newcomb (Astr. Pap. Washington) bildet diese Ausglei- 
chung die Hauptprüfung durch die Vergleichung der hieraus gewon- 
nenen Massen mit den durch die Satelliten gebotenen. 

Man kann die großen Planeten in zwei Gruppen teilen, die innere 
mit Merkur, Venus, Erde, Mars und die äußere mit Tupie: Saturn, 
Uranus und Neptun. Da sich wegen der kleinen Massen der inneren, 
und der weiten Entfernung der äußeren beide Gruppen gegenseitig 
nur wenig beeinflussen, kann man das Problem der Massenbestimmung 
in zwei Abteilungen zerlegen, was die Aufgabe wesentlich erleichtert. 
Die äußere satellitenreiche Gruppe macht nur insofern Schwierigkeiten, 
als die dort auftretenden Glieder langer Periode sich schwer von den 


886 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


säkularen trennen lassen. Dagegen ist die Massenausgleichung der 
inneren Gruppe von jeher nur unvollkommen gelungen und hat Hypo- 
thesen notwendig gemacht. Die Entdeckung der Marssatelliten 1877 
hat mehr Sicherheit gebracht, aber die durch Leverrier?”) aufgefundene 
Anomalie in der Perihelbewegung des Merkur hat die astronomische 
Forschung über 50 Jahre beschäftigt. In der nächsten Nummer wird 
hierauf näher eingegangen. 

Die dritte, unvollkommenste Methode, die Planetenmassen zu be- 
stimmen, beruht auf der Heranziehung der periodischen Störungen. 
Diese werden durch die Theorie in der Form geboten 
(66) D'm’K sin dl —iT + K,,), 
worin h’ von bekannter Zusammensetzung ist, ii ganze Zahlen sind, 
K,, ebenfalls bekannt, ! und !’ die Längen der Planeten bedeuten; die 
Zahl der Glieder ist groß, und jedes besitzt eine bestimmte Periode, 
innerhalb welcher :l — il’ alle Werte von 0° bis 360° annimmt. Die 
Koeffizienten m’h’ sind in der Mehrzahl sehr klein. Während die 
Säkularstörungen zu ihrer Bestimmung aus den Beobachtungen sehr 
lange Zeiträume erfordern, spielen sich die periodischen meist rasch 
ab, aber es bedarf fortlaufender Reihen scharfer Beobachtungen, um 
sie mit einiger Sicherheit herausschälen zu können. Der Massenfaktor 
ergibt sich dann ebenso wie bei den Säkularstörungen. Man macht 
von dieser Methode nur Gebrauch, wenn man dazu gezwungen ist. 
Das ist nur bei Merkur und Venus der Fall, wenn man Ursache hat, 
der Masse aus den Säkularstörungen zu mißtrauen (siehe Nr. 23). 

Eine vierte Methode, die Planetenmasse aus ihren Wirkungen auf . 
Massen an der Oberfläche des Planeten etwa durch Pendelmessungen 
zu bestimmen, ist nur bei der Erde anwendbar; hierüber ist Näheres 
in Nr. 15 zu finden. . 


23. Ableitung der Massen von Merkur, Venus und Erde aus 
den Säkularstörungen. An sich eignen sich die Säkularstörungen 
zur Bestimmung der Massen derjenigen Planeten, die nicht von 
Monden begleitet sind, viel besser als die periodischen Störungen, und 
sie sind daher früher fast ausschließlich zu diesem Zweck herange- 
zogen worden. Als sich aber bei der umfassenden Bearbeitung des 
Planetensystems durch Leverrier und in verschärftem Maße bei der 
neuesten Bearbeitung durch Newcomb deutliche Unstimmigkeiten, ins- 
besondere die Anomalie in der Perihelbewegung des Merkur, heraus- 
stellten, mußte man Bedenken tragen, die Massen von Merkur, Venus 


59) Ann. de l’Obs. de Paris, vol. V (1859). 


23. Ableitung der Massen von Merkur, Venus u. Erde aus d. Säkularstörungen. 887 


und Erde auf die Säkularstörungen zu gründen, da sie die Anomalien 
nicht erklären konnten und nicht berechenbare Einflüsse als möglich 
zuzugeben waren. Nachdem jedoch die Einsteinsche Gravitations- 
theorie‘) für die Perihelbewegung des Merkur einen Ausdruck ge- 
funden hat, den man als richtig betrachten muß, auch wenn man sich 
nicht zu seiner Begründung bekennt, ist das Problem in ein neues 
Stadium getreten. Es sei daher gestattet, etwas ausführlicher auf die ° 
Neuregelung der Konstanten der Planeten Merkur, Venus, Erde und 
Mars hier einzugehen, da die Newcombsche Bearbeitung auf der sicher 
unrichtigen Hypothese beruht, daß die Perihele der Planeten eine 
anomale Bewegung proportional ihren mittleren Bewegungen ausführen. 

Einstein leitet aus seiner Gravitationstheorie ab, daß das Perihel 
für jeden ganzen Umlauf des Planeten um die Sonne im Sinne der 
Bewegung um den Betrag 


star 247° =; an e Radiusteile 


. pe 2%... 
vorrückt. Nach Einführung von ssnp=e und n=-- wird daraus 


FR 
ER (ve ”) 


na secp — v, Ist das Mittel aus der größten und der kleinsten Linear- 
geschwindigkeit des Planeten in seiner Bahn; also kann man nach 
Übergang auf Sekunden auch schreiben: 


Ed’ "= 3(%) 1296. 000”, 
oder, da ” — A die Aberrationskonstante des Planeten ist (Nr. 6), 
" (67) &” = 3888000 A? Sekunden. 
Folgende Tabelle gibt für die 4 Planeten die Zahlenwerte: 


























Mitt. Bahn- ae | Perihelbeweg. in 
geschwindig- A Pe: | 100 jul. Jahren 
keitin km/sek für ihn 
v, Umlauf | Dx’ eDx" 
Merkur | 48,879 | 0,00020626 | 33”62 | 0”10331 | a2” 89 8” 82 
Venus 34,994 | 11670 24,07 0,05295 8,607 0,059 
Erde 29,766 | 09926 20,47 0,03831 | 3,831 0,064 
Mars 24,216 | 08076 16,66 0.02536 | 1.348 0,126 


Die Zahlen der letzten Spalte sind Ausfluß der Theorie und können 
den durch die Theorie gebotenen Säkularstörungen des Elementes 
eDx," hinzugefügt werden. Dies ist in folgender Tabelle geschehen, 
welche in der ersten Zahlenspalte die mit den Massen 


60) Berlin. Ber. 1915, p. 839. 


888 VIs.17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


1 1 
m ‚m 
Merkur .... 7500000 Jupiter.... 1047,88 
Vanis, 410000 Saturn .... _3501,6 (4) 
Erde + Mond 327000 Uranus .... 22756 
MRS 0: 3093500 Neptun... . 19540 


* gerechneten Säkularstörungen für 100 jul. Jahre enthält“) für die 
Elemente: Exzentrizität e, e mal Perihelbewegung, Neigung i und sin: 
mal Knotenlänge, bei der Erde Ds = Säkularänderung der Schiefe 
der Ekliptik. 
































Theorie | Beobachtung 
R | B 
Merkur De a + 3736 +0”50 
eDx, 4109,36 +8” 82 + 118,24 40 
| Di + 6,76 SE Er 80 
| sin DO — 92,12 — 91,89 50 
Venus De — 9,58 — 9,46 20 
eDx, + 0,39 + 0,06 + 0,29 20 
Di Er +..87 30 
sin «DO — 105,92 — 105,44 08 
Erde De — 8,57 — 8,55 09 
eDx | + 19836 -£ 0,06 + 19,48 12 
De — 46,65 — 47,11 25 
Mars De + 18,71 + 19,00 27 
eDn, 4148,82 + 0,13 + 149,55 35 
Di HR I — 2,26 20 
sin ? DO — 72,43 — 72,60 20 
Bedingungsgleichungen Nach der Ausgl. 
B-R Vr BR 
Merkur 0,00 „+ 28 "+ 1 "= —08 2 — 0” 86 
00 +5658 +88 —=-+006 25 — 0,04 
u ek wich + 0,37 
08, —985  —U 408 3 + 0,42 
Venus — 1,30 0,0 — 49 = +0,12 5 + 0,20 
— 0,81 08°- = 33 u — 0,11 
+ 0,76 0,0 00. 0 8,88 + 0,35 
+05 —-92 —-32 =+04 12 +0,02 
Erde m =+002 10 + 0,02 
u + 68 =+1006 8 +0,04 
= um = —046 4 — 0,26 
Mars #068 191: zZ -+09 4 + 0,82 
+06 +46 214 -400 3 + 0,86 
—004  +120 000-408 5 + 0,01 
BEE u ga — 0,09 





61) Newcomb, Fund. Const., p. 107. 


283. Ableitung der Massen von Merkur, Venus u. Erde aus d. Säkularstörungen. 889 


In der Spalte Beobachtung finden sich die von Neweomb®?) 
aus den Beobachtungen 1750—1890 abgeleiteten Werte mit ihren 
mittleren Fehlern. Die Bedingungsgleichungen für die Korrektions- 
faktoren 14+v, 14 v, 14 v” obiger Massen sind angefügt; die 
Zahlen für Mars sind weggelassen, da sie keinen stimmberechtigten 
Wert liefern können. Als mittlerer Fehler der Gewichtseinheit wurde 
+ 1”00 angenommen und hiernach die abgerundeten Werte für die 
Quadratwurzeln aus den Gewichten angesetzt. Die Auflösung ergibt: 


v—= + 0,12258 + 0,13691 Gewicht 7429, 
(68) v = + 0,00645 + 0,0053 „48767, 
v" = — 0,01428 + 0,0044 ,„ 70528, 


Mittlerer Fehler der Gewichtseinheit + 1”180 in guter Übereinstim- 
mung mit dem vorausgesetzten Wert. Die Fehlerquadratsumme sinkt 
von [44p] = 49’30 auf 16”70. Die übrigbleibenden Fehler sind in 
der letzten Spalte angegeben und sind mit einer einzigen Ausnahme, 
der Perihelbewegung des Mars, durchaus befriedigend. Aber die Ab- 
weichung ist noch nicht unerklärlich, zumal die Neweombsche Mars- 
theorie noch an kleinen Mängeln zu leiden scheint. 

Wenn man nach dem Vorschlag von Anding (dieser Band S. 13) 
die übrig bleibenden Abweichungen in den drei Elementen eDx,, Di 
und sinsD® durch eine Drehung des Inertialsystems zu erklären sucht, 
so ergibt die Anwendung der Gleichungen (4) (dieser Band 8. 14), 
natürlich jetzt mit Einschluß der Gleichung für das Merkurperihel, die 
Zahlen folgender Tabelle: 























Bedingungsgleichungen B—-R y A 

Merkur | eDx, | + 0,009 & — 0,009 U + 0,205 $—--—0’04| 24| —0”47 
Di +0,80 + 0,732 —-+037 | 12| +0,28 

siniDO | —0728 +06%4 +012 =+042 2 | +02 

Venus | eDz, 9.088: 9000-5. 0,009:: m 
Di |-+0%245 0,968 —= +0,35 | 34| + 0,30 

siniD0 | — 0,968 --0,245 0,059 —-+0,02 |12° +0,02 

Erde eDx, +0,017 =+004 | 8 0,00 
Mars eDz, | +0,001 —0,001 - +0,08 =-+086 | 3 | + 0,67 
Di |'+0659 + 0,751 = 40,01. 1,80] 2008 

sinsD6 | — 0,751 10,659 -+0032 =—0,09 | 5 | — 0,07 


- Die Auflösung ergibt | 
&—=+0"2, Y= +00, 3= + 2”07 + 1756 
oder, wenn man von vornherein X = V’= 0 annimmt: 


4 108. 


62) Ebd. p. 94, mit der Abänderung für den Venusknoten p. 162. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 58 


890 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Eine wesentliche Besserung der Restfehler wird nicht erzielt, aber 
die S. 14 dieses Bandes hervorgehobene Schwierigkeit scheint gehoben 
zu sein, da nun auch das Planetensystem eine verschwindende Dre- 
hung des Inertialsystems gegen das empirische nachweist. — Wir 
kehren zur Massenbestimmung zurück. 

Da die für v» und »’ gefundenen Werte sehr unsicher bestimmt 
sind, werden die Gleiebungen auch noch nach v” allein aufgelöst mit 
dem Resultat 
(69) v” = — 0,01030 + 0,00226 + 0,006 v» — 0,676 v". 

Die Darstellung wurde kaum geändert (Fehlerquadratsumme [44p] 
— 19”87, mittlerer Fehler der Gewichtseinheit + 1719). 

Die hier gefundenen Massen sollen nun mit den anderweitigen 

Bestimmungen derselben verbunden werden. 


24. Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde. Wir 
legen der folgenden Untersuchung dasselbe System von Massen zu- 
grunde wie oben (System (A), p. 888) und suchen dessen Korrektions- 
faktoren 14, 1+v,14+v". 

Merkur. Die Masse dieses Planeten ist so klein, daß sie sich 
aus den periodischen Störungen nur durch die Venus ermitteln läßt, 
Erde und Mars scheiden aus, Newcomb fand als Korrektion der 
Leverrierschen Masse 1: 3000000 (Fund. Const., p. 102), aus den perio- 
dischen Störungen der Venus als Korrektionsfaktor 1 — 0,584 + 0,133. 
Das gibt für die Korrektion von (A) 


(70) v = + 0,040 + 0,333. 
Aus den Säkularstörungen haben wir oben (Nr. 23) gefunden 
(71) v= + 0,123 + 0,137. 


An anderen Mitteln, die Merkurmasse zu bestimmen, gibt es nur 
noch das durch die periodischen Kometen, die dem Merkur sehr nahe 
kommen, insbesondere durch den Enckeschen und durch den Winnecke- 
schen Kometen. Allein die Resultate, die hier zutage getreten sind, 
sind so unsicher und widersprechend, daß sie nicht stimmberechtigt 
sind, zumal die Theorie dieser Kometen wegen der Akzeleration noch 
nicht ins Reine gebracht ist. Wir vereinigen daher obige Werte zu 


v= + 0,111 + 0,125; womit 
1: m = 6750000 + 927500. 
Venus. Aus den” periodischen Störungen, die durch die Venus 


in den Bewegungen der Erde (Sonne), des Merkur und des Mars 
hervorgerufen werden, leitet Newcomb (Fund. Const., p. 24) folgende 


ab: 


(12) 


Korrektionen ————_ 
der Masse EFT 


24. Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde. 891 


v —= — 0,0118 + 0,0034 aus Sonne, 

= — 0,0121 + 0,0050 aus Merkur, 

—= — 0,0076 aus Mars, 
letztere ist so unsicher, daß sie außer Betracht bleibt, die beiden 
ersten führen zu v = — 0,0119 + 0,002 
und 1: m’ = 406690 + 1140, 

also zu dem Korrektionsfaktor für die Masse (A) 

(73) v’ = + 0,0081 + 0,0028. 
Aus den Säkularstörungen haben wir oben gefunden 
(74) v = + 0,0065 + 0,0053. 
Beide Resultate geben vereinigt: 
(75) v’ = + 0,0075 + 0,0025 und 


1: m’ = 406950 + 1010. 


Erde. Bei der Bestimmung der Erdmasse durch die periodischen 
Störungen, die sie auf die Planeten Merkur, Venus und Mars ausübt, 
treten so bedeutende Schwierigkeiten auf, daß auf diese Methode ver- 
zichtet werden muß. Die Planeten Merkur und Venus bieten nämlich 
dem Beobachter Scheiben dar mit unscharfen Rändern und durch die 
wechselnde Beleuchtungsphase von sichelförmigem Umriß, so daß 
nur ein Rand beobachtet werden kann und der Halbmesser als neue 
unsichere Größe eingeführt werden muß. Zudem treten die Störungen 
durch die Erde, als von der gegenseitigen Lage der beiden Planeten 
abhängig, an denselben Punkten der scheinbaren Venusbahn, an denen 
hauptsächlich beobachtet werden kann, mit demselben Betrag auf, so 
daß daraus auf die Größe des Störungsgliedes kein Schluß gezogen 
werden kann. Beim Planeten Mars sind noch Unsicherheiten in der 
Theorie vorhanden, die seine Verwendung für den vorliegenden Zweck 
ausschließen. 

Für die Ermittlung der Säkularstörungen sind die genannten 
Schwierigkeiten von geringerer Bedeutung, da hier die systematischen 
Fehler sich gegenseitig aufheben. Es ist also aus ihnen ein zuver- 
lässiger Wert der Erdmasse zu erwarten. Obige Diskussion ergab: 


v” = — 0,0143 + 0,0044, 
oder, was vorzuziehen ist: 
v” = — 0,0103 + 0,0023 + 0,006 v» — 0,676 v". 


Dieser Wert beruht hauptsächlich auf der Bewegung des Knotens der 
Venusbahn auf der Ekliptik, die durch die Vergleichung der Venus- 


58* 


892 VIa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


durchgänge 1761 und 1769 mit denen von 1874 und 1882 von New- 
comb (Fund. Const., p. 159) mit großer Sicherheit bestimmt wurde. 
Adoptieren wir v= + 0,111 + 0,125, 
; v’ = + 0,0075 + 0,0025, so folgt: 
(76) v” = — 0,0146 + 0,0046. 
Zur Bestimmung der Erdmasse steht noch ein Weg offen, näm- 
lich aus ihrer Wirkung auf einen Körper der Erdoberfläche, die durch 
das Sekundenpendel gemessen werden kann, in Verbindung mit ihrer 
Wirkung auf die Sonne unter Anwendung des dritten Keplerschen 
Gesetzes; er führt auf die Gleichung (Nr. 15) 
zsVM = 607”02, 
worin -; die Erd- + bedeutet. Unter Verwendung des 


durch die trigonometrischen Methoden gewonnenen Wertes von 

75 = 8"806 + 0003 
erhalten wir 

M = 327546 + 335 und damit 
(77) v” = — 0,0017 + 0,0010. 
Dieser Wert steht in unüberbrückbarem Widerspruch mit (76) und 
weist darauf hin, daß entweder die trigonometrisch bestimmte Sonnen- 
parallaxe oder die Bewegung der Venusknoten zu verdächtigen ist. 
Nachdem über letztere vor Ablauf von hundert Jahren keine weitere 
Auskunft erwartet werden kann, versuchen wir mit anderen Werten 
der Sonnenparallaxe zu operieren. 

Die Aberrationskonstante (Nr. 6) 


A = 20”521 + 0,007 
gibt in  Vellikiurig mit der Lichtgeschwindigkeit (Nr. 3) 


c = 299865 + 26 km 
durch die Formel (Nr. 6) 
A”"nsc = [1,732622] 
für die Sonnenparallaxe den Wert: 
(78) a5 = 8” 780 + 0.004. 
Die Mondgleichung in der Erdbewegung (Nr. 8) kann herangezogen 
werden, da die Mondmasse in ihr auch durch die Nutationskonstante 


unabhängig von der Sonnenparallaxe bestimmt ist; man erhält mit 
E = 81,53 + 0,08 und x = 0,10669 + 0,00008 ° 

(79) no = 8"805 + 0015. 

Trotz der in Nr. 17 ausgesprochenen Bedenken soll auch die paral- 
laktische Ungleichheit unter Verwendung der zurzeit am vollständig- 


25. Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden. 893 


sten ausgebauten Theorie von Brown herangezogen werden, d. h. die 


Gleichung [1,152720] #& = 124”86 + 0,15. 
Sie gibt: 
(80) 2 = 8"784 + 0”011. 


Diese drei Werte (78)—(80) weisen auf eine deutliche Verkleinerung 
des durch trigonometrische Methoden bestimmten Wertes x5 —= 8” 806 
hin und konstatieren so einen Gegensatz zwischen diesem und dem 
durch Licht- und Gravitationseigenschaften bedingten Wert. Mit dem 
am sichersten bestimmten 8”780 + 0,004 sind alle drei wohl verein- 
bar, und es soll daher mit diesem die Erdmasse abgeleitet werden. 


Man findet: 
(81) v” = — 0,0105 + 0,0013, 
was mit dem aus den Säkularstörungen folgenden wohl vereinbar ist. 
Will man einen definitiven Wert der Erdmasse, so bleibt nichts 
übrig als ein Kompromiß in der Auswahl der Sonnenparallaxe aus 
den trigonometrischen und physikalischen Methoden; ein solcher ist 
zo = 8"19 + 001. 


Mit ihm folgt: M = 329350 + 1125 und 
(82) v” = — 0,0071 + 0,0034. 
Aus der Vereinigung von (76) und (82) folgt: 
(83) v” = — 0,0097 + 0,0028 und 


1l:mi = 330200 + 930. 
Dieser Wert ist mit den beobachteten Säkularstörungen noch verein- 
bar und führt zur Sonnenparallaxe 
aa = 8'782 + 0,008. 
Der Widerspruch zwischen diesem Wert und dem durch die trigono- 
metrischen Methoden gefundenen 
5 = 8806 + 003 

kann zurzeit nicht weggeschafft werden und muß offen bleiben. 

25. ' Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden. Wir 
stellen hier auch die durch die Gravitationsmethoden erlangten Werte 


der Sonnenparallaxe zusammen, um durch den Vergleich mit der Ta- 
belle in Nr. 5 die Sicherheit beider Gruppen hervortreten zu lassen. 


M. F. Gew. 
1. Aus der Aberrationskonstante 20”521 87780 + 0”004 25,0 
2. Aus der Erdmasse 1:330200 . . ... 8, 782 + 0,008 6,2 
3. Aus der Mondgleichung . . . . .. 8, 805 + 0,015 1,8 


4. Aus der parall. Ungleichheit . . 8, 784 + 0,011 3,8. 


894 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten. 


Die Gewichte sind wieder unter Annahme des mittleren Fehlers der 
Gewichtseinheit + 0”020 angesetzt und führen zu 


x, = 8'782 + 0”008. 


Wenn wir von dem Wert aus der Aberrationskonstante absehen, bei 
dem die Theorie der Aberration in Zweifel gezogen werden kann, ist 
nur der Wert aus der Erdmasse das unübersteigliche Hindernis einer 
Ausgleichung der beiden Gruppen. Dabei darf folgendes nicht aus 
dem Auge gelassen werden. Der Wert der Erdmasse beruht in erster 
Linie auf der Sicherheit, die wir der Knotenbewegung der Venus zu- 
schreiben und diese darauf, daß weitere Massen oder Kräfte als die 
in Rechnung gezogenen nicht vorhanden sind. Wären wir gezwungen, 
diese Annahme aufzugeben, so müßte auch der Wert der Erdmasse 
eine Nachprüfung erfahren. Es scheint aber, daß der Einklang, der 
jetzt durch die Einsteinsche Theorie in den Planetenbewegungen her- 
gestellt ist, hierzu nicht nötigt. 


26. Die Massen der Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus 
und Neptun. Betreff der älteren Bestimmungen dieser Massen sei 
auf die Zusammenstellungen bei Harkness 5. 34—35 verwiesen. Wir 
geben hier nur eine Auswahl neuerer Werte. 


Mars. A. Hall hat bald nach Entdeckung der Satelliten die 
Masse bestimmt: 7. x” — 3093500 -+ 3295, 


die bis heute beibehalten ist, da eine spätere Bestimmung von ihm 
(1892) nur die unbedeutende Korrektion v” = + 0,014 lieferte und 
auch die Bestimmung von H. Struve (St. Pet. Mem. VIII (1899)) 


1: m” = 3090000 + 10000 
zu einer Änderung keinen Anlaß gab. 


Jupiter. Diese größte und wichtigste Masse des Sonnensystems 
darf nicht auf die Satelliten allein begründet werden, da systema- 
tische Fehler bei den Messungen nicht ausgeschlossen sind. Daher hat 
Newcomb folgendes Material zusammengetragen: 


Methode: 1: m!Y Gew. 
Bessel 1842 Satelliten 1047,879 + 0,158 + 
Möller 1872 Kom. Faye 788 + 0,185 1 
Krueger 1873 Plan. Themis 538 + 0,052 .5 
Schur 1881 Satelliten 232 + 0,246 Hi 
Haerdti 1888 Kom. Winnecke 175 + 0,014 10 
Hl 1892 Saturn 380 ‘ 7 
Newcomb 1894 Pl. Polyhymnia 340 20 


26. Die Massen der Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. 895 


und daraus den Wert abgeleitet 

1: m!Y = 1047,35 + 0,065, 
der jetzt allgemein verwendet wird. Neuerdings ist nur eine Bestim- 
mung von Cookson (Lond. Astr. Soc. Month. Not. 64 (1904), p. 742) 


hinzugekommen: 1: m!Y = 1047,67 + 0,06. 
Saturn. Der alte klassische Wert von Bessel (1833) aus Satel- 
j ht 
litenbeobachtungen 1:mY = 3501,6 + 0,78 


wird noch immer beibehalten, obwohl H. Struwe durch eine Revision 
der Besselschen Reduktion 1:mY = 3502,5 fand und obwohl alle 
weiteren Ermittelungen auf eine Vergrößerung der Masse hinweisen: 


4 1: mY 
A. Hall 1885 3481,3 -+ 0,54 
L. de Ball 1887 3492,8 + 2,4 \ 


H. Strwe 1888 34980 + 1,17 
A. Hall 1889 3500,5 + 1,14 
H. Struve 1898 .3495,3 


Uranus. Folgende Bestimmungen liegen vor: 


Se 

Newcomb 1875 22540 + 50 
Hall 18855 22682 + 27 
Hill 1893 22869 
Bergstrand 1903 23383 + 115 

Neptun. ET Non 
Bond 1850 19400 
Newcomb 1875 19380 + 70 
Hall 185 19092 + 64 
Holden 1885 18279 + 114 
Hi 1893 19700 


(Abgeschlossen Sommer 1919.) 





ER > 2 


ALoS 








V1 2,18. KOMETEN. 


Von 


S. OPPENHEIM 


IN WIEN. 


MIT EINEM BEITRAG: 


BEZIEHUNGEN ZWISCHEN KOMETEN UNDSTERNSCHNUPPEN. 
Von 
©. HOFFMEISTER 


IN SUNNEBERG (THÜRINGEN). 


Inhaltsübersieht. 
1. Historische Übersicht. 
2, Störungen der Kometen. 
3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. 
4. Masse der Kometen. 
5. Helligkeit der Kometen. 
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 
a) Die scheinbare Verteilung der Bahnelemente der Kometen. 
b) Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den Ursprung der Kometen. 
c) Die Problemstellung E. Strömgrens. 
7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium. 
8. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien. 


Literatur. 
Monographien. 
F. W. Bessel, Entwickelung einer allgemeinen Methode, die Störungen der Ko- 
meten zu berechnen, Königsberg Beob. 1810 — Ges. Abh. I, p. 20. 
P. A. Hansen, M&moire sur le calcul des perturbations qu’&prouvent les come&tes, 
Paris C. R. Suppl. 1856. 
H. Gylden, Über eine Methode, die Störung der Kometen mittels rasch konver- 
gierender Ausdrücke darzustellen, St. Petersb. Bull. 14 (1869). 
— Theoretische Untersuchungen über die intermediären Bahnen der Kometen in 
der Nähe eines störenden Körpers, St. P&tersb. M&m. 32 (1884). 
J. F. Encke, Über den Kometen von Pous und die Existenz eines widerstehenden 
Mediums im Weltraume, Berl. Jahrb. für 1861. 
O. Backlund, Sur la masse de la plante Mercure et sur l’acceleration du mouve- 
ment moyen de la com&te d’Encke, Paris Bull. astr. 11 (1894), p. 473. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 32. 59 


898 " VIs,18. S. Oppenheim. Kometen. 


J. V. Schiapareili, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen, 
Deutsche Ausgabe von @. Boguslawski, Stettin 1871. 

— Orbites cometaires, courants cosmiques meteorites, Paris Bull. astr. 27 (1910), 
p. 194, 241. 

F. Tisserand, Hypoth&se de Lagrange sur l’origine des come&tes et des aörolithes, 
Paris Bull. astr. 7 (1890), p. 453. 

O. Callandreau, Etude sur la theorie des comdtes p6riodiques, Paris Obs. M&m. 
XX (1890). 

L. Schulhof, Les cometes periodiques, etat actuel de leurs theories, Paris Bull. 
astr. 15 (1898), p. 323. 

L. Fabry, Eitude sur la probabilitE des cometes hyperboliques et l’origine des 
cometes, Paris Theses 1893. 

@G. Fayet, Recherches concernant les excentricites des com2tes, Paris Thöses 1906. 

O. Zanotti-Bianca, Le idee di Lagrange, Laplace, Gauß e Schiaparelli sull’ ori- 
gine delle comete, Memoria storica, Torino Acad. Mem. 63 (1913). 

E. Strömgren, Über den Ursprung der Kometen, Kopenhagen Obs. Publ. 19 (1914). 

-J. Holetschek, Untersuchungen über die Größe und Helligkeit der Kometen und 
ihrer Schweife: I. Abh. Die Kometen bis 1760, Wien Akad. Denkschr. 73 (1896), 
p. 318; II. Abh. Die Kometen von 1766—1799, ebenda 77 (1905), p. 507; III. Abh. 
Die Kometen von 1801—1835 und die helleren bis 1884, ebenda 88 (1913), 
p. 744; IV. Abh. Die helleren und V. Abh. Die minder hellen periodischen 
Kometen, ebenda 93 (1916), p. 201 und 94 (1917), p. 375. 

— Über die Richtungen der großen Achsen der Kometenbahnen, Wien Ber. 94 
(1886), p. 879. 

— Über die Verteilung der Bahnelemente der Kometen, ebenda 98 (1889), p. 1541. 

— Über den Zusammenhang der heliozentrischen Perihellängen mit der Perihel- 
zeit der Kometen, ebenda 99 (1890), p. 654. 

— Über die in der Verteilung der bekannten Kometen nachgewiesenen Perihel- 
regeln und ihre Bestätigung durch die Kometen seit 1900, ebenda 128 (1919), 
p. 281. 


Verzeichnisse der Bahnelemente der berechneten Kometen finden sich mehr 
oder weniger vollständig in jedem Lehrbuch der Bahnbestimmung der Planeten 
und Kometen, außerdem seien noch erwähnt: 


W. Olbers, Bestimmungsstücke der Bahnen aller bisher berechneten Kometen, in 
seiner Abhandlung: Über die leichteste und bequemste Methode zur Berech- 
nung der Bahn eines Kometen, Weimar 1797 = Olbers Werke I; mit einer 
Fortsetzung dieses Verzeichnisses von Lindenau in Zach, Monatl. Korresp. 26. 
(1812) und J. F. Encke, Weimar 1847, und J.@. Galle, Leipzig 1864. 

J.C. Burkhard, Nouvelles tables generales du mouvement parabolique des co- 
metes, Paris Conn. d. Temps pour 1818. 

Ph. Carl, Repertorium der Kometenastronomie, München 1864. 

J.@.@Galle, Verzeichnis aller bisher berechneten Kometenbahnen nebst Anmer- 
kungen und Literaturnachweisen, Leipzig 1894. 

E. Weiß, Verzeichnis der Bahnelemente aller bisher berechneten Kometen, Wien 
Sternw.-Kalender für d. Jahr 1909. 

Jahresberichte über Neuberechnungen von Kometen und Ausweise über die 

Beobachtungen enthält die Vjs. d. astr. Gesellsch. in regelmäßiger Aufeinander- 

folge. . 


1. Historische Übersicht. . 399 


l. Historische Übersicht.) Wissenschaftlich verwertbare Beob- 
achtungen von Kometen begannen in Europa erst im 15. Jahrhunderte 
mit Regiomontan. Bis dahin hatte man nach Aristoteles trotz der 
Gegenansicht vieler anderer, namentlich Senecas, die Kometen für atmo- 
sphärische Gebilde angesehen, denen: ebensowenig wie etwa den Wol- 
ken am Himmel ein astronomisches Interesse gebühre. Nur ganz rohe 
Angaben über ihren Lauf am Himmel liegen vor, die in seltenen 
Fällen, und auch da nur zu einer ganz ungefähren Bahnbestimmung 
als geeignet sich erweisen. Eine Ausnahme davon bilden die schon 
aus den ältesten Zeiten herrührenden Aufzeichnungen der Chinesen, 
die zu weitaus besseren Bahnberechnungen’?) verwertet werden konnten. 
Erst Regiomontan beobachtete im Vereine mit dem Amateur Bernhard 
Walter in Nürnberg den Kometen des Jahres 1472,.konnte aber aus 
seinen Beobachtungen bloß feststellen, daß dessen Entfernung von 
der Erde jedenfalls größer sei als die des Mondes. (Methode der Par- 
allaxenberechnung aus zwei Zenitdistanzen und gleichzeitigen Azi- 
muten bei verschiedenen Stundenwinkeln.) Damit war der Streit über 
den Ursprung der Kometen gegen die Aristotelische zugunsten jener 
Ansicht entschieden, die sie. als selbständige Himmelskörper betrachtet. 
Auf Regiomontan folgten neben Peter Apian und dem Landgrafen 
Wilhelm IV. von Kassel namentlich Tycho Brahe?), in dessen Lebens- 
zeit die Erscheinungen von sieben hellen Kometen 1577, 1580, 1582, 
1585, 1590, 1595 und 1596 fielen, die er alle regelmäßig und sorg- 
fältig beobachtete. So gelang ihm .der strenge Nachweis dafür, daß 
die Parallaxe der Kometen viel zu. klein sei, als daß sie irdischen 
Ursprunges sein könnten, vielmehr beschreiben sie ihre Bahn am 
Himmel in Entfernungen, die mindestens sechsmäl so groß seien wie 
die des Mondes von der Erde, ja bei einigen sogar größer als die der 
Venus. N | 

Auch der Frage nach der Bahn der Kometen am Himmel trat 
Tycho näher. Er findet aus den Beobachtungen des Kometen von 
1577, daß dieser sich außerhalb der Venusbahn, wohl in einem Kreise 


1) Zur Vorgeschichte der Kometen vgl. R. Wolf, Geschichte der Astronomie, 
München (1877), dann R. Wolf, Handbuch der Astronomie, Zürich, I (1890), 
$ 279—280, und II (1892), $ 574—590; endlich N. Herz, Geschichte der Bahnbe- 
stimmung der Planeten und Kometen, Leipzig, I (1887), II (1894). 

2) A. Pingre, Cometographie ou trait& historique et theorique des cometes, 
I, I, Paris (1873—1874); J. Wiüliams, Observations of comets: from B. C. 60 to 
A. D. 1640 extracted from the chinese annals, London (1871); E. Bot, Catalogue 
des cometes observees en Chine, Paris, Conn. d. Temps pour 1846. 

3) Tycho Brahe, Observationes septem cometarum, Hafniae 1567, dann: Pro- 
gymnasmata astronomiae instauratae...., Opera ömnia. Tom. Il u. III, Hafniae 1919. 

59* 


900 VIs,18. $. Oppenheim. Kometen. 


aber mit veränderlicher und in jedem Punkte der Bahn erst empirisch 
zu bestimmender Geschwindigkeit bewege. J. Kepler*) schreibt den 
Kometen eine geradlinige Bewegung zu, ebenso J. Hevel?), der wohl 
schon von einer von der Geraden ein wenig abweichenden krumm- 
linigen Bewegung spricht, ohne aber eine Bestimmung der Art dieser 
Krümmung zu versuchen. 

Eine bedeutungsvolle Wendung brachte der 1680 erschienene 
Komet, der lange Zeit hindurch am Morgenhimmel vor und dann 
ebenso lange wieder nach seinem Perihel am Abendhimmel beobachtet 
wurde und so den Anschein erweckte, als ob er zwei fast parallele 
Gerade, aber im entgegengesetzten Sinne am Himmel beschrieben hätte. 
Der Pastor Georg Samuel Dörffel®) hatte die glückliche Idee, die bei- 
den Geraden durch einen stetigen Kurvenzug zu verbinden, und so 
war die wahre Bahn des Kometen mit einem Schlage da, die einer 
Parabel mit der Sonne als Brennpunkt. Eine zweite, noch bedeutungs- 
vollere trat mit der Newtonschen Entdeckung der allgemeinen Gravi- 
tation ein. Sie erteilte in kosmischer Hinsicht den Kometen den glei- 
chen Rang wie den Planeten, einzig mit dem rein formalen Unter- 
schied, daß diese sich in schwach, jene aber in stark exzentrischen 
Ellipsen um die Sonne als Gravitationszentrum bewegen und sich der 
von ihnen um das Perihel herum durchlaufene Bogen bloß wegen 
der kurzen Sichtbarkeitsdauer auf eine Parabel reduziere. Newton?) 
gab auch eine Methode an, die Elemente dieses parabolischen Laufes 
zu berechnen, und E. Halley®) bestimmte daraufhin die Bahnen jener 
Kometen von 1337 bis 1698, von denen bessere Beobachtungen vor- 


4) J. Kepler, Ausführlicher Bericht von dem 1607 erschienenen Haarstern, 
Hall in Sachsen 1608 und De Cometis libelli tres, Augustae Vindelicorum 1619 
in den Gesam. Werken, Bd. VII, Frankfurt 1868. 

5) J. Hevel, Prodromus cometicus, Gedani 1668. 

6) @. S. Döiffel, Astronomische Beobachtungen des großen Kometen 1680—81, 
Plauen 1681. 

7) J. Newton, Principia, 3. Buch, 5. Abschn. 

8) E. Halley, Cometographia seu astronomiae cometicae synopsis, Dsonias 
1705. Nach der Halleyschen Entdeckung lag der Gedanke nahe, auch für andere 
Kometen ähnliche Periodizitäten aufzusuchen (vgl. R Wolf, Handbuch der Astro- 
nomie, II. Bd., $ 577). Doch von allen diesen bewährten sich nur vorerst die 
Enckesche Entdeckung der Identität der Kometen von 1786, 1795, 1805 mit dem 
von 1818, mit der relativ kurzen Umlaufszeit von 3,3 Jahren (seitdem Enckescher 
Komet genannt), dann die J. Morstadtsche zwischen den Kometen 1772 und 1806 
mit einer Umlaufszeit von 6°/, Jahren, welcher 1826 von W. Biela wieder auf- 
gefunden wurde (der Bielasche Komet). Über den Kometen von 1770, dessen 
Umlaufszeit von Lexell zu 5'/, Jahren berechnet wurde, der aber seitdem nicht 
wieder gesehen wurde, vgl. Nr. 7. 


2. Störungen der Kometen. 901 


lagen, im ganzen 24. Hierbei zeigten sich ihm drei, die der Jahre 
1531, 1607 und 1682, deren Bahnelemente eine sehr große Ähnlich- 
keit untereinander aufwiesen: 


61531 0—49%25 i—17056° z—301039 1g9—9,7536 7 1531,652 
61607 —5021 =172 =302 16 9,1685 —1607,821 
61692 —5116 —1756 —30253 —9,1659 —1682,704 


Beweg. retrograd 


die, da auch die Zwischenzeiten zwischen den drei Erscheinungen 
(76,169 und 74,883 Jahre) sich als nahezu gleich zeigten, ihn zu dem 
Gedanken ihrer Identität und damit der Existenz eines periodisch 
wiederkehrenden Kometen führten. 


Durch diese Entdeckung, die sich durch die Vorausbereehnung 
von A. Clavraut für ‚die, nächste Wiederkehr im Jahre 1758 glänzend 
bewährte, war ein mäc Anstoß gegeben. Man begann, systema- 
tisch den Himmel nach Koffeten zu durchsuchen und ist so sicher, 
daß auch jeder, nur für die optisghen Instrumente der Astronomen 
erreichbare, aufgefunden wird, wäh vorher natürlich eine solche 
Entdeckung stets dem Zufall überlassef@ghien. Zu dieser visuellen 
Durchmusterung kam neuester Zeit die phößfgyaphische hinzu, auch 
in dem Sinne, daß sie deren Sichtbarkeitsdauer Terlängerte und damit 
die Genauigkeit der Bahnbestimmung erhöhte. Die Zahl der beob- 
achteten und in ihrer Bahn festgelegten Kometen stieg damit sehr 
an. Sie beträgt gegenwärtig wohl an 500, darunter an 30 perio- 


dischen und auch schon in mehreren Erscheinungen wieder aufge- 
fundenen. 


2. Störungen der Kometen. Die von E. Halley vorausgesagte 
Wiederkehr des Kometen von 1682 für das Jahr 1759 gab A. Clai- 
raut?) als erstem Veranlassung, dessen Störungen durch die Planeten 
Jupiter und Saturn zu berechnen. Den Ausgangspunkt für seine Unter- 
suchungen bilden die Gleichungen für die heliozentrischen Koordi- 
naten (Radiusvektor r, wahre Länge v und mittlere Anomalie M)) als 
Störungen in der Bahnebene, sie lauten!®), wenn man R als Störungs- 
funktion ansetzt: | 





9) A. Claiwraut, Theorie du mouvement des comötes avec l’application & la 
comete, qui a Et&E observee en 1531, 1607, 1682, 1759, Paris 1760 und Recherches 
sur les com&tes de 1521, 1607, 1682 et 1759, Paris 1762. 


10) Die Gleichungen sind identisch mit den Encykl. VI s, 14 (E. Brown), 
Nr. 4, 8 angegebenen (s = 0 zu setzen), 


902 VI2,18.: S."Oppenheim. Kometen. 
.: EN 1 
Peru ten o— Sarav: Ball —e), 


“ 2-(atFa 20):(420, 


—= 1 ecosv + sinv| Rcosv dv— cosv| Qsinvdr, 


ty dena: VII 
und als Veränderung von Knoten und Neigung der Bahnebene 
e) | siniAN —= Wr’sin — N)dv:kKa(l — e), 
di= Wr?cos(v — N)dv: Kal — e), 
mit W als der auf der Bahnebene senkrecht stehenden Störungskom- 


ponente. Die Methode der Rechnung war die der speziellen Störungen 
nach folgendem Schema: 


exzentr. Anom. E: 0°— 90° Zeit 1531-1538 1607-1615 1682-1689 
i 90°-270° 1538—1600 1615—1675 1689—1751 

— 90°— 0° 1600-1607 1675—1682 1751-1759 

Verbindung der Perihele 1531u.1607 1607u.1682 1682u.1759, 


wobei die störenden Kräfte 9, x und W in die zwei Gruppen: 
1. direkte Störungen der Planeten und 2. Einwirkung dieser auf die 
Sonne geteilt wurden. Das Ergebnis der Rechnungen war: 


vorausberechnete Perihelzeit 1759 April 13 
aus den Beobacht. (1759) ab- daher Fehler = 30 Tage. 
geleitete Perihelzeit ... 1759 März 15 


P. S. Laplace widmet in seiner M6canique c#leste 11) einige Kapitel 
den speziellen Ausführungen, wie die Störungen periodischer Kometen 
zu berechnen sind. Sie weichen nach zwei Richtungen von den für 
die Planeten gebräuchlichen Methoden ab, 1. in dem Vorschlage, in 
dem Aphelteile der Bahn, wenn der Radiusvektor des Kometen r be- 
deutend größer ist als der des störenden Planeten r,, die Bewegung 
des Kometen auf den Schwerpunkt von Sonne und störendem Körper 
zu beziehen, 2. bei bedeutender Annäherung des Kometen an den 
Planeten nicht mehr die Sonne, sondern diesen als Anziehungszentrum 
anzusehen. Im ersten Falle geht man von den allgemeinsten Stö- 
rungsgleichungen in den rechtwinkligen Koordinaten x, y, z aus, 


(3) a u k’m, (& er —%) en m; 2 ar. EM 0, 


und analog für y und z, und betrachtet in Alien x,y,2 als dem Ko- 
mupben, %or EL 2, und r, als der Sonne, %,,Y,,2, und r, als den einzelnen 


11) Pr .S. Laplace, Me&c. c&l. Tome v. livre 10, chap. 1,2 et 3. 





2. Störungen der Kometen. 903 


störenden Planeten zugehörig — zunächst mit einem willkürlichen An- 
fangspunkt. Fügt man sodann die Größe %?(m, + D'm,)o-° positiv 
und negativ hinzu, wo o die Distanz der Kometen vom gemeinsamen 
Schwerpunkt aller bedeutet, und von da ab dieser als Anfangspunkt 
des Koordinatensystems angenommen wird, so folgt'?)! 


3” + Balm, + Im) ge’ + IR m, (= — 3) — 0 
(4) oder 

2" + Bam, + Im) + — 0 
und analog für y und 2. Die ersten zwei Glieder dieser Gleichungen 
bestimmen die elliptische Bewegung des Kometen um den Schwer- 


punkt, die weiteren lassen sich als Störungsglieder auffassen, wobei 
als Störungsfunktion 


(4a) R= km, € Bi =) + 1m, (+ ee -) 


T; 





auftritt. Indem man nunmehr noch die Distanzen A, und A, der Sonne 
und der Planeten vom gemeinsamen Schwerpunkt durch die Glei- 
chungen 

1. = A’ + 0" — 204,008 H, 

= A? + 0° — 20A,c0sH, 


einführt und für sie die Entwicklungen ansetzt 





1 1 A, A3 3cos®®H,—1 
= za zo +3. 2 +-- ), 
1 1 A; A} 3c08?H,—1 
a 


nimmt, da wegen des Schwerpunktsatzes 
m, A, cos H, + D'm,A, cos H, — 0 
ist, der Ausdruck für R die Form?) 


(4b) R=km, =: an rc + N km, = mn RN. 

12) Die Gleichungen (3) in ihrer ursprünglichen Form wenden P. H. Cowell 
und A.Crommelin in der Preisarbeit: Essay on the return of Halleys Comets, 
Publ. d. astr. Ges. XXIII (1910) zur Berechnung der speziellen Störungen dieses 
Kometen für die zwei Umläufe von 1759—1835 und 1835—1910 an. Vgl. auch 
den Bericht über sie von v. Seeliger, Astr. es. Vjs. 45 (1910), p. 2. 

13) Über die Ableitung der Gl. (4), d. i. der direkten elliptischen Bewegung 
eines Kometen um den’ Schwerpunkt von Sonne und störenden Körpern vgl. 
F. Tisserand, Mee. cel. IV (1896), chap. 12; J. Bauschinger, Bahnbestimmung 
(1906), p. 565; ferner F. W. Bessel, Entwicklung einer allgemeinen Methode, die 
Störungen der Kometen zu berechnen, Königsberger Beob. 1810, Ges. Abh. I, 


904 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


an, die sagt, daß R wegen der Kleinheit von A, und A, gegenüber o 
eine Größe zweiter Ordnung ist, die bei genäherten Rechnungen ver- 
nachlässigt werden kann. 

Für den zweiten Fall, den einer bedeutenden Annäherung des 
Kometen an den störenden Planeten, führt Laplace den Begriff dessen 
Wirkungssphäre ein. Er definiert ihn in der folgenden Art: Ist X die 
Anziehungskraft der Sonne und $ die störende Kraft des Planeten 
auf den Kometen, ebenso X, die Anziehung des Planeten und S, die 
störende Kraft der Sonne, so ist 


S:K=8$:K, 
die Gleichung einer Fläche, auf deren Begrenzung beide Verhältnisse 
einander gleich sind und es daher gleichgültig ist, ob man die Sonne 
als Haupt- und den Planeten als störenden Körper oder im Gegen- 


teile den Planeten als Anziehungs- und die Sonne als das Störungs- 
zentrum ansieht. Innerhalb dieser Fläche ist aber 


ARE DE 
und daher, wenn der Komet sie in seiner Bewegung um die Sonne 
durchdringt, vorteilhafter, die Bahnrechnungen in bezug auf den Pla- 
neten als Anziehungszentrum auszuführen und die Störungen als durch 
die Sonne verursacht anzunehmen. Da 
k2 .\2 ER ‚\2 
ed) 


A?° r} A° r! 


4 —2 z,%1 
ar, 


p. 20: I. Teil: Bewegung des Kometen um den Schwerpunkt; II. Teil: Verbesse- 
rungen, die noch anzubringen sind, wenn man die Schwerpunktsbahn als erste 
Annäherung ansieht. — Nach dieser Methode (Reduktion auf den Schwerpunkt 
von Sonne und Planeten) berechnete J. F. Encke die Störungen des nach ihm 
benannten Kometen von 1819—1860. Ferner TR. Damoiseau (M&m. Turin 1820), 
@.P. de Pontecoulant (Paris Sav. Etr. 1835), O. A. Rosenberger (Astr. Nachr. 8, 9 
u. 11, 1833—34) und J. W. Lehmann (Astr. Nachr. 12, 1835) die Störungen des 
Halleyschen Kometen zur Vorausberechnung der Erscheinung für 1835. Über 
die Art der Berechnung äußert sich Encke [Astr. Nachr. 9 (1831), p. 317] mit 
folgenden Worten: So oft der Komet in eine größere Entfernung von einem 
Planeten kam (bei Merkur nach 4, bei Venus und Erde nach 12 Tagen), wurde 
in bezug auf ihn der Übergang auf den Schwerpunkt des durch ihn und die 
Sonne bestimmten Systems durchgeführt. Demgegenüber weist J. W. Lehmann 
[Astr. Nachr. 16 (1839), p. 97] auf einige Unannehmlichkeiten dieses Verfahrens 
hin. Sie bestehen vor allem in der Berechnung der Planetenkoordinaten in be- 
zug auf den Schwerpunkt, ferner in der Unmöglichkeit, eine Absonderung der 
Störungen bei eventueller Korrektion der Planetenmasse vornehmen zu können. 
Er schlägt deshalb vor, diese Reduktion nur für die vier inneren Planeten aus- 
zuführen, für die vier äußeren dagegen die Störungen stets getrennt zu rechnen. 





En 


2. Störungen der Kometen. 905 


km x x\? Y y\? 2 2 \2 
K- A I = Bm (7 ALe 3) mr = “er &) pr € Zen =) ir 
so wird, wenn man nach der kleinen Größe v=A:r, entwickelt 
und außerdem 


nAcsd =. — a) tu —N)+ ala — 2) 
setzt, die Gleichung der Fläche 


(5) A= ,Vm, :mo(1 + 3.008? 9)%. 


Sie gibt für $—=0 als Minimum für A, = r, Ym.2: 2m: und für 
$ = 90° als Maximum A, — Ym,?: my! und stellt wegen des von 1 
wenig verschiedenen Verhältnisses von A,:A, — Y2 — 1,15 genähert 
(5a) = r,Vm?: My 
eine Kugel vor, die man die Wirkungssphäre des Planeten von der 
Masse »m, gegenüber der der Sonne, m,, nennt.!*) 

Die Bahn, die der Komet um.den Planeten nach Eintritt in 
dessen Wirkungssphäre beschreibt, ist stets eine Hyperbel. Der Be- 
weis hierfür ergibt sich in einfacher Weise aus der Gleichung 


pP 
Items 





ae 1 sn 
die, wenn man in ihr den Wert von „ aus der Energiegleichung 


substituiert, übergeht in 
2 ”* 
1-—e-r(.— 5) 
In ihr ist aber k?, das die Anziehungskonstante für die Bewe- 
gungen um die Sonne (m, = 1) vorstellt, zu ersetzen durch k?m;; 


somit ist das zweite Glied ın wegen der Kleinheit von m, stets 


größer als das erste — und daher 1—e<0. Da ferner die Ge- 


schwindigkeit des Kometen beim Austritt aus der Wirkungssphäre 
wesentlich eine andere ist als beim Eintritt, so erfährt seine Bahn 
durch eine solche Annäherung eine sehr bedeutende Umwandlung.'*®) 


(Vgl. Nr. 7.) 


14) Die Radien der Wirkungssphären der einzelnen Planeten sind: 
Merkur A = 0,001 Erde 0,006 Jupiter 0,322 Uranus 0,339 
Venus A = 0,004 Mars 0,004 Saturn 0,364 Neptun 0,576. 
Allgemeine Untersuchungen über solche Bahnumwandlungen, besonders durch 
Jupiter, führte O. Callandreau durch, Paris Obs. M&m. 20 (1890). 

14a) Dies gilt hauptsächlich für die großen Planeten (Jupiter, Saturn, 
Uranus und Neptun). Für die vier inneren und kleineren Planeten schlägt La- 


906 VIs2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


Im allgemeinen Falle dagegen, wenn weder eine bedeutende An- 
näherung des Kometen an den störenden Planeten vorhanden ist, 
noch auch seine Entfernung von ihm so groß ist, daß eine Reduktion 
auf den Schwerpunkt von Sonne und Planet zur Vereinfachung der 
Störungsrechnungen ratsam erscheint, kann nur eine Teilung der 
Bahn °) nach der schon von Clairaut durchgeführten Methode Platz 
greifen. In diesem Sinne gibt P. A. Hansen'*) eine Entwicklung der 
Störungsfunktion in den zwei Formen: 


ER HÜM) und (vg + iM), 


cos 


von denen die erste (nach der exzentrischen Anomalie fortschreitende) 
für den unteren Perihelteil der Kometenbahn, dıe zweite, mit Einfüh- 
rung der wahren Anomalie, für die obere Aphelhälfte gilt. In seinen 
weiteren Abhandlungen führt er an Stelle von Ex und v« zwei neue, 
von ihm partiell genannte Anomalien ©, und o, ein nach den Glei- 
chungen: 


| unterer Teil: 2Y2aesint E— (Vo, +YVe,) sino, + (Vo, ee Ve.) » 


(6 BARS: bs 
% loberer Teil: 2Y2er;r, cos4v—= (Yo, + Ve,) sine, + (Vo, —Vo,), 
place (Mec. cel. Tome IV, Livre IX, $ 12) dagegen eine Entwicklung der Ko- 
ordinatendifferenzen zwischen Komet und störendem Planet in Potenzreihen nach 
der Zeit vor, wobei die erste Potenz genügt. Die Integration der Störungsglei- 
chungen gestaltet sich unter dieser Annahme recht einfach. Laplace berechnet 
darnach die Störungen des Lexellschen Kometen bei dessen Annäherung an die 
Erde und findet als Änderung der Umlaufszeit — 2,046 Tage. 

Vgl. hierzu noch: E. Strömgren, Über die Merkurnähe des Kometen 1902 c, 
Astr. Nachr. 160 (1902), p. 191, sowie: Über die gegenseitigen Störungen zweier 
einander nahe kommenden kleinen Planeten, Astr. Nachr. 165 (1904), p. 17. 

15) Die Frage, wann der Übergang zur Berechnung der Störungen um den 
Mittelpunkt der Sonne zu der um den Schwerpunkt stattzufinden habe, beant- 
wortet P. Harzer, Astr. Nachr. 110 (1885), p. 353 durch Einführung des Störungs- 
maßes M—YXA}, wo A, den Mittelwert des Quadrates der störenden Kräfte 
bedeutet, und die Summe & über alle störenden Körper zu erstrecken ist. Hier- 
bei ist A; doppelt zu rechnen, einmal für den Mittelpunkt der Sonne und so- 
dann für den Schwerpunkt von Sonne und störende Körper, und der Vergleich 
beider gibt einen Anhaltspunkt für die Wahl des Anfangspunktes des Koordi- 
natensystems, Sonne oder Schwerpunkt von Sonne und Planeten. 

16) P. A. Hansen, Ermittlung der absoluten Störungen in Ellipsen von be- 
liebiger Exzentrizität und Neigung, Seeberg Sternw. Schriften 1843, ferner: 
Schreiben an Encke, Berlin Ber. 1884, p. 345, und Neue Form der Störungen in 
sehr exzentrischen und sehr geneigten Bahnen, ebenda 1845, p. 39; dann: Mem. 
sur le calcul des perturbations qu’&prouvent les com£tes, Paris C. R. Suppl. D. 
1856. Vgl. auch: Jacobi, Nachlaß, herausgegeben von H. Bruns, Ges. Werke VII 
(1891), p. 284—-305. 


2. Störungen der Kometen. 907 


wobei im 
ersten Teil og =r, —al-—e), g=nr—ul—e)... 
zweiten „ 9 =lal+e—rl|r(l—e), &=lall+eo—r,]|rs(1—e) 
ist und erzielt damit eine Darstellung der Störungen, die in zwei 
vollständig voneinander getrennte Teile zerfällt zwischen den zwei 
ganz willkürlichen Radienvektoren r, und r, als Grenzpunkten der 
Teilung. Für die spezielle Annahme einer symmetrischen Teilung der 
Bahn »,=r, wird im Perihel Ex«—=o, = 0 und o, = + %0° für 
1, =r,= a(l — ecosE,), im Aphel vg = o, = 180° und @&, — —+ 90° 
für nn =r =all—e)-(l + ecosv,)-!. Sonst im allgemeinsten 
Falle wären r, und r, so zu bestimmen, daß sie den beiden Punkten 
entsprechen, die die Minima der Entfernung des Kometen vom stören- 
den Körper begrenzen. 

H. Gylden“) in seiner Vorliebe für elliptische Funktionen und 
dem Bestreben, durch sie eine bessere Konvergenz der Störungsreihen 
zu erzielen, definiert die partiellen Anomalien durch 


untere Bahnhälfte sin 4E = ksin am ee; modk= + sin4E,, 


(2) 


} 2L 
obere F c84v—Isinam —a, modi—=-+ cos$y,, 


wobei K und ZL die den Modulen k und Z entsprechenden vollstän- 
digen elliptischen Integrale erster Gattung, und + E, bzw. + v, die 
Werte von Ex und v4 für die zwei symmetrisch gelegenen Teilungs- 
punkte bedeuten. Eine weitere Erhöhung der Konvergenz versucht er 
auf einem doppelten Wege, 1. durch eine nochmalige Teilung der 
Bahn zufolge der Annahmen: 


sino, =sin’}o, und sino, = sin’4o,, 
durch die die neuen Teilungspunkte in das Perihel bzw. Aphel ver- 
legt werden, 2. durch Multiplikation der Reihe für A? als das Qua- 
drat der Distanz des Kometen vom störenden Körper mit dem Faktor 
F=1-+ 4coso + usino 
und der Festsetzung, die Konstanten A und u so zu bestimmen, daß 
in dem Produkt FA? die vom doppelten Winkel 2® abhängigen Glie- 
der als Größen zweiter Ordnung verschwinden. 





17) H. Gylden, Über eine Methode, die Störungen der Kometen mittels 
rasch konvergierender Ausdrücke darzustellen, St. Petersb. Bull. 14 (1869) und 
Astr. Ges. Vjs. 7 (1872), p. 27; Paris C. R. 80 (1875), p. 907, sowie der Bericht 
von A. Baillaud, Ann. Ee. Norm 5 (1876), p. 355 und P. Harzer, Astr. Ges. Vjs. 
18 (1883), p. 26. 


908 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


Für den Fall einer Annäherung des Kometen an einen störenden 
Planeten (aber den einer so bedeutenden ausgeschlossen, daß durch 
sie eine ganze Umändernng der Bahn des Kometen hervorgerufen wird) 
stellt A. Gylden 18) eine Art intermediärer Bahn her, die eine direkte 
Berechnung der säkularen Variation der Perihellänge und des Knotens 
gestattet. Er setzt die Koordinatendifferenzen zwischen Komet und 
 störendem Planet, bezogen auf die Bahnebene der letzteren in der Form 


8 I ren 
(8) y—y=Uy— Va — 2r sin?4Jsin(v’ + =) 
fest, worin 


u-7-! cos D — ef sin?1D, V= "sinD, D=(v+x)—(v +7) 
ist, ferner die Bewegungsgleichungen 
X +P,x®e+Paı=0, 
’ le ’ ’ hd nd ’ nt a 
yY +P,y + P,y = — 2m’k’r sin?4J sin(v’ + =) (z —- =) ; 
worin wieder 
‚ 1 1 dv da\-1 
- nt > 
1 m’ idr dna\-1/1 1 
Berlatg nt Fo) 
ist und das Glied auf der rechten Seite der Gleichung für y wegen 


des Faktors sin?4.J im allgemeinen vernachlässigt werden kann, und 
transformiert diese endlich durch die Substitutionen 


= +, yarlttyı, EeltWrftt, 


= + 7 
und die Entwicklung 


> ie * +w-+DL,... (Glieder zweiter Ordnung) 


i 3+8(& +0) - 
at +m)—0, mit eu=Vo, 
tra tn) - 
wozu noch für die dritte Koordinate 2 = sinb 
. +s2=0 
18) H. Gyläen, Theoretische Untersuchungen über die intermediären Bahnen 


der Kometen in der Nähe eines störenden Körpers, St. Petersb. M&m. 32 (1884), 
sowie auch Astr. Nachr. 102 (1882), p. 321. 


2. Störungen der Kometen. 909 
kommt, wenn :s der konstante Teil der Entwicklung von 


km’? 1 1 ‚ 2fp,a: 
1+ 2 (25 — za) rr cosHe ! 


ist. Die Integration der Gleichungen wird mit Hilfe der Substitutionen 





dt=ßodu, dvı= PVE au 


auf das elliptische Argument « (mit dem Modul x) zurückgeführt, 
und man erhält dann als mittlere Bewegung der intermediären Ano- 
male N=x(2ßox)"', und aus ihr als Bewegung des Perihels 
Ar=1-—2ßYe-K(xe)-! sowie als Variation der Knotenlänge 
1—s) 

Analytische Störungsausdrücke für rein parabolische Bahnen stell- 
ten E. Strömgren und G. Fayet auf, speziell im Hinblicke auf die Frage 
nach der ursprünglichen Bahnform der Kometen und ihrer Exzentri- 
zität hierbei, deren Kenntnis zur Entscheidung über ihre kosmogo- 
nische Stellung notwendig ist (vgl. die folgende Nr. 6c). Für diesen 
Fall nimmt eine Entwicklung der Störungsfunktion die Form an 


R  Aean E. i(u,t + &,) c0s?*4v cos?v sin“ v. 
Strömgren zeigt, daß sich alle darin vorkommenden Funktionen von 
v mit Rücksicht auf die Parabelgleichung 
tggo + 31, -kl NEE) 
durch nach Potenzen von (t — 7)-% geordnete Reihen darstellen lassen, 
so daß zur Berechnung der Elementenstörungen die zwei Integrale 


1 
2 


173 ia 


Sinai + )E— Mat und feosilmt + 5) — T)"8at 


b; & 
zu bewältigen sind, die durch die Substitution * — 7 = z auf die mit 
Hilfe von Gammafunktionen lösbaren Normalformen 


Za 2 


n Rn 
fe: sinzedze und fr cos2dz 

Bu N 
19) Nach den Methoden von Hansen und Gylden wurden vielfach die ab- 
soluten Störungen des Enckeschen und anderer periodischer Kometen gerechnet; 
so von Hansen selbst (Fußn. 16) die Störungen des Enckeschen Kometen durch 
Saturn; von Asten, Berechnung des Teiles der absoluten Störungen des Encke- 
schen Kometen durch Jupiter (zwischen v = 170°—190°), St. Petersb. M&m. 28 
(1881); Th. Wittram, desgleichen zwischen v —= 152°21’7’’ und 170°, ebenda 31 
(1883); A. Shdanow, Störungen des Fayeschen Kometen in der Jupiternähe im 
Jahre 1841, ebenda 33 (1885), ferner die zahlreichen Arbeiten von O. Backlund 
zur Theorie des Einckeschen Kometen in den St. Petersb. M&m., besond. 28 (1881). 

Vgl. auch Eneykl. VIs, 19 (H. Samter), Nr. 8. 


910 VIs,18. S. Oppenheim. Kometen. 


zurückgeführt werden. @. Fayet dagegen setzt direkte tg; v = x und 
kommt so auf die zwei neuen Formen 
Sa@+un)de und [ri,(@ + ua)dz, 


ı 


die er durch nach Potenzen von u fortschreitende Reihen integriert. 


: 3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. Einen aus- 
führlichen Bericht über den Stand der Berechnungen der periodischen 
Kometen gibt L. Schulhof?). Darnach blieb von den vielen bisher 
vermuteten Anomalien in deren Bewegungen®!) bis heute nur die des 
Enckeschen Kometen??) übrig. Schon Encke hatte sie erkannt, und 
v. Asten und Backlund bestätigten sie in ihren Untersuchungen über 
ihn, jedoch mit der Beschränkung, daß diese Anomalie, die sich in 
einer Beschleunigung seiner mittleren Bewegung, u, äußert, und die 
Encke als Wirkung eines widerstehenden Mediums erklärte, keineswegs 
von Umlauf zu Umlauf des Kometen konstant sei, sondern sich sprung- 
haft ändere, derart, daß die einfache Annahme einer regelmäßigen Ver- 
teilung dieses Mediums um die Sonne nicht aufrecht erhalten werden 
könne, vielmehr durch eine unstetige zu ersetzen sei, etwa nach Art 
von kosmischen Staubwolken, die den Raum um die Sonne bald in 
geringerer, bald in größerer Dichte erfüllen. 

Die allgemeinen Untersuchungen überhaupt über die Bewegung 
der Himmelskörper in einem widerstehenden Medium, im Sinne von 





20) Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 323 

21) Solche sind bisher außer beim Enckeschen Kometen noch vermutet 
worden: 

1. beim Fayeschen Kometen nach A. Möller, Astr. Nachr. 54 (1861), p. 353; 
55 (1861), p. 273; 57 (1862), p. 215; ferner Encke, Berl. Jahrb. f. 1864 und 
dann richtig gestellt: Astr. Nachr. 64 (1864), p. 145; 

2. beim Winnekeschen Kometen nach den Rechnungen von Th. v. Oppolzer,. 
Wien. Ber. 62 (1870); 68 (1873); ferner Astr. Nachr. 97 (1880), p. 149 und 
besonders im Vergleiche mit dem Enckeschen und Fayeschen ebenda 97 
(1880), p. 225. Die neue Bahnbestimmung von E.v. Härdtl, Wien. Akad. 
Denkschr. I 55 (1888), II 56 (1889) bestätigt jedoch die Anomalie nicht; 

3. beim Bielaschen Kometen, vgl. v. Hepperger, Wien Ber. 109 (1900); 112 
(1908); 115 (1906); 

4. beim Brorsenschen Kometen, vgl. J. Lamp, Kiel Sternw. Publ. 7 (1892) und: 
J. Mahnkopf, Inaug.-Diss. Göttingen 1919, bei dem sich eine Verzögerung 
der Bewegung um etwa 12 Stunden zwischen den Umläufen von 1868, 1873. 
und 1879 zeigte. 

22) Vgl. Encykl. VI, 22 (Oppenheim), Nr. 26. Zusammenfassende Berichte: 
über die Störungsrechnungen sind enthalten in: J. F. Encke, Berl. Jahrb. für 
1861; v. Asten, St. Petersb. Bull. 20 (1875) und O. Backlund, Paris Bull. astr. 11. 
(1894), p. 473 und London Astr. Soc. M. N. 70 (1906), p. 429. 


3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. 911 


Encke, beginnen mit diesem.??) Die Widerstandskraft wird hierbei als 
eine entgegengesetzt der Richtung der Bahntangente wirkende, stö- 
rende Kraft, 7, angesehen und in allgemeinster Darstellung in der 
Form ds 


T=-— hl) v0) 


; 2 die Geschwindigkeit des Kör- 


pers in der Bahn und »(r) eine Funktion des Radiusvektors r be- 
deuten. Sie gibt nach den Gleichungen (Encykl. VI 2,27 (Sundman), 
Nr. 7, Gl. (29) als Störungen der zwei hauptsächlich in Betracht kom- 
menden Elemente a, (bzw. n) und e 


angenommen, wo h eine Konstante 


da 2 dn EEE Re 
(10) VER DRR ir EWR, 
de = — 2h Ar!y?y(r)(cosv + e)dv 


mit den Abkürzungen 


m 


W—hkm-2p ? A=YVl-+2ecosv+e. 





Setzt man 
* 3 
A= 2 (ans 2u)an, 4, = “| Ar1r2y,(r)cosvdv, 
ö 0 


so folgen für die säkularen Teile der Störungen [=] und [de] die 
Werte 








d 3h’ Pr ; 
F]=--e4A1+9+eA), [de]= — [A +2eA,] 
und für ihr Verhältnis 
dn] _ an 1—ed(A1 +9 — A) __ 3n 
(11) (= ey = h, ER 4,+24 ee ae ae 


Encke setzt in der Theorie seines Kometen 
m—2, v(r)=r? 
an, allgemeinere Annahmen machen Hansen und v. Oppolger: 
m=1 oder 2, Y(r)= rn? bzw. e-*" oder et*!r. 


Backlund wiederum 
m beliebig, Yer)=rt. 

23) Über die Bewegung der Himmelskörper in einem widerstehenden Me- 
dium hat sich eine reiche Literatur gebildet. Aus ihr seien erwähnt außer den 
Arbeiten von Encke, v. Asten und Backlund noch: P. A. Hansen, Astr. Nachr. 12 
(1835), p. 334; O. Mossotti, London Astr. Soc. Mem. 2 (1826); Th. v. Oppolzer, 
Astr. Nachr. 97 (1880), p: 49; O. Backlund, ebenda 101 (1882), p. 209; E. Rebeur 
Paschwitz, Inaug.-Diss. Berlin 1883, und die Darstellung in den Lehrbüchern von 
Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du monde II (1829), chap. 3, und 
F. Tisserand, M&e. ee. IV (1896), chap. 13. 


912 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


Sie alle finden, daß man die Exponenten m und u, sowie auch die 
Funktion »(r) innerhalb sehr weiter Grenzen willkürlich wählen kann, 
ohne mit den Beobachtungsergebnissen in großen Widerspruch zu ge- 
raten. Es folgt dies aus der Tatsache, daß die in dem Bruche [dn :: de] 
auftretende Konstante H*) als Funktion der Parameter m, u oder A 
betrachtet, nur innerhalb sehr enger Grenzen variiert (für m —=1, 2, 
3,4,5 und u=2,3,4, schwankt H zwischen 1,00 und 0,93), derart, 
daß aus der Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung, 
entsprechend den empirischen Werten von [dn] und [de] kein voll- 
zutreffender Schluß auf die Form des N a Yerciiie gezogen 
werden kann. 

Im Sinne von Encke wird hierbei das widerstehende Medium als 
mit der Sonne mitbewegt und seine Dichte als mit der Entfernung 
von ihr stetig abnehmend vorausgesetzt. Mit der weiteren Frage nach 
dem Einflusse, den ein den ganzen Raum erfüllendes Medium, durch 
das die Sonne dahinzieht und ihr Gefolge an Planeten und Kometen 
mit sich führt, auf deren relative Bewegung ausübt, befaßten sich 
Th. Bredichin®) und F. Tisserand.*) Die störenden Kräfte erscheinen 
hier in der Form: 


12) X-r1!N@ +0), Yan y+p, Zen y), 


worin «,ß,y die Vektoren der Eigenbewegung der Sonne, V?= (x + «)? 
+ (y + B)? + (2 + y)° bedeuten und k eine Konstante ist, für die 
die ‚Theorie den Ausdruck cSm”! gibt, mit S gleich der Oberfläche 


24) Unter Einführung der elliptischen Anomalie «, definiert durch 
v—2am u modk = 2yell-+te)-', 
gibt Backlund (l. c. Fußn. 23) der Gleichung (11) die Form 
as [san "Eu. Aüm >21 2udu 


ht BER NT Karat UT 
dn Ine | 1-+e Saat" ?&u De 2 -i TER 





und beweist, nach von H. Gylden [Studien auf dem Gebiete der Störungstheorie, 
St. Petersb. M&m. 16 (1871)] gefundenen Relationen, daß für wachsende Werte 
von m und u sich die Integrale einer und derselben Grenze nähern, so daß der 
Quotient beider =1 und daher für diesen Fall () eg ze 2 


3 wird, oder 
H= nei bzw. A, =24A,. Die periodischen Teile von dn und de berechnet 








Backlund als verschwindend klein. 

25) Th. Bredichin, Moskau Obs. Ann. 6 (1880). 

26) F. Tisserand, Paris Bull. astr. 10 (1893), p. 504 und Mee. cel. IV (1896) 
chap. 13. i 


3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. 913 


und m der Masse des Kometen, beide als konstant vorausgesetzt. Sie 
geben wie die ursprüngliche Enekesche Hypothese zu säkularen Stö- 
rungen in den zwei Bahnelementen a und e Veranlassung, die außer 
von einer Annahme über die Funktion p und den Vektoren der Sonnen- 
bewegung, «, ß und y, auch von der Relativbewegung des Kometen 
um die Sonne abhängen, sich aber für keine Annahme von p, den 
Fall «= ß=y = 0 ausgeschlossen, durch den diese Anschauung mit 
der Enckeschen identisch würde, mit den Ergebnissen der Beobach- 
tungen beim Enckeschen Kometen in Übereinstimmung bringen lassen. 

Weit besser dürfte ihnen, die auf einen unstetigen Verlauf der 
Störungen hinweisen, die Seeligersche?‘) Theorie entsprechen, der die 
Annahme zugrunde liegt, daß der interplanetarische Raum von Massen 
erfüllt ist, die in ganz unregelmäßiger Verteilung der Anziehung der 
Sonne folgen und um sie nach den Keplerschen Gesetzen ihre be- 
stimmten Bahnen beschreiben. Sie können in zweifacher Weise auf 
die sich in ihnen bewegenden Himmelskörper, namentlich die Ko- 
meten, eine störende Wirkung ausüben: 

1. in einer Art von durch diese Staubwolken verursachtem Wider- 
stand, bei dem, wie die Entwicklungen Seeligers es zeigen, die stören- 
den Kräfte proportional sind dem Quadrate der Geschwindigkeit des 
Kometen und auch der Dichte dieser Massen, d. i. ihrer Menge in 
der Volumeneinheit, ein Ergebnis, das mit den Annahmen Enckes 
über die Wirkungsweise des widerstehenden Mediums in Übereinstim- 
mung steht. Damit würden nicht nur die Bewegungsanomalien dieses 
Kometen selbst, sondern auch ihre sonst rätselhaften diskontinuier- 
lichen Änderungen in der Tatsache ihre genügende Erklärung finden, 
daß die Verteilung der Massen eine ganz unregelmäßige ist; 

2. in der durch die Zusammenstöße hervorgerufenen Massenver- 
größerung?®) des sich in ihnen bewegenden Körpers. 

Indes kommt bei den Kometen der letzte Fall weit weniger in 
Betracht als beispielsweise beim Monde oder der Erde. Vielmehr ist 
bei ihnen an eine Massenverminderung zu denken, die durch ihre An- 
näherung an die Sonne und im Zusammenhange damit durch die Aus- 
strömung von Materie aus ihnen, die zur Entstehung ihrer Schweife 





27) H.v. Seeliger, Über Zusammenstöße und Teilungen planetarischer Massen, 
München Akad. Abh. 17 (1891), ferner L. Picart, Sur l’aceeleration apparente du 
mouvement de quelques comötes periodiques, Paris Bull. astr. 21 (1904), p. 139. 
Vgl. auch Encykl. VI 2, 22 (Oppenheim), Nr. 26b und für den Lichtdruck 26c. 

28) Über die Literatur zur Untersuchung der Bewegung zweier Körper um- 
einander für den Fall, daß ihre Massen mit der Zeit veränderlich sind, vgl. 
Encykl. VI 2, 22 (Oppenheim), Fußnote 173. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 60 


914 VIs,18. S. Oppenheim. Kometen. 


Veranlassung gibt, hervorgerufen wird. Bezeichnet y die Geschwindig- 
keit der Ausströmung und « den Winkel, den deren Richtung mit 
dem Radiusvektor des Kometen einschließt, so erhält man für diesen 
Fall als störende Kräfte in der Bahnebene 


(13) Kae dm x c08« + ysina ER dm ycosa — xsin« 


m r ? m r ? 


wobei es jedoch genügt, «= (0 zu setzen, da dann, d. i. im Perihel, 
die Ausströmung am heftigsten ist. Aber durch sie entsteht eine sä- 
kulare Abnahme der mittleren Länge des periodischen Kometen, mit- 
hin das gerade Gegenteil von dem, was beim Enckeschen Kometen 
durch die Beobachtungen festgestellt ist. 

Endlich ist noch der Lichtdruck®®) zu erwähnen, durch den spe- 
ziell bei Kometen Bewegungsanomalien entstehen können. Die durch 
ihn entstehenden (störenden) Kräfte sind zweierlei Art, sowohl solche 
in der Richtung des Radiusvektors wie auch, worauf zuerst H. Poyn- 
ting°®) aufmerksam machte, senkrecht auf ihn. Sie zeigen eine Ähn- 
lichkeit mit den Störungskomponenten, welche in der Annahme eines 
widerstehenden Mediums auftreten, und können bei passender Wahl 
der in ihnen enthaltenen Konstanten, oe als der Dichte und r des 
Radius der umlaufenden Körper, eine Größe erreichen, die von der 
gleichen Ordnung ist wie die beim Enckeschen Kometen konstatierten. 


4. Masse der Kometen. Alle Versuche zur Bestimmung der Masse 
der Kometen stimmen in dem Ergebnis überein, daß diese viel zu 
klein ist, um sie nach den gewöhnlichen Methoden der Störungs- 
rechnung aus den Störungen berechnen zu können, die sie auf die 
Planeten oder deren Monde ausüben. Ein erster Versuch in dieser 
Richtung rührt von Laplace®‘) her. Er weist auf die Beziehung 
(14) 5 > 2 — Se - er —= — ma:mia, 
durch die die Variationen der mittleren Bewegungen » und n’ oder 
der Umlaufszeiten 7 und 7’ zweier sich gegenseitig störender Körper 
miteinander verbunden sind, wenn m und m’ ihre Massen und a und 
a‘ die Halbachsen ihrer Bahnen um die Sonne bedeuten. Da nun der 
Lexellsche Komet im Jahre 1770, da er der Erde sehr nahe kam, 


29) Vgl. H.C. Plummer, London Astr. Soc. M. N. 65 (1905), p. 229, und nach 
einer Korrektur durch J. H. Poynting, ebenda 67 (1907), p. 63; besonders aber 
H.v. Seeliger, Astr. Nachr. 187 (1911), p. 417. 

30) J. H. Poynting, London Phil. Trans. 202 (1904), p. 525 und Phil. Mag. 
9 (1905), p. 393. 

31) P. S. Laplace, Mee. eel. IV, livre 9, chap. 3. 


4, Masse der Kometen. 915 


durch sie eine Störung im Betrage von 
ön’:n = 66T’: T’ = — 104,79 ma’ oder 67T’ = — 0,11598 m Tage 
erfuhr, so muß umgekehrt auch dieser von ihm die Störung 
öon:n=6T:T = 104,79 ma oder dT = 0,11598 m’ Tage 
erlitten haben. Schätzt man die Genauigkeit von 7 als der Dauer 
der Umlaufszeit der Erde um die Sonne zu 2 sec = 0,000023 Tage, 
so folgt als größtmöglicher Wert für die Masse des Kometen m’ 
1:5000 der Erdmasse.??) | / 

Ein wesentlich anderer Versuch einer Massenbestimmung rührt 
von E. Roche®?) her. Den Ausgangspunkt für sie bildet seine Theorie 
der Gleichgewichtsfiguren der Kometen, aus der er unter Einführung 
des Begriffs der freien Oberfläche die Näherungsgleichung 


(15) Rery® 


ableitet, worin R der Radius des Kernes (Dunsthülle des Kometen) 
und r dessen Distanz von der Sonne bedeutet und aus ihr als unteren 
Grenzwert für m — ausgedrückt in Einheiten der Sonnenmasse 3 

’ wm 2R!.r7° 
findet. Speziell für den großen Kometen 1858 VI. Domai berechnet 
er aus R=15", r= 0,9, m = 132,10-"? Sonnen- oder = a, 10% 
= 1:21300 Erdmassen. 





32) Ebenso weist Laplace darauf hin, daß derselbe Komet bei seinen An- 
näherungen an Jupiter in den Jahren 1767 und 1779 fast dessen Satellitensystem 
durchquerte, ohne daß eine merkliche Störung in dem Laufe der Monde hat 
nachgewiesen werden können, woraus folgt, daß seine Masse wohl noch viel 
kleiner als 1:5000 der Erdmasse anzusetzen ist. Das gleiche trat ein beim Ko- 
meten 1884 (III), der sich 1875 dem Jupiter bis auf 0,121 nach den Rechnungen 
von R. Lehmann-Filhes [Astr. Nachr. 124 (1890), p. 1) näherte, noch mehr beim 
Kometen 1889 (V), für den die kleinste Distanz vom Jupiter im Jahre 1886 gar 
nur 0,0095 war [A..J. Chandler, Astr. J. 9 (1889), p. 9]. 

33) E. Roche, Reflexions sur la theorie des phönomenes come6taires, Mont- 
pellier M&m. 4 (1860), vgl. Encykl. VI a, 21 (Oppenheim), Nr. 33 u. 34, Gl. (43). 
Differenziert man diese Gleichung nach « und setzt in den dortigen Bezeich- 
nu:gen M’= Masse der Sonne, M = Masse des Kometen, A = Distanz von der 
Sonne und r = Radius der Dunsthülle des Kometen, so ergibt sich, noch speziell 
u=0 angenommen, 2 M’A®= Mr° identisch mit der oben angeführten Relation. 
Zu einer mit dieser Formel identischen — und nur durch den Zahlenfaktor von 
ihr sich unterscheidenden — Formel kommen C. V. Charlier [Formation des cou- 
rants meteoriques par la desagregation des come&tes, St. Petersb. Bull. 32 (1888)] 
und L. Picard (Sur la desagregation des essaims meteoriques, Paris These de 
fac. 1892), vgl. Eneykl. VI 2, 21 (Oppenheim), Nr. 87. Sie lautet m > 3.R’r-* und 
entspringt der Bedingung der Stabilität der Bahn, die die Kometenmaterie um 
den Kern beschreibt. 

60* 


916 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


Ein dritter Weg geht auf die Bewegungsverkältnisse ein, welche 
die Komponenten eines in zwei oder mehrere Teile gespaltenen Ko- 
meten zeigen, unter Einführung der Bedingung, daß sie einen gemein- 
samen Ausgangspunkt haben. Darnach hat J. Hepperger®*) aus den 
Bahnen der zwei Teile des Bielaschen Kometen im Jahre 1846, 
nachdem beide 1852 wieder beobachtet wurden, dessen Masse zu 
m = 1:2400000 der Erdmasse berechnet mit dem Hinweise, daß die 
Normalörter der Beobachtungen aus dem Jahre 1846 nicht mit be- 
friedigender Genauigkeit dargestellt werden, wenn m — 0 angenommen 
wird, während bei der angeschriebenen alle Örter der einen Kompo- 
nente sehr gut dargestellt werden und nur bei der zweiten in zwei 
Örtern aus dem Jahre 1852 größere Abweichungen übrig bleiben, die 
nur teilweise den Beobachtungen selbst zur Last zuzuschreiben sind, 
teilweise aber aus anderen Ursachen entspringen (wahrscheinlich einem 
in dem Zeitraume von 1846 — 1852 eingetretenen geringen Massenverlust). 

Hierher ist auch der Versuch ©. V. Charliers®°) zu zählen, der auf 
Grund des Satzes, daß, wenn zwei Körper sich in einer und derselben 
Bahn hintereinander und in kurzem Abstand voneinander bewegen, 
der vorangehende in seinem Laufe beschleunigt, der nachfolgende da- 
gegen verzögert wird, die Bewegungsanomalien des Enckeschen Ko- 
meten erklären will und damit zur Bestimmung seiner Masse zu 
9,10-1 der Erdmasse gelangt. Die Annahmen, von denen hierbei 
Charlier ausgeht, sind: 1. die Definition des kleinsten Abstandes der 
zwei hintereinander sich bewegender Körper durch eine Verschieden- 
heit der Epochen ihrer Bahnen (e und e’), wobei &e — €’ als eine kleine 
Größe anzusehen ist, 2. die Entwicklung der Störungsfunktion nach 
Potenzen von sin!(& — &,), die mit sin”?4(e — &,) beginnt, welches 
Glied das größte ist, demgegenüber die anderen verschwinden und 
3. die Anschauung, daß die störende Masse ein Teil des Kometen 
selbst ist, so daß m = k(& — &,)° wird; damit wird der numerische 
Betrag der Störung in der mittleren Bewegung n, 

ön = imn’tsin”’4(e — &,). 

Eine letzte Methode endlich beruht auf der Anwendung der Theorie 
des Lichtdruckes auf Grundlage des Gleichgewichtes zwischen diesem 
und der Anziehung des Kernes auf ein beliebiges Teilchen des Ko- 
meten. Darnach berechneten A. F. und F\. A. Lindemann®®) die Masse 
des Halleyschen Kometen zu 2,03 - 10! gr, d.h. 2,9: 10-'3 der Erdmasse. 


34) J.v. Hepperger, Bestimmung der Masse des Bielaschen Kometen, Wien. 
Ber. 115 (1906), p. 785. 

35) ©. V. Charlier, Lund. Meddel. 29 (1906). 

36) A. F. u. F. A. Lindemann, London Astr. Soe. M. N. 71 (1911), p. 156. 


5. Helligkeit der Kometen. 917 


5. Helligkeit der Kometen.?”) Die Beobachtungen und Reduk- 
tionen der Helligkeitsverhältnisse der Kometen leiden an der Schwierig- 
keit, daß es bis heute an einer einheitlichen Auffassung dessen man- 
gelt, was man unter Helligkeit eines Kometen zu verstehen habe. 
Manche Beobachter beachten nur die scheinbare Größe des fixstern- 
ähnlichen Kernes, andere wiederum fügen auch die Helligkeit der 
Nebelhülle hinzu, und so entstehen oft Unterschiede von mehreren 
Größenklassen. Zur Erzielung eines einheitlichen Vorganges scheint 
der Vorschlag von Holetschek”®) am geeignetsten zu sein, bei Hellig- 
keitsschätzungen nicht so sehr auf den Kern oder eine besonders 
hervorzuhebende Partie seiner Hülle, als vielmehr den ganzen Kometen 
etwa derart in Betracht zu ziehen, daß man ihn mit dem schwächsten 
zur Verfügung stehenden Fernrohr, wenn möglich sogar mit unbe- 
waffnetem Auge mit in der Nähe befindlichen Sternen vergleicht. Die 
nach dieser Methode erhaltene Zahl ist dann zwar nicht seine Hellig- 
keit nach Art der Fixsterngröße, aber sie ist an diese gebunden und 
könnte als seine Augenfälligkeit oder Gesamthelligkeit bezeichnet wer- 
den, die sich als Resultierende seiner Flächenhelligkeit?®) und seiner 
scheinbaren Größe ergibt. 

Für die so gefundene Zahlengröße H wäre die Reduktion auf die 
Einheit der geozentrischen Distanz, A, wie der heliozentrischen r nach 
der Gleichung“) H = Or-?A-? 


37) Die vollständigsten Untersuchungen über die Helligkeit der Kometen 
verdankt man J. Holetschek, der in einer Reihe von Abhandlungen in den Denk- 
schriften der Wiener Akademie (zitiert in der Literaturübersicht) die Angaben 
über die Helligkeit H, die Größe des Durchmessers der Nebelhülle und die 
Länge der Schweife $ einer einheitlichen Untersuchung unterzieht und zum 
Schlusse Tafeln gibt, die mit dem Argument der Periheldistanz q und der Grenzen 
von r, zwischen denen der Komet beobachtet wurde, für jeden beobachteten und 
berechneten die Berechnung von H und $ gestatten. Man ist damit in der 
Lage, für irgendeinen neuentdeckten Kometen, wenn seine Helligkeit gegeben 
und seine Bahnelemente berechnet sind, den wahrscheinlichen Verlauf seiner 
Helligkeitsänderung und seiner Schweifentwicklung vorauszuberechnen. Referat. 
über die erste Abhandlung: J. Hartmann, Astr. Ges. Vjs. 32 (1897), p. 232. 

38) Darnach hat J. Holetschek alle seit 1890. jeweilig sichtbaren Kometen 
beobachtet. Vgl. Ann. Sternw. Wien 8 (1892); 12 (1896); 14 (1900); 20 (1907) 
und 22 (1912), sowie Astr. Nachr. 149 (1899), p. 151; 151 (1900), p. 299 und 155 
(1901), p. 267; 185 (1910), p. 257; vgl. auch H. Knox-Shaw, London Astr. Soc. 
M.N. 71 (1911), p. 232. 

39) Beobachtungen über die Flächenhelligkeiten des ganzen Kometen oder 
auch nur seiner Teile schlägt .J. Hartmann vor, Berl. Ber. 1899, p. 677. Ge- 
legentliche Versuche schon von G. Müller, Astr. Nachr. 114 (1886), p. 361. 

40) Gegen diese Reduktion wendet sich F'. Deichmüller, Astr. Nachr. 131 
(1893), p. 33 mit der Bemerkung, daß bei den Kometen mehr die Flächen- als 


918 VI2,18. 8. Oppenheim. Kometen. 


vorzunehmen, was am besten, wenn H in Größenklassen gegeben ist, 


nach der Formel 
(16) HB, = H—-SlgrA 


geschieht. Das Ergebnis der nach dieser Methode von Holetschek viel- 
fach durchgeführten Reduktionen war ein doppeltes: 

1. Zunächst zeigte sich bei vielen Kometen, sowohl bei periodischen 
und mehrfach, wie auch nur in einer Erscheinung beobachteten, daß 
diese neue Zahl 4, bemerkenswert konstant bleibt, so daß es erlaubt 
erscheint, aus den gefundenen Zahlen einen Mittelwert zu ziehen, der 
als die reduzierte Helligkeit des Kometen gelten kann. Dies ist der 
Fall bei den 33 Erscheinungen des Enckeschen Kometen von 1786 
bis 1914, bei denen Holetschek den Nachweis erbringt, daß die an- 
scheinend nach 11—13 Jahren wiederkehrenden Abwechslungen zwi- 
schen helleren und schwächeren Wiederkehren‘!) auf das Zusammen- 
wirken zweier Umstände zurückzuführen ist. Der eine ist physikali- 
schen Ursprunges und bedingt durch die Eigentümlichkeit des Ko- 
meten, daß er, wenn er in eine besondere Erdnähe kommt (wo er im 
allgemeinen vor dem Perihel für die nördliche, nach demselben für 
die südliche Erdhälfte sichtbar ist), nur vor diesem eine kernähnliche 
Verdichtung zeigt, darnach aber verblaßt. Der zweite liegt in den 
Bahnverhältnissen des Kometen, derart, daß für die Beobachtung gün- 
stige und ebenso ungünstige Erscheinungen nach 3 x 3,3 = 10 bzw. 
4 > 3,5 = 13 Jahren wiederkehren. Ein Zusammenhang mit der 11- bis 
12jährigen Periode der Sonnenflecken ist damit ausgeschlossen.) 

2. Sodann zeigen die abgeleiteten Zahlen 4, einen Gang meist 
derart, daß H, bei kleineren Werten von r, also gegen das Perihel 
zu, größer ist als bei größerem r. Dieser zweite (wohl allgemeinere) 
Fall sagt aus, daß die Helligkeit des Kometen nicht mehr durch >? 
allein bedingt erscheint, durch welches Gesetz einzig das reflektierte 
Sonnenlicht berücksichtigt wird, sondern daß mit seiner Annäherung 
an die Sonne Helligkeitssteigerungen verbunden sind, die als Beginn 
von Ausströmungen aus dem Kerne und seiner Schweifentwicklung 
angesehen werden können. Man kann daraus folgende Regel für die 
Voraussage einer solchen aufstellen: Kometen, für die H, größer ist 


die Gesamthelligkeit hervortritt und daher bloß die Formel H=(C.r7* ohne 
Rücksicht auf A anzuwenden sei. Einwendungen dagegen von J. Holetschek, 
Astr. Nachr. 131 (1893), p. 239 und H. v. Seeliger, Astr. Ges. Vjs. 38 (1903), p. 178. 
41) A. Berberich, Astr. Nachr. 119 (1888), p. 49. 
42) O. Backlund, London Astr. Soc. M. N. 70 (1910), p. 429, sowie J. ‚Ho- 
letschek, Über die Bewegungs- und Helligkeitseigentümlichkeiten des Enckeschen 
Kometen, Wien Sternw.-Kalender 1915. 


5. Helligkeit der Kometen. 919 


als 4”, bekommen fast alle im Perihel einen dem bloßen Auge sicht- 
baren Schweif, der desto größer wird, je bedeutender die Annähe- 
rung an die Sonne ist (Komet Halley, ferner Komet 1769), Kometen, 
für die H, an 6” heranreicht, bekommen entweder gar keinen oder 
einen so lichtschwachen Schweif, daß er nur unter besonders gün- 
stigen Verhältnissen (bedeutende Erdnähe) mit dem Fernrohr gesehen 
wird (Komet Encke, Komet 1652, 1723). In der Größendistanz zwi- 
schen 4” und 6” scheint die Grenze für eine bedeutende Schweifent- 
wicklung zu liegen. Sie hängt dann hauptsächlich von der Perihel- 
distanz ab (Komet 1618 II, 1742), 

Die Tatsache dieser Zunahme der reduzierten Helligkeit H, vor 
und der Abnahme nach dem Perihel führte zu einer Reihe von Unter- 
suchungen, den Potenzexponenten 2 in der Reduktionsformel durch 
eine andere Zahl zu ersetzen, speziell jenen zu ermitteln, der den 
Beobachtungen vor und nach dem Perihel am besten genügt. Die 
Reduktion*?) erfolgt dann nach der Gleichung 


(16a) H, =H— 5logA — algr, 


und x wird als Charakteristik des Kometen bezeichnet. Merkwürdiger- 
weise ergaben die Berechnungen für sie zumeist die zwei Zahlenwerte 9 
und 13, denen als Exponenten von r 3,6 und 5,2 entsprechen, so daß es 
den Anschein hat, als ob hier zwei Typen vorliegen, die durch diese 
zwei Werte ausgezeichnet sind. Hierbei wird auch die Frage nach 
der Berücksichtigung des Phasenwinkels berührt. S. Orlow findet, daß 
durch sie die Lichtkurve des Kometen sich regelmäßiger gestaltet. 
Dem stehen aber die Ergebnisse der photometrischen Beobachtungen 
von @. Müller“) gegenüber, nach denen diese keine Spur einer Phasen- 
einwirkung erkennen lassen, was auch aus dem Umstande folgt, daß 
der Kern des Kometen ein aus kleinen Körpern zusammengesetztes 
Konglomerat ist, das von der Sonne vollständig durchleuchtet wird, 
wodurch der Einfluß der Phase wesentlich modifiziert, wenn nicht 
ganz aufgehoben erscheint. Ebenso läßt sich gegen die Verwendung 
einer höheren Potenz von r bei der Reduktion von H der Einwand 
erheben, daß es sich bei den Helligkeitsschwankungen eines Kometen 
um das Perihel herum um physische Veränderungen derselben han- 





43) Untersuchungen dieser Art rühren her von: J. W. Backhouse, Observ. 16 
(1893), p. 72; M. Ernst, Astr. Nachr. 187 (1911), p. 303; $. Orlow, ebenda 189 
(1911), p. 1; 190 (1912), p. 157; 191 (1912), p. 441; 195 (1913), p. 309; H. Krit- 
zinger, Astr. Nachr. 199 (1914), p. 137; de Mello e Simas, ebenda 192 (1912), 
p. 343 und Erg.beft 4. 

44) G. Müller, Astr. Nachr. 108 (1884), p. 116; 114 (1886), p. 361. 


920 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


delt, deren verschiedene Stadien, wie die Ausströmung von Materie 
aus dem Kerne und den Beginn der Schweifentwicklung geometrisch 
durch eine einfache Potenz von r darzustellen wohl nicht angeht. 


6. Die kosmogonische Stellung der Kometen.) Nachdem 
durch die Versuche von Regiomontan und die schon sichereren Beob- 
achtungsergebnisse 7’ycho Brahes über die Parallaxe der Kometen ihre 
kosmische Natur festgelegt worden war, entstanden über ihren Ur- 
sprung zwei Hypothesen. Nach der einen (Laplace*®), Herschel‘')) 
kommen die Kometen aus den interstellaren Räumen in unser Sonnen- 
system, beschreiben ihre kurzen Bahnen um die Sonne, in deren Nähe 
sie sichtbar werden, und verschwinden wieder in den unendlichen Raum, 
wobei einige von ihnen bei Annäherung an einen großen Planeten, 
besonders Jupiter, durch dessen anziehende Wirkung in eine ellip- 
tische Bahn geworfen und damit zu periodischen umgewandelt wer- 
den können. Nach der zweiten dagegen (Kant‘®)) sind sie ständige 
Mitglieder des Sonnensystems und bewegen sich in ihm vorzugsweise 
in Ellipsen mit großer Bahnexzentrizität, deren Abweichung von der 
Parabel bei der Kürze des sichtbaren Teiles ihrer Bahn aus den Be- 
obachtungen abzuleiten schwer fällt. Die Entscheidung über diese zwei 
Hypothesen wurde auf doppeltem Wege versucht, zunächst durch sta- 
tistische Untersuchungen über die Verteilung ihrer Bahnelemente mit 
Rücksicht auf die Frage, ob sich in ihr eine Abhängigkeit von irgend- 
welchen stellaren Beziehungen verrät, und sodann durch Wahrschein- 
lichkeitsbetrachtungen über die Zahl von elliptischen oder hyperboli- 
schen Bahnen bei bestimmten Annahmen über die Geschwindigkeit, 
mit der sie in das Sonnensystem eindringen — hier wieder mit Rück- 
sicht auf die Tatsache, daß die überwiegende Anzahl der beobachteten 
Bahnen parabolischen Charakters ist. 


45) O. Zanotti Bianco, Le idee di Lagrange, Laplace, Gauß, Schiaparelli 
sull’ origine delle comete, Memoria storica, Torino Acad. Mem. 63 (1913), p. 95- 
und E.Strömgren, Über den Ursprung der Kometen, Kopenhagen Obs. Pub. 19 
(1914). 

46) P. 8. Laplace, Sur les cometes, Add. Conn. de Temps pour 1816; Oeuvres, 
Tome 13, p. 88. 

47) J. F. W. Herschel, Outlines of Astronomy, London 1850, p. 376. 

48) J. Kant, Naturgeschichte des Himmels, 2. Teil, 3. Hauptstück. Hier 
wäre auch der Gedanke von J. Lagrange (Add. Conn. d. Temps, p. 1814) zu er- 
wähnen, daß die Kometen durch heftige Ausbrüche aus den Planeten entstanden 
sein dürften, als diese noch in ihrem Ursprungszustande waren. Kritische Be- 
merkungen zu dieser Anschauung von F. Tisserand, Paris Bull. astr. 7 (1890), 
p- 453 mit weiteren Literaturangaben. 


6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 991 


Beide Probleme stehen vorerst in innigem Zusammenhang mit 
der Frage nach den Grenzen für die Sichtbarkeit eines Kometen zur 
Zeit seiner Entdeckung. Olbers*’) nimmt als äußerste Grenze hierfür 
einen scheinbaren geozentrischen Abstand von der Sonne von 25—30° 
an, J. Holetschek‘), der die Bahn eines Kometen zu bestimmen ver- 
sucht, der während seiner günstigen Helligkeit nicht aus den Sonnen- 
strahlen heraustreten kann, nur 15° bei einer theoretischen Helligkeit 
zwischen den Grenzen 0,06 < H< 0,12. 


a) Die scheinbare Verteilung der Bahnelemente der Kometen. 


«) Perihellängen. Von den Bahnelementen der Kometen wurde 
bezüglich ihrer Verteilung am Himmel vornehmlich die Richtungen 
der großen Achsen (Perihellängen) untersucht. J. Bode°!) findet eine 
Anhäufung der Kometenperihele in den Sternbildern der Zwillinge 
und des Krebses und deren kleinste Zahl im Schützen und Steinbock 
und meint, daß diese Tatsache ihre genügende Erklärung finde in der 
größeren Zahl der Beobachter auf der nördlichen gegenüber der auf 
der Südhälfte der Erde. Von einer ähnlichen Verdichtung bei den 
heliozentrischen Längen 70° und 250° sprechen Brorsen°?), Lardner°?), 
Carrington°*). Houzeau°®) berechnet den Mittelwert der Perihelvek- 
toren (A = coslcosb, u—= sinlceosb, v=sinb) von 209 Kometen 
und aus ihm die Lage des Schwer- und Mittelpunktes der Perihel- 
pole. Er findet = 102°5, b= +8, und nach einer Teilung des 
Himmels in zwei Teile durch einen senkrecht auf dieser Richtung 
angenommenen Meridian für beide getrennt 


„—1025, = +92; 12-2831, »— +68, 


und da die zweite (l, = 281°8) nur wenig von dem Apex der Sonnen- 
bewegung abweicht, glaubt er hierin einen Beweis für den stellaren 


49) W.Olbers, Einige Bemerkungen über die Aufsuchung von Kometen, 
Berl. Jahrb. 1809 und Briefwechsel mit F. W. Bessel, Bd. I, p. 35 = Ges. Abh. 3, 
p. 452. Vgl. auch P. Harzer, Über die Wahrscheinlichkeit einen Kometen auf- 
zufinden als Funktion seines Winkelabstandes von der Sonne, Astr. Nachr. 103 
(1882), p. 65. 

50) J. Holetschek, Wien. Ber. 83 (1888), p. 1099. — Die Helligkeit HZ = 0,06 
entspricht der Annahme r= A = 2; H = 0,12 folgt ausr=q nn 72 2 nach der Glei- 


chung yeltego+51°5)>r für imp— 0 und A—g+1, 
51) J. Bode, Berl. astr. Jahrb. für 1812. 
52) Th. Brorsen, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 337. 
53) D. Lardner, London Astr. Soc. M. N. 13 (1853), p. 188. 


54) R. Carrington, ebenda 21 (1861) und Mem. 29 (1861), p. 355. 
55) J. C. Houzeau, Bull. Acad. Bruxelles 36 (1873), p. 315. 


922 VIs2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


Ursprung der Kometen gefunden zu haben. A. Svedstrup®) sucht die 
Kreise auf der Himmelskugel auf, um den sich die Perihele am dich- 
testen gruppieren. Sind A, u,» deren Vektoren, x,y,z die Vektoren 
der Pole der Kreise und o ihre Radien, so besteht die Aufgabe darin, 


den Ausdruck De — (Aa + uy-+ va) 


in dem die Summe sich auf alle in Rechnung gezogenen Kometen 
erstreckt, mit der Nebenbedingung 2 + y + z2?=1 zu einem Mini- 
mum zu machen. Die Lösung führt auf ein Ellipsoid, dessen drei 
Hauptrichtungen den Extremwerten entsprechen. Aus 207 Kometen 
aus der Zeit von 1557—1881, deren Bahnexzentrizität größer ist als 
0,995, findet er für sie die Werte 


1=1784 »=-+295 oder «= 193% d, = + 2909 
ET OEN Rp Bine L: = 831 d,= + 3009 
1, = 16009 db, = — 5904 = 1342 0, = + 4603 


(Äquin. 1850,0), 


von denen die erste Richtung nach dem Pole der Milchstraße (die 
beste Bestimmung für ihn ist « = 192°, ö = + 29°), die zweite nach 
dem Vertex der Sternbewegungen (« = 90°, öd = -+ 15°) zeigt, wo- 
durch wieder ein Zusammenhang zwischen dieser Verteilung und ge- 
wissen stellaren Tatsachen hergestellt zu sein scheint. 

Gegen diese Beweisführung erheben besonders J. V. Schiaparelii?”) 
und Holetschek°®) den Einwand, daß diese Anhäufungen sich vollständig 
durch rein terrestrische Verhältnisse erklären lassen, die die Auffin- 
dung und Beobachtung von Kometen begünstigen und keineswegs 
dazu nötigen, in ihnen einen Beweis für deren stellaren Ursprung 
anzunehmen. Diese Umstände sind: der Stand der meisten Kometen- 
entdecker auf der nördlichen Erdhälfte, die Entdeckungszeit vor Mitter- 
nacht, und die Kleinheit des Winkelabstandes von der Sonne. Ho- 


56) A. Svedstrup, Astr. Nachr. 107 (1883), p. 113 sowie $. Oppenheim, ebenda 
216 (1922), p. 47. 

57) J. V. Schiaparelli, Entwurf, bes. Note 3: Über die Verteilung der Ko- 
metenbahnen im Raume, p. 239. Vgl. auch R. Lehmann-Filhes, Astr. Nachr. 96 
(1880), p. 145. 

58) J. Holetschel:, Über die Richtungen der großen Achsen der Kometen- 
bahnen, Wien. Ber. 94 (1886), p. 879; Über die Verteilung der Bahnelemente der 
Kometen, ebenda 98 (1889), p. 1541; Über den Zusammenhang der heliozentri- 
schen Perihellängen mit der Perihelzeit der Kometen, ebenda 99 (1890), p. 654. 
Vgl. auch L. Fabry, Sur la probabilit&6 des comötes hyperboliques et l’origine 
des comötes, Theses, Paris 1893, bes. chap. 4: Disposition des &l&ments des or- 
bites telle qu’elle r&sulte de l’observation. | 


6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 9933 


letschek; führt hier als maßgebende Größe die geozentrische Elongation 
(I, —1) für Kometen, deren Periheldistanz q< 1 ist, und I, — Io + 180 
für q>1 ein, und schließt, daß, da die Länge der Sonne lo zur Zeit 
der nördliehsten Deklination 90° beträgt, in dieser Zeit, d. i. im Som- 
mer, mehr Kometen gefunden werden als zu anderen Jahreszeiten, so 
daß aus der Verdichtung der Perihellängen bei 90° bzw. 270° gegen- 
über dem Minus bei 0° bzw. 180° nur gefolgert werden kann, wie 
viel Kometen infolge einer: größeren Elongation von der Sonne ver- 
loren gehen, ein Verlust?®), der, wie die Zählungen zeigen, gegen- 
wärtig trotz der bedeutenderen Hilfsmittel der Astronomen, relativ 
der gleiche ist, wie in der vorteleskopischen Periode.) 


ß) Periheldistanzen. Untersuchungen über die Verteilung der 
Kometen in einer Anordnung nach den Periheldistanzen gaben Schia- 
parell?"), Holetschek°®) und auch Fabry.°®) Schiaparelli nimmt an, daß 
der für ihre Beobachtung günstige Raum zwischen den zwei mit den 
Radien r—= 0,5 und r = 1,2 um die Sonne gedachten Kugeln liege, 
und berechnet sodann für verschiedene Periheldistanzen q die Zeit, 
wie lange sich ein Komet in diesem Raume aufhalte. Aus der Tat- 
sache, daß diese Zeit nahezu proportional ist der Zahl der Kometen, 
schließt er auf eine gleichmäßige Verteilung der Kometen in bezug 
auf g. Holetschek nimmt als Vergleichsobjekt die theoretische Hellig- 
keit H=1:r?A?, setzt r = g und berechnet sodann A aus dem Drei- 
ecke (Komet—Sonne— Erde), die heliozentrische Breite des Kometen 
als bekannt annehmend. Auch er findet (für die Periheldistanzen 
q—= 0,9 bis 2,1) eine näherungsweise Proportionalität zwischen g und 
der Zahl der Kometen von einem bestimmten A. Immerhin zeigt 
diese ein Maximum bei q = 0,8 bis 1,0, was offenbar mit den gün- 


59) Aus einer Abzählung der Kometen nach der Elongation I = Io -+ 180 
findet J. Holetschek: 
für das Intervall 0°— 60°: 218 Kometen, 
60°—120°: 109 AN 
120°—-180°: 81 2 
und schließt aus ihr, daß, wenn zwischen 0°—60° alle Kometen sichtbar und 
entdeckt würden, die Zahl derer zwischen 60° und 120° nur mehr 0,50 und zwi- 
schen 120°—150° gar bloß 0,37 der ersteren ist, so daß die Zahl der entdeckten 
zur Zahl der verloren gegangenen sich verhält wie 
(1 + 0,50 + 0,37): (0,00 + 0,50 -+ 0,68) = 1,87 : 1,13. 

60) Neuestens hat wieder W. H. Pickering, Harv. Obs. Ann. (61) 3 (1911) 
sowie London Astr. Soc. M. N. 72 (1912), p. 740 auf den Zusammenhang der 
Perihelverteilung der Kometen mit dem Sonnenapex hingewiesen; gegen ihn 
wendet sich A. S. Eddington, Observ. 36 (1913), p. 142, sowie @. Armellini, Roma 
Acad. Line. Rend. 25 (1916). 


924 VIs,18. S. Oppenheim. Kometen. 


stigeren Sichtbarkeitsbedingungen für diesen Fall, für den A ein Mi- 
nimum ist, zusammenhängt.®!) 

y) Bahnknoten und Neigung. Die Knotenlängen der Kometen 
zeigen eine fast gleichmäßige Verteilung am Himmel. Holetschek°®) 
findet von 273 Kometen 144, deren Knoten zwischen 0°—180° und 
129 zwischen 180°— 360°, Fabry eine noch gleichmäßigere, von 
324 Kometen etwa liegen die Knoten von 160 zwischen 0°—180° und von 
164 zwischen 180°—360°. J. Kleiber®?) legt der Behandlung des Pro- 
blems folgenden Satz aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung zugrunde: 
Verteilt man auf die Peripherie eines Kreises in beliebiger Weise 
n Punkte und teilt sie sodann in m gleiche Abschnitte, so ist die 
Wahrscheinlichkeit für die Zahl der Abschnitte, die # solche Punkte 
enthalten, gegeben durch 


lan s 


Durch Abzählen der Kometen für je 2° Länge findet er Werte, die 
mit dem nach dieser Formel berechneten theoretischen in genügender 
Übereinstimmung stehen. 

Auf ein ebensolches Wahrscheinlichkeitsproblem führt Zaplace®®) 
die Frage nach der Verteilung der Neigungswinkel der Kometenbahnen 
zurück. Veranlassung hierzu gab ihm die von D. Bernoulli (1734) auf- 
geworfene Frage, ob wohl die Anordnung der Planetenbahnen gegen 


61) Hierher wäre auch der Zusammenhang zwischen Periheldistanzen und 
den Perihelbreiten der Kometen einzubeziehen (zweite Perihelregel von Holetschek, 
die erste ist die Kleinheit der Elongation von der Sonne). Kleine Perihel- 
distanzen sind, wie die Abzählungen zeigen, im allgemeinen mit großer südlicher 
oder mit ebensolcher nördlicher Breite verbunden, die ersteren Kometen sind 
dann nur für die Nordhälfte, die zweiten fast ausschließlich für die Südhälfte 
der Erde beobachtbar, während bei Kometen mit großen Periheldistanzen mehr 
niedrigere Breiten vorherrschen. Von der zweiten Gruppe gehen viele verloren, 
weil auf der Südhemisphäre weniger Beobachter sich finden, ebenso aber auch 
von der dritten, weil mit der größeren Periheldistanz auch eine größere Distanz 
von der Erde und damit eine kleinere Helligkeit zusammenhängt. Eine Bestim- 
mung der Zahl der dadurch unsichtbar bleibenden Kometen läßt sich jedoch 
nicht durchführen. 

62) .J. Kleiber, Astr. Nachr. 115 (1886), p. 135. Nach der gleichen Formel 
behandelt Kleiber auch die Verteilung der Knoten der kleinen Planeten und 
findet ebenfalls eine volle Übereinstimmung zwischen Theorie und Zählung; da- 
gegen nicht mehr eine solche für die Knoten der Meteoritenbahnen. 

63) P.S. Laplace, M&moire sur l’inclinaison moyenne des orbites des co- 
metes, M&m, Acad. Paris 7 (1773) = Oeuyvres 8, p. 279 und Calcul des probabi- 
lites, Livre Il, chap. 2, Nr. 13, sowie Sur les comötes, Conn. de Temps pour 1816 
= ÖOeuvres 13, p. 88. 


6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 925 


die Ekliptik und die Gleichheit ihrer Umlaufsbewegungen ein Werk 
des Zufalls sei. Für die Planeten beantwortet Laplace die Frage da- 
hin, daß die Wahrscheinlichkeit, daß die Summe der Neigungswinkel 
der 10 bis 1812 bekannten Planeten nur 82° beträgt, und somit 
kleiner ist, als der einer einzelnen Bahn es sein könnte, 12,108, d.h. 
fast Null ist, und daher von einem Zufall nicht gesprochan werden 
könne. Für 100 Kometen, deren Elemente bis 1811 bekannt waren, 
und von denen 53 direkte, 47 eine retrograde Umlaufsbewegung hatten, 
findet er als Mittelwerte ihrer Neigungswinkel 45°1 und 48°2, und 
als Gesamtmittel 46°6, sodann als Wahrscheinlichkeit dessen Abwei- 
chung von 45°, 0,474, die er dahin deutet, daß im Gegensatz zu den 
Planeten die Kometen das Streben haben, sich in ihrer Bahn von der 
Ekliptik zu entfernen. Gegen diese Lösung von Laplace erhob Cour- 
not®) den Einwand, daß er bei seiner Berechnung jedem Neigungs- 
winkel © eine Ebene zuordnet, was nicht richtig ist («= 0 entspricht 
wohl eine Ebene, die Ekliptik, aber jedem © > 0 schon unendlich viele), 
und daß daher der Mittelwert der Neigungen nicht 45°, sondern nach der 


Formel berechnet, “ s 
2 2 


90° — feicosidi: [eeosidi — 5703 
i Ä 


0 


zählt. Eine tatsächliche Zählung‘) von 291 Kometen ergab 


TE IE BR: 28: in 0208 

erlbbiretröpaden innen, u ih 

»„ 933 periodische, deren Umlaufszeit 
kleiner ist als 100 Jahre . . 21°0. 


Dadurch ist ein wesentlich verschiedenes Verhalten der rein parabo- 
lischen Kometen gegenüber den periodischen gekennzeichnet. 


6) Bahnexzentrizität. Am einfachsten ist die Untersuchung 
der Verteilung der Kometen, was die Exzentrizität ihrer Bahnen an- 
langt. Abgesehen von den kurzperiodischen Kometen, deren Umlaufs- 
zeit zwischen 3—8 Jahren zählt und deren Exzentrizität zwischen 
0,6—0,8 liegt, ist sie für alle anderen durchwegs nahe gleich der Ein- 
heit (parabolischer Charakter der Bahn) mit einem Überwiegen nach 
der negativen Seite (elliptische Bahn) gegenüber der hyperbolischen. 
Über die Bedeutung dieser Verteilung vgl. die folgende Nr. 6.c). 





64) A. Cournot, Sur la distribution des orbites com&taires, erschienen als 
Anhang zur französischen Ausgabe der Astronomie von J. Herschel, Paris 1834. 
65) Nach L. Fabry, Fußn. 58). 


926 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


b) Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den Ursprung der Ko- 
meten.°°) Die zweite Gruppe von Untersuchungen über den Ursprung 
der Kometen befaßt sich mit der Frage nach der Verhältniszahl zwi- 
schen den elliptischen und hyperbolischen Kometenbahnen. Den Aus- 
gangspunkt für sie bilden zwei Annahmen: 

1. Kometen, deren Periheldistanz g unter einer bestimmten Grenze 
liegt, im allgemeinen wird als solche g—= 2 angesetzt, kommen in 
den Sichtbarkeitsbereich der Erde. Werden wie üblich die Bahnkon- 
stanten: Flächengeschwindigkeit = c, Parameter = p, große Halbachse 
— a, Radiusvektor = r und der Winkel zwischen Geschwindigkeit und 
Radiusvektor = H gesetzt, so gelten die Gleichungen 

e=vrsnH, p= dk, !—l(- _— -)» q=al—.c). 
Aus ihnen folgt 
(18) v = 2k?gr'(r — g)(r? sin®H — q?)-! 
und unter Einführung von z=vsinH, y= vcosH und den Abkür- 
zungen A4—=2Ktyr (rt)! BR=2MRr'r'(ir —q 
(18a) 2 
d. i., da stets g<r anzunehmen ist, die Gleichung einer Hyperbel 
mit dem Asymptotenwinkel 


2 
5-1, 


B $ q 
etga — TI N 


Ihre Bedeutung ist die folgende: Betrachtet man einen Kometen K 
in der Entfernung r von der Sonne S, trägt von K aus seinen Ge- 
schwindigkeitsvektor v auf, und konstruiert sodann diese Hyperbel, 
so trennt das durch deren Rotation um die Achse KS entstehende 
Rotationshyperboloid die Kometen, deren Periheldistanz <g ist, die 
also von der Erde aus gesehen werden können, von jenen, für die q 
zu groß ist, und die die Sichtbarkeitsbedingung von der Erde aus 
nicht erfüllen. 

2. Es wird eine bestimmte Verteilungsfunktion p für die Ge- 
schwindigkeit v eingeführt, mit der die Kometen in den Anziehungs- 
bereich der Sonne geraten, und dabei vorausgesetzt, daß sie bloß von 
v, nicht aber von r und dem Winkel HZ abhängt. Schlägt man nun- 
mehr um den Punkt zwei Kugeln mit den Radien v und v + dv, so 
schneiden diese aus dem Hyperboloid einen Raum aus, dessen Ober- 
fläche, Calotte — wobei nur der der Sonne zugewandte Teil zu nehmen 





66) Einen ausführlichen Bericht über diese enthält die Doktorthese von 
L. Fabry, Fußn. 58), sowie ferner O. Zanotti Bianco, Fußn. 45). 


6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 9927 


ist —, zur Oberfläche der ganzen Kugel das Verhältnis der Kometen 
mit den Geschwindigkeiten v und v + dv und der Periheldistanz <q 
zur Gesamtanzahl aller zwischen den beiden Kugeln angibt. 

Diese Zahl ist 


(19) N()dv = - p(v) dv ( — eye Bei =) i 


Bei der durchzuführenden Integration ist der Ausdruck in zwei Teile 
zu teilen, je nachdem A Z v; ferner ist als untere Integrationsgrenze 0 
und als obere entweder eine Maximalgeschwindigkeit v, anzunehmen 
oder eine kleinere v,, die einem bestimmten Charakter der Bahn (ellip- 
tisch oder parabolisch) entspricht. Die erstere 


9) no} [o@ar+} /sw@arlı-yı-Eyı-E 


gibt die Zahl aller jener Kometen an, die mit den Geschwindigkeiten 
zwischen den Grenzen 0 bis v, und der Periheldistanz <g in den 
Bereich der Sonne gelangen, die zweite 


(19) N(v)= eo dv 4 : fo@ do(1 aut sr 





bloß jene, deren Bahn die verlangte Eigenschaft hat, so daß endlich 
(20) x = N(v,): N(v,) 
‘die gesuchte Verhältniszahl der Kometen darstellt, die von der Erde 
aus gesehen werden können und deren Bahn von einem bestimmten 
Charakter ist, zu der aller überhaupt sichtbar werdenden. 

Laplace‘”), der nur den Fall p(v) = konst behandelt, setzt q = 2, 
v, = ©, r als den Radius der Wirkungssphäre der Sonne = 100000, 
und bestimmt v, aus der Bedingung, daß Hyperbeln, deren Exzentri- 
zität 1,02, deren Halbachse somit = 100 ist, zu den durch die Rech- 
nung von den parabolischen nicht mehr zu unterscheidenden gehören. 
Er findet daraus für x eine Zahl, die nur wenig von 1 verschieden 
ist, was bedeutet, daß die Zahl der rein parabolischen oder ellipti- 
schen Kometen der aller überhaupt sichtbaren gleichkommt, ausge- 
sprochene Hyperbeln mit Exzentrizitäten größer als 1,02 also äußerst 
selten sind. Damit erscheint der interstellare Ursprung der Kometen 
erwiesen. Wie jedoch Gauß®) und Schiaparelli®”) nachweisen, ist 


67) P. S. Laplace, Sur les comötes, Paris Conn. d. Temps pour 1816 = Oeuvr. 
13, p. 88. 

68) ©. F.Gauß, Werke 4, p. 581 (Compte rendue du mem. de Laplace). 

69) J. V. Schiaparelli, Entwurf, Note 7, ferner Mem. Inst. Lombardo 12 (1873) 
und 17 (1878). | 


928 VIg,18. S. Oppenheim. Kometen. 


hierbei Laplace ein Entwicklungsfehler unterlaufen, dessen Verbesse- 
rung zur Folge hat, daß dessen Ergebnis in das gerade Gegenteil um- 
schlägt. Gauß‘®) und später v. Seeliger‘) weisen außerdem darauf hin, 
daß die Anschauung, g(v) = konst, d. i. einer gleichen Wahrschein- 
lichkeit für alle Geschwindigkeiten von v— 0 bis v fast gleich oo 
nicht zutreffend sein könnte. Seeliger stellt als obere Grenze für v, 
etwa das 1Ofache der Bahngeschwindigkeit der Erde (29,6 kmsec-!) 
fest, die erfahrungsgemäß der größten kosmischen Geschwindigkeit 
entspricht. Aber damit ergibt sich merkwürdigerweise wieder genau 
dasselbe Resultat, das Laplace gefunden, nämlich ein Überwiegen der 
elliptischen Bahnen über die merklich hyperbolischen. Erst die An- 
nahme p(v) = Cv? kehrt das Verhältnis, indem nach ihr x sehr klein 
folgt, in das Gegenteil um. Es ist also x wesentlich von der An- 
nahme über gp(v) abhängig. 

Endlich macht Schiaparelli noch darauf aufmerksam, daß man bei 
diesen Betrachtungen auch den Einfluß der Bewegung der Sonne mit 
zu berücksichtigen habe. Es wird dies erzielt durch die Annahme 


21) 9) — 4 [FO sinBaE —4 (Fo) sinBaE(1 —%;sintE)"}, 


wenn c als die relative Geschwindigkeit des Kometen beim Eintritt 
in den Wirkungsbereich der Sonne, mit g deren Eigenbewegung 
wa die Beziehung 

—=e@+9g°— 2gecosE oder c—=geosE + Yo? — g’sin?E 


verbunden gedacht werden und die Grenzen der Integrale 0 und 5 


sind, wenn gq<v, und O und arcsin En für gg>v. Die Annahme 


F(e) = konst führt für die beiden Fälle auf 

P)—gRtg tt, h)—gKöttt, 
die in erster hang für die Grenzwerte 9 <v bzw.v <g in die 
zwei oben behandelten 


p(v) = konst und gw)=(Ü-v 


übergehen, worin diese zwei speziellen Annahmen ihre Begründung 
finden. Führt man aber die Integration exakt durch, mit Rücksicht 
auf den aus den Beobachtungen folgenden Wert von g, so folgt hier 
für beide Annahmen Fe) = konst oder F()=K-c in gleicher 
Weise für x eine sehr kleine Zahl, d. h. ein bedeutendes Fehlen von 
parabolischen oder elliptischen Bahnen gegenüber den ausgesprochen 





70) H.v. Seeliger, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 257 u. 415. 





6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 929 


hyperbolischen. Auch weitere Annahmen, die Fabry in seiner Unter- 
suchung macht, besonders in Anknüpfung an eine neue Problemstel- 
lung von Davis”'), führen zu demselben Ergebnis, einem Überwiegen 
hyperbolischer Bahnen und damit zu der Anschauung, daß die Ko- 
meten keineswegs aus dem interstellaren Raume in das Sonnensystem 
kommen, sondern wegen des meist parabolischen Charakters ihrer 
Bahnen dessen ständige Mitglieder sind.’?) 

In anderer Art kommen K. Hillebrand”®) und G. Armellini”*) zu 
demselben Resultate, daß die Kometen dem Sonnensysteme angehören 
und ihr Ursprung in Entfernungen von der Sonne liegt, die im Ver- 
hältnisse zu den Distanzen vom nächsten Fixsterne noch als sehr 
klein zu bezeichnen sind. Jener, durch den Nachweis, daß selbst rein 
elliptische Bahnen, deren Apheldistanz dem 7Ofachen der Neptun- 
distanz gleichkommt, sich nicht mehr von rein parabolischen unter- 
scheiden lassen, worin das so häufige Vorkommen solcher, wie es die 
Berechnungen zeigen, ihre Erklärung findet, dieser, durch die Behand- 
lung der Frage, daß die Wahrscheinlichkeit, daß Kometen, die mit 
beliebiger Geschwindigkeit in das Sonnensystem eindrirgen, in ihrer 
Bahn eine kleine Periheldistanz erhalten und damit sichtbar werden 
können, eine äußerst geringe ist. 


c) Die Problemstellung E. Strömgrens. Auf einen wesentlich an- 
deren Standpunkt stellen sich Strömgren”) und nach ihm Fabry”®) 
und Fayet.'”) Sie legen den Hauptwert der Untersuchung auf die Be- 
stimmung der Exzentrizität jener Bahn, die der Komet durchlief, als 


71) A.S8. Davis, On the probable character of cometary orbits, Phil. Mag. 
2 (1870), 3 (1871). 

72) Gegen diese Folgerung wendet sich @.v. Niessl [Astr. Nachr. 135 (1894), 
p. 147] mit der Bemerkung, daß zu ihrer vollen Rechtfertigung noch die Be- 
rücksichtigung von H in der Annahme über die Verteilungsfunktion p, d. h. 
deren Abhängigkeit von v und H notwendig wäre. 

73) K. Hillebrand, Wien. Akad. Denkschr. 81 (1908). 

74) @. Armellini, Roma Acad. Linc. Rend. (23) 1 (1914), p. 304. Vgl. auch 
Fessenkoff, Paris C. R. 158 (1914), p. 541. 

75) E. Strömgren, Über die Kometenbahn-Exzentrizitäten, Lund. Medd. 1 
(1898), 2 (1899); ferner Analytische Störungsausdrücke für parabolische Bahnen, 
Astr. Nachr. 169 (1905), p. 1; Ein Satz über Kometenstörungen, ebenda 170 (1905), 
p. 17; Über die kosmogonische Stellung der Kometen, Astr. Ges. Vjs. 45 (1910), 
p. 315, sowie die zusammenfassende Abhandlung: Über den Ursprung der Ko- 
meten, Kopenhagen Obs. Publ. 19 (1914). 

76) L. Fabry, Paris C. R. 138 (1904), p. 335. 

77) @. Fayet, Sur l’orbite anterieure de la com&te 1892 II, Paris Bull. astr. 
7 (1900), p. 104, sowie Recherches concernant les excentricit@es des comötes, Paris 
Fac. These 1906. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI2. 61 


930 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen. 


er weit von der Sonne und allen störenden Planeten entfernt war. 
Diese Exzentrizität ist nämlich keineswegs mit jener identisch, die 
bei der Bahnbestimmung des Kometen mit Rücksicht auf die nur 
während der Beobachtungszeit erlittenen Störungen aus dem gesamten 
Beobachtungsmaterial abgeleitet wird und im Gegensatze zu der erste- 
ren, der konvergierenden, als deren Oskulationswert zu bezeichnen 
wäre. Jener stellt den wahren Charakter der Bahn dar, in der der Ko- 
met in die inneren Teile des Sonnensystems eingewandert ist, dieser er- 
streckt sich nur auf die kurze Strecke um das Perihel herum, während 
der er sichtbar war, und ist mehr als eine Zufallsgröße zu betrachten, 
abhängig von der Stellung der Planeten während dieser Zeit. Man hat 
daher die Aufgabe, um über die kosmogonische Stellung des Kometen 
klar zu werden, aus dem oskulierenden Wert der Exzentrizität dessen 
konvergierenden zu finden. Diese Berechnung ist auf doppeltem Wege 
durchzuführen. Vorerst hat man die oskulierende Exzentrizität von 
den periodischen Schwankungen zu befreien, die von den durch die 
Planeten auf die Sonne ausgeübten Störungen herrühren. Dies erfolgt 
durch Übergang der Bahnelemente von der Sonne als Mittelpunkt auf 
den Schwerpunkt von Sonne und störenden Planeten. Mit diesem ist 
sodann die Rückwärtsrechnung der Störungen bis zu einem, Zeitmo- 
mente vorzunehmen, wo er schon so weit von Sonne und Planeten 
stand, daß angenommen werden kann, daß er annähernd in seiner ur- 
sprünglichen Bahn um die Sonne lief. 

Den ersten Ansatz zu einer solchen Rückwärtsrechnung führte 
für den Kometen 1886 II T’hraen“®) durch und wies nach, daß dessen 
hyperbolische Oskulationsexzentrizität von 1885, 5. Dezember, bis 1882, 
5. Oktober, von 1,000228, 1,000177, 1,000052 bis 1,000002 abnahm, 
woraus er unter der Annahme, daß bei weiterem Zurückgehen sie 
sogar unter die Einheit sinken würde, trotz der aus den Beobach- 
tungen [abgeleiteten hyperbolischen Bahn auf den elliptischen Cha- 
rakter der wahren Bahn schließt, in der der Komet sich der Sonne 
näherte. Eine zweite gibt Strömgren“®) für den Kometen 1890 I. 
Nach ihr sind in dem Zeitraum von 1890, 17. März, bis 1886, 
25. August, die oskulierenden Werte der Exzentrizität 1,0004344, 
1,0001916, 1,0001828, 1,0002862, 1,0003856, die auf den Schwer- 
punkt bezogenen dagegen 1,0012733, 1,0006288, 1,0003069, 1,0001903, 
1,0001497, die ersteren zeigen die von den Störungen der Planeten 


78) A. Thraen, Definitive Bahnbestimmung des Kometen 1886 II, Astr. 
Nachr. 136 (1894), p. 133. 

79) E.Strömgren, Berechnung der Bahn des Kometen 1890 II, Lund. Acta 
Soe. 7 (1896). 


6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 951 


auf die Sonne herrührenden Schwankungen, die letzteren wohl nicht 
mehr, doch ist ihr Grenzwert noch nicht zu übersehen, und erst 
eine weitere Rückwärtsrechnung zeigte den elliptischen Charakter der 


ursprünglichen Bahn mit  — + 0,0000718. 


Man kann diese Rückwärtsbestimmung nach den Methoden der 
speziellen Störungsrechnungen vornehmen, doch geben Strömgren wie 
Fayet auch analytische Ausdrücke für sie an, letzterer für die Stö- 
rungen der Exzentrizität direkte, ersterer für den reziproken Wert 
der großen Halbachse der Bahn. Für die Berechnung eines Maximal- 
wertes des Restes, der nach der bis zu einem gewissen Zeitpunkt 
durchgeführten Störungsrechnung noch übrig bleibt, gibt Strömgren 
den interessanten Satz ®") 


) 


A (2) x m, (1 —- Pe ei 


worin R, den (Maximalwert des) Radiusvektor des störenden Planeten, 
r den des Kometen und v, dessen wahre Anomalie für die Epoche 
bedeuten, bis zu der die numerische Integration rückwärts vollführt 
war. Durch ihn wird man in den Stand gesetzt, eine obere Grenze 
für den nicht gerechneten Teil der Störungen mit mathematischer 
Strenge zu bestimmen. Indirekt kann man aber auch entscheiden, 
wie weit rückwärts man die Störungsrechnung führen muß, um sicher 
zu sein, daß der unberücksichtigte Teil der Störungen verschwindend 
klein ist. 

Das Ergebnis der weitläufigen strengeren Rechnungen Ström- 
grens wie der genäherten Fayets ist auch für die Anschauung, 
daß die Gesamtheit der bis nun beobachteten Kometen im Sonnen- 
system ihren Ursprung habe, überzeugend.®!) Fayet findet, daß unter 
24 Kometen, für die die Bahnbestimmung eine Hyperbel lieferte, 15 
durch die Rückwärtsberechnung elliptisch wurden, während für die 
anderen der Unterschied der Exzentrizität gegen 1 innerhalb der durch 





80) E. Strömgren, Ein Satz über Kometenstörungen, Astr. Nachr. 170 
(1905), p. 17. 

81) Gegen diese Schlußfolgerung (völlige Abwesenheit byperbolischer und 
einziges Vorhandensein elliptischer Bahnen) wendet sich Schiaparelli [Paris Bull. 
astr. 27 (1910), p. 197 u. 241] mit der Bemerkung, daß damit noch nicht die Zu- 
gehörigkeit der Kometen zum Sonnensystem erwiesen erscheint. Doch mit Un- 
recht. Denn die durch die Störungen der Planeten sich vollziehende Auswahl 
zwischen den durch sie in elliptische umgewandelten Kometen gegen die rein 
hyperbolischen, die wohl das Sonnensystem verlassen müßten, genügt nicht, um 
den vollen Mangel an verbürgten hyperbolischen Bahnen zu erklären, 

61* 


932 VI2,18. $. Oppenheim. Kometen. 


deren mittleren Fehler bestimmten Grenzen liegt, daß ferner von den 
anderen von ihm untersuchten elliptischen oder rein parabolischen, 
an Zahl 122, nur 15 eine hyperbolische Bahn erhielten, aber eben- 
falls von sehr kleiner Differenz gegen 1, deren Größe von der glei- 
chen Ordnung ist wie die Unsicherheit in der Exzentrizität selbst. Das 
gleiche zeigen auch die Ausführungen Strömgrens bezüglich der 8 von 
ihm berechneten Kometen. Nur bei zweien bleibt ein kleiner hyper- 
bolischer Rest, der aber mit Rücksicht auf den mittleren Fehler von 


= ganz illusorisch ist, die anderen gingen in Ellipsen über oder ihre 
a 
Elliptizität wurde verstärkt.°?) 


7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium. 
Für die Bahn des von Messier entdeckten Kometen 1770 I berechnete 
-Lexell®®) eine Ellipse von 5,6 Jahren Umlaufszeit. Trotz eifrigen Su- 
chens wurde er jedoch bei seiner nächsten (1777) und der folgenden 
(1783) Wiederkehr zum Perihel nicht wieder gesehen, noch auch 
Spuren von ihm in eventuellen früheren Erscheinungen gefunden. 
Dieses Rätsel lösten Laplace®) und Burckhardi®°) durch den Nach- 
weis, daß der Komet erst 1767 durch Jupiter in die beobachtete 
Bahn und 1779 bei einer neuen Annäherung an diesen wieder aus 
ihr in eine neue abgelenkt wurde, so daß er nur 1777 hätte beob- 
achtet werden können, da aber für ihn ungünstige Sichtbarkeitsver- 
hältnisse vorlagen. Die Exzentrizität und die Periheldistanz seiner 
Bahnen 1767 vor Eintritt in die Wirkungssphäre des Jupiter und 
1779 nach dem zweiten Eintritt in sie, sowie ihre Werte, entspre- 


82) Eine interessante Untersuchung führte A. O. Leuschner, Publ. Pac. Soc. 
19 (1907), p. 19 durch, indem er nachweist, daß die Zahl der rein parabolischen 
Kometen gegenüber den elliptischen mit der wachsenden Steigerung der Ge- 
nauigkeit der Beobachtungen abnimmt, wie sie sich teils in den Beobachtungen 
der neueren Zeit gegenüber denen der älteren Perioden, teils in der längeren 
Dauer der Sichtbarkeit ausspricht. In den Jahren zwischen 0—1755, 1756—1845 
und 1846—1895 gab es 89%,, 74%, und 54%, parabolischer Kometen; bei einer 
Sichtbarkeitszeit von 1—100, 101—289 und 290—511 Tagen 68°/,, 55°), und 13°, 
solcher. 

83) A. Lexell, Petersb. Acad. Mem. 1777—1781. 

84) P. 8. Laplace, M&c. eel. IV, livre 9, chap. 3. 

85) J. K. Burckhardt, Paris Acad. Mem. 1806, vgl. ferner über diesen soge- 
nannten Lexellschen Kometen: Th. Clausen, Astr. Nachr. 19 (1842), p. 121; H.d’Ar- 
rest, ebenda 46 (1857), p. 98, ferner U. J. Leverrier, Recherches astronomiques 
chap. 11, Paris Obs. M6m. 3 (1857) und endlich den Versuch des Nachweises 
seiner Identität mit dem periodischen Kometen 1889 V von C. Lane Poor, Co- 
lumbia Obs. Contr. 22 (1904) mit den kritischen Bemerkungen von @. Deutsch- 
land, Astr. Nachr. 181 (1909), p. 1. 


7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium. 933 


chend den Beobachtungen, waren nach Laplace 


I (1767) II (1770) II (1779) 
e = 0,6177 e = 0,1855 e = 0,4780 
q = 0,0826 q = 0,6774 q = 3,3346 


und die kleinste Distanz vom Jupiter war (I) 0,0196, (III) 0,066. 
Sie zeigen den gewaltigen Einfiuß, den Jupiter als störender Planet 
auf die Bahn eines Kometen ausüben kann, wenn die Annäherung an 
ihn eine besonders große ist.°®) 

Die weiter folgenden Entdeckungen periodischer Kometen brachten 
die neue Tatsache zur Erkenntnis, daß sich diese, was ihre Umlaufs- 
zeiten anlangt, in mehrere streng voneinander zu trennende Gruppen 
teilen lassen. Zur ersten gehört der Halleysche Komet mit einer 
Periode von 75 Jahren, zu dem noch Komet 1813 I (Pons) mit 73, 
1815 (Olbers) mit 74 Jahren Umlaufszeit hinzukamen; einer zweiten 
Gruppe sind zuzuzählen Komet 1790 II (Mechain) mit 14 und 1846 VII 
(Peters) mit 13 Jahren Umlaufszeit und zur dritten die vielen Ko- 
meten von 5—8 Jahren Periode, zu denen auch der Enckesche Komet, 
1786 I, mit 3,3 Jahren gehört. Diese Ergebnisse vervollständigte end- 
lich M. Roller‘) durch die neu von ihm aufgefundene Beziehung, daß 
diesen nahe gleichen Umlaufszeiten auch nahezu gleiche Apheldistanzen 
entsprechen, die für jede Gruppe auf einen der großen Planeten hin- 
weisen, gleichsam als jenen, durch dessen Störungen die Bahnum- 
wandlung sich vollzog. Faßt man zunächst jene Kometen ins Auge, 
die mindestens in zwei Wiederkehren beobachtet sind und deren Ele- 
mente als gesichert betrachtet werden können, so erhält man: 1. für 
17 Kometen mit Umlaufszeiten zwischen 5—8 Jahren (den Enckeschen 
Kometen ausgeschlossen) mittlere Apheldistanz — 5,62, während die 
des Jupiter 5,425 beträgt; 2. der Mechain-Tuttlesche Komet, 7T= 12 
Jahre, Apheldistanz — 9,54, während die des Saturn 10,08 ist; 
3. 5 Kometen mit Perioden zwischen 62—75 Jahren, mittlere Aphel- 
distanz 32,9, während die des Neptun 30,4 ist. Hierzu kommen noch 
von den bloß in einer Erscheinung beobachteten zwei mit 7’ zwischen 
33—40 Jahren, mittlere Apheldistanz 20,7 und der des Uranus — 20,1; 


86) Weitere solche Bahnumwandlungen berechneten: H. d’Arrest für den 
Brorsenschen Kometen, 1846 III, dessen Annäherung an Jupiter 1842 stattfand, 
Astr. Nachr. 46 (1857), p. 100; R. Lehmann-F’ilhes für den Kometen Wolf, 1884 III, 
für die Jupiternähe im Jahre 1875, ebenda 124 (1890), p. 1; dann S. ©. Chandler 
für den Kometen, 1889 V, für die Annäherung an Jupiter 1886, Astr. J. 9 (1889), 
p- 100, sowie C. Lane Poor, ebenda 10 (1890), p. 91; allgemeine Untersuchungen 
über solche Bahnumwandlungen von O Callandreau, Fußn. 14. 

87) M. Roller, Astr. Nachr. 75 (1870), p. 331. 


954 VI2,18. $. Oppenheim. Kometen. 


endlich zwei, deren 7 120 und 128 Jahre zählt und deren Aphel- 
distanz im Mittel 48 ist und vier mit Perioden zwischen 235 und 
307 Jahren und der Apheldistanz 84.) 

Die Tatsache solch bedeutender Bahnumwandlungen von Kometen 
durch den störenden Einfluß des Jupiter führte zu dem Problem, aus 
den Elementen a,, &,, ?,, 7%, %, und 7,, die für den Moment des Ein- 
tritts in die Wirkungssphäre des Jupiter gelten, die neuen «,, &, P;, 
X, i, und 7, gültig für den Austritt aus ihr zu berechnen. Tisse- 
rand®”) gab zuerst eine Lösung desselben unter der vereinfachenden 
Annahme, daß die Bahn des Jupiter kreisförmig ist (mittlere Bewe- 
gung —n") und kommt hierbei zu der Beziehungsgleichung®®) 


= + 2n’ Vo, cosi, + R, -.. + 2n’Vp, c0si, + R, — konst, 


in der ©, und i, die Neigungswinkel gegen die Bahnebene des stören- 
den Planeten und AR, und A, zwei mit deren Masse multiplizierten 
Glieder bedeuten, die im allgemeinen so klein sind, daß sie vernach- 
lässigt werden können.?!) Eine Berechnung dieser Konstanten X für 


88) Vgl. W. H. Pickering, Harvard Obs. Ann. (61) 3 (1911), der aus dieser 
Analogie auf die Existenz zweier Planeten außerhalb der Neptunbahn mit den 
bez. Halbachsen 48 und 84 schließt und deren Bahnbestimmung versucht. 

89) F. Tisserand, Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 241 u. 289 und Me&ec. cel. IV 
(1896), chap. 12, sowie die ergänzenden Ausführungen hierzu von O. Callandreau, 
Paris Obs. M&m. 20 (1890) und das Referat über sie von R. Lehmann-Filhes, 
Vsj. astr. Ges. 26 (1891), p. 6. In anderer Art behandelt H. A. Newton in zwei 
Abhandlungen [On the origine of Comets, Amer. J. of sc. 16 (1875) und On the 
capture of Comets, ebenda 42 (1891), vgl. das Referat von R. Lehmann-Filhes, 
Vjs. astr Ges. 27 (1892), p. 182] das gleiche Problem, speziell im Hinblick auf 
die Umwandlung der großen Bahnen eines ursprünglich parabolischen Kometen 
bei großer Annäherung an Jupiter und knüpft an sie die Frage nach der Häufig- 
keit solcher Annäherungen bei einer bestimmten Annahme über die ursprüng- 
lich räumliche Verteilung der Kometenbahnen. B. Tessenkoff wieder [Paris C. R. 
158 (1914), p. 541] berechnet die Wahrscheinlichkeit größerer Störungen durch 
Jupiter in ihrer Abhängigkeit von dem Neigungswinkel der ursprünglichen Ko- 
metenbahn gegen die Ekliptik. 

90) Eine andere Ableitung dieser Relation, die seitdem das Tisserandsche 
Kriterium oder die Kometeninvariante genannt wird, und zwar auf Grund des 
Energiesatzes gibt H. v. Seeliger, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 209. Vgl. auch 
M.Gruey, Paris C. R. 131 (1900), p. 602. 

91) L. Schulhof [Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 513] setzt R= 2m’e”', wo 
e die Distanz der Kometen vom Jupiter bedeutet, und findet damit eine bessere 
Übereinstimmung der Werte der Konstanten X für die Elemente vor oder nach 
Eintritt in die Wirkungssphäre. So z. B. für den Lexellschen Kometen für die 
drei Perioden I (1767), II (1770) und III (1779) ohne Berücksichtigung dieses 
Gliedes 0,483, 0,486, 0,479, dagegen mit ihm 0,489, 0,486, 0,486; ebenso für den 


7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium. 935 


die Jupiterkometen führten Schulhof?) und Fayet”) durch. Ihre 
Werte liegen zwischen 0,337 für den Kometen Mechain-Tuttle 1890 II 
(T = 14 Jahre), 0,412 für den 1881 V (Denning), Umlaufszeit 
42 Jahre, und 0,590 für Komet Tempel (1867 ID), Umlaufszeit 
5,7 Jahre. Speziell für den Enckeschen Kometen ist K = 0,591. 

Doch wurde anfangs die Bedeutung dieser Relation zum Nach- 
weise der Identität zweier Kometen trotz der Verschiedenheit ihrer 
Bahnelemente überschätzt und Schulhof”) leitet noch zwei weitere 
Gleichungen ab, die hierbei erfüllt sein müssen: 


‚ Vr sinisin(L — N) — konst, 
p—recos(L—xa)=r, 


worin L die heliozentrische Länge des Punktes der stärksten Annähe- 
rung von Komet) und Planet sind, r; wie r’ deren Radienvektoren und Q 
und x sich auf die Bahnebene des Planeten beziehen. Die erste Glei- 
chung drückt die Tatsache aus, daß sich die zwei Bahnellipsen im 
Raume schneiden oder mindestens sehr stark annähern, die zweite 
wiederum sagt aus, daß diese Schnittpunkte in der Nähe des Jupiter 
liegen. Aber auch sie”) geben nur notwendige, aber nicht hinrei- 
chende Bedingungen für die Identität der beiden Kometen. Immer- 
hin kann man, wie Schulhof bemerkt, wenn sie erfüllt sind, auf deren 
gemeinsamen Ursprung schließen, denn die Wahrscheinlichkeit, daß 
für sie kein Zusammenhang besteht, ist bei dieser Annahme wohl 
nur eine sehr geringe. 

Eine Untersuchung über die Stabilität der Bahnen periodischer 
Kometen auf Grundlagen der Methoden von H. Poincare führte 
v. Zeipel”‘) durch. Er dehnt den Gültigkeitsbereich der Lindstedtschen 


Kometen Wolf, 1884 III, für die Jahre 1875 und 1904 einmal 0,491 und 0,497, 
‚dann 0,498, 0,497. 

92) L. Schulhof, Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 465 u. 515; 8 (1891), p. 147, 
191, 225. 

93) G. Fayet, Paris Bull. astr. 28 (1911), p. 145; der gleichzeitig die Lage 
der Annäherungspunkte in bezug auf ihre scheinbare Verteilung untersucht und 
eine Anhäufung in der Richtung der Jupiteraphels findet. 

94) L. Schulhof, Paris Bull. astr. 8 (1891), p. 202 (Gl. 22) und p. 233 (Gl. 25), 
während die Tisserandsche Relation mit Gl. 19, p. 192 identisch ist und aus- 
‚sagt, daß die Relativgeschwindigkeiten des Jupiter und eines jeden der beiden 
Kometen einander gleich sind. 

95) Auf diese zwei Bedingungen machte zuerst Th. Clausen, Astr. Nachr. 22 
(1845), p. 139 aufmerksam. 

96) H. v. Zeipel, Sur l’application des series de M. Lindstedt ä l’tude du 
mouvement des com£tes periodiques, Astr. Nachr. 188 (1910), p. 345—418. 


936 VI2,18. 5. Oppenheim. Kometen. 


Reihen, die bisher bloß bei der Bewegung der kleinen Planeten (kleine 
Exzentrizität) verwendet wurden, auf Fälle größerer Exzentrizitäten 
und ebensolcher Neigungswinkel aus, wodurch sie auch für periodische 
Kometen verwertbar werden. 


8. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien. 
Teilungen von Kometen in zwei oder mehrere, von denen jeder Teil 
für sich einen neuen Kometen mit Koma und Kern bildete, sind mehr- 
fach. beobachtet worden, so beim ‚bielaschen””), der in seiner Erschei- 
nung im Jahre 1845 „fast vor den Augen der Beobachter“ sich in 
zwei spaltete, deren Distanz zunächst 6° betrug und bei der Wieder- 
kehr im Jahre 1852 auf 30° anstieg. Eine Zweiteilung zeigte auch 
der Komet 1860 1’) Der periodische Komet 1889 V*®) erschien in 
seiner ersten Erscheinung mit 4 Begleitern, die aber bei den nächsten 
Wiederkehren 1896, 1903 nicht wieder gesehen wurden. 


Als Kräfte, welche solche Teilungen hervorrufen können, werden 
angenommen: 


1. Innere Kräfte im Kometen, die mit der Entstehung seines 
Schweifes im Zusammenhange stehen und an seiner langsamen Auf- 
lösung arbeiten. Mathematische Darstellungen zu dieser von Schiapa- 
relli herrührenden Theorie der Zerstreuung der Kometenmaterie geben 
C. V. L. Charlier und L. Picart'), jedoch mehr im Hinblicke auf die 
Frage nach der Stabilität der Bewegung der einzelnen Kometenteil- 
chen, die nach der tatsächlichen Auflösung der Kometen beantwortete 
am eingehendsten Bredichin.!"') Er knüpft hierbei namentlich an die 
anomalen Kometenschweife an, worunter er solche versteht, die inner- 
halb der Kometenbahn liegen, doch zur Sonne gerichtet sind. Sie 
bestehen nach seiner Anschauung aus schwereren materiellen Teilchen, 
die dem Kerne des Kometen entströmen, infolge ihrer größeren Masse 
der Sonnenabstoßung nicht unterliegen, sondern sich unter dem 
alleinigen Einfluß der Sonnenanziehung fortbewegen und, je weiter sie 
sich vom Kerne entfernen, desto mehr in ihrer neuen Bahn von der 
des Kometen abweichen. (Auflösung der Kometen in Meteorschwärme.) 


97) Vgl. die Bahnbestimmungen von J. Hepperger, Fußn. 21), sowie den Be- 
richt in: Wien Sternw. Kalender für 1903. 

98) Bahnbestimmung von J. Pechüle, Astr. Nachr. 72 (1868), p. 236. 

99) Bahnbestimmung dieses Kometen von J. Bauschinger, 1. Teil: München 
Sternw. 3 (1892); 2. Teil: Berlin Recheninst. Veröff. 8 (1898). Bahnbestimmung 
der einzelnen Teile von $. ©. Chandler, Astr. J. 10 (1890), p. 158. 

100) Vgl. Encykl. VIa. 21 (Oppenheim), Nr. 87. 

101) Th. Bredichin, Etudes sur l’origine des meteores cosmiques et 1a for-. 
mation de leurs courants, St. Petersburg 1903. 


8. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien. 937 


2. Die zerstreuenden Kräfte, die die großen Planeten, namentlich 
Jupiter unter ihnen, durch ihre Störungen auf die nur lose zusammen- 
hängenden Teile des Kometen ausüben. 

3. Endlich kann auch der Widerstand des Mittels durch die Ver- 
schiedenheit der Intensität seiner Wirkung auf die einzelnen Kometen- 
teilchen eine trennende Kraft auf sie ausüben und eine Teilung des 
Kometen hervorrufen. 

Von Bedeutung ist es hierbei, daß schon ganz geringfügige Än- 
derungen der Geschwindigkeit der einzelnen aus dem Kometen ausge- 
schleuderten Teilchen gegen die des ganzen genügen, um deren Bahn 
völlig umzuwandeln. So findet Bredichin, daß bei der Annahme eines 
parabolischen Kometen von der Periheldistanz qg = 0,04 und einer 
dieser entsprechenden Perihelgeschwindigkeit von 209000 mseec-! für 
die Umlaufszeiten der von den Teilchen beschriebenen neuen Ellipsen 
die Werte folgen: 


Geschwindigkeitsänderung = 237 msec"! u == 73,8 Jahre 
. — 44 ,„ — 351 „ 
„ = 10 „ ='14,1 , 
„ —= 1273 ». = 60 „ 


das sind die vier Hauptgruppen unter den periodischen Kometen, 
deren Periode kleiner als 100 Jahre ist. Ebenso berechnet H. Kreutz'"?) 
unter der Annahme einer plötzlichen Störung im Perihel die Ge- 
schwindigkeitsverluste für die vier Kerne des großen Kometen 1882 II 
zu — 0,46, + 0,46, + 1,05 und — 1,58 msee”' bei einer Bahnge- 
schwindigkeit von 478000 msec-'. 

Treten in dieser Art Teilungen von Kometen auf, so ist es mög- 
lich, daß sich diese einzelnen Teile immer mehr voneinander ent- 
fernen, im Laufe der Zeit nahezu gleiche Bahnen um die Sonne be- 
schreiben und bei Annäherung an die Erde sichtbar werden. Ko- 
meten dieser Art bilden ein System, wenn der Nachweis ihrer ein- 
stigen Zusammengehörigkeit geführt werden kann, sonst aber wohl 
nur eine Familie, bei denen man sich mit der bloßen Festsetzung 
einer Ähnlichkeit ihrer Bahnelemente begnügt. 

Die ersten Untersuchungen über Kometensysteme verdankt man 
M. Hoek.‘!®) Er betrachtet als zu einem System gehörig Kometen, 


102) H. Kreutz, Untersuchungen über das Kometensystem 1843 I, 1880 I 
und 1882 II, 1. Teil: Der große Septemberkomet 1882 II, Kiel Sternw. Publ. 1888; 
2. Teil: Fortsetzung, edenda 1891; 3. Teil: Das System der Kometen 1843 ], 
1880 I und 1882 II, Astr. Nachr. Erg.heft 1901. 

103) M. Hoek, London Astr. Soc. M. N. 25 (1865), p. 243; 26 (1866), p. 1 u. 
204; 28 (1867), p. 129 und Astr. Nachr. 70 (1867, p. 206. 


938 VI2,18. $. Oppenheim. Kometen. 


für die sich die Projektionen ihrer Bahnen an der scheinbaren 
Himmelskugel in ihren Aphelpunkten benachbarten Punkten schnei- 
den, die ferner nahezu gleichzeitig in diesen Gegenden sich be- 
finden und dabei nahezu die gleichen Distanzen von der Sonne sowie 
gleiche Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit haben. Dem gegen- 
über weist J. Glauser'"*) darauf hin, daß diese Bedingungen wohl not- 
wendig, aber nicht hinreichend sind, um die Glieder einer solchen 
Gruppe als einem System angehörend anzusehen und in der Weise 
einzuschränken wären, daß man alle nach dem Perihel fallenden 
Schnittpunkte ausschaltet, da die wirklichen Radiationspunkte nur 
zwischen Aphel und Perihel fallen, und daß ferner der Spielraum 
zwischen Schnitt- und Aphelpunkt nicht gar zu groß gewählt werden 
dürfe. J. Holetschek'®) hinwiederum macht darauf aufmerksam, daß 
die Berechnung dieser Schnittpunkte für die da in Betracht kommen- 
den Distanzen, die weitaus größer sind als der Radius der Neptun- 
bahn, sowie die der Zeitmomente für sie, die oft mehr als 1000 Jahre 
vom Periheldurchgang abliegen, nur eine sehr ungefähre sein könne, 
derart, daß eine Übereinstimmung nur zufälliger Natur ist. 

Von allen bisher angenommenen Systemen wird heute nur das 
von H. Kreutz!®) einer besonderen Untersuchung unterzogene System 
der Kometen 1843, 1880 I, 1882 II und 1887 I, die alle durch eine 
kleine Periheldistanz ausgezeichnet sind, anerkannt. — Von Kometen- 
familien seien erwähnt, zunächst als zahlreichste, 1807, 1880 V, 
1881 III, 1888 I, 1839 IV, 1892 I, sodann 1818 I, 1873 VII und der 
Bielasche Komet, sowie die periodischen Kometen (Periode 6,5 bis 
6,7 Jahre) 1884 III (Wolf), 1892 V (Barnard, seit seiner ersten Er- 
scheinung nicht wieder gesehen) und 1900 II (Giacobin:). 





104) J. Glauser, Astr. Nachr. 99 (1881), p. 279. 
105) J. Holetschek, Wien Ber. 96 (1887), p. 291, 


(Abgeschlossen im Oktober 1922.) 


VI2,18a.. BEZIEHUNGEN 
ZWISCHEN KOMETEN UND STERNSCHNUPPEN. 


Von 
CUNO HOFFMEISTER 


IN SONNEBERG (THÜRINGEN). 


Inhaltsübersicht. 


1. Geschichtliche Einleitung. 

2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. 

3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 

4. Kritik der Lehre vom allgemeinen kometarischen Ursprung der Sternschnuppen. 

5. Regeln für die Untersuchung des Zusammenhanges von Kometen und Stem- 
schnuppen. 


Literatur. 


Lehrbücher über den im folgenden behandelten Gegenstand sind nicht vor- 
handen. Die in Betracht kommenden Arbeiten sind größtenteils in Zeitschriften 
zerstreut und, soweit sie für die Entwicklung des Forschungszweiges einige Be- 
deutung zu besitzen schienen, in den Fußnoten ihrem Ort nach angeführt. Voll- 
ständigkeit wurde dabei nicht erstrebt, doch werden die Nachweisungen hin- 
reichen, um den Leser ein eigenes Urteil über die beschriebenen Verhältnisse 
gewinnen zu lassen. Es sollen daher an dieser Stelle nur die Titel der wichtig- 
sten Untersuchungen genannt werden, die tiefere Einblicke in die Geschichte 
der Meteorforschung gewähren, als dies bei den im Text genannten Spezial- 
arbeiten der Fall ist. 


Als grundlegendes Werk ist anzuführen: 

I. J. V. Schiaparelli, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen, 
Stettin 1871. 

Das Werk ist die vom Verfasser wesentlich erweiterte, von @. v. Boguslawski 
herausgegebene deutsche Ausgabe der „Note e Riflessioni sulla teoria astrono- 
mica delle Stelle cadenti* und enthält neben der Begründung der kometarischen 
Theorie der Sternschnuppen eine ausführliche Kritik der älteren Ansichten, zahl- 
reiche Literaturangaben sowie sonstige Beiträge zur Meteorforschung. 

Eine wesentliche Ergänzung dazu stellt dar: 

II. E. Weiß, Beiträge zur Kenntnis der Sternschnuppen, Sitzungsb. d. Akad. d. 
Wissensch. in Wien, math,-nat. Klasse, 57. Band, II. Abt. 1868. 

Enthält u. a. die Herleitung der formalen Beziehungen zwischen den Bahnen 

der Kometen und der Sternschnuppenströme. 


940 VlI»2,18a. 0. Hofmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


III. Th. Bredichin, Etudes sur l’origine des meteores cosmiques et la formation 
de leurs courants, St. Petersburg 1903. 

Eine Zusammenfassung der Arbeiten des Verfassers, die größtenteils in den 
Annalen der Sternwarte zu Moskau erschienen sind, mit einer Darstellung und 
Begründung einer physikalischen Theorie der Beziehungen zwischen Kometen 
und Meteorströmen. 


IV. R. Lehmann-F'lhes, Die Bestimmung von Meteorbahnen nebst verwandten 
Aufgaben, Berlin 1883. 
V.@. v. Nießl, Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem, in 
Eucykl. VIs, 10 (1907), p. 427—462. 
VI. N. Herz, Kometen und Meteore, im Handwörterbuch der Astronomie, heraus- 
‚gegeben von W. Valentiner, II. Bd., p. 49—228, Breslau 1898. 
VII. R. Wolf, Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und Literatur, 2. Bd., 
p. 484—531, Zürich 1892. 


l. Geschichtliche Einleitung. Die Entdeckung einer Beziehung 
zwischen Kometen und Sternschnuppen verdankt man J. V. Schiapa- 
relli, der die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu diesem Gegenstand 
zuerst 1866 in seinen Briefen an P. Secchi'), dann 1867 in einer zu- 
sammenfassenden Arbeit?) und schließlich 1871 in der von @.v. Bo- 
guslawski herausgegebenen deutschen Bearbeitung [I] veröffentlicht 
hat. Vorher hatten Chladni (1819) und v. Reichenbach (1859) ver- 
sucht, die Meteoriten mit den Kometen in Verbindung zu bringen, 
welche Auffassung sich indessen durch die späteren Untersuchungen 
als verfehlt erwiesen hat. Näher kam Kirkwood?) der Wahrheit, in- 
dem er, von der Tatsache der Teilung des Bielaschen Kometen aus- 
gehend, schon 1861 die Ansicht aussprach, daß die periodischen Me- 
teore die Überreste alter, zerstörter Kometen seien. Seine Erwägungen 
trugen indessen durchaus hypothetischen Charakter und drangen über- 
dies, da sie anfangs an schwer zugänglicher Stelle veröffentlicht waren, 
zur Kenntnis weiterer Kreise erst, als schon einige Arbeiten Schiapa- 
rellis zu diesem Gegenstand vorlagen. Wertvolle Vorarbeit war von 
E. Heis, R. P. Greg, A. $. Herschel, J. Schmidt und. anderen durch ihre 
Beobachtungen und Bestimmungen der Strahlungspunkte periodischer 
Meteorströme, von A. Erman und H. A. Newton durch ihre Unter- 





1) J. V. Schiaparelli, Intorno al corso ed all’origine delle stelle meteoriche, 
in Form von 5 Briefen an P. Secchi veröffentlicht im Bulletino meteorologico 
dell’ Osservatorio del Collegio Romano, 1866 u. 1867. 

2) J. V. Schiaparelli, Note e Riflessioni sulla teoria astronomica delle stelle 
cadenti, Mem. soc. ital. Firenze III, Vol. 1 (1867). 

3) D. Kirkwood, Meteoric Astronomy, a Treatise on shooting stars, fireballs 
and aerolithes, Philadelphia 1867. 


2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. 941 


suchungen über die wahrscheinliche Gestalt und Lage der Bahnen 
der großen Meteorströme geleistet worden. Die wichtigsten Ergeb- 
nisse dieser Arbeiten bestanden in der Erkenntnis, daß die Stern- 
schnuppen interplanetare Ströme bilden und daß die Babnen dieser 
Ströme anscheinend alle Neigungen von 0° bis 180° besitzen können, 
daß also auch rückläufige Bewegung vorkommt. Über die Exzentrizi- 
täten bestand dagegen noch große Ungewißheit, und Newton neigte 
anfangs zu der Annahme nahezu kreisförmiger Bahnen. Doch hatte 
schon 30 Jahre früher ZH. L. v. Boguslawski versucht, den Perseiden- 
beobachtungen von 1837 durch die Einführung parabolischer Bahnen 
zu genügen. Schiaparelli gebührt das Verdienst, den Zusammenhang 
zwischen Kometen und Sternschnuppen zuerst in einigen Fällen durch 
Vergleichung der Bahnen als in hohem Grade wahrscheinlich hinge- 
stellt zu haben, und sein Werk ist in vieler Beziehung heute noch 
nicht veraltet. Es wird, mit der auf Grund einiger neuerer Ergebnisse 
gebotenen Einschränkung, auch fernerhin als eine wiehtige Grund- 
lage weiterer Untersuchungen auf diesem Gebiete zu gelten haben. 


2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. Ein 
Ergebnis, das für die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Ko- 
meten und Sternschnuppen von größter Bedeutung war, haben H. A. 
Newton*) und Schiaparelli?) nahezu gleichzeitig erlangt: der von der 
Bewegung und Umdrehung der Erde veranlaßte tägliche Gang der 
Sternschnuppenhäufigkeit erlaubt einen Schluß auf die mittlere helio- 
zentrische Geschwindigkeit der Meteore, und es ergab sich, daß die 
Geschwindigkeit wesentlich größer sein müsse als die der Erde. 
Schiaparelli glaubte schließen zu können, daß sie in Einheiten der 
Erdgeschwindigkeit etwa den Wert 1,45 hätte, mithin von dem der 
parabolischen Bewegung entsprechenden Wert nicht wesentlich ver- 
schieden sei. Nachdem somit für die Bahnen der Sternschnuppen- 
ströme sowohl hinsichtlich der Lage gegen die Ekliptik als auch ihrer 
Exzentrizität eine weitgehende Ähnlichkeit mit den Kometenbahnen 
festgestellt war, tat Schiaparelli den entscheidenden Schritt, indem er 
die Nachforschungen auch auf Einzelfälle ausdehnte. Er berechnete 
eine parabolische Bahn für den Perseidenstrom und fand alsbald ihre 
große Ähnlichkeit mit der Bahn des Kometen 1862 Il.) Die gleich- 
zeitig mitgeteilte Bahnberechnung für den Leonidenstrom ließ einen 
zugehörigen Kometen nicht finden, weil Schiaparellis Verzeichnis nur 


4) H. A. Newton, On shooting stars, Amer. J. of Sc. 39 (1865), p. 193 = Vjs. 
Astr. Ges. 3 (18#8), p. 137. 

5) Zweiter Brief an P. Secchi, 1866. 

6) Vierter Brief an P. Secchi, vgl. auch Astr. Nachr. 68 (1867), p. 381. 


942 Vle,18a. ©. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


bis zum Ende des Jahres 1865 reichte. Auch waren die Elemente 
der Leoniden ungenau wegen Fehlerhaftigkeit des zugrunde gelegten 
Radianten. Bessere Elemente hatte inzwischen Leverrier”) berechnet, 
und fast gleichzeitig fanden ©. F. W. Peters?), Schiaparelli?) und 
Th. v. Oppolzer‘) die große Ähnlichkeit dieser Elemente mit denen 
des Tempelschen Kometen 1866 I. Dieser letztere Fall erhielt beson- 
deres Gewicht dadurch, daß durch die überaus reichen Sternschnuppen- 
fälle der Jahre 1799, 1833 und 1866 die Umlaufszeit der Leoniden 
zu etwa 33'/, Jahren bestimmt, die Untersuchung der Bahnform dem- 
nach aller hypothetischen Voraussetzungen entkleidet werden konnte. 
Schon einige Jahre früher hatte H. A. Newton“), noch in Unkennt- 
nis der wahren Bahnform, die Zahl der möglichen Umlaufszeiten auf 
5 beschränkt, und Adams'?) schloß, einem Vorschlag von Newton 
folgend, aus der Bewegung der Knoten, daß nur die Umlaufs- 
zeit von 33", Jahren zulässig sei. Für den Kometen 1866 I hatte 
Oppolzer in naher Übereinstimmung die Umlaufszeit 33,1758 Jahre 
gefunden. 

Nachdem nunmehr zwei Beispiele für die nahe Verwandtschaft 
der Kometen und der Sternschnuppenströme entdeckt waren, lag es 
sehr nahe, nach weiteren Fällen zu suchen. Weiß'?) berechnete für 
eine größere Anzahl von Kometen die Radienvektoren in den Knoten 
ihrer Bahn, suchte danach jene auf, die der Erdbahn nahegekommen 
waren und bemerkte, daß die Annäherung der Erde an die Bahnen 
solcher Kometen mehrfach gerade an Tagen stattfindet, die durch 
größere Sternschnuppenfälle ausgezeichnet sind. So ergab sich für 
den 20. April Annäherung an die Bahn des Kometen 1861 I, für den 
28. November an die des Kometen Biela, für den 9. Dezember an die 
des Kometen 1819 IV. Letzterer Fall wird aber als unsicher be- 
zeichnet. Eine Vergleichung der Bahnelemente oder der berechneten 
und beobachteten Radianten führt Weiß noch nicht aus. D’Arrest'‘) 
glaubte einige vereinzelte größere Sternschnuppenzälle (1741, 5. Dez., 
1798, 6. Dez, 1830, 7. Dez., 1838, 6. u. 7. Dez.), wofür Flaugergues 
1838 den Radianten «= 30° ö—= + 43° gibt, mit dem Kometen 


7) Paris C. R. 64 (1867), p. 9. 

8) Astr. Nachr. 68 (1867), p. 287. 

9) Ebenda, p. 331. 

10) Ebenda, p. 333. 

11) H. A. Newton, On November starshowers, Amer. J. of Se. 38 (1864), p. 53. 
12) Paris C. R. 64 (1867), p. 651. 

13) Astr. Nachr. 68 (1867), p. 381. 

14) Astr. Nachr. 69 (1867), p. 7. 


2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. 943 


Biela in Verbindung bringen zu dürfen. J. G@. Galle'°) verglich im 
März 1867 den Radianten der April-Lyriden mit dem aus der Bahn 
des Kometen 1861 I gefolgerten Ort und fand einen Unterschied von 
etwa 7°, hielt aber trotzdem den Zusammenhang für möglich. 

Der Urheber der ersten systematischen Untersuchung auf diesem 
Gebiete ist Weiß [II]. Er berechnete die scheinbaren Radianten und 
zugehörigen Daten für 28 der Erde nahekommende Kometenbahnen, 
mit Ausschluß der beiden schon bekannten Sternschnuppenkometen, 
und verglich sie mit den Radiantenverzeichnissen von Heis, Greg und 
A. Herschel. Es ergaben sich zwei Fälle ungefährer Übereinstimmung, 
nämlich die Lyriden vom 20. April (27807 + 35°0) und Komet 
1861.1 (270°4 -- 33°5), also wie bei Galle mit 7° Unterschied, und 
die November-Andromediden mit dem Kometen Biela. Die Erklärung 
der im ersten Fall gefundenen Abweichung aus Beobachtungsfehlern 
hält Weiß für unwahrscheinlich. Sie kann nach ihm zwei Gründe 
haben: es kann die Auflösung des Kometen schon vor langer Zeit be- 
gonnen, dieser aber erst neuerlich eine Störung erlitten haben, „es 
kann indessen auch in der Nähe der Durchkreuzungsstelle von Erd- 
und Kometenbahn ein größerer Komet in mehrere kleine zerfallen 
sein, von denen wir jedoch erst den einen kennen“. Spätere, von ver- 
schiedenen Beobachtern herrührende Bestimmungen des Radianten er- 
gaben bessere Annäherung, so daß der Zusammenhang zwischen Stern- 
schnuppenstrom und Komet auch in diesem Fall recht wahrscheinlich 
geworden ist. — Im übrigen war das Ergebnis der Vergleichung ne- 
gativ. Es werden zwar noch sechs unsichere Fälle angeführt, doch 
kommen dabei Abweichungen von mehr als 20° vor. Weiß dehnte 
die Betrachtung dann noch auf die großen Kometen Halley, 1843 ], 
1858 IV und 1861 II aus, deren Schweife die Erdbahn erreicht haben 
konnten, fand jedoch auch hier keine zugehörigen Sternschnuppen- 
radianten in den vorhandenen Verzeichnissen. 

Der schon früher vermutete Zusammenhang der Andromediden 
mit dem Kometen Biela erhielt seine Bestätigung durch die glänzen- 
den Erscheinungen dieses Stromes von 1872 und 1885. Ob das bald 
nach dem großen Sternschnuppenfall von 1872 auf Veranlassung von 
Klinkerfuess!®) durch Pogson in Madras bei # Centauri aufgefundene 
neblige Objekt wirklich ein Teil des verschwundenen Kometen Biela 
gewesen ist, konnte damals nicht entschieden werden. Nach der Unter- 
suchung von Th. v. Oppolzer"”) ist dies nicht unwahrscheinlich. Nach 


15) Astr. Nachr. 69 (1867), p. 33 u. 189. 
16) Astr. Nachr. 80 (1872), p. 335 u. 349. 
17) Astr. Nachr. 80 (1872), p. 381. 


944 VlIa,18a. C. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


den Angaben von 4A. S. Herschel"?) ist der Andromedidenstrom erst- 
malig 1798, 7. Dez, von Brandes beobachtet worden. Der absteigende 
Knoten der Kometenbahn hat eine starke rückläufige Bewegung, so 
daß die Erscheinungen späterhin an früheren Tagen stattfanden. Der 
Geschichte dieses Stromes ist ferner hinzuzufügen, daß er noch 1892, 
23. Nov., und 1904, 21. Nov.'?), auffällige Erscheinungen gezeitigt hat, 
im Jahre 1905 nach A. S. Herschel?®) jedoch infolge der Jupiterstö- 
rungen ausgeblieben ist. Seitdem ist der Strom unbedeutend gewesen. 

Die Meteore des Halleyschen Kometen wurden zuerst 1870 durch 
Tupmann beobachtet. Ihre Wahrnehmung ist dadurch erschwert, daß 
der bei 7 Aquarii gelegene, Anfang Mai tätige Radiant sich erst kurz 
vor Anbruch der Morgendämmerung über den Horizont erhebt... Auf 
die Verwandtschaft dieser Meteore mit dem Kometen Halley hat 1874 
A. 8. Herschel?') aufmerksam gemacht. Der Strom ist dann verschie- 
dentlich untersucht worden, besonders von Denning*), der gute Über- 
einstimmung des beobachteten und des berechneten Strahlungspunktes 
fand, in neuerer Zeit mit gleichem Ergebnis von Hoffmeister*) und 
Olivier”). Nach lebhafter Tätigkeit in den Jahren 1870 und 1871 
entströmten dem Radianten, soweit überhaupt die Beobachtungen es 
erkennen lassen, nur wenige Meteore, und der Zusammenhang mit 
dem Kometen konnte eigentlich erst dann als nachgewiesen gelten, 
als die beiden letztgenannten Beobachter im Jahre 1911, nach dem 
Knotendurchgang des Kometen, eine starke Zunahme der Meteorzahl 
festgestellt hatten. Endlich bringt H. Svoboda®) auch die Oktober- 
Orioniden mit dem Halleyschen Kometen in Verbindung und vermutet 
die Identität dieses Stromes mit den im Mai im absteigenden Knoten 
beobachteten Aquariden. Die zum Beweis notwendige Untersuchung 
auf Grund sorgfältig bestimmter Radiantenörter steht indessen hier 
noch aus. Auf die Ähnlichkeit der Bahnelemente beider Ströme hat 
schon 1911 Olivier**) hingewiesen. 

Ferner ist dem periodischen Kometen Pons-Winnecke ein Meteor- 
strom zugeordnet. Die Periheldistanz dieses Kometen ist infolge der 
Jupiterstörungen in Zunahme begriffen und betrug 1869 0,7815, 1875 


18) London Astr. Soc. M. N. 32 (1872), p. 355. 

19) W. F. Denning, London Astr. Soc. M. N. 65 (1905), p. 851. 
20) Observ. 29 (1906), p. 93 u. 126. 

21) London Astr. Soc. M. N. 38 (1878), p. 379. 

22) London Astr. Soc. M. N. 43 (1883), p. 111; 46 (1886), p. 396. 
23) Astr. Nachr. 196 (1913), p. 309. 

24) Amer. Phil. Soc. Trans. 22 (1911), p. 5. 

25) Astr. Nachr. 197 (1913), p. 203. 


> 


3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 945 


0,8275, 1898 0,9241, 1915 0,9725. Erst durch diese Zunahme wurde 
der Meteorstrom in die Nähe der Erdbahn geführt. Am 28. Juni 1916 
zeigte er nach Denning”) eine lebhafte Tätigkeit. Nach amerikani- 
schen Beobachtungen war indessen die Meteorzahl 6 Stunden später 
wieder gering. Olivier?) untersuchte das Meteorsystem dieses Ko- 
meten und bringt auch einige 1916, 21. Mai bis 7. Juni beobachtete 
Radianten mit ihm in Verbindung. Die Zusammengehörigkeit ist von 
Denning und Olivier unabhängig gefunden worden. Nach Hofmeister *) 
war im Jahre 1921, bei der nächsten Wiederkehr des Kometen, die 
Tätigkeit gering, doch stimmte der aus den Beobachtungen gefundene 
Strahlungspunkt gut mit dem aus den Bahnelementen des Kometen 
berechneten überein. 

Das von Weiß aufgestellte Verzeichnis erdnaher Kometenbahnen 
und ihrer Radianten erfuhr verschiedentliche Ergänzungen. R. v. Köves- 
lighety”) fügte 28 Fälle hinzu und fand bei der Vergleichung der 
von ihm berechneten Bahnen von Meteorströmen mit bekannten Ko- 
metenbahnen zwei Fälle naher Übereinstimmung. Ein von A. $. Her- 
schel?®) 1878 gegebenes Verzeichnis solcher Kometenbahnen, deren 
Radianten sich mit einiger Wahrscheinlichkeit aus den Beobachtungen 
nachweisen lassen, enthält bereits 71 Fälle. Eine auf der Vergleichung 
der Bahnelemente beruhende weitere Liste von 27 Fällen hat 1913 
S. Natanson®") veröffentlicht. Außerdem finden sich in der Literatur 
viele Hinweise auf einzelne Beispiele, indessen scheint der Zusammen- 
hang mit Meteorströmen, abgesehen von den oben erwähnten sechs 
Fällen, für keinen Kometen wirklich überzeugend nachgewiesen zu 
sein.??) 

3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 
Nachdem Schiaparelli aus seiner Betrachtung der täglichen Variation 
‚den Schluß gezogen hatte, daß die Parabel und die parabelnahe Ellipse 
die typischen Bahnformen der Meteorströme seien, glaubte er die Bil- 
dung dieser Ströme darauf zurückführen zu können, daß eine lockere, 
kugelförmige Anhäufung kleiner Körper unter dem Einfluß der Sonnen- 


26) London Astr. Soc. M. N. 76 (1916), p. 740. 

27) London Astr. Soc. M. N. 77 (1917), p. 71 und Leander Mc. Cormick Obs. 
Publ. 2 (1921), p. 201. 

28) Astr. Nachr. 213 (1921), p. 341; 215 (1922), p. 455. 

29) London Astr. Soc. M. N. 42 (1882), p. 310. 

30) London Astr. Soc. M. N. 38 (1878), p. 369. 

31) Astr. Nachr. 197 (1913). p. 206. 

32) Ein Verzeichnis von 105 Kometen, deren Bahnen der Erdbahn nahe- 
kommen, nebst den zugehörigen Radianten findet man auch in Valentiners 
Handwörterbuch, II. Bd., p. 213 ff. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 62 


946 VI»2,18a. CO. Hofmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.. 


anziehung zu einem langgestreckten Strom von geringer Breite um- 
gebildet wird, der, sofern er eine Kreuzungsstelle mit der Erdbahn 
besitzt, die Veranlassung alljährlich zu bestimmter Zeit auftretender 
Erscheinungen von Sternschnuppen gibt. Ein solcher, aus einer ein- 
zigen kosmischen Wolke hervorgehender Strom könnte, wie Schiapa- 
relli zeigte, in Übereinstimmung mit den Beobachtungen durch viele 
Jahre, vielleicht Jahrhunderte wahrgenommen werden. Die Kometen 
würden wahrscheinlich als dichtere Massenanhäufungen innerhalb der 
Ströme zu betrachten sein, mithin gleichen Ursprung mit den Stern- 
schnuppen haben, nicht aber würden letztere eigentlich aus ihnen 
hervorgehen. Weiß wendet dagegen ein, daß man, um den Beobach- 
tungen zu genügen, den ursprünglichen kosmischen Wolken eine so 
geringe Dichte geben müßte, daß wahrscheinlich die Anziehungen der 
Fixsterne hinreichen würden, um sie zu zerstören, ferner, daß sich die 
Leoniden und der Komet 1866 I beide in einer elliptischen Bahn be- 
wegen. Da aber nach Leverrier der Komet diese Bahn erst bei seiner 
Begegnung mit Uranus im Jahre 126 erhalten haben soll, so folgt 
daraus, daß der Meteorstrom erst nach dieser Zeit entstanden sein 
kann. Viel wahrscheinlicher als Schiaparellis Ansicht sei es daher, 
daß der Komet das anfänglich vorhandene Gebilde war und der Meteor- 
strom aus seiner allmählichen teilweisen Auflösung hervorgegangen 
ist. -— In seinen späteren Arbeiten, insbesondere der zusammenfassen- 
den deutschen Ausgabe, bekennt sich Schiaparelli völlig zu dieser An- 
sicht, die er auch wohl selbständig auf Grund der inzwischen hinzu- 
gekommenen Erfahrungen gewonnen hat. * Den Einfluß der Sonnen- 
anziehung auf ein System von Massenpunkten, der .im wesentlichen 
darin besteht, einzelne Teile des Systems loszutrennen und den Zu- 
sammenhalt zu lockern, bezeichnet er als die auflösende Kraft und 
berechnet ihre Wirkung und die Stabilitätsgrenzen für ein angenom- 
menes System kleiner Körper. Wenn auch diese Betrachtungen wegen 
der dabei kaum vermeidlichen Willkürlichkeit der Grundlagen keine 
große praktische Bedeutung besitzen, so zeigen sie doch, daß die Vor- 
bedingungen der allmählichen Auflösung bei den meisten Kometen 
sehr wahrscheinlich erfüllt sind. Schiaparelli ist auch geneigt, den 
großen Planeten dabei eine wesentliche Rolle zuzuschreiben. Seine 
Betrachtungen darüber, daß die Sternschnuppen weder aus den Schwei- 
fen der Kometen, noch aus den zur Sonne gerichteten Ausströmungen 
hervorgehen, sondern einzig durch Auflösung der Kerne frei werden 
könnten, sind zwar in ihrer Form nicht aufrechtzuhalten, decken sich aber 
mit den gegenwärtigen Anschauungen darin, daß die Schweife wahrschein- 
lich für die Entstehung der Meteorströme ganz ohne Bedeutung sind.. 


3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 947 


Späterhin hat sich Bredichin [III] eingehend mit der Aufklärung 
der physikalischen Beziehungen zwischen Kometen und Sternschnuppen 
befaßt. Er vertritt durchaus die Ansicht, daß die Kometen das ur- 
sprünglich Vorhandene sind und daß die Sternschnuppenströme durch 
den Zerfall der Kometen zustandekommen. Das wesentliche Neue 
seiner Auffassung besteht jedoch darin, daß er für die Auflösung der 
Kometen nicht allein die Gravitation, sondern vor allem die inneren 
Kräfte verantwortlich macht. Darüber, daß solche Kräfte wirksam 
sind, lassen die unmittelbaren Beobachtungen keinen Zweifel, und an 
sich bedarf es bei den geringen Massen der Kometen keiner großen 
Kraft, um Teile des Kerns loszureißen und zu entfernen. Bredichin 
führt die Entstehung der Sternschnuppenströme auf die „anomalen 
Schweife“ zurück, worunter die dem Schweif entgegengesetzten Aus- 
strömungen zu verstehen sind, indem er dem Gedanken Raum gibt, 
daß jene Ausströmungen vorwiegend die schwereren Massenteile ent- 
halten, die dem Strahlungsdruck nicht unterliegen. Er nimmt an, daß 
die Ausströmungen eine normale Erscheinung sind, und daß sie nur 
in der Regel zu geringe Lichtstärke besitzen, um wahrgenommen zu 
werden. Seine Untersuchungen erstrecken sich dann vor allem auf 
die Bahnformen der Körper, die durch Initialstöße vom Kern des 
Kometen getrennt wurden. Für die Richtung der Stöße werden Ab- 
weichungen vom Radiusvektor bis zu 45° in Betracht gezogen; die 
in Übereinstimmung mit der Bredichinschen Theorie der Kometen- 
schweife angenommenen Anfangsgeschwindigkeiten sind relativ klein 
zur Bahngeschwindigkeit. Es ist leicht einzusehen, daß Körper, die 
auf diese und ähnliche Weise vom Kern eines parabolischen Kometen 
getrennt werden, sich darauf im allgemeinen in Ellipsen oder Hyper- 
beln bewegen müssen. Die Angehörigen der letzteren Gruppe kom- 
men nicht weiter in Betracht, da sie das Sonnensystem alsbald ver- 
lassen und da die Wahrscheinlichkeit ihres Zusammentreffens mit der 
Erde sehr gering ist. Übrigens könnten bei den angenommenen kleinen 
Anfangsgeschwindigkeiten nur relativ schwach hyperbolische Bahnen 
erzeugt werden. Es ist also nicht möglich, auf diese Weise etwa zu 
einer neuen Erklärung der stark hyperbolischen Bahnen zu gelangen, 
wie sie seit geraumer Zeit für die großen Meteore bekannt sind. Den 
entstehenden elliptischen Bahnen entsprechen sehr verschiedene Um- 
laufszeiten, je nach der Richtung und Stärke des Anstoßes, und da 
man sich die Ausströmungen als kegelförmig wird vorstellen müssen, 
so würde jedem Punkt in der Bahn des Kerns, an dem überhaupt 
eine derartige Ausströmung stattfindet, eine Schar elliptischer Bahnen 


zugeordnet sein, die die ursprüngliche parabolische Bahn an der Aus- 
62” 


948 VIs,18a. C.Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


gangsstelle durchschneiden, ihr aber in der Umgebung des Perihels 
ziemlich ähnlich sind. 

Diese Hypothese ist in der Tat geeignet, verschiedenen beobach- 
teten Erscheinungen sehr viel besser zu genügen, als die Ansichten 
von Schiuparelli und Weiß es vermochten. Hierher gehört die bei 
allen großen Strömen gemachte Erfahrung, daß die Radianten nicht 
punktförmig sind, sondern daß die Ausstrahlung der Meteore von 
einer Fläche des Himmels erfolgt, die meist einen Durchmesser 
von einigen Graden besitzt. Beim Perseidenstrom treten noch beson- 
ders die den Hauptstrahlungspunkt umgebenden Nebenradianten in 
Erscheinung. Es ist auch nicht angängig, diese Zerstreuung allein 
aus der Ungenauigkeit der Beobachtungen erklären zu wollen, denn 
die in geringer Entfernung vom Radianten auftretenden kurzen und 
langsamen Meteore, deren Lage oft recht sicher beobachtet werden 
kann, zeigen ebenfalls deutlich, daß der Radiant kein Punkt ist. 
Einem Strom paralleler Bahnen würde ein punktförmiger Radiant ent- 
sprechen, und auch die Entstehung der Nebenradianten würde schwer 
zu erklären sein. Die Bredichinsche Ansicht verlangt dagegen ge- 
radezu eine Gestaltung, die der beobachteten durchaus entspricht. 
Ferner findet die große Breite der Meteorströme ihre Erklärung, und 
endlich könnte auf diese Weise ersichtlich gemacht werden, warum 
für manchen Meteorstrom kein zugehöriger Komet aufgefunden wer- 
den konnte und warum die Zahl der Meteorströme so außerordent- 
lich viel größer ist als die Zahl der periodischen Kometen: da- 
durch nämlich, daß nach Bredichins Auffassung auch Kometen, 
die sich in parabolischen Bahnen bewegen, durch ihren Zerfall 
elliptische, jährlich wiederkehrende Meteorströme zu erzeugen im- 
stande sind. 

Einige Bedenken gegen die uneingeschränkte Annahme der An- 
sichten Bredichins ergeben sich aus dem Studium des inneren Auf- 
baus der Meteorströme. Zwar entfernen sich, in Übereinstimmung mit 
den Forderungen der Hypothese, einzelne Meteore sehr weit von der 
Bahn des erzeugenden Kometen, so daß sehr breite Ströme entstehen; 
die Beobachtungen zeigen aber, daß die Zunahme der Dichte nach 
innen hin nur mäßig stark ist und daß der Häufigkeitskurve das 
eigentliche Maximum als eine jäh ansteigende Erhebung von ganz 
geringer Breite aufgesetzt ist. Vom Perseidenstrom wird diese Er- 
scheinung jedem Beobachter bekannt sein und kommt auch in den 
von Denning gegebenen Häufigkeitszahlen zum Ausdruck. Bei den 
Leoniden und den Andromediden ist sie seinerzeit sehr hervorgetreten, 
und auch der Lyridenstrom scheint sie aufzuweisen. So berichtet 


8. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 949 


Denning®®) über schwaches Auftreten der Lyriden im April 1914, wo- 
gegen Verf. am 21. April jenes Jahres zwar ebenfalls zunächst wenige 
Meteore, dann aber in den Morgenstunden ein ausgeprägtes Maximum 
beobachtete. Eine ähnliche Erfahrung bezüglich der Meteore des Ko- 
meten Pons-Winnecke von 1916 wurde oben mitgeteilt. Auch die 
ungleichmäßige Verteilung der Meteore mancher Ströme über die 
Bahnen der erzeugenden Kometen läßt sich nicht ohne weiteres mit 
Bredichins Ansichten vereinbaren. Abelmann®‘) kommt hinsichtlich 
der Leoniden zu dem Ergebnis, daß sich hinter dem Kometen ein 
dichter Meteorschwarm in einem Bogen von etwa 5 astr. Einh. an 
Länge erstreckt. Vor dem Kometen scheint ein ähnlicher Bogen zu 
fehlen, denn im Jahre 1865 befand sich die Erde beim Knotendurch- 
gang in einer verhältnismäßig kleinen Entfernung vom Kometen, und 
trotzdem ließen sich Meteore nur in geringer Menge beobachten. Im 
Jahre 1866 trat das Maximum ein, und da der Fall von 1867 schon 
wieder schwach. war, so scheint der dichte Schwarm sich über we- 
niger als 7 Einheiten, also nicht den 7. Teil der ganzen Bahn zu er- 
strecken. An gleicher Stelle kommt Abelmann auf Grund seiner Stö- 
rungsrechnungen zu dem Schluß, daß die Bahn des dichten Meteor- 
schwarms wahrscheinlich sehr nahe mit der des Kometen überein- 
stimmt. In diesem Zusammenhang ist auch die Untersuchung von 
Holetschek”) „Über die Helligkeitsverhältnisse der vier Sternschnuppen- 
kometen (1861 I, 1862 III, 1866 I und Biela)“ zu erwähnen. Er 
findet, daß bei den helleren Kometen die Meteorschwärme (Perseiden 
und Lyriden) sich bereits über die ganze Bahn verteilt haben, wo- 
gegen die Leoniden und Andromediden, denen die schwächeren Ko- 
meten zugehören, in ihrer Mehrzahl noch in der Nachbarschaft der 
Kometen zusammengedrängt, in anderen Teilen der Bahn aber nur 
spärlich anzutreffen sind. 

Es hat den Anschein, als ob beide Ursachen der Entstehung 
eines Meteorstroms, die Auflösung durch die Gravitation und diejenige 
im Sinne Bredichins unter Mitwirkung der inneren Kräfte des Ko- 
meten, nebeneinander wirksam sind, indem die erstere den Kern des 
Meteorstroms und die dichten Schwärme erzeugt, die zweite die Me- 
teore in die weitere Umgebung und in entfernte Teile der Kometen- 
bahn zerstreut. Indessen ist es gegenwärtig noch nicht möglich, zu 
einem abschließenden Urteil in dieser Richtung zu gelangen, weil da- 
zu unsere Kenntnisse sowohl der Meteorströme als besonders der Vor- 


33) Astr. Nachr. 199 (1914), p. 231. 
34) Astr. Nachr. 147 (1896), p. 203. 
35) Wien. Ber. 117 (1908), p. 1015. 


‘950 VI2,18a. C. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


gänge im Inneren der Kometen noch einer sehr erheblichen Erweite- 
rung bedürfen. 


4. Kritik der Lehre vom allgemeinen kometarischen Ursprung 
der Sternschnuppen. Es lag sehr nahe, den an einigen Beispielen 
festgestellten Beziehungen zwischen Sternschnuppen und Kometen eine 
allgemeine Bedeutung zuzuschreiben, und in der Tat ist dies im wei- 
testen Maße geschehen, indem man damit die Frage nach der kosmi- 
schen Stellung der Sternschnuppen als befriedigend beantwortet an- 
sah. Es gibt aber doch einen Punkt, der dabei nicht übersehen wer- 
den durfte, der aber nur ganz vereinzelt die ihm gebührende Würdi- 
gung erfahren hat: für die großen Meteore hatte man fast immer so 
stark hyperbolische Bahnen gefunden, daß eine Beziehung zu den 
Kometen und überhaupt ein Zusammenhang mit dem Sonnensystem 
keinesfalls angenommen werden konnte; zugleich aber fanden sich 
Andeutungen einer engeren Verwandtschaft dieser Erscheinungen mit 
manchen Sternschnuppenströmen. So hat z. B. v. Nießl?‘) sehr ent- 
schieden die Ansicht vertreten, daß ein Teil der Sternschnuppen inter- 
stellaren Ursprungs sei, ohne freilich einen Beweis dafür erbringen 
zu können. 

Bei einer kritischen Betrachtung der zu dieser Frage vorliegen- 
den Literatur muß man zugestehen, daß nur in vier Fällen der Zu- 
sammenhang zwischen Kometen und Sternschnuppenströmen wirklich 
als erwiesen gelten kann. Es sind dies folgende: die Leoniden und 
Komet 1866 I, die Andromediden und Komet Biela, die Mai-Aquariden 
und Komet Halley, die Juni-Drakoniden von 1916 bis 1921 und Komet 
Pons-Winnecke. Bezüglich der ersten beiden stützt sich der Beweis 
auf die Bestimmung der Umlaufszeit einer besonders dichten Meteor- 
wolke, bei den Aquariden auf die ungleichmäßige Verteilung der 
Meteore vor und hinter dem Kometen, bei den Drakoniden auf den 
Umstand, daß dieser Strom erst dann lebhaft in Erscheinung trat, als 
durch die Störungen die Kometenbahn der Erdbahn genähert worden 
war. Sehr wahrscheinlich ist ferner der Zusammenhang zwischen den 
Perseiden und Komet 1862 III sowie den Lyriden und Komet 1861 I, 
obgleich für diese Ströme weder die Umlaufszeit sicher ermittelt, noch 
irgendwelche zum Ort des Kometen in Beziehung stehende Unregel- 
mäßigkeiten der Verteilung nachgewiesen werden konnten. Die beiden 
Ströme zeigen indessen das spitze, kurzdauernde Maximum als das 
wahrscheinliche Kennzeichen kometarischer Abkunft. In allen sechs 
Fällen gab selbstverständlich die nahe Übereinstimmung der Bahnen 


36) Encykl. VIs, 10 (@. v. Nießl), Nr. 5. 


4. Kritik der Lehre vom allg. kometarischen Ursprung der Sternschnuppen. 951 


der Ströme mit denen der Kometen den ersten Grund zur Annahme 
eines inneren Zusammenhangs. 

Über diese Beispiele hinaus ist jedoch fast nichts Sicheres be- 
kannt, und gerade jene Untersuchungen, die zu dem Zweck unter- 
nommen worden sind, den Zusammenhang in einer größeren Anzahl 
von Fällen aufzudecken, hatten fast durchweg negativen Erfolg. Es 
erscheint also durchaus begründet, wenn Monck?") bemerkt, daß mit 
Ausnahme von vier Fällen — gemeint sind die Leoniden, Androme- 
‚diden, Perseiden und Lyriden — die Zusammengehörigkeit in keinem 
Fall genügend gesichert sei, und dann den Schluß zieht?®): „A much 
more extensive correspondence must be shown to exist between comets 
and meteors before we can accept the cometary theory as satisfac- 
tory“. Es ist zwar ein großer Vorzug der Theorie Bredichins, auch 
für diese Erfahrung einen Grund angeben zu können, und überdies 
führt Bredichin 39 Fälle recht guter Übereinstimmung zwischen be- 
rechneten und beobachteten Radianten an. Es gibt aber auch eine 
andere Auffassung der Sachlage. Schon zu der Zeit, als Bredichins 
Arbeiten entstanden, war nämlich die Zahl der aus den Beobachtungen 
mit mehr oder weniger Zuverlässigkeit ermittelten Strahlungspunkte 
so groß, daß eine rein zufällige Übereinstimmung eines solchen Punktes 
mit einem berechneten kometarischen Radianten sehr leicht möglich 
war. Solange nicht andere Beweisstücke zu Gebote standen als die 
Ähnlichkeit der Bahnen, hätte man daher die betreffenden Fälle keines- 
wegs im positiven Sinne zählen dürfen. 

Eine Arbeit des Verfassers®”) wurde in neuester Zeit ausgeführt 
mit dem ausgesprochenen Zweck, eine Aufklärung der zwischen Ko- 
meten, Sternschnuppen und Feuerkugeln vorhandenen Beziehungen 
herbeizuführen. Besteht die kometarische Theorie der Sternschnuppen 
zu Recht, so konnte die mittlere heliozentrische Geschwindigkeit dieser 
Körper von der parabolischen nicht sehr verschieden sein. Bei inter- 
stellarer Herkunft eines größeren Teils der Meteore mußte sie dagegen 
merklich über der parabolischen liegen. Die Entscheidung würde also 
durch eine zuverlässige Bestimmung der Geschwindigkeit wahrschein- 
lich herbeizuführen sein. Die Lösung der Aufgabe erfolgte unter Be- 
nutzung der täglichen Variation auf dem gleichen Wege, auf dem 
H. A. Newton und Schiaparelli zu ihren ersten Schätzungen der Ge- 
schwindigkeit gelangt sind, doch mit verbesserten theoretischen Grund- 





37) Observ. 9 (1886), p. 331. 

38) Liverpool Astr. Soc. 5 (1886), p. 141. 

39) C. Hoffmeister, Untersuchungen zur astronomischen Theorie der Stern- 
schnuppen, Astr. Nachr. Erg.-Hefte 4 (1922), Nr. 5. 


952 VIs,18a. ©. Hofmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


lagen und unter Verwendung einer langen, gleichmäßigen Beobach- 
tungsreihe. Die großen kometarischen Ströme wurden dabei jedoch 
nicht berücksichtigt. Es ergab sich für die mittlere heliozentrische Ge- 
schwindigkeit ein Wert, der weit über dem parabolischen liegt und 
nahezu jenem entspricht, der aus direkten Beobachtungen für die 
großen Meteore abgeleitet worden ist. Daraus ist der Schluß zu 
ziehen, daß das Gesamtphänomen der Sternschnuppen sich in einen 
kometarischen und einen interstellaren Teil spaltet. Zu ersterem ge- 
hören vor allem die großen Ströme; außerhalb der Tätigkeitsperioden 
dieser Ströme jedoch scheinen die kometarischen Sternschnuppen nur 
eine ganz untergeordnete Rolle zu spielen. 


Damit dürften die bisher noch bestehenden Unklarheiten grund- 
sätzlich beseitigt sein. Aufgabe der weiteren Forschung ist es, unsere 
Kenntnis der kometarischen Ströme zu vervollständigen und die noch 
unbekannten Ströme dieser Art aufzusuchen. Die Geschichte der 
Meteorforschung in der Zeit von 1860 bis 1920 kennt übrigens auch 
schon einige Beispiele dafür, daß die kometarischen Ströme für die 
irdischen Beobachter recht unbeständige Gebilde sind. Wenigstens 
scheint dies von jenen zu gelten, bei denen die meteorischen Massen 
nicht gleichmäßig über die ganze Bahn verteilt sind. Man wird also 
mit dem Auftreten neuer und dem Verschwinden vorhandener Ströme 
immer zu rechnen haben. 


d. Regeln für die Untersuchung des Zusammenhangs von Ko- 
meten und Sternschnuppen. Bei der Aufsuchung zusammengehöriger 
Kometen und Sternschnuppenströme sowie der Prüfung vermuteter Be- 
ziehungen wird der erste Schritt immer in der Vergleichung der Bahn- 
verhältnisse bestehen müssen. Zunächst ist selbstverständlich zu er- 
mitteln, ob der einer gegebenen Kometenbahn etwa zugeordnete Me- 
teorstrom für irdische Beobachter überhaupt in Erscheinung treten 
kann, d.h. ob sich die Kometenbahn der Erdbahn an irgendeiner 
Stelle hinreichend nähert. Es müßte also der Radiusvektor r des Ko- 
meten in einem der beiden Knoten nahezu gleich dem Radiusvektor R 
der Erde sein, für den unter Vernachlässigung der Exzentrizität der 
Wert 1 gesetzt werden kann. Man hat demnach für elliptische Bahnen 
das Kriterium zu benutzen: 

() re ri 

Es bedeutet » den halben Parameter, der aus p=a: cos?p, 
sing= e, zu berechnen ist, e die Exzentrizität, ® den Abstand des 
Perihels vom Knoten und a die große Halbachse der Bahn. Das 


5. Regeln für die Untersuch. d. Zusammenhangs v. Kometen u. Sternschnuppen. 953 


Pluszeichen gilt für den aufsteigenden, das Minuszeichen für den 
niedersteigenden Knoten. 
Für parabolische Bahnen lautet das Kriterium: 


iz =}. (N); 
(2) Ba 
| a (VB), 


wo q die Periheldistanz ist. Es ist wegen der großen Breite der 
Meteorströme nicht zu verlangen, daß diese Kriterien streng erfüllt 
sind. Selbst bei einem Widerspruch von 0,1 astr. Einheiten wird 
man unter Umständen noch das Auftreten zugehöriger Meteore er- 
warten können. Ferner sind zwei Ausnahmefälle anzuführen. Der 
erste umfaßt die Kometenbahnen mit geringer Neigung, bei denen 
die Möglichkeit der Annäherung an die Erdbahn nicht auf die Gegend 
der Knoten beschränkt ist. Beispielsweise beträgt beim Halleyschen 
Kometen der Widerspruch im absteigenden Knoten 0,15. Der Komet 
kommt jedoch der Erdbahn noch auf 0,06 Einheiten nahe. Solche 
Fälle bedürfen also stets einer besonderen Untersuchung. Die zweite 
Ausnahme bilden die Kometen mit sehr geringer Periheldistanz. Bei 
ihnen wird eine Begegnung mit der Erdbahn nur möglich sein, wenn 
@ nahe bei 0° bzw. 360° oder 180° liegt. 

Die Prüfung der Zusammengehörigkeit kann auf zwei Wegen 
geschehen: durch Vergleichung der Elemente oder durch Vergleichung 
der Radianten. Im ersten Falle wird man zunächst die Bahnelemente 
des Meteorstromes berechnen, wobei die Bahn meist als Parabel an- 
gesehen werden muß und nur in seltenen Fällen die Exzentrizität aus 
der bekannten Umlaufszeit wird abgeleitet werden können. Man kann 
auch, lediglich als Hypothese, die große Halbachse einer elliptischen 
Kometenbahn für den Meteorstrom als gegeben betrachten, doch sind 
solche Mittel fast immer entbehrlich, weil die innerhalb der Erdbahn 
liegenden Ellipsenbogen sich meist mit hinreichender Annäherung 
durch parabolische Bahnen darstellen lassen. Die für die Bahnberech- . 
nung zu verwendenden Formeln sind in der Arbeit v. Nießls: „Die 
Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem“ Encykl. VI 2, 10 
enthalten. Dabei ist zu beachten, daß die beobachteten Radianten von 
der Zenitverschiebung befreit werden müssen, was oft versäumt wird. 
Indessen wird in manchen Fällen, nämlich wenn die Kometenbahn in 
nicht ganz geringem Abstand an der Erdbahn vorüberläuft, die Ver- 
gleichung der Elemente nicht ohne weiteres angängig sein. Man muß 
vielmehr die Elemente der Kometenbahn so verändern, daß die Bahn 
durch den Punkt der Erdbahn geht, an dem die Meteore beobachtet 


sin®}o 


954 ViI»,18a. C..Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


wurden, daß aber die Exzentrizität und die Apsidenlinie erhalten 
bleiben. Es werden also die heliozentrischen Perihelkoordinaten / und 
b für den Kometen und einen zugehörigen Meteorstrom übereinstim- 
men müssen, und man kann schon durch die Vergleichung dieser 
Koordinaten ein Urteil darüber gewinnen, ob die Meteore sich hin- 
reichend nahe in der Bahn des Kometen bewegen. Man findet ! und 
b aus den Formeln 


cos» —= cosb cos(l — N) 


sin? sın®o = sinb 


(8) 





cosi sino — cosbsin (le — N). 
Sodann berechne man die Korrektionen Aw und Ai aus 
cos(» + Aw) = cosb cos(! — N — AN) 

sin(? + Ai) sin(»® + Aw) = sinb 
cos(i + Ai) sin(® + Av) = cosbsin(E— N — AN). 

Die Knotenverbesserung AN ist als bekannt vorauszusetzen, da 
der Knoten der Bahn des Meteorstroms durch das Datum der Beob- 
achtung bestimmt und dieser Wert nunmehr auch für die veränderte 


Kometenbahn in Ansatz zu bringen ist. Die verbesserte Periheldistanz 
q + Ag für parabolische Bahnen findet man aus 


Rcos’4(® +&Ao) (N) 
Rsin’}(o +Ao) (V). 
Für elliptische Bahnen ergibt sich 


[+0 -Iz0ı +ecos(» + Av)] (N) 
[1— eecos(» + Av)| (%) 

sinpg= e 
a+ Aa=(p-+ Ap)sec’y. 

Die Elemente + Ai, + Av, q9-+ Ag bzw. a+ Aa und & 
werden nunmehr mit den Elementen des Meteorstroms verglichen. 
Bei parabolischen Bahnen ist die Verwendung der von Lehmann- 
Filhes [IV] gegebenen Tafeln zu empfehlen, da sie leicht ein Urteil 
darüber gewinnen lassen, inwieweit gefundene Unterschiede durch 
fehlerhafte Bestimmung des Radianten erklärt werden können. 

Beziehen sich die Elemente der Meteorbahn, entsprechend dem 
Ort des Radianten, auf das mittlere Äquinoktium i,, die der Kometen- 
bahn auf das mittlere Äquinoktium t, so ist bei großem Unterschied 


die Präzession zu berücksichtigen, indem man an die Knotenlänge des 
Kometen die Verbesserung + 0°014 .(£, — t) anbringt. Die durch 


(4) 





(8) + 29=| 


(6) 





5. Regeln für die Untersuch. d. Zusammenhangs v. Kometen u. Sternschnuppen. 955 


die Präzession veranlaßte Änderung der Neigung kann vernachlässigt 
werden. 

Die umgekehrte Aufgabe, die Bestimmung des Radianten für eine 
gegebene Kometenbahn und seine Vergleichung mit dem beobachteten 
Ort, ist zuerst von Weiß behandelt worden. Man findet, wenn man 
wieder den Parameter so verändert, daß die Bahn des Kometen die 
Erdbahn genau durchschneidet, die folgenden Formeln: 

















o mit e.@ esinw. € er r) 
k BOOT = VR(A + ecosw) Vıi-—e* 
(7) 7 cosß sin(A — ©) —= cos V + 2 Ki 
u RR 1+ ecosw, 
T sın ß = —+sı ;Vı u acc 
Für parabolische Bahnen ergibt sich: 
(® 2 e' sin(® — — 7) 
—- eosß cos(A — ©) = n, 
ß ( ) si R # yı— e 7. 
(8) > cosß sin (A — ©) = cosi cos ‚V- — Li RN 
9 s; EN IE wı/? 
% sın ß =+snrco,VYr' 


Betrachtet man die Erdbahn als kreisförmig, was bei allen Unter- 
suchungen gestattet ist, die nicht eine hohe Genauigkeit verlangen, 
so vereinfachen sich die Formeln wie folgt: 


Für Es Bahnen 





e sinw 
a; il % Mt N yi + e Lecosw 
(9) 1 cosß sin( — ©) = cosiyl + ecosw—1 
| = sin ß — + siniVl + ecosw. 


Für en Bahnen 


— cosß cos(A — ©) = sin >72 
cosß si 


— .ı . W - 
sin — 7 sini cos, Y2. 





(10) ©) = 608 % cos SV? — 1 





|< ia ae 


\ 


In den Formeln (7) bis (10) kommen folgende Größen vor: die 
relative (geozentrische) Geschwindigkeit der Meteore v, die Konstante 
der Gravitation k, die ekliptikalen Koordinaten des gesuchten Radi- 


956 VI2,18a. O. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen. 


anten A und Ri die Exzentrizitäten der Kometenbahn e, der Erd- 
bahn e‘, die wahre Anomalie der Meteore am. Begegnungsknoten w, 
die Länge des Perihels der Erdbahn x, der Radiusvektor der Erde R. 


- w “> . i en MR . 
Es erhält stets cos das positive Vorzeichen, sin, das Vorzeichen 


von sin. Bei doppelten Vorzeichen gilt das obere, wenn die. Be- 
gegnung im aufsteigenden, das untere, wenn sie im absteigenden 
Knoten der Kometenbahn erfolgt. | 
logk = 8,23558 — 10, x = 101°12’8 + 1'028 - (t — 1900), 
| e' = 0,01676. 

Zur Vergleichung mit dem berechneten Radianten ist der beob- 
achtete Ort von der Zenitverschiebung, d. h. dem Einfluß der Erd- 
schwerkraft zu befreien, wozu der schon erwähnte v, Nießlsche Ab- 
schnitt dieses Werkes die nötige Anleitung gibt. Der Einfluß ist ge- 
ring und kann meist vernachlässigt werden bei Meteoren mit großer 
Relativgeschwindigkeit, allgemein auch bei starker Neigung der atmo- 
sphärischen Bahnen gegen den Horizont. Er erreicht aber bei Me- 
teoren, die von der Gegend des Antiapex herkommen und sich gegen 
den Horizont mit geringer Neigung bewegen, recht erhebliche Beträge. 

Auf das Ergebnis der Vergleichung der Bahnen und der Radi. 
anten darf, wenn es sich darum handelt, Zusammenhänge zwischen 
Kometen und Sternschnuppen aufzusuchen, kein zu hohes Gewicht 
gelegt werden. Selbstverständlich ist die Frage im negativen Sinne 
beantwortet, wenn die Bahnen oder Radianten stark voneinander ab- 
weichen. Zur Entscheidung im positiven Sinne jedoch besitzt die 
Ähnlichkeit der Bahnen nicht die genügende Beweiskraft. Übrigens 
wird, wenn man die Bredichinsche Theorie annimmt, auch bei wirk- 
licher Zusammengehörigkeit die Bahn vieler Meteore der ursprüng- 
lichen Kometenbahn oft nicht sehr ähnlich sein. Dies ist aber we- 
niger bedenklich, weil man kaum in die Lage kommen wird, die Ver- 
gleichung mit der Bahn einzelner Sternschnuppen auszuführen, son- 
dern meist der Berechnung einen mittleren Radianten zugrundelegen 
wird. Zur Herbeiführung einer Entscheidung empfiehlt es sich vor 
allem, zu untersuchen, ob die Verteilung der Meteore in der Bahn 
irgendeine zum Ort des Kometen in Beziehung stehende Unregel- 
mäßigkeit zeigt, insbesondere ob eine Erhöhung der Meteorzahlen 
eintritt, nachdem der Komet den Begegnungsknoten passiert hat. 
Diese Ermittelungen müssen mit großer Vorsicht ausgeführt werden, 
denn es kann leicht geschehen, daß eine unregelmäßige Verteilung 
der Meteore durch die Zufälligkeiten der Beobachtungen vorgetäuscht 
wird. | | 


ö. Regeln für die Untersuch. d. Zusammenhangs v. Kometen u. Sternschnuppen. 957 


Zur Unterscheidung der kometarischen von den interstellaren 
Strömen könnte vielleicht die Eigenschaft dienen, daß das Maximum 
der ersteren sehr plötzlich eintritt und von kurzer Dauer ist, worauf 
schon oben hingewiesen wurde. Aber dieses Kennzeichen könnte nur 
dann auftreten, wenn die Erde den Strom ganz oder nahezu zentral 
durchkreuzt. Ein weiteres Merkmal der kometarischen Ströme scheint 
die Ausstrahlung der Meteore von einem größeren Feld und das Vor- 
handensein der Nebenradianten zu bilden, wogegen bei interstellaren 
Strömen punktartige Radiation zu erwarten wäre. Erschwerend fällt 
bei Untersuchungen in dieser Richtung die Ungenauigkeit des bis- 
herigen Beobachtungsverfahrens ins Gewicht, das auch nicht gestattet, 
die dem Strom fremden, nur zufällig nach dem betreffenden Radianten 
weisenden Meteore streng auszuschließen. Es zeigt sich also, daß die 
Lösung der gestellten Aufgabe bei dem gegenwärtigen Stande unserer 
Kenntnisse einigen Schwierigkeiten begegnet, und es muß vorläufig 
der Geschicklichkeit des Berechners überlassen werden, im einzelnen 
Falle den geeignetsten Weg aufzufinden. Nicht selten aber wird man 
auf eine zweifelsfreie Beantwortung der Frage nach dem Zusammen- 
hang eines Sternschnuppenstroms mit einem Kometen zunächst über- 
haupt verziehten müssen. 


(Abgeschlossen im Oktober 1922.) 


VI2,19. SPEZIELLE STÖRUNGEN DER PLANETEN 

UND KOMETEN, NUMERISCHE BEHANDLUNG 

BESONDERER FÄLLE DES DREIKÖRPERPRO- 
BLEMS. MEHRFACHE FIXSTERNSYSTEME. 


Von 
HEINRICH SAMTER*) 


IN BERLIN. 


Inhaltsübersicht 


1. Die speziellen Störungen. Geschichtliches. 

2. Allgemeines über die Methode. 

3. Die einzelnen Rechnungsarten. 

4. Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Geschichtliches. 
5. Die systematische Untersuchung des restringierten Problems. 

6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems. 
7. Fälle des nicht restringierten Dreikörperproblems. 

S. Das Vier- und das Vielkörperproblem. 


Literatur. 


Über die speziellen Störungen enthalten die gebräuchlichen Lehrbücher der 
Himmelsmechanik und der Bahnbestimmung Genügendes. Monographien zur 
numerischen Behandlung des Drei- und Vierkörperproblems: 

@. H. Darwin, Periodiec ‘orbits = Sc. pap. vol. IV. 

J. Fischer-Petersen in Kopenhag. Obs. Publ. 27 (1917) = Sirius 50 (1917), p.185— 205. 

E. Strömgren, Forms of periodie motion in the Restrieted Problem and in the 
general Problem of Three Bodies according to researches executed at the 
Observatory of Copenhagen. (A lecture delivered at the Inter-Scandinavian 
Congress of Mathematicians at Helsingfors July 1922.) 

*) Das Figurenmaterial wurde dem Referenten von E. Strömgren aus seiner 
Helsingforser Abhandlung freundlichst zur Verfügung gestellt. 


1. Die speziellen Störungen. Geschichtliches. 959 


l. Die speziellen Störungen. Geschichtliches. Die großen 
Mathematiker des 18. Jahrhunderts bauten auf dem Gerüst der New- 
tonschen Prinzipien die Himmelsmechanik auf. Es galt an den alten 
Planeten, dem Monde und den Kometen das Gravitationsgesetz auf 
seine Richtigkeit zu prüfen. Für die beiden ersten Klassen von 
Himmelskörpern war eine analytische Entwicklung der Störungsfunk- 
tion und damit eine approximative Integration der Differentialglei- 
chungen ihrer Bewegung soweit möglich, daß die Ergebnisse der 
Theorie der fortschreitenden Verfeinerung der Beobachtungen sich 
gut anpassen ließen. Die großen Exzentrizitäten und Neigungen der 
Kometenbahnen machten für sie die Erfindung neuer Methoden nötig. 
Für die Berechnung der Wiederkehr des Halleyschen Kometen wurde 
von Clairaut!) zuerst die mechanische Quadratur?) angewendet. Es 
war insbesondere die Zeit des Periheldurchgangs, die als wichtigstes 
der gestörten Elemente für 1759 mit bis dahin unerreichter Genauig- 
keit gefunden wurde. Die wechselvollen Schicksale des Lexellschen 
Kometen 1770°) gaben den Astronomen ein Rätsel auf, für dessen 
Lösung diese Methode sich als einzige darbot uud bewährte. Der 
Ausbau der Methode durch Euler, Mac Laurin u. a. paßte sie den 
Zwecken der rechnenden Astronomie immer mehr an. Laplace wid- 
. mete ihr einen großen Teil des 9. Buches seiner Mecanique celeste. 
Waren bisher die Astronomen nur darauf bedacht gewesen, mit Hilfe 
der mechanischen Quadratur den Lauf der Kometen innerhalb der 
Grenzen der Beobachtungsfehler darzustellen, so erweiterten die Ent- 
deckungen der ersten kleinen Planeten das Anwendungsgebiet sofort. 
Denn erstens folgten dieselben so schnell aufeinander, daß die lang- 
samer arbeitenden Methoden der allgemeinen Störungen nicht mit 
ihnen Schritt halten konnten. Zweitens waren auch hier die Nei- 
gungen und Exzentrizitäten so beträchtlich, daß dieselben eine mit 
ausreichender Genauigkeit zu führende Entwicklung der allgemeinen 
Störungen noch nicht zuließen. ©. F. Gauß’ Genie befruchtete da- 
mals beide Felder der Forschung: das der allgemeinen wie das der 
speziellen Störungen — so nannte er die durch das Verfahren der 
mechanischen Quadratur eruierten.*) Theorie und Praxis in gleichem 

1)‘ A. Clairaut, Paris Journ. d. sgav. 1759 u. 1760. Hier eine Figur, die 
den Differentialquotienten der gestörten Größe als Ordinate, die Zeit als Abszisse 
gibt, zur Erläuterung der mechanischen Quadratur. Unabhängige Veränderliche 
ist bei ihm die exzentrische Anomalie. 

2) Encykl. II C2 (Runge und Willers), dann Charlier, Mech. d. Himm. II, 

. 1-89, 
a 3) Encykl. VI», 18 ($. Oppenheim), Nr. 7. 
4) Die Bezeichnung: spezielle Perturbationsrechnung stammt wohl von O. F. 


960 VIs,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Maße meisternd, schuf er — wie erst durch Herausgabe des 7. Bandes 
seiner Werke bekannt wurde — für die Entwicklung der Störungs- 
funktion die interpolatorische Methode), verfolgte aber seinen Planeten 
Pallas auch mit Hilfe spezieller Störungen. Während er sich um die 
Bahnbestimmung der neuen Planeten das größte Verdienst erwarb, 
teilte er noch zur Fortsetzung der Berechnung des Laufes derselben 
seinen Schülern Methoden mit‘), in welchen die Integrationen durch 
mechanische Quadratur ausgeführt wurden, und setzte dadurch auch 
Encke in den Stand, den Lauf des nach ihm benannten periodischen 
Kometen zu verfolgen. 


2. Allgemeines über die Methode. Die Differentialgleichungen 
für die Bewegung der Himmelskörper enthalten rechter Hand die ab- 
hängigen Veränderlichen. Man kann nun entweder die rechte Seite 
mit konstant gedachten Elementen in eine trigonometrische Reihe 
entwickeln, die nach Vielfachen einer unabhängigen Veränderlichen 
fortschreitet, und die Koordinaten durch Integration und folgende 
sukzessive Approximation als Funktionen jener Veränderlichen darzu- 
stellen trachten (Methode der allgemeinen Störungen) — oder die 
Werte der Differentialquotienten der Veränderlichen für eine Anzahl 
äquidistanter Zeiten mit zunächst konstant angenommenen Elementen 
voraus berechnen, und dann die Integration über die Veränderungen 
numerisch ausführen (Methode der speziellen Störungen). Da man in 
keinem von beiden Fällen von sicher bestimmten Ausgangselementen 
Gebrauch machen kann, so wird man mit den gestörten Elementen 
oder Koordinaten die Beobachtungen darzustellen versuchen und auf 
dem Wege der Ausgleichsrechnung — mit Gauß’ Methode der klein- 
sten Quadrate oder nach Cauchy — die Elemente verbessern.”) Die 
wiederholte Störungsreehnung wird zu genaueren Elementen führen, 
aber „das mühselige Geschäft“ muß so oft wiederholt werden, bis 
man durch die Korrektionen zur höchsten Staffel der Präzision 
emporgeführt wird.®) Gauß’ Erfahrungen mit dem Planeten (2) Pal- 
las sind hierfür besonders lehrreich.”) Ohne Störungen zu berück- 





Gauß. Wenigstens nennt er sie so in einem Briefe an Encke (Okt. 1834), Werke. 
Bd. 7, p. 433, worin er diesem die Publikationsbefugnis der Methode gibt, wäh- 
rend dieser sie unter dem 4. Okt. 1834 (ebenda p. 432) die Methode der partiellen 
Störungen nennt, die ihm Gauß 1811 vorgetragen habe. 

5) Encykl. VI2, 13 (H. v. Zeipel), Nr. #7. 

6) P A. Hansen, Auseinandersetzung etc. (Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. V, p.51). 

7) Encykl. VIg, 9 (Herglotz), Nr. 23, 24. 

8) Gauß, Theoria motus, Nr. 190 = Werke B. 7. 

9) Gauß, Briefwechsel mit W. Olbers 26. Nov. und 13. Dez. 1819, zitiert in 
Gauß’ Werke Bd. 7, p. 415 u. 418. 


2. Allgemeines über die Methode. 961 


sichtigen suchte er die Beobachtungen, die aus sechs Erscheinungen 
vorlagen, durch eine einzige elliptische Bahn'®) darzustellen. Der Aus- 
gleich nach der von ihm erfundenen Methode ließ in der Länge 
Fehler bis 216”, in der Breite solche von 83” übrig. Aus den so 
abgeleiteten Elementen berechnete er für die folgende Erscheinung 
eine Ephemeride'!), entschloß sich aber nachträglich zur Berechnung 
der speziellen Störungen durch Jupiter. Indem er die Differentiale 
der Elemente von 50 zu 50 Tagen berechnete und durch einen Zeit- 
raum von acht Jahren aufsummierte!?), erhielt er für 1811 eine so 
wesentlich veränderte Bahn, daß jene Ephemeride um nicht weniger 
als 100’ korrigiert werden mußte. Die jetzt übrig bleibenden Fehler 
der Normalorte bis 1808 betrugen nach erneutem Ausgleich nur noch 
6”. Dabei war die Jupitermasse noch um 2%, zu klein angenommen, 
und es waren die Störungen durch die anderen Planeten vernach- 
lässigt. Eine zweite Berechnung der Störungen der verbesserten Ele- 
mente durch Jupiter ließ die Ephemeride fast unverändert, und der 
erneuerte Ausgleich mit Einschluß der Erscheinung von 1811 ließ nur 
Fehler bis 8”,7 in Länge und von höchstens 12”,1 in Breite übrig.) 
In anderen Fällen wird man wohl nur sehr allmählich zur gegen- 
seitigen Abstimmung der Bahnelemente und der speziellen Störungen 
gelangen, und es lassen sich Fälle vorstellen, für die dieses Verfahren 
in der Richtung nach bestimmten oskulierenden!*) Elementen nicht 
konvergiert.'°) Wie groß man das Intervall der Zeitpunkte zu wählen 


10) Gauß, de elem. ellipt. Palladis 1811 —= Werke Bd. 6, p. 61. 

11) Gauß, Monatl. Korr. 1810, p. 403. 

12) Vgl. die Formeln in Gauß’ Werken Bd. 7, p. 473 oder Encykl. VIs, 15 
(K. F. Sundman), Nr. 6. 

13) Einen wenn auch nicht beträchtlichen Teil der Abweichungen bewirkt 
der Umstand, daß der oskulierende Wert der Halbachse a der Pallas so einge- 


stellt war, wie ihn das 3. Keplersche Gesetz ergibt, a—%®n”?. Man muß aber, 
wenn man vom gestörten momentanen Wert von n ausgeht, auch für a den 
gleichzeitigen gestörten Wert annehmen, dieser aber ist von den Störungen so 
beeinflußt, daß für die oskulierenden Elemente jene einfache Beziehung nicht 
stattfindet, die nur für die Keplersche Bewegung gilt. Es ist vielmehr das dar- 
aus resultierende loga vorher um — 4m’«* zu korrigieren, wenn der störende 
Planet ein innerer, um 4m’ (1 ++ $«®), wenn er ein äußerer mit der Masse m’ ist, 
und « das Achsenverhältnis des störenden und des gestörten Körpers bedeutet in 
dem Sinne, daß beidemal «<(1 ist. Vgl. R. T. A. Innes, London Astr. Soc. M. 
N. 71 (1911), p. 503. Dieser Fehler ist auch heute noch verbreitet. 

14) Encykl. VI2, 15 (X. F. Sundman). Nr. 6. 

15) Wie die Störungen die Ausgleichskoeffizienten beeinflussen, zeigte 
H. Samter über die Bahn des Planeten Egeria, Berlin Ber. (1909), p. 1247 und 
Astr. Nachr. Erg.-Heft 17 (1910), p. 15. 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 63 


962 VIs2,19. A. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


hat, für welche die Differentialquotienten bestimmt werden, das hängt 
im wesentlichen von der erstrebten Genauigkeit ab. Für den wichtigen 
Planetoid (433) Eros berechnet @. Witt!*) die Störungen durch Ju- 
piter, Saturn und Mars von 20 zu 20, diejenigen durch Venus und 
Erde von 10 zu 10 Tagen. Im Falle der Annäherung eines Kometen 
oder eines kleinen Planeten an einen der großen wird das Intervall 
zu verkleinern sein. Von den Störungen durch andere Planeten als 
Jupiter und Saturn wird man in den meisten Fällen absehen können. 
Solange die Zahl der kleinen Planeten die ersten 200 nicht über- 
schritt, konnte man durch Berechnung der von jenen bewirkten spe- 
ziellen Störungen die Rechnung im allgemeinen in recht guter Über- 
einstimmung mit den Beobachtungen halten. Die letzten Jahrzehnte 
aber häuften die Entdeckungen derart, daß nur wenige besonders 
wichtige Objekte durch das Verfahren der numerischen Integration 
genau weiter verfolgt wurden, bei anderen allgemeine Störungen be- 
rechnet wurden; für die große Masse aber werden zur Zeit nur Ju- 
piterstörungen von 120 zu 120 Tagen für das Berliner Astronomische 
Jahrbuch berechnet. 


3. Die einzelnen Rechnungsarten. Bei den speziellen Störungen 
wie bei den allgemeinen unterscheidet man solche rechtwinkliger oder 
polarer Koordinaten oder der Elemente. Auf die Differentialgleichungen 
für die rechtwinkligen Koordinaten wurde die Methode der speziellen 
Störungen zuerst von Bond!') und selbständig darauf von Encke'?) 
angewendet. Dieselbe besteht in der Berechnung der auf das erste 
folgenden Glieder der Differentialgleichungen (100) (Enceykl. VI 2, 15 
(Sundman), Nr. 29) und ihrer nachherigen Integration. Ist bei einer 
folgenden Approximation die Größe A?, deren — 3 Potenz auf der 
rechten Seite erscheint, wegen der vorhergehenden Annäherung um 


16) @. Witt, Untersuchung über die Bewegung des Planeten 433 (Eros), 
Berlin 1905. 

17) @. B. Bond, On some applications of the method of mechanical quadra- 
ture Mem. Amer. Ac. of Arts and Science IV part 1, Boston 1849, p. 189—208. 
Die Anwendung, die Bond gibt, ist die Berechnung der Störungen des Mondes 
von 12 zu 12 Stunden für vier Tage, unseres Wissens die einzige Anwendung 
spezieller Störungen auf diesen Körper, während von sonstigen Satelliten Hype- 
rion von @. W. Hill (Astr. Journ. 8 (1888), p. 57 und W. Eichelberger [ebenda 11 
(1892), p. 145 und Wash. Publ. vol. VI 1911], ferner der 8. Jupitermond von 
P. H. Cowell und A. ©. Orommelin, London Astr. Soc. M. N. 68 (1908), p. 457, 576; 
69 (1909), p. 421; 71 (1911), p. 50 in ähnlicher Weise in Angriff genommen 
wurden. 

18) J. F. Encke, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 349. Wie weit er auch hier von 
seinem Lehrer Gauß beeinflußt ist, wird schwer noch festzustellen sein. 


3. Die einzelnen Rechnungsarten. 963 


2gA?,_, zu korrigieren, indem A’, = (1 + 2g)A?,_, ist, so fördert 
die Reihenentwicklung für 


BR 

f-a.lı (4208), 
deren Logarithmus Encke tabuliert hat.!”) Diese Störungen wachsen 
besonders rasch an, so daß man die Elemente aus den durch Auf- 
summierung gefundenen Koordinaten und Geschwindigkeiten schon 
für einen nicht zu fernen Zeitpunkt neu berechnen muß, um für die 
weitere Rechnung gegen allzu große Fehler geschützt zu sein. Daß 
Enckes Beispiel — die Jupiterstörungen der Vesta — dies nicht zeigt, 
liegt an der Geringfügigkeit dieser. Doch wird der der Enckeschen 
Methode anhaftende Mangel durch ihre Bequemlichkeit vielfach auf- 
gehoben. 

Als Grundlage der Berechnung spezieller Störungen in Polar- 
koordinaten dienen die Gleichungen (57) 1. c. Nr.21 mit der Maß- 
gabe, daß als Grundebene die ungestörte Bahnebene beibehalten, also 
eine dritte Gleichung für den Abstand z des Planeten von dieser ge- 
braucht wird, nämlich 


+’ + mA) = (1 +m& 4 er. 


Doch kann man die Kenntnis von z, welche für die strenge Auflösung 
der Differentialgleichung des Radius r später vonnöten ist, für die 
ersten Werte entbehren. Es finden sich drei Abarten dieses Verfahrens. 
Bei der von Brünnow?®) herrührenden finden die aus der ungestörten 
Bewegung folgenden Werte r,, v, von r und v Verwendung, und an 
sie werden die Störungen angebracht. Dagegen zieht Hansen?!) es 
vor, die Störungen auf die mittlere Anomalie M, und den mit Hilfe 
der gestörten Anomalie M, + öM und ungestörten Elementen be- 
rechneten Radiusvektor rt zu werfen, sowie die gestörte Bahnebene 
zugrunde zu legen. Die Störung des briggischen Logarithmus des 
Radiusvektors muß dabei durch doppelte Integration der 2. Differen- 
tialgleichung gefunden werden; da diese Störung selbst auf der rechten 
Seite erscheint, kann man dies durch ein indirektes Verfahren be- 


19) Astr. Nachr. 34 (1852), p. 3565, auch abgedruckt in W. Bauschingers 
Tafeln zur theoretischen Astronomie, Leipzig 1901, p. 105. Th. v. Oppolzer, Astr. 
Nachr. 89 (1877), p.273 zeigt, daß f der hypergeometrischen Reihe F'5, 1, 2, — 29) 
gleich ist, gibt die Grundlagen für eine zehnstellige Tafel und Anweisungen für 
die Berechnung der Störungswerte und ihre indirekte Integration, ähnlich wie 
Tıetjen (Fußn. 22). Die Größe F=f:.g hat A.Wilkens, Astr. Nachr. 205 (1917), 
p. 155 tabuliert, vgl. W. Drucker ebenda 214 (1920), p. 17. 

20) F. Brünnow, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 249. 

21) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 101, 293 und 37 (1854), p. 301. 

63* 


964 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


werkstelligen, da die Störung rechter Hand mit einem kleinen Faktor 
behaftet ist und ein roher Näherungswert derselben vorläufig genügt, 
oder direkt auf folgende Art. Es sei x aus der Gleichung 


a /[ "x be)ar 


zu gewinnen, wo X bekannt und b klein sei, so ergeben die Regeln 
der mechanischen Quadratur Enceykl. II 3 (Runge u. Willers), Nr. la 
füro—=1l 

=(a +, —2) +5 X — br — lat, +2)+-=S— br, 
— 8-15, 5- X—d8. 
1455 

Die dritte Abart ist eine Verbindung der Methoden von Brün- 

now und von Hansen durch F. Tietjen.””) Welche Methode von allen 
am schnellsten fördert, das hängt ganz von den vorliegenden Um- 
ständen ab.?®) 


Daß man jetzt vielfach wieder zu Elementenstörungen zurück- 


be = 


gekehrt ist — wenigstens soweit die kleinen Planeten in Betracht 
kommen — liegt daran, daß der Zeitpunkt, zu dem die Störungen 


zweiter Ordnung einzustellen sind oder ein Übergang zu neuen Ele- 
menten zu bewirken ist, nicht immer leicht erkennbar ist, die Berech- 
nung einer Ephemeride aber nach einem einzigen System oskulieren- 
der Elemente bequemer erscheint“), und man es vorzieht, dieses 


22) F. Tietjen, Berlin. astr. Jahrb. 1877; hier eine Anzahl Hilfstäfelchen, so- 
wie durchgerechnete numerische Beispiele für alle Methoden, für die mechanische 
Quadratur und endlich für den Übergang zu neuen Elementen. W. Scheibner, 
Über Hansens Verfahren zur Berechnung der speziellen Störungen (Leipzig. Ber. 
1898, p. 31—59) gibt gleichfalls eine eingehende Darlegung der nötigen Rech- 
nungen und ein Beispiel: „Hansens Störungen sind leichter zu berechnen, von 
geringerem Betrage und von größerer Konvergenz — ein Vorteil, der namentlich 
bei der Berechnung der Glieder höherer Ordnung ins Gewicht fällt. Aus diesem 
Grunde kommt man mit der bloßen Berücksichtigung der Glieder 1. Ordnung 
länger aus als bei der Berechnung der Störungen rechtwinkliger Koordinaten.“ 
Auch hier kommt eine Grenze, bei der zur Neubildung von Elementen geschritten 
werden muß, zu deren Berechnung hier strenge, von Hansen bereits genäherte 
Formeln (Astr. Nachr. 34 (1852), p. 124 und 37 (1854), p. 308 gegeben wurden. Durch 
rechtzeitige Bildung neuer Elemente vermeidet man stets auf die kürzeste und 
einfachste Weise die direkte Rücksichtnahme auf das Quadrat der störenden 
Kräfte, welche immer mehr Mühe machen würde. (Hansen in der Einleitung 
zu den Egeriatafeln Leipzig. Abhandl. 1867, Art. 29 und 38.) 

23) J.v. Zech, Astr. Nachr. 37 (1854). p. 295. Er zeigt auch, wie man Prä- 
zession und Nutation in den Störungsrechnungen am leichtesten berücksichtigt. 

24) ©. F.Gauß, Exposition d’une nouvelle möthode de calculer les pertur- 
bations planetaires (Nachlaß), Werke B. 7, p. 439. 


3. Die einzelnen Rechnungsarten. 965 


direkt durch Aufsummieren aus Elementenstörungen zu finden. Für 
diese sind die Formeln von Gauß'?) bequem, falls nicht Besonder- 
heiten vorliegen, die den Größen p,g oder g,h (Encykl. VI», 15 
(Sundman), Nr. 6) als Elementen den Vorzug geben lassen. Für die 
genaue Rechnung hat diese Methode den Vorteil vor allen, daß man 
für jeden folgenden Zeitpunkt leicht ein neues Elementensystem be- 
stimmen und mit diesem den nächsten Störungswert berechnen kann.?®) 

Die Anwendbarkeit der speziellen Störungen findet ihre Grenze 
durch die natürlichen Fehler, mit denen sie behaftet ist. Man bedarf 
ja der Werte der Koordinaten der störenden Körper für die gewählten 
Zeitpunkte; die Planetentafeln ergeben dieselben mit Abweichungen, 
die einander in ihren Wirkungen größtenteils aufheben werden; nicht 
so die Abrundungsfehler der numerischen Rechnung, deren Beträge 


besonders in dem Doppelintegral Sf di? sich zu solchen Größen 


aufsummieren, daß sie durch späteren Ausgleich nicht beseitigt werden 
können. Wo die Methode noch unumgänglich ist, wie für die Be- 
stimmung der Massen störender Körper, und für einen längeren Zeit- 
raum zu führen ist, hat man eine erheblichere Anzahl von Dezimalen 
anzuwenden, als die Verfolgung des gestörten Körpers durch kürzere 
Zeiten erfordert.?°) Ä 

Von Methoden, die zwischen ilyiiehipäh der allgemeinen und der 
speziellen Störungen gewissermaßen die Mitte bilden, sei die von 
J. H. Lambert?‘) angegebene erwähnt. Hier werden die Koordinaten 
— und zwar in dem gewählten Beispiel nur für die geradlinige Be- 
wegung — nach der Methode der unbestimmten Koeffizienten in 


25) Kunstgriffe, die für beliebig exzentrische Bahnen gelten und die Rech- 
nung wesentlich zu kürzen geeignet sind, geben P. V. Neugebauer nach F'. Tietjen, 
Astr. Nachr. 154 (1901), p. 301; W. de Sitter, ebenda 163 (1903), p. 106 und 
W. Zimmermann, Inaug.-Diss. Breslau 1902 durch Variation kanonischer Ele- 
mente, die die Rechnnng wesentlich vereinfachen (ausgeführtes Beispiel). 

26) S. Newcomb, Astr. Nachr. 148 (1899), p. 321 führt dies im einzelnen aus 
und gibt die wahrscheinlichen Beträge der unvermeidlichen Ungenauigkeiten der 
Rechnung. Ergänzend sei bemerkt, daß auch bei der Berechnung der allge- 
meinen Störungen sowohl die einzelnen Koeffizienten, die ja aus vielen Sum- 
manden sich aufbauen, nicht unerhebliche Ungenauigkeiten aufweisen [H. Samter, 
Astr. Nachr. Erg.-Heft 17 (1910), p. 12], als auch die Aufsummierung der für eine 
Ephemeride erforderlichen Störungsglieder eine desto größere FRREERENRE er- 
gibt, eine je größere Zahl von ihnen mitzunehmen ist. 

27) J. H. Lambert, Solution generale et absolue du probl&me des trois brps 
moyennant de suites infinies, Berlin Hist. 1767. Für Koordinatenstörungen ähn- 
lich de Gasparis Napoli Acad. Rend. 22 (1884), p. 236; 23 (1885), p. 88 u. 24 
(1886), p. 23, vorher Paris C. R. 97 (1883), p. 738. 


966 VI2,19. H.Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Reihen entwickelt, die nach Potenzen der Zeit fortschreiten. Da diese 
nur für verhältnismäßig kurze Zeiträume konvergieren, muß man nach 
Verlauf eines solchen stets neue Elemente bilden und neue Reihen 
aufstellen. Auch gehört hierher die Methode der partiellen Anomalien 
von Hansen”), bei welcher die Bahn des gestörten Körpers in eine 
Anzahl von Teilen zerlegt und in jedem derselben eine analytische 
Entwicklung nach einer transformierten Anomalie vorgenommen wird 
und schließlich die Störungen von Anfang bis zum Ende dieses Bahn- 
stückes aufaddiert werden. Bei einigen Anwendungen?”), die sowohl 
auf Kometen als auf Planeten gemacht wurden, gelang es auch, für 
die Summation in bezug auf mehrere Bahnstücke und Umläufe allge- 
meine Formeln aufzustellen. 


4. Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Ge- 
schichtliches. Man muß das Problem dreier sich gegenseitig nach 
dem Newtonschen Gesetze anziehender Körper als einer solchen Be- 
handlung durch die höhere Analysis unzugänglich bezeichnen, welche 
der Anschaulichkeit nicht entbehrt. Denn ist auch durch K. F. Sund- 
man?°®) eine Methode gegeben, die von einem ganz singulären Fall 
abgesehen die allgemeine Lösung des Problems durch Reihen bewerk- 
stelligt, welche für jeden Wert der Zeit konvergieren, so ist doch 
diese Konvergenz, die durch Transformation der Zeit in eine Größe 
gelingt, die ihrem absoluten Werte nach für jede Zeit kleiner als 
Eins ist, nur für solche Werte von r gleichmäßig, deren absoluter 
Betrag von der Einheit merklich entfernt ist. Da die Zahl der die 
Koordinaten darstellenden Glieder der Reihen für solche Werte von 
t, welche der Einheit nahe kommen, praktisch sich nicht beherrschen 
läßt, so ist dieser Weg zu einer anschaulichen Kenntnis der Bahnen 
ungangbar. So war die eigentliche Form der Bahnen, von singulären 
Fällen abgesehen, bis vor 30 Jahren ganz unbekannt, da sowohl die 
bekannten Reihen der allgemeinen Störungstheorie nur semikonvergent 
sind, als auch die speziellen Störungsrechnungen sich immer nur auf 
begrenzte Zeiträume erstreckten. Immerhin erlaubten diese Mittel in 


28) P. A. Hansen, Memoire sur le calcul des perturbations, qu’&prouvent 
les comötes, Paris C. R. (Suppl.) 1856, ferner Encykl. VI2, 18 ($.Oppenhe:m), Nr. 2. 

29) A. Leman, Prinzip der Partition. Inaug.-Diss. Berlin 1880. Th. Wittram, 
Zur Berechnung der Störungen der kleinen Planeten, Petersb. Bull. 1885. H. Samter, 
Über die allgemeinen Störungen des Planeten Eros, Astr. Nachr. 188 (1911), 
p. 153—182. ; 

30) K. F. Sundman, Recherches sur le probleme des trois corps, Acta Soc. 
Fenn. 34 (1907); 35 (1909) und Acta math. 36 (1912), p. 106°—179. Vgl. auch 
das Referat von v. Zeipel, Astr. Ges. Vjs. 52 (1917), p. 56—79. 


4. Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Geschichtliches. 965 


den einfacher liegenden Fällen des Sonnensystems, wo alle Körper 
gegen den zentralen vergleichsweise kleine Massen haben, oder wo 
der störende Körper trotz großer Masse wegen seiner bedeutenden 
Entfernung nur verhältnismäßig schwach wirkte, für die historischen 
Zeiträume eine hinreichend genaue Kenntnis der Bahnen. Doch war 
der Wunsch, durch Behandlung nicht so einfach liegender Fälle tiefer 
in die Natur der von den Himmelskörpern beschriebenen Kurven ein- 
zudringen, verbreitet.) Ihm gab greifbaren Ausdruck zuerst 7. N. 
Thiele®®),:der durch Stellung zweier Preisaufgaben E. v. Haerdtl?®) 4) 
und (©. Burrau®?) zur Behandlung zweier spezieller Fälle des restrin- 
gierten Problems (VI2, 12 (Whittaker), Nr. 8) anregte, wobei die end- 
lichen Massen S und J als gleich gegeben waren. Der Weg für diese 
Untersuchungen und die folgenden ist der des „numerischen Experi- 
ments“: aus den gegebenen Anfangsbedingungen werden die bewegen- 
den Kräfte für die ersten Zeitpunkte zunächst annähernd berechnet, 
durch sukzessive Approximation verbessert, während dann für immer 
entferntere Zeitpunkte die Werte der Beschleunigungskomponenten 
durch Extrapolation gewonnen°®®), sodann aber die Orte und die Kräfte 
gegeneinander allmählich abgestimmt werden. Die Methode ist dem- 
nach derjenigen der speziellen Störungen analog.?”) 





31) H. Gylden, Über die intermediäre Bahn des Mondes, Acta math. 7 (1885), 
p. 125 und über ein Annäherungsverfahren im Dreikörperproblem, ebenda 1 (1882), 
p. 77—92. Hier sagt er direkt: Der Mangel, daß man im Dreikörperproblem 
noch nicht sehr weit gekommen ist, liegt daran, daß man über die Art der 
Kurven, in denen sich die drei Körper bewegen, gar nichts weiß. 

32) T. N. Thiele, Recherches numeriques concernant les solutions periodiques 
d’un cas special du probleme des trois corps, Astr. Nachr. 138 (1895), p. 1, ver- 
gleicht das Problem mit einer starken Festung, die einige schwache Punkte habe, 
von denen man allmählich in sie eindringen könne. 

33) E. v. Haerdtl, Skizzen zu einem speziellen Falle des Problems der drei 
Körper, München. Akad. Abh. 17 (1890). 

34) 0. V. L. Charlier, Studier över trekropparsproblemet, Stockholm. Akad. 
Bihang 18 (1893), No. 6; 19 (1894), No. 2. H. G@ylden, Undersökningar af Theorien I 
und K. Bohlin, Stockholm. Obsery. Jaktt. 9 (1911), No. 2 u.4. Diese analytische 
Entwicklung und v. Haerdtis numerische befinden sich in so genauer Überein- 
stimmung, wie irgend zu erwarten war. v. Haerdtl bearbeitete 1. c. noch einen 
zweiten Spezialfall. 

35) C. Burrau in seiner Bearbeitung der von der dänischen Akademie ge- 
stellten Preisaufgabe über periodische Bahnen um Z, [Astr. Nachr. 135 (1894), 
p. 233 und 136 (1894), p. 161, vgl. auch seine Besprechung der Darwinschen 
Arbeit in Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), p. 21]. 

36) Rechenbeispiele für Darwins Methode ausgeführt in Charlier II, p. 65—86. 

37) Da hier nicht Störungen vorliegen, sondern die Kräfte von einerlei 
‚Größenordnung sind, so bedarf die Bestimmung der Integrationskonstanten Auf- 
merksamkeit, vgl. E. Strömgren, Stockholm Öfvers. K. $v. Ak. Förh. (1900), No. 4. 


968 VIs,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Im v. Haerdtischen Falle sollte der unendlich kleine Körper P 
von einem Punkte der Verlängerung von $J ausgehen, so daß 
PS=3%38J, und eine Kreisbahn um $ beschreiben, wenn J nicht vor- 
handen wäre, und zwar in derselben Richtung, wie die beiden Hauptkörper 
sich um ihren Schwerpunkt bewegen. Hier diente Enckes Methode für 
die speziellen Störungen der rechtwinkligen Koordinaten.®®) Die relative 
Bewegung gegen die Zeichenebene, die mit der Drehgeschwindigkeit 
der beiden Hauptkörper um den Schwerpunkt rotiert, zeigt die Fig. 15. 
Auch im folgenden soll diese besondere Art der Darstellung beibe- 
halten werden. Die über drei Umläufe erstreckte Integration lehrte, 
daß zwei derselben sich ungefähr decken, der dritte aber nach außen 
führt. Mit den gegebenen Anfangsbedingungen war demnach die Bahn 
nicht periodisch, durch geringe Abänderung derselben konnte sie aber 
später dazu gemacht werden. 

Die von Burrau angegriffene und fast zur Vollendung gebrachte 
Aufgabe betrifft eine spezielle Form periodischer Bahnen (VI, 12 
(Whittaker), Nr. 3). Die Wichtigkeit der periodischen Bahnen für 
die allgemeine Lösung des Problems war damals nahezu gleichzeitig 
den Theoretikern und Praktikern der Himmelsmechanik vor die Augen 
getreten. T. N. Thiele und G. H. Darwin gingen mit wesentlich den- 
selben Mitteln, wenn auch etwas anderen Zielen auf ihre Eruierung 
aus. Sie sind ja am besten zu beherrschen, denn sie sind für unend- 
liche Zeiträume bekannt, wenn man die Bewegung während einer 
Periode kennt. 

d. Die systematische Behandlung des restringierten Problems. 
Der Weg von den einfacher liegenden zu den komplizierteren Fällen 
nahm am besten seinen Ausgang vom restringierten Problem. Hier 
gilt ja das Jacobische Integral (Encykl. VI2, 12 (Whittaker), Nr. 8). 
Die Differentialgleichungen für die relative Bewegung sind nach der 
Hill-Brownschen Transformation (VI 2, 14 (E. Brown), Nr. 4), wenn. 
— wie üblich — 82 statt F” geschrieben wird 


= PR 0 . v.. 08 
ur2niü=27,; erh {5 2, 
und das Jacobische Integral lautet 
us=22 —(, 


38) K. Bohlin, Astr. Ges. Vjs. 56 (1921), p. 206—210. Die Arbeit steht im 
Zusammenhange mit theoretischen Integralentwicklungen von Bohlin, Ark. for 
Mat. Fys. 8 (1912); 9 (1913) und 10 (1914) und soll ein Beispiel für diese im 
allgemeinen Fall geben, während in v. Haerdtls Fall die Entwicklungen für ver- 
schwindende Masse des dritten. Körpers verifiziert werden. 


5. Die systematische Behandlung des restringierten ‚Probleme. 969 


so daß die Kurven 2% —=( solche sind, in denen die relative Ge- 
schwindigkeit des Körpers P Null wird. Da das Quadrat derselben 
45 nicht unter Null sinken kann, so muß P stets auf einer Seite 
dieser Hillschen Grenzkurve bleiben. Wir nehmen als Einheiten der 
Länge und der Masse den Abstand 5.J und die Masse von $ und 
wählen die Einheit der Zeit derart, daß die Gravitationskonstante 
gleich Eins ist. Die Jacobische Konstante Ü erreicht ihr absolutes 
Minimum für SP=JP=1, d.h. in den Lagranyeschen Dreiecks- 
punkten, die mit Z, und L, bezeichnet werden.”) Für Bewegungen, 
bei denen C noch kleiner ist, besteht demnach keine Grenzkurve, der 
Punkt P hat dann für seine Bewegung die ganze Ebene zur Ver- 
fügung. Mit wachsendem C erhält man zunächst geschlossene Linien 
um L, und L, und sodann eine Schar von Kurven, deren Form für 
ein gegebenes Massenverhältnis lediglich der Parameter C bestimmt. 
Besteht für einen Wert von Ü die Grenzkurve aus zwei getrennten 
Stücken, so ist P gezwungen, innerhalb des von ihnen begrenzten 
Raumes zu bleiben, wenn er anfänglich darin sich bewegt. E. Ström- 
gren*") zeigte, daß, wenn P bei der Bewegung an eine Kurve der 
Nullgescehwindigkeit gelangt, seine Bahn dort eine Spitze besitzt, auf 
der die Bewegung immer von rechts nach links vor sich geht für 
denjenigen, der sich auf der Normalen befindet und nach der Grenz- 
kurve hinblickt. Für J=10 hat sie Darwin gezeichnet‘'), für 
J=1 (0.V.L. Charlier‘”). Sie stehen zu den kollinearen singulären 
Punkten von Lagrange, von denen L, zwischen S und J, L, jenseits J 
und L, jenseits S liege, in entsprechenden Beziehungen, wie zu L, und L,. 

Da diese fünf Librationszentren selbst strenge Lösungen für die 
Aufgabe der Bestimmung der Bahnform im Dreikörperproblem dar- 
stellen, so ist eine geringe Variierung der ihnen entsprechenden Ja- 
cobischen Konstanten der natürliche Ausgangspunkt für andere auf 
analytischem Wege oder numerisch zu erhaltende Bahnen. Obgleich 
also diese Fälle von denjenigen, die die Natur damals darbot, weit 
abwichen, sah 7. N. Thiele®?) hier die schwachen Punkte des Drei- 
körperproblems; seine und die von ihm veranlaßte Untersuchung von 
©. Burrau®) führten auf numerischem Wege fast — wenn auch nicht 
völlig — genau zu periodischen Lösungen des Problems.‘?) Nach einer 





39) Encykl. VI», 12 Nr. 6 (E. T. Whittaker). 

40) E. Strömgren, Astr. Nachr. 194 (1906), p. 32. 

41) @. H. Darwin, Orbits = Scient. pap. Vol IV. 

42) Charlier, Mech. d. Himmels II, p. 117. 

43) Die erste analytische Lösung eines solchen Problems gab H. Gylden, 
Öfvers. K. Sv. Ak. Förh. 4 (1884), p. 3 und Paris Bull. astr. I (1884), p. 361. 


970 YVIsa,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Reihe von Versuchen, bei denen die Integration über einen halben 
Umlauf von P um Z, erstreckt wurde, konnten sie durch Interpolation 
den Wert von © für eine Bahn (Fig. 2) derart zwischen enge Grenzen 
einschließen, daß dieselbe die £-Achse zweimal senkrecht schnitt. So- 
mit waren durch numerisches Experiment die ersten oszillierenden Sa- 
telliten der Familie b @.H.Darwins (VI 2, 12 (Whittaker), Nr. 6) ge- 
funden. Diese reinen Librationen um die Librationsszentren sind, so- 
lange P sich nicht sehr weit von ihnen entfernt, also eine Entwick- 
lung nach Potenzen der Koordinatendifferenzen von P und Z möglich 
ist, auch einer analytischen Darstellung zugänglich. Eine solche wurde 
von 8. S. Hough**) nach Hills Methode der charakteristischen Expo- 
nenten gegeben. 

Die periodischen Bahnen sind, abgesehen von den paarweise auf- 
tretenden um Z, und L,, symmetrisch zur Linie 8J, die zur &-Achse 
dient, während die n-Achse deren Mittelsenkrechte ist. Unter großer 
Beschränkung seines Arbeitsgebietes gelang es @. H. Darwin “') 
eine Anzahl von Typen periodischer Bahnen aufzustellen. Er unter- 
suchte nur einfach periodische®°), d.h. solche Bahnen, die nach einem 
einzigen synodischen Umlauf sich schließen, und nahm zunächst nur 
rechtläufige Bahnen, d.h. solche in Angriff, bei denen die Bewegung 
des unendlich kleinen Körpers P mit größerer Winkelgeschwindigkeit 
als der des Achsensystems erfolgt. Eine eigentliche systematische 
Absuchung des Feldes der periodischen Bahnen beginnt aber erst mit 
den von der Kopenhagener Sternwarte unternommenen Arbeiten, die 
jetzt — was das restringierte Problem betrifft — zu einem gewissen 
Abschluß geführt sind. Darwin fand es vorteilhaft, als unabhängige 
Veränderliche, nach der er die numerische Integration ausführte, die 
Bogenlänge «a zu benutzen und von dem Winkel g, den die Normale 
der Bahn mit der &-Achse bildet, Gebrauch zu machen und ferner 


44) 8. S. Hough, On certain discontinuities connected with periodie orbits, 
Acta math. 24 (1901), p. 257—288, abgedruckt Darwin, Scient. pap. Vol. 4, 
p. 114—139. Charlier IL, p. 117 ff. folgt zunächst genau dieser Entwicklung, er- 
gänzt sie dann numerisch und gibt auch ihre Anwendung auf die Librations- 
zentren L, und L,. Nach Routh (vgl. Whittaker 1. c.) muß die größere min- 
destens 25 mal so groß als die kleinere sein, damit eine stabile Bahn entsteht. 
Hier wurde nur bis zu den ersten Potenzen der Koordinatendifferenzen (den Pro- 
jektionen von LP) entwickelt. H. Plummer, London Astr. Soc. M. N. 62 (1901), 
p. 6, 63 (1903), p. 436; 64 (1904), p. 98 rechnet die zweiten Potenzen mit. In 
der letzten Arbeit Zeichnungen für die Gruppen a) und b) der oszillierenden 
Satelliten. 

45) Es bedarf kaum des Hinweises, daß eine Beziehung zu den einfach- 
und doppelt-periodischen Funktionen nicht besteh:. 


5. Die systematische Behandlung des restringierten Problems. 971 


die Krümmung R-! der Bahn für die Rechnung und Zeichnung her- 
anzuziehen. Hier gelten die Formeln: 
9—=9p + faar-'; u=w-+ ifdac® 


o 


hf Zalusy”t — fi 1028 = 0} 


Demnach wachsen die durch Integration zu findende Größe t und 
ebenso die die Bahn bestimmenden anderen Größen mit Annäherung 
an die Nullkurve der Geschwindigkeit wegen der starken Krümmung 
sehr stark, wenn man nicht das Integrationsintervall Aa in solchen 
Fällen sehr verkleinert. ©. Burrau”) blieb zuerst bei der Zeit als 
der natürlicher erscheinenden unabhängigen Variablen, selbst dort, 
wo die Bahn eines der von Darwin so genannten oszillierenden Sa- 
telliten sich einem der Hauptkörper nähert, wo also die Geschwindig- 
keit sehr groß wird. Er fand in der Nähe einer der Massen nach 


Potenzen von £ entwickelnd, daß die Schar der Bahnen um Z, os- 
zillierender Satelliten mit einer Ejektionsbahn, d. h. einer solchen, 
die von einem der Hauptkörper ausgeht, eine Art von Abschluß findet 


(Fig. 2). 

Für solche Fälle nun, in denen die Geschwindigkeit unendlich 
groß wird, empfahl Thiele die nach ihm benannte Transformation, die 
die u-Ebene auf einem Streifen einer @-Ebene («= E-+iF') durch 


die Beziehung G = eosu 


konform abbildet. Zugleich — und dies ist für die Rechnung das 
Wesentliche — transformiert er die Zeit durch die Differentialbe- 


ziehung dt = rır,dv, 
wo r, und r, die Abstände PS resp. P.J bedeuten.) Hierdurch 


46) T. N. Thiele (vgl. Fußn. 32). Die differentielle Beziehung ist genau 
dieselbe, mit deren Hilfe im Zweizentrenproblem durch L. Euler die Integration 
bewirkt wurde. Da auch die E und F' nichts anderes als elliptische Koordinaten 
sind, die bei Lagrange zur Lösung dieser Aufgabe dienten, so liegt die Annahme 
sehr nahe, daß Thieles Transformation hier ihre Quelle hat. Daß auch andere 
Substitutionen von der Form uw=f(p-+ wi), also die Einführung neuer ortho- 
gonaler Koordinaten zweckdienlich sein kann, zeigt Levi-Oivitü Atti Acad. Lincei 
(1915), p. 555. Doch gestalten sich bei der T'hieleschen die Gleichungen am ein- 
fachsten. Da diese E und F' mit En und m 
tegral ist, ein kanonisches System bilden, hätte statt der beiden von Thiele, 
Strömgren und Burrau benutzten Differentialgleichungen zweiter Ordnung für 


wo H=( das Jacobische In- 


972 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


wird in der Nähe der Massenpunkte auf das Zeitdifferential sozusagen 
ein Vergrößerungsglas aufgesetzt. Diese Umwandlungen haben sich 
besonders bewährt und die fruchtbaren Arbeiten der Kopenhagener 
Sternwarte wesentlich gefördert, zum Teil erst, ermöglicht. Das Ver- 
schwinden der Spitze bei Anwendung dieser Koordinaten zeigt die 
Darstellung der Burrauschen Ejektionsbahn in E und F (Fig. 1). 

Die einfach-periodischen Bahnen von P bilden eine vierfache 
Mannigfaltigkeit, da sie von vier Parametern: der Periodenlänge, der 
Energiekonstante, der Zeit und der Länge der Konjunktion“’) abhängen. 
Legt man aber die Hauptmassen und ihre Entfernung von vornherein 
fest und sieht von den beiden letzten Parametern ab, so reduziert 
sich die Lösung nach @. H. Darwin auf eine einfache Mannigfaltig- 
keit. Wenn man mit ihm als bestimmenden Parameter der Bahn die 
Konstante C von Jacobi ansieht, so können zu einem und demselben 
Werte dieser zwar nicht unendlich viele, aber doch mehrere verschiedene 
periodische Bahnen gehören. 

Darwin zog nur solche Bahnen in Betracht, welche die &-Achse 
zweimal senkrecht schneiden, ließ also diejenigen unberücksichtigt, 
die paarweise symmetrisch zu dieser Achse verlaufen — wie diejenigen, 
welche sich um L, und L, schlingen. 

Für die Entdeckung seiner Bahnen ging er von einem bestimmten 
Werte von C aus, wählte eine Ausgangsabszisse &,, bestimmte die 
nach dem Jacobischen Integral aus © und &, folgende Anfangsge- 


E und F [vgl. Thiele 1. c. und Strömgren, Kopenhagen Obs. Publ. 14 (1913) und 
Astr. Ges. Vjs. 48 (1913), p. 286] auch das kanonische System der vier Glei- 
chungen erster Ordnung Anwendung finden können. In der Eulerschen Trans- 
formation der Zeit sehen wir die Nachfolgerin der im Zweikörperproblem nützlichen 


andt=rdE 
und die Vorgängerin der Sundmanschen (Fußn. 30) 
di=doa]fı—e "rm, 
izk 
durch welche in den Problemen, denen sie angepaßt sind, nicht nur die Koor- 
dinaten und die Zeit in geschlossener Form dargestellt werden, sondern die auch 
den besonderen Wert haben, in den singulären Fällen des Zusammenstoßes das 
Problem zu uniformisieren. Vgl. A. v. Brunn, Bemerkungen zum Dreikörper- 
problem, Danzig naturf. Ges. Schriften XV 3 (1920). Eine Verwendung des Zwei- 
zentrenproblems für die Lösung des Dreikörperproblems regt Charlier II, p. 354 
an und führt H Samter, Astr. Nachr. 217 (1922), p. 129—152 näher aus. Die 
Kurven der Nullgeschwindigkeit in den elliptischen Koordinaten E und F’ geben 
Burrau u. Strömgren, Kopenhagen Obs. Publ. 18 (1914) = Astr. Nachr. 197 (1914), 
No. 4721. 
47) H. Poincare, Meth. nouv. I, p. 101. 


5. Die systematische Behandlung des restringierten Problems. 973 


schwindigkeit n,, die der 7-Achse parallel ist, und berechnete durch 
numerische Integration die Bahn für einen halben synodischen Um- 
lauf. Nach diesem wird die &-Achse im allgemeinen nicht wieder 
normal geschnitten. Erst ein mehrfach ausgeführter Versuch mit 
‚verschiedenen &, und eine schließliche Interpolation lieferte eine perio- 
dische Bahn. Auf diese Weise suchte Darwin für die Massen S —= 10, 
J=1, die Entfernung JS=1 und die Gravitationskonstante Eins, 
das Feld der einfach-periodischen Bahnen von C = 37 bis C = 40 ab. 

Es sind demnach die zu einer periodischen Bahn gehörigen Para- 
meter C und &, voneinander nicht unabhängig, die Beziehung zwischen 
ihnen ist aber so transzendent, daß sie sich wiederum nur durch das 
Experiment nach Auffindung der Periodizitätsstellen numerisch an- 
geben und graphisch darstellen läßt. Natürlich kann man auch &, 
oder n, statt C als Ausgangswert benutzen, einen zweiten Parameter 
versuchsweise variieren, die dritte ist dann ein Datum der beiden 
anderen. Endlich kann man etwa von einem bestimmten Wert E, 
der Koordinate E ausgehend die dem Jacobischen C entsprechende 


Konstante K oder F, — (= 
ein transzendenter Zusammenhang zweier dieser Größen für die sup- 
ponierte Periodizität. Diesen kann man graphisch durch eine „cha- 
rakteristische Kurve“ ausdrücken.) Man erkennt dann, daß z.B. $, 
keine eindeutige Funktion von C ist, daß C vielmehr als Funktion 
von &, Maxima und Minima aufweist. Darwin nahm die extremen 
Werte von C als Grenzen einer seiner „Familien“ an. Geht man von 
einem solchen Werte von C aus, so treten bei einer geringen Varia- 
tion periodische Bahnen paarweise auf“), und diese Paare durch eine 
künstliche Einteilung zu trennen, liegt keine Veranlassung vor, da 
sie analytısche Fortsetzungen von einander sind. Natürliche Grenzen 
von „Klassen“ periodischer Bahnen kann man eher bei solchen Kurven 
suchen, an denen für den Übergang zu Nachbarkurven eine Diskon- 
tinuität in den Geschwindigkeitskomponenten eintritt, d. h. bei den 


) variieren. In jedem Falle besteht 
v=0 





48) J. Fischer-Petersen, Kopenhagen Obs. Publ. 27 (1917) = Sirius 50 (1917), 
p. 185— 205. 

49) H. Poincare (zitiert bei Darwin, Seient. pap. IV, p. 41). Moulton, Per. 
orb. chap. 16 macht dies so klar: Im Zweikörperproblem besteht das dritte Kep-. 
lersche Gesetz n?= a”"°. Dies liefert für & als Funktion von n einen reellen 
und zwei komplexe Werte. Im restringierten Problem entspricht dem n? die Jacobi- 
sche Konstante. Zu einem Werte derselben gehören drei Bahnen, von denen 
zwei komplexe Koordinaten haben können, doch ist das Auftreten noch eines 
Paares reeller Bahnen zu der einen immer vorhandenen möglich, und zwar von 
solchen Stellen an, wo zwei komplexe Bahnen in eine reelle zusammenschmelzen. 


974 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Ejektionsbahnen, wo dieselben in 5 oder J unendlich werden. Zwar 
würde die Diskontinuität bei Benutzung der Thieleschen Transforma- 
tion verschwinden, aber bei der analytischen Fortsetzung — in E 
und F' — über die Ejektionsbahn hinaus ändert sich der Charakter 
der Bahn insofern, als sie einen Doppelpunkt auf «er &-Achse erhält, 
wenn sie vorher keinen hatte, und sich erst nach Vollendung einer 
Schlinge um die nähere Masse schließt. Doch ist auch dieses Cha- 
rakteristikum für die Einteilung der Bahnen und die Begrenzung von 
Bahnklassen nicht wesentlich. 


6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten 
Problems. I. Die Librationen um L,°) (Fig.2.) Hier hat Gylden 
(Encykl. VI2, 12 (Whittaker), Nr. 6 in Fußn. 39) zuerst analytisch 
die Möglichkeit einer Libration gezeigt, Thiele eine solche numerisch 
berechnet, Burrau die hierher gehörige Ejektionsbahn gefunden. Der- 
selbe behandelte dort, wo P nahe an S oder J herankommt, das 
Problem in Analogie mit dem Zweikörperproblem, da die Anziehung 
des näheren bedeutend überwiegt, und entwickelte für den Teil der 
Bahn, der mit großer Geschwindigkeit durchlaufen wird, die Ko- 


ordinaten von P nach Potenzen von #. Die Bahn ließ sich dann 
annähernd so bestimmen, daß ihre andere Begegnung mit der &- 
Achse normal ist. Später wurden die Koordinaten in dieser Bahn 
nach ZThieles Methode gerechnet, durch Interpolation in eine Fou- 
riersche Reihe nach Vielfachen eines Winkels v—=xYy entwickelt 
und damit wieder die rechten Seiten der T'hieleschen Differentialglei- 
chungen hergestellt. So fand sich durch erneute Integration die Dar- 
stellung der elliptischen Koordinaten E und F verbessert, und es war 
ein Mittel gewonnen, durch Variation der Koeffizienten und der Periode 
in diesen Ausdrücken die gerechnete Ejektionsbahn feiner abzuschleifen 
und die an diese angrenzenden periodischen Bahnen aufzusuchen. In- 
zwischen hatte auch Darwin diese Satellitenklasse verfolgt. In der 
Nachbarschaft von L, bzw. L, hat die relative Bahn die Form einer 
Ellipse, deren große Achse der n-Achse parallel ist, und deren Ex- 
zentrizität für S=J (m, = m,) etwa 0,9 beträgt. Die folgenden 
Ellipsen platten sich gegen den nähern Massenpunkt (J für L,) hin 
ab, vertiefen sich sodann, bis die Ejektionsbahn mit ihrer Spitze in 
J(m,) auftritt, und die Fortsetzung ergibt Schlingen um J(m,). 

II. Die Librationen um L, sind ganz entsprechend und liegen 
für S= J symmetrisch zu 1. 





50) Encykl. VIs, 12, Fußn. 39, 40, 41 und 43. Strömgren, Kopenhagen Obs. 
Publ. 14 (1913) und Astr. Ges. Vjs. 48 (1913), p. 222. 





E Fig. 1. Burraus Ejektionsbahn 
nach Thieles Transformation. 


= . >% 

2 \/ a = 

1%: ee 
BE 


Fig. 2. Klasse I. Fig. 3. Klasse III. 





A 





























IN 





A 
I ———— | 








se 
NW 





I ——— | 
eg 





Denen ne za 
E x 5 2 R3 
o ° o © 








70 



































x 6 -o 
Fig. 4. Klasse V, 











976 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


III. Die Librationen um L, (Darwins osz. Sat. a).’') (Fig. 3.) 
Die abschließende periodische Ejektionsbahn wurde von (©. Burrau 
und E. Strömgren berechnet. Weil L, für m = m, in der Mitte 
dieser Massen liegt, sind die periodischen Bahnen für diesen Fall 
symmetrisch zur Mittelsenkrechten von $J. Die periodische Ejektions- 
bahn geht von einer Masse aus und in die andere hinein, von der 
sie ursprünglich weggerichtet war. Die Fortsetzung dieser Klasse 
über die Massenpunkte hinaus liefert Bahnen mit je einer Schleife um 
einen Massenpunkt. Die periodische Ejektionsbahn wurde in eine 
Fouriersche Reihe nach Vielfachen von xy entwickelt. Die unendlich 
kleinen Bahnen um ZL, hatte Charlier analytisch entwickelt und ihre 
Periode berechnet.’?) Sie sind ellipsenähnlich mit Exzentrizitäten von 
0,974 für S= J, von 0,951 für das Verhältnis $:./ wie die Sonnen- 
masse zur Erdmasse. Bei ihrer Fortsetzung nehmen diese Kurven 
immer mehr die Form der Cassinischen an mit Einbuchtungen in der 
E-Achse. 

IV. Librationen um L, und L,°?) C. L. Charlier zeigte‘) die 
Existenz je zweier Scharen von kleinen ellipsenähnlichen Bahnen um 
L, und um Z, als Mittelpunkte, deren kleine Achsen nach der größeren 
Masse weisen. Die Scharen um Z, sind zu denen um L, mit Bezug 
auf die &-Achse symmetrisch. Die eine Gruppe enthält Bahnen, deren 
Periode wenig größer als die Umlaufszeit von $ und J um den ge- 
meinsamen Schwerpunkt ist, die andere hat eine sehr lange Periode, 
die mit verschwindendem Massenverhälkaig > ins Unendliche wächst. Die 


51) Darwin, 1. c.; Moulton, Orb., u. Strömgren, Astr. Nachr. 197 (1914), p. 273. 
Hier auch Umrechuungstafeln für die elliptischen in geradlinige Koordinaten 
und umgekehrt. 

52) COharlier II, p. 133. 

53) Encykl. VI 2, 12 (Whittaker), Nr. 6 und Fußn. 45 u. 45a und VI, 15 
(Sundman), Nr. 41 und Fußn. 103. Von den zahlreichen Arbeiten über diesen 
Fall scheint die erste seit Lagrange die von Liouville, Conn. d. Temps 1845, zu 
sein. Die notwendige Bedingung für die Möglichkeit kleiner Schwingungen ist 
von Routh [London math. Soc. Proc. 6 (1875), p. 86] für den allgemeinen Fall, 
daß auch P endliche Masse habe, gegeben. Er zitiert nach Jullien, Problemes 
de m&canique rationelle, 2. Aufl. Paris 1867, eine These von Gascheau, wo sie 
schon abgeleitet sein soll. Eine andere Herleitung gibt P. Pedersen, Astr. Nachr. 
211 (1920), p. 33—42 = Kopenh. Obs. Publ. 35: Die Erweiterung der Lagrange- 
schen Dreieckslösungen im allgemeinen Dreikörperproblem. Moulton, Orb. 
chpt. 16, behauptet, daß die Routhsche Bedingung für Schwingungen in größe- 
rem Abstande von ZL, resp. L, nicht notwendig sei. Die von ihm berechneten 
periodischen Bahnen, für die er Zeichnungen gibt, sind jedoch nicht überzeu- 
gend, vielleicht nicht existierend, denn die wiedergegebenen Zahlen enthalten 
Fehler (E. Strömgren, 1. c. Fußn. 65). 

54) Charlier II, p. 122—137 mit Zeichnung, Lund Obs. Medd. 18 (1901). 








6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems. 977 


Gruppe der kurzperiodischen Bahnen wurde von H. R. Willard?®) auf 
immer größere Entfernung von L, resp. L, verfolgt, wobei die Kurven 
die elliptische Gestalt und die konzentrische Lage nicht beibehielten. 
Die langperiodische Gruppe fand in E. W. Brown°®) einen Bearbeiter. 
Beide benutzten die Methode von Hill.) F. J. Linders?®) berechnete 
Periode und Amplitude der relativen Bahn eines Planeten der Jupiter- 
gruppe als langperiodische Libration von etwa 150 Jahren. Am größ- 
ten ist die Amplitude des fünften unter diesen Planeten mit 19029.5%) 
A. Koref‘®) zeigte durch eine numerische Untersuchung der bisherigen 
Erscheinungen des Planeten (624) Hector, daß diese Bahn tatsächlich 
jene kurze Periode von etwa 12 Jahren hat und eine Ellipse darstellt, 
in der jedoch ZL, exzentrisch liegt. Dies mag daran liegen, daß die 
Theorie von Charlier, nach der L, in den Mittelpunkt fällt, nur die 
erste Potenz des Abstandes PL, in Betracht zieht oder an der Ex- 
zentrizität der Jupiterbahn, denn das von der Natur gestellte Problem 
gehört nicht zum idealisierten Fall des restringierten, sondern zu den 
Librationen im allgemeinen Dreikörperproblem. 

V. Bahnen um eine der endlichen Massen m,, welche gegen das 
bewegliche Achsensystem rückläufig sind (Fig. 4). Die elliptischen Ko- 
ordinaten für unendlich kleine rückläufige Librationen um einen Massen- 
punkt entwickelte Fischer-Petersen®') in Fouriersche Reihen und zeigte, 
daß die von Burrau und Strömgren‘?) numerisch erlangten periodi- 
schen Bahnen die analytische Fortsetzung jener sind. Die Bahnen 


55) H. R. Willard, London Astr.Soc.M.N. 73 (1913), p. 482 mit Zeichnungen 
unter Annahme des tatsächlichen Massenverhältnisses zwischen Sonne und Jupiter. 
56) E. Brown, ebenda 71 (1911), p. 438 mit Zeichnungen und 72 (1912), p. 614. 

57) @. W. Hill, Math. Works, p. 284 und Encykl. VI», 12 (Whittaker), Nr. 6 
Fußn. 46, 47 und. Charlier II, p. 137—172. 

58) J. F. Linders, Arkiv for Mat. Astr. 4 (1908), Nr. 20. 

59) A. Wülkens, Untersuchungen zu einer Störungstheorie der Planeten der 
‚Jupitergruppe, Heidelberg Akad. Ber. 1918, und Astr. Nachr. 215 (1920), p. 249 
—264. In der letzten Arbeit findet er auch säkulare Störungen der großen 
Achse und damit solche der mittleren Länge bis zu 27° im Jahrhundert. Er er- 
kenut selbst, daß, da die Glieder der Gruppe stets in der Nähe von L, bzw. L, 
‚entdeckt wurden, solche Störungen unmöglich sind, und daß das Paradoxon aus 
der Ungenauigkeit der vermittelnden Bahn herstammt. Für alle bisher entdeckten 
Mitglieder der Gruppe liegen auch die Knoten der Bahnebene nahe beieinander, 
besonders nahe, wenn man die beiden gegen Jupiter um 60° zurückbleibenden 
ausnimmt. 

60) A. Koref, Astr. Nachr. 216 (1918), p. 235. 

61) J. Fischer-Petersen, ebenda 202 (1916), p. 201—204 — Kopenh. Obs: 
Publ. 23. 

62) E. Strömgren u. C. Burrau, ebenda 202 (1916), p. 185—202 = Kopenh! 
‚ebenda. : 

Encyklop. d. math. Wissensch. VI2. 64 


978 VIs,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


haben die Form von Kreisen um eine Masse, die aber exzentrisch 
liegt und von der anderen abgestoßen erscheint. Dieselben gehen 
dann in Formen über, die von der äußeren Masse her eingedrückt 
erscheinen, und enden mit einer Ejektionsbahn. Innerhalb dieser Gruppe 
hat die Jacobische Konstante ein Minimum, und beiderseits der diesem 
zugehörigen Bahn treten die demselben Werte der Konstanten zuge- 
ordneten Bahnen, die einander sehr ähnlich sind, paarweise auf. 

VI Direkte Bahnen um eine der endlichen Massen m, (Fig. 5). 
Die analytische Behandlung dieser Bahnen von Hill?”) war der Aus- 
gangspunkt aller Untersuchungen über die periodischen Bahnen. In 
den elliptischen Koordinaten E, F gab J. Fischer-Petersen‘?) die Ent- 
wicklung in Fouriersche Reihen für die Koordinaten in den unend- 
lich kleinen Bahnen dieser Art und konnte so zeigen, daß die nume- 
rischen Ergebnisse, die Burrau und Strömgren“) für endliche Bahnen 
dieser Art ermittelt hatten, in guter Übereinstimmung mit seinen Ent- 
wicklungen waren, in desto besserer, je mehr die Bahn dem Haupt- 
körper genähert war, so daß die Ergebnisse des numerischen Experi- 
mentes sich als Fortsetzungen der analytisch entwickelten sehr kleinen 
Bahnen darstellen. Schon @. H. Darwin hatte dieser Gruppe ein ein- 
gehendes Studium zugewendet. Seine Ejektionsbahn, die zu beiden 
Seiten der &-Achse je eine Schleife hat, zu berechnen, war ihm an- 
nähernd gelungen, genau bestimmt wurde sie erst mit Hilfe der 
Thieleschen Transformation durch die Arbeiten der Kopenhagener 
Sternwarte. Seine Satellitenfamilie B (Fig. 6) bildet aber mit C (Fig. 7) 
ein einziges System, da die charakteristische Kurve in diesem Gebiete 
ein Maximum aufweist. 

Die Kopenhagener Arbeiten®) haben den Übergang von der in 
Fig. 5 abgebildeten Klasse zu den Darwinschen B und © völlig auf- 
gedeckt. Setzt man nämlich die Entwicklungen über die Ejektions- 
bahn in Fig. 5 hinaus fort, bei der man vordem den Abschluß einer 
Klasse sah, so erhält man nacheinander die in Fig. 8, 9, 10 und 11 
gezeichneten Bahnen. Die letzte ist wiederum eine Ejektionsbahn. 
Die ferneren Rechnungen führten über die Bahnen in Fig. 12 und 13 
zu der völlig einfachen Bahn in Fig. 14 hin, womit der Anschluß an 
Darwins Familie B erreicht ist. Verfolgt man die Reihe weiter, so 
gelangt man zu der der v. Haerdilschen Bahn benachbarten periodi- 


63) J. Fischer- Petersen, Astr. Nachr. 200 (1915), p. 385—404 —= Kopenh. 
Obs. Publ. 22. 

64) E. Strömgren u. ©. Burrau, ebenda 200 (1915), p. 313—330 = Kopenh.. 
Obs. Publ. 21. 

65) E. Strömgren, Congr. Math. Helsingfors 1922 = Kopenh. Obs. Publ. 39.. 
























































+0 2 £ Zt, 
7 
A/494421 16955 
= a u FE 
«08 — s 
Kr ca fi192 
N 
Fig. 8. 
Zu Klasse VI. 
40 | GR) 
Fu n 
ANg h 
“is re N 
U) N RR 5 
Tz — hr +4;10 Kr ca Mzı. 
Fig. 5. Fig. 9. 
Zu Klasse VL Zu Klasse VI. 





Fig. 6. 
Aus Darwin, per. orb. 


Zu Klasse VI. 





FIG. 3. 
FAMILY 0 OP SATELLITES 
Tbe values of C are 
given for each curve 


= 37-5 not rigoronaly 


Fig. 7. 
Aus Darwin, per. orb. 


Zu Klasse VI. 








64* 








u 


4 





-2.0+ 








\ 
« | 


2 


K =: /0 03811. 


Fig. 10. 


Zu Klasse VI. 


R 


N 








r 


m, 
K -I0.2381r. 





Fig. 12. 


Zu Klasse VI. 


N 








A = /0.62903. 





Fig 11. 
Zu Klasse VI. 


1.1 





-[, 


Kellzıca. 





Fig 13. 
Zu Klasse VI. 











= 
‘ 


e 1 


> 
» 








we a 
a 




















a K= 14.2563 Ge 
r H K-I3.5384. 
Fig. 14. Fig. 15. Zu Klasse VI 
Zu Klasse VI. - (Per. Nachbar zu v. Haerdiis Bahn.) 
m 2? 
A A 
| 3 | 
Mi, > & m; > 
] Fr | = 
K'- 10.8073. 
K:= Groscs. 
Fig. 16. Fig. 17. 
Zu Klasse VI Zu Klasse VI 


m; Bi 


K- 9658635. 





m, 
K- Froscs 


a Fig. 18. 
Zu Klasse VI 























IN; 


957516 


K- 


[0 15169. 


= 


K 


Fig. 19. 
Zu Klasse VI. 


"IA OsseIy nz 08 "ÖHT 


me.) 


27) 


"IA 9ssuIy nz ’I8 "dd 


S9n6 } -M 


7. 


+0]/- 





+7 








.07] 











6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems. 983 


schen Bahn (Fig. 15), die schon zur Familie C gehört. Hieran schließen 
sich die übrigen Bahnen dieser in stetiger Folge an. Die in Fig. 16 
verzeichnete ist als neue Ejektionsbahn der Darwinschen (Fig. 7) ent- 
sprechend. (Die Abweichungen in der Gestalt sind durch das abge- 
änderte Massenverhältnis hinreichend erklärt.) Die Fortsetzung führt 
zu Schleifenbahnen (Fig. 17, 20, 21), deren Entwicklung in der Nähe 
des Massenpunktes Fig. 18 und 19 verdeutlichen. 

VII. Rückläufige und VII. direkte Bahnen um die andere Masse m, 
zeigen die ganz entsprechende Gestalt, die für m, = m, mit der von 
V. und VI. symmetrisch ist. 

IX. Bahnen um beide endlichen Massen, die im bewegten System 
direkt sind (Fig. 22). Man gelangt über eine Gruppe solcher Kurven 
zu einer Doppelejektionsbahn, die je eine Spitze in den Massenpunkten 
und zwei Schlingen auf der 7-Achse hat, und die Burrau und Ström- 
gren®®) bestimmt hatten, wie auch eines der Mitglieder der Gruppe, 
das auf jeder Seite der n-Achse eine Spitze hat. Eine zweite Gruppe 
findet sich, wie Lous durch Untersuchung der „charakteristischen Kurve“ 
feststellte, in der Gegend, wo der Anfangswert F, von F' als Funk- 
tion der Jacobischen Konstanten ein Maximum hat. Diese zweite 
Gruppe entfernt sich auf der &-Achse um höchstens ;, des Abstandes 
der beiden Massenpunkte nach außen (Fig. 22). Verfolgt man die 
periodischen Bahnen von der Ejektionsbahn aus nach innen, so erhält 
man solche, die um jede der endlichen Massen in einer Schleife herum- 
gehen (Fig. 24), nach außen aber schließen sich schleifenlose Bahnen 
an (Fig. 23).°®) 

X. Bahnen um beide endlichen Massen, die im bewegten Koordi- 
natensystem rückläufig, im ruhenden direkt sind. Die unendlich kleine 
Masse P wird in großer Entfernung von den endlichen in einer an- 
nähernd Keplerschen Bewegung begriffen sein, z. B in einer Kreis- 
bahn um den Schwerpunkt, welche gegen ein im Raume festes Ko- 
ordinatensystem in direktem oder retrogradem Sinne, gegen das sich 
drehende System aber stets in retrogradem Sinne zurückgelegt wird. 
Moulton®*) zeigte, daß aus jeder von diesen beiden Bewegungen mit 
Annäherung an die endlichen Massen je eine Klasse einfach-periodi- 
scher rückläufiger Bahnen mit reellen Koordinaten hervorgeht, deren 

65a) Ebenda 26 u. 32 = Astr. Nachr. 203 (1917), p. 277 u. 209 (1910), p. 241. 

65b) Die Kopenhagener Untersuchungen, die noch nicht definitiv abge- 
schlossen sind, machen es für diese beiden Untergruppen fast gewiß, ebenso wie 
sie es auch für die nächste Gruppe wahrscheinlich machen, daß sie in Bahnen 
enden, in denen P sich den Librationspunkten Z, und L, asymptotisch nähert. 


66) F. R. Moulton, Trans. Amer. math. Soc. 13 (1912), p. 96—108 — Moul- 
ton, Orb. chapt. 12. 


984 VI»,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Abweichung von der Kreisbewegung daher rührt, daß die endlichen 
Massen durch eine endliche Distanz getrennt sind. P. Pedersen®”) ent- 
wickelte diese für große Werte der Entfernung R vom Schwerpunkt 
in Fouriersche Reihen nach Vielfachen von 
v1 FR ia HER HaRN le, 

wo — für die im absoluten Sinne direkte, + für die retrograde Be- 
wegung gilt, bis zu Gliedern 7. Ordnung in R-!. Strömgren und 
Fischer-Petersen®®) gaben einige dieser periodischen Bahnen, die im 
ruhenden System direkte Bewegung aufweisen, für endliche Werte 
von R, die aus vielen durch numerische Integration erlangten inter- 
poliert waren. Die äußerste derselben befindet sich mit Pedersens 
Reihenentwieklungen in guter Übereinstimmung. Von der Kreisform 
gehen diese Bahnen in ellipsenähnliche über, buchten sich dann in 
der n-Achse (für m, = m,) ein; sodann erscheint eine Bahn, die dort 
zwei symmetrisch zur &-Achse gelegene Spitzen hat, und schließlich 
treten Bahnen auf, die um die 7-Achse zwei symmetrische Schleifen 
zeigen, wie Fig. 25 und in größerem Maßstabe Fig. 26 zeigen. 

XI Bahnen um beide Massen, die im bewegten und im ruhenden 
System rückläufig sind. Die weiteren Bahnen dieser Art sind nahezu 
kreisförmig (Fig. 27), sie platten sich aber mit Annäherung an die 
Massen allmählich ab (Fig. 28), wobei die Bahngeschwindigkeit in 
. stetigem Wachsen begriffen ist. Auf der innersten Bahn bewegt sich 
P mit in jedem Punkte unendlich großer Geschwindigkeit zwischen 
den Massen geradlinig hin und her.) 

XH. Unerwartete Bahnen. Im Laufe ihrer Untersuchungen stießen 
Strömgren und Fischer-Petersen®®) auf solche Bahnen, die, zur &-Achse 
symmetrisch liegend, dieselbe zwischen den Massenpunkten zweimal 
senkrecht schneiden, aber — auch wenn die Massen gleich sind — 
gegen die n-Achse unsymmetrisch sind (Fig. 29). Für einen sin- 
gulären Wert der Jacobischen Konstanten, nämlich ihren Maximalwert 
innerhalb der Klasse XII, existiert aber eine zugleich zur Klasse III 
gehörige, also zur n-Achse symmetrische Bahn dieser Klasse XI. 
Die Verfolgung dieser Bahnen führte für kleinere Werte der Kon- 
stanten zu den in Fig. 30. verzeichneten geometrischen Gebilden.°°) 
Man erkennt, daß für einen dem letzten sehr nahen Werte derselben 


67) P. Pedersen, Astr. Nachr. 207 (1918), p. 297—304 = Kopenh. Obs. Pub]. 30. 
68) E. Strömgren u. J. Fischer-Petersen, ebenda 207 (1918), p. 289—298 
= Kopenh. Obs. Publ. 30. 
69) E. Strömgren u. J. Fischer-Petersen, ebenda 203 (1916), p. 411—424 
= Kopenh. Obs. Publ. 26. 









































Fig. 22. 
Zu Klasse IX. 


K»/0.6006 





Fig. 28. 
Zu Klasse IX. 































































































"IX 9ss8[y uZz 8% "BIT 
wioy=oy 


BE 00-:M 














-[X OssuIy nz "18 "BI 





















































Fig. 29. Zu Klasse XU. 








988 VIs2,19. AH. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


die beiden Windungen der Bahn in eine zusammenfließen. In der ana- 
lytischen Entwicklung zeigt sich das darin, daß die von den geraden 
Vielfachen eines Winkels abhängenden Glieder der Fourierschen Rei- 
hen verschwinden. Von dieser singulären Bahn ab kehren sich die 
beiden Windungen um, und die Entwicklung läuft über 30b nach 30a 
usw. zurück. So bildet diese Klasse eine in sich geschlossene, sich 
bei Fortsetzung immer wiederholende Gruppe. Vielleicht ist ähnliches 
auch in anderen Klassen der Fall. 

Von einer XIII. Gruppe zur n-Achse unsymmetrischer librations- 
ähnlicher Bahnen wurden in Kopenhagen bisher zwei Individuen ge- 
funden, die zahlenmäßig von der XII. Gruppe abweichen. 

Endlich hat @. H. Darwin eine XIV. Gruppe oo-förmiger Bahnen 
angegeben’), die abwechselnd um einen Librationspunkt und eine der 
endlichen Massen laufen. 

7. Fälle des nichtrestringierten Dreikörperproblems. 

a) P sei unendlich klein: 

&) Die Bahnebenen fallen zusammen. — W. W. Heinrich”") wurde 
bei der Annahme, daß J und S sich um ihren Schwerpunkt in Ellipsen 
bewegen, zur Aufsuchung gewisser singulärer Kurven geführt, die zu 
den Hillschen Grenzkurven in Beziehung stehen und deren Form vom 
Massenverhältnis wesentlich abhängt. In der Nähe dieser Kurven, die 
er Resonanzkurven nennt — weil der Übergang vom restringierten 
Problem zu demjenigen für e > 0 Schwingungen von P erzwingt, die 
der Resonanz der Saiten verglichen werden können —, gibt die aus 
dem einfacheren Problem abgeleitete Bahn nur ein verwaschenes Bild 
der wirklichen. Für die Bewegung eines Jupiterplaneten in der Nähe 
von L,, d. h. also eines Punktes, der auch hier mit S und J ein 
gleichseitiges Dreieck bildet, addiert sich diese erzwungene Schwin- 
gung zu der vom restringierten Problem erforderten. Analoges gilt 
für die kollinearen Librationszentren. 

70) Darwin, Seient. pap. IV, p. 169 ff. 

71) W. W. Heinrich, Astr. Nachr. 194 (1912), p. 209 und Astr. Ges. Vjs. 48 
(1913), p. 244—247 sowie Prag. Ges. Wiss. Ber. 1913 und Astr. Nachr. 206 (1917), 
p. 90: Über die singulären Punkte gewisser Ungleichheiten im asteroidischen 
Problem. In der Nähe gewisser kritischer Punkte ist das erweiterte Problem 
mit e' >0 als analytische Fortsetzung der im restringierten Problem gefundenen 
Lösung nicht möglich, ohne daß man auf divergente Reihen stößt. So kann man 
überhaupt von den Poincareschen Lösungen erster Gattung, bei denen die Ex- 
zentrizität mit dem Massenverhältnis verschwindet, nicht allgemein zu denen der 
zweiten Gattung übergehen, bei denen die erstere mit dem Verschwinden der 
letzteren einen endlichen Wert behält. Dies wird am Beispiele des Hekubatypus 


nachgewiesen (Encykl. VI 3 12, Nr. 6), wo Whittaker schon Simonin zitiert. Vgl. 
Kepinski, Astr. Nachr. 194 (1913), p. 49. 


7. Fälle des nichtrestringierten Dreikörperproblems. 989 


A. Wilkens®”) geht von der langperiodischen Lösung als inter- 
mediärer Bahn aus und sucht die Störungsgleichungen unter Bevor- 
zugung derjenigen der mittleren Länge als des stärkstgestörten Ble- 
mentes zu integrieren. Auch gab er Methoden zur Ermittlung der 
allgemeinen und der speziellen Störungen dieser Planetoiden”); da 
die Differenz der Reziproken von PJ und 8.J hier eine kleine Größe 
ist, so beginnt die Störungsfunktion mit Größen zweiter Ordnung; die 
Differentialgleichungen für die rechtwinkligen Koordinaten integriert 
er direkt, indem er von einem besonderen System oskulierender Ele- 
mente ausgeht, bei dem der wesentliche Teil der Störungen durch J 
als von der nullten Ordnung von vornherein berücksichtigt ist. 

ß) P bewegt sich nicht in der Bahnebene von 5 und J. — Hier 
führen die Knotenlänge und die Neigung eines in der Nähe von Z, 
bzw. L, bleibenden Körpers eine Oszillation um eine gewisse mittlere 
Lage aus, deren Periode der Umlaufszeit des störenden Planeten gleich 
ist, und zwar ohne säkulare Änderung. ”!) 

Räumliche Oszillationen um die Librationszentren behandelte 
Moulton”?) und zeigte, daß sie auf elliptischen Zylindern verlaufen; 
die periodischen Bahnen ähneln einer Feuerzange, von der ein Griff 
oberhalb, der andere unterhalb der Bahnebene von S und J liegt. Die 
Projektion von P auf diese Ebene bewegt sich retrograd, wenn $ und 
J direkt umlaufen. Vor die Aufgabe, ein solches Problem numerisch 
zu behandeln, stellte auch die Entdeckung des achten Jupitersatelliten, 
der in-so großer Entfernung von seinem Planeten kreist, daß die An- 
ziehung durch die Sonne seine Bewegung fast instabil macht, die 
sonst im Sonnensystem vorliegenden Vereinfachungen also nicht vor- 
liegen. Die großen Schwingungen insbesondere der Bahnebene zeigten 
so Crommtlin und Cowell.%) 


b) Alle drei Massen seien endlich. — Nur der Fall, daß sie sich 
in derselben Ebene bewegen, ist numerisch in einigen Fällen durch- 
geführt worden. Schon dieser erfordert, weil nicht wie im vorigen die 
Bewegung von S und von J als gegeben angesehen werden kann, die 
dreifache Arbeit. Den Fall anfänglich kollinearer Massen m, — 2, 
m, = 1, m, = 1 mit gegebenen Anfangsdistanzen und der Bedingung, 


72) A. Wilkens, Astr. Nachr. 205 (1917), p. 145 und ebenda 214 (1920), 
p. 17—34. W. Drucker, der hiernach die speziellen Störungen eines Jupiterpla- 
neten berechnete, fand hierdurch keine Erleichterung (Fußn. 19). 

73) Moulton, Orb. p. 151—198 mit Figuren. Vorher Math. Ann. 73 (1913), 
p. 441—479. Die Methode ist die Plummersche (Encykl. VI 2, 12, Nr. 6, Fußn. 45), 

74) P. H. Cowell u. A.C. D. Crommelin, London Astr. Soc. M. N. 69 (1909), 
p. 430 mit Abbildungen. 


990 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


daß die Einheitsmasse um die doppelte mit den Geschwindigkeiten 
beginnen sollen, die jeden von beiden, falls der andere fehlte, in eine 
Kreisbahn um die größte Masse zwingen würde, behandelte Ström- 
gren”°) durch numerische Integration, wobei statt des hier nicht mehr 
gültigen Integralsatzes von Jacobi der von der Erhaltung der Energie 
als Kontrolle diente. Bei den ersten Annahmen entfernte sich der eine 
Einheitskörper allmählich von den beiden anderen, die sich immer 
mehr zusammenschließen, so daß diese schließlich ein Doppelstern- 
system bilden, dessen Bewegung von dem ersten nur wenig gestört 
wird. Dieser beschreibt aber eine langgestreckte Ellipse um das System 
jener, auf welcher — wie es scheint — er später zu ihnen zurückkehrt. 
Durch Abänderung der Anfangsbedingungen gelang es, ein System 
von drei Körpern zu konstruieren, die periodisch in ihre anfängliche 
relative Lage gegeneinander zurückkehren (Fig. 31). Sind sie wieder 
kollinear, so hat jeder die Hälfte einer geschlossenen ellipsenähnlichen 
Figur beschrieben, die sich in der gleichen Zeit sodann völlig schließt. 
Ein Vergleich mit den bekannten Librationen um die kollinearen 
Zentren und die mathematische Untersuchung ließen erkennen, daß 
das Problem sich aus zwei voneinander unabhängigen periodischen 
Lösungen zusammensetzt: 1. der retrograden Bewegung der Einheits- 
massen in indirekt homothetischen Ellipsen mit derselben Periode, 
mit der das System der relativen Koordinaten rotiert, 2. einer retro- 
graden periodischen Bewegung aller drei Massen, wobei stets die glei- 
chen in derselben Phase auf ähnlichen Ellipsen, die ungleiche mit 
der Phasendifferenz 4 herumschwingt. Wir haben in 1. eine Erweite- 
rung des Lagrangeschen Falles, wobei statt der Kreisbewegungen der 
drei Massen elliptische der beiden gleichen um die größere eintreten, 
oder wo die endlichen Massen sich sämtlich in Ellipsen um den ge- 
meinsamen Schwerpunkt bewegen mit wechselnden Distanzen, deren 
Verhältnis aber konstant bleibt; in 2. eine neue periodische Lösung 
des Dreikörperproblems, die den reinen Librationen um die L im re- 
stringierten Fall entspricht. Daß die erhaltene Lösung die analytische 
Fortsetzung jener ist, zeigen die numerischen Verhältnisse. Bei dem- 
selben Massenverhältnis, aber abgeänderten Anfangsbedingungen konnte 
Strömgren Bewegungen feststellen, in denen die kleinen Massen der 
großen so nahe kommen, daß fast Ejektionsbahnen entstehen (Fig. 32). 

In einem von Burrau”®) behandelten Falle (m, : my: m; = 5:4:3 
mit Nullwerten der Anfangsgeschwindigkeiten) ergab die numerische 

75) 1. c. Fußn. 37; Astr. Nachr. 182 (1909), p. 189—198 mit Tafel; Kopenh. 


Obs. Publ. 34 — London Astr. Soc. M. N. 80 (1920), p. 12—32. 
76) C. Burrau, Astr. Nachr. 195 (1913), p. 112. 











K= 6,0337 
K 





Fig. 31. Zum nichtrestringierten 


Dreikörperproblem. 5 
8 


K= 4.9183. 


1 E 
Fig. 30. Zu Klasse XII. 


= 4 3723 








-B3 12 I 109 8 7 6 H.NA 3 
1] 











Fig. 32. Zum 

















nichtrestringierten 
Dreikörperproblem. 
ERS PEST BEBEWECRE | vıPpu mund mem 
} j } ? 
5 2 Ä £ 
! 1 R Br 
H + \ = 
‘ ER 
: 5 
N [3 
R 
% 
»| Fig. 33. Vierkörperproblem. 





992 WVIz2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


Integration, daß die großen Körper einander sehr schnell nahe kom- 
men und eine große Periastronbewegung ausführen, später nähert sich 
der größte Körper dem kleinsten, und ihre Periastren gehen zusammen. 
Diese Bewegung ist aperiodisch. 

War bei Strömgrens Arbeit, wie bei den meisten früheren, eine 
periodische Bahn das Ziel, so sieht K. Bohlin®®) in diesen eine Sin- 
gularität und nimmt dagegen als allgemeine Form im unbeschränkten 
Dreikörperproblem die asymptotische’”) an. Um eine solche zu er- 
halten, erstreckte er für drei gleiche Massen, die sich unter bestimm- 
ten Anfangsbedingungen in derselben Ebene bewegen, die numerische 
Integration für die Differentialgleichungen in Polarkoordinaten über 
zwölf Umläufe im System der beiden inneren und zwei des äußeren 
um den Schwerpunkt jener. Dabei scheint das System sich tatsäch- 
lich einem definitiren Zustand asymptotisch zu nähern, bei dem die 
Bahnen in bezug aufeinander umgekehrt wie am Anfang gelagert sind 
— wo die Periastren einander entgegengesetzt lagen — und es scheint 
sich ein Zustand herzustellen, der den tatsächlichen Verhältnissen im 
Sonnensystem sich besser anschließt als die periodischen Bewegungen.””®) 


8. Das Vier- und das Vielkörperproblem. Auch hier läßt sich 
eine strenge Lösung denken, die eine Erweiterung der Lagrangeschen 
Ergebnisse für drei Körper darstellt (Eneykl. VI 2, 12 (Whittaker), 
Nr. 6, Fußn. 37). Ferner wird ein restringiertes Problem sich heraus- 
heben, bei dem eine Masse unendlich klein ist, die anderen sich in 
streng vorher bestimmten Bahnen bewegen, alle Bewegungen aber in 
derselben Ebene bleiben. Einige derartige periodische Bewegungen 
gab Longley"®) 1. für die Anziehung durch drei kollineare Massen, 
wobei eine Masse in ein von den beiden anderen bestimmtes Libra- 
tionszentrum fällt, 2. für die Anziehung durch neun Körper, die so 
geordnet sind o ® 


und wo die gleich weit von der Mitte entfernten Körper gleichmassig 
sind, zwischen den verschiedenen Massen aber eine Bedingungsglei- 
chung besteht, die die Kreisform der Bahnen von acht Körpern um 
den mittelsten und die gleiche Winkelgeschwindigkeit jedes Quadrupels 


77) Encykl. VI a, 12 (Whittaker), Nr. ?. 

77a) Vgl. das Beispiel der säkularen Perihelbewegung des Uranus nach 
Stockwell bei Charlier I, p. 390. 

78) Longley, Trans. Amer. math. Soc. 8 (1907), p. 159—188. 


8. Das Vier- und das Vielkörperproblem. 9953 


bestimmt, 3. für drei Massen, von denen zwei um den dritten mit 
verschiedener Winkelgeschwindigkeit umlaufen. Die angewandte Me- 
thode ist hier analytisch, nicht numerisch. 

Periodische Bahnen von vier gleichmassigen Körpern in der Ebene 
zeigt ein von A. Möller durch numerische Integration erledigtes Bei- 
spiel?®) (Fig. 33). 

Die Natur bietet einige Beispiele in -den mehrfachen Stern- 
systemen. Das bekanteste ist & Caneri: Zwei Körper A und B laufen 
in einem Abstand von 0”6 bis 170 um den gemeinsamen Schwer- 
punkt, ein dritter C ist in 5”5 Abstand von diesem sichtbar. Ein 
vierter unsichtbarer D ist in 0”2 Entfernung von ( zu supponieren, 
um den Unregelmäßigkeiten in der Bewegung dieses gerecht zu wer- 
den. Nach H. Seeliger?) kann man die bekannten Bewegungen inner- 
halb der Grenzen der Beobachtungsfehler, die bei der Enge des ersten 
Paares sowohl in Distanz als in Positionswinkel erheblich sind, durch 
verschiedene Annahmen über die relativen Massen beider Systeme und 
die Lage ihrer Bahnebenen erklären, weil die Entfernung beider Paare 
im Verhältnis zur Dimension jedes einzelnen sehr erheblich ist. Schreibt 
man selbst dem System CD eine im Verhältnis zu AB unendlich 
kleine Masse zu, so ist es möglich, die Bewegung dieses Systems noch 
hinreichend darzustellen; doch gibt die Methode der kleinsten Quadrate 
ein recht bedeutendes Verhältnis der beiden Massen (Ü+D):(A-+B). 
Diese für das Planetensystem unmögliche Unsicherheit erklärt Seeliger 
leicht aus der Theorie. Ebenso wurde R. Schorr®') den Beobachtungen 
des dreifachen Systems & Scorpii gerecht, ohne eine Einwirkung des 
entfernteren Sternes auf das engere Paar (a— 1”3) als notwendig 
anzunehmen. Auch für die Erklärung der Anomalien in den Be- 
wegungen des Doppelsterns 70 Ophiuchi sind mehrfach Hypothesen 
über einen dritten zum System gehörigen Körper gemacht worden. 
So von See®?) und Doolittle®) Da die sich ergebende Umlaufszeit von 
836 oder mehr Jahren bei der erforderlichen Größe der dritten Masse 
zu groß ist, als daß das System stabil sein könnte ®), verlegte A. Prey®”) 








79) E. Strömgren, Astr. Nachr. Jubil.-Nr. 1921, p. 26—28. 

80) H.v. Seeliger, Wien Ber. 44 (2. Abt. 1881) und München Akad. Abh. 17 
(1892); P. Harzer, Astr. Nachr. 116 (1887), p. 49. 

81) R.Schorr, Untersuchungen über das mehrfache System & Scorpii, Inaug.- 
Diss. München 1889. Analytische Untersuchungen für solche Systeme gibt A. Zapp, 
Inaug.-Diss. München 1908. 

82) J.J. See, Astr. J. 16 (1896), p. 17. 

83) E. Doolittle, ebenda 17 (1897), p. 121. 

84) F. R. Moulton, ebenda 20 (1899), p. 33. 

85) A. Prey, Wien Akad. Denkschr. 72 (1901). 

Encyklop. d. math. Wissensch VI2. 65 


994 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw. 


die dritte Masse in so große Ferne, daß sie in der betrachteten Zeit 
nur eine geringe Bewegung macht, während F\ Pavel®®) aus seinen 
Rechnungen eine Periode der Störung von nur 6’, Jahren fand und 
demnach einen nahen Begleiter des Hauptsterns annimmt. 

Für die Bewegung eines kleinen Körpers in einem kugelförmigen 
Sternhaufen, in dem die Dichte lediglich eine Funktion des Abstandes 
vom Mittelpunkte ist, gilt der Satz von der Erhaltung der Flächen 
und der Energiesatz. Für das aus Beobachtungen als mindestens an- 


5 5 
nähernd gültig nachgewiesene Dichtegesetz 3 = (3 + r?) ?, wor 
den Abstand vom Zentrum, go die Dichte bedeutet, führte Strömgren®") 
die Integration der Bewegungsgleichungen in geschlossener Form durch 
elliptische Integrale aus und die Diskussion der möglichen Bahnen 
durch. Es sind annähernd, von singulären Fällen abgesehen, exzen- 
trische Ellipsen mit einer direkten Bewegung der Apsidenlinie, die 
mit denen im Sonnensystem verglichen als sehr stark zu bezeichnen 
ist. Die Geschwindigkeit bleibt auch für Körper, die durch den Mittel- 
punkt des Systems laufen, immer endlich, hat aber dort ihren Maxi- 
malwert; die größten transversalen Geschwindigkeiten sind aber in 
Bahnen, die fern vom Mittelpunkte verlaufen, zu erwarten. 


86) F. Pavel, Astr. Nachr. 212 (1921), p. 347. Da die bisherigen Ergebnisse 
auf Grund einer Dreikörperhypothese nicht voll befriedigen, nehmen 0. Lohse, 
Potsdam Astroph. Obs. Publ. 20, Nr. 58, St. 1 (1908) und H. E. Lau, Paris Bull. 
astr. 26 (1909), p. 433 an, daß die Anomalien auf systematische Beobachtungs- 
fehler zurückgehen. 

87) E. Strömgren, Astr. Nachr. 203 (1916), p. 17—24. 


(Abgeschlossen im Dezember 1922.) 


Berichtigung. 

In Fußnote 13), p. 961 ist Z. 7ff. zu lesen: 

Es ist vielmehr der daraus resultierende loga vorher um — + m’ a® zu korri- 
gieren, wenn der vernachlässigte störende Planet ein äußerer, um z m’ (1 + 30°), 
wenn derselbe ein innerer mit der Masse m’ ist.... Diese Unterlassung ist 
auch heute noch verbreitet. 


VI2,20. ROTATION DER HIMMELSKÖRPER, PRÄ- 
ZESSION UND NUTATION DER STARREN ERDE. 


Vox 
J. BAUSCHINGER 


IN LEIPZIG. 


Inhaltsübersicht. 


1. Einleitung. Geschichte. 

2. Allgemeine Theorie der Drehung. 

3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 
4. Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte. 

5. Übergang zur astronomischen Praxis. 

6. Die Bestimmung der Präzessionskonstante. 

7. Theoretische Behandlungen. 

8. Die Polhöhenschwankungen. 


Literatur. 


J. d’ Alembert, Traite de la precession des @quinoxes, Paris 1749. 

P. $S. Laplace, Trait&E de Me&canique celeste, Tome second, Livre V, Chap. I. 
Zahlenwerte: Livre VI, No. 31. 

S. D. Poisson, M&moire sur le mouvement de la Terre autour de son centre de 
gravite, M&emoires de l’Institut, VII (1827), IX (1830). 

L. Poinsot, Pr&cession des equinoxes, Connaissance des Temps pour 1858. 

J. A. Serret, Theorie du mouvement de la Terre autour de son centre de gra- 
vite, Ann. de l’Observatoire de Paris, Me&m. t. V (1859). 

C. A. F. Peters, Numerus constans Nutationis, M&m. de l’Ac. St. Petersbourg, 
t. 3 (1844). 

Th. v. Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Kometen und Planeten, Erster 
Band, Zweite Aufl., 1. Teil, 2. Abschn. (1882). 

F. Tisserand, Trait& de Me&canique celeste, Tome II (1891). 

S. Neweomb, A new determination of the Precessional constant with the resul- 
ting Precessional motions, Astronomical Papers of the American Ephemeris. 
Vol. VII. Washington 1898. 

F. Klein und A. Sommerfeld, Über die Theorie des Kreisels, Heft III, Astrono- 
mische und geophysikalische Anwendungen, Leipzig 1903. 

L. de Ball, Theorie der Drehung der Erde, Wien Ak. Denkschr. 81 (1908). 

J. Bauschinger, Bahnbestimmung der Himmelskörper, Leipzig 1906. 

S. Newcomb, Spherical Astronomy, New York 1906. 

L. de Ball, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, Leipzig 1912. 


GERN TR Sk ERTES TERN TCRN 65* 


996 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


1. Einleitung. Geschichte. Die Mechanik des Himmels trennt 
bei der Betrachtung der Bewegungen im Sonnensystem die Bewegung 
der Schwerpunkte der einzelnen Planeten (mit ihren Satelliten) von 
der Bewegung der Hauptkörper um diese Schwerpunkte (vgl. VI2, 15 
(Sundman), Nr. 2), was nach dem Grundsatz der Mechanik von der 
Relativbewegung gestattet ist (vgl. IV 6 (Stäckel), Nr. 29). Nur diese 
letztere Bewegung, die Rotationsbewegung, ist Gegenstand dieses Ar- 
tikels. Ferner wird noch vorausgesetzt werden, daß der rotierende 
Körper ein unveränderlicher, starrer Körper sei im Sinne der Dyna- 
mik (vgl. IV 6, 25 ff.), wenn auch anzunehmen ist, daß die Planeten 
dies sicher nicht sind oder nicht immer waren. 

Die Behandlung des Problems führt zur Erklärung der Präzes- 
sion der Längen, die zuerst von Hipparch aus den Beobachtungen 
geschlossen wurde; Copernikus erkannte die Erscheinung als eine Be- 
wegung der Pole der Erde um die Pole der Ekliptik, und Newton 
erklärte sie durch die anziehende Wirkung von Sonne und Mond auf 
die äquatoriale Anschwellung der als Rotationsellipsoid gedachten 
Erde. Die weitere Geschichte ist in Zaplace, Mecanique eeleste, Livre 
XIV, Chap. I, dargestellt und sei daraus nur hervorgehoben, daß 
d’Alembert in seinem „Traite de la precession des equinoxes“ nicht 
nur die Präzession viel genauer behandelte, als es Newton geometrisch 
möglich war, sondern auch die kurz vorher von Bradley durch Be- 
obachtung entdeckte Nutation völlig klarlegte; die Fortführung und 
elegantere Darstellung gelang später Euler, Laplace und FPoisson 
(s. Literaturübersicht). 

Was die hier gemachte Voraussetzung eines starren Körpers an- 
langt, so ist hinzuzufügen, daß Poincare!) nachgewiesen hat, daß für 
eine freie homogene oder nicht homogene Flüssigkeit die Präzession 
und Nutation dieselben sind, wie für einen festen Körper; ebenso daß 
Schweydar?) gezeigt hat, daß die von der Elastizität der Erde her- 
rührenden Änderungen der Präzession und Nutation so klein sind, 
daß sie sich der Beobachtung entziehen. 


2. Allgemeine Theorie der Drehung. Die Theorie der Drehung 
der Erde um ihren Schwerpunkt beruht auf den allgemeinen dafür 
in der Mechanik aufgestellten Formeln°); da sich jedoch in der astro- 


1) H. Poincare, Sur la pröcession des corps deformables, Paris Bull. Astr. 
27 (1910), p. 321; vgl. auch $. Oppenheim, Über die Rotation und Prüzession eines 
flüssigen Sphäroids, Wien Ak. Ber. 85 (1885), p. 528 u. Astr. Nachr. 113 (1885), p. 209. 

2) W. Schweydar, Die Bewegung der Drehachse der elastischen Erde im 
Erdkörper und im Raum, Astr. Nachr. 203 (1916), p. 101. 

8) Encykl. IV 1, 6 (P. Stäckel), p. 552ff. 


1. Einleitung. Geschichte. 2. Allgemeine Theorie der Drehung. 997 


nomischen Literatur so wenig wie in der Mechanik eine feste Be- 
zeichnungsweise eingebürgert hat?), sind wir genötigt, die hier ge- 
brauchte und die damit entstehenden Formeln vorauszuschicken. Wir 
nennen das im Raum feste Koordinatensystem x, y, z und das im 
drehenden Körper feste &, n, &, 
bezeichnen die Richtungscosinus 
zwischen beiden nach dem Schema: 





| a | 
5 0% 09 0 
N Pı Pr PB; 
& #24 Wa 


definieren die Eulerschen Winkel 
0, p, y, wie in beistehender Figur 
bezeichnet, und haben dann: 


(= —+ 6089 cosy + sing sin Yy cos® 





% = — c0Sp sind + sing cosYy cos® 
% = — sing sind 
ß, = — sing cosYy + cosp sinYy cosd 

(1) {ß, = + sing siny + cos@ cosyY cos 
ß; = — 008 p sin® 


Yy, = + siny sind 
Y—= + cosY sind 
Y = + 6089. 
Die Systeme sind rechtsläufige und in demselben Sinn werden alle 
Winkel und Drehungen angenommen; N ist der aufsteigende Knoten 
von xy auf &n. 

Die Komponenten der Drehungsgeschwindigkeit um die &-, n-, 


&-Achse seien p, q, r; diese stehen mit den Eulerschen Winkeln in 
dem Zusammenhang‘) 





f i .. n4%y a0 

p= sınp sind Zr — 0089 75 

u ? do 

(2) 1q = 0089 sing”? + sinp5z 
N dv dp 
FR = 0805 + ei 





oder umgekehrt 





4) Encykl. IV 1,6 (P. Stäckel), p. 564. 


998 VIs,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


[sin o%* —= + psinp + 9c08Yp 
(3) \sin 0@ — + psinp c0s® + gc0sp cosd + rsin® 
dd i 
\ 1 peosp + qsinp 





und werden durch die Eulerschen Differentialgleichungen der Rota- 
tionsbewegung°) bestimmt: 


(.,d 
AF+(C-Bgor=L 


(4) BA 4+(A—O)p—M 





(04 +(@—Apa—N 

A, B, © Hauptträgheitsmomente des rotierenden Körpers, 
L=2m2,—6H) 4=-26— 52,) 

N= 2(&H, — 9,#,) 














En, H,, Z, Komponenten der äußeren Kräfte, parallel den Achsen &n8. 
Die resultierende Drehungsgeschwindigkeit aus p, q, r ist 
o=Yp’+g’+r' 
und vollzieht sich um die Achse — die instantane Drehungsachse —, 
deren Richtungscosinus gegen die Achsen &n& bzw. xyz sind: 
[cos« = 2 Aether 
(5) !cosß— I Co Br 
ante Aeag — cost — PT Est I 


Wirken auf die Massenteilchen m, des rotierenden Körpers nach dem 
Newtonschen Gesetz anziehende Kräfte, die ihren Sitz in dem Massen- 
zentrum M mit den Koordinaten &,n,5, haben, so lassen sich die 
Komponenten #,4,Z, und somit die LMN durch die Differential- 
quotienten der Kräftefunktion 


6) UV-RU I", nm tn) 


ausdrücken: ( oU U 
bg 0 a 

eU oU 

(7) IM=br5 7 rg 
ou oU 

engem 





5) Encykl. IV 1,6 (P. Stäckel), p. 575. 


3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 999 


oder nach Einführung der Eulerschen Winkel: 
2-55 — + a cosp I 











sin 0 08 
cos oU 
(8) = + 00503 tr 
DU 
Men’ 


3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. Bei der 
Anwendung auf die Rotationsverhältnisse der Erde ist der Ausdruck (6) 
der Kräftefunktion U unter den Annahmen aufzustellen, daß die an- 
ziehenden Kräfte ihren Sitz im Zentrum der Sonne bzw. des Mondes 
haben und daß die Massenteilchen m, zusammen die Masse der Erde 
ausmachen. Ist o, die Entfernung von m, vom Schwerpunkt der 
Erde und r, die Entfernung der Sonne oder des Mondes von dem- 
selben Punkt, so wird: 


x 1(1- (23% n + NoNn + 8055 EN 


T, 7 r; 
1 
1 TE 1 3 5 
rettet) 


Da die Dimensionen der Erde gegen die Entfernung r, sehr 
klein sind, kann eine Entwicklung von U nach Potenzen von 0, das 





von der Ordnung en ist, zugrunde gelegt werden. Zerlegt man U in 
0 

Glieder nullter, erster, ... Ordnung U=-w+w+%-+::-, so wird: 

— BMI — ME E = Erdmasse. 


— ia er 6, eu tum tb on 


a M>'m, (0 &n a ve Mn ut 5 RER — EM Dim ri 


(9) 





Rx Ks 

Man 2 leicht, daß bei Annahme . ee 

punktes im Schwerpunkt der Erde u, = (0 wird, ferner, daß bei Ver- 

legung der Achsen &n& in die Hauptträgheitsachsen des Massensystems 
3%®?M/(8 ' 

u Wen 4 BHO=A) 


+ (0+4—B+3A+B—-Q—z(4+B+0) 


wird, endlich, daß die Hypothese einer symmetrischen Anordnung der 
m, um die Achsen £n& w=0 zur Folge hat. Da Glieder vierter 
Ordnung nie in Frage kommen, ferner die Annahme gemacht werden 
kann, daß die Erde ein Rotationsellipsoid ist, dessen Umdrehungs- 
achse mit der &-Achse zusammenfällt, was A= B zur Folge hat, 


1000 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


und da endlich in den Gleichungen (4) und (8) nur die Differential- 
quotienten von U nach y, Y, 6 vorkommen, so reduziert sich der 
ganze in Betracht kommende Teil der Kräftefunktion auf 


ni 3 k®?M 
(11) 0-55 4-08. 
Hierin ist 
(12) & = sinvsind.2, + cosp sind. y,—+ cos: 2, 


wenn mit %,%,2, die Koordinaten von M im festen System xyz be- 


zeichnet werden. Da hieraus 
au 


folgt, so gibt die letzte Gleichung (4), wenn darin noch B= A ge- 
setzt wird‘): 7 —0, d. h. die Rotationsgeschwindigkeit r um die 


Hauptträgheitsachse & ist konstant. Wird diese Konstante gleich o’ 
gesetzt und außerdem: 
c—4 


(14) Br ua oa—u, 


so wird aus den beiden ersten Gleichungen (4) mit Rücksicht auf (8): 
dp» __ sinp d9U copdauU 

es a tem mon A 80 

( ) dq _.c0sp OU sing oU 

a PT 4 sind dp a 

Nimmt man dazu noch (3) 


[sine ® — +p sing -+ qcosp 


do 
(16) ET PSP + ICs 





d ‚ d 
1 —=0o0+ cos0Gr, 
so ist in diesen Gleichungen nunmehr das ganze Problem begriffen, 
da es in letzter Linie auf die Bestimmung von % und 9 ankommt. 


Aus (15) folgt nach (16): 


dp dq__ 1 /0U dw 3U a0 
Ei Pt an ta) 
und aus (16) mittelst (15): 

dl: gd\ __ ‚do ı. 30 
18 a (in) = rar + ame 

Fre, NP REN A 30° 


6) Über die Durchführung des Problems ohne diese Annahme B=A siehe 
Tisserand, Mec. cel. T. II, p. 383 ff, wo auch die Literatur angegeben ist. 


3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1001 


wenn gesetzt wird: 


d 1% f dy ‚ 
Mit Rücksicht auf 


1 (4 2) 6 
rar sind dt sin 0 E) 


folgt daraus: 








A. u 1. 2U 
N ne 7,0 
A dv 1: ,d0\2 
h li) 
en a4 A 4 (sino$ Er) + 10500 
VE OPT Co’ sind dw 

A dy dd 

00a 





Die ersten Glieder rechts sind von den äußeren Kräften unabhängig; 
es ist wichtig darzulegengögaß sie verschwindend klein sind. Setzt 
man Ü=(, so gibt die & "une (17) 2? + g?= const., woraus die 
Bereihtighng des Ansatzes 

p=gcos Yan sin w£ 
Bee ut 
folgt. Die Richtungscosinus der instantä) Drehungsachse J gegen 
das System &n& (Hauptträgheitsachsen den Beglipeti) werden also 
nach (5) “ 


(21) 9 und h Konstante 


1 \ .g 
cosa — — (g eosut + hsinut) = sinpcosT’ 
(22) Icosß = —(g sin ut — hcosut) = siny sin I’ 
. 
(0oby am 





go? 
und I' ist der Winkel zwischen &J und &&; setzt man g—= mcoso 
und A=msino, so wird die Lage von J gegen das System &n& 
bestimmt durch: 


siny cos I’ = cos (wi — 6) 


(23) jsiny sinl’—= = sin (ut — 6) 





© 
cosy = _ 


und es wird somit: 
N 93h? 
in Vrhn Te 


Wr VP+HR—-N 


(24) 


1002 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


d. h. die Achse J beschreibt um die Achse & einen Kegelmantel von 
der Öffnung y mit der konstanten Geschwindigkeit u“ o'; die 


Periode wird, da sich u aus den Beobachtungen zu 0,02072 bestimmt 
(s. Nr. 4) 


25) P= . —= 305 mittlere Sonnentage (Eulersche Periode). 


Durch Messungen der Polhöhe eines festen Punktes auf der Erdober- 
fläche ist festgestellt, daß y den Betrag von 0”,3 nicht überschreitet 
und daß die Periode des Hauptteiles der Bewegung mit der Euler- 
schen nicht übereinstimmt. Es fällt also die instantane Drehungs- 
achse stets sehr nahe mit der Umdrehungsachse des Rotationsellip- 
soides zusammen, d. h. m und somit auch g und h sind sehr kleine 
Größen. Werden sie nicht direkt zu Null angenommen, so wird der 
Betrag, mit dem sie nach (20) auf » und 9 einwirken, gegeben 
sein durch 


7 do 2". A tgy 
0 sind Tor ana !n 60 (pi 0) ng OPER) 
Wahn d A : A . 
et m sin(p+ut— 6) -— nigr sin (p+ut— 6) 


nach (16) und (21). Da A und CO nahe gleich sind und die Periode von 
OT 1 dy 


sehr nahe ein Sterntag ist, so handelt es sich also um Glieder von 
nahe eintägiger Periode mit einer Amplitude von der Ordnung der 
Polschwankungen. Diese Glieder verschwinden mit y, d. h. sobald 
man annimmt, daß die instantane Drehungsachse J mit der Um- 
drehungsachse des Rotationsellipsoids zusammenfällt. Wenn nun auch 
die Beobachtung zeigt, daß dieses nur sehr nahe zutrifft, so ist man 
doch genötigt, das volle Zusammenfallen anzunehmen, da die Kon- 
stanten in % und ® nur unter dieser Voraussetzung durch Beobach- 
tung bestimmt werden können; dann aber sind die Glieder streng 
gleich Null. In noch höherem Grade gilt dies von den dritten Glie- 
dern rechts in (20), die von der zweiten Ordnung sind. Es ist jetzt 
bewiesen, daß die Gleichungen (20) sich auf die folgenden reduzieren: 


dv _ 1 oU 
dt (Co sind 90 
(26) ae 1.00 


a Den dp’ 
die zuerst von Poisson’) aufgestellt sind. 


7) Siehe Literaturübersicht. 


3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1003 

au ;ı au 
sind 9% sind 00 
als Funktionen der Zeit zu en wofür der dank (11) gibt: 


Behufs Integration der Gleichungen (26) sind ———, 





ö AN a 
(21) 1 rd eo) &_%. 
sin 0 00 i ) in6 36 


Werden hier durch 
es) | 


die Polarkoordinaten r,l,b, des anziehenden Körpers eingeführt, so folgt: 


6, = sinOsiny-%, + sind cosy -Yy, + 0080-2, 


,=r,c08b,c08l, %—r,cosb,sinh, 2 = r,sind, 


sind dw 


Berl 
sin6 de — SEPM(A — 0), 


hr TU —_3P U(A— 0): zn 
(29) 


fo 3) 
wenn gesetzt wird 


(30) | K= (sindcosb,sin(l,+%)+cosdsinb,)cosdb,cos(ly+%) 
Q= (sindcosb,sin(l,+%)-+cosdsinb,)(cotg9cosb,sin(,+Y)—sindb,). 
Als anziehende Körper kommen nur zwei in Betracht, die Sonne 
und der Mond, deren Wirkungen sich einfach summieren. Bezeichnet 


man alle auf die Sonne bezüglichen Größen mit den bisherigen Buch- 


staben und fügt den zum Mond gehörigen einen oberen Index bei 
(ro, I da» M, K', Q/), so wird: 











ra net ne) 

Eur 
und nach Einsetzung in (26): 

= EHER 

a) 


Führt man die großen Halbachsen der Sonnen- und Mondbahn a 
und «a ein, so wird, wenn noch 


= we 
gesetzt wird 5 in, 
a ‚ 
(32) rel 
(tee) 


1004 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


Die Überführung dieser Ausdrücke in Funktionen der Zeit er- 
fordert weitläufige Entwickelungen, die hier nur angedeutet werden 


können.°) (=) und (2) können der elliptischen Bewegung von 


Sonne und Mond entnommen werden: ist e die Exzentrizität, Z, die 
mittlere Länge für den Anfangspunkt der Zeitzählung, & die Länge 
der Perihele, n die mittlere Bewegung, also ,W+nt—o=g die 
mittlere Anomalie, so wird: 


() = 1 +2e+ Becosg + zetcos2g + .. 


= 
I=L,+nt-+ 2esing-+ = esin2g—+ --- 


Bei Q und K ist noch zu beachten, daß die Koordinaten /, und b, 
sich auf die feste Ekliptik (xy-Ebene) beziehen, während man in den 
Schlußformeln die zur Zeit £ gehörigen Koordinaten / und b, die auf 
die Ekliptik für 2 sich beziehen, zu haben wünscht. Man gibt die 
Lage der bewegten Ekliptik gegen die feste durch den Winkel x 
zwischen ihnen und die Länge /Z, des aufsteigenden Knotens der be- 
wegten auf der festen Ekliptik. Beim Mond führt man ferner statt 
!, und b, die auf seine Bahnebene bezogene Länge 7’ ein und be- 
stimmt diese Bahnebene durch ihre Neigung c’ gegen die Ekliptik 
und die Länge ihres aufsteigenden Knotens auf dieser &'. Die Trans- 
formationen und Entwickelungen können hier nicht angegeben werden; 
wir geben nur das Resultat mit der Bemerkung, daß überall nur 
Glieder zweiter Ordnung in e, e',c’ und erster Ordnung in x eingeführt 
sind. Die periodischen Störungen der Elemente von Sonne und Mond 
sind zu klein, um hier eine Rolle zu spielen, wie ausführliche Durch- 
rechnungen gezeigt haben®); dagegen sind die säkularen Änderungen 
der Exzentrizität der Sonnenbahn, der Länge des Mondknotens und 
der Lage der Ekliptik mitgenommen worden, indem gesetzt wurde: 


e=4,+&t asul,=ot+6? !+y=y —ı 
xcosI, = rt + rt 


(33) 


(34) 


Damit wird: 


dy day 
ZmA+t2Bt +, 
a 
= 


(85) 





s 


2N + 


8) Selbständige ausführliche Berechnungen der Kräftefunktion des Rota- 
tionsproblems der Erde finden sich in: Peters, Num. const. Nut. (a. a. 0. Literatur- 
übersicht); Oppolzer, Bahnbestimmung I (a. a. O.); de Ball (a. a. O.); Zinner 
(8. Fußn. 18). 

9) Oppolzer, Bahnbestimmung I, p. 167 ff. 


3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1005 
worin: 
3, 
ee Eh 


c08 20 
sine 





ar + e)(rcosp — 6siny) 


4 #e,e, cos 0 


N — >x(1+2)(rsin» + 0cosy) cos. 





E- ne 2 ” 0 — a) — 5 nee’? cos 0 cos (A — rd) 
— xc0s0dcos2(L,+nt + Y) — ze cos cos2(L, +nt+ Y%) 
+ 3%e,cosBeos(L,+ni— 0) +3xE8e'cosd cos(L, + nt — @’) 
en —= x. 20080 sin (A, — xt) — - xec "sin 6sin2 (2, — xt) 
/ — «sin sin2(L,+nt-+ %) — xesin 0 sin2(Z)/ + nt+Y) 
Es sind hier die mit der Zeit multiplizierten Glieder — die säku- 
laren — getrennt von den rein periodischen; die Integration ergibt 


mit Hinzufügung des Integrales für p aus (16) 
v=W+tAt+BR+Y 

(36) 6=9,+N?+O 
9—=9,+ vt-+ cos 0% dt. 


Die säkularen Glieder nennt man die Lunisolarpräzession, die periodi- 
schen die Lunisolarnutation. Die Gleichungen (36) enthalten die 
Lösung des Problems. Bei der Integration sind A, B, N als konstant 
angenommen worden, obwohl sie die Funktionen der Zeit 9 und ® 
noch enthalten. Dies wird gerechtfertigt durch die später nachge- 
wiesene Kleinheit von 6 und r, mit denen das ebenfalls in langen 
Zeiträumen klein bleibende % multipliziert ist; es darf daher jedenfalls 
in erster Näherung, aber für sehr lange Zeiträume gültig bleibend 
osiny und rsiny gleich O und cosY gleich 1 gesetzt werden: dann 
wird 0 = 6, = const. in A, B, N angenommen werden dürfen. Auch 
die periodischen Stücke Y, © sind so klein, daß die säkularen Teile 
als davon unabhängig betrachtet werden können. Setzt man ferner 
fest, daß die &7-Ebene (der Äquator) für die Zeit = 0 durch die 
x- Achse gehe und mit der festen Eklıptik den Winkel 0, bilde, so 
wird %,—=0 und 9, darf allenthalben für # gesetzt werden. Es ed 
dann, wenn wir EM nur die säkularen Teile betrachten: 


1006 VIs,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 
( Präzession: » = At + Bi? 

0=9, + N! 

= + (@ + Acos,)t + B eos 9,1? 
ED H=lk(i+z0)+rell+ter— — 3) cos 0, 


cos 20 
— «(1 +e)r Rn a6, cos 6, 





'N= al + 2)6.c086. 
Durch % und 9 ist die Lage des mittleren Äquators für die Zeit t 
gegen die feste Ekliptik für {= 0 bestimmt. Den Sebnitt des mitt- 
leren Äquators für die Zeit = 0 mit 
der Ekliptik für {= 0 nennt man das 
mittlere Äquinoktium oder den mittleren 
Frühlingspunkt für 2=0:Y,; durch 
ihn geht die feste x- Achse. % ist der 
@ Ekl.o Winkel NY,, um den Y, vom Schnitt 
’ Ekl.t des Äquators für t mit der 'Ekliptik 
Fig. 2. für O0 absteht, in der Richtung von N 
nach Y, gezählt nach der Festsetzung 
in Nr. 2. Der Frühlingspunkt führt also, da A positiv ist, eine der 
rechtläufigen entgegengesetzte, rückläufige Bewegung aus. 

Die Formeln (37) geben die Lage des Äquators gegen die feste 
Ekliptik 0 für jede Zeit {. Diese Lage kann der Beobachter weder 
beobachten noch verwenden, sondern er braucht die Lage des Äquators 
für t gegen die Ekliptik für t, d.h. er braucht das mittlere Äqui- 
noktium für t, nämlich den Schnitt Y, der genannten Ebenen. Da 
die beiden Ebenen durch II, x bzw. y, 9 gegen die Ekliptik für O 
gegeben sind, ist er leicht zu bestimmen. Fällt man von Y,: das 
Lot Y,D auf die Ekliptik für 0, so daß Y,D=v, die negative Länge 
von Y, im System 0 darstellt, nennt ferner 6, den Winkel der Eklip- 
tik für # gegen den Äquator für £ und endlich NY, =a, so werden 
die strengen Formeln: 






cos0, = 6080 cos= — sin Osinx cos(II, + %) 
(38) sin a = sin x cosec 0, sin (II, + %) 
tg(p — Y,) = tgacosd. 
Mit Außerachtlassung von Gliedern dritter Ordnung folgt hieraus: 


3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1007 


(d, =Pt+ PR 

8, =9, +: + 

P=A— ocotg®, 

PP=B— (6 + Ar) cotg 0, + or cotg d,? 

=r 

=-N-+rn —oA-+ z0°cotgd,: 

Man nennt %, die allgemeine Präzession'”), a die Präzession durch die 

Planeten, P die Präzessionskonstante, 0, die mittlere Schiefe der Ekliptik. 
Durch die Formeln (37) und (39) sind die säkularen Lagen- 

änderungen des ÄAquators, die er bei der Rotation der Erde infolge 

der Anziehung von Sonne und Mond erfährt, vollständig beschrieben. 

Abgesehen von den kleinen Änderungen der Ekliptik, die eine Folge 

der Anziehung der Planeten auf die Erdbahn sind, hängen die Haupt- 

glieder alle von 

(40) mul. 


(39) | 





ab, verschwinden also, wenn A=(), d.h. wenn die Erde als eine 
homogene Kugel angenommen wird. Die Präzession wird somit her- 
vorgerufen durch die Anziehung von Sonne und Mond auf die äqua- 
toriale Anschwellung der Erde. Wie unten (Nr. 6) gezeigt wird, 
können P und Q aus Beobachtungen bestimmt werden; damit ist ein 
Weg gefunden und zwar ist dies der einzige sichere, auf dem « und 


damit u festgestellt werden können. 


Das Phänomen im großen betrachtet und von der kleinen Bewe- 
gung der Ekliptik abgesehen, stellt sich dar als eine gleichförmige 
Bewegung des Poles des Äquators in einem kleinen Kreis, der um 
den Pol der Ekliptik ” rain im sphärischen Abstand 6, ge- 


zogen und in der Zeit — durchlaufen wird. 


Nutation. Die periodischen Glieder in Y und © sind, wie die 
Ausrechnung zeigen wird und wie die Beobachtung erweist, alle sehr 
klein; man darf daher in ihnen 6 — 6, = const. setzen, da die Ver- 
änderlichkeit von ® sehr gering ist. Bekanntlich durchläuft die Länge 
des Mondknotens Q&,— xt in 183 Jahren den vollen Umkreis, und 
zwar darf diese Bewegung für den vorliegenden Zweck als gleich- 
förmig, also y als konstant betrachtet werden. Für d kann man At 
nehmen und es ist am bequemsten, das A als bereits in» und n 


10) Über diese Bezeichnung siehe H. C. Plummer, Note on General Pre- 
cession, London Astr. Soc. M. N. 76 (1916), p. 627. 


(41) 


1008 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


enthalten zu betrachten. Dann gibt die Integration: 
f 
N 


1 xse? 


sin! +%)+7 i 
— cos, sin2(L,+nt+ IT u cos 0, sin2(Z, +nt+vY) 


-- mi cos 0, sin(L,+ nt— o) + ee cos 0, sin (L, + nt — @') 


EC’ 0820, 
y sind, 








cos 0, sin2(2’ + %) 


= + cos 0, eos(R’ + Y) — - “sin 6, c082(2’ + %) 





+ 5, 5in 6,0082 (I, +nt+Y) +5 sine, cos2(L, +nt-+y). 


Die Hauptglieder sind die ersten; vermöge derselben beschreibt 
die instantane Drehungsachse um ihren durch die Präzession gegebe- 
nen mittleren Ort an der Sphäre eine Ellipse, die Nutationsellipse, 
in der Umlaufsdauer der Mondknoten. Die Nutationsglieder werden 
im wesentlichen durch die Bewegung des Mondknotens hervorgerufen. 
Bringt man an den durch die Präzession bestimmten mittleren Ort 
des Äquators noch Y und © an, so erhält man seinen wahren Ort, 
d. h. das wahre Äquwinoktium und die wahre Schiefe der Ekliptik. 


4. Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte. Der im Ausdruck 
für die allgemeine Präzession (39) mit der ersten Potenz der Zeit 
multiplizierte Faktor 


(42) P=-A—scotgd, (#1 +3) +xE(l+3E?—3c?) —6cosecd,)cos®, 


heißt die Präzessionskonstante und kann und muß aus den Beobach- 
tungen abgeleitet werden, da x und & unbekannt sind; sie ist wegen 
der Säkularänderung der Schiefe der Ekliptik 6, keine eigentliche 
Konstante, sondern gilt für eine bestimmte Epoche. Die hauptsäch- 
lichsten Bestimmungen, auf die Epoche 1850 und das julianische 
Jahr als Zeiteinheit reduziert, sind: 

Bessel, Tab. Reg. 50”2346 

O. Struve- Peters 50”2522 


Leverrier 502357 
L. Struve 50” 2283 
Newcomb 502453. 


Über die Methoden der Bestimmung siehe Nr. 6. Während 
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Struve-Peterssche 
Zahl fast allgemein im Gebrauch; mit Beginn des 20. Jahrhunderts 
ist man zur Newcombschen Konstante übergegangen.!!) 





11) Newcomb schlägt vor, die Zahl — als Präzessionskonstante zu be- 
0 


zeichnen, da diese von der Zeit fast unabhängig ist (s. Encykl. VI s, 17, Nr. 9). 


4. Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte. 1009 


Die in der Nutation in Schiefe © mit dem cos der Länge des 
Mondknotens multiplizierte Größe 


(43) A z nee 05, 


heißt die Nutationskonstante und muß ebenfalls aus den Beobachtungen 
abgeleitet werden. Gegenwärtig hat man den Wert 9”21 als zuver- 
lässigsten angenommen. Przybyllok'?) hat ihn durch ein sehr um- 
fangreiches und genaues Material bestätigt. 

Zur Berechnung der in obigen Formeln vorkommenden Faktoren 
sind noch folgende den Theorien der Sonnen- und Mondbewegung 
entnommenen Zahlen notwendig; sie beziehen sich alle auf die 
Epoche 1850 und auf das julianische Jahr als Zeiteinheit. 

Exzentrizität der Erdbahn: 


e=&+ &t= 0,0167719 — 0,000000418 1 
Mittlere Schiefe der Ekliptik: 
0, = 23°27'31”68. 
Mittlere Bewegung der Erde einschließlich Präzession: 
n = 1296 027” 6775 = 6.2833196 Radien. 
Bewegung. der Ekliptik: 
x sin II, = 6t + 6,1? = + 0”053412 + 0”00001934 1? 
x c08s II, = rt + 7,1? = — 046838 + 000000562? 
Exzentrizität und Neigung der Mondbahn: 
e = 0,054 844, c = 0,089826 Radien. 
Bewegung des Mondknotens: 
x = 0,3375712 Radien. 
Mittlere Bewegung des Mondes: 
n = 83,99685 Radien. 
Damit erhält man folgende Gleichungen: 
A = [9,962716 — 10]x + [9,959224 — 10]xe 
(44) = P-+ ocotg 9, = 50"2453 + 0”1231 = 503684 
a = [938757 — 10]xe = "21, 
deren Auflösung ergibt: 
«= 17"455, &—= 2.1617. 
12) E. Przybyllok, Über eine Bestimmung der Nutationskonstante aus Be- 
obachtungen des internationalen Breitendienstes, Berl. Ber. 53 (1916), p. 1259 
‚und: Die Nutationskonstante, abgeleitet aus den Beob. d, Broitendionstöe, Pots- 


dam, Intern. Erdm.-Veröff. N. F. 36 (1920). 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 66 


1010 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


Werden damit die Formeln (37), (39), (41) in Zahlen umgesetzt 
und geht man gleichzeitig auf das tropische Jahr als Zeiteinheit über, 
so erscheinen folgende für die Epoche 1850 gültigen Werte: 
‚Lunisolarpräzession in Länge: 

Y) = 5036841 — 0”000 1075 8. 
Lunisolarpräzession in Schiefe: 

— 230273168 + 00000065 2. 
Allgemeine Präzession in Länge: 

Y, = 50" 24532 + 0700011091%. 
Mittlere Schiefe der Ekliptik: 

6, = 23°27'31”768 — 0”468382 — 000000082 1?. 

Präzession durch die Planeten: 
; a — 0” 13421 — 000023801. 


(45) Ä 





Die instantanen Geschwindigkeiten für ein Jahr ergeben sich 
hieraus für das Jahr 1850 + t zu: 





“2 — 50" 3684 — 0" 0002150: 
(46) er — 50” 2453 + 0”0002218t 

“= 01342 — 0”0004761 
= stellt die Geschwindigkeit der Lunisolarpräzession auf der festen 
Ekliptik für 1850 dar. Dieselbe Größe bezogen auf die Ekliptik 
für 1850 + wird: - 


A A [73 P 
47) Son 6, C08 = 2.3 (cos 6, + 0” 46838 sin 6, - £) 


— A+A0”"46838 tg 9,:t=50"3684 + 070000496 . 


{ Nutation in Länge: 
Y— — 17'232 sin & + 0”207 sin 28 — 1257 sin 2© 
— 0204 sin2) + 0”128sin(e— TI’) + 0”068 sn (I — I”) 
Nutation in Schiefe: 
8 = + 9210 eos & — 0" 090 cos 22 + 0”546 cos2® 
+ 0”088 cos2). 


Es sind hier in der üblichen Weise kurz die Länge des Mondknotens 
mit 2, die mittlere Sonnen- und Mondlänge mit © und ), und die 


(48) 





B. Übergang zur astronomischen Praxis. 1011 


mittlere Anomalie von Sonne und Mond mit ©— I’ und »— I’ be- 
zeichnet.'?) 


Über die Verwendung von x und xs zur Bestimmung von mer. 


C 
und der Mondmasse ist VI 2, 17, Nr.9 nachzusehen; die beiden Größen 


[9,962716]x und [9,959224]xe sind dort mit Po und P, bezeichnet 
und 0 mit e. Mit dem Wert 7“ — 0,003278 folgt CT“ — 0,003289 





und dann das oben (p. 1002) benutzte u = CA unter Beachtung, 


A 
daß dort die Zeiteinheit der mittlere Sonnentag ist, also © —= 2x . 
— 6,3006 ist: 
u = 0,02072. 
Der Winkel 
(49) 9=9, + (0 + A c080,)t + B cos 4, ? 


gibt den Abstand der &-Achse des Äquators, also eines bestimmten 
Ortsmeridianes, vom Äquinoktium für die Zeit t, also die Ortssternzeit. 
Diese ist somit, zumal wenn noch die periodischen Glieder (Nutation 
in Rektaszension — Y cos6) dazugenommen werden, kein gleichför- 
miges Zeitmaß, jedoch ist der Unterschied von einem solchen, soweit 
er von Bcos®, herrührt, außerordentlich klein, und soweit er von 
Ycos6, herrührt, gleicht er sich in einem Mondknotenumlauf aus. 


5. Übergang zur astronomischen Praxis. Die Ebenen der Eklip- 
tik und des Äquators schaffen für die beobachtende Astronomie die 
Grundlagen des Koordinatensystems; durch die obigen Zahlenangaben 
sind sie so genau festgelegt, als es die astronomische Praxis erfordert. 
Die weitere Verwertung der gewonnenen Resultate hat die sphärische 
Astronomie zu besorgen (VI 2, 2 (Cohn), Nr. 5b), doch erscheint es 
wünschenswert, hier noch den Übergang darzulegen. 

Das den Beobachtungen zugrunde liegende Koordinatensystem 
des Äquators ist definiert durch die Lage des Äquators und seinen 
Schnitt mit der gleichzeitigen Ekliptik; man kann also sagen durch 
die Lage der Pole P, und E, der beiden Hauptkreise; der Anfangs- 
punkt der Längen- bzw. Rektaszensionszählung Y, ist dann definiert 
als der Schnitt der größten Kreise, die in P, und E, senkrecht zu 
P,E, errichtet werden, oder als der Pol des größten Kreises P,E,.- 
Die Bewegung des Äquators sowohl als des daraufliegenden Frühlings- 
punktes läßt sich also darstellen durch die Bewegungen der beiden 
Pole P, und E,- 





12) Die erste vollständige Durchrechnung gab Peters in Num. const. Nut. 
(s. Lit.-Übersicht); betr. der neuesten Zahlenangaben siehe: S. Neweomb, Sur les 
formules de Nutation, Paris Bull. astr. XV (1898), p. 241. 
66* 


1012 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


Hält man zunächst die Ekliptik, also E, fest und ebenso die 
Neigung 9, des Äquators gegen sie, so wird der Pol des Äquators 
auf einem kleinen Kreis vom Radius 6, um E, von P, nach P, und 
entsprechend Y, nach N 
rücken, d. h. der Lunisolar- 
präzession Y,N =» ent- 
spricht die Winkelbewegung 
P,E,PfhL=v%, denn N ist 
der Pol von P,E,. Der 
volle Umlauf von Pum E, 
vollzieht sich in der Zeit 
1296000” : w”, also mit dem 
—, obigen Zahlenwert von y in 
rund 25730 Jahren. 

Verbindet man P, mit 
P, durch einen größten Kreis 
und nennt den Bogen P,P,=n und seine Richtungen gegen P,E, 
und P,E, bzw. 90° — &, und 90° — £, so folgt aus dem Dreieck P,E,P, 


(50) n = Y sec &, sinO = Y sec$ sind,. 





Fig. 3. 


Das Stück B,B, des größten Kreises P,P, zwischen beiden zuge- 
hörigen Äquatoren ist ebenfalls n; man nennt daher diese Größe: 
Präzession in Deklination. B, steht von Y, um &,, B, von N um ab. 

Die Bewegung des Poles E, der Ekliptik findet auf einer gegen 
E,P, konvexen Kurve E,E, statt und zwar so, daß E, sich P, 
nähert; man kann diese wieder durch die Bewegung auf einem durch 
E, und E, gelegten größten Kreis E,E, ersetzen, dessen Pole M und 
M’ die Knoten der beiden zu E, und E, gehörigen Ekliptiken sind. 
Die Ekliptik rotiert um die Achse MM’, die aber nicht als fest- 
liegend betrachtet werden kann, da die Bewegung von E, nicht in 
einem größten Kreis erfolgt. Die Theorie der Säkularstörungen der 
Erdbahn liefert die Bewegung E,E, = x und ihre Richtung gegen 
E,P,: Winkel P,E,E, = 180° — II, (wo x und II, offenbar dasselbe 
bedeuten wie früher) in der bereits angegebenen Form 


x sin II, = + 0”05341t + 0”00001934 7? 
x cos II, = — 0”46838: + 0”000005623%, 
woraus folgt 


FE [44 EN, ” 2 
(51) | a = 047141 — 07000337 


0 = 1132968 — 0'28971. 
Nennt man allgemein Il den Winkel der Bewegungsrichtung E,E, 


>. Übergang zur astronomischen Praxis. 1013 


mit P,E,, so wird IT=Y,M und unterscheidet sich von II, also um 
die allgemeine Präzession %, = 0837421 


(51) I = II, + %, = 17302968 + 0'54770t. 


Werden jetzt die beiden Pole P, und E, durch einen größten 
Kreis verbunden, so ist der Pol desselben der Frühlingspunkt Y, der 
zweiten Epoche. Ist a der Winkel zwischen P,E, und P,E,, so ist 
Y, gegen N auf dem Äquator um a verschoben; daher nennt man a 
die Planetenpräzession in Rektaszension. Ist 90°— z der Winkel 
zwischen P,P, und P,E, so wird YB,=zund&=z-+a. Zur 
Berechnung von « dient: 


(53) a = asin(II, + y)cosec 6, = zsin II cosec O 
und führt in Zahlen zu 
(54) a = 013421 — 00002381? für 1850. 


Für 0 und 6,, sowie für y und. %, sind die Formeln und Zahlen- 
werte bereits angegeben. 

Die Summe 2-+ £, kann man als die allgemeine Präzession in 
Rektaszension bezeichnen; denn definiert mah diese als Rektaszension 
des Frühlingspunktes Y,, im System 1, also durch den Bogen Y, T= m, 
wenn Y,T senkrecht auf den Äquator 1 gefällt wird, so wird 


(55) tg (m + a) = tgy cos 
oder m—=Ycosd —a. 


Dieselbe Strecke ist aber auch gleich 2 + &, seen, wie man unmittel- 
bar der Figur entnimmt, und unterscheidet sich von 2-+ &, also nur 
um 4£,n? sin 1”? 2, was in 100 Jahren erst 0”109 ausmacht. 

Die neu eingeführten Stücke 8,,$=2+a,nudm=&-+ 2 
bestimmen die Lage des Poles P,, gegen den Pol P, und die Anfangs- 
richtungen der Zählungen in beiden Systemen. Bei den Transforma- 
tionsrechnungen von dem einen System auf das andere muß man sich 
ihrer bedienen und es ist daher ihr Zusammenhang mit den früheren 
Stücken %, 0, a herzustellen. 

Die Winkel & und £&, werden aus dem Dreieck P,P, E, berechnet: 


| & = 23” 1697 t — 00001286 ?? 


(6) &,— 23”0355 t + 0”0000302 


und damit: 
(67) | = 6 — a = 23”0355 t + 00001094 1? 
m —=&,+ 2 = 46” 0710 + 0”0001396 1? (ebenso aus (55)) 
ferner folgt n aus (50) 
58) n —= 20”0511 t — 0000043 #. 


1014 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


Alle diese Zahlenangaben gelten für die Ausgangsepoche 1850; für 
andere Ausgangsepochen müssen die Rechnungen wiederholt werden, 
da eine allgemeine Entwicklung kompliziert und ungenau wird. Es 
seien hier nur noch die wichtigsten Zahlen für 1950 als Ausgangs- 
epoche den obigen an die Seite gestellt unter Einführung des tropi- 
schen Jahrhunderts als Zeiteinheit von t£. 





T, &r tt | metisntnhe enye 








1850 230355 + 0”30 1? 4607”10t+ 139 1? 2005” 111 — 043 1? 
1950 | 2304”95 + 0301? 4609”90+1"39t? | 2004264 — 0”43 1? 











Die Werte für zwischenliegende Jahre darf man durch lineare Inter- 
polation entnehmen. Eine allgemeine Darstellung der Zahlenwerte 
gibt Andoyer."?) 


Der Übergang von den Koordinaten eines Sternes $ im Äquator- 
system O:«, und d, auf die Koordinaten «,, 6, desselben Gestirnes 
in System 1 vollzieht sich jetzt nach Formeln aus Dreieck P,P; 8, 
in dem die Seiten n, 90° — ö,, 90° — ö, und die Winkel bei P,«y + & 
und bei P, 180° — («, — 2) sind: 

cos d, sin (& — 8) —= cos Ö, sin (a, + 5) 
(59)  !cos d, cos (&, — 2) = c08 d, cos (d, + &) 608 n — Sin d, sin n 
sin Öd, — cos 0,008 (a, + &,) sinn + sin d, cos n. 
Auf die Umgestaltung dieser Formeln für verschiedene Zwecke ist 
hier nicht einzugehen; es sei nur des Folgenden halber erwähnt, daß 


man in den häufigsten Fällen mit folgenden Näherungsformeln aus- 


reicht (m =2+ $) 


0 ntg d, sin (&, + 5.) ; 
4=utm+ 1—ntgo, cos (@, + &,) sin 1” 





(60) 





,=d,+n cost (a, + %) 


cos} (& — a, — m)’ 


die auch noch vereinfacht werden, wenn es sich um kleine Zwischen- 
zeiten handelt. 


6. Die Bestimmung der Präzessionskonstante. Die oben als 
Präzessionskonstante bezeichnete Größe 


(61) P=A—ocog9d,—=P cos 9, — (K ) cos 6, 


6 
sind, 


.(P = Präzessionskonstante im Sinne Newcombs) 


13) H. Andoyer, Les formules de la pr6cession d’aprös S. Newcomb, Paris 
Bull. astr. 28 (1911), p. 67. 


6. Die Bestimmung der Präzessionskonstante. 1015 


wird, als auf das Ekliptikalsystem bezogen, nicht direkt durch Be- 
obachtung bestimmt, sondern auf dem Umwege über die Größen m 
und n des Äquatorsystems; der Zusammenhang ergibt sich aus den 
früheren Formeln zu: 


(62) | 


sin, 
sin O 





m=P c0s0-t-+Bcos9-?— z sin II, sin 6 — x cosI], 
cos&,-n=Psin 9-t+Bsin 0-f?-+ zsin II, cos®, 
woraus auch folgt: 
n cos &, sind + mcosd—=Pt-+ Bi? — m cos II, cotg 0 sin y, 


n cos &, cos d — msin® —= x sin II = a sin 6. 


Die in (62) auf das erste folgenden Glieder rechts sind klein und 
werden theoretisch berechnet; man kann also P bestimmen, sobald m 
und »n den Beobachtungen entnommen sind; diese sind, wie die For- 
meln (60) zeigen, durch die Differenzen «, —«, und d, — 6, der 
Koordinaten eines Gestirnes zu zwei verschiedenen Epochen gegeben. 
Dabei erheben sich neben Schwierigkeiten der Beobachtungstechnik 
die prinzipiellen Fragen nach der Behandlung der Eigenbewegungen 
der Fixsterne im Hinblick auf eine translatorische und rotatorische 
Bewegung des Sonnensystems und nach der Möglichkeit der Bestim- 
mung eines Inertialsystems.'*) 

In der praktischen Ausführung liegt das mit einem bestimmten 
Äquinoktium Y, und einer angenommenen Präzessionskonstante be- 
rechnete System der Eigenbewegungen einer Gruppe von Fixsternen 
vor und kann nur unter Heranziehung von Hypothesen zur Korrektion 
der genannten Größen, zur Bestimmung des Apex der Sonnenbewegung 
und zur Aufstellung des Inertialsystems benutzt werden; die Resultate 
sind demnach nicht nur von der getroffenen Auswahl der Sterne, 
sondern auch von den Hypothesen abhängig. 

Die Beziehungen zwischen den Änderungen der Koordinaten 
&, Ö, go eines Sternes und der Drehung des Koordinatensystems, die 
durch die Komponenten p, q, r, und der Translation, die durch die 
Komponenten u, v, w dargestellt ist, sind: 


14) Man vgl. hierüber die Arbeiten: E. Anding, Über Koordinaten und Zeit, 
Enzykl. VIs, 1 (1905); H. Seeliger, Über die sogenannte absolute Bewegung, 
München Ak. Ber. 36 (1906), p. 85; @. O. James, On the relation of the inertial 
and empirical trihedrons of gravitational Astronomy, Astr. J. 27 (1912), p. 77; 
H. Seeliger, Das Zodiakallicht und die empirischen Glieder in der Bewegung der 
inneren Planeten, München Ak. Ber. 36 (1906), p. 595; J. Bauschinger, Enzykl. 
VI 2,17, p. 889; J. Bauschinger, Die astronomische Festlegung des Trägheits- 
systems, Die Naturwissenschaften X (1922), p. 1005. 


1016 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 
cos d, (&) — &,) = + p cos o, Sin Ö, + q sin a, sin du, — r 608 Ö, 
| u. © 
T 5 ein a, — = 008 & 
(63) (4, —d,)= —rsina,+tgcoso, 


W B rn 3 . w 
Ez © C08 &, Sin &,+ 5 ein oo sin d, — 5: cos Ö, 


[2 RR 203 
Ao = — , 008 0, 008 I, — sin &, COS 9, — sin Ö, 


und erlauben das zu einer bestimmten Präzessionskonstante und einer 
bestimmten Bewegung des Frühlingspunktes gehörige System von 
Eigenbewegungen durch die 6 Stücke p, q, r, u, v, w darzustellen. 
Davon ergeben die u, v, w die Koordinaten des Apex A, D: 

(644) u=McosAcosD v—= MsinAcsD w=MsinD 

und die 9, g, r können auf folgende Ursachen zurückgeführt werden: 

1. auf eine Korrektion der Präzessionskonstante; da 
(65) | p=Ansin‘ q=Ancos&, 

r= — (A&, + Azcosn)=—Amcosn, 
so kann man den ersten Teil in (63) auch so schreiben: 

[* — y=Amcosn+Ancos&,sina,tgd,+t Ansin$,cosa,tg od, 
(66) —=Amcosn+ Ansin(w + &)tg Ö, 

la, —d, = — Ansin &sina,+ An cos&, cos @a,—=An cos (a, + &,) 
und erkennt, daß man aus den Eigenbewegungen in Rektaszension 
die Korrektionen Am und An, und aus den Eigenbewegungen in 
Deklination die Korrektion An bestimmen kann; dann folgen aus (62): 

t:-APcos9= Am 
og sind =An cos &, 
die Korrektionen von P; 

2. sind die hieraus hervorgehenden Korrektionen von P nicht 
vereinbar, so kann man in die Darstellung von p, q, r eine säkulare 
Bewegung des Äquinoktiums aufnehmen, über deren Ursache Sicheres 
nicht ausgesagt werden kann, und man kann auch einen systematischen, 
konstanten Unterschied der Deklinationssysteme beider Epochen, 
gleichfalls unsicherer Herkunft, annehmen. Ist Ae die Korrektion des 
Aquinoktiums im Aquator (positiv im Sinne der Rektaszensions- 
zählung, so daß Ae = — («, — «,) wird) und Ad = d, — Ö, der ge- 
nannte Unterschied der benutzten Deklinationssysteme, so wird der 
Ansatz: 


(68) | 


(67) 


& — = (Am cosn — Ae) + Ansin (o, + &,) tg d, 
4, —=Ad+AncH(, + 8): 


7. Theoretische Behandlungen 1017 


Werden hieraus (Am cosn — Ae), An, Ad bestimmt, so folgt 


(69) t- AP = An cos £, cosec 0 
und mittelst der Bedingung An cos &, cos6 — Amsind —=0 
(0) Ae=— (Amcosn — Ae) + An cos &, cos n cotg 9 


An geht sowohl aus Deklinations- wie aus Rektaszensionsmessungen 
hervor; ihre Übereinstimmung erlaubt ein Urteil über die Sicherheit 
von AP. Auf die Deutung von Ae ist hier nicht einzugehen. 

7. Theoretische Behandlungen. In den vorigen Nummern ist die 
kürzeste Ableitung ‘der astronomisch wichtigen Resultate mit beson- 
derer Rücksicht auf die Verhältnisse der Erde dargelegt worden. Das 
Rotationsproblem hat aber noch andere Bearbeitungen erfahren, die 
hier nicht durchgeführt, sondern nur kurz beschrieben werden können. 

Das Problem der „ungestörten Rotation“ d.h. der Fall, wo äußere 
Kräfte nicht wirken, die Kräftefunktion also Null ist, beschäftigt sich 
mit der Integration der Eulerschen Gleichungen (4) in der Form 


d 
AE+(C—-BDagar—0 
d 
(71) (BE+(A—-Orm-—0 


d 
CZ; +(B—Apg—0 
in Verbindung mit den Gl. (3): 





sin 0” — + psinp+gcosgp 


sin 0 — + p sin g cos 0 + q. 005 p cos 0 + r sin 0 
= —pewsp+gsing. 
Sie führt für p, q, r auf elliptische Funktionen”) und, wie schon 
C. @. J. Jacobi‘) gezeigt hatte, auf die Darstellung der Richtungs- 
cosinusse zwischen den Achsen des festen und des beweglichen Systems 
durch Theta-Funktionen. Tisserand‘") behandelt die Aufgabe auch 
mit kanonischen Variabeln nach der Hamilton-Jacobischen Methode, 
nach der er auch das allgemeine Problem durchführt. 

ae) gibt als Grundlage einer nach der Methode der Variation 


15) F' Tisserand, Mec. c@l. I, Chap. 23. 

16) ©. @. J. Jacobi, Werke 2, p. 291, sowie Klein-Sommerfeld (Lit.-Übers.). 

17) F. Tisserand, Mec. cel. II, Chap. 22 und 23. 

18) ©. V. L. Charlier, Eine neue Methode zur Behandlung des Rotations- 
problems, Arkiv for Mat., Astr. och Fysik 4 Nr. 4, 12 (1907), Nr. 23, 27 (1908), 
6 Nr. 17 (1910). Hierzu gehört auch: E. Zinner, Über die säkularen Störungen 


1018 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw. 


der Konstanten durchgeführten Behandlung des allgemeinen Problems 
eine Lösung des „ungestörten Rotationsproblems“, indem er von der 
Rotation eines ungestörten kugelförmigen Körpers ausgeht; die kano- 
nischen Variabeln werden eingeführt und die Konstanten, die nachher 
variiert werden, sorgfältig diskutiert. 

Tisserand'?) machte zuerst darauf aufmerksam, daß das allge- 
meine Problem auch dann noch streng integriert erarilän kann, wenn 
man zwei der Hauptträgheitsachsen gleich setzt und in der Kräfte- 
funktion nur die säkularen Teile beibehält; mit der Durchführung 
beschäftigen sich Arbeiten von Lambert?) und Olsson?'). 

In den früheren Entwicklungen ist die Bewegung der Erdbahn, 
veranlaßt durch die Einwirkung der übrigen Planeten, durch säkulare 
Glieder, entwickelt nach Potenzen der Zeit, dargestellt angenommen 
worden, wie dies auch in der Theorie der translatorischen Bewegung 
geschieht; diese Darstellung reicht aber für sehr lange Zeiträume nicht 
aus und muß durch langperiodische Glieder ersetzt werden. Stockwell??), 
Backlund?®), Adams”) haben die Rechnungen durchgeführt, ohne daß 
bisher übereinstimmende oder befriedigende Resultate erzielt wären.”) 


8. Die Polhöhenschwankungen. Dieses weite Gebiet kann hier 
nur insoweit gestreift werden, als es in Zusammenhang mit der 
Eulerschen Bewegung und Periode gebracht worden ist (s. Nr. 3); 
betreffs des übrigen sei auf die Bände Geodäsie und Geophysik ver- 
wiesen. Eine Übersicht über das Ganze geben Radau®), Przybyllok?") 
und Wanach®®). 


im planetarischen Rotationsproblem, Medd. Lunds Astr. Obs. Nr. 40 (1909) und 
E. Zinner, Zur Lebre von der Drehung der Erde, Bamberg, Naturforsch. Gesellschaft. 

19) F. Tisserand, Paris C. R. 101 (1885), p. 195; einen weiteren allgemeinen 
Fall behandelt Frau S. Kowalewski, Act. math. 12 (1888). 

20) A. Lambert, Sur un cas particulier dans le mouvement de rotation des 
planetes, Paris Bull. astr. 27 (1910), p. 289. 

21) Ol. Olsson, Über die Rotation der Erde, Astr. Nachr. 178 (1908), p. 261. 

22) J. Stockwell, Memoir on the secular variations of the elements of the 
orbits of the eight principal planets, Smithsonian Contr. to Knowledge Vol. 18 (1873). 

23) O. Backlund, Zur Theorie der Präzession und Nutation, St. EEE 
Bull. V 12 (1900). 

24) J. CO. Adams, On the general values of the obliquity of the ekliptik, 
Scient. Pap. of J. C. Adams Vol. I. 

25) H. Poincare, Sur la theorie de la precession, Paris C. R. 132 (1901), p. 50. 

26) R. Radau, Chap. 29 und 30 in F. Tisserand, Me&c. cel. II (1891). 

27) E. Przybyllok, Über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse von 
den Polhöhenschwankungen, Astr. Ges. Vjs. 54 (1919); E. Przybyllok, Polhöhen- 
schwankungen, Sammlung Vieweg, Heft 11 (1914). 

28) B. Wanach, Res. d. intern. Breitendienstes. Zentralbureau der intern. 


Dr zu. af Dale a 


8. Die Polhöhenschwankungen 1019 


Newcomb*°) wies nach, daß die von 8. ©. Chandler?) 1891 empi- 
risch ermittelte Periode der Polbewegung von 427 Tagen die durch 
die Elastizität der Erde bewirkte Verlängerung der Eulerschen Periode 
darstellt; diese dynamisch bestimmte, ihrer Natur nach konstante 
(Newcombsche) Periode tritt also an die Stelle der Eulerschen. Die 
empirische Polbewegung zeigt außerdem noch ein Glied von jähr- 
licher Periode, das zweifellos meteorologischen Vorgängen zuzu- 
schreiben ist und daher veränderlich ist.?!) Wanach hat in der zweiten 
Abhandlung”) gezeigt, daß infolgedessen die Dauer der New- 
combschen Periode noch sehr unsicher bekannt ist. 


Erdmessung, Veröff. N. F. Nr. 30, Berlin 1916; B. Wanach, Die Chandlersche 
und die Newcombsche Periode der Polbewegung, ebenda Nr. 34 (1919). 

29) S. Newcomb, On the periodice Variations of the Latitude, Astr. J. 11 
(1891), Nr. 251. 

30) Astr. J. Vol. 11, 12, 15, 19, 21, 22 (1891—1902). 

31) .R. Spitaler, Die Ursache der Breitenschwankungen, Wien Ak. Denkschr. 
64 (1889); R. Spitaler, Die per. Luftmassenverschiebungen und ihr Einfluß auf 
die Breitenschwankungen, Petermanns Mitteilungen, Erg.-Heft Nr. 137 (1901); 
W. Schweydar, Zur Erklärung der Bewegung der Rotationspole der Erde, Berlin 
Ak. Ber. 1919. 


(Abgeschlossen im Mai 1923.) 


V12,20a.. DIE ROTATION DES MONDES. 


Von 


F. HAYN 


IN LEIPZIG. 


Inhaltsübersicht. 


1. Einleitung; die Cassinischen Gesetze. 

2. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. 

3. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. 

4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 

5. Der Einfluß der Sonnenanziehung. 

6. Die Ermittlung der Konstanten aus Beobachtungen. 

7. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze bei gewissen Formen des Träg- 
heitsellipsoides. 


Literatur. 


P. S. Laplace, Mecanique celeste, Paris 1798, 1825. 

Livre V, Chap. II. Des mouvements de la Lune autour de son centre de 
gravite. 

Livre XIV, Chap. II. De la libration de la Lune. Notice historique des 
travaux des astronomes et des geometres sur cet objet. Remar- 
ques sur la theorie de la libration de la Lune. 

M. Wichmann, Erster Versuch zur Bestimmung der physischen Libration des 
Mondes aus Beobachtungen mit dem Heliometer, Astr. Nachr. 26 (1846), p. 289; 
27 (1847), p. 53, 81, 97, 211. 

E. Hartwig, Beitrag zur Bestimmung der physischen Libration des Mondes aus 
Beobachtungen am Straßburger Heliometer, Karlsruhe 1880. 

J. Franz, Die Konstanten der physischen Libration des Mondes, abgeleitet aus 
Schlüters Königsberger Heliometer-Beobachtungen, Astr. Beob. auf der Kgl. 
Universitäts-Sternwarte zu Königsberg, Bd. 38 (Königsberg 1889). 

F. Hayn, Selenographische Koordinaten, Leipzig, Ges. d. Wiss. 

I. Abh. 1902, Bd. 27 

II. Abh. 1904, Bd. 29 

III. Abh. 1907, Bd. 30 

IV. Abh. 1914, Bd. 33 


Zitiert unter Sel. Koord. I, II, III. IV. 


1. Einleitung; die Cassinischen Gesetze. 1021 


M. Völkel, Beitrag zur Bestimmung der physischen Libration des Mondes. 
II. Reihe der heliometrischen Messungen in Kasan, ausgeführt von A. Meichai- 
lowski, Kasan 1908. 

F. J. M. Stratton, The Constants of the Moon’s Physical Libration, Memoirs of 
the Royal Astronomical Society, Vol. LIX (1909). 

F. Hayn, Die Rotationselemente des Mondes und der definitive Ort von Mösting A, 
Astr. Nachr. 199 (1914), p. 261. 

A. Jönsson, Über die Rotation des Mondes, Meddelanden frän Lunds Astrono- 
miska Observatorium, Serie Il, Nr. 15 (Lund 1917). 

F. Hayn, Die Achsendrehung des Mondes, Astr. Nachr. 211 (1920), p. 311. 

A. Jakowkin, Eine Neubestimmung der Konstanten der physischen Libration des 
Mondes, Astr. Nachr. 219 (1923), p. 61. 


1. Einleitung; die Cassinischen Gesetze. Die Bewegung eines 
Körpers kann man sich zusammengesetzt denken aus der Bahnbewe- 
gung des Schwerpunktes und der Drehung um letzteren. Die Bahn- 
bewegung des Mondes ist in VI2, 14 behandelt worden. ‘Im folgen- 
den soll nur die Bewegung um den Schwerpunkt untersucht werden. 

Im Sonnensystem kommen im wesentlichen zwei Arten von Kör- 
pern vor; Sonne und Planeten können als Rotationsellipsoide gelten, 
während der Erdmond, wohl auch Merkur und wahrscheinlich die 
meisten der Satelliten dreiachsige Ellipsoide sind. Die Bewegung 
eines Rotationsellipsoides ist in dem Abschnitt über die Rotation der 
Erde behandelt worden. Das dreiachsige Ellipsoid kommt in der Fix- 
sternwelt jedenfalls häufig vor, freilich nicht als starrer Körper. Der 
Mond bietet aber den einzigen Fall, in dem durch Beobachtungen 
die Rotationsverhältnisse mit einer gewissen Genauigkeit festgestellt 
werden können. Er kann nach allem, was wir von ihm wissen, als 
starrer Körper betrachtet werden. 

Die eigentümlichen Rotationserscheinungen des Mondes sind, wenn 
auch früher schon erkannt, von J. Cassini in den drei bekannten Ge- 
setzen festgelegt worden: 

1. Der Mond dreht sich um eine in ihm feste Achse in derselben 
Zeit, in der er seinen Umlauf um die Erde vollendet. 

2. Die Neigung dieser Achse gegen die Ekliptik ist konstant. 

3. Mondäquator, Mondbahn und Ekliptik schneiden sich in einer 
Geraden und zwar so, daß der absteigende Knoten des Mondäquators auf 
der Ekliptik mit dem aufsteigenden Knoten der Bahn zusammenfällt. 

Diese Gesetze gelten für die mittlere Bewegung des Mondes. Sie 
wurden rein empirisch gefunden und 1721 bekannt gegeben. Ihre 
theoretische Begründung geschah aber viel später. Einen historischen 
Überblick findet man bei Laplace. 


1022 VIs3,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


Das 1. Gesetz ist nur möglich, wenn eine Kraft vorhanden ist, 
die den Mond zwingt, seine Rotationszeit der Umlaufszeit anzupassen. 
Wäre der Mond ein Rotationsellipsoid, dann könnte das 1. Gesetz 
nicht dauernd bestehen; er muß ein dreiachsiges Ellipsoid und die 
längste Achse nach dem Zentralkörper, der Erde, gerichtet sein. Be- 
wegte sich der Mond mit gleichförmiger Geschwindigkeit um die Erde 
in einer Kreisbahn, die mit dem Mondäquator zusammenfiele, so würde 
ein ganz bestimmter Mondradius stets auf den Schwerpunkt der Erde 
gerichtet sein. Durch diesen „Ersten Radius“ legt man nach Tobias 
Mayer den Nullmeridian des Mondes. Der Erste Radius ist aber in 
Wirklichkeit nicht immer nach dem Erdschwerpunkt gerichtet, son- 
dern weicht von dieser Richtung in dem Maße ab, wie die Mondbe- 
wegung von der oben angenommenen Kreisbahn. 


Man muß annehmen, daß Rotations- und Umlaufszeit durch die 
Flutreibung im Monde schon gleich geworden waren, bevor der Mond 
erstarrte, daß der Mond also schon ein dreiachsiges Ellipsoid war, als 
er sich noch im plastischen Zustand befand. Daraus darf dann ge- 
folgert werden, daß die eine Hauptträgheitsachse mit der Rotations- 
achse zusammenfällt, während die beiden anderen im Äquator liegen. 
Die eine von ihnen fällt mit dem Ersten Radius zusammen, der in 
der Tat auf diese Weise definiert wird. Da nun der Erste Radius 
periodisch in ganz gesetzmäßiger Weise von der Richtung der an- 
ziehenden Kraft abweicht, so wird der Mondkörper um seine mittlere 
Lage pendelartige Schwingungen ausführen, die im allgemeinen die 
Ungleichheiten der Mondbewegung widerspiegeln. Die Analogie der 
Pendelschwingungen lehrt ohne weiteres, daß die zu erwartenden 
Schwingungen, die man unter dem Namen der „physischen Libra- 
tion“?) zusammenfaßt, nicht so sehr von der Amplitude der Ungleich- 
heiten der Bahnbewegung wie von ihrer Periode abhängen werden. 
Ein Pendel kann durch sehr schwache Impulse, wenn sie nur immer 
im geeigneten Augenblicke einsetzen, zum Stillstand oder zum Über- 
schlagen gebracht werden. 


Bei der theoretischen Behandlung der physischen Libration ge- 
nügt es daher nicht, wenn man sich auf den Einfluß der großen Un- 
gleichheiten der Bahnbewegung beschränkt, sondern es müssen vor 
allem diejenigen Glieder ins Auge gefaßt werden, deren Periode so 
beschaffen ist, daß sie selbst bei kleiner Amplitude von großem Ein- 


1) Die „optische Libration‘‘ des Mondes ist nur eine perspektivische Ver- 
schiebung der sichtbaren Oberfläche und eine Folge der veränderten Stellung 
des Beobachters. 


2. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. 1023 


fluß werden können. Die Behandlung des Problems, wie sie von La- 
place gegeben und später von Wichmann und ähnlich von Franz bei 
ihren Untersuchungen angewandt worden ist, gestattet nicht die 
scharfe rechnungsmäßige Durchführung. Die folgenden Entwicklungen 
schließen sich den Untersuchungen von Hayn?) an und bedienen sich 
der von ihm gewählten Bezeichnungsweise, um dem Leser ein näheres 
Eingehen zu erleichtern. 


2. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. Um die Wirkung 
der Erdanziehung auf die Bewegung des Mondes um seinen Schwer- 
punkt zu ermitteln, ist es nötig, den jeweiligen Ort der Erde gegen 
das Koordinatensystem der Hauptträgheitsachsen des Mondes zu be- 
stimmen. Die positive x-Achse soll mit dem Ersten Radius zusammen- 
fallen, die positive z-Achse nach dem Nordpol des Mondes gerichtet 
sein. Die y-Achse bildet mit der &-Achse einen rechten Winkel im 
rechtläufigen Sinne. 


Die Lage dieses Systems gegen das der Ekliptik ist durch die 
drei Winkel #, p, v gegeben, und es ist 
% die Neigung des Mondäquators gegen die Ekliptik, 
9 der Winkelabstand der positiven z-Achse von dem absteigenden 
Knoten des Mondäquators, in rechtläufigem Sinne gezählt, 
%» die Länge dieses Knotens. 
Es bezeichne nun: 


M die Masse der Erde, 
M, die Masse des Mondes, 
dm ein Massenteilchen des Mondes, 
%,y,2 die Koordinaten des Erdschwerpunktes, 
x,y,2' die Koordinaten des Massenteilchens dm, 
R die Entfernung Erde— Mond, 
m die mittlere Länge des Mondes, 
n die Länge des aufsteigenden Knotens der Mondbahn, 
i die Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik, 
J die mittlere Neigung des Mondäquators gegen die Ekliptik. 


Die Cassinischen Gesetze besagen: 
®—=J, p=180' -m— vd, vn. 
Unter dem Einfluß der veränderlichen Erdanziehung wird die Neigung 


des Mondäquators und die Rotationsgeschwindigkeit nicht konstant 
sein, der absteigende Knoten des Äquators nicht mit dem aufsteigen- 





2) F. Hayn, Sel. Koord. I. 


1024 VIs, 20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


den der Bahn zusammenfallen, sondern es wird sein 
N) 8-40 9-10 +m+n)—y, vonte. 


e, 6, r sind Funktionen der Zeit und erfahrungsgemäß kleine Größen. 
Sie lassen sich aus den bekannten Eulerschen Gleichungen bestimmen 








man : 

(2) = menaz ? + sinp®, 
r—= 7 + 000%; 

Ad Bar=-:—yS, 

(3) Bd (nrmer a 

pe Apy—y.—e. 


Hier bedeuten 9, g, r die Drehgeschwindigkeiten um die drei Haupt- 
trägheitsachsen; ferner ist 


A — /((y° +z®D)dm, B — /[(£* + x?) dm; 


und 


C — (a + y’?)dm 


V-uUfl@— a) +4)? +@— ET tam. 


Wenn man Y nach Potenzen entwickelt, kann man sich auf die 
drei ersten Glieder beschränken, da die Lage der Hauptträgheitsachsen 
höchstens mit einer Genauigkeit von 2”, d.i. von der Erde gesehen 
noch nicht 0”01, bestimmt werden soll. Es ist dann 


tz m A+B+ Oz (AR + By+ 00). 


Unter Benutzung dieser Entwicklung nehmen dann die Formeln 
(3), wenn man noch die Bezeichnungen 


4) (C—-B):A=«a, (C—-4):B=ß, (B-A4):0=y 
einführt, die Gestalt an 

= +oegr= 3MaR-öye, 
(8) | u — fpr— — 3MBR-’ex, 

zn +ypq= 3MyR’ay. 





Wenn nun die Koordinaten der Erde gegen den Mond sich auf 
ein ekliptikales System (8&,n,&) beziehen, dessen &-Achse nach dem 


8. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. 1025 


absteigenden Knoten des Mondäquators zeigt, während die &-Achse 
nach dem Nordpol gerichtet ist, dann ist 


z= E$cosp+ ncos®sinp — Esin®sing, 
y= —&sinp + ncos#cosp — Esin® cosp, 
z= $cos#® + nsin®. 


Ist nun die wahre Länge und Breite des Mondes Z und B, dann ist 
die wahre Länge der Erde vom Monde aus gesehen und gerechnet 
vom absteigenden Knoten des Mondäquators 


v=L-+ 180° — v; 
da die wahre Breite gleich — B ist, erhält man 


&E—=RcosBcosv, n—=RcosBsinv, &= — ReosBtgB 


und somit 
x —= Rcos.b[cosv cosp + sinv sinp cos$ + tgBsing sin®], 
(6)  y= Recos B[— cosvsinp + sinv cosp cos® + tgBecosg sin®], 
2= RcosB[— tg Bcos® + sinvsin®]. 


3. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. Die 


Masse der Erde ist 
M=4n?o0?:T’?1+M,), 


wo M, die Masse des Mondes, ausgedrückt in Teilen der Erdmasse 
(1:81,5), @ die halbe große Achse der Mondbahn und 7 die Um- 
laufszeit des Mondes in Tagen ist. Nun ist 2”: 7 die mittlere täg- 
liche Bewegung m’ des Mondes, demnach für a—=1 


M = 0,9878 m’®. 


Die Koordinaten x, y, 2 lassen sich nach (6) als Funktionen der Zeit 
darstellen, da die Abhängigkeit der Größen R, B,v,g von der Zeit 
aus der Bahnbewegung des Mondes bekannt ist. Man wird für J 
einen genähert richtigen Wert einsetzen und muß zunächst über 
«@,ß,y eine Annahme machen. Die Verbesserungen der angenom- 
menen Werte müssen aus Beobachtungen ermittelt werden. 

Wenn auf diese Weise die rechten Seiten der Gleichungen (5) 
als Funktionen der Zeit dargestellt werden, treten in diesen Entwick- 
lungen noch die Größen o, 6, r auf, die vorläufig unbekannt sind. Da 
man aber erfahrungsgemäß weiß, daß sie immer klein bleiben, so 


können sie zunächst vernachlässigt werden. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2 67 


1026 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


Die Mondtafeln von Hansen geben die wahre Länge des Mondes 
L, die Parallaxe, den Sinus der Breite B als Funktionen der Zeit 
mittels der fünf Argumente g, 9’, ©, ©’, 6. Hier ist für — ® die Be- 
zeichnung n gewählt worden. Es bedeutet 


g die mittlere Anomalie des Mondes, 


g=, - = der Sonne, 
& den Abstand des Mondperigäums vom aufsteigenden Knoten der 
Mondbahn, 


© den Abstand des Sonnenperigäums vom aufsteigenden Knoten 
der Mondbahn, 


n die Länge des aufsteigenden Knotens der Mondbahn. 


Es ist nach Hansen, wenn man unter £ die seit der Epoche 1900 
Januar 1,0 m. Z. Greenwich verflossenen julianischen Jahre versteht, 


g = 309°11’0” + [13 >< 360° + 331158” 4]t, 
g’ = 359027'56” + [360° — 33”9]t, 
o = 75°18’40” + 216115” 2t, 





(7) | 0 — 22° 529” + 69691”01:, 
n = — 100°52'20” — 69629” 4 1, 
m=9 +o-+n. 


Für J ist im folgenden 1°32’20” angenommen worden. Wie nun aus 
den Hansenschen Entwicklungen für wahre Länge, Parallaxe, Sinus 
der Breite die Funktionen R, cos B, tgB, v und die Produkte yz, 
2%, &<y gewonnen werden, kann hier aus Raummangel nicht wieder- 
gegeben werden. Die Rechenoperationen sind in Hayn, Sel. Koord. I 
näher auseinandergesetzt. Die Genauigkeit der Rechnung ist im fol- 
genden eine größere als in der zitierten Abhandlung, und zwar aus 
Gründen, die in Astr. Nachr. 211 (1920), p. 311 besprochen wor- 
den sind. 


Sehr wichtig ist bei diesen Rechnungen, daß man kein Glied 
vernachlässigt, das von irgendwelcher Bedeutung werden kann. Durch 
Multiplikation von Reihen, die aus Sinus- oder Cosinusgliedern be- 
stehen, entsteht eine neue Reihe von andersgearteten Argumenten; 
schon weiter oben war darauf hingewiesen worden, welche Bedeutung 
gewisse Perioden für die Pendelbewegungen des Mondkörpers haben. 
Aus diesem Grunde müssen bei den folgenden Reihen für L, 1: R 
und sin.B so viele Glieder mitgenommen werden, deren Koeffizienten 
manchmal recht klein sind, und die auf den ersten Blick bedeutungs- 
los erscheinen. 


3. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. 1027 

















Argument L+g9+o+n 1: R= 1,00000 
g —+ 22641” sin Arg. —+ 0,05452 cos Arg. 
29 + 709 2.208 
3g ke 3 Fe 
4 + 10 EM 
ch + 668 = 12 
PER, + 17 E 35 
— g +20 — 20 32,88 
9—g + 2m — 20 28 — 6 
29 —g +2o — 20 — 25 _ 9 
— 9 — 29’ +20 — 20 -— 6 
—2g +20 — 20 + 211 _ 9 
9—2g + 2o — 2o' + 4586 + 1002 
29-— 29 +20 — 20’ + 2369 -- 821 
39—2g +2o — 20 + 19 E= 88 
49— 29’ + 20 — 20’ E= 6 
9—3g +20 — 20 + 207 + 41 
29— 39 + ?2o — 20’ + 166 — 56 
39 —3g’ +20 — 20 + 6 
29 —4g +40 — 4w 2. 32 En 12 
39 —Ag’-+4o — 40’ En 38 + 18 
49—4g +40 — 4 - 6 
+20 u 1,6 
(8) g +20 ı 4, 
29 120 A 
39 +20 !. 
— 29 — 20’ E= 53 
9— 29 — 20 .—_ 7 
—-g +0 — o _ 19 
EN A a ai 26 
n — 5° En 8 
sin B = — 0,00016 sin — g + o 
a ap 
+ 8942 g >'% 
a os 
u 31 39 + o 
& 9+ g+ eo 
re A, 
8 —9—-24+ o— 20 
82 —2g+ 0—2o’ 


9—2d+ o— 2 
16 29—2g+ w— 20’ 
4 —3g-+ 0— 20’ 
15 9—3g’+ w— 2’ 


+++++++ 
8 


1028 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


— 0,00001 sin g9—2g’ +30 — 20 
E= 97 29 — 29’ +30 — 20’ 
En 57 39 — 2g-+ 30 — 20’ 
+ 7 49 — 29’ +30 — 20’ 
+ 4 29 —3g’ +30 — 20’ 
En. 4 39 —3g’ +30 — 2 
_ 5 9— + o— 20 


Die variablen Faktoren der rechten Seiten der Gleichungen (5) neh- 
men die folgende Gestalt an, wobei die Koeffizienten in Teilen des 
Radius ausgedrückt sind. Für die spätere Behandlung der Gleichungen 
werden die Abkürzungen eingeführt: 

















S=—R'y, T=— Rx. 

Argument —S Fr 

—9 + o — 0,00039 cos Arg. + 0,00026 sin Arg. 
u ra 4 89 218 
g Te Bi 56 + 11561 
29 an + 628 + 31876 
39 4.0 > et. 
39 +30 = 20 4 19 
bt Si. 4. 1 F & 
Er a H- 6 
(9a) —9—2d + o—2o _ 22 + 11 
—29+ 0— 20 _ 148 _ 48 
9—2g7 + w— 20 74 == 174 
29-29 + o— 20 E= 2 n 28 
—397+ 0— 20’ — 7 = 3 
9g—3g + w— 20’ = 5 u 5 
g9— 29 +30 — 20 2 B) = 4 
29—2g +30 — 20’ + + 80 
39 —2g +30 — 20 ES 99 + 256 
49 — 29’ +30 — 20’ -h 31 Eu 56 
29—3g +30 — 2w E. 5 En 12 
39 —3g +30 — 20’ En 5 Eu 16 


Zu — S treten noch die Glieder 
+ 0,116 r sin(g + ©) — 0,109 sin g[e sin(g + ©) — Jocos(g + ®)] 


und zu 7 


+ 0,9933 o sin(g + ©) — 0,9943 Jo cos(g + ®) 
+ 0,109 sing[o cos(g + ©) + Jo sin(g + ®)] 
+ 0,163 cosg[esin(g + ©) — Jo cos(g + o)]. 


4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1029 


R-°xy setzt sich zusammen aus 





[ D'Hsinh = + 0,10829 sing 
m 321 — g 
= 11 — + o— 0 
or -4 118 — 29’ + 20 — 20’ 
+ 2155 g9—29 +20 — 20 
— 1,0 + 20 
Eu 28 — 29 — 20 
\ — 4 n— 5° 
und 


— 0,9852 r — 0,162 r cosg — 0,045 Jo[1 — cos(29 + 20)]. 


4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. Die dritte Glei- 
chung (5) läßt sich leicht in eine integrabele Form bringen. Es ist 
nach (2) 


= dap dy 
= AARERRE in “La te 


-u + F7 an re 
Da J ein kleiner Winkel ist, En man 
dr _ dr _Idide, 
dt dt? 2 di? 
Wenn nun ka M'’=35M gesetzt wird, lautet die 3. Gleichung (5) 
Se = 1.0,9852 M’yr — M’'y.S Hsinh — ypg 


(10) + Myl— 0,162 cosg — 0,045 Jo(l — cos(29 + 20))] 
J d’Jo 
i rg a, 
Vernachlässigt man zunächst auf der rechten Seite alle Glieder außer 
M'yD'Hsinh, so ist das vollständige Integral dieser Gleichung 
uf RETTET 7 RE M'yHsinh 
(11) = Asin(a + tY 0,9852 M’y) — Nee 
Hier bedeutet h’ die tägliche Bewegung des Argumentes h, t die in 
‚mittleren Tagen ausgedrückte Zeit; A und «a sind die beiden Inte- 
grationskonstanten. 
In der Gleichung (10) ist das Glied ypq ganz zu vernachlässigen; 

ferner findet man aus späteren Ergebnissen, daß 

— 0,162 r cosg = + 0,00001 sin 29 + 0,00003 sin (— 9 — 9”) 

—+ 0,00003 sin (g — 9’) 








und 
— 0,045 Je[1 — cos(29 + 20)] = + 0,00002 sing. 


1030 VIs,202. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


Das letzte Glied aber kann man in folgender Weise schreiben: 
v J d’Jo 
My 2M’y dt? 
—= M’g[+0,01356 sing — 0,00454sin(g-+ 20) + 0,00555 sin (29-+ 20)]. 
Zu der Reihe I Hsinh treten also noch additiv hinzu 
—+ 0,00002 sing und + 0,01356 sin g. 


Die Glieder mit anderen Argumenten geben bei der Integration Größen, 
die vernachlässigt werden können. 

Die täglichen Bewegungen der vier Argumente g, g’, ©, ©’ sind 
in Teilen des Radius: 


+ 0,2280273, + 0,0172022, + 0,0028686, -+ 0,0009250. 


Mit der Annahme y = 0,0001703, m’ = 0,229972 und M = 0,052242 
wird 0,9852 M’y = 0,00002629. Für diesen Wert von A’? wird der 
Nenner im 2. Gliede von (11) Null, d. h. für ein Argument, dessen 
tägliche Bewegung 0,005127 beträgt. Von allen Argumenten kommt 
2@ diesem Werte am nächsten; denn seine tägliche Bewegung ist 
+ 0,005737. Dieses Argument hat demnach für die Achsendrehung 
des Mondes eine wesentliche Bedeutung. 

Mit Benutzung der oben gegebenen Zahlenwerte erhält man nun 
für r den Ausdruck: 


(7 = Asin(a + 1057”7 0) — 13” sing 
| + 65” sing’ 
+ 3’ sn(—-g’+0o— 0) 
— 7’ sin(—2g9’ +20 — 20) 





_ 3" sing = + Io — 20) 
+ 8”’sin2o 
— 1” sin(—2g — 20) 
{ + 8" sin(n — 5°). 


Die Integration der beiden anderen Gleichungen (5) ist nicht 
ganz so einfach. An Stelle der gesuchten Funktionen og und 6 müssen 
zwei andere Variable x und y eingeführt werden, nämlich 


x=sinpsin® und Yy= 60859 sin ®. 
Da g=180° +9 +0 -+r— 0 ist, und J als bekannt (1032’20” 
— 0,026859) angenommen werden soll, ist es erlaubt zu schreiben 
x —= — Jsin(g +») — esin(9 +0) — Jreos(g + @)—+ Jocos(g + ®), 
—= — Jcos(g +) —ocos(g +) + Jrsin(g + @)— Josin(g+ 0). 


Die Umformung der beiden Gleichungen geht aus folgendem hervor. 


4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1031 


Es war 
= : ._ „dy dy => ._ „0dy . dr 
ze sinpsind 7, 06089 > 9= 760859 en 
== 0 Br u En 8 
VII ERERFR -trn- E dir 
folglich 
p= — m sinpsin® —sinp sind GE + sin sind ©? — c085p i4 
’ . . dr . . 
4=— m COSPSINnd — COSp sınd 7 + cospsin® i + sing = - 


Da nun 2=sinpsin®, y= cospsin® ist, wird 


dr dy 1 de 
pP=—- mi — 1 — q7r 208 p sin’, Dre 
; h d 
a a 2,08 
any ta + ein pin, 


Bildet man hieraus ne = und bedenkt, daß 


rm + —2si sin? — 4 


ist, dann wird unter Weglassung der Glieder höherer Ordnung 





; d? da , 
Ftog=- — Ta ym(l—e)—am!y 
dx dr N 
tat). 
(13) — d’x dy r 2} 
ra mit —-P) + pm % 
dy dr d’r d/ı N de 
va Ya net) 


In jeder der beiden Gleichungen können zunächst die drei letzten 
Glieder vernachlässigt werden. 


Die 1. Gleichung (5), ohne weiteres aus (9a) und (13) gebildet, 
ist sofort verwendbar. In dem Ausdruck 7 (9a) muß aber noch eine 
Umformung vorgenommen werden. Innerhalb der erstrebten Genauig- 
keit ist 
x —= — 0,02686 sin(g + ®) — 0,0269 x cos(g + ®) 

— gsin(g + 0) + Jocos(g + 0), 
daher kann man für die in 7’ auftretenden Glieder 

+ 0,11561 sin(g + ®) + 0,9933 osin(g + ©) — 0,9943 Jo cos(9 + ©) 
schreiben 


+ 0,08892 sin(g -+ ®) — 0,9938 x — 0,0267 z cos(g + o). 


1032 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


Dann nehmen die beiden Gleichungen (5) die folgende Form an 


(2 d 23 ! 
tz mA—ad)+tam’y—MaS+ U, 


A) NE —Ym(l— B) + z(Bm’+ 0,9938 EM) 
— M'B(T + 0,9938 2) + W, 





wo 


da dt de, dA de 
- ga tete ten): 


0 dy dr d’r da /ı : de 
vw- atryetrnet ut) 


Die Glieder von $ und 7 + 0,9958 x, die o, 6, r enthalten, darf man 
in 1. Näherung vernachlässigen; in 2. Näherung wird man dafür finden: 


U—= 


— 0,116 rsin(g-+ o) | —= —0,00004c0os(— 9+ o) 
+ 0,109sing[oesin(g+®)— Jocos(g+@)] + 1 coso 
+ 4 cos(g + o) 


— lcos(29 + o) 

—  200s(9—9’-+0) 

+ 2eos(g+g’+o) 
+ 0,109sing[o cos(g+@)+ Josin(g+@)]—= — 0,00004 sin(— 9 + ®) 
+0,163cosg[osin(g+@®)—Jocos(g+o)]| + 1 sino 
— 0,0267 rcos(g + o) — 8sin(g + ®) 
Ferner erhält man, wenn M’« = 0,0000723, M’ß = 0,0000988 ge- 


setzt wird, 
W 


40. + 900001 eos(g+ 0) 1775 — 900001 sin (9+ ®) 
2 87 cos(29 + ®) — 64sin(29-+ ®) 
— 4 cos(39 +30) + 3sin(39 + 30) 
+ 21cos(g —g’+o) + 15sin(g — g’+ ®) 
+ . 21cos(g+g+o) + 15sin(g+g + o) 


Diese Zusatzglieder treten also noch additiv zu S und 7 0,9938 x. 
Die rechten Seiten der Gleichungen (14) sind demnach Reihen, deren 
einzelne Glieder die Form haben 

Feosg und Gsing. 

Die Integration kann nun ausgeführt werden. Wenn man in den 
Gleichungen (14) die rechten Seiten Null setzt, wird ihnen genügt 
durch die beiden Wertsysteme: 

I: z<=4A,cos4t, y=B,sinit, 
1: : <= 4A sinit, y=B,cosit. 


4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1033 


Durch Einsetzen dieser Werte in die Gleichungen (14) erhält man eine 
Gleichung 4. Grades?) für A, die die beiden reellen Wurzeln hat 


‚ —1 
„-m|1+',B], 
(15a) a 
= mYVeeaß, 

wo &— 1 das Produkt aus den drei Faktoren 3, 0,9878, 0,9938, also 
2,9450 ist. Durch Einführung von vier Integrationskonstanten, die 
mit A,, A,, B,, B, in bestimmten Beziehungen‘) stehen, ergeben sich 
als Integrale der Gleichungen (14) 


z=Bsinb +40) +Üsin(ce + Ast), 


(15b) y=Beos(b + At) ri Ccos(c+ A), 





welche die Gleichungen bis auf Glieder 2. Ordnung in « und ß, die 
bei der Ableitung vernachlässigt worden waren, befriedigen. 

Um nun die vollständigen Integrale zu erhalten, geht man davon 
aus, daß den Gleichungen auch genügt wird durch die Größen 


x=Xsing, y=Yecosg. 
Bildet man hiermit die Gleichungen (14), dann findet man 


E — @(g’?— am’ ?) — Fg’m’ (1 — P) 
(8? — Bm’ ?e)(g’? — am?) — g’?m’?(1 — o)(1— P)? 
= — F(g’? — Bm’ ?e) — Gg’m’(l — e) 
EP? — em) — mA — 


Unter g’ ist die tägliche Bewegung des betr. Argumentes zu ver- 
stehen. Mit Hilfe der Formeln (15) und (16) lassen sich somit die 
vollständigen Integrale der beiden Differentialgleichungen berechnen, 
vorausgesetzt, daß « und 8 bekannt sind. Die vier Integrationskon- 
stanten müssen aus Beobachtungen ermittelt werden. 

Aus der Definition x = sinpsind, y= cospsin® folgt unter 
erlaubter Vernachlässigung gewisser kleiner Größen 


ar) | J+oe=— zsin(g + 0) — yeos(g + ®), 
Jo— Jr= + xcos(g +0) — ysin(g + o), 
und somit lassen sich, da J und r bekannt sind, o und Jo berechnen. 


% besteht aus einer Reihe von Sinusgliedern, y aus einer solchen von 
Cosinusgliedern, folglich sind in e alle Koeffizienten mit cos, in Jo 


X 





(16) 








3) F. Hayn, Sel. Koord. I, p. 897. 
4) F. Hayn, Sel. Koord. I. p. 898. 


1034 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 
mit sin multipliziert. Nun ist 
e=— J— zsin(g +0) — ycos(g + o), 
das Argument 9 + o liefert für o die folgenden Glieder: 
+0, 1n?(g + @) — Y,,„008°(9 + ®) 
1-co@g +20) y 14 LICH, +20). 


37) y+w 


oder 


Demnach ist, wenn man von den Gliedern mit anderen Argumenten 
absieht, weil sie an dieser Stelle belanglos sind, 


MEIN se Fra Ft Arrn 0E2IF- 20) — Y, +°08(29+ 20). 


Da nun nach der Definition g nur aus periodischen Gliedern bestehen 
soll, so muß sein 


(18) Kran t Lv = —2I- 
Dureh die Formeln (16) und (18) ist demnach eine Bedingungsglei- 


chung zwischen J, «, ß geschaffen. 
Aus der Definition von «, ß, y folgt ohne weiteres die Gleichung 


e—B+tr—ußr=(, 


in der das Produkt «ßy verschwindend klein ist. 
Aus der Annahme folgender Zahlenwerte: 


J = 0,026859, F,,„— + 0,00061 Ma, G,,.— + 0,08884 M’ß, 


ur —= 0,156725, & = 3,9450 
ergibt sich, wenn man das Verhältnis @: 8 mit f bezeichnet, die Be- 
dingungsgleichung 
—= + 0,0006328 — 0,00528 fß + 1,0074 fp?, 
oder wenn man für ß rechts 0,000631 einsetzt 
(19) ß = + 0,0006 328 — 0,00000293 f. 


Wenn demnach aus Beobachtungen J und f bestimmbar sind, dann 
ist das ganze Problem gelöst. Zur Zeit gelten als die sichersten 
Werte?) J = 1°32'20”, f = 0,73. Daraus folgt 


ß = + 0,0006307, «= + 0,0004604, 7 = + 0,0001703, 
d. h. die Werte, die im Vorstehenden verwendet worden sind. Mit 


den Formeln (15), (16), (17) lassen sich nun auch die Funktionen o 
und Js berechnen, und zwar ergibt sich: 





5) Astr. Nachr. 199 (1914), p. 261. 


4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1035 


e=— Beos(b— 146” 6) Jo—=Jt+ Bsin(b—146”6t), 
+0,662 Ceos(c+50"8t—g—o) —. 0,662 Osin (c+50"81:— 9 — 0), 
+ 1,662 Ceos(c+50"81+9-+0) + 1,662 Osin(c+ 50"8t+9-+. 0), 
— 106” cosg — 108” sing, 

et 35 cos(g+ 20) + 535 sn(g+2o), 
— 11 c0s(29-+2o) — 11 sin(29+2o), 
— 3 cos(2g +20’) — 3 sin(2g +20), 
— 2 (cos(g-2g +20 —20) — 2 sny—-2g9+20— 20). 


Es genügt, hierin Jr = + 0,0269 = + 2” sing’ zu setzen. Das 
Glied in r mit den Integrationskonstanten A und a ist an sich wahr- 
scheinlich sehr klein, da es bisher noch nicht nachgewiesen werden 
konnte, mit J multipliziert ist es jedenfalls ganz zu vernachlässigen. 
Was von A gilt, kann auch von den beiden Integrationskonstanten 
B und C gesagt werden; auch sie konnten bisher nicht ermittelt 
werden. 

Man hat diese Schwankungen die „willkürliche Libration“ ge- 
nannt im Gegensatz zu den anderen Gliedern, deren Koeffizienten durch 
die Bahnbewegung und die Form des Trägheitsellipsoides bestimmt 
sind, und die man daher als „gezwungene Libration“ bezeichnet hat. 
Die „willkürliche Libration“ läßt sich physikalisch auf folgende Weise 
erklären: 

Man nimmt zunächst an, daß ihre Koeffizienten Null sind; dann 
ist die Bewegung des Ellipsoides durch die Formeln (1) und die „ge- 
zwungene Libration“ nach (12) und (20) gegeben. Wenn man nun 
das Ellipsoid aus dieser Gleichgewichtslage durch irgendeine Kraft 
herausdreht, dann wird es pendelartige Schwingungen um dieselbe 
ausführen, die eben durch die Glieder der „willkürlichen Libration“ 
gegeben sind. 

Als Ursache solcher Schwankungen könnte man sich Massenum- 
lagerungen im Monde oder Stöße von außen etwa durch aufstürzende 
größere Meteormassen denken. Auch wäre möglich, daß solche Schwin- 
gungen aus einer Zeit noch in geringem Maße vorhanden wären, als 
der Mond noch nicht völlig starr war. Ist einmal eine willkürliche 
Libration vorhanden gewesen, und ist sie nicht im Laufe der Zeit 
durch irgendeine Kraft vernichtet worden, so müßte sie noch heute 
bestehen. 

Daß nun aus den genannten Ursachen Schwingungen mit be- 
trächtlichen Amplituden vorhanden sein sollten, ist an sich nicht recht 
wahrscheinlich; da nun auch die Beobachtungen bisher nichts der- 


1036 VI2,202. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


artiges haben erkennen lassen, darf man wohl annehmen, daß die 
Schwankungen der willkürlichen Libration unterhalb der Grenze der 
Meßbarkeit liegen. Infolgedessen werden im folgenden diese Glieder 
von tr, 0, Jö außer Betracht bleiben. 

Es ist von Interesse zu sehen, welche Werte die Koeffizienten der 
Funktionen z, oe, J6 für verschiedene Werte von f annehmen: 


re 0,6 0,7 0,8 


= — 22° — 18°" — 14” — 10"sing 
4132 +102 + 74 + 47 sing’ 
+6 +5 +53 + 2sn—-g+o-— 0) 
(21) — 4 —1 — 8 — 5 sin(—29+20—20) 
—6 —-— 4 — 3 — 2 sing—2g+20—20o) 
— 6 — 12 +16 + 3 sin2o 
+83 +3 +38 + 8 sinn —5°); 
(o=—-83 —% —103 —11llcosg 
+ 93 +20 +32 +.43 cos(g+2o) 
(22) — 11 — 11 — 11 — 11 cos(29+2o) 
— 3 . —-— 3 — 3 — 3 eos(29 +20) 
— 2 — 2 — 2 — 2 co(g—29 +20 —20); 
‚Js=— % —9%8 —105 —113 sing 
+ 9 +20 +32 + 43 sin(g+2o) 
(23) — 1 — 1 — 11 — 11 sin(29+20o) 
— 3 . -— 3 — 3 — 53 sin(2g’ +20) 
— 2 —- 2 — 2 — 2sing—2g+20—20o) 
e +4 +3 + 2 + 1snYg. 





Der Koeffizient von sin2® in (21), der für f== 0,662 unendlich wird, 
nimmt für f = 0,65 und 0,67 die Werte —59” und +84” an. 


ö. Der Einfluß der Sonnenanziehung. Bisher ist nur der Ein- 
fluß der Erdanziehung auf das rotierende Mondellipsoid untersucht 
worden. Der Einfluß der Sonne kommt insofern schon indirekt zum 
Ausdruck, als die Bahnbewegung des Mondes Sonnenstörungen auf- 
weist, die von Einfluß auf die Drehbewegung des Mondes sind, wie 
ja das Vorhandensein der Argumente g’ und ®', die der Sonne ange- 
hören, zeigt. In dem Ausdruck für r ist das von der Sonnenstörung 
abhängige Glied sogar das größte. 

Es wird aber nun selbstverständlich auch direkt die Anziehung 
der Sonne auf die Rotation des Mondes einwirken. Dieser Einfluß ist 
zwar proportional der Sonnenmasse, aber umgekehrt proportional der 
3. Potenz der Entfernung, so daß die direkte Wirkung der Sonne etwa 
183 mal kleiner sein wird als die der Erde. Daraus geht schon her- 


5. Der Einfluß der Sonnenanziehung. 1037 


vor, daß wahrscheinlich die kleinen Zusatzglieder, die durch Berück- 
sichtigung der Sonnenanziehung noch zu den Ausdrücken r, g, J6 
treten, von der Erde gesehen unterhalb der Grenze der Sichtbarkeit 
bleiben. Da die Wirkung der Sonne so geringfügig sein wird, kann 
sie rechnerisch in der Weise ermittelt werden, daß zu den rechten 
Seiten der Gleichungen (5) Ausdrücke hinzutreten, die an Stelle der 
Erdmasse und deren Koordinaten die entsprechenden Werte für die 
Sonne enthalten. 


Nennt man die Masse der Sonne M”, 
die selenozentrische Länge |, e I, 
” „ Breite „ „ B;, 
en Abstand Sonne—Mond ER, 
dann findet mau M’—= Kr M und mit Hilfe der Sonnentafeln 


L’= g-+0o'+n-+-0,0335 sing’ + 0,0003 sin2g’ 
+ 0,0002 sin (— g’+ © — o’) — 0,0026 sin (9— g’+ o — w'), 
1: .R” = 1,0000 + 0,0167 eosg’ + 0,0003 cos 2g’ 
— 0,0002 cos(— g’+ © — o’) + 0,0026 cos(g — g’+ © — ®') 
B’ = — 0,0002sin(g-+ o). 
Zu den rechten Seiten der Gleichungen (10) und (14) treten infolge- 
dessen Glieder, von denen hier nur die wesentlichsten angeführt wer- 
den sollen: 
— 3.M”y 0,4994 sin(29 — 29’ + 20 — 20’) 
— — M'y 0,00271 sin(29 — 29 + 20 — 20), 
—- 3 M”«[0,0133 cos(g — 29 + o — 20’) + 0,5 y] 
— — M’«[0,00001 cos(g— 29 +2» — 20’) + 0,0027 y], 
— 3.M” [0,0133 sing — 29 +0 — 20) +0,52] 
— — M’B[0,00001 sin(g — 29’ + 20 — 20”) + 0,0027 x]. 
Die Integration dieser Zusatzglieder liefert ganz unmerkliche 
Librationsschwankungen, die weit unter 1” liegen. In den beiden 
letzten Zeilen kann man setzen 
x = — 0,02686 sin(9g + ©), 9 = — 0,02686 cos(g + ®) 
und erhält daher für sie die Werte 
+ 0,00007 M’«cos(g + @) und + 0,00 007 M’ß sin(g + o). 
Diese beiden Größen müssen, will man den Einfluß der Sonne nicht 
ganz vernachlässigen, zu den rechten Seiten der Gleichungen (14) 


hinzugefügt werden. Dadurch ändern sich etwas die Werte F),. 
G X Y_ ,, und somit die Bedingungsgleichungen (18). 


gtw) y+tw? ytw 


1038 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


Betrachtet man allein die Erdanziehung, dann liefert die Glei- 
chung (18) folgende Beziehung zwischen J, ß, f: 


(24) | B[7,170739] + fB[5,007460] — fP?[7,176300] 
—+ 2JB[7,719265] — 2Jfß?[7,914592] — 2J[5,356 179] = 0. 
Unter Berücksichtigung der Sonnenanziehung lautet diese Gleichung 


os, | PL7171081] + fB[5,054639] — fB*[7,177465] 
(25) | + 27B[7,919265] — 2JfB°[7,914592] — 2J[5,356179] = 0. 


Im 1. Falle folgt aus J = 0,026859 und f= 0,73 für 8 der Wert 
0,0006307, im 2. Falle richtiger 0,0006 300. 

Von $ = 0,0006300 ausgehend müßten nun erneut die Größen 
t, 0, J6ö berechnet werden; doch würden die neuen Zahlenwerte sich 
nur ganz unwesentlich von den früheren unterscheiden, so daß diese 
Berechnung unterbleiben kann. 

Von Interesse ist aber, rechnungsmäßig festzustellen, wie groß 


die Neigung der Mondachse wäre, wenn die Erde allein wirkte. Aus 
der Gleichung (24) folgt mit 8 = 0,0006300 


J == 1032'13", 
Die Neigung der Mondachse ist also durch den Einfluß der Sonnen- 
anziehung um 7” größer, als wenn die Erde allein wirkte. 


6. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen. Die 
Gleichungen (1), (12), (20) definieren die Bewegung des Trägheits- 
ellipsoides des Mondes um den Schwerpunkt, dessen Bahnbewegung 
bekannt ist. Wären auch J und f genau bekannt und ebenso die 
Integrationskonstanten A, a, B,b, C,c, so ließe sich die Lage des 
Ellipsoides für jeden Zeitpunkt genau berechnen. 

Diese acht Konstanten müssen aus Beobachtungen ermittelt wer- 
den. Von J und f kennen wir genäherte Werte; von A, B, © wissen 
wir, daß sie jedenfalls klein sind. Es ist bisher noch nicht gelungen, 
sie festzustellen. Man darf sich daher zunächst auf die Ermittlung 
von J und f beschränken. Der Gang der Untersuchung ist der folgende, 

Ein gut definierter Punkt der Mondoberfläche, der mit dem Träg- 
heitsellipsoid fest verbunden und möglichst nahe dem Ersten Radius 
gelegen ist, wird infolge der Bahn- und Rotationsbewegung des Mondes 
seine scheinbare Stellung zum Mondschwerpunkt periodisch ändern. 
Die relative Lage dieses Punktes — man wählte dazu den sogenannten 
Krater Mösting A — gegen den Schwerpunkt wird nun durch Mes- 
sungen ermittelt und mit angenommenen genäherten Werten von J, 
f und den drei Polarkoordinaten des Punktes h,, A,, ßı berechnet. 
Die selenographische Länge (A,) und Breite (ß,) beziehen sich auf das 


6. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen. 1039 


durch die drei Hauptträgheitsachsen definierte Koordinatensystem; 
denn nur die Lage dieses Systems, das mit der Oberfläche fest ver- 
bunden ist, können wir berechnen und durch Beobachtung feststellen, 
nicht aber wie bei der Erde die Lage der tatsächlichen Drehachse a 
des hierdurch definierten a 

Aus den Widersprüchen zwischen Beobachtung und Rechnung 
sind nun durch eine ausgleichende Rechnung nach der Methode der 
kleinsten Quadrate die Verbesserungen der angenommenen Werte von 
J, f, hr, A, Bı zu ermitteln. 


Die Hauptschwierigkeiten des Problems bestehen nun darin: 


1. daß sich das Aussehen des Oberflächenpunktes mit wechseln- 
der Beleuchtung ändert, wodurch leicht die Messungen systematisch 
entstellt werden, und 


2. daß der Mondschwerpunkt kein sichtbarer Punkt ist, sondern 
nur aus Beobachtungen des Mondrandes errechnet werden kann. Nun 
ist aber der Mondrand keineswegs ein Kreis oder eine Ellipse, son- 
dern eine recht unregelmäßige Kurve. Eine Niveaufläche, wie sie auf 
der Erde die Ozeane darstellen, gibt es auf dem Monde nicht; es 
bleibt also nichts anderes übrig, als durch die Gebirge und Sen- 
kungen der Gegenden der Mondoberfläche, die den scheinbaren Rand 
bilden, eine ausgleichende Kugeloberfläche zu legen oder mit anderen 
Worten eine Niveaukarte®) der Randgebiete des Mondes herzustellen, 
aus der dann für jeden beobachteten Randpunkt seine Abweichung 
von der mittleren Niveaufläche entnommen werden kann. Man muß 
zunächst annehmen, daß der Mittelpunkt dieser Kugel mit dem Schwer- 
punkt zusammenfällt. Durch Untersuchung der Bahnbewegung des 
Mondes läßt sich die Breitendifferenz beider Punkte feststellen; ihre 
Längendifferenz aber kann nicht ermittelt werden. 


3. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß die Funktion r eine 
Unstetigkeitsstelle für f = 0,662 Eric Bei der ausgleichenden Rech- 


nung braucht man den Quotienten ® 1 ar der an dieser Stelle ebenfalls 


unstetig ist. Man kommt über diese Schwierigkeit nur auf dem Wege 
der Näherung hinweg. 

. Das Rechenverfahren wird wesentlich dadurch erleichtert, daß 
man für den Oberflächenpunkt sogenannte mittlere Längen und Breiten 
einführt, die sich auf ein System beziehen, dessen Bewegung durch 
die Gleichungen (1) definiert wird, wenn man r, g, 6 Null setzt. Be- 
zeichnet man diese selenographischen Längen und Breiten mit}, + AA, 








6) F. Hayn, Sel. Koord. IV. 


1040 VIs,202. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


und &, + Aß,, dann ist 

(26) bs — otgß, eos(g +w+4,) — Jotgß, sing +®@+4,)+ 7, 
Aß,=+osing+@+ 4) — Jocos(g+@+ 4). 

Nimmt man für f als Ausgangswert 0,73 an, so findet man aus (21), 
(22), (23), wenn man sich auf die Hauptglieder beschränkt, 


= — 13”sing’ + 65” sing’ + 8”sin2o 
+ [40” sing — 280” sing’ — 170” sin2o] df, 
(27) oe = — 106” cosg + 35” cos(g + 2o) — 11” cos(29 + 20) 
— [80” cosg — 110” cos(g + 2o)] af, 
Jo = — 108” sing + 35”sin(g + 20) — 11” sin(29 + 20) 
— [80” sing — 110” sin(g + 20)] df. 





Wera nun der Oberflächenpunkt so gelegen ist, daß A, und ß, sehr 
klein sind, dann kann man schreiben: 


Ari, = — 13’ sing + 65” sing’ + 8" sin2o 
(28) + [40” sing — 280” sing’— 170’ sin2o] af, 
Aß, = — 142” sino + 11” sin(g + ») — 190” sino df. 





Sind durch Beobachtungen die Unterschiede in Rektaszension und 
Deklination zwischen Krater («,, d,) und Mondschwerpunkt («, 6) ge- 
funden worden, und bezeichnet man die Widersprüche Beobachtung 
minus Rechnung mit d(«, — «), d(ö, — Ö), dann lassen sich Bedin- 
gungsgleichungen von der Form aufstellen 
(29) EEE, e)—=4A,dh,+ A,di, + Asdf, + A, es df, 
d(6, — 6) = D,dh, + D,dA, + D,dß, + D,daJ + D,df. 
Die etwas komplizierte Berechnung der Faktoren A und D ist in 
Sel. Koord. II, p. 55 und II, p. 9 auseinandergesetzt. Diese Gleichungen 
zeigen die Abhängigkeit der Widersprüche B— R von den Verbesse- 
rungen der angenommenen Werte von h,, A, ßı, J und f. Die Me- 
thode der kleinsten Quadrate gestattet aus dem System dieser Glei- 
chungen die einzelnen Verbesserungen abzuleiten. 

Beobachtungen des Ortes von Mösting A mit dem Heliometer und 
Fadenmikrometer haben bisher als wahrscheinlichste Werte J = 1°32’20” 
und f= 0,73 ergeben,’) Das Berliner Jahrbuch gibt auf Grund dieser 
Werte eine Ephemeride von Mösting A, weil Beobachtungen dieses Ob- 
jektes sicherer als solche des Mondrandes den Mondort finden lassen. 

Welche scheinbare Größe die Schwankungen der physischen Libra- 
tion für einen Beobachter auf der Erde besitzen, erkennt man, wenn 


7) Astr. Nachr. 199 (1914), p. 261. 


6. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen. 


1041 


man die Koeffizienten in den Formeln für AA und Aß durch 220 di- 
vidiert. Für die beiden extremen Werte f = 0,5 bzw. 0,8 findet man: 





| f= 08 0,8 
AA = —0’7,10  — 0,05 sing 
+ 0,60 + 0,22 sing’ 
—0,03 +0,01 sin2o 
+ 0,03 + 0,01 sin(— ! +» — o)) 
— 0,06 — 0,02 sin(— 29’ + 20 — 2@’) 
a — 0,08  — 0,01 sin(g — 29’ + 20 — 20) 
+0,04 + 0,04 sin(n — 5°); 
AßB= —045  — 0,63 sino 
+005 +0,05 sin(g + o) 
— 0,01 — 0,01 sin(g — 29’ + © — 20’) 
: +0,01 + 0,01 sin(— 29 + @ — 20). 


Man erkennt aus dieser Zusammenstellung, wie genau die Beobach- 
tungen sein müssen, wenn man aus ihnen die Form des Trägheits- 
ellipsoides des Mondes ermitteln will. Aus den Beobachtungen hat 
sich ergeben, daß der Abstand des Kraters Mösting A vom Schwer- 
punkt in mittlerer Entfernung des Mondes die scheinbare Größe 
15’33”4 hat, während der Radius des mittleren Niveaus der Rand- 
gebiete 15°32”8 ist) Mösting A liegt allem Anschein nach — ge- 
naueres läßt sich nicht feststellen — nur wenig über dem mittleren 
Niveau seiner Umgebung, so daß eine Verlängerung des Mondkörpers 
von etwa 1 km nach der Erde zu möglich ist, das wäre etwa Y, Pro- 
mille des Radius. Eine Abplattung des Mondes ist nicht nachweis- 
bar, wenn sie auch naturgemäß vorhanden sein muß. Die Niveau- 
karte des Mondrandes läßt nicht erkennen, ob die Kugel oder ein 
Ellipsoid als mittlere Niveaufläche den Vorzug verdient. Eine Ab- 
plattung von 1:5000 wäre mit den Beobachtungen immerhin ver- 
einbar. 
Aus den Beobachtungen folgt ferner 


ß = 0,000630, « = 0,000460; » = 0,000170. 
Die Definition dieser Größen ergibt sich aus (4) 

0O— B=Au, C—-A=Bß, B—-A=(y, 
wo A, B, C die Trägheitsmomente in bezug auf die x, y, z-Achse des 
Mondkörpers sind. Die x-Achse ist auf die Erde gerichtet, um die 


8) Astr. Nachr. 201 (1915), p. 201. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2. 68 


1042 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes. 


z-Achse rotiert der Mond. Setzt man A =1, dann ist B= 1,000170, 
© = 1,000630.°) 


‘. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze bei gewissen 


& 


Formen des Trägheitsellipsoides. Die Größe f— 8 darf naturge- 


mäß nicht die Werte O0 und 1 annehmen Im 1. Falle würde « = 0 
oder O= B sein. Dann ist aber die Lage der Drehachse im Mond- 
körper unbestimmt. Das Moment C muß das größte sein, wenn sta- 
bile Verhältnisse bestehen sollen. Im 2. Falle wäre «= ß,d.h.y—=0 
und B= 4; dann wäre der Mond ein Rotationsellipsoid und das 
1. Cassinische Gesetz unmöglich. 

Aus der Formel (11) folgte ferner, daß f nicht gleich 0,662 sein 
darf, weil in diesem Falle das Glied von r mit dem Argument 2» 
unendlich werden würde. In der Hansenschen Entwicklung für die 
wahre Mondlänge kommen aber noch einige andere Glieder vor, die 
zwar eine sehr geringe Amplitude aber solche Perioden besitzen, daß 
für gewisse Werte von f oder y ebenfalls das 1. Gesetz nicht mög- 
lich wäre. Hierzu gehört z. B. eine ganz geringfügige Störung durch 
den Mars; die Bedeutung ihres Argumentes E — M ist aus Hansens 
Mondtafeln zu ersehen. 

Alle diese Argumente mit ihren täglichen Bewegungen und den 
kritischen Werten von y und f sind in der folgenden Zusammen- 
stellung enthalten: 


Argument tägl. Bew. y £ 
n 0,009242 0,000553 0,125 
E—M 0,008056 420 0,334 
2@ 0,005 737 213 0,662 
2(0 — 0’) 0,003 887 097 0,846 
(0 — o') 0,001 944 024 0,961 


Nach den Beobachtungsergebnissen kommen die beiden ersten und 
ebenso die beiden letzten Fälle nicht in Frage, da f wohl sicher zwi- 
schen den Grenzen 0,5 und 0,8 liegt, d. h. möglicherweise nicht weit 
von dem kritischen Punkte f = 0,662 entfernt. Die oben angeführten 





9) Über die Gestalt des Mondes als Gleichgewichtsfigur unter gewissen ein- 
fachen Voraussetzungen siehe 
Leon Lichtenstein, Untersuchungen über die Gestalt der Himmelskörper; 
I. Abh.: Die Laplacesche Theorie der Gestalt des Erdmondes, Math. 
Ztschr. 10 (1921), p. 130; 
desgl. Encykl. VI2B, 21 ($. Oppenheim), Nr. 26. Die dort p. 53 angeführten Zahlen- 
werte sind durch die hier gegebenen zu ersetzen. 


7. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze usw. 1043 


Werte von f sind nur genähert richtig. In unmittelbarer Nähe der 
Unstetigkeitsstellen sind die Schwankungen der physischen Libration 
nicht mehr kleine Größen. Die vorstehende Behandlung der Bewe- 
gungsgleichungen gilt aber nur, wenn r, o, Jo klein sind. 

Daß das Argument 2o, oder mit anderen Worten die Lage der 
Apsidenlinie, auf die Mondrotation von wesentlichem Einfluß sein kann, 
ist leicht erklärlich; es erscheint aber unverständlich, daß eine fast 
unmerkliche Störung der Mondbahn durch Mars unter Umständen von 
großem Einfiuß sein soll. Nun der Fall besagt nichts anderes, als 
daß bei gegebenem J gewisse Werte von f ganz unstabile Verhält- 
nisse zur Folge haben würden. 

Bei gegebener Bahnbewegung entspricht zwar einer bestimmten 
Form des Ellipsoides ein ganz bestimmter Wert von .J nach den 
Formeln (16) und (18), aber bei gegebener Neigung genügt dieser 
Gleichung eine große Mannigfaltigkeit von Formen. Jedoch gibt nur 
ein beschränktes Gebiet wahrscheinliche Werte; denn in der Natur 
bilden sich unter der Einwirkung verschiedener Kräfte stets wesent- 
lich stabile Verhältnisse aus. 

Zum Schluß möge noch folgende Bemerkung hier Platz finden. 
So verschieden die Rotationsbewegungen von Erde und Mond auch 
erscheinen mögen, so setzt sich die Bewegung der Mondachse doch 
ebenfalls aus einer Präzession und Nutation zusammen. Die erstere 
wird durch die Cassinischen Gesetze definiert, die letztere ist gleich- 
bedeutend mit der physischen Libration. 


(Abgeschlossen im Februar 1923.) 


68* 


Register zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte, 


Die Stichworte des Registers sind durch gesperrten Druck hervorgehoben; die 
Wiederbolung des Stichwortes ist durch einen Bindestrich angedeutet. Die 
Zahlen beziehen sich auf die Seiten des Bandes. Unter dem einzelnen Stich- 
worte sind die Nachweise nach steigender Seitenzahl angeordnet, so daß ge- 
legentlich dem einzelnen Gegenstande mehrere getrennt stehende Nachweise zu- 


kommen. 


A 


Abbildungsfehler des Fernrohrobjek- 


tivs 248. 


Aberration, astronomische, Definition 


der — 31; Planeten- und Fixstern— 
31; Lichtzeit— 52; Einfluß der Fix- 
stern— auf die Koordinaten eines 
Sternes 53; tägliche — 54; jährliche 
— 55; —skonstante 57 ; säkulare — 59; 
Korrektion wegen — bei Bahnbestimm- 
mungen 419; Konstante der — 852; 


Beziehung zwischen Lichtgeschwindig- | 
keit und Sonnenparallaxe 853; Angabe 
der Einzelwerte der Konstanten der 


— 854; Bestimmung der —skonstanten 
aus Linienverschiebungen im Spektrum 
von Fixsternen 855; Konstante der täg- 
lichen — 855. 

Ablesemikroskop 199, 201; Genauig- 
keit des Ablesens am Meridiankreis 
204. 

Abplattung der Planeten, Einfluß der 
— auf die Bewegung der Satelliten 
822; — der Erde, berechnet aus den 
Trägheitsmomenten 861; — des Mon- 
des 1041. 

Absolute Bahnen der Planeten nach 
Gylden 783. 


Absorption der Atmosphäre: —skoef- 
fizient abhängig von der Dichte der 
Luft, 294; selektive — 331. 

Achsenkollimator 237. 

Äquator von 1850.0 als Grundebene 
des Inertialsystems 5; wahrer und 
mittlerer — 38; 
Inertialsystem 1015. 


Beziehungen zum | 


'Äquatoreal, siehe auch Refraktor: 
zur Bestimmung der sphärischen Ko- 
ordinaten eines Sternes 197; —coude& 
nach Löwy 232. 
'Äquinoktium s. Frühlingspunkt. 
Algol- und Algolsterne, aufgefaßt 
als Doppelsterne, deren Bahnbestim- 
mung 498; — von Z Herkulis und UZ 
Cygni 501. 
Altazimut s. Universalinstrument. 
Andromediden, Radiationspunkt der 
— 452; Zusammenhang der — mit 
| dem periodischen Kometen Biela 942, 
| 943, 950. 

Anomalie, wahre, mittlere, exzentri- 
sche — 383; der Lambertsche Winkel 
für die Hyperbel 383; die ku- 
bische Gleichung für die Parabel 383; 
deren Auflösung durch die Barker- 
schen Tafeln 385; die Keplersche 
Gleichung für die Ellipse 385; Über- 
gang von der exzentrischen zur mitt- 
leren — in der Entwicklung der 
Störungsfunktion 619; Differential- 
gleichung der — in der Hansenschen 
Planetentheorie 766; partielle — inder 
Störungstheorie der Kometen 906. 

Anschlußbeobachtungen im Meri- 
dian an Fundamentalsterne 30; — am 
Refraktor mit Faden- und Positions- 
mikrometer 224; — auf photographi- 
schem Wege 225; — mit Doppelbild- 
mikrometer 230; mit Heliometer 230; 
Aufgaben der — 280. 

Apheldistanz, Zusammenhang der — 
der periodischen Kometen mit der — 

| der großen Planeten 933. 








Apsidenlinie — Breitendienst. 


‘ Apsidenlinie, mittlere Bewegung der 
— in der Mondtheorie nach Hill und 
und Adams 671, 692, 721. 

Astrograph (photographischer Refrak- 
tor) 232; Reduktion der gemessenen 
ebenen Koordinaten &, y in sphärische 
« und Ö 227. | 

Astronomie (Mechanik des Himmels), 
Aufgabe der — 3, 513; sphärische, 
(beobachtende, praktische) 17, 196; 
nautische 139; aeronautische 153, 
Unterschied gegen die nautische 153. 

asymptotische Ausdrücke für Funk- 
tionen großer Zahlen 636; — der 
Koeffizienten in den Reihen von Tay- 
lor und Laurent 636; — für bestimmte | 
Integrale 642, 645; — der Koeffi- 
zienten der Entwicklung der Störungs- | 
funktion 649. 

asymptotische und doppeltasym- 
ptotische Lösungen im Dreikörper- 
problem 537, 992. 

Atmosphäre, Hypothesen über die Kon- 
stitution der — zur Theorie der Re- 
fraktion 301 uff. 

Azimut, —bestimmung 137. 


B 


Bahnbestimmung (Planetenbahn), 
Formulierung des Problems 390; 
Grundgleichungen zur — 391; Ab- 
leitung des Verhältnisses von Sektor 
und Dreieck 391; Näherungswerte | 
für die geozentrischen Distanzen 396; 
— Methode von Laplace 400; aus vier 
Beobachtungen 409; — einer Kreis- 
bahn 411. | 

— (Kometenbahn), Formulierung der | 
Aufgabe und Grundgleichung 412; 
Näherungswerte für die geozentri- 
schen Distanzen nach Olbers 414; 
Ausnahmefälle 418; Korrektion wegen 
Parallaxe und Aberration bei — 419. 

— Definitive — 420; Methoden der —. 
mit Berücksichtigung aller Orte (Va-| 
riation der Elemente) 421; mit Bevor- 
zugung zweier (Variation der geozen- 
trischen Distanzen) 425. i 

— von Meteoren 444; Umkehrung 
der Aufgabe, Berechnung der Radia- 
tionspunkte aus gegebenen Elementen 
468. 

— von Doppelsternen, wahre und 
scheinbare Bahnellipse 472; — von 





1045 


visuellen Doppelsternen 474; nach 
Savary 474; v. Seeliger 475; Y. Vil- 
larceau 476; Schwarzschild 476; Klin- 
kerfues 477; J. Herschel 478; gra- 
phische Methoden von Zwiers 479; 
analytische Methoden von J. Herschel 
480; Kowalsky 481; Glasenapp 481; 
Methode von Thiele 482; Bahnver- 
besserung 483. 

— von spektroskopischen Doppel- 
sternen 486; nach Rambaut 486; Leh- 
mann-Filhes 487; Schwarzschild 490; 
analytischeMethoden von Wilsing 492; 
Russel 492; Ergebnisse der — 493. 

— von veränderlichen Sternen, Algol- 
sterne 498; — von Veränderlichen von 
kontinuierlicher Lichtschwankung (ß 
Lyrae) 503. 


'— von Satelliten 508; nach Klinker- 


fues 509; — mit sofortiger Berück- 
sichtigung von Störungen 510. 

Bahnelemente der Planeten und Ko- 
meten, Definition der — 381, 737, Ab- 
leitung der — aus zwei vollständigen 
heliozentrischen Orten 403; Bestim- 
mung der — aus den Distanzen 415; 
Differentialquotienten der geozentri- 
schen Koordinaten nach den —n 422; 
— von Doppelsternen 470; — von 
Satelliten 508; kanonische — 598; 
Elemente p und g, für Knoten und 
Neigung 741; Elemente g und h für 
Perihellänge und Exzentrizität 741; 
— des Mondes, Angabe nach Hansen- 
Newcomb 877; scheinbare Verteilung 
der — der Kometen 921. 

Besselsche Funktionen zum Über- 
gang von der exzentrischen zur mitt- 
leren Anomalie 619. 

Bezugsystem des Trägheitsgesetzes, 
s. Inertialsystem. 


ı Biegung (Durchbiegung) des Fernrohrs 


235; Bestimmung der — 238 (Fußn. 87). 
Brechungsquotient der Luft, Zusam- 
menhang des —en mit der Dichte 294. 
Breite eines Sternes (Ekliptik) 19. 
Breite, geographische — eines 
Erdortes, s. Polhöhe; reduzierte — 
bei Berechnung einer Sonnenfinsternis 
345. 
Breitendienst, internationaler — zur 
Bestimmung der Polschwankungen 36, 
221 (Fußn. 53), 1018. 


1046 


« 


Brunssches Theorem, Nichtexistenz be- 
stimmter Integrale im 3-Körperproblem 
521; Verallgemeinerung durch Pain- 
leve 524. 


C 
Cassinische Gesetze der Rotation des 
Mondes 1021; die Unmöglichkeit der 


— für gewisse Formen des Mond- 
ellipsoids 1042. 


Chandlersche Periode der Pol- 
schwankupgen 1019. 
charakteristische Störungsglie- 


der nach Gylden, Definition der — 
501, 795; Integration der — 797. 

Chronodeik 88. 

Cronograph 209, 213. 

Chronologie, historische und mathe- 
matische — 368. 

Chronometer 171; — mit Kompen- 
sation- 174; Störungen der — durch 
Reibungswiderstände 179; durch Wi- 
derstand der Luft 179; durch Defor- 
mation der Unruhe infolge der Rota- 
tion 181; bei geneigter Lage 182; 
durch äußere Kräfte 182. 

Chronometerspiralen, Isochronis- 
mus der — 171; Schwingungsglei- 
chung der — 171; Herstellung des Iso- 
chronismus bei — durch Endkurven 
171; — durch Längenabstimmung 173; 
Einfluß der Masse 174. 

Coud6-Äquatoreal nach Löwy 232. 


D 


Datumgrenze 85. 

Deklination (Äquatorabstand), Defini- 
tion der — 19; Bestimmung der — aus 
Meridianbeobachtungen 21; durch An- 
schlußbeobachtungen 30; Bestimmung 
der — am Meridiankreis 215;. Einfluß 
der Biegung des Fernrohrs 238; Beob. 
von direkten und reflektierten Bildern 
239; Einfluß der Biegung auf die — 
238; Vertauschung von Objektiv und 
Okular 239; Genauigkeit der Beobach- 
tungen der — 273. 

Diastematische Entwicklung der 
Störungsfunktion nach Gylden 595, 
789, 791; — Glieder der Störungen 787. 

Dichte der Luft, Zusammenhang der 
— mit dem Brechungsindex zur Theorie 
der Refraktion 294; mit dem Absorp- 





Brunssches Theorem — Dreiecksverhältnis. 


tionskoeffizienten 295; Zusammenhang . 
mit Temperatur, Luftdruck und Höhe 
297. 
Dichte von veränderlichen Sternen 498. 
Differentialoperator nach Newcomb 
zur Darstellung der Koeffizienten in 
der Entwicklung der Störungsfunktion 
589; Rekursionsformeln für den — 592. 
differentielle Ortsbestimmungen von 
Sternen s. Anschlußbeobachtungen. 
Dispersion, atmosphärische 247, 
293; Purkynje-Phänomen 296 (Fußn. 8). 
Distanzen, geo- und heliozentrische 
— eines Planeten 396; Ableitung von 
Näherungswerten für die — bei der 
Bahnbestimmung 396; Gaußsche Form 
397; Methode von v. Oppolzer 399; 
Methode von Gibbs 399; Ermittlung 
genauerer Werte der — 407; — für 
Kometen 414; Ableitung von Nähe- 
rungswerten 414; von beliebig genauen 
Werten 416. 
Distanz der Sterne s. Parallaxe. 
Doppelbildmikrometer 230. 
Doppelsterne, Einfluß der ‚Pointie- 
rungsfehler bei Beobachtung von —n 
263; Genauigkeit der Beobachtung von 
—n 274, 469; Historisches über — 465. 
— visuelle; Methode der Messung von 
—n (Positionswinkel und Distanz) 466; 
Kataloge von —n 467; Farbenunter- 
schiede der Komponenten von —n 468; 
Reduktion der Beobachtungen von —n 
auf ein fixes Äquinoktium 469; Gül- 
tigkeit des Newtonschen Gesetzes 
für die Bewegung der — 470, 483; 
wahre und scheinbare Bahnellipse der 
— 472; Bahnbestimmung der visuellen 
— 474, 483; Kataloge der berech- 
neten Bahnen von —n 483; Verteilung 
der Bahnelemente der — 484; dunkle 
Begleiter bei —n und mehrfache 
Systeme 485. 
spektroskopische; Bahnbestim- 
mung 486; Ergebnisse der Bahn- 
bestimmung 493; Masse der — 494; 
Abweichungen von der reinen ellip- 
tischen Bewegung 497. 
— periodische Bahnen in Doppel- und 
mehrfachen Sternsystemen 993. 


Douwes’ Methode der Polhöhen- 
bestimmung 100. 

Dreiecks- und Sektorverhältnis s. 
Sektorverhältnis. 


Dreihöhenproblem — Eros. 


Dreihöhenproblem zur Polhöhenbe- 
stimmung nach Gauß 103; — nach 
der Methode der Standlinien 147. 

Dreikörperproblem, Differentialglei- 
chungen des —s in kanonischer Form 
514; Reduktion nach Lagrange 514; 
nach Jacobi (Elimination der Knoten) 
515; nach Poincare 516; nach Bruns 
516; spezielle Fälle des —s, das ebene 
Problem 519; das restringierte Problem 
519; Jacobisches Integral für dieses 
520; Nichtexistenz bestimmter Klassen 
von Integralen im — 521; Brunssches 
Theorem 521; Verallgemeinerung von 
Painleve 524; Theorem von Poincare 
524; allgemeine periodische Lösungen 
im — 526; spezielle periodische Lö- 
sungen um die Librationspunkte 529; 
Hills Theorie 530; Stabilität der pe- 
riodischen Lösungen 532; asympto- 
tische und doppeltasymptotische Lö- 
sungen 537; Lösungen des —s durch 
unendliche Reihen 540; mit Hilfe der 
Berührungstransformation 541; säku- 
lare und periodische Glieder 545; 
Lösung des —s durch trigonometrische 
Reihen 547; Konvergenz der Reihen 
549; Einfluß der kleinen Divisoren 
551; Eigenschaften einiger Koef- 
fizienten in den Reihen 553; numeri- 
sche Behandlung des —s 966; spezia- 
lisiert als restringiertes Problem 967; 
systematische Behandlung des re- 
stringierten Problems 968; periodische 
Bahnen im — 969; Ejektionsbahnen 
im — 971; Thielesche Transforma- 
tion im — 971; einzelne periodische 
Bahnen im — 974; im nichtrestrin- | 
gierten Problem 988. | 

Durchschlagen des Fernrohrs 234. | 

| 





E | 
Ebbe und Flut (Gezeiten) der Erde, | 
Einfluß auf die Mondbewegung 725. 
Eigenbewegung der Sterne, Defini- 
tion 7; Übertragung der — auf ver- 
schiedene Äquinoktien 62; veränder- 
liche —, aufgefaßt als Bewegung | 
von Doppelsternen 474, 485; — der, 
Sonne, Einfluß auf den elliptischen. 
und hyperbolischen Charakter der 
Bahn der Kometen 928. _ 
Einheiten, astronomische von Länge, 
Zeit und Masse 848. | 


1047 

Ejektionsbahnen nach Burrau 530, 
972; Berechnung von —, ermöglicht 
durch die Thielesche Transformation 
971; um die endlichen Massen 
977; — um beide Massen 983. 

Ekliptik, die — von 1850.0 als Grund- 
ebene des Inertialsystems 5; Ände- 
rung der Lage der — durch die Pla- 
neten 33; feste und bewegliche — 37; 
Einfluß der Bewegung der — auf die 
Mondtheorie 719. 

Elementare Störungsglieder nach 
Gylden, Definition 546, 795; Integra- 
tion der — 797. 


Ellipse, Keplersche — der Planeten 


und ihre Elemente 381. 


|— wahre und scheinbare bei Dop- 


pelsternen 872. 
elliptische Ungleichheit in der 
Mondtheorie 692; Wert der — 881. 
Elliptizität der Erde s. Erde. 
Empirische Glieder in der Mond- 
theorie nach Newcomb 726. 
Energiegleichung zur Bestimmung 
des Charakters der Bahn eines Planeten 
oder Kometen 381; — zur Elimina- 
tion der Zeit im Dreikörperproblem 
518. 


Epoche der Beobachtung eines Sterns 


68. 

Epochen (Ären) der Olympiaden 376; 
Jahre der Stadt Rom; julianische und 
christliche — 376; die Hedschra 376. 

Epoche der Oskulation (Bahnelement) 
382, 738. 

Erde, Berechnung der Dimensionen der 
— aus der Mondparallaxe 73 (Fußn. 
152), 871 (Fußn. 35); Einfluß der Ab- 
plattung der — auf die Mondbewegung 
714; Dimensionen der — nach Bessel 
846; Abplattung der — 846; Dichte 
der — 847; Abplattung der — aus 
der Verschiedenheit der Trägheits- 
momente 863; Masse der — aus der 
Sonnenparallaxe 868; aus der paral- 
laktischen Ungleichheit des Mondes 
876; aus den Leverrierschen Störungs- 
gleichungen 888; Endwert der Masse 
der — 893. 

Erdschatten, Vergrößerung des —s 
bei Mondfinsternissen 360. 

Eros, Planet. Beobachtung des — zur 
Bestimmung der Sonnenparallaxe 75, 
281, 852; Bahn des — 732. 


1048 


Eulersche Periode der Rotation der | 
Erde 34, 1002; Verlängerung der — | 
in die Chandlersche 1019. | 

Exzentrizität (Bahnelement) 382, 737; 
Veränderlichkeit der der Erd- 
bahn und ihr Einfluß auf die Mond- 
bewegung 720; Ersetzung von Perihel- 
länge und — durch die Elemente g 
und h 741; Berechnung der säkularen | 
Störungen der — 751; — der Mond-| 
bahn 879; Verteilung der —en der 
Kometenbahnen 925; konvergierende 
und oskulierende —en der Kometen- 
bahnen 929; Zahlenangaben über die 
— der Erd- und Mondbahn 1009. 

Extinktion 293; visuelle und photo- 
graphische 293; —s-Integral 326; 
Formeln für die — nach Lambert- 
Bouguer 327; nach Laplace 329; 
nach Bemporad 329; Vergleichstabelle 
der verschiedenen —sformeln 330; die 
terrestrische — 330. 

Evektionals Ungleichheit in der Mond- 
theorie 692, 881. | 





F 


Fadendistanzen der Parallelfäden, Re- 
duktion der Seiten- auf den Mittel- 
faden 212. 

Fadenkreuz zum Pointieren 198; Be- 

_ leuchtung des —es 198; feste und be- 
wegliche Fäden im — 201. 

Fadenmikrometer am Refraktor 224. 

Farbe der Sterne, Einfluß auf die Ge- 
nauigkeit astronomischer Beobach- 
tungen 297. 

Fernrohr zur Bestimmung der sphäri- 
schen Koordinaten eines Sternes 197; 
optische Achse des —s als Visierlinie 
197. | 

Feuerkugeln s. Meteore. 

Finsternisse, Einteilung in wahre und 
scheinbare — 339; Sonnen— 339; 
Grundgleichungen der — 340; Ein- 
fiuß der Strahlenbrechung auf — 343; 
Mond— 360; in anderen Tra- 
bantensystemen 364; im System der 
Jupitersatelliten 837; Verwertung der | 
— im Jupitersystem zur Berechnung, 
der Lichtgeschwindigkeit 855. 

Fixsternaberration s. Aberration. 

Flächensätze im Dreikörperproblem 
514; Reduktion der Differentialglei- 
chungen durch die — 515. | 





| 


Eulersche Periode — Halbachse. 


Flutreibung, Variation der Rotations- 
zeit der Erde durch — als Ursache der 
Säkularbeschleunigung desMondes723. 

Frühlingspunkt von 1850.0 als An- 
fangspunkt des Inertialsystems 5; — 
als Anfangspunkt der Zählung der 
AR 19; Bestimmung seiner Lage aus 
Meridianbeobachtungen der Sonne 24, 
864; —festlegung des Äquinoktiums 
28, 864; Reduktion auf ein mittleres 
Äquinoktium 64; wahres Äquinoktium 
1002. 

Fundamentalkatalog 29. 

Fundamentalsterne, System der — 
7, Teilung in Zeit- und Polsterne 
22; durch — bestimmtes Fundamen- 
talsystem in Deklination 25; in AR. 
26; Kataloge von —n 29. 


6 

Geminiden Radiationspunkt 452. 

Genauigkeit der astron. Beobach- 
tungen 265; — der Meridianbeobach- 
tungen samt numerischen Angaben in 
AR. 269; in Deklination 271; bei Re- 
fraktorbeobachtungen 273; bei photo- 

“ graphischen Beobachtungen 276; — 

bei der Horrebow-Talkottschen Me- 
thode 278. 

geographische Ortsbestimmung, 
Unabhängigkeit der — von der Erd- 
gestalt 85; — nach der Methode der 
Standlinien 144; Verwendung der Mer- 
katorfunktion bei der — 150; — durch 
erdmagnetische Beobachtungen 153. 

Gewichtstafeln von Auwers für Stern- 
kataloge 267, 272. 

Grenzkurven der Finsternisse 340, 346. 

Gravitation, Abweichung der — vom 
Newtonschen Gesetz nach Hall. 724; 
endliche Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit der —, Einfluß auf die Mond- 
bewegung 725; Konstante der — Defi- 
nition und Wert 734; Konstante der 
— in physikalischen Einheiten (C.G.S.) 
847; in astronomischen Einheiten 849; 
der Vergleich beider 851; Einsteins 


Theorie der — zur Erklärung der 
Perihelanomalie des Merkur 887. 
H 


Halbachse, große (Bahnelement) 382, 
737; säkulare Störungen der — 554; 
— der Erdbahn als astronomische 
Längeneinheit 848. 


Hansensche Koeffizienten — Jupiter. 


Hansensche Koeffizienten in der 
Entwicklung der Störungsfunktion 599; 
ihre Form nach Hill 600. | 

Hekubatypusder kleinen Planeten 532, 
551, 756. 

Heliometer 230; Historisches zum 

- — 232; Instrumentalfehler am — 244; 
persönliche Fehler bei Messungen am 
— 264; Genauigkeit der Beobach- 
tungen am — 275. 

Heliotrop von Gauß zur Erzeugung | 
von Lichtsignalen für geogr. Längen- | 
bestimmungen 117. | 

heliozentrische Koordinaten eines, 
Planeten oder Kometen, berechnet aus, 
den Elementen 383; Gaußsche Form 
für sie 384. | 

Helligkeit des Himmelshintergrundes | 
als störender Einfluß von Durchgangs- | 
beobachtung 253 | 

Helligkeit der Kometen 917; Reduk- 
tion der — auf die Einheit der Distanz 
von Sonne und Erde 917; möglicher 
Einfluß der Schweifentwicklung auf 
die — 919. | 

Helligkeit der Sterne, Einfluß auf die 
Genauigkeit astronomischer Beobach- 
tungen (Helligkeitsgleichung)247, 
257, Bestimmung der — 257; Elimina- 
tion der — durch das selbstregistrie- 
rende Mikrometer 261. 

Hemmung bei den Uhren 176; freie 
und Anker— 177. 

Hestiatypus der kleinen Planeten 756, 
801. 

Hildatypus der kleinen Planeten 756, 
802. 

Hillsehe Grenzkurve im restringier- 
ten Dreikörperproblem 969. 

Himmelsmechanik s. Dreikörper- 
problem. 

Höhe eines Gestirnes, Definition 18. 

Horrebow-Talcottsche Methode der 
Polhöhenbestimmung 105, 220; Ge- 
nauigkeit der Beobachtungen nach der 
—n — 278. 








I | 

Indiktionen, Sonnen- und Mondzirkel | 
— 375. | 
Inertialsystem, mechanische Bestim- | 
mung eines —s 3; empirisches — 4; 
gemischtes — in der Planetenastro-. 
nomie 9, 1015; Wahl der Grund- 
ebene und der Anfangsrichtung 5; 


1049 


Drehung des —s bestimmt aus den 
Anomalien in den säkularen Störungen 
der Bahnelemente der vier inneren 
Planeten 13; verbessert durch die 
Einsteinsche Gravitationstheorie 889; 
Einfluß einer Drehung des —s auf die 
Koordinaten eines Sternes 1015. 
Instrumentalfehler, Bedeutung der 
— 233; geometrische — in der Auf- 
stellung des Fernrohrs 233; am Me- 
ridiankreis, Azimut—, Kollima- 
tions—, Zapfen—, Durchbiegungs— 
235; am Refraktor 243; Genauig- 
keit ihrer Bestimmung 242. 
IntegraledesDreikörperproblems, 
Schwerpunktsätze 514; Flächensätze 
514; Energiesatz 518; Nichtexistenz 
bestimmter — nach Bruns 521; nach 
Poincar& im restringierten Problem 524. 
Integralinvariantentheorie 539. 
Intermediäre Bahn (Gylden) in der 
Mondtheorie 685; in der Planeten- 
theorie 783; — in der Theorie der 
Kometen 908. 
Intramerkurieller Planet, Einfluß 
auf die Mondbewegung 725. 
Isochronismus der Pendelschwingun- 
gen 167; der Chronometerspiralen 171; 
Herstellung des — durch Endkurven 
172; — durch Längenabstimmung 173. 


J 


Jacobisches Integral im restringier- 
ten Dreikörperproblem 520, 524, 969; 
Konstante des —s als Parameter zur 
Bestimmung periodischer Bahnen 972. 

jährliche Gleichung in der Mond- 
theorie 692, 881. 

Jahr, julianisches und tropisches — 21; 
annus fictus 21; Urform des —es 371; 
Mond- und Sonnenjahr und deren Aus- 
gleichung 371; julianisches und gre- 
gorianisches — 371; die griechische 
Zyklenrechnung 373; Dauer des tro- 
pischen —es; nach Hansen 372, 864; 
nach Hipparch 374; besondere Jahr- 


formen 374; siderisches — 865; tro- 
pisches — 864, 1014. 
Jahrbücher, astronomische — 69. 


Jahreszeiten 370. 

Jupiter, große Ungleichheit zwischen 
— und Saturn 551; Elemente der 
Bahn des — 732; Satelliten des — 
813, 818; analytische Störungstheorie 


1050 Jupiter — Koeffizientenberechnung. 


815; große Libration zwischen den 
drei ersten Satelliten 816; säkulare 
Störungen der Satelliten des — in 
Knoten und Neigung 827; in Ex- 
zentrizität und Länge 834; Masse des 
— 894; Wirkungssphäre des — und 
Bahnumwandlung von Kometen beim 
Eintritt in sie 934. 

Jupitergruppe der kleinen Planeten 
530, 732, 804. 

Jupiterjahre der Inder 375. 


K 


Kanon der Finsternisse nach v. Op- 
polzer 358. 

kanonische Form der Differential- 
gleichungen im Dreikörperproblem 514; 
— im Rotationsproblem der Erde 1018. 

Kataloge von Fundamentalsternen 29; 
Anlage von —n 67; systematische 
Fehler in —n 68; Bildung eines mitt- 
leren Systems 68; Herstellung eines 
Normal—s 266; Reduktions- und Ge- 
wichtstafeln für die — nach Auwers 
267; Doppelstern — 467; — der be- 
rechneten Doppelsternbahnen 483; — 
von spektroskopischen Doppelsternen 
486. 

Keplersche Gesetze der Bewegung 
der Planeten und Kometen 381. 

Keplersche Gleichung, Näherungs- 
methoden zur Auflösung der — 385; 
— Reihenentwickelungen 386. 

Kimm in der nautischen Astronomie 139. 

kleine Divisoren, ihr ‚Einfluß auf 
die Integrale des Dreikörperproblems 
551; — in der Mondtheorie 683; in 
der Planetentheorie 756; kritische 
Planeten wegen der — 802. 

Kleine Planeten (Asteroiden), Be- 
obachtung der — Iris, Viktoria, 
Sappho und Eros zur Bestimmung der 
Sonnenparallaxe 75, 281; Kommen- 
surabilitäten in den mittleren Be- 
wegungen der — (Pallas) mit Jupiter 
649; — Angabe ihrer Elemente 732; 
Proximitäten zwischen den — 732; 
Kommensurabilitäten in den mittleren 
Bewegungen der — 756; Planeten vom 
Hecuba, Hilda- und Hestiatypus 756; 
Lücken in der Verteilung der — 757; 
Einteilung in gewöhnliche, charakte- 
ristische und kritische — 802. 





Knotenlänge (Bahnelement), Definition 


382, 737; Elimination der — im 
Dreikörperproblem 515; mittlere Be- 
wegung der — in der Mondtheorie 
692, 721; säkulare Beschleunigung der 
— des Mondes 722; Ersetzung von — 
und Neigung durch die Elemente p 
und q 741; Berechnung der sükularen 
Störungen der — 749; — der Mond- 
bahn 878; scheinbare Verteilung der 
— der Kometen 924; Zahlenangaben 
über die — der Mondbahn 1009. 


Koeffizienten der Entwicklung der 


Störungsfunktion. 

für zwei zusammenfallende 
Ebenen (Laplacesche Koeffizienten) 
561; dargestellt durch hypergeome- 
trische Reihen 562; Integralausdrücke 
für sie 564; Rekursionsformeln 566; 
dargestellt durch das arithmetisch- 
geometrische Mittel von Gauß 567. 


— Differentialquotienten der — 


568; Berechnung nach Gauß, Leverrier 
569; nach Newcomb 570; asympto- 
tische Ausdrücke nach Cauchy 572; 
Formeln von Gylden 574; Tafeln 576. 


— für geneigte Bahnen Koeffzien- 


ten. von Jacobi 577; Entwicklung für 
kleine Neigungen 578; für beliebige 
Neigungen nach Tisserand 579; nach 
Hansen 581; hypergeometrische Reihen 
für sie 583; Formeln von Sundmann 585. 


— für elliptische Bahnen nach Le- 


verrier 586; nach Newcomb (Differen- 
tialoperatoren) 589; nach Gylden 595; 
nach Hill 595; Gruppenentwicklung 
nach Bohlin 596. 


— Hansensche Koeffizienten nach 


Potenzen des Verhältnisses der großen 
Halbachsen 599. 


— allgemeine Form der — zur Ab- 


leitung der Konvergenz der Entwick- 
lung durch Integrale 602; Konvergenz 
der Reihen für die — 606. 


—berechnung durch mechanische 


Quadratur 622; Integrale für die 
— vom hohen Grade nach Liouville 
625; Interpolation nach Leverrier 626; 
gemischte Methode von Cauchy 627; 
von Hansen 629; Anwendung ellipti- 
scher Funktionen nach Charlier 630; 
PoincareE 631; —entwicklung nach 
Gauß’ Theorie der säkularen Störungen 
632. 


Koeffizienten — Koordinaten. 


Koeffizienten, asymptotische Aus- 
drücke für die—, als Funktionen großer 
Zahlen 636; in Integralform 642; Ent- 
wicklungen nach der mittleren Ano- 
malie eines Planeten 649; nach denen 
beider Planeten, nach Hamy 651; nach 
Poincare 657; nach Feraud 661. 

— Eigenschaften der — 563, 689. 


Kollimationsfehler eines Meridian- 
instrumentes 235; Genauigkeit der Be-. 
stimmung des —s 243. 


Kollimationslinie des Fernrohrs 198; 
Fehler der — 235. 

Komet Biela, Periodizität entdeckt: 
900 (Fußn. 8); Anomalien in seiner 
Bewegung 910 (Fußn. 21); seine Tei- 
lung 936; seine Meteore, die Andro- 
mediden 942, 943, 950. | 

Komet Brorsen, periodischer —; 
Anomalien in seindr Bewegung 910 
(Fußn. 21). 

Komet Encke, Periodizität entdeckt 
900 (Fußn. 8); Anomalien in seiner 
Bewegung 910; seine Helligkeit 918. 


Komet Faye periodischer — Rene | 
lien in seiner Bewegung 900 (Fußn. 
21). 

Komet Halley als erster periodi- 
scher Komet 900; Vorausberechnung, | 
seiner Wiederkehr für 1758 nach 
Clairaut 901; für 1835 904 (Fußn. 13); | 
für 1910 903 (Fußn: 12); seine Me- | 
teore (Orioniden) 944, 950. | 

Komet Lexell, Periodizität entdeckt 
900 (Fußn. 8); seine Bahnumwandlung | 
932. 

Komet Winneke periodischer, Ano- 
malien in seiner Bewegung 910 (Fuß- 
note 21); seine Meteore (Drakoniden) 
944, 950. 

Kometen, Keplersche Gesetze für die 
Bewegung der — 341; Bahnbestim- 





| 
| 
! 
| 


! | 


mung der — 412; erste Beobach- 
tungen von — 899; Methode der 
Bahnbestimmung der — nach New- 


ton 900; erster periodischer Komet, 
entdeckt von Halley 900; Störungen 
der — 901; Bahnumwandlungen der, 
— bei starker Annäherung an einen 
Planeten 905; intermediäre Bahn der 
— 908; Anomalien in den Bewegungen 
der — 910; Masse der — 914; Hel-, 
ligkeit der — 917; kosmogonische | 


1051 


Stellung der — 920; beurteilt nach 
der Verteilung der Bahnelemente 921; 
nach der Wahrscheinlichkeit der el- 
liptischen oder hyperbolischen Bahnen 
926; nach der konvergierenden Ex- 
zentrizität der Bahn (Strömgren) 929; 
kurzperiodische — 932; das Tisserand- 
sche Kriterium für sie 934; andere 
Kriterien für die Identität zweier — 
935; Stabilität der Bahn der — 935; 
Teilungen von — 936; Systeme von 
— 937; Familien von — 937. 

Komels und Meteore, Auflösung 
der Kometen in Meteore 936, 945; 
erste Entdeckung des Zusammen- 
hanges zwischen — 940; Einzelunter- 
suchungen über diesen Zusammenhang 
941; Theorie des Zusammenhanges 
945; Kritik der Theorie 950; kome- 
tarische Meteore und interstellare Stern- 
schnuppen 950; Rechnungsvorschriften 
für die Untersuchung des Zusammen- 
hanges von — 952. 

'Kommensurabilität dermittleren Be- 
wegungen im Dreikörperproblem 532; 
Planeten vom Hekubatypus 532, 756, 
759; — zwischen Jupiter und Saturn 
551; zwischen Pallas und Jupiter 649; 
Berechnung des kritischen Koeffizien- 
ten in der Entwicklung der Störungs- 
funktion nach Cauchy 649; Planeten 
vom Hildatypus und Hestiatypus, be- 
rechnet nach Brendel 801. 

enipeurationnpenäel 169; Rost — 
169; Quecksilber — 169; Invar — 

“ 169. 

‚Kompensationsunruhe 174. 

'Konjunktion zweier Gestirne 339. 

Konstante der Präzession und Nuta- 
tion 39, 858, 1007; — der Gravitation 
734, 847, 849; astronomische —n 845; 
geodätische —n 846; physikalische 
—n 847; — der Aberration 854. 

Konvergenz der Reihen im Dreikörper- 
problem 549; Einfluß der kleinen 
Divisoren auf die — 551; — der Ent- 
wickelung der Störungsfunktion für 
die Koeffizienten 606; für die gegen- 
seitige Distanz 609. 

Koordinaten eines Planeten oder Ko- 
meten,heliozentrische — berethnet 
aus den Elementen 383; Gaußsche 
Form für die — 384; ihr Verhalten 
im komplexen Gebiete 389; bewegliche 


1052 


— in der Hansenschen as 
761; Gyldensche — 783. 

Koor dinaten, geographische eines | 
Meteors im Anfangs- und Endpunkt. 
seiner Bahn 432, 436; Genauigkeits- | 
bestimmung der — 450. | 

KordinateneinesSternes ‚Äquator—; | 
Prinzip der Messung im Meridian 21; 
wahre und scheinbare — 31; wahre: | 
und mittlere — 44; Änderung der — 
eines Sternes durch Drehung des Iner- | | 
tialsystems 1015. 

Koordinatensysteme in der Astro- 
nomie, — des Horizontes (Höhe und | 
Azimut) 18; — des Äquators (Dekli- 
nation, Stundenwinkel und Rekt-| 
aszension) 19; — der Ekliptik (Länge | 
und Breite) 19; Änderung der — durch | 
Präzession und Nutation 32. 

Kosmische Staubmassen. Einfluß 
der — auf die Bewegung der Kometen | 
913; — ihr Zusammenhang mit Ko- 
meten und Meteoren 943. | 

Kräftefunktion im n- -Körperproblem | 
514; in der Mondtheorie 673; Ent-| 
wicklung der — 674; in der | 
Planetentheorie 734; Unterschied ge- 
gen die Mondtheorie 735. | 

Kreis (Ring)-Mikrometer 223. | 

Kreise zur Ablesung des Drehungs- 
winkels des Fernrohrs 199; feste — 
(Alhidaden) und bewegliche — 199; 
Ausführung der Teilung der — 208. | 

Kreisteilung, Fehler der — 206; Unter- 
suchung der — nach Bessel 206; nach | | 
Hansen 207. 

kurzperiodische Störungen in der 
Planetentheorie 745; beeinflußt 
durch die langperiodischen 755; Zu- 
sammenhang mit den charakteristi- 
schen und elementaren Störungsglie- 
dern nach Gylden 795; — in der 
Theorie der Satelliten 842. 


L 


Länge in der Bahn eines Planeten oder 
Kometen, mittlere und wahre — 383; 
mittlere — des Mondes, deren säku- 
lare Beschleunigung 723; mittlere — 
als Bahnelement 738. 

Länge eines Sternes (Ekliptik) 19. 

Länge, geographische eines Erdor- 
tes; Definition 84; Bestimmung der — 
aus Mondfinsternissen 114; aus Ver- 





Koordinaten — Librationen. 


finsterungen der Jupitersatelliten 115; 
— aus Sternschnuppen 116; — durch 
künstliche Signale 117; — durch Über- 
tragung der Zeit mit Chronometern 
118; — auftelegraphischem Wege 119; 
— durch Funkentelegraphie 121; 
aus Mondkulminationen 121; — aus 
Mondhöhen 123; — aus Monddistanzen 
124; — Berücksichtigung der Erd- 
abplattung 129; — aus Sternbedeckun- 
gen 132; — aus Sonnenfinsternissen 
132; aus anderen Okkultationserschei- 
nungen 136; nach der Methode der 
Standlinien nach Sumner 144; St. Hi- 
laire 146; Höhentafeln dazu 148. 

‚Lambertsches Theorem 387; — zu- 
rückgeführt auf das Prinzip der klein- 
sten Wirkung nach Jacobi 388. 

'Lamellenmikrometer 223. 

‚langperiodische Störungen in der 
Mondtheorie nach Newcomb 725, 726; 
in der Planetentheorie 745; Einfluß 
derselben auf die kurzperiodischen 755; 
— hervorgerufen durch kleine Divi- 
soren in den Integralen 756; ihr 
Zusammenhang mit den charakteri- 
stischen und elementaren Gliedern 
nach Gylden 795; — im System der 
Jupitersatelliten 834. 

‚Laplacesche Koeffizienten in der. 
Entwicklung der Störungsfunktion 561; 
— dargestellt durch hypergeometri- 
sche Reihen 562; Integralausdrücke 
der — 564; Rekursionsformeln für 
die — 566; Darstellung durch das 
arithmetisch-geometrische Mittel 567; 
Differentialquotienten der — 568; Be- 
rechnung nach Gauß, Leverrier 569; 
nach Newcomb 570; nach Cauchy 572; 
nach Gylden 574; Tafeln für sie 576. 

Leoniden Radiationspunkt 452; mitt- 
lere Höhe des Aufleuchtens und Er- 
löschens der — 453; Masse der 
459; Zusammenhang mit dem Kometen 
1866 I, 942, 946, 950. 

Libration des Mondes; optische und 
physische — 1022; willkürliche und 
erzwungene — 1035. 

Librationeninder Planetentheorie 
757; kritische Planeten 802; in 
der Theorie der Satelliten zwischen 
den drei ersten des Jupiter 816, 
837; — im System der Saturnsatel- 
liten 838. 


Librationspunkte — Meteore. 


Librationspunkte im Dreikörper-| 
problem 529; — im restringierten | 
Problem 969; periodische Bahnen um 
die — L, und L, 974; um L, 976; 
um L, und L, 976. 

Licht, Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
des Lichtes 57, 813, 847; Bestim- 
mung der Sonnenparallaxe aus der Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit des —es 77; 
optische Ungleichheiten infolge der 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des 
—es bei Doppelsternen 471; Beziehung 
der Geschwindigkeit des —es zur Aber- 
rationskonstanten853 ; —gleichung 855. 

Lichtdruck, Einfluß des —s auf die 
Bewegung der Kometen 914. 

LichtkurveveränderlicherSterne, 
verwendet zur Bahnbestimmung in der 
Auffassung als Doppelsterne, Algol- 
sterne 498; als veränderliche mit kon- 
tinuierlicher Lichtschwankung 503. 

Lichtzeitparallaxe  (Planetenaberra- 
tion) 52. 

Luftdruck, Zusammenhang mit Tem- 
peratur und Dichte ‘zur Theorie der 
Refraktion 297. 

Luftwiderstand, Einfluß des —s auf 
die Bewegung der Meteore 456. 

Lunisolarjahr s. Mondjahr. 

ß Lyrae als veränderlicher Stern und 
Sterne von gleichem Typus; Bahn- 
bestimmung von — 503; Elemente 
nach Myers 507; die Veränderlichen 
U. Pegasi u. R. R. Centauri 507. 

Lyriden, Radiationspunkt 452; Zu- 
sammenhang der — mit dem Kometen 
1861 I, 943, 950. 


M 


Mars, Beobachtung des — zur Bestim- 
mung der Sonnenparallaxe 75, Ele- 
mente des — 732; Satelliten des— 822; 
Säkulare Störungen der Satelliten des. 
— 832; Masse des — aus den Le- 
verrierschen Gleichungen 888; End- 
wert der Masse des — 894. 

Maßstab (Skala), Teilung des —s 208; 
— am Heliometer 208. 

Masse von Meteoren 759; — von vi- 
suellen Doppelsternen 473; spektro- 
skopischen Doppelsternen 494; Ge- 
samt— der kleinen Planeten 732; Ein- 





1053 


heit der — 849; — des Mondes aus 
der Mondgleichung und Beziehung zur 


Sonnenparallaxe 857, 881; — des 
Mondes aus der Präzession und Nu- 
tation 860, 881, 1011; — von Erde 


und Mond aus der Sonnenparallaxe 
869; — der Planeten aus Satelliten- 
beobachtungen 882; — der Planeten 
aus säkularen Störungen 885; die Le- 
verrierschen Gleichungen für die —n 
von Merkur, Venus, Erde und Mars 
888; Endwerte der — der großen Pla- 
neten 890, 894; — der Kometen 914. 

Meridian eines Erdortes 18, 44; Ver- 
änderlichkeit des —s 33; momentaner 
— 45. 

Meridianbeobachtungen, Prinzip 
der — 21; gegenwärtige Praxis der 
— 25. 

Meridiankreis, Theorie des —s 210; 
Historisches zum — 216; Berücksich- 
tigung der Instrumentalfehler am — 
234; Reduktionsformel für Beobach- 
tungen am — nach Mayer 236; nach 
Bessel 236; Genauigkeit der Beobach- 
tungen am 269. 

Merkatorfunktion, Verwendung der 
— bei geogr. Ortsbestimmungen 150. 

Merkur, Vorübergänge des — zur Be- 
stimmung derSonnenparallaxe 73; Ele- 
mente des — 732; Masse des — aus 
den Leverrierschen Gleichungen 888; 
Endwert der Masse des — 891. 

Meteore, Radiant der — 429; geozen- 
trische Geschwindigkeit 430; Bestim- 
mung der Höhe des Endpunktes der 
— 432; des scheinbaren Radiations- 
punktes 436; Bahnlänge und Höhe 
des Aufleuchtens 440; Einfluß der 
Erdschwere (Zenitattraktion) auf — 
441; Genauigkeit der Beobachtungen 
und Berechnungen der Bahnen der — 
450; Ergebnisse über die Höhe des 
Aufleuchtens 452; über die geozen- 
trische Geschwindigkeit der — 454; 
über die Höhe des Endpunktes 454; 
Einfluß des Luftwiderstandes auf die 
Bewegungen der — 456; Masse und 
Helligkeit der — 459; die heliozen- 
trische Geschwindigkeit der — 460; 
Unterscheidung zwischen —n und 
Feuerkugeln 452; Ursprung beider; 
interstellar oder interplanetar 461; 
Massenzuwachs der Erde durch — 


1054 


und Einfiuß auf die Mondbewegung 
725; Einfluß auf die Bewegung der 
Kometen 913; Auflösung von Kometen | 
in — 936, 945; Zusammenhang zwi- 
schen Kometen und —n; erste Ent- 
deckung 940; Einzeluntersuchungen | 
941; Theorie des Zusammenhanges 
945, 950; Unterscheidung von kome- 
tarischen und interstellaren —n 950; 
Rechnungsvorschriften für die Unter- 
suchung des Zusammenhanges von, 
Kometen und —n 952. 

meteorologische Instrumente bei‘ 
astronomischen Beobachtungen 209; 
— Korrektionsglieder der Refraktion. 
245. 

Meteorströme (Meteorschwärme) 430, 
446; Bahnbestimmung nach R. Leh- 
mann-Filhes 443; Genauigkeit der Be- 
rechnung ihrer Radianten 451. | 

Metonscher Zyklus 373; Verbesse- | 
rung des — durch Kallippus 373; | 
durch Hipparch 375. | 

Mikrometer, selbstregierendes — nach 
Repsold am Meridiankreis 214; — zur 
Elimination der Helligkeitsgleichung 
261. 

Mikrometerschraube 201; Fehler der 
—, periodische und fortschreitende 
202; Run 203. 

Mire 235; Konstanz der Aufstellung der 


— 243. 
Mittagsverbesserung bei Zeitbe- 

stimmung aus korrespondierenden 

Höhen 88. | 


Mitternachtsverbesserung bei Zeit- 
bestimmung aus korrespondierenden 
Höhen 88. | 

Mondfinsternisse, Kriterium für das 
Stattfinden der — 360; Verlauf der — 
361; Vergrößerung des Erdschattens 
bei —n 360; Tafeln zur Vorausberech- 
nung der — 361. 

Monat, synodischer —, Dauer nach 
Hansen 372 (Fußn. 13), 879; nach 
Hipparch 374; tropischer — 879; si- 
derischer — 879; anomalistischer — 
879; drakonitischer — 879. | 

Mondgleichung in der Erdbewegung, 
856; Beziehung zur Mondmasse und 
Sonnenparallaxe 856. | 

Mondjahr, freies und gebundenes — | 
372; Ausgleichung mit dem Sonnen- | 
jahr 373. | 


'Mondkulminationen, 


Meteore — Mondzirkel. 


Mondkrater Mösting A, Beobachtung 
des —s zur Bestimmung der physi- 
schen Libration des Mondes 1040. 

Mondmasse aus Erosbeobachtungen 
283; — aus der Mondgleichung 856; 
aus der Präzessions- und Nutations- 
konstanten 861; Endwert der — 881. 

Beobachtung 

von — zur Längenbestimmung 121. 


Mondtheorie, Stabilität der Bahn nach 
Hill 534; Delaunays — 541 (Fußn. 78); 
Entwicklung der Störungsfunktion 
der — 601; Historisches zur — 669; 
Verhältnis der zum n-Körper- 
problem und zur Planetentheorie 
672; Kräftefunktion in der — 673; 
Differentialgleichungen der Bewegung 
der — in polaren Koordinaten 675; 
bezogen auf ein bewegtes Achsen- 
system nach Hill 675; in kanonischer 
Form 677; nach Gylden - Lindstedt 
678; Ausdrücke der Koordinaten in 
der — 681; Konvergenz der Reihen 
in der — 684; intermediäre Bahn in 
der — 685; Entwickelung der Störungs- 
funktion in der — 687; Methode der 
Variation der Konstanten 687; geo- 
metrische Methoden zur Lösung der 


— 692; wahre Länge als unab- 
hängige Variable 692; die Zeit 
als solche 694; Variation willkür- 
licher Konstanten 695; Delaunays 


Theorie 695; rechtwinklige Koordina- 
ten mit beweglichen Achsen 698; 
Hillsche Theorie 699; Browns Theo- 
rie 701; Hansens Theorie 703; von 
Öppolzers Theorie 707; die wahre 
Anomalie als unabhängige Variable 
nach Euler 709; Gylden 710; Brendel 
711; planetarische Störungen 713; 
direkte 715; durch Venus und Ju- 
piter 716; indirekte 718; Einfluß der 
nichtsphärischen Figur der Erde 713, 
862; säkulare Beschleunigung des 
Mondes 720; Störungen zweiter Ord- 
nung in der — 723; andere mög- 
liche störende Kräfte 724; gegen- 
wärtiger Stand der — 726; empi- 
rische Glieder in der — nach New- 
comb 726; Tafeln der Bewegung des 
Mondes 727; Zahlenangaben nach 
Hansens Tafeln 1027. 
Mondzirkel 375. 


Nadirpunkt — Pendel. 1055 


N 

Nadirpunkt des Meridiankreises 239; 
Veränderung des —es infolge von Tem- 
peratur 211; zeitliche Veränderungen 
241; Genauigkeit der Bestimmung 242. 
Neigungsfehler eines Meridianinstru- 
mentes 236; zeitliche Veränderungen 
der — 242. | 
Neigungswinkel (Bahnelement) De- 
finition 382, 737; Ersetzung von Be 





ten und — ddireh die Elemente p| 'Pallas, 


und q 741; Berechnung der säkularen 
Störungen 749; — der Mondbahn | 
880; scheinbare Verteilung der — der 
Kometen und Planeten 924; Zahlen- 
angaben über den — der Mondbahn- 
1009. 
Neptun, Elemente 732; Satelliten des 
— 821; säkulare Störungen der Satel- 
liten des — ın Kuoten: 833; Masse, 
des — 895. | 
Newtonsches Gesetz, gültig für Dop-. 
pelsterne 470, 483; Prüfung des —ı 
aus Doppelsternbeobachtungen 484; 
Wert der Konstanten im — 734; in 
physikalischen Einheiten 847; in astro- 
nomischen 849; Vergleich beider 851. 
Nn- Körperproblem, Differentialglei- 
chungen des —s 521; periodische 
Bahnen im Vierkörperproblem 988. | 
Normaluhr, Übertragung der Zeit der. 
— auf andere 185. | 
Nullmeridian 84; Datumgrenze 85. 
numerische Integration (mechani-. | 
sche Quadratur) zur Berechnung der 
Koeffizienten der Störungsfunktion 622; 
in der Methode der speziellen Stö- | 
rungen 960; — im Dreikörperproblem | | 
966; — im restringierten Dreikörper- | 
problem 968; — im nichtrestringierten 
988. ‚ | 
Nutation, Ursache der — 34; nume- 
rische Angaben über die — 36, 1010, 
die Konstante der — 39; Einfluß der 
— auf die Koordinaten der Sterne 64; | 
Hauptglied der — 860; Definition der 
Lunisolar — 1005; — in Länge und | 
Schiefe 1010. 
Nutationsellipse, Definition 40. 


'Orioniden, Radiationspunkt der — 


452; möglicher Zusammenhang mit 
dem Kometen Halley 944, 950. 


oskulierundeKlementein der Planeten- 


theorie 741. 


Ortszeit, Stern — 866, mittlere — 866. 
Österzyklen 376; Formeln zur Be- 


rechnung des Osterfestes 376 (Fußn. 26). 


r 
Planet, Bahnbestimmung und 
spezielle Störungen für die — nach 


Gauß 960. 


'parallaktische Ungleichheit in der 


Mondtheorie 692, 881; Bestimmung 
der Sonnenparallaxe aus ihr 874. 


ıParallaxe, Definition 31; Einfluß der 


— auf die Koordinaten eines Sternes 
48; tägliche — 49; Horizontal- und 
Ääquatoreale-Horizontal— 49; jähr- 
liche — 50; säkulare — 51; Bestim- 
mung der — von Fixsternen 70, 78, 
283; Korrektion wegen — bei Bahn- 
bestimmungen 419; hypothetische — 
von Doppelsternen 473. 


|Parallaxe des Mondes 71; trigono- 


metrische Methode der Bestimimung 
71, 870; gravitationstheoretische — 
72, 868, 871; ihr Wert nach Hansen 
71; Beziehung der — zu der der Sonne 
und zur Erdmasse 868, 874; Wert der 
— 872. 


raliaxe der Sonne 73; indirekte 


Methode der Bestimmung — auf 
Grund des 3. Keplerschen Gesetzes 
73, 851; aus Venusdurchgängen 73, 
852; aus Beobachtungen des Mars und 
der kl. Planeten 75, 281, 852; aus 
der Mondungleichheit 75, 874; aus 
der Mondgleichung 76; — aus 
der Lichtgeschwindigkeit 77; gegen- 
wärtig angenommener Wert 78; Zu- 
sammenhang der — mit der astro- 
nomischen Längeneinheit (Erdbahn- 
halbachse) 848; Beziehung der — zur 
Aberrationskonstanten 853; Beziehung 
zur Mondmasse und —gleichung 857; 
Beziehung zur Mondparallaxe und Erd- 
masse 868; Vergleich der verschiede- 
nen Methoden und Endwert der — 893. 


Ö Passageninstrament im Meridian 216, 


Oktaöteris 373. 


optische Fehler des Auges und des | 
Okulars 249. | 


218; — im ersten Vertikal 219. 


Pendel, das freie — 166; Schwingungs- 


gleichung des einfachen —s 166; das 


1056 


physische — 167; Isochronismus für | 
unendlich kleine Schwingungen 167; | 
Aufhängung der — mit Feder 167; 
Theorie von Bessel 167; Aufhängung 
der — mit Faden 168; Theorie von 
Bessel 168; Kompensationspendel 169; 
Länge des Sekunden—s nach Iwanoff 
846. 

Pendeluhr 165; mit Kompensation 
169; Störungen der — durch die 
Schneide 177; Einfluß der Unterlage 
177, des umgebenden Mittels 178; 
Rieflersche — 185. 

Periastron, Bahnelement von Doppel- 
sternen 471. 

Perigäum des Mondes; säkulare Be- 
schleunigung des —s 722; Angabe der 
Länge des —s 878. 

Periheldistanz, (Bahnelement) 382; 
scheinbare Verteilung der —en der 
Kometen 922. 

Perihellänge (Bahnelement), Defini- 
tion 382, 738; Ersetzung von 
und Exzentrizität durch die Elemente 
g und h 741; Berechnung der säku- 
laren Störungen der — 751; anomale 
Störung der — des Merkur 887; er- 
klärt durch die Einsteinsche Gravi- 
tationstheorie 887; scheinbare Ver- 
teilung der —n der Kometen 921. 

Perihelzeit (Bahnelement) 382. 

Perioden der Sonnenfinsternisse (Saros- 
zyklus) 359. 

periodische 
körperproblem, allgemeine Theorie, 
und Normalvariable für sie 527; 
Kriterien zu ihrem Auffinden und 
Einteilung nach Poincar6 528; spe- 
zielle — 529; die Lagrangeschen Li- 
brationspunkte 529, 969; — Ejek- 
tionsbahnen nach Burrau 530, 972; 
Berechnung von Ejektionsbahnen, er-| 
möglicht durch die Thielesche Trans- 
formation 971; Einteilung der— nach 
Familien von Darwin 973; nach Klas- 
sen von Thiele 973; spezielle 
um das Librationszentrum L, und L, | 
974; um L, 976; um L, und L; | 
976; um eine der Massen (rechtläufig) | 
977, (rückläufig) 983; um beide Massen | 
983; 
körperproblem 988; — im Vier- und 
Vielkörperproblem 992; — in mehr- | 
fachen Sternsystemen 993. | 





Lösungen im Drei- 


| 
| 
| 
; 


— im nichtrestringierten Drei- j 


Pendel — Planetentheorie. 


Perseiden, Radiationspunkt 452; mitt- 
lere Höhe des Aufleuchtens und Er- 
löschens der — 452; Zusammenhang 
der — mit dem Kometen 1862 III 
941, 950. 

persönliche Fehler bei astronomi- 
schen Beobachtungen 214; — Gleichung 
250; — bei Schätzungen von Unter- 
abteilungen 250; Abhängigkeit der — 
von verschiedenen Umständen 252; 
absolute Bestimmung der — 255; 
bei Beobachtung vom Aufleuchten 
oder Verlöschen einer Lichtquelle 261. 

Photographie im Dienste der astro- 
nomischen Beobachtungen bei dif- 
ferentiellen Ortsbestimmungen 225; 
Genauigkeit der Beobachtungen 276. 

Planetenaberration s. Aberration. 

Planetenscheibe, Figur einer unvoll- 
ständig beleuchteten — 364. 

Planetentheorie, Keplersche Gesetze 
der — 381; Fundamentalproblem der 
Himmelsmechanik 513, 862; Drei- 
körperproblem 514; n-Körperproblem 
521; Störungsfunktion der — 560 
Hauptteil und indirekter Teil 561; 
Entwicklung der Störungsfunktion 
der — 561 u. ff.; Differentialglei- 
chungen der 733; erste An- 
näherung, das Zweikörperproblem 
736; Integrationsmethoden der Stö- 
rungsgleichungen in der — 743; ge- 
ordnet nach den störenden Massen 

‘744; Klassifikation der Störungsglie- 
der in der — 745; Berechnung der 
säkularen Störungen der — nach 
Gauß 632, 748; — nach Hansen 760; 
Differentialgleichungen der Bewegung 
in der instantanen Bahnebene 763; 
Differentialgleichungen der Bewegung 
der Bahnebene 764; des Radiusvektor 
und der mittleren Anomalie 766; In- 
tegration der Hansenschen Gleichun- 
gen 771; Störungen in der — nach 
rechtwinkligen Koordinaten 775; nach 
Polarkoordinaten 779; Störungsrech- 
nung in der — nach Gylden 782; 
Einteilung der Störungsglieder 795; 
Integration 797; spezielle Ausfüh- 
rungen zur Gyldenschen — 801; Me- 
thoden von Brendel 801; Störungs- 
rechnungen in der — nach Backlund 
803; genäherte Störungsrechnung der — 
804; Gruppenrechnungnach Bohlin 805. 


Planetenvorübergänge — Rekursionsformeln. 


Planetenvorübergänge, Beobach- 
tung der — (Venus) zur Bestimmung 
der Parallaxe der Sonne 73; allgemeine 
Theorie der — 364. 

platonisches (auch großes) Jahr 375. 

Poincarösches Theorem; Nichtexistenz 
bestimmter Integrale im Dreikörper- 
problem 524. 

Pointieren (Einstellen) der Visier- 
linie auf einen Stern 196; Genauig- 
keit des —s 204; Febler beim — mit 
einem Faden 262; Einfluß des —s auf 
Positionswinkel und Distanzmessungen 
am Refraktor 263; — bei Doppel- 
sternmessungen 263; bei Heliometer- 
messungen 264. 

Polhöhe geographische Breite 
eines Erdortes 23, 44, 83; Veränder- 
lichkeit der — (Polschwankungen) 33, 
1002, 1018; infolge der Anziehung von 
Sonne und Mond 45; Bestimmung der 
— aus Meridianhöhen 96; aus Zirkum- 
meridianhöhen 98; aus Höhen des 
Polarsternes 99; aus zwei Höhen und 
der Zwischenzeit (Zweihöhenproblem) 
100; — aus drei Höhen nach Gauß 
103; — nach der Horrebow-Taleott- 
schen Methode 105; — aus Durch- 
gängen durch den ersten Vertikal 
107; — nach der Methode der größten 
östl. und westl. Digressionen 110; — 
durch möglichst vom Sternort unab- 
hängige Beobachtungen 110; — auf 
photograpliischem Wege 113. 

Polpunkt des Meridiankreises 239. 

Polschwankungen 33, 45, 1002, 1018; 
Eulersche Periode der — 1002, 1018. 

Positionsmikrometer 224. 

Positionswinkel und Distanz bei 
Messung der gegenseitigen Lage der 
Komponenten von Doppelsternen 466; 
Reduktion auf ein festes Äquinoktium 
469. 

Präzession, Bestimmung der — auf 
stellarstatistischem Wege 6, 859, 1014; 
auf mechanischem Wege 12; Ursache 
der — 34; numerische Angaben über 
die — 36; Konstante der — sowie all- 
gemeine und lunisolare — 39, 858, 1007; 
Berechnung der —sgrößen für die AR 
59, 859; Definition der Lunisolar — 
1005; — durch die Planeten 1007; 


— in Länge und Schiefe 1010; in 


Rektaszension 1013. 
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 





1057 
q 


Quadrantiden, Radiationspunkt 452. 
Quecksilberhorizont für reflektierte 
Sternbilder 239. 


R 


Radiant einer Meteorbahn, De- 
finition 429; scheinbarer und wahrer 
— 430; Berechnung des —s aus Beo- 
bachtungen an verschiedenen Orten 
430; aus Beobachtungen verschiede- 
ner Meteore desselben Stromes an 
einem Erdorte 442; Genauigkeit der 
berechneten —en 451. 

Räder- und Triebwerk der Uhren; 
Theorie 183. 

Refraktion, astronomische 31, 245; 
meteorologische Anomalie der — 245; 
Saal— 245; Größe der mittleren — 
293; Theorie der — 293; Differential- 
gesetz der — 314; —skonstante 303, 
316; Integral der — 317; Formeln für 
die — nach Cassinis Hypothese 317; ' 
nach Mayer 318; nach Bradley 319; 
nach Simpson 319; Laplacescher Satz 
über die — 319; Bessels Formel für die 
— 320; nach der Theorie von Schmidt 
323; Vergleichstabelle für die ver- 
schiedenen Formeln der — 325; Ein- 
fluß der — auf Finsternisse 343. 

Refraktor s. auch Fernrohr und 
Äquatoreal Theorie 210; parallak- 
tische Montierung des —s 222; Be- 
obachtungsmethode bei ruhendem — 
223; bei bewegtem — 224; mit Dop- 
pelbildmikrometer 230; — als Helio- 
meter 230; Historisches zum — 231; 
photographischer — oder Astrograph 
232; persönliche Fehler bei Beobach- 
tungen am — 263; Genauigkeit der 
Beobachtungen am — 273. 

Regulatoren für gleichförmige Dre- 
hung der Fernrohre 188; nach Huy- 
gens 189; — nach Foucault 189, 191; 
— nach Viliarceau 191; nach Rep- 
sold 192; Genauigkeit der Bewegung 
des Fernrohrs durch — 228. 

Rekursionsformeln für die Laplace- 
schen Koeffizienten 566, 568, 570; für 
die Koeffizienten der Entwicklung 
der Störungsfunktion bei geneigten 
Bahnen 578; für elliptische Bahnen 
584 ; — derNewcombschen Differential- 

69 


1058 


operatoren 592; allgemeine Theorie 
der — und Differentialgleichungen 610; 
— mit rationalen Koeffizienten 614; 
— mit eindeutigen Koeffizienten 616. 


Rektaszension, Definition 19; Be- 
stimmung der — aus Meridianbeob- 
achtungen 21; — aus Anschlußbeob- 


achtungen 30; Bestimmung der — 
am Meridiankreis 211; Fehler der be- 
obachteten Antrittszeiten an den Fäden 
213; Aug- und Öhrbeobachtungen 
214; chronographische Beobachtungen 
213; —sbeobachtungen mit selbst- 
registrierendem Mikrometer (Repsold) 
214; photographische Methoden 279 
(Fußn. 165); Einfluß der Instrumental- 
fehler bei —sbeobachtungen 236. 
Repetitionskreise 205. 
Rieflersche Pendeluhr 185. 
Ring des Saturn, Einfluß des — auf 
die Bewegung der Satelliten 822. 
Römerzinszahl 375. 


Rotation der Erde, kegelförmige Be- | 


wegung der —sachse der Erde 33; 
allgemeine Theorie der — 996, 1017. 
Rotation der Himmelskörper, ke- 


gelförmige Bewegung der —sachse | 


der Planeten 822; Differentialglei- 
chungen für diese — 822; für die 
der Ringe des Saturn 823; Histori- 
sches zur — 996; allgemeine Theorie 
der — 996, 1017. 

Rotation des Mondes, Cassinische 
Gesetze der 1021; Differential- 
gleichungen für die — 1023; Zahlen- 
angaben 1027; Integration der Glei- 
chungen 1029; Störungen der 


durch die Anziehung der Sonne 
1036; Bestimmung der Konstanten 
der — aus Beobachtungen 1038; 


wahrscheinlichste Werte der Kon- 
stanten 1040. 

Rotationsgeschwindigkeit der 
Erde, deren Periode als Zeitmaß 20, 
848; Konstanz der — 42; mögliche 
Variationen der — zur Erklärung 
der Säkularbeschleunigung des Mon- 
des 43, 723, 724. 

Run des Mikroskops 203. 


Ss 


Säkularbeschleunigung des Mon- 
des 720; — von Halley entdeckt 720, 
878; berechnet vonLaplace 720; Adams 





Rekursionsformeln — Schiefe der Ekliptik. 


720; Newcomb 721; Brown 722; Er- 
klärungsversuche der — 723. 

Säkulardeterminante zur Berech- 
nung der säkularen Störungen in der 
Planetentheorie 749; für Knoten und 
Neigung, Werte der Wurzeln für die 
großen Planeten 751; für die Ele- 
mente, Perihellänge und Exzentrizität 
751. 

Saroszyklus 
359. 

Satelliten von Planeten, Bahnbestim- 
mung der — 508; mit sofortiger Be- 
rücksichtigung von Störungen 510; 
Störungstheorie der — 812; empiri- 
sche Methoden 812; analytische Me- 
thoden 815; — des Jupiter in empiri- 
scher Behandlung 812; in analytischer 
815; — des Saturn; empirische 814; 
analytische Theorie von Bessel 819; 
allgemeine Störungstheorie der — 821; 
säkulare Störungen der Knoten und 
Neigungen der Bahnen der — 825; 
der Exzentrizitäten und Längen 834; 
Librationen im System der — 837, 
838; sükulare Störungen der — in- 
folge der Abplattung der Planeten 
884. 

Saturn, große Ungleichheit zwischen 
—- und Jupiter 551; Elemente des — 
732; Satelliten des — 814; analytische 
Störungstheorie für sie 819; der Ring 
und die Abplattung des — 820; 
Einfluß auf die Bewegung der Satel- 
liten 821; säkulare Störungen der Sa- 
telliten des — in Knoten und Neigung 
828; — in der Exzentrizität und Länge 
838; Masse des — 89. _ 

Schaltung, verschiedene —en zur Aus- 
gleichung von Mond- und Sonnen- 
jahren 373; julianische und gregoria- 
nische — 372 (Fußn. 15). 

Schatten, Halb- und Kernschattenkegel 
bei Finsternissen 341; bei Mondfinster- 
nissen 360; Erd—vergrößerung 360. 

Schichtverziehung bei photographi- 
schen Aufnahmen 249. 

Schiefe der Ekliptik, Variation der 
— 5; Ursache der Variation der — 34; 
mittlere — der Ausgangsepoche und 
mittlere lunisolare — 38, 1007; An- 
gabe der — für 1850.0, 858; für 
1900.0, 864; als Funktion der Zeit 
1010; wahre — 1008. 


der Sonnenfinsternisse 


Schweife — 


Schweife derKometen, Ausströmung 
der Materie bei der Bildung der — 
und ihr Einfluß auf die Bewegung 
der Kometen913; Zusammenhang der 
Entwickelung der — mit der Hellig- 
keit 917 (Fußn. 37); anomale Schweife 
als Ursache der Teilung der Kometen 
936, 947. 

Schwerebeschleunigung auf der 
Erde 846; Verhältnis der — zur Zentri- 
fugalkraft 847. 

Schwerpunkt von Sonne und Pla- 
neten, Reduktion der Bewegung der 
Kometen auf den — 902. 

Schwerpunktsätze im Dreikörper- 
problem 514; Reduktion der Differen- 
tialgleichungen durch die — 515. 

Schwingungsmittelpunkt eines phy- 
sischen Pendels 167. 

Sektor- und Dreiecksverhältnisse 
bei der Bahnbestimmung eines Pla- 
neten 391; analytische Ausdrücke für 
— 392; Angabe der erforderlichen 
Genauigkeit 394; Näherungen für — 
395 (Gauß, Oppolzer, Gibbs, Ebert). 

Sichtbarkeit der Kometen, Bedin- 
gung der — zur Zeit ihrer Entdeckung 
921; Bereich der — in der Abhängig- 
keit von der Periheldistanz 926. 

Singularitäten bestimmter Inte- 
grale zur Bestimmung der Konver- 
genz der Reihen der Störungsfunktion 
604. 

Sonnenfinsternisse, Einteilung in 
totale, ringförmige und partielle 339; 
Grundgleichung der — 340; Einfluß 
der Strahlenbrechung auf — 343; 
Einfluß der Erhebung des Erdortes 
auf — 343; Kriterien für die Gattung 
der — 345; Grenzkurve der Sichtbar- 
keit der — 346; östliche und westliche 
349; nördliche und südliche — 352; 
Kurven sonstiger speziellen Phasen 
bei —n 354; Kurven der Zentralität 
354; lokaler Verlauf einer — 355; 
Zeit der größten Phase und Größe der 
— 355; Positionswinkel der Berüh- 
rungspunkte 356; theoretische An- 
wendungen der — 357; Tufeln zur 
Berechnung von —n nach Hansen 357; 
Oppolzer (Kanon) 358; Perioden der 
—, die Saroszyklen 359. 

Sonnenjahr, tropisches, julianisches 
und gregorianisches 372, 376. 





Störungen. 1059 

Sonnenzeit, wahre und mittlere — 
Definition 20, 83. 

Sonnenzirkel 375. 

Sothisperiode der Ägypter 374. 

Stabilität der periodischen Lösungen 
im Dreikörperproblem charakterisiert 
durch die benachbarten Lösungen 
532; charakteristische Exponenten der 

534; bestimmt durch den 
Charakter der Bewegung für große 
Werte der Zeit 538; — & la Poisson 
538. 

Standlinienmethode (Summersche 
Linien) in der nautischen Astronomie 
144. 

Sternbedeckungen durch den Mond 
362; theoretische Anwendung — 363; 
in der Mondtheorie 727 (Fußn. 233®), 

Sternhaufen, Bahnen in — 994. 

Sternort, wahrer, mittlerer und schein- 
barer — 44; Reduktion auf den schein- 
baren — im Äquator 65! 

Sternschnuppen s. Meteore. 

Sternweite, Definition der — 848. 

Störungen der Kometen 901; Rech- 


nungsmethode der — nach Clairaut 
901; nach Laplace 902; Reduktion 
der — auf den Schwerpunkt von 


Sonne und störenden Planeten 902; 
Reduktion auf den störenden Planeten 
als Anziehungszentrum 904; Berech- 
nung der — nach Hansen und Gylden 
(partielle Anomalie) 906, 966; Dar- 
stellung der — durch eine inter- 
mediäre Bahn (Gylden) 908; analy- 
tische Form der — nach Strömgren 
und Fayet 909; Maximal— in der 
großen Achse der Bahn der Kometen 
931. 

Störungen der Planeten, Definition 
der — 545; — zweiter Ordnung in der 
Mondtheorie 723; periodische 
— in der Planetentheorie 545, 738, 
745; gemischt und rein säkulare — 
746; Ordnung und Grad, Rang und 
Klasse der — 746; Haupt— des Mon- 
des 881. 

— säkuläre, Definition — 545; Be- 
rechnung der — nach Gauß 632; — 
in der Mondtheorie 720; gemischt 
und rein — nach Poincare 746; Be- 
rechnung der — nach Gauß 748; 
erste Annäherung der Berechnung — 
748; (Säkulardeterminante) für Knoten 

69* 


1060 


und Neigung 749; für Perihellänge | 


und Exzentrizität 751; — der kleinen 
Planeten 753; — höherer Ordnungen 
754; Einfluß der — auf die periodi- 
schen Störungen 754; — der Kno- 
ten und Neigungen der Satelliten- 


bahnen 825; speziell im System des 
Jupiter 827; — im System des Sa- 
turn 828; — der Exzentrizität und 


Länge für Satelliten 834; — in der 
Mondbewegung, hervorgerufen durch 
die Abplattung der Erde 862; 
durch ein widerstehendes Medium 911. 

— spezielle, Geschichtliches zu den 
— 959; Methode der — 960; — in 
rechtwinkligen Koordinaten nach 
Encke 962; — in Polarkoordinaten 
963; in den Bahnelementen 964; in 
der partiellen Anomalie für Kometen 
966. 

Störungsfunktion, Definition der — 
560, 735; Hauptteil und indirekter 
Teil der — 561; Entwicklung der — 
für Kreisbahnen in einer Ebene 561; 
Laplacesche Koeffizienten 561; Ent- 
wicklung der — für Kreisbahnen in 
geneigten Ebenen 577; Koeffizien- 
ten der Entwicklung 577; Entwick- 
lung der — für elliptische Bahnen 
586; nach Leverrier 586; nach New- 
comb 589; zweiter Teil der — 597; 
Entwicklung nach kanonischen Ele- 
menten 598; — der Mondtheorie 601, 
687; Konvergenz der Entwicklung 602; 
betreffs der Koeffizienten 606; betreffs 
der Entwicklung der Distanz 609; 
numerische Entwicklungsmethoden der 
— 618; Übergang von der exzen- 
trischen zur mittleren Anomalie (Bes- 
selsche Funktionen) 619; Entwicklung 
der — durch mechanische Quadratur 
622; — der Satelliten der Planeten 824. 

Stundenwinkel, Definition 19. 

Synchronisieren zweier Uhren 185; 
Theorie der synchronischen Verbin- 
dung zweier schwingenden Systeme 
186. 

systematische Fehler bei astr. Be- 
obachtungen 265; — bei Meridian- 
beobachtungen (A a, Ad, Aug, AÖ,) 
zur Erzielung eines Normalsytems 
267. 

Szintillation der Sterne 292 (Fuß- 
note 2). 


| 





Störungen — Universalinstrument. 


T 

Tafeln zur Berechnung von Sonnen- 
finsternissen, nach Hansen (Eklipti- 
kal—) 357; nach v. Oppolzer (Syzy- 
gien—) 358; v. Oppolzers Kanon 358; 
— für Mondfinsternisse 361; — der 
Mondbewegung 727. 

Tag, Beginn und Einteilung des —es 
369; natürliche und gleichteilige 
(Äquinoktial) Stunden des —es 369; 
der mittlere Sonnen— als astrono- 
mische Zeiteinheit 848, 866; Stern— 
866; Beziehung zwischen Sonnen- und 
Sterntag 867. 

Teilung der Kreise, Ausführung der 

205; Fehler der — 206; ihre 
Untersuchung nach Bessel 206; Han- 
sen 207; Teilung der Maßstäbe (Ska- 
len) 208. 

Temperatur der Luft, Zusammenhang 
zwischen —, Dichte und Druck 297; 
Abnahme der — mit der Höhe 299; 
—gradient 300. 

Trägheitsgesetz, Bezugsystem des 
—es s. Inertialsystem. 

Trägheitsmomente der Erde, Un- 
gleichheit der — 33, 858; — als Ur- 
sache der Präzession und Nutation 
34, 857; Angabe des Verhältnisses 
der — 861; Berechnung der Abplat- 
tung der Erde aus den —n 861; 
des Mondes 1041. 

Transmissionskoeffizient der At 
mosphäre 326. 

Transneptunische Planeten, Mög- 
lichkeit ihrer Existenz, erschlossen 
aus der Verteilung der Apheldistanzen 
der Kometen 934 (Fußn. 88). 


U 

Uhr, Theorie der — 164; Pendel— 
166; Chronometer — 171; Verwen- 
dung bei den astronomischen Beob- 
achtungen 208; Übertragung der Se- 
kundenschläge der — auf elektrischem 
Wege (Chronograph) 209. 

Uhrgang und Uhrkorrektion 22; 
Formeln für sie 187. 

Uhrwerk zur Bewegung des Fernrohres 
s. Regulator. 

Umlegen des Meridiankreises 234. 

Universalinstrument (Altazimut) zur 
Bestimmung der sphärischen Koordi- 
naten eines Sternes 197. 

Universaltransitinstrument 220. 


Uranus — Zyklenrechnung. 


Uranus, Elemente des — 732; Satelliten 
des — 821; säkulare Störungen des 
— in Knoten und Neigung 833; Masse 
des — 895. 

UrsprungderKometen, interstellarer 
und solarer — 920; beurteilt nach der 
Verteilung derBahnelemente 921; nach 
der Wahrscheinlichkeit der ellipti- 
schen und hyperbolischen Bahnen 
926; nach dem Endwerte der Störung 
der Exzentrizität 929; Zusammenhang 
mit den Meteoren 941. 


Y 

Variation (als Ungleichheit) in der 
Mondtheorie 692, 881. 

Variation der Konstanten, Me- 
thode zur Lösung des Dreikörper- 
problems 541; — in der Mondtheorie 
688; Form von Delaunay 688; von 
Hansen 689; von Brown 689; — in 
der Planetentheorie 738; Differential- 
gleichung für die — der elliptischen 
Elemente (nach Lagrange) 739; dar- 
gestellt durch die Komponenten der 
störenden Kraft 782. 

Variationsbahn des Mondes 702. 

Variationskurve nach Hill im Drei- 
körperproblem 530. 

veränderliche Sterne als Doppel- 
sterne, Algolsterne, Bahnbestimmung 
der — 498; — von kontinuierlicher 
Lichtschwankung (ß Lyrae), Bahn- 
bestimmung 503; — vom Typus von 
öCephei 503. 

Venus, Vorübergänge der — zur Be- 
stimmung der Sonnenparallaxe 73; 
langperiodische Störung des Mondes 
durch die — 716; Elemente der — 
732; Masse der — aus den Leverrier- 
schen Gleichungen 888; Endwert der 
Masse der — 891. 

Vertikal erster, Durchgänge durch 
den — zur Polhöhenbestimmung 107; 
Passageninstrument im — 219. 

Vertikalkreis 219. 

Visierlinie nach einem Sterne, dar- 
gestellt durch 2 Diopter 196; durch 
die optische Achse des Fernrohrs 197. 


W 
widerstehendes Medium, Einfluß 
auf die Bewegung der Kometen 911; 
auf die Teilung und Auflösung von 
Kometen 937. 
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 32. 





1061 


Wirkungssphäre der Planeten für 
die Berechnung der Störungen von 
Kometen 904; Bahnumwandlungen 
durch Eintritt in die — des Jupiter 
934. 

Wochenteilung 369; siebentägige — 
bei den Asiaten 369; zehntägige beı 
den Ägyptern 370. 


Z 


Zapfenungleichheit am Meridian- 
kreis 235. 

Zeit, Definition (Sternzeit und Sonnen- 
zeit) Zeitgleichung 20, 83, 865; Orts- 
sternzeit 865; Beziehung zwischen 
Stern- und mittlerer Zeit 866. 


Zeitbestimmung zur Uhrkontrolle 
22; — aus korrespondierenden Höhen 
87; — aus gleichen Höhen verschie- 


dener Sterne 89; aus Höhendifferenzen 
zweier Sterne bei bekannter Breite 
90; — aus Meridianbeobachtungen 
90; — im Vertikal des Polarsterns 
92; — in beliebigen Azimuten nach 
Olbers 93; Näherungsweise — nach 
Harzer 95; — aus Koordinatendiffe- 
renzen 9. 

Zeitkollimator zur Bestimmung der 
absoluten persönlichen Gleichung 255. 

Zeitreduktion in der Gyldenschen 
Störungstheorie 788. 

Zeitübertragung durch eine Normaluhr 
185. 

Zenitattraktion bei Meteoren 441. 

Zenitdistanz, Definition 18. 

Zeutrifugalkraft auf der Erde 347; 
Verhältnis der — zur Schwere 847. 

Zodiakus, Sternbilder des — 370. 

Zonenbeobachtungen von Sternen zur 
Bestimmung ihrer Koordinaten 30. 

zufällige Fehler bei astr. Beobach- 
tungen 265. 

Zusammenstoß zweier Körper im 
Dreikörperproblem; Ejektionsbahnen 
530; Einfluß des —es auf die Kon- 
vergenz der Integrale 553. 

Zweihöhenproblem bei Polhöhen- 
bestimmungen 100; -—— nach der Me- 
thode der Standlinien 146. 

Zyklenrechnung zur Ausgleichung 
des Mond- mit dem Sonnenjahr 373; 
Oktaöteris— 373; Metonscher Zyklus 
373. 





























Bar a 








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