ur
ERS
ERRER® 2
RER
na
ar
z Er
Br *
ER
rt
er
Bee
BR0%:
ENCYKLOPÄDIE
DER
MATHEMATISCHEN
WISSENSCHAFTEN
MIT EINSCHLUSS IHRER ANWENDUNGEN
SECHSTER BAND:
GEODÄSIE, GEOPHYSIK
UND ASTRONOMIE
ENCYKLOPÄDIE
MATHEMATISCHEN
WISSENSCHAFTEN
MIT EINSCHLUSS IHRER ANWENDUNGEN
- DES SECHSTEN BANDES ZWEITER TEIL
ASTRONOMIE
REDIGIERT VON
K. SCHWARZSCHILD 7 (1904-1916)
UND
S. OPPENHEIM IN WIEN
ERSTE HÄLFTE
&
LEIPZIG
VERLAG UND DRUCK VON B.G. TEUBNER
1905 — 1923
MATH-STAT.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN
fi ‘
Be ud
Vorrede zum sechsten Bande, 2. Teil, 1. Hälfte.
Hiermit erscheint die erste Hälfte des der Astronomie gewid-
meten Bandes der Enceyklopädie. Sie enthält die ganze sphärische
Astronomie und einen großen Teil der Mechanik des Himmels. —
Fast 18 Jahre, von 1905—1923, hat die Vollendung des Werkes in
Anspruch genommen. Zuerst hat Professor Lehmann-Filhes das müh-
same Geschäft übernommen, die ganze Disposition zu entwerfen und
die Kräfte für die Abfassung der einzelnen Artikel zu gewinnen.
Aber kaum war ihm diese Aufgabe geglückt, so verlor er Lust und
Liebe an ihrer weiteren Durchführung, und es übernahm Professor
Karl Schwarzschild die Redaktion. ‚.Er änderte an dem ihm von
Lehmann-Filhes übergebenen Arbeitsplan und der Besetzung der ein-
zelnen Artikel nur wenig. Leider starb Karl Schwarzschild im Jahre
1916 an einer Krankheit, die er sich im Kriege zugezogen hatte.
Dieser Unglücksfall sowie der Krieg selbst hemmten die Fortsetzung
sehr. Nicht nur weil die Artikel spärlicher einliefen, sondern weil
auch inzwischen manche Mitarbeiter abfielen und neue gesucht wer-
den mußten. |
Wenn trotzdem nunmehr die erste Hälfte des Bandes vollendet
vorliegt und begründete Hoffnung vorhanden ist, daß die zweite
Hälfte, die die weiteren Gebiete der Mechanik des Himmels sowie
die Stellarastronomie und Astrophysik enthalten soll, in nicht gar
zu langer Zeit nachfolgen dürfte, so gebührt der größte Dank hier-
für vor allem allen älteren und den neu gewonnenen Mitarbeitern.
Ist doch dieser Dank in Verbindung mit der Förderung der Wissen-
schaft, die in dem Erscheinen des Werkes liegt, fast der einzige Lohn,
den sie für ihre schwierige Mühewaltung erhalten. Doch auch des
Verlages B. 6. Teubner sei an dieser Stelle für sein stets bereitwilliges
Entgegenkommen mit warmem Danke gedacht.
Wien, Oktober 1923. S. Oppenheim.
: M794659
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
A. Sphärische Astronomie.
1. Über Koordinaten und Zeit. Von E. Anpıng in Gotha.
. Prinzip einer mechanischen Bestimmung des Bezugsystems
. Rein empirische Systeme. .. ...
. Rein mechanische Systeme, Konstruktion derselben .
. Das gemischte System der Planetenastronomie . . . 2.2...
. Ergänzung der dritten Komponente. Mechanische Bestimmung der Prä-
zessionskonstante
pP$pomw-
DO SR El Re RN SE N Va NA Re, MENZ WE IR SEn Yacrse EERe. 60 ARE KOCH DON
(Abgeschlossen im Mai 1905.)
2. Reduktion der astronomischen Beobachtungen. (Sphärische
Astronomie im engeren Sinne.) Von Frırz Corn 7.
1. Aufgabe der sphärischen Astronomie . . 2... 2.2...
2. Definition der üblichen Koordinatensysteme und der Zeit; erste Formu-
DE ea ee ee
-3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit. Prinzip
er Merisianbeohachlungen. . 2 cn: 3.2 ee ET
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen . ... . . Bee;
5. Kritische Untersuchungen der Voraussetzungen. . .. 2.2: 2.2.2...
5a. Änderungen der Visierrichtung. (Parallaxe, Refraktion und Aberration.)
5b. Änderung des Koordinatensystems. Präzession, Nutation, Bewegung
des Eirdppie :: . zut%: 21a no en SEIN EEE BI UN 2
5c. Rotationsgeschwindigkeit, Konstanz des Zeitmaßes !. . ...: 2...
6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit...» 2.2.2... ;
7. Reduktion der scheinbaren Sternörter in mittlere...» 2.2.2...
7a. .Perallaxe und Abamabon , 0.0 0 0 u 0 0 ae ebene
TD. TIREBRMEOD ORG SROBBMOM .. 0, 0 0% nee ee
7c. Zusammenfassung der verschiedenen Reduktionen der Beobachtungs-
größen auf ein mittleres Äquinoktium. .. . 2.2 ne. nenn
8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen; Sternkataloge und
Juhrhlichber.:i: . ‚ustlaüie DR ER II
9. Die Bestimmung. der Entfernungen der Gestime . . . .» 22.2...
Er rer re RE SE ERERFE
9b. DIE Bonne . ; .. . sun rt IE EERE; ae,
00,216 Fixsterne :.,:,.5:%. 8.2008 ae. %
(Abgeschlossen im Juni 1905.)
3. Geographische Ortsbestimmung, nautische Astronomie. Von
C. W. Wirtz in Kiel.
1. Einleitung. Begrenzung des Themas . ...... 2:2...
2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge... .. 2.2.2...
3. Einfluß der Erdfigur bei Ortsbestimmungen
Seite
.@ mw
17
18
21
30
31
32
44
47
48
59
64
83
85
1900 —
36.
37.
38.
. Instrumente zur Bestimmung und Elimination der Kimmtiefe. ... . .
40,
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
I. Zeitbestimmung.
A. Durch Höhen.
= Emie einzelne Höhe 2 7, 5, 2.227052,
. Die Methode der korrespondierenden Höhen a
. Gleiche Höhen verschiedener Gestime . . . . 2... BE 22:37:
#Eine Höhsndinerase 2 2, Fan NER,
Be ee 2 BED ER,
. Im: Vertikal. des Polarstemes: . . . . .. ......-. EHE FIR IRERER
. In beliöbigem Azimut; Olberssches Verfahren. . za
Ne EDS OENB EEE Be
EEE en an nenn BEL TE
Ama, Höhep-und Zeitdütferenz:- . ... 2... 2 200.2 ee
2 Mertidiannhöhe =>, ne. ee a ER re, ?
. Zirkummeridianhöhe . . ..... DE se a rei Br RE RE
2Fo1aMshöhe:.. 2... 00. a H erel. Ir gEr,
. Zweihöhenproblem, Spezialfälle und verwandte Aufgaben. ERCRTENNG 13%
eOauBsche Methode 2 Re a af Mara in:
= Dear Höhen: 2 cn er, ee re HERE TEE
. Durchgänge durch den Ersten Vertikal... . 2.2222 0..
SE es a RE ER Te
ee EEE a
. Instrumente zur Beobachtung gleicher Höhen... ...... ul
« Photographische Methoden .. . . . u... :...
III. Längenbestimmung.
A. Durch gleichzeitige Signale.
. Mondfinsternisse, Verfinsterungen der Jupitersatelliten . .......
BREITE ans wur erweinila ER
SER RB ee en a a el.
Obrongmetarrelen en TE
u ee er a a ee a ren Pe
C. Auf den Mondort gegründete Methoden.
EEREEBEOE ee R
EIERN ei ERRIRIA UTERIE
ERROR RE er BEN ERE T,
. Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse . . . » 2 2: 2 2 2 nn nen
. Verwandte Okkultationsphänomene. . . . 2. 2 2 2 2 2 m nn. er
IV. Azimutbestimmungen.
Alsesneinae Weg. „ir a RATTE ER EBREN
EEE RBB ne 002 n ne E RRROUNT
V. Nautische Astronomie.
Die Kımm ünd: ihr Verhalten... 408. sa. else
Begriff der Standlinie und ihre Festlegung . . . . . 2 22 2 220.
vil
114
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136
VIH [nhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
41. Zweihöhenproblem nach der Standlinienmethode . .. .2......
42. Drei oder mehr Standlinien, Dreihöhenproblem . .. . . 222.2...
48. Standlinie für eine Höhendifferenz . . ..... 2. nn 2...
44. Berechnung der Höhe, Höhentafeln. ......: 2.2. 2. 0 2...
45. Gebrauch der Merkatorfunktion . .. 2.2. 222 02. I
BE Dimuiine . ea nlen e
47. Ortsbestimmung mit Hilfe der erdmagnetischen Elemente i
48. Aöronautische Astronomie... ». 2... 2 2.2... :
VI. Anhang.
49. Die sphärischen Grundformeln der geographischen Ortsbestimmung . .
DIE VE Ahlerabar . 2:5 een Re a ea da carte
(Abgeschlossen im Oktober 1904.)
4. Theorie der Uhren. Von C. Ev. Casparı in Paris.
FRI ae ee ee ar.
a RR N re
Bommemsnlionapendel ...... . sun nn u STE URN,
. Isochronismus der Chronometerspiralen . . . 2. 2. 2 2 nn 2 nn.
FRomponsbonenuhen 2 EN
nn ER Er
ZERREGOROR GO Landes =»... vn... en EN
Dalunzen der Chronomeier . . . ...-....: 0 er FO
asterwerk und Triebwerk . , 5121.78 SE DEREN
SO EEEGberEBgUNE a. ee a RR
11. Gangformeln . ...... Ve a WS a RE TE
12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. . . ...: 2.22 22.0.
(Abgeschlossen im April 1905.)
eormnupwmrm
5. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente, der
Beobachtungsmethoden und ihrer Fehler. Von Frırz Conn f.
1. Idee eines Universalinstruments zur astronomischen Ortsbestimmung .
2. Die Durchführung der Idee in der Praxis; Beschreibung des Beobach-
nk han Na ER er ER re BEER Auer U De a
3. Die Hilfsinstrumente, ihre Einrichtung und die Auswertung ihrer Skalen
a) Die Mikrometerschraube und das Ablesemikroskop . ..... .
b) Die Teilungen von Maßstäben (Skalen) und Kreisen ......
6)-DW Uhr und der ORSNcHBDR Sr asus.
d) Die meteorologischen Instrumente . .. 2... 222.2 200
4. Die eigentlichen Instrumente der exakten astronomischen Ortsbestim-
mung: A. Der Mesidisakrens 2°, 2,0220 2 eleriniene
Die Bestimmung der Rektaszension. .. ......- Merken :ta
Die Bestimmung der’Deklination. .. ..., . ums
B.: Der Refkakter . . wide ee er
Beobachtungen bei ruhendem Fernrohr ........ RN
Beobachtungen bei bewegtem Fernrohr . .. ..» 2.2...
* Beobachtungen mit Hilfe der Photographie .. ........
Das Beliomele 5 2, . sure.
5. Die Fehler der Instrumente und ihre Bestimmung:
Geometrische Fehlerquellen . . .. 222220... Fazer
A. Instrumentalfehler des Meridiankreises . ...: 2:2...
B. Instrumentalfehler des Refraktors. . . - .» 2.2... a
Physikalische Fehlerguellen .. ..... 2... 2. m. en.
6. Die persönlichen Fehler bei astronomischen Beobachtungen er
a) Fehler in der Auffassung des Zeitmoments einer Erscheinung . .
b) Fehler beim Pointieren eines Objekts mit einem Faden. .
196
197
201
201
205
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245
249
251
262
7 Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen . ........
8) Meridianbeobachtungen . .......... 0.000 ne
b) Visuelle Refraktorbeobachtungen . .... 2: 2.2... 00.
c) Die Leistungsfähigkeit des Heliometers . ... 2.2.2.2...
d) Photographische Beobachtungen . . ..... 2.2... 0.
e), Die Taleott-Horrebow-Methode . ". . -.... 2.2.0.2...
8 Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes und das Ineinandergreifen der ver-
schiedenen Instrumente und Beobachtungsmethoden . . .. . 2...
a) Die Kooperation zur Bestimmung der Sonnenparallaxe aus Beobach-
tungen kleiner Planeten .......... Me De ee
b) Die Bestimmung der Fixsternparallaxen. .... 2.22...
(Abgeschlossen im Sommer 1907.)
6. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. (Re-
fraktion und Extinktion.) Von A. BEmPporAD in Catania.
1. Allgemeines über die Wirkungen der atmosphärischen Luft auf die
Lichtstrahlen und ihre mathematische Darstellung. .. .......
I. Physikalische Erfahrungstatsachen.
2. Abhängigkeit des Brechungsindex bzw. der Absorptionskonstante von
G0r LartlenchiigkBlEr GE nn TEE re aan
3. Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck und Höhe
über dem Meeresniveau. . . "...... a ea ee ie
4. Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate .... .
II. Physikalische Hypothesen.
5. Kritische Besprechung der Hypothesen über die Konstitution der At-
en ae u 1 ae BE DES TE PB a a a
6. Schlußbetrachtung über die Leistungen der bis jetzt aufgestellten Hy-
DAkSNeR. - Diunanches VOrkRbran., .:.. „u.a wie einen
III. Theorie der Refraktion.
7. Aufstellung des Refraktionsintegrals . . .. : . 2 2 2 2 20 ne 0.
8. Refraktionsformeln nach den Hypothesen von Cassini und von Mayer.
Bradleysche und Simpsonsche Formel . . . 2... 2 2 2 22 2 2 0 0.
DEE IDEEN EHE en een aan
10. Entwicklung des Refraktionsintegrals bei der Besselschen ‚Theorie . .
11. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Schmidtsche Theorie .
12. Vergleichstabelle der nach den wichtigsten Theorien berechneten Werte
ee a le
IV. Theorie der Extinktion.
13. Aufstellung des Extinktionsintegrals . . ..... 2 2 nee 2 0.
14. Entwicklung des Extinktionsintegrals unter Annahme konstanter Dich-
tigkeit oder konstanter Temperatur. Lambert- und Bouguersche Formel
18. Lapissosche Rztinklionsformel. . es aan. een.
16. Strengere Behandlung der Extinktionstheorie bei der Annahme einer
gleichförmigen Temperaturabnahme mit der Höhe von Bemporad. . .
17. Vergleichende Übersicht der verschiedenen Extinktionstheorien.. . . .
20: DES SORtaklElgDe Erstisklion 4 ET N
19. DIE WERE: ABS HOR ee a N nern.
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
(Abgeschlossen im Dezember 1907.)
294
297
299
301
313
314
317
319
320
323
325
> 0m
IOH0
Qu Ppuomm
up>wm m
. Einteilung der Finsternisse
. Der lokale Verlauf der Finsternis . DE
. Anwendung der Sonnenfinsternisse. Tafeln. .
. Die Perioden der Sonnenfinsternisse
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
7. Theorie der Finsternisse. Von F. K. Ginzeu in Berlin und
A. WILkens in Breslau.
er er N a
A. Sonnenfinsternisse.
Re re a
b) Die östliche und westliche Grenzkurve
c) Die nördliche und südliche Grenzkurve
d) Kurven sonstiger spezieller Phasen .
WERTEN Te
a EI act We
re Er
. ae, EN
B. Mondfinsternisse.
Seite
338
. Kriterium für das Zustandekommen einer Sonnenfinsternis überhaupt . 339
. Die Grundgleichung der Finsternisse
. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit . . . . ee ee
a) Die Punkte des Beginns und Endes der Finsternis überhaupt . . 346
. Kriterum für das Stattfinden einer Mondfinsternis überhaupt. . . . . 360
verant einer Mondünsternis. . . . . . ...N3:.. 5.5 } |
. Tafeln zur Bereehnung von Mondfinsternissen. . . . 2: 2 2 2 2 2.02. 361
C. Andere Finsternisse und Bedeckungen.
. Sternbedeckung durch den Mond . ... 2.2.22... U |)
SIHABSLERVOrUHEIEEnDB a EIER
. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen. . . : 363
(Abgeschlossen im Dezember 1907.)
8. Chronologie. Von F.K. GmzEL in Berlin.
RR: 7 u BE RER Sa BT ne er ET Tr ar 368
Taganbeginn und "Tageseinlellung: . . cn Dee see 369
Ba DR A ER ER 369
SBRRIBSESHEED. ; 2. u A RE nn 370
DARUE ANTOrtb ÜOBBBLDOR 2. a ne 371
Mond und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. . ...... 371
. Besondere Jahrformen und Zyklen. . ... 2.2... Dan, 374
En EL 2 3 Be ae A HE RE 376
(Abgeschlossen im Juli 1910.)
B. Mechanik des Himmels.
9. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. Von G. Her-
GLOTZ in Leipzig.
I. Keplersche Bewegung.
KODIOrSCHE TIRBEB . » 2... 75.0.8 nn Da u en. 381
. Elemente der Bahn. ... . VE ER DR ee EEE 5 381
. Koordinaten eines Ortes. . . . :..... REDET 382
. Bestimmüng der wahren Anomalie. ..... „2:22 en 00 384
. Das Lambertsche Theorem . ...... VIREN ne 387
. Das Verhalten der Koordinaten im komplexen Gebiete. . 389
Allgemeines
N
PS)
. Formulierung der Aufgabe ;
. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen nach der Methode von
. Allgemeine Formulierung der Aufgabe . .
. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte e
. Differentialquotienten der een Koordinaten nach den Ele-
. Methoden mit: Bevorzugung zweier Orte
. Masse der Sternschnuppen
. Durchschnittliche und außergewöhnliche Bahnlängen
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
II. Vorläufige Bahnbestimmung.
a) Planetenbahnen.
. Formulierung der Aufgabe .......
. Grundgleichungen ’
. Herstellung der Ausdrücke (der Dreiecksverhältnisse. Erforderliche Ge-
näuigkeit ., . .-,.
LE ae Se Er er 2 93,
. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse . .
. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen.
. Methode von Laplace. Satz von Lambert.
. Bestimmung der Elemente aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten
. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen
. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen
. Bestimmung einer Kreisbahn. .. . .
wer Be, ua art BE
wre, WE
RE a EL ae a a et
b) Kometenbahnen.
KR De ER
w; 0817752 552°
. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen .
. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen .
. Ausnahmefälle.. Methode von Gau . ;
. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration
III. Definitive Bahnbestimmung.
Menten:; = 2. 4 2.10
(Abgeschlossen im Dezember 1906.)
10. Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. Von
P. von NiIEssL 7.
1. Ermittlung der Radianten und der geozentrischen 6e-
schwindigkeit.
. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten . .
a) Bestimmung der geographischen Koordinaten und der Höhe des
En a
b) Bestimmung des scheinbaren Radiationspunktes er
c) Lage der Bahn gegen die Erde. Bahnlänge. Höhe des Aufleuchtens
d) Geozentrische oder relative Geschwindigkeit
Ne ee ee SER RER
. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes aus einem Erdorte
1I. Ableitung der Bahn im Sonnensystem .
III. Beobachtungs- und Rechnungsergebnisse aus Meteor-
beobachtungen.
. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und Rechnungsergebnisse .
. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung und ihre
Beziehung zu anderen Faktoren .
(Abgeschlossen im November 1907.)
XI
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440
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459
460
x
> DD m
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
li. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. Von
J. v. HEPPERGER in Wien.
SBesbachtung von Doppelsternen . . . . . 2... 2. var Ba,
. Einleitung zur Bahnbestimmung. ... . . Sn a ie ar
. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne . . . . . 2.222 2 020.
a Doasutsımg Einselner Öse. Sansa ae
b) Benutzung der vollständigen scheinbaren Ellipse. ... 2.2...
REN REREREREREN RT BE
d) Bemerkungen über die bekannten Doppelsternbahnen. .. . . .
. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne . .......
. Einige Ergebnisse der Beobachtung und der Bahnbestimmung spektro-
skopischer Doppelsterne (von H. Ludendorff in Potsdam)... ....
. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne
. Bahnbestimmung der Batelien an usa
(Abgeschlossen im Dezember 1910.)
12. Prinzipien der Störungstheorie und allgemeine Theorie der
Bahnkurven in dynamischen Problemen. Von E. T. Wnır-
TAKER in Dublin (übersetzt von A. HAAR in Zürich).
En RE ea
L;
[onPpwmw
10.
+%;
12.
13.
se@maunmwm
je
Reduktion der Differentialgleichungen des allgemeinen Dreikörper-
7 2, LER E R ie Noa
Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörperproblems .
. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems . ... 2 2.2..
. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen . .. . 2...
. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie . . ... 222.2...
. Spezielle periodische Lösungen SER A ehr ua ee ee
. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der benach-
BO RER 2:5 5 Se RR ER ee ae
. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der Bewe-
guns Ar große Warte der Zuib , „ur. 2 nn
. Die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen. Die
Kisersn Unksrsuchunien. „2... 0 a it.
Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen
Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der Glieder wach-
RE CHEN ARE: EROEO 2 ne en a ee ee an",
Die Konvergenz der Reihen für Himmelsmechanik ..... 2...
Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den Reihen der
Hinmelsmschauik . zu sen.
(Abgeschlossen im März 1912.)
13. Entwicklung der Störungsfunktion. Von H. v. ZEIPEL in
Upsala.
. Allgemeines über die Störungsfunktion und ihre Ableitungen
I. Kreisbahnen in einer Ebene.
. Koeffizienten b{R.von ‚Laplace ... nie sis en:
. Reihenentwicklungen GE O0 00
ItogtnlansärBckö der Di ann ns ae,
. Ältere Berechnungsmethoden EEE KEG EBEG NN,
Male on Be 4a see Hal ABA a EL
# Koelisienten Von TRBeBY ... . u: 2 RTL
Koefhzionten von. Uylden . . » » = zu. 2. EEE,
+ Koefüsienten von. Radar: ii sy en
FORBIOR 070.0 Re we HOP RER MER 6
Seite
465
470
474
474
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483
483
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553
576
21.
22.
23.
24.
25.
26. U
. Zweiter Teil der Störungsfunktion . .... . I AN R i
28.
29.
30.
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
II. Kreisbahnen in geneigten Ebenen.
. Koeffizienten bö3 von Jacobi... . . EEE BEER
. Integralausdrücke derselben... .. 22.222...
. Rekursionsformeln von Jacobi . EEE,
. Entwicklungen bei kleiner Neigung . .. ......
. Entwicklungen von Tisserand .. ... ..
. Entwicklungen von Hansen... . . a ne ne
. Andere Entwicklungen von Hansen. .... ..:2.. 2 222.
. Appells hypergeometrische Bari
s Forlsbtzung 4: zes nd £ ;
III. Entwicklung nach Potenzen von e und e'.
Methode: von Levertier .... #24... +... Bi el Ar
Methode von Newcomb . . .... 2... ... ag ah ae
Enbwicklangen an Banehy. 7... 42.142.423: 40 ae
Entwicklung von Gylden ....... mr RER ne
BEWERTE VO BIN, 5: 0 rn 2er ne re
Gruppenentwicklung von Bohlin. ... . ...
Kanonische Blomente 7,6...% 2... 0.0, 7,54. ee a es
IV. Entwicklung nach Potenzen des Verhältnisses der großen
Achsen.
Koeffizienten X5’’ von Hansen . .........
Störungsfunktion der Mondtheorie .
V. Konvergenz der Entwicklungen.
31. Formulierung der ersten Aufgabe .......
32. Integralausdrücke der Koeffizienten, . . Be
33. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale EEE AR
ln. RE TR ;
35. Konvergenz der Entwicklungen für. 4, m’ "und Be
36. Konvergenz der Entwicklungen für de z’ und Bi,
37. Formulierung der zweiten Aufgabe. . . . . 2 2 2 2 2.0. BG
88. Konvergenz der Entwicklung von A! ... 2.22 2 2 2 2 2 2.
VI. Allgemeine Theorie der Rekursionsformeln und Differential-
gleichungen.
39. Formulierung der Aufgabe ........ ee
40. Reduktion einiger Doppelintegrale. . .
41. Reduktionsformeln und Differentialgleichungen mit rationalen Koeff-
ERRETT N E EEN
42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen
mit eindeutigen Koeffizienten .. ... 22.1. en. ne nn
VII. Numerische Entwicklungsmethoden.
43. Unzulänglichkeit der analytischen Entwicklungen . . . . 22.2...
44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren... . .
45. Zweiter Teil der Störungsfunktion . .. . . 2.2.2.2... Tr
46. Entwicklungsmethode von Jacobi ... . .. 22.202 sen nen
47, Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwicklungen durch
TREORBERIERR VRR ee a a RR FERN
48: Maltiode: son Baiduille in. an air Es ET
49. Trigonometrische Interpolationsmethode von Leverrier ........
00: Uauchys, gemischte Mathode.. . .... en Sr. Ni
699
601
602
602
604
605
606
607
607
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616
XIV Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
59.
60.
je
Mu
Homann
. Entwicklung von Hansen . . .... I ERTIEIET
„ltminsllon von Ei, en, ae
. Anwendung der elliptischen Funktionen
. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen.
VIII. Asymptotische Ausdrücke für Funktionen großer Zahlen.
. Formulierung der Aufgabe . . .. . 2.2... RE,
- Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten . . . . . . .
. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale. .
. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Integrale.
IX. Asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten der Entwick-
lungen der Störungsfunktion.
Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der mitt-
leren Anomalie des einen Planeten. . . . 2.22...
Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der beiden
mittleren Anomalien . . EN Nr,
a) Methoden von Cauchy und Hamy.
b) Methode von Poincare6. ; s
c) Methode von Feraud. ......
(Abgeschlossen im Mai 1912)
14. Theorie des Erdmondes. Von Ernest W. Brown in New
Haven. Übersetzt und mit einigen Zusätzen versehen von
A. v. Brunn in Danzig.
„Kurzer historischer Überblick , 2... 2 un. 0.2.20,
. Verhältnis der Mondtheorie zum n- en und zur Planeten-
PBRETIR En Re EHER USE aA
I. Das Hauptproblem.
Die Kiaftefımklidn 2 ce a ee Me
Die Bewegungsgleichungen . . .... 2.2 2.2 0.. ER
. Spezielle Differentialgleichungen . . . .. 2.2.2222 ..
Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten.
Konvergenz und Divergens .. ; . . u 20 Lay
‚ahermediare Bahnen... s..: 4.0.0. 2.00%
. Die Entwicklung der Störungsfunktion i
ne Varalıon dBE Konstanten . nu en.
. Verschiedene Eigenschaften der Lösung De es
II. Die Lösungsmethoden.
. Die geometrischen Methoden . ..... 2... DE IR
. Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche .
Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Veränderlicher.
. Die Variation der willkürlichen Konstanten (Delaunays Theorie) .
. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. . . . .
. Mittlere Anomalie und Verhältnis der Entfernung zu einem elliptischen
Radiusvektor als abhängige Variable. ...... 222222...
. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. . .. . . . 2%
III. Planetarische und andere störende Einflüsse.
‚Behandiungsmetnpaen. . .- - ; » 22. 3.2.» Zwisania
. Der Einfluß der nichtsphärischen Figur der Erde und des Mondes ,
::Die direkten Planstenstörungen: u uuuu:ci r e
. Die indirekten Planetenstörungen . . . . .n. .. Sun in nn
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P»Pom m»
a ©
24,
. Bestimmung der Breite .
26.
27.
28.
29.
30,
31.
32.
33.
34.
35.
. Die säkularen Beschleunigungen .
. Störungen zweiter Ordnung . ;
. Andere mögliche störende Ursachen . .
. Der gegenwärtige Stand der Mondtheorie
. Tafeln der Mondbewegung
. Anwendungsweise der Methode der Störungstheorie
. Fortsetzung
A Integration. ;
. Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation .
. Säkulare Störungen . .
. Angenäherte Berechnung "der sükularen Werte der Elemente .
. Fortsetzung
. Die säkularen Störungen der kleinen Planeten
. Säkulare Glieder höheren Grades
. Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen Störungen i in den
. Langperiodische Glieder
. Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen Planeten. Libration
. Die Methode von Poincare
. Vorbemerkung . . . EFT NE IR RE 9
. Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Koordinaten . . .
. Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instantanen Bahnebene
. Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahnebene und die
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
Fi Kl TR Sea Bee
(Abgeschlossen im Juli 1914.
15. Theorie der Planeten. Von KarLu F. SunpMmAnN in Hel-
singfors.
. Numerische Verhältnisse :
. Die Differentialgleichungen der Bewegung
. Die erste Annäherung. "Das Zweikörperproblem .
. Die Störungen ;
Are ae ef e
CHE a 7 Re Bar VIE 20a)
DR HIER HER ErÜEL nC PL Er SEE "WE ae Dr Sr er er Se
I. Die Methode der Variation der Konstanten.
Me ee ee
. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. Differentiaiglei-
‚chungen PET TOET
DR Be RT SE BE a ER a er Sr ZnnRe Ser ee ea BSR er Fe WE EEE At Se
Pe 27 "7 200° 5 eye 1 SP Fe Br 52 2,
BEL E ee a
periodischen Gliedern .
er te en
a er er et are
Be a ER en ee, et ee
ee
Lage der X-Achse .
. Die Differentialgleichungen z zur Bestimmung des Radiusvektors und der
mittleren Anomalie.
Bestimmung der Funktion w.
Weitere Ausführung der Methode . . . te N
Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlicher . .
Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche . .
ae ee a a SE N
III. Koordinatenstörungen.
Störungen der rechtwinkligen Koordinaten . .
Störungen der polaren Koordinaten
Kr ae ie N
IV. Theorie von Gylden.
NE nn BER RE a ee
Differentialgleichungen der Gyld@nschen Koordinaten
a a ar N
Entwicklung der Größen P, @ und R. Fundamentale Entwicklung. .
Diastematische Entwicklung
Uran AERNE. <a Dre er Er
N UNE 5 Se TER Re a He
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789
XVI Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
36. Einteilung der Glieder ..... 2.2 .2.. SERIE :
STeinbegrakton. u sa... me ee
38. Integration der elementaren und 'charakteristischen (Glieder ES
39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gyldenschen Methode.
ao Ten Brendel, „Su u. HN a. Ave
Y. Verschiedene Methoden.
40. Methode von Backlund ; : :... . . re. ER
MIDI ROH en en ERBE IE
42: Angenäherts Störungen .: ..... vn ns, RB SR
(Abgeschlossen im Februar 1915.)
16. Die Satelliten. Von Kurr Laves in Chikago (Ill.).
N EEE RE TEE EN Sarnen
A. Die empirische Methode (1610—1760).
4: Desapibereymlam u yo a ne On Da NER IN N
2. Das Satumsystem . .... RENTE RR ee
B. Die analytische Methode. 1760 bis zur Gegenwart.
3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satel-
m una Nemenkieakungen: .-.. .'. ; 2.4... ann
4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem ERTEILEN BANN N
5. Die Auffindung der Satelliten von Uranus, Neptun und Mars .
6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise. . .
7. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der
a ERREGER SEN
8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der Ringe
9. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines Satelliten. .... .
liche Seh ER EEE RER TE RE RER EIER
11. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten "und Neigungen BE
12. Die Integrale der Gleichungen für die Spezialsysteme . ER
ken Sara a ee Pe
Bye Bainsnaystemn cas. DET
y) Die Satelliten des Mars, Uranus und Neplaun..:.! sau.
13. Die säkularen und langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten,
der Längen, der Perizentren und der mittleren Längen ie
KIDS SUDIBEnyele aan a a
ß) Das Saturnsystem . . ri re ee e
y) Die übrigen Satellitensysteme ee ER
14. Die kurzperiodischen und die von der Sonne herrührenden Störungen .
15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme. .. .....
(Abgeschlossen im Sommer 1916.)
17. Bestimmung und Zusammenhang der astronomischen Kon-
stanten. Von J. BAUSCHINGER in Leipzig.
Einleitung.
, Die astronomischen. Konstanten... ZE FE en. een
.eodälische Konstanten. . „2... , vw 20,
. Physikalische Konstanten . . ...... ; :
. Astronomische und physikalische Einheiten... . .
Povm
Die Konstanten der Erde und der Erdbewegungen.
. Die Sonnenparallaxe, trigonometrische Bestimmung . . . ......
; Die ‚Aberrstionskoustan® . - . - - 2 „un Bazak
> ot
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16. EEE
. Die parallaktische Ungleichheit in der en a RER
18. z
19.
20.
anpovwm
je on |
>
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
. Die Zichtgleicdhung 57.665 Haren nen ee
. Die Mondgleichung in der Erdbewegung. Peg } zwischen Mond-
masse und Sonnenparällaxe ..... 2...
. Die Präzessions- und Nutationskonstante . . . .. 2.22 2 nn.
. Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde
. Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt .
. Tropisches und siderisches Jahr . . . . 2... 2.2...
. Sternzeit und mittlere Zeit . : ....:. 22.2... u
. Verwendung der Schweremessungen . ..» . 2... 2...
. Die Erdmasse und ihre Beziehung zur Sonnenparallaxe
Der Mond.
De ER ee ee ER
Die Elemente der Mondbahn .. . RBB LEE WEGE
Die Störungsglieder der Mondbewegung TREIBEN AS A ER
Die Mondmee a) NETT ra Hr ins
Die Planeten.
. Die Theorien der Sonne und der großen Planeten. .... 22...
Die Massen der Planeten... SEVEN IE Benno
. Ableitung der Massen von Merkur, Venus und Erde aus den Säkular-
WERE = a RER RERIEREEN A Ar
. Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde . ...... nr
. Die Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden . . 2.2.2...
. Die Masse der Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.
(Abgeschlossen im Sommer 1919.)
18. Kometen. Von S. OPPENHEIM in Wien.
‚ Historische Übersicht . . . . : . 2. : 2 22... ch Kankdeisia
HBlörungen der Komsten.. .. .. nayalwisisinzsuigswnd . > Ser
Anomalien in den Bewegungen der Kometen . .... 2.2...
Masse der Bomann eh wa ee: hl
Hailakalt der Zeakmeban 123. wies) ei. ae saless
. Die kosmogonische Stellung der Kometen. . ... 2.222... 0.
a) Die scheinbare Verteilung der Bahnelemente der Kometen :
b) Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den Ursprung der Kometen
c) Die Problemstellung E. Strömgrens . .. ... 2. 222.200.
. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium ;
. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien .......
(Abgeschlossen im Oktober 1922.)
18a. Beziehungen zwischen Kometen und Sternschnuppen. Von
Cunxo HoFFMEISTER in Sonneberg (Thüringen).
Geschichiliche BESIEBBBIE 3. st. et Fear ne
. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgen. .......
. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhanges .... .
. Kritik der Lehre vom allgemeinen kometarischen Ursprung der Stern-
BER. nennen en
. Regeln für die Untersuchung des Zusammenhanges von Kometen und
WERE a ee ern
(Abgeschlossen im Oktober 1922.)
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2 b
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Xvm Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
AS PpumH
auspsprwwm
I19P$PoD-
19. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen, numerische
Behandlung besonderer Fälle des Dreikörperproblems. Mehr-
fache Fixsternsysteme. Von H. SAmTeEr in Berlin. Seite
. Die speziellen Störungen. Geschichtliches .. . . :» 22.22 2.2. 959
Allgemeines über die Methode. , . . . ylal sel. 10.0 Serra Snniepenrnie 960
Dis ainzelusn BRechnungsarien a 3 En ea sen a Fam 962
Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Geschichtliches. 966
. Die systematische Behandlung des restringierten Problems... .. . 968
. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems . . 974
. Fälle des nicht restringierten Dreikörperproblems . . ....... 988
. Das Vier- und das Vielkörperproblem . .... 2.2... SENT
(Abgeschlossen im Dezember 1922.)
20. Rotation der Himmelskörper, Präzession und Nutation der
starren Erde. Von J. BAUSCHINGER in Leipzig.
nisse. Genübichle .. . ea er aaa 996
Allreanine Theone der Drehung. . . . .. 2.2... u 225585 996
Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde . . ».. 2.2 2m... 999
Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte.. .. 2.2.2 22 2... 1008
Übergang zur astronomischen Praxis. .... 2.2... ee
. Bestimmung der Präzessionskonstanten . . . . 2.2 2 2 2 m nen 1014
. Theoretische Behandlungen . . . 2.2.2. vn 22. era rel
"Polhöhenschwankungen ; 3: u: m vr a eu Dan 1018
(Abgeschlossen im Mai 1923.)
20a. Die Libration des Mondes. Von F. Harn in Leipzig.
. Einleitung, die Cassinischen Gesetze . . . 2... 2 nn een nnd. 1021
. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. . . ».. 2 222222000. 1023
. Entwicklung der Variablen als Funktionen der Zeit... .2.... 1025
. Die Integration der Bewegungsgleichungen . ... 22.2.2... 1029
. Der Einfluß der Sonnenanziehung . .. wm. 0. en an el 1086
. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen... ... . 1038
. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze bei gewissen Formen des
Trügheitsellipsoids „tes ER ui a 1042
(Abgeschlossen im Februar 1923.)
Übersicht
über die im vorliegenden Bande VI, 2. Teil, 1. Hälfte
zusammengefaßten Hefte und ihre Ausgabedaten.
1
2
Heft 1.
28. XL. 1905. 3.
4
5
Heft 2.
28. III. 1908.
7
8
Heft 3.
1. IX. 1910.
9.
10.
Heft 4. Ben
31. V. 1912. | 3
Heft 5. lg
14. IE 1913; 1 ;
Heft 6. [1a.
16. VI. 1915. \ 15.
Heft 7. en
22. VII. 1920. £
18.
18a.
19.
Heft 8.
Oktober 1923. 20,
20a.
\
A. Sphärische Astronomie.
. Anpına: Über Koordinaten und Zeit.
. Conn: Reduktion der astronomischen Beobachtungen (sphä-
rische Astronomie im engeren Sinne).
Wırrz: Geographische Ortsbestimmung, nautische Astro-
nomie.
. Casparı: Theorie der Uhren.
. Coun: Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente,
der Beobachtungsmethoden und ihrer Fehler.
Bemroran: Besondere Behandlung des Einflusses der Atmo-
sphäre (Refraktion und Extinktion).
. Gmzen u. Wırkens: Theorie der Finsternisse.
. GınzeL: Chronologie.
B. Mechanik des Himmels.
Hexerorz: Bahnbestimmung der Planeten und Kometen
v. NıessL: Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Herrerger: Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
WuırrArer: Prinzipien der Störungstheorie und allgemeine
Theorie der Bahnkurven in dynamischen Problemen.
Zeirer: Entwicklung der Störungsfunktionen.
Brown: Theorie des Erdmondes.
SunpmAnn: Theorie der Planeten.
Laves: Die Satelliten.
Bauschineer: Bestimmung und Zusammenhang der astrono-
mischen Konstanten.
ÖPrrEnHEIM: Kometen.
Horrueıster: Beziehungen zwischen Kometen und Stern-
schnuppen.
Sauter: Spezielle Störungen der Planeten und Kometen,
numerische Behandlung besonderer Fälle des Dreikörper-
problems. Mehrfache Fixsternsysteme.
Bauscuinger: Rotation der Himmelskörper, Präzession und
Nutation der starren Erde.
Harn: Die Libration des Mondes.
Vorrede zum sechsten Bande, 2 Teil, 1. Hälfte.
Register zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
Inhaltsverzeichnis zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte.
b*
SRIRR N 2
SER yniheilsen
ET EREI TERN IHR
EHE
RN
TER ;
A. SPHÄRISCHE ASTRONOMIE.
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 3
®
Er
a
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EN
VI2,1. ÜBER KOORDINATEN UND ZEIT.
Von
E. ANDING
IN MÜNCHEN.
Inhaltsübersicht.
1. Prinzip einer mechanischen Bestimmung des Bezugssystems.
2. Rein empirische Systeme.
3. Rein mechanische Systeme. Konstruktion derselben.
4. Das gemischte System der Planeten-Astronomie.
5. Ergänzung der dritten Komponente. Mechanische Bestimmung der Prä-
zessionskonstante.
Literatur vgl. Encyklopädie IV 1, Voss: „Die Prinzipien der rationellen
Mechanik“, Nr. 13—17.
l. Prinzip einer mechanischen Bestimmung des Bezugssystems.
Die neuere Physik hat die Frage nach dem Bezugssystem des Träg-
heitsgesetzes aufgeworfen. Nach der historischen Seite hin ist dieses
Thema bereits in dem Artikel von A. Voss, Eneyklopädie IV 1, ein-
gehend behandelt worden. Dagegen ist hier der Ort, den astrono-
mischen Standpunkt aufzusuchen, von welchem sich die Frage formell
zur Entscheidung bringen läßt.
Formuliert man den Inhalt der Himmelsmechanik so, daß sie
die Bewegungen der Himmelskörper durch das Newton’sche Gesetz dar-
stellen soll, so fehlt hier eine Angabe über das Koordinatensystem
und die Zeitskala. Man schloß sich eben stillschweigend an diejenigen
Systeme an, welche sich empirisch darboten: den Fixsternkomplex
und die Drehung der Erde.
Es liegt jedoch keine Notwendigkeit vor, innerhalb der Empirie
in einem bestimmten Sinn eine bevorzugende Wahl zu treffen. Viel-
1*
4 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit.
mehr ist es konsequent, wenn man die Definition mit den Worten
fortsetzt: indem man neben den Konstanten der Darstellung gleichzeitig
eben dasjenige Koordinatensystem und diejenige Zeitskala aus den Be-
obachtungen mitbestimmt, für welche diese Darstellung möglich ist.
Dies ist der Gedanke, welcher im nachstehenden ausgeführt
werden soll.
Vorausgesetzt sei der Begriff der Gleichzeitigkeit, nicht auch der
Begriff der Zeit. Gegeben ist dann eine Reihe »& von Konfigurationen
von je n Punkten. Gefordert wird, diese Konfigurationen mittels des
Newton’schen Gesetzes durch ® Werte eines Parameters t darzustellen.
Dabei ist das Koordinatensystem, für welches das Newton’sche Gesetz
gelten soll, nirgends vorgezeichnet.
Nehmen wir an, die 3n@ Koordinatenwerte der & Konfigura-
tionen seien in Bezug auf ein System gegeben, welches wir als das
empirische bezeichnen wollen, so ist diese Bezugnahme statthaft,
wenn wir uns bewußt bleiben, daß umgekehrt dieses System durch
eben jene Koordinaten gegen die Konfigurationen festgelegt ist, da
wir vorerst außer den Konfigurationen ein anderes geometrisches
Gebilde nicht kennen.
Es soll dann für jede Konfiguration ein neues Koordinatensystem
gegen das empirische festgelegt und ebenso für jede Konfiguration
dem Parameter # ein solcher Zahlwert beigelegt werden, daß die
Koordinaten, relativ zu diesem System, mittels des Parameters i durch
das Newton’sche Gesetz dargestellt sind. Ist diese Darstellung voll-
zogen, so bezeichnen wir dieses Koordinatensystem als das Inertial-
system, die Ortsveränderung relativ zu ihm als Bewegung xar’ ESoyyv
und den Parameter t als Zeit.
Durch Mannigfaltigkeitsbetrachtungen läßt sich zeigen, daß sich
öno Daten und 6%» + To — 10 Unbekannte
gegenüberstehen. Sind also die Konfigurationen willkürlich gewählt,
so kann man die Bewegung von drei Punkten bis zu vier Zeitpunkten
immer durch das Newton’sche Gesetz beschreiben. Ist diese Dar-
stellung auch für mehr als vier, und zwar für beliebig viele Zeit-
punkte möglich, so sagen wir: die Punkte sind dem Newton’schen
Gesetz unterworfen. Bei n > 3 besteht jene Willkür nur bis zu
o—=2. Im Fall n—=2, welcher in der obigen Gegenüberstellung
nicht enthalten ist, kann man jede beliebige Anzahl von Konfigura-
tionen als eine Kepler'sche Bewegung auffassen, und zwar auf oo?
Arten. |
‘Analoge Folgerungen kann man ziehen:
1. Prinzip der Bestimmung des Bezugssystems. 2. Rein empirische Systeme. 5
a) wenn man speziell einen der bewegten Punkte selbst zum
Anfang der Koordinaten macht; /
b) wenn man in diesem Fall berücksichtigt, daß in der Astro-
nomie nur Winkel beobachtet werden;
c) wenn man in diesem Fall auch die Massen unter die Un-
bekannten aufnimmt.
Man kann dann z. B. zeigen, daß jede Bewegung von drei
Punkten als eine Newton’sche aufgefaßt werden kann, und zwar auf
00° Arten. Bei mehr als drei Punkten ist in dieser Möglichkeit eine
objektive Gesetzmäßigkeit ausgesprochen. Bei drei Beobachtungen
(= Konfigurationen) ist diese Darstellung für beliebig viele Sn
immer möglich, und zwar auf o0°+” Arten.
2. Rein empirische Systeme. In der astronomischen Praxis hat
sich ein ganz bestimmtes Verfahren herausgebildet. Als Grundebene
hat man den Ägquator vom Anfang des Jahres 1850 gewählt und als
Anfangsrichtung in dieser Ebene den Schnitt mit der Ekliptik vom
Anfang 1850. Da die astronomischen Beobachtungen unmittelbar
nur Richtungen liefern, so kommt eine aeg des Koordinaten-
anteilig nicht in Betracht.
Nun dreht sich der Äquator jährlich etwa um 50” um den Pol
der Ekliptik, und gleichzeitig dreht sich die Ekliptik infolge der
säkularen Störungen um eine Achse, die ihrer eigenen Ebene an-
gehört. Da sich die Beobachtungen wegen unseres Standpunktes auf
der Erde an den jeweiligen Äquator anschließen müssen, so werden
die Beobachtungen verschiedener Zeitpunkte erst dann vergleichbar,
wenn sie auf ein gemeinsames System transformiert sind, etwa das
vom Anfang 1850.
‚Es ist die gebräuchliche Auffassung, das Fortschreiten des ER
tors auf der festen Ekliptik zu messen — nicht auf der momentanen!).
Den dort seit Anfang 1850 zurückgelegten Weg bezeichnet man als
Lunisolarpräzession y. Nennt man & den Winkel zwischen der Ekliptik
von 1850 und dem Äquator von 1850 + t, & den Winkel zwischen
der Ekliptik von 1850 + t und dem Äquator von 1850 +1, und
a(t) = Präzession durch die Planeten den Bogen auf dem Äquator von
1850 + t zwischen den. zwei Ekliptiken von 1850 und 1850 he
so ist Meng
a) @ 7 - die Drehungskomponente der Ekliptik um eine Achse nach
dem jeweiligen Äquinox, und sehr nahe, aber nicht streng:
1) Vgl. den Artikel VI, 2 (F. Cohn), Nr. 5b) und Nr.?b). Inder dortigen
Bezeichnung (p. 36—38) it: =, =, vd, =F, al) a.
6 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit.
—
ihr liegende ie welche 90° vom Äquinox absteht.
Jedenfalls hat die Präzession im Verein mit dieser Bewegung der
Ekliptik in den Rektaszensionen « und den Deklinationen Ö der
Sterne Veränderungen zur Folge, welche praktisch genau genug aus-
gedrückt sind durch'):
ß) sin @ —.— die Drehungskomponente der Ekliptik um eine in
“= (cos er en) + sino ©* ?. sine tgdö=m-+nsinatgo,
() Be .
—— ; sino — -C0OS«& = &
Gr dt er
wo m und n zeitlich schwach veränderlich sind.
Dies sind die Gleichungen, durch deren Integration, die sich
praktisch sehr einfach gestaltet, die Positionen auf einen beliebigen
Zeitpunkt reduziert werden, z. B. auf 1850.
Der Ausdruck für da(t)/dt ergibt sich aus der Theorie der säku-
laren Störungen. Er enthält die Massenwerte der Planeten, welche
anderweitig, aber wieder aus den Wirkungen der Störungen, berechnet
sind. Mithin ist der Wert da(t)/dt eine mechanisch gewonnene Größe. —
Anders verhält es sich mit dy/dt. Der Ausdruck folgt aus der Theorie
der Bewegung der Erde um ihren Schwerpunkt, und sein konstantes
Hauptglied ist von den Trägheitsmomenten des Erdkörpers abhängig.
Da diese jedoch unbekannt sind, ‚so hat man stets, den umgekehrten
Weg gehend, die Konstante von dy/dt aus den Koordinatenverände-
rungen der Sterne berechnet. Wir wollen dies als die stellarstatistische
Bestimmung der Präzessionskonstante bezeichnen. Die Anzahl der ver-
wendeten Sterne muß sehr groß sein, und überhaupt wird die Rech-
nung mit dem Ziel angelegt, daß sich die Eigenbewegungen im Durch-
schnitt eliminieren. Aber es ist, wie schon hier betont werden möge,
eine unbewiesene Voraussetzung, daß die gemeinsame Konstante aller
Eigenbewegungen um eine Achse senkrecht zur Ekliptik gerade gleich
Null sei oder daß der Komplex der Fixsterne gegen das Inertialsystem
in Ruhe sei.
Ist die Konstante der Präzession gefunden, so liefert der Aus-
druck für dy/dt für jeden Zeitpunkt 1850 + t die numerischen
Werte m, n.
Es wurde gesagt, daß sich die Beobachtungen an das jeweilige
äquatoreale Koordinatensystem anschließen. Diese Bezugnahme voll-
zieht sich in der Praxis auf indirekte Art. |
Man stellt mit besonderer Sorgfalt die Koordinaten einer kleinen
Anzahl gut verteilter Sterne fest, nämlich gegen den jeweiligen
2. Rein empirische Systeme. 7
Aquator und sein Äquinox, indem man das letztere aufsucht (vgl. über
absolute Beobachtungen Artikel VI2,2 (F. Cohn), Nr. 4). Dies ge-
schieht möglichst oft. Sei es jedoch nur in zwei weit getrennten
Zeitpunkten 1850 + t, und 1850 + t, geschehen, so reduziert man
nach (1) diese «, d auf 1850. Aus den Differenzen der entstehenden
Werte ergeben sich die Eigenbewegungen während der Zeit 4 — t,
und, indem man sie anbringt, die Positionen von 1850.
Den Inbegriff 1) aller «, ö dieser Sterne für 1850 oder einen
beliebigen anderen Anfangspunkt, 2) die gewählte Präzessionskon-
stante oder eine aus ihr berechnete Tafel der m, n für 1850 + t,,
3) die jährlichen Eigenbewegungen dieser Sterne, bezeichnet man
als ein System von Fundamentalsternen oder auch als ein System
schlechthin.
Jede Beobachtung irgend eines anderen Sternes, dies eben ist der
ökonomische Wert des „Systemes“, besteht dann in der Herstellung
der Koordinatendifferenzen gegen die Fundamentalsterne; der Stern
ist dann sofort auf den jeweiligen Äquator und sein Äquinox be-
zogen, ohne daß man diese Stücke jedesmal zu bestimmen hätte.
Die Anwendbarkeit des Systems hört nicht auf, wenn das Äquinox
von 1850 + t oder von 1850 falsch bestimmt war; auch nicht, wenn
die Konstante von dy/dt oder von da(t)/dt unrichtig war und mithin
die m, n falsch berechnet sind; sie besteht auch dann noch fort, wenn
die Gleichungen (1) unrichtig gebaut wären, sofern statt des Äquators
eine dagegen geneigte Grundebene gewählt worden wäre. (Im letzteren
Fall würde man die Koordinatendifferenzen systematisch unrichtig an-
bringen, aber diese Fehler werden um so kleiner, je enger das Netz
der Fundamentalsterne ist). Alle diese Mängel werfen sich auf die
Eigenbewegungen. Ja, stellarastronomisch gesprochen, wohnt der Prä-
zession nur die Bedeutung inne, daß sie von den Eigenbewegungen
einen Teil von gemeinsamer Beschaffenheit abtrennt; denn man be-
stimmt die Präzessionskonstante geradezu mit dem Grundsatz, daß
die übrigbleibenden Eigenbewegungen möglichst klein sein sollen, eine
Auffassung, die mit der mechanischen Bedeutung dieser Größe nichts
zu tun hat.
Unzertrennlich aber ist mit dem Wesen des Fundamentalsystemes
die Forderung verbunden, daß durch die Gesamtheit seiner Angaben,
nämlich
a, 6 für 1850 +t=«, ö für 1850 + Präzession + Eigenbewegung
die Konfiguration jederzeit ohne inneren Widerspruch, wenn auch mit
falscher Orientierung, dargestellt wird. Die Beobachtung der Fixsterne
8 VIs,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit.
gibt kein Mittel an die Hand, diese dreifach mögliche Abweichung
vom ursprünglich angestrebten Koordinatensystem richtig zu stellen.
3. Rein mechanische Systeme. Konstruktion derselben. Dürften
wir von den Störungen absehen, so wäre uns durch den Sonnen-
mittelpunkt in Verbindung mit der Bahnlage irgend eines Planeten,
u. a. der Erde selbst, und der Richtung nach dem Perihel, ein voll-
ständiges Koordinatensystem gegeben, und zwar sofort dasjenige, für
welches die Kepler’schen Gesetze gelten; in jedem anderen System
hätten die Planeten z. B. aufgehört, Ellipsen um die Sonne zu be-
schreiben. Unter dieser Voraussetzung wäre der Komplex der Planeten-
bahnen fest gegen das Inertialsystem, oder, was dasselbe besagt, mit
ihm identisch, und die von den Radienvektoren überstrichenen Flächen
wären die Maßzahlen der Zeit.
In Wirklichkeit sind die Bahnen zwar nicht fest, aber ihre Ver-
änderungen erfolgen gesetzmäßig und sind durch eine kleine Anzahl
von Massen bedingt. Denkt man sich nämlich die Bewegungsgleichungen
mit Rücksicht auf alle anziehenden Massen integriert, so beziehen sich
die erhaltenen Ausdrücke für die Bewegung der Bahnelemente gerade
auf das Inertialsystem als dasjenige Koordinatensystem, für welches
eben das Newton’sche Gesetz in Anspruch genommen wird laut Defi-
nition. Die Massen kommen dann auch in irgend welchen angularen
Relativkoordinaten der Planeten zur Geltung, und umgekehrt: aus der
Beobachtung der letzteren kann man die Massen bestimmen. Sub-
stituiert man dann die Massenwerte in jene Ausdrücke für die Be-
wegung der Bahnelemente, so nehmen dieselben für jeden Parameter ?
bestimmte Zahlwerte an, immer bezogen auf das Inertialsystem. Oder
umgekehrt, da vielmehr die Bahnen das Beobachtete sind und die
Lage des Inertialsystems gesucht ist: Das Inertialsystem ist gegen
die Bahnen festgelegt oder dasselbe ist rekonstruiert worden. Die Zeit
ergibt sich, wenn man irgend eine Gleichung, in welche beobachtete
Werte eingesetzt sind, nach dem Parameter auflöst.
Dabei würde man ein empirisches Koordinatensystem bequem als
Zwischenglied verwenden; man würde die Positionen der Sonne usw.,
die sich auf das System der Fundamentalsterne beziehen, wegen Prä-
zession entsprechend (1) etwa auf 1850 reduzieren, dann aber die-
jenigen weiteren Koordinatenänderungen Aa, Aö addieren, welche
dadurch entstehen, daß die Transformationselemente, die in (1) ein-
gehen, im Sinne des Newton’schen Gesetzes nicht streng richtig sind.
Da vielmehr das Inertialsystem seit 1850 gegen das „empirische System“
oder auch gegen das empirisch rekonstruierte Koordinatensystem von
1850 die drei Drehungen &, 9, 3 ausgeführt hat, so wird man zu
3. Rein mech. Systeme. 4. Das gemischte System d. Planeten-Astronomie. 9
den Positionen im Koordinatensystem von 1850 die Ausdrücke?)
addieren müssen, wenn sie auf das Inertialsystem bezogen sein sollen:
er X sindcosa + sind sin«a — 3 cos Ö
(2) Ad=—Xsin« +2 cos e.
Diese Positionen wird man den Gleichungen der Newton’schen
Bewegung unterwerfen und aus ihnen nicht nur die Anfangselemente
und die Massen, sondern auch die X, 9, 3, welche man für längere
Intervalle konstant halten könnte, sowie für jedes Intervall eine Kor-
rektion der Zeit, als Unbekannte mitbestimmen.
Für’s erste könnte man auch den Ansatz machen: <=, + &l, ...
t= T-+fT? Dies alles läßt sich weiter ausführen, indem man die
Ausdrücke für die Koordinatenveränderungen, welche durch die Ver-
besserung der Elemente, der Massen und durch diese Zusätze hervor-
gebracht werden, so gestaltet und ihnen die Beobachtungen in solchen
Gruppierungen zuweist, daß die Unbekannten möglichst scharf be-
“stimmt werden. Dann zeigt sich übrigens, daß die Anfangswerte
X, ... sich mit den Werten der Bahnelemente von 1850 verbinden,
wie vorauszusehen war.
Dies wäre der theoretische Weg. Wir kehren nunmehr zur tat-
sächlichen Behandlung zurück.
4. Das gemischte System der Planeten-Astronomie. Es liegen
drei große Durcharbeitungen des Sonnensystems vor, nämlich explizite
Entwicklungen für die Örter der Sonne und der Planeten, welche mit
den Beobachtungen verglichen werden, um die Konstanten zu berechnen
und um Tafeln zur Vorausberechnung der Örter darauf zu gründen.
Nach je einem halben Jahrhundert folgten sich P. 8. Laplace, U.-J.
Leverrier und S. Newcomb?).
Als Grundebene hat man in der Astronomie der Planeten von
jeher die Ekliptik gewählt, auf welche man die Elemente der anderen
Planeten zu beziehen pflegt, nämlich die Knotenlänge 8, die Neigung :
und die Perihellänge ® oder den gebrochenen Zug von der Anfangs-
richtung bis zum Knoten in der Ekliptik und von hier bis zum
Perihel in der Bahn. Die Theorie gibt die Ausdrücke für die Ver-
änderungen der Lagenelemente gegen das Inertialsystem, und zwar als
2) Vgl. E. Anding: Kritische Untersuchungen über die Bewegung der Sonne
durch den Weltraum, München (1901), p. 62.
3) Laplace, Trait6 de me&canique celeste, 5 Bde., Paris 1799—1825 (auch:
Oeuvres t. 1—5); Leverrier, Recherches astronomiques, Obs. de Paris ann. 1—6
und 10—14 (1855—77); Newcomb, Wash. Astron. Papers 6 und 7 (1898).
10 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit.
Funktionen der Massen. Genau das Gleiche gilt auch für die Ver-
änderungen der Erdbahn selbst. Aus beiden resultieren mithin die
Veränderungen der Planetenbahn gegen die jeweilige Ekliptik und
zwar als bekannte Funktionen der Massen. Demnach sind auch
die Längen A und die Breiten 8 eines Planeten in Bezug auf die
jeweilige Ekliptik dargestellt als bekannte Funktionen der Zeit und
der Massen.
Wären andererseits auch die beobachteten Koordinaten auf die
jeweilige Ekliptik bezogen, so könnte man Theorie und Beobachtung
sofort vergleichen, ohne daß, wie S. 9, eine Korrektur nötig wäre.
Denn unserer Koordinatenebene kommt dann eine mechanische Be-
deutung zu, und ihre ursprüngliche Lage oder das Inertialsystem
läßt sich jederzeit durch Rechnung wiederherstellen.
Die Beobachtungen beziehen sich nun aber auf den Äquator, wie
er durch das System der Fundamentalsterne definiert ist, und müssen
zunächst in Längen und Breiten verwandelt werden. Dabei muß man
voraussetzen, daß a) der wahre Winkel & zwischen der jeweiligen
Ekliptik und dem Äquator der Fundamentalsterne, die sog. Schiefe
der Ekliptik, genau bekannt sei, und b) daß der Einschneidepunkt der
Ekliptik in den Äquator genau mit dem Nullpunkt der Fundamental-
sterne zusammenfalle. Trifft dies zu, so ist aus den Beobachtungen
der empirische Äquator eliminiert.
Diese Bedingungen hat man verschieden behandelt. Leverrier
geht von der Grundgleichung aus, durch welche die säkulare Ände-
rung der Schiefe als Funktion der störenden Massen ausgedrückt
ist; indem er diejenige Säkularänderung einsetzt, welche sich aus
den Beobachtungen der Solstitien ergeben hatte, entsteht eine
Bedingungsgleichung für die Massen, und indem er eine Reihe
anderer Bedingungsgleichungen zuzieht, die aus anderen Störungen
gewonnen sind, bestimmt er das Massensystem, welches ihm am
plausibelsten erscheint und welches, in die Grundgleichung eingesetzt,
den rechnerischen Ausdruck für die jeweilige Schiefe ergibt. Aber
diese Grundgleichung beruht darauf, daß der Äquator einem mecha-
nischen System angehöre. Demnach ist stillschweigend angenommen,
daß der Äquator der Fundamentalsterne jederzeit in Übereinstim-
mung mit dem mechanischen Äquator des Erdkörpers bestimmt
sei. — Was den Nullpunkt der Zählung im Äquator der Funda-
mentalsterne betrifft, so nimmt Leverrier ebenfalls an, daß durch die
zahlreichen, eigens zu diesem Zweck angestellten absoluten Beobach-
tungen das Ziel erreicht worden sei, diesen Punkt in den Einschneide-
punkt der Ekliptik zu verlegen.
4. Das gemischte System der Planeten -Astronomie. 11
Newcomb betrachtet die Gleichungen der Koordinatentransfor-
mation nicht als streng erfüllt. Da man sie dennoch verwendet,
die ekliptikalen Positionen der Planeten aus den äquatorealen zu
berechnen (prinzipiell gesprochen, denn praktisch geht er den ent-
gegengesetzten Weg), so müssen zu diesen Zahlen korrigierende Aus-
drücke hinzutreten, welche abhängig sind a) von einer Verbesserung
der Schiefe der Ekliptik gegen den Äquator der Fundamentalsterne,
b) von einer kleinen Knotenrektaszension, um welche sich der Ein-
schneidepunkt der Ekliptik in den Äquator vom Nullpunkt der
Fundamentalsterne unterscheidet. Bei der Vergleichung der Beobach-
tungen mit der Theorie erscheinen dann als mitzubestimmende Un-
bekannte neben den Bahnelementen und Massen auch diese zwei Be-
stimmungsstücke der Ekliptik gegen das System der Fundamental-
sterne, sowie ihre säkularen Veränderungen.
Somit ist die Ebene der Ekliptik mechanisch festgelegt. Was
jetzt die Anfangsrichtung in der Ekliptik selbst anbelangt, die dritte
Komponente, so ist zwar die ursprüngliche Anfangsrichtung im Inertial-
system später nicht mehr in der jeweiligen Ekliptik enthalten; man
kann aber in der jeweiligen Ekliptik stets eine Nullrichtung defi-
nieren, welche durch mechanische Ausdrücke gegen das Inertialsystem
festgelegt wird, indem man beispielsweise die Nullrichtung bei den
Drehungen «), $) (8. 5) nur senkrecht zur Erdbahn fortschreiten läßt.
Man. darf daher annehmen, die Längen der Planeten seien gegen eine
solche Richtung, die wir mit O bezeichnen wollen, als Funktionen
der Zeit dargestellt.
Da sich andererseits die Längen, welche aus den Beobachtungen
folgen, auf den Einschnitt P des Äquators der Fundamentalsterne in
die Ekliptik beziehen, so muß man die Differenz OP anbringen.
Doch berechnet man sie nicht aus einer mechanischen Bedingung,
sondern aus der Präzessionskonstante, welche stellarstatistisch bestimmt
ist, nämlich unter der Annahme, daß die gemeinsame Längenzunahme
aller Fixsterne lediglich durch die entgegengesetzte und genau gleiche
Bewegung der Nullrichtung, nämlich gegen das Inertialsystem, erzeugt
sei. Man bezeichnet diese Größe, welche in der Hauptsache gleich
Yv — aft) cos @ ist, als allgemeine Präzession %,, vgl. Artikel VI 2,2
(F. Cohn), Nr. 5b).
Demnach ist das Koordinatensystem der Planeten-Astronomie in
zweifacher Beziehung mechanisch und in der dritten Komponente empi-
risch begründet. Es wäre konsequent gewesen, für die Anfangs-
richtung in der Ekliptik mechanisch eine Korrektion e) zu bestimmen,
welche zu a) und b) (8. 10) den dritten Euler’schen Winkel bildet.
12 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit.
Aber es lag eine solche direkte Veranlassung nicht vor, wie sie dort
durch die Koordinatentransformation geboten war. Indessen wollen
wir hier überlegen, wie sich eine solche Bestimmung gestaltet.
5. Ergänzung der dritten Komponente. Mechanische Bestim-
mung der Präzessionskonstante. Als einfachstes Beispiel betrachten
wir die Bewegung der Sonne Wir übergehen die Wirkung der Aber-
ration, Nutation, periodischen Störungen und Mondstörungen, und
betrachten auch von der Mittelpunktsgleichung nur das Hauptglied,
indem wir alle diese Ergänzungen in eine Korrektion $ zusammen-
fassen.
Die Länge des Perigäums, bezogen auf die Richtung O, hat die
Form —=9,-+ ©,t, wo ©, als eine bekannte Funktion der Massen
gegeben ist. Demnach besteht die Länge der Sonne, bezogen auf den
Punkt O, aus einem linearen Glied nt, aus der Mittelpunktsgleichung
2e sin (nt — ©, — ©, -t) und aus $. Will man die Länge gegen die
Richtung P ausdrücken, so muß der Bogen OP hinzukommen; er be-
steht aus der allgemeinen Präzession, die wir dy,/dt-t schreiben
dürfen, und der Korrektion — 3’ = — 3, t, welche wir suchen.
Demnach ist die Länge der Sonne gegen P:
ont + Sr — 3ı t+2esont -—. —-9.0D)+8.
Es ist unwesentlich, daß man die mittleren Längen und auch die
Länge des Perigäums vom Punkte P aus zu zählen pflegt. Die Mittel-
punktsgleichung hat dann die Form
2e sin (r+% Ft — at],
wo
r ,=9%+7 au,
Die Gleichung
(3) 2 (n + 8, )t+ 2e sin (nt + © Abm, BR WOR. Ä
gestattet ihrem Bau nach, die zwei Zahlenwerte aus den Beobach-
tungen zu berechnen:
Non+lh 3,
Kenn
Da ®, und dy,/dt gegeben sind, so lassen sich » und 3, bestimmen.
Schreibt man die Gleichung (3) in der Form
A—= Nt+2esin(Nt u H—)+S;
ö. Mechanische Bestimmung der Präzessionskonstante. 13
so besagt sie, daß wegen der empirischen Bedeutung der Anfangs-
richtung ein Widerspruch 3,” zwischen der beobachteten und der be-
rechneten Perihelbewegung entstehen muß.
Die Sonnenbahn ist wegen der kleinen Exzentrizität für diese
Bestimmung von %,° weniger geeignet. Doch kann man die Betrach-
tung bei den Planeten durchführen und die zweckmäßigste Bestimmung
aufsuchen.
An dieser Stelle soll jedoch ein summarisches Verfahren an-
gewendet werden.
Neweomb‘*) hat die säkularen Variationen der Elemente der Planeten-
bahnen aus den Beobachtungen abgeleitet, aber die Massen ander-
weitig bestimmt, nämlich z. B. aus den periodischen Störungen. Indem
er aus diesen Massen andererseits die säkularen Störungen berechnete,
zeigten sich in den Exzentrizitäten keine unstatthaften Abweichungen.
Aber die Richtungselemente (Bezeichnung S. 9) ergeben die nach-
stehenden Änderungen für 100 Jahre, wobei das Merkurperihel außer
Betracht bleiben muß (vgl. den Artikel VI 2,23, Oppenheim, Kritik
des Gravitationsgesetzes):
Beob. Rechn. Diff. M.F. |NeueDiff. Ohne Merkur
Merkur:
di + 714 + 677% +0,38 +0780| +0736 (+ 0735)
sin?-AR — 91.89 — 9250 + 0.61 + 052| — 0.31 (— 0.40)
Venus:
e-A@ + 029 + 034 — 0.054 0.25) — 0.10 — 011
Ai +. 387 + 349 + 038 4033| #034. +035
sind- AS — 105.40 — 106.00 + 0.60 + 0.17| +015 +012
a + 1948 + 1938. + 0.10 + 0.13| —002 —.004
Mars:
e:-A8 +14955 +14880 + 0.5 + 0835| #007 —0.01
Bien 200020000
+02) — 04 — 08
sins-AQ — 72.60 — 7263 -+ 0.08
Auffällig ist hier „die Bewegung des Venusknotens, wo der Wider-
spruch fünfmal so groß ist als der wahrscheinliche Fehler“ (die obigen
‘ Fehler sind mittlere), und „das Perihel des Mars, wo der Widerspruch
dreimal so groß ist, als der wahrscheinliche Fehler“.
Wir versuchen, diese Abweichungen zu erklären, indem wir an-
nehmen, das Inertialsystem habe in 100 Jahren um das Äquinox eine
4) S. Newcomb, Fund. Const., s. Fußn. 13 auf p. 25 dieses Bandes,
14 VI2,1. E. Anding. Über Koordinaten und Zeit.
Drehung &%, um die Richtung von der Länge 90° eine Drehung %
und um den Pol der Ekliptik eine Drehung 3° gegen das Bezugs-
system ausgeführt. Demnach sind die Differenzen aufzufassen als
eA9 = +X.etgtisngd—V-etgticanß+ P%-e
(4) di=+%.c0088 +%-.sin&
SARB—=—KF-cosisind +Y-cosicosgd +%-sini.
Bildet man alle diese Gleichungen und bringt sie auf gleiches
Gewicht, so ergibt die Methode d. kl. Quadr.:
2-00, Wm00 Bad VB 28,
Diese Werte &, Y’ bestätigen, was wir schon wissen: daß das
System in zweifacher Weise mechanisch orientiert war. Aber hin-
sichtlich der empirischen dritten Komponente hat sich ergeben, daß
die stellarstatistisch bestimmte Präzessionskonstante auf das Jahr-
hundert um mehr als 7” zu vergrößern wäre, wenn die beobachteten
Ungleichheiten verschwinden sollen.
Daß dies eingetreten ist, zeigen die nunmehr berechneten „neuen
Differenzen“: die Abweichungen im Venusknoten und im Marsperihel
sind nicht mehr zu erkennen, und überhaupt liegen sechs Abweichungen
unterhalb, drei oberhalb des wahrscheinlichen Fehlers.
Wollte man den Merkur nach Analogie seines Perihels überhaupt
ausschließen, so käme
&=-0,0, Y=0, +82,
aber die Zahlen der letzten Kolumne zeigen kaum noch eine Ver-
besserung.
Vom rein mechanischen Standpunkt einer Astronomie der Planeten
wäre die Sache mit diesem Resultat abgemacht. Wie soll man es
aber erklären, daß die Gesamtheit der Fixsterne, aus welchen die Prä-
zessionskonstante berechnet ist, in einer rückläufigen Bewegung gegen
das Inertialsystem begriffen wäre? Die verschiedenen stellarstatistischen
Bestimmungen der Präzessionskonstante divergieren auf das Jahr-
hundert um 1”, höchstens 2”. Wollten wir aber den Fixsternen eine
negative „Eigenpräzession“, wie man es nennen könnte, im Betrag
von 7” beilegen, so müßten doch wohl die Werte der Präzessions-
konstante, wenn aus hellen und wenn aus schwachen Sternen be-
stimmt, stärker differieren, als man es gefunden hat. Die Sache be-
darf stellarstatistisch einer weiteren Untersuchung. Bis dahin wird
man die Ursachen der Anomalien im Planetensystem selbst suchen
müssen.
5. Mechanische Bestimmung der Prüzessionskonstante. 15
Im weiteren Verlauf der Encyklopädie wird daher in der allgemein
üblichen Weise stillschweigend angenommen werden, die stellarstatistisch
bestimmte Präzessionskonstante dürfe mechanisch aufgefaßt werden oder
ihre Anwendung reduziere alle Beobachtungen auf ein Inertialsystem.
Was schließlich die Festlegung der Zeitskala betrifft, so geschieht
dieselbe auf mechanischer Grundlage durch die Erdrotation mit einer
allen bisherigen Ansprüchen genügenden Sicherheit, vgl. den Artikel
V12,2 (F. Cohn), Nr. 5b).
(Abgeschlossen im Mai 1905.)
16 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
VI2,2. REDUKTION DER ASTRONOMISCHEN
BEOBACHTUNGEN.
(SPHÄRISCHE ASTRONOMIE IM ENGEREN SINNE.)
Von
FRITZ COHN
IN KÖNIGSBERG.
Inhaltsübersicht.
1. Aufgabe der sphärischen Astronomie.
2. Definition der üblichen Koordinatensysteme und der Zeit; erste Formulierung.
3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit; Prinzip
der Meridianbeobachtungen.
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen.
5. Kritische Untersuchung der Voraussetzungen.
a) Änderungen der Visierrichtung (Parallaxe, Refraktion, Aberration).
b) Änderungen des Koordinatensystems (Präzession, Nutation, Bewegung des
Erdpols).
c) Rotationsgeschwindigkeit. Konstanz des Zeitmaßes.
6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit.
7. Reduktion der scheinbaren Örter in mittlere.
a) Parallaxe und Aberration.
b) Präzession und Nutation.
c) Zusammenfassung sämtlicher Reduktionen.
8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen, Sternkataloge, Jahr-
bücher.
9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne
a) Des Mondes.
b) Der Sonne und der Planeten.
c) Der Fixsterne.
Literatur.
Lehrbücher.
F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berlin 1881 (Brünnow).
W. Chauvenet, A manual of spherical and practical astronomy, Philadelphia 1863,
2 Vol., 5. Aufl. 1885 (Chauvenet).
Elementare Darstellungen z.B. in
A. Sawitsch, Abriß der Praktischen Astronomie, russisch: Petersburg 1845, 2. Aufl.
1. Aufgabe der sphärischen Astronomie. 17
1868—71; deutsch: 1. Aufl. von W. ©. Götze, Hamburg 1850—51, 2. Aufl. von
C. F. W. Peters, Leipzig 1879 (letztere: Sawitsch).
J. Ph. Herr-W. Tinter, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, Wien 1887.
Th. Epstein, Geonomie, Wien 1888.
Ferner vgl. man die betreffenden Abschnitte aus:
F. W. Bessel, Fundamenta astronomiae pro anno MDCCLV deducta ex obser-
vationibus viri incomparabilis James Bradley in specula astronomica Greno-
vicensi per annos 1750—62 institutis, Regiomonti 1818 (Bessel, Fund.).
— Tabulae Regiomontanae reductionum observationum astronomicarum ab
anno 1750 usque ad annum 1850 computatae. Regiomonti Prussorum 1830,
p I-XXIH (Bessel, Tab. Reg.). ;
— Abhandlungen, hrsg. von R. Engelmann, 3 Bde., Leipzig 1875—76 (Bessel, Abhdl.).
Th. von Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Kometen und Planeten,
Band I, 2. Aufl., Leipzig 1882 (2. Aufl.: Oppolzer, Bahnb. 1).
W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, 4 Bde., Breslau 1897—1902.
In historischer Beziehung vgl.
R. Wolf, Handbuch der Astronomie, 2 Bde., Zürich 1890—92 (Wolf, Handb.).
Für die mechanisch-physikalischen Grundlagen kommen
namentlich in Betracht:
F. Tisserand, Trait& de M&canique celeste, 4 Bde., Paris 1889—1896 (Tisserand).
F. R. Helmert, Die mathematischen und physikalischen Theorieen der höheren
Geodäsie, 2 Bde., Leipzig 1880—84 (Helmert).
1. Aufgabe der sphärischen Astronomie. Die theoretische Astro-
nomie, welche die Bewegungen der Himmelskörper auf ihre gegenseitige
Anziehung nach dem Newton’schen Gravitationsgesetz zurückzuführen
bestrebt ist, bedarf, um die Werte der in den mathematischen Aus-
drücken des allgemeinen Bewegungsproblems auftretenden Parameter
(Massen usw.) und Integrationskonstanten (Bahnelemente usw.) den
besonderen Verhältnissen des Planetensystems entsprechend bestimmen
zu können, gewisser Beobachtungsdaten, welche ihr die praktische
Astronomie liefern muß. Diese Daten werden in der Angabe einer
Reihe von Örtern der betrachteten Himmelskörper, bezogen auf ein
als fest angenommenes Koordinatensystem, und der Angabe des Zeit-
moments bestehen, für welchen diese Örter gelten. Die praktische
Astronomie hat also die zur Fixierung der Zeit und der Örter der
Gestirne dienenden Mittel anzugeben. Sie zerfällt naturgemäß in zwei
Teile: die beobachtende Astronomie liefert das Rohmaterial, welches
indessen infolge der mechanisch-physikalischen Bedingungen der Be-
obachtungen auf der Erde einer vorbereitenden Verarbeitung bedarf,
um der theoretischen Verwertung zugänglich zu werden. (Elimination
der „Refraktion“, „Aberration“, „Präzession“ usw.) Diese vorbereitende
Verarbeitung leistet die sphärische Astronomie. Da die Beobachtungen
nur einer beschränkten Genauigkeit fähig sind, so hat die sphä-
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 2
18 'VI2e,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
rische Astronomie die kritische Untersuchung jener Bedingungen nur
bis zu einer zweckentsprechenden Grenze zu treiben und von Zeit zu
Zeit, sobald die Beobachtungen leistungsfähiger geworden sind, durch
eine Revision der Grundlagen diese Grenze weiter hinauszuschieben.
Eine Epoche wird in dieser Hinsicht zu Anfang des 19. Jahrhunderts
durch F. W. Bessel’s „Fundamenta astronomiae“ markiert. Heutzutage
macht sich das Bedürfnis nach einer noch weitergehenden Kritik
geltend, entsprechend einer extremen Beobachtungsgenauigkeit von
0”01 in der Winkel-, von 0.001 in der Zeitmessung.
Die einzelne Beobachtung kann niemals den Ort eines Gestirns
im Raume geben, sondern nur die Richtung, in der es sich befindet.
Die Bestimmung der Entfernung eines Objekts läßt sich nur durch
Verknüpfung mehrerer Beobachtungen erreichen und die diesbezüg-
lichen Methoden bilden unter dem Namen der „Parallaxenbestim-
mung“ ein gesondertes Kapitel der sphärischen Astronomie, die es
im übrigen nur mit der Fixierung der Richtung zu tun hat.
Eine solche geschieht durch Angabe der sphärischen Koordinaten
des Punktes der unendlich fernen Himmelskugel, auf den sich vom
Beobachter als dem Mittelpunkt dieser Kugel aus gesehen das Objekt
projiziert, bezogen auf ein durch einen größten Kugelkreis und einen
Anfangspunkt der Zählung in ihm (resp. Pol und ersten Meridian) !)
definiertes Koordinatensystem.
Die Wahl dieser Grundelemente “ Koordinatensystems wird
von zwei Gesichtspunkten aus erfolgen müssen; einmal müssen sie
der Beobachtung entweder direkt zugänglich sein oder wenigstens in
einfacher Weise aus ihr abgeleitet werden können und zweitens der
theoretischen Verwendung halber im Raume entweder fest sein öder
in ihrer Bewegung rechnerisch verfolgt werden können.
2. Definition der üblichen Koordinatensysteme und der Zeit;
erste Formulierung. Die einfachsten Beobachtungsbedingungen bietet
das auf dem Horizont, resp. Zenit beruhende System. Denn die
einzige, an jedem Punkte der Erdoberfläche unmittelbar gegebene
Richtung ist die der Schwerkraft, wie sie durch ein Lot, oder die zu
ihr senkrechte Horizontale, wie sie durch eine Wasserwage angezeigt
wird. Die eine Koordinate, die Höhe oder die Zenitdistanz, wird als
Richtungswinkel gegen den Horizont oder die Vertikale von 0° bis
90° gezählt. Ein Nullpunkt für die Zählung der zweiten Koordinate,
des Azimuts, existiert nicht ebenso unmittelbar und kann, wenn er
1) Über die der Messung sphärischer Koordinaten dienenden Instrumente
vgl. den Artikel VI 2, 5 (Ristenpart).
2. Definition der Koordinatensysteme und der Zeit. 19
an allen Erdorten und zu jeder Zeit gleich leicht beobachtbar sein
soll, nur durch Erscheinungen außerhalb der Erde definiert werden,
wie sie die scheinbare tägliche Umdrehung des Himmelsgewölbes dar-
bietet. Man wählt dazu nämlich den Meridian des Erdortes, den
größten Kreis durch Himmelspol und Zenit, und zählt das astrono-
mische Azimut von Süd über West, Nord, Ost herum von 0° bis 360°.
Höhe und Azimut sind diejenigen Koordinaten, welche die Be-
obachtung am unmittelbarsten geben kann. Ihre schnelle Veränderlich-
keit, die auf ihrer festen Beziehung zum rotierenden Erdkörper beruht,
läßt sie als ungeeignet zur theoretischen Verwendung erscheinen.
Den Anforderungen der Theorie kann nur eine Grundebene genügen,
welche die für die Orientierung des Instruments unumgängliche
Eigenschaft des Horizonts, dem Erdkörper fest anzuhaften, mit einer
von der Erdrotation unabhängigen festen Lage im Raume vereinigt.
Diese Möglichkeit bietet der Erd- und Himmels-Äquator, da er sich
nur in sich selbst dreht?).
Der Äquatorabstand oder die Deklination, gezählt von 0° bis + 90°,
genügt allen Anforderungen der beobachtenden und der rechnenden
Astronomie. Bei der zweiten äquatorealen Koordinate muß man zu
einer doppelten Zählung greifen; der Stundenwinkel eines Gestirns
wird analog dem Azimut vom Meridian aus von 0° bis 360° gezählt,
er läßt sich an einem fest aufgestellten Äquatoreal direkt ablesen, ist
aber von Zeit und Lage des Erdortes abhängig. Die Rektaszension
(Ascensio recta, abgekürzt AR.) zählt man von einem am Himmel
festen Punkte (in umgekehrtem Sinne wie den Stundenwinkel), sie ist
sonach für alle festen Gestirne fest, aber nicht unmittelbar beobacht-
bar. Als Anfangspunkt der Zählung der Rektaszension ist man über-
eingekommen, den Frühlingspunkt zu wählen, in welchem der Sonnen-
mittelpunkt zur Zeit des Frühlings-Äquinoktiums den Äquator schneidet,
weil die Ebene der Sonnen- oder Erdbahn für die Theorie des Planeten-
systems besondere Vorteile bietet. Dieses System der Rektaszensionen
und Deklinationen, der Stunden- und Parallelkreise, ist das in der
heutigen Astronomie zur Festlegung der Örter der Gestirne durchweg
benutzte. Daneben verdient noch das auf der Ekliptik und dem Früh-
lingspunkte beruhende System der Längen und Breiten seiner Ver-
wendung in der älteren Zeit und seines theoretischen Interesses halber
Erwähnung. Die ekliptikalen Koordinaten können indessen mit einiger
2) In mathematischer Strenge betrachtet ist freilich der Äquator ebensogut
im Raume veränderlich wie der Horizont; nur der langsame Verlauf seiner Be-
wegung ist es, der ihn für die Praxis zur Grundebene des Koordinatensystems
geeignet macht.
2*
20 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Schärfe nur durch Rechnung, nicht durch direkte Beobachtung ge-
funden werden.
Die Formeln zu dem häufig erforderlichen Übergang von dem
einen Koordinatensystem zu einem andern vermittelt das sphärische
Dreieck zwischen den Polen beider Systeme und dem Gestim°?). Er-
forderlich ist dazu die Kenntnis des Bogens zwischen beiden Polen,
also in dem einen Falle des Komplements der geographischen Breite
des Erdortes, in dem andern der Schiefe der Ekliptik. Endlich setzt
der Übergang vom Stundenwinkel zur Rektaszension die Kenntnis der
Zeit voraus.
Definition der Zeit. Man definiert als Zeiteinheit die Zeit einer
Umdrehung der Erde um ihre Achse, den Sterntag, und mißt sie als
die Zeit zwischen zwei Kulminationen eines beliebigen festen Punktes
der Himmelskugel. Als solchen wählt man wieder den Frühlings-
punkt und nennt Sternzeit die seit seiner Kulmination verstrichene
Zeit. Infolge der vorausgesetzten Gleichförmigkeit der Erdrotation
ist die Sternzeit gleich dem Stundenwinkel des Frühlingspunktes, wenn
man ihn statt als Winkel von 0° bis 360° in Zeit von O% bis 24%
ausdrückt. Aus dieser Definition folgt geometrisch die gesuchte Be-
ziehung zwischen Stundenwinkel und Rektaszension:
Sternzeit —= Rektaszension + Stundenwinkel.
In wieweit die so definierte Sternzeit ein gleichförmiges Maß der
Zeit ist, wird später (s. Nr. 6) näher untersucht. Neben der Stern-
zeitrechnung, die für die wissenschaftliche Astronomie unentbehrlich
ist, bedarf das bürgerliche Leben einer andern Zeitmessung, die an
die Sonne anknüpft. Man definiert den Stundenwinkel der Sonne als
wahre Sonnenzeit, die Zeit zwischen zwei Kulminationen der Sonne als
wahren Sonnentag. Da die Sonne unter den Sternen bewegt ist, ist
dieser Sonnentag vom Sterntag verschieden. Da ferner ihre Rektas-
zensionsbewegung keine gleichförmige ist — die Bahn der Sonne
ist gegen den Äquator geneigt und nicht ihre Winkel-, sondern ihre
Flächengeschwindigkeit konstant —, so ist die wahre Sonnenzeit kein
gleichförmiges Zeitmaß. Man kommt den Bedürfnissen des praktischen
Lebens durch die Einführung einer fingierten mittleren Sonne ent-
gegen, die sich bei gleichförmiger Rektaszensionsbewegung nie weit
von der wahren Sonne entfernt; der Unterschied beider Rektaszen-
sionen im Sinne „Mittlere Zeit — Wahre Zeit“ heißt die Zeitgleichung*).
3) Näheres in den Lehrbüchern; z. B. Brünnow, p. 79 ff.
4) Die Einführung der Rechnung nach mittlerer Zeit ist ein Beispiel aus
dem bürgerlichen Leben, wie die gesteigerte Messungsgenauigkeit eine strengere
8. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit. 21
Ihre extremen Werte betragen + 14”25° am 12. Febr, — 3”"49° am
14. Mai, + 6”18° am 26. Juli, — 16”21° am 3. Nov.
Beide Zeiten, Sternzeit und mittlere Zeit, sind Ortszeiten, der
Unterschied der Ortszeiten zweier Erdorte ist gleich ihrer geographi-
schen Längendifferenz, deren Kenntnis demnach zur einheitlichen Fixie-
rung des Zeitmoments speziell bei Beobachtungen der Wandelsterne
erforderlich ist.
Zur Messung größerer Zeiträume benutzt man die Dauer der
jährlichen Bewegung der Erde um die Sonne, das Jahr, und zwar
entweder (für die theoretischen Entwicklungen) das sehr angenäherte
julianische Jahr von 365°/, mittleren Sonnentagen oder (für die
praktischen Zwecke) das tropische Jahr, die Zeit zwischen zwei
Frühlingsäquinoktien; als seinen Anfang definiert man nach Bessel?)
den nahezu auf den 1. Januar fallenden Moment, in welchem die
mittlere Länge der Sonne gleich 280° ist. Das so definierte Jahr
(annus fictus) ist nicht ganz konstant, sondern infolge der Ungleich-
förmigkeit der Präzession etwas veränderlich ®).
3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und
der Zeit. Prinzip der Meridianbeobachtungen. Der unabhängigen
Bestimmung der äquatorealen Koordinaten dient heutzutage der Meri-
diankreis, mit dem die Meridiandurchgänge der Gestirne (nach Höhe
und Zeit) beobachtet werden”).
Die Beziehung 90° + Ö, resp. 270° — dö = 9 h für obere, resp.
untere Kulminationshöhen (h gerechnet von 0° bis 180° vom Südpunkt
des Horizonts) gibt aus jeder beobachteten Meridianhöhe h bei be-
kannter Polhöhe p die Deklination d des Gestirns, sonst Deklinations-
differenzen.
Die Messung der Rektaszensionen erfolgt aus den Meridian-
durchgangszeiten in einer gewissen Verknüpfung mit der Bestim-
mung der Zeit überhaupt durch Vermittlung der Uhr?).
Fassung der Definitionen erforderlich macht. Nach Wolf, Handb. 1, $ 193 wurde
sie zuerst in Genf, etwa von 1780 an, dann in England, 1810 in Preußen, 1816
in Frankreich eingeführt.
5) F. W. Bessel, Monat]. Corr. 28 (1813), p. 481 = Abhdl. 1, Nr. 36, p. 261.
6) Näheres über Berechnung des annus fictus und des Ei reductus siehe
Bessel, Fund.; Bessel, Tab. Reg.
7) Im Fein geschieht diese Messung freilich und geschah in älterer Zeit
tatsächlich an parallaktisch aufgestellten Äquatorealen, welche direkt Stunden-
winkel (und somit Rektaszensionsdifferenzen) und Deklinationen ablesen lassen;
heutzutage beschränkt sich ihre Anwendung auf die Messung kleiner Koordi-
natendifferenzen (z. B. bei dem Anschluß von Kometen an Vergleichsterne).
8\ Ehe die schon früher zur Zeitmessung benutzten Uhren durch die Ein-
22 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Die Uhr hat zunächst die Aufgabe, Zeitmomente zu fixieren
und dadurch Zeitintervalle zu messen. Die stets erforderliche Kontrolle
der Uhr führt man in geeigneten Intervallen durch Zeitbestimmungen
aus. Jede Bestimmung des Stundenwinkels # des Frühlingspunktes
oder eines andern Sterns bekannter Rektaszension « fixiert (wegen
@«+t=9) die Sternzeit 9 und gibt demnach eine Zeitbestimmung.
Am einfachsten beobachtet man im Meridian. Denn es ist dann
t=0, «=, d.h. die Sternzeit im Moment der Kulmination eines
Gestirns ist gleich seiner Rektaszension. Man bestimmt also den
Fehler der Uhr oder die Uhrkorrektion (den Betrag, den man zur
Angabe der Uhr hinzufügen muß, um Sternzeit zu erhalten) durch
Beobachtung der Durchgangszeit eines Sterns bekannter Rektaszension
durch den Meridian. Als solche „Zeitsterne“ wählt man äquatornahe
Sterne, die ihrer schnellen täglichen Bewegung halber eine möglichst
scharfe Festlegung der Durchgangszeit gestatten. Die aus aufeinander-
folgenden Zeitbestimmungen erhaltenen Uhrkorrektionen liefern den
„Uhrgang“. Unabhängig von der Kenntnis einer AR. läßt sich der-
selbe als täglicher Uhrgang durch die Beobachtung zweier aufeinander-
folgender Kulminationen desselben Sterns bestimmen; doch zieht man
in der heutigen Praxis verschiedene Sterne, deren AR. hinreichend
genau bekannt ist, zu seiner Ableitung heran, um so mehr, wenn man
sich auf die Gleichförmigkeit des Uhrgangs während eines Tages nicht
sicher verlassen kann®).
Hieran schließt sich aber unmittelbar eine fundamentale Erweite-
rung der Anwendung der Uhr. Man bestimmt die zunächst als
Winkel definierte Rektaszension eines Gestirns durch den Zeitmoment
seiner Kulmination, AR.-Differenzen nicht mehr als Winkel, sondern
durch die Zeit, welche die Erde zur Drehung um diesen Winkel
braucht. Die Uhr dient also direkt zur Bestimmung der AR., wenn
führung des Pendels die zur AR.-Messung erforderliche Genauigkeit erlangten,
mußte man, wie es noch Tycho Brahe tat, neben den Deklinationen die Distanz
zweier Objekte im Bogen größten Kreises messen, um daraus die AR.-Differenz
zu berechnen. Näheres über die historische Entwicklung vgl. bei Wolf, Handb.
2, 8 378 ff.
9) Ursachen einer täglich-periodischen Schwankung im berechneten Uhr-
gange sind einmal Schwankungen im wirklichen Gange der Uhr, herrührend
von nicht völliger Temperaturkompensation bei einer Aufstellung in einem
Raum nicht konstanter Temperatur, dann in der Aufstellung des Instruments,
sofern sie nicht durch häufige Fehlerbestimmung unter Kontrolle gehalten wird,
und endlich in der Auffassung der Durchgänge seitens des Beobachters (siehe
den Artikel VI, 5 (Ristenpart), sowie z. B. Fr. Küstner, Bonn Sternw. Veröff.
Nr. 4, Bonn 1900, p. 31).
3. Prinzip der Messung der äquatorealen Koordinaten und der Zeit. 23
sie richtige Sternzeit anzeigt; andernfalls muß ihr Fehler bekannt
sein, der im allgemeinen eine Funktion der Zeit sein wird. Ihre
Anwendbarkeit bei Präzisionsbeobachtungen beschränkt sich daher im
allgemeinen auf Zeitintervalle, innerhalb deren man ihren Gang als
gleichförmig ansehen kann, um ohne Kontrolle auskommen zu können.
Für fundamentale AR.-Bestimmungen muß dieses Intervall mindestens
einen Tag betragen, da eben unabhängige Uhrgänge nur als tägliche
erhalten werden können.
Zusammenfassend erhellt, wie die Beobachtung am Meridian-
kreise, der heutzutage in Verbindung mit einer Uhr das fundamentale
Instrument der praktischen Astronomie bildet, von den Instrumental-
fehlern befreit, Meridianzenitdistanzen und Durchgangszeiten und damit
Deklinations- und (bei Kenntnis des Uhrganges) Rektaszensionsdiffe-
renzen liefert. Die Kenntnis der Polhöhe und der absoluten Uhr-
korrektion führt zu absoluten Deklinationen und Rektaszensionen.
Es sind hier also noch die Prinzipien zu erörtern, auf denen die
praktische Bestimmung des Meridians selbst, sowie der Nullpunkte
beider Zählungen, des Frühlingspunktes und des Äquators, mithin
der Polhöhe, beruhen.
Die Festlegung des Meridians und der Polhöhe beruht auf dem
Vorgang der Erdrotation.
Die Bestimmung des Meridians erfolgt durch die Beobachtung
der Durchgangszeiten eines Zirkumpolarsterns in aufeinanderfolgen-
der oberer und unterer Kulmination, indem die Zwischenzeit genau
12" Sternzeit beträgt, wenn die Fernrohrebene mit dem Meridian
zusammenfällt. Bei bekannter Rektaszension des Sterns genügt eine
einzelne Kulmination!%). Um nicht unausgesetzt auf die Bestimmung
des Meridians angewiesen zu sein, bringt man auf festen Sternwarten
Meridianzeichen (Miren) an, die zugleich die Schwankungen des In-
struments in kürzeren Intervallen zu überwachen gestatten. Auch
ihre Lage zum Meridian muß freilich unausgesetzt unter Kontrolle ge-
halten werden, einmal weil ihre Verbindung mit dem Erdkörper nicht
als eine unveränderliche gelten kann und dann, weil der Meridian
selbst gegen den Erdkörper nicht absolut fest ist (s. Nr. 5).
Um von den im Meridian beobachteten Zenitdistanzen zu Dekli-
nationen übergehen zu können, muß die Lage des Äquators zum
Zenit, d. h. die Polhöhe, bekannt sein; man erhält sie als Mittel der
10) Im ersteren Falle muß der Uhrgang in der Zwischenzeit, im letzteren
die Uhrkorrektion bekannt sein; es müssen also noch Zeitsterne mit beobachtet
werden; vgl. auch. den Artikel VI, 3 (Wirtz), Nr. 8.
24 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
in oberer und unterer Kulmination bestimmten Höhe eines Zirkum-
polarsterns. Wie der Meridian kann also auch die Polhöhe nur
durch Kombination zweier nicht gleichzeitiger Beobachtungen erhalten
werden; es wird dabei die Unveränderlichkeit der Rotationsachse im
Erdkörper während der Zwischenzeit vorausgesetzt").
Um von den beobachteten Rektaszensionsdifferenzen zu Rektas-
zensionen selbst überzugehen, bedarf man der Kenntnis der Lage des
Frühlingspunktes. Derselbe ist als Schnittpunkt des Äquators und
der Ekliptik definiert, beruht mithin neben der Rotationsbewegung
der Erde auch auf ihrer Translationsbewegung, die der Beobachtung
am einfachsten durch ihr direktes Abbild, die Sonnenbewegung, zu-
gänglich wird; er kann demnach nur durch Sonnenbeobachtungen
erhalten werden.
Zwischen der Rektaszension A und der Deklination D der Sonne
besteht!?) die einfache Beziehung /
sinA-tge=tgD,
die es gestattet, bei bekannter Schiefe der Ekliptik & aus der einen
Größe die andere zu berechnen und somit nicht nur den Moment
D=0, sondern jeden Meridiandurchgang der Sonne, bei dem D
gemessen ist, zur Fixierung der Lage des Frühlingspunktes zu ver-
werten. Um z und A zu erhalten, genügen sonach in der Theorie
zwei beliebige Sonnenbeobachtungen. Die Praxis schlägt den Weg
ein, daß sie zur Zeit der Solstitien & bestimmt, weil dann eine mäßige
Genauigkeit in der Kenntnis von A genügt (sin A nahezu =--1]1),
und zur Zeit der Äquinoktien A, weil sich dann sin A am schnellsten
ändert; beide Male kann man auch Beobachtungen, die mehrere
Wochen entfernt liegen, benutzen. Der Vorgang ist dann der folgende:
Jede Meridianbeobachtung der Sonne in beiden Koordinaten zur Zeit
der Äquinoktien gibt ihre Rektaszension A, damit den Fehler der
Uhr und so die Rektaszension jedes in nahezu gleicher Zeit mit-
beobachteten Fixsterns, sobald man den Uhrgang durch Beobachtung
11) Zwar könnte man den Meridian als die Ebene definieren, in der alle festen
Gestirne ihre größte resp. geringste Höhe erreichen, indessen würde diese Defi-
nition trotz ihres Vorteils einer unmittelbaren Bestimmung keine scharfe Fest-
legung gestatten. — Über andere Methoden der Polhöhenbestimmung spezielleren
Charakters, Durchgangsbeobachtungen im Ersten Vertikal (d. i. der Kreis durch
Zenit und Ost- und Westpunkt des Horizonts), Talcott-Horrebow-Methode usw.
vgl. die Lehrbücher, sowie den Artikel VI a, 3 (Wirtz). Die erstere wird auch
zur Bestimmung von Deklinationsdifferenzen mit Erfolg angewandt.
12) Unter Vernachlässigung der geringfügigen, von den Planetenstörungen
herrührenden Sonnenbreiten, die man für sich berücksichtigt.
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 25
von Zeitsternen unter Kontrolle hält. Um den Einfluß des Uhrganges
möglichst zu beseitigen, schließt man eine Reihe der hellsten Sterne,
die man auch am Tage in nächster Nähe der Sonne bald vor, bald
nach ihr beobachten kann, an die Sonne an und erhält so ein unab-
hängiges System fundamentaler Rektaszensionen. Dieses Fundamental-
system, dessen weitere Verbesserung namentlich hinsichtlich der Eigen-
bewegungen (s. p. 62, 69) eine ständige Aufgabe des Meridiankreises
bleibt, legt man den weiteren Beobachtungen zu Grunde. Man ist
dann behufs Ableitung der Uhrkorrektion und damit der Rektaszen-
sionen nicht mehr auf die Zeit der Äquinoktien und auf Sonnen-
beobachtungen angewiesen, sondern erhält aus jeder Durchgangsbeob-
achtung eines Fundamentalsterns die Sternzeit, damit den Fehler
der Uhr und dadurch die Rektaszension jedes andern Gestirns, dessen
Meridiandurchgang nach der Uhr beobachtet ist.
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. Die
in Nr. 3 entwickelte Grundidee der Bestimmung der äquatorealen
Koordinaten am Meridiankreise wird in der heutigen Praxis gewisser-
maßen stufenweise verwirklicht, indem man relative oder Anschluß-
beobachtungen von fundamentalen Beobachtungen sondert.
Letztere haben selbständig ein Verzeichnis der sphärischen Koor-
dinaten für eine größere Reihe über den ganzen Himmel verteilter
Sterne zu liefern. Ein solches Verzeichnis heißt dann „Fundamental-
system“. Erstere haben die Aufgabe, mehr differentiell oder inter-
polatorisch den Ort eines beliebigen Sterns unter Zuhilfenahme der
durch das Fundamentalsystem gelieferten Positionen benachbarter
Sterne abzuleiten. | '
Die fundamentale Bestimmung der Deklinationen. Die Begründung
eines fehlerfreien Fundamentalsystems in Deklination bereitet keine
prinzipiellen Schwierigkeiten, es kommt hier nur an auf eine Kritik
der Instrumentalfehler, wie Biegung, Teilungsfehler, und auf scharfe
Bestimmung der Refraktion. Hierüber, wie über die systematischen
Unterschiede der verschiedenen Deklinationssysteme vgl. Artikel VI 2, 5
(Ristenpart). Eine letzte Kontrolle und Adjustierung eines Funda-
mentalsystems in Deklination hat 8. Newcomb '?) darin gefunden, daß
er die im Anschluß an das Fundamentalsystem gewonnenen Planeten-
örter darauf prüft, ob sie (nach Abzug der Störungen) mit dem Satze
13) S. Newcomb, The elements of the four inner planets and the fundamental
constants of astronomy (Newcomb, Fund. Const.), Washington 1895, auch als
Supplement to the Amer. Ephem. for 1897 (Washington 1895), p. 89; ferner;
Newcomb, Fund. Catal. (s. Fußn. 32), p. 188,
26 VIa,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
der Mechanik vereinbar sind, daß die Planetenbahnen in Ebenen durch
die Sonne verlaufen.
Die fundamentale Bestimmung der Rektaszensionen. Der im Prinzip
einfachste und durchsichtigste Weg besteht in der Beobachtung des
einzelnen Fundamentalsterns und der Sonne am selben Tage nicht
allzu weit von den Zeiten der Äquinoktien. Die Beobachtung der
Sonne in Deklination liefert, wie oben ausgeführt, die AR. der-
selben, der Zeitunterschied zwischen der Kulmination der Sonne und
der des betreffenden Sterns führt zur Kenntnis der AR. des letzteren.
In dieser Weise schloß noch Bessel bei seiner Bearbeitung der Be-
obachtungen .J. Bradley's 14 der hellsten Sterne, welche Bradley
besonders oft auch am Tage beobachtet hatte, einzeln direkt an die
Sonne an und begründete auf dieses System die Reduktion der übrigen
Beobachtungen. N. Maskelyne, Bradleys Nachfolger in Greenwich, er-
weiterte dieses erste Fundamentalsystem zu dem System der nach ihm
genannten 36 Maskelyme'schen Fundamentalsterne; dasselbe besteht aus
den hellsten, südlich des Zenits von Greenwich kulminierenden und
damit äquatornahen Sternen und hat ein Jahrhundert lang mit ge-
ringfügigen Änderungen die Grundlage aller AR.-Beobachtungen ge-
bildet.
Der Weg des direkten Anschlusses der einzelnen Sterne an die
Sonne besitzt indessen neben manchen Vorteilen große Unbequemlich-
keiten. Einmal sind die Sonnenbeobachtungen, da man auf die schwie-
rige Beobachtung der Sonnenränder angewiesen ist, weit unsicherer
und persönlichen Auffassungsunterschieden weit mehr ausgesetzt als
Sternbeobachtungen; dann aber bringen sie das den AR.-Beobach-
tungen an sich gänzlich fremde Element der Deklinationen hinein, die
ihre eigenen schwer zu eliminierenden Fehlerquellen haben. Endlich
kann man nur die Zeit der Äquinoktien zur Verbesserung des Fun-
damentalsystems benutzen. Man trennte daher späterhin die beiden
Aufgaben der Bestimmung des Fundamentalsystems in sich und der
Ableitung seines konstanten Fehlers, d.i. der Bestimmung des Äquinok-
tiums, voneinander '%).
Die Bestimmung des Fundamentalsystems in sich ist freilich einer
Fehlerquelle ausgesetzt, die sich bei direktem Anschluß an die Sonne
14) Schon N. Maskelyne bestimmte bei seinen Katalogen für 1770 (Tables for
computing the apparent places of the fixed stars, London 1774), 1790 (F. Wollaston,
Specimen of a general catalogue, London 1789) und 1805 (Greenw. obs. 1807, ]I,
p. 112 und F. X. Zach, Tabulae speciales aberrationis I. Gotha 1806) nur die AR.
von « Aquilae durch direkten Anschluß an die Sonne und für die andern 35 Fun-
damentalsterne ihre AR.-Unterschiede gegen « Aquilae.
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 27
leichter eliminieren läßt, den täglich-periodischen Schwankungen’) des
Uhrganges (im weitesten Sinne, d. h. des eigentlichen Ganges der
Uhr, des Instruments und des Beobachters).
Um diesem Einfluß zu begegnen, verband @. Piazzi"?) wenigstens
2 Sterne, « Can. min. (Procyon) und « Aquilae (Atair), deren Rektas-
zensionsdifferenz nahezu 12" beträgt, direkt mit der Sonne und schloß
die übrigen Sterne an einen dieser beiden Fixpunkte an. Bessel
beobachtete dieselben beiden Sterne möglichst häufig in verschiedenen
Jahreszeiten, um ihre unter Benutzung täglicher Uhrgänge abgeleitete
AR.-Differenz unabhängig von den täglichen Schwankungen des Uhr-
ganges zu erhalten, und verfuhr dann so wie Piazzi. Trotzdem zeigen
seine beiden Fundamentalkataloge !®) die Spuren systematischer Fehler-
quellen °). Weiter gingen U. J. Leverrier'?) und A. Auwers'”) in der
Elimination dieser Fehlerquellen durch differentielle Anschlüsse.
Nachdem einmal die ersten Fundamentalkataloge vorlagen, schlug
man vielfach das Verfahren ein, die Positionen eines Ausgangskatalogs
als im Prinzip richtig, d. i. ohne einen gesetzmäßigen Fehler anzu-
sehen und nur die rein individuellen Korrektionen der einzelnen
Sternpositionen abzuleiten. Man nimmt dann den Uhrgang nur
für wenige Stunden als linear an und reduziert alle inzwischen be-
obachteten Fundamentalsterne auf ihr Mittel. Dabei wird zwar die
Schwierigkeit der täglichen Periode des Uhrgangs zum guten Teil
vermieden, dagegen wird ein gesetzmäßiger Fehler des Ausgangs-
katalogs in den abgeleiteten Verbesserungen nur wenig abgeschwächt
wieder auftreten), die unabhängige, fundamentale Natur der Beob-
achtungen geht verloren; es ist dies tatsächlich bei den Greenwicher
Katalogen, die auf Pond’s Fundamentalkatalog basiert sind, der Fall
gewesen ?!). Diese Fehlerquelle suchten S. Newcomb ®) und @. B. Airy ”
zu umgehen.
15) @. Piazzi, Del real osservatorio di Palermo Libro Sesto. Palermo 1806;
‘und: Praecipuarum stellarum inerrantium positiones mediae ineunte saeculo
XIX, Panormi 1814.
16) Bessel, Berl. Abh. 1818—19 und 1825.
17) Siehe u. a.: F. Cohn, Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), p. 291; und: Königsb.
Beob. 39 (1899).
18) Obs. de. Paris ann. 2 (1856), p. 186 ff. enthält eine neue Ableitung der
36 Maskelyne’schen Fundamentalsterne aus Bradley’s Beobachtungen.
19) A. Auwers, Reduktion der Beobachtungen der Fundamentalsterne zu
Palermo 1803/05, Astr. Ges. Publ. 5 (1866); und: Neue Reduktion der Bradley’schen
Beobachtungen aus den Jahren 1750—1762, 1, St. Petersburg 1903.
20) 5. Newcomb, Positions of the fundamental stars, Wash. obs. 1867, app- 3;
auch ‚separat (Washington 1870).
21) T. H. Safford, On the positions of the Radcliffe Catalogue, Lond. Astr.
28 VIa,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Wesentlich strenger verfuhr A. Wagner °°), indem er die durch eine
solche Gruppenzusammenfassung erhaltenen Verbesserungen nur als
relativ zum Gruppenmittel ansah und die Verbesserungen der Gruppen-
mittel nach den Jahreszeiten‘) diskutierte. Man vermeidet alle Ab-
hängigkeit von früheren Beobachtungen und eliminiert den Uhrgang
ohne Benutzung der Sonne, wenn man die Kulminationszeiten je
zweier aufeinander folgend beobachteter Fundamentalsterne nur zu
einer Gleichung für die Differenz ihrer AR.-Verbesserungen verwertet
und diese Gleichungen unter Berücksichtigung einer etwaigen täglich-
periodischen Schwankung des Uhrganges auflöst!”).
Gegenwärtig fallen diese Schwierigkeiten bei der Ableitung eines
fehlerfreien Fundamentalsystems nicht mehr so ins Gewicht, da der
tägliche Gang der Uhr durch geeignete Kompensation und Aufstellung
in gleichmäßig temperierten Räumen beseitigt, der Gang des Instru-
ments durch Wasserwage und Mire unter Kontrolle gehalten werden
kann und die neuere Erfindung des Repsold’schen selbstregistrierenden
Mikrometers (s. Artikel VI 2,5 (Ristenpart)) eine täglich-periodische
Schwankung der persönlichen Auffassung wohl ausschließt.
Festlegung des Aquwinoktiums. Ist das Fundamentalsystem hin-
reichend sicher in sich begründet, so folgt zum Schluß die Bestimmung
seines konstanten Fehlers durch Anschluß an die Sonne. Diese setzt
sich aus dem eigentlichen Anschluß des Fundamentalsystems an die
Sonne und der Bestimmung des Frühlingspunktes durch Beobachtung
von Sonnendeklinationen um die Zeit der Äquinoktien zusammen.
Den ersteren erhält man, indem man die nach der Uhr beobachteten
Durchgangszeiten der Sonne durch Berücksichtigung der aus den
gleichzeitigen Beobachtungen der Fundamentalsterne erhaltenen Uhr-
korrektionen in Rektaszensionen, bezogen auf das Fundamentalsystem,
verwandelt. Die Vergleichung dieser beobachteten mit den aus den
Deklinationsbeobaehtungen berechneten absoluten Rektaszensionen gibt
die Verbesserung des Fundamentalsystems, die demnach sowohl von
Soc. Monthly Not. 21 (1861), p. 245; W. A. Rogers, On the periodie errors of
the right ascensions observed between 1858 and 1871, Amer. Ac. Proc. N. S.
1 (1875).
22) @. B. Airy, Nine-Year Cat. for 1872, Greenw. obs. 1876, app. 1. Hier
wie ebenso in den beiden folgenden Katalogen für 1880 und 1890 (Ten-Year u.
Second Ten-Year Cat., Greenw. obs. 1887, app. 2; 1898, app. 2) werden zur Eli-
mination der periodischen Fehler nur Beobachtungsreihen benutzt, die sich über
mindestens 12 Stunden erstrecken (twelve hour groups).
23) A. Wagner, Poulkova obs. 3 (1870), und besonders 12 (1887).
24) Verschiedenheiten nach den Jahreszeiten würden auf eine tägliche
Schwankung des Uhrganges zurückzuführen sein.
4. Die gegenwärtige Praxis der Meridianbeobachtungen. 29
den systematischen Fehlern der Deklinationen, wie von dem persön-
lichen Auffassungsunterschieden vornehmlich ausgesetzten Anschluß
der Sterne an die Sonne abhängig ist”).
Historisches über Fundamentalkataloge.. Die erwähnten beiden
Bessel’schen Kataloge der 36 Maskelyne’schen Fundamentalsterne haben
lange Zeit die Grundlage der meisten astronomischen Arbeiten auf diesem
Gebiete gebildet, indem auf ihnen die viel benutzten „Tabulae Regio-
montanae“?%) beruhten. Daneben spielten auch noch andere Bestim-
mungen derselben Sterne eine Rolle, wie W. Struve’s „Positiones
mediae“, Fr. Argelander’s „Catalogus Abo@nsis“, J. Ph. Wolfers’ Katalog
in seinen „Tabulae reduetionum“?”). Eine grundlegende Bearbeitung
der 36 Maskelyne’schen Fundamentalsterne führte dann $. Newcomb
aus?®).
Allmählich machte sich das Bestreben geltend, die Zahl dieser
Fundamentalsterne zu vermehren und sie über den ganzen Himmel
auszudehnen, um den differentiellen Anschluß der andern Gestirne
(s. später) an das Fundamentalsystem inniger zu gestalten. So ent-
standen z. B. die Kataloge der Pulkowaer Hauptsterne für 1845, 1865
und 1885?°). Die Jahrbücher bildeten eigene erweiterte Fundamental-
kataloge aus, so der Nautical Almanae im Anschluß an die Pond’schen
und Airy’schen Beobachtungen). Das große Zonenunternehmen der
„Astronomischen Gesellschaft“ führte zu dem Fundamentalkatalog von
A. Auwers®'), der von dem „Berliner astronomischen Jahrbuch“ über-
nommen wurde und mit seinen Erweiterungen in dem letzten Viertel
25) Siehe z. B. A. Wagner, Poulkova obs. 12 (1887), p. (89) ff.
26) Bessel, Tab. Reg., siehe Literaturübersicht p. 17.
27) J. Ph. Wolfers, Tabulae reductionum observationum astronomicarum
annis 1860 usque ad 1880 respondente, Berolini 1858. Er enthält eine Be-
arbeitung zahlreicher früherer Beobachtungsreihen.
28) S. Newcomb, On the right ascensions of the equatorial fundamental
stars, Wash. obs. 1870, app. 3.
29) Poulkova obs. 1,4, 12 (1869—87); Poulk. Obs. Centr. Nic. Publ. (2) 1, 3, 9
(1898— 1903).
30) In verschiedenen Jahrgängen der „Greenwich Observations“. — Ferner
entstanden: L. Boss, Declinations of fixed stars, Washington 1878; $. New-
comb, Catalogue of 1098 Standard Clock and Zodiacal Stars, Washigton 1882,
Abdruck aus Wash. Astron. Papers 1 (1880).
31) A. Auwers, Fundamentalkatalog für die Zonenbeobachtungen am nörd-
lichen Himmel, Astr. Ges. Publ. 14 (1879); 17 (1883); Astr. Nachr. 121 (1889), p. 145;
143 (1897), p. 361 (Südhimmel). — Später erschienen „Vorläufige Verbesse-
rungen... .“, Astr. Nachr. 147, p. 49 u. 105; endlich eine definitive Bearbeitung
„Ergebnisse der Beobachtungen 1750—1900 für die Verbesserung des Funda-
mentalkatalogs des Berl. Jahrbuchs, Astr. Nachr. 164 (1904), p. 225.
&
30 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
des 19. Jahrhunderts die Grundlage der meisten Meridianbeobach-
tungen bildete. Daneben wurde in neuester Zeit der Fundamental-
katalog von 5. Newcomb°?) seiner größeren Zahl von Sternen halber
(über 1000) trotz wesentlich geringerer Genauigkeit der individuellen
Positionen vielfach angewandt, insbesondere solange die definitive Be-
arbeitung von Auwers’ Fundamentalkatalog ausstand. Ganz kürzlich
erschien ein Fundamentalkatalog von Lewis Boss °?).
Auch diese Fundamentalkataloge werden zukünftig zur Erzielung
eines möglichst innigen Anschlusses an das Fundamentalsystem noch
erweitert werden. Dabei muß aber die erforderlich bleibende be-
ständige Verbesserung eines solchen Fundamentalsystems, wenn man
nicht die Fehler des Ausgangskatalogs in den abgeleiteten Ver-
besserungen stets mitschleppen will, stufenweise durch Zurückgehen
auf engere Systeme, wie das der Maskelyne’schen Sterne oder ein ähn-
liches, erfolgen.
Relative oder Anschlußbeobachtungen. Man besitzt in den erwähnten
Fundamentalkatalogen ein genügend sicher begründetes und genügend
umfangreiches System fundamentaler Sternpositionen, um daran be-
quem die Hauptmasse der Fixsterne, sowie Sonne, Mond und Planeten
anschließen zu können. Jede Beobachtung eines solchen Anhalt-
sternes gibt die Nullpunkte der Zählung, den Äquatorpunkt und die
Uhrkorrektion. Dabei ist in beiden Koordinaten auf möglichst differen-
tiellen Anschluß an das Fundamentalsystem zu achten. Am innigsten
ist derselbe bei den Zonenbeobachtungen, bei denen man nur Sterne
eines schmalen Deklinationsgürtels beobachtet und die Anhaltsterne
möglichst derselben Himmelsgegend entninmt.
5. Kritische Untersuchung der Voraussetzungen. Die im vorigen
im Prinzip dargestellten Methoden der astronomischen Koordinaten-
bestimmung erhalten in der Praxis ein ganz anderes Aussehen, sobald
man prüft, ob die derart bestimmten Koordinaten den von der Theorie
gestellten Ansprüchen genügen. Die Theorie bedarf zur Untersuchung
der wahren Bewegungen der auf feste Koordinatenebenen bezogenen
sphärischen Koordinaten desjenigen Punktes der scheinbaren Himmels-
kugel, auf den sich das Objekt von ihrem Mittelpunkt aus gesehen
projiziert. Die Beobachtung gibt und kann nur geben die sphäri-
schen Koordinaten der Visierrichtung, in welcher wir das Fernrohr
32) S. Newecomb, Catalogue of fundamental stars for 1875 and 1900, Wash-
ington 1898, Abdruck aus Wash. Astron. Papers 8 (Neweomb, Fund. Catal.).
33) L. Boss, Positions and motions of 627 Standard Stars, Astron. Journ. 23
(1903), p. 17.
5. Kritische Untersuchung der Voraussetzungen. 5a. Visierrichtung. 31
einstellen, bezogen auf gewisse, leicht bestimmbare Fundamental-
ebenen, deren Unveränderlichkeit im Raume sie aber nicht verbürgen
kann. Zu untersuchen ist also einmal die Abweichung der Richtung,
in der das Objekt uns erscheint, der scheinbaren Richtung von der
geometrischen wahren, und ferner die Unveränderlichkeit des Koordi-
natensystems, auf welches sich die Beobachtung der Koordinaten be-
zieht. Es zeigt sich, daß das Prinzip der Beobachtungen von diesen
Einflüssen nicht merklich betroffen wird, daß hingegen die unmittel-
bar beobachteten Größen keineswegs den Ansprüchen der Theorie
genügen, sondern erst einer entsprechenden Reduktion bedürfen.
5a. Änderungen der Visierrichtung. 1. Die Parallaxe. Das Auge
des Beobachters, und damit der Koordinatenanfang, ist nicht im
Raume fest, sondern nimmt an der Bewegung des Erdortes teil.
Diese Ortsänderung ruft scheinbare Verschiebungen in den Örtern der
Himmelskörper hervor, die man als parallaktische bezeichnet und je
nach der Art der Ortsveränderung des Beobachters als tägliche, jähr-
liche und säkulare Parallaxe unterscheidet. Man befreit sie davon
durch Übergang auf einen von der Bewegung des Erdorts unab-
hängigen Koordinatenanfang, wozu man neben der Kenntnis dieser
Bewegung auch der Entfernung des Gestirns bedarf; umgekehrt bieten
diese Bewegungen des Beobachters das wichtigste Hilfsmittel zur Be-
stimmung der Entfernungen der Gestirne.
U. Die astronomische Strahlenbrechung. (Vgl. Art. V12,83 (Oppolzer).)
Sie wirkt bei den Meridianbeobachtungen. in derselben Art, wie
Teilungsfehler des Meridiankreises und wird mit diesen zugleich be-
rücksichtigt.
III. Die Aberration. Unter dem Namen der „astronomischen Aber-
ration“ pflegt man die Erscheinungen zusammenzufassen, die der end-
lichen Fortpflanzung des Lichts ihre Entstehung verdanken. Diese
sind zweierlei Natur. Die eine entsteht dadurch, daß das Gestirn
sich zur Zeit, da wir es beobachten, nicht mehr an dem Ort des
Himmels befindet, den es zur Zeit der Lichtaussendung einnahm.
Man nennt diesen Einfluß oft „Planetenaberration“ aus dem äußer-
lichen Grunde, daß man ihn bisher nur bei den Körpern des Planeten-
systems in Rechnung zu ziehen Ursache hatte.
Seinen Ursprung verdankt der übliche Name der zweiten Er-
scheinung, der sog. „Fixsternaberration“. Das Objekt erscheint uns
infolge derselben in der Richtung der Diagonale des Parallelo-
gramms, welches durch die Geschwindigkeit Y des Lichtstrahls und
die (nach rückwärts aufzutragende) Geschwindigkeit v des Beobachters
32 VIe,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
bestimmt ist®). Der Aberrationseffekt ist also gleich dem parallak-
tischen Effekt, der entsteht, wenn man den Beobachter um den Be-
trag v in seiner Bewegungsrichtung zurückverlegt und das Gestirn
in der Entfernung V betrachten läßt.
Die Entdeckung dieser eigentlichen Aberration erfolgte empirisch
durch James Bradley”), der bei seinem Versuche, Fixsternparallaxen
zu bestimmen, auf die jährliche Aberration geführt wurde. Auch gab
er dafür auf der Grundlage der Emissionstheorie des Lichts eine ent-
sprechende Erklärung®®). Die Begründung der Aberrationslehre durch
die Undulationstheorie setzt mit Fresnel ein?”).
Die beiden Fragen, ob der Aberrationsbetrag vom Medium des
Fernrohrs und der daraus folgenden Änderung der Lichtgeschwindig-
keit V abhänge®®) und ob er durch die Bewegung der Lichtquelle be-
einflußt werde®®), sind negativ zu beantworten. Man vergleiche die
ausführliche Behandlung der ganzen schwierigen Aberrationsfrage in
dem Artikel V 14 (Lorentz).
5b. Änderungen des Koordinatensystems. Präzession, Nutation,
Bewegung des Erdpols‘'). Die Rotationsachse der Erde ist sowohl
im Raume wie im Erdkörper beweglich, ebenso unterliegt die Ekliptik
langsamen Schwankungen. Demnach sind die Grundlagen des Koordi-
natensystems, auf welches die Beobachtung angewiesen ist, bewegt,
und ihre Veränderlichkeit ist, wenn man aus den zu verschiedenen
Zeiten beobachteten, auf die momentane Lage der Fundamentalebenen
bezogenen Koordinaten der Gestirne auf ihre Bewegungen schließen
will, durch Übergang auf feste Grundebenen zu berücksichtigen.
34) Siehe CO. F. Gauß, Theoria motus corporum coelestium,. Hamburgi
1809 (auch Werke Bd. 7), $ 71.
35) J. Bradley, Account of a new discovered motion of the fixed stars,
Lond. Phil. Trans. 1728, p. 637 [= abr. 7, p. 308].
36) Vgl. z. B. Lalande [Jeröme le Frrangais], Astronomie, 3. &d. Paris 1792,
Nr. 2827/29 (3, p. 92—93).
37) A. Fresnel, Ann. chim. phys. 9 (1818), Brief an Arago, abgedruckt in
Fresnel, Oeuvres 2 (Paris 1868), p. 627.
38) S. z.B. Lalande ]. c. Fußn. 36), Nr. 2833 (3, p. 95), worin Lalande er-
wähnt, daß ihm R. @. Boscovich die Idee, durch Einführung einer Wassersäule
in das Fernrohr die Frage zu entscheiden, im Jahre 1766 mitteilte; W. Klinker-
fues, Die Aberration der Fixsterne nach der Wellentheorie, Leipzig 1867.
39) Vgl. auch H. Battermann, Beiträge zur astronomischen Aberrations-
lehre, Diss. Berlin 1881; H. Poincare, Lecons sur la theorie math&matique de la
lumiere, Paris 1889 (dtsch. v. Gumlich u. Jaeger, Berlin 1894), chap. 8.
40) Vgl. hierzu neben den in der Literaturübersicht genannten Werken
von Oppolzer, Tisserand und Helmert noch F. Klein und A. Sommerfeld, Über die
Theorie des Kreisels 3, Leipzig 1903.
bb. Änderungen des Koordinatensystems. 33
Auch die Methoden der Koordinatenbestimmung selbst, sowie die
Definitionen der Zeit, Polhöhe ete., die ein festes Koordinatensystem
voraussetzten, bedürfen einer Prüfung und verschärften Fassung.
Die Theorie ergibt die folgenden Bewegungen der Fundamental-
ebenen:
Die Ekliptik. Die Lage der Erdbahn erleidet unter dem Ein-
fluß der Planetenanziehung langsame Änderungen, deren Form und
numerischer Betrag theoretisch abgeleitet wird, da die hierzu nötigen
Daten, wie die Bahnelemente der Planeten und ihre Massen, sich mit
hinreichender Schärfe aus den translatorischen Bewegungen bestimmen
lassen. Auf die äquatorealen Koordinaten der Gestirne hat diese
Beweglichkeit der Ekliptik nur insofern Einfluß, als der Ausgangs-
punkt der Zählung der Rektaszensionen davon betroffen wird; sie
bewirkt eine für alle Sterne gleiche, von der Zeit abhängende Ände-
rung der Rektaszensionen und läßt die Deklinationen ganz ungeändert.
Die numerischen Ausdrücke siehe später.
Die Rotationsachse der Erde. Die Bewegungen der Rotations-
achse der Erde im Erdkörper und im Raume werden als besonderer
Fall des allgemeinen Problems der Rotation eines Körpers behandelt").
Unter Berücksichtigung der quantitativen Verhältnisse und Vernach-
lässigung alles dessen, was merklich unterhalb einer Beobachtungs-
genauigkeit von 0”.01 liegt, ergibt sich für die Bewegung der momen-
tanen Rotationsachse das folgende Bild:
Infolge der Ungleichheit der Hauptträgheitsmomente A und C
führt die momentane Rotationsachse der Erde unter dem Einfluß der
Sonnen- und Mondanziehung im Erdkörper eine geringfügige, nahezu
täglich-periodische Schwankung um die polare Hauptträgheitsachse,
im Raume die sog. Präzessions- und Nutationsbewegung aus. Die
erstere verursacht eine Veränderlichkeit der Polhöhe und des Meridians
und hat die Form®?):
&—= +0".009 sin © — 0”.007 sin (8 — 20) — 0.003 sin (@ — 2()
= — 0”.009 cos @ + 0”.007 cos (8 — 20) + 0”.003 cos (8 — 20.
41) Die besonderen Voraussetzungen betreffen neben der nahezu völligen
Starrheit des Erdkörpers die derzeitige Kleinheit des Winkels zwischen der
Rotationsachse und der polaren Hauptträgheitsachse, wozu die Erfahrungstat-
sachen berechtigen, sowie daß die Differenz der beiden üquatorealen Haupt-
trägheitsmomente A und B gering sei; aus Pendelbeobachtungen, welche keine
merkliche Abhängigkeit der Größe der Schwerkraft von der geographischen
Länge ergeben haben, folgt, daß sicher <a ist; vgl. z. B. Helmert.
42) Siehe Helmert 2, p. 434; Tisserand 2, p. 496.
Encyklop. d, math. Wissensch. VI 2. 3
34 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Darin bedeuten &, n die rechtwinkligen Koordinaten des Erdpols
in’Bezug auf seine Mittellage, derart daß & die Polhöhenschwankung
eines Erdorts zur Sternzeit © darstellt; © und € sind Länge der
Sonne und des Mondes. |
Die räumliche Bewegung der Erdachse erzeugt eine Bewegung
des ganzen Koordinatensystems; sie zerfällt in eine langperiodische
um den Pol der Ekliptik, die „Präzession“, und eine Reihe kurzperio-
discher Schwankungen um eine Mittellage, welche man zusammen-
fassend als Nutation bezeichnet. Der Präzession entspricht eine der
Zeit nahezu proportionale Drehung der Schnittlinie des Äquators und
der Ekliptik in letzterer und damit eine fortschreitende Bewegung
des Frühlingspunktes,: welche als „Präzession der Äquinoktien“ be-
zeichnet wird, während der Neigungswinkel beider Ebenen ungeändert
bleibt. Die „Nutation“ bewirkt eine unregelmäßige Schwankung des
Frühlingspunktes und zugleich auch der Schiefe der Ekliptik*?). Die
numerischen Ausdrücke siehe später.
Im Falle einer merklichen Ungleichheit der beiden äquatorealen
Hauptträgheitsmomente würden Sonne und Mond eine halbtägige
Nutation und eine halbtägige Kegelbewegung der Erdachse im Erd-
körper erzeugen, deren Betrag indessen wegen Eu “ 25 weit unter
der Grenze der Meßbarkeit liegt. Auch eine nicht vollkommene
Starrheit des Erdkörpers würde keine merklichen Änderungen hervor-
rufen **).
Zu der geschilderten Bewegung der Rotationsachse der Erde
kommt noch eine weitere hinzu, die ihrem nicht genauen Zusammen-
fallen mit der polaren Hauptträgheitsachse ihre Entstehung verdankt
und unabhängig von äußeren Kräften ist. Bei einem absolut starren
und äußeren Kräften nicht unterworfenen Erdkörper würden die momen-
tane Rotationsachse und Hauptträgheitsachse entweder dauernd zu-
sammenfallen oder die erste würde um die letztere einen kleinen Kegel
konstanter Öffnung « in der sogenannten Euler’schen Periode*°) von
43) Die „Präzession der Äquinoktien“ entdeckte schon Hipparch (siehe
Ptolemäus, Almagest VII, Kap. 2), die Nutation erst James Bradley, Lond. Phil.
Trans. 45 (1747—48), p. 1 [= abr. 9, p. 417].
44) Gegenteilige Behauptung von F' Folie (Existence et Grandeur de la Pre-
cession et de la Nutation diurnes, Bruxelles 1882, und in zahlreichen anderen
Schriften) und deren Kritik durch R. Lehmann- F'ilhes, Astr. Nachr,. 124 (1890),
p. 377, vgl. auch Fußn. 49).
45) L. Euler, Theoria motus corporum solidorum seu rigidorum, Rostock u.
Greifswald 1765.
5b. Änderungen des Koordinatensystems: Präzession, Nutation. 35
ns
C—4
gegen wäre die momentane Rotationsachse nahezu fest*”). Die Be-
wegung der Rotationsachse im Erdkörper würde eine periodische
Schwankung der Polhöhen und der Erdmeridiane im Laufe von ca.
10 Monaten hervorrufen. Die nahezu völlige Konstanz der Rotations-
achse im Raume bei einer völlig freien Erde bewirkt in der Praxis,
daß, wenn wir unsere im momentanen Meridian angestellten Beobach-
tungen mit der momentanen Polhöhe reduzieren, sie damit auf eine im
Raume nur der Präzession und Nutation im gewöhnlichen Sinne*)
unterworfene Achse bezogen sind*”).
—304.8 mittleren Sonnentagen*®) beschreiben. Im Raume hin-
Ist die Starrheit des Erdkörpers keine vollkommene, so bleibt
die Festigkeit der momentanen Rotationsachse im Raume erhalten.
Über ihre Bewegung im Erdkörper hingegen können angesichts der
unkontrollierbaren Verlagerungen der Hauptträgheitsachse nur Beob-
achtungen Aufschluß geben’). Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts
gelang es nach mancherlei ergebnislosen Versuchen die reelle Existenz
solcher Bewegungen der Erdachse im Erdkörper in der Form von
Polhöhenschwankungen nachzuweisen ((. A. F. Peters, M.Nyren, Fr.
Küstner). Indessen erwies sich die Euler’sche Periode, die Peters und
Nyren noch ohne Erfolg ihren Untersuchungen zu Grunde gelegt
46) Zahlenwert nach Oppolzer, Bahnb. 1, p. 151.
47) Genauer gesagt beschreibt der momentane Erdpol um den Pol der
unveränderlichen Ebene einen kleinen Kreis von «- = A Öffnung, wobei
Se = „o: ‚a<£1” ist. Siehe z. B. Helmert 2, p. 407/08, sowie schon (0. A. F'.
Peters, Resultate aus Beobachtungen des Polarsterns, Astr. Nachr. 22 (1845),
p. 71, 81, 119.
48) D. h. wie sie die Sonnen- und Mondanziehung beim völligen Zu-
sammenfallen der Rotations- und Hauptträgheitsachse erzeugen würden.
49) In einer unrichtigen Auffassung dieser Verhältnisse liegt der Fehler in
den von F. Folie gegen die übliche Art der Reduktion der Beobachtungen wieder-
holt erhobenen Einwänden, soweit sie die „nutation initiale“ betreffen. Neben
den zahlreichen Schriften Folie's in den Astr. Nachr., Astr. Ges. Vjs., Paris
C. R., Paris Bull. astr. 7 (1890), Obs. de Bruxelles annuaire etc. vgl. besonders
R. Radau, Quelques mots sur la question de la nutation diurne, Paris Bull.
astr. 7 (1890), p. 194; F. Tisserand, Note sur la nutation diurne, Paris Bull.
astr. 7 (1890), p. 278.
50) Unter plausibeln Annahmen kann man wenigstens schließen, daß ihre
Schwankungen gering sind, sicherlich <1”. Eine Literaturzusammenstellung
findet man bei Helmert 2, p. 408 ff., sowie insbesondere bei Tisserand 2,
chap. XXIX und XXX.
5*
36 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
hatten, durch andere Einflüsse ganz verdeckt; S. ©. Chandler®') zeigte
vielmehr, daß eine nahezu 432tägige Periode neben einer jährlichen
die Beobachtungen am besten darstellt. Doch sind die Schwankungen
so unregelmäßig, daß sie beständig unter Kontrolle gehalten werden
müssen; diese wird zur Zeit von einem eigens dazu eingerichteten
internationalen Breitendienst ausgeübt ??).
Numerische Angaben über Präzession und Nutation. Die Be-
wegungen der Fundamentalebenen werden in der beifolgenden Figur,
die aus größten Kreisen auf der Himmelssphäre gebildet zu denken
ist, veranschaulicht.
Es stellen dar: EE, EE, AA, AA, die Lagen der beiden
Fundamentalebenen für zwei Epochen, deren eine durch den Index o
charakterisierte als fest gilt, wäh-
rend die andere durch den Index £
als variabel gekennzeichnet wird.
t bezeichnet die seit jener fixen
Epoche verflossene Zeit in juliani-
schen Jahrhunderten (36525 mitt-
leren Sonnentagen). A und E sind
die aufsteigenden Knoten der be-
weglichen auf der festen Grund-
ebene. Dann sind Y,, Y, die wahren
Frühlingspunkte beider Epochen,
®,, 9, die wahren Schiefen, wäh-
rend $ (oder $,, ‚), die Schiefe des beweglichen Äquators gegen die feste
Ekliptik, für die theoretischen Entwicklungen erforderlich ist°®). Als
Fig. 1.
51) Vgl. eine Reihe von Aufsätzen $. ©. Chandler’s: „On the variation of
latitude“ im Astron. Journ. (der erste 11 (1891), p. 59).
52) Vgl. darüber die verschiedenen Berichte in den Verh. Comm. Erdm.,
sowie Th. Albrecht, Resultate des internationalen Breitendienstes 1, Berlin 1903.
Die Polbewegung in dem früheren Jahrzehnt behandeln auf Grund zahlreicher
Beobachtungsreihen verschiedene Aufsätze Albrecht's in den Astr. Nachr., der
erste 126 (1891), p. 145. — Für hohe nördliche Gegenden wäre auch die Beob-
achtung von Längendifferenzen XM. Brendel, Über den Einfluß von Polschwan-
kungen auf die geographische Lage der Erdorte, Astr. Nachr. 131 (1892), p. 59)
und von irdischen Azimuten aussichtsreich. Bisher ist nur gelegentlich der
Nachweis versucht worden, daß die Änderung des Azimuts der Meridianmiren
zum Teil von der Schwankung des Meridians selbst herrühre. Die erste An-
deutung gibt F. W. Bessel, Königsb. Beob. 6 (1821), p. XVII; dann A. Socoloff,
Bestimmung der periodischen Bewegung der Erdpole mittels der Miren des Pul-
kowaer großen Passageninstruments, Astr. Nachr. 132 (1893), p. 369 und 134
(1894), p. 233. — E. Becker, Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. LVI.
53) In den Bezeichnungen besteht bisher große Verschiedenheit, s. z. B,
5b. Anderungen des Koordinatensystems. 37
feste Epoche legt man jetzt nach Leverrier®‘) gewöhnlich die von
1850, früher nach Laplace”°), dem sich Bessel?°) anschloß, die von
1750 zu Grunde.
Zur Fixierung und rechnerischen Verfolgung der Lageänderungen
und ihres Einflusses auf die Koordinaten der Gestirne bedient man
sich in der Praxis am einfachsten der gegenseitigen Neigung beider
Ebenen und der Länge des Knotens in ihnen, also für die Ekliptik
der Größen:
EN —=N, N=NF+L, INEV =
welche die Theorie als Funktionen der Zeit dargestellt liefern muß.
Die Bewegung der Ekliptik für sich läßt sich unabhängig von
der Aquatorbewegung darstellen. Für sie findet Oppolzer°"):
tgi- sinn = + 57.8411 + 07164? +. —=gt + rt, ®)
tgi - cos = — 47”.594t + 07.0568? +. gt + rt
oder
i = 47". 951t — 0”.03251°,
N = 113° 0° 12” — 868".3.
Um aber in der beweglichen Ekliptik die Lage des Frühlings-
punktes zu fixieren, ist die Kenntnis der Äquatorbewegung erforder-
lich. Die Theorie der Erdrotation legt dieselbe zunächst gegen die
Tisserand, Me&c. ceeleste, nach Laplace, Poisson, Serret einerseits und die in
der Literaturübersicht genannten Werke von Bessel, Brünnow, Oppolzer andrer-
seit. Im folgenden ist großenteils nach Oppolzer vorgegangen. Es be-
zeichnen $ die wahre, & die mittlere Schiefe der Ekliptik, » die voll-
ständige, I die rein präzessionale Änderung des Äquinoktiums, ferner die ge-
strichelten Buchstaben Größen von theoretischer Bedeutung: 9 Schiefe des be-
weglichen Äquators gegen die feste Ekliptik, 7 lunisolare Präzession, während
beobachtbare Größen durch ungestrichelte Buchstaben bezeichnet sind: # Schiefe
des beweglichen Äquators gegen die bewegliche Ekliptik. Endlich sind vielfach
Indizes benutzt. Die meisten Größen hängen von beiden Epochen o und t ab,
wie 9, 9 U, I,, Usw.; bei diesen sind gelegentlich beide Indizes fortgelassen;
hingegen sind #,, &, nur von der einen Epoche abhängig und führen ihren Index
stets mit sich.
54) U. J. Leverrier, Recherches astronomiques, Obs. de Paris ann. 1—14
(1855— 77).
55) P. S. Laplace, Trait& de mecanique celeste, 5 Bde., Paris 1799—1825.
56) Bessel, Fund. und Bessel, Tab. Reg.
57) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 124 führt in die Leverrier’schen Ausdrücke (Obs.
de Paris ann. 4 (1858), p. 49 u. 50), die g = 5.888, ’ = — 47.566 geben, einige
von Leverrier selbst später (p. 96) gegebene Massenkorrektionen ein.
58) Diese vorübergehende Bezeichnung, ebenso wie später #, ® nach
Tisserand.
38 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
fixe Ekliptik von 1850 fest und charakterisiert sie entsprechend durch
9:09) und BY,=v%,,., wobei 180° — %,,, die Länge des
aufsteigenden Knotens des beweglichen Äquators auf der festen Eklip-
tik ist; sie findet dafür:
v=at+a®+:. +7 —-/+%
"= 58 +bP+:-:+9=.-+0.
Die Potenzreihen nach ? stellen darin für sich betrachtet die
Präzessionsbewegung, d. h. die Bewegung des sog. mittleren Äquators
gegen die feste Ekliptik, &, die mittlere Schiefe der Ausgangsepoche
dar, während % und ® periodischen Charakters sind und die Nuta-
tionsbewegung des wahren gegen den mittleren Äquator liefern. Man
nennt / die lunisolare Präzession, &’ die mittlere lunisolare Schiefe
(besser € — &, die lIunisolare Änderung der mittleren Schiefe).
, €, sowie die periodischen Glieder #, © hängen einmal ab von
den Bahnelementen der Erde und des Mondes, die für den vorliegen-
den Zweck als genügend bekannt gelten können, dann aber noch von
zwei anderen Größen, deren Kenntnis zur Zeit auf anderem Wege
nicht mit der erforderlichen Schärfe zu erhalten ist und daher um-
gekehrt gerade aus dem beobachtbaren Effekt der Präzessions- und
Nutationsbewegung auf die Koordinaten der Gestirne gewonnen zu
werden pflegt. Diese Größen sind ae, wo A und C wie früher
die von der unbekannten Massenverteilung im Erdkörper abhängenden
Hauptträgheitsmomente der Erde bedeuten, und das Verhältnis der
Mondmasse zur Sonnenmasse.
Zur Vergleichung der Theorie mit den Beobachtungen ist in-
dessen noch der Übergang auf die bewegliche Ekliptik, auf die sich
die Beobachtungen beziehen, auszuführen. Die Beziehung der beiden
beweglichen Fundamentalebenen zu einander geben die Größen:
EY=N+vundd<AY,E=9,,
die Knotenlänge der beweglichen gegen die feste Ekliptik, bezogen auf
den wahren Frühlingspunkt, und die wahre Schiefe zur Zeit f. Für
diese Größen Yy und 9, (auch «= BY,) gibt das sphärische Dreieck
EBY, mit den Seiten +%, N + v, a und den Winkeln , #,
180° — #, in den früheren Bezeichnungen die folgende Entwicklung:
v.—(% — g.cotg®,)t
+19, + g)eotgd, + gg (tg, PH F-L tr B,
%,— ++ tr — gr zeigt)? +9—E, +0.
Darin stellen wieder /,, und &, die säkularen Terme dar, # und
® die periodischen. Man nennt /,,, d.h. den Überschuß von EY,
5b. Änderungen des Koordinatensystems: Präzessionsformeln. 39
über EY, (unter Y, und Y, jetzt die mittleren Frühlingspunkte ver-
standen) die allgemeine Präzession°®), die sich von der lunisolaren
l,,, durch den Effekt der den Planetenstörungen entstammenden Be-
wegung der Ekliptik unterscheidet; man nennt danach auch a= By,
die Präzession durch die Planeten; ferner ist e, die mittlere Schiefe
der Ekliptik zur Zeit &£.
Diese Größe I, , ist es nun, die aus den Beobachtungen entnommen
wird; man bezeichnet den Koeffizienten des ersten Gliedes von 1,,
mit dem Namen der „Präzessionskonstante“
P=a, — 9: cotg®,,
die aber natürlich von der Ausgangsepoche 7’ abhängig ist").
Die im 19. Jahrhundert üblichen Werte‘') sind hier zusammen-
gestellt (T in Jahrhunderten):
F. W. Bessel = 50.2235 -+ 0".02443 (7 — 1800);
O. Struve = 50.2411 + 0”.02268 (7 — 1800);
S. Newcomb = 50".2341 + 0.0223 (T — 1800).
Der letzte Wert ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts allgemein an-
genommen ®?),
Als Nutationskonstante N definiert man den Koeffizienten des
Hauptgliedes Ncos\’ in dem Ausdruck von ®, wobei N’ die Länge
des aufsteigenden Mondknotens ist. Die üblichen Werte von N sind:
59) Tisserand bezeichnet (2, p. 435) eigentlich mit «” (unser %, ‚) nicht den
Überschuß von E Y,über EY,, sondern Y,D, wenn Y,D das von Y, auf EB
gefällte Lot darstellt. Beide Größen unterscheiden sich um einen Betrag von
der Ordnung t?. Es ist also nicht ganz strenge, wenn er sein %” bis t? genau
entwickelt und es dann mit jenem Überschuss identifiziert; indessen ist der Effekt
— re -t? sehr gering und der Koeffizient dieses oben auftretenden, bei Tisserand
fehlenden Termes erreicht nur 14 Einheiten in der von Tisserand noch gegebenen
8. Dezimale.
60) S. Newcomb führt statt dessen den Buchstaben P und den Namen Prä-
zessionskonstante für den Ausdruck a,sece ein: A new determination of the
precessional constant, Wash. Astron. Papers 8 (1898), p. 6.
61) Vgl. über diese Werte, die als Bessel’sche, Struve’sche und Newcomb’sche
Präzessionskonstante bekannt sind, und zahlreiche andere Bestimmungen die Zu-
sammenstellung bei $. Newcomb °°), Section I: Previous Determinations, p. 10.
62) S.: Conference internationale des &etoiles fondamentales de 1896 ä Paris.
Proces-verbaux, Paris 1896 (Oonf. et. fond.). Jede Änderung der Präzessions-
konstante verursacht eihen erheblichen Aufwand von Arbeit, indem die vor-
handenen auf den bisherigen Wert von P bezogenen Reduktionsrechnungen (s.
Nr. 8) in den neuen Wert übergeführt werden müssen, und sollte mit größter
Vorsicht vorgenommen werden; s. auch die Diskussion zwischen $. Newcomb und
L. Boss, Astron. Journ. 18 (1898).
40 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
N = 9".2231 (1800), 9”.2240 (1900) nach €. A. F. Peters®);
N= 92365 (1850) nach M. Nyren ®);
N = 9”.2100 (1900) ®).
Die Entwicklung der Ausdrücke # und @ und ihre Ausführung
in numerischer Form geschah unter Erweiterung der ZLaplace’schen
auf die Hauptglieder beschränkten Ausdrücke zuerst von .Bessel‘);
die der Erdbahnexzentrizität entstammenden kleineren Glieder gab
0. A. F. Peters‘®); nach Oppolzer‘”), der diese Entwieklungen weit
über die Bedürfnisse der heutigen Praxis ausführte, lauten die Haupt-
glieder (> 0.05) für 1900.0 (die Koeffizienten sind ein wenig ver-
änderlich):
— 0.1255 sin g — 1”.2648 sin 20 — 17".2819 sin N’
+ 0".2095 sin 20’ — 0”.2044 sin 2C + 0”.0678 sin g',
0 —=0".5488 cos 20 + 9.2365 cos N’ — 0.0905 cos 2N'
+ 0".0887 cos 2(,
worin ©, € Sonnen- und Mondlänge, g und g’ mittlere Anomalie der
Sonne und des Mondes bedeuten. Das Hauptglied besitzt eine Periode
von 18°, Jahren, welche der Bewegung der Mondknoten in der
Ekliptik entspricht und den „wahren“ Pol die sog. Nutationsellipse
(mit den Achsen «= 9.365 und b=a ob 6.878) um eine
mittlere Lage, den „mittleren“ Pol, beschreiben läßt.
Durch die gegebenen Daten sind die Bewegungen der beweg-
lichen gegen die feste Ekliptik (, N, N-+ v), des beweglichen
wahren oder mittleren Äquators gegen die feste (%‘, ® oder 7, «')
oder die bewegliche Ekliptik (QN+v%, ®, oder N +1, &,) zugleich
mit der Lage des jedesmaligen Frühlingspunktes bestimmt.
Die Nutationsausdrücke lassen sich einfach tabulieren und geben
dann für jede Epoche die Abweichung der Lage des wahren Äquators
gegen den mittleren ®®).
63) ©. A. F. Peters, Numerus constans nutationis ex asc. rectis stellae po-
laris deductus, Petropoli 1842.
64) M. Nyren, Bestimmung der Nutation der Erdachse, St. Pet. mem. (7) 19
(1872), Nr. 2.
65) Conf. et. fond., sowie S. Neweomb, Fund. Const., p. 131, s. Fußn. 62)
und 13). > 1
66) Bessel, Fund., p. 125; Astr. Nachr. 2 (1824), p. 157 und 4 (1826), p. 185.
67) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 124 ff.; numerische Angaben p. 237/38.
68) Bessel, Tab. Reg.; 0. A. F. Peters, s. Fußn. 63); Oppolzer, Bahnb. Außer-
dem in allen Jahrbüchern.
5b. Änderungen des Koordinatensystems: Präzession, Nutation. 41
Die Präzessionsformeln, die als säkulare Bewegungen von der
Anfangs- und Endepoche abhängen, haben noch die Unbequemlich-
keit, auf die feste Anfangsepoche 1850.0 begründet zu sein. Man
gibt daher auch die Übertragungsformeln von einer willkürlichen
Epoche auf eine andere an.
So erhält man nach Oppolzer®®) zur Übertragung von 1850 + r
auf 18550 + r +1
1 15023”.572 + 2°.25827 + 07.000937?)
+ {17.1291 -+ 0”.00098 |? + 0.000832 %,
&= (23027 317.83 — 47.5947 — 0°.01437? + 0.002047)
— (47.594 + 0”.0287 r — 0”.0061279)t
— (0”.0143 — 0°.00612 7)? + 0”.00204#,
Y = (5037".032 + 0.5007 + 0”.000017)t
— (1”.0888 + 0”.00177 7) — 0”.00174#,
& = (23027'317.83 — 47”.5947 — 07.0143 7? + 07.002047)
+ (0”.0713 — 0°.00936 7)? — 0”.00786#,
a — (14.673 — 17.9173 — 0.000817?)
— (2".4184 + 07.002617)? — 0.002124,
N — 1730012” + 3287.07 40”. 877? — (868”.3 + 0”.267)t+0” 112,
i= (47”.951 — 0”.06507)t — 0°.0325 2? — 0”.00014®.
Diese Formeln enthalten alles zur Reduktion der beobachteten
Örter auf ein festes System Erforderliche; doch ist es noch ratsam,
auch den beweglichen mittleren) gegen den festen Äquator festzu-
legen, da die Beobachtung gerade äquatoreale Koordinaten gibt").
Die hierzu dienenden Formeln gab zuerst Bohmenberger“”). Führt
man nach Oppolzer analog den ekliptikalen Größen I, i, N die äqua-
torealen m, n, 90° — p”) ein, so daß m + a (entsprechend 7”) als
lunisolare, m als allgemeine Präzession im Äquator von der einen
69) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 197.
70) Der Nutationseffekt in äquatorealen Koordinaten wird differentiell aus
dem ekliptikalen abgeleitet.
71) Zwar läßt sich die Transformation der äquatorealen Koordinaten auf
dem Umweg über die ekliptikalen stets ausführen; indessen ist es eben häufig
ein Umweg.
72) @. ©. Bohnenberger, Über die Präzession der Fixsterne in gerader Auf-
steigung und Abweichung, Tübinger Zs. für Astr. 1 (1816), p. 124 und 270.
73) Die Schnittlinie beider Äquatoren hat bei nicht zu großen Zeitinter-
vallen, wie leicht ersichtlich, nahezu die Rektaszension 90°.
42 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Epoche bis zur anderen bezeichnet werden kaun und n die gegen-
seitige Neigung der beiden Äquatorebenen darstellt, so folgt (aus
dem Dreieck AY,B):
m a v +8 2,
Same woher. EDS See m ER
t m+a t RE en +
5197777 — colg z - Sin —,— - coBeC —— ,
RR
an re
3 RT 8 | n 2 & +8
sin n=sin!- oder tg = — ——— tg =
c08p 2 ( m+ “) 2
and | Arakunge Yas
In erster Annäherung ist:
m=!l.cos&,— a,
n=! sine,
Die weitere Entwicklung gibt nach Oppolzer‘*) für den Übergang von
1850 +r zu 1350 + r-+1:
m — (4606”.029 + 2”.8393 7 + 0”.00088 1?)
+ (17.4196 + 0”.00088 z) ?? + 0”.03657 t?,
n = (2005”.193 — 0”.8669 z — 0".00048 7?) t
| — (07.4334 + 0”.00048 r) 2? — 0.04182 8°,
p = (2303”.0 + 1".42 7) +0".31#.
Diese letzteren Formeln konvergieren offenbar nicht so rasch wie die
entsprechenden ekliptikalen, was aber erst bei Zeitdifferenzen von
1000 Jahren und mehr merklich wird. Man muß dann das strenge -
trigonometrische Formelsystem anwenden.
dc. Rotationsgeschwindigkeit, Konstanz des Zeitmaßes. Man
kann nicht mehr im eigentlichen Sinne von einer Rotationsdauer der
Erde reden, sobald die Rotationsachse im Erdkörper wie im Raume be-
weglich ist, sondern muß die Rotationsgeschwindigkeit um die momen-
tane Rotationsachse einführen. Die Theorie zeigt, daß unter der An-
nahme eines absolut starren Erdkörpers diese Rotationsgesch windig-
keit » weit über die Bedürfnisse der Praxis hinaus als konstant gelten ”®)
und danach die Zeiteinheit 7 durch
7
fodt— 2x
ö
definiert werden kann. Etwas anders liegt die Sache, sobald die Starr-
74) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 197.
75) Eine etwaige geringfügige Ungleichheit von A und B würde nur un-
meßbare Schwankungen während einer Umdrehung hervorrufen.
dc. Konstanz des Zeitmaßes. 45
heit des Erdkörpers keine vollkommene ist, da jede Massenverschie-
bung Einfluß auf & gewinnen muß. Indessen führen auch hier plau-
sible Annahmen über täglich- oder jährlich-periodische Verlagerungen
meteorologischen Ursprunges nur zu unmeßbaren Beträgen, so daß die
Konstanz der Zeiteinheit und des Zeitmaßes auf längere Zeit hin als
gewährleistet angesehen werden kann. Über säkulare Änderungen
durch allmähliche Anhäufung an sich geringfügiger Effekte infolge
von Flutreibung, Kontraktion des Erdkörpers, säkulare Vereisung oder
Abschmelzen der polaren Gegenden, Erhöhung der Erdmasse durch
niederfallende Meteore usw. können nur Beobachtungen Aufschluß
geben, und zwar die Beobachtungen anderer Bewegungsvorgänge, deren
Verlauf wir schärfer theoretisch zu verfolgen vermögen als die Rota-
tion eines nicht völlig starren Erdkörpers, nämlich der Translations-
bewegungen im Sonnensystem. Jede Änderung der in praxi zu Grunde
gelegten Zeiteinheit muß sich in ihnen abspiegeln, indem zwischen
der auf ein gleichförmiges Zeitmaß aufgebauten Theorie und den auf
die übliche Zeitrechnung bezogenen Beobachtungen Widersprüche ent-
stehen. Zur Prüfung dieser Frage werden. sich diejenigen Bewegungs-
vorgänge eignen, die einmal bei entsprechender Beobachtungsgenauig-
keit die schnellsten Winkelbewegungen besitzen, deren Theorie aber
andrerseits sich in der Schärfe geben läßt, daß man wirklich alle
Widersprüche säkularer Natur gegenüber der Beobachtung auf die
Ungleichförmigkeit des Zeitmaßes zurückzuführen berechtigt ist.
Die zunächst in Betracht kommende Mondbewegung weist in
der Tat merkliche Widersprüche auf, welche seit lange den Verdacht
einer veränderlichen Geschwindigkeit der Erdrotation erweckt haben °®).
Aber gerade in neuester Zeit kommt $. Newcomb"”) zu dem Ergebnis,
daß die Theorie der Mondbewegung sowohl wie die Genauigkeit der
älteren Beobachtungen — teils der eigentlichen Beobachtungen, teils
ihrer Reduktion — keineswegs den Ansprüchen genügen, um darauf
jenen Verdacht begründen zu können. Schon früher hatte er daher
die Bewegung des Merkur zur Entscheidung herangezogen, ohne trotz
mancher Übereinstimmung ein völlig befriedigendes Resultat erzielen
zu können. Die Beobachtungen der Jupitersatelliten würden dem-
nächst zu befragen sein; doch ist auch hier die Theorie noch nicht
genügend entwickelt, resp. das Beobachtungsmaterial nicht genügend
bearbeitet. Und nur ein gleichartiges Voreilen oder Zurückbleiben
76) S. z. B. den Artikel VI 2, 23 (Oppenheim).
77) 5. Newcomb, On the desirableness of a reinvestigation of the problems
growing out of the mean motion of the moon, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63
(1903), p. 316.
44 VIe,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
gegen die Theorie in allen diesen Bewegungen würde man auf die
Ungleichförmigkeit unseres Zeitmaßes zurückführen können. Zur Zeit
wird man die Frage nach der Veränderlichkeit der Geschwindigkeit
der Erdrotation noch als eine offene bezeichnen müssen.
6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit. Die in
Nr. 5 erörterten Erscheinungen machen eine schärfere Fassung der
früher gegebenen Definition der Koordinaten erforderlich, außerdem
beeinflussen die unter Nr. 5b. behandelten Bewegungsvorgänge die
Art ihrer Bestimmung, sowie der der Zeit.
Die beobachteten, d. h. noch mit Parallaxe und Aberration be-
hafteten Örter der Gestirne — die Refraktion berücksichtigt man,
wie erwähnt, bei den Instrumentalfehlern — bezeichnet man als
„scheinbare“ Örter”®). Sind sie von Parallaxe und Aberration befreit,
so stellen sie die wirklichen auf die momentane Lage des Äquators
und der Ekliptik bezogenen Koordinaten der Gestirne dar, man nennt
sie ihre „wahren“?®) Koordinaten. Geht man von dem mit den Nuta-
tionsschwankungen behafteten wahren Weltpol zu seiner nur der
Präzessionsbewegung unterliegenden mittleren Lage über, so nennt
man sie „mittlere“ Koordinaten der betreffenden Epoche. Schließlich
bezieht man sie dann auf den festen Weltpol und die feste Ekliptik
einer bestimmten Epoche. Objekte der Beobachtung sind die „schein-
baren“ Koordinaten, ihr Zweck die Bestimmung der „mittleren“ Örter,
bezogen auf das feste Äquinoktium einer bestimmten Epoche. Die
Übertragungsformeln siehe Nr. 7.
a) Polhöhe, Meridian, Deklination. Die Polhöhe, d. h. der Winkel
zwischen Horizont und Erdachse, und der Meridian, d. h. die Ebene
durch die Erdachse und die Richtung der Schwerkraft, können Ände-
rungen sowohl durch Schwankungen der Erdachse wie auch der Verti-
kalen gegen den Erdkörper erleiden. Und diese Schwankungen über-
tragen sich durch die Art der Meridianbeobachtung auf die äquato-
realen Koordinaten der Gestirne. Die Richtung der Schwerkraft kann,
soweit sie nur als die vereinigte Wirkung der eigentlichen Massen-
anziehung der Erde und der Zentrifugalkraft betrachtet wird, als zum
Erdkörper fest vorausgesetzt werden, insofern die vorkommenden
Massenverlagerungen nur verschwindenden Einfluß ausüben können ®®),
78) Der Ausdruck „scheinbar“ ist, soweit er sich auf die Parallaxe be-
zieht, eine nicht ganz treffende Übersetzung des „locus apparens“, des Orts, an
dem uns die Gestirne erscheinen.
79) „Wahr“ eben im Gegensatz zu „scheinbar“. Eine Bezeichnung als
Gegensatz zu den „mittleren Örtern‘“ hat sich nicht eingebürgert.
80) Sprunghafte oder säkulare Änderungen durch lokale Massenverschie-
6. Scharfe Definition der Koordinaten und der Zeit. 45
Die hinzutretende Wirkung der Sonne und des Mondes bewirkt in-
dessen infolge des Umlaufs beider um die Erde eine vom Azimut des
betreffenden Gestirns abhängige Schwankung der momentanen Lot-
linie in einem kleinen Kegel um eine Mittellage, deren Periode bei
der Sonne einen Tag, beim Monde etwas mehr beträgt.
Der Betrag der Schwankung ist für die Sonne, resp. den Mond°®"):
— 0.008 — 0.008
= 97017 = 94.017
wenn 2, A Zenitdistanz und Azimut des Gestirns, &, n südliche und
westliche Abweichung des gestörten Zenits bedeuten. Es entsteht
dadurch einmal eine nahezu täglich-periodische Schwankung der Pol-
höhe, die bei der Übertragung der gemessenen Meridianzenitdistanzen
in Deklinationen in Rechnung zu ziehen ist®”) und eine periodische
Schwankung der Meridianebene, resp. der Neigung der Achse des
Meridianinstruments, selbst wenn es an sich gegen den Erdkörper
absolut fest aufgestellt wäre. Ihrer Geringfügigkeit halber können
diese Schwankungen der Lotlinie bei der Bestimmung der äquatorealen
Koordinaten gänzlich unberücksichtigt bleiben und sind nur bei der
Untersuchung der Polhöhensehwankungen in Rechnung zu ziehen.
Die momentane Polhöhe und der momentane Meridian, deren man
zur Überführung der Beobachtungsgrößen in äquatoreale wahre Koordi-
Jsin 22co A, 7= Join 2zsin A,
bungen in der Erdrinde würden hier nicht in Frage kommen; die Frage säku-
larer Änderungen der Polhöhen ist auch noch keineswegs entschieden, s. z. B.
Helmert 2, p. 445. — Inwieweit die Lotlinie durch regelmäßige Massenverlage-
rungen im ganzen Erdkörper periodische Schwankungen, etwa jährlicher Periode
erleidet ist ganz neuerdings Gegenstand noch nicht abgeschlossener Unter-
suchungen geworden, s. H. Kimura, On the existence of a new annual term in
the variation of the latitude, independent of the components of the pole’s motion,
Astr. Nachr. 158 (1902), p. 233; $. ©. Chandler, Questions relating to stellar
parallax, aberration and Kimura’s phenomenon, Astron. Journ. 23 (1903), p. 12;
Th. Albrecht, Resultate des internationalen Breitendienstes 1, Berlin 1903, p. 153 ff.
81) 0. A. F. Peters, Von den kleinen Abweichungen der Lotlinie und des
Niveaus, welche durch die Anziehungen der Sonne, des Mondes und einiger
terrestrischen Gegenstände hervorgebracht werden, Astr. Nachr. 22 (1845), p. 33;
s. auch Helmert 2, p. 383.
82) Würde man das Meridianinstrument absolut fest zum Erdkörper auf-
stellen können, so könnte man durch Kombination oberer und unterer Kulmina-
tionen den Polpunkt auf dem Kreise fixieren und sonach Deklinationen unabhängig
von der Richtung der Schwerkraft bestimmen. Indessen ist diese ältere, z. B.
noch von Bessel anfangs der 20er Jahre des vor. Jahrh. benutzte Methode durch
J. @. F. Bohnenberger’s Erfindung des Quecksilberhorizonts („Neue Methode, den
Indexfehler eines Höhenkreises zu bestimmen und die Horizontalachse einer
Mittagsfernröhre zu berichtigen, ohne Lot oder Libelle“, Astr. Nachr. 4 (1826),
p. 327) völlig verdrängt worden.
46 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
naten bedarf, sind eigentlich nicht in aller Strenge festzustellen, da
sie nur durch Kombination zweier um 12" auseinanderliegender Be-
obachtungen erhalten werden, und daher nur einem mittleren Zeit-
moment entsprechen können. Die Geringfügigkeit der Schwankungen
der Rotationsachse im Erdkörper läßt trotzdem die heutige Praxis als
berechtigt erscheinen, wonach man den momentanen Meridian und die
momentane Polhöhe durch Beobachtung von Circumpolarsternen fest-
legt und die letztere zur Überführung der beobachteten Zenitdistanzen
in Deklinationen (ev. mit einer nachträglich zu ermittelnden Korrek-
tion) verwendet.
b) Zeit und Rektaszension. Die Anforderungen an die Gleich-
förmigkeit des der Zeitmessung dienenden Bewegungsvorgangs sind
verschiedene, je nachdem man der Messung der Zeit bedarf, um die
Bewegungen der Gestirne in ihrer Abhängigkeit von der Zeit theore-
tisch untersuchen zu können, oder zu der früher entwickelten Methode
der Messung von AR.-Differenzen durch die Zeitdauer zwischen den
entsprechenden Kulminationen. Die letztere bleibt von dem ver-
änderten Begriff der Erdrotation unbeeinflußt, da nach dem Früheren
die Winkelgeschwindigkeit der Erdrotation um die momentane Achse
für alle praktischen Bedürfnisse als konstant gelten kann. Über die
etwaigen Folgen einer säkularen Ungleichförmigkeit der Erdrotation
für den ersteren Zweck vgl. Nr. 5 c.
Daneben hängt aber die Konstanz des Zeitmaßes noch ab von dem
Ausgangspunkte der Rechnung der Zeiteinheit und von der Art, wie
man den Zeitmoment festlegt. Die Zeiteinheit war in Nr. 3 als die
Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Kulminationen des Frühlings-
punktes, die Sternzeit als Stundenwinkel des Frühlingspunktes defi-
niert worden. Diese Definition hält man auch jetzt fest, nur bezieht
man sie auf den wahren Frühlingspunkt. Dieser ist freilich am Himmel
weder fest noch gleichförmig bewegt und die wahre Sternzeit ebenso-
wenig ein gleichförmiges Zeitmaß wie die wahre Sonnenzeit. Seine
Schwankungen sind indessen quantitativ so gering, daß sie nur in
den seltensten Fällen bei der Messung der Zeit, niemals bei der
Messung von Rektaszensionsdifferenzen berücksichtigt zu werden
brauchen. Im Laufe einer Nutationsperiode von 18°, Jahren würde
eine völlig gleichförmig (nach „mittlerer“ Sternzeit) gehende Uhr im
Maximum je 1°.05 nach beiden Seiten vom Stundenwinkel des wahren
Frühlingspunktes abweichen, was wohl nur bei der Bewegung des
Mondes merklich werden kann. Dazu käme eine halbjährige Schwankung
von + 0.08. Und auch die Bewegung des mittleren Frühlingspunktes
verläuft nach dem Früheren infolge der Präzession genau genommen
7. Reduktion der scheinbaren Sternörter in mittlere. 47
weder der Zeit proportional noch in einem größten Kreise des Himmels;
in 1000 Jahren ändert sich dadurch die Länge des Jahrhunderts um
etwa 1'/, Sekunden, was wieder nur für die Theorie der Mondbewegung
in Frage kommt.
Endlich ist der Erdpol auf der Erde nicht absolut fest; somit sind
die Erdmeridiane veränderlich und die Differenz der Kulminationszeiten
und damit der Rektaszensionen hängt strenge genommen von der geo-
graphischen Lage ab; indessen ist das praktisch zu vernachlässigen.
Die Fehler unserer üblichen Zeitmessung (durch den Stunden-
winkel des wahren Frühlingspunktes) sind also teils unvermeidliche,
herrührend von der etwaigen Ungleichförmigkeit der Erdrotation,
teils liegen sie in unserer Definition, in der Wahl des ungleichförmig
bewegten, wahren Frühlingspunktes zum Ausgangspunkt der Zählung,
teils in der Art ihrer Fixierung durch Sterndurchgänge durch den
auf der Erde selbst nicht festen Meridian. Trotzdem reicht die übliche
Sternzeitrechnung für alle Bedürfnisse der heutigen Praxis (Bestim-
mung der AR.-Differenzen aus den Unterschieden der Meridian-
durchgangszeiten) völlig aus; nur bei der Zeitmessung selbst werden
in der Zukunft zunächst die säkularen Beträge, dann aber bei er-
höhter Beobachtungsgenauigkeit auch die periodischen, Berücksich-
tigung verdienen.
Zusammenfassend ergibt sich die Berechtigung der
folgenden Sätze, soweit es sich um praktisch erreichbare
Genauigkeit handelt:
Die Durchgangszeit eines Gestirns durch den wahren Meridian
nach einer richtige Sternzeit (d. h. den Stundenwinkel des wahren
Frühlingspunktes) anzeigenden Uhr ist gleich seiner wahren Rektas-
zension (natürlich befreit von Aberration usw.); die Meridianzenit-
distanzen geben in Verbindung mit der momentanen Polhöhe wahre
Deklinationen, d. h. bezogen auf das durch den momentanen Äquator
und den momentanen Frühlingspunkt gebildete Koordinatensystem.
Dabei können momentaner Meridian und momentane Polhöhe durch
aufeinanderfolgende obere und untere Kulminationen von Circumpolar-
sternen bestimmt werden. Die Reduktion auf ein mittleres Äquinok-
tium vermitteln dann die üblichen Formeln für die räumliche Be-
wegung der Erdachse (ohne tägliche Nutation).
7‘. Reduktion der scheinbaren Sternörter in mittlere. Um
den Übergang von den scheinbaren Sternörtern zu mittleren wirklich
ausführen zu können, sind die in Nr. 5 allgemein bezeichneten Ein-
flüsse ins einzelne zu verfolgen. Wir schließen jeweils unmittelbar
48 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
an die dortigen Ausführungen an und trennen dementsprechend wieder
Parallaxe und Aberration einerseits, deren Wirkung sich als eine
Verlegung des Koordinatenanfangspunktes darstellt, und Präzession
mit Nutation andererseits, welche in einer Drehung des Koordinaten-
systems bestehen.
Wir bezeichnen im folgenden stets mit r, A, B die Polarkoor-
dinaten des Objekts in einem beliebigen System, befreit von der be-
treffenden Fehlerquelle, und durch r’, A’, B’ die mit ihr noch be-
hafteten.
7a. Parallaxe und Aberration. Die strengen Formeln für eine
Parallelverschiebung des Koordinatensystems um die Strecken a, b, e
in sofort ersichtlicher Zählweise
rcos Acos B=r'cos A’cosB-+.a,
(1) rsin Acos B=r'sin A’ cos BP -+b,
r sin B =rsnB-+c
bringt man in eine meistens bequemere Gestalt durch Einführung der
Differenzen A’— A, B—B, r —r. Diese zur Übertragung von O',
dem Beobachtungsorte, nach O0, dem festen Zentrum, erforderlichen
Korrektionen kann man entweder als Funktionen der auf 0’ oder
der auf O bezogenen Koordinaten darstellen. Ersteres ist bei der
Reduktion einer einzelnen Beobachtung, letzteres bei der Voraus-
berechnung einer Ephemeride angebracht. Eine einfache Vertauschung
der gestrichelten mit den ungestrichelten Größen unter gleichzeitiger
Vorzeichenänderung von a, b, e führt die eine Darstellung in die
andere über. Man findet leicht die strengen Formeln ®°):
BANN ra tesa Fon FoaB ara bin
e cos B’— sin B’ u (« core +4)
(2) en r’—+ esin B’+ cos B’ see t—# (mätZ ——+bsin en)
r—r—=sec u sec car | a cos 444 cos =
+ bein con FR 4 neo T# sin +).
Sind a, b, c klein gegen r’, so kann man nach Potenzen des Verhält-
nisses dieser Größen in Reihen entwickeln. Dabei berücksichtigt man
83) S. die entsprechenden Entwicklungen in den Lehrbüchern (z. B. Brünnow
p. 147 ff., 184 ff).
7a. Parallaxe und Aberration. 49
entweder nur die Glieder erster Ordnung®*) oder auch die der zweiten.
Reichen auch diese in den festgesetzten Genauigkeitsgrenzen nicht
mehr aus, so bleibt man besser bei den strengen Formeln.
Il. Die Parallaxe.
Die Befreiung der Beobachtungen von der täglichen und der
jährlichen Parallaxe geschieht durch Beziehung auf das Erd-, resp.
Sonnenzentrum (geozentrischer, heliozentrischer Ort)®); die säkulare
Parallaxe wäre, wenn die fortschreitende Bewegung des Sonnensystems
bekannt wäre, durch Beziehung auf einen festen Zeitpunkt zu berück-
sichtigen. Die Behandlung stellt sich verschieden, je nachdem die
Entfernung r’ des Gestirns, wenn auch nur genähert, bekannt oder
ganz unbekannt ist.
Die tägliche Parallaxe. Die Beziehung der Beobachtungen auf
das Erdzentrum läßt stets eine differentielle Behandlung mit Reihen-
entwicklung zu. Legt man das Koordinatensystem des Äquators
(«,ö und A statt A, B, r) zugrunde®), so sind a, b, c die recht-
winkligen, äquatorealen Koordinaten des Erdoberflächenortes in bezug
auf den Erdmittelpunkt. Da dessen geozentrische Deklination gleich
der geozentrischen Polhöhe ’, seine geozentrische Rektaszension gleich
der Sternzeit © ist, so folgt, wenn go den Radiusvektor des Erdortes
bezeichnet ®”):
a=0gc089 050, b=gc0spsin®, c=esing.
Man nennt = die Horizontalparallaxe, x die äquatoreale Horizontal-
parallaxe?®) des Gestirns, weil es die Winkel sind, unter denen dem
im Horizont des Erdortes befindlichen Gestirn der Radiusvektor
des Erdortes, resp. der Äquatorradius der Erde erscheinen. Man
84) In diesem Falle ist es gleichgültig, ob man rechts die gestrichelten
oder die ungestrichelten Größen einführt.
85) Streng genommen müßte man statt des letzteren, wenn man die säku-
lare Bewegung als gradlinig ansehen will, den Schwerpunkt des Sonnensystems
wählen.
86) Am anschaulichsten ist der Effekt in Höhe und Azimut; bei genau
kugelförmiger Erde verschwindet der letztere ganz; die ellipsoidische Erdgestalt
bewirkt eine geringfügige Parallaxe auch im Azimut.
87) Über die Berechnung von eg und g aus den bekannten Dimensionen
des Erdellipsoids siehe die Lehrbücher (Brünnow, p. 142; Oppolzer, Bahnb. 1,
p. 29); sind vorübergehend a und b beide Halbachsen der Meridianellipse, so ist:
cos
cos
t I, 2 2
sy=utp ua
88) Kurz Parallaxe des Gestirns.
Encyklop. d. math. Wissensch, VI 2. 4
op f
; sec — og).
G (P — 9)
50 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
drückt eg gewöhnlich in Einheiten des Äquatorradius, A in mittleren
Erdbahnradien aus und muß daher in den früheren Formeln N noch
mit sin?® (po Sonnenparallaxe) multiplizieren. Dann lauten unter
Einführung des Hilfswinkels y durch
«— a a .
ig y — cos —, . sec (0 — 5 ) tg 9
die strengen Formeln
[ © sin po cos y’ sin (0 — a) sec ö
, A
tg (ae — oe) = )
1— Zsin pa cos p'cos (O — a) sec 6
4 i & sin p3 sin g’ sin (y — ö) cosee y
tg (d ar 6) ER e T ’
1— A Nu Po sin @’ cos (y — Ö) cosec y
ei sin ($ — y)
\ sel er
Bis auf den Mond°®?) reicht man mit den Gliedern erster Ord-
nung aus:
’ oe ‚ .
«— = Pocosp'secösin(d —e«),
o—d= Po (cos Ö sin 9 — sin d cos p cos (Od — «)),
A— A= 099 (cos 0 cos p cos (® — «) + sind sin p').
In diesen Formeln ist A als bekannt vorausgesetzt; sie dienen
umgekehrt dazu, aus den beobachteten parallaktischen Effekten die
Entfernung des Gestirns in irdischem Maß zu bestimmen °).
Die jährliche Parallaxe. Die Größen a, b, c sind hier die helio-
zentrischen Koordinaten des Erdzentrums, resp. die negativ genommenen
geozentrischen Koordinaten des Sonnenzentrums; man findet sie in
letzterer Form in den Ephemeriden der verschiedenen Jahrbücher
(s. später), die aus den auf Grundlage der Theorie entworfenen Sonnen-
tafeln berechnet sind **).
89) S. z. B. Brünnow, p. 153/154.
90) Über die Berücksichtigung der Abweichung des Beobachtungsorts vom
Erdzentrum bei neuentdeckten Planeten und Kometen, deren Entfernung ganz
unbekannt ist, vgl. den Artikel VI, 9 (Herglotz).
91) Die bekannteren Sonnentafeln des 19. Jahrhunderts sind (siehe auch
Nr. 8): F. v. Zach: Tabulae motuum solis, Gothae 1792 und als Suppl.: Tabulae
motuum solis novae et iterum correctae, Gothae 1804; J. B. J. Delambre, Tables
du soleil, Paris Bur. Long. tab]. astr. 1, Paris 1806; P. A. Hansen-C. F\. R. Olufsen,
7a, Parallaxe und Aberration. 51
Für die Körper des Sonnensystems, bei denen die Überführung
der geozentrischen Örter in heliozentrische für die Zwecke der Theorie
geboten ist”), wird das Formelsystem (1) praktisch umgeformt*).
Für die extrasolaren Himmelskörper ist der Effekt der jährlichen
Erdbewegung so gering, daß sich bisher nur für vereinzelte Sterne
ihre Parallaxe x, d.h. der Winkel, unter dem die mittlere Entfernung
Erde-Sonne von dem Gestirn aus erscheint, hat bestimmen lassen.
Bei Zugrundelegung äquatorealer Koordinaten wird:
a=—Rcos®, b=—RsnOcosse, c=—RsinOsine
und damit bis zu den Gliedern erster Ordnung:
«e— «= nER (cos © sin « — sin © cos & cos «) sec Ö
—= ah cos D sin (@ — A) sec 6,
ö—Öö'—=aR|(cos e sin « sin d — sin & cos d) sin ©
+ cos O sind cose«).
Einfacher ist der Effekt der jährlichen Parallaxe auf die ekliptikalen
Koordinaten: A—X—=aRsin (A— O©)secß,
B—B=aR cos (A — ©) sin ß.
Die säkulare Parallaxe. Die fortschreitende Bewegung des Sonnen-
systems kommt allein für die extrasolaren Himmelskörper in Frage, da
sie die Körper des Sonnensystems relativ zur Erde in Ruhe läßt.
Da indessen a, b, c zunächst als lineare Funktionen der Zeit an-
zusehen sind, so sind auch die Glieder erster Ordnung in der säku-
laren Parallaxe für die bisher in Betracht kommenden Zeiträume
der Zeit proportional und vermischen sich untrennbar mit den eben-
falls in erster ausreichender Näherung der Zeit proportionalen eigenen
Bewegungen der Fixsterne. Erst wenn die rein geometrische Be-
schreibung der Fixsternbewegungen in eine dynamische übergehen
wird, wird man die beiden Vorgänge voneinander trennen können °%).
II. Die Aberration®).
Unter Voraussetzung der Kenntnis der Lichtzet ,— 4 =r
zwischen der Aussendung #4, und dem Eintreffen 4, des Licht-
Tables du soleil, Copenhague 1853; U. J. Leverrier, Tables du soleil, Obs. de
Paris ann. 4 (1858); S. Neweomb, Tables of the motion of the earth..., Wash.
Astron. Papers 6 (1898).
92) Statt des nur durch Rechnung festzulegenden Schwerpunkts des ganzen
Sonnensystems führt man in der Theorie den beobachtbaren Sonnenmittelpunkt ein.
93) Siehe Oppolzer, Bahnb. 1, p. 20 ff.
94) Näheres siehe Artikel VI 2, 26 (Anding).
95) Siehe besonders Y. Villarceau, Theorie de l’aberration, Addition ä la Conn.
4*
52 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
strahls°®) berücksichtigt man zunächst die sog. „Planetenaberration“ (oder
besser „Lichtzeitparallaxe“) durch Übergang auf die Zeit {,, indem
man den parallaktischen Effekt der in der Zeit r erfolgten Erd-
bewegung in Rechnung bringt (als tägliche, jährliche, säkulare Licht-
zeitparallaxe); dazu kommt dann noch als rein optische Wirkung die
eigentliche „Fixsternaberration“. Falls die Bewegung des Erdortes
während der Lichtzeit als geradlinig gelten kann, lassen sich beide
vereinigen. Es gilt nämlich in diesem Falle der Satz:
Die zur Zeit Z, beobachtete scheinbare Richtung nach einem
Gestirn ist gleich der wahren Richtung vom Erdort nach dem Gestirn,
beide zur Zeit i, genommen; der zur Zeit i, beobachtete Ort ist der
wahre Ort für die Zit4=b — r.
Es bleibt im speziellen zu untersuchen, inwieweit man die Be-
wegung des Erdortes in der Zeit r als geradlinig ansehen kann.
Zur Berechnung der Lichtzeit r benutzt man in = 5 gewöhn-
lich und ohne besonderen Fehler entweder A, oder A,, die den Zeiten
t, oder t, entsprechenden geometrischen Entfernungen, während A in
aller Strenge den Abstand des Sternorts zur Zeit f, vom Erdort der
Zeit ti, bedeutet. Den Effekt dieser Vertauschung berechnet .batter-
mann”) für die jährliche Erdbewegung und findet ihn unmerklich.
Für die säkulare Bewegung lassen sich aus Unkenntnis ihres Betrages
nicht ähnliche numerische Abschätzungen ausführen. In einer be-
sonderen Form hat Höffler”) auf diesen Punkt aufmerksam gemacht,
indem, die säkulare Bewegung beispielsweise in der Ekliptik voraus-
gesetzt, die Verfinsterungen der Jupiterstrabanten eine Ungleichheit
von der Periode der Umlaufszeit des Jupiter aufweisen müssen, je
nachdem die säkulare Bewegung von der Erde auf Jupiter zu oder
von ihm fort gerichtet ist. Für die heute erreichbare Genauigkeit
dürften auch diese Einflüsse verschwindend sein, sie zeigen nur für
die Zukunft eine Möglichkeit, die säkulare Bewegung zu untersuchen.
Die Formeln für die Fixsternaberration ergeben sich nach dem
Früheren aus den parallaktischen, wenn man darin für die Entfernung
des Gestirns die Lichtgeschwindigkeit, für den Ortsunterschied die
des Temps pour 1878, Paris 1876; H. Battermann, Beiträge zur astronomischer
Aberrationslehre, Diss. Berlin 1881.
96) Ist die Entfernung des Objekts und damit die Lichtzeit unbekannt, so
kann man nur die Fixsternaberration berücksichtigen und muß mit dem vom
Erdort zur Zeit t, gesehenen Sternort der Zeit t, rechnen.
97) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 14 ff.
98) J. F. Höffler, Über eine Methode zur Bestimmung der Geschwindigkeit
des Sonnensystems, Astr. Ges. Vjs. 31 (1896), p. 297.
7a. Parallaxe und Aberration. 55
negative Geschwindigkeit der Ortsveränderung einführt, d. h. im Formel-
system (1) auf p. 48 vr, r’ durch V, V’; a, b, e durch an m a4
de
SER ersetzt.
da db de
Die hierin auftretenden Geschwindigkeitskomponenten Ben
setzen sich wieder aus drei Summanden zusammen, die der täglichen,
jährlichen und säkularen Bewegung des Beobachtungsortes entsprechen
und durch Differentiation der bei der Parallaxe aufgestellten Erdort-
koordinaten nach der Zeit erhalten werden. Dürfte man die Glieder
E i 1 7002.17 40. 25.06 }
zweiter Ordnung in den nach 5 74 y gg Y 7, fortschreitenden
Reihenentwicklungen vernachlässigen, so könnte man die von diesen
drei Bewegungen erzeugten Effekte getrennt behandeln und sie erst
nachträglich superponieren. In der Tat darf man die geringfügige
tägliche Aberration in dieser Weise sofort ablösen und hat nur die
jährliche und säkulare Aberration einer gemeinsamen Betrachtung zu
unterwerfen.
Es sei O8 die Richtung des wahren Lichtstrahls, O8’ die des
scheinbaren, wie sie beobachtet wird. Wir zerlegen die absolute
Geschwindigkeit 00° in O0, die säkulare,
und 00, die jährliche. Entsprechend er-
halten wir in OS, die mit säkularer Aber-
ration behaftete wahre, resp. die von jähr-
licher Aberration befreite scheinbare beobach-
tete Richtung. Damit ist unmittelbar ersicht-
lich, daß man von den beobachteten Koordi-
naten A’, B’ ausgehend die Gesamtwirkung
beider Aberrationen in der folgenden Art be-
rechnen kann: ee x
Zunächst wird der Effekt der jährlichen *——+ 0
Aberration aus den Geschwindigkeitskompo- Fig. 2.
nenten der jährlichen Bewegung für sich nach
Formelsystem (1) berechnet, wobei man jedoch die absolute Licht-
geschwindigkeit V durch V, ersetzt. Um die so von der jährlichen
Aberration befreiten Größen A,, B, jetzt noch von der säkularen
Aberration zu befreien, hat man die Korrektionen an sie anzubringen,
welche aus dem Formelsystem (1) durch Einsetzung der Geschwindig-
keitskomponenten der Säkularbewegung hervorgehen.
Das Resultat ist, daß schließlich doch alle drei Bewegungen des
Beobachtungsortes getrennt behandelt werden dürfen, wofern man nur
bei der Berechnung der jährlichen Äberration die Lichtgeschwindig-
54 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
keit mit dem Faktor 1+ 7 cos x multipliziert”). Nennt man näm-
lich x den Winkel zwischen den Richtungen des wahren Lichtstrahls
und der säkularen Erdbewegung, so hat V, den Wert:
Ve =V?+0° + 20V co8®
oder nahe genug:
vs= r( - = cos 2):
Die tägliche Aberration. Die Lichtzeitparallaxe kann wie die
tägliche Parallaxe überhaupt nur für Körper des Sonnensystems meß-
bare Beträge erreichen. Da man für die entfernteren Körper die täg-
liche Bewegung des Erdortes nach .Battermann!") während der Licht-
zeit nicht mehr als geradlinig ansehen kann, trennt man Planeten-
und Fixsternaberration, vereinigt die erstere mit der täglichen
Parallaxe und erhält so für tägliche Parallaxe und Aberration die
Vorschrift: Man berechnet die tägliche Parallaxe und Fixsternaber-
ration mit den Erdortkoordinaten der Zeit i, und erhält durch ihre
Hinzufügung den wahren Ort für die Zeit #,.19)
An die Fixsternörter hat man nur die tägliche Fixsternaberration
anzubringen; für ihre Berechnung erhält man im System des Äquators:
de > DEREN a. a
ENTER 0oS op sın de’ TEC 9 008 1? dt
und damit, wenn man sich auf die Glieder erster Ordnung beschränkt:
0
& — «= — cos p cos( — «) sec 6,
6 —Ö= — ccos op sin(® — e) sind.
Darin ist ce = 2 . = die Konstante der täglichen Aberration (die
Veränderlichkeit von o ist verschwindend). Das Einsetzen der nume-
rischen Werte (Lichtgeschwindigkeit, Sonnenparallaxe usw.) ergibt):
c = 0.322.
99) Zuerst gegeben von Y. Villarceau 1. c. Fußn. 95). Alle gegenteiligen An-
gaben beruhen auf Verwechslungen der scheinbaren Koordinaten A’, B’ mit den
wahren A, B, resp. mit A,, B,. Vgl. H. Battermann, Einige Berichtigungen aus
dem Gebiete der Aberration und Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts, Astr.
Nachr. 118 (1888), p. 369 und 119 (1888), p. 297.
100) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 20 ff.
101) Battermann, Diss., p. 22/33. — Für die näheren Körper des Sonnen-
systems (bis Jupiter inkl.) ist die gesamte tägliche Aberration durch den Über-
gang auf die Zeit t, schon hinreichend strenge berücksichtigt; man hat dann
nur die tägliche Parallaxe für die Zeit t, zu berechnen.
102) Oppolzer, Bahnb. 1, p. 111.
7a. Parullaxe und Aberration. 55
Bei Beobachtungen im Meridian ist:
& — = — c cos p sech,
I— 6 =.
Die tägliche Aberration beeinflußt dann, wie auch geometrisch
anschaulich, nur die Rektaszensionen und ist für ein fest aufgestelltes
Instrument von der Natur eines Instrumentalfehlers. Sie wird daher
nach F. W. Bessel sofort mit dem Kollimationsfehler (s. Artikel VI 2,5
(Ristenpart)) vereinigt!").
Die jährliche Aberration. Als jährliche Bewegung betrachtet man
bei der Berechnung der Aberration die ungestörte Umlaufsbewegung
des Erdmittelpunkts um das Sonnenzentrum nach den Kepler’schen
Gesetzen. Jede Abweichung von dieser Bewegung erzeugt eine ihr
eigentümliche (sowohl Planeten- wie Fixstern-)Aberration, die indessen
in keinem Falle meßbare Beträge annimmt!%). Diese Erdbewegung
läßt sich während der Lichtzeit für alle Körper des Sonnensystems
als geradlinig ansehen !®); die gesamte jährliche Aberration ist daher
durch Übergang auf die Zeit t, berücksichtigt. Für die Fixsterne
ist hingegen eine getrennte Behandlung der Lichtzeitparallaxe und
der Fixsternaberration erforderlich. Die erstere vereinigt sich völlig
mit der eigentlichen jährlichen Parallaxe derart, daß diese nicht für
die Zeit i,, sondern für die Beobachtungszeit t, zu berechnen ist.
Die für die Berechnung der jährlichen Fixsternaberration er-
forderlichen Geschwindigkeitskomponenten der jährlichen Erdbewegung
werden im System des er Ai
zu — cos © S+R sin © {©. usw,
103) Zuerst berechnet findet sich der Effekt der täglichen Aberration bei
L. Euler, Petersbg. Commentarii 11 (1739), p. 169 ff.; dann bei J. W. von Camerer,
Über die tägliche Aberration der Fixsterne, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 1 (1793),
p. 198 ff. und Berl. astr. Jahrb. für 1798 (1795), p. 139 ff.; zuerst berücksichtigt
ist er von F. W. Bessel, Königsb. Beob. 4 (1818), p. II.
104) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 28 ff. Einmal führt das Sonnen-
zentrum selbst periodische, den einzelnen Planetenstörungen entstammende Be-
wegungen um den Schwerpunkt des ganzen Sonnensystems aus; dazu kommen
die Störungen der elliptischen Erdbewegung, insbesondere durch den Mond.
105) Battermann, Diss. (siehe Fußn. 95), p. 20. Die Krümmung der Erdbahn
bewirkt Aberrationseffekte, die bei Saturn 0”.01, Uranus 0’’.02, Neptun 0.03
erreichen.
106) Der jährliche Aberrationseffekt stellt sich zwar naturgemäß einfacher
in den ekliptikalen Koordinaten dar — man hat dazu im folgenden nur e=0 zu
setzen —, doch ist es der Anwendungen halber ratsam, sogleich das BAUIBTERE
System sünraführen.
56 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
die durch Einführung der Formeln der elliptischen Bewegung!)
übergehen in:
da I: EM . :
tan au en O + singsin I),
db cose dM ;
da T— asg ar (608 © + sin p cos IT),
de sine dM ä
a oa ar (608 © + sin p cos IT).
Darin bezeichnet © die Sonnenlänge, M ihre mittlere Anomalie,
& die Schiefe der Ekliptik, sin g = e die Exzentrizität, [I die Länge
des Perigäums. Die Glieder der ersten Ordnung werden damit!®):
«— @—=K (sin «sin © + cos a cos © cos &) sec Ö
+ Ksin g (sin « sin IT + cos « cos II cos &) sec 6,
6 — 6 —K|— c0s® (sin asin d coss — cos d sine) + sin © cos«sin d}
+ Ksinp { — cos II(sinasindcose— cosösine) + sin ITcosesind).
Beschränkt man sich auf diese Glieder erster Ordnung, so ist es
gleichgültig, ob man rechts die unmittelbar beobachteten oder die
schon von der jährlichen Aberration befreiten Koordinaten einsetzt.
Erst in den Gliedern zweiter Ordnung macht sich ein Unterschied
geltend !%). Auch ist es an sich gleichgültig, ob man den wahren
Äquator oder einen mittleren den Formeln zugrunde legt; im ersteren
Falle erhält man den Aberrationseffekt in seine beiden Komponenten
nach dem wahren, im zweiten nach dem mittleren Äquator zerlegt.
Die aufgestellten Formeln gelten zunächst für den wahren Äquator !!9);
indessen rechnet man rechts besser mit den mittleren Koordinaten
einer naheliegenden Epoche (etwa des Jahresanfangs), um auf diese,
längere Zeit festen Argumente die Berechnung von Tafeln aufbauen
zu können. Die strenge genommen dadurch hervorgerufenen Korrek-
107) Siehe z. B. Brünnow, p. 186; Oppolzer, Bahnb. 1, p. 112.
.. 108) Der Index 0 bei «, ö ist sofort weggelassen, da «,, d,, indem man in
der Praxis von der Berücksichtigung der säkularen Aberration absehen muß, die
wahren Sternkoordinaten sind.
109) Siehe z.B. E.v. Rebeur-Paschwitz, Artikel „Aberration“ in Valentiner,
Handwörterbuch 1, p. 166—179.
110) Da man den Effekt an den unmittelbar beobachteten Koordinaten an-
bringt, und zudem auch die Geschwindigkeitskomponenten der jährlichen Erd-
bewegung, d. h. die Sonnenkoordinaten, Schiefe der Ekliptik usw. in den Ephe-
meriden auf den wahren Äquator bezogen sind.
7a. Parallaxe und Aberration. 57
tionsglieder, aus Produkten von Präzession und Nutation in Aber-
ration bestehend, können nur für Polsterne merklich werden!").
ri] ‚AM
V,cosp dt
setzt man in der Praxis unter Vernachlässigung der säkularen Aberration
für V, die Liehtgeschwindigkeit V ein und pflegt sie dann als Kon-
stante der jährlichen Aberration, kurz als Aberrationskonstante k zu be-
zeichnen. Sie hängt ab von den Dimensionen der Erdbahn und der
Lichtgeschwindigkeit. Man pflegt sie indessen nicht aus diesen, den
Beobachtungen selbst nur mit merklicher Unsicherheit zu entnehmen-
den Daten, sondern aus eigens zu diesem Zwecke angestellten Mes-
sungen abzuleiten. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde
der Wert:
In der in den obigen Formeln auftretenden Größe: X’ —
k = 20”.253
nach J. B. J. Delambre (abgeleitet aus Verfinsterungen der Jupiters-
trabanten) benutzt; eine fundamentale Verbesserung erzielte W. Struve
aus Beobachtungen am Passageninstrument im ersten Vertikal!'?); der
von ihm abgeleitete Wert:
k = 20.445
war für die zweite Hälfte des Jahrhunderts maßgebend. Die Pariser
Konferenz?) setzte den. Wert:
k = 20”.47
fest; indessen ist heutzutage wohl sicher, daß der Wert 20.50 bis
20”.52 der Wahrheit am nächsten kommt '!"*).
Die obigen Formeln für den jährlichen Aberrationseffekt in den
äquatorealen Koordinaten zerfallen in zwei Teile, deren erster, der
Hauptteil, für einen Fixstern von jährlicher Periode ist, während der
zweite von der Erdbahnexzentrizität herrührende für jedes feste Ge-
stirn als nahezu konstant gelten kann. Die Konstante dieses zweiten
Teils ist nur geringfügig:
k sin og = 0”.343.
111) Bessel, Fund., p. XXff.; E. v. Rebeur- Paschwitz '°%), sowie H. Batter-
mann, Astr. Nachr. 118 (1888), p. 369.
112) W. Struve, Sur le coefficient constant dans l’aberration des &toiles
fixes, St. Pet. me&m. (6, math., 1) 5 (1844), p. 229 —= St. Pet. bull. (phys.) 1 (1843),
p- 257.
114) Vgl. z. B. M. Nyren, L’aberration des etoiles fixes, St. Pet. mem.
(7) 31 (1883); S. C. Chandler, The probable value of the constant of aberration,
Astron. Journ. 23 (1903), p. 1. Weitere Werte in $S. Newcomb, Fund. Const.,
siehe Fußn. 13),
58 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Daher hat man diesen zweiten Teil bisher meist unberücksichtigt
gelassen, was indessen für bewegte Gestirne nicht ratsam ist.
Das Hauptglied der jährlichen Aberration lautet in ekliptikalen
Koordinaten:
A—NX=+kcos (A — ©) sec ß,
B—B= — ksin (A — ©) sin ß
und zeigt, daß der Aberrationseffekt darin besteht, den Sternort in
jährlicher Periode eine Ellipse, deren halbe große Achse konstant — k,
deren kleine Halbachse % sin ß ist, um eine Mittellage beschreiben zu
lassen. Das war auch die Form, in der J. Bradley seine Entdeckung
machte und auf Grund deren der Aberrationseffekt ursprünglich be-
rechnet wurde. Delambre'') gab zuerst Aberrationsformeln auf
Grund der theoretischen Erklärung der Aberration und erwähnt dabei
schon jenes von der Erdbahnexzentrizität abhängige Glied. Später haben
‚Bessel!!%) und insbesondere Oppolzer''”) an dieses Glied erinnert. Eine
geeignete Form für die Tabulierung gab Gauß'"?) und dann im Verein
mit Präzession und Nutation Bessel'!?).
Will man schließlich den Einfluß der säkularen Aberration auf
die jährliche berücksichtigen, so hat man den Nenner V, in jener
Konstanten nicht völlig konstant zu setzen, sondern von der Lage des
unbekannten Apex der säkularen Bewegung gegen den Sternort ab-
hängig zu machen. Aus
v,= v(1i+ 2. cos 2) folgt: K— k(1— 7% cos 2),
wo k in Strenge konstant ist. Die Aberrationskonstante ist also für
verschiedene Sterne je nach ihrem Winkelabstand von dem Apex der
säkularen Bewegung etwas verschieden und ihre Bestimmung kann
die absolute Bewegung des ganzen Sonnensystems (gegen den Licht-
äther) kennen lehren. Indessen scheint die Genauigkeit in der Be-
115) J. B. J. Delambre, Conn. des temps de l’an X (1803), p. 346 und Astronomie
the6orique et pratique 3, Paris 1814, chap. XXIX, p. 109. Er bemerkt, daß bei der
üblichen Art der Berechnung aus der Aberrationsellipse die Exzentrizität ver-
nachlässigt sei, daß er aber zuerst gezeigt habe, daß man dazu berechtigt sei.
Zugleich sagt er aber auch, wie man sie sehr einfach berücksichtigen könne.
116) F. W. Bessel, Über die Aberration der Planeten und Kometen, Astr.
Nachr. 12 (1835), p. 121.
117) Th. v. Oppolzer, Eine Bemerkung über die Berechnung der Aberration,
Astr. Nachr. 65 (1865), p. 381 und Oppolzer, Bahnb. 1, p. 114 ff.
118) C. F. Gauß, Monatl. Corr. 17 (1808), p. 312—317 = Werke 6 (1874),
p. 123 ff.
119) F. W. Bessel, Tafeln zur Reduktion der Örter der Fixsterne, Astr.
Nachr. 1 (1823), p. 49.
7b. Präzession und Nutation. 59
stimmung von % zur Zeit noch nicht derart zu sein, um die jeden-
falls geringfügige Abhängigkeit vom Sternort zufolge jenes Villarceau-
schen Faktors hervortreten zu lassen.
Die säkulare Aberration. Die säkulare Bewegung kann selbst
für die Lichtzeit der Fixsterne als geradlinig gelten; demnach wird
die gesamte säkulare Aberration durch Übergang auf die Zeit £, be-
rücksichtigt. Der zur Zeit ti, beobachtete, von täglicher und jähr-
licher Aberration befreite Sternort ist gleich dem wahren Ort zur
Zeit 4 =1 — r, gesehen vom Erdort zur Zeit i,. Da nun einerseits
rt für die meisten Fixsterne unbekannt ist und die Bezeichnung der
Epoche (ob t, oder t,), so lange man die Bewegungen der einzelnen
Sterne isoliert betrachtet, gleichgültig ist, läßt man die säkulare
Aberration ganz fort!?).
Der Effekt der säkularen Fixsternaberration allein ließe sich
durch:
v
_
ö — d6, — 7 {cos D cos («a — A) sin d — sin D cos ö}
0.7.0 75
cos D sin (« — A) sec Ö
(A, D äquatoreale Koordinaten des Apex der säkularen Bewegung)
darstellen, woraus neben einer von der Zeit so gut wie unabhängigen
Verzerrung des Himmelsanblicks eine Multiplikation der Eigenbe-
wegungen gerade mit dem Villarceau’schen Faktor resultieren würde !?").
tb. Präzession und Nutation. I. Präzession. Den Effekt, den eine
Drehung der Fundamentalebene um den Winkel ö unter gleichzeitiger
Verschiebung des Anfangspunktes der Zählung in ihr auf die Koor-
dinaten eines Gestirns ausübt, berechnet man aus dem von den Polen
der beiden Fundamentalebenen und dem Stermorte gebildeten sphäri-
schen Dreieck. An die Bezeichnungen für die Ekliptik anknüpfend
GN, N) erhält man als Transformationsformeln von A, ß in A, ß':
120) Allerdings beziehen sich dann die gleichzeitig erhaltenen Sternörter
auf verschiedene Zeitpunkte und Erdörter. Indessen kann das höchstens in
ferner Zukunft, wenn etwa die gravitationstheoretische Behandlung der Fixstern-
bewegungen begonnen hat, in Frage kommen. Jetzt zu berücksichtigen wäre
höchstens die Änderung der Lichtzeit infolge der Änderung der Entfernung des
Gestirns von der Erde. Da diese. Änderung der Entfernung indessen jedenfalls
für diesen Zweck als gleichförmig angesehen werden kann, so wären nur die
auf üblichem Wege erhaltenen Eigenbewegungen der Fixsterne, um die geome-
trischen Verschiebungen gegen den Erdort zu geben, mit einem von der Ein-
heit nur unmerklich verschiedenen Faktor zu multiplizieren.
121) K. Schwarzschild, Über den Einfluß der säkularen Aberration auf die
Fixsternörter, Astr. Nachr. 136 (1894), p. 81.
60 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
cos (K— N — |) cos BP = cos (A — N) cos ß,
sin (—N —|) cos BP = sin (A — N) cos ß cosi + sin B sin ;,
sin # = — sin (A — N) cos ß sind + sin ß cos.
Durch einfache Umformungen erhält man unter Einführung der Hilfs-
größen q und L:
g= sin! (tg ß— sin (A— 9) tg),
a es een:
I iaLkııT
tg PZP— — tg4isin@— +4) sec}L.
Durch Einführung der auf den Äquator bezüglichen Größen
m, n, p (s.p. 41/42) erhält man den Präzessionseffekt in den äquato-
realen Koordinaten '??):
g—sinn(tgd + cos (a +p)tg}n),
qsin (@+P)
1—qcos(@+p)’
e=«+m-+L,
‘—6 L
tg —— =tg4n cos (« +p+ z) sec $4L.
Für die gewöhnlichen Zwecke der Praxis kommt man mit Reihen-
entwicklungen aus.
Setzt man:
tg (@ — @ — m) =
m—=Zm(—t
n = Zn,(t —t)'
p= Zn —t)
57,2,
“—a= Alt Ye <SDi — ),
so wird:
A, =m, +n sinatgod,
2
A,=m +" sin 2« + (n, sin« + pn, cosa)tgd + = sin 2a tg? d,
D,=n, eose,
: ne
D, = n, cos « — n,p, sina— —- sin?atg6,
wobei die numerischen Beträge nach p. 42 in abgekürzter und etwas
veränderter Form?) wiederholt lauten '?%):
122) Im Prinzip zuerst gegeben von Bohnenberger, s. Fußn. 72).
123) Die Zeit ist hier (Oppolzer, Bahnb. 1, p. 219) in tropischen Jahren gezählt.
124) Die Größen m,, n, nennt man gewöhnlich m, n, indem bei unseren
obigen m, n, p die beiden Indizes £, t' hinzuzudenken sind.
7b. Präzession und Nutation. ; 61
m, — 46”.05931 + 0”.000284 (t — 1850.0), m; — 07.000142,
n, = 20”.05150 — 0”.000087 (t — 1850.0), 7, — — 0”.000043,
p, = 23°.030.
Für ganz kurze Zeiten, etwa ein Jahr, reicht man mit dem ersten
Gliede aus. Man bezeichnet daher als „jährliche Präzession“, kurz als
„Prüzession für die Zeit {“, Pre,, die Größen (A), und (F),_, d.h.:
Pre,()= A, =m, + m sinatgö, Pre,($) =D, =n, c08 «
und berechnet den gesamten Präzessionsbetrag aus
E
Pre’ = fi Pre, dt
t [4
durch mechanische Quadratur. Einen ungefähren Überschlag gibt
danach: (f — £) : Pre,, eine meistens genügende Annäherung:
( ae t) E Pro,+r,
2
wodurch die zweiten Glieder der Entwicklung berücksichtigt sind.
Man pflegt dabei die hundertjährige Anderung der jährlichen Präzession,
die variatio saecularis, V einzuführen, indem man setzt
V,‚(e) =2004,, V,(6) = 200D,.
Dann ist sehr angenähert
Pro4r = Pro, + 5 Pr:
2
Man gibt danach in den Sternkatalogen (s. p. 68) neben dem Stern-
ort die Präzession und säkulare Variation für die Katalogepoche an.
Hat man nur Pre, ohne V, berechnet, so findet man angenähert
nach —_ Pre, die Koordinaten für das Mittel der Epochen und
daraus Pre,+, mit meist hinreichender Genauigkeit.
ER
Reicht man auch mit den Gliedern zweiter Ordnung nicht aus
— es ist das heute schon für mäßige Deklinationen bei einer Epochen-
differenz von 100 Jahren der Fall —, so muß man entweder die
Glieder dritter Ordnung hinzunehmen oder eine weitergehende Formel
der mechanischen Quadratur anwenden, wie etwa
Pre! = dee [Pre, + 4Pre+:+ Prey | ;
2
bis auf Glieder vierter Ordnung genau'®). Auch kann man die
125) z. B. A. Auwers, Neue Reduktion der Bradley’schen Beobachtungen
aus den Jahren 1750 bis 1762, 3, St. Petersburg 1888, p. 66. Ähnlich für die
Sterne über d = 70° im Berl. astr. Jahrb.
62 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Glieder dritter Ordnung, da sie doch nur geringfügig sind, in Tabellen-
form bringen). Die strengen Formeln wird man nur selten an-
wenden, z. B. wenn es sich um vereinzelte Sternpositionen handelt,
die man auf sehr entfernte Epochen (mehrere Jahrhunderte) über-
tragen will. In Zukunft wird man am besten die Epochen zerlegen
und stufenweise den Präzessionsbetrag berechnen.
Die Eigenbewegungen der Fixsterne. Die Übertragungsformeln
auf verschiedene Äquinoktien werden dadurch für viele Sterne kom-
plizierter, daß man auf ihre Eigenbewegung Rücksicht nehmen muß.
Hat man alle zu verschiedenen Epochen angestellten Beobach-
tungen eines Sternes auf ein gemeinsames Äquinoktium bezogen, so
stellt die übrig bleibende Abhängigkeit von der Zeit die Eigenbewegung
(abgekürzt: E. B.) des Sternes (relativ zum Schwerpunkt des Sonnen-
systems) dar, die man bisher, von einigen physischen Doppelsternen ab-
gesehen, als geradlinig-gleichförmig ansehen kann. Vom Auge des
Beobachters aus stellt sie sich als nahezu gleichförmige Winkel-
bewegung in einem größten Kreise der Himmelskugel dar'?”) und die
Theorie dieser Eigenbewegungen ist heutzutage erledigt, sobald man
für jeden Stern den konstanten jährlichen Betrag u, dieser Winkel-
bewegung und die Lage des größten Kreises durch seinen Positions-
winkel » gegen den Stundenkreis aus den Beobachtungen bestimmt
hat. Der letztere ändert sich, selbst bei gleichförmiger Winkel-
bewegung im größten Kreise, mit der Zeit; es wird in erster völlig
ausreichender Annäherung:
126) H. Kloock, Tafel für das dritte Glied der Präzession, Kiel Sternw.
Publ. 5 (1890).
127) In aller Strenge wird diese Winkelbewegung nicht gleichförmig sein,
sondern von unserer relativen Örtsveränderung gegen den Stern abhängen müssen.
H. Seeliger (Bemerkung über veränderliche Eigenbewegungen, Astr. Nachr. 154
(1901), p. 65) stellt für die Winkelbewegung °, die Beziehung auf:
dt
dp de dp
worin n die Geschwindigkeit im Visionsradius in km pro 1*, x die jährliche
Parallaxe in Bogensekunden bedeutet. F. Ristenpart versucht (siehe Astr. Ges.
Vjs. 37 (1902), p. 242) dieses quadratische Glied der E. B. (Eigenbewegung) in
den beobachteten Örtern des schnellstbewegten Sterns der nördlichen Hemi-
sphäre, Groombridge 1830, nachzuweisen, was indessen noch nicht völlig gelingt,
da die Parallaxe nicht sicher genug bestimmt erscheint. In ferner Zukunft wird
man aus diesem Gliede, das aus dem Effekt der Sonnenbewegung und der des
Sterns resultiert, Rückschlüsse auf die Parallaxen der Sterne ziehen können, da
eben der Effekt dem Quadrat der Zeit proportional ist. Gegenwärtig wird man
es bei allen Sternen noch für Jahrzehnte hinaus vernachlässigen können.
7b. Präzession und Nutation. Eigenbewegung. 63
p—p—= tu sinptgd(l — 1.
Indessen ist es nicht üblich, in dieser Weise die E. B. anzugeben,
sondern, entsprechend der getrennten Beobachtungsart der äquatorealen
Koordinaten, zerlegt in Komponenten u, und u, nach Rektaszension
und Deklination, sodaß:
u. = u, sin p sec 6,
Us = U, cC08SP.
Be mut 2) was tgd,
u = — 3 — £) u’, sin 20.
Es folgt dann:
In den weitaus meisten Füllen reicht man bis jetzt mit der Annahme
einer gleichförmigen Eigenbewegung auch in Rektaszension und
Deklination aus; nur bei sehr schnell bewegten Sternen, höheren
Deklinationen und großen Zwischenzeiten wird man auf das zweite
Glied schon jetzt Rücksicht nehmen müssen !?).
Zu dieser reellen Änderung der E.B. in den äquatorealen Koor-
dinaten kommt noch eine weitere, der Änderung des Koordinaten-
systems durch die Präzession entsprechende hinzu. Sie betrifft wieder
nur p, nicht u,. Es wird mit hinreichender Annäherung:
v»"’—p=n(f —) sin «sec 6,
ur = U + N, (us sin a sec? d + u, cos atg ö),
k — My — Mu, sine,
Ku, 4; sind dann die jährlichen Eigenbewegungen zur Epoche {’,
bezogen auf das Äquinoktium {, wenn u,, u; die entsprechenden
Größen für die Zeit £ bedeuten.
Sind alle Beobachtungen eines Sternes auf ein gemeinsames
Äquinoktium gebracht, so gibt eine lineare Ausgleichung (unter Ver-
nachlässigung von w— u, was nur im Falle sehr großer E. B., und
dann vorweg, berücksichtigt werden kann) die Werte u, us, be-
zogen auf das gemeinsame Äquinoktium. Ihre Änderungen mit der
Zeit und mit der Beziehung auf ein anderes Äquinoktium geben die
früheren Formeln.
Um die Position eines Sternes mit bekannter E. B. auf andere
Äquinoktien zu übertragen, wie es die Verwendung der Sterne als
Anhaltspunkte erfordert, kann man zunächst die strengen Formeln
benutzen. Man hat nur statt «, Ö
:128) Zuerst wohl gegeben von John H. C. Coffin (anonym), Tables to faci-
litate the reduction of places of the fixed stars, prepared for the use of the Amer,
Ephem., Washington 1869, p. XVIff., auf Veranlassung von J. Winlock.
64 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
+ Yu + N
d. h. die Koordinaten des Sternortes zur Zeit ?, bezogen auf das
Äquinoktium t, zu setzen und diese auf das Äquinoktium / zu über-
tragen. Auch kann man umgekehrt zuerst die Übertragung von «, ö
in «, ö’ ausführen und dann die E.B., aber nunmehr auf das neue
Äquinoktium bezogen, anbringen.
Geht man zu den Entwicklungen über, so treten in den Koeffi-
zienten A,, Ag,...; D,, D, von der E.B. herrührende Terme hinzu '!?).
ll. Die Nutation. Den Effekt der Nutation auf die äquatorealen
Koordinaten berechnet man am einfachsten differentiell aus ihren Ver-
änderungen der ekliptikalen. Da sie die ekliptikalen Breiten nicht
beeinflußt, so hat man nur nach A und e zu differenzieren und findet:
de = (cos & + sin g tg Öd sin @)dA — cosatgöde,
dö = cosasinedA-- sin«ade,
Formeln, welche bis auf die höchsten Deklinationen ausreichen. Die
Beträge dA und ds werden, wie früher angegeben, für äquidistante
Zeitmomente tabuliert.
Te. Zusammenfassung der verschiedenen Reduktionen der
Beobachtungsgrößen auf ein mittleres Äquinoktium. Die wegen
der Instrumentalfehler (inkl. Refraktion und täglicher Aberration)
verbesserten Beobachtungsgrößen sind bei den Körpern des Sonnen-
systems noch von der täglichen Parallaxe (berechnet für den Beob-
achtungsmoment #,) zu befreien; bei den Fixsternen ist zur Beziehung
auf das Sonnenzentrum die jährliche Parallaxe (für den Moment 1) '°)
und die jährliche Fixsternaberration anzubringen. Man erhält so die
wahren geozentrischen, resp. heliozentrischen, d. h. die vom Ort des Erd-,
resp. des Sonnenzentrums der Zeit t, gesehenen, auf das wahre Äqui-
noktium des Beobachtungsmomentes t,'?!) bezogenen Koordinaten des
Gestirns zur Zeit £,. Es bleibt noch die Nutation zu berücksichtigen.
Man vereinigt diese gewöhnlich mit der jährlichen Fixsternaberration
und dem Prüzessionsbetrag bis zum mittleren Äquinoktium des Jahres-
129) Siehe Oppolzer, Bahnb. 1, p. 222. — Die Angaben in den Sternkata-
logen, betreffend die E. B., sind nicht ganz einheitliche; vgl. z. B. Fr. Küstner,
Bonn Sternw. Veröff. 2 (1897); H. Battermann, Berlin Sternw. Ergebn. 8 (1899) u.
10 (1902); $. Neweomb, Fund. Catal., siehe Fußn. 32). Es ist am ratsamsten, auch
in den höheren Gliedern Präzession und Eigenbewegung als ganz verschieden-
artige Größen getrennt zu berücksichtigen.
130) Meistens wegen ihrer Geringfügigkeit und aus Unkenntnis vernach-
lässigt.
131) Bei den Körpern des Sonnensystems als identisch mit i, anzusehen,
?c. Zusammenfassung sämtlicher Reduktionen. 65
anfanges und nennt den Gesamtbetrag, negativ genommen „die Reduk-
tion auf den scheinbaren Ort“ (reductio ad locum apparentem). Man
gibt ihr verschiedene Formen, je nachdem es sich um vereinzelte
Sternörter handelt (als Vergleichspunkte für Kometen- nnd Planeten-
beobachtungen) oder um größere Reihen am Meridiankreise wieder-
holt beobachteter Sterne. Im ersteren Falle hat man:
Aec—=f+gsno(@G + o)tgö+hsin(H-+ e)secd,
.Adö=geos(@+e)+heos(H-+ e) sind + icosd.
Die Größen f, 9, @ entstammen der Präzession und Nutation, h, A, i
der Aberration, es ist
f=rTm-+ cos edA, hsin H= — kcos®© cos e,
ges@G—=rTn+sinedi, hesH=—ksin®,
gsnG=—de, i= — kceosOsine,
worin m, n die früheren Präzessionsgrößen '??), 7’ die seit dem Jahres-
anfang verflossene Zeit in Jahresteilen, dA, ds die Nutationsbeträge,
k die Aberrationskonstante ist.
Für den zweiten, weit häufigeren Fall setzt Bessel'??) die Reduk-
tion auf den scheinbaren Ort (Red. ad I. app.) in die Form:
Ae—=Aa+BbtCc+Da-+tE,
Adö—= Aa + Bb + Ce + Da,
wobei
up ouein H,
N
B=-—ds, D=hcos H,
a=m-+nsinatgod, Ü=NCos a,
b=cosatgd, V=— sine,
C= 008 « sec, d=cosötge — sin« sind,
d= sin a sec, d’ = cos « sin Ö
gesetzt ist.
E=— sin edı
(a Planetenpräzession) ist außerordentlich klein (im Maximum 0”,05)
und kann zudem als gemeinsame Korrektion aller Gestirne fortgelassen
werden. Die Größen A, B, 0, D sind vom Sternort unabhängige
Funktionen der Zeit und lassen sich ebenso wie f, 9, @, h, H, i für
132) Man verwendet hinreichend genau die jährl. Präzess.des Jahresanfangs.
133) F. W. Bessel, Tafeln zur Reduktion der Örter der Fixsterne, Astr.
Nachr. 1 (1823), p. 49.
Eneyklop, d. math. Wissensch. VI 2, bi)
66 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
äquidistante Zeitmomente tabulieren'®), a,b, c,d,a,b, c,d sind
Sternkonstanten, die sich mit mittleren Koordinaten vorweg berechnen
lassen, da sie für einige Jahre trotz Präzession und Eigenbewegung
als konstant gelten können '®?).
Die gegebenen Formeln enthalten nur die Glieder erster Ordnung,
welche für Polsterne nicht ausreichen. Die Berechnung der Glieder
zweiter Ordnung gestaltet sich sehr umständlich'®®). Durch Vermitt-
lung rechtwinkliger Koordinaten vereinfacht Fabritius die Berechnung
bedeutend '?”).
8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen; Stern-
kataloge, Jahrbücher. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeob-
achtungen richtet sich nach dem Objekte, auf das sie sich beziehen.
Die theoretische Vorausberechnung der seit lange beobachteten Körper
des Sonnensystems (Sonne, Mond, große Planeten und zahlreiche kleine
Planeten) bringt man in eine zur direkten Vergleichung mit den Beob-
134) Bessel tabuliert (l. c. Fußn. 133) A,B,C,D in zehntägigen Intervallen, .
und zwar A, B für jedes Jahr, während C, D für lange Zeiträume allein als
Funktionen der Sonnenlänge gelten können und demnach nur von r’, dem ver-
flossenen Jahresbruchteil, abhängen. — In den ‚Tab. Reg.“ gibt Bessel A, B,
C, D, E, t' in Tabula VII unter: Valores quantitatum ad computationem locorum
apparentium Stellarum fixarum generaliter inservientium, pro saeculo 1750—1850 in
zehntägigen Intervallen. Die Fortsetzungen von J. A. Zech (1850—1860) und Wolfers
(1860—1880) in J. Ph. Wolfers, Tabulae reductionum, siehe Fußn. 27). — Die Pul-
kowaer Sternwarte hat dieselben Größen von Tag zu Tag für Pulkowaer 0" Sternzeit
veröffentlicht: ©. Struve, Tabulae quantitatum Besselianarum pro annis 1840 ad
1864, Petropoli 1861; 1865— 74, Petr, 1867; 1750—1840, Petr. 1869; 1875—79, Petr.
1871 usw. Inzwischen haben die verschiedenen Jahrbücher (s. später) die Berech-
nung dieser Konstanten aufgenommen und geben sowohl die A,B,0,D wie f, 9,
G, h, H,i. Über Berücksichtigung der schnell veränderlichen kleinen Mond-
glieder siehe die betreffenden Erläuterungen.
135) Eine andere Form, die manche Vorzüge besitzt, hat W. Klinkerfues
(Schreiben an den Herausgeber, Astr. Nachr. 62 (1864), p. 355) der Red. ad l. app.
gegeben; s. auch Oppolzer, Bahnb. 1, p. 256, der sie in der Form schreibt:
Ö. 90°— 6
sin(K+ «J+Itg 3 cos (L+ «),
Ku
ol + e) +1 nd r ul),
2ksnK=B-+C, 2lsinL=geos@—D,
2kcosK=gc0osG+D, 2lcsL=—B+C.
136) S.z. B. für die Nutation: Brünnow, p. 133; Oppolzer, Bahnb. 1, p. 259 ff.
137) W. Fabritius, Über eine strenge Methode zur Berechnung des Orts
von Polsternen, Astr. Nachr. 87 (1876), p. 113 u. 129. Eine Verbesserung 8.
Oppolzer, Bahnb. 1, p. 259; eine weitere: Fabritius, Obs. de Kiew ann. 3 (1891), p.
0
Aumfikodg- -
; i, 80%
secö Ad —=i-+k cotg 3
8. Die weitere Verarbeitung der Meridianbeobachtungen. 67
achtungen geeignete Form durch Tabulierung der zahlreichen Störungs-
glieder und Berechnung von Ephemeriden, welche den auf Grund
solcher Tafeln abgeleiteten scheinbaren (oder wahren) Ort des Ge-
stirns in äquidistanten Zeitintervallen geben'”®). Die nach der Verbesse-
rung der angenommenen Bahnelemente und Massen verbleibenden
Unterschiede zwischen Rechnung und Beobachtung bilden die Grund-
lage der weiteren theoretischen Erörterungen.
Bei den erst kürzlich entdeckten Objekten des Sonnensystems bezieht
man hingegen alle Beobachtungen auf eine mittlere Epoche und baut
auf sie eine erste Theorie der Bewegung auf (vgl. Art. VI 2,9 (Herglotz)).
Auch bei den Fixsternen tritt eine Trennung in der Art der Be-
handlung ein. Für die Gruppe der Fundamentalsterne findet man in
den Jahrbüchern (s. u.) auf der Grundlage der in den Fundamental-
katalogen gegebenen Positionen und Eigenbewegungen Ephemeriden,
welche ihre scheinbaren und somit direkt mit den Beobachtungen
vergleichbaren Örter geben. Die Vergleichung dient auf der einen
Seite zur Verbesserung des Fundamentalkataloges. Auf der andern
Seite benutzt man die errechneten Örter als Anhalt für die Positions-
bestimmung der übrigen, der Anschlußsterne. Die so erhaltenen schein-
baren Örter dieser Anschlußsterne werden in anderer Weise bearbeitet.
Die (mit umgekehrtem Vorzeichen) angebrachte „Reduktion auf den
scheinbaren Ort“ (Red. ad l. app.) führt sie in wahre Sternörter des
Beobachtungsmoments, bezogen auf das mittlere Äquinoktium des
Jahresanfangs, über.
Für jeden Fixstern zieht man eine Reihe solcher, während eines
längeren Zeitraumes erhaltener Einzelpositionen in ein Mittel zu-
sammen, nachdem man sie von dem Äquinoktium des betreffenden
Jahresanfangs auf ein gemeinsames Äquinoktium eines nahezu in
der Mitte der Beobachtungsreihe liegenden Jahresanfangs gebracht
hat. Diese Mittelwerte bilden, für eine größere Zahl von Sternen
138) Über Tafeln u. Ephemeriden vgl. neben Wolf, Handb.: A. Souchon,
Trait d’astronomie pratique, Paris 1883. Die gebräuchlichsten Sonnentafeln
s. Fußn. 91); von Mondtafeln nennen wir: I. T. Bürg, Tables de lalune, Paris Bur.
Long. tabl. astr. 1, Paris 1806; J. ©. Burckhardt, Tables de la lune, Paris Bur.
Long. tabl. astr., Paris 1812; P. A. Hansen (1857), s. Fußn. 149); von Planeten-
tafeln: Al. Bouvard, Tables de Jupiter, de Saturne et d’Uranus, Paris Bur. Long.
tabl. astr., Paris 1821; U.J. Leverrier, Tables de Mercure (Paris 1859, Obs. de Paris
ann, 5), de Venus et Mars (Paris 1861, ann. 6), de Jupiter et Saturne (1876, 12),
d’Uranus et Neptune (1877, 14); S. Neweomb, Tables of the four inner planets,
Wash. Astron. Papers 6 (1898); Tables of Uranus et Neptune, Wash. Astron.
Papers 7 (1898); @. W. Hill, Tables of Jupiter and Saturn, Wash. Astron. Papers
7 (1898).
5*
68 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
vereinigt, einen Sternkatalog. Ein jeder Ort des Katalogs entspricht
dann dem Mittel der Beobachtungszeiten, „Beobachtungsepoche“ genannt,
so lange die Higenbewegung des Sternes in den beiden äquatorealen
Koordinaten als gleichförmig gelten kann und bezieht sich auf das
Äquinoktium des Katalogs. Durch die Vergleichung aller Positionen
eines Sternes aus verschiedenen Katalogen erhält man dann, indem man
sie auf ein einheitliches Äquinoktium überträgt, die Eigenbewegung des
Sternes.
Die Reihe der Kataloge, mit denen man derartige Untersuchungen
zu beginnen pflegt, eröffnen die aus der Mitte des 18. Jahrhunderts
stammenden von James Bradley und Tobias Mayer"). Die Zahl der
Sternkataloge des 19. Jahrhunderts ist sehr bedeutend !).
Vor der Ableitung der Eigenbewegungen hat man noch die
schwierige Aufgabe zu erledigen, die systematischen Fehler der ein-
zelnen Kataloge zu bestimmen, die sich in gesetzmäßigen Unter-
schieden bei der Vergleichung mehrerer Kataloge geltend machen.
Man befreit sie von diesen, indem man sie auf ein möglichst allen
stimmfähigen Katalogen angepaßtes mittleres System bezieht. Auch
bei den differentiell angelegten Katalogen bedarf es stets noch dieser
Untersuchung. Die ausgedehntesten Tafeln zur Beziehung der Stern-
kataloge auf ein gemeinsames System verdankt man Auwers'*'). Ebenso
ist auch wegen des verschiedenen Wertes der Sternkataloge eine Fest-
setzung von Gewichten erforderlich !#).
Die endgültige Zusammenfassung aller während eines langen
Zeitraumes an den verschiedensten Orten erhaltenen Sternpositionen
bildet dann wieder einen Katalog von Positionen und Eigenbewegungen,
die auf eine bestimmte Epoche und ein bestimmtes „mittleres System“
bezogen sind. Beides, die Verbesserung der Positionen und Eigen-
139) Da die Bessel’sche Bearbeitung (Bessel, Fund.) den Anforderungen der
Neuzeit nicht mehr genügen konnte, unternahm Auwers eine Neureduktion der
Bradley’schen Beobachtungen und fügte eine Reduktion der Mayer’schen Beob-
achtungen hinzu: A. Auwers, Neue Reduktion der Bradley'schen Beobachtungen
aus den Jahren 1750—1762, 3 Bde., St. Petersburg 1882—1903; A. Auwers,
Tobias Mayer’s Sternverzeichnis nach den Beobachtungen auf der Göttinger
Sternwarte neu bearbeitet, Leipzig 1894.
140) Vgl. in Valentiner, Handwörterbuch 3,2 den Artikel von F'. Ristenpart:
„Sternkataloge und -karten“, p. 455 u. ff.
141) A. Auwers, Tafeln zur Reduktion von Sternkatalogen auf das System
des Fundamentalkatalogs der A. G., Astr. Nachr. 134 (1894), p. 33—58; 143 (1897),
p. 65—90; 145 (1898), p. 101--106; 162 (1903), p. 357—374.
142) A. Auwers, Gewichtstafeln für Sternkataloge, Astr. Nachr. 151 (1900),
p. 225— 274; 162 (1903), p. 357—374.
8. Verarbeitung der Meridianbeobachtungen: Kataloge, Jahrbücher. 69
bewegungen in dem System und die Verbesserung des Systems, bildet
eine ständige Aufgabe des Meridianbeobachters. Seit einigen Jahren
hat die Akademie der Wissenschaften zu Berlin dieses Werk einer
Sammlung und Zusammenfassung aller bis 1900 veröffentlichten, noch
heute brauchbaren Sternpositionen in Angriff genommen; die „Ge-
schichte des Fixsternhimmels“ von Fr. Ristenpart soll in diesem Sinne
und auf diesem Gebiete das gesamte Beobachtungsmaterial bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts enthalten; an sie werden alle ferneren
Untersuchungen über die Bewegungen der Fixsterne anzuknüpfen
haben '#?).
Die Hilfsmittel zu den zahlreichen Rechnungen, deren man be-
darf, um das unmittelbare Beobachtungsergebnis in jenen Zustand
überzuführen, der eine Vergleichung mit der Theorie oder die Auf-
stellung einer solchen ermöglicht, bieten die astronomischen Jahrbücher,
deren namhafteste das „Berliner Astronomische Jahrbuch“, die „Con-
naissance des temps“, der „Nautical Almanac“ und die „American
Ephemeris and Nautical Almanac“ sind). Sie enthalten Ephemeriden
der wichtigsten Körper des Sonnensystems, der Sonne, des Mondes
und der großen Planeten. Die Intervalle, in denen man die Ephe-
meriden ‘wibt, richten sich nach der Größe der Winkelbewegung, d.h.
im wesentlichen nach der Entfernung des Gestirns von der Erde, um
die Berücksichtigung höherer Differenzen bei den erforderlichen Inter-
polationen entbehrlich zu machen. Die Sonnenephemeriden, wie die
der näheren Planeten, laufen von Tag zu Tag, bei den entfernteren
begnügt man sich zuweilen damit, sie von 2 zu 2 Tagen zu geben.
Für den Mond gibt der Naut. Alm. stündliche Positionen. Sie beziehen
sich in der Regel auf das wahre Äquinoktium des Zeitmoments und
enthalten den Effekt der Aberration; so können die Beobachtungen
(event. noch von Aberrationszeit befreit) direkt mit ihnen verglichen
werden. Dann folgen die mittleren und scheinbaren Örter der An-
haltsterne, die bei dem Berliner Jahrbuch dem Auwers’schen, bei den
anderen dem Newcomb’schen Fundamentalkatalog entnommen sind,
sowie die zur Red. ad l. app. erforderlichen Daten (f, 9, @, h, H, i,
A, B, C, D) von Tag zu Tag. Endlich folgen einige spezielleren
143) A. Auwers, Bericht über die Geschichte des Fixsternhimmels, Berl. Ber.
1901, p. 79; s. auch A. Auwers, Festrede, Berl. Ber. 1900, p. 657 und die Berichte
in Berl. Ber. 1902 u. 1903.
144) Zur Geschichte und Einrichtung der Jahrbücher vgl. das zitierte Werk
von A. Souchon (Fußn. 138), sowie im besondern H. Clemens, Die älteren Ephe-
meriden-Ausgaben der Berliner Akademie und die Begründung des astrono-
mischen Jahrbuchs; Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 26 (1902), p. 171.
70 VIe,2. F, Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Punkten, wie Sonnen- und Mondfinsternissen, Sternbedeckungen, den
Jupiter- und Saturntrabanten, sowie den kleinen Planeten gewidmete
Abschnitte.
9, Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. Zur Be-
stimmung der Entfernung eines Gestirns bedarf es der Verknüpfung
zweier von räumlich verschiedenen Punkten aus beobachteter Rich-
tungen nach dem Gestirne. Die Messung des Richtungsunterschiedes
kann dabei entweder aus der Differenz zweier absoluter Richtungen,
wie bei terrestrischen Objekten, oder differentiell durch die Verschie-
bung des Objekts auf dem Hintergrunde, der sich in endlicher oder
unendlicher Entfernung befinden kann, erfolgen.
Die erforderliche Grundlinie schafft man sich entweder, indem
man das Himmelsobjekt von verschiedenen Erdorten aus betrachtet —
es ist dazu das Zusammenwirken mehrerer Sternwarten erforderlich —
oder, indem man von dem Bewegtsein des Erdortes Nutzen zieht, das
ihn im Laufe der Zeit eine Basis beschreiben läßt; es sind dazu nur
Beobachtungen von einem Erdorte aus erforderlich, die aber als nicht
gleichzeitige die genaue Kenntnis der Bahnbewegung des Objekts und
des Beobachters voraussetzen. In beiden Fällen mißt man den Winkel-
betrag der parallaktischen Verschiebung, welche der Ortsveränderung
des Beobachters entspringt, und geht dann unter Berücksichtigung
der Größe dieser Ortsveränderung auf lineares Maß über.
Die letztere Aufgabe, die Bestimmung der Basislänge, setzt die
Kenntnis der Figur und der Dimensionen des Erdkörpers voraus und
gehört so in das Gebiet der Geodäsie. Zur Messung der parallak-
tischen Verschiebung eignen sich alle Größen, bei denen die nach dem
Früheren erforderliche Korrektion wegen Parallaxe einen möglichst
großen Betrag erreicht, wie Deklinationen im Meridian, Rektaszensionen
nahe dem ersten Vertikal usw. Unter den systematischen Fehlerquellen
erfordert besonders die Refraktion eine eingehende Untersuchung.
Das Haupthindernis einer durchgängigen Anwendung dieser trigono-
metrischen Methode ist die Geringfügigkeit der irdischen Entfernungen,
die als’ Basis der Messung dienen können und nur für die allernächsten
Körper des Sonnensystems einen meßbaren Betrag der parallaktischen
Verschiebung bewirken. Bei den entfernteren Himmelskörpern muß
man daher ihre gegenseitige Einwirkung, die, sei es hinsichtlich ihrer
Intensität (materielle Anziehung), sei es hinsichtlich der Zeit ihres
Eintretens (Fortpflanzung des Lichtes) von der Entfernung abhängt,
‘in Rechnung ziehen. Da diese Methoden stets andere Reduktions-
elemente als bekannt voraussetzen, erfordert ihre Anwendung im
9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9a. Der Mond. 71
allgemeinen eine Mitbestimmung zahlreicher anderer fundamentaler
astronomischer Konstanten.
Die Brauchbarkeit der einzelnen Methoden und die Art ihrer An-
wendung richtet sich in der Hauptsache nach der Entfernung des
Objekts, deren Größenordnung man typisch durch Mond, Sonne und
Fixsterne veranschaulichen kann.
9a. Der Mond. Der Mond besitzt eine so große Parallaxe!*?),
daß ihre Bestimmung nach der trigonometrischen Methode an sich
keine Schwierigkeit machen würde; eine solche entsteht erst durch
die Unsicherheit, die der nur durch Beobachtung der Mondränder
möglichen Festlegung des Orts des Mondmittelpunktes anhaftet. Die
Mondparallaxe ist wiederholt durch absolute Messungen bestimmt
worden, indem von verschiedenen, nahezu auf einem Meridian, aber
in möglichst verschiedener geographischer Breite gelegenen Erdorten
die Kulminationshöhen des Mondmittelpunktes und unter Berücksichti-
gung der geographischen Breitendifferenz die parallaktische Verschie-
bung ermittelt wurde). Die differentielle Methode durch Anschluß
des Mondes an benachbarte Fixsterne hat man bisher nur in der be-
sonderen Form der Beobachtung von Sternbedeckungen durch den
Mond angewendet, ohne indessen eine zuverlässige Bestimmung der
Mondparallaxe zu erzielen '*”).
Um die gemessene Verschiebung in eine Bestimmung der Parallaxe
selbst zu verwandeln, ist eine ziemlich scharfe Kenntnis der Erdfigur
erforderlich '*®).
145) Bei den Körpern des Sonnensystems versteht man kurz unter „Parall-
axe* den Winkel, unter dem der Äquatorradius der Erde von dem Gestirn in
seiner mittleren Entfernung erscheint; bei den Fixsternen tritt an seine Stelle
die halbe große Achse der Erdbahn.
146) Vergl. zur Geschichte der Bestimmung der Parallaxe: Wolf, Handb.
2, 8 443 u. 444, p. 240—243. Aus den 1751—53 von N.-L. de Lacaille am Cap,
Jer. de Lalande zu Berlin usw. angestellten Beobachtungen leitete ©. F. R. Olufsen
(Untersuchungen über den Wert der Mondparallaxe .., Astr. Nachr. 14 (1837),
p. 226) pg = 57’ 27.95 ab.
147) Z.B. L. Struve, Bestimmung des Mondhalbmessers aus den während
der totalen Mondfinsternisse 4. Oktober 1884 und 28. Januar 1888 beobachteten
Sternbedeckungen, Astr. Nachr. 135 (1894), p. 169; H. Battermann, Beiträge zur
Bestimmung der Mondbewegung und ‚der Sonnenparallaxe aus Beobachtungen
von Sternbedeckungen, Berlin Sternw. Ergebn. 5 (1891) und Resultate für Mond-
ort ..., vorläuf. Mitteil., Astr. Nachr. 157 (1902), p. 165.
148) L. Euler dachte zuerst daran, aus Mondbeobachtungen die Figur der
Erde zu bestimmen: „Versuch, die Figur der Erde durch Beobachtung des Mondes
zu bestimmen“, Münch. Abh. 5 (1768). H. Bruns bemerkt („Figur der Erde“,
Berlin 1876), daß man jedenfalls aus den Mondbeobachtungen schließen könne,
12 VI, 2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
Neben diese trigonometrische Methode der Bestimmung der Mond-
parallaxe tritt die gravitationstheoretische, deren Ursprung aufs engste
mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes durch Newton verknüpft
ist. Das 3. Kepler’sche Gesetz lautet in seiner berichtigten Form
k? r?
4": T°M-+m
Das Verhältnis der dritten Potenz der halben großen Bahnachse r
eines Körpers des Sonnensystems zum Quadrat der Umlaufszeit 7 um
seinen Zentralkörper, multipliziert in die Summe der beiderseitigen
Massen M und m, ist eine Konstante. Im allgemeinen wird diese
Beziehung in der Weise verwertet, daß man 4?, die Gauß’sche Gravi-
tationskonstante, aus dem System Erde-Sonne bestimmt und dann die
Entfernungen der anderen Planeten in Einheiten der mittleren Ent-
fernung Erde-Sonne oder aus dem System eines Planeten und seiner
Satelliten die Summe der Massen in Einheiten der Sonnenmasse er-
mittelt. Um zu einer Bestimmung der Mondparallaxe p( zu gelangen,
bestimmt man %k? durch Messung der irdischen Schwerkraft (s. Pendel-
messungen) und erhält dann
2
y— (> -T(M-+ "))",
worin r die halbe große Achse der Mondbahn, 7 die Umlaufszeit des
Mondes, M und m Erd- und Mondmasse bedeuten. Indessen ist zu
beachten, daß das 3. Kepler’sche Gesetz strenge nur für zwei Körper
gilt, daß also an Stelle der halben großen Achse r die infolge der
Störungen der Mondbewegung durch die Sonne davon abweichende
mittlere Entfernung des Mondes einzuführen ist. In Wirklichkeit ist
die rechte Seite dieser Gleichung noch mit einem Faktor zu multipli-
zieren, den Hansen“?) gleich 1.006 537 angibt, sodaß:
sin.p« — 1.006 537 a (he
wird. Durch Einsetzen der numerischen Beträge erhält Hansen °®)
pe = 517 2”.27T, während Neweomb"') dafür p. = DT 2".68, findet, in
daß die radialen Abweichungen des Geoids einige Kilometer nicht überschreiten;
Helmert widmet dieser Methode zur Bestimmung der geozentrischen Koordinaten
eines Erdoberflächenpunktes einen besonderen Paragraphen, Geodäsie 2, Kap. 6,
$ 2, p. 451; H. Battermann (Fußn. 147) führt die Korrektionen der geozentrischen
Koordinaten des Beobachtungsortes als Unbekannte ein.
149) P. A. Hansen, Tables de la lune, construites d’apres le principe Newto-
nien de la gravitation universelle, Londres 1857.
150) Hansen (Fußn. 149), p. 4, nach Reduktion des dortigen log sinp =
log 56’ 59.57 auf p selbst.
151) Newcomb, Fund. Const. (s. Fußn. 13), p. 194.
9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9b. Die Sonne 73
hinreichender Übereinstimmung mit dem Ergebnis der trigonometri-
schen Methode ®?).
9b. Die Sonne. Das Problem der Bestimmung der Sonnen-
parallaxe ist seit den Zeiten des Aristarch eins der berühmtesten in
der Astronomie und kann auch heutzutage noch nicht als mit der
wünschenswerten Schärfe gelöst gelten. Die direkte trigonometrische
Methode versagt hier, da einmal die Sonnenbeobachtungen an sich
nahezu dieselben Schwierigkeiten wie die des Mondes bieten, ferner
die thermischen Einflüsse, die sie auf die Meßwerkzeuge und die
sie umgebenden Luftschichten ausübt, systematische Fehlerquellen er-
zeugen, und vor allem der zu messende Betrag nur wenige Bogen-
sekunden beträgt. Man ist demnach auf indirekte Methoden, auf eine
Kombination der trigonometrischen Methode mit der gravitations-
theoretischen, angewiesen, deren Prinzip darin beruht, die Parallaxe
eines anderen Planeten trigonometrisch zu bestimmen und unter An-
wendung des 3. Kepler'schen Gesetzes die Sonnenparallaxe daraus zu
berechnen'®®). Man überträgt die irdischen Maße zunächst trigono-
metrisch auf die Entfernung eines Planeten, von diesem nach dem
3. Kepler’schen Gesetz auf die Sonne, von dieser dann in gleicher Weise
auf die übrigen entfernteren Planeten.
Auch zur erfolgreichen Anwendung dieser indirekten Methode
eignen sich nur die uns nächsten Körper des Sonnensystems: Merkur,
Venus, Mars und einige der kleinen Planeten, bei denen die etwas
grössere Entfernung durch die größere Schärfe der Beobachtung mehr
als ausgeglichen wird.
Am nächsten der Erde kommt Venus; indessen ist sie zu den
Zeiten ihrer Erdnähe unsichtbar, und sobald sie eine meßbare Sichel
aufweist, schon in größerer Entfernung von der Erde, zugleich auch
152) Helmert 2, p. 463 gibt dieser Beziehung in der sehr angenähert rich-
tigen Form:
m sin®
== G (1 - 3) 1? p ,
n? (1 M" 5) (+ 3a — 0)
worin @ ein gewisser Mittelwert der irdischen Schwerkraft, n und n die Winkel-
geschwindigkeiten der Mond- und Erdbewegung, a die Erdabplattung, c das Ver-
hältnis der Zentrifugalkraft zur Schwerkraft am Äquator bezeichnen, und be-
rechnet aus den astronomischen Daten den Äquatorradius a der Erde.
153) In der Praxis stellt sich die Methode in der Form dar, daß die die
Störungen mit enthaltenden Ephemeriden den Abstand des betreffenden Planeten
in der mittleren Entfernung Erde-Sonne als Einheit darstellen und sonach jede
Bestimmung jenes Abstandes in irdischem Maß auch die Länge dieser Einheit
in gleichem Maß ausdrückt.
74 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
wegen dieser Sichelform schwer zu beobachten. Nur in einem Falle,
der zu historischer Berühmtheit gelangt ist, bietet Venus eine schein-
bar ausgezeichnete Gelegenheit zur Parallaxenbestimmung, nämlich
. wenn sie direkt vor der Sonnenscheibe vorübergeht und auf ihr als
dunkles Fleckchen sichtbar wird. Sie ist dann erstens in ihrer Erd-
nähe, ihre Parallaxe beinahe viermal größer als die der Sonne, dann
aber bietet hier die Sonnenscheibe jenen Hintergrund dar, auf dem
die Verschiebung des Venusscheibchens, von verschiedenen Erdorten
aus gesehen, direkt wahrgenommen und entweder mikrometrisch durch
Anschluß an den Sonnenrand gemessen oder aus der Verschiedenheit
der Eintritts- und Austrittszeiten berechnet werden kann.
Schon Halley'°*) machte vor 200 Jahren auf diese äußerst günstige
Gelegenheit aufmerksam. Indessen brachten die Venusdurchgänge von
1761 und 1769 die erste Enttäuschung, indem die von Halley auf
1° geschätzte Genauigkeit in der Fixierung der Eintritts- und Aus-
trittszeiten kaum 1” betrug. In ähnlicher Weise haben auch die
Ergebnisse der 1874 und 1882 erfolgten Venusvorübergänge, zu denen
äußerst umfangreiche Vorbereitungen getroffen waren, den hochge-
spannten Erwartungen nicht ganz entsprochen'”). Da der nächste
Venusdurchgang erst im Jahre 2004 stattfindet, scheidet diese Methode
zunächst völlig aus'®).
Was für Venus gilt, gilt in noch höherem Grade von Merkur.
Es kommt daher demnächst Mars in Frage, dessen Annäherung an
die Erde zwar nicht ganz die der Venus erreicht, aber doch bis auf
0,375 Erdbahnradien gehen kann. In älterer Zeit wandte man auf
ihn die absolute Methode an, indem man ähnlich wie beim Monde
aus den Differenzen der in möglichst verschiedenen geographischen
Breiten beobachteten Deklinationen die Entfernung berechnete. Diese
Methode war die erste, die zu näherungsweise richtigen Werten der
Sonnenentfernung führte”).
154) E. Halley, De visibili conjunctione inferiorum Planetarum cum Sole,
Lond. Phil. Trans. 1691, p. 511 [abr. 3, p. 448, engl.] und Methodus singularis
qua Solis parallaxis, ope Veneris intra Solem conspiciendae tuto determinari
poterit, Lond. Phil. Trans. 1716, p. 454 [abr. 6, p. 243, engl.].
155) A. Auwers, Die Venusdurchgänge 1874 und 1882, Bericht über die
deutschen Beobachtungen, 1—6. Berlin 1887—1898.
156) Vgl. bezüglich der sehr umfangreichen Literatur über Venusdurch-
gänge Wolf, Handb. 2, p. 252—257.
157) Vgl. über die 1672 von der französischen Akademie zur Beobachtung
der Mars-Opposition nach Cayenne gesandte Expedition J. Richer’s und die von
ihr erhaltenen Ergebnisse Wolf, Handb. 2, $ 441, p. 236 ff. In neuerer Zeit ist
die Methode in verbesserter Form auf Th. Winnecke's Vorschlag wieder zur An-
9. Die Bestimmuug der Entfernungen der Gestirne. 9b. Die Sonne. 75
Später ist man dann zu dem mikrometrischen Anschluß des
Mars") und einiger kleinen Planeten‘°’) an benachbarte Fixsterne
übergegangen. Dabei hat man sowohl Deklinationsmessungen auf nörd-
lich und südlich gelegenen Sternwarten, wie auch Beobachtungen auf
einer Sternwarte in möglichst verschiedenen Stundenwinkeln angestellt
und ganz neuerdings !%) auch die photographische Beobachtung in An-
wendung gebracht. Bisher bildet den Höhepunkt der zur Bestimmung
der Sonnenparallaxe nach der trigonometrischen Methode angestellten
Bemühungen die von Gill ins Werk gesetzte Kooperation verschiedener
Sternwarten zur heliometrischen Beobachtung der kleinen Planeten
Iris, Vietoria und Sappho gelegentlich ihrer Opposition in den Jahren
1887 und 1888"), deren Erfolg ungewöhnlich groß war.
Eine besonders günstige Gelegenheit eröffnete die Entdeckung
des kleinen Planeten Eros im Jahre 1898, dessen Annäherung an die
Erde bis auf 0.15 der mittleren Sonnenentfernung gehen kann. In-
dessen sind die Ergebnisse des umfangreichen Zusammenwirkens zahl-
reicher Sternwarten gelegentlich der günstigen Eros-Opposition 'des
Winters 1900/01 noch nicht zu übersehen !°?).
‚So große Fortschritte neuerdings die Bestimmung der Sonnen-
parallaxe durch die Beobachtung der kleinen Planeten gemacht hat,
so wird man sich doch bei der Bestimmung einer so fundamentalen
Größe nicht auf eine einzige Methode beschränken, die leicht systema-
tischen Fehlern ausgesetzt sein kann'“), sondern eine Kontrolle durch
wendung gelangt; vgl. z.B. Th. Winnecke, Vorläufige Ableitung der Sonnen-
parallaxe aus den Pulkowaer und Cap-Beobachtungen der Mars-Opposition 1862,
Astr. Nachr. 59 (1863), p. 264.
158) D. Gill, Lond. Astr. Soc. Mem. 46 (1881), p. 1.
159) J.@. Galle, Über die Anwendung der kleinen Planeten zur _Ermittelung
des Wertes der Sonnenparallaxe, Astr. Nachr. 80 (1873), p. 1, sowie neben
weiteren Aufsätzen in den Astr. Nachr.: Über eine Bestimmung der Sonnen-
parallaxe aus korrespond. Beobachtungen des Planeten Flora, Breslau 1875.
160) Bei der Eros-Opposition 1900/01.
161) D. Gill, A determination of the solar parallax and mass of the moon
from heliometer observations of the minor planets Iris, Vietoria, Sappho, made
in the years 1888 and 1889, 2 vols., Cape Obs. ann. 6 (1897) u. 7 (1896).
162) Vgl. Conference astrophotographique internationale de Juillet 1900,
Cireulaire Nr. 1 und die seither erschienenen Circulaires Nr. 2—10 (publides par
M. Loewy), Paris 1900—03.
163) Besonders zu befürchten ist bei den Beobachtungen in verschiedenen
Stundenwinkeln und von verschiedenen Erdorten aus der Einfluß der Refraktion,
insbesondere, wenn die Farbengattung des Planeten eine andere ist als die der
Vergleichssterne; vgl. darüber @:Il, 1. e. Fußn. 161, I, part. 6, p. 7, und Neweomb’s
Kritik der verschiedenen Methoden in Newcomb, Fund. Const., s. Fußn. 13).
76 VI2,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
andere Methoden als wünschenswert erachten. Diese beruhen, wie
erwähnt, einmal in der Verfolgung der Wirkungen des Gravitations-
gesetzes in den wahrnehmbaren Bewegungsvorgängen und der Er-
scheinungen, die aus der Endlichkeit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit
des Lichts hervorgehen.
Die eigentliche Aufgabe der trigonometrischen Methode, die
Gravitationskonstante k? zu bestimmen, kann ähnlich wie bei der An-
wendung auf die Mondparallaxe auch durch irdische Beobachtungen
in Angriff genommen, d. h. die Sonnenparallaxe durch Vergleichung
der irdischen Schwerkraft mit der Sonnenanziehung abgeleitet werden.
Die dazu erforderliche Kenntnis der Erdmasse entnimmt Newcomb den
Störungen der andern Planeten '%). Eine fernere Gelegenheit zur Be-
stimmung der Sonnenparallaxe bietet die Bewegung des Mondes, in
welcher ein der Sonnenanziehung entstammendes Störungsglied monat-
licher Periode, die sogenannte parallaktische Ungleichheit, auftritt.
Durch den großen Wert, den sie besitzt, nach Newecomb !%) 124”.66,
würde sie eine sehr sichere Bestimmung der Sonnenparallaxe ermög-
lichen, wenn nur die Schwierigkeit der Beobachtung des Mondortes
und die dabei auftretenden systematischen Fehler diesen Vorteil würden
ausnützen lassen. Neuerdings haben Battermann‘‘) durch Beobach-
tung von Sternbedeckungen und Franz’) durch Beobachtung eines
Mondkraters an Stelle der Mondränder hierin wesentliche Fortschritte
erzielt.
Die Kenntnis der Mondentfernung läßt sich ebenfalls zur Be-
stimmung der Sonnenparallaxe verwerten, zwar nicht direkt durch
das 3. Kepler’'sche Gesetz, da dieses vielmehr besser zur Ableitung
der Erdmasse dient), sondern durch ein Störungsglied der Erd-
bewegung, die sogenannte Mondgleichung. Der Erdmittelpunkt be-
schreibt in einem Monat um den gemeinsamen Schwerpunkt des
Systems Erde-Mond eine kleine Ellipse, deren lineare Dimensionen
164) Neweomb, Fund. Const. (s. Fußn. 13), p. 123. Er leitet dort den
stark abweichenden Wert po = 8'759 ab und diskutiert eingehend die mög-
lichen Fehlerquellen des Werts der Erdmasse, der im wesentlichen auf der Knoten-
bewegung der Venus, abgeleitet aus den Durchgängen von 1761 und 1769, beruht.
165) Newcomb, Fund. Const. (s. Fußn. 13), p. 190.
166) H. Battermann, s. Fußn. 147), p. 165.
167) J. Franz, Königsberger Meridianbeobachtungen von Mösting A, Astr.
Nachr. 136 (1894), p. 353.
168) P. S. de Laplace, Sur quelques points du systeme du monde, Paris
hist. (2) mem. 1789, auch Oeuvres 11 (1895), p. 490 bestimmte die Erdmasse auf
Grund der Sonnenparallaxe und der Pendellänge; die Angabe in Wolf, Handb.
2, p. 258 ist irreführend
9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9b. Die Sonne. 77
in irdischem Maße nur von dem Massenverhältnis beider Körper und
der Mondentfernung abhängen. Diese periodische Bewegung des
Erdzentrums ruft entsprechende scheinbare Bewegungen der anderen
Himmelskörper hervor, deren Beobachtung die Entfernung des Objekts
liefert. Obgleich der Effekt für die Sonne nur auf + 6.5 steigt,
also kleiner als die Sonnenparallaxe selbst ist, haben ihn doch, da es
sich um eine monatliche Periode handelt, schon Laplace und nach ihm
Leverrier und Newcomb ziemlich sicher aus Beobachtungen der Sonne
selbst ermitteln können. Besser noch bestimmt man ihn aus Beob-
achtungen der anderen uns besonders nahen Gestirne, wie Gill dies
vorschlug 6). Neuerdings zieht man es vor, die Mondgleichung zur
Ableitung der Mondmasse zu verwenden!) und eventuell daraus die
Nutationskonstante zu bestimmen '”!),
Die Kenntnis der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts!'?)
läßt sich in verschiedener Art zur Ableitung der Sonnenentfernung
verwerten; einmal gibt die Beobachtung der Verfinsterungen der
Jupitertrabanten die Zeit, welche das Licht braucht, die Erdbahn zu
durchlaufen, und damit die Dimensionen dieser Bahn selbst!?). Ferner
finden wir durch Bestimmung der Aberrationskonstante die Geschwin-
digkeit der Erde in ihrer Bahn (im Verhältnis zur Lichtgeschwindig-
keit) und damit wieder die Dimensionen dieser Bahn.
Der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts allgemein angenommene
Wert der Sonnenparallaxe war
2, = 8".578.
Er entstammte der Berechnung der Venusdurchgänge von 1761
und 1769, welche Encke!*) ausgeführt hat. Im Jahre 1867 unter-
nahm Newcomb"") eine umfangreiche Diskussion aller Bestimmungen
169) D. Gill, Remarks on the best methods of determining the positions of
the planets by observation, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 54 (1894), p. 351.
170) Z.B. D. @ill, Cape Obs. ann. 6, Part 6, p. 11.
171) Vgl. K. Laves, Der Koeffizient der sog. lunaren Gleichung der Erd-
bewegung, Astr. Nachr. 132 (1893), p. 177, und On the determination of the
principal term of the nutation, Astron. Journ. 14 (1895), p. 33.
172) Über die Bestimmung derselben vgl. Wolf, Handb. 2, p. 286 ff.
173) Dieselbe Betrachtung führte i. J. 1675 Olaus Römer dazu, die Endlichkeit
der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts zu erweisen; vgl. O. Römer, Demon-
stration touchant le mouvement de la lumiere, Paris hist. (1) 1 u. 10, 1733 u. 1730.
174) J. F. Encke, Die Entfernung der Sonne von der Erde aus dem Venus-
durchgange von 1761 hergeleitet, Gotha 1822, und: Der Venusdurchgang von
1769, Gotha 1824.
175) $. Newcomb, Investigation of the distance of the sun and of the elements
which depend upon it, Wash. obs. 1865, app. 2.
78 VIe,2. F. Cohn. Reduktion der astronomischen Beobachtungen.
der Sonnenparallaxe, die ihn zu dem Werte po = 8”.848 führte. Die
neueren Bestimmungen ergaben größtenteils wieder eine merkliche
Verkleinerung dieses Wertes, sodaß die Pariser Konferenz von 1896176)
nach einer neuen Diskussion Newcomb’s!"”) den seitdem angenom-
menen Wert
Po = 8”,800
für die Anwendung in den Jahrbüchern festsetzte. Eine ausführliche
Zusammenstellung aller stimmfähigen Werte gibt Newcomb'"®).
9c. Die Fixsterne. Zur Messung der Entfernung der Fixsterne
kann man praktisch nur durch die Zwischenstufe der mittleren Sonnen-
entfernung gelangen, indem man dabei als Basis die Bahn benutzt,
welche die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne den Beobachter
beschreiben läßt. Auch diese Basis hat freilich Jahrhunderte hin-
durch nicht genügt, um eine sichere Fixsternparallaxe zu bestimmen,
und reicht auch heutzutage trotz der so wesentlich gesteigerten Ge-
nauigkeit der astronomischen Beobachtungen nur für die uns nächsten
Fixsterne aus. Insbesondere für die zunächst versuchte Bestimmung
absoluter Fixsternparallaxen erwies sich die Beobachtungsgenauigkeit
als unzureichend”®). Erst der Versuch, die mikrometrische Messungs-
methode zur Bestimmung relativer Parallaxen in der Art zu verwerten,
daß man den Parallaxenstern an Vergleichssterne anschloß, die man
als wesentlich weiter entfernt ansah, führte Bessel und W. Struve zu
den ersten einigermaßen Vertrauen verdienenden Werten. Insbesondere
war es Bessel, der durch seine heliometrische Bestimmung der Parallaxe
von 61 Cygni bahnbrechend auf diesem Gebiete wirkte'?).
Seitdem haben zahlreiche Beobachter nach verschiedenen Methoden
an verschiedenen Instrumenten — am Heliometer durch Distanz-
differenzen'#'), am Refraktor durch Deklinationsanschluß '#?), am Me-
176) s. Fußn. 62).
177) $. Newcomb, Fund. Const. (3. Fußn. 13), chapter VII.
178) Newcomb, Fund. Const. '?), p. 157, und in anderer Anordnung p. 166.
179) Über diese Versuche (von Tycho Brahe, Hooke, Picard, Flamsteed,
Cassini, Römer, Bradley, Piazzi, Brinkley, Bessel usw.) vergleiche (©. A. F'. Peters,
Recherches sur la parallaxe des &toiles fixes, St. P6tersbourg 1848, auch enthalten
in: Recueil de M&moires presentes & l’Acad&mie des sciences par les astronomes
de Poulkova 1, St. Petersbourg 1853.
180) F. W. Bessel, Bestimmung der Entfernung des 61. Sternes des Schwans,
Astr. Nachr. 16 (1839), p. 65; und Fernere Nachricht von der Bestimmung der
Entfernung von 61 Cygni, Astr. Nachr. 17 (1840), p. 257.
181) Insbesondere sind hier die Arbeiten von Bessel, Schlüter, Wichmann,
Winnecke, Krüger, Auwers aus früherer Zeit, Gill, Elkin, Peter aus neuester
zu nennen. 182) Zuweilen auch durch Distanz und Positionswinkel.
9. Die Bestimmung der Entfernungen der Gestirne. 9c. Die Fixsterne. 79
ridiankreis durch Rektaszensionsdifferenzen'®), endlich auch durch
Photographie '#) — die Parallaxenbestimmung in Angriff genommen, in-
dessen bisher nur verhältnismäßig wenig Werte mit Sicherheit be-
stimmen können '#).
Für die Verwertung der weit größeren Basis, welche die fort-
schreitende Bewegung des ganzen Sonnensystems mit der Zeit erzeugt,
zur Parallaxenbestimmung besteht ein großes Hindernis in den Eigen-
bewegungen der Gestirne. Während der Effekt der jährlich-periodischen
Erdbewegung auf die Sternörter sich von diesen wesentlich linearen
Bewegungen trennen läßt, sobald die Beobachtungen sich mindestens
über ein Jahr erstrecken, vermischt sich die säkulare Bewegung völlig
mit ihnen. Erst wenn die von diesen an sich als geradlinig-gleich-
förmig vorausgesetzten Bewegungen (des Sonnensystems, wie der
Fixsterne) in den Richtungskoordinaten erzeugten quadratischen Zeit-
glieder merklich werden, ist an eine Bestimmung der Fixsternparallaxen
auf diesem Wege zu denken'®®). Dabei würde dann immer noch die
Voraussetzung selbst unrichtig sein und eine Krümmung der Bahn
der Sonne oder des Fixsterns die Ursache der scheinbar der Zeit
nicht proportionalen Eigenbewegung sein können.
183) J. ©. Kapteyn, Bestimmung von Parallaxen durch Registrierbeobach-
tungen am Meridiankreise, Leiden Sternw. Ann. 7 (1897), p. 117.
184) Die ersten Versuche stellte H. Jacoby, The parallaxes of u and #
Cassiopejae, N. York Ann. 8, auch Columb. Contrib. 5 (1893) an. Eine eigenartige
Methode wandte J. ©. Kapteyn, The parallax of 248 stars on the region around
BD -+ 35°4013, Groningen Labor. Publ. 1 (1900), mit Erfolg zur Parallaxenbestim-
mung aller auf einer photographischen Platte enthaltenen Sterne an.
185) Eine bis zum Jahre 1889 gehende Zusammenstellung aller einiger-
maßen zuverlässigen Parallaxenbestimmungen, von denen sich allerdings seitdem
ein großer Teil als noch ganz unsicher erwiesen hat, gibt J. A. ©. Oudemans,
Übersicht der in den letzten 60 Jahren ausgeführten Bestimmungen von Fixstern-
parallaxen, Astr. Nachr. 122 (1889), p. 193.
186) Den ersten Versuch hierzu machte, wie schon früher erwähnt, F. Risten-
part, s. Fußn. 127).
(Abgeschlossen im Juni 1905.)
80 VIe,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
VI2,3. GEOGRAPHISCHE ORTSBESTIMMUNG,
NAUTISCHE ASTRONOMIE.
Von
C. W. WIRTZ
IN STRASSBURG I. E.
Inhaltsübersicht.
Literatur.
I. Allgemeine Lehrbücher.
II. Monographien.
III. Nautische Astronomie.
Einleitung.
1. Begrenzung des Themas.
2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge.
8. Einfluß der Erdfigur bei Ortsbestimmungen.
I. Zeitbestimmung.
A. Durch Höhen.
4. Eine einzelne Höhe.
5. Korrespondierende Höhen.
6. Gleiche Höhen verschiedener Gestirne.
7. Eine Höhendifferenz.
B. Durch Azimute.
8. Im Meridian.
9. Im Vertikal des Polarsterns.
10. In beliebigem Azimut; Olbers’sches Verfahren.
11. Mehrere Azimute.
12. Näherungsmethoden.
13. Azimut-, Höhen- und Zeitdifferenz.
II. Polhöhenbestimmung.
14. Meridianhöhe.
15. Circummeridianhöhe,
16. Polarishöhe.
17. Zweihöhenproblem, Spezialfülle und verwandte Aufgaben.
15. Gauß’sche Methode,
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
46.
47.
48.
49.
50.
Inkalteäbenkicht: 8i
Drei Höhen.
Horrebow-Taleott'sche Methode.
Durchgänge durch den Ersten Vertikal.
Digressionen.
Absolute Methoden.
Instrumente zur Beobachtung gleicher Höhen.
Photographische Methoden.
III. Längenbestimmung.
A. Durch gleichzeitige Signale. *)
Mondfinsternisse, Verfinsterungen*) der Jupitersatelliten.
Sternschnuppen.
Künstliche Signale.
B. Durch Zeitübertragungen.
Chronometerreisen.
Telegraph.
C. Auf den Mondort gegründete Methoden. **)
Mondkulminationen.
Mondhöhen.
Monddistanzen.
Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse.
Verwandte Okkultationsphänomene.
IV. Azimutbestimmung.
Allgemeiner Weg.
Spezielle Methoden.
V. Nautische Astronomie.
Die Kimm und ihr Verhalten.
Instrumente zur Bestimmung und Elimination der Kimmtiefe.
Begriff der Standlinie und ihre Festlegung.
Zweihöhenproblem nach der Standlinienmethode.
Drei oder mehr Standlinien.
Standlinie für eine Höhendifferenz.
Berechnung der Höhe, Höhentafeln.
Gebrauch der Merkatorfunktion.
Azimuttafeln.
Ortsbestimmung mit Hilfe der erdmagnetischen Elemente.
Aeronautische Astronomie.
VI. Anhang.
Die sphärischen Grundformeln der geographischen Ortsbestimmung.
Weitere Literatur.
*) Vorübergänge der Planeten oder Satelliten siehe Nr. 35.
**) Photographische Methoden siehe Nr. 25.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 6
82 VI, 3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Literatur.
I. Allgemeine Lehrbücher.
J. @. F. Bohnenberger, Anleitung zur geographischen Ortsbestimmung vorzüglich
mittels des Spiegelsextanten, Göttingen 1795, 2. Aufl. bearbeitet von @. A.
Jahn, Göttingen 1852 (Bohnenberger).
A. Sawitsch, Abriß der praktischen Astronomie, vorzüglich in ihrer Anwendung
auf geographische Ortsbestimmung, übersetzt von W. C. Götze, Hamburg
1850—51, 2. Aufl. von €. F. W. Peters, Leipzig 1879 (Sawitsch). (Das
russische Original erschien Petersburg 1845.)
F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berlin 1881 (Brünnow).
W. Chauvenet, A manual of spherical and practical astronomy, 2 vols., Phila-
delphia 1863, 5!" ed. 1885, 1893, 1900 (5% ed.: Chauvenet).
W. Jordan, Grundzüge der astronomischen Zeit- und Ortsbestimmung, Berlin 1885.
J. P. Herr, Lehrbuch der sphärischen Astronomie in ihrer Anwendung auf geo-
graphische Ortsbestimmung. Vollendet von W. Tinter, Wien 1887.
S. Günther, Handbuch der mathematischen Geographie, Stuttgart 1890 (Günther).
W. F. Wislicenus, Handbuch der geographischen Ortsbestimmungen auf Reisen,
Leipzig 1891.
G. V. Schiaparelli, Sulla determinazione della posizione geografica dei luoghi per
mezzo di osservazioni astronomiche. Litografia dell’ Istituto geografico mili-
tare, Firenze 1896.
II. Monographieen.
C. F. Gauß, Methodum peculiarem elevationem poli determinandi explicat,
Göttingen 1808 — Gauß’ Werke 6 (1874), p. 37 (Gauß, Method. pecul.).
A. F. Möbius, De computandis occultationibus fixarum per planetas, Lipsiae 1815.
F. W. Bessel, Analyse der Finsternisse, erschien in Bessel, Astron. Untersuch.,
Bd. 2, p. 95, Königsberg 1842. Abgedruckt in Bessel, Abhdl., Bd. 3, p. 369.
P. A. Hansen, Theorie der Sonnenfinsternisse und verwandten Erscheinungen,
Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 4 (1859).
W. Döllen, Die Zeitbestimmung vermittelst des tragbaren Durchgangsinstrumentes
im Vertikale des Polarsternes, 2 Teile, St. Petersburg 1863 und 1874.
N. Zinger, Die Zeitbestimmung aus korrespondierenden Höhen verschiedener
Sterne (russ.), Petersburg 1874; Referat: Astr. Ges. Vjs. 9 (1874), p. 155;
deutsch von H. Kelchner, Leipzig 1877 (Zinger).
P. Harzer, Über geographische Ortsbestimmungen ohne astronomische Instru-
mente, Berlin 1896 (Harzer, Ortsbest., vgl. Fußn. 38).
— Zeitbestimmung im Vertikal des Polarsterns, Kiel Sternw. Publ. 10 (1899).
III. Nautische Astronomie.
N. Bowditch, The improved practical navigator. Revised by Th. Kirby, London
1802. — The american practical navigator. Revised by P. H. Cooper and
@G. W. Logan, Washington 1904.
C. Rümker, Handbuch der Schiffahrtskunde, Hamburg 1820. 6. Aufl. 1857.
H. Raper, The practice of navigation and nautical astronomy, London 1840.
19 ed. 1891.
A. Breusing, Kleine Steuermannskunst, Bremen 1852. Breusing’s Steuermanns-
kunst, hrsg. von (©. Schilling, 7. Aufl. Leipzig 1904.
1. Begrenzung des Themas. 2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge. 83
M. F. Albrecht und C. $. Vierow, Lehrbuch der Navigation und ihrer mathe-
matischen Hülfswissenschaften, Berlin 1854. 8. Aufl. bearbeitet von @. Holz, 1900.
@. D. E. Weyer, Vorlesungen über nautische Astronomie, Kiel 1871.
Y. Villarceau et A. de Magnac, Nouvelle navigation astronomique, Paris 1877.
Teil I: Theorie, Teil II: Pratique (Villarceau-de Magnae).
A. Roth, Lehrbuch der astronomischen Navigation, Fiume 1898 (Roth, Navig.).
F. Bolte, Neues Handbuch der Schiffahrtskunde, Hamburg 1899.
Lehrbuch der Navigation. Herausgegeben vom Reichs-Marine- Amt, 3 Bde.,
Berlin 1901 (Reichs- Marine- Amt, Navig.).
Einige weder hier noch in den Fußnoten zitierte Schriften sind an den
Schluß (Nr. 50) des Artikels verwiesen; das Gleiche gilt von der Zusammen-
stellung der Tafelwerke und Ephemeriden. —
Zahlreiche Literaturnachweise gibt Rudolf Wolf, Handbuch der Astronomie,
2 Bde., Zürich 1890/93 (Wolf, Handb.), in den Abschnitten XIV, XVI, XVII.
Einleitung.
l. Begrenzung des Themas. Die geographische Ortsbestimmung
stellt sich vor allen Dingen in den Dienst der Erdkunde und Geo-
däsie; für die Astronomie im engeren Sinne ist die Disziplin nur von
untergeordneter Bedeutung. Da sie sich aber ausschließlich astrono-
mischer Daten zur Lösung der ihr erwachsenden Aufgaben bedient,
hat man sie von alters her im Anschluß an die Astronomie behandelt,
und zwar an dasjenige Kapitel der Hımmelskunde, dem die geogra-
phische Ortsbestimmung einzig ihre Elemente und Hilfsmittel ent-
lehnt, der sphärischen Astronomie. Das Hauptziel des vorliegenden
Abrisses soll nun darin bestehen, die Grundlehren der Ortsbestimmung
kurz darzustellen und unter den zahlreichen Methoden nicht nur jene
herauszugreifen, die unmittelbar aus den Grundanschauungen hervor-
gehend als klassische oder fundamentale bezeichnet werden, sondern
auch von den andern die, welche für irgend einen Zweig des Wissens
und der Technik unter Umständen von Bedeutung sein mögen.
2. Definition von Polhöhe, Zeit und Länge. Die Lage eines
Punktes auf der Erdoberfläche ist durch zwei sphärische Koordinaten
eindeutig definiert, deren eine (Breite) die Entfernung vom Äquator
im Bogen größten Kugelkreises darstellt und deren andere (Länge) der
im Parallelkreis gemessene Winkelabstand vom Ausgangsmeridian ist.
Die Zeit dient bei den Rechnungen zur geographischen Ortsbestimmung
nie als Selbstzweck, sondern nur als Durchgangselement.
Unter geographischer Breite oder Polhöhe verstehen wir die Dekli-
nation des Zenits des Beobachtungsortes.
Sternzeit ist der Stundenwinkel des Frühlingspunktes, oder die
Rektaszension des Zenits des Beobachtungsortes. Mit wahrer Sonnenzeit
6*
84 VI»,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
bezeichnen wir den Stundenwinkel der wahren Sonne, mit mittlerer
Sonnenzeit den Stundenwinkel der mittleren Sonne. Die Differenz
mittlere Sonnenzeit minus wahre Sonnenzeit heißt Zeitgleichung.
Geographische Länge ist der Winkel, den die Meridianebenen
zweier Orte untereinander einschließen. Während also den Ausgangs-
punkt für die Breite, die Breite Null, die Natur selbst schafft, unter-
liegt der Nullmeridian der Willkür. Im Altertum, z. B. bei Marinus
und Ptolemäus, war es der etwa einen Grad westwärts von den glück-
seligen Inseln (wahrscheinlich die Kap-Verden) verlaufende Meridian,
die Araber des Mittelalters blieben entweder bei den Säulen des
Herkules und den Fortunaten stehen oder zählten nach dem Vor-
gange Zarquala’s (Arzachel) die Längen vom weltteilenden Meridian
von Arin oder richtiger Azin aus, den sie genau 10° östlich von
Bagdad festsetzten; die Seefahrer und Kartenzeichner des 16. und
17. Jahrhunderts zogen ihren ersten Meridian abwechselnd durch die
Azoren, die Kanarischen und die Kapverdischen Inseln; Atlanten des
17. und 18. Jahrhunderts adoptieren den durch den Pik von Teneriffa
gelegten als Nullmeridian, der insbesondere bei den Holländern zu
Abel Tasman’s und Nikolaus Vischer’s Zeiten Aufnahme fand. Lange
Zeit beherrschte der Meridian von Ferro das Feld, den eine im Juli
1630 zu Paris stattgehabte Versammlung von Astronomen und Mathe-
matikern in Vorschlag brachte. Allmählich wurde indes seine Defi-
nition dahin gebräuchlich, daß er genau 20° westlich von Paris ver-
laufen solle, d. h. er bedeutet im Grunde den verkappten Pariser
Meridian!). Heutigentages endlich erfreut sich der Greenwicher Me-
ridian fast allgemeiner Anerkennung”), sowohl bei geodätischen Ope-
rationen, als auch vor allem in der nautischen Praxis. Selbst Frank-
reich bekennt sich neuerdings zur Greenwicher Zeit, die durch die
Chambre des deputes am 24. Februar 1898 in folgender bemerkens-
werten Fassung angenommen wurde: „L’heure legale, en France et
en Algerie, est l’'heure temps moyen de Paris, retardee de 9” 21°.?)
1) Vgl. Gehler’s physikal. Wörterbuch, 2. Aufl. Bd. 6, Leipzig 1831; E. Müller,
Longitudinum geographicarum gradus num astronomicis et quibus methodis usi
veteres Arabique determinaverint, Berolini 1862; ferner O. Peschel, Geschichte der
Erdkunde, München 1877.
2) Unification des longitudes par l’adoption d’un meridien initial unique,
Berlin 1884, Abdruck aus: Verh. 7. Allg. Conf. Erdm., Berlin 1884, 1. u. 9. Sitzung.
3) Geographisches Jahrbuch 26, Gotha 1904, p. 364. Das Annuaire du
bureau des longitudes hingegen definiert noch immer unter Berufung auf das
Gesetz vom 15. März 1891 die mittlere Zeit von Paris als gesetzliche Zeit von
Frankreich und Algier (z.B. annuaire pour 1905, Paris 1905, p. 546).
3. Einfluß der Erdfigur. 4. Zeitbestimmung aus einer Höhe. 85
Wie man die Breiten vom Äquator aus nach Nord (+) und nach
Süd (—) bis zu den Polen (90°) durchzählt, so pflegt man die
Längen vom ersten Meridian aus nach Osten (+) und nach Westen (—)
bis 180° zu rechnen. Der Halbmeridian 180° von Greenwich dient
den Seefahrern als Datumgrenze; auf der Fahrt von Ost nach West
überschlägt man einen Tag und von West nach Ost segelnd nimmt
man ein Datum zweimal nacheinander.
3. Einfluß der Erdfigur bei Ortsbestimmungen. Auf die von
der mathematischen abweichende dynamische Erdfigur braucht bei
astronomischen Ortsbestimmungen keine Rücksicht genommen zu wer-
den. Denn wir verlangen stets nur die Kenntnis der Deklination des
Lotes auf die für den Beobachtungsort geltende Niveaufläche. Auf-
gabe der Geodäsie ist es, die Abweichung der Niveaufläche des Geoids
in Beziehung zu setzen zum Referenzellipsoid, dessen Konstanten zu-
meist nach Bessel angenommen werden. Das Referenzellipsoid reicht
auch vollständig hin zur scharfen Berechnung der parallaktischen
Wirkung, i. e. der kleinen Verschiebung, die ein Gestirn an der
Himmelssphäre erleidet, jenachdem ich es vom Beobachtungsort oder
vom Erdmittelpunkt aus betrachte.
I. Zeitbestimmung.
A. Durch Höhen.
4. Eine einzelne Höhe. Die Ermittlung der Zeit läuft auf die
Ableitung des Stundenwinkels des Frühlingspunktes hinaus. Jedes
seiner Beziehung zum Frühlingspunkt nach bekannte Gestirn kann
demnach dieser Absicht dienen.
Die einfachste mit den geringsten Beschränkungen verknüpfte
Methode besteht in der Beobachtung der Höhe oder Zenitdistanz eines
an sich beliebigen Himmelskörpers. Aus dem astronomischen Grund-
dreieck Pol-Zenit-Stern, dessen drei Seiten (Zenitdistanz, Poldistanz
und Komplement der Breite) nun bekannt, läßt sich der Stunden-
winkel, i. e. der Winkel am Pol auswerten, und die Beobachtungs-
fehler üben offenbar dann ihren geringsten Einfluß auf das Resultat
aus, wenn der Stern so steht, daß zu einer bestimmten Änderung
des Stundenwinkels die größtmögliche Höhenänderung gehört. Dies
tritt beim Durchgang durch den ersten Vertikal ein, das heißt, wenn
das Azimut 90° beträgt. Gleichzeitig erzielen wir den Vorteil, daß ein
Fehler in der angenommenen Breite das Ergebnis auf die kleinste
Weise entstellt. Bei rationeller Anwendung der Methode darf man
86 VIe,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
somit vom ersten Vertikal sich nicht allzuweit entfernen, und unter
dieser Voraussetzung vereinfachen sich auch die Formeln um ein
weniges, da man dann, wie Donner*) zeigt, von dem rechtwinklig-
sphärischen Dreieck ausgehen und die Abweichungen vom idealen
Fall durch einfache Reihenentwickelung darstellen darf.
Natürlich beschränkt man sich nicht auf eine Höhe, sondern
nimmt deren mehrere, und zwar bei Gebrauch eines Universalinstru-
mentes mit ein- oder mehrmaligem Durchschlagen des Fernrohrs zur
Elimination des Zenitpunktes des Teilkreises; beim Spiegelsextanten
bestimme man den Indexfehler vor und nach der Beobachtungsreihe
und setze inmitten derselben das Glas- oder Glimmerdach des Queck-
silberhorizontes um. Bei der Sonne sind beide Ränder wechselweise
einzustellen, um die persönlichen Auffassungsfehler, die einen von
der Ephemeride abweichenden Sonnenradius hervorrufen, heraus-
zuschaffen. Das Gleiche gilt in einem kräftigen Fernrohr für die
Planeten mit merklichem Durchmesser. Dagegen steht bei Mond
und Venus (und Merkur) immer nur ein beleuchteter Rand zur Ver-
fügung. Außer den Instrumentalfehlern bringt man an die Höhen
Parallaxe und Refraktion an und kann dann zur Berechnung des
Stundenwinkels schreiten, entweder für jede Höhe getrennt — und
dies gewährt die Annehmlichkeit, daß man die innere Genauigkeit
der Beobachtung aus der Übereinstimmung der Einzelwerte abzu-
schätzen vermag — oder man vereinigt sofort die Uhrzeiten und die
zugehörigen Zenitdistanzen zu je einem Mittel, hat aber noch ent-
weder an den gefundenen Stundenwinkel oder zuvor an die Mittel-
höhe eine Verbesserung anzubringen°), die um so kleiner sich ergibt,
je rascher die Messungen aufeinander folgen und je näher ihre Mittel-
zeit dem ersten Vertikal liegt.
Ist der Stundenwinkel bekannt, so geht daraus durch Hinzu-
fügung der Rektaszension des Sternes die Sternzeit der Beobachtung
hervor, deren Vergleich mit der nach Sternzeit regulierten Beobach-
tungsuhr deren Stand ergibt. Geht die Uhr nach mittlerer Zeit, so
ist die gefundene Sternzeit mit Hilfe der Angaben der Ephemeriden
in mittlere Sonnenzeit umzusetzen. Ähnlich bleibt das Verfahren,
wenn die Sonne beobachtet worden; man geht alsdann mittels der
Zeitgleichung von wahrer Zeit, gleich dem Stundenwinkel der Sonne,
auf mittlere und dann eventuell auf Sternzeit über.
4) A. Donner, Formeln und Tafeln zur Berechnung von Zeitbestimmungen
durch Höhen in der Nähe des I. Vertikals, Helsingfors 1890.
5) Siehe z. B. Brünnow, p. 267; ferner J. Soldner, Berl. astr. Jahrb. für 1818,
p- 123.
5. Zeitbestimmung aus korrespondierenden Höhen eines Gestirns. 87
Für die Zwecke des bürgerlichen Lebens und den Liebhaber der
Astronomie empfiehlt sich zur beiläufigen Bestimmung der Uhr-
korrektion ein von Eble®) konstruierter Holzsextant, dessen Teilung
schon Rücksicht nimmt auf die mittlere Refraktion. Ein graphisches
Netz macht sphärische Rechnung überflüssig und gestattet mit zu-
länglicher Schärfe den Stundenwinkel an einem Lineal abzulesen.
Ebles Vorgänger war F. ©. Müller‘), der einen ähnlichen Sextanten
herausgab, die Rechnung aber nicht durch ein Diagramm, sondern
durch umfangreiche Tafeln umging, die direkt die wahre Sonnenzeit
zu jeder Höhe für jeden Tag des Jahres enthalten. Sehr nahe ver-
wandt mit den Müller'schen Tafeln sind die später von M.R. Pressler®)
veröffentlichten, während O0. Müller’s?) Tafeln bei genauer Rechnung
nur eine geringe Zeitersparnis gewährleisten. Tafeln zur Bestimmung
der Zeit nach Sonnenhöhen bilden auch den Anhang zu 0. Bremiker’s
fünfstelligen Logarithmentafeln ?°).
Will man im resultierenden Uhrstande frei werden von konstanten
Fehlern in der Höhe, so muß man die Zenitdistanzen sowohl im Ost-
als im Westzweig des Ersten Vertikals nehmen. Ist der zu befürch-
tende Fehler noch variabel mit der Höhe, so fällt er nur bei strenger
Gleichheit der absoluten Höhen heraus. Man erzielt eine beträchtliche
Vereinfachung der Rechnung, wenn in Ost und West dasselbe Gestirn
beobachtet wird.
Unter dieser Bedingung haben wir
5. Die Methode der Korrespondierenden Höhen in ihrer reinen
Gestalt vor uns, die sich bei den Astronomen des Altertums, Mittel-
alters bis tief in das 18. Jahrhundert hinein besonderer Beliebtheit
erfreute. Da ein Fixstern Ost und West vom Meridian bei absolut
gleichen Stundenwinkeln auch die gleichen Höhen erreicht, so muß
seine Kulmination in die Mitte zwischen jene beiden beobachteten
Zeiten fallen. Die Abweichung des arithmetischen Mittels jener Zeiten
gegen die durch die Rektaszension bekannte Kulminationszeit des
Gestirnes stellt mithin die Uhrverbesserung dar. Die Kenntnis der
Polhöhe spielt gar keine Rolle, die der absoluten Höhen auch nicht;
einziges Erfordernis bleibt die Konstanz der Höhen, die teils durch
6) M. Eble, Neues Zeitbestimmungswerk, Tübingen 1853.
7) F. C. Müller, Tafeln der Sonnenhöhen für ganz Deutschland. Nebst
einem in Kupfer gestochenen Sextanten, Leipzig 1791.
8) M. R. Pressler, Ein Zeitmeßknecht oder der Meßknecht als Normaluhr,
2 Teile, Braunschweig 1856.
9) O. Müller, Tavole per la determinazione del tempo, Milano 1881.
10) Berlin 1872, 5. Aufl. Berlin 1887.
88 VI2,3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Universalinstrument, teils durch Spiegelsextant, teils durch eine Gat-
tung von Apparaten erzielt werden kann, die speziell nur die Ver-
bürgung der Stabilität in Höhe beanspruchen (vergl. Nr. 24). Not-
wendige Variationen in Höhe bringen schon die zwischen Ost- und
Westdurchgang unvermeidlichen meteorologischen Verschiedenheiten
mit sich, die eine Refraktionsschwankung zum Gefolge haben, deren
Größe man den Refraktionstafeln entnimmt und in der Mittelzeit
differentiell berücksichtigt'").
Verharrt das Gestirn nicht fest an der Sphäre, sei es ein Planet
oder die Sonne, so deckt sich infolge der während kurzer Zeit als
gleichförmig anzusetzenden Deklinationsänderung die Mittelzeit nicht
mehr mit der Kulminationszeit, sondern fällt ein weniges dahinter
oder davor. Für die kleine deshalb notwendig werdende Mittags-
verbesserung, die zuerst von Euler'?) behandelt wurde, bedient man
sich heute allgemein der G@auß’schen'?) Formeln, zumal ihre Anwen-
dung einige viel verbreitete Tafeln sehr erleichtern.
Vervielfachung der Beobachtungen erreicht man bei einem Re-
flexionsinstrument dadurch, daß man die Alhidade der Reihe nach
auf volle 10- oder 20’-Striche einstellt und beim Universal oder
Theodoliten, indem man mehrere parallele Horizontalfäden einreiht,
an denen man die Antritte der Sterne oder des oberen und unteren
Sonnenrandes beobachtet. Ist einmal die Vormittagshöhe der Sonne
mißlungen, so gibt die Verbindung einer Nachmittagshöhe mit der
darauffolgenden Vormittagshöhe die Uhrzeit der wahren Mitternacht,
nachdem noch eine der Mittagsverbesserung analoge und mit Hilfe der-
selben Tafeln eruierbare Mitternachtsverbesserung'?) angebracht worden.
Zur Beobachtung korrespondierender Sonnenhöhen gab Chandler '*)
ein Instrument an, das er „Chronodeik“ nannte; es besteht aus einem
vertikal abwärts gerichteten Fernrohr, unter welchem ein drehbarer
Spiegel angebracht ist.
Für die Nautik legte Wendt") dar, wie die Fahrt des Schiffes
11) Siehe z. B. Brünnow, p. 289.
12) L. Euler, Methodus computandi aequationem meridiei, Petersbg. Commen-
tarii 8 (1736), p. 48.
13) ©. F. Gauß, Tafeln für die Mittagsverbesserung, Monatl. Corr. 23 (1811),
p.401 = Werke 6 (1874), p.166. Derartige Tafeln finden sich z.B. in ©. F. W. Peters,
Astr. Tafeln u. Formeln, Hamburg 1871, p.89; H. Göring, Der Zeitmesser, Tafeln
der Mittagsverbesserung für die Breitengrade 30° bis 60° und der Zeitgleichung,
Paderborn 1862.
14) $. ©. Chandler, The Observatory 4 (1881), p. 14; J. Palisa, Astron.
Kalender f. 1889, hrsg. von der k. k. Sternwarte in Wien, Wien 1888.
15) E. Wendt, Ann. d. Hydr. 1900, p. 186, 198 und 1902, p. 152.
6. Zeitbestimmung aus gleichen Höhen zweier Gestirne. 89
zwischen beiden zusammengehörigen Beobachtungen das Ergebnis be-
einflusse, und empfahl eine Modifikation in dem Sinne, daß man
solche Höhen beobachte, zu denen gleiche Östliche und westliche
Stundenwinkel gehören.
Die korrespondierenden Höhen erfordern nicht nur lange Zeit
zur vollständigen Beobachtung, sondern ihr Zustandekommen ist
obendrein durch die Launen der Witterung gefährdet. Darum strebte
man nach einer rasch arbeitenden Methode, die an den Hauptvor-
zügen der reinen korrespondierenden Höhen teilnahm. Sie gelangte
aber erst zum Durchbruch, als hinlänglich viele scharfe Sternörter
vorlagen.
6. Gleiche Höhen verschiedener Gestirne. Läßt man die
Gleichheit des Gestirns bei der Methode der korrespondierenden
Höhen falleu, so erwächst die allgemeine Aufgabe: aus den Durch-
gängen zweier Sterne durch denselben Höhenkreis'"®) bei bekannter geo-
graphischer Breite die Zeit zu bestimmen. Diese Art der Zeitbestim-
mung, schon von Köhler!®), Tammelander''), Koch?) vorgeschlagen,
ist späterhin von Gauß?) und vor allem von russischen Astronomen
Zinger”), Pjewzow?') u. a. behandelt worden, die sie für besonders
geeignet erachteten, das astronomische Netz in den weiten Steppen-
flächen des russischen Reiches festzulegen. Auch der Spanier Canete
del Pinar??) brachte die Methode gleicher Höhen mit Hilfe eines
eigenartig konstruierten Spiegelsextanten zu Ehren. Natürlich ist die
Aufgabe umkehrbar: die ‚Breite kann bestimmt werden bei vor-
gelegter Zeit, ohne daß man der absoluten Höhe bedarf. Ja, als
Nebenresultat kommen noch Werte für die Höhe heraus, deren Ver-
gleich mit der Ablesung am Teilkreis des Instrumentes die Index-
korrektion ergibt. Jenachdem Zeit oder Breite bestimmt werden
16) J. @. Köhler, Berl. astr. Jahrb. für 1784, p. 148.
17) A. J. Tammelander, Methodus inveniendi tempus verum, Aboae 1785
—1787.
18) J. A. Koch, Astronomische Tafeln zur Bestimmung der Zeit aus der
beobachteten gleichen Höhe zweier Fixsterne, als Anhang zum Berl. astr. Jahrb.
für 1799 separat erschienen, Berlin und Stralsund 1797; ferner W.T. Pabst,
Monatl. Corr. 20 (1809), p. 140 und K. B. Mollweide, Monatl. Corr. 25 (1812), p. 484.
19) Gauß, Method. pecul.
20) Siebe Zinger; N. Schtschetkin, Sternephemeride für die Zeitbestimmung
nach der Zinger’schen Meth., St. Petersburg 1902. In russischer Sprache.
21) M. Pjewzow, Üb. d. Bestimmung der geographischen Breite durch
korrespondierende Höhen, St. Petersburg 1900. In russischer Sprache.
22) de Canete del Pinar, Algo mäs sobre observaciones de precisiön con el
sextante, Madrid 1900.
90 VIa, 3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
sollen, liegen die günstigsten Verhältnisse der Beobachtungen entweder
so, daß die beiden Sterne je im Ost- und Westzweig des Ersten Ver-
tikals oder im Nord- und Südbogen des Meridians stehen. Bei der
Zeitbestimmung sollen ferner die Deklinationen der Sterne um nicht
mehr als ein paar Grade verschieden sein.
7. Eine Höhendifferenz. In der Verallgemeinerung darf man
noch einen Schritt weiter gehen. Die Methoden der korrespondie-
renden Höhen sind nur Spezialfälle der allgemeinen Aufgabe: aus
einer Höhendifferenz zweier Sterne bei bekannter Breite die Zeit zu
bestimmen. Dieses Problem wurde zuerst von v. Tempelhof”) als Er-
weiterung der korrespondierenden Sonnenhöhen behandelt, aber die
Rechnungsvorschriften gelten nur für sehr geringe Höhendifferenzen.
Eine allgemeine Lösung gab Wirtz”) an; die günstigsten Bedingungen
treten dann ein, wenn der eine Stern genau im Osten, der andere
genau im Westen steht. Die Höhendifferenz verlangt vor ihrer Be-
nutzung noch eine Verbesserung wegen Refraktion und eventuell
wegen Parallaxe.
B. Zeitbestimmung durch Azimute.
8. Im Meridian. Während die bisher besprochenen Zeitbestim-
mungen allesamt auf Höhenbeobachtungen hinausliefen, beruhen die
schärfsten Methoden auf Beobachtungen von Durchgängen durch
Vertikalkreise, zunächst durch den wichtigsten Vertikalkreis, den
Meridian.
Ein Meridiankreis oder Passageninstrument, fest oder transpor-
tabel, steht so, daß seine Achse horizontal Ost— West gerichtet ist
und die Absehenslinie des Fernrohrs den Meridian innehält. Merke
ich nun am Fadennetz — der vertikale Mittelfaden repräsentiert ein
Stück des Meridians — den Augenblick der Bisektion eines Sternes,
so gewinne ich in der Differenz der Uhrzeit dieses Augenblicks gegen
die anderweitig bekannte Rektaszension des Sternes den Stand der
Uhr gegen Sternzeit.
In der Ausführung des Gedankens, den zuerst Olaus Römer?)
instrumentell verwirklichte, gestalten sich die Verhältnisse erheblich
komplizierter. Man beschränkt sich nicht auf einen Stern, sondern
vereinigt ihrer sechs bis acht zu einer Zeitbestimmung; ebensowenig
verläßt man sich darauf, daß der Tubus den Meridian beschreibt; man
23) @. F. v. Tempelhof, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 1 (1793), p. 214.
24) Ann. d. Hydr. 1901, p. 372.
25) Olaus Römer i. J. 1689 nach P. Horrebow, Basis astronomiae, Havniae
1735, p. 49, abgedruckt in: Petri Horrebowii operum tomus 3, Havniae 1741.
7. Zeitbestimmung aus einer Höhendifferenz. 8. Zeitbestimmung im Meridian. 91
kontrolliert vielmehr die Fehler seiner Aufstellung, nämlich Neigung
der Umdrehungsachse und Azimut, fortwährend im Laufe der Messung;
erstere durch die Libelle, letzteres durch die Mitbeobachtung eines
dem Pol nahestehenden Sternes. Bei kleinen transportablen Instru-
menten eliminiert man den „Kollimationsfehler“, d. i. die Abweichung
des Winkels zwischen Rohr und Achse von 90°, dadurch, daß man
die Achse „umlegt“, d. h. in ihrer Horizontalebene um 180° dreht
und den Stern in beiden Lagen der Achse beobachtet. Solange keine
besonderen Verhältnisse vorliegen, wird die mittlere Deklination der Zeit-
sterne nicht etwa am Äquator zu wählen sein, sondern so, daß beiläufig
die Kulminationshöhe der Zeitsterne übereinstimmt mit der Polhöhe
des Beobachtungsortes. Gelang kein Polstern, so müssen die Zeitsterne
möglichst nahe am Zenit kulminieren, da in diesem Falle der Einfluß
eines azimutalen Fehlers verschwindet. Das Azimut selbst wird sehr
scharf gefunden durch drei aufeinander folgende (abwechselnd obere
und untere) Kulminationen eines Circumpolarsternes; Maß für das
Azimut bildet die Differenz der beiden Zwischenzeiten; eine Uhr von
gleichmäßigem Gang ist freilich unerläßlich.
Zur Berechnung sind Formeln gebräuchlich, die nach ihren
Urhebern als Mayer'sche?®), Bessel’sche?’) und Hansen’sche?®) unter-
schieden werden. Für die Zeitbestimmung zu geographischen und
geodätischen Zwecken gilt die Mayer’sche Darstellung, in der alle
drei Fehlerquellen (Neigung, Azimut, Kollimation) getrennte Berück-
sichtigung erfahren, als die zweckmäßigste.e Eine neue wesentlich
graphische Reduktionsmethode für Sätze von Transitbeobachtungen
gab C©. Braun?) an. Er erstrebt die Ausgleichung aller Durchgänge
in sich und umgeht dabei die Methode der kleinsten Quadrate. An
festen Sternwarten fällt es nicht schwer, die Zeit mit einer Ge-
nauigkeit von + 0*.02 mittlerem Fehler abzuleiten, wohlverstanden
innerhalb des zugrunde gelegten Rektaszensionssystems der Funda-
mentalsterne, sei es nach Auwers, Newcomb oder nach einem der
früher in den Sternephemeriden des Nautical Almanac und der American
Ephemeris adoptierten Fundamentalkataloge.
Während man auf Observatorien nur in Notfällen den Durch-
26) Tobias Mayer, Observationes astronomicae quadrante murali habitae
(vorgetragen 1756) — Opera inedita, 1, Gottingae 1775, p. 19.
27) F. W. Bessel, Königsb. Beob. 2 (1816), p. IT = Abhdl. 2, p. 33.
28) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 6 (1828), p. 421—458.
29) C. Braun, Berichte von dem erzbischöfl. Haynald’schen Observatorium
zu Kalöcsa in Ungarn, p. 59, Münster i. W. 1886. Siehe auch Astr. Nachr. 109
(1884), p. 33.
92 VIa, 3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
gang der Sonne zur Zeitbestimmung benutzt, existieren, abgesehen
vom uralten Gnomon, den Jordan‘) wieder zu Ehren brachte,
einige kleine Apparate, die dies bequem dem Amateur ermöglichen.
Hierher gehört das Dipleidoskop, das der Londoner Uhrmacher
E. Dent°') erfand. Es besteht aus zwei ebenen Glasspiegeln und
einer durchsichtigen Glasplatte, die so zusammengefügt sind, daß ihr
Grundriß ein gleichschenkliges Dreieck bildet. Richtige Orientierung
vorausgesetzt, eilen dann kurz vor der Kulmination die zwei von den
Spiegeln entworfenen Sonnenbilder in dem zugehörigen kleinen Fern-
rohr gesehen rasch aufeinander zu und decken sich im Moment des
wahren Mittags. Eine Verschärfung tritt ein, wenn man das Mittel
der Uhrzeiten der beiden Randberührungen bildet. Auf dasselbe Be-
obachtungsprinzip stützt sich das Steinheil’sche?”) Passagenprisma,
welches die Duplizität der aufeinander zulaufenden Sonnenscheiben
dadurch erreicht, daß die Hälfte des Fernrohrobjektivs von einem
Prisma bedeckt ist, dessen Hypotenusenfläche parallel steht zur op-
tischen Achse des Rohres. Der zu erwartende Fehler einer Zeit-
bestimmung mit diesem Instrument liegt bei hinlänglich stabiler Auf-
stellung immer unter 1°. E. Dent’s Universaldipleidoskop ??) gestattet
‚auch außer Mittag die wahre Zeit zu finden.
9. Im Vertikal des Polarsterns. Der raschen Anwendung der
Zeitbestimmung strenge im Meridian steht bei geodätischen Opera-
tionen und auf geographischen Expeditionen der Umstand entgegen,
daß hinreichend helle Polsterne, die der Festlegung des Azimutes
dienen, selten sind; die kleineren Instrumente sind, insbesondere am
Tage und in der Dämmerung, auf den eigentlichen Polarstern, « Ur-
sae minoris, angewiesen. Aus dieser Erwägung heraus ist ein Ver-
fahren entstanden, das diesem Übelstande ausweicht. Man beobachtet
den Durchgang der Zeitsterne nicht mehr im Meridian, sondern in
einem durch einen Polstern gehenden Vertikalkreis. Da dieser Stern
gewöhnlich « Ursae minoris ist, heißt die ganze Methode: Zeitbestim-
mung im Vertikal des Polarsterns. Zuerst angegeben wurde das Ver-
fahren von Littrow®*), Tiarks®) und Hansen°*), später weiter ent-
30) W. Jordan, Grundzüge, p. 141.
31) E. J. Dent, A description of the dipleidoscope, London 1843.
32) Vgl. darüber C. Hornstein, L. Seidel, 0. A. v. Steinheil, Astr. Nachr.
24 (1846).
33) Siehe A. W. Hofmann, Bericht üb. d. wiss. Apparate auf der Londoner
internat. Ausstellung 1876, Braunschweig 1878, p. 180.
84) J. J. v. Littrow, Über den erweiterten Gebrauch der Multiplikations-
kreise, Prag 1820.
35) J. L. Tiarks, Lond. Astr. Soc. Mem. 3 (1829), p. 77.
9. Zeitbestimmung im Vertikal des Polarsterns, 10. in beliebigem Azimut. 93
wickelt von W. Döllen®”) und P. Harzer®®). Die Reduktion, natürlich
nicht mehr so. einfach wie bei der meridiannahen Methode, tritt bald
in direkter, bald in indirekter Form auf; durch Harzer’s Abhandlung
scheint die direkte Methode als die bequemere erkannt zu sein. Die
Vorschriften zur Wahrung möglichster Genauigkeit unterscheiden sich
nicht viel von den für den Meridian geltenden. Umlegung des In-
strumentes während der Reihe und symmetrische Anordnung der
Zeitsterne zum Polstern bilden die Hauptsache Die schließliche
Zuverlässigkeit der Methode reicht an jene im Meridian nahe heran, und
sie hat sich an einigen Sternwarten und Chronometerobservatorien
fest eingebürgert. Als Nebenprodukt fällt das eingestellte Azimut
ab, das sich bei Triangulationen mit Nutzen wird verwerten lassen.
‚Besondere Hilfstafeln und Ephemeriden®®) erleichtern die Anwendung
des Verfahrens. — Eine Spezialisierung der Formeln Döllen’s für den
Meridian behandelten E. Borrass und nach ihm H. Kimura*°), der
durch ausgedehnte Tafeln mit doppeltem Eingang die Rechnung zu
erleichtern sucht.
Zu einer Abart der Zeitbestimmung im Vertikal des Polarsterns
mag man greifen, wenn ungünstiges Wetter jeden klaren Moment auf
einer Station auszunützen gebietet. Man mißt dann den Azimut-
unterschied des Polarsterns gegen einen Zeitstern mittels eines Uni-
versalinstrumentes, ersteren in beliebigem Stundenwinkel, letzteren so
dicht wie zulässig beim Meridian. An Genauigkeit steht das Ver-
fahren, mehr ein Notbehelf, den Durchgängen bei festem Azimut
natürlich nach.
10. In beliebigem Azimut; Olbers’sches Verfahren. Wie aus
einer einzelnen Zenitdistanz, so kann man auch aus einer Azimut-
bestimmung bei bekannter Breite den Stundenwinkel und damit die
Zeit ableiten, ein Verfahren, das aber bei der Schwierigkeit, den
Meridianpunkt des Horizontalkreises zu ermitteln und konstant zu
36) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 9 (1831), p. 117 und 48 (1858), p. 113.
37) u. 38) Vgl. Lit. II. Harzer, Ortsbest. ist Sonder-Abdr. aus: Mitteil. d.
Vereinig. v. Freund. d. Astronomie 6, Berlin 1896.
39) W. Döllen, Hülfstafeln für d. Zeitbestimmung im Vertikal des Polar-
sternes, Petersburg 1874 u. 1878; W. Döllen, Sternephemeriden zur Bestimmung
von Zeit u. Azimut im Vertikal des Polarsternes, Petersburg 1886—90, Berlin
1891, Dorpat 1893. Seit 1895 von der Petersbg. Astr. Ges. hrsg. u. d. Titel
„Ephemerides des etoiles pour la determination de l’heure et de Fazimut dans
le plan vertical de la polaire pour l’an....“, Petersburg 1894 ff.
40) H. Kimura, Formulae and tables for determ. the time in the meridian,
Tokyö sügaku-buturigaku kwai kizi. Maki no VII, Dai 6, Tokyo 1901, p. 209.
94 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
halten, sich sehr wenig empfiehlt, wenn man nicht zu fester Auf-
stellung in den Meridian, d. h. zum Passageninstrument in oder nahe
dem Meridian übergeht.
Dagegen hat sich eine nach instrumentellen und rechnerischen
Anforderungen ungemein einfache Modifikation als sehr praktisch
erwiesen. Man beobachtet nämlich das Verschwinden eines Fixsterns
hinter einer entfernten senkrechten Wand, etwa eines Kirchturms
oder Schornsteins, die am Beobachtungsort ein konstantes Azimut
fixiert. Tag für Tag findet das Verschwinden des Sterns immer zur
selben Sternzeit statt und gibt damit ein Mittel zur Prüfung des
Uhrgange. Wenn man nun noch auf irgend eine Weise sich die
absolute Zeit jenes Momentes verschafft, fließt daraus die Möglichkeit,
jederzeit auch den Uhrstand kennen zu lernen; denn an den ersten
Stern, der ja bald in die Tageshelle rücken würde, lassen sich immer
wieder andere, später verschwindende anschließen, die einen Gürtel
um den Himmel herum bilden und für das ganze Jahr genügend An-
haltspunkte zu gelegener Abendstunde abgeben. Die langsamen Orts-
veränderungen der Sterne, veranlaßt durch Präzession, Nutation, Aber-
ration und Eigenbewegung, ziehen eine geringe Variabilität des Zeit-
punktes des Verschwindens nach sich, die mittels einfach gebauter
Differentialformeln in Rechnung gestellt wird. Mit bestem Erfolge
ist die beschriebene Art der Zeitbestimmung von Olbers*!) verwertet
worden, der zuerst für ihre Brauchbarkeit eintrat und ihr Eingang
bei den Liebhabern der Himmelskunde verschaffte.
ll. Mehrere Azimute. Daß sich aus der Beobachtung der
Durchgänge zweier beliebiger Sterne die Zeit ableiten läßt, ergibt sich
schon aus dem speziellen Fall der Zeitbestimmung im Vertikal des
Polarsterns; die günstigsten Bedingungen führen eben auf jenen
Spezialfall. Für die Aufgabe: die Zeit zu bestimmen, zu der zwei
Sterne in den gleichen Vertikalkreis kommen, fand schon J. H. Lam-
bert*?) eine kurze Lösung. — Aus dem Durchgang dreier Sterne
durch denselben Vertikalkreis Polhöhe, Zeit und Azimut zu ermitteln,
wie man vielleicht nach Analogie der später zu besprechenden Gauß-
schen Dreihöhenaufgabe (siehe Nr. 18) versuchen könnte, geht nicht
an; in den drei Gleichungen lassen sich zwei Unbekannte (Zeit und
Azimut) nicht trennen.
12. Näherungsmethoden. Einige leicht auszuführende Nähe-
rungsmethoden, die sowohl Zeit wie Polhöhe ergeben, mögen noch
41) W. Olbers, Monatl. Corr. 3 (1801), p. 124.
42) J. H. Lambert, Berl. astr. Jahrb. für 1789, p. 213.
11. 12. 13. Andere Methoden der Zeitbestimmung. 95
hier miterledigt werden. Die Aufgabe: aus den Uhrangaben, zu
welchen vier Sterne durch zwei beliebige Vertikale gehen, Uhrkorrek-
tion und Breite zu bestimmen, hat 1789 Graf v. Platen zu Haller-
mund‘) diskutiert. Wislicenus‘*) kleidete die Lösung in ein modernes
Gewand und wies darauf hin, daß, wie bei Olbers, die Azimute durch
ferne terrestrische Gegenstände (Fahnenstange, Hauskante etc.) markiert
sein dürften und Instrumente, abgesehen von einem schwach ver-
größernden Fernrohr, nicht nötig seien.
Einer gleich einfachen Art der Zeit- und Ortsbestimmung gedenkt
P. Harzer“). Er legt die Azimute durch senkrechte Schnüre fest, die
zur Vermeidung einer parallaktischen Verschiebung gegen das nahe
Auge des Beobachters über ein primitives in den Boden gerammtes
Gestelle zeschlungen und beschwert werden. Harzer’s Methode leistet
trotz der denkbar einfachsten Hilfsmittel eine Genauigkeit von 1’ bis
2 in beiden Koordinaten. Von E. Hammer*®) stammt der Vorschlag,
ein einfaches Senklot in Verbindung mit den Ergebnissen einer
Landesvermessung zu benutzen. Man beobachtet den Moment, zu dem
die Sonne das auf diese Weise festgelegte Azimut passiert. — Im Zu-
sammenhang sind die mit einfachen Hilfsmitteln optisch und photo-
graphisch zu erledigenden Aufgaben der Zeit- und Ortsbestimmung
von K. Schwarzschild*‘) dargestellt worden.
13. Azimut-, Höhen- und Zeitdifferenz. Den Schluß bilde eine
nur auf die Messung von Koordinatendifferenzen gestützte Methode,
die der Kenntnis irgend eines instrumentellen Nullpunktes enträt.
An einem Universalinstrument beobachte man für zwei Sterne die
Differenzen der Höhen, Azimute und zugehörigen Uhrzeiten, Daten,
die zur Ableitung von Zeit, Polhöhe und Meridianrichtung hinreichen,
Zur Herabdrückung der Fehlereinflüsse verlangen die Differential-
formeln möglichst großen Azimut- und Höhenunterschied. Die Auf-
gabe ist so zuerst von Encke"?) gefaßt worden. Nahe Verwandtschaft
weist ein von Lyons‘?) diskutiertes Problem auf: Zeit und Polhöhe
43) E. F. v. Platen zu Hallermund, Berl. astr. Jahrb. für 1789, p. 126—127.
44) W. F. Wislicenus, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 89.
45) Siehe Harzer, Ortsbest.
46) E. Hammer, Zeitbestimmung (Uhrkontrole) ohne Instrumente, Stutt-
gart 1893.
47) K. Schwarzschild, Astronomische Beobachtungen mit elementaren Hilfs-
mitteln, in den „Beiträgen zur Frage des Unterrichts in der Mathematik, Physik
u. Astronomie“, hrsg. von F. Klein u. E. Riecke, Leipzig 1904.
48) J. F. Encke, Über eine Erweiterung des Douwes’schen Problems, Berl.
astr. Jahrb. für 1859, p. 334.
49) J. Lyons, Naut. Alm. for 1778.
96 VI, 3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
zu bestimmen, wenn man nur das Intervall kennt, das der Durch-
messer der Sonne gebraucht, um einen Vertikalkreis und einen Höhen-
kreis!) zu passieren. H.@.v. Mattuschka°®), J. K. Schulze°') und auch
einige neuere Schriftsteller wandten der in praxi fast bedeutungslosen
Aufgabe Aufmerksamkeit zu.
IH. Polhöhenbestimmung.
14. Meridianhöhe. Wie Nr. 4 zu einer beobachteten Höhe die
Zeit zu ermitteln lehrte, so läßt sich umgekehrt aus einer Höhe bei
bekannter Zeit die Polhöhe ableiten. Ein Fehler in der Zeit geht
um so geringer in die errechnete Breite ein, je kleiner die Änderung
der Höhe während desselben Zeitintervalls wird. Null wird diese
Änderung an zwei Punkten der täglichen Sternbahn, im Meridian,
den die Zirkumpolarsterne zweimal sichtbar kreuzen. Zugleich nimmt
auch die Rechenvorschrift die bequemste Gestalt an: man braucht
nur Zenitdistanz und Deklination im richtigen Sinne, den man aus
der Anschauung abliest, zu addieren. Man kann noch auf die
Kenntnis der Deklination der Sterne verzichten, wenn man beide
Kulminationshöhen eines Zirkumpolarsternes mißt; das arith-
metische Mittel liefert die geographische Breite des Beobachtungs-
ortes, ihre halbe Differenz die Poldistanz des benutzten Sternes.
Die Methode findet vor allem Anwendung an festen Sternwarten mit
Hilfe des Meridiankreises; da an demselben aber der Zenitpunkt nicht,
wie beim Universal, durch Durchschlagen bestimmt werden kann, so
verschafft man sich die Lotlinie durch die Beobachtung des Nadirs,
d. h. man richtet das Fernrohr auf einen darunter stehenden Queck-
silberspiegel und liest am Kreis die der Deckung des direkt gesehenen
und des reflektierten Fadenbildes entsprechende Stellung ab. Die ange-
deutete Methode gewährt eine absolute, vom Sternort unabhängige
Ermittelung der Polhöhe und der Deklination. Es pflegt mit einer
derartigen Untersuchung stets eine solche der Biegung des Tubus,
der atmosphärischen Refraktion und der Teilfehler des Kreises ver-
bunden zu werden.
Der Kenntnis der Deklination enthebt man sich auch durch
Messung der größten und kleinsten Meridianhöhe der Sonne zur Zeit
der Solstitien; die halbe Summe gibt die Äquatorhöhe, die halbe
Differenz die Schiefe der Ekliptik. Schon um das Jahr 1100 a. C.
führten chinesische Astronomen diese Beobachtungsreihen mittels
50) und 51) Siehe Berl. astr. Jahrb. für 1781, 2. Teil, p. 185 u. 186.
14. Polhöhenbestimmung aus Meridianhöhen. 97
des Gnomons aus?) und auch von Pytheas von Massilia®®) berichtet
die Geschichte ein Gleiches. —
Die Methode der Meridianzenitdistanzen in ihrer einfachen Form
wurde nach dem Vorgang des österreichischen Obersten R. v. Sterneck
vom kgl. preußischen geodätischen Institut*) angewandt, wenn nicht
der äußerste Grad von Genauigkeit vonnöten, z. B. für Untersuchungen
von Lotablenkungen. Die Ergebnisse fallen befriedigend aus: es
scheint leicht, einer Polhöhe den mittleren Fehler von + 1” zu wahren.
Allerdings war auch behufs Elimination systematischer Fehlerquellen
nichts unterlassen: Beobachtung in beiden Kreislagen des Universal-
instrumentes und in mehreren Ständen des geteilten Kreises, symme-
trische Anordnung der Sterne zum Zenit, sodaß Refraktion und
Biegung fast ganz herausfallen.
Mit einem Reflexionsinstrument wird der Beobachtungsmodus
darin bestehen, daß man das Gestirn kurz vor dem Meridiandurch-
gang im Auge behält und es verfolgt, bis es die größte Höhe erreicht,
die man abliest. Die.Sonne erreicht indes, ihrer eigenen Bewegung
in Deklination wegen, ihre größte Höhe nicht genau im Meridian, und
man hat dieserhalb noch eine Reduktion der größten Höhe auf die
Meridianhöhe anzubringen’), die in den Solstitien verschwindet und
in den Äquinoktien am größten ist. Ähnliches trifft bei andern be-
weglichen Himmelskörpern zu, insbesondere beim Mond, dessen Ver-
wendung zur nautischen Ortsbestimmung neuerdings wieder befür-
wortet, aber auch abgelehnt wurde°®).
Schließlich möge noch eine von M. Loewy angegebene und von
W. Ebert, J. Perchot und H. Renan?") am Pariser Meridiankreis erprobte
Methode hier Platz finden. Einen dem Pol eng benachbarten Stern
(Polardistanz kleiner als 1°) beobachte man in zwei zum 6°-Stunden-
kreis nahe symmetrischen Örtern seiner täglichen Bahn, die einen
52) Siehe Gehler’s physikal. Wörterbuch, 2. Aufl. Bd. 9, Leipzig 1840,
p. 2138.
53) Um 350 a. C. Näheres in @ehler’s physikal. Wörterbuch, 2. Aufl. Bd. 9,
Leipzig 1840, p. 2172; ferner bei W. Bessell, Über Pytheas von Massilia,
Göttingen 1858.
54) Geod. Inst. Veröff.: Die Polhöhe von Potsdam, I. Heft, Berlin 1898;
ferner Geod. Inst. Veröft.: Bestimmung der Polhöhe und der Intensität der Schwer-
kraft auf 22 Stationen, Berlin 1896.
55) Siehe z. B. Roth, Navig., p. 131.
56) Siehe Reichs-Marine-Amt, Navig. 2, p. 176.
57) Obs. de Paris ann., obs. 1897, Paris 1899, und H. Renan et W. Ebert,
Determination de la latitude d’apr&s les methodes de Loewy, Obs. de Paris
ann., obs. 1900, Paris 1904.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 7
98 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Schluß auf die Lage des Pols zulassen. Bequeme Relationen zur Be-
rechnung der Änderungen wegen Aberration, Nutation, Präzession für
äußerst polnahe Sterne lehrte W. Ebert°®).
Wiewohl noch nicht direkt zur Breitenbestimmung verwertet,
verdient hier ein Instrument Erwähnung, das @. B. Airy?®) für Green-
wich konstruierte. Der „Reflexzenit-Tube“ besteht aus einem Objektiv
mit vertikal gerichteter Achse. Darunter in halbem Fokalabstand ein
Quecksilberspiegel; etwas über dem Objektiv, ihm zur Seite und fest
damit verbunden ein Mikrometer, dessen Fadenebene mit der Bild-
ebene zusammenfällt. Durch eine Drehung der Mikrometer-Objektiv-
Platte um 180° vermag man kleine Zenitdistanzen mit großer
Schärfe zu messen. Die Theorie hat Ch. L. Poor) revidiert, J. C.
Kapteyn°') eine photographische Modifikation angegeben.
15. Zirkummeridianhöhen. Zur Erhöhung der inneren Genauig-
keit der Meridianzenitdistanzmethode können am Universalinstrument
die Einstellungen um den Meridian herum vervielfältigt werden; man
geht zur Methode der Zirkummeridianhöhen über, die die Kenntnis
einer genäherten Zeit verlangen. Die unmittelbar sich darbietende
Berechnungsart bestünde darin, das sphärische Dreieck Pol-Zenit-Stern
nach der Seite Pol-Zenit (= Komplement der Breite) aufzulösen;
indes darf man, da nur kleine Stundenwinkel auftreten, von Reihen-
entwickelungen Gebrauch machen, denen je nach der Zahl der mit-
genommenen Glieder eine mehr oder minder hohe Präzision zueignet.
Nimmt man nur das erste Glied und schreibt es so, daß man einen
Faktor herausschält, der nur mehr mit dem Quadrate des in Zeit-
minuten ausgedrückten Stundenwinkels multipliziert zu werden
braucht, um die Reduktion der gemessenen Höhe auf den Meridian
zu ergeben, so entsteht die besonders in der nautischen Astronomie
gebräuchliche Methode der Kulminationssekunden®?). Aus jeder Höhe
gewinnt man nach einer der zahlreichen dazu aufgestellten Formeln
die Meridianhöhe und aus deren Mittel die gesuchte Polhöhe. Für
die Sonne, überhaupt für ein bewegliches Gestirn, spielt noch die
Deklinationsänderung eine Rolle, die dadurch bequem in Rechnung
gezogen werden kann, daß man zwar die im Augenblick der Kulmi-
nation geltende Deklination zugrunde legt, dann aber die Stunden-
58) W. Ebert, Astr. Nachr. 151 (1899), p. 145.
59) @. B. Airy, Greenw. obs. 1854, app. 1.
60) ©. L. Poor, Astron. Journ. 9 (1890), p. 153.
61) J. ©. Kapteyn, Astr. Nachr. 125 (1890), p. 81.
62) Siehe z. B. Reichs-Marine-Amt, Navig. 2, p. 181.
15. Polhöhenbestimmung aus Zirkummeridian-, 16. aus Polarishöhen. 99
winkel vom Moment der größten Höhe an zählt®®). In nautischen
Kreisen fand großen Beifall eine Arbeit von Goodwin®), der die
Höhenänderung der Sonne zusammenwirken läßt mit der Schiffs-
bewegung zur Reduktion einer Sonnenhöhe nächst dem Meridian.
In Beobachtung und Rechnung sehr einfache Methoden ergeben
sich aus der Überlegung, daß drei nahe am Meridian gemessene
Höhen nebst ihren Azimutdifferenzen, wie sie das Universal liefert,
ohne Kenntnis der Breite dazu dienen können, die Meridianhöhe zu
berechnen und daß bei genähert gegebener Breite schon zwei Höhen
mit ihrer Azimutdifferenz ausreichen. Mit Benutzung einer Uhr läßt
sich, auch wenn Gang und Stand unbekannt, aus drei Höhen und
den Zwischenzeiten die Meridianhöhe eruieren °°).
Daß man statt der Zeit das Azımut neben der Höhe substituieren
darf, ist klar‘®).
16. Polarishöhe. Während man bei einem beliebigen Stern
immer an die Nachbarschaft des Meridians gebunden ist, fällt diese
Einschränkung bei dem langsam beweglichen Polarstern fort; im un-
günstigsten Punkte seiner Bahn, in den Stundenwinkeln 18" und 6°
wächst oder sinkt seine Höhe in einer Zeitminute um nicht ganz 20”.
Sphärische Rechnung ist auch hier der geringen Poldistanz wegen nicht
erforderlich; man kommt mit einer Reihenentwicklung aus‘). Ver-
teilt man bei einer die höchste Genauigkeit anstrebenden Beobach-
tungsserie die Einstellungen von Polaris symmetrisch über seine täg-
liche Bahn, so wird man frei von dem zugrunde gelegten Ort des
Sternes an der Sphäre.
Die Zirkummeridianhöhen in Verbindung mit Polarishöhen bil-
den eine der drei Hauptmethoden zur Bestimmung der Breite für die
modernen Festlegungen von Punkten erster Ordnung bei großen Tri-
angulationen und Gradmessungen.
63) Siehe Brünnow, p. 275.
64) M. A. Goodwin, The Ex-meridian, London 1894.
65) Siehe z. B. Th. Albrecht, Formeln u. Hülfstafeln für geographische Orts-
bestimmungen, Leipzig 1873, 3. Aufl. 1894, p. 55; ferner J. J. Astrand, Neue ein-
fache Methode für Zeit- und Längenbestimmung, Wien. Ber. 56 (1867), p. 350;
C. L. v. Littrow, Wien. Sternw. Ann. 21—=N.F.1 (1841), p. LVI; Th. v. Oppolzer,
C.v. Littrow’s Methode der Zeitbestimmung durch Circummeridianhöhen, Wien.’
Ber. 58 (1868), p. 772; P. Bouguer, Nouveau Traite de navigation, 2. Ausg.
hrsg. von N.-L. de Lacaille, Paris 1760; @. $. Klügel, Berl. astr. Jahrb. für 1799,
p. 148, Berlin 1796.
66) J. J. v. Littrew, Lond. Astr. Soc. Mem. 2 (1826), p. 321.
67) Z.B. bei Brünnow, p. 277. — Vgl. Nr. 49, 2, p. 157.
7*
100 VIe,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
17. Zweihöhenproblem, Spezialfälle und verwandte Aufgaben.
Will man für Zwecke der Technik und auf geographischen For-
schungsreisen möglichst rasch Zeit und Polhöhe ermitteln, so mag
man sich nicht an Meridian und Ersten Vertikal binden. Zur Fest-
legung der zwei Unbekannten genügen zwei Daten, zwei Höhen nebst
ihrer Zwischenzeit. Die Aufgabe trat schon vor mehr als 400 Jahren
in den Gesichtskreis der Astronomen und ist seit jener Zeit, wie
kaum ein zweites Problem der sphärischen Astronomie, variiert und
permutiert worden. Da man die allgemeine strenge Lösung für zwei
verschiedene Sterne sofort richtig erkannte, konnte es fürder nur
darauf ankommen, die Rechnung zu vereinfachen.
Der Gang der strengen Auflösung gestaltet sich wie folgt: zu-
nächst löse man das vom Pol und den beiden Sternen gebildete Drei-
eck auf, sodann das vom Zenit und den beiden Gestirnen definierte,
in welchem die drei Seiten gegeben. Jetzt hat man in jedem der
beiden von Pol, Zenit und einem Stern eingeschlossenen Dreiecke
zwei Seiten und den Zwischenwinkel und damit Breite und Stunden-
winkel. Wird scharfe Trennung der Unbekannten angestrebt, so soll
die eine Höhe dicht beim Meridian, die andere dicht beim ersten
Vertikal genommen sein. Die Zuverlässigkeit der Breite hängt
wesentlich von der Genauigkeit der meridiannahen Höhe, die der Zeit
von der Schärfe der beim ersten Vertikal beobachteten Höhe ab.
Eine erste Vereinfachung ergab sich, wenn beide Male dasselbe
Gestirn beobachtet war, und da der Seemann vor allem die Sonne zu
Hülfe nahm, so entstanden zahlreiche indirekte Näherungsmethoden,
die die kleine Deklinationsänderung der Sonne während der 3" bis
6", um die beide Messungen voneinander abliegen mochten, differen-
tiell berücksichtigten. Unter diesen hat sich der meisten Empfehlung
lange Zeit die indirekte Douwes’sche‘®) Methode erfreut. Ihr Prinzip
beruht in folgendem: Die aus der Schiffsrechnung nach Kompaß und
Log beiläufig bekannte (gegißte) Breite, die dem ersten Vertikal
nächste Höhe, die Zwischenzeit und die Deklination liefern eine frei-
lich nur näherungsweise richtige Zeitbestimmung, mit der die
meridiannahe Höhe nun die Breite liefert. Mit dieser neuen Polhöhe
wird die Berechnung des Stundenwinkels wiederholt. Douwes kon-
struierte umfangreiche Tafeln zur Erleichterung der Anwendung jener
68) C. Douwes, Verhandeling om buiten den Middag op Zee de waare
Middags-Breedte te vinden, Haarlem 1754; De noodige Zeemanstafeln en voor-
beelden tot het vinden der breedte buiten den Middag, Amsterdam 1775; op
nieuw overzien door J. Floryn, 1820.
17. Zweihöhenproblem, Spezialfälle und verwandte Aufgaben. 101
Methode, die man in allen älteren nautischen Tafelwerken °°®) vorfindet.
Der Gewinn, den die Tafeln bringen, ist indes äußerst gering, wenn
nicht ganz illusorisch. Ja, die ganze Methode leidet an dem Übel-
stande, daß sie unter gewissen Bedingungen, insbesondere bei stark
fehlerhafter gegißter Breite, überhaupt keine Annäherung an die
Wahrheit mehr liefert, sondern daß die von ihr sukzessive beige-
tragenen Resultate dark, immer weiter divergieren. Auch auf See
fand die Douwes’sche Mötpde nicht jene ausgedehnte Anwendung,
die man vielleicht nach det Umfang der ihretwegen in nautischen
Werken mitgeführten Tafeln z@>erwarten geneigt sein könnte.
Die allgemeine Aufgabe und@®bre Lösung ist sehr alt. Sie geht
auf Regiomontan (1412)'%), Tycho #e,Brahe”‘) und den Landgrafen
Wilhelm IV. von Hessen (1566) '?) zulgk, wenn sie den Ort eines
Sternes ableiten durch Messung seiner Distanz von zwei bekannten
Sternen. Später wurde sie von Nunez”®),GsHues’*), Gietermaker”),
Fatio’®) behandelt, aber erst von Douwes‘®) und Nieuwland””) in eine
dem Seemann plausibele Form gegossen.
Mit strengen Lösungen befaßten sich Schubert"®), Krafft‘”), Moll-
weide®®), J. F. Hennert®'), Ivory?”), weß letzteren Methode mit der
Krafft’schen '?) identisch ist. Eine rein analytische Darlegung gab
Gauß?°), während Encke*®) wieder eingehend das trigonometrische Ver-
69) Z. B. in J. F. Domke, Nautische, astronomische und logarithmische
Tafeln, 7. Aufl., Berlin 1879, die Tafeln Nr. 37, 38, 39.
70) J. Regiomontanus, De cometae magnit., longit. ac loco vero, proble-
mata XVI, Nürnberg 1531 — Scripta Regiomontani, ed. J. Schoner, Norim-
bergae 1544.
71) Tycho Brahe, De nova stella anno 1572, Hafniae 1573. Denuo edidit
regia societas danica, Kopenhagen 1901.
72) Vgl. Willebrord Snellius, Coeli et siderum in eo errantium observa-
tiones Hassiacae Principis Wilhelmi, Lugdunum Batavorum 1618.
73) P. Nonius, De crepusculis, Olyssipone 1542, Conimbricae 1573.
74) R. Hues, ‚Tractatus de globis et eorum usu, Lugdunum (Lyon) 1594,
Amstelodami 1611.
75) ©. H. Gietermaker, Vergulden Licht der Zeevaert, Amsterdam 1660.
76) N. Fatio, Navigation improved, beeing chiefly the method for finding
the latit., London 1728.
77) P. Nieuwland, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 1 (1793), p. 42.
78) F. T. Schubert, Berl. astr. Jahrb. für 1790, p. 188.
79) W. L. Krafft, Petersbg. Nova Acta 9 (1795), p. 353, presente 1794.
80) K. B. Mollweide, Monatl. Corr. 19 (1809), p. 545 und Astr. Nachr. 3
(1825), p. 197.
81) J. F. Hennert, Berl. astr. Jahrb. für 1803, Berlin 1800, p. 124.
82) J. Ivory, Phil. Mag. 58 (1821), p. 81.
83) Gauß, Method. pecul.
102 VI, 3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
fahren entwickelte. Auch Grunert®) und Matern®®) teilten Lösungen
der „Douwes’schen Aufgabe“ mit. — Eine erschöpfende historische
Würdigung ließ Weyer®‘) dem Zweihöhenproblem angedeihen, auf die
hier besonders verwiesen sei. —
Ein Spezialfall ist der Übergang auf zwei gleiche Höhen, den
ebenfalls Gauß®®) in seiner erwähnten Abhandlung lehrt. Behufs
Zeitbestimmung beobachtet man einen Stern im Osten und einen im
Westen, für die Breite einen im Norden und einen im Süden. Spätere
Schriftsteller, insbesondere N. Zinger®®), der eigene Ephemeriden ver-
anlaßte®®) und neuerdings Canete del Pinar”), der den Sextanten zum
Präzisionsinstrument zu erheben sich bemüht, bildeten die Methode
nach der praktischen Seite aus, M. Pjewzow?') sucht sie durch umfang-
reiche Tafeln einzubürgern. Hayn’') nnd Kohlschütter”?), beide mit
dem gleichen kleinen Zenitteleskop ausgestattet, verwerteten die Me-
thode in den Deutschen Kolonien und erzielten in Anbetracht der
ungünstigen äußeren Verhältnisse recht befriedigende Resultate.
Staatsminister v. Camphausen®?) machte den Vorschlag, zur Er-
- mittelung von Breite, Zeit und Richtung des Meridians die Azimut-
differenz zweier Sterne in Ost und West an einem Universal dann zu
beobachten, wenn ihre Höhe der Deklination gleich sei. Wir glauben,
diesen Gedanken schon hier erwähnen zu dürfen, weil er Encke’s Be-
arbeitung des Douwes’schen Problems“®) veranlaßte.
Eine Ortsbestimmung läßt sich auch dadurch erzielen, daß man
die Höhen mißt, in welchen zwei bekannte Sterne nacheinander den-
selben Stundenkreis°*)*) oder aber denselben Vertikalkreis**) passieren,
85) J. A. Grunert, Arch. Math. Phys. 14 (1850), p. 83.
86) A. Matern, Ann. d. Hydr. 1882, p. 400.
87) @. D. E. Weyer, Die direkten oder strengen Auflösungen für die Be-
stimmung des Beobachtungsortes ...., Ann. d. Hydr. 1884; Die indirekten
oder genäherten Auflösungen für das Zweihöhenproblem, Ann. d. Hydr. 1884.
88) Siehe die p. 82 (Lit. II) zitierte Monographie Zinger.
89) N. Schtschetkin, siehe °°), ferner Th. Fr. @. Wittram, Tables auxiliaires
pour la determination de /’heure par des hauteurs corresp., Petersbourg 1892.
90) de Canete del Pinar, Observaciones de precisiöon con el sextante,
Madrid 189.
91) F. Hayn, Astronomische Ortsbestimmungen im Deutschen Schutzgebiete
der Südsee, Berlin 1897.
92) E. Kohlschütter, Bericht über die astron. und geodät. Arbeiten der
Deutschen Grenzregulierungskommission zwischen dem Nyassa- und Tanganyika-
See, Mittheilungen von Forschungsreisenden und Gelehrten a. d. Deutschen Schutz-
gebieten, 13 (Berlin 1900), p. 265.
93) Vgl. Encke *®°).
94) J. W. von Camerer, Berl. astr. Jahrb. für 1797, p. 246. — Wißslicenus **).
18. Gauß’sche Methode: Gleichheit dreier Höhen. 103
dessen Stundenwinkel resp. Azimut man nicht zu kennen braucht.
Letztere Methode verlangt ein Universalinstrument, aber, soweit die
Polhöhenbestimmung in Frage kommt, keine Uhr, erstere nur einen
Sextanten, kein Stativ, aber eine Uhr mit bekanntem Gang.
Die dem Zweihöhenproblem nahe verwandte Aufgabe: aus zwei
Höhen desselben Gestirns und der Azimutaldifferenz bei bekannter
Polhöhe die Azimute abzuleiten, kannte schon Ibn Yunis”).
18. Gauß’sche Methode. Das Zweihöhenproblem setzte den
Ort des Gestirns als bekannt voraus; nimmt man drei Höhen des-
selben Himmelskörpers, so macht man sich auch unabhängig von der
Deklination des Objekts. Diese auf den ersten Blick sehr bestechende
und vielfach untersuchte Methode”) verdient aber aus dem Grunde
keine Empfehlung, weil in den Höhen begangene kleine Beobach-
tungsfehler die Resultate stark entstellen. Verzichtet man dagegen
auf die Mitbestimmung der Deklination, wählt drei verschiedene Sterne
aus und setzt die Gleichheit der Höhen fest, so hat man die Gauß-
sche Methode‘), eine von denjenigen, die bei geringsten instrumen-
tellen Anforderungen eine sehr hohe Genauigkeit zulassen.
Diese Methode führt auf die trigonometrische Aufgabe, aus
den Durchgangszeiten der drei Sterne durch denselben Höhen-
kreis 1%) die Polhöhe zu berechnen. Schon Cagnoli”®) löste diese
Aufgabe, allerdings in anderem Zusammenhang: er suchte näm-
lich aus drei heliozentrischen Örtern eines Sonnenflecks die Lage
des Äquators der Sonne und die Deklination des Flecks abzuleiten.
Auf die Identität beider Aufgaben wies dann Gauß”) hin. Will man
eine Verschärfung durch Multiplikation der Beobachtungen erzielen,
so gelingt dies entweder dadurch, daß man bei Anwendung eines
festen Instrumentes die Durchgänge an mehreren im Gesichtsfeld aus-
gespannten Horizontalfäden nimmt, oder dadurch, daß man die Zahl
der Sterne vermehrt. Diese letztere Verallgemeinerung der Gauß’schen
95) Ibn Yunis (Kairo 960—1008), Hakimitische Tafeln, Kap. 23 (nicht im
Druck erschienen); vgl. A. v. Braunmühl, Beiträge zur Geschichte der Trigono-
metrie, Nova Acta, Abhdl. d. Leopold.-Carolin. Akad. der Naturforscher 71,
Halle 1897, p. 24—26. !
96) Z. B. J. F. Hennert, Berl. astr. Jahrb. für 1803, Berlin 1800, p. 124 und
J. K. F. Hauff, Berl. astr. Jahrb. Suppl. 4, Berlin 1808, p. 237.
97) ©. F. Gauß, Über eine Aufgabe der sphärischen Astronomie, Monatl.
Corr. 18 (1808), p. 277 = Gauß' Werke 6 (1874), p. 129, sowie p. 142.
98) A. Cagnoli, Trigonometrie rectiligne et spherique, Paris 1786. —
Die kunstlos aus der Anschauung der Figur fließende Lösung findet man z.B.
bei Th. Epstein, Die Sonnenflecke, Festschr. z. Jahrh.-Feier der Realschule der
israelitischen Gemeinde zu Frankfurt, Frankfurt a. M. 1904, p. 108.
104 VI2,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Methode hat Knorre””) näher durchgeführt; es kommt natürlich auf
die Ermittelung der wahrscheinlichsten Werte nach der Methode der
kleinsten Quadrate heraus, da ja der Daten jetzt mehr als Unbekannte
vorliegen. Sehr eingehend befaßte sich auch Perrin!®) mit dem
Gegenstande. Da die absolute Höhe keine Rolle spielt, nur ihre Kon-
stanz, so fallen Indexfehler, Teilungsfehler, Refraktionseinflüsse, Ex-
zentrizität ganz aus dem Resultat heraus; die Beobachtung ist leicht
und einfach auszuführen. Neuerdings ist die Vorbereitungsrechnung
von B. Cohn‘) einer Diskussion unterzogen worden, die darauf hin-
ausläuft, daB man auf graphischem Wege die drei bestgelegenen
Sterne herausfindet. Die günstigsten Bedingungen der Beobachtung
treffen dann zu, wenn die drei Sterne sich gleichförmig um den
Himmel verteilen, d. h. wenn ihre Azimutdifferenz 120° beträgt. Als
den einen Stern kann man auf der Nordhalbkugel aus Gründen der
Bequemlichkeit stets den in Höhe nur um 3° veränderlichen Polar-
stern wählen.
Einige weitere Vorteile bietet die Beobachtung genau in dem
durch den sichtbaren Himmelspol gehenden Höhenkreis!), den die
Sterne in einer der geographischen Breite gleichen Höhe passieren.
Ein großes auf Quecksilber schwimmendes Instrument speziell für
diesen Zweck hat Chandler‘) bauen lassen, einen sogenannten Al-
mukantarat, der aber nicht nur zur Polhöhenbestimmung, sondern’
allgemein zur Ortsbestimmung von Sternen dienen soll. Sampson !)
hat sich gleichfalls mit dem Verfahren beschäftigt und eine Anzahl
Fundamentalsternörter danach beobachtet. Für jeden Beobachtungsort
sind natürlich nur jene Sterne der Methode zugänglich, deren obere
Kulminationshöhe größer ist als die geographische Breite.
19. Drei Höhen. Setze ich drei Höhen als gemessen voraus,
so wird die Aufgabe überbestimmt und der natürlichste Weg zur Er-
langung der beiden Unbekannten Breite und Zeit gestaltet sich etwa
so: mit angenommener Polhöhe und Uhrkorrektion berechnet man
die zu jeder Beobachtungszeit gehörigen Sternhöhen und stellt deren
kleine Unterschiede gegen die Messungen durch die Differentiale von
Polhöhe und Stundenwinkel dar. Man gewinnt soviel lineare Glei-
chungen als Höhen zu Gebote stehen und vermag daraus nach der
99) H. Knorre, siehe Sawitsch, p. 776.
100) E. Perrin, Determination exacte de la latitude et du temps par la
möth. des hauteurs &gales, Annales du Bureau des Longitudes 4, Paris 1890.
101) Berthold Cohn, Über die Gauß’sche Methode, Diss. Straßburg i. E. 1897.
102) $S. ©. Chandler, The Almucantar, Harvard Obs. ann. 17 (1887).
103) R. A. Sampson, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1903), p. 338.
19. Messung dreier Höhen. 20. Horrebow-Talcott-Methode. 105
Methode der kleinsten Quadrate die wahrscheinlichsten Verbesserungen
an die der Berechnung der Höhen zugrunde gelegten Werte von
Breite und Uhrstand abzuleiten. — Ein „Dreihöhenproblem“, wie man
es wohl bei nautischen Schriftstellern findet, gibt es im engeren
Sinne nicht. Der wahrscheinlichste Schiffsort aus drei Höhen ist
stets nur der nach dem beschriebenen oder einem verwandten Ver-
fahren erhaltene").
Einfach bestimmt wird wieder die Aufgabe: aus den Höhendiffe-
renzen dreier Sterne und den Zwischenzeiten Polhöhe, Zeit und die
Höhen zu ermitteln. Ein indirektes Lösungsverfahren dieser Ver-
allgemeinerung des Gauß’schen Problems hat Wirtz!) behandelt.
20. Horrebow-Taleott’sche Methode. Wie man aus dem Durch-
gang zweier Sterne durch denselben Höhenkreis!®) die Breite be-
stimmt, wurde in Nr. 6 dargelegt. Je näher wir an den Meridian her-
angehen, einen desto geringeren Einfluß übt eine Ungenauigkeit in
der Kenntnis der Zeit auf die errechnete Polhöhe aus und er ver-
schwindet gänzlich, wenn ich beide Sterne im Nord und Süd strenge
im Meridian beobachte. Jegliche Höhenänderung fällt dort weg, so
daß von einer Passage durch einen Höhenkreis nicht mehr die Rede
sein kann. Man leistet auf völlige Gleichheit der Höhen beider
Sterne Verzicht und beschränkt die Forderung darauf, daß die Sterne
in so nahe gleichen Höhen kulminieren, daß der Unterschied mit
einem Fadenmikrometer meßbar bleibt. Wir stehen also vor einem
Spezialfall der Aufgabe: aus der Höhendifferenz zweier Sterne die
Polhöhe abzuleiten. Die Lösung besteht hier in der einfachen Regel,
daß die Breite sich darstellt als Summe des arithmetischen Mittels
der Deklinationen beider Sterne und der am Mikrometer gemessenen
halben Differenz der Zenitdistanzen. Den Grundzug des Verfahrens
wendet man auch dann an, wenn man Höhen im Nord- und Südzweig
des Meridians an irgend einem Instrument mißt: wesentlich die Höhen-
differenz bedingt das Resultat. Auf die Idee der Methode kam
Horrebow'®) und unabhängig auch M. Hell!®), der sie gelegentlich
des Venusdurchganges von 1769 zur Bestimmung der Breite von War-
doehus benutzte. Ferner wandte Carsten Niebuhr”®) sie auf den Rat
104) u. 105) Vgl. Ann. d. Hydr. 1901, p. 467 und p. 323.
106) Höhenkreis (auch Almukantarat, Horizontalkreis) bedeutet an der
Himmelsspbäre einen Kleinkreis, dessen Pol im Zenit liegt, also einen Kreis
konstanter Höhe. Über andere Bedeutungen vgl. Fußn. 310.
107) P. Horrebow, Opera mathematico-physica 3, Havniae 1740—41.
108) M. Hell, Observatio transitus Veneris, Hafniae 1770; Beob. d. Durchg.
der Venus 1769 zu Wardoehus, Breslau und Hirschberg 1793.
-
106 VIe,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
T. Mayer’s in Arabien mit gutem Erfolge an. Sie geriet einige Zeit
in Vergessenheit, bis sie, von A. Talcott!) wieder ans Licht gezogen,
zu Breitenbestimmungen bei der amerikanischen Küstenvermessung
Verwendung fand.
Eine neue Belebung erfuhr Horrebow’s Gedanke, als F. Küstner'!)
ihn zur Untersuchung der Aberrationskonstante zu verwerten lehrte
und gleichzeitig den endgültigen praktischen Beweis für die schon
von Bessel!!") vermutete Polhöhenschwankung lieferte. Zur weiteren
Verfolgung der Frage ging Marcuse‘'?) nach Honolulu, um dort in
Kooperation mit europäischen Observatorien die Schwankungen näher
zu studieren. Dann nahm das Zentralbureau der internationalen
Erdmessung die systematische Erforschung der Bahn des Erdpoles in
die Hand und beschloß, nachdem schon seit 1895 alle Jahre Berichte
über den Stand der Erforschung der Breitenvariationen!!?) heraus-
gegeben worden waren, einen geregelten Breitendienst einzurichten.
Der Ausführung dieses Planes gingen Versuche über die zweck-
mäßigste Art der Instrumente voraus, wobei man auch das schon von
Küstner“'®) angemerkte, von Marcuse''t) durch ein eigens den Zwecken
der Horrebow-Methode angepaßtes photographisches Fernrohr von
5 Zoll Öffnung ausprobierte photographische Verfahren in den Kreis
der Erwägungen zog. Man entschied sich für die rein optische Methode,
die an einem Zenitteleskop von 108 mm Öffnung und 130 cm Brenn-
weite ausgeübt wird. Das Beobachtungsverfahren"?) ist dem Küst-
109) A. Taleott im „Report of the superintendent of the U. 8. coast survey
for 1857, Washington 1858“, p. 324—334.
110) F. Küstner, Zur Bestimmung der Aberrationsconstante, Berlin Sternw.
Ergebn. 3 (1888) und Astr. Nachr. 126 (1891), p. 233.
111) F. W. Bessel’s Brief an Humboldt 1844 Juni 1, erwähnt in: Briefe zwischen
A. v. Humboldt und Gauß, hrsg. von K. Bruhns, Leipzig 1877, p. 53. — Eine
elementare Theorie der Polhöhenschwankungen: F. Klein und A. Sommerfeld,
Theorie des Kreisels, Heft 3, p. 663, Leipzig 1903.
112) A. Marcuse, Bericht über die Expedition nach Honolulu, enthalten in:
Verh. 10. Allg. Conf. Erdm., Berlin 1893, p. 631; ferner Astr. Nachr. 131 (1892),
p. 297 und Th. Albrecht, Resultate der Beobachtungsreihe in Honolulu, betreffend
die Veränderlichkeit der Polhöhe, erschienen als „CentrBur. Erdm. Veröff.*, Berlin
1892, auch in: Verh. 10. Allg. Conf, Erdm., Berlin 1893, als Annexe A VII.
113) Th. Albrecht, Bericht über den Stand der Erforschung der Breiten-
variation im Jahre ...., jährlich erstattet in den „Verh. Comm. oder Allg. Conf.
Erdm.“ seit der Innsbrucker Tagung 1894; erscheint seit 1898 selbständig als
„CentrBur. Erdm. Veröff.“, Berlin 1898ff.; Auszüge in den Astr. Nachr., vgl. deren
„General-Register“, Kiel 1902, p. 2.
114) A. Marcuse, Berlin Sternw. Ergebn. 7 (1897).
115) Th. Albrecht, Anleitung zum Gebrauche des Zenitteleskopes auf den
internationalen Breitenstationen, 2. Ausgabe, Berlin 1902.
21. Polhöhenbestimmung im Ersten Vertikal. 107
ner’schen nachgebildet. Mit dem Mikrometerfaden stellt man nach
Ablesung zweier in der Ebene des Meridians liegender Libellen den
ersten Stern im Süden ein, dreht das Instrument um 180°, bringt die
Libellen mit der Feinschraube nahe zum Einspielen und führt den
Mikrometerfaden auf den nördlichen Stern. Die Kombination der
Niveauangaben mit den Schraubenablesungen ergibt den verlangten
Höhenunterschied beider Sterne.
Der innere zufällige Fehler einer Polhöhenbeobachtung fällt sehr
gering aus. Küstmer findet ihn zu + 020 mittlerem Fehler und auf
den internationalen Stationen folgt er im Durchschnitt zu + 0715
mittlerem Fehler. Systematische Fehler sind, da der differentielle
Charakter der Messungen strenge gewahrt bleibt, nur in geringem
Maße zu befürchten. Gewisse Erscheinungen lassen freilich Spuren von
lokalen Refraktionsanomalien vermuten. Da indes Zenitdistanzen von
25° bei den eigentlichen Polhöhensternen nie überschritten werden,
kann eine Anomalie bei der Kleinheit schon der absoluten Refrak-
tionen das Resultat kaum gefährden. Überdies wird versucht, hier-
für eine Kontrolle durch Beobachtung von Sternpaaren, die in 60°
Zenitdistanz kulminieren, zu schaffen !!).
Ganz ohne Mikrometer läßt sich nach einem Hinweise Angelitt’s "")
der Höhenunterschied dadurch messen, daß man das Fernrohr in eine
Zenitdistanz einstellt, die etwas größer ist, als die größere der Me-
ridianzenitdistanzen beider Sterne und dann die Mikrometermessungen
durch Durchgangsbeobachtungen beider Sterne östlich und westlich
vom Meridian durch einen oder mehrere Horizontalfäden ersetzt.
21. Durchgänge durch den Ersten Vertikale An den nächst
dem Meridian wichtigsten (zu ihm senkrechten) Vertikalkreis des
sphärischen Horizontalsystems, an den Ersten Vertikal, knüpft sich
eine Methode der Breitenbestimmung an, die mehrere Vorzüge mit
der Horrebow’schen gemein hat. Der Grundgedanke, der nach dem
Zeugnisse Horrebow’s und einer im Jahre 1704 gestochenen Tafel der
„Basis astronomiae“ auf Olaus Römer‘'®) zurückgeht, ist folgender.
Wenn ein Stern im Ersten Vertikal anlangt, so geht das sphärische
Dreieck Pol-Stern-Zenit in ein am Zenit rechtwinkliges über, in wel-
chem von vorneherein eine Seite, die Polardistanz des Sternes, bekannt
vorliegt. Beobachtet man noch das Zeitintervall, das verfließt zwi-
schen dem Durchgang des Sternes durch den Ostzweig und dem
116) T'h. Albrecht, Resultate des internationalen Breitendienstes 1, Berlin 1903.
117) F. Angelitti, Rendiconto dell’ Accademia delle scienze fisiche e mate-
matiche (Napoli), (2) 4 (Napoli 1890), p. 50.
118) P. Horrebow, Basis astronomiae, Havniae 1735 (vgl. Fußn. 25), Tafel VII.
108 VI»,3. 0.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
durch den Westzweig des Ersten Vertikals, so ergibt die halbe Zeit-
differenz in dem erwähnten rechtwinklig-sphärischen Dreieck den
Winkel am Pol, i. e. den Stundenwinkel im Moment der Passage
durch den Ersten Vertikal.
Vom Urheber nicht richtig gewürdigt fand das Verfahren erst
bei .Bessel'!?) Aufnahme, theoretische Durcharbeitung und praktische
Verwertung bei der in Gemeinschaft mit Baeyer unternommenen
Gradmessung in Ostpreußen'?®). Bessel zeigte, daß der Kollimations-
fehler des Passageninstrumentes ganz aus dem Ergebnis herausfällt,
wenn zwischen Ost- und Westdurchgang desselben Sternes das Instru-
ment umgelegt wird; die Größe des Azimuts spielt keine Rolle, so-
lange es überhaupt klein bleibt; dagegen müssen an seine Konstanz
hohe Anforderungen gestellt und die Neigung der Achse aufs schärfste
bestimmt werden, da sie mit vollem Betrage in die Polhöhe eingeht.
Ein weiteres Studium erfuhr die Aufgabe zunächst durch Han-
sen'*') und Encke'??), die noch an dem skizzierten Römer-Bessel’schen
Beobachtungsverfahren mit einmaliger Umlegung des Passageninstru-
ments zwischen Ost- und Westdurchgang desselben Sternes festhielten.
W. Struve'??) erschloß dem Transit im Ersten Vertikal ein neues Feld:
die Bestimmung der Aberrationskonstante neben jener der Polhöhe.
Struve ließ zu dem Ende ein von @. u. A. Repsold konstruiertes, leicht
umlegbares Transit mit lichtstarkem Fernrohr in Pulkowo aufstellen
und beobachtete jetzt so, daß er während'??) jedes Durchganges in Ost
und West je einmal umlegte. Der unmittelbare Vorteil bestand darin,
daß die Konstanz des Kollimationsfehlers auf eine viel engere Zeit
beschränkt sein durfte; überdies ergaben sich einige Vereinfachungen
der Rechenvorschriften.
Mag man nach der Römer-Bessel’schen oder der Struve’'schen
Methode beobachten, zur Bestimmung der Polhöhe soll man Sterne
119) F.W. Bessel, Astr. Nachr. 3 (1825), p. 9 und ebenda 6 (1828), p. 221
— Bessel, Abhdl. 1, p. 317 und 2, p. 45.
120) F. W. Bessel und J.J. Baeyer, Gradmessung in Ostpreußen und ihre Ver-
bindung mit preuß. und russ. Dreiecksketten, Berlin 1838 — Bessel, Abhdl. 3, p. 62.
121) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 6 (1828), p. 101—116 und p. 421—458.
122) J. F. Encke, Bemerkungen über das Durchgangsinstrument von Ost
nach West, Berl. astr. Jahrb. für 1843; ferner H. Raper, Lond Astr. Soc. Mem.
10 (1838), p. 337; W. H. Simms, daselbst 26 (1858), p. 1; J. F. Tennant, daselbst
28 (1860), p. 235—248.
123) F. @.W. Struve, Notice sur l’instrument des passages de .Repsold,
&tabli dans le premier vertical, St. P6t. bull. scient. 10 (1842), p. 209; O. v. Struve, -
Tabulae auxiliares ad transitus per primum verticale reducendos inservientes,
Petropoli 1868. — Über W. Struve’s Methode vgl. auch Albrecht®®), 3. Aufl., p. 66.
21. Polhöhenbestimmung im Ersten Vertikal. 109
in möglichster Nähe des Zenits nehmen, und zwar wähle man die
Meridianzenitdistanz der Sterne nicht über 3°. Je weiter man sich
vom Zenit entfernt, um so stärker geht ein Fehler der Zeit in die
abgeleitete Polhöhe ein, um so länger wird das Zeitintervall zwischen
Ost- und Westpassage und um so höhere Anforderungen müssen an
die Konstanz des Azimuts gestellt werden. Zur Prüfung und Er-
mittelung des Azimuts, in Ermangelung von Miren, hat Foerster'**)
ein Verfahren angegeben: er beobachtet die Durchgänge zweier dem
Horizont nahen rasch laufenden Sterne kurz nacheinander in Ost und
West und leitet daraus mit Hilfe der bekannten Zeit das Azimut der
Umdrehungsachse ab.
Neben der reinen Bestimmungsmethode im Ersten Vertikal tauch-
ten verschiedene Modifikationsvorschläge auf. R. Mauritius'”) strebte
die Ausdehnung der Römer-Bessel’schen Methode auf den ganzen
Himmel an; er verlangt ein Passageninstrument, dessen Rohr man
unter beliebigem Winkel gegen die Drehungsachse neigen könne. Der
Vorschlag scheint nie ausgeführt worden zu sein. Dagegen ist der
Plan von N. Herz'?*), dem Transit im Ersten Vertikal einen feingeteilten
Vertikalkreis zuzufügen, verwirklicht, von den Erfolgen aber noch
nichts bekannt geworden.
Nur mehr an die Nähe des Ersten Vertikals ist eine Methode
geknüpft, die R. Schumann'”‘) im Anschluß an H. Bruns diskutiert.
Grundidee: Von zwei Sternen, die in der Nähe des Ersten Vertikals
gleichzeitig ein und denselben Vertikalkreis passieren, beobachtet man
die Durchgänge durch diesen; die eine Komponente des Paares ist
dem Zenit nahe und dient zur eigentlichen Ableitung der Polhöhe,
die andere Komponente liefert das Azimut des Instrumentes und be-
darf einer größeren Zenitdistanz. Durch weitgehende Elimination der
Instrumentalfehler zeichnet sich das von W. Doellen gelehrte, von
B. Wanach‘®) bekannt gemachte Verfahren der Breitenbestimmung
nahe beim Ersten Vertikal aus, es bildet schon den Übergang zu den
Digressionen (siehe Nr. 22).
Die Beobachtung im Ersten Vertikal bildet den bequemsten und
124) W. Foerster, De altitudine poli Bonnensi, Diss. Bonn 1854.
125) R. Mauritius, Bestimmung der Polhöhe von Marburg, Diss. Marburg 1862.
126) N. Herz, Theorie eines mit einem Vertikalkreise versehenen Passage-
instrumentes im I. Vertikal, Publicationen der v. Kuffner’schen Sternw. in Wien-
Ottakring, 2, Wien 1892.
127) R. Schumann, Astr. Nachr. 134 (1894), p. 249.
128) B. Wanach, Astr. Nachr. 136 (1894), p. 51; siehe auch F. Contarino,
Astr. Nachr 136 (1894), p. 369.
110 VI’e, 3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
günstigsten Fall der allgemeinen Aufgabe: aus den Durchgängen
zweier Sterne durch denselben Vertikalkreis die Breite (oder Zeit) zu
ermitteln, ein in dieser Gestalt kaum je in die Praxis eingedrungenes
Verfahren. Ebenso bietet die von C. Rümker'?”) behandelte Über-
tragung des Pothenot'schen Problems auf die Sphäre („Aus den Azimut-
differenzen dreier Sterne die Polhöhe zu berechnen“) vorwiegend
theoretisches Interesse.
22. Digressionen. Nur diejenigen Sterne ziehen auf ihrer täg-
lichen Bahn sichtbar durch den. Ersten Vertikal, deren Deklination
zwischen O° und der Polhöhe liegt. Die polwärts vom Zenit kulmi-
nierenden Sterne weisen analoge ausgezeichnete Bahnpunkte in den
Digressionen auf, i. e. jene Stellen ihrer Bahn, in denen ihr Parallel-
kreis den Vertikalkreis berührt. In der Digression wird das Dreieck
Pol-Stern-Zenit am Stern rechtwinklig und zur Breitenbestimmung
würde es dann genügen, den Winkel am Zenit zu beobachten. Man
erreicht dies dadurch, daß man mit Hilfe eines Theodoliten die Azi-
mutdifferenz zweier aufeinander folgender Digressionen bestimmt, deren
Hälfte den gesuchten Winkel darstellt. Die Beobachtung besteht darin,
den Horizontalkreis dann abzulesen, wenn der Stern keine Azimut-
änderung mehr zeigt, sondern vertikal ab- oder aufwärts durch das
Feld des Fernrohrs zu laufen scheint. Am günstigsten gestalten sich
die Bedingungen, wenn man Sterne von großer Poldistanz wählt, die
hart an den Ersten Vertikal heranstreifen. Eine ausführliche Dar-
stellung der Methode lieferte J. @. Böhm'®®). Einer weiten Ver-
breitung erfreute sich die Verwertung der Digressionen nie.
23. Absolute Methoden. Mit einer Ausnahme (untere und obere
Kulmination eines Zirkumpolarsterns) erforderten alle Methoden der
Breitenbestimmung, die bisher zur Sprache kamen, die Kenntnis der
Sterndeklination in dem Grade, daß Fehler dieser Koordinate in
gleichem Maße die errechnete Polhöhe entstellten. Das Streben nach
absoluten, vom Sternort unabhängigen Methoden machte sich daher
sofort geltend, als die Frage der Veränderlichkeit der Polhöhe auf-
tauchte. Zunächst war es W. Foerster'?'), der sich mit dem Problem
129) C. Rümker, Handbuch der Schifffahrtskunde, 4. Aufl. Hamburg 1844,
p. 151 und bei Günther, p. 561.
130) J. @. Böhm, Methode, geographische Breite und Azimut auf das Ge-
naueste zu finden, Prag 1855.
131) W. Foerster, Zur Theorie des Durchgangs-Instrumentes, Berl. astr.
Jahrb. für 1880 und 1882 (Wieder-Abdruck in W. Foerster, Studien zur Astro-
metrie, Berlin 1888); W. Foerster, Beiträge zur Ausgleichung der fundamentalen
22. Polhöhenbestimmung in den Digressionen. 23. Absolute Methoden. 111
beschäftigte. Seine Auflösung gründet sich auf die Anwendung eines
mit Horrebow-Einrichtung versehenen Passageninstrumentes, welches
azimutal so verstellt werden kann, daß es die Ausführung von Durch-
gangsbeobachtungen in beliebigen Vertikalebenen gestattet. Foerster
wählt einen Pol-, einen Zenit- und einen Südstern aus, und die ganze
Beobachtungstätigkeit kommt nur auf Durchgangsmomente und Höhen-
differenzen hinaus, die in drei verschiedenen Azimuten beobachtet
werden. Das Verfahren verlangt eine ausgezeichnete Uhr und eine
hervorragende Stabilität des Instrumentes. Ein der Methode an-
gemessenes Universaltransit ließ Foerster für die Berliner Sternwarte
vom Mechaniker Bamberg konstruieren.
Eine andere absolute Methode veröffentlichte J. ©. Kapteyn'??),
die vielleicht einige Vorzüge vor der Foerster’schen besitzt. Kapteyn
fordert die Messung von Azimutunterschieden, von kleinen Höhen-
differenzen und kleinen Zeitintervallen. Die Höhendifferenzen werden
nach der Horrebow-Methode für zwei Sterne im Nord- und Süd-
zweig des Meridians bestimmt, die Azimutdifferenzen aber an zwei
Sternen von nahe gleicher Deklination gemessen, die kurz nach-
einander östlich und westlich vom Meridian in gleiche Höhe ge-
langen. Auf diese Weise wird man frei von Fehlern der Deklination,
der Refraktion, der Biegung und des Uhrganges, die jetzt praktisch
nur unmerklich das Resultat zu entstellen vermögen.
Neuerdings trat F. Contarino'””) mit einem Vorschlage hervor,
der mit dem Kapteyn’schen einige Ähnlichkeit aufweist. Der Ideal-
fall liegt so: das Azimut eines Sternes mit einer der Polhöhe
gleichen Deklination werde dann beobachtet, wenn er durch den
6"-Stundenkreis geht. In praxi ersetzt man den einen Zenitstern
durch zwei Sterne von ungefähr 12" Rektaszensionsdifferenz und be-
stimmt deren Azimutdifferenz beim Durchgang durch den 6"-Kreis
in Ost und West. Hierzu treten noch Meridianzenitdistanzen beider
Sterne in Verbindung mit Mikrometermessungen nach Art der bei der
Horrebow-Methode vorkommenden.
L. Courvoisier'”*), der nach Kapteyn’s Methode in Straßburg
Ortsbestimmungen am Himmel, Astronomische Abhandlungen (als Ergzh. zu
„Astr. Nachr.“ hrsg. von H. Kreutz) Nr. 5, Kiel 1904.
132) J. C. Kapteyn, Methode, die Polhöhe möglichst frei von systema-
tischen Fehlern zu bestimmen, Copernicus (journal) 3 (Dublin 1884), p. 147.
133) F. Contarino, Su di un metodo per determinare la latitudine geografica,
Napoli 1897.
134) L. Courvoisier, Untersuchungen über die absolute Polhöhe von Straß-
burg i. E., Diss. Heidelberg 1901.
112 VI2,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Beobachtungen angestellt, gibt im dritten Teil seiner Arbeit ein
eigenes Verfahren zur Bestimmung der absoluten Polhöhe an. Es
stützt sich auf Azimutbeobachtungen von vier Sternen, deren Dekli-
nationen der Polhöhe nahe gleich, deren Rektaszensionen aber unter-
einander um 6" verschieden sind. Einheitlichkeit und Einfachheit
der Beobachtung und die Elimination konstanter Fehler in Höhen-
refraktion und Höhenbiegung werden vor allem angestrebt.
24. Instrumente zur Beobachtung gleicher Höhen. Es sei
noch einer Art von Instrumenten gedacht, die mit besonderer Rück-
sicht auf jene Methoden geographischer Ortsbestimmung erdacht
worden sind, welche die Durchgänge von Sternen durch den gleichen
Höhenkreis als Beobachtungselement voraussetzen. Des einfachsten
Instrumentes, des Chronodeiks, erwähnten wir bereits in Nr. 5.
A. Beck“) begann im Jahre 1890 der Konstruktion eines Hilfs-
mittels zur Festlegung konstanter 'Höhen seine Aufmerksamkeit zu-
zuwenden. Das Prinzip der verschiedenen von ihm vorgeschlagenen
und zum Teil ausgeführten Instrumente, Nadirinstrumente genannt,
besteht darin, daß in ein vertikal abwärts gerichtetes Fernrohr ein
darunter befindliches geeignet geformtes Prisma das Bild eines Sternes
dann reflektiert, wenn der Stern die Zenitdistanz 60° passiert; be-
obachtet werden die Durchgangszeiten durch eine Gruppe von Fäden.
Theorie, Anlage der Rechnung und verschiedene Variationen seines
Instrumentes hat Beck eingehend bearbeitet.
Von der Beck’schen Konstruktion weicht der von F. Nusl und
J. J. Fric‘°) angegebene und erprobte „Zirkumzenitalapparat“ nicht
unerheblich ab. Hier ist vor einem horizontal gelagerten Fernrohr
mit gleichfalls horizontal gerichteter Kante ein Prisma angebracht,
dessen beide dem Fernrohr zugekehrte Flächen versilbert sind. Dicht
unter dem Prisma befindet sich ein Quecksilberspiegel, und die Be-
obachtung besteht in der Festlegung des Augenblicks, zu dem die
demselben Stern angehörigen Bilder koinzidieren, die einerseits von
der oberen Prismenfläche, anderseits nach doppelter Reflexion am
Quecksilberspiegel und an der unteren Prismenfläche ins Rohr ge-
langen.
Auf ähnlichen Erwägungen scheint nach der vorliegenden Be-
schreibung und warmen Empfehlung Guyou’s das Claude’'sche „Prismen-
135) A. Beck, Über die geographische Breite von Riga aus Beobachtungen
an einem neuen astronomischen Instrument (Riga Naturf.-Verein Festschr.), Riga
1895. Ferner Astr. Nachr. 126, 130, 132, 136, 140, 159, 163 (1891—1903).
136) F. Nusl et J.J. Fric, Etude sur l’appareil eircumzenital, Bull. inter-
national de l’Acad. des Sc. de Bohöme 8, Prague 1903.
24. Instrumente zur Beobacht. gleicher Höhen. 25. Photograph. Meth. 113
astrolabium“ 17) zu beruhen, von dem indes praktische Erfolge noch
nicht veröffentlicht worden sind.
25. Photographische Methoden. Mehrfach hat man versucht,
die Photographie in den Dienst der geographischen Ortsbestim-
mung zu stellen. Eine Art streiften wir schon in Nr. 14 und 20.
©. Runge‘??) erteilte der Längenbestimmung durch den Mond — wir
erledigen in dieser Schlußnummer des zweiten Teiles die vollständige
photographische Ortsbestimmung — die folgende Form: mit einer
gewöhnlichen Kamera photographierte er zuerst den Mond und dann
bei ungeänderter Stellung der Kamera nach Ablauf einer mit der
Uhr gemessenen Zwischenzeit eine hinreichend helle Sterngruppe; die
Ausmessung der Platte lieferte den Mondort und damit die Zeit des
Nullmeridians und die Länge. Den gleichen Weg beschritt später
E. H. Hills “°), der besonders schwere Kameras benutzte. ©. Koppe '*)
lehrte den stets unscharfen Mondrand aus der Messung eliminieren:
er leitete mit dem kleinen Fernrohr seines Phototheodoliten auf den
Mond und drehte zwischen zwei Aufnahmen einer Monddistanz die
Platte durch Durchschlagen des Theodoliten um 180°, so daß er in
dem Abstand der beiden Sternbilder die doppelte Monddistanz ge-
wann. Auch zur Breitenbestimmung durch Zirkummeridianhöhen ver-
wandte Koppe den von ihm konstruierten Phototheodoliten. Ein
photographisches Universal, das diesem Phototheodoliten sehr ähn-
lich sieht, konstruierte A. Marcuse‘*'). Nachdem ein Vorschlag von
F. Stolze “?) sich als undurchführbar erwiesen, zeigte M. Schnauder '*?),
daß man bei einer auf das Zenit gerichteten Kamera den Zenitpunkt
durch drei Expositionen mit kurzen und gleichen Zwischenzeiten
dadurch bestimmen könne, daß für die mittlere Aufnahme die Platte
in ihrer Ebene um 180° gedreht wird. Schnauder's Zenitkamera be-
steht aus einer einfachen um eine vertikale Achse zwischen An-
schlägen um 180° drehbaren photographischen Kamera, deren senk-
rechte Achse zwei Libellen justieren. ©. Runge ersetzt die Libellen
dadurch, daß er die Kamera in einem Wassertrog schwimmen
137) E. Guyou, Paris ©. R. 135 (1902), p. 1174.
138) C. Runge, Zs. für Vermessungswesen 22 (1893), p. 417.
139) E. H. Hills, Lond. Astr. Soc. Mem. 53 (1899), p. 117.
140) (€. Koppe, Photogrammetrie u. internationale Wolkenmessung, Braun-
schweig 1896.
141) A. Marcuse, Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), p. 285.
142) Photographische Bibliothek, hrsg. von F' Stolze, Band 1: F. Stolze,
Die photographische Ortsbestimmung ohne Chronometer, Berlin 1893.
143) M. Schnauder, Astr. Nachr. 154 (1900), p. 134.
Enceyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 8
114 VI, 3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
läßt, K. Schwarzschild““*) hängt den ganzen Apparat an feinen Stahl-
federn auf. Eine andere von Schwarzschild angegebene Methode '*°)
erfordert eine möglichst unveränderlich aufgestellte, nach dem Zenit
gerichtete Kamera und einen hängenden Zenitkollimator. Letzterer
bestand aus einem nach abwärts gerichteten, an einer Stahlfeder
hängenden Fernrohr, dessen Brennebene eine schwarze Platte mit
eingerissener Kreuzmarke trug. Der Zenitpunkt fand nun seine
Festlegung in der Weise, daß vor der Exposition die beschriebene
Hängevorrichtung über das Kameraobjektiv geschoben und mittels
eines Glühlämpchens zwei Bilder des Kreuzes, die zu zwei um 180°
verschiedenen Lagen des Kollimatorfernrohrs gehörten, auf die Platte
gebracht wurden. Das Zenit liegt in der Mitte beider Kreuze.
Hierauf wurde die Platte eine halbe oder ganze Stunde auf den
Himmel exponiert, indes die zenitnahen Sterne ihre Strichspuren
beschrieben. Die spätere Ausmessung ergab die Meridianzenitdistanz
der auf der Platte vorkommenden Sterne. Das gleiche Prinzip ver-
wandte Schwarzschild auch zur Konstruktion einer für Expeditions-
reisen geeigneten leichten Kamera“). Den hängenden Kollimator
ersetzt hier ein abwärts gerichtetes festes Röhrchen, das vermittels
zweier Libellen justiert wird.
III. Längenbestimmung.
A. Durch gleichzeitige Signale.
(Über Okkultationsphänomene siehe Nr. 35.)
26. Mondfinsternisse, Verfinsterungen der Jupitersatelliten.
Während die Ableitung der Breite auf die Beobachtungen an dem
zu bestimmenden Orte allein gegründet werden kann, bedarf man
zur Längenbestimmung auch noch der Zeit des Nullmeridians. Am
einfachsten wäre es, Himmelsereignisse zu beobachten, die für die
ganze Hemisphäre, der sie sichtbar sind, zur gleichen absoluten Zeit
eintreten. Die Differenzen der Ortszeiten des Phänomens deckten sich
dann mit den Längendifferenzen.
Vor allen Dingen haben sich die Mondfinsternisse dieser Ver-
wertung im Altertum und im Mittelalter erfreut, ja noch im 18. Jahr-
hundert sind sie zu genaueren Längenbestimmungen benutzt worden '*7).
Streng genommen finden Beginn und Ende einer Finsternis, d. h. der
Beschattung der für einen Ort sichtbaren scheinbaren Vollmond-
144) und 145) K. Schwarzschild, Astr. Nachr. 164 (1904), p. 177 und p. 1.
146) K. Schwarzschild, Jahrbuch f. Photogr. u. Reprod.-Technik, Halle 1903.
147) Vgl. u. a. Bohnenberger, p. 316.
26. Längenbestimmung durch Finsternisse. 115
scheibe, infolge der parallaktischen Verschiebung nicht gleichzeitig
statt; doch fließt aus dieser stets begangenen Vernachlässigung nur
ein verschwindend geringer Fehler, der gar nicht mehr in Frage
kommt gegenüber der natürlichen Unsicherheit, die dem Phänomen
anhaftet und die sich daraus herleitet, daß die Grenzen des Erd-
schattens sich durch eine Verwaschenheit auszeichnen, deren Grad
von Finsternis zu Finsternis erheblich schwankt. Überdies ist der
Sehattendurchmesser größer als er geometrisch sein sollte. Die Er-
klärung für diese scheinbare Vergrößerung gab H. Seeliger “*), der
nachwies, daß uns hier ein wesentlich physiologischer Vorgang ent-
gegentritt. Merklich genauer als Anfang und Ende lassen sich, nach
dem Vorgange Richer’s '), die Augenblicke beobachten, zu denen der
Erdschatten einzelne Formationen (Krater, Ringgebirge, Wallebenen)
bedeckt oder freigibt. Diese Momente treten für alle Punkte der
Erde strenge gleichzeitig ein. Immerhin mag es möglich sein mit
Beachtung aller Vorsichtsmaßregeln (Gleichartigkeit der Fernrohre,
Auswahl scharf definierter Mondkrater, Verabredung über die zu
beobachtende Schattenkontur) aus einer Mondfinsternis die Längen-
differenz zweier Orte auf einige Zeitsekunden genau herauszubringen.
Heute haben die Finsternisse ihre Bedeutung für die Länge eingebüßt;
ihr Wert liegt lediglich auf dem Gebiete der Physik der Atmosphäre.
Ein identisches in größerer Entfernung von der Erde sich ab-
spielendes Phänomen wurde nach Erfindung des Fernrohrs zugäng-
lich: die Verfinsterung der Jupitersatelliten. Galilei‘) scheint der
erste gewesen zu sein, der ihre Brauchbarkeit zum angezeigten Zwecke
durchschaute. Zuerst hatte er wohl nicht die Verfinsterung selbst
im Auge, sondern, wie auch de Peiresc'°'), die Konstellationen der
vier alten Trabanten, durch deren Anblick schon die entsprechende
Zeit des Nullmeridians abzulesen sei. Jedoch blieben diese frühen
Bemühungen fruchtlos, bis D. Cassini °?) brauchbare Trabantentafeln
schuf. Später, insbesondere im 18. Jahrhundert, erfreute sich die
148) H. Seeliger, Die scheinbare Vergrößerung des Erdschattens bei Mond-
finsternissen, Münch. Abh. 19, München 1898, p. 383.
149) J, Richer, Observations astronomiques faites en l’isle de Cayenne,
Paris 1679.
150) @. Galilei, Sidereus nuncius, Venetiis 1610 = Opere 2 (Padova 1744),
p. 35; ferner in Galilei’s Schreiben von 1636 an die holländischen Generalstaaten
= Öpere 3 (Firenze 1718), p. 155 — Opere 2 (Padova 1744), p. 459 = ÖOpere 7
(Firenze 1848), p. 82.
151) N. C. F. de Peiresc, geb. 1580, gest. 1637; Wolf, Handb. 2, p. 149.
152) D. Cassini, Ephemerides Bononienses Mediceorum siderum, Bono-
niae 1668.
8*
116 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Methode großer Beliebtheit, vornehmlich nachdem Hell?) sich ihrer
angenommen und eine Anzahl Regeln zur genauen Beobachtung der
nach Art unserer Mondfinsternisse nicht plötzlichen Verfinsterungen
aufgestellt. Er wollte wegen der rascheren Bewegung und infolge-
dessen des rascheren Eintauchens in den Jupiterschatten nur die
Satelliten I und II zur Längenbestimmung verwandt wissen; ferner
verlangte er identische Fernrohre, gleichmäßige Verteilung der Mo-
mente auf Ein- und Austritt und Vermeidung der Nähe der Jupiter-
opposition. Die neuesten Verschärfungen, die die Beobachtung der
Jupitersatelliten in ihrer praktischen und theoretischen Verwertung
durch Cornu 54), Obrecht 5), Seeliger "%), Anding °”) erfahren, hat mit
dem Gedanken an Längenbestimmung nichts mehr zu tun. Sie dienen
dem Studium teils der Mechanik des Jupitersystems, teils des photo-
metrischen Verhaltens während des Verweilens des Trabanten im Schatten
des Hauptkörpers und der Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit.
27. Sternschnuppen. Auf einen sehr viel weniger ausgedehnten
Bereich der Erdoberfläche ist die Wahrnehmbarkeit jener Phänomene
beschränkt, die schon sehr früh, als noch kaum die Überzeugung von
ihrer kosmischen Natur aufgetaucht, als zu Längenbestimmungen ge-
eignet in Vorschlag gebracht wurden. Halley '°®) wies zuerst auf die
Möglichkeit hin, durch das Aufblitzen einer Sternschnuppe eine Uhr-
vergleichung zu erzielen; bald darauf wiederholte @. Lynn "°°) diesen
einfachen Gedanken, der nachmals von .Benzenbery '%) aufgegriffen
wurde. Erfolge hat indes die Methode nie gezeitigt; einmal deshalb,
weil man nie genau weiß, wann und wo ein Meteorit auftaucht, und
ein weiterer Einwand erhebt sich aus der Schwierigkeit der Identifi-
kation der an beiden Orten gesehenen Erscheinung. Nichtsdestoweniger
hat jüngst nochmals Bouquet de la Grye'*') Sternschnuppen zur
Längenbestimmung heranziehen wollen.
153) M. Hell, Ephemerides astronomicae [Vindobonenses] anni 1764, p. 189,
Viennae 1768—64 (Ephem. Vindob. 1764). Über die Genauigkeit der Beobach-
tung der Verfinsterung der Jupitermonde stellte F. X. v. Zach eine vergleichende
Studie an: Berl. astr. Jahrb. Suppl. 3 (1797), p. 44.
154) A. Cornu, Paris C. R. 96 (1883), p. 1815.
155) A. Obrecht, Obs. de Paris ann. 18 (1885).
156) H. Seeliger, Astr. Ges. Vjs. 20 (1885), p. 176 und 267.
157) E. Anding, Photometrische Untersuchungen über die Verfinsterungen
der Jupiterstrabanten, München 1889.
158) E. Halley, Lond. Phil. Trans. 1719, p. 978 [abr. 6, p. 409].
159) @. Lynn, Lond. Phil. Trans. 1727, p. 351 [abr. 7, p. 207].
160) .J. F. Benzenberg, Über die Bestimmung der geographischen Läuge
durch Sternschnuppen, Hamburg 1802.
161) A. Bouquet de la Gıye, Paris C. R. 129 (1899), p. 464.
27. 28. Längenbestimmung durch Sternschnuppen oder künstliche Signale. 117
28. Künstliche Signale. Sehr viel sicherer stellte man derartige
plötzliche Erscheinungen durch künstliche Signale her und von diesem
Verfahren wurde früher sehr häufig dann Gebrauch gemacht, wenn
die Natur der Aufgabe eine sehr genaue Kenntnis der Längendifferenz
zweier Punkte erheischte, z. B. bei Längengradmessungen, die dem
Studium der Größe und Figur der Erde dienten. Picard und O. Rö-
mer?) bestimmten so schon 1671 die Längendifferenz zwischen der
durch 7'ycho Brahe’s Uranienburg bekannten Insel Hveen und Kopen-
hagen. N.L.de Lacaille und Cassini de Thury'°) benutzten das Auf-
blitzen von Schießpulver, um den Längenunterschied von 1°.9 einer
in der Breite + 43°.5 vorgenommenen Gradmessung (1739 — 1740)
zu ermitteln. Um den Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die vier-
ziger Jahre hinein fand die Methode in ganz Europa vielfache An-
wendung und gelangte zu hoher Ausbildung vornehmlich, nachdem
Gauß*) den Heliotropen erfunden hatte und mittels dieses Instru-
mentchens leicht und bequem Lichtsignale nach den gewählten
Stationen gegeben werden konnten. Die Station, an der die Pulver-
oder Heliotropsignale stattfanden, verlegte man möglichst in die
Mitte der zu bestimmenden Orte oder schaltete, wenn deren Ent-
fernung eine sehr große, Zwischenstationen ein, für die keine Be-
stimmung der Ortszeit, sondern nur die Beobachtung der Signal-
zwischenzeit erforderlich war; unabhängige Zeitbestimmungen fallen
lediglich den beiden Endpunkten des Bogens zu. Die größte in vor-
elektrischer Zeit durchgeführte Längenbestimmung ist die auf dem
Parallel 45°43’.2 ausgeführte, die von Bordeaux an der atlantischen
Küste bis Fiume an der Adria über 15.5 Längengrade reicht; sie
wurde französischerseits von Oberst Brousseaud begonnen und gegen
1824 vom italienischen, sardinischen und österreichischen General-
stabe abgeschlossen 1).
162) J. Picard, Voyage d’Uraniborg, ou observations astronomiques faites
en Dannemarck, Paris 1680.
163) C. F. Cassini de Thury, La meridienne de l’observatoire royal de Paris,
Paris 1744. |
164) ©. F. Gauß, Göttingische gelehrte Anzeigen 1821, p. 1249 — Werke 9
(1903), p. 461.
165) Siehe näheres u. a. bei F.. Arago, Astronomie populaire, Paris u. Leipzig
1856, 4 vols., tome 3, p. 339; oder: Sämtl. Werke, deutsche Ausgabe von W. @.
Hankel, Leipzig 1856, 13, p. 258; ferner Brousseaud, Mesure d'un arc du parallele
moyen, Limoges 1839. Die 1. Ausgabe erschien Paris 1826 in: Conn. des temps
pour 1829, p. 252—295.
118 VI2,3. 0.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
B. Durch Zeitübertragungen.
29. Chronometerreisen. An die Entwickelung eines der wich-
tigsten astronomischen Apparate, der Uhr, war die Ausführung einer
sehr einfachen Art der Zeitvergleichung gebunden. Gemma-Frisius '%)
erwähnte als der erste die Möglichkeit, mit Hilfe transportabler Uhren
die Zeit des einen Ortes auf den andern in Länge anzuschließenden zu
übertragen; aber es hat noch mehr als zwei Jahrhunderte gewährt,
bis die Technik Werkzeuge herzustellen vermochte, die den zu for-
dernden Grad der Zuverlässigkeit bewährten. Die leitende Idee ist
folgende: am Orte A beobachte ich das durch Stand und Gang und
dessen Abhängigkeit von Luftdruck, Temperatur und Feuchtigkeit
ausdrückbare Verhalten des Chronometers eine geraume Zeit hindurch,
reise dann nach dem in Länge zu ermittelnden Orte B und bestimme
dort an dem in A geprüften Chronometer die Ortszeit, deren Differenz
gegen die aus dem bekannten Verhalten der Uhr abzuleitende Orts-
zeit in A sofort den Längenunterschied von A und B liefert. Eine
Kontrolle gewährt die Rückreise nach A und nochmalige Unter-
suchung des Chronometers am Ausgangsorte. Eine weitere Ver-
schärfung und Vervielfachung erzielt man durch Mitnahme einer
größeren Anzahl von Chronometern. Derartige „Ohronometerreisen“
haben einige Male in vorelektrischer Zeit zur Bestimmung fundamen-
taler Längendifferenzen Nordeuropas gedient, so in den Jahren 1817
«bis 1821 unter Schumacher's Leitung zwischen Altona und Kopen-
hagen !#%), 1823 und 1824 unter Tiarks zwischen Greenwich und
Altona !%#), und endlich hat W. Struve die größte Operation dieser
Gattung zwischen Pulkowo, Altona und Greenwich 1°) unternommen,
freilich zu einer Zeit, wo in Amerika schon die telegraphische Me-
thode (siehe Nr. 30) Triumphe zu feiern begann.
Nach wie vor ist aber die chronometrische Zeitübertragung in
der Nautik von größter Bedeutung, seitdem es J. Harrison ''%) 1735
gelang, das erste Marinechronometer herzustellen. Heutigentages
166) R. Gemma/-Frisius], De principiis astronomiae, cosmonomiae et cos-
mographiae, Antuerpiae 1530, Paris 1547.
167) H. ©. Schumacher, Astr. Nachr. 1 (1823), p. 303—306.
168) J. L. Tiarks, siehe H. O. Schumacher, Astr. Nachr. 5 (1827), p. 225.
169) F.G@. W. Struve, Expedition chronomötrique (1843—44) entre Poulkova
et Altona, 2 vols., St.-Petersbourg 1844/46.
170) J. Harrison (1693—1776), An account of the proceedings in order to
the discovery of the longitude at sea, 2X ed., London 1763. The principles of
Mr. Harrison’s time-keeper, London 1767. Vgl. E. Geleich, Geschichte d. Uhr-
macherkunst, 5. Aufl, Weimar 1892, p. 56.
29. Längenbestimmung durch Chronometerreisen, 30. durch den Telegraph. 119
bildet diese Methode zur See die fast allein angewandte Art der
Längenbestimmung, neben welcher die übrigen auf den Mondort ge-
stützten Methoden lediglich den Rang von erwünschten Kontrollen
einnehmen. Die Untersuchung an den ÜChronometerobservatorien
(e. g. Hamburg, Kiel, Wilhelmshaven) bestimmt für jedes Chrono-
meter die Formeln, nach denen mit Rücksicht auf ein von der Tem-
peratur abhängiges Glied die Greenwichzeit für einen beliebigen
Moment zu berechnen sei, und da die Beobachtung an Bord die zu-
gehörige Ortszeit festlegt, so geht aus dem Unterschied beider Zeiten
die gesuchte Länge gegen Greenwich hervor. Kriegsschiffe auf
großer Fahrt haben mindestens drei Chronometer an Bord und auch
auf Handelsschiffen finden sich in vielen, wenn auch nicht den
meisten Fällen zwei oder drei Chronometer vor!"!). Für das relative
Gewicht der von. den verschiedenen Chronometern beigesteuerten
Greenwichzeit bei der Mittelbildung existieren verschiedene Vor-
schriften, die teils das Verhalten während der Prüfung an Land,
teils die täglichen Vergleichungen zur See zugrunde legen. Die
wichtigste Abhandlung über diesen Gegenstand stammt von Gauß'"?).
Auf Expeditionsreisen zu Lande bedient man sich statt der
langsam schwingenden Marine-(Box-)Chronometer, die den kurzen
und unregelmäßigen Erschütterungen eines Landtransportes nicht ge-
wachsen sein würden, der schnell schwingenden (%/, Sekunden schlagen-
den) Taschenchronometer, deren man leicht eine größere Anzahl mit-
nehmen kann. — Versuche aus neuester Zeit von P. Ditisheim‘“?) weisen
einen Barometerkoeffizienten für Chronometer deutlich nach.
30. Telegraph. Eine Uhrvergleichung ohne Uhrentransport brach
sich Bahn, als die von @auß und Weber 1833 begründete Telegraphie
begann, allgemeines Verkehrsmittel zu werden. Wiederum waren die
Amerikaner die ersten, die der 1839 von S. F. B. Morse gegebenen
Anregung folgten und 1844 durch K. Wülkes und Eld'“*) die erste
telegraphische Uhrvergleichung zwischen Washington und Baltimore
anstellten. 1845 fand dann die Methode unter A..D. Bache und
S. C. Walker‘) Eingang in die nordamerikanische Coast Survey, der
171) Vgl. E. Knipping, Statistik der Schiffschronometer der Deutschen
Kriegs- und Handelsmarine von 1877—1903, Ann. d. Hydr. 1904, p. 231.
172) C. F.Gauß, Astr. Nachr. 5 (1827), p. 227 —= Werke 6 (1874), p. 455.
173) P. Ditisheim, Paris ©. R. 138 (1904), p. 1027 und Ann. d. Hydr.
1904, p. 287. Vgl. ferner VI», 4 (Caspari), Nr. 8.
174) Siehe J. Hilfiker, Die astronomische Längenbestimmung, Aarau Naturf.
Ges. Mitth. 1881, Aarau 1882, p. 31.
175) $. O. Walker, Astr. Nachr. 27 (1848), p. 121.
120 VI2,3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
sie zur Ableitung der Längendifferenzen zwischen den Hauptstationen
diente!”®), Heutigentages ist die telegraphische Längenbestimmung
jene, die mit dem geringsten Aufwand an Beobachtung und Rech-
nung die schärfsten Resultate liefert und daher als einzige für die
internationale Erdmessung in Frage kommt. Die Ergebnisse sind
gleichwertig mit den Breiten; ein schließlicher innerer zufälliger
Fehler von + 0/1 Bogen größten Kreises (= + 3 m auf der Erd-
oberfläche) wird kaum mehr überschritten. Um ein möglichst gutes
Gelingen zu gewährleisten, befreit man sich bei der Zeitbestimmung
von den Fehlern der Rektaszensionen der Sterne dadurch, daß man,
so lange die Längenentfernung das zuläßt, an beiden Stationen die-
selben Sterne beobachtet. Die persönliche Gleichung der Beobachter
eliminiert man durch einen Beobachter- und Instrumentenwechsel in-
mitten der Operation. Den Instrumentalfehlern bleibt nur ein kleiner
Einfluß auf das Resultat gestattet, wenn das Mittel der Zenitdistanzen
der Zeitsterne möglichst nahe jenem der Polsterne liegt. Statt der Taster-
registrierung der Fadenantritte der Sterne wendet man heute meist
das Repsold’sche unpersönliche Mikrometer ''”) an, bei welchem der
Beobachter nur den das Feld durcheilenden Zeitstern durch einen mit
einer Schraube nachgeführten Faden biseciert zu halten hat; eine An-
zahl Kontakte an der Schraubentrommel verzeichnen selbsttätig Signale
auf dem Chronographenstreifen. Man ist davon abgekommen, die
Sterndurchgänge auf den Chronographen beider Stationen zu re-
gistrieren und man beschränkt sich darauf, die Uhren im Laufe eines
Abends hinlänglich oft untereinander in Beziehung zu setzen. Der
Fernleitung bedarf man auf diese Weise nur eine kurze Zeit, und
darauf muß der Astronom in unserem Zeitalter des Verkehrs ins-
besondere auf überlasteten Strecken Rücksicht nehmen. — Die zahl-
reichen bisher vorgenommenen Längenbestimmungen liefern nebenher
Werte für die Stromzeit, i. e. die Zeit, die der elektrische Strom
zum Durchlaufen der Leitung braucht. Für eine Strecke von 1000 km
ergibt sich diese Zeit zu 0°.042, doch schreitet sie nicht linear mit
der Leitungslänge fort, sondern nimmt rascher zu als jene'”®).
In Deutschland fand die erste telegraphische Längenbestimmung
erst im Sommer 1852 zwischen Berlin und Frankfurt a. M. statt?"®).
Die erste transozeanische Längenbestimmung gelang der Coast Survey
176) Vgl. E. Loomis, The recent progress of astronomy, especially in the
United states, New York 1850, new edit 1856.
177) Siehe Astr. Nachr. 141 (1896), p. 279.
178) Vgl. Th. Albrecht, 1. c. Fußn. 65), 3. Aufl., p. 110.
179) Physik. Verein zu Frankfurt a. M., JahrBer. 1852—1853, Frankf. 1853.
31. Längenbestimmung aus Mondkulminationen. 121
1866 zwischen Hearts-Content (Newfoundland), Valencia (Irland) und
Greenwich. Seitdem liegen indes schon zahlreiche Längenverbindungen
mit nord- und südamerikanischen Punkten vor.
Nicht mehr ferne scheint die Zeit zu sein, wo die elektrische
Methode der Längenbestimmung in ihrer durch Marconi erfundenen
drahtlosen Ausgestaltung die Nautik erobert und die im folgenden
zu besprechenden auf den Mondort gegründeten weit unsichereren
Verfahrungsarten verdrängt. Man denke sich nur, daß an verschie-
denen Observatorien zu fest vorgeschriebener Greenwichzeit ein draht-
loses Signal gegeben würde, das mit Hilfe der Marconiempfangs-
apparate auf allen Schiffen des Weltmeeres wahrnehmbar sei. Den
Navigationsoffizieren fiele dann nur mehr die astronomische Ermitte-
lung der Ortszeit zu, und an die Seeuhren brauchten fürderhin geringe
Anforderungen gestellt zu werden.
C. Auf den Mondort gegründete Methoden.
(Photographische Methoden siehe Nr. 25.)
31. Mondkulminationen. Nahezu gleichaltrig mit der chrono-
metrischen Längenbestimmung sind die auf den Mondort gegründeten
Methoden. Da der Mond in 27"), einen siderischen Umlauf um die
Erde vollendet, so bewegt er sich in 1% um beiläufig 13°.2 unter den
Fixsternen weiter nach Osten; man müßte also, wollte man die Zeit
des Ephemeridenmeridians auf 1* genau ableiten, den Mondort auf
, Bogensekunde definieren. Hierzu bedarf es jedoch recht genauer
Instrumente und sehr vorgeschrittener Beobachtungsmethoden und
aus diesem Grunde mag es nicht Wunder nehmen, wenn vor dem
Jahre 1500 vom Gebrauch des Mondes zur Längenbestimmung in
der Literatur keine Rede ist. Erst der Nürnberger J. Werner '°)
deutet in seinem Kommentar zur Geographie des Ptolemäus die Me-
thode 1514 leise an. Zur See konnte jener Vorschlag erst lebens-
fähig werden, als es gelang, brauchbare Mondtafeln herzustellen, eine
Forderung, die Tobias Mayer '*') 1752 erfüllte.
Einer glücklichen Spezialisierung unterwarf der Pariser Orontius
Finaeus '*) die Methode des Mondortes, indem er den Mond im
180) Johann Werner, Claudii Ptolemaei geographia, liber primum, argu-
menta, cap. IV, annot. VIII, Norimbergae 1514; auch hrsg. von P. Apianus,
Ingolstadt 1533. — Historische Nachweise in Wolf, Handb. 2, p. 153 ff.
181) J. Tobias Mayer (senior), Tabulae motuum solis et lunae novae et
correctae, quibus accedit methodus longitudinum promota, ed. N. Maskelyne,
London 1770 (posthum).
182) Orontius Finaeus, De invenienda longitudinis locorum differentia,
Lutetiae 1544.
122 VIs,3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Moment seines Durchganges durch den Meridian beobachtete, hieraus
die Rektaszension ableitete und entweder auf die entsprechende Zeit
des Nullmeridians der Ephemeride überging oder aus der an zwei
Orten beobachteten Rektaszensionsdifferenz mit Hilfe der Rektaszensions-
änderung den Längenunterschied berechnete. Der englische Seefahrer
W. Baffın '??) scheint der erste gewesen zu sein, der das Verfahren im
Sommer 1615 sich praktisch zu nutze machte. Vor den später zu be-
sprechenden Methoden genießen die Mondkulminationen den Vorzug der
Einfachheit der Berechnung; denn im Moment der Meridianpassage ver-
schwindet die parallaktische Verschiebung des Mondes in Rektaszension.
J. Toaldo '%#) und E. Pigott '®) empfahlen, die Kulminationen nahe beim
Mond und in dessen Parallel stehender Sterne mitzubeobachten, da
dann nicht nur die Instrumentalfehler fast ganz herausfielen, sondern
auch die Sternörter. Da sich dies Verfahren bewährt hat, teilen die
Ephemeriden die scheinbaren '*°) Rektaszensionen geeigneter Moon-
culminating stars mit. F..B. @. Nicolai‘) entwickelte ein Berech-
nungsverfahren, bei welchem Uhrkorrektion, Mondradius und Fehler
der Mondtafeln fast keine Rolle im Resultat mehr spielten. Die
Diffraktion, die den Mondradius für verschiedene Fernrohre und Be-
obachter verschieden gestaltet, beeinträchtigte indes das Ergebnis
immer noch sehr und wurde selbst dann nicht völlig eliminiert,
wenn man durch Kombination von Morgen- und Abendkulminationen
beide Ränder der Beobachtung unterwarf. Nach J. Franz’ Vorgang,
der gestützt auf J. H. Mädler, M. L. @. Wichmann und H. Schlüter
den der Mondmitte nahen Krater Mösting A statt der Ränder zu be-
obachten riet und Ephemeriden zur Reduktion im Berliner Jahrbuch
mitteilte '#®), hat A. Alessio '#°) die Längenbestimmung durch Beob-
achtung des Kraters Mösting A befürwortet und praktisch erprobt.
183) W. Baffin (geb. 1584, gest. 1622) wandte die Methode der Mondkulmi-
nationen auf seiner Grönlandreise an. Vgl. u. a. Thomas Rundall, Narratives of
voyages towards the North-West 1496—1631, Works issued by the Hakluyt-
Society 5, London 1849, p. 117.
184) J. Toaldo, De methodo longitudinum ex observato transitu lunae per
meridianum ad N. Maskelyne epistola, Patavii 1784.
185) E. Pigott, Lond. Phil. Trans. 1786, p. 409 [abr. 16, p. 145].
186) Zuerst Naut. Alm. for 1834, vgl. daselbst p. XVI, Report $ 16. —
M. Loewy, Eph6merides des 6toiles de eulmination lunaire et de longitude pour
l’an 1878 ff, Paris 1877 ff., jährl. hrsg. vom „Bureau des Longitudes“.
187) F. B.@. Nicolai, Astr. Nachr. 1 (1823), p. 7 und 2 (1824), p.17; F. Bauly,
Lond. Astr. Soc. Mem. 2 (1826), p. 1.
188) J. Franz, Astr. Nachr. 136 (1895), p- 1.
189) A. Alessio, Determinazione speditiva della longitudine con osservazioni
del cratere lunare Mösting A, Rivista Marittima 36c suppl., Roma 1902.
32. Längenbestimmung aus Mondhöhen. 123
In umfangreichem Maße sind die Mondkulminationen zu Bestim-
mungen "%) fundamentaler Meridiane in Amerika, Asien und Australien
in den Jahren 1867 bis 1870 von @. Fleuriais verwendet worden,
wovon Berichte in den Anhängen der Connaissance des temps aus den
Jahren 1870 bis 1874 Zeugnis ablegen.
A. D. Pio'®!) suchte die Mondkulminationen auch den auf der
Reise meist gebrauchten Spiegelinstrumenten zugänglich zu machen
und modifizierte sie daher in der Weise, daß er vorschlug, man
solle korrespondierende Höhen des Mondes nehmen und daraus die
Ortszeit des höchsten Standes ableiten. Schon viel früher behandelte
den gleichen Gedanken A. Mackay'”?), der ihn insbesondere für die
Nautik nutzbringend erachtete.
Eine sehr wenig in praxi verwertete Verallgemeinerung der
Mondkulminationen ist die der Mondazimute, deren günstigsten Fall
eben wieder die Mondkulminationen repräsentieren. Neben der er-
schwerten Beobachtung ergibt sich die Notwendigkeit, der Mond-
parallaxe Rechnung zu tragen. Ernstlich in Frage kommen die Mond-
azimute nur in hohen Breiten. Dagegen läßt sich die Verbindung
eines Monddurchganges mit einer Zeitbestimmung im Vertikal des
Polarsterns (siehe Nr. 9) nur befürworten.
32. Mondhöhen. Bouguer '”) empfahl die Beobachtung der
Mondhöhen zur Längenbestimmung; denn man kann nach Reduktion
der Höhe auf das Erdzentrum mit der langsamer veränderlichen De-
klination des Mondes aus dem Dreieck Mond-Zenit-Pol den Stunden-
winkel und daraus mit der bekannten Ortssternzeit die Rektaszension
des Mondes und dann die Länge des Beobachtungsortes ableiten. Um
konstanten Fehlern aus dem Wege zu gehen, soll man ein paar
Sterne, die nahe gleiche Höhe und gleiches Azimut mit dem Monde
haben, mitbeobachten. Schon lange vor Bouguer hatte F. de Her-
rera‘%) aus Mondhöhen Längen für F. de Magellan’s letzte Reise ab-
zuleiten versucht, freilich ohne Erfolg. Die Mondhöhen können unter
niedrigen Breiten sehr wohl mit den Monddistanzen konkurrieren und
sind nicht nur schon zur See angewandt worden, sondern auch auf
geographischen Forschungsreisen zu Lande, z. B. von d’Abbadie'”) in
: 190) Neureduktion von A. Auwers, Astr. Nachr. 108 (1884), p. 313.
191) A. D. Pio, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 59 (1899), p. 513.
192) A. Mackay, Theory and practice of finding the longitude, 3% ed.,
2 vols., London 1804, vol. I, p. 214.
193) P. Bouguer, Nouveau traite de navigation, Paris 1753.
194) Vgl. 1. c. Fußn. 343), Ex. crit. 1, p. 301—302 = Krit. Unt. 1, p. 251.
195) A. d’Abbadie, Resume geodesique des positions determindes en Ethiopie,
Leipzig 1859.
124 VIs,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Äthiopien, Wißmann ’®) auf seiner Afrikadurchquerung, F. Hayn'”) in
der Südsee; Hayn modifizierte die Methode dahin, daß er an einem
Zenitteleskop gleiche Höhen des Mondes und zweier Sterne be-
obachtete.
Eine von R. Radau'”®) in Vorschlag gebrachte Methode, durch
Kombination von Zenitdistanzen und Azimutdifferenzen des Mondes
und eines Nachbarsternes die Zeit des Nullmeridians zu erlangen, hat
wohl nie praktische Bedeutung gewonnen.
F. de Herrera'”) wollte auch schon die Deklination des Mondes
zur Längenbestimmung verwerten, ein Gedanke, den J. Oltmanns?®)
näher prüfte und unter günstigen Bedingungen für durchführbar hielt.
Viel später beschäftigte sich W. Spottiswoode?°') mit der Aufgabe; er
meint, man solle die größte Höhe des Mondes beobachten, daraus
dessen Deklination ableiten und aus deren Vergleich mit der Ephe-
meride die Länge finden.
33. Monddistanzen. Auf See war eine Zeitlang ein Verfahren
der Längenbestimmung heimisch, um dessen Ausbildung sich zahl-
reiche astronomische und nautische Schriftsteller bemüht: die Mond-
distanzen, i. e. die Messung des Abstandsbogens des Mondes von ge-
eigneten Fixsternen, den vier hellen Planeten oder der Sonne. Vor
den Mondkulminationen genießen sie den Vorzug, nicht an einen
bestimmten Moment gebunden, sondern immer dann anwendbar zu
sein, wenn der Mond über dem Horizont des Beobachtungsortes weilt,
und vor den Mondhöhen haben sie auch das voraus, daß sie frei sind
von den Anomalieen der Kimm, denen man den jüngsten Erfahrungen
gemäß nicht völlig auszuweichen vermag. Selbst auf beschwerlichen
Expeditionsreisen zu Lande machen sie den Mondhöhen den Vorrang
streitig; während diese zur scharfen Messung eines fest aufstellbaren
Apparates bedürfen — denn mit Reflexionsinstrument und Queck-
silberhorizont lassen sich Mondhöhen schon deshalb nicht einstellen,
weil man (Vollmond ausgenommen) keine Randberührung herzustellen
vermag — können jene mit beträchtlicher Sicherheit am Spiegel-
sextanten oder Prismenkreis gewonnen werden, wenn möglich mit
Zuhilfenahme eines bequemen Stativs, an das man keinerlei exakte
196) H. Wißmann, Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West
nach Ost, Berlin 1889,
197) Siehe °1).
198) R. Radau, Astr. Nachr. 54 (1861), p. 345.
199) Vgl. 1. ec. Fußn. 343), Ex. crit. 1, p. 301—302 = Krit. Unt. 1, p. 251.
200) J. Oltmanns, Berl. astr. Jahrb. für 1824, p. 181, Berlin 1821.
201) W. Spottiswoode, Lond, Astr. Soc. Mem. 29 (1861), p. 343.
33. Längenbestimmung aus Monddistanzen. 125
Anforderungen stellt. Mit der Praxis der Monddistanzmessung be-
faßt sich sehr eingehend eine Schrift von de Oanete del Pinar ?”).
Bekannt ist die Erzählung, welche Amerigo Vespucci 1499
August 23 an der Küste von Venezuela die erste Längenbestimmung
aus einer Monddistanz ausführen läßt ?0); sie trifft jedoch nicht zu. Von
einer eigentlichen Methode der Berechnung finden sich erst Spuren
bei A. Pigafetta?®*) und J. Werner"?°); eine konsequente Anwendung
auf See ließ der Mangel geeigneter Instrumente und zuverlässiger
Mondephemeriden noch nicht zu. Als endlich 7. Mayer!) seine Mond-
tafeln schuf, setzte nahe gleichzeitig Harrison‘) durch die Konstruk-
tion ausgezeichneter Chronometer die Bedeutung der Monddistanzen
auf die einer Kontrolle der Uhren oder ihres Ersatzes im Notfall
herab.
Abgesehen davon, daß die Beobachtung einer Monddistanz mit
einem Reflexionsinstrument aus freier Hand keine leichte Sache ist,
gestaltet sich die Reduktion bei strengem Vorgehen sehr umständ-
lich. Sie zerfällt in zwei Teile: zunächst muß man den auf der
Erdoberfläche gemessenen Abstand auf den Erdmittelpunkt reduzieren
und dann mit dieser reduzierten Distanz die zugehörige Zeit des
Nullmeridians der Ephemeride entnehmen. Am weitaus langwierigsten
ist der erste Teil der Berechnung. Vor deren Beginn verschafft man
sich die Zenitdistanzen von Mond und Gestirn, sei es durch Beobach-
tung, wie auf See, sei es durch eine beiläufige Rechnung. Die Auf-
lösung zweier sphärischer Dreiecke führt dann zunächst zu der wegen
Refraktion korrigierten Distanz. Von diesen Dreiecken hat das erste
den geographischen Zenit und die scheinbaren Zenitdistanzen der ver-
bundenen Objekte zu Stücken, das zweite denselben Zenit und die wegen
Strahlenbrechung verbesserten Zenitdistanzen. Hierauf überträgt man
die Zenitdistanzen auf den geozentrischen Zenit und findet endlich
die gesuchte geozentrische Monddistanz durch die folgeweise Durch-
rechnung zweier weiterer sphärischer Dreiecke, die den geozentrischen
Zenit gemein haben; die von ihm ausgehenden Seiten werden von
den wegen Strahlenbrechung und zu zweit von den obendrein noch
wegen Parallaxe verbesserten Zenitdistanzen dargestellt.
202) de Caniete del Pinar, De cömo se han de observar las distancias lunares,
Madrid 1904, auch in: Revista General de Marina 52, Madrid 1903, p. 635, 697.
203) Vgl. [F. X. v. Zach] (anonym), Monatl. Corr. 22 (1810), p. 530.
204) F. A. Pigafetta, geb. 1491, gest. 1534, machte Magellan’s Weltumsegelung
mit und führte ein Reisejournal; vgl. Stanley of Alderley, The first voyage
round the world by Magellan, Works issued by the Hakluyt Society 52, London
1874; Wolf, Handb. 2, p. 151.
126 VI2,3. 0.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Auf See konnte eine solche mindestens sechsstellig zu führende
Rechnung nicht Platz greifen; die erste Vereinfachung bestand in
der Vernachlässigung der Abplattung der Erde, und damit hatte man
es nur noch mit zwei Dreiecken zu tun, denen eine Ecke, der
geographische Zenit, und der dort gelegene Winkel (Azimutdiffe-
renz von Mond und Gestirn) gemein war. Um die Art der Berech-
nung der verlangten geozentrischen Monddistanz aus diesen beiden
Dreiecken bemühten sich viele Schriftsteller, die teils die strenge
Lösung rechenflüchtig durchzuarbeiten suchten, teils indirekte Me-
thoden entwickelten, die eine an die beobachtete Distanz anzubringende
Korrektion lieferten. Heutigentages haben zur See die letzteren Me-
thoden den Sieg davon getragen; sie gestatten einen beliebigen Grad
der Annäherung an die Wahrheit und die einzelnen Glieder kommen
mit vierstelligen Logarithmen hinlänglich genau heraus. Wir greifen
im folgenden unter jenen Methoden nur die wichtigsten heraus, um
die sich die Fülle der anderen Variationen kristallisiert. Eine er-
schöpfende Darstellung der Geschichte des Problems verfaßte G. D.
E. Weyer ?”).
Eine der ältesten und kürzesten direkten Formeln stammt von
R. Dunthorne?®), der eine Tafel für einen in ihr auftretenden, von
der Höhe beider Gestirne abhängigen Faktor berechnete. Auf Dun-
thorne’s Formel gründen sich alle andern. A. Mackay?®') führte zur
Vermeidung des Vorzeichenwechsels den Sinus versus®*) ein, Lexell?®)
gestaltete die Formel für logarithmische Rechnung geschmeidiger.
Großen Anklanges erfreute sich lange Zeit hindurch die von .Borda?”)
gegebene Entwickelung, der u. a. auch J. Bohnenberger den Vorzug
erteilte. W. L. Krafft’s?') Methode wurde durch eine von J. H.
van Swinden”) berechnete Tafel unterstützt. Sie vermeidet loga-
rithmische Rechnung fast ganz und setzt nur eine Tafel der natür-
205) @. D. E. Weyer, Ann. d. Hydr. 1881, 1882, 1890.
206) MR. Dunthorne, The practical astronomy of the moon: or, new tables
of the moon’s motions, London and Cambridge 1739.
207) Siehe 192).
208) A. J. Lexell, Observationes circa methodum inveniendi longitudinem.
Petersbg. Acta 1780, Teil II, p. 350.
209) de Verdun de la Orenne, J. C. de Borda, A. @. Pingre, Voyage fait
par ordre du roi en 1771 et 1772, p. 867, Paris 1778. Vgl. Paris hist. (2)
m&m. 1773.
210) W. L. Krafft, Methode ä la portee des navigateurs, Petersbg. Nova
Acta 7 (1793), p. 370.
211) J. H. van Swinden, Verhandling over het bepaalen der lengte op zee,
p. 77, Amsterdam 1802.
33. Monddistanzen (Fortsetzung). 127
liehen Sinus versus voraus. Wenig umgeformt gab J. Mendoza®"?)
für Krafft's Verfahren ein umfangreiches Tabellenwerk heraus. Einen
recht empfehlenswerten Weg, dessen Grundgedanke sich schon bei
Lexell?”®) findet, verdankt man (. Bremiker”"?), dessen Formel von
Ligowski?"*) etwas transformiert wurde, und Simonoff”"°) schrieb die
Grundgleichung so um, daß ein paar kleine durch vierstellige Rech-
nung auszuwertende Zusatzglieder erschienen, wie früher schon Huber ?"®)
getan hatte; später nahm Ligowski?') diesen Zweck wieder auf. Die
letztgenannten Verfahren bilden den Ubergang zu den indirekten Me-
thoden, vor deren Aufzählung indes hier der strengsten und allein
vollständigen Auflösung gedacht sein möge, die Bessel?'?) dem Pro-
blem angedeihen ließ. Dessel kehrte die Fragestellung um; er ging
aus von einer wahren geozentrischen Distanz, die er auf den lokalen
Abstand der Ränder reduzierte, und nun ergab die Differenz gegen
die Beobachtung ein Mittel zur Verbesserung der angenommenen
Länge. Einige Jahre, von 1835 bis 1838, gab Schumacher?) beson-
dere Ephemeriden für die nach Bessel’s Methode zu berechnenden
Monddistanzen heraus.
Falls man bei Chronometerschäden und dergleichen zur See über-
haupt noch zu Monddistanzen greift, wendet der Seemann zur Reduk-
tion eine der zahlreichen indirekten Methoden an, die alle viel Ähn-
lichheit untereinander besitzen. Lacaille””®) nahm nur die beiden
ersten Glieder der Reihenentwickelung nach Refraktion und Parallaxe
212) J. Mendoza y Rios, Memoria sobre algunos metodos nuevos de cal-
cular la longitud por las distancias lunares, Madrid 1795; derselbe: Recherches
sur les principaux problemes de l’astronomie nautique, Lond. Phil. Trans. 1797,
p. 43 [abr. 18, p. 95, engl.].
213) C. Bremiker, Astr. Nachr. 30 (1850), p. 311.
214) W. J. O. Ligowski, Arch. Math. Phys. 51 (1870), p. 374; 53 (1871),
p- 103 u. 498.
215) J. M. Simonoff, vgl.: Library of useful knowledge, Nr. I-IV; R. W.
Rothman, History of astronomy, London 1832, p. 227.
216) D. Huber, Versuch über das astronomisch-nautische Problem betreffend
die Reduktion der scheinbaren Monddistanzen auf wahre, Monatl. Corr. 12 (1805),
p. 309.
217) W. J. O. Ligowski, Arch. Math. Phys. 40 (1863), p. 250.
218) F. W. Bessel, Neue Berechnungsart f. d. Meth. d. Entfern. des Mondes
von andern Himmelskörpern, Astr. Nachr. 10 (1833), p. 17 = Bessel, Astron. Unter-
such. 2 (Königsberg 1842), p. 266 — Bessel, Abhdl. 3, p. 434.
219) H. CO. Schumacher, Distances of the Sun and the four planets Venus,
Mars, Jupiter and Saturn from the moon calculated according to Mr. Bessel’s
method, Copenhagen 1834—37.
220) N.L. de Lacaille, Paris hist. (2) mem. 1759, p. 63.
128 VIe,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
mit, Maskelyne?”‘), Lyons???), Lexell?®), Bowditch?**) berücksichtigten
in einer „3. Korrektion“ die vom Quadrat der Parallaxe und Strahlen-
brechung abhängigen Glieder. Große Sympathie genießt noch immer
die Formel von Witchell??), für die ein geschmeidiges Rechenschema
und einfache geometrische Bedeutung der auftretenden Größen sprechen.
Ein dem Witchell’schen ähnliches Verfahren entwickelte J.J. Ästrand®®).
Mit zwei Gliedern reicht Legendre””) aus, indem er beweist, daß völ-
lige Strenge bis zum dritten Gliede einschließlich eintritt, wenn er die
Winkel an Mond und Gestirn nicht für deren scheinbare Örter, son-
dern für die Mitte zwischen scheinbaren und wahren (geozentrischen)
Örtern berechnet. Auf dieses Verfahren wies auch Delambre?®) hin,
und später ist es auf W. Döllen’s Anregung von L. Schwarz??®) weiter
ausgeführt worden. Delambre’s Methode fand u. a. auch einen Ver-
treter in ©. Rümker ®°), der eine Hilfstafel für die Delambre’sche
Größe N entwarf. Unabhängig kam auf analytischem Wege Airy?*)
zu einer wesentlich mit der Legendre’schen identischen Methode.
Von englischen Rechnern ging das Unternehmen aus, die gesamte
Distanzkorrektion in Zahlen- oder graphische Tafeln zu bringen und
so den Seemann jeglicher Rechnung zu entheben. Eine derartige
Zahlentafel, gerechnet von @. Witchell, J. Lyons, T. Parkinson und
S. Williams, gab Shepherd 1772 heraus”®?); Margetts”?) veröffent-
lichte graphische Tafeln erst 1794. Beide Werke fanden keine Ver-
wertung in der Praxis; wohl aber gaben sie die Anregung zu der
heute fast allgemein auf See gebräuchlichen kürzesten Methode der
221) N. Maskelyne, Lond. Phil. Trans. 1764, p. 271 [abr. 12, p. 152].
222) J. Lyons, Tables requisite to be used with the astron. and naut.
ephemeris, London 1766, p. 44.
223) A. J. Lexell, Petersbg. Acta 1780, II, p. 348.
224) N. Bowditch, 1. c. pag. 82, (Literatur II).
225) @. Witchell, Naut. Alm. for 1772.
226) J. J. Ästrand, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 39 (1879), p. 425.
227) A. M. Legendre, Paris Inst. (math.) mem. 6 (1806), p. 30.
228) J. B..J. Delambre, Astronomie theorique et pratique 3, p. 625, Paris 1814.
229) Ludw. Schwarz, Über die Reduktion der scheinbaren und wahren Mond-
distanzen aufeinander, Dorpat 1865.
230) C. Rümker, Längenbestimmung durch den Mond, Hamburg 1849;
ferner C. Rümker, Vorschlag zur genaueren Berechnung der Refraktion bei der
Längenbestimmung durch Monddistanzen, Hamburg 1835.
231) @. B. Airy, A new method of celearing the lunar distance, London 1881.
232) A. Shepherd, Tables for correcting the apparent distance of the moon
and a star, Publ. by order of the commissioners of longitude, Cambridge 1772.
233) G. Margetts, Longitude tables for correeting the effect of parallax and
refraction on the observed distance, London 1794; ähnliche Tafeln edierte J. W.
Norie, A set of linear tables for corr. the app. distance..., London 1815.
33. Monddistanzen (Fortsetzung). 129
Monddistanzrechnung, die man mit Elford’s Namen zu verbinden
pflegt ”**).
Das Wesen dieser Elford’schen oder Neger-Methode besteht darin,
daß durch eine einfache mit vier Stellen genügend scharf zu führende
Rechnung das Hauptglied des Einflusses der Mondparallaxe gewonnen
wird, während sich die Korrektion für Refraktion, Sonnenparallaxe
und die kleinen Verbesserungen von der zweiten Ordnung der Mond-
parallaxe in einer mit drei Argumenten geordneten Tafel vorfinden,
für die die konstante Annahme einer mittleren Mondparallaxe genügt.
Die Argumente sind Distanz, Mond- und Gestirmshöhe; statt dessen
unterscheidet man aber wohl auch zwischen größerer und kleinerer
Höhe. Eine solche „Tafel des dritten Gliedes“ der Elford-Methode
enthält jede moderne nautische Tafelsammlung. —
Nachdem die Reduktion der Monddistanz auf das Erdzentrum
unter Annahme der Kugelform erledigt ist, muß man noch die Ver-
besserung wegen Abplattung des Erdkörpers nachträglich anbringen,
die in maximo an 15” heranreicht. Es gibt in der Hauptsache zwei
Wege zu deren Berücksichtigung. Der eine, auf den Delambre ??°)
hinwies, verlangt die genäherte Kenntnis des Mondazimuts und geht
durch die Seitenparallaxe des Mondes hindurch. In den nautischen
Tafeln und Jahrbüchern werden stets Hilfstafeln, die bei bekanntem
Mondazimut jede Rechnung ersparen, mitgeführt. Eine andere be-
quemere Methode lehrte Borda”°),. Das Mondazimut fällt fort und
es gehen nur die beiläufigen Deklinationen der Gestirne und ihr Abstand
ein. Diesem Verfahren folgten u. a. Bohmenberger (Lit. I), .Bessel?"?),
Airy?!), Chauvenet”?”); in der nautischen Praxis aber faßte es nie
Fuß, trotzdem sich durch eine kleine Tafel mit drei Argumenten
(Distanz, Mond- und Sterndeklination) jegliche Rechnung umgehen ließe.
Vor Beginn der ganzen Reduktionsarbeit erfordern die unmittel-
bar gemessenen Abstände einige Korrektionen. Zunächst beobachtet
man keine Mittelpunkts-, sondern Randdistanzen; es ist also der
Mondradius und, wenn die Sonne das andere Gestirn, auch der Sonnen-
radius in Rechnung zu stellen. Beide Halbmesser werden noch von
234) James M. Elford, Second edition of longitude tables... ., Charleston
1818, abgedruckt in F! X. v. Zach’s Correspondance astronomique, 6, Genua
1822, p. 209—232. Vgl. @. D. E. Weyer, Ann. d. Hydr. 1881/82; J. F, Encke, Berl.
astr. Jahrb. für 1842, p. 307; F.X.v. Zach, Lond. Astr. Soc. Mem. 5 (1833), p. 245.
235) J. B. J. Delambre, Astronomie theorique et pratique 3, Paris 1814, p. 636.
236) J. Ch. de Borda, Description et usage du cercle de reflexion, Paris
1787; 4iöme &d. 1816, p. 82.
237) W. Chauvenet, On a new method of correcting lunar distances for
parallax and refraction, Astron. Journ. 2 (1852), p. 24.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. y
130 VI, 3. C.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
der Refraktion verzerrt, deren Beträge eigens konstruierten Tabellen,
die alle nautischen Tafeln und Ephemeriden bringen, entnommen
werden können. Außerdem erscheint uns der lokale Mondradius
größer als der auf den Erdmittelpunkt bezogene der Ephemeride;
diese parallaktische Vergrößerung erreicht in maximo 18”. 238) Weiter
unterwirft man in Strenge den kürzesten Berührungsabstand von Ge-
stirn und der infolge der Strahlenbrechung nicht genau kreisförmigen
Mondscheibe der Beobachtung; nach Bessel?"®) ist jedoch der Unter-
schied verschwindend gering gegenüber der Voraussetzung der gewöhn-
lichen Rechnung, die die Randpunkte in der Verbindungslinie der
Zentren der Gestirne als gemessen annimmt. — Ein Fehler der Mes-:
sung fälscht im selben Grade die geozentrische Distanz; die absoluten
Höhen spielen indes keine große Rolle; viel wichtiger ist die Genauig-
keit der Unterschiede der scheinbaren und wahren Höhen.
Zur Erleichterung des Aufsuchens der zur geozentrischen Mond-
distanz gehörigen Zeit geben die Ephemeriden von 3° zu 3% die
Distanz des Mondes von der Sonne, hellen Fixsternen oder Planeten
an und fügen einen bequemen Interpolationsapparat für erste und
zweite Differenzen bei. Derartige Vorausberechnungen erscheinen
schon im Nautical Almanac seit seiner Gründung im Jahre 1767 für
die neun hellen Fixsterne « Arietis, « Tauri (Aldebaran), ß Gemino-
rum (Pollux), « Leonis (Regulus), « Virginis (Spica), « Scorpii (An-
tares), « Aquilae (Atair), « Piscis austr. (Fomalhaut), « Pegasi (Mar-
kab). Im Jahre 1774 folgte die Connaissance des temps, während
das Berliner Jahrbuch nur kurze Zeit hindurch, von 1844 bis 1851,
eine Monddistanzephemeride führte. Auf den Vorschlag Lovenörn’s
wurden von 1821 an durch Schumacher??”) besondere Abstandsephe-
meriden für die Planeten Venus, Mars, Jupiter, Saturn herausgegeben,
die nicht lange nachher vom Nautical Almanac und der Oonnaissance
des temps regelmäßig mitgeführt wurden, so daß 1838 Schumacher’s
Publikation einging. Von den gewählten Fixsternen, die möglichst
nahe der scheinbaren Mondbahn hätten liegen sollen, stehen manche
sehr ungünstig (« Aquilae, « Piscium, « Pegasi, die 20° bis 30° von
der Ekliptik sich entfernen). So kommt es, daß in extremen Fällen
der Faktor, mit dem ein Fehler der Distanz die Länge entstellt, statt
des Durchschnittswertes 27 auf 45 ansteigt. Von konstanten Fehlern,
wie sie dem Instrument und dem Beobachter zur Last fallen können,
238) Siehe die Tafeln in den nautischen Tafelsammlungen und Ephemeriden.
239) H. O. Schumacher, Ephemeris of the distances of the four planets
Venus etc. from the Moon for 1822—38, Copenhagen 1820—36.
33. Monddistanzen (Fortsetzung). 131
wird man frei, wenn man zwei Distanzsterne, einen östlich, einen
westlich vom Mond nimmt, womöglich in nahe gleichem Abstand.
Auf Forscehungsreisen zu Lande tragen Monddistanzen nicht ge-
rade oft zur Längenbestimmung bei. Carsten Niebuhr, von T. Mayer
selbst noch instruiert und ausgerüstet”), benutzte sie mit Erfolg auf
seiner Reise durch Arabien in den Jahren 1762 bis 1767, und mehr
als ein Jahrhundert später maß W. Jordan”*") Monddistanzen für
Länge während der @. Rohlfs’schen Expedition in die libysche Wüste
1873/74. Jordan kommt zu dem Schluß, daß die Monddistanzen zu
der am Ende erreichten Genauigkeit wenig beigetragen haben.
Der sinkenden Bedeutung der Monddistanzen für die Nautik ge-
horchend hat die Connaissance des temps von dem Jahrgang 1905
an die Vorausberechnung der Monddistanzen unterdrückt; 1907 folgte
auch der Nautical Almanac. In Zukunft wird daher der Seefahrer,
dem eine auf den Mondort gegründete Chronometerkontrolle zur Ver-
fügung stehen muß, zu einer Berechnung übergehen, die ihn die
Distanzephemeride verschmerzen läßt und auf die Auswertung der
Mondrektaszension hinausläuft.
Zum Schlusse dieses Abschnittes möge noch ein bemerkenswerter
Spezialfall Erwähnung finden, den ©. Rümker **?) zuerst beobachtete
und Bessel?"?) theoretisch bearbeitete. Wenn das Gestirn, dessen
Entfernung man mißt, sich dem Untergange zuneigt, der Mond aber
sehr hoch steht, so kann es infolge der im selben Sinne wirkenden
Ursachen von eigener Bewegung des Mondes und Refraktion des
Sternes sich ereignen, daß der scheinbare lokale Abstand langsam bis
zu einem flachen Maximum wächst und dann wieder abnimmt. Es
ist aber dann eine Längenbestimmung ebenso gut möglich, wie unter
normalen Verhältnissen, ja, die Beobachtung eines solchen Maximums
allein ergibt ohne Zuziehung der Zeitbestimmung eine Länge. Nähere
Diskussion erfuhr die interessante Frage durch @. D. E. Weyer**®).
Da jede Einstellung des Mondrandes durch eigentümliche, von
Fall zu Fall schwankende Beugungs- und Irradiationserscheinungen
entstellt wird, so ist es empfehlenswert, bei absoluten Längenbestim-
mungen an Land von hohen Genauigkeitsanforderungen den Stern,
statt auf den Rand, auf einen passenden Krater zu pointieren. Dies
240) Resultate seiner Beobachtungen in Monatl. Corr. 4 und 5 (1801—02).
241) W. Jordan, Phys. Geographie u. Meteorologie der libyschen Wüste,
Cassel 1876; ferner Jordan, Grundzüge (Lit. D).
242) ©. Rümker, Astr. Nachr. 1 (1823), p. 77.
243) G. D. E. Weyer, Über das nautische Längenproblem, Ann. d. Hydr.
1890, p. 471.
g*
132 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
läßt mit besonderer Schärfe die sehr regelmäßige Wallebene Plato zu,
in deren auffallend dunkle Fläche der helle Sternpunkt mit großer
Sicherheit eingestellt werden kann, selbst mit den üblichen kleinen
Sextantenfernröhrchen.
34. Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse. Eine große Sicher-
heit in der Bestimmung der Zeit des Nullmeridians eignet einem
Spezialfall der Monddistanzen zu, der sich ohne Instrumente beobach-
ten läßt. Es sind das die durch den Mond veranlaßten Okkultations-
erscheinungen von Fixsternen, Planeten und der Sonne. Wird die
östliche Monddistanz immer kleiner und kleiner und schließlich dem
scheinbaren Mondradius gleich, so verschwindet der Stern im näch-
sten Augenblick, da ihn der Mond auf seiner Bahn bedeckt (Stern-
bedeckungen). Ebenso kann der Mond bei Neumond vom Beobach-
tungsort gesehen mit der Sonne nahe in einer Richtung stehen; wir
beobachten dann eine partielle, ringförmige oder totale Sonnenfinsternis.
An Präzision ist das Phänomen einer Sternbedeckung der Sonnen-
finsternis überlegen, insbesondere wenn es sich um das Verschwinden
oder Auftauchen eines helleren Sternes am dunklen Mondrand handelt.
Am beleuchteten Mondrand muß man zur Erzielung guter Resultate
schon große Fernrohre und starke Vergrößerungen zuziehen; andernfalls
bringen es Irradiation uud Beugung dahin, daß die Sterne zu früh
verschwinden oder zu spät auftauchen. Bei einer Sonnenfinsternis
verdient die erste äußere Berührung wenig Zutrauen: der Moment
wird stets zu spät notiert. Nicht selten wird von Fällen berichtet,
in denen das Verlöschen des Sternes am Mondrand einige Zeit, die
sich nach Bruchteilen von Sekunden bemaß, beanspruchte und deren
Ursache man auf eine Mondatmosphäre zu schieben geneigt war.
Daß der Stern fast immer etwas innerhalb der scheinbaren Mond-
scheibe verschwindet oder auftaucht, ist eines der einfachsten Bei.
spiele von Irradiation.
Die durch den Mond veranlaßten Okkultationsvorgänge sind nicht,
wie die in Nr. 26 behandelten Finsternisse tautochron; ihr Eintritt
wechselt wegen der großen Nähe des Mondes rasch von Ort zu Ort.
Die an verschiedenen Punkten beobachteten Zeitmomente müssen
somit vor ihrer Vergleichung noch auf eine bestimmte Phase der
Erscheinung, wie sie im Erdmittelpunkt gesehen wird, reduziert
werden, z. B. kann man aus dem notierten Moment mit Hilfe der
bekannten, den Ephemeriden zu entnehmenden Elemente die Konjunk-
tionszeit in Länge oder Rektaszension suchen. Man versteht darunter
den Augenblick, in welchem für das Erdzentrum beide Himmelskörper
gleiche Länge oder Rektaszension besitzen.
34. Längenbestimmung aus Sternbedeckungen und Sonnenfinsternissen. 133
Nach Analogie der Monddistanzen bietet sich das folgende Rech-
nungsverfahren dar, bei dessen Beschreibung man nach Belieben statt
Sonne auch Stern oder Planet lesen und unter Pol entweder den
Ekliptikalpol oder den Äquatorpol sich denken darf. Aus dem sphä-
rischen Dreieck Pol-Mond-Sonne, dessen Seiten bekannt, leite man
den Winkel am Pol, i. e. den lokalen scheinbaren Längen- oder Rekt-
aszensionsunterschied ab und reduziere ihn mit Hilfe der parallak-
tischen Verschiebung auf den Erdmittelpunkt. Da weiter die relative
Geschwindigkeit in Länge oder Rektaszension beider Himmelskörper
gegeben, so vermag man aus der Koordinatendifferenz im Beobach-
tungsaugenblick den Moment der gesuchten Konjunktionszeit abzu-
leiten, die dann zur Längenbestimmung entweder mit der in der
Ephemeride angegebenen Konjunktionszeit des Nullmeridians oder
besser mit der in analoger Weise gefundenen Konjunktionszeit eines
anderen Ortes verglichen wird. Fehler der Mondtafeln üben im letz-
teren Falle nur einen unerheblichen Einfluß aus, und wenn man gleich-
artige Phasen, z. B. nur Eintritte oder Austritte kombiniert, so gehen
auch Fehler in den Gestirnsradien nicht merklich in das Ergebnis
ein. — Ebenfalls sehr einfach ist das im Anschluß an FH. Raper von
J. A. ©. Oudemans*"?) eingeschlagene Verfahren. Aus der Rektaszension
des Sternes sucht er die Rektaszension des Mondes und mit dieser in
der Ephemeride die entsprechende Greenwich-Zeit.
Der erste, der ein korrektes Verfahren zur Berechnung einer
Ökkultationserscheinung besaß, war Kepler*%), der mit Hilfe der
Sonnenfinsternis vom 7. März 1598 die Längendifferenz zwischen Graz
und Uranienborg abzuleiten sich bemühte. Als Vorläufer erscheinen
die von Ohr. Columbus, A. Vespuceci, A. Pigafette, A. San Martino kul-
tivierten Konjunktionen des Mondes und der Planeten **”). Später wurde
die Aufgabe von vielen Astronomen aufgegriffen, u. a. von Ch. Wren°*®),
Flamsteed””), Lacaille?®), J. OCassini?"), Cagnoli”?), Lambert?”®),
245) J. A. O. Oudemans, Astr. Nachr. 74 (1869), p. 168.
246) J. Kepler, Ad Vitellionem paralipomena, Astronomiae pars optica,
Caput 11, probl. 27, p. 392, Francofurti 1604 = Opera, ed. Ch. Frisch, 2,
Francof. 1859, p. 372.
247) Vgl. 1. c. Fußn. 343), Ex. crit. IV, p. 183 = Krit. Unt. 2, p. 415.
248) Ch. Wren, geb. 1632, gest. 1723, hat selbst nichts bekannt gemacht,
doch berichtet J. Flamsteed darüber. Siehe auch Wolf, Handb. 2, p. 292.
249) J. Flamsteed, The doctrine of the sphere, London 1680 (in J. Moore,
New system of mathematics, London 1680—81).
250) N. L.de Lacaille, Calcul des projections, Paris hist. (2) mem. 1744, p. 191.
251) J. Cassini (le fils), Meth. de determ. les longit., Paris hist. (2) mem. 1705,
p-. 194.
134 vI 2,3. C. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Lalande”*), Euler), Lagrange”®), indes gewann erst .Bessel??") der
Sache eine neue Seite ab. Eine weitere unabhängige Bearbeitung
erfuhr das Problem durch P. A. Hansen””®), der insbesondere der Dar-
stellung der Sichtbarkeitsverhältnisse auf der Erde seine Aufmerk-
samkeit zuwandte. Vereinfachungen der Bessel’schen Formeln für
Sternbedeckungen fanden A. R. Olarke®®), Klinkerfues?) und F. Küst-
ner?®Y). — Fehler in Gauß’ Entwickelungen glaubt N. Garbich ge-
funden zu haben ?*?).
Die Bessel’schen Formeln verwertet man heute allgemein zur Be-
rechnung und Vorausberechnung von Sonnenfinsternissen und Stern-
bedeekungen. Eine leichtverständliche Anleitung dazu schrieb Encke?®®?),
der sich wesentlich auf Bessel’s Arbeit stützt. H. Battermann?‘*) gab
bequeme Tafeln der Mondparallaxe für Berlin heraus, die auch leicht
einen Übergang auf andere Breiten gestatten. @. Bigourdan?®) er-
strebte dasselbe Ziel auf umständlicherem Wege. Eine Sonnenfinsternis
graphisch vollständig zu berechnen und ihre Sichtbarkeitsverhältnisse
auf der Erde übersichtlich darzustellen, lehrte Cayley?*). Temple
Chevallier ?”) betrachtete den Einfluß, den die Differenz der Parallaxen
252) A. Cagnoli, Methode pour calculer les longit. geogr., Verone 1789.
253) J. H. Lambert, Berl. astr. Jahrb. für 1778, p. 49.
254) J. J. Lalande, Nouvelle methode pour calculer rigoureusement les
eclipses de soleil, Paris hist. (2) m&m. 1763, p. 426.
255) L. Euler, De eclipsibus solaribus, Petersbg. Acta 1780, II, p. 308.
256) J. L. Lagrange, Berl. astr. Jahrb. für 1782 — Oeuvres 7, p. 415.
257) und 258) Vgl. die p. 82 (Lit. II) zitierten Monographieen.
259) A. R. Clarke, Lond. Astr. Soc. Mem. 27 (1859), p. 97.
260) W. Klinkerfues in H. W. T. Seeling, Berechnung der Tafelfehler des
Mondes aus der Plejadenbedeckung von 1858 Febr. 20, Astr. Nachr. 52 (1860)
p. 289 ff. $
261) F. Küstner, Bestimmungen des Monddurchmessers aus neun Plejaden-
bedeckungen, Nova Acta, Abhdl. d. Leopold.-Carolin. Akad. der Naturforscher
41 (Halle 1879), auch als Diss. Straßburg, 1879 (Halle 1880); weitere Literatur:
J. A. Grunert, Theorie der Sonnenfinsternisse, der Durchgänge der unteren Pla-
neten vor der Sonne und der Sternbedeckungen, Wien Denkschr. 8 (1854), 1. Abt.,
p. 133; L. J. Gruey, Les formules &cliptiques de Hansen simplifies, Paris Bull.
astr. 9 (1892), p. 233, 286; CO. Rümker, Über die Berechnung der Sonnenfinster-
nisse, Hamburg 1837; R. Schram, Beitrag zur Hansen’schen Theorie der Finster-
nisse, Wien Ber. 92 (1885).
262) N. Garbich, Analytische Methode zur Berechnung der Sonnenfinster-
nisse sowie aller andern Occultationen, Triest 1871.
263) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. für 1830, Berlin 1828, p. 253.
264) H. Battermann, Astr. Nachr. 144 (1897), p. 1.
265) @. Bigourdan, Obs. de Paris ann. (m&m.) 23 (1902) E.
266) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 39 (1871), p. 1.
267) Temple Chevallier, Lond. Astr. Soc. Mem. 19 (1851), p. 231.
34. Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse (Fortsetzung). 135
auf die Zeiten des Aus- und Eintritts bedeckter Sterne ausübt.
Weitere Abkürzung des Rechnungsverfahrens strebte CO. Stechert?®)
an, der sowohl die Vorausberechnung derartiger Phänomene als auch
die Längenberechnung durch umfangreiche Tafeln unterstützt. Insbe-
sondere soll auf diese Weise die Ausnutzung der Okkultations-
phänomene zur See und an den in Länge schlecht bestimmten Hafen-
plätzen, vor allem in der Südsee, in die Wege geleitet werden. Kurz
zuvor hatte ZL. Oruls?®) ausgedehnte Tafeln publiziert, denen eben-
falls .Dessel’s Gedanke zugrunde lag; einen Teil der Rechnung läßt
Cruls graphisch ausführen. Rein graphisch ist eine von W. Rigge?"®)
vorgeschlagene Methode. Mit besonderer Berücksichtigung der nau-
tischen Verwertbarkeit bearbeitete ©. Berry?!) eine Theorie der Ok-
kultationen. — Den bei Berechnungen von Sonnenfinsternissen anzu-
wendenden Mondradius revidierte J. Peters?) und fand ihn 174 kleiner
als den aus Sternbedeckungen gefolgerten.
Die Bedeutung der Sternbedeckungen und Sonnenfinsternisse
war noch in dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts für die Zwecke
der Längenbestimmung eine sehr hohe; vornehmlich Wurm und
Triesnecker?®) bearbeiteten in jener Zeit alle ihnen bekannt geworde-
nen Beobachtungen und leiteten daraus Längendifferenzen der Haupt-
orte der Erdoberfläche ab. Heutzutage liegt die Bedeutung jener
Erscheinungen auf wesentlich anderem Gebiete: Sternbedeckungen
liefern Beiträge zur Kenntnis der Mondbahn, des Mondradius und der
Mond- und Sonnenparallaxe?), und Sonnenfinsternisse fördern die
Physik der Sonnenatmosphäre.
Während eine Sternbedeckung nur zwei Phasen, Ein- und Aus-
tritt, liefert, läßt sich bei Sonnenfinsternissen der ganze Verlauf des
268) C. Stechert, Tafeln f. d. Vorausberechn. d. Sternbedeckungen, Aus
dem Archiv der Deutschen Seewarte, 19. Jahrg., Nr. 3, Hamburg 1896; 0. Stechert,
Die Vorausberechnung der Sonnenfinsternisse u. ihre Verwertung zur Längenbest.,
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 22. Jahrg., Nr. 1, Hamburg 1899.
269) L. Cruls, Methode graphique pour la determination des heures ap-
prochees des &clipses du soleil et des occultations, Rio de Janeiro 1894.
270) W. Rigge, Astr. Nachr. 158 (1902), p. 274.
271) ©. Berry, Theorie complete des occultations, Paris 1880.
272) J. Peters, Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 20 (1902), p. 135.
273) Zahlreiche Reduktionen teilten J. F. Wurm und F. Triesnecker in
Monatl. Corr., den Astr. Nachr. und den Allgemeinen geographischen Epheme-
riden (hrsg. von F. X. von Zach u. a., Weimar 1798—1816) mit. Siehe ferner
J. F. Wurm, Praktische Anleitung zur Parallaxen-Rechnung, Tübingen 1804.
274) Siehe z. B. H. Battermann, Best. der Mondlänge, des Mondhalbmessers
und der Sonnenparallaxe aus Sternbedeckungen, Berlin Sternw. Ergebn. 11 (1902).
136 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Eindringens der schwarzen Mondscheibe in die Sonnenscheibe ver-
folgen und daher eine große Anzahl von Daten zur Ableitung der
Konjunktionszeit festlegen. Vorteilhaft ist es, während der Sonnen-
finsternis die Distanzen der Hörnerspitzen mit einem Doppelbild-
mikrometer (Heliometer) zu messen; Hansen”®) hat die Rechnungs-
vorschriften für diese Methode entwickelt. Minder empfiehlt es sich,
mit dem Refraktor die Rektaszensions- und Deklinationsunterschiede
der Hörnerspitzen zu bestimmen; die Bearbeitung kompliziert sich
erheblich und an Sicherheit wird gewiß nichts gewonnen.
Die Genauigkeit der aus einer Okkultation abgeleiteten Länge
entspricht nicht der Schärfe, mit der man das plötzliche Verschwinden
und Auftauchen aufzufassen imstande ist. Die Ursache liegt in den
Unebenheiten des Mondrandes, den Berge und Täler recht rauh er-
scheinen lassen. Vereinzelte Randgebirge ragen bis zu 4” über den
normalen kreisförmigen Verlauf des Randes hervor; die hieraus
fließende Fälschung der Länge würde 8° betragen. Die Erfahrung
lehrt, daß einer Sternbedeckung ein mittlerer Fehler von durchschnitt-
lich + 2°2 anhaftet?”).
35. Verwandte Okkultationsphänomene. Der Theorie für die
durch den Mond veranlaßten Okkultationsphänomene folgen eine An-
zahl verwandter Erscheinungen, deren Verwertung zur Längenbestim-
mung zwar möglich, aber nicht zweckmäßig wäre. Eine sehr reiche
Literatur haben die Vorübergänge der Venus vor der Sonnenscheibe
wachgerufen, durch deren Beobachtung man fast zwei Jahrhunderte
lang glaubte, den besten Wert für die Sonnenparallaxe erlangen zu
können. Für die Theorie des sonnennächsten Planeten Merkur sind
dessen Vorübergänge, die weit häufiger sich ereignen (etwa 13mal im
Jahrhundert) als jene der Venus, von großer Bedeutung geworden.
Teils nach Encke’s, teils nach Hansen’s Vorgang hat K. Friesach?'®)
eine elementare Theorie der Planetenvorübergänge dargestellt. Geo-
metrisch anschaulich (mit Hilfe von Figuren) will Z. Weinek?”) den
von Lagrange betretenen, von Encke ausgebauten Weg klar legen.
Nicht nur der langsamen scheinbaren Bewegung beider Planeten
275) Vgl. A. Auwers, Bestimmung eines absoluten Meridians für Australien
durch absolute Methoden, Astr. Nachr. 110 (1884), p. 289, und J. Peters, Astr.
Nachr. 138 (1895), p. 113.
276) K. Friesach, Theorie der Planetenvorübergänge, Leipzig 1874.
277) L. Weinek, Zur Theorie der Planetenvorübergänge, Wien Ber. 112
(1904), p. 1752; J. L. Lagrange, M&moire sur le passage de Venus du 3 juin 1769,
Berl. hist. 1766, p. 265 = Oeuvres 2, p. 3835; J. F. Encke, Vorausberechnung der
Planetenvorübergänge, Berl. astr. Jahrb. für 1842, Berlin 1840.
35. Verwandte Okkultationsphänomene. 836. Bestimmung des Azimuts. 137
halber, sondern auch wegen eigentümlicher, zum Teil physiologischer
Vorgänge lassen sich die vier Kontakte der schwarzen Planeten-
scheibe mit der Sonnenscheibe nicht sicher auffassen, so daß die
daraus gefolgerte Länge des Beobachtungsortes auf große Genauigkeit
keinen Anspruch zu erheben vermöchte.
Mannigfaltige Phänomene bietet das Jupitersystem in seinen vier
hellen Monden dar. Abgesehen von den schon in Nr. 26 besproche-
nen Finsternissen werden die Trabanten auf ihrem Laufe um den
Hauptplaneten bald vor demselben vorübergehen, bald hinter ihm ver-
schwinden und in den Kontakten wieder Hilfsmittel zur Längenbestim-
mung gewähren. Diese Momente sind indes ob der Helligkeit des
Jupiter selbst in großen Refraktoren nicht mit Präzision wahrzuneh-
men und zur Längenbestimmung somit unbrauchbar.
Ähnliches gilt von den seltenen Sternbedeckungen durch Planeten.
Die Langsamkeit der scheinbaren Bewegung der Planeten, ihre Hellig-
keit und ihre mehr oder minder dichte Atmosphäre bewirkt es, daß
das Verschwinden und Auftauchen der Sterne ein allmähliches zu sein
scheint. Derartige Phänomene tragen vor allen Dingen bei zum Stu-
dium der Physik der Atmosphäre des die Bedeckung verursachenden
Planeten ?"®). Eine allgemeine analytische Bearbeitung der Bedeckungen
von Fixsternen durch Planeten führte A. F. Moebius?"®) durch.
IV. Azimutbestimmung.
36. Allgemeiner Weg. Die Aufgabe der Azimutbestimmung
kommt in erster Linie der Geodäsie zugute, z. B. zur Orientierung
einer ausgedehnten Dreieckskette gegen den Meridian.
Man darf ganz allgemein sagen, daß alle Methoden, die zur Pol-
höhenbestimmung angewandt werden, mit leichten Modifikationen auch
zur Azimutbestimmung dienen können. Ebenso gut wie man nämlich
aus den sphärischen Dreiecken den Winkel am Pol (Stundenwinkel)
zur Zeitbestimmung oder die Seite Pol-Zenit (Komplement der Breite)
zur Polhöhenbestimmung ableitet, kann man auch den Winkel am
Zenit, das Azimut eines der beobachteten Gestirne berechnen. Legt
man dann noch die am Horizontalkreis des Universals gemessene
Azimutaldifferenz des Sternes und eines terrestrischen Signals („Mire“)
zum Sternazimut hinzu, so gewinnt man das Azimut des Signals.
Eine weitere Bedeutung gewinnt die Azimutbestimmung in fernen
Ländern beim Ausmessen einer langen Basis für topographische Auf-
278) Vgl. u. a. A. Pannekoek, Astr. Nachr. 164 (1904), p. 6.
279) A. F. Moebius, 1. c. p. 82 (Lit. II) = Werke, 4, p. 343,
138 VI2,3. C.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
nahmen: auf astronomischem Wege ermittelt "man die Polhöhen der
Basisendpunkte und ihr gegenseitiges Azimut und berechnet daraus
auf Grund der bekannten Erddimensionen die Länge der Basis in
Kilometern.
Unter den vielen möglichen Wegen zur Azimutbestimmung seien
jene skizziert, die bei geodätischen Operationen größeren Stiles bevor-
zugt werden.
37. Spezielle Methoden. Kann man die Mire so nahe am Me-
ridian errichten, daß sie im Gesichtsfeld des Passagenrohres erscheint,
so wird man ihr Azimut durch eine Zeitbestimmung im Meridian
(siehe Nr. 8), die zunächst das Azimut der Absehenslinie festlegt, er-
halten, indem man mit einem Mikrometer den Winkelabstand des
Signals vom Mittelfaden des Fadennetzes ermittelt. Etwas weitere
Grenzen für die Lage der Mire eröffnen sich im Vertikal des Polar-
sterns (siehe Nr. 9).
Eine andere, bei beliebiger Stellung des Signals anwendbare Me-
thode geht von der Beobachtung des Polarsternes aus. Man stellt
wechselweise Mire und Stern ein und erhält mit dem aus der Orts-
zeit zu berechnenden Polarisazimut und dem gemessenen Azimut-
unterschied das Azimut der Mire. Die Azimutberechnung für den
Polarstern erleichtern Hilfstafeln, wie sie u. a. Valentiner”®) und
Albrecht®®) gegeben haben. Ein Fehler in der Zeit entstellt das
Azimut am meisten, wenn der Stern im Meridian sich befindet, und
ein Fehler in der Deklination wirkt am stärksten in den Digressionen.
Die besten Resultate erzielt man, wenn man, wie dies schon Landgraf
Wilhelm von Kassel?) und @. D. Cassini?®?) taten, die beiden Digres-
sionen beobachtet; unabhängig von Sternort und Zeit ergibt hier das
Mittel der Ablesungen des Horizontalkreises den Nordpunkt des
Kreises. Bei Sternen niederer Deklinationen vertreten die Stelle der
Digressionen vorteilhaft die korrespondierenden Höhen, deren Azimut-
mittel den Südpunkt des Horizontalkreises darstellt. Aus drei Höhen
und den Azimutunterschieden das Azimut zu bestimmen, lehrt ein-
gehend Mollweide?®?).
280) W. Valentiner, Beiträge zur kürzesten u. zweckmäßigsten Behandlung
geogr. Ortsbest., Leipzig 1869; ferner E. Block, Hilfstafeln zur Berechnung der
Polarisazimute, Petersburg 1875.
281) Vgl. R. Wolf in: Astronomische Mittheilungen von Rudolf Wolf, Nr. 45,
Zürich 1878, p. 142. Abdruck aus: Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Ge-
sellschaft in Zürich, 22. Jahrg., Zürich 1877, p. 370.
282) Während der frz. Gradmessung (1683—1718); vgl. J. Cassini, Traite de
la grandeur et de la figure de la terre, Paris 1720.
283) K. B: Mollweide, Monatl. Corr. 28 (1813), p. 419.
37. Azimutbestimmung. 88. Die Kimm. 139
In Ermangelung eines fest aufstellbaren Universals kann das
Azimut durch Distanzmessung an einem Reflexionsinstrument eruiert
werden. Die scheinbare Höhe des Signals ist hierbei unerläßlich;
ebenso muß die Zeit genau bekannt sein. Dann vervollständigt der
Abstand der Mire von einem Gestirn — zumeist ist das wohl die
Sonne — das sphärische Dreieck Signal-Zenit-Sonne, dessen drei Seiten
gegeben, und man berechnet nun daraus den Winkel am Zenit, i. e.
die Azimutdifferenz zwischen Sonne und Signal. Soll ein Fehler in
der Zeit keinen großen Einfluß ausüben, so darf die Sonnenhöhe etwa
10° nieht erheblich übersteigen. Dieser Art der Azimutbestimmung
hat v. Zach?®) eine eingehende Darstellung gewidmet.
V. Nautische Astronomie.
38. Die Kimm und ihr Verhalten. Die nautische Astronomie
hat zur einzigen Aufgabe die Ermittelung des Schiffsortes nach Länge
und Breite durch astronomische Beobachtungen; als Durchgangsstadien
zur Verwertung des Kompasses und von Lotungen gehen noch die
Bestimmung der Zeit und des Azimuts ein. Da die Benutzung
fest aufstellbarer Apparate an Bord des schwankenden Schiffes ein
Ding der Unmöglichkeit ist, kommen nur Reflexionsinstrumente in
Betracht, unter denen fast einzig der Spiegelsextant in praxi zur An-
wendung gelangt. Die Gründe mag man vor allen Dingen in der
historischen Gewöhnung suchen. Die Kriegsmarine beobachtet bis-
weilen auch mit dem Spiegelprismenkreis, vor allem zur Festlegung
von Küstenplätzen.
Gelegentlich der Behandlung der Methoden der Ortsbestimmung
wurde stets auf die Bedeutung der betreffenden Aufgabe für die Nautik
hingewiesen; es erübrigt hier, einige Eigentümlichkeiten nautischer
Messungen, die daraus fließenden Fehlerquellen und die Bestrebungen
zu ihrer Hebung zu erwähnen, und endlich eine Betrachtungsweise
des Problems der Ortsbestimmung darzustellen, die heute unter der
jüngeren Generation allgemeine Einführung gefunden hat und unter
dem Namen „Moderne Navigation“ begriffen wird. Für den Gebrauch
zur See fallen alle jene Methoden der Ortsbestimmung aus, die sich
auf Azimutmessungen gründen. Denn mit hinlänglicher Genauigkeit
können an Bord nur Höhen, und zwar Höhen über der Kimmlinie
(Kimmabstände) gemessen werden.
284) F. X. v. Zach, Berl. astr. Jahrb. für 1793, p. 167; ferner J. F. van
Beeck-Calkoen, Berl. astr. Jahrb. für 1814, Berlin 1811, p. 99.
140 VIe,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Hier tritt schon gleich eine Schwierigkeit auf. Die Kimm be-
deutet auf See das, was zu Lande die Libelle oder der Quecksilber-
horizont leistet; sie errichtet die Lotlinie und definiert das Zenit des
Beobachtungsortes. Das über der Meeresfläche, auf der Kommando-
brücke oder an einem sonst geeigneten Platze des Schiffes befindliche
Auge sieht die Kimm um die Kimmtiefe unter den scheinbaren Ho-
rizont, von dem an die Höhen zählen, herabgedrückt. Unter Kimm-
tiefe wird der Winkel verstanden, den die vom Auge an den See-
spiegel gezogene Tangente mit der Horizontalen einschließt; man kann
sie auch definieren als das Komplement des scheinbaren Radius der
Erdkugel vom beobachtenden Auge aus gesehen. Wäre die Erde
streng kugelförmig und keine Atmosphäre vorhanden, so ließe sich
die Kimmtiefe trigonometrisch aus dem ebenen Dreieck: Erdzentrum-
Auge-Berührungspunkt des Sehstrahls genau ermitteln. Da die an
Bord unserer Schiffe vorkommenden Augeshöhen in maximo nicht
an 20 m heranreichen, so ist die aus der ellipsoidischen Erdfigur fol-
gende Ungleichförmigkeit der Kimmtiefe verschwindend gering ?*).
Anders stellen sich die Verhältnisse bei den durch die Refrak-
tion hervorgerufenen Störungen. Aus geodätischen Messungen der
Zenitdistanzen irdischer Objekte war der Einfluß der terrestrischen
Refraction durch Picard?®) bekannt geworden. Die Kimm mußte
ihrem Einfluß in ähnlicher Weise unterworfen sein, und man nimmt
darauf Rücksicht, indem man die rein geometrische Kimmtiefe um
ihren 13'® Teil verringert und diesen aus Tafeln zu entnehmenden
Wert dann an die erhaltenen Kimmabstände negativ anbringt. Die
Arbeiten von Gauß?®), Sabler”®®), Harti?®), Bauernfeind?”) unter-
warfen die variabelen Verhältnisse der terrestrischen Refraktion, wie
sie bei geodätischen Operationen eingeht, genauerer Diskussion, die
auch der gleichen Gesetzen gehorchenden Kimmtiefe zugute kam. Aus-
285) Siehe ©. W. Wirtz, Marine-Rundschau 12, Berlin 1901, p. 837.
286) J. Picard im Jahre 1669 gelegentlich der Messung von Depressions-
winkeln zwischen Montlehery und Mareuil; vgl. J. Picard, la mesure de la terre,
Paris 1671.
287) C. F.Gauß, Berl. astr. Jahrb. für 1826, p. 89 — Werke 9 (1903), p. 437.
288) @. Sabler, Höhenunterschied zwischen dem Schwarzen und Kaspischen
Meer, hrsg. von W. Struve, St. Petersburg 1849; und @. Sabler, Beobachtungen
über die irdische Strahlenbrechung, Diss. Dorpat 1839.
289) H. Hartl, Zts. der österr. Gesellschaft für Meteorologie 16, Wien 1881,
p. 129, und Mitt. d. k. k. militär,-geograph. Instit. in Wien, 3, Wien 1883.
290) ©. M. Bauernfeind, Die terrestrische Refraktion und ihr Einfluß auf
trigonometrische Höhenmessungen, München 1866; Ergebnisse aus Beobacht. d.
terrestr. Refrakt., Münch. Abh. 13, 3. Abt. (1880), p. 179.
38. Die Kimm und ihr Verhalten. 141
gedehntere Beobachtungsreihen über die Kimmtiefe rühren her von
Lingg°”‘) am Starnberger See, E. Kayser””?) an der Ostsee bei Danzig,
Forel?”?) am Genfer See und von dem französischen Schiff „La Gali-
sonniere“?®**) 1884 im Roten Meer nnd Indischen Ozean. Einen Ab-
schluß fanden die Untersuchungen in dieser Richtung durch die Be-
obachtungen, die K. Koß und E. v. Thun-Hohenstein?”), Offiziere der
österreichischen Kriegsmarine, teils im Roten Meer, teils durch Mes-
sungen an Land, vom Fort Verudella bei Pola aus unternahmen.
Nicht nur, daß die Kimm Verschiebungen von ihrer mittleren Lage
bis zu fast 10’ erleidet, sie ist auch nicht gleichförmig in allen Azi-
muten. Sie ändert sich mit dem Unterschied zwischen Luft- und
Wassertemperatur, ohne daß Luftdruck, Feuchtigkeit und. Bewölkung
nachweisbar darauf einwirkten. Das regelloseste Verhalten tritt bei
Windstille oder ganz schwachen Winden ein, während eine die Luft
gut durchmischende Brise von der Stärke 2 bis 3 eine leidlich gleich-
förmige Kimmtiefe um den Horizont herum konstatieren ließ. Koß
spricht einen Teil seiner Ergebnisse in dem Satz aus, daß für dieselbe
Augeshöhe die Hebung oder Senkung der Kimm über die geodätische
Kimm eine lineare Funktion des Unterschieds zwischen Luft- und
Wassertemperatur ist und gibt seiner Abhandlung zwei Kimmtiefen-
tafeln bei, die beide zu Argumenten Augeshöhe und Differenz der
Luft- und Wasserwärme haben; die eine gilt bei lebhafter Brise, die
andere bei Windstille. Theoretische Durcharbeitung erfuhren die
österreichischen Kimmtiefenbeobachtungen durch E. Kohlschütter?*‘), der
u. a. die Aufmerksamkeit auf die Gestalt der Bahn der von der Kimm
ins Auge dringenden Lichtstrahlen lenkt und die Unzulänglichkeit der
Annahme einer Kreisbogenbahn aufdeckt.
291) F. Lingg, Über die bei Kimmbeobachtungen am Starnberger See
wahrgenommenen Refraktionserscheinungen, Nova Acta, Abhandl. der Leopol-
dinisch-Carolinischen Akad. der Naturforscher, 55, Halle 1891, p. 1—95.
292) Ernst Kayser, Beob. der Refraktion des Seehorizontes und Leuchtturms
von Hela, Danzig Naturf. Ges. Schriften N. F. 4, Heft 2, Danzig 1877.
293) Vgl. J. B. Messerschmitt, Resultate neuerer Kimmtiefenbeobachtungen,
Ann. d. Hydr. 1901, p. 162.
294) Siehe 1.c. Fußn. 293); ferner bemerkenswert Alois Walter, Theorie der
atmosphärischen Strahlenbrechung, Leipzig 1898. i
295) K. Koß und Graf Thun- Hohenstein, Kimmtiefenbeobachtungen zu
Verudella, Wien Denkschr. 70 (1901), p. 347. Ferner: K. Koß, Nächtliche Kimm-
tiefenbeobachtungen zu Verudella, Veröff. d. Hydrographischen Amtes in Pola,
Nr. 18, Pola 1904.
296) E. Kohlschütter, Folgerungen aus den Koß’schen Kimmtiefenbeobach-
tungen zu Verudella, Ann. d. Hydr. 1903, p. 533.
142 VI, 3. C©.W.Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
39. Instrumente zur Bestimmung und Elimination der Kimm-
tiefe. Die dargelegte Unsicherheit der Kimm einerseits und anderer-
seits ihre schwierige Sichtbarkeit bei Nacht und düsigem Wetter lassen
die Bestrebungen begreiflich erscheinen, sich durch geeignete Instru-
mente von ihr ganz unabhängig zu machen. Einige andere Apparate
gehen nur darauf aus, ein Mittel zu ihrer Bestimmung bei jeder Be-
obachtung an die Hand zu geben und so ihre Anomalien von Fall
zu Fall zu eliminieren.
Die Idee, die Einstellung auf die Kimm entbehrlich zu machen,
hatte schon Hadley®‘), der Erfinder des Spiegelsextanten; er wollte
mit einem gewöhnlichen Höhenquadranten eine Libelle verbinden, die
von einem .Gehilfen hätte abgelesen werden müssen. Später brachte
man die Libelle so an, daß der Beobachter selbst sich über ihren
Stand zu vergewissern vermochte. Ein solches Instrument liegt in
dem Butenschön’schen ?”®) Libellenquadranten vor, bei welchem die Blase
der Libelle zugleich mit dem Fadenkreuz und dem in Höhe zu mes-
senden Gestirn im Feld des Quadrantenfernrohrs erscheint.
Einen ganz anderen Weg schlug Fleuriais?”) mit seinem Gyroskop-
kollimator ein; hier wird die Horizontale mit Hilfe eines schnell ro-
tierenden Kreisels, auf dem zwei Kollimatorlinsen angebracht sind,
hergestellt. _E. @eleich?®) hat indes mit einem solchen Apparat wenig
ermutigende Erfahrungen gemacht; von erfolgreichen Anwendungen
auch des Butenschön’schen Libellenoktanten auf See ist noch nichts
bekannt geworden.
Nach wie vor ist man vielmehr auf die Beobachtung über der
Kimm angewiesen und hat deshalb einmal durch lichthelle Fernrohre
diese des Nachts besser wahrnehmbar gemacht, andererseits durch
verschiedene Mittel die Einstellung eines Sternes auf die Kimmlinie
genauer gestaltet, entweder indem man nach Fleuriais’ Vorgang zwi-
schen beiden Sextantenspiegeln ein das Sternbild verdoppelndes Prisma
einschaltete und die Kimm zwischen beide Bildehen brachte, oder in-
dem man mit Laurent°°') den Stern zu einer kurzen Lichtlinie auszog’”?).
297) J. Hadley, A spirit level to be fixed to a quadrant, Lond. Phil.
Trans. 1733, p. 167 [abr. 7, p. 620].
298) @. Butenschön, Deutsches Reichspatent Nr. 76668; Zts. f. Instrumenten-
kunde 15 (1895), p. 152 und 17 (1897), p. 186.
299) @. E. Fleuriais, Paris C. R. 103 (1886), p. 1305. Genaue Beschreibung
und Theorie eines verbesserten Fleuriais’schen Sextanten gibt M. E. J. Gheury
in Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 64 (1904), p. 768.
300) E. Geleich, Hansa, Deutsche Nautische Zts., 38 (Hamburg 1901), p. 125.
301) Laurent, Kapitän der „Imp6eratrice-Eugenie“, vgl. Les Mondes, revue
hebdomadaire des sciences (hrsg. v. F. Moigno), 8 (Paris 1865), p. 612.
> 39. Elimination der Kimm. 143
Auf ein originelles Verfahren zur Elimination der Kimm ver-
fällt ©. Decante®®). Er projiziert mittels eines dritten beweglichen,
dem Sextanten neu beigefügten Spiegels die Zenitdistanz eines ersten
Sterns auf die eines zweiten und mißt die Differenz der Zenitdistanz
des zweiten Sterns und des Projektionspunktes des ersten Sterns. Um
die verlangte Vertikalhaltung des Instrumentes zu erzielen, zählt er
drei Methoden auf, die aber in praxi alle gleich schwer gangbar sind
und in jedem Falle den Sextanten sehr belasten und seine Handhabung
ungemein erschweren.
Die Kimmtiefe für jede Höhenbeobachtung eigens zu messen
wäre eine andere Art, sich ihrer Anomalien zu entledigen. Mit einem
gewöhnlichen Sextanten läßt sich dies schon dann erreichen, wenn das
Gestirn eine 50° übersteigende Höhe besitz. Dann mißt man seinen
Abstand über beiden diametral gegenüberliegenden Kimmpunkten und
erhält in dem halben Überschuß der Summe beider Abstände über
180° die Kimmtiefe Mit den Prismenkreisen verschiedener Kon-
struktion können zwei entgegengesetzte Partien der Kimm direkt zur
Deckung gebracht und so die Kimmtiefen bestimmt werden. Ein
speziell diesem Zweck gewidmetes Instrument konstruierte W. H. Wol-
laston 1817 in seinem Dipsektor°*), von dem man indes neuerlich
nichts mehr hört. Recht kompliziert fiel das von E. Kayser?®) kon-
struierte Depressionsmikrometer aus, dessen Messungsbereich 2° be-
trägt und das wesentlich aus einem abwärts oder aufwärts zu rich-
tenden Fernrohr und zwei daran angebrachten rechtwinkligen Pris-
men besteht. Vermittelst eines leicht am Sextanten anzubringenden
Doppelprismas vereinigt E. Kohlschütter?”) die Bilder zweier im Azi-
mut um 180° verschiedener Kimmpunkte im Feld des Fernrohrs und
gibt eine konstruktive Möglichkeit an, die Kimm dadurch zu elimi-
nieren, daß man nach dem Vorgange T. Ferguson’s?”®) auch das
Supplement ‘der Höhe eines Gestirnes mitmißt. Diesem Doppelprisma
zieht jedoch Kohlschütter selbst ein von J. B. Blish erfundenes Kimm-
prisma®””) vor, welches die Summe der Kimmtiefen vor und hinter
302) Vgl. Reichs-Marine-Amt, Navig. 2, p. 79.
303) C. Decante, Position du navire quand l’horizon n’est pas visible, Re-
vue maritime, 147 (Paris 1900), p. 491.
304) Über den Dipsektor vgl. Gehler's physikal. Wörterbuch, 2. Aufl., 2,
Leipzig 1826, p. 558.
305) E. Kayser, Das Depressionsmikrometer, Danzig Naturf. Ges. Schriften,
N. F. 1, Heft 2, Danzig 1864.
306) T. Ferguson, De Zee (Tijdschrift) 1895, Rotterdam 1895.
307) Siehe E. Kohlschütter, Ann. d. Hydr. 1904, p. 84; Mittheilungen aus dem
Gebiet des Seewesens 32 (1904), Nr. VII, Pola und Wien 1904,
144 VI»,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
dem Beobachter ergibt. Der neue Apparat für die Kimmtiefe von
©. Pulfrich?®) besteht im wesentlichen aus einem Winkelspiegel, und
die Messung geschieht entweder mittels einer im Gesichtsfeld des
zugehörigen Fernrohrs angebrachten Skale oder einer den einen
Spiegel bewegenden Mikrometerschraube. Alle diese Verfahren machen
die stillschweigende Voraussetzung, daß die Kimmtiefe um den ganzen
Horizont herum gleich sei, und das ist durchaus nicht immer der Fall.
40. Begriff der Standlinie und ihre Festlegung. Lange Zeit
hindurch haben die Seeleute den Rang astronomischer Messungen der
Gestirne auf See ähnlich eingeschätzt wie zu Lande: eine Höhe am
Meridian diente zur Bestimmung der Breite, eine solche beim Ersten
Vertikal für die Ortszeit und Länge. Vereinzelte Höhen in mittleren
Azimuten verstand man nicht auszunutzen. Erst dira necessitas brachte
durch Zufall den amerikanischen Kapitän Sumner °”) bei der Ein-
segelung in den St. Georgskanal auf einer Reise von Nordamerika
nach Greenock auf die Möglichkeit, jede beliebige Gestirnshöhe zu
einem geometrischen Ort für die Position des Schiffes, zu einer Stand-
linie, zu verwerten. Durch ein an Bord mitgeführtes Chronometer muß
die zugehörige Greenwichzeit bekannt sein (Nr. 29). Seit jenem 17. De-
zember 1837, der Sumner auf die Standlinie und ihre allgemeine
nautische Bedeutung führte, hat sich um den einfachen Gedanken eine
große Literatur gerankt, die noch von Tag zu Tag anwächst.
Die Zenitdistanz 2 eines Gestirnes in einem bestimmten Momente
gilt für alle die Punkte, die auf einem mit der Zenitdistanz als sphä-
rischen Radius um den Projektionspunkt P des beobachteten Gestirns
beschriebenen kleinen Kreise k liegen (Fig. 1). Unter Projektions-
punkt versteht man den Ort der Erdoberfläche, in dem die vom
Stern zum Erdmittelpunkt gezogene Gerade sie durchstößt, oder anders
gesagt: den Ort, der das beobachtete Objekt im Zenit hat. Die geo-
graphische Breite des Projektionspunktes ist stets der Deklination
und seine geographische Länge gegen Greenwich dem (aus Rektaszen-
sionen und Greenwichzeit zu berechnenden) Stundenwinkel des Ge-
stirns in Greenwich gleich. Zenitdistanz z2 und Projektionspunkt P
legen also den Kleinkreis % auf der Erde fest, und irgendwo auf diesem
Kreise muß das Schiff zur Zeit der Messung sich befunden haben.
Trägt man an Bord die Schiffsroute auf einer Seekarte?"’*) ein, so
308) ©. Pulfrich, Zts. für Instrumentenkunde 24, Berlin 1904, p. 225.
309) Thomas H. Sumner, A new and accurate method of finding a ships
position at sea by projection on Mercator's chart, Boston 1843, 2. ed. 1845.
309a) Die Seekarten werden stets in Merkatorprojektion entworfen, weil
bei derselben jeder Loxodrome (Schiffahrtslinie, Linie konstanten Kurses, die
40. Begriff der Standlinie und ihre Festlegung. 145
kommt die Merkatorprojektion des Sumnerkreises k in Betracht, die
sog. „Standkurve“ (courbe de hauteur) ?°»).
2 = beobachtete Zenitdistanz.
P = Projektionspunkt des Gestirns.
k —= Sumnerkreis, Höhenkreis ?!°), Höhengleiche,
eircle of position, eirele of equal altitude,
cercle de hauteur.
@ — gegißter Schiffsort, estimated place, point
estime.
R = wahrscheinlichster Schiffsort, point rap-
proche. .
! —= Standlinie, Summer line, droite de hauteur,
Fig. 1: Zur „Höhenmethode“
(Figur auf der Erdkugel).
In praxi ist der Seemann auch ohne astronomische Ortsbestim-
mung über den Ort seines Fahrzeuges nur um Bruchteile eines Grades,
wenn es hoch kommt um 1° —= 30 Seemeilen, ungewiß; denn einen
genäherten, sog. „gegißten“ Schiffsort kennt er schon aus der sog.
„Schiffsreehnung“, die auf regelmäßigen Bestimmungen der Fahrt-
geschwindigkeit nach Größe und Richtung mittelst Log und Kompaß
beruht; er bedarf daher nur eines kurzen, dem gegißten Schiffsort @
nahegelegenen Stückes I des Sumnerkreises. Auf der Seekarte 30%)
ersetzt er — von einem noch zu besprechenden, seltenen Ausnahme-
fall abgesehen — dieses Stück durch eine Loxodrome, in der Merkator-
projektion also durch eine Gerade, die entweder eine kurze Sehne
(ältere Methode) oder eine Tangente (neuere Methode) der genauen
Standkurve bildet. Diese Gerade heißt „Standlinie“.
Die ältere Methode zur Bestimmung der Standlinie, auf die schon
Sumner”®) kam, ist die Breiten- und Längenmethode (Sumnermethode).
Wenn das Azimut des Gestirns kleiner als 45°, so berechnet Sumner
mit zwei angenommenen, die gegißte umschließenden Längen die der
gemessenen Höhe zugehörigen beiden Breiten; die Verbindungslinie
der zwei so definierten Punkte in der Karte ist die gesuchte Stand-
Jeden Meridian unter demselben Winkel schneidet) eine geradlinige Trans-
versale der Seekarte entspricht. Vgl. Fußn. 330), sowie Gauß’ Werke 4 (1880),
p-. 204 und den Artikel „Kartographie“, VIı, 4 (Bourgeois).
309b) Über die analytischen und graphischen Methoden zur strengen oder
genäherten Konstruktion der Standkurven vgl. etwa Guyou°??) und Villarceau-
de Magna.
310) Das Wort „Höhenkreis“* bedeutet also bald einen Sumnerkreis, bald
einen Almukantarat'‘®). Vereinzelt ist ferner als „Höhenkreis“ das definiert
worden, was wir heute „Vertikalkreis“ nennen, nämlich ein Großkreis durch
das Zenit, oder auch ein zur Messung von Zenitdistanzen bestimmter Teilkreis.
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 10
146 VIa,3. 0©.W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
linie, die in diesem Falle nach der Breitenmethode gewonnen ist.
Liegt aber die beobachtete Höhe näher am Ersten Vertikal als am
Meridian, so wählt man zwei der gegißten nahe Breiten, berechnet
mit ihnen die beiden Längen und hat in der Verbindungslinie beider
Punkte wiederum die Standlinie nach der Längenmethode. Beide Ver-
fahren geben strenggenommen Sehnen der Standkurve, deren Ver-
wechselung mit dem Bogen nur bei ganz kleinen Zenitdistanzen
unstatthaft wird.
Die neuere Methode (Höhenmethode, Fig. 1) lehrte der französische
‚Admiral Mareqg St. Hilaire?"'); sie ist zur Zeit die herrschende ge-
worden, da sie Einheit und Ökonomie der Rechnung vor der Sumner-
schen voraus hat. Während bei Sumner entweder die Länge oder die
Breite berechnet werden mußte, wird nach Marcg St. Hilaire in
allen Fällen mit dem gegißten Schiffsort und der Greenwichzeit der
sphärische Radius des Summerkreises, d. h. die Zenitdistanz be-
rechnet, deren Vergleich mit der beobachteten ein Maß für die
Richtigkeit des gegißten Schiffsortes abgibt. Und zwar so. Den
Unterschied & zwischen berechneter und gemessener Höhe setzt man
in der Seekarte vom gegißten Schiffsort @ in der Richtung des be-
obachteten Gestirns ab, je nach dem Vorzeichen der Differenz bald
vom Projektionspunkt P weg, bald auf ihn zu (Fig. 1). Die durch
diesen neuen Punkt R gezogene, zu RP senkrechte Gerade / stellt
dann die gewünschte Standlinie dar, die somit bei dieser Höhenmethode
eine Tangente an die Standkurve im wahrscheinlichsten Schiffsort ist.
Als wahrscheinlichsten Schiffsort spricht man nämlich den dem ge-
gißten zunächstliegenden Punkt R der Standlinie an. Außer der Höhen-
rechnung hat man also noch eine solche des Azimutes auszuführen,
die aber beiläufig auf volle Grade genügt.
In dem Ausnahmefall, daß die Gestirnshöhe nahe 90° beträgt,
darf man die Standlinie als gegeben betrachten durch den um den
Projektionspunkt mit der jetzt sehr kleinen Zenitdistanz beschriebenen
Kreisbogen. Eine bessere Annäherung an die Standkurve gibt ein
gegen den Projektionspunkt exzentrischer Kreis oder noch besser
eine Ellipse, deren Zentrum ebenfalls gegen den Projektionspunkt
verschoben ist ®1?).
41. Zweihöhenproblem nach der Standlinienmethode. In ein-
facher Weise erledigt die Standlinienmethode das Zweihöhenproblem.
Liegen zwei Höhenmessungen vor, so ergeben sich zwei Standlinien,
|——
311) Vgl. Villarceau-de Magnac, Pratique, p. 104* (Fußnote).
312) Vgl. Villarceau-de Magnac.
41. Zweihöhenproblem. 42. Drei oder mehr Standlinien. 147
in deren Schnittpunkt das Schiff sich befinden muß. Denkt man sich
die Sumnerkreise ganz ausgezeichnet, so sieht man, daß zwei Schnitt-
punkte den gemessenen Höhen Genüge leisten. Die Entscheidung über
den wahren Ort folgt dann leicht aus den Azimuten der Gestirne.
Am schärfsten wird der Schnittpunkt festgelegt, wenn die Linien ein-
ander unter rechtem Winkel durchschneiden; das absolute Azimut
spielt keine Rolle für die Genauigkeit des Schiffsortes, sondern nur
die Azimutdifferenz, die im günstigsten Falle 90° betragen und nie
unter 30° herabsinken soll. Infolge der raschen Fahrt der modernen
Fahrzeuge, Dampfer sowohl wie Segler, genügt es nicht mehr, die
beiden gefundenen Standlinien als für denselben Ort gültig anzu-
sehen; es hat vielmehr wegen der Ortsveränderung des Schiffes eine
Reduktion etwa der zuerst erhaltenen Standlinie auf den Augenblick
der zweiten stattzufinden. Ein Weg, dies zu erreichen, besteht darin,
daß man die eine Standlinie um die in der Zwischenzeit vom Schiff
gutgemachte Fahrt parallel zu sich selbst verschiebt, ein anderes Ver-
fahren reduziert rechnerisch vor Beginn der ganzen Reduktion die eine
gemessene Höhe auf den Beobachtungsort der anderen (Zenitreduktion)
und behandelt dann beide Höhen, als wären sie im selben Punkt der
Erdoberfläche beobachtet.
Der angedeutete graphische Weg des Überganges vom gegißten
auf den wahren Schiffsort erledigt sich durch Rechnung mit der
Auflösung kleiner ebener Dreiecke. An diese Aufgabe hat sich, wie
an das ganze Zweihöhenproblem, eine große Reihe von Aufsätzen in
nautischen Zeitschriften angeschlossen. Überdies existieren spezielle
Tafeln, die der Erleichterung jener Schlußrechnung dienen sollen.
42. Drei oder mehr Standlinien, Dreihöhenproblem. In der
nautischen Literatur kommt die Bezeichnung „Dreihöhenproblem“ oder
„Vielhöhenproblem“ vor; es handelt sich aber dann nicht um ein ein-
deutig bestimmtes Problem, sondern um eine überbestimmte Aufgabe;
denn zwei Unbekannten, Länge und Breite, stehen drei oder mehr
Daten gegenüber. Bestimmt wird die Aufgabe erst wieder, wenn ich
die Bedingung hinzufüge, daß die Quadratsumme der in den Höhen
übrigbleibenden Fehler ein Minimum werden soll, und dann muß die
Berechnung nach der Methode der kleinsten Quadrate erfolgen. Will
man wieder die Standlinien zur Lösung verwenden, so ergeben sich
deren im Falle des „Dreihöhenproblems“ drei, die sich der unvermeid-
lichen Beobachtungsfehler wegen nicht in einem Punkte durch-
schneiden, sondern ein Dreieck bilden werden. Am günstigsten sind
die Sterne dann verteilt, wenn die Azimute um beiläufig 120° sich
unterscheiden. Der wahrscheinlichste Schiffsort ist stets derjenige
10*
148 VI, 3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Punkt im Innern des Dreiecks, für den die Summe der Quadrate der
Abstände von den drei Seiten ein Minimum ist; dieser Punkt heißt
nach seinem ersten Bearbeiter®!?) der Grebe'sche Punkt?!t). Mehr als
drei günstig verteilte Höhen zu messen bringt wenig Gewinn. Das
Auge ermüdet rasch, schon durch die meist schlechte Sichtbarkeit
der Kimm bei Nacht, und die letzten Einstellungen fallen daher er-
heblich gegen die ersten ab. -—— Daß man ohne Instrumente und ohne
Rechnung durch bloße Schätzung von Gestirnshöhen den Schiffsort
leicht innerhalb eines Grades festlegen kann, zeigt A. A. Nüjland’?).
43. Standlinie für eine Höhendifferenz. Die eindeutig bestimmte
Aufgabe: aus.den zwei Höhendifferenzen dreier Sterne den Schiffsort
abzuleiten (siehe Nr. 19), trug dazu bei, das Hauptglied der Kimm-
anomalie zu eliminieren. Weiter erwächst nun die Frage nach der
Art des durch eine Höhendifferenz auf der Erdkugel gegebenen geome-
trischen Ortes. Die Frage ist von Wirtz?'%) diskutiert worden; die
Standlinie geht über in eine sphärische Hyperbel, entstanden als
Schnittkurve eines Kegels zweiter Ordnung mit einer Kugel. Das
dem gegißten Schiffsort nahegelegene Stück dieser „kimmfreien“ Stand-
linie wird definiert durch einen Punkt der Standlinie und ihr Azimut
in diesem Punkte.
44. Berechnung der Höhe, Höhentafeln. Keine andere Disziplin
hat so sehr das Bestreben, alle rechnerischen Operationen durch
Tabulierung zu umgehen, wie die Nautik, und seit dem Durchdringen
der Marcg St. Hilaire'schen Standlinienmethode (p. 146) sind daher
immer wieder Versuche aufgetaucht, die einzige erforderliche genauere
sphärische Rechnung, die Berechnung der Höhe aus Breite, Deklination
und Stundenwinkel bequemer zu gestalten oder durch Tafeln ganz
zu umgehen.
Die Zeiten liegen noch nicht lange hinter uns, wo der Seemann
seine kaum auf die Bogenminute zuverlässigen Messungen sechs-
oder siebenstellig unter Mitnahme der Bogensekunde ausrechnete.
Ein erster zögernder Schritt zur Besserung war der Rückgang zu
fünf- oder gar vierstelligen Logarithmen. Die kaiserliche Marine
313) E. W. Grebe, Das geradlinige Dreieck in Beziehung auf die Quadrate
der Perpendikel, welche man von einem Punkte auf seine Seiten fällen kann,
Arch. Math. Phys. 9 (1847), p. 250.
314) Über den Grebe’schen oder Lemoine’schen Punkt vgl. III B 13 (Neuberg),
sowie etwa Emil Hain, Arch. Math. Phys. 58 (1876), p. 84.
315) A. A. Nijland, Astr. Nachr. 160 (1902), p. 257.
316) ©. W. Wirtz, Über eine neue „kimmfreie“ astronomische Standlinie,
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 25. Jahrg., Nr. 3, Hamburg 1902.
43—44. Anwendungen der Standlinienmethode. 149
hält an fünf Stellen fest, nachdem E. Kohlschütter ?'”) zeigte, daß
nur so in allen Fällen die Genauigkeit von 2’ in der errechneten
Höhe könne innegehalten werden. In der Handelsmarine greift der
Gebrauch der vierstelligen Logarithmen immer mehr um sich, da die
Höhenformel leicht so transformiert werden kann, daß sie auch vier-
stellig eine praktisch stets zureichende Genauigkeit besitzt. Aus der
Grundform der Höhenformel sind wohl alle möglichen Variationen
-— es gibt deren an die 80 — gezogen und auf ihre Bequemlichkeit und
Eignung zur Tabulierung hin durchprobiert worden. Indessen existiert
keine Höhentafel, die die Höhen rascher und sicherer liefert als direkte
Rechnung. Die wichtigsten bisher konstruierten oder in Vorschlag
gebrachten Höhentafeln (vgl. p. 157) stammen von F\ Sowillagouät?'?),
R. Delafon®"”), W. Doellen’?®), V.v. Fuß??‘) und A.Vital?”?). Unter ihnen
ist die Souillagouet'sche Tafel noch die brauchbarste, weil sie auf der
einfachsten Formel sich aufbaut. — Nur geringen Erfolg hatten
auch die Vorschläge zur direkten Berechnung des Unterschiedes
der beobachteten und der aus dem gegißten Schiffsort gefolgerten
Höhe???) /
Ein anderes Stück des nautisch-astronomischen Grunddreiecks
den Stundenwinkel, hat Davis?”) mit den drei Argumenten Breite
Deklination, Höhe in Tafeln gebracht, die indes nach dem Urteil des
vom Reichs-Marine-Amt herausgegebenen Lehrbuches der Navigation?)
in bezug auf sämtliche Unterlagen der Ortsbestimmung in so engen
Grenzen gehalten sind, daß sie den Anforderungen der heutigen Schiff-
fahrt nicht mehr gerecht werden.
Einen neuen Plan zur Konstruktion einer Höhentafel legte in
317) E. Kohlschütter, Marine-Rundschau 13, Berlin 1902, p. 1330.
318) F. Souillagouet, Tables du point auxiliaire, pour... 1a hauteur et
l’azimut estimes, Paris 1891; nouvelle &d. Toulouse 1900.
319) R. Delafon, Methode rapide pour determ. les droites et les courbes
de hauteur et faire le point, Paris 1893.
320) W. Doellen, Zur Reform der naut. Astronomie, Dorpat 1896.
321) V.v. Fuß, Tafel zur Berechnung der Höhe und des Azimuts der Ge-
stirne, Verhdl. des 7. internat. Geographen-Kongresses zu Berlin 1899, 2. Teil,
Berlin 1901, p. 27. — V.v. Fuß, Tafeln f. d. Berechn. v. Höhe u. Azimut, Peters-
burg 1901 (in russischer Sprache).
322) A. Vital, Über Höhentafeln, Mittheilungen aus dem Gebiete des See-
wesens 30, Pola 1902, p. 283.
323) Vgl. darüber u. a. O. Fulst, Ann. d. Hydr. 1900, p. 320; W. Reuter,
ebenda 1902, p. 32 und 1902, p. 583; H. Teege, ebenda 1903, p. 153 und 1903, p. 501.
324) P. L. H. Davis, Chronometer tables or hour angles for selected alti-
tudes between latitudes 0° and 50°, London 1899.
325) Reichs-Marine- Amt, Navig., 2, p. 233.
150 VIa, 3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
jüngster Zeit @. W. Littlehales ?°*) vor. Auf Karten in stereographischer
Projektion löst er graphisch das nautische Grunddreieck nach Höhe
und Azimut auf." Die Priorität des Gedankens fällt jedoch ©. Braun")
zu, der schon 1873 ein Instrumentchen konstruiert hatte, das aus
zwei konzentrischen, übereinander verschiebbaren stereographischen
Äquatorealprojektionen besteht, deren obere auf durchsichtiges Papier
gezeichnet ist. Die mittlere Genauigkeit des Apparates, den Braun
„Trigonometer“ nennt, stellt sich bei einem Durchmesser von 45 em
auf etwa + 5’. — In weniger zweckdienlicher Weise wollte M. A. F.
Prestel ?*?) die Rechnung durch ein graphisches Abgreifen in dem von
ihm entworfenen „astronomischen Diagramm“ ersetzen. Für geringere
Genauigkeit finden sich gute Diagramme, freilich nur für die Pariser
Polhöhe, bei @. Bigourdan ??).
45. Gebrauch der Merkatorfunktion °®). Infolge des An-
schwellens der zur Erleichterung der nautisch-astronomischen Rech-
336) 6 @. W. Littlehales, A new and abridged method of finding the locus of
geographical position and the compass error, Bulletin of the Philosophical
Society of Washington, 14, Washington 1908, p. 233; besprochen von J. W.
Froley, Bulletin of the American Geographical Society 36, New York 1904,
p- 299.
327) ©. Braun, Berichte von dem erzbischöfl. Haynald’schen Observatorium
zu Kalocsa in Ungarn, Münster i. W. 1886, p. 142.
328) M. A. F. Prestel, Das astronomische Diagramm, Braunschweig 1859.
329) @. Bigourdan, Obs. de Paris ann., obs. 1885, Paris 1893.
330) Unter dem Namen Longitudinalzahl, transcendenter Lambert’scher oder
Gudermann’scher Winkel ist eine Funktion
= g9d(«)
bekannt, durch die man gemäss den Formeln
e—e”*
— i-sin(i-2) = PIE VRR sinh x = tangr,
—-
e e 1
cos (i-x) = en — coshx = BE
T
ee — ee”
— 4 Tan a) —= tanghx = sin r
re
von den hyperbolischen Funktionen zu den Kreisfunktionen übergeht. .. Hilfe
der inversen Funktion (Gudermann’s „Längezahl‘“)
dt id
= ra log nat tang (45 En 5)
[]
definiert man die Merkatorfunktion /(r) und ihre Cofunktion cof(r) durch
die Formeln °35)
fe) = A:2, cofle) = (90° — 2).
45. Gebrauch der Merkatorfunktion. 46. Azimuttafeln. 151
nungen konstruierten Tabellen machte sich bald das Bestreben geltend,
deren Zahl nach Möglichkeit zu beschränken und durch Einführung
der Merkator'schen Meridionalteile die trigonometrischen Rechnungen
entbehrlich zu machen. Auf die Bedeutung der Merkatorfunktion
hat zuerst Preuß?!) hingewiesen und nach ihm ist das Thema kon-
sequent ausgebaut von Guyou®®?), Türr???), Goodwin ?”**) und vor allem
von Börgen ??)?®®), der ausführlich zeigt, wie einfach und einheitlich
sich die sphärischen Dreiecksaufgaben, insbesondere die der geographi-
schen Ortsbestimmung, durch Merkatorfunktionen lösen lassen; eine
bequeme Tabelle dieser Funktion von Minute zu Minute bildet den
Schluß seiner wichtigen Arbeit?®®).
46. Azimuttafeln. Nicht nur zur Berechnung der Standlinie
nach der Höhenmethode (p. 146) bedarf der Seemann der Kenntnis
des Gestirnsazimuts, sondern auch zur Bestimmung der Deviation des
Kompasses??°), einer Größe, die auf den modernen aus Eisen oder Stahl
Hier hat der Zahlenfaktor
A= er — Verhältnis der absoluten Winkeleinheit zur Bogenminute
den Zweck, den Abstand f(pı) — f(Y,), in welchem irgend zwei Breitengrade
p, und 9, auf einer Merkaterkarte ?°%) verlaufen, auf die Bogenminute der geo-
graphischen Länge als Einheit zu beziehen; er gewährt übrigens gewisse Vor-
teile bei der Interpolation der Tafeln und tut der Eleganz der theoretischen
Entwicklungen keinen Abbruch: die sphärischen Dreiecksaufgaben lassen sich
nämlich mit Hilfe der Funktionen fie) und cof(r) in homogenen linearen Formeln
lösen (l. e. Fußn. 335). — Chr. Gudermann, J. f. Math. 7 und 8 (1831—32) gibt
Tafeln für & = %(r). Literatur über den Lambert’schen Winkel etc. weisen
nach: A. v. Braunmühl, Vorlesungen über Geschichte der Trigonometrie, 2. Teil,
Leipzig 1903, p. 134, 231; E. Pascal, Repertorium der höheren Mathematik,
deutsch von A. Schepp, 1, Leipzig 1900, p. 470; Wolf, Handb. 1, p. 205— 207.
331) W. H. Preuß, Homographische Nautik, Ann. d. Hydr. 1876 und 1877.
332) E. G@uyou, Les problemes de navigation et la carte marine, Annales
hydrographiques (2) 17 (annde 1895), p. 113—158, auch als Buch erschienen,
Paris 1895.
333) R. Türr, Metodo per fare il punto astronomico, Milano 1894.
334) H. B. Goodwin, A nautical astronomy of a new type, Nautical Magazin
64, London 1895.
335) Siehe C. Börgen, Über die Auflösung nautisch-astronomischer Auf-
gaben mit Hilfe der Tabelle der Meridionalteile (der „Mercator’schen Funktion‘),
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 21. Jahrg. 1898, Nr. 1, Hamburg 1898.
335a) O. Börgen, Über die Berechnung von Monddistanzen mit Hilfe der
Mercator'schen Funktionen, Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte, 26. Jahrg.
1903, Nr. 1, Hamburg 1903.
336) Deviation ist die Ablenkung der Kompaßnadel durch die Eisenteile
des Schiffskörpers.
152 VI2,3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
gebauten Fahrzeugen sowohl zu erheblichen Beträgen anwächst, als
auch in einigen Gliedern einer raschen Veränderlichkeit unterworfen
ist. Aus diesem Grunde wird eine stete Kontrolle der Deviation für
die Sicherheit der Navigierung unumgänglich notwendig, und diese
‚erzielt man durch eine „Peilung“ (d.h. Azimutanschluß an die Magnet-
nadel) eines nicht gar zu hoch stehenden Gestirnes. Aus der Differenz
des abgelesenen Azimutes gegen das aus Ortsbreite, Deklination und
Stundenwinkel berechnete des Gestirns folgt nach Abzug der be-
kannten im Schiffsort stattfindenden magnetischen Deklination die
gesuchte Deviation des Kompasses.
Zur Erleichterung der häufig vorkommenden Berechnung des
Azimutes sind Tafeln konstruiert worden, die ihren Zwecken weit
besser dienen, als die bisher veröffentlichten Höhentafein. Zum Teil
rührt das daher, daß bei den Azimuttafeln nicht jene Genauigkeit
verlangt wird, die bei Höhentafeln notwendig ist. Die Angabe auf 0°.1
reicht bei Azimuttafeln völlig aus; durch Interpolation mag der Fehler
auch auf ',° gesteigert werden, ohne daß darum eine unerlaubte Un-
schärfe einträte.
Die Tafeln lassen sich in zwei Hauptgruppen trennen, deren
erste die Azimute nach den drei Argumenten Breite, Stundenwinkel
und Deklination kunstlos zusammenstellt. Hierzu rechnen u. a. die
Tafeln von Burdwood ?%*°), Davis und Percy”), Labrosse ®) und
Ebsen®®®). Die Tafeln der zweiten Gruppe zerlegen die eine Tafel mit
drei Argumenten in drei Tafeln mit je zwei Argumenten und erreichen
so eine kompendiösere Form. Fast in jeder neueren nautischen Tafel
findet sich eine solche nach Perrin’s oder Fulst’s®%) Vorgang an-
geordnete kurze Azimuttabelle. Anders konstruierte Weyer **!) seine
Azimuttafeln, die vor allem bei Anwendung der Standlinienmethode
nach Marcq St. Hilaire (Höhenmethode, p. 146) sich empfehlen. Sie
3362) J. Burdwood, Sun’s true bearing or azimuth tables between latitude
30° N and 60° N, London [1850?], 3° ed. London 1873; London 1894.
337) J. E. Davis, L. H. Percy, Sun’s true bearing or azimuth tables between
30° N and 30° S, London 1875; Star’s true bearing or azimuth tables between
60° N and 60° 8, London 1902.
338) F. Labrosse, Tables des azimuts du soleil entre 55°S et 55° N, Paris
1868; in engl. Sprache London 1868.
339) J. Ebsen, Azimut-Tabellen, enthaltend die wahren Richtungen der
Sonne von 70° N bis 70° S, Hamburg 1896; 3. Aufl. Hamburg 1903.
340) E. Perrin, Nouvelles tables destindes ä abreger les calcules nautiques,
2. ed. Paris 1892. — O. Fulst, Azimuttafel, Bremen .1898.
341) @. D. E. Weyer, Kurze Azimuttafel für alle Deklinationen, Stundenr-
winkel und Höhen auf beliebigen Breiten, Hamburg 1890.
47. Ortsbestimmung durch erdmagnet. Elemente. 48. Aöronaut. Astronomie. 153
umfassen in Breite, Höhe und Deklination den ganzen Himmel,
während die anderen Tafeln nur eine mehr oder minder beschränkte
Zone der drei Daten berücksichtigen.
47. Ortsbestimmung mit Hilfe der erdmagnetischen Elemente.
Nur der Vollständigkeit und des historischen Interesses wegen sei
endlich noch darauf hingewiesen, daß es einige Male versucht
worden ist, die räumlich und zeitlich rasch veränderliche magnetische
Deklination zur Längenbestimmung auf See heranzuziehen, u. a. von
A. Pigafetta, der diese Methode in seiner Nautik lehrt ®?). Der Gedanke
geht indes auf Columbus zurück, dem W. Bourne (1577), L.Sanutio (1588),
5. Cabot**?) folgten. Wieder später beschäftigte sich Z. Williams ’**)
mit dieser Art der Längenbestimmung und entwarf Tafeln, die aber
von J. Bradley nicht eben günstig beurteilt wurden. Zuletzt hat noch
A. v. Humboldt”) auf die von ihm erprobte Brauchbarkeit der Methode
der Breitenbestimmung durch die magnetische Inklination hingewiesen.
48. Aöronautische Astronomie. Gleichwie die nautische Astro-
nomie im Grunde nur einen in den Genauigkeitsansprüchen sehr
herabgestimmten Ableger der exakten geographisch -astronomischen
Örtsbestimmung bildet, so hat die seit etwa einem Jahrzehnt empor-
blühende wissenschaftliche Luftschiffahrt eine aöronautische Astro-
nomie gezeitigt, die es dem Meteorologen bei nach unten unsichtigem
Wetter ermöglichen soll, während der Ballonfahrt die geographische
Länge und Breite mit mäßiger Genauigkeit zu fixieren und so auch
Horizontalprojektion und Geschwindigkeit des in der freien Atmo-
sphäre zurückgelegten Weges aufzuzeichnen.
Natürlich sind die Methoden keine anderen, als die schon für den
nautischen Gebrauch als zweckmäßig gekennzeichneten. Am Tage
legen Sonnen- und Mondhöhen, in kurzen Zeitintervallen genommen,
die Route fest; falls die Sonne allein sichtbar, muß Sonnenhöhe und
342) Vgl. Stanley of Alderley, The first voyage round the world by
Magellan — Works issued by the Hakluyt Society 52, London 1874, p. 167—169;
siehe auch Fußn. 204).
343) Vgl. A.v. Humboldt, Ex. erit. III, p. 38—41 = Krit. Unt. 2, p. 27—28. —
Zur Abkürzung in den Fußnoten 194, 199, 247, 343, 345: Ex. erit. = A. v. Hum-
boldt, Examen critique de l’histoire de la geographie du Nouveau Continent et
des progr&es de l’astronomie nautique aux 15. et 16. siecles. 5 vols. 8°, Paris
1836—39. — Dasselbe ins Deutsche übersetzt: Krit. Unt. = A. v. Humboldt,
Kritische Untersuchungen über die historische Entwicklung der geogr. Kennt-
nisse von der Neuen Welt ..., übers. von J. L. Ideler, 3 Bde., Berlin 1836—39.
344) Vgl. W. T. Lynn, The longitude and the Magnetic Variation, The Ob-
servatory 27 (1904), p. 276.
345) 1. c. 343), Ex. crit. III, p. 43 = Krit. Unt. 2, p. 29.
154 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
-azimut ermittelt werden. Nachts geben ein paar passend verteilte
Fixsternhöhen die Grundlagen ab. Gedrängte Tafeln, die aus den
gemessenen Höhen auf einfache Weise den Ballonort liefern, will
4. Marecuse®*®) herstellen. Erstrebt ist hier eine der Beobachtungs-
genauigkeit angemessene Rechnungsschärfe von je nach dem Zweck
+ 5° (9km) oder + 10’ (18km). Als Instrument zur Höhenmessung
erachtet A. Marcuse den Butenschön’schen Libellenguadranten (siehe
Nr. 39) am geeignetsten, mit dem sich an Bord von Schiffen die
Unsicherheit einer Einstellung auf + 3° herabdrücken lasse. Korvetten-
kapitän Lans ®®) hingegen maß bei einer Hochfahrt i. J. 1902 die
Sonnenhöhe über der Schleppleine des Ballons mittels eines Prismen-
kreises nur auf etwa '/° genau, und A. Berson *°) führte auf seinen
bekannten Fahrten einen mit Kompaß versehenen Apparat mit, der
Höhe und Azimut der Sonne auf etwa 1° genau zu finden gestattete.
Unabhängig von astronomischen Bestimmungen läßt sich bei
nach oben und unten unsichtigem Wetter der Ballonort durch die
erdmagnetischen Elemente festlegen. H. Ebert”) empfiehlt zu dem
Zwecke insbesondere die Messung der Horizontalintensität, zu deren
sicherer Bestimmung im Freiballon er ein neues magnetisches Ballon-
variometer angibt; er hält es an diesem Instrument für ein Kleines,
bis auf wenige Kilometer die Entfernungen zu beurteilen, welche die
Projektion des Ballonortes von der Ostseeküste im Norden, der Nord-
grenze der Alpen im Süden trennen.
VI. Anhang.
49. Die sphärischen Grundformeln der geographischen Orts-
bestimmung. In der Darlegung der Methoden der geographischen
Ortsbestimmung ist mathematischer Formelapparat grundsätzlich ver-
mieden und lediglich der leitende Gedanke eines jeden Verfahrens
soweit skizziert worden, daß sich mit Hilfe der sphärischen Trigono-
metrie der jeder Methode eigentümliche Formelkomplex rekonstruieren
läßt. Es mag nun hier hinreichen, eine kurze Übersieht über die
der sphärischen Trigonometrie #®) entlehnten Grundformeln der geo-
346) Siehe A. Marcuse, Zur Frage der astronomischen Ortsbestimmung im
Ballon, Protokoll über die 3. Versammlung der internationalen Kommission für
wissenschaftliche Luftschiffahrt (Berliner Tagung 1902), Straßburg i. E. 1903,
Beilage 22, p. 145; ist abgedruckt in: Sirius, Zs. für popul. Astronomie, 36,
Leipzig 1903, p. 169.
347) H. Ebert, Über ein neues magnetisches Ballonvariometer, Protokoll *%),
Beilage 21, p. 142.
348) Über Lehrbücher der sphärischen Trigonometrie vgl. die Schlußbemerkung
von Nr. 49 auf Seite 159.
49. Die sphärischen Grundformeln. 155
graphischen Ortsbestimmung und ihrer wichtigsten Umformungen zu-
sammenzustellen, in der Absicht, eine Anschauung von dem Bau der
in praxi gebräuchlichen Formeln zu vermitteln.
In Figur 2 stellen wir das sphärisch-astronomische Grunddreieck
P(ol)-Z(enit)-S(tern) dar, in dessen Seiten und Winkeln wir alle für
uns wesentlichen Größen wiederfinden. Es bedeuten hier
p die Polhöhe des Beobachtungsortes,
t den Stundenwinkel des Gestirns,
ö die Deklination des Gestirns,
p den parallaktischen Winkel des Gestirns,
h die Höhe des Gestirns,
2 —= %° — h die Zenitdistanz des Gestirns,
a das Azimut des Gestirns.
90°-$
F ig. 2:
Das sphärisch-astronomische Grunddreieck.
1) Zur Bestimmung von ? gilt die Grundformel
cos 2 — sing sin Ö cos 2
cost = ——
cos p cos Ö cosp cos Ö
— tang p tangd,
die man für logarithmische Rechnung etwa so umschreiben kann
t sin ($ — Q) sin (S — 6
tang 3 — y p) sin ( ), N
cos $ cos ($ — 2)
oder noch °*°)
re N. 1
BSR TOREN a SERERT TEN.
sem £ — sec p sec d sin —
349) Tafeln der Semiversusfunktion
tie Br: Bone sin vers t
= ER 2 SR 2
findet man z. B. in den Nautischen Tafeln, hrsg. vom Reichs- Marine- Amt, Kiel 1903.
156 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
Über den Einfluß kleiner Fehler in p, ö, z auf t orientiert der
Differentialausdruck
1 1 1
HE cos p tanga dp+t cos d tang p ddr cosp sina da.
Anwendung in Nr. 4.
2) Bestimmung von g. Durch Einführung eines Hilfswinkels
geht aus der Grundgleichung hervor
tang ö
cs (p — M)= 2 sinM, tang M —
sin Ö cos t
Für Zörkummeridianhöhen (Nr. 15) reicht eine Reihenentwicklung )
aus:
BR Ereh c08 p co cos Ö [c0S p cos A Er
Anal u 2 ee (95) M IS ag, cotg (p — 6): n,
2 sin? > 2 sin! S
ee 2. Er
Die Größen m und n entnimmt man besonderen Hilfstafeln ®°!).
Aus Polarishöhen in beliebigem Stundenwinkel (Nr. 16) bekommt
man die Breite durch die Reihe ®®)
p—=h-— x cost + 4° sin 1” tang p sin?
+ ta®sin?1” (1 + 3 tang?p) sin?t cost.
Hier bedeutet x die Poldistanz des Polarsterns®®?) in Bogensekunden;
für die beiden letzten Glieder der Reihe hat man Hilfstafeln®®®).
Differentialausdruck:
cosP 7
ae + et
Im Ersten Vertikal (Nr. 21) besteht die einfache Beziehung:
tang p — tang Ö sec t.
dp = — cosg tanga dt —
Differentialausdruck:
in2p 75
dp = sing tangz dt 4 55
Für die Digressionen (Nr. 22) sieht die Formel ähnlich aus:
cos 8
RR ne. sina
350) Auf der rechten Seite der Formel tritt p nur in kleinen Korrektions-
größen auf und darf durch einen rohen Näherungswert ersetzt werden.
351) Etwa C. F.W. Peters, Astronomische Tafeln und Formeln, Hamburg
1871, oder Albrecht, l. c. Fußn. 65), 3. Aufl., p. 53 und Hülfstafeln 27 —30.
352) Zur Zeit (1904) ist für Polaris (« Ursae minoris) x — 1°12' und nimmt
jährlich um 187 ab (Präzession).
353) Z. B. Albrecht, 1. c. Fußn. 65), 3. Aufl., p. 47, 48 und Hülfstafel 26.
49. Die sphärischen Grundformeln der geographischen Ortsbestimmung. 157
Differentialausdruck:
2 sind
dp = sin 2 dd —- cotga cotgp da.
3) Bestimmung von «.
cos ö sint
sin a = ————,
sin 2
t sin t
er p cost — cos gp tang d’
cotg ö secgp sint
tang a = — 8 ”
1 — cotgö tanggp cost
oder mit Einführung eines Hilfswinkels M
___.eosM tangt _ tang Ö
tang a = Ir ı% tang M — Frage
Differentialausdruck:
da de sina cotg2dp + En dd.
Anwendung in Nr. 37.
4) Bestimmung von z=W’ —.h.
Grundformeln:
sin h = c082 = sin p sind + cosp cos od cost
cos d sin 4
| cosh = sınz —= :
sın 4
Mit Hilfswinkeln:
cos2—=sinpsecNsin(N +06), . tang N = cotggp cost.
Auf diese Formel gründet sich die Höhentafel von F\ Sowillagouöt ?').
Eine andre Umformung ist:
sin a —= cos Ösint, cotg b = cotg d cost,
csz=cosasnB, B=b-+y, v=90 -— 9.
V. v. Fuß hat hiernach seine Höhentafel gerechnet ?'). A. Vital’s Vor-
schlag zur Konstruktion von Höhentafeln ???) geht von der Formel aus:
c08 2 = cos? 5: cos (pP — Ö) — sin? & cos (p -1- Ö).
Weitere Umformungen sind:
cosz = cos (p — d)cos N, sem N — cos p cos d sem tsec (p — Ö).
Definition der Funktion sem & in Fußnote 349.
Differentialausdruck:
dz = cos adp — cosp dÖ + cos Ö sin p dt.
Anwendungen in Nr. 44.
158 VI, 3. 0. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
5) Nur selten wird man bei der Berechnung des sphärisch-astro-
nomischen Grunddreiecks (p. 155, Fig. 2) mit Vorteil Gebrauch machen
von den Gauß’schen (Delambre’schen) Formeln®®%); ein Fall, in dem
dies zuträfe, wäre die strenge direkte Berechnung der miteinander
verknüpften Dreiecke im Zweihöhenproblem (vgl. Nr. 17).
Eine Gruppe der Gauß’schen Formeln lautet:
cos 5 sin > Po — sin u sin e+ g.
cos „cos — cos 4 008 PP,
sin 5 sin nn ? — sin £ cos er 3
sin 5 cos ee P. — cos M sin 7 E I
Die Neper’schen Analogieen nehmen für unser Dreieck folgende Ge-
stalt an: u 2 p a sin 9 +2 sin ® = p = u > 6
re EI Er 2
tang en .. cos nn cos 2 tang 3
tang 4 2 Er eh cos u ? tang I,
6) Unter den zahlreichen für die Reduktion einer Monddistanz
(Nr. 33) auf das Erdzentrum angegebenen Methoden sei nur die schon
im Jahre 1739 von R. Dunthorne?®) aufgestellte mitgeteilt. Sie ist jene,
die unmittelbar aus der Betrachtung der sphärischen Dreiecke hervorgeht.
Es sei
zZ
M wahrer Mondort
M’ scheinbarer Mondort
Ss S wahrer Gestirnsort
s S’ scheinbarer Gestirnsort
Z Zenit
M
M'
Fig. 3:
Reduktion von Monddistanzen.
354) J. B. J. Delambre, Conn. des temps pour 1809 (Paris 1807), p. 445.
K. B. Mollweide, Monatl. Corr. 18 (1808), p. 400. C. F. Gauß, Theoria motus
corp. coel., Hamburgi 1809, art. 54 — Werke 7 (1871), p. 60.
49. Die sphärischen Grundformeln. 50. Weitere Literatur. 159
H' die scheinbare Höhe des Mondes,
H die wahre Höhe des Mondes (befreit von Refraktion und
Parallaxe),
h’ die scheinbare Höhe des Gestirns,
h die wahre Höhe des Gestirns,
D’ die scheinbare Distanz,
D die wahre Distanz,
so ist die wahre Distanz mit der scheinbaren verbunden durch die
Relation
cos D = cos (H — h) -- [eos (H’-—— W) — cos D/] A: och
cos H’. cos #
Zur Erleichterung der Berechnung des letzten Faktors dieser Formel
führen ältere nautische Tafeln und Ephemeriden eine Tafel der „loga-
rithmischen Differenz“ mit??°).
Die Abplattung des Erdsphäroids hat hier natürlich keine Berück-
sichtigung erfahren.
Unter den neueren Lehrbüchern der sphärischen Trigonometrie
als Hilfswissenschaft der praktischen Astronomie sind hervorzuheben:
E. Hammer, Lehrbuch der ebenen und sphärischen Trigonometrie,
Stuttgart 1885; 2. Aufl. Stuttgart 1897. h
F. Bohnert, Ebene und sphärische Trigonometrie, Leipzig 1900
(Sammlung Schubert Nr. 3).
50. Weitere Literatur.
Einige Schriften, für die weder in der eingangs (p. 82) gegebenen Übersicht,
noch im Text und in den Anmerkungen eine Gelegenheit zum Zitat sich fand,
mögen hier noch zusammengestellt werden.
I. Allgemeine Lehrbücher.
J. Pasquich, Epitome elementorum astronomiae sphaerico-caleulatoriae. Pars
prima et secunda, Viennae 1811.
J. J. Littrow, Theoretische und praktische Astronomie. Erster und zweiter Teil,
Wien 1821.
@. A. Jahn, Praktische Astronomie. I. Teil, Berlin 1834; II. Teil, Berlin 1835.
A. Steinhauser, Grundzüge der mathematischen Geographie und der Landkarten-
projektion, Wien 1857; 3. Aufl. 1887.
G. Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen, Berlin
1875; 2. Aufl. 1888.
355) Die „logarithmische Differenz“ log Sn und deren „Korrektion“
ig ER vopuliart ©. B. I Bobrik, Handbuöh der praktischen Seefahrlekunde
cos h’
(3 Bände, Leipzig 1848) im 3. Band (Tafeln), p. 361—369, Tabellen 72—74.
160 VI»,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
F. Melde, Theorie und Praxis der astronomischen Zeitbestimmung, Tübingen 1876.
B. Peter, Anleitung zur Anstellung geographischer Ortsbestimmungen auf Reisen,
Mittheilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig, 22. Jahrg. 1880
(Leipzig 1881), p. 55—106.
H.C._E. Martus, Astronomische Geographie. Ein Lehrbuch angewandter Mathematik,
Leipzig 1880; 3. Aufl. (Astronomische Erdkunde), Dresden und Leipzig 1904.
H. A. E. Faye, Cours d’Astronomie de l’Ecole polytechnique, 2 vols., Paris 1881—83.
K. Israel-Holtzwart, Elemente der sphärischen Astronomie, Wiesbaden 1882.
Th. Epstein, Geonomie (mathematische Geographie) gestützt auf Beobachtung
und elementare Berechnung, Wien 1888.
K. Geißler, Mathematische Geographie, Leipzig 1900 (Sammlung Göschen).
S. Günther, Astronomische Geographie, Leipzig 1902 (Sammlung Göschen).
P. Güßfeldt, Grundzüge der astronomisch-geographischen Ortsbestimmung auf
Forschungsreisen, Braunschweig 1902.
W. Schmidt, Astronomische Erdkunde, Leipzig und Wien, 1903.
E. Geleich, Die astronomische Bestimmung der geographischen Koordinaten,
Leipzig und Wien 1904.
NB. Eine umfassende Anwendung der fundamentalen Methoden der Orts-
bestimmung bieten die von A. Auwers bearbeiteten Beobachtungen zur Ermitte-
lung von Ortszeit und geographischer Lage der Deutschen Venusstationen von
1874 und 1882 in: A. Auwers, Die Venusdurchgänge 1874 und 1882, Bericht
über die Deutschen Beobachtungen, Bd. VI, Berlin 1896, p. 187.
II. Monographieen.
A.v. Heiligenstein, Dissertatio methodos elevationem poli astronomice determinandi
sistens, Mannheim 1829.
@. R. Fockens, Commentatio de methodis, altitudinem poli, tam terra, quam
mari, accuratissime definiendi, Leiden 1831.
— Diversae methodi, quibus locorum longitudo in mari definiri possit, Leiden 1831.
F.@.W.Strwve, Anwendung des Durchgangsinstruments für die geographische
Ortsbestimmung, St. Petersburg 1833.
— Sur l’emploi de l’instrument des passages pour la determination des positions
geographiques, St. Petersbourg 1838.
C. Th. Albrecht, Über die Bestimmung von Längendifferenzen mit Hilfe des
elektrischen Telegraphen, Diss. Leipzig 1869.
M. Vodusek, Bestimmung der Zeit, des Meridians und der geographischen Breite
eines Ortes, Laibach 1878.
©. Koppe, Die Photogrammetrie oder Bildmeßkunst, Weimar 1889.
III. Tafelwerke.
H. ©. Schumacher:
— (1) Hülfstafeln zu Zeit- und Breitenbestimmungen, Copenhagen 1820.
Von 1821 an trennt Schumacher die Tafeln von dauernder Gültigkeit (3)
von den Ephemeriden (2):
— (2) Astronomische Hülfstafeln für 1821—1829, jährlich, Copenhagen;
— (3) Sammlung von Hülfstafeln, erstes Heft, Copenhagen 1822, neu hrsg. und
vermehrt von @. H. L. Warnstorff, Altona 1845.
W. Jordan, Mathematische und geodätische Hülfstafeln, Stuttgart 1878; 9. Aufl.
Hannover 1895.
50. Weitere Literatur. 161
IV. Ephemeriden °°®),
Eine Ephemeride erscheint in Bänden, die je nur für ein im Titel genanntes
Jahr gelten, bis zu 5 Jahren im voraus. Eine Auswahl unter denen, die heute
noch bestehen, sei hier mit Angabe des ersten Geltungsjahres mitgeteilt.
1679: Connaissance des temps ou des mouvements celestes, pour le meridien de
Paris, pour l’an..., Paris.
1767: The Nautical almanac and astronomical ephemeris for the year.. , for the
meridian of the Royal Observatory at Greenwich, Edinburgh (bis 1902 London).
1776: Berliner astronomisches Jahrbuch für... mit Angaben über die Opposi-
tionen der Planeten (1)— --: für... Herausgegeben von dem königl. astro-
nomischen Rechen-Institut, Berlin.
1792: Almanaque ndutico para el aüo ...., San Fernando.
1798: Annuaire pour lan... ., publi& par le Bureau des longitudes, Paris.
1852: Nautisches Jahrbuch oder Ephemeriden und Tafeln für das Jahr... .., Berlin.
1855: The American Ephemeris and Nautical almanac for the year..., Washington.
1862: W. Ludolph, Kleines nautisches Jahrbuch für... ., Bremerhaven.
1869: Mittlere Örter von 622 Sternen und scheinbare Örter von 450 Sternen
nebst Reduktionstafeln für das Jahr... (Sonderabdruck aus dem Berliner
astronomischen Jahrbuch), Berlin.
1887: Astronomisch-nautische Ephemeriden für das Jahr ... (deutsche Ausgabe)
Triest; Effemeridi astronomico-nautiche per l’anno ..., Trieste.
V. Nautische Astronomie.
a. Lehrbücher und Monographieen.
F. Schaub, Leitfaden für den Unterricht in der nautischen Astronomie, Triest
1853; 3. Aufl. bearb. von E. Geleich, Wien 1878.
W.v. Freeden, Handbuch der Nautik und ihrer Hülfswissenschaften, Olden-
burg 1864.
H. Faye, Cours d’astronomie nautique, Paris 1880.
Sir William Thomson [Lord Kelvin], Popular lectures and addresses, vol. 3: Navi-
gational affairs, London and New York 1891.
W. Doellen, Aufruf zur Umgestaltung der nautischen Astronomie, Dorpat 1893
nebst Anhang 1896 [Festschrift zu Wühelm Struve's 100. Geburtstag].
J. B. Guilhaumon, Elements de cosmographie et de navigation precddes de
notions de trigonometrie spherique, 2. ed. Paris-Nancy 1897.
@. Naccari, Astronomia nautica, Milano 1898 (Manuali Hoepli).
L. de Ribera y Uruburu, Tratado de Navigaciön, Madrid 1903.
b. Tafelwerke.
@. Margetts, Horary tables, London 1790.
J. de Mendoza y Rios, Colececion de tablas para varios usos de la navigacion,
Madrid 1800; Edicion corregida y augmentada por J. J. Martinez de Espinosa
y Tacon, 2 vols., Madrid 1850. Vgl. Conn. des temps pour 1808, p. 443 ff.
356) Über Ephemeriden vgl. p. 67 und p. 69, in historischer und kri-
tischer Hinsicht auch W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, Breslau
1897—1902, 3° (1901), p. 461—464, in bibliographischer J. ©. Houzeau et
4A. Lancaster, Bibliographie generale de 1l’Astronomie, Bruxelles 1882-89
(Houzeau- Lancaster), 1 (1887), Nr. 14339—15880.
Enceyklop. d. math. Wissensch. VI2. 11
162 VI2,3. ©. W. Wirtz. Geographische Ortsbestimmung.
J.W. Norie, A complete set of nautical tables, London 1803; A new and complete
epitome of practical navigation, 13' ed. London 1852.
F. Domke, Nautische, astronomische und logarithmische Tafeln, Berlin 1852;
10. Aufl. neu bearbeitet von ©. Canin, 1900.
A. Breusing, Nautische Hülfstafeln, Bremen 1860; 7. Aufl. neu herausgegeben
von (©. Schilling, Leipzig 1902.
W.v. Freeden und 7. Köster, Nautische Hülfstafeln, Oldenburg 1862.
W. Ligowsky, Sammlung fünfstelliger logarithmischer, trigonometrischer, nauti-
scher und astronomischer Tafeln, Kiel 1873; 4. Aufl. 1900.
Sir William Thomson [Lord Kelvin], Tables for facilitating Sumner’s method at
sea, London and Glasgow 1876; übersetzt (Tafeln zur Erleichterung der An-
wendung ...) Berlin 1877.
H. 8. Blackburne, A and B Tables for correcting the longitude and facilitating
Sumner's method on the chart, to be used also as azimuth tables, London
1883; 31 ed. 1903.
Terry y Rivas, Tablas de azimutes, Madrid 1884.
E. Guyou, Tables de poche donnant le point observe et les droites de hauteur,
Paris und Nancy (bei Berger-Levrault) 1884.
©. Decante, Tables d’azimut pour tous les points situes entre les cercles polaires
et les astres dont la declinaison est comprise entre 0° et 48°, 7 vols., Paris
1889 — 1892.
H. Brunswig, Nautisches Allerlei, Hamburg 1898.
Ü. Behrmann, Nautische, astronomische, logarithmische und meteorologische
Tafeln, 3. Aufl. Elsfleth 1900.
E. Knipping, Seetafeln, Hamburg 1903.
(Abgeschlossen im Oktober 1904.)
VI 2,4. CO. Ed. Caspari. Theorie der Uhren. 163
VI2,4. THEORIE DER UHREN.
Von
C. ED. CASPARI
IN PARIS.
Inhaltsübersicht.
1. Allgemeines.
2. Freies Pendel.
3. Kompensationspendel.
4. Isochronismus der Chronometerspirale.
5. Kompensationsunruhe.
. Die Hemmung.
7. Störungen des Pendels.
8. Störungen der Chronometer.
9. Räder- und Triebwerk.
10. Zeitübertragung.
11. Gangformeln.
12. Geschwindigkeitsregulatoren.
Literatur.
Collection de m&moires relatifs ä la physique, publies par la Soc. Frangaise de
Physique, tome 4 (1889) et 5 (1891): [C. Wolf] Me&moires sur le pendule
(Collection).
F. W. Bessel, Untersuchungen über die Länge des einfachen Sekundenpendels,
Berl. Abh. für 1826 (Berlin 1828/29) — Bessel, Abhdl. 3 (1876), p. 139 = Ost-
walds Klassiker Nr. 7, Leipzig 1889 — Collection 4, p. 124 (Bessel, Sekunden-
pendel 1826).
U. Jürgensen, M&moires sur l’horlogerie exacte, recueillis par son fils L. U. Jür-
gensen, Paris 1832.
Ed. Phillips, M&moire sur le Spiral reglant des Chronometres et des montres,
Annales des mines (5) 20, Paris 1861, p. 1—107 (Phillips, Memoire 1861).
Abgedruckt in: J. de math. (2) 5 (1860), p. 313ff. [gekürzt] und in: Paris
mem. pres. (3) 18 (1868).
A.J. Yvon-Villarceau, Recherches sur le mouvement et la compensation des
chronometres, Obs. de Paris ann., m&m.7, Paris 1862 (Villarceau, Recherches 1862).
M. Immisch, Prize Essay on the Balance Spring and the Isochronal Adjustments,
London 1872. Deutsch: Der Isochronismus der Spiralfeder, Weimar 1873,
2. Aufl. 1879.
H. Resal, Trait& de M&canique generale (3 tomes, Paris 1873 — 76), tome 3 (Resal,
Mee. gen. 3).
31°
164 VI2, 4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
Ed. Caspari, Etudes sur le mecanisme et la marche des chronom£tres, Parıs
1877 (deutsch von E. Gohlke, Bautzen 1893).
Yvon Villarceau et- A. de Magnac, Nouvelle Navigation astronomique, Paris 1877
(Villarceau - de Magna).
M. Großmann, Der freie Ankergang für Uhren, 2. Auflage 1896.
E. Geleich, Skizze einer Geschichte der Chronometer, Berlin 1886.
Congres international de chronometrie de 1889. Comptes rendus publies par
Ed. Caspari, Paris 1890 (Congres 1889).
L. Lossier, Etude sur la theorie du reglage des montres (Journal Suisse d’hor-
logerie, Gen&ve 1890), Geneve 1890.
Ed. Caspari, Les chronom£tres de Marine, Paris 1894.
Congres international de chronometrie de 1900. Comptes rendus publies par
E. Fichot et P. de Vanssay, Paris 1902 (Oongres 1900).
In Bezug auf die technische Seite vgl. ferner:
L. Ambronn, Handbuch der astronomischen Instrumentenkunde, 2 Bände, Berlin
1899 (Ambronn).
Ü. Stechert, Artikel ‚‚Chronometer“ in: Valentiner, Handwörterbuch 1 (1897), p. 625
(Stechert).
E. Gerland, Artikel „Uhr, Pendeluhr“ in: Valentiner, Handwörterbuch 4 (1902),
p- 1—41 (Gerland).
Für Literatur über das Pendel vgl. den Artikel IV 7 (Furtwängler).
Bezeichnungen.
Winkel, um den ein drehbarer Körper zur Zeit t aus der Gleich-
ksiähieläge herausgedreht ist.
Maximum von « oder Schwingungsamplitude.
Schwingungsdauer —# Periode,
Länge des einfachen Pendels.
Länge des Sekundenpendels.
Schwerebeschleunigung.
Trägheitsradius in Bezug auf den Schwerpunkt.
Trägheitsmoment der Chronometerunruhe.
Elastizitätsmodul für Zug.
Trägheitsmoment des Querschnitts einer Lamelle.
Biegungsmoment.
Länge der Spiralfeder.
Krümmungsradins.
Temperatur in Celsiusgraden.
Ausdehnungskoeffizient.
Ss
u
Bi >;
|
sort yhrea m «NS
l. Allgemeines. Eine Uhr besteht im allgemeinen aus dem
Regulator, der Hemmung, dem Räderwerk und dem Triebwerk. Der
Regulator ist ein Körper, der eine alternierende Rotationsbewegung
ausführt (Pendel; System Unruhe — Spiralfeder). Die Pendel schlagen
gewöhnlich die Sekunde, seltener 0°.5. Die Marinechronometer geben
0°,5, manchmal 0°.4 und seltener "/,*.
1. Allgemeines. 165
Wir verstehen unter Schwingungsdauer die Zeit zwischen zwei
aufeinander folgenden Durchgängen durch die Gleichgewichtslage (den
toten Punkt); dieselbe ist in Wirklichkeit nicht immer genau gleich
dem Intervall zwischen zwei aufeinander folgenden Elongationen. Die
„Schwingungsdauer“ ist nicht mit der „Periode“ zu verwechseln,
welche ihr Doppeltes ist.
Bei den Pendeluhren ist das mittlere Intervall der Schläge gleich
der Schwingungsdauer, bei den Uhronometern mit freiem Echappe-
ment umfaßt dasselbe eine volle Periode, zwei Schwingungsdauern,
Hin- und Hergehen,
Die Periode muß konstant und unabhängig sein von den Ein-
flüssen des umgebenden Mittels und äußerer Kräfte; das versteht man
unter Isochronismus.
Die Hemmung verwandelt die alternierende Bewegung des Regula-
tors in eine kontinuierliche und periodisch gleiehförmige, welche sich
auf das zählende Räderwerk überträgt, das seinerseits die Zeiger in
Bewegung setzt.
Das Triebwerk hat den Zweck, die Bewegung in Gang zu halten.
Die zum Umdrehen der Zeiger nötige Arbeit ist gegenüber den
Reibungswiderständen zu vernachlässigen. Man kann also die Uhren
als Maschinen betrachten, deren Nutzeffekt null ist.
Damit eine alternierende Rotationsbewegung isochron sei, genügt
es, daß die den Regulator treibende Kraft stets dem Winkel « pro-
portional sei, um den sich dieser aus der Gleichgewichtslage entfernt
hat. Diese Bedingung ist hinreichend, aber, wie sich zeigen wird
(p. 174), nicht notwendig, indessen ist sie in Praxis bei Pendeln, wie
Spiralfedern, immer sehr angenähert erfüllt.
Die störenden Einflüsse sind im allgemeinen klein, und daher
knüpft sich das Studium der Bewegung an das einer Gleichung der
Form:
2
(1) Ze tu U,
wobei U als eine kleine Größe erster Ordnung zu betrachten ist.
Ausgehend von dem bekannten Integral der homogenen Gleichung
behandelt man die inhomogene nach den üblichen Approximations-
methoden. Am bequemsten ist die Methode der Variation der Kon-
stanten, die zuerst Ed. Phillips auf unser Problem anwandte; ebenso hat
man sich mit Erfolg der Methode der Reihenentwicklungen bedient.
Insbesondere ist die geometrische Darstellung der geradlinigen Be-
wegung als Projektion einer gleichförmigen kreisförmigen hervor-
zuheben, bei welcher Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sowohl,
166 VI 2,4. O. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
wie die durchlaufenen Räume eine einfache Deutung finden. Wenn
U Funktion von « allein und unabhängig von der Geschwindigkeit
er ist, besteht das Integral der lebendigen Kraft. Man wird ferner-
hin sehen, wie F.W. Bessel das benutzt hat.
In Rücksicht auf die Kleinheit der Störungen darf man im all-
gemeinen das Prinzip der Superposition kleiner Bewegungen an-
wenden. Man behandelt dabei jede Störung so, als ob sie allein vor-
handen wäre, und addiert zum Schluß algebraisch die einzeln be-
rechneten Wirkungen. Es heißt dies, die Störungen als von erster
Ordnung klein betrachten und Größen höherer Ordnung vernach-
lässigen.
Man wird im allgemeinen nicht alle Eigentümlichkeiten der Be-
wegung zu untersuchen haben, sondern sich mit der Bestimmung der
Schwingungsdauer oder auch nur der Dauer einer ganzen Periode
begnügen können. Es ist in der Tat nicht nötig, daß die Bewegung
völlig symmetrisch ist, daß der Ausschlag nach der einen Seite genau
so viel Zeit braucht, wie der Ausschlag nach der andern Seite.
Letzteres gilt insbesondere für Chronometer.
Die Theorie des Räderwerks ist eine rein kinematische Aufgabe,
die des Regulators und der Hemmung ist physikalisch-mechanischer
Natur. In den meisten Fällen wird man sich in letzterer Hinsicht
der elementaren Behandlung bedienen können; so wird man in der
Elastizitätstheorie statt der sogenannten strengen Gleichungen die
Prinzipien der Festigkeitslehre verwenden dürfen, um so mehr, als z. B.
die Deformationen der Spirale nicht unendlich klein sind, wie es die
mathematische Elastizitätstheorie voraussetzt. Man benutzt ferner die
bekannten Gesetze der Reibung fester Körper und die üblichen Luft-
widerstandsgesetze. Die Theorie wird daher für gewöhnlich nur
Formeln liefern können, die durchaus noch der Bestätigung durch
das Experiment bedürfen.
2. Das freie Pendel. Das einfache Pendel ist ein schwerer
Punkt, der sich ohne Reibung auf einem in einer Vertikalebene
liegenden Kreis vom Radius / bewegt. Die Gleichung:
(2) 1 +gsinu—0,
welche diese Bewegung bestimmt, hat zum Integral:
sin zu == sin Zw a(tYVE),
die Zeit t vom Durchgang durch die Gleichgewichtslage an gerechnet.
2. Freies Pendel. | 167
Die zwischen den Maximalelongationen + «” liegende Schwingungs-
dauer ist gegeben durch:
2 -1-3-
(3) T— 2KV!=aV-[ı+ (5) sin? zw Ha int t)
wobei K das vollständige elliptische Integral 1. Gattung ist.
Der Isochronismus besteht also nur für unendlich kleine Schwin-
gungen. Eine durch ein Pendel regulierte Uhr wird bei wachsender
Amplitude im Tag um die folgende Anzahl von Sekunden nachgehen:
Für “ = 0%0 0:00
0.5 -0.42
1.0 1.66
1.5 3412
2.0 6.60
2.5 10.32
3.0 14.88.
Was das Schwingungsgesetz für ein physisches („zusammengesetztes“)
Pendel angeht, das frei im leeren Raum um eine feste Achse schwingt,
2
so genügt es, in der obigen Formel ! durch «+ = zu ersetzen
(a Abstand des Schwerpunkts von der Achse, k Trägheitsradius in
bezug auf eine durch den Schwerpunkt gehende Parallele zur
Aufhängungsachse). Der Schnittpunkt einer Parallelen zur Auf-
hängungsachse im Abstand « + = von der letzteren mit der Median-
ebene heißt „Schwingung niit (Huygens). Bekanntlich sind
Aufhängepunkt und Schwingungsmittelpunkt reziprok zueinander, ein
Umstand, auf dem das Reversionspendel beruht.
Es existiert eine äußerst umfangreiche Literatur über die Ver-
wendung des freien Pendels zu Schweremessungen (IV 7 (Furtwängler),
Nr. 11—16). Diese Arbeiten gehören nicht eigentlich zu unserem
Thema, weil sie sich auf ein ohne Hemmung schwingendes Pendel be-
ziehen, dessen Bewegung also nicht automatisch registriert wird, doch
haben sie auch manche Resultate für die Theorie der Uhren ergeben.
Aufhängung. Infolge der Reibungswiderstände können -die Ampli-
tuden weder unendlich klein sein, noch konstant bleiben. Um trotz-
dem den Isochronismus herbeizuführen, hilft man sich durch geeignete
Aufhängungsarten. Die gebräuchlichste und beste besteht darin, das
Pendel mit der festen Achse durch eine Feder — eine gewöhnlich
sehr kurze elastische Lamelle — zu verbinden. Die Theorie dieser
RR ist von Bessel entwickelt worden‘). Die Bewegungs-
1) F. W. Bessel, Astr. Nachr. 20 (1843), p. 153 = Bessel, Abhdl. 2 (1876), p. 91.
168 VI 2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
gleichung wird dort nach dem d’Alembert’schen Prinzip aufgestellt,
die Längen des Pendels und der Feder werden konstant, die elasti-
schen Kräfte proportional der Krümmung der Feder gesetzt, und
deren höhere Potenzen werden vernachlässigt. Man findet dabei das
Integral der lebendigen Kraft in der allgemeinen Form:
(4) c=[1+ 2] (5) — 2n’[eos u + fu)],
wobei
(5) fwW)=«+ asindu + a"sin?4u-+ ---
f (u) = ß + B’ sin 4u + BP’ sin? 4u + --
kleine Größen von der Ordnung der Störungen sind, deren höhere
Potenzen man vernachlässigen darf. Die Länge des mit dem wirk-
lichen Pendel ae Pendels findet sich dann zu:
ee
In unserem dien Falle ergibt sich für ! ein a komplizierter
Ausdruck, der von den Dimensionen und der Elastizität der Feder,
sowie dem Gewicht des Pendels abhängt und einen dem Quadrat der
Amplitude « proportionalen Term enthält. Experimentell ist der-
selbe von Laugier und Winnerl?) verifiziert worden. Wir führen
hier die Dauer von 2000 Schwingungen in Sekunden Sternzeit für
drei Pendel bei Amplituden von 1°, 3° und 5° an:
Gewicht der Pendellinse. Federlänge. “= 1 | Ww=3 W=50
2 kg Imm 1977°.0 | 1975,86, 1974,37
"ie 8, 19094 6 2024,99 2024,99
u .34...12034,81| 2084,92, 2034,99.
Die zweite Kombination ist merklich isochron.
F.W. Bessel hat auch die Aufhängung an einem auf einem Zylinder
abrollenden Faden studiert. Vernachlässigt man die Elastizität des Fadens,
so ist die Länge des synchronen einfachen Pendels gleich der vertikalen
Ordinate des Schwingungsmittelpunktes vom Zylindermittelpunkt an ge-
rechnet. Berücksichtigt man die mehr oder weniger vollkommene Elasti-
zität des Fadens, so muß man Hypothesen machen über die Art, in der
er sich dem Zylinder anschmiegt, und die Diskussion wird schwieriger’).
Der Einfluß der Hemmung, der Widerstände, der Aufhängung
an einer Schneide wird unten behandelt (Nr. 6 und 7).
Der Uhrmacher reguliert das Pendel, indem er die Federlänge
9 P. A. E. Laugier, Paris C. R. 21 (1845), p. 117.
3) Bessel, Sekundenpendel 1826.
3. Kompensationspendel. 169
ändert und die Linse verschiebt. Die letzten Gangkorrektionen werden
mit Hilfe kleiner Aufsatzgewichte bewirkt oder auch durch Verschie-
bung einer beweglichen Masse längs der Pendelstange. Die Rechnung
zeigt, daß ein Zusatzgewicht in gleichem Abstand vom Drehpunkt
und Schwingungsmittelpunkt ein Maximum des Einflusses hat.
3. Kompensationspendel. Die Dimensionen eines homogenen
Pendels hängen von der Temperatur ab. Dadurch verschiebt sich der
Schwerpunkt und das Trägheitsmoment ändert sich, was beides die
Länge des synchronen einfachen Pendels ändert. Zur Beseitigung dieser
Wirkung setzt man den schwingenden Körper aus Stücken von ver-
schiedenem Ausdehnungskoeffizienten zusammen.
Die üblichsten Anordnungen sind: 1) Das Rostpendel, eine schwere
Linse, die an einem Gestänge von Stäben aus verschiedenen Metallen
hängt. 2) Das Quecksilberkompensationspendel, Stab aus einem Metall,
der ein mit Quecksilber gefülltes Gefäß trägt. 3) In den letzten
Jahren hat man Pendel aus Nickelstahi, sogenanntem „Invar“ kon-
struiert, der einen sehr geringen Ausdehnungskoeffizienten besitzt,
welcher durch eine Linse aus Messing oder aus gewöhnlichem Stahl
kompensiert wird.
Die Länge des synchronen Pendels:
o aan
ist der Quotient aus dem Trägheitsmoment durch das statische Moment.
Damit sie konstant bleibt, muß ihre Derivierte nach der Temperatur
für alle Werte der letzteren verschwinden. Es genügt also nicht,
wie man es lange gemacht hat, a konstant zu halten, da die Konstanz
von a noch nicht die von k mit sich zieht. Das Problem besteht in
aller Allgemeinheit darin, a und k als Funktionen der Temperatur 0
auszudrücken und die Koeffizienten der verschiedenen Potenzen von ®
zum Verschwinden zu bringen. Das liefert die für die Kompensation er-
forderlichen Bedingungen zwischen den Dimensionen der Stücke, ihren
Ausdehnungskoeffizienten usw. Ein Beispiel hat E. Anding*) gegeben
mit Anwendung auf die Kompensation einer Riefler'schen Pendel-
uhr. Als Unbekannte wählt man die verfügbaren Abmessungen, und die
Rechnung reduziert sich auf die Lösung einer Anzahl numerischer
Gleichungen. Die Rechnungen sind elementarer Natur, die Koeffi-
zienten setzen sich nur aus Trägheitsmomenten zusammen, die auf
bekannte Art zu berechnen sind. In Wirklichkeit greift man aber
das Problem nicht in dieser Allgemeinheit an, man gibt vielmehr
4) E. Anding, Astr. Nachr. 133 (1893), p. 217.
170 VIa,4. 0. Ed. Caspari. 'T'heorie der Uhren.
von vornherein die allgemeine Anordnung des Pendels und die variier-
baren Stücke. Auch dann sind die Rechnungen noch lang, besonders
wenn man die zweiten Potenzen der Dilatation berücksichtigen will,
und die direkte strenge Lösung ist nicht möglich, wie Faddegon ge-
zeigt hat?).
Ein anderes Beispiel aus einer Arbeit von Oudemans®) möge den
zu befolgenden Gang andeuten. Es handelt sich um ein Pendel mit
Quecksilberkompensation, an dem zu gleicher Zeit ein Krüger’sches
Manometer‘) zur Beseitigung des Einflusses der Luftdruckschwankungen
angebracht war (s.Nr.7c,p.179). Auf Grund der gegebenen Abmessungen
des Pendels selbst bestimmt eine erste Rechnung, wieviel Quecksilber
man zugießen muß, damit das Pendel Sekunden schlägt. Dann führt
man das Manometer in die Rechnung ein und fragt, um welchen Be-
trag das Quecksilbergefäß zu senken ist, um die Schwingungsdauer
von 1 Sekunde wiederherzustellen. Mit diesen Elementen berechnet
man die Gangänderung des Pendels für 1° Temperaturerhöhung.
Schließlich stellt man die Bedingungen für das Verschwinden dieser
Gangänderung unter Wahrung der Schwingungsdauer auf, wobei man
als Unbekannte drei Größen einführt, einen Zusatz an Quecksilber,
eine Verschiebung des Manometers und eine des Quecksilberbehälters.
Diese Gleichungen werden durch allmähliche Annäherungen gelöst,
wobei für gewöhnlich die zweite genügen würde. Oudemans ist bis
zur vierten gegangen.
Neben der mittleren Temperatur des Raumes, in dem sich das Pendel
befindet, kommt noch die Änderung der Temperatur mit der Höhe
(„Temperaturschichtung“) in Frage, wie B. Wanach?) untersucht hat.
Für Pendel aus „Invar“ (Nickelstahl mit sehr geringem Aus-
dehnungskoeffizienten) verringern sich die Einflüsse und vereinfachen
sich die Rechnungen’).
Faktisch lassen sich die Temperaturkompensationen in großer
Vollkommenheit ausführen und geschickte Künstler erreichen mit
Sicherheit eine Gangdifferenz von weniger als 0°5 zwischen den
extremsten Temperaturen. Aus einer Zusammenstellung von J. Hart-
mann) erhellt z. B., daß von 27 Pendeluhren nur fünf eine Gang-
5) J.-M. Faddegon, Congres 1900, p. 16.
6) J. A. ©. Oudemans, Astr. Nachr. 100 (1881), p. 17.
7) A. Krüger, Astr. Nachr. 62 (1864), p. 279.
8) B. Wanach, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 97.
9) Siehe Oh. Ed. Guillaume, Congres 1900, p. 90—112.
10) J. Hartmann, Über den Gang einer mit Riefler'schem Pendel ver-
sehenen Uhr, Leipzig Ber. (matb.-phys. Cl.) 49 (1897), p. 664.
4. Isochronismus der Chronometerspirale. 171
änderung größer als 0°.025 für 1° ©. zeigen. Die Proportionalität
zwischen den Gangänderungen und der Temperatur besteht innerhalb
der Genauigkeitsgrenze astronomischer Zeitbestimmung.
4. Isochronismus der Chronometerspiralen. Die Benutzung der
Spiralfeder als Regulator geht auf Ohr. Huygens zurück. Die ersten zu
diesem Zweck verwandten Federn hatten die Form von Archimedischen
Spiralen, wie sie sich noch für Taschenuhren erhalten hat. Für Marine-
chronometer adoptiert man jetzt die Form der regulären Zylinder-
schraube. Der Querschnitt des Drahtes ist kreisförmig oder öfter
rechteckig mit der Breitseite parallel der Schraubenachse.
Schwingungsgleichung der zylindrischen Spirale.
Man betrachtet die Feder als auf die neutrale Linie (Ort der
Sehwerpunkte der einzelnen Querschnitte) reduziert und nimmt nach
der Festigkeitslehre an, daß das Drehmoment der elastischen Kräfte
der Änderung der Krümmung für jedes Element proportional ist.
Phillips und Resal‘') haben gezeigt, daß, wenn der ursprüng-
liche Querschnitt kreisförmig ist und die angreifenden Kräfte sich
auf ein Kräftepaar reduzieren, die Theorie der neutralen Linie zu
Ergebnissen führt, die mit denen der strengen Elastizitätstheorie
übereinstimmen.
Indem wir die schwache Steigung der Spiralen vernachlässigen,
werden wir jede von ihnen als einen Kreis, der normal und konzen-
trisch zur Achse der Unruhe liegt, betrachten. Wir beziehen die
Spirale auf drei rechtwinklige Achsen, OZ falle mit der Figurenachse
zusammen. Die Feder ist mit ihrem einen Ende an der „Platine“
des Chronometers, mit dem andern an der Spiralrolle der Unruhe be-
festigt. Dreht man daher die Unruhe um den Winkel « aus ihrer
Gleichgewichtslage, so wird die totale Variation der Krümmung der
Spirale gleich « sein. Die an dem einen Ende der Spirale angreifen-
den Kräfte zerlegt man in ein Kräftepaar @ und in eine Kraft mit
den Komponenten X, Y, (Z= 0), welch letztere dem Druck der Un-
ruhe auf ihre Achsenlager gleich ist. Bezeichnet man mit g und @,
den tatsächlichen und den anfänglichen Krümmungsradius, mit « und
y die Koordinaten eines Punktes der Spirale, mit x, und y, die ihres
Schwerpunktes, so genügt das von der Unruhe auf die Spirale aus-
geübte Drehmoment @ der Gleichung:
(8) .(-—-)=@+(Y2 — Xy)
e %
11) Phillips, Memoire 1861, p. 95. — Resal, Mec. gen. 3, p. 456 ff,
172 VIe,4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
Multipliziert man hier mit ds und integriert über die ganze Länge
der Spirale, so folgt:
wu GL+L(Ya, — Xy)
Vernachlässigt man daher die geringe Masse der Spirale, so wird die
Bewegungsgleichung der Unruhe:
d’u
(9) Ays=-- Tin Yu
Isochronismus durch Endkurven. Sätze von Ed. Phillips'?).
Phillips nimmt sich vor, die Terme Xy, — Yz, zum Verschwinden
zu bringen, indem er den beiden Enden der Spirale eine von der
Kreisform abweichende Gestalt gibt. Die reduzierte Gleichung:
d?
(10) Aı=-H
führt dann zu einer isochronen Bewegung.
Jene Terme verschwinden, wenn X und Y ständig verschwinden.
Man hat also auszudrücken, daß bei der Deformation der Spiralen
nach dem Gesetz - — 2 = - das heißt, wenn in jedem Punkte der
Spirale die Krümmungsänderung dem Ausschlagwinkel proportional
bleibt, die Bedingungen für die Lagerung der Enden erfüllt sind.
Tut man das, so findet man'?): 1) Der Schwerpunkt jeder End-
kurve muß auf dem Radiusvektor liegen, der senkrecht steht auf dem
Radiusvektor des Ansatzpunktes der Endkurve an die Spirale. 2) Die
Distanz dieses Schwerpunktes von der Achse der Spirale muß eine
dritte Proportionale zwischen der Länge ! der Endkurve und dem
Radius o, der Spirale sein:
et 3%, 2
ve Ey % E37 n.
3) Der Schwerpunkt der ganzen Feder im spannungsfreien Zustand
muß in die Achse der Unruhe fallen. Er bleibt dann auch während
der Bewegung dort in solcher Weise, daß nicht nur X und Y, sondern
auch &,, %, zu vernachlässigen sind.
Unter diesen Bedingungen wird die Schwingungsdauer:
aı) T-ay“8.
Phillips bestimmt seine Kurven graphisch durch methodische Ver-
suche. Guillaume hat ein mechanisches Verfahren für ihre Konstruk-
tion angegeben '?).
12) Phillips, Memoire 1861, p. 24—27. — Resal, Mec. gen. 3, p. 460 f.
13) Oh. Ed. Guillaume, Congres 1900, p. 195—197.
4. Isochronismus der Chronometerspirale. 173
Phillips hat die konzentrische Abwicklung seiner Spiralen experi-
mentell bestätigt, er hat ferner mit einer elastischen Wage die Pro-
portionalität zwischen der Kraft und dem Elongationswinkel « im
Gleichgewichtszustand geprüft und schließlich auch die Genauigkeit
der Formel (11) festgestellt'*).
Isochronismus durch Längenabstimmung.
Pierre Leroy und F. Berthoud stellten den Isochronismus her,
indem sie der Spirale eine geeignete Länge gaben.
Indem ich voraussetzte'°), daß die Spirale in der Ruhelage eine
vollkommene Schraube ist und sich bei der Bewegung, wie das Ex-
periment zeigt, nur wenig von dieser Form entfernt, habe ich die
Werte von X, Y, &,, %, berechnen können, die einem gegebenen
Winkel « entsprechen. Führt man diese Ausdrücke in die Bewegungs-
gleichung ein, so wird diese
d’u 2 2 — 2 cos u sin
rn]
p bedeutet den. ganzen Winkel der Schraube zwischen den beiden
Fassungen, in der Ruhelage gezählt und in Bogenmaß gemessen. Es
ist also L=po,. Ferner ist 9, =p-- u. Das Glied rechter Hand
ist sehr klein, da p nahe gleich 20% ist, d. h. da die Spiralen im
allgemeinen 10 Windungen haben. Wendet man daher die Methode
der Variation der Konstanten an, so folgt als Korrektion der Schwin-
gungsdauer (11):
det=— - [1 + (wW I!) — IPw)) eos p].
I’ und I! sind die Bessel’schen Funktionen (s. unten). Diese Gleichung
ist genau bis auf Glieder von der Ordnung zer Man sieht, daß dr
unabhängig von der Amplitude w wird, wenn cosp=(0 oder
p=2na + — Jede Spirale besitzt also unter rechtem Winkel
gegen die feste Fassung zwei gegenüberliegende Stellen, welche zum
Isochronismus führen.
Man beachte, daß die Gleichung (12) für p = 2naz + 7 über-
8 wg:
geht in:
au uu 2 (2 + sinu + u cos u)
a y |
Das Drehmoment ist hier nicht proportional u. Diese Bedingung ist
14) Phillips, M&moire 1861, p. 88, 88ff., 76 ff.
15) C. Ed. Caspari, Etudes sur le M6canisme et la marche des Chronomötres,
in: Recherches sur les Chronome£tres et instruments nautiques 11, Paris 1877.
Deutsch von E. Gohlke, Bautzen 1893.
174 VI2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
also, obwohl hinreichend, so doch nicht notwendig für den Isochronismus,
wie sehon oben (p. 165) erwähnt wurde.
Es sei noch daran erinnert, daß:
zt at
+ +2
zI’(u) = | cos(usinp)dp, zI!(u) = | sin p sin (u sin p) dp.
ze
2
2
Einfluß der Masse der Spirale. Dieser im vorhergehenden noch
vernachlässigte Einfluß läßt sich auswerten für Spiralen mit konzen-
trischer Abwicklung. Nimmt man an, daß die Winkelgeschwindig-
keit eines Punktes der Spirale der Länge des vom festen Ende an
gerechneten Bogens proportional ist und fügt den hieraus folgenden
Massendruck dem der Unruhe hinzu, so ergibt sich eine Bewegungs-
gleichung, die auf ein elliptisches Integral führt. Durch Reihenentwick-
lung erhalte ich folgendes hinreichend genaue Resultat'?): Bezeichnet
ö? das Verhältnis des Trägheitsmomentes der Spirale zu dem der
Unruhe, so ist die Schwingungsdauer:
AL Be a
m reale]
Für eine Stahlspirale der üblichen Form, 10 mm Durchmesser, erhalte
ich für einen Rückgang der Amplitude von . auf - eine Be-
schleunigung von 1° pro Tag. Die Wirkung wäre 6 Mal größer für
eine Goldspirale vom selben Radius. Sie ist übrigens der 4. Potenz
des Radius proportional, so daß es sich empfiehlt, den Radius so
klein wie möglich zu halten. Meine Experimente haben dieses Resultat
qualitativ bestätigt, doch sind sie sehr schwierig.
Andrade hat die Näherung weiter getrieben und gefunden, daß
die obige Störung mit $ multipliziert werden muß.
5. Kompensationsunruhen. Die Temperatur ist die hauptsäch-
lichste Ursache der Änderung des Chronometerganges. Aus der
Formel (11) folgt:
(15) ee ra
Bei einer Unruhe aus Messing und einer Spirale aus Stahl findet man
für eine Temperaturerhöhung von 1° ein tägliches Nachgehen von 11°,
wovon 2° auf die beiden ersten Glieder und 9° auf das letzte ent-
fallen. Man sucht diesen Einfluß zu beseitigen allein mit Hilfe der
Unruhe, indem man auf A wirkt. Die Unruhe besteht gewöhnlich
in einem Rade mit im ganzen zwei diametral entgegengesetzten
Speichen, der Umfang des Rades aus zwei verschiedenen, aneinander
Li Fa
5. Kompensationsunruhe. 175
gelöteten Metallstreifen, Stahl innen und Messing außen. Eine Stahl-
lamelle bildet die Speichen und dicht neben dieser Lamelle ist der
Reif durchschnitten, so daß jeder Halbkreis an seinem Ende von dieser
Lamelle getragen wird. Da nun die Ausdehnung des Stahls kleiner
ist als die des Messings, so schrumpft die Unruhe bei wachsender
Temperatur zusammen, wobei also A abnimmt. Die Uhrmacher
richten es so ein, daß sie Ganggleichheit bei den extremen Tempera-
turen, etwa 0° und 30° herstellen. Ist aber dies Resultat erreicht, so
geht das Chronometer bei einer Temperatur von 15° um 2 bis 3
Sekunden täglich vor. Man nennt das den sekundären Fehler. Der-
selbe scheint hauptsächlich von dem zweiten Ausdehnungskoeffizienten
der Metalle und der ungleichmäßigen Änderung des Elastizitätsmoduls
abzuhängen (siehe unten).
Um dA ausdrücken zu können, muß man die Formänderungen
von Reifen aus zwei Metallen berechnen. Das hat Yvon Villarceau
ausgeführt!®); er betrachtet zwei unendlich benachbarte Querschnitte
eines Stabes und berechnet die Verlängerung eines zwischen ihnen
eingeschlossenen Längsfadens. Indem er die Dickenänderung gegen-
über der Längenänderung vernachlässigt, berechnet er die Spannungen,
die aus dieser Deformation und aus dem Aneinanderhaften der durch
Guß verbundenen Metalle hervorgeht, und schreibt die Bedingung
dafür an, daß die Summe dieser Spannungen über den Querschnitt
hin ar eg Er findet als Änderung der Krümmung der
Trennungsfläche:
(16) es
wobei
2 ed -+e (E" e’? en r „
Tr re) Be Fk
Es bedeutet e die Dicke, E den Elastizitätsmodul, y den Ausdehnungs-
koeffizienten, und die einfachen Akzente beziehen sich auf das innere
weniger ausdehnbare Metall. Die größte Wirkung tritt ein, wenn:
PR?
E’
e
ed’
und in diesem Falle gilt
1 1 3 „ (4
ne —Y)(@— ,).
Ferner wird der ge der Trennungsfläche:
FRI EAÄEN
e+e
Die Veränderlichkeit des Ausdehnungskoeffizienten mit der Temperatur
16) Villarceau, Recherches 1862.
176 VIl2,4. O. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
dr
kann man einfach berücksichtigen, indem man » durch y + 36 0
ersetzt.
Ein Kreisring bleibt bei Änderung der Temperatur immer ein
Kreisring. Ein gerader Stab krümmt sich zu einem Kreisbogen. In.
jedem der Teilstäbe gibt es einen spannungslosen Längsfaden.
Die vorstehenden Formeln gestatten die Änderungen der Träg-
heitsmomente der verschiedenen Teile der Unruhe zu berechnen. Man
kann dann für verschiedene Temperaturen die Werte der rechten
Seite von (15) aufstellen, und indem man sie der Null gleich setzt,
hat man die entsprechende Anzahl Bedingungsgleichungen zwischen
den Ele#henten der Unruhe und der Spiralfeder. Die Beobachtung
des Chronometers bei verschiedenen Temperaturen erlaubt die Werte
der Änderungen ö A, öw und die Größe u selbst zu bestimmen. Jede
Temperatur, mit korrespondierendem Gange in (15) eingesetzt, gibt
nämlich eine Bedingungsgleichung.
Yvon Villarceau deutet auch ein selbständiges Studium der Reife
aus zwei Metallen durch optische Verfahren an '®).
Phillips") hat sich näher mit dem sekundären Fehler (s. oben)
beschäftigt und gezeigt, wie man ihn durch geeignete Wahl des Ma-
terials der Feder und der Metalle der Unruhe herabmindern kann. Er
hat sich auch die Aufgabe gestellt, den Anteil der Unruhe und der
Spirale an diesem Fehler abzutrennen. Cellerier'®) hat gezeigt, daß er
nicht allein der Unruhe zur Last fällt, sondern auch der Spirale.
Was die Anwendungen betrifft, so sei auf die Berechnung der
Unruhe Winner! mit ebenen Lamellen®®) hingewiesen, auf die An-
deutungen von KRoze'”) und auf die erfolgreichen Versuche von
Oh. Ed. Guillaume”) mit Spiralen und Unruhen aus Nickelstahl. Es
würde zu weit führen, die sehr .mannigfaltigen Hilfskompensationen
zur Vermeidung des sekundären Fehlers anzuführen, die man mit ver-
schiedenem Glück versucht hat. Diese Hilfskompensationen sind im
allgemeinen kleine Anhängsel an die Unruhe, die mit der Temperatur
anders varlieren als die Unruhe selbst. Bei den alten Chronometern
kann die Kompensation innerhalb 2° zwischen den Temperaturgrenzen
von 0° und 30° verwirklicht werden, die neueren Versuche haben diese
Grenze bis unter 0,5° heruntergedrückt.
6. Die Hemmung. Die Hemmung stellt die Verbindung zwischen
dem Regulator und dem Räderwerk her. Sie reguliert also den Gang
17) Ed. Phillips, Paris ©. R. 90 (1880), p. 483, 561 et 649.
18) @. Oellerier, Etude numerique des Concours de Compensation, Geneve
Sociöt6 de physique et d’histoire naturelle, m&moires 29 (Geneve 1887), Nr. 6.
19) Congres 1889.
6. Die Hemmung. 7. Störungen des Pendels. 277
des letzteren und überträgt auf der andern Seite soviel Arbeit des
Triebwerks auf den Regulator, als nötig ist, dessen Bewegung trotz
der Reibungswiderstände im Gang zu halten. Bei der freien Hemmung
mit elastischen Federn berühren sich das Steigrad und der Regulator
nur während der außerordentlich kurzen Dauer des Stoßes, das ist
deshalb die wahre freie Hemmung. Bei der Ankerhemmung dauert
die Berührung länger, findet aber auf kleineren Oberflächen statt,
was die Reibung sehr vermindert. Sie findet bei jeder Schwingung
statt, während bei der Chronometerhemmung die Unruhe den Stoß des
Steigrades nur dann erhält, wenn sie wieder mit gleich gerichteter
Geschwindigkeit zur gleichen Lage zurückkehrt, also nur einmal in
einer vollen Periode. Villarceau‘®) betrachtet den Stoß als augen-
blieklich, das Rad führt die Unruhe nicht. Diese Stoßtheorie gilt in
Wirklichkeit nur annähernd. Beim Fehlen aller Reibungswiderstände
und für einen isochronen Regulator sind die Dauer und Stärke des
Stoßes ohne Einfluß auf die Schwingungsdauer und wirken nur auf
die Amplitude. Die Sachlage ändert sich, wenn man auf die Dämpfung
der Schwingungen durch die Reibungswiderstände Rücksicht nimmt
(s. unten). Die Theorie hat hier insbesondere die Trägheitsmomente
des Steigrades und der Unruhe zu betrachten. Zesal?) hat die
Ankerhemmung unter Vernachlässigung der Reibung studiert und
gezeigt, daß die Vermehrung der Winkelgeschwindigkeit des Regu-
lators durch die Stöße des Ankers sehr gering ist, um so geringen, je
größer die Schwingungsamplitude ist.
Das Wichtigste ist die Stellung der Unruhe, in welcher der Stoß
erfolgt, ein Punkt, auf den wir in Nr. 8 (p. 180) zurückkommen werden.
7. Störungen des Pendels. Bessel?) hat die Formeln (4) und (6)
auf die Untersuchung der verschiedenen Störungen des freien Pendels
angewandt.
a) Aufhängung an einer Schneide. Anstatt das Pendel auf einer
gradlinigen Kante auf der Unterlage aufliegend zu denken, setzt man
voraus, daß die Schneide durch einen Zylinder zweiten Grades bestimmt
wird. Die Lösung für einen Kreiszylinder führt auf elliptische Inte-
grale. Soweit mir bekannt, ist keine Anwendung auf Uhrenregula-
toren gemacht.
b) Einfluß der Unterlage. Bessel betrachtet die Schneidenaufhängung
und nimmt an, daß es innerhalb der Schneide einen unbeweglichen
Punkt gibt, in bezug auf welchen der Berührungspunkt sich ver-
schiebt, mit andern Worten: der Berührungspunkt ist nicht Momentan-
20) Resal, Mec. gen. 3, p. 477 f.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 12
178 VI», 4. O. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
zentrum. Die Länge des synchronen Pendels ändert sich dann um
eine Größe, die von der Amplitude abhängt. Er glaubte, auch ein
Gleiten des Pendels auf der Unterlage zu beobachten, welches im
Sinne”der Verlängerung des synchronen Pendels wirkt, ebenso wie
später) Defforges?‘). Später hat man Bewegungen der Unterlage selbst
nachgewiesen, die der Reaktion des bewegten Pendels entspringen.
0.8. Peirce und @. Cellerier haben diesen Einfluß der Berechnung zu-
geführt, indem sie die Verrückung der Unterlage proportional der Kraft
setzten und die elastischen Schwingungen derselben vernachlässigten.
Sie fanden eine Verlängerung des synchronen Pendels vom Betrage:
di—=-,
wobei p das Gewicht des Pendels und & das Verhältnis der Verrückung
zur wirkenden Kraft ist. Für Zwecke der Schweremessung kann man
beide Wirkungen der Schneide und der Unterlage dadurch eliminieren,
daß man mit zwei Pendeln von gleichem Gewicht aber ungleicher
Länge arbeitet??). Defforges”') hat auch vorgeschlagen, die Wirkung
der Unterlage zur Regulierung eines Pendels auf der Reise zu be-
nutzen, indem man ihm eine elastische Unterlage von veränderlicher
Länge gibt.
c) Einfluß des umgebenden Mittels. Es handelt sich hauptsächlich
um die Wirkungen der Veränderung des Luftdrucks auf den Gang,
Der Verlust an lebendiger Kraft durch die fortwährenden Stöße der
Moleküle gegen das Pendel bewirkt eine Verminderung der Amplitude,
welche die Schwingungsdauer ebenso wenig ändert, wie die Reibung.
Die Wirkung des umgebenden Mittels besteht zunächst in einer Ver-
minderung von g, entsprechend dem Archimedischen Auftrieb, ferner in
einem Mitschleifen der benachbarten Flüssigkeitsteilchen. .Bessel ent-
wickelt die störende Wirkung in eine trigonometrische Reihe und
erhält durch Einsetzen in (6) das Resultat, daß eine umgebende
Flüssigkeit keine andere Wirkung hat, als die Schwere ein wenig zu
vermindern und das Trägheitsmoment des Pendels zu vermehren.
@G. @. Stokes hat 1850 die Frage wieder aufgegriffen??) unter Berück-
sichtigung der inneren Reibung der Flüssigkeit auf Grund der von
ihm entsprechend modifizierten hydrodynamischen Gleichungen. Seine
Endgleichungen enthalten nur eine, experimentell bestimmbare Kon-
stante (den Reibungskoeffizienten). Er fand diese Theorie vollständig
durch Baily's frühere Beobachtungen bestätigt”).
21) Ch. Defforges, M&morial du depöt general de la guerre 15, Paris 1894.
22) R. Schumann, Zts. Math. Phys. 44 (1899), p. 102.
23) @. @. Stokes, Cambr. Phil. Trans., 9 (1856), Part Il (1851), p. [8]ff.
8. Störungen der Chronometer. 179
In Praxis bestimmt man das tägliche Nachgehen des Pendels bei
1 mm Luftdrucksteigerung. Oudemans gibt 0°.0133 für ein Pendel
mit Quecksilberkompensation an, Tisserand findet 0°.016 für die Pariser
Hauptuhr. Man korrigiert durch Rechnung, kompensiert durch ein
Manometer”)®) oder hält die Uhr in einem luftdichten Verschluß, worin
der Luftdruck beträchtlich vermindert wird, wie dies S. Riefler tut.
Die schon angeführte Arbeit von J. Hartmann’) gibt die Barometer-
koeffizienten für 27 Uhren. In ganz luftleerem Raum oder auch in
ganz trockner Luft kommt die Uhr zum Stillstand.
Weitere Ausführungen zu den hier angedeuteten Punkten findet
man in dem Artikel IV 7 (Furtwängler), Nr. 6 und %.
8. Störungen der Chronometer. Setzt man zunächst die Spirale
an sich als isochron voraus, so wird der Gang des Uhronometers
durch Fehler des Räderwerks nicht beeinflußt, er hängt nur ab von
den Reibungswiderständen, dem Stoß der Hemmung und den Ver-
änderungen der Unruhe, kurz von der Kuppelung der Spirale mit
einem andern mechanischen System. Wir setzen daher voraus, daß
die Gleichung (10) für die Unruhe und die Spirale erfüllt ist.
Reibungswiderstände. Das Drehmoment der Reibung des Zapfens
der Unruhe auf ihrer Unterlage, dem sogenannten Stein, kann in der
Form + ze dargestellt werden, wobei f ein kleiner, dem Reibungs-
koeffizienten proportionaler Winkel ist. Die Einführung dieses Terms
in (10) ändert die Form des Integrales nicht, die Reibung ändert ja
die Schwingungsdauer nicht, sondern verlegt nur abwechselnd den
toten Punkt nach der einen und der andern Seite und reduziert all-
mählich die Amplitude. Die Wirkung der Zähigkeit des Öls ist analog,
aber komplizierter, sie kann ein der Amplitude proportionales Glied
einführen. Eine vollständige Untersuchung ist nicht vorhanden und
scheint sehr schwierig '”).
Der Widerstand der Luft ist seiner analytischen Form nach nicht
a . » d lu\2
erörtert. Indem ich ihn von der Form —a-+ b Sr re (5) +.
voraussetzte, wo a, b, c sehr kleine Konstanten sind, und diesen Aus-
druck auf der rechten Seite der Gleichung (10) einführte, zeigte mir
die Methode der Variation der Konstanten, daß die Schwingungs-
dauer nicht geändert wird, wenn man Glieder zweiter Ordnung ver-
nachlässigt, daß aber die Amplitude bei jeder Schwingung verkleinert
— Collection 5, p. 277 ff. = @. Stokes, mathematical and physical papers, vol. 3
(Cambridge 1901.) [Anzeige: Phil. Mag. (4) 1 (1851), p. 337 ff.]. Bibliotheque
universelle de Geneve, Archives des sciences phys. et nat. (4) 21 (1852), p. 15 ff.
12*
180 VI2,4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
wird. Yvon Villarceau'®) behandelt gleichzeitig die Wirkung der
Reibung, des Widerstandes der Luft, den er durch einen Zusatz zu
u der Form + “ n () in (10) darstellt, und des Stoßes der
Hemmung. Letzteren berücksichtigt er, indem er w? (1 -- v)? an Stelle
von «? in der Gleichung der lebendigen Kraft, die das intermediäre
Integral von (10) ist, schreibt.
Betrachtet man f, 7 und v als kleine Größen erster Ordnung und
nennt «a, den Abstand der Stellung, wo der Stoß stattfindet, vom
toten Punkte, so findet man, daß die Dauer der doppelten Schwingung,
das ist das Intervall der Schläge, vermindert wird um
Br 2T 103 Kup: 7: 7. 1 ‚
(17) ı7- era
wobei @’ wenig von . abweicht. Dieser Ausdruck ist von der ersten
Ordnung, wenn «, nicht sehr klein ist, und unabhängig von v. Wenn
also der Stoß in einem gewissen Abstand vom toten Punkte statt-
findet, so wird die Schwingungsdauer um einen Betrag geändert, der
von der Amplitude, der Lagerreibung und dem Luftwiderstande ab-
hängt. Die Folge ist ein Vorgehen, wenn der Stoß vor dem Durch-
gang der Unruhe durch die Gleichgewichtslage stattfindet, ein Nach-
gehen, wenn er später statthat.
Neuerdings haben P. Ditisheim und Oh.-Ed. Guillaume”) Experi-
mente angestellt, woraus erhellt, daß in den Chronometern so gut wie
in den Pendeluhren ein Mitschwingen der Luft stattfindet, wodurch das
Trägheitsmoment der Unruhe wächst, also ein Nachgehen bei steigen-
dem Luftdruck, analog dem von .Bessel?) und Stokes””) gefundenen
Ergebnis für das Pendel. Eine genaue Theorie für Chronometer fehlt
noch zur Zeit.
Wird ein Chronometer frisch in Bewegung gesetzt, so ändert sich
die Amplitude bis zu einer gewissen Grenze, wo die Arbeit des Trieb-
werks der der Widerstände gleich wird und sich ein stabiler Zustand
herstellt, bei welchem die Amplitude vor allem von den geometrischen
Formen der Hemmungseinrichtung abhängt, während sie von der
Elastizität der stoßenden Teile merklich unabhängig ist. Diese Resultate
lassen sich wenigstens auch qualitativ durch eine geometrische Be-
trachtung der Schwingungsbewegung erhalten.
Im vorstehenden ist f klein vorausgesetzt. Rambal”) hat in der
24) P. Ditisheim, Variations des Chron. avec la pression atmosph., Journal
Suisse d’horlogerie, Gen®ve 1904.
25) L. Lossier, Ktudes sur la theorie du röglage des montres, Journal Suisse
d’horlogerie, Geneve 1890.
8. Störungen der Chronometer. 181
Weise Versuche angestellt, daß er am Zapfen der Unruhe eine starke
Zusatzreibung anbrachte, welche die Amplitude der Schwingungen von
440° auf 190° reduzierte. Unter diesen Umständen ergab sich ein
Nachgehen von 96° mit Verlagerung des toten Punktes, aber man
überschreitet hier weit die Grenzen der Theorie. Auf der andern
Seite habe ich gezeigt, daß bei einer veränderlichen, aber schwachen,
seitlichen Reibung im Falle der Spiralen ohne Endkurven, bei welchen
X und Y nicht verschwinden, der Einfluß der Schwingungsdauer
von der zweiten Ordnung ist. Man hat dann der rechten Seite der
Gleichung (12) ein Glied
ib U sın( 9 U . -U
+ gpfr 1 22 Pe 242] ee
hinzuzufügen, und die Variation der Konstanten gibt damit eine
Korrektion für 7, die aus der Summe zweier aufeinander folgender
Schwingungen voshninabtiher Es ist also nicht die Reibung, wie
man schon geglaubt hat, die bei den Spiralen ohne Endkurven den
Isochronismus herbeifährt.
Deformation der Unruhe infolge der Rotation. Die elastische Un-
ruhe deformiert sich bei dem Hin- und Herschwingen. Phillips)
hat die entstehende Änderung des Trägheitsmomentes berechnet, die
proportional zu () ist. Er hat zu dem Zweck die Bedingungen
des Gleichgewichts der Unruhe unter den auftretenden Massendrucken
gebildet. Die Bewegungsgleichung der Unruhe nimmt dann die
Form an:
d’u du\27 d’u u
[A+b 7% Eu (2 35 ä a
Da b und c klein sind, kann man in der Klammer die Ableitungen
von u durch die Werte ersetzen, die sie in der ungestörten Bewegung
haben. Man kann dann durch Variation der Konstanten integrieren
und findet:
2 ylıra Vie)
eine Formel, die eine Verlangsamung der großen Schwingungen an-
zeigt. Die tangentiellen Komponenten der Massendrucke sind ohne
Einfluß auf die Schwingungsdauer, wie vorauszusehen war.
Für die gewöhnliche Anordnung ergibt sich die Beschleunigung
bei Verminderung der Amplitude von EB auf - zu 11 Sekunden pro
Tag in Übereinstimmung mit dem Experiment. Für die Unruhe
Winner! mit ebenen Lamellen ist sie viermal kleiner.
26) Ed Phillips, Paris C. R. 67 (1868), p. 508.
182 VI2,4. CO. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
Geneigte Ohronometer. Das Chronometer wird bei horizontaler
Stellung des Gehäuses reguliert. Eine Neigung ändert die Wider-
stände, und wenn Unruhe und Spirale nicht vollkommen zentriert sind,
so kommt auch die Schwere ins Spiel. Phillips?') betrachtet das
Chronometer bei vertikaler Stellung des Gehäuses und fügt der Glei-
chung (10) ein Glied hinzu, welches das Moment des Gewichtes p
der Unruhe angibt, wenn sich ihr Schwerpunkt in einem Abstand A
von der Achse befindet. Ist 8 der Winkel dieses Abstandes mit der
Vertikalen in der Gleichgewichtslage, so gibt die Ausführung der
Integration:
(19) T= -V“; "I — 7" cos ß" oa nn a (I! Bessel’sche Funktion).
Die Gleichung 7 - —( hat eine Wurzel w = 21944’, für welche die
Störung ihr Zeichen wechselt. Deren Betrag hängt noch von der
Orientierung des Gehäuses in der Vertikalebene, die durch ß an-
gegeben wird, ab. Das Experiment hat diese Folgerung vollkommen
bestätigt.
Dieselbe Theorie wäre auch noch auf ein horizontal stehendes
Chronometer anzuwenden, dessen Unruhe permanenten Magnetismus
angenommen hat und dessen Gang mit der Orientierung wechselt.
Anwendung auf die ar ohne Endkurven). Diese Spirale ist
isochron für p—= 2nx + -, wenn man von den vorstehenden Stö-
2% ,
rungen absieht. Da letztere alle von der Form mu”? sind, wo m
eine Konstante ist, so gilt dasselbe von ihrer Summe, und um wirk-
lichen Isochronismus zu erhalten, muß man die Gleichung
(20) mu? — 7 [W I!(w) — IP(w)] cos p = const.
nach p auflösen. Dieselbe hat nicht für alle Werte von uw” Lösungen.
Setzt man aber p = 20x + 100°, so ist das eine hinreichend ge-
näherte Lösung für die Ki be 158° und 229° mit einem Nach-
gehen von höchstens 1 Sekunde bei dazwischen liegenden Amplituden.
Dieses Resultat stimmt mit den Erfahrungen der Uhrmacher überein.
Störungen durch äußere Kräfte. Wird eine Unruhe magnetisch,
so ergibt sich ein mit der Orientierung der Chronometer veränder-
licher Gang. Dieser Einfluß des Erdmagnetismus, analog dem der
Schwere, kann, wie gesagt, durch die Formel (19) dargestellt werden,
indem das magnetische Moment der Unruhe anstatt des_Momentes der
Schwere eintritt. '
27) Ed.’ Phillips, Paris ©. R. 58 (1864), p. 287 und p. 363.
9. Räder- und Triebwerk. 183
Elektrische Kräfte geben auch Anlaß zu Störungen, die, obwohl
qualitativ beobachtet, noch keine quantitative Bestimmung gefunden
haben.
Ein Gleiches gilt von den Störungen, die von der Schiffsbewegung
(Rollen und Stampfen, Stöße der Schiffsschraube usw.) herrühren.
Gemäß den Experimenten, welche auf der Seewarte in Hamburg an-
gestellt wurden, bestehen sie in der Regel in einer Beschleunigung
des Ganges.
Die Luftfeuchtigkeit hingegen hat eine verzögernde Wirkung.
Näheres hierüber, mit Literaturangaben, findet sich in dem Handbuch
der Navigation *°); hier mag dieser bloße Hinweis genügen, zumal diese
Erfahrungsresultate keine theoretische Untersuchung veranlaßt haben.
9. Räderwerk und Triebwerk. Die Übertragung der Bewegung
des Triebwerks auf die Zeiger und die Hemmung geschieht durch
eine Reihe von Zahnrädern, deren Elemente leicht nach wohlbekannten
Formeln zu berechnen sind. Das Zahnprofil ist im allgemeinen epi-
zykloidisch mit geraden Seiten. Empfehlenswerter wäre etwa die Form
einer Kreisevolvente. S. Roze'?). Um nicht zu viele Räder nötig zu
haben, haben die Triebe nur eine kleine Zahl von Zähnen. Bei den
Uhren, die den Gang des Mondes geben, greift man zu epizykloi-
dischen Getrieben (Formel von Willis). Doch wird diese Komplizie-
rung bei den Präzisionsuhren vermieden.
Die Reibung in dem Getriebe ist nach den Methoden der all-
gemeinen Mechanik zu berechnen’®). Faktisch hat dieselbe nur Ein-
fluß auf die Schwingungsamplitude, und wenn der Regulator isochron
ist, so ist die Wirkung auf den Gang theoretisch null. Man darf
freilich nicht vergessen, daß infolge der kleinen Anzahl Zähne der
Triebe die Reibung außerordentlich veränderlich ist. Es treten Dis-
kontinuitäten in der Winkelbeschleunigung auf, so oft die Berührung
zwischen einem Paar von Zähnen aufhört und auf das nächste Paar
übergeht. Es zeigt sich, daß die Reibung dem Abstand des Berüh-
rungspunktes der Zähne von der die Mitte der Räder verbindenden
Geraden proportional ist. Brillowin?®) hat außerdem hervorgehoben,
daß die Zapfen einen seitlichen Druck erleiden, welcher die Rotations-
achse verlegt und das Verhältnis der Geschwindigkeiten periodisch
ändert. Er hat beträchtliche Amplitudenänderungen beobachtet, die
aus allen diesen Umständen hervorgehen, und aus zahlreichen Experi-
28) Resal, Mec. gen.
29) M. Brillowin, Lois des variations d’amplitude du balancier, Bulletin de
la Societe d’encouragement pour l’industrie nationale (5) 4, Paris 1899, p. 689.
184 VI2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
menten die Periodizität derselben nachgewiesen. Diese Amplituden-
änderungen, die bei einem isochronen Regulator gleichgültig wären,
bringen in Wirklichkeit kleine periodische Gangänderungen hervor,
die um den täglichen Mittelwert des Gangs herumschwanken °°).
In Pendeluhren bringen derartige Ursachen eine periodische Ände-
rung der treibenden Kraft und der Amplitude der Schwingungen
hervor !P).
Triebwerk. Besteht die Triebkraft in einem Gewicht, so ist sie
merklich konstant. Wird sie durch die Entspannung einer Feder ge-
liefert, so ist sie veränderlich, die Amplituden nehmen von der Zeit
des Aufziehens an ab. Das ist gleichgültig bei einer isochronen Spirale,
trotzdem wendet man bei den Marinechronometern zur Vorsicht noch
die Schnecke an.
Resal?®*) hat auf die Triebfeder die Festigkeitslehre angewandt.
Es handelt sich dabei im wesentlichen um das Problem der elastischen
Kurve, für den speziellen Fall der ebenen an beiden Enden ein-
geklemmten Spirale. Ist der Winkel zwischen den beiden Enden ein
Vielfaches von 2x, so wird das Drehmoment angenähert durch die
Formel gegeben:
M=R(Av + DB).
Dabei ist R der Radius der äußersten Windung, % der Winkel, um
den die Spirale aufgezogen ist, A und B sind dem Biegungsmodul u
proportionale Konstante. Der Druck auf die Achse des Schnecken-
rades ist von erster Ordnung klein und verursacht nur eine un-
bedeutende Reibung. Diese Resultate stimmen mit dem Experiment
überein.
Damit das übertragene Drehmoment konstant ist, muß die Hori-
zontalprojektion der von der Kette auf der Schnecke beschriebenen
Kurve eine Spirale sein, deren Gleichung die Form hat:
III. BE
145%
VW. zu
Um konstanten Anstieg dieser Kurve auf der Schnecke zu erhalten,
wird man für den Meridianschnitt der Schnecke die durch die Gleichung
y=tc (5 = 1) (ce eine Konstante)
x
bestimmte Form wählen.
29°) Resal, Mec. gen. 3, p. 399.
10. Zeitübertragung. 185
10. Zeitübertragung. Die Zeitübertragung von einer Normal-
uhr aus geschieht durch den elektrischen Strom; pneumatische Über-
tragung eignet sich für Präzisionsuhren nicht. Man schlägt dazu
mehrere Wege ein:
a) die zweite Uhr hat weder Regulator noch Hemmung, bloß ein
Zifferblatt mit Zeigern, welche elektrisch bewegt werden von einem
Strom, dessen Perioden die Normaluhr bedingt; oder
die zweite Uhr ist eine vollständige, mit Pendel, Hemmung und
eigener Triebkraft; dann kann die elektrische Verbindung beider, ent-
weder
b) in längeren Zeitabständen stattfinden, wobei jedesmal eine ein-
fache Einstellung auf Normalzeit geschieht, ein für wissenschaftliche
Zwecke unzulängliches System; oder
ce) sie findet bei jeder Schwingung statt. Die Aufgabe besteht
darin, das Pendel der zweiten Uhr in genau synchrone Bewegung mit der
Hauptuhr zu bringen, vorausgesetzt, daß die natürlichen Schläge beider
Uhren schon ‘annähernd gleich sind. Darin besteht das eigentliche
Synchronisieren.
In allen diesen Fällen ist die erste Bedingung, daß der von der
Normaluhr in Tätigkeit gesetzte Stromunterbrecher den Gang der-
selben nicht beeinflussen darf. Das erreicht z. B. Riefler?®), indem er
sein Pendel frei schwingen läßt und den Kraftersatz der Hemmung
vermittelst der elastischen Aufhängung erteilt. ©. Wolf”) hat eine
auf der Pariser Sternwarte gebrauchte Einrichtung beschrieben, welche
an der Winnerl’schen Uhr angebracht ist.
L. Foucault®") wurde von H. Faye veranlaßt, eine Uhr der Gattung a)
herzustellen; er gibt dann Andeutungen über die Art und Weise, wie
man zwei Elektromagnete, die von der Normaluhr beeinflußt werden,
auf beiden Seiten des Pendels einer andern, vollständigen Uhr an-
bringen kann, so daß dieselben auf ein Stück weichen Eisens wirken,
das an diesem Pendel haftet. Es ist dies die erste Andeutung des
Verfahrens e); damit die Normaluhr die Oberhand behält, rät er an,
die Triebkraft der zweiten Uhr mittels Veränderung der Hemmung
derselben herabzudrücken.
R._L. Jones, mit Ritchie's Hilfe®?) erfand eine Vorrichtung, die von
30) $. Riefler, Die Präcisions-Uhren mit vollkommen freiem Echappement
und Quecksilberpendel, München 1894.
31) Mitgeteilt von H. Faye, Paris ©. R. 25 (1847), p. 380.
32) F.J. Ritchie, Edinburgh Scottish Society of arts Transactions 9, Part I,
Edinburgh 1873, p. 61. }
186 VIa2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
@.B. Airy??) mit kleinen Abänderungen angenommen ward. Zwei Magnete
sind am Pendel der zweiten Uhr befestigt; auf beiden Seiten desselben
stehen zwei Spulen, die der synchronisierende Strom durchläuft; die
Magnete dringen nacheinander ganz in die bezügliche Spule. Verite®)
läßt einen Blektromagneten auf ein horizontales Stäbchen aus weichem
Eisen wirken, welches am Pendel befestigt ist. ©. Wolf®°) hat diese
Einrichtung ohne wesentlichen Unterschied auf sämtliche Uhren der
Pariser Sternwarte angewendet.
Cornu®®) hat eine allgemeine Theorie der synehronischen Ver-
bindung zweier schwingenden Systeme entwickelt. Er zieht einen der
Geschwindigkeit proportionalen Luftwiderstand in Betracht, und setzt
eine kleine Verschiedenheit der freien Schwingungen beider Systeme
voraus. Er kommt zu dem Schluß, daß die zu synchronisierende Be-
wegung notwendig gedämpft sein muß, um periodische Störungen der
Amplitude und Phase zu vermeiden. Praktisch erreichte er mit einer
ganz gewöhnlichen Uhr eine Übereinstimmung auf yo.) CO. Wolf,
welcher das System von Verite ohne Dämpfung mit Erfolg gebraucht
hat, wirft den Vorrichtungen mit Dämpfung vor, daß sie die syn-
chronisierte Uhr zum Stehenbleiben bringen, wenn in der Stromunter-
brechung eine Störung eintritt.
Diese entgegengesetzten Meinungen auszugleichen hat sich An-
drade®') beflissen, und dieselben als einigermaßen gleichberechtigt
erwiesen. Er geht aus von Üornu’s geometrischer Methode, in welcher
die gedämpfte Bewegung durch eine logarithmische Spirale mit schiefen
Achsen dargestellt wird, zieht aber, was Cornu unterließ, gleichzeitig
mit der Dämpfung auch die Hemmung der synchronisierten Uhr in
Rechnung®®). Er findet so, daß man auf drei verschiedenen Wegen
zum Ziel gelangen kann:
1) Nach L. Foucault’s Vorschlag, ohne andere Dämpfung als die
natürliche Dämpfung der zweiten Uhr, indem man den Einfluß der
Hemmung schwächt;
2) indem man die Amplitude derselben Uhr wachsen läßt;
3) indem man die natürliche Dämpfung durch eine elektrische
33) Vgl. W. Ellis, Description of the Greenwich time-signal system, Nature 14,
London 1876, p. 51, 110; Wiederabdruck in Greenw. obs. 1879, Appendix, p. 4—5.
34) Verite, Paris C. R. 56 (1863), p. 401 et p. 697.
35) ©. Wolf, Paris C. R. 105 (1887), p. 1157.
36) A. Cornu, Obs. de Paris ann., mem. 13 (1876).
37) J. Andrade, Recherches sur la synchronisation des horloges, La France
horlogere, Besangon, n® du 15. sept. 1903. Referat in: Bibliotheque Universelle,
Archives des sciences psysiques et naturelles, 108 = (4) 6, Geneve 1903, p. 611.
38) J. Andrade, Paris C. R. 137 (1903), p. 243 und 444.
11. Gangformeln. 187
verstärkt, die durch Induktion einer Spule oder einer Kupferröhre ge-
schieht, die Hemmung und Amplitude aber unverändert beibehält.
11. Gangformeln. Es gibt keine vollkommene Uhr. Außer den
Fehlern des Isochronismus, der Kompensation und all den oben auf-
geführten Störungen treten noch aus zufälligen Ursachen Gangände-
rungen auf. Für die Chronometer zur See ist vielleicht die Wirkung
des Rollens zu vernachlässigen®”), aber gewiß nicht die der von der
Schraube kommenden Erschütterungen und mancher anderer Ursachen.
Diese unbestimmten Einflüsse können nur als zufällige Fehler be-
handelt werden; andere, wie die der Tenıperatur, sollen als systematisch
betrachtet und der Rechnung zugeführt werden.
Die gebräuchlichen Formeln, die von der Voraussetzung der Kon-
tinuität ausgehen, bestehen alle in der Darstellung des Ganges durch
Taylorentwieklungen nach Potenzen der in Tagen gerechneten Zeit ?
und der Temperatur 0. Bei Pendeln fügt man gewöhnlich noch ein
Glied für den Luftdruck hinzu, was unter Umständen auch für Chrono-
meter zweckmäßig sein kann, für welche auch der Feuchtigkeitsgrad
in Betracht zu ziehen ist“). Die von der Zeit abhängigen Terme
enthalten unter anderem die Veränderung der Widerstände durch das
Eintrocknen des Öls. Die numerischen Koeffizienten der Formeln
werden aus möglichst zahlreichen Beobachtungen bestimmt, die nach
den üblichen Verfahren bearbeitet werden (Methode der kleinsten Qua-
drate, Interpolation nach Cauchy, vgl. ID 3 (Bauschinger)). B. Wanach*')
zeigt, daß zur Bestimmung des Temperatur- und Barometerkoeffizienten
sich die Trennung des Materials in kürzere Epochen empfiehlt. Auch
braucht man verschiedene graphische Hilfsmittel?®). Die zufälligen
Störungen offenbaren sich in den übrig bleibenden Fehlern. Bei den
Chronometern erhält man dieselben durch Vergleichung mehrerer
Uhren untereinander.
Bei den astronomischen Pendeluhren kann man sich im all-
gemeinen mit den ersten Potenzen der Zeit, der Temperatur und des
Barometerstandes begnügen. Bei den Chronometern muß man Glieder
zweiten Grades (entsprechend dem „sekundären“ Fehler) bei der Tempe-
ratur mitnehmen. Die Mannigfaltigkeit der Typen verbietet die Auf-
stellung eines allgemeinen Gesetzes. Für die kreisförmige Unruhe
aus Messing und Stahl mit Stahlspirale ist der Koeffizient von 0?
39) C. Ed. Caspari, Les Chronomötres de Marine, Paris 1894 (mit Literatur).
40) Handbuch der Navigation, hrsg. vom Reichs- Marine- Amt, 3. Aufl. Berlin
1891. -— Lehrbuch der Navigation, hrsg. vom Reichs-Marine-Amt, Berlin 1901,
2, p. 268—269,
41) B.Wanach, Astr. Nachr. 167 (1905), p- 65.
188 VI2,4. C. Ed. Oaspari. Theorie der Uhren.
ungefähr 0°.014. Er ist kleiner für die Palladiumspirale verbunden
mit der Unruhe Winnerl; man kann sagen, daß gute Chronometer
heute auf 0°%.5 und weniger kompensiert sind.
Es ist schwierig, eine allgemeine Angabe über die Genauigkeit
der besten Uhren zu machen. Die Genauigkeit der Uhren kann
übrigens auf zwei verschiedene Weisen definiert werden: entweder
man nimmt die absoluten Abweichungen des Ganges von einem ge-
gebenen (Mittel-)Werte, oder man stellt den Gang durch eine Formel
dar, und beachtet dann einerseits die Größe der Koeffizienten, anderer-
seits, um wieviel die beobachteten Werte des Ganges von den be-
rechneten abweichen. Hartmann!) hat für eine Anzahl astronomischer
Pendeluhren die bezüglichen Koeffizienten zusammengestellt; man findet
daselbst auch Hinweise auf die betreffende Literatur. Ferneres Material
findet sich in den Jahresberichten des Geodätischen Instituts in Potsdam
(Berlin, seit 1887). C©. Wolf'?) meint, daß die Fehler einer guten
astronomischen Pendeluhr, die merklich unter konstantem Druck und
auf konstanter Temperatur gehalten wird, die Fehler der astronomischen
Zeitbestimmung aus den Sternen nicht übertreffen. Was die Chrono-
meter angeht, so kann man mit 5 Uhren für Punkte, die um 1—2
Tagereisen voneinander entfernt sind, mit der Genauigkeit der tele-
graphischen Längenbestimmung konkurrieren®”). Daß dies selbst für
Taschenchronometer mit Ankerhemmung gilt, scheint bewiesen durch
Ditisheim‘?).
12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. Die periodisch
gleichförmige Bewegung der Pendeluhren und Chronometer kann
man nur vermittelst komplizierter und schwer auszuführender mecha-
nischer Vorrichtungen in eine kontinuierlich gleichförmige umwandeln.
Wenn es sich um Herstellung einer solchen handelt, wie das z. B. zur
Führung eines äquatoreal aufgestellten Fernrohrs oder eines Registrier-
apparates erforderlich ist, greift man lieber zu Vorrichtungen analog
denen, die in der gewöhnlichen Technik gebräuchlich sind. Hierher
gehört der wohlbekannte Watt’sche oder Zentrifugalregulator.
Es besteht ein solcher Regulator wesentlich aus einem oder
mehreren sphärischen Pendeln, die wir der Einfachheit wegen als
aus einem dünnen Faden mit einem schweren Massenpunkt bestehend
betrachten wollen. Man nennt allgemein den Regulator :sochron,
wenn bei wechselnder Entfernung von der Umdrehungsachse (wech-
selndem Rotationsmoment) die Winkelgeschwindigkeit ® konstant
bleibt.
42) P. Ditisheim, Paris C. R. 138 (1904), p. 1027.
12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. 189
Man betrachte zunächst das einfache sphärische Pendel. Es sei
! die Pendellänge, « der Ausschlagswinkel. Dann ist, wenn dasselbe
rund schwingt, mit anderen Worten, wenn es einen Rotations-
kegel mit senkrechter Achse beschreibt, die Winkelgeschwindigkeit
o—VWr7, ; die Dauer des Umlaufs 7 = 2 2m | I cos «© hängt ab vom
ae g
Klchheneinen; es ist demnach nicht isochron.
Bereits Huygens*) suchte den Isochronismus dadurch herzu-
stellen, daß er das Gewicht zwang, auf einem Rotationsparaboloid
mit senkrechter Achse sich zu bewegen. Jedoch ist der strenge Iso-
chronismus insofern nachteilig, als jede Geschwindigkeitsänderung zu
Schwankungen von längerer Periode Anlaß gibt, weshalb man ge-
meiniglich darauf verzichtet und nur auf einen angenäherten Isochro-
nismus ausgeht, was vermittelst des Regulators mit gekreuzten Stangen
geschieht. Meistens ist hier die Einrichtung so getroffen, dass jedes
Pendel um eine wagerechte Achse schwingen kann, welche ihrerseits
mit der gemeinsamen Achse fest verbunden ist und um dieselbe
rotiert. Nennt man s den Abstand der wagerechten von der senk-
rechten Achse, ! die Länge der Pendelstange von der wagerechten
Achse bis zum Gewicht und « den Winkel der Pendelstange mit der
Vertikalen, so erfordert das Gleichgewicht zwischen Schwere und
Zentrifugalkraft:
o(Isna—s)=ygtge.
Es folgt:
do _ 4 508
y=® für sın a
Richtet man also das Gewicht des Pendels so ein, daß es bei nor-
maler Triebkraft gerade diesen Ausschlag « erreicht, so ist infolge
des Verschwindens des Differentialquotienten = hier die Rotations-
geschwindigkeit in erster Näherung vom Ausschlagswinkel unabhängig,
das Pendel isochron.
Foucault hat anfangs“) das einfache sphärische Pendel in einer
verbesserten Cardan’schen Aufhängung als Regulator verwandt,
später“) hat er an dem Wait’schen Regulator ein Gewicht ange-
bracht, welches durch ein Hebelwerk gegen das Mittelstück, das von
den abe Kugeln gehoben und gesenkt wird, einen Druck nach
43) Chr. Huygens, Horologii oseillatorii (Paris 1673) pars quinta = Huygens,
Opera mechanica etc., ed. @. J.’s Gravesande, Lugd. Bat. 1751, p. 189.
44) L. Foncanit, Horloge ä pendule conique, Paris C. R. 25 (1847), p. 154.
45) L. Foucault, Solution de l’isochronisme du pendule conique, Paris C.R.
55 (1862), p. 135.
190 VI»,4. ©. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
oben ausübt, so daß auf die Kugeln statt der vollen Schwere g nur
eine Kraft g cos« wirkt. Es tritt dann an Stelle der obigen Formel
m 0 der Wert © = —y}! un = = Ne es ist also Isochro-
nismus herbeigeführt.
Man kann auch dem sphärischen Pendel eine Federaufhängung
geben, wie den Uhrpendeln. Resal”) studiert eine solehe Auf-
hängung an vier gleichen rechteckigen Stahllamellen, von denen zwei
die Durchbiegung in einer bestimmten Richtung, die beiden andern
die Durchbiegung in einer dazu senkrechten Richtung gestatten. Er
findet, daß, wenn der Ausschlagswinkel sehr klein ist, die Wirkung
E-I
Al cos «
hinzufügte, worin A die Länge der Federn, I das Trägheitsmoment
ihres Querschnittes, E den Elastizitätsmodul bedeutet.
Was nun die Verwendung all dieser mehr oder weniger isochronen
Regulatoren angeht, so sei zunächst der Unterschied gegen die Funk-
tion des Uhrpendels hervorgehoben. Die auf das Uhrpendel wirkende
Kraft ist, wenn auch ihrer Größe nach wechselnd, so doch stets
äußerst gering, da bei der Uhr, wie erwähnt, fast die ganze Trieb-
kraft in der Reibung der Räder verzehrt wird. Schon bei Registrier-
apparaten und Chronographen ist die auf das letzte Rad wirkende
Kraft im allgemeinen viel größer, indessen wird bei diesen Instru-
menten nur ein gleichmäßiger Gang für ganz kurze Zeiten verlangt
und es genügen für sie in Praxis die verschiedensten theoretisch
recht unvollkommenen Pendel- und Windflügelregulatoren®®). Das
eigentliche Problem bildet aber das Triebwerk eines großen Refraktors.
Hier geht, wenn die Achsen des Instruments zufällig einmal mit be-
sonders geringer Reibung sich drehen, ein großer Teil der Triebkraft
in den Regulator, und von diesem wird verlangt, daß er trotz eines
so starken Kraftwechsels den Isochronismus bewahrt.
In der Technik erreicht man den gleichmäßigen Lauf meist, indem
man den Regulator auf die Triebkraft selbst wirken läßt, indem man
z. B. durch den Watt’schen Regulator beim Steigen der Kugeln den Dampf-
zufluß absperren läßt. Analog hat R. Thury*') einen Regulator mit ge-
kreuzten Stangen benutzt, um bei Äquatorealen, deren Werk elektrisch
angetrieben war, den Strom zu regulieren. Auch mag hier noch eine
andere von R. Thury erdachte Einrichtung kurz erwähnt werden. Sie be-
dieselbe ist, als ob man dem Gewicht des Pendels die Größe
46) Vgl. Ambronn 2, p. 1038.
47) H. Cuenod, Horloge &lectrique, System R. Thury-Geneve (sans date),
sowie Ambronn, 2, p. 1114.
12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. 191
steht‘°) aus zwei geraden und parallelen Lamellen, mit kleinen Supple-
mentgewichten in der Mitte, symmetrisch zur Hauptachse. Am oberen
Ende sind dieselben an einem kurzen Arm befestigt, der sich mit
der Welle um die Vertikale dreht; am unteren Ende halten sie sich
an einem ähnlichen Arm, der eine mit der Achse konzentrische
Röhre‘ heben und senken kann. Die Zentrifugalkraft biegt die La-
mellen,"und die Röhre wird gehoben; ein auf geeignete Weise ange-
paßter Hebel kommt dann mit derselben in Berührung und gestattet
den Abbruch eines elektrischen Stroms. Die Geschwindigkeitswechsel
verursachen intermittierende Stromunterbrechungen, wodurch zwar
kein gleichmäßiger, aber ein kurzperiodischer Gang mit verschwindend
kleinen Änderungen erzielt wird.
Die bei astronomischem Gebrauch bisher übliche Art der An-
wendung der Regulatoren ist jedoch eine andere. Es wird der Re-
gulator mit einer Bremse versehen, die die überschüssige Triebkraft
verzehrt. So kann man in einfachster Weise die Kugeln des Watt-
schen Regulators bei steigendem Ausschlag an einem über ihnen be-
findlichen Schleifring anschlagen lassen, wobei sich bald Gleichgewicht
zwischen dem Drehmoment des Triebwerks und dem Reibungswider-
stand der Kugeln an der Platte einstellt. Bei der geringen Veränder-
lichkeit des Ausschlags ist dann auch der Isochronismus genügend
gewahrt. Bei den Triebwerken der großen amerikanischen Refrak-
toren ist meist der Regulator mit gekreuzten Stangen in analoger
Weise verwandt in der oben bezeichneten genähert isochronen Stellung.
Foucault“) hat das letzte Rad des Uhrwerks senkrecht über die
Aufhängungsachse seines sphärischen Pendels gestellt. Das untere
freie Ende der Achse dieses Rades trägt einen Zapfen, der auf das
obere Ende der Pendelstange drückt, welche zu dem Zwecke passend
verlängert ist. Durch die Reibung dieses Zapfens wird die Regulie-
rung besorgt. Bei seinem isochronisierten Watt'schen Regulator
führt er“) eine Bremsung durch Windflügel in einem Gehäuse ein,
dessen Luken durch den Regulator mehr oder weniger geöffnet
werden.
Schon Villarceau*”) benutzte 3 gleiche, symmetrisch um die Vertikale
gestellte sphärischePendel. Andenschwingenden Stangen sind Metallflügel
angebracht, deren Ausdehnung mit der Stellung der Stangen wechselt,
so daß der Luftwiderstand veränderlich wird. Anstatt der Kugeln
48) Siehe M. Wilhelm Meyer, Le systeme de Saturne, M&moires de la
SocietE de Physique et d’Histoire naturelle de Gene®ve 29, Nr. 1, Gen&ve 1884,
p. 19 £.
49) A.J. F. Yvon Villarceau, Paris C. R. 74 (1872), p. 1481.
192 VI2,4. C. Ed. Caspari. Theorie der Uhren.
kommen parallelepipedische Gewichte zur Verwendung, deren jedes
drei kleinere Massen trägt, die durch Hin- und Herschrauben die
letzten Berichtigungen ermöglichen. Der von Breguet genau nach
der Theorie justierte Apparat zeigte schon beim ersten Versuch, daß,
während das Treibgewicht Werte von 1 bis 5,6 annahm, die rela-
tiven Schwankungen der Geschwindigkeit sr nicht übertrafen; die
Regulierung geschah bis auf 0°%.5 genau. Der nämliche Regulator
wurde von Cornu°®) mit bestem Erfolg verwendet, um dem Zylinder
des Registrierapparates, der zur Messung der Geschwindigkeit des
Lichtes diente, eine gleichmäßige Bewegung mitzuteilen.
Die Art der Annäherung aller dieser Bremsregulatoren an den
Gleichgewichtszustand scheint theoretisch nieht untersucht zu sein,
es wäre höchstens zu erwähnen, daß bei Luftwiderstand, wenn dieser
dem. Quadrate der Geschwindigkeit proportional ist, der Übergang
der Winkelgeschwindigkeit von der Ruhe zu dem Endwert y gemäß
der Formel:
2a
PR
we tg
oao=y I,
e’ +1
erfolgt, wo « eine Konstante, t die Zeit ist.
Eine ganz besondere Stellung nimmt das Repsold’sche Feder-
pendel ein®). Es besteht aus einer fest mit der Grundplatte verbun-
denen elastischen Stahlstange von kreisförmigem Querschnitt, welche
am oberen Ende ein Gewicht trägt, und über demselben mit Hilfe
eines Zapfens in dem Schlitz eines auf der Welle des Uhrwerks
sitzenden Mitnehmerarmes geführt wird. In der Ruhelage wird das
Pendel durch den Mitnehmer nur wenig aus der vertikalen Stellung,
in welcher die Achsen von Pendel und Welle in eine Linie fallen,
zur Seite gedrückt. Sobald aber das Uhrwerk in Bewegung gesetzt
wird, vergrößert sich der Ausschlag, bis Zentrifugal- und Triebkraft
mit den Biegungskräften in Gleichgewicht sind. Dieses Pendel vermag
infolge der Größe der elastischen Kräfte der Stahlstange und der bedeu-
tenden Masse, die man in Praxis dem Gewicht an ihrer Spitze geben
kann, ohne eine weitere Bremsvorrichtung die überschüssige Kraft des
Triebwerkes aufzunehmen. Die Theorie dieses Apparates hat Wilsing’*)
entwickelt, wobei er sich nicht nur auf den stationären Zustand beschränkt
hat. Er findet, daß bei Änderungen der auf das Pendel wirkenden
50) J. A. Repsold, Zs. für Instramentenkunde 19 (1899), p. 306.
51) J. Wilsing, Astr. Nachr. 151 (1900), p. 293.
12. Regulatoren für gleichförmige Drehung. 193
Triebkraft „Amplitude und Phasenunterschied zunächst im gleichen
Sinne variieren, sich aber bald konstanten Grenzwerten nähern. Nach
Verlauf einer gewissen Anzahl von Schwingungen halten sich daher
die Triebkraft und die tangential gerichtete Komponente der Biegung
das Gleichgewicht, sodaß nur die radial gerichtete Komponente der
Biegung übrig bleibt, welche dem Pendel die konstante Winkel-
geschwindigkeit erteilt“.
Der Gang dieses rundschwingenden Federpendels ist in der Tat
für die weitaus meisten praktischen Zwecke genügend isochron, wie
aus folgender Tabelle zu sehen ist, die auf Experimenten in Pulkowa?®)
basiert:
Triebkraft 26 20. -: 16 14 12
Ausschlag 70 61 53 46 40
Dauer von 55
Umgängen 131,927 131,963 131,969 131,961 131,934 Sek.
Man darf dieses Federpendel übrigens nicht mit demjenigen ver-
wechseln, welches D. E. Hughes?) für seinen „printing telegraph“ erfand;
Hughes läßt das obere Ende des seinigen auch als Bremse wirken,
indem es mit mehr oder weniger Reibung an einem Ringe schleift.
Eine unumschränkte Regelmäßigkeit des Ganges, die den Ver-
gleich mit Pendeluhr und Chronometer gestattete, ist bei allen diesen
Einrichtungen nicht verfolgt worden. Es liegen meines Wissens
keine Versuche vor, den Einfluß der Temperatur, der sich unter
anderem durch Ausdehnung der Metalle oder Änderung des Elastizi-
tätsmoduls kundgibt, entweder auszugleichen, oder auch nur in Rech-
nung zu bringen. Man beschränkt die Forderungen nur auf kurze
Zeiträume, etwa eine halbe Stunde. Werden Ansprüche auf höhere
Genauigkeit gemacht, so kann man einen der eben besprochenen Re-
gulatoren mit einer guten astronomischen Pendeluhr elektrisch syn-
chronisieren, wie das jetzt für photographische Daueraufnahmen viel-
fach geschieht.
52) Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Nicolai - Hauptsternwarte,
St. Petersburg 1889, p. 65.
53) Beschreibung der in der Reichs-Telegraphenverwaltung gebräuchlichen
Apparate, Berlin 1888, p. 76—-78. Abdruck in: H. Schellen, Der elektromagnetische
Telegraph, 6. Aufl. Braunschweig 1888, p. 567--572.
(Abgeschlossen im April 1905.)
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 13
VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der zstronomischen Winkelmeßinstrumente. 195
V12,5. THEORIE DER ASTRONOMISCHEN
WINKELMESSINSTRUMENTE, DER BEOBACH-
TUNGSMETHODEN UND IHRER FEHLER.
Vox
FRITZ COHN
IN KÖNIGSBERG.
Inhaltsübersicht.
1. Idee eines Universalinstruments zur astronomischen Ortsbestimmung.
2. Die Durchführung der Idee in der Praxis; Beschreibung des Beobachtungs-
vorgangs.
8. Die Hilfsinstrumente, ihre Einriohtung und die Auswertung ihrer Skalen.
4. Die eigentlichen Instrumente der exakten astronomischen ÖOrtsbestimmung.
A. Der Meridiankreis: Prinzip der Rektaszensions- und Deklinations-
bestimmung. Verwandte Typen: Passageninstrument, Mauerquadrant,
Universaltransit, Zenitteleskop.
B. Der Refraktor: Prinzip der differentiellen Ortsbestimmung mit
ruhendem oder bewegtem Fernrohr, visuell oder photographisch.
Doppelbildmikrometer, Heliometer. Fquatorial coude und Astrograph.
5. Die Fehler der Instrumente und ihre Bestimmung.
Instrumentalfehler geometrischer Natur: A. Aın Meridiankreis. B. Am
Refraktor, Heliometer usw. — Physikalische Fehlerquellen: in der Atmosphäre,
im Objektiv, in’ der Nachführung des Fernrohrs und im photographischen
Prozeß, im Okular und im Auge.
6. Die persönlichen Fehler bei astronomischen Beobachtungen.
7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen.
8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes und das Ineinandergreifen der verschiedenen
Instrumente und Beobachtungsmethoden,
Literatur.
Technisches Ausführung der Instrumente:
Ph. Carl, Die Prinzipien der astronomischen Instrumentenkunde, Leipzig 1868.
L. Ambronn, Handbuch der astronomischen Instrumentenkunde, 2 Bde., Berlin
1899 (Ambronn).
J. A. Repsold, Zur Geschichte der astronomischen Meßwerkzeuge von Purbach
bis Reichenbach 1450—1830, Leipzig 1908.
Eneyklop. d. math. Wiesensch. VI 32. 14
196 TVIe,d. Frits Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumentc.
Methoden der Beobachtung und der Instrumentaluntersuchung:
W. Chauvenet, A manual of epherical aud practicel astronomy, 2 vole., Phila-
delphia 1868, 5* ed. Philadelphia 1885, 1893, 1900 (b** ed.: Ohauvenet).
F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berlin 188: (Brünnow).
W. Förster, Astxometrie oder die Lehre von der Ortebestimmung im Himmels-
zsume. 1. Heft: Die Sphärik und die Koordinatensysteme, Berlin 1905.
RB. Wolf, Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und Literstur, 2 Bde,,
Zürich 1890—98 (Wolf, Handb.).
W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, 4 Bde., Breslau resp. Leipzig
1897—1902 (Valentiner, Handwörterbuch).
Leistungen der einzelnen Instrumente:
Die Veröffentlichungen der beksnnteren Sternwarten [aus älterer Zeit: Green-
wich, Dorpat, Königsberg usw.; aus späterer etwa: Pulkowa, Leiden, Paris, Cap,
Straßburg, München, Berlin, Bonn, Washington, Mt. Hamilton.}?).
1. Idee einss Universelinstruments zur astronomischen Orts-
bestimmung. Die beobachtende Astronomie hat die Aufgabe, die
scheinbaren Koordinaten der Himmelskörper, bezogen auf ein den
Zwecken der theoretischen Astronomie entsprechendes Koordinaten-
system, zu bestimmen, d. h. die sphärischen Koordinaten der
Richtung, in der uns ein Gestirn erscheint. Ein diesem Zwecke
dienendes Instrument muß daher aus einer die Richtung nach dem
Gestirn festlegenden Visierlinie bestehen und mit einer Einrichtung
versehen sein, welche diese Visier- oder Absehenslinie bequem auf
jedes Objekt einzustellen und die eingestellte Richtung gegen gewisse
feste Richtungen numerisch festzulegen gestattet.
Die Visierlinie besteht in ihrer einfachsten Form aus zwei in
fester Verbindung stehenden Dioptern, dünnen Metallplätteben mit
kreisrunder feiner Durehbohrung, welche man in die Richtung vom
Auge des Beohachters nach dem Objekte bringt. Ihre Einstellung
erfolgt, dem Prinzip der sphärischen Koordinaten entsprechend, durch
Drehung um geeignete Achsen, entweder um eine zu ihr senkrechte
Achse, die Nebenachse, oder gemeinsam mit ihr um eine zweite, zur
ersten senkrechte Achse, die Hauptachse des Systems. Bei diesen
Drehungen beschreibt die Absehenelinie an der Himmelskugel die
1) Greenw. Obs.; F. @. W. Struve, Observationes astronomicae institutae
in specula Universitatie Dorpatensis vol. 1—8, Dorpati 1817-1839; Königsb.
Beob.; Poulkova obs.; Poulk. Obs. Centr. Nie. Publ.; Leiden Sternw. Ann.; Obs.
de Paris Ann.; Cape »stron. results *’®), Cape meridien results.’!%, Cape Obs. Ann.;
Straßb, Sternw. Ann.; Neue Annalen der Sternwarte in Bogenhausen bei München,
Bd. 1 ff., München 1890 #. (München Sternw. Ann.); Berlin Bternw. lirgebn.;
Bonn Sternw. Veröff., Wash. obs.; Publications of the ZLick Observatory [Mount
Hamilton] of the University of California, vol. 4 and 6, Sacramento 1900/03
(R. H. Tucker).
1. Das Universalinstrument, 2. Der Beobachtungsvorgang. 197
beiden Arten von Kurven, welche das System der sphärischen Koor-
dinaten charakterisieren. Sie läßt sich dadurch auf jedes Himmels-
objekt einstellen und gibt zugleich durch ihre Drehungswinkel um die
betreffenden Achsen die sphärischen Koordinaten selbst. Zur numerischen
Fixierung dieser Drehungswinkel ist das Instrument mit geteilten
Kreisen versehen, weiche gewissermaßen die Abbilder der größten
Kreise der Himmelskugel sind.
Ein dieser Idee entsprechendes Instrument gibt in den Ablesungen
seiner Kreise die sphärischen Koordinaten des eingestellten Objekte
in seinem eigenen System. Soll dieses System mit einem astrono-
misch bestimmt definierten zusammenfallen, so muß seine Hauptachse
auf den Pol dieses Systems gerichtet sein und die Nullpunkte der
beiden Kreise müssen mit den Nullpunkten des Koordinatensystems
übereinstimmen. In diesem Falle nennen wir das Instrument ein nach
dem betreffenden Pol orientiertes Universalinstrument.
Für die Praxis kommen nur zwei sphärische Systeme in Frage,
deren Pole das Zenit und der Himmelspol sind, das System der
Azimute und Höhen und das System der Stundenwinkel und Dekli-
nationen. Je nachdem die Hauptachse des Instruments auf das Zenit
oder den Pol des Himmels zeigt, nennt man es dann im apeziellen
Universalinstrument (Altazimut) oder Äquatoreal. -
2. Die Durchführung der Idee in der Praxis; Beschreibung
des Beobachtungsvorgangs. Bei der praktischen Ausführung eines
solchen Instruments handelt es sich um die Einrichtung der Visierlinie
und ihres mechanischen Drehungsprozesses, die Fixierung der Drehungs-
winkel und die Aufstellung des Instruments in bestimmt definierter
Orientierung. Darüber sei im einzelnen bemerkt:
Schon kurze Zeit nach der Erfindung des Fernrohrs ist man
dazu übergegangen, der schärferen Einstellung halber die optische
Achse eines Fernrohrs als Visierlinie zu benutzen’*). Man verwertet
dabei weniger die lichtverstärkende Kraft des Fernrohrobjektivs als viel-
mehr seine Eigenschaft, in seiner Brennebene ein Bild eines unendlich
fernen Objekts zu entwerfen, dessen Richtung parallel der Ver-
bindungslinie des Bildpunktes mit dem „optischen Mittelpunkt“ des
Objektivs ist?). Um diese Richtung geometrisch festzulegen, bedarf
1°) Vgl. dazu Wolf, Handb. 2, $ 331.
2) Der bequemeren Beobachtung wegen benutzt man häufig ein sogenanntes
gebrochenes Fernrohr, bei dem der Lichtstrchl mit Hilfe geeigneter Spiegel oder
Prismen eine gebrochene Linie durchläuft und der Okularteil in die Richtung
der Nebenachse fällt, z. B. bei Passageninstrumenten, 6quatoriel coude’N.
Der Vorteil ist der, daß das Auge des Beobaehters bei allen Drehungen des
14*
188 : Vin 5. Urs: Oohe; Thneris. dei altronomischen: Winkeiiheßliichinmanie:
man in dieser Brennebene möglichst nahe der optischen Achse einer
punktförmigen Marke, welche man durch Drehung des Fernrohrs
mit dem Bilde des Objekts zur Deckung bringt. Die Verbindungslinie
der Marke mit dem Mittelpunkt des Objektivs stellt dann die soge-
nannte Kollimationslinie (Absehenslinie, Visierlinie) dar. Als solche
Marke dient ein in der Brennebene aufgespanntes Fadenkreuz (meist
von Kokonfäden). Das Okular, mit dem das in der gemeinsamen
Brennebene entworfene Bild betrachtet wird, dient vorzugsweise zur
Vergrößerung und damit zur Erhöhung der Genauigkeit der Einstellung.
Das Fadenkreuz?) ist auf der sogenannten Fadenplatte auf-
gespannt, einer in der Bildebene liegenden Metallplatte mit recht-
eckigem Ausschnitt, welche senkrecht zu ihrer Ehene, d. h. längs der
optischen Achse des Fernrohrs, verschoben werden kann, um genau
mit der Brennebene des Objektive zusammenzufallen. Diese Fokus-
sierung der Fäden ist öfters zu kontrollieren, da die Brennweite des
Objektivs von äußeren Einflüssen, wie Temperatur, ein wenig ab-
bängig zu sein pflegt.
Um bei den nächtlichen Beobachtungen das Fadenkreuz sichtbar
zu machen, bedient man sich der sogenannten Fadenbeleuchtung. Die-
selbe erhellt entweder von der Objektivseite her das Gesichtsfeld,
so daß die Fäden sich schwarz von dem hellen Grunde abheben
(„helles Feld“), oder, was für die Beobachtung schwächerer Objekte
erforderlich ist, durch seitliche Beleuchtung die Fäden selbst, welche
dann hell auf dunklem Grunde erscheinen („helle Fäden“).
Die exakte Ausführung des Drehungsprozesses bereitet aus dem
Grunde besondere Schwierigkeiten, als Drehungsachsen im mathe-
matischen Sinne technisch nicht ausführbar sind, sondern nur in mehr
oder minder massiver Form hergestellt werden können. Um der
mathematischen Idee nach Möglichkeit zu entsprechen, wählt man
dazu die einfachsten Rotationskörper, als Zylinder, Kegel, Kugel,
und läßt sie sich in festen Lagern drehen; an den Auflagestellen
beschränkt man sich auf möglichst punktförmige Berührung.
Die exakte Einstellung des Fernrohrs auf das Objekt, d. h. des
Fadenkreuzes auf den Bildpunkt, geschieht nach vorherigem HFest-
klemmen des Fernrohrs, resp. der Achsen, mit Hilfe der sogenannten
Fernrohrs möglichst in derselben Lage bleibt, sowie die gedrungenere Konstruktion
des ganzen Instruments, der Nachteil die durch die Einführung der optischen
Zwischensysteme entstehende Verringerung der Stabilität der optischen Achse.
3) In der Praxis tritt an seine Stelle meistens ein ganzes System von ger
eignet; angeordneten Fäden; anch kommen vielfach statt der Fäden dünne Glas-
platten mit eingeritzten Strichen zur Anwendung.
2. Beobachtungsvorgang beim Universalinstrument. 199
Feinbewegung. Das Aufsuchen der hellsten Objekte erfolgt mit
bloßem Auge, die schwächeren stellt man an den geteilten Kreisen roh
ein; ist ihr Ort zu unsicher bekannt, so muß man sie zunächst in dem
sogenannten Sucherfernrohr aufsuchen.
Mit der Einstellung des Fadenkreuzes auf das Bild des Objekts
und der Fixierung des zugehörigen Zeitmoments?) ist die eigentliche
Beobachtung erledigt und es bleibt die weitere Aufgabe, die sphäri-
schen Koordinaten der so fixierten Richtung, d. h. ihre Drehungs-
winkel um die beiden Achsen des Instruments, an den geteilten, senk-
recht zu den Drehungsachsen sitzenden Kreisen abzulesen. Das Ab-
lesungsprinzip besteht darin, daß die Stellung eines an der Drehung
des Fernrohrs teilnehmenden geteilten Kreises an der unmittelbar
benachbarten Teilung eines zweiten, zum ersten konzentrischen, aber
feststehenden Kreises abgelesen wird, und seine verschiedenen Aus-
führungen unterscheiden sich nur durch die Art der beiderseitigen
Teilungen, indem der eine der beiden Kreise meist nur durch einige
Durchmesser repräsentiert wird. Entweder besteht die Teilung des
feststehenden Kreises (Alhidadenkreis) nur aus einigen, symmetrisch
über die Peripherie verteilten, festen Ablesemarken°®), an denen die
Feinteilung des beweglichen Kreises abgelesen wird (z. B. Meridian-
kreis, Vertikalkreis des Universalinstruments). Oder der feststehende
Kreis ist fein geteilt und die Ablesemarken befinden sich auf der
Peripherie des drehbaren Kreises, an dessen Drehung sie teilnehmen
(z. B. Horizontalkreis des Universalinstruments). In ältester Zeit war
die die Diopter tragende Visierlinie einfach selbst Alhidade, d. h. ein mit
Strichmarken versehener Durchmesser des geteilten Kreises, so daß
die Drehung unmittelbar an diesem feststehenden Kreise abgelesen
wurde. Diese Ablesemarken wurden später zur Erhöhung der Ge-
nauigkeit mit Nonien oder Verniers versehen; an ihre Stelle sind
jetzt durchweg Ablesemikroskope mit senkrecht zur Kreisteilung ge-
richteten Achsen getreten, welche die Stellung des Kreises gegen
eine bestimmte Nullmarke in der Brennebene des Mikroskopobjektivs
mit Hilfe eines durch eine Mikrometerschraube bewegten Fadens zu
fixieren gestatten.
4) Wegen der schnellen Veränderlichkeit der direkt meßbaren astrono-
mischen Koordinaten; nur die an einem Äquatoreal eingestellten Deklinationen
der Fixsterne können für diesen Zweck als zeitlich konstant gelten.
5) Steht der Kreis genau zentrisch zur Umdrehungsachse, so genügt eine
solche Marke; zur Beseitigung einer etwaigen Exzentrizität führt man zwei dia-
metral gegenüberstehende Marken ein und erhöht ihre Zahl auf vier, wenn es
sich um besondere Genauigkeit handelt.
200 VIs,5. Frits Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
In einander über gehen beide Arten der Ablesung (fester Kreis,
feste Marken) bei einem von Hausen für Meridiankreise gemachten
Vorschlage®). Danach erhält der drehbare Kreis nur eine sehr weite
Teilung (von 5° zu 5° etwa), die festen Ablesemarken aber bestehen
in vier eng geteilten Hilfsbogen von je 5° Länge, welche durch Ab-
lesemikroskope zu vier Strichen des Hauptkreises in Beziehung gesetzt
werden. Der Vorteil besteht dabei in der geringeren Zahl der zur
Verwendung gelangenden Teilstriche.
So vollzieht sich eine vollständige Beobachtung in der Einstellung
des Fernrohrs auf das Objekt, in der Fixierung des zugehörigen Zeit-
moments und in der Ablesung der beiden Kreise. Dazu kommt noch
wegen der atmosphärischen Refraktion (s. VI2,6 [.Bemporad]) die
Ablesung der meteorologischen Instrumente, da der Einfluß dieses
„Abbildungsfehlers“ der Atmosphäre auf die Koordinaten der Gestirne
von Temperatur und Luftdruck abhängig ist (s. 3. 246).
Man erhält so die sphärischen Koordinaten des eingestellten
Objekts in dem eigenen System des Instruments. Damit dieses System
mit einem „natürlichen“ identisch sei, müssen seine Drehungsachsen
nach dem Pol dieses Systems richtig orientiert sein. Für die
beiden oben besprochenen natürlichen Systeme, denen das Universal-
instrument und das Äquatoreal entsprechen, ist, sei es zur eigent-
lichen Orientierung, sei es zur Überführung der beobachteten Koordi-
naten (Azimut, Höhe, Stundenwinkel) in äquatoreale Koordinaten (x, 6)
neben der Richtung der Schwerkraft die Kenntnis des Meridians, der
Polhöhe und der Sternzeit erforderlich. Wie diese Kenntnis durch
geeignete Kombination mehrerer Beobachtungen desselben oder
mehrerer Gestirne gewonnen werden kann, vgl. VI2, 2 (F. Cohn),
8. 21—25.
Zum richtigen Funktionieren des Instruments gehört also, daß
erstens die Visierlinie bei ihren Drehungen die Koordinatenkurven
des betreffenden sphärischen Systems beschreibe und ihre Drehungs-
winkel den Koordinatendifferenzen gleich seien — sie muß dazu starr
und die beiden Achsenwinkel genau rechte Winkel sein —, sowie
zweitens, daß diese Drehungswinkel durch geeignete Hilfsinstrumente
richtig gemessen werden.
Über die technische Ausführung der verschiedenen astronomischen
Winkelmeßinstrumente und ihrer Hilfsapparate, die Art ihrer Auf-
6) P. A. Hansen, Beschreibung der Einrichtungen, welche am Meridiankreise
der Seeberger Sternwarte angebracht worden sind, Astr. Nachr. 17 (1840),
p: 49-80, *
8. Hilfsinstwumente: a) Mikromster, Mikroskop. 201
stellung und die Einrichtung der Beobachtungsräume auf festen
Sternwarten, vgl. Ambronn.
8. Die Hilfsinstrumente, ihre Einrichtung und die Aus-
wertung ihrer Skalen. Die numerische Bestimmung der Drehungs-
winkel der Visierlinie, sowie die Fixierung der Zeitmomente
geschieht durch eine Reihe von Hilfsinstrumenten, wie Mikrometer-
schrauben, geteilte Maßstäbe (Skalen) oder Kreise, Uhren usw.
Ihre meist in einer eigenen Maßeinheit enthaltenen Angaben müssen
eret geaicht werden Yan die dem eigentlichen Beobachtungsvorgang
entsprechenden Daten iNeger erforderlichen Form zu geben. Bei der
exakten Auswertung diesef@Angaben setzt man eine gewisse ein-
fache mathematische Beziehu Bozu den gemessenen Größen als sehr
angenähert erfüllt voraus und %st einmal die Konstanten dieses
N 7 z
allgemeinen‘ Ansatzes durch besom@ere Messungen zu bestimmen,
dann aber auch die etwaigen Abweichä en von diesem Ansatze zu
untersuchen. Denn allgemein gilt seit F% GR. Bessel als Richtschnur,
daß kein Teil eines Instruments, so exakt es die heutige Technik
auch herzustellen vermag, als fehlerfrei, d.h. seiner Idee genau ent-
sprechend angesehen werden darf, sondern je nach den Zwecken, denen
es dienen soll, mit größerer oder geringerer Schärfe auf seine Fehler
hin, d. h. auf die Abweichung des vorliegenden Individuums von der
allgemeinen Idee untersucht werden muß.
a) Die Mikrometerschraube und das Ablesemikroskop.
Vielfach bezweckt man, das in der Bildebene eines Objektivs
entworfene Bild eines äußeren Gegenstandes in ebenen Koordinaten
scharf auszumessen oder seine Lage gegen das Fadenkreuz oder
sonstige feste Marken in der Bildebene festzulegen.. Das erstere tritt
2.B. ein bei der Vermessung eines von einem Fernrohrobjektiv ent-
worfenen visuellen oder photographischen Abbildes des Himmels, das
letztere bei der mikroskopischen Ablesung einer Kreisteilung, sowie
bei vielen Instrumentaluntersuchungen, von denen später die Rede
sein wird (Kollimationsfehlerbestimmung am Meridiankreise, Azimut-
bestimmung durch Miren usw.). Diese Ausmessung geschieht durch
Pointierung der einzelnen Bildpunkte mit einem in der Bildebene
beweglichen, das ebene Koordinatensystem veranschaulichenden Faden.
Eine Mikrometerschraube erteilt diese senkrecht ‘zur optischen Achse
gerichtete Bewegung der ganzen, den Faden tragenden, sogenannten
beweglichen Fadenplatte, welche der festen Fadenplatte parallel sein
und ihr so nahe anliegen muß, daß im Okular sowohl feste, wie
bewegliche Fäden scharf erscheinen, ohne doch bei der Parallel-
202 VIa,öd. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
verschiebung der Platten ein Haken der Fäden hervorzurufen. Indem
man den an einer feingeteilten Trommel abgelesenen Drehungswinkel
dieser Schraube als Maß der linearen Verschiebung des Fadens ansieht,
setzt man völlige Proportionalität von Drehungswinkel und linearer
Verschiebung voraus. Zur Prüfung dieser Voraussetzung bedarf es
daher einer Untersuchung der sogenannten Fehler der Mikrometer-
schraube durch Auswertung fester Intervalle an verschiedenen stetig
verteilten Stellen der Schraube. In der Praxis zerlegt man gewöhn-
lich die Schraubenfehler in periodische, sich bei jeder Windung im
‘wesentlichen wiederholende, nur von der Drehungsphase abhängige,
und in fortschreitende Fehler, die auf einer Verschiedenheit des
Schraubenganges in den verschiedenen Windungen beruhen, und be-
stimmt sie getrennt”). — Bei manchen Messungen ist auch die Kennt-
nis des „toten Ganges“ der Schraube erforderlich, d. h. des meist gering-
fügigen freien Spielraums zwischen Schraube und Schraubenmutter,
dessen Effekt darin besteht, daß bei verschiedenem Drehsinn der
Schraube der gleichen Trommelablesung nicht genau die gleiche
Fadenstellung entspricht).
Gewöhnlich sind die Mikrometertrommeln in 100 Teile — nur
bei Kreisablesungen in 60 -—— geteilt und lassen die Zehntelteile,
d. h. 0®.001 (R = Revolution, d. h. eine Umdrehung der Mikrometer-
schraube um 360°) noch genau schätzen; bei einer üblichen Ganghöhe
von 0.5 mm entspricht das 0.5 u®°*). Der Winkelwert einer Revolution
schwankt je nach den verschiedenen Anwendungen etwa von 10”
bis 100”.
Die periodischen Fehler der besseren modernen Mikrometerschrauben
können fast stets vernachlässigt werden, da sie, soweit sie über-
haupt verbürgt werden können, wenige 0*%.001 nicht überschreiten,
und auch die fortschreitenden Fehler sind stets geringfügig, so daß
sie oft ganz unberücksichtigt bleiben können’). Immerhin erfordern
(„Besondere Untersuchung des Heliometers der Königsberger Sternwarte‘) in
Bessel, Astron. Untersuch. 1 (1841), p. 75—90 (=\Bessel, Abbdl. 2, p. 133—166),
Vgl. Brünnow, p. 445449, sowie u. &. auch @. Müller, Untersuchungen über
Mikrometerschrauben, Astronomische Beobachtungen auf der kgl. Sternwarte
zu Berlin, Bd. 5, Berlin 1884, Anhang 2; W. Zurhellen, Die Untersuchung von
Mikrometerschrauben in der Praxis, Astr. Nachr. 172 (1906), p. 1—20.
8) Vgl. 7%. Knorre, Untersuchungen über Schraubenmikrometer, Astr.
Nachr. 125 (1890), p. 321—-360.
9) Vgl. z. B. die von O. Siruve herausgegebene Festschrift: „Zum 50-
jährigen Bestehen der Nikolai-Hauptisternwarte. Beschreibung des 30zölligen
Retraktors“, St. Petersburg 1889, p. 7680.
8. Hilfsinstrumente: a) Mikrometer, Mikroskop. 203
die Fehler- einer Schraube eine gelegentliche Kontrolle, indem sie
durch den Gebrauch abgenutzt wird, auch kann sie durch einen
längeren Transport leiden !®).
Die Messung mit der Mikrometerschraube gibt die in die Richtung
der Fadenbewegung fallende Koordinate der eingestellten Objekte aus-
gedrückt in Schraubenumdrehungen. Die optische Achse des Ablese-
mikroskops, wie es zur scharfen Ablesung geteilter Maßstäbe und
Kreise Verwendung findet, muß senkrecht zur Ebene der Teilung
stehen und der bewegliche Faden (oder Doppelfaden) so orientiert
sein, daß er den Teilstrichen parallel stebt, Der Kenntnis der einer
Schraubenumdrehung entsprechenden linearen Verschiebung des Fadens
bedarf man im allgemeinen nicht, da es sich um die Dimensionen des
betrachteten Objekts, nicht seines Abbildes handelt. Man bestimmt
daher den Wert einer Schraubenumdrehung, kurz den Schraubenwert,
durch Ausmessung bekannter, meist cölestischer, Objekte oder Vor-
gänge. Bei der Ablesung von Kreisen oder Maßstäben richtet man
den Schraubenwert gewöhnlich so ein, daß eine ganze Zahl von Um-
drehungen eine Verschiebung des Fadens um einen Teilstrich bewirkt;
beträgt er z.B. 1’, so läßt eine Trommelteilung in 60 Teile die ganzen
Bogensekunden ablesen, die Zehntel schätzen; die zugehörige Minute
wird einer im Gesichtsfelde des Mikroskops sichtbaren Marke (Rechen)
entnommen. Da aber infolge thermischer usw. Einflüsse auf eine
völlige Konstanz des Schraubenwertes nicht zu rechnen ist, be-
stimmt man den sogenannten Run des Mikroskops in geeigneten Zeit-
intervallen durch Ausmessung einer bekannten Strecke, z. B. des Ab-
standes zweier benachbarter Teilstriche, und hält ihn dauernd unter
Kontrolle.
Die Fixierung der Stellung des Kreises oder der Skala geschieht
dann dadurch, daß man mit dem beweglichen Faden den Abstand
eines Teilstriches!!) entweder von einer festen, vom Mikroskop un-
abhängigen Marke mißt — so dient bei der Hansenschen Einrichtung .
der Ablesung des Meridiankreises®) das Ablesemikroskop nur zur
scharfen Übertragung der Teilung der festen Hilfsbogen auf den be-
weglichen Kreis — oder aber von der Nullstellung der Mikrometer-
trommel, die jetzt ihrerseits als feste Marke auftritt. Im letzteren Falle
muß diese Nullstellung im Laufe einer Messungsreihe unveränderlich
10) Th. Albrecht, Breitendienst, Resultate !%%), 1 (1908), p. 23—26.
11) Man stellt gewöhnlich den Doppelfaden des Mikroskops nacheinander
auf zwei benachbarte Teilstriche, zwischen denen sich die Nullstellung des
Fadens befindet, ein und erreicht dadurch eine erhöhte Genauigkeit, wie auch
ein größeres Material zur Bestimmung des Run.
204 Vls»,6. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
sein oder in ihren Änderungen yerfolgt werden. Bei den Vertikal-
kreisen der Universalinstrumente erfolgt diese Kontrolle durch ein
auf die Mikroskopträger aufgesetztes Niveau; bei dem Meridiankreise
vermischt sie sich mit der unten zu betrachtenden Bestimmung des
Nulipunkts des Kreises, d.h. der Kreisstellung, bei welcher die Null-
stellung des Mikrometerfadens den Nullstrich des Kreises deckt oder
das Mittel der 4 Mikroskopablesungen Nuli gibt.
Die Genauigkeit der Pointierung mit dem beweglichen Faden
der Mikrometerschraube hängt, abgesehen von dem betreffenden opti-
schen System, z. B. seiner Vergrößerung, wesentlich von der Schärfe
und Ruhe des beobachteten Objekts ab. So findet Großmann'?) für
den mittleren Fehler (abgekürzt: m. F.) der Pointierung eines Pol-
sterns (2 < 40°) bei 120maliger Vergrößerung -+ 0”.16 (bei 1.50 m
Brennweite = + 1.2 Mikron®®), Küstner) eines Äquatorsterns
(e=50°) bei 140 maliger Vergrößerung + 0”.28 (bei 1.95 m Brennweite
= + 2.6u). Die starke Zunahme des Pointierungsfehlers mit der Zenit-
distanz zeigen die folgenden Zahlen für den Pulkowaer Vertikalkreis*):
P |
m. FE.
von bis
10 | 30° | + 0”.30,
50 160 | -+0.35,
0 51+044,
75 | 80 | +0.56.
Für den mittleren Fehler einer Nadireinstellung findet Großmann?)
(p. 67) bei Tage + 0”.115 (+ 0.84), bei Nacht + 0”.087 (+0.6u),
Bauschinger”) + 0.101 (= + 1.0); vgl. auch Nr. 7.
Die Genauigkeit einer Meridiankreisablesung mit Mikroskopen über-
trifft die früher übliche mit Nonien, die bei den üblichen Teilungen von je
2’ bis je 5’ kaum die Bogensekunde gaben, um ein bedeutendes. Als
mittleren Fehler einer einmaligen einfachen Einstellung eines Kreis-
12) E. Großmann, Beobachtungen am Repsoldschen Meridiankreise der
v. Kuffnerschen Sternwarte in Wien-Ottakring, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 27
(1901), Nr. 1, p. 190.
18) F. Küstner, Bonn Sternw. Veröff. Nr. 4 (1900), p. 10. Die ungünstigen
Luftverhältnisse zwangen zu einer verhältnismäßig geringen Vergrößerung. —
Vgl. im folgenden auch F. Küstner, Bonn Sternw. Veröff. Nr. 5 (1901) und
Nr. 6 (1902).
14) M. Nyren, Observations faites «u cerele vertical, Poulk. Obs. Centr.
Nic. Publ. 2 (1896), p. (44)—(49),
8. Hilfsinstrumente: b) Skalen, Teilkreise. 205
striches finden Bauschinger'®) (p. 45) bei 25facher Vergrößerung + 0”.11
(bei einem Kreisdurchmesser von 65 cm = + 0.17 u), Großmann?)
(p. 24) bei 36facher Vergrößerung + 0”.09 (= + 0.12 u). Als mitt-
leren Fehler einer vollständigen Kreisablesung von je 2 Strichen mit
4 Mikroskopen findet Küstner!®) (p. 17) + 0”.12 (= -+ 0.19 a) oder
mit Einbeziehung der zufälligen Teilungsfehler + 0”.15.
b) Die Teilungen von Maßstäben (Skalen) und Kreisen.
Die exakte Ausführung umfangreicher Teilungen bietet besondere
Schwierigkeiten, indem die wechselnden äußeren Verhältnisse während
des längere Zeit erfordernden Teilungsprozesses die Homogenität der
Teilung beeinträchtigen'®). In früherer Zeit erfolgte die Teilung oft in
der Weise, daß zunächst die Hauptstriche (etwa von 1° zu 1°) von
einer Originalteilung aus auf den Kreis übertragen, die feinere Tei-
lung (von 2’ zu 2’ etwa) durch geteilte Lamellen (von 1° Länge)
zwischen jene Hauptstriche eingefügt wurde. Alle diese letzteren
Striche besitzen dann den Fehler der Lamellenteilung'”). Neuerdings
erfolgt die Übertragung der Originalteilung Strich für Strich, so daß
bei den Unterbrechungsstellen wie auch am Schluß größere Fehler
auftreten können; so findet Nyren'®) als Fehler des Schlußintervalls
0.”72, die größte Abweichung, die überhaupt vorkam.
In älterer Zeit verminderte man den Einfluß der Teilungsfehler
der Kreise dadurch, daß man das Fernrohr sowohl ohne, wie mit
Kreis um die Achse drehbar machte und dann Vielfache des zu messen-
den Winkels bestimmte [Prinsip der Repetition''*)]. Später begann
man die Teilungsfehler systematisch zu bestimmen. Von den diesbezüg-
15) J. Bauschinger, Untersuchungen über die atmosphärische Refraktion,
München Sternw. Ann.!) Bd. 3 (1898), p. 53. Brennweite 1.9&gm, Vergrößerung 270.
16) Das Protokoll bei der Neuteilung des Pulkowaer Vertikalkreises [| M.
Nyren, Untersuchung der Kepsoldschen Teilung des Pulkowaer Vertikalkreises,
St. P&t. M&m. (7) 34, 2 (1886)] zeigt, daß die Teilung 17 volle Tage in Anspruch
genommen hat, innerhalb deren die Temperaturen zwischen 9°,5 R. und 18°9 R.
schwankten. Bei einigen neueren Meridiankreisen (Wien-Ottakring, Heidelberg)
vollzog sich die Teilung in kürzerer Zeit (9 Tage).
17) Vgl. O. Struve, Poulkova Obe. 4 (1872), Observations faites au cercle ver-
tical, p. (86) u. (37). Die Beobachtungen zeigten hier, daß die Fehler der 2'-
Striche sich in jedem Grade regelmäßig wiederholten und bis auf fast 1” an-
stiegen; erst nachher wurde bekannt, daß in der Tat die Ertelsche Teilung
in der oben angegebenen Art entstanden war. Mit ihrer Berücksichtigung ging
der zufällige wahrscheinliche Strichfehler von + 0.368 auf 4 0”.206 herab.
17®) T. Mayer, Nova methodus perficiendi instrumenta, Commentarii Socie-
tatis scientiarum Gottingensis 1 (1752), p. 324. — Hierher gehört auch die noch
heute bei astronomisch-geodütischen Messungen übliche Art des Beobachtens in
„wechselnden Kreisständen“.
i
206 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
lichen Methoden sei hier nur angedeutet, daß, ähnlich wie bei der Unter-
suchung von Mikrometerschrauben, durch Ausmessung eines festen Inter-
valls oder Winkels an verschiedenen Stellen der Teilung Relationen zwischen
den Fehlern verschiedener Teilstriche erhalten werden. Bei Kreis-
teilungen schafft man sich durch Hilfsmikroskope gewisse feste
Winkel, aliquote Teile der Kreisperipherie, die durch Drehung des
Kreises an verschiedenen Stellen der Teilung ausgewertet werden;
bei Skalen bestimmt man gleichzeitig die Febler zweier aneinander
gelegter Maßstäbe durch Parallelverschiebung; im Prinzip kommen
beide Untersuchungen auf dasselbe hinaus. Die verschiedenen Me-
thoden der Teilungsfehlerbestimmung werden in verschiedener Weise
der Anforderung gerecht, bei einem bestimmten Arbeitsaufwand eine
möglichst große Genauigkeit der individuellen Fehlerbestimmung zu
erzielen. Aus der großen Literatur über Kreisteilungsuntersuchungen ?)
sei die Methode von H. Bruns hervorgehoben, welche diese umfang-
reiche und mühsame Arbeit in besonders rationeller Weise durch-
zuführen gestattet.
Die erste Untersuchung einer Kreisteilung führte F!. W. Bessel'?) im
Jahre 1814 und in exakterer Form 1817 am Caryschen Kreise aus und
wiederholte sie 1821 am Reichenbachschen und 1842 am Repsold-
schen Meridiankreise der Königsberger Sternwarte. Indessen be-
gnügte er sich in der Hauptsache damit, die gesetzmäßigen Fehler
der Teilung durch eine Interpolationsformel in Form einer Fourier-
schen Reihe darzustellen und die individuellen Fehler nur für einige
. besonderen Striche, die zur Polhöhenbestimmung oder den Fundamen-
talsternen gebraucht wurden, zu bestimmen. Auch heute wird diese
Besselsche ug" noch vielfach angewandt. Später ging man in der
18) Die Untersuchung von Kreisteilungen behandeln:
F. W. Bessel, Königsb. Beob. 1 (1815) und 3 (1817), Einl., worin die später
wiederholt angewandte sog. Besselsche Methode enthalten ist; O. Schreiber,
Untersuchung von Kreisteilungen mit zwei und vier Mikroskopen, Zeitschr. f. In-
strumentenkunde 6 (1886); H. Bruns, Untersuchung einer Wanschaffschen Tei-
lung, Astr. Nachr. 130 (1892), p. 17; vgl. auch Fußn. 14, 19, 20.
Speziell die Untersuchung der Teilungsfehler von Skalen behandeln:
P. A. Hansen, Von der Bestimmung der Teilfehler eines geradlinigen
Maßstabes, Leipzig, Ges. Wiss. Abhdl. 10 (1874); D. Gill, On the determi-
nation of errors of graduation without cumulative error, Lond. Astr. Soc.
Monthly Not. 49 (1889), p. 105; @. Lorentzen, Über die Untersuchung der Skalen
eines Heliometers, Astr. Nachr. 131 (1892), p. 217 und Astr. Nachr. 135 (1894),
p. 3585 K. Schwarzschild, Zur Bestimmung der Teilfehler von Maßstäben, Astr.
Nachr. 148 (1897), p.1; P. Harzer, Über die Bestimmung der Teilfehler von
Maßstäben, 1) nach der Gill-Lorentzenschen Methode, Astr. Nachr. 161 (1903),
p. 161; 2) nach der ersten Hansenschen Methode, Astr. Nachr. 161 (1903), p. 381.
3. Hilfsinstrumente: b) Skalen, Teilkreise. 207
Bestimmung individueller Strichfehler weiter, etwa von 1° zu 1°, und
interpolierte für die dazwischen liegenden Striche”). Eine Bestim-
mung aller Strichfehler, d. h. des Mittels je 4 diametral gegenüber-
stehender, ist nur äußerst selten ausgeführt worden”). Nyren'®)
(p.34—535) findet den zufälligen Strichfehler bei der von ihm untersuchten
Repsoldschen Teilung des Pulkowaer Vertikalkreises äußerst gering
und schätzt den wahrscheinlichen Fehler eines interpolierten Wertes
zwischen den von ihm bestimmten Fehlern der Gradstriche insgesamt
auf +0”.05. Andere halten die zufälligen Strichfehler für erheb-
licher?), ja sogar für überwiegend??). Daß man aber durch Berück-
sichtigung der systematischen Fehler, auch in Form einer trigono-
metrischen Reihe, eine wesentlich bessere Darstellung der Beobach-
tungen erzielt, zeigt EZ. Großmann?) (p. 38—43) durch Vergleichung
beider Kreislagen. Auch wird das noch deutlicher durch die von
ihm!?) p. 47 gegebene Zusammenstellung, welche zeigt, wie überaus
gleichmäßig “sich die Fehler der Repsoldschen Urteilung auf eine
Reihe von Meridiankreisen übertragen haben. Im übrigen erreichen
die Teilungsfehler bei den besseren Kreisen der Neuzeit, insbesondere
den Repsoldschen, bei Durchmessern von etwa 60 em bis 100 cm im
Mittel aus zwei Durchmessern (4 Strichen) nur selten Beträge, die
0”,5 überschreiten.
Die Teilungsfehleruntersuchung beim Kreise vereinfacht sich
merklich durch den p. 200 zitierten Vorschlag von Hansen®), der
aber außer bei einigen älteren Instrumenten bisher nur bei dem
neuen Meridiankreise der Kieler Sternwarte zur Durchführung gelangt
ist?®). Sie beschränkt sich daun auf die weiten (in Kiel 72) Striche
des Hauptkreises und die engen, aber im ganzen auf 20° beschränkten
(in Kiel 300) Striche der Hilfsbogen.
19) © A. F. Peters, Untersuchung der Teilungsfehler des Krtelschen
Vertikalkreises der Pulkowaer Sternwarte, Recueil de me&moires presentös A
lacademie des sciences par les astronomes de Poulkova |vol. 1, publi6 par
W. Struve, St. Petersbourg 1858; vol. 2, publi6 par 0. Struve, St. Petersbourg
1859 (Recueil Pouikova)], vol. 1, p. 181. Ebenso M. Nyren '*).
20) Z. B. von F. Kaiser für die 5’-Teilung des Pistor- und Martinsschen
Meridiankreises der Sternwarte zu Leiden, Leiden Steruw. Ann. 2 (1870), sowie
für begrenzte Zonen, z. B. bei den Zonenkatatogen der Astr. Gesellschaft.
21) E. Großmann”), $ 6, p. 30—48: „Zur Erlangung der weitestgehenden
Genauigkeit bei Fundamentalbeobachtungen ist die Teilungsfehlerbestimmung
auf alle Striche auszudehnen.‘
22) J. Bauschinger'”), p. 15 meint, daß die Teilungsfehler entweder für
jeden Strich zu bestimmen oder ganz zu vernachlässigen sind.
| 23) P. Harzer, Beschreibung der neuen Meridiankreisanlage, Astrono-
mische Beobachtungen zu Kiel 1, Leipzig 1905.
208 ViIs,5. Fritz Cohn. Theoxie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Die Bestimmung der Teilungsfehler von Skalen ist besonders
bei den Distanzmessungen an neueren Heliometern (s. p. 230) erfor-
derlich. So hat D. Gül am Heliometer der Cap-Sternwarte die Tei-
lung der beiden Skalen — je 180 Intervalle von 0.5 mm Länge —
untersucht”) und ihre Fehler mit wahrscheinlichen Fehlern von
+ 0".009 = 4 u") durch ca. 50000 Einzeleinstellungen festgelegt; sie
steigen im Maximum auf 0”.2. Ähnlich hat de Ball®) die je 210
Intervalle am Wien-Ottekringer Heliometer vermessen, und zwar in
den beiden, um 180° verschiedenen horizontalen Lagen, zwischen
denen sich geringfügige, aber wohl reelle Unterschiede ergaben; die
Teilfehler steigen bei einem mittleren Fehler der Bestimmung von
+ 0".009 ==4 u auf etwa 64 an, beeinflussen aber eine vollständige
Distanzmessung im Maximum nur um 34 u = 0".25. Vgl. auch die
entsprechende Bestimmung am Leipziger Heliometer durch B. Peter (je
340 Intervalle von 0.2 mm *Länge)”®).
c) Die Uhr und der Chronograph.
Über die Uhren im allgemeinen vgl. VI 2,4 (Caspari).
In der praktischen Astronomie dient die Uhr sowohl zur
Fixierung des Zeitmoments bei den Beobachtungen der Wandelsterne
als auch als Winkelmeßinstrument, insbesondere bei der Bestimmung
von Rektaszensionsdifferenzen durch die Beobachtung der Meridian-
durchgangszeiten (vgl. VIa2,2 F. Cohn). Wie man die dazu erforder-
liche Kenntnis des Uhrstandes und Uhrganges durch Zeitbestimmungen
erlangt, vgl. ebenda. Damit man nicht zu häufig einer Zeitbestim-
mung bedarf, muß die Uhr einen möglichst gleichmäßigen Gang be-
sitzen, der eine einfache Interpolation der Uhrkorrektion zwischen
zwei Zeitbestimmungen zuläßt. Insbesondere zur Ableitung unab-
hängiger Rektaszensionen muß der Uhrgang frei sein von täglicher
Periode, wie sie Temperaturschwankungen entspringen kann. Man
stellt daher die Normaluhr der Sternwarte trotz der Temperatur-
kompensation in gleichmäßig temperierten Kellerräumen auf und ver-
sieht sie, um sie auch von den Schwankungen des Luftdrucks unab-
hängig zu machen, mit einer Luftdruckkompensation oder luftdichtem
Versehluß (s. VI2, 4 (Caspari)). Andernfalls müssen Temperatur- und
24) D. Gil?) und D. Gill, Cape Obs. Ann. 7 (1896), p. 42.
25) L. de Ball, Untersuchungen über die Teilungsfehler der Heliometer-
skalen, Publikationen der v. Kuffnerschen Sternwarte in Wien-Ottakring 5, Wien
1900; vgl. auch L. de Ball, Astr. Nachr. 148 (1899), p. 288.
26) B. Peter, Beobachtungen am sechszölligen Repsoldschen Heliometer der
Leipziger Sternwarte, 2. Abhandlung, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 24, Nr. 8 (1898),
p. 281-312.
8. Hilfsinstrumente: c) Uhr, Chronograph, d) Meteorol. Instr. 209
Luftdruck-Faktor abgeleitet werden. Die Güte der modernen astro-
nomischen Pendeluhren gestattet im allgemeinen mit einem täglichen
Uhrgange zu rechnen, da er sich längere Zeit auf wenige 0.01 genau
hält. Bei differentiellen Beobachtungen hält man den Uhrgang dureh
Beobachtung zahlreicher Zeitsterne auch während einer Abendreihe
unter Kontrolle.
Bei den Rektaszensionsbeobachtungen bedient man sich heutzu-
tage nicht unmittelbar der Uhr als des Zeitmessers, sondern eines
sog. Chronographen, durch den die Sekundenschläge der Uhr auf
elektrischem Wege in Zeichen auf einem in gleichförmiger Bewegung
begriffenen Papierstreifen (oder einer Walze) umgewandelt werden. Die
von einer zweiten Feder auf demselben Streifen benachbart aufge-
zeichneten Beobachtungssignale werden später in aller Ruhe mit diesen
Uhrsignalen, welche die Sekundenschläge der Uhr völlig ersetzen,
durch Ablesung verglichen. Die Stetigkeit des Uhrganges setzt daher
auch eine Unveränderlichkeit des Chronographen, d. h. eine kon-
stante Differenz „Uhronograph minus Uhr“ voraus. Im Laufe einer
Beobachtungsreihe ist daher auf die Gleichförmigkeit des elektrischen
Stroms und die unveränderte Stellung der Schreibfedern (oder Stifte)
gegeneinander acht zu geben. Auch ein Eingreifen in die mecha-
nischen Teile des Chronographen, z. B. ein schärferes Anspannen der
Spiralfedern der Elektromagnete, wie es sich zuweilen behufs Er-
zielung deutlicherer Schrift als erforderlich herausstellt, kann einen
scheinbaren Sprung der Uhrkorrektion und damit einen sprunghaften
Fehler der beobachteten Rektaszensionen bewirken.
Das Ablesen des Chronographenstreifen erfolgt entweder durch
einfache Schätzung der Sekundenzehntel (resp. Zweisekunden-Zwan-
zigstel) — eine Zeitsekunde hat auf dem Streifen etwa eine Länge
von 1 cm bis 2cm — oder durch scharfe Ablesung auf 0°.01 mittels
einer Glasskala oder eines anderen Meßapparates?”).
d) Die meteorologischen Instrumenie.
Zur Berechnung des Refraktionseffekts bedarf man der Kenntnis
der meteorologischen Elemente, wobei die Fehler der Instrumente
(Thermometer und Barometer) bekannt sein müssen. Insbesondere geht
der Fehler des Thermometers bei größeren Zenitdistanzen mit einem
verhältnismäßig hohen Betrage in die Deklinationen ein; bei einer
27) Über die Einrichtung der Kontakte in den Uhren und der Cbrono-
graphen, sowie der Ablesevorrichtungen vgl. Ambronn 1, p. 265 ff. und 2, p. 1088 ff.
Um Störungen im Gange der Hauptubr zu vermeiden, verwendet man zur Aus-
lösung dieser Kontakte eine andere Uhr als Arbeitsuhr und muß sie nur hin-
reichend oft mit der Hauptubr vergleichen.
210 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Temperatur von -+ 10°C. etwa bewirkt ein Fehler von 0°%1 C. bei
einer Zenitdistanz 2 = 60°, 70°, 80°, 85° einen Fehler von 0”.04, 0”.06,
0”.12, 07.23, vgl. V12,6 (Bemporad), Nr. 1.
4. Die eigentlichen Instrumente der exakten astronomischen
Ortsbestimmung (Meridiankreis, Refraktor). Für mancherlei Zwecke,
der geographischen Ortsbestimmung, der niederen Geodäsie usw., kurz
für Beobachtungen im Felde, muß die Genauigkeit, mit welcher man in
der Praxis die mathematische Idee des astronomischen Universal-
instruments verwirklichen kann, hinreichen. Für die eigentliche astro-
nomische Ortsbestimmung — die Messung von Sternörtern — erweist
sich das Universalinstrument angesichts der Schwierigkeiten, welche
sich einer angenäherten und dauerhaften Verwirklichung dieser Idee
selbst bei fest auf Sternwarten aufgestellten Instrumenten entgegen-
stellen, in dieser‘ Allgemeinheit als ungeeignet. Nur das Altazimut
kommt. gelegentlich auch wohl zur exakten Ortsbestimmung, aber
in möglichst differentieller Anordnung, zur Anwendung. Im übrigen’
löst man die Aufgabe der astronomischen Ortsbestimmung durch be-
sondere Beobachtungsmethoden, welche an die exakte Ausführung
des Beobachtungsinstruments nicht derartige schwer zu befriedigende
Anforderungen stellen. Daß die allgemeine Aufgabe der Ortsbestim-
mung durch besondere Instrumente lösbar ist, beruht vor allem darauf,
daß die eine äquatoreale Koordinate, der Stundenwinkel oder die
Rektaszension, durch die Zeit gemessen werden kann, deren die Erde
zur Umdrehung um den Betrag dieses Winkels bedarf. Indem dadurch
die Uhr zur direkten Koordinatenmessung verwertbar wird, erhält
man als die beiden Haupttypen von Instrumenten der eigentlichen
astronomischen Ortsbestimmung den Meridiankreis und den Refraktor.
Wir erörtern zunächst ihr jr: Br?
A. Der Meridiankreis.
Schon in VI2,2 (F. Cohn) sahen wir, daß die grundlegenden
Ortsbestimmungen der praktischen Astronomie dem Meridianinstrumente
zufallen, welches ein gemeinsamer Spezialfall der beiden nach Zenit
oder Pol orientierten Arten des Universalinstrumentes ist Das
Visierfernrohr ist bei ihm nur um eine Achse drehbar, während die
eigentliche Hauptachse fortfällt. Liegt die Drehungsachse horizontal
von Ost nach West gerichtet, so beschreibt die Visierlinie bei ihrer
Drehung die Meridianebene, ein eingestelltes Objekt befindet sich
stets im Meridian. Die technische Ausführung geschieht derart, daß
die Drehungsachse in zwei zylindrischen Zapfen endigt und sich in
4. A. Meridiankreis: Rektaszensionsbestimmung. 211
Lagern dreht, die an zwei Pfeilern (Ost- und Westpfeiler) in hori-
zontaler und vertikaler Richtung ein wenig verschiebbar befestigt
sind. Das Instrument gestattet daher die Beobachtung eines Ge-
stirns nur zur Zeit seines Meridiandurchgangs und liefert seine äqua-
torealen Koordinaten Rektaszension und Deklination («, ö) aus der
nach einer Sternzeituhr (Uhrkorrektion AU) beobachteten ‚Kulminations-
zeit 7 und Kulminationshöhe h (gerechnet vom Südpunkt des Hori-
zonts) nach den Formeln (s. Vl2,2 (F. Cohn), p. 21):
AU+T=a,
+ h=9W0’+6 für obere, 270° — d für untere Kulmination.
Die Beobachtung besteht also nicht eigentlich in der Einstellung
der Visierlinie auf das Objekt, sondern in dem Abwarten des Zeit-
moments, in welchem das Gestirn den Meridian passiert, und in dem
alleinigen Einstellen der Visierlinie in Höhe. Die dazu erforderliche
Veranschaulichung des Meridians im Gesichtsfeld des Fernrohrs setzt
eine genaue Orientierung des in der Brennebene des Objektivs be-
findlichen Fadenkreuzes voraus. Die Fäden müssen zueinander senk-
recht und bei horizontaler Fernrohrstellung horizontal und vertikal
stehen. Der sog. Vertikalfaden bleibt dann bei allen Drehungen des
Fernrohrs in der Meridianebene, und die Durchgangszeit eines Gestirns
durch den Vertikalfaden ist gleich seiner Kulminationszeit 7. Die
Einstellung des Sterns auf den Horizontalfaden bei seinem Meridian-
durchgange liefert in dem Winkel der Visierlinie gegen den Horizont
seine Meridianhöhe. Die Ablesung des auf ‚der Drehungsachse senk-
recht aufsitzenden und an der Drehung teilnehmenden Kreises, der
die Meridianebene sichtbar veranschaulicht, erfolgt gewöhnlich durch
4 bis 6 fest mit den Pfeilern des Instruments verbundene Mikroskope.
Zur Bestimmung von Deklinationsdifferenzen, d. h. beim Anschluß
der beobachteten Objekte an Sterne bekannter Deklination, ist die
Nullpunktsstellung des Kreises gleichgültig. Andernfalls muß sein
Nullpunkt zu einem Fixpunkte des Koordinatensystems (Horizont,
Äquator, Zenit, Pol) in Beziehung gesetzt werden.
Dieses Prinzip einer Ortsbestimmung mit dem Meridiankreise wird
in der Praxis im einzelnen folgendermaßen durchgeführt:
Die Bestimmung der Rektaszension.
Schon alsbald nachdem die Einführung des Fernrohrs mit Faden-
kreuz und der Uhr die Ausbildung dieser Beobachtungsmethode er-
möglicht hatte, begnügte man sich nicht mit der Beobachtung der
Durchgangszeit an dem einen Meridianfaden, sondern fügte eine Reihe
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 15
212 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
von Paralleifäden einigermaßen symmetrisch zum Meridian hinzu®).
Um aus den Durchgangszeiten durch diese seitlichen Fäden die
Meridiandurehgangszeit abzuleiten, bedarf man der Kenntnis des Ab-
stands F' des Seitenfadens vom Mittelfaden (sog. Fadendistanz). Damit
erhält man für diese Reduktion f, d. h. für den Stundenwinkel des
Seitenfadens,
sin = sin f- sec d
oder sehr genähert
wo dann £ und 7’ in Zeit auszudrücken sind. Zur Bestimmung von
F benutzt man am besten wieder rückwärts das Zeitintervall, welches
geeignete Sterne zum Passieren der Fadenintervalle gebrauchen, nach
Umkehrung der obigen Formeln. Da sich die Fadendistanzen lange
unverändert halten, kann man sie im Mittel vieler Durchgänge mit
hoher Genauigkeit bestimmen und sie dann verwerten, um die Ge-
nauigkeit der Durchgangsbeobachtung des einzelnen Sterns durch
Mittelbildung aller an den verschiedenen Fäden erhaltenen, auf den
Meridian reduzierten Durchgangszeiten zu erhöhen?), Am Anfange
des 19. Jahrhunderts beschränkte man sich auf etwa 5 bis 7 Verti-
kalfäden, steigerte später ihre Zehl auf 20 und mehr; doch kam
man schließlich wieder von derartigen Zahlen ab oder beobachtete
wenigstens die einzelnen Sterne nicht an dem ganzen Fadensystem,
sondern an geeigneten Gruppen.
Um die durch nicht genaues Zusammenfallen der Fäden mit der
Brennebene bei schräger Betrachtung entstehende scheinbare Ver-
schiebung des Sterns gegen das Fadennetz (sog. Parallaxe) zu. ver-
meiden, wird das senkrecht zur optischen Achse verschiebbare Okular
bei den Beobachtungen mitgeführt, derart, daß jeder Fadendurchgang
nahe der Mitte des Gesichtsfeldes des Okulare beobachtet wird.
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts fixierte man die Durch-
gangszeit eines Gestirns durch einen Faden nach der sog. Auge- und
Ohr-Methode. Man zählte die ganzen Sekunden nach den Schlägen
einer im Meridiansaale aufgestellten Uhr, verglich damit die Stellung
des in horizontaler Riehtung das vertikale Fadensystem durchwan-
dernden Sterns und schätzte noch Bruchteile der Sekunde, früher auf
28) Nach Wolf, Handb. 2, p. 99 hat schon O. Römer 1704 in seiner „Rota
meridiana“ 5 Vertikalfäden benutzt,
29) Über eine andere, terrestrische Methode zur Bestimmung der Faden-
distanzen s. ©. F. Gauß, Neue Methode die gegenseitigen Abstände der Fäden
in Meridian-Fernröhren zu bestimmen, Astr. Nachr. 2 (1828), p. 871 = Werke 6
(1874), p. 445.
4. A. Meridisnkreis: Rektaszensionsbestimmung. 213
Viertel-, später auf Zehntelsekunden, was bei einiger Übung keine
Schwierigkeiten maeht. Im Mittel mehrerer Fäden wird dann rech-
nungsmäßig die 0"01 angegeben. Die Genauigkeit einer solchen
Beobachtung eines Fadendurchgangs hängt neben der Übung wesent-
lich von der angewandten Vergrößerung v ab, die eine 150- bis 250-
fache zu sein pflegt. Einen ungefähren Anhalt gewährt eine von
Th. Albrecht?) aus zahlreichen Beobachtungsreihen für den mittleren
Fehler & der beobachteten Zeit eines Fadendurchgangs (mittleren Faden-
amtrittsfehler) nach der Auge- und Öhr-Meihode abgeleitete Formel:
E —) (0.07): + Man sec? Ö.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Auge- und Ohr-
Methode durch die elektrische Registrier- oder chromographische Methode
fast völlig verdrängt worden®®), Man schließt in dem Moment, in
welchem der Stern einen Faden passiert, mit einem Handtaster einen
elektrischen Strom, vermittelst dessen eine Feder auf einem ablaufen-
den Chronographen (vgl. p. 209) ein Signal und damit die Beziehung
zu den Sekundenzeichen der Beobachtungsuhr herstellt. Der Vorteil
der neuen Methode besteht in der größeren Bequemlichkeit und er-
höhten Genauigkeit der Beobachtung. Einmal fällt das Notieren der
geschätzten Zeitmomente im Dunkeln fort; dann aber hat man bei
der Registriermethode sein Augenmerk nur auf den einen Moment
der Bisektion des Sternbildes durch den Faden zu richten, während
bei der Auge- und Ohr-Methode der Gesichts- und Gehörssinn das
Laufen des Sterns durch die Fäden mit. den Sekundenschlägen der
Uhr in Verbindung bringen müssen. Die dadurch erzielte Steigerung
der Genauigkeit spricht sich sowohl in dem mittleren Fadenantritts-
fehler bei der chronographischen Methode ®):
& —V (0.05)? e.- (2). sec? d,
wie in den später (Nr. 7) zu besprechenden mittleren Fehlern der
abgeleiteten Sternörter aus.
30) Th. Albrecht, Über die Bestimmung von Längendifferenzen mit Hilfe
des elektrischen Telegraphen, Leipzig 1869, p. 9.
81) Die Einführung der Registriermethode in die astronomische Ortshe-
stimmung durch die Herstellung eines Chronograpbeu geht auf $. ©. Walker
und W. C. Bond (1848) zurück, vgl. W. C. Bond, Harvard Obs Aun. 1,
part 1 (1866), p. XXIUf. Der erste, der sie zu Massenbeobachtungen (Zonen)
verwertete, war .J. Lamont, vgl. Beschreibung der an der Münchener Sternwarte
zu den Beobachtungen verwendeten neuen Instrumente und Apparate, München
&Abh. 6 (1851), p. 381.
15*
214 VlIs,5.. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
In einem Punkte freilich hat sich die Registriermethode von den
Mängeln der älteren Beobachtungsart nicht in dem Maße frei gezeigt,
wie man wohl ursprünglich annahm, indem sich beide Methoden als
sehr merklichen persönlichen Auffassungsunterschieden ausgesetzt er-
wiesen. Neben den p. 251 zu besprechenden Versuchen, diese sog.
persönliche Gleichung des Beobachters durch geeignete instrumentelle
Vorkehrungen zu bestimmen, hat man daher wiederholt versucht, die
Rektaszensionsbeobachtungen von diesen individuellen Einflüssen physio-
logischen Ursprungs ganz zu befreien, sie unabhängig von der Be-
obachtung eines Durchgangsvorgangs durch Pointieren mit einem be-
weglichen Faden zu erhalten. In fast vollkommener Weise ist dies
in neuester Zeit durch die Einführung des Bepsoldschen selbstregi-
strierenden Mikrometers gelungen, bei welchem der Beobachter das
Bild des Sterns bei seinem Meridiandurchgang dauernd mit dem be-
weglichen Faden biseziert. Um die jeweilige Stellung des Fadens,
resp. die sie ersetzende der Mikrometerschraube, die den Ort des Ob-
jekts veranschaulicht, zu den Uhrsignalen in Beziehung zu setzen,
trägt die Achse der Mikrometerschraube außer der Zähltrommei noch
eine andere aus isolierender Substanz (Hartgummi, Glas usw.) ver-
fertigte, aber mit einzelnen metallischen Einlagen versehene Kontakt-
trommel, welehe jedesmal beim Passieren eines Schleifkontakts ein
Signal auf dem Uhronographen erzengen. Die den einzelnen Kontakten
entsprechende Fadenstellung ist auf den Meridian zu beziehen, um
aus den Ablesungen der Kontaktsignale nach der Uhr die Durch-
gangszeit des Gestirns durch den Meridian zu erhalten. Bei äquidi-
stanten Kontakten geschieht dies durch die Bestimmung des Schrauben-
wertes —- in ähnlicher Art wie die Bestimmung der Fadendistanzen
aus den Beobachtungen selbst — und durch die Beziehung der
einem bestimmten Nullkontakt entsprechenden Fadenstelluug zum
Meridian (siehe die Bestimmung des Kollimationsfeblers, p. 235).
Durch die Einführung des Repsoldschen Mikrometers ist die Ge-
nauigkeit in der Bestimmung der Meridiandurchgangszeit und damit
der Rektaszensionen wesentlich gesteigert worden (s. Nr. 7). Es wird
das weniger durch eine wesentliche Verminderung in dem mittleren
Fehler des einzelnen Kontakts bewirkt??), als vielmehr durch die weit
32) Nachdem E. Becker (Über einige Versuche von Durchgangsbeobach-
tungen nach dem neuen Kepsoldschen Verfahren, Astr. Nachr. 127 (1891), p. 185)
und A. Kowalski (Über das neue selbstregistrierende Mikrometer von Kepsold,
St. Pet. Bull. 6 (1897), Nr. 6) für jenen mittleren Fehler nahezu dieselben Werte
wie für einen Fadendurchgang bei der üblichen Registriermethode gefunden
hatten, konstatierte Th. Albrecht (Die Beobachtungsmethode mittelst des Repsold-
4. A. Meridiankreis: Deklinationsbestimmung. 915
größere Zahl der in gleicher Zeit zu erhaltenden Kontakte und vor
allem durch die fast völlige Unabhängigkeit der Auffassung der
Sternbisektion vom Beobachter (s. Nr. 6). Noch erhöht worden sind
die hervorragenden Leistungen des Repsoldschen Mikrometers durch
die Anwendung eines Uhrwerks, welches den größten Teil der Be-
wegung der Mikrometerschraube selbst ausführt und der Hand des
Beobachters nur geringfügige Korrektionen behufs Erzielung scharfer
Bisektion des Sternbildes überläßt®®) (s. Nr. 7).
Der erste Vorschlag, die Durchgangsbeobachtung durch Poin-
tierung mit einem selbstregistrierenden Mikrometer zu ersetzen, stammt
von Braun °®) und scheiterte wohl an dem komplizierten Uhrwerk.
J. Repsold schlug zunächst) eine sich selbst registrierende Bewegung
des Instruments im Stundenwinkel vor, bei der der Beobachter nur
den feststehenden Stern zu pointieren hatte. Später”) übertrug er die
Selbstregistrierung auf den Mikrometerfaden, den nun der Beobachter
stets auf dem laufenden Stern halten mußte. Die Vereinfachung des
den Faden bewegenden Uhrwerks (durch H. Siruve und J. Rahts) er-
möglichte die praktische Durchführung der Braunschen Idee; die
verschiedene Geschwindigkeit, die zur Beobachtung der Sterne ver-
schiedener Deklination erforderlich ist, erhält der Faden hier dadurch,
daß eine auf der Schraubenachse senkrecht sitzende, aber auf ihr
verschiebbare Scheibe von einem gleichmäßig rotierenden Kegel durch
Reibung in eine je nach der Stelle des Kegelmantels, an der sie an-
liegt, verschieden schnelle Rotation versetzt wird®®).
Betreffis der photographischen Aufzeichnung von Meridiandurch-
gängen vgl. Fußnote 165.
Die Bestimmung der Deklination.
Zur Beobachtung der Deklinationen hat man das Objekt bei
seinem Meridiandurchgang auf den Horizontalfaden, resp. schwächere
schen Registriermikrometers in ihrer Anwendung auf Längenbestimmungen,
Astr. Nachr. 155 (1901), p. 33) auch darin eine merkliche Besserung.
83) C. Braun, Das Passagen-Mikrometer, Leipzig 1865; näher ausgeführt
von (©. Braun, Berichte von dem Haynaldschen Observatorium zu Kalocza,
Münster i. W. 1886.
34) J. Repsold, Durchgangsinstrument mit Uhrbewegung, Astr. Nachr. 118
(1888), p. 308.
85) J. Repsold, Neuer Vorschlag zur Vermeidung des persönlichen Zeit-
fehlers bei Durchgangsbeobachtungen, Astr. Nachr. 128 (1889), p. 17°.
36) H. Struve, Über die Verbindung eines Uhrwerks mit dem „unpersön-
lichen“ Mikrometer von Repsold, Astr. Nachr. 155 (1901), p. 358.
216 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Objekte in die Mitte zwischen zwei enge Horizontalfäden, mit Achsen-
klemme und Feinbewegung einzustellen. Geschieht das nicht im
Meridian, sondern an einem Seitenfaden vom Stundenwinkel t, so ist
eine Reduktion auf die Meridianhöhe (wegen „Krümmung des Parallels“),
de = — (4) sin 26
anzubringen; außerdem ist eine eventuelle Fadenneigung zu berück-
sichtigen, die auf die Rektaszensionen, wenn man die Sterne möglichst
zwischen die Horizontalfäden stellt, ohne Einfluß ist. Die ungefähre
Orientierung des Fadensystems erkennt man daran, daß ein Stern bei
seinem Meridiandurchgang auf dem Horizontalfaden läuft, und be-
stimmt sie strenge durch mehrmalige Pointierung des Sterns zu beiden
Seiten des Meridians.
Auch bei der Deklinationsbeobachtung vervielfältigt man öfters
die Zahl der Einstellungen durch Einführung eines beweglichen Dekli-
nationsfadens; doch ist man sich über den dadurch erzielten Erfolg
nicht einig”), In jedem Falle sind die Vorteile eines solchen Dekli-
nationsmikrometers“®) geringfügiger, da die Hauptunsicherheit der
Deklinationen in den Teilungsfehlern“!) und der Refraktion“?) liegt.
Die an einem fehlerfreien Meridianinstrument in der beschrie-
benen Weise erhaltenen, von Refraktion befreiten Koordinaten sind
scheinbare. Über ihre Überführung in mittlere Örter, sowie die
stufenweise Anlage der Arbeiten am Meridiankreise vgl. VI, 2
(F. Cohn).
Historisches zum Meridiankreise. Die Vereinigung der Beobach-
tung beider Koordinaten an einem Instrument, dem Meridiankreise,
ist verhältnismäßig neueren Datums. Bis zum Beginn des 19. Jahr-
hunderts beobachtete men, mit vereinzelten Ausnahmen®®), beide Ko-
ordinaten getrennt, die Rektaszensionen am Passageninstrument, einem
Meridianinstrument ohne feingeteilten Kreis und Ablesemikroskope —
zur Einstellung der Objekte dient ein roh geteilter Kreis —, die
Deklinationen am Mauerquadranien oder Mauerkreise. Erst Beichen-
bach*?) vereinigte beide Instrumente zu einem einzigen, dem Meridian-
kreise. Man erreichte dadurch den Vorteil, die vollständige Ortsbe-
39) Vergl. z.B. E. Großmann '*), p. 190.
40) J. Repsold, Neue Mikrometer von A. Repsold u. Söhme, Astr. Nachr.
141 (1896), p. 279. 41) 8.p. 206ff. 42) S. p. 246 ff.
48) J. @. Repsold hatte schon 1804 einen Meridiankreis für seinen Privat-
gebrauch gebaut, der später an die Göttinger Sternwarte kam. Doch ist der
erste größere Meridiankreis, der zur ausgedehnten praktischen Verwendung ge-
langte, der von Reichenbach 1819 für die Sternwarte zu Königsberg erbaute.
4. A. Meridienkreis: Historisches: Passageninstr., Mauerquadr. 217
stimmung eines Gestirns mit nur einem Instrument und nur einem.
Beobachter ausführen zu können. Seitdem ist der Meridiankreis das
fundamentale Beobachtungsinstrument der Astronomie geworden und
für jede gut ausgerüstete Sterawarte unentbehrlich.
Entsprechend dieser fundamentalen Bedeutung des Meridian-
instruments sind die Anforderungen an seine Leistungen die höchsten.
Insbesondere muß trotz der demnächst zu besprechenden Methoden
der Instrumentalfehlerbestimmung die Konstanz seiner Aufstellung,
d. h. die Unveränderlichkeit der Riehtung der Drehungsachse und der
Mikroskopträger, die Sterrheit aller seiner Teile, d. h. die Vermeidung
unregelmäßiger Biegungen usw. nach Möglichkeit gewährleistet sein:
Daher ist sowohl auf die Konstruktion. des Meridianinstruments, wie
seiner, Pfeiler, sowie die Befestigung der Mikroskope die größte Sorg-
falt zu verwenden“). Auck die Einrichtung des ganzen Meridiansaals
beeinflußt die Leistungsfähigkeit des Instruments. Stärkere, schnell
eintretende Temperaturschwankungen sind für die Konstanz seiner
Aufstellung in allen seinen Teilen schädlich und werden neuerdings
durch einen den Ausgleich der Innen- und Außentemperatur möglichst
gewährleistenden Bau des Saals mit doppelten Wellblechwänden und
breiten Beobachtungsspalten zu beseitigen gesucht, während Tempe-
raturschichtungen im besonderen den Weg des Lichtstrahls beein-
flussen und so den beobachteten Ort verfälschen. So hat man bei
dem modernsten Meridiankreise, dem der Sternwarte zu Kiel, der
Umdachung des Meridiansaals die Form einer Zylinderfläche ge-
geben, deren Achse mit der Drehachse des Meridiankreises zusammen-
fällt, vergl. Harser?®).
Infolge der großen Anforderungen an die Konstanz der Auf-
stellung und der ganzen Einrichtung des Meridiankreises und der tech-
nischen Schwierigkeiten, welche sich bei größeren Dimensionen ihrer
Verwirklichung entgegenstellen würden, stellt man Meridiankreise nur
in mäßigen Dimensionen her. Die älteren Meridienkreise aus der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (von ‚Reichenbach und A. .Repsold)\
besaßen meist nur eine Objektivöffnung von 4 Zoll und gestatteten
damit die Beobachtung von Sternen bis zur 9., höchstens 9'/,ten Größe.
Der 1819 erbaute Reichenbachsehe Meridiankreis der Königsberger
Sternwarte besitzt eine Öffnung von 4 Zoll, eine Fernrohrlänge von
162 cm, eine Achsenlänge von 87 cm; der Kreis von 97,5 em Durch-
messer ist von 3’ zu 3’ geteilt und wird durch 4 an einem Alhidaden-
44) Näheres über die Konsiruktion der Meridiankreise, den Bau der Pfeiler
usw. s, bei Ambronn 2.
218 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischeu Winkelmeßinstrumente.
kreise befestigte Nonien etwa auf 2” abgelesen); etwaige Verände-
rungen in der Lage des Alhidadenkreises gegen den Horizont werden
durch eine Wasserwage kontrolliert. Die Repsoldschen Meridiankreise
von Hamburg (1836), Pulkowa (1840), Königsberg (1841) haben
Mikroskopablesung; die Mikroskope sind an einem Rahmen befestigt,
der an den Pfeilern fest angeschraubt ist. Der Pulkowaer Kreis be-
sitzt fast 6 Zoll (157 mm) Objektivöffnung, 2, m Brennweite und
zwei von 2’ zu 2’ geteilte Kreise von 1’/, m Durchmesser”). In
neuerer Zeit hat die entwickeltere Technik auch größere Meridian-
kreise ohne Beeinträchtigung ihrer Leistungsfähigkeit hergestellt,
-welche bis zu 8 Zoll Öffnung und mehr besitzen. Einerseits
wird dadureh der Bereich der sichtbaren Gestirne infolge der ver-
mehrten Lichtstärke ein größerer, insbesondere wächst die Zahl der
am hellen Tage beobachtbaren Sterne erheblich, was für viele Unter-
suchungen von größter Bedeutung ist; andererseits nimmt infolge der
stärkeren Vergrößerungen auch die Genauigkeit der Beobachtungen
zu. Von solchen größeren Instrumenten nennen wir die Pistor- und
Martinsschen Kreise von Washington (1865, 8%, Zoll) und Berlin
(1869, 8 Zoll), sowie den Repsoldschen Meridiankreis von Kiel (um 1903,
8 Zoll). Erwähnut sei die wesentlich veränderte Befestigung der Lager
und Mikroskope, wie sie die neueren Repsoldschen Meridiankreise (von
Straßburg, Bonn, Wien-Ottakring, München, Mt. Hamilton, Heidelberg,
Kiel usw.) gegenüber den älteren Konstruktionen aufweisen, indem
Lager und Mikroskope, in einem Eisenaufbau von Trommelform ver-
einigt, auf die niedriger gehaltenen Pfeilerköpfe aufgesetzt werden.
Die zugleich eingetretene Verringerung der Kreisdurchmesser auf
65 em hat nieht durchweg Anerkennung gefunden **).
Passageninstrument und Vertikalkreis. Da sowohl die eigentliche
Beobachtung am Meridiankreise, wie auch ihre Befreiung von den
später zu erörternden Instrumentalfehlern und die diesbezüglichen In-
strumentaluntersuchungen für beide Koordinaten fast ganz voneinander
unabhängig sind, ist es auch heute noch behufs Erzielung der höchsten
Genauigkeit oft vorzuziehen, beide Koordinaten getrennt zu beob-
achten, selbst wenn man über einen Meridiankreis verfügt. Man kann
in derselben Zeit für eine Koordinate ein weit größeres Material zur
46) Vergl. F. W. Bessel, Königsb. Beob. 6 (1821).
47) Vergl. W. Struve, Description de l’Übservatoire astronomique central de
Poulcova, Si. Petersbourg 1845.
48) Vergl. die Diskussion zwischen J. Repsold und M. Nyren: Astr. Ges.
Vjs. 35 (1900), p. 212 und Astr. Nachr. 154 (1901), p. 187, p. 305, p. 435; Astr.
Nachr. 155 (1901), p. 208.
4. A. Meridiankreis: Passageninstr., Vertikalkreie. 219
scharfen Untersuchung des Instruments und seiner Fehlerquellen be-
schaffen, wie auch den Anschluß an ein Fundamentalsystem (s. VI 2,2
(F. Cohn), p. 25, und später) weit inniger gestalten, wodurch vor
allem die Genauigkeit und Verwendbarkeit der abgeleiteten Örter
bedingt ist. So hat man, ähnlich wie in der früheren Zeit vor Ein-
führung des Meridiankreises, z. B. in Pulkowa (seit seiner Begründung
um 1840) die fundamentalen Ortsbestimmungen an zwei Instrumenten
getrennt ausgeführt, einem Ertelschen Passageninstrument und einem
Ertelschen Vertikalkreis®'). Der letztere ist an die Stelle der früheren
Mauerkreise getreten, er ist der Konstruktion und Bewegungsart nach
ein Universalinstrument mit einem fein geteilten Höhenkreise*). Seine
Anwendung beschränkt sich aber, trotz seiner Drehbarkeit um eine
vertikale Achse, auf den Meridian oder ganz kleine Stundenwinkel, und
diese Drehungsmöglichkeit wird im übrigen nur zum Durchschlagen
des Instruments (s. p. 234) und dadurch zur Elimination des Null-
punkts des Kreises verwertet. Die Reduktion x der in kleinen Stunden-
winkeln beobachteten Höhen auf den Meridian erfolgt nach der Formel
co8 d-c08 9- (sin}t)*
aaa Be At reg EP
oder in hinreichender Näherung
sd Co
er ES) onen — nina
Ist‘ bei dieser Nun des Vertikalkreises die Umlegbarkeit
des Instruments mittelst Durchschlagens und damit die Drehungs-
möglichkeit um zwei Achsen wesentliche Vorbedingung, so gilt ähn-
liches auch für das Passageninstrument, welches auch außerhalb des
Meridians zu Durchgangsbeobachtungen durch ein besonderes Azimut
mannigfache Anwendung findet. Besondere Erwähnung verdient die
Anwendung der Durchgangsbeobachtung im ersten Vertikal (Vertikal-
kreis durch Ost- und Westpunkt des Horizonts) sowohl zur exakten
Bestimmung der Steruörter, wie auch der Polhöhen°®). Der Unter-
5, ein +? — 2(
49) Das Pulkowaer Iustrument hat 6 Zoll Öffnung, der Kreis einen Durch-
messer von 43 Zoll und eine Teilung von 2' zu %°. Im Jahre 1876 erhielt der
Kreis eine Neuteilung von Kepsold.
50) Über die von ©, Römer zuerst angegebene Methode, mit dem Passagen-
instrument Durchgänge durch den ersten Vertikal zu beobachten, vgl. F. W. Bessel,
Astr. Nachr. 3 (1824), p. 9, sowie Astr. Nachr. 6 (1828), p. 221 = Bessel,
Abhdl. 1, p. 317 sowie 2, p. 45. — P. A. Hansen, ‘Astr. Nachr. 6 (1827), p. 101,
p- 421, p. 437 und p. 463. —- J. F. Encke, Bemerkungen über das Durchgange-
instrument von Ost nach West, Berl. astr. Jahrb. für 1843, p- 300 ff. — Von den
220 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
schied der Durchgangszeiten eines Gestirns durch den Ost- und West-
vertikal gibt durch einfache Rechnung die Zenitdistanz im Meridian
und damit eine Beziehung zwischen Polhöhe und Deklination, die un-
abhängig von jeder Kreisablesung und dem störenden Einfluß der
Refraktion ist. Ihre besondere Bedeutung hat die Methode dadurch
erlangt, daß ihre hohe Genauigkeit es gestattete, die zeitlichen Ände-
rungen dieser Zenitdistanzen, wie sie sowohl durch Schwankungen der
Polhöhe entstehen können, als auch durch Veränderungen in den
scheinbaren Örtern der Sterne, mit großer Schärfe zu bestimmen. In-
dem diese letzteren Änderungen wiederum ausser durch die eigentliche,
der Zeit proportionale Eigenbewegung durch die Erscheinungen der
Aberration, Nutation, Prüzession, Parallaxe usw. verursacht werden,
vermag man unabhängig von der Kenntnis des absoluten Betrages der
Zenitdistanz, die charakteristischen Konstanten jener Erscheinungen
und den Verlauf der Polhöhenschwankung abzuleiten (s. auch VIa, 3
(Wirtz).
In dieser Richtung noch weiter gehend behandelt böseddeke ein-
gehend W. Förster die mannigfachen Möglichkeiten, welche ein
Durchgangsinstrument für die unabhängige Bestimmung der Stern-
örter und ihrer Änderungen bietet, mit dem man sowohl Durchgänge
durch ein festes Azimut, wie auch durch eine feste Höhe beobachten
kann°!). Dieses Instrument — Universaltransit genannt — muß
um beide Achsen drehbar sein, besitzt also den Typus des Universal-
instruments, aber ohne geteilte Kreise, und vermeidet somit völlig den
Einfluß der Teilungsfehler wie auch der Hauptglieder der Refraktion,
verlangt aber sehr sorgfältig funktionierende Niveaus (s. Vl2,3 (Wirte).
Einen besonderen Fall bildet die sog. Horrebow-Taleott- Methode zur
Polhöhenbestimmung°?). Mit Hilfe eines mit einem Deklinationsmikro-
meter versehenen, im Meridian aufgestellten, umlegbaren Instruments —
kurz als Zenitteleskop bezeichnet — wird die Differenz der sehr nahe
gleichen Meridianzenitdistanzen zweier Sterne (eines Nord- und eines
Anwendungen seien erwähnt: W. Struve, Sur le coefficient constant dans l’aber-
ration des 6toiles fixes, St. P6t. M&m. (6) 3 (1843), und zahlreiche weitere Abhand-
lungen der Pulkowaer Astronomen; die Beschreibung des Pulkowser großen Rep-
soldschen Passageninstruments im ersten Vertikal siehe bei W. Strwe*®").
51) W. Förster, Zur Theorie des Durchgangsinstruments, Berl. astr. Jahrb.
für 1880 und 1882 Anhang, und W. Förster, Beiträge zur Ausgleichung der
fundamentalen Ortsbestimmungen am Himmel, Astronomische Abhandluugen,
als Ergänzungshefte zu den Astz. Nachr. hrag. von H. Kreute, Nr. 5, Kiel 1904.
62) Pet. Horrebow, Opera mathematico-physica 3, Havniae 174042;
4. Taleott im „Report of the superintendent of the U. 8. coast survey for 1857,
Washington 1858“, p. 824-334. Vgl. übrigens VIs,3 (Wirts), Nr. 20.
4. A. Meridiankreis: Universaltransit, Zenitteleskop. 221.
Südsterns) durch Umlegen (s. p.234) mikrometrisch gemessen, wobei die
unveränderte Richtung der Visierlinie gegen die Vertikale durch ein
Niveau kontrolliert wird, und dadurch die Lage des Zenits auf das Mittel
jener beiden Sterne scharf bezogen. Durch systematisch über ein Jahr
fortgesetzte Beobachtungen zahlreicher Sternpaare wird man, ausser
wenn man die Polhöhe selbst bestimmen will, von den Deklinationen
selbst so gut wie unabhängig; praktisch erfolgt die Elimination in
der Form sogenannter Gruppenanschlüsse. So dient sie denselben
Zwecken wie die Durchgangsbeobachtung im ersten Vertikal und findet
gegenwärtig ihrer bequemen Handhabung halber die ausgedehnteste
Anwendung ®®).
Auch die Vereinigung beider Instrumente in der Form eines
Meridiankreises kommt außerhalb des Meridians zur Anwendung zu
gleichzeitiger Durchgangs- und Höhenbeobachtung in einem testen
Azimut; es entspricht dann völlig einem Universalinstrument ohne
fein geteilten Azimutalkreis®). Das eigentliche Universalinstrument
wird, wie erwähnt, nur vereinzelt zur exakten astronomischen Orts-
bestimmung (Mond) angewandt).
Trotz seiner fundamentalen Bedeutung für die astronomische
Koordinatenbestimmung vermag der Meridiankreis nicht allen ihren
Anforderungen zu genügen, nicht allein alle auftretenden Aufgaben zu
erledigen. Die relative Kleinheit seiner Dimensionen, die Beschrän-
68) Bei der internationalen Unternehmung der Überwachung der Breiten-
schwankungen, dem sog. „internationalen Breitendienst“, gelangt sie allein zur
Anwendung. Vgl. F. Küstner, Neue Methode zur Bestimmung der Aberrations-
konstante, Berlin 1888, sowie F. Küsiner, Zur Bestimmung der Aberrationskon-
stante aus Meridianzenitdistanzen unabhängig von den Schwankungen der
Polhöhe, Astr. Nachr. 126 (1891), p. 233; T'h. Albrecht, Anleitung zum Gebrauch
des Zenitteleskops auf den internationalen Breitenstationen, 1. Aufl., Berlin 1899,
2. Aufl. 1902. Über photographische Polhöhenbestimmungen nach der Horrebow-
Taleott-Methode vgl. Fußnote 165.
54) Im ersten Vertikal speziell zur Ausführung gelangt für die v. Kujfner-
sche Sternwarte von Wien-Ottakring; vergl. N. Herz, Theorie eines mit einem
Vertikalkreise versehenen Passageninstrumentes im ersten Vertikale, Publikationen
der v. Kuffner-Sternw. in Wien 2, Wien 1892. — Ein .allgemeineres Beispiel
bietet das neue Greenwicher Althsimud) Greenw. Obs. 1900,
55) Vgl. die Beschreibung des alten Greenwicher Altazimuts in Greenw.
Obs. 1847 and 1852, sowie des Straßburger Altazimuts in L. Courvoisier, Unter-
suchungen über die absolute Polhöhe von Straßburg, Diss. Heidelberg 1901 und
W. Schur, Untersuchungen und Beobachtungen am Altazimut der Straßburger
Sternwarte, Astr. Nachr. 120 (1888), p. 1.
222 Vie,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
kung seiner Anwendung auf den kurzen, nur einmal täglich eintreten-
den Moment des Meridiandurchgangs eines Gestirns, lassen das Be-
dürfnis nach einem Instrument entstehen, bei dem diese Beschrän-
kungen wegfallen. Für alle Beobachtungen fundamentaler Natur, der
Örter der Sonne, der Fundamentalsterne und der Menge der helleren
Fixsterne (bis zur 9. Größe etwa) kommt der Meridiankreis allein in
Frage. Alle schwächeren Objekte, insbesondere die kleinen Planeten
und Kometen, alle Objekte, deren relativer Ort gegen ein Nachbar-
gestirn allein von Interesse ist, wie Doppelsterne und Satelliten, alle
Objekte, bei denen man sich nicht auf die täglich nur einmalige Be-
obachtung im Meridian allein angewiesen sehen will, legt man durch
differentiell-mikrometrischen Anschluß am Refraktor fest.
B. Der Refraktor.
Der übliche Name „Refraktor“ (ursprünglich im Gegensatz zu
„BReflektor“ gebraucht) bezeichnet ein nach dem Himmelspol orien-
tiertes oder, wie man sagt, parallaktisch montiertes Universalinstrument
oder Äquatoreal, welches nach dem Früheren in Verbindung mit zwei
geteilten Kreisen und einer Uhr absolute äquatoreale Koordinaten liefern
könnte und früher gelegentlich geliefert hat. Die Unmöglichkeit, den
Refraktor in größeren Dimensionen diesen Zwecken entsprechend her-
stellen zu können, führte dazu, ihn nur zur Bestimmung der relativen
Koordinaten benachbarter Gestirne mittels geeigneter, „Mikrometer“
genannter Meßapparate zu verwerten. Der fundamentale Unterschied
der relativen Beobachtungen am Meridiankreise und am Refraktor ist
der, daß bei ersterem selbst bei der differentiellsten Art, den sog.
Zonenbeobachtungen, die Visierlinie auf jedes Objekt einzeln einge-
stellt und ihre Richtung im eigenen System des Instruments selb-
ständig durch Benutzung des mechanischen Drehungsprozesses fest-
gelegt und nur dieses Instrumentalsystem durch Beobachtung be-
kannter Sterne an das äquatoreale System angeschlossen wird; bei der
eigentlichen Refraktorbeobachtung wird das Fernrohr hingegen mehr
als bildentwerfend verwertet und dieses Bild mikrometrisch vermessen,
wie es am deutlichsten bei der Ausmessung einer photographischen
Himmelsaufnahme der Fall ist. Zwar muß das Ferurohr, d. h. die
Verbindung von Objektiv und Okular, eine gewisse Starrheit besitzen,
um überhaupt wenigstens für die kurze Zeit einer Beobachtung eine
Richtung festlegen zu können. Diese Richtung selbst aber wird nicht
durch die Drehungswinkel um die Instrumentalachsen bestimmt und
diese Drehungsmöglichkeit beim Messen gar nicht weiter verwertet.
4. B. Refraktor: Visuelle mikrometrische Ortebestimmung. 223
Die Vorteile dieser Beobachtungsart am Refraktor sind einleuch-
tend: Da es sich nur um meist geringfügige Koordinatendifferenzen
handelt, braucht das Koordinatensystem des Instruments nicht in
gleicher Schärfe mit dem mathematischen übereinzustimmen wie beim
Meridiankreis. Der Refraktor kann demnach um beide Achsen dreh-
bar und in weit größeren Dimensionen gebaut werden, sonach auch
zur Beobachtung weit schwächerer Objekte dienen. Er erlaubt die Be-
obachtung des Objekts in jedem beliebigen Stundenwinkel, sobald es
nur eine genügende Höhe über dem Horizont besitzt, und eine be-
liebig häufige Wiederholung der Messung durch Nachfolgen mit dem
Fernrohr. Endlich gibt die mikrometrische Meßmethode naturgemäß
eine größere Genauigkeit als die Methode der Meridianbeobachtung,
insbesondere ist sie unabhängig von jeder Kreisablesung und den da-
mit verbundenen Teilungsfehlern. Zur Ableitung der absoluten Ko-
ordinaten aber bleibt man auf die Mitwirkung des Meridiankreises,
dem die Bestimmung der Örter der Vergleichsterne zufällt, ange-
wiesen. Eine scharfe Trennung der beiderseitigen Aufgaben ist nicht
möglich und hängt von den verfügbaren Hilfsmitteln und dem sub-
jektiven Empfinden ab (s. später Nr. 8).
Die verschiedenen Formen der mikrometrischen Messung’). Über
die verschiedenen Formen, in denen sich eine solche relative Orts-
bestimmung abspielen kann, ist das Folgende zu bemerken.
Beobachtung bei ruherdem Fernrohr. Zunächst kann man, ähnlich
wie bei der Meridianbeobachtung, die tägliche Bewegung unter Voraus-
setzung ihrer Gleichförmigkeit zur Messung verwerten, indem man aus
den nacheinander beobachteten Durchgängszeiten beider Objekte durch
fest in der Brennebene aufgespannte und nach bestimmten Richtungen
orientierte Kurvensysteme ihre Koordinatendifferenzen berechnet. Da-
bei kommt sowohl die Auge- und Öhr-, wie auch die elektrische Regi-
striermethode zur Anwendung. Von den älteren Formen solcher sog.
„Mikrometer“ erwähnen wir das Kreis- oder Ringmikrometer, das La-
mellen-, das feste Fadenmikrometer usw. Neben einigen Vorteilen —
manche bedürfen z. B. keiner Feldbeleuchtung und gestatten daher die
Beobachtung der schwächsten noch siehtbaren Objekte, das Ring-
mikrometer bedarf keiner besonderen Orientierung -— sind sie den
großen Nachteilen aller Durehgangsbeobachtungen, ihren großen persön-
lichen Auffassungsunterschieden, ausgesetzt, die sich hier sogar auf
beide Koordinaten werfen. Allein die AR.-Differenz wird durch
56) Vgl. hierzu insbesondere, neben Ambronn 2, den Artikel von E. Becker
über „Mikrometer in Yalentiner, Handwörterbuch, 3', p. 64 ff,
Ew
224 Vl2,5. Fritz Oohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Durchgangsbeobachtungen bestimmt bei einem festen, senkrecht zur
täglichen Bewegung orientierten Fadensystem. Die ö-Differenz wird
dann mit einem, der täglichen Bewegung parallelen beweglichen
Faden gemessen, indem beide Objekte nacheinander bei ihrem Durch-
gang durch das Gesichtsfeld pointiert werden; event. das erste mit
einem festen, das zweite mit einem parallelen beweglichen Faden,
deren Koinzidenz man gesondert bestimmt. Die Kenntnis des Schrauben-
werts erlangt man am besten durch Messung eines bekannten Dekli-
nationsunterschieds; event. kann man auch nach Drehung des ganzen
Fadensystems um 90° Durchgänge dazu verwenden. Zu berück-
siehtigen ist die meist geringfügige Abhängigkeit des Schraubenwerts
von der Temperatur und der Okularstellung.
Ganz unabhängig von der Beobachtung von Durchgangszeiten
wird man entweder durch die 'Einführung des Repsoldschen selbst-
registrierenden Mikrometers, das indessen trotz seiner großen Vorzüge
am Refraktor noch keine Anwendung gefunden hat, oder dadurch, daß
man die tägliche Bewegung ganz ausschaltet.
Beobachtung bei bewegtem Fernrohr. Man erreicht das dadurch,
daß man dem Fernrohr durch ein Uhrwerk”) eine der täglichen Um-
drehung der Erde gerade entgegengesetzte Bewegung gibt und es da-
durch eine feste Richtung im Raume unveränderlich beibehalten läßt,
und mißt die dann zum Fernrohr feststehenden Bilder mikrometrisch
aus, entweder dureh visuelle Beobachtung mit dem Fadenmikrometer
oder bei photographischen Aufnahmen mit dem Ablesemikroskop.
a) Die .differentielle Ortsbestimmung mit dem visuellen Fadenmikro-
meter. Das Faden- oder Positionsmikrometer besteht in einer Ver-
einigung von fester und beweglicher Fadenplatte, welche, neben der zur
Fokussierung dienenden Verschiebbarkeit des ganzen Okularkopfes in
der Richtung der optischen Achse, auch in der Brennebene senkrecht
zur optischen Achse, sowohl gemeinsam, wie auch einzeln, durch Mikro-
meterschrauben verschoben und um die optische Achse (mit Fein-
bewegung) gedreht werden kann. Ihren Positionswinkel, d. h. den
Richtungswinkel des Mikrometerfadens gegen den nach dem Nordpol
zeigenden Stundenkreis, liest man an dem fest, d. h. unabhängig von
dem die Fadenplatten tragenden Okularkasten, am Fernrohr sitzenden
Positionskreis ab, dessen Nullpunkt zum äquatorealen Koordinatensystem
57) Näheres über die verschiedenen Arten der Uhrwerke und ihre Einrieh-
tung 5. bei Ambronn in dem Abschnitt „Parallaktisch aufgestellte Refraktoren“,
2, p. 1066 ff. Die ersten Uhrwerke brachte Fraunhofer im zweiten Jahrzehnt
des 19. Jahrhunderts an seinen Refraktoren (Neapel 1811, Dorpat 1824) an.
4. B. Refraktor: Photographische Ortsbestimmung. 225
in Beziehung gebracht werden muß. Diese Nullpunktsbestimmung er-
folgt, indem man den ganzen Okularkasten so dreht, daß ein Stern
bei ruhendem Fernrohr infolge der täglichen Bewegung auf dem
Faden entlang läuft. Die Stellung des aus je zwei zueinander senk-
rechten Gruppen bestehenden Fadensystems zu den fundamentalen
Richtungen des äquatorealen Systems bleibt bei allen Drehungen des
parallaktisch montierten Fernrohrs die gleiche; insbesondere veran-
schaulichen die Fäden. bei entsprechender Stellung zum Positions-
kreise die Stunden- und Parallelkreise.
Das Fadenmikrometer gestattet somit durch geeignete Kombi-
nation der festen und beweglichen Füden rechtwinklige oder polare
ebene Koordinaten in beliebigen Positionswinkeln in der Bildebene zu
messen, und zwar pointiert man entweder beide Objekte nachein-
ander mit dem beweglichen Faden, oder man stellt einen festen Faden
auf das eine Objekt (durch Verschiebung des ganzen Okularkastens),
den beweglichen auf das andere und wiederholt die Messung in um-
gekehrter Reihenfolge unter Durchschrauben des beweglichen Fadens,
wodurch man von etwaigen Fehlern des Uhrwerks unabhängiger wird.
In der Praxis mißt man. entweder äquatoreale rechtwinklige Koordi-
naten x, y, indem man den beweglichen Faden parallel und senkrecht
zur scheinbaren täglichen Bewegung stellt®), oder gelegentlich (bei
sehr engen Objekten wie Doppelsternen) Polarkoordinaten s und ».
In diesem Falle gibt die Parslleistellung der einen Fadengruppe zur
Verbindungslinie beider Objekte den Positionswinkel, in dieser Rich-
tung mißt man mit der anderen Fadengruppe den Abstand beider Ob-
jekte®®). Bei den kleinen Koordinatendifferenzen, um die es sich
hierbei stets handelt (selten mehr als 5”), genügen zur Umsetzung in
sphärische Koordinaten die Nüherungsformeln:
Aresd=x==ssinp,
Ad=ey=scosp.
b) Die differentielle Ortsbestimmung mit Hilfe der Photographie.
Eine fehlerfreie Aufnahme auf der ebenen photographischen Platte®°)
gibt ein Abbild der Sphäre, welches ihrer zentralen Projektion
68) Besitzt das Mikrometer zwei zueinander senkrecht wirkonde Schrauben,
so bedarf es dazu keiner Drehung im Positionswinkel.
59) Dreht man den Positionswinkel um 90°, so kann man beide Messungen
mit ein und demselben beweglichen Faden ausführen.
60) Über die Herstellung astrophotographischer Aufnahmen vergl. z. B. in
Valentiners Handwörterbuch 1 den Artikel „Astrophotograpbie“, sowie das Lehr-
buch J. Scheiner, Die Photographie der Gestirne. Leipzig 1897.
926 VIse,5. Fritz Cohn, Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
auf eine Tangentialebene ähnlich ist. Die Festlegung der ab-
gebildeten Sternörter erfolgt in der Regel durch mikrometrische
Messung der ebenen rechtwinkligen (seltener polaren) Plattenkoordi-
naten, bezogen auf einen beliebig gewählten, aber nahe zentral ge-
legenen Nullpunkt und nahezu äquatoreale Koordinatenriehtungen ®}),
Diese Messung kann entweder geschehen dureh mikrometrische. Ver-
schiebung des Ablesemikroskops oder der Platte längs gewisser, zu
einander senkrechter, event. noch im Positionswinkel drehbarer Füh-
rungen, oder an einer von dem Mikroskop unabhängigen Skale. Von
den bei der großen Ausdehnung photographischer Platten (bis zu 2°
Seitenlänge) zu befürchtenden Fehlern des Meßapparates, vor allem
aber einer etwaigen Verziehung der Gelatineschicht, sucht man sich
dadurch unabhängig zu machen und auch die Arbeit der Ausmessung
wesentlich zu vereinfachen, daß man vor der Aufnahme gewisse nete-
artige Gitter von genau bestimmten Dimensionen auf die Platte auf-
kopiert und die einzelnen Objekte an die nächstgelegenen Gitter-
striche anschließt. Dazu bedarf es, ebenso wie bei kleinen Koordi-
natendifferenzen, nur einer kurzen Mikrometerschraube, obne daß die
Bewegung längs der Führungen zur Messung benutzt wird; von dieser
wird nur eine unveränderliche Richtung verlangt, damit die Mikro-
meterfäden den Gitterstrienen parallel bleiben und nieht von neuem
orientiert zu werden brauchen‘). Solche Gitter werden bei einer
Strichbreite von wenigen 0,01 mm und einer Striehdistanz von 5 mın
von P. Gautier in Paris in großer Schärfe hergestellt. Die beiden
Strichsysteme stehen bis auf wenige Sekunden aufeinander senkrecht,
und die Fehler der gegenseitigen Abstände erreichen kaum 1 Mikron®?*),
Ihre Prüfung, sowie die der Kopien, kann in der erwähnten Weise
durch Skale oder große Mikrometerschraube erfolgen®P\, Doch muB
61) Eine direkte Bestimmung der sphärischen Koordinaten aus photographi-
schen Himmelsaufnabmen kann mit einem parallaktisch aufgestellten Ablesefern-
rohr erfolgen, dessen Objektivmittelpunkt von der Platte um die Brennweite des
photographischen Objektives absteht, derart, daß im Ablesefernrohr die Rich-
tungen nach den Bildern auf der Platte dieselben sind wie im visuellen Fern-
rohr die Richtungen nach den Sternen; vergl. hierüber J. ©. Kupteyn, Expose
de la wmöthode parallactique de mesure, Rednetion des cliches, Bulletin du
Comit6 international permanent pour l’exdeution photographique de la carte du
ciel [Comite carte dw ciel bull.| 1, Paris 1888, p. 94, sowie Scheiner®®).
62) Die Beschreibung eines solchen, von Repsold hergestellten photographi-
schen Meßapparates s. z. B. bei Scheiner **”) oder D. Gill, On a new instru-
ment for measuring astrophotegraphic plates, Lond. Astr. Soc, Monthly Not. 59
(1898), p. 61.
62*) 1 Mikron = Lu = 0.00 1mm.
62»), Vergl. z. B. J. Scheiner in den „Publikationen des Astrophysikalischen
4. B. Refraktor: Photographische Ortsbestimmung. 227
man beim Aufkopieren der Gitter die größte Sorgfalt beobachten, da
sich vielfach merkliche Abweichungen der aufkopierten Gitter von
den Originalen bis auf mehrere Mikron®®) ergeben haben, die man auf
Projektionsfehler bei der Aufkopierung — Lichtbrechung in dem nicht
völlig planparallelen und homogenen Originalgitter, prismatische Ge-
stalt der Gitterfurchen — zurückführt®?),.
Die Umrechnung der ebenen äquatorealen Plattenkoordinaten x, y
in sphärische «, ö erfolgt nach ‚den Formeln
Ben), 2 ne I er cos (a — @,),
worin &,, d, die Koordinaten des Plattenzentrums bezeichnen“). Da-
bei ist man, da die photographische Platte sich nicht in der Schärfe
wie das Fadensystem bei der visuellen Beobachtung nach den Rich-
tungen des äquatorealen Systems orientieren läßt, sowohl bezüglich
der Orientierung der Platte (d. h. der x, y), wie des Plattenzentrums
(&y, 6), wie auch des Skalenwerts. auf die Kenntnis der Örter einer
hinreichenden Zahl von gut über die Platte verteilten Vergleich-
sternen angewiesen, welche nur durch Beobachtungen am Meridian-
kreise erlangt werden kann. Dieser Einschränkung der Anwendbar-
keit®®) steht allerdings ein Vorteil gegenüber. Während die visuelle
Beobachtung am Meridiankreis, wie am Refraktor, nur scheinbare,
d. bh. auf den momentanen Zustand des äquatorealen Koordinaten-
systems bezogene Koordinaten ergeben kann, zieht man in die Re-
Observatoriums zu Potsdam, Photographische Himmelskarte“, Bd. 1, Potsdam
1899, p. XII; F. Küstner, Über eine große praktisch fehlerfreie Mikrometer-
schraube von M. Wolz in Bonn zur Untersuchung photographischer Gitter,
Astr. Nachr. 161 (1903), p. 97.
63) K. Bohlin, Sur l’emploi.du röseau pour la mesure des cliches photo-
graphigues, Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 321, sowie K. Bohlin, Jahresbericht der
Sternwarte zu Stockholm, Astr. Ges. Vjs. 36 (1901), p. 145; H. Ludendorff, Über
Fehler, die beim Aufkopieren von Normalgittern auf photographische Platten
entstehen können, Astr. Nachr. 157 (1901), p. 17; sowie H. Ludendorff, Unter-
suchungen über die Kopien des Gitters Gautier Nr. 47, Publikationen des Astro-
physikalischen Observatoriums zu Potsdam 15, Nr. 49, Potsdam 1903; C, Mönnich-
meyer, Untersuchungen über die 5 mm Gitter von P. Gautier, Astr, Nachr, 16%
(1908), p. 65.
64) Vergl. W. Zurhellen, Darlegung und Kritik der zur Reduktion photo-
graphischer Himmelsaufnabmen aufgestellten Formeln und Methoden, Dies.
Bonn 1904.
65) Für jede Platte ist die Bestimmung von vier Konstanten —- event. seche,
wenn die Neigung der Platte gegen die Kollimationslinie merklich ist und nicht
durch direkte Messung bestimmt werden kann — erforderlich, die nach der
Methode der kleinsten Quadrate erfolgt.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 16
2238 VIs,5. Frite Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
duktion photographischer Sternörter sogleich Aberration, Präzession
und Nutation hinein, da sie nur die Orientierung der Platte und den
Skalenwert beeinflussen, und erhält sie soınit bezogen auf ein belie-
biges Äquinoktium, auf welches man die Örter der Anhaltsterne nur
ebenfalls zu beziehen hat; duch darf das gewählte Äquinoktium wegen
der meist nicht hinreichend genauen Kenntnis der Eigenbewegungen
der Anhaltsterne nicht zu weit von der Beobachtungsspoche abliegen.
Bei den Beobachtungen am ruhenden Fernrohr verläßt man sich
auf die völlige zeitliche Unveränderlichkeit der Richtung des Fern-
rohrs zum Erdkörper im Verlauf der Messungsreihe; um Störungen
durch Wind, Erschütterungen usw. möglichst zu vermeiden, wird man
die AR.-Differenz der beiden Objekte nicht zu groß werden lassen und
auf wenige Zeitminuten beschränken. Die Anwendung des Uhrwerks
setzt bei der visuellen Beobachtung die genaue Mitführung des Fern-
rohrs während der Messung voraus, derart, daß seine optische Achse
in der Zeit zwischen den Pointierungen auf die beiden Objekte un-
veränderlich auf denselben Punkt des Himmels gerichtet bleibt, das
Uhrwerk wird gewissermaßen anstelle der täglichen Bewegung zur
Messung mitbenutzt. Tatsächlich läßt sich das Uhrwerk heutzutage
in großer technischer Vollkommenheit herstellen‘), wie sie für die
nur kurze Zeit (kaum mehr als etwa 20 Sekunden) erfordernde visuelle
Beobachtung stets ausreicht. Auch läßt sich der Einfluß der Fehler
des Uhrwerks durch Vermehrung und symmetrische Anlage der
Messungen völlig beseitigen. Da andererseits die persönlichen Unter-
schiede bei Durchgangsbeobachtungen durch Häufung der Messungen
nicht vermindert werden, so kommt für kleine Koordinatendifferenzen
(selten mehr als 5’, höchstens 10° die Methode des bewegten Fern-
rohrs wohl allein in Frage Bei relativ großen AR.-Differenzen,
zu denen man oft gezwungen ist, wenn in der Nähe des zu be-
obachtenden kleinen Planeten oder Kometen kein passender, d. h. durch
eine Meridianbeobachtung schon festgelegter Vergleichstern vorhanden
ist, — in d ist man durch den begrenzten Wirkungsbereich der
Mikrometerschrauben meistens an engere Differenzen (bis etwa 10’)
gebunden —, muß man hingegen am ruhenden Fernrohr beobachten.
Bei der zunehmenden Zahl der Sterne, deren Örter an Meridiankreisen
beobachtet sind oder durch die in Ausführung begriffene photo-
66) Vgl. H. Struve in ©. Struve's Festschrift®), p. 64—65, sowie F. Hayn,
Selenographische Koordinaten, 2. Abhandlung, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 29,
Nr. 1 (1904\, p. 33-886.
4. B. Refraktor: Uhrwerk, Leitfernrohr; Anschlußsterne. 229
graphische Himmelskarte zugänglich werden, wird man in naher Zu-
kunft meistens über genügend sicher bestimmte Örter nahestehender
Vergleichsterne verfügen und auf die Durchgangsbeobachtungen am
ruhenden Fernrohr immer seltener zurückzugehen brauchen.
Bei den photographischen Aufnahmen bedarf man eines gut
funktionierenden Uhrwerks nicht eigentlich zur Messung, als vielmehr
zur Herstellung scharfer Bilder; es stellt dies bei der oft langen Dauer
photographischer Expositionen®”) an die Leistungsfäbigkeit des Uhr-
werks die höchsten, kaum erfüllbaren Anforderungen, zumal noch der
störende Einfluß der mit der Zenitdistanz veränderlichen Refraktion
hinzukommt. Man verläßt sich daher nicht darauf, sondern hält das
Fernrohr, das dann nur abbildend auftritt, durch visuelle Beobachtung
eines Himmelsobjektes im Leitfernrohr mittelst der Feinbewegung,
event. des Uhrwerks selbst in unveränderlicher Lage im Raume fest‘®).
Für sehr große Teleskope, bei denen auch das Leitfernrohr nicht
völlige Zuverlässigkeit bietet, hat man durch mikrometrische Ein-
stellung der photographischen Platte selbst anstelle der Bewegung
des ganzen Fernrohrs gute Erfolge erzielt®”). Den störenden Einfluß
schnell periodischer Ungleichförmigkeiten im Gange des Uhrwerks
wies .J. Hartmann nach und gab zugleich Mittel zur Beseitigung an’®).
Die Vorteile der Methode der photographischen Ortsbestimmung
gegenüber der visuellen sind vor allem die Kürze der Beobachtungs-
zeit am Fernrohr und die Fülle des Materials, das sie ın dieser Zeit
für die eigentliche, unter bequemeren äußeren Verhältnissen vor-
zunehmende Ausmessung beschafft; sie kommt daher vor allen zur
Massenbeobachtung zur Anwendung.
67) Die Expositionsdauer, die beim Monde einige Sekunden beträgt, steigt
bei Fixsternen auf wmehrere Minuten bis zu einer Stunde und noch weiter an
und erreicht bei Nebelaufnahmen zuweilen sogar über 24 Stunden.
63) Da das Sucherfernrohr seiner nicht genügend festen Verbindung mit
dem Hauptfernrohr wegen nicht ausreicht, konstruiert man eigene Leitfernrohre,
die nach dem Vorgange der Gebrüder Henry (Paris) mit dem photographischen
Fernrohr in ein gemeinsames Rohr einbezogen werden, vgl. Ambronn, Scheiner ®°\.
69) Vgl. A. A. Common, Note on an apparatus for correcting the driving of
the motor clocks of large equatorials for long photographic exposures, Lond.
Astr. Soc. Monthiy Not. 49 (1889), p. 297; G. W. Kitchey, Celestial photography
witb the 40-inch visual telescope of the Yerkes Observatory, The Astro-
pbysical Journal 12, Chicago 1900, p. 352ff. Durch Anwendung einer iso-
chromatischen Platte und eines gelben Farbenfilters wird dag Instrument für
photographische Beobachtungen verwendbar gemacht, während gleichzeitig die
Bilder für das visuelle Halten scharf bleiben.
70) J. Hartmann, Über die Korrektion eines periodischen Fehlers in der
Bewegung des Potsdamer 80 em-Refraktors, Astr. Nachr. 158 (1902), p. 1.
16*
230 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente,
Über die gebräuchlichen Dimensionen der photographischea
Refraktoren vgl. p. 252.
Dopmelbildmikrometer, Heliometer”). Eine besondere Art mikro-
metrischer Meßinstrumente bilden die Doppelbildmikrometer, bei denen
die Bilder der beiden zu beobachtenden Objekte nicht getrenut poin-
tiert, sondern die vier durch die Verdoppelung entstehenden Bilder
in geeignete Stellungen zueinander gebracht werden. Ihr Haupt-
vertreter ist das Heliometer, weiches zugleich den bisher besprochenen
Okularmikrometern gegenüber als Objektivmikrometer auftritt. Bei
ihm sind die Objektivlinsen durch einen Schnitt längs eines Durch-
messers in zwei halbkreisförmige Stücke zerlegt; diese beiden Halbkreis-
objektive lassen sich durch Mikrometerschrauben längs ihrer gemein-
samen ebenen Schnittfläche gegeneinander verschieben®!) und bewirken
dadurch eine Verdoppelung des in der Brexinebene erzeugten Bildes.
Durch Drehung des ganzen Objektivkopfes — resp. bei den neueren
Konstruktionen durch Drehung des ganzen Fernrohrs — um die
optische Achse des Fernrohrs wird die Schnittfläche parallel der Ver-
bindungslinie der beiden zu beobachtenden Objekte gestellt (Ein-
stellung in Positionswinkel} und durch Auseinanderschrauben der
Objektivhälften dann die beiden inneren der entstehenden vier Bilder
zur Deckung gebracht (Einstellung der Distanz). Dabei wird nicht
direkt das zu unscharf aufzufassende Zusammenfallen zweier Bilder,
sondern bei großen Distanzen durch kleine Drehungen im Positions-
winkel oder Veränderungen der Distanz ihr Durcheinanderschwingen
beobachtet. Bei kleineren Distanzen stellt man der zu großen Krüm-
mung des Schwingungsbogens wegen die vier Bilder zu einer geeig-
neten Konfiguration, etwa einem flachen Rhombus, zusammen, und
bei Doppelsternen schätzt man die Gleichheit der drei Abstände. Man
erhält so die relativen sphärischen Polarkoordinaten beider Objekte,
die Größe der Verschiebung gibt ein Maß für die Distanz der Objekte,
resp. wenn durch Durchschrauben der Hälften die Messung symme-
trisch wiederholt wird, ihre doppelte Distanz, die an einem Positions-
kreise abzulesende Richtung der Verschiebung den Positionswinkel”!).
Das Heliometer gestattet, im Gegensatz zum Fadenmikrometer,
71) Über die Keduktion der Heliometermessungen vgl. insbesondere
F. W. Bessel, Theorie eines mit einem Heliometer versehenen Äquatoreals,
sowie: Besondere Untersuchung des Heliometers der Königsberger Sternwarte,
beides erschienen in Bessel, Astron. Unterauch. 1, p. 1—-152 = Bessel, Abhdl. 2,
p- 109 und p. 183; P. A. Hansen, Ausführliche Methode mit dem Fraunhoferschen
Heliometer Beobachtungen anzustellen, Gotha 1827; H. Seeliger, Theorie des
Heliometers, Leipzig 1877.
4. B. Refraktor: Heliometer. Historisches. Equatorial coude. 231
die Messung sehr großer Koordinatendifferenzen — bei den neuen
Repsoldschen Heliometern bis zu 2° — und gibt auch dann noch
eine sehr große Genauigkeit. Wird dadurch die Zahl der verwend-
baren Vergleichsterne wesentlich erhöht, so kann es andererseits der
schwierigen technischen Ausführung halber nur in mäßigen Dimen-
sionen’?) hergestellt werden. Seine Anwendung beschränkt sich daher
auf gewisse besondere Aufgaben der astronomischen Ortsbestimmung,
bei denen es sich um eine hervorragende Genauigkeit und zugleich
um hellere Objekte, nicht unter 9. Größe, handelt.
Historisches zum Refraktor. Die Entwicklung der BRefraktoren,
deren Geschichte in das 18. Jahrhundert zurückgeht, trat in ein neues
Stadium mit dem von J. Fraunhofer für die Sternwarte zu Dorpat er-
bauten, 1824 aufgestellten, neunzölligen Refraktor, der in den Händen
W. Strwes zu besonderer Berühmtheit gelangt ist”®). Zum ersten
Male war ein gut funktionierendes Uhrwerk angebracht und dadurch
die Möglichkeit zu Beobachtungen mit dem Positionsfadenmikrometer
geboten, die besonders zu umfassenden Beobachtungen von Doppel-
sternen Anwendung fand‘). Einen weiteren Fortschritt bedeutete die
1839 erfolgte Herstellung des Pulkowaer Refraktors durch Merz und
Mahler“"), der bei einer Öffnung von 14 Zoli und einer Brennweite
von 270 Zoll eine mehr als tausendfache Vergrößerung zuließ und in
den Händen 0. Strwves ebenfalls seine wesentliche Anwendung auf
Doppelsternmessungen fand. Namhaft gemacht sei fernerhin der
Clarksche 26-Zöller des U. S. Naval Observatory in Washington.
Die heutige Leistungsfähigkeit' charakterisieren etwa der 30-zöllige
Repsoldsche Refraktor der Sternwarte zu Pulkowa, sowie die von
‚Warner und Swasey hergestellten großen Refraktoren der Liek- und
Yerkes-Sternwarte von 36 und 40 Zoll Öffnung”®). Daneben besitzen
die meisten Sternwarten Refraktoren von mittlerer Größe, von etwa
10 bis 15 Zoll Öffnung, mit denen Kometen, kleine Planeten, Doppel-
sterne usw. beobachtet werden.
Über die Aufstellung der Refraktoren („englische“, „deutsche“
Aufstellung), den Kuppelbau usw, vgl. Ambronn 2.
72) Das größte der neueren Repsoldschen Heliometer (Sternwarte in Wien-
Ottakring) besitzt eine Öffnung von 217 mm.
73) W. Struve, Beschreibung des auf der Sternwarte zu Dorpat befindlichen
großen Refraktors von J. Fraunhofer, Dorpat 1825.
74) Vgl. W. Siruve, Stellarum duplicium et multiplieium mensurae micro-
metricae, Petropoli 1887.
76) Vgl. Ainbronn 2. Eine eingehende Beschreibung des Pulkowser großen
Refraktors enthält die in Fußn. 9 zitierte Festschrift.
232 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Einen besonderen Typus bildet das nach M. Loewys Ideen nach
dem Prinzip der gebrochenen Fernrohre?) konstruierte equatorial coude,
welches sich besonders als photographisches Fernrohr durch vorzüg-
liche Mondaufnahmen bewährt hat’”).
Eine eigene Klasse von Refraktoren bilden dann die in den
letzten Jahrzehnten hinzugekommenen photographischen Refraktoren
oder Astrographen, als deren bekannteste Repräsentanten wir den nach
den Angaben der Gebrüder Henry konstruierten Pariser photographi-
schen Refraktor (Öffvung des photographischen Objektivs 34 em, des
visuellen 23 cm, Brennweite 3.4 m), der für die zur Herstellung der
photographischen Himmelskarte dienenden Instrumente vorbildlich
geworden ist‘®), und den großen Repsoldschen Refraktor des Potsdamer
astrophysikalischen Observatoriums, (Öffnung des photographischen
Objektivs 80 cm, des visuellen 50 cm, Brennweite 12 m) beiimdäts
namhaft machen ’®).
Das Heliometer wurde um die Mitte des 18. Jahrhunderts von
John Dollond®) konstruiert zum Zwecke der Bestimmung des Sonnen-
durchmessers und trägt daher seine Bezeichnung. Eine neue Epoche
begann für das Heliometer mit der Fertigstellung des großen sechs-
zölligen Fraunhoferschen Heliometers der Sternwarte zu Königsberg
(1829) und seiner Anwendung durch F' W. Bessel‘').. Dem Hauptnach-
teile dieser älteren Heliometer, daß die Objektivhälften sich auf ebenen
Schiebern bewegten und demnach die Bilder nur weit außerhalb der opti-
schen Achse und nicht im Brennpunkt beobachtet werden konnten !®),
begegmete A. Repsold, indem er bei seinen neueren Heliometern®!) die
Objektivschieber auf Zylinderflächen, deren Achse senkrecht zur
optischen Achse durch den Brennpunkt geht, sich bewegen läßt; die
Beobachtung erfolgt nun stets bei scharfen Bildern in nächster Nähe
77) Beschreibung des „equatorial coude“ bei M. Loewy, Paris (.R. 96 (1883)
und M. Loewy, Paris Bull. astr. 1 (1884), p. 265, p. 370 und p. 421; sowie Am-
bronn 2.
78) Über diese Instrumente vgl, neben Ambdronn 2, Scheiner‘) und
Scheiner ®*®), die Einleitungen zu den Katalogen der photographischen Himmels-
karte.
79) Die beiden photographischen Refraktoren des Potsdamer Instituts be-
schreibt H. C. Vogel, Publikationen des astrophysikalischen Observatoriums zu
Potsdam 15, 1'= Stück [Nr. 45], Potsdam 1907.
80) J. Dollond, Description of & contrivance for megsuring small angles,
Lond. Phil. Trans. 1758.
81) Zylinderführung zuerst 1849 bei dem Heliometer der Sternwarte zu
Oxford; J. Fraunhofer hatte den entsprechenden Wunsch F. W. Bessels der
technischen Schwierigkeiten wegen nicht ausgeführt.
5. Fehler: Instrumentalfehler geometrischer Natur. 233
der optischen Achse. Die Messung der Verschiebung der Objektiv-
hälften, welche bei den älteren Heliometern mit Hilfe der sie be-
wirkenden Mikrometerschrauben erfolgte, geschieht jetzt an zwei
(zylindrisch gekrümmten) Skalen, welche in die Objektivschieber fest
eingelassen sind und mit ihren Teilungen aneinander liegen.
5. Die Fehler der Instrumente und ihre Bestimmung.
Geometrische Fehlerquellen.
Die Anforderungen an die Einrichtung und Wirkungsweise der
im vorigen skizzierten Instrumente und Methoden zur exakten astro-
nomischen Ortsbestimmung lassen sich in der Praxis nicht in aller
Strenge verwirklichen, und ihre gelegentliche Verwirklichung würde
infolge störender thermischer und Schwereeinflüsse nicht von Dauer
sein können. Weder wird die Absehenslinie dauernd die Koordi-
natenkurven eines sphärischen Systems beschreiben, noch, wenn dies
selbst durchführbar wäre, das sphärische System des Instruments
mit dem astronomischen dauernd in aller Strenge übereinstimmen.
Die Praxis muß sich damit begnügen, die mathematische Idee des
Instruments angenähert zu verwirklichen, indem sie die sogenannten
Instrumentalfehler gewisse kleine Beträge nicht überschreiten läßt.
Auch in dieser Beschränkung erfordert ein jedes Instrument die voll-
kommenste technische Ausführung und muß mit Korrektionseinrich-
tungen versehen sein, welche die Instrumentalfehler in jenen engen
Grenzen zu halten gestatten.
Danach können die in der besprochenen Weise erhaltenen
Koordinaten nicht in Strenge den äquatorealen entsprechen. Die
Untersuchung und Theorie eines Instruments hat vielmehr zu zeigen,
wie man aus den fehlerhaften Angaben des Instruments fehlerfreie,
d. h. seiner Idee entsprechende Daten ableiten, wie man die Be-
obachtungen von den Instrumentalfehlern befreien kann. Dazu hat
sie die damit im engsten Zusammenhang stehende Aufgabe zu lösen,
diese Instrumentalfehler durch geeignete Kombination der Beobachtungen
selbst zu bestimmen, wofür die Art, in welcher die Instrumentalfehler
die beobachteten Koordinaten verfälschen, stets Methoden an die Hand
gibt. In früherer Zeit benutzte man diese Bestimmung der Instru-
mentalfehler, auch bei fest auf Sternwarten aufgestellten Instru-
menten, dazu, sie durch die erwähnten Korrektionsvorrichtungen mög-
lichst zu beseitigen. Seit etwg einem Jahrhundert aber, vor allem
seit F. W. Bessel — auch schon Tobias Mayer berücksichtigte rech-
nerisch die Instrumentalfehler, — zieht man es vor, sie nur ganz
selten, aobald sie jene engen Grenzen zu überschreiten beginnen, zu
234 VlIa,5. Fritz Cohm. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
korrigieren; man legt die Beobachtungen, wenn möglich, so an, daß
sie es gestatten, gleichzeitig die Instrumentalfehler zu bestimmen und
sie durch geeignete Kombination der Beobachtungen aus ihnen ganz
zu eliminieren. Ein wichtiges Hilfsmittel bietet z. B. die Möglichkeit,
dasselbe Objekt in zweierlei Lagen des Instruments beobachten zu
können; man erreicht dies bei dem Universalinstrument (Refraktor)
durch sogenanntes „Durchschlagen“ des Fernrohrs, d. h. Drehung um
die Nebenachse über den Pol hinweg um die doppelte Poldistanz,
unter gleichzeitiger Drehung um die Hauptachse um 180° beim
Meridiankreis (oder Passageninstrument) durch „Umlegen“, d. h. ın-
dem man das Instrument nach Herausheben aus seinen Lagern um
eine vertikale Achse um 180° dreht und dadurch die beiden Lagerenden
vertauscht. Die Bestimmung der Instrumentalfehler hat dann oft
mehr ein instrumentelies Interesse und ist zur Beurteilung der Zu-
verlässigkeit des Instruments wertvoll, als daß sie zur Reduktion der
Beobachtungen erforderlich wäre; aber gerade dieses instrumentelle
Interesse kann nur durch eine fortlaufende Reihe von Bestimmungen
befriedigt werden, während deren kein Eingriff in das Instrument
vorgenommen. ist.
Bei der Erörterung der Fehler selbst und ihrer Bestimmung be-
schränken wir uns auf die beiden Haupttypen von Präzisionsinstru-
menten, indem wir die Beobachtung der absoluten Koordinaten am
Meridiankreis und der relativen am Refraktor getrennt behandeln, und
verweisen im übrigen auf die Literatur.
A. Instrumentalfehler des Meridiankreises.
Die Instrumentalfehler des Meridiankreises sind von zweierlei
Art. Ist das eigentliche Instrument in allen seinen Teilen fehlerfrei,
so gibt es sphärische Koordinaten, aber in seinem eigenen, durch
Richtung der Umdrehungsachse und Nullpunkt des Kreises fest-
gelegten System. Es handelt sich also einmal um die Fehler des
eigentlichen Instruments (der Visierlinie und der Drehungsachse), in-
folge deren es keine sphärischen Koordinaten gibt, und die sogenannten
Aufstellungsfehler, infolge deren selbst das in sich völlig berichtigte
Instrument sphärische Koordinaten in einem anderen System liefert
als es seiner Idee entspricht. Bei der praktischen Bestimmung der
Fehler vermischen sich allerdings beide Fehlerarten zuweilen mit-
einander. Diese Fehlerbestimmung kann zum Teil nur durch irdische
Beobachtungen erfolgen, zum Teil nur dureh Beobachtung cölestischer
Objekte. Der größeren Bequemlichkeit der ersteren Bestimmungsart
5. A. Instrumentalfehier des Meridiankreises. 235
gegenüber bietet die letztere dadurch große Vorzüge, daß bei ihr die
Gleichartigkeit der näheren Umstände mit denen der eigentlichen
Beobachtungen weit mehr gewährleistet werden kann.
Die Abweichung der Richtung der Drehungsachse von der hori-
zontalen Ost-Westrichtung hat, sobald- man sich auf Größen erster
Ordnung in den Fehlern beschränken kann, nur Einfluß auf die
Rektaszensionen, der Nullpunkt des Kreises betrifft nur die Deklina-
tionen. . Die Richtung der Umdrehungsachse — im Sinne von Ost nach
West — fixiert man durch ihre horizontalen oder äquatorealen
Koordinaten (Azimut = 90° — k, Höhe oder Neigung = i, Stunden-
winkel = 90° — m, Deklination = n). Dazu kommen nun die inneren
Fehler des Instruments hinzu. Die Abweichung des Winkels der
Kollimationslinie (p. 198), d.h. der dureh den optischen Mittelpunkt des
Öbjektivs und den Meridianfaden oder eine bestimmte Nullstellung
des beweglichen Fadens fixierten Richtung, gegen die Umdrehungs-
achse von einem rechten Winkel bewirkt, daß die Absehenslinie
einen kleinen Kugelkreis am Himmel beschreibt. Kompliziert werden
die Verhältnisse dadurch, daß bei der massiven Form der Zapfen,
wenn sie nicht genau kreiszylindrisch und koaxial sind, von einer
Umdrehungsachse im mathematischen Sinne nicht gesprochen werden
kann. Die Zapfenfehler, d. b. die Abweichung des Zapfenquerschnittes
von der Kreisform, bewirken vielmehr eine weitere Abweichung der
Absehenslinie vom Meridian; endlich kommt noch eine laterale Ab-
lenkung der Gesichtslinie durch eine unsymmetrische Durchbiegung
der Drehungsachse in Frage. Da es kaum möglich wäre, die wahre
Form der Kurve, welche die Absehenslinie bei der Drehung des Fern-
rohrs am Himmel beschreibt, resp. ihren Stundenwinkel in den ver-
schiedenen Deklinationen zu bestimmen, so begnügt man sich in der
Praxis damit, in erster Näherung die Form der Zapfen als kreis-
zylindrisch, ihre Achsen als starr und zusammenfallend und die
Kollimationslinie bei allen Drehungen des Fernrohrs als starr mit
dieger gemeinsamen Achse verbunden anzusehen. Hat ihr Winkel
gegen diese Umdrehungsachse des Fernrohrs den Wert 90° +c, so
bezeichnet man c als den Kollimationsfehler und bestimmt ihn durch
Pointieren einer irdischen Marke (Kollimator, Mire) oder eines Pol-
sterns®!®) in den beiden Lagen des Instruments — wobei man von
den Zapfenfehlern allein eine durch Achsennivellement in beiden
Lagen bestimmbare Ungleichheit der Zapfendicken zu berticksichtigen
81*) „Polsterne“ resp. „Hohe Polsterne“ nennt man die dem sichtbaren
Himmelspol nahe resp. sehr nahe stehenden Sterne.
236 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
pflegt — oder durch mikrometrische Messung des Abstandes des
Meridianfadens von seinem im Quecksilberhorizont®?) entworfenen
Spiegelbild, resp. der Koinzidenzstellung des beweglichen Fadens und
seines Spiegelbildes. Im letzteren Falle vermeidet man das Um-
‚legen des Instruments, muß aber die Neigung der Umdrehungsachse
kennen. Diese Neigung bestimmt man im allgemeinen durch die
Wasserwage, wobei ebenfalls für die beiden verschiedenen Lagen des
Fernrohrs eventuell die ungleiche Zapfendicke zu berücksichtigen ist.
"Das Azimut k des Fernrohrs, d. h. der Meridian selbst, läßt sich unab-
hängig nur durch cölestische Beobachtungen festlegen (s. VIa,2
[F. Cohn], p. 23) durch Beobachtung der Durchgangszeiten von Zirkum-
polarsternen in oberer und unterer Kulmination. Damit ergibt sich
dann als Korrektion der beobachteten Durchgangszeit T durch den
Meridianfaden:
AT=[icos (pp — 6) + ksin (P — 6) + c]secd,
die sogenannte Tobias Mayersche Formel®), und als Rektaszension
des beobachteten Gestirns
e=- THAT+AT.
Über die ineinandergreifende Bestimmung der Uhrkorrektion und der
Rektaszensionen, sowie den Übergang von den AR.-Differenzen zu
den absoluten Rektaszensionen vgl. ebenfalls VI2,2 (F. Cohn), p. 21—30.
Für die praktische Rechnung bequemer ist die Besselsche Formel)
für AT:
AT=m+tnrtgöd-esecd,
in welcher man » wie oben bestimmt, während man m und damit
die Neigung, wenn sie während einer Beobachtungsreihe konstant ist
und es sich nicht um die absolute Zeit handelt, garnicht zu kennen
braucht. Andernfalls bestimmt sich m aus der Formel
m=isecep—ntgp.
Eine andere Anordnung der Formel siehe z. B. bei P. A. Hansen”).
In der Praxis verfügt man über die genauen Rektaszensionen
hinreichend vieler Sterne, insbesondere Polsterne®'*), um nicht auf die
unabhängige Bestimmung des Meridians angewiesen zu sein. Indem
82) Eingeführt von @. C. Bohnenberger, Astr. Nachr. 4 (1826), p. 327.
83) Tob. Mayer, Observationes astronomicae quadrante murali habitae in
observatorio Gottingensi (Opera inedita 1, Gottingae 1775, p. 19).
84) F. W. Bessel, Königsb. Beob. 2 (1816), Einleit.
86) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 6 (1828), p. 421-458.
5. A. Instrumentalfehler des Meridiankreises, 237
man die Uhrkorrektion
AU=a-T-AT
aus zwei Sternen von möglichst verschiedenen Deklinationen 6, und Ö,
bestimmt, erhält man eine Beziehung, aus der sich k oder n ab-
leiten läßt:
y— Dd —&— T)+elecd,—secd,)
tg d, —tgd,
Aueh kann die Festlegung des Meridians durch Beobachtung ent-
fernter irdischer Marken (Meridianzeichen, Miren) erfolgen, deren
Azimut nur ebenfalls durch cölestische Beobachtungen unter Kontrolle
. gehalten werden muß.
Über die Beobachtung reflektierter Sternbilder, sowie andere
Methoden zur Neigungs- und Kollimationsfehlerbestimmung vgl. z. B.
Brünnow, p. 487 ff, sowie P. Harzer ?®).
Seltener nur wird der Zapfenform — abgesehen von der er-
wähnten Zapfenungleichheit — Rechnung getragen; man kann sie
einmal durch Nivellement oder Fühlhebeluntersuchung bei verschiede-
nen Fernrohrstellungen prüfen. Eine besonders eingehende Unter-
suchung gestatten die Methoden, bei denen auf der Stirnseite der
Zapfen einzelne Punkte durch Marken kenntlich gemacht und ihre
Ortsveränderung bei der Drehung des Fernrohrs mikrometrisch, z. B.
mit Hilfe eines in der Richtung der durchbohrten Achse aufgestellten
Fernrohrs, eines sogenannten Achsenkollimators, gemessen wird®®).
Die Berücksichtigung dieser Abhängigkeit der im Achsenkörper
festen, d.h. durch ein festes c charakterisierten Richtung (m, n) von
N ==
86) Über die verschiedenen Formen der Methode vgl: @. B. Airy, Exami-
.nation of the form of the pivots of the altitude and azimuth instrument, Greenw.
Obs. 1847, p. xx; J. Challis, A method of correcting the .errorg due to the
forms of the pivots of # transit instrument, Lond. Astr. Soc. Mem. 19 (1851),
p. 108; Y. Villarceau, Etude sur le mouvement de rotation de la lunette meri-
dienne, Obs. de Paris Ann., Mem. 7 (1868), p. 307; M. Loewy et Perigaud, Etude
des flexions du grand cercle meridien, flexion en distance polaire, flexion laterale
et de la forme des tourillons, ä l’aide de l’appareil imagine par M. Loewy, Obs.
de Paris Ann., Me&m. 16 (1882); M. Hamy, Controle des tourillons d’un instru-
ment meridien par la methode interförentielle de M. Fizeau, Paris Bull. astr. 12
(1895), p. 49; A. A. Rambaut, On a very sensitive method of determining the
irregularities of a pivot, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 65 (1904), p. 56;
B. Wanach, Über die Bestimmung der Form der Zapfen eines Durchgangs-
instruments mittels eines Achsenkollimators, Straßb. Sternw. Aun. 2 (1899),
Annex B. Diese letztere Arbeit zeigt zugleich, wie gering die Zapfenfehler der
modernen Repsoldschen Meridiankreise sind (< 0*.01), während allerdings manche
andere Instrumente (vgl. die zitierte Arbeit von A. A. Rambaut*®)) wesentlich
größere Fehler besitzen.
f
238 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
der Rotationsphase des Fernrohrs geschieht in der Praxis in Ver-
bindung mit dem als veränderlich angesehenen Kollimationsfehler
derart, daß die Richtung der Visierlinie auf eine bei der Drehung
des Fernrohrs im Raume unveränderliche, durch die Lagerstellen
charakterisierte Richtung bezogen wird, deren Koordinaten selbst in
der oben besprochenen Art zu bestimmen sind.
Über eine etwaige laterale Biegung der Achse kann man durch
Kollimationsfehlerbestimmungin verschiedenen Zenitdistanzen Aufschluß
erhalten. Einen Anhalt für diese instrumentalen Unregelmäßigkeiten
gibt die Vergleichung der so baGEAARN in den beiden Lagen des
Instruments.
Bei den Deklinationen handelt es sich zunächst um die Über-
einstimmung des Drehungswinkels der Visierlinie und des Unterschieds
der Mikroskopablesungen, welche durch eine dem Einfluß der Schwere,
sowie auch strahlender Wärme entspringende und somit von der
Zenitdistanz abhängende ‚Biegung sowohl des Fernrohrs wie des Kreises
und außerdem durch die Teilungsfehler des Kreises in Frage gestellt
wird®”). Eine Biegung der optischen Achse allein kann durch eine
unsymmetrische Biegung der beiden Rohrhälften, durch ein Schlottern
des Objektive oder Okulars, eine Durchbiegung des horizontalen
Fadens usw. verursacht und oft durch Vertauschung von Objektiv-
und Okularhälfte eliminiert werden. Durch direkte Instrumental-
untersuchung läßt sich die Biegung im Horizont mit Hilfe sogenannter
Kollimstoren bestimmen, welche die horizontale Lage des Fernrohres
bei Objektiv Süd und Objektiv Nord zu bestimmen und zu vergleichen
87) Die Biegung und die verschiedenen Methoden, sie zu untersuchen, be-
handelt ausführlich W. Valentiner in seinem Handwörterbuch 1, p. 575—592.
Die Reichenbachsche Methode, durch Hebelvorrichtung die Rohrbiegung zu be-
seitigen, wurde bald aufgegeben. Die erste Biegungsbestimmung (durch reflek-
tierte Sternbilder) führte F.W. Bessel aus, vgl. Königsb. Beob. 7 (1822), Einl.,
die Methode der Kollimatoren entwickelte er Astr. Nachr. 8 (1824), p. 209
== Bessel, Abhdl. 2, p. 48, vgl. auch Königeb. Beob. 10 (1826), Einl. Die Ver-
tauschung von Objektiv und ÖOkular schlug zuerst wohl J. @. Repsold (1823
oder 1824) vor, vgl. Hansen‘), p. 66. Sie wurde zwar beim Pulkowaer Meridian-
kreise #") durchgeführt, bein Königsberger aber auf A. Repsolds Rat mancher Be-
denken wegen aufgegeben. Neuerdings wird sie wieder angewandt. Von neueren
Arbeiten vgl. J. Bauschinger, Neue Annalen der Sternwarte in Bogenhausen bei
München 2 {1891), 4. Teil, wo u. a. auch der Einfluß der Temperatur auf
‚die Rohrbiegung erörtert wird. Theoretisch behandeln den Einfluß der Schwere
auf den Kreis F\. W. Bessel, Astr. Nachr. 25 (1846), p. 1-42 = Bessel, Abhdl. 2,
p. 182, und P. Harzer, Astr. Nachr. 141 (1896), p. 321. Vgl. ferner P. Harzer *?)
Über die Priorität des Fernrohrbiegungsapparates nach den Vorschlägen von
P. 4. Hansen, K. F. Pape, E. Kayser, A. Marth und M. Loewy.
«
d. A. Instrumentalfebler des Meridiankreises. 239
gestatten. Setzt man den gesamten Biegungsefiekt in Form einer
trigonometrischen, nach den Vielfachen der Zenitdistanz fortschrei-
tenden Reihe an, so kann man alle Glieder bis auf die von den ge-
raden Vielfachen von 2 abhängenden Sinusglieder durch Kombination
von Beobachtungen in beiden Lagen des Fernrohrs, durch Vertau-
schung von Objektiv und ÖOkular, sowie auch durch Beobach-
tungen direkter und reflektierter Bilder von Sternen beseitigen resp.
bestimmen. Doch fallen diese letzteren Bestimmungen infolge lokaler
Saalrefraktion meist unsicherer aus®’*), Im übrigen ist der Einfluß
der gesamten Biegung bei den modernen Meridianinstrumenten stets
sehr gering®®?).
Der Übergang zu den absoluten Deklinationen erfordert die Be-
stimmung der Lage des Kreisnullpunkts zu einem der Fixpunkte
des Koordinatensystems, resp. die Festlegung dieser Fixpunkte auf
dem Kreise. Den Nadirpunkt?®*) des Kreises bestimmt man durch Be-
obachtung der Koinzidenz des Horizontalfadens mit seinem vom Queck-
silberhorizont reflektierten Spiegelbilde und geht durch Vermittlung
der Polhöhe zu Deklinationen über. In früherer Zeit bestimmte man
direkt den Polpunkt®®®) des Kreises durch Beobachtungen des Polar-
sterns in oberer und unterer Kulmination, indem man sich auf die
Unveränderlichkeit des Polpunktes in der Zwischenzeit verließ.
Ganz analog ist die Behandlung der Beobachtungen am Passagen-
instrument und Vertikalkreis, nur werden hier gewöhnlich die Be-
87%) Über diese sogenannte R-]D difference (reflektiert minus direkt), die
J. Pond an den Instrumenten der Greenwicher Sternwarte entdeckte, vgl. @. B. Airy,
On the discordance between the results for zenith distances obtained by direct
observation and those obtained by observation by reflexion from the surface of
quicksilver, Lond. Astr. Soc. Mem. 32 (1863), p. 9; W. H. M. Christie, On the
systematic errors of the Greenwich north polar distances, Lond. Astr. Soc.
Mem. 45 (1880), p. 151, sowie die Jahresbände der Greenw. Obs. Vgl. auch
die Introduction zum „Cape Catalogue for 1885 [Catalogue of 1713 stars, for
the equinox 1885.0, from observations made at the R. Observatory, Cape of
Good Hope, London 1894] und J. R. Eastman, Astron. Journ, 19 (1899), p. 178
und 21 (1900), p. 1.
88) Die Koeffizienten der Hauptglieder erreichen selten mehr als 4”; (vgl.
x. B. E. Großmann‘*) und L. Courvoisier®®). Die Biegung des Pulkowaer Ver-
tikalkreises bestimmte ©. A. F\ Peters, Poulkova Obs. 14 (1888), p. (38) zu — 0.885
ainz. J. Bauschinger ‘®), p. 52 findet die horizontale Biegung des Münchener
Meridiankreises im Mittel aus 9 gut übereinstimmenden Reihen ganz ver-
schwindend. -
88°) „Nadirpunkt‘“ und „Polpunkt‘‘ des Meridiankreises bedeuten die Kreis-
sblesungen bei denjenigen Stellungen des Fernrohrs, bei denen die Absehens-
linie nach dem Nadir bzw. nach dem sichtbaren Himmelspol zeigt.
240 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
obschtungen eines jeden Objekts bei einem Meridiandurchgang nach-
einsnder in beiden Lagen des Instruments angestellt, wodurch im
ersteren Falle die Bestimmung des Kollimationsfehlers, im zweiten
die des Zenitpunktes überflüssig wird, indem die Lage der Mikroskop-
träger gegen den Horizont durch ein Niveau kontrolliert wird.
Die Leistungen eines Meridiankreises hängen aufs wesentlichste
von der Genauigkeit der Instramentaluntersuchung ab. Die steigende
Exektheit der technischen Ausführung und die zunehmende Erkennt-
nis der Fehlerquellen lassen heutzutage diese Kritik des Instraments
in unvergleichlich eingehenderer Weise vornehmen als noch vor wenig
Jahrzehnten, andererseits kann und muß man an die Schärfe der fun-
damentalen Ortsbestimmungen weit strengere Anforderungen stellen
als früher. Indem sonach nichts, was aus der technischen Werkstatt
des Künstlers kommt, ohne Prüfung als fehlerfrei angesehen wird,
erfordert die kritische Untersuchung z. B. eines neuen Repsoldschen
Meridiankreises trotz oder gerade wegen seiner vorzüglichen Ausführung,
wenn man sich nicht auf differentielle Beobachtungen beschränken will,
eine Unsumme von Arbeit. In dieser Hinsicht muß auf die Publi-
kationen zahlreicher Sternwarten, unter denen die von Pulkowa be-
sonders namhaft gemacht seien‘), verwiesen werden. Besondere
Spezialarbeıten betreffen die Untersuchung der Teilungsfehler der
Kreise, der Biegung usw., und umfassende Beobachtungsreihen gelten
dem besonderen Studium der atmospbärischen Refraktion [vgl. VI2,6
(Bemporad)] und ihres Einflusses auf die gemessenen Zenitdistanzen.
Indem bezüglich der erzielten Gesamtgenauigkeit auf Nr. 7 ver-
wiesen wird, mögen hier noch einige Angaben über die in der
Untersuchung der einzelnen Fehlerquellen angestrebte Schärfe, über
den für die Häufigkeit der Nachprüfung maßgebenden Grad von
zeitlicher Konstanz dieser Fehlerquellen usw. folgen.
Während ein Teil der Instrumentaluntersuchung, z. B. die Unter-
suchung der Hilfsapparate, der Zapfenform, der Biegung, der Re-
fraktion, nur einmal angestellt und nur nach einem längeren Zeitraum
gelegentlich geprüft zu werden braucht, damit man gegen etwaige
Veränderungen durch Abnutzung gesichert sei, muß ein anderer Teil
der Instrumentalfehler dauerad unter Kontrolle gehalten werden. Dazu
gehören z. B. der Run der Mikroskope, der Schraubenwert der Mikro-
meterschrauben, der Kollimationsfehler, vor allem aber die eigentlichen
Aufstellungsfehler: Azimut und Neigung, sowie Zenitpunkt. Auch
diese halten sich freilich bei den bestgelungenen Instrumenten lange
Zeit nahezu konstant. Die heutige Schärfe der eigentlichen Be-
ebachtung läßt es aber nicht mehr zu, wie es früher, z. B. noch von
5. A. Instrumentalfehler des Meridiankreises. 341
F. W. Bessel geschah, für Azimut und Neigung, Nullpunkt des Kreises usw.
wochenlang einen konstanten Wert anzunehmen. Schon die unzweifel-
haft auftretenden, wiederholt bei den besten Instrumenten nachge-
wiesenen, wenn auch geringfügigen, täglich - periodischen, von der
Temperatur abhängigen Schwankungen der Aufstellung erfordern eine
Berücksichtigung, wenn die höchsten Leistungen verlangt werden.
Beispiele solcher täglich-periodischen Schwankungen an Instrumenten
von sonst sehr konstanter Aufstellung finden sich in Straßburg*”),
wo die Neigung im Durchschnitt von fast zwei Jahren um 6a.m. ihren
größten, um 6p.m. ihren kleinsten Wert bei einer Amplitude von 0°.026
‘erreicht und das Azimut sich ähnlich verhält; ferner in Bonn®®),
wo der Zenitpunkt im Laufe eines Abends ich um 0”.44 pro 1°
Temperaturzunahme ändert. In Heidelberg°) ändert sich, bei vorzüg-
licher Konstanz während eines Abends, der Zenitpunkt in längeren
Zeiträumen um + 0”.14 (Kreis Ost), -— 0°.11 (Kreis West) pro 1°
Temperaturschwankung”*). Zuerst wohl in Pulkowa (begründet 1839)
hat man eine weit häufigere und schärfere Bestimmung der Instru-
mentalkonstanten zur Regel gemacht und bestimmt dort an dem
großen Passageninstrament täglich mehrere Male Neigung und Azimut
durch Wasserwage und Mire, welche letztere durch systematische
Polsternbeobachtungen unter Kontrolle gehalten wird, während beim
Vertikalkreis der Zenitpunkt durch Beobachtung in beiden Lagen
direkt eliminiert wird. An anderen Sternwarten, bei denen die
Konstanz der Aufstellung entweder hiureichend sicher nachgewiesen
oder infolge differentieller Anlage der Beobachtungen nicht so er-
forderlich ist, begnügt man sich auch jetzt noch mit einer täglich
ein- bis zweimaligen Bestimmung der Aufstellungsfehler. In jedem
Falle muß man suchen, die Genauigkeit in der Bestimmung der In-
strumentalfehler, in der eigentlichen Beobachtung und in den zur
weiteren Reduktion der Beobachtungen zur Verfügung stehenden Daten
in Einklang zu bringen. Die Möglichkeit zu einer solchen häufigeren
und schärferen Bestimmung beruht einmal in der systematischeren
Einführung der Miren, Kollimatoren, des Quecksilberhorizonts usw.,
dann in der weit größeren Zahl und Genauigkeit der Örter der Fun-
damentalsterne, die für die Bestimmung der Uhrkorrektion und des
89) E. Becker, Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. XXIX.
90) L. Courvoisier, Untersuchungen über die astronomische Refraktion,
Veröffentliohungen der Sternwarte zu Heidelberg, Astrometrisches Institut 3,
Karlsruhe 1904, p. 27/28.
90*) Vgl. auch @. W. Hough, Determination of the cause for variation of
level and azimuth in fixed meridian instruments, Astr. Nachr. 163 (1903), p. 209.
242 VIs,5. Fritz Colm. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Azimuts, wie für die differentielle Anlage der Beobachtungen wesentlich
ist. Entsprechend einer heute erstrebten und unter den günstigsten
Verhältnissen auch erreichbaren Genauigkeit der Ortsbestimmung von
0,01 und 0”.1 sucht man daher die Instrumentalkonstanten mit ent-
sprechender, d. h. auf wenige 0.001 und 07.01 zu schätzender Ge-
nauigkeit zu bestimmen. In wieweit dies gelingt, mögen einige nu-
merische Angaben für neue BRepsoldsche Meridiankreise zeigen.
F. Küstner"”) findet am Bonner Meridiankreise den mittleren Fehler
eines Nivellements der Achse — bestimmt aus 191 Doppelnivelle-
ments bei horizontaler Fernrohrlage mit Objektiv Süd und Objektiv
Nord und aus der Vergleichung ihres Unterschieds —
= + 0.007;
es entspricht das, bei einer Achsenlänge von 1 Meter, einer relativen
Hebung des einen Zapfens gegen den andern um + 0.5 u®®), Die
durchschnittliche Differenz zweier im Mittel um etwa 3 Stunden
abstehenden Doppelnivellierungen ergibt sich aus 46 Abenden zu
+ 0.012, so daß sich die Neigung sehr konstant gehalten hat. —
Der Kollimationsfehler wurde durch Einstellung der Kollimatoren
unter zweimaligem Umlegen des Fernrohrs bestimmt; die Vergleichung
der 67 aus Süd- und Nordkollimator erhaltenen Werte ergibt den
mittleren Fehler einer solchen Doppelbestimmung
und eine derartige Konstanz (in 5, Jahren schwankte er nur zwischen
0,00 und —- 0*,07), daß eine monatlich einmalige Bestimmung
genügte. Für die Bestimmung von », d, h. der Deklination des
Westendes der Achse, aus Polsternen ergaben 164 mehrmalige, durch-
schnittlich um 2».9 abstehende Bestimmungen eines Abends einen
mittleren Fehler
&,= + 0.030,
worin aber neben dem reinen Beobachtungsfehler auch noch die
reelle Lagenänderung der Achse in der Zwischenzeit und die AR-
Fehler der Polsterne eingehen, Für die Zweeke der Zonenbeobach-
tungen reichte auch diese Genauigkeit völlig aus.
Ferner ergaben sich für den mittleren Fehler einer Nullpunkts-
bestimmung des Aepsoldschen Kreises der Sternwarte Heidelberg”)
mit dem Quecksilberhorizont folgende Werte: Der mittlere Fehler
einer Nadireinstellung mit dem Mikrometerfaden zu + 0”.20, der
mittlere Fehler einer Kreisablesung zu + 0”.055, der mittlere Fehler
einer Bestimmung des Nadirpunkts am Kreise aus 10 bis 12 Ein-
5. B. Instramentalfehler des Refraktors und Heliometers. 243
stellungen und einer Kreisablesung zu -+ 0”.09. Hingegen findet sich
aus 382 Doppelbestimmungen, die durchschnittlich je 2 Stunden aus-
einander lagen, der letztere Wert = + 0”.13, worin die Änderung
in der Zwischenzeit einbegriffen ist, eine vorzügliche Konstanz, wie
sie nur selten vorkommt.
Ferner sei noch die wesentliche Steigerung in der Genauigkeit
der Instrumentalfehlerbestimmung erwähnt, die 7h. Albrecht an den zur
geographischen Längenbestimmung dienenden Passageninstramenten
des Potsdamer geodätischen Instituts nach Einführung des Repsold-
‚schen Registriermikrometers konstatiert??). Der mittlere Fehler einer
Neigungsbestimmung geht, da nunmehr das Niveau nicht mehr um-
gehängt zu werden braucht, von + 0°.025 auf -+- 0°.010, der eines
Azimuts von + 0%.047 auf + 0*.040 herab.
Die heute erzielbare Konstanz der Mirenaufstellung beleuchtet
die Tatsache, daß es gelang, die durch die Bewegung des Erdpols
erzeugte Änderung des Meridians und damit des Azimuts der Miren
in den Beobachtungen des letzteren nachzuweisen, trotzdem es sich
aur um wenige 0”.i handelt ®®).
B. Instrumentaifehler des Refraktors.
Die Instrumentalfehler des Äquatoreals (allgemeiner: des Universal-
instruments) bestehen ebenfalls in inneren Fehlern — Abweichung
des Winkels der Visierlinie zur Nebenachse, der Nebenachse zur
Hauptachse von 90°, Durchbiegung des Fernrohrs und der Nebenachse,
Torsion des Fernrohrs um die optische Achse in seinen verschiedenen
Lagen — und eigentlichen Aufstellungsfehlern, bestehend in der Ab-
weichung des Instrumentpols vom limmelspol und der Kreisnull-
punkte von den Nullpunkten des äquatorealen Systems.
Sobald es sich nur um die differentiell-mikrometrische Messung
am Refraktor handelt, ist die Kenntnis dieser Instrumentalfehler, die
sich bei den modernen Refraktoren in engen Grenzen (selten mehr
als eine Bogenminute) halten, nur angenähert erforderlich; ihre Be-
stimmung braucht daher nur in größeren Zeitintervallen zu geschehen
und erfolgt durch geeignete Kombination von Beobachtungen be-
kannter Sterne in beiden Lagen des Fernrohrs („Achse vor“®e) und
„Achse Als) unter Ablesung beider Kreise und der Uhr*").
90®) A. Socoloff, Bestimmung der periodischen Bewegung der Erdpole mit-
tels der Miren des Pulkowaer großen Passageninstruments, Astr. Nachr. 132 (1893),
p. 359 und Astr. Nachr. 134 (189%), p. 233. Vgl. auch E. Becker®®), p. LVI.
90°) „Achse vor“ bedeutet, daß das den Deklinationskreis tragende Ende
Enoyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 17
244 VlI»,5. Friz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Während das Ringmikrometer, wie erwähnt, keiner besonderen
Orientierung bedarf, erfordert die Messung mit dem Fadenmikrometer
die Kenntnis der Fadenstellung zu den Hauptrichtungen des ägua-
torealen Systems. Begnügt man sich damit, was in vielen Fällen rat-
sam ist, die Richtung der täglichen Bewegung, den sog. scheinbaren,
d. h durch Refraktion verfälschten Parallel, in sitw?'!*) zu bestimmen,
so ist jede Aufstellungsbestimmung überflüssig, Dasselbe gilt für
kürzere photographische Aufnahmen, bei denen so wie so die ge-
messenen Plattenkoordinaten durch Anschluß an bekannte Anhaltsterne
zum äquatorealen System in Beziehung gesetzt werden müssen, nur
wird zuweilen die Neigung der Platte gegen die optische Achse direkt
bestimmt und berücksichtigt, vgl. W. Zurhellen®“). Bei Dauerexpo-
sitionen werden bei fehlerhafter Aufstellung die Bilder trotz scharfer
Führung verzerrt??). Hält man dagegen den Nullpunkt des Positions-
kreises, am bequemsten durch zahlreiche Bestimmungen des Parallels
ım Meridian, wo wahrer und scheinbarer Parallel zusammenfallen, unter
Kontrolle, so muß man in anderen Stundenwinkeln den Einfluß der
Instrumentalfehler auf ihn berücksichtigen °).
Das Heliometer stellt, sobald es sich um eine vollständige Orts-
bestimmung handelt, entsprechend den weit größeren Koordinatendiffe-
renzen, die mit ihm vermessen werden, an die Untersuchung des Instru-
ments, sowie seiner Aufstellung weit größere Anforderungen. Aus
diesem Grunde beschränkt man sich bei den meisten fundamentalen.
Anwendungen des Heliometers auf Distanzmessungen, die von jeder
Örientierung unabhängig sind. Es handelt sich dann allein um die
ken gereiggre der Skalen, sowie die Bestimmung des Skalenwerts.
(„Kreisende“) der Deklinationsachse einen um 90° größeren Stundenwinkel hat
als das eingestellte Gestirn. Siehe Bessel, Abhdl. 2, p. 111; Brünnow, p. 461.
91) Vgl. Besse!”Y), W. Struve*”), H. Struve in 0. Struve’s Festschrift?), so-
wie Brünnow, p. 461f. Vgl. auch M. Loewy et P. H. Puwiseux, Theories
nouvelles de l’&quatorial coude et des &quatoriaux en general, Paris 1888, ein
Sammelabdruck von 7 in Paris ©. R. 106 (1888) erschienenen Abhandlungen.
91*) Im situ bedeutet: in der momentanen Stellung (und Lage) des Fern-
rohrs.
92) J. Wilsing, Untersuchungen über die Wirkung der Aufstellungsfehler
bei photographischen Refraktoren auf die Beschaffenheit der Bilder, Asir.
Nachr. 145 (1897), p. 97.
98) Vgl. z.B. H. Struve in O. Struve’s Festschrift), p. 62. — Für die Torsion
des Fernrohrs, die besonders bei heliometrischen, auf große Distanzen bezüg-
lichen Positionswinkelmessungen berücksichtigt werden muß, fand F. W. Bessel
bei Untersuchung des Nullpunkts des Positionskreises des Königsberger Helio-
meters’®), p. 72, indem er sie in der Form p cosz ansetzte: u = 1’.9, H. Struve
in O. Struves Festschrift?), p. 61/64 fand u = 3.4.
5. Physikalische Fehlerquellen: Refraktion. 245
Diese letztere bedarf allerdings einer weit größeren Schärfe als am
Refraktor; insbesondere muß seine Abhängigkeit von Temperatur und
Okularstellung untersucht werden, wobei die Bestimmung der bei der
Reduktion anzuwendenden Temperatur manche Schwierigkeiten bereitet
und der Einfluß der Okularstellung und des davon abhängigen Aus-
sehens der Bilder in das Gebiet der persönlichen Fehler hinüberspielt.
Man schränkt diese recht umfangreichen Untersuchungen”) bedeutend
ein, wenn man die Bestimmung absoluter Distanzen aufgibt, indem
man den individuellen Skalenwert bei jeder Messungsreihe durch
Messung einer bekannten Normaldistanz selbst bestimmt und dadurch
alle Messungen auf einen festen Wert der Normaldistanz als Einheit
bezieht”). Am weitesten ausgebildet ist dieses Prinzip bei der
üblichen heliometrischen Methode der Bestimmung von Fixstern-
parallaxen (s. p. 283). Auch die Positionswinkelbestimmung wird auf
diese Weise sehr vereinfacht und mit Erfolg ausführbar”).
Physikalische Fehlerquellen.
Neben den rein geometrischen Abweichungen eines Instruments
von seiner mathematischen Idee kommen als Fehlerquellen noch ge-
wisse mehr physikalische Abbildungsfehler in Betracht, welche
eine völlige Übereinstimmung des Himmelsbildes und seines der
Messung unterliegenden Abbildes in der Brennebene des Fernrohr-
objektivs vereiteln. Es handelt sich einmal um die Verzerrung des
Himmelsanblicks durch die atmosphärische Refraktion und zweitens
um die unvermeidlichen Abbildungsfehler des Objektivs selbst. Dazu
kommen (p. 249) Fehlerquellen, welche dem photographischen Prozeß,
resp. der Unvollkommenheit des Okulars und des Auges entspringen.
Über die allgemeine Theorie der Refraktion vgl. VI2,6 (Bemporad).
Die Refraktion beeinflußt nur die Zenitdistanzen, ıhr Betrag hängt
außer von der Zenitdistanz selbst von dem meteorologischen Verhält-
nissen ab. Da die Kenntnis der letzteren längs des Weges des Licht-
strahls nieht empirisch erlangt werden kann, so begnügt man sieh in
der Praxis mit einem auf plausibeln Voraussetzungen beruhenden, durch
die Erfahrung geprüften mathematischen Ansatz, dessen Konstanten
bei fundamentalen Bestimmungen für jedes Instrument individuell ab-
94) Vgl.z.B. B. Peter, Beobachtungen am sechszölligen Repsoldschen He-
liometer der Leipziger Sternwarte, Leipzig Ges. Wiss. Abhäl, 22,4 (1895).
96) Systematisch durchgeführt in D. Gül, A determination of the solar
parallax and mass of the moon from heliometer observations of the minor planeta
Iris, Victoria and Sappho, 2 vols, with the cooperstion of A. Auwers and W, L.
Elkin, Cape Obe. Ann. 6 (1897) and 7 (1896).
17”
246 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
geleitet werden müssen, da sie von der Einrichtung des ganzen Be-
obachtungsraums und seiner Umgebung merklich abhängen”). Damit
wird der Refraktionseffekt als Funktion der meteorologischen Kle-
mente des Beobachtungsraums dargestellt. Nach F. W. Bessels Refrak-
tionstafeln®”) wächst zum Beispiel in 60° und 85° Zenitdistanz die
Refraktion bei 1° Temperaturabnahme um 0”.4 und 2”.3, bei 10 mm
Luftdruckzunahme um 1”.3 und 7”.9°®).
Die zahlenmäßige Berechnung dieses meteorologischen Korrektions-
gliedes der Refraktion wird besonders dadurch erschwert, daß die
ungleichen Temperaturverhältnisse in der Nähe des Fernrohrs (infolge
des Einflusses des Beobachtungsraums, des Beobachters, der Be-
leuchtung usw.) einer scharfen Feststellung der zur Reduktion an-
zuwendenden Temperatur kinderlich sind, indem der Betrag merklich
durch lokale Anomalien, insbesondere der Luftmassen innerhalb des
Beobachtungsraums und ihrer unregelmäßigen Schichtung beeinflußt
wird®®). Schon auf die Rektaszensionen gewinnt die Refraktion durch
laterale Refraktionsanomalien einen Einfluß, der aber mehr zufälliger
Natur sein wird. Weit größer ist der Effekt bei den Deklinationen,
und die Refraktion ist somit das wesentlichste Hindernis für die Her-
stellung eines fehlerfreien Deklinationssystems, indem auf ihre lokalen
Anomalien (neben Biegung und Teilungsfehlern) die Unterschiede der
verschiedenen instrumentellen Deklinationssysteme zurückzuführen sind.
Aus diesem Grunde muß auf den Bau und die Konstruktion des
Meridiansaals so besonderes (tewicht gelegt werden, um einer un-
regelmäßigen Schichtenbildung der Luftmassen keinen Vorschub zu
leisten®®). Ganz unabhängig könnte man von der Saalrefraktion nur
werden, wenn man das Instrument völlig im Freien aufstellt, wo jede
anhaltende Schichtenbildung so gut wie ausgeschlossen ist!).
97) Vgl. J. Bauschinger“) und L. Courvoisier®®), ferner die ausführlichen
Diskussionen der fundamentalen Beobachtungen der Hauptsternwarten , insbe-
sondere für den Pulkowaer Vertikalkreis bei H. @Gylden, Poulkova Obs. 5 (1878)
und M. Nyren '*), — Die erste scharfe Ableitung der verschiedenen Konstanten
gab Bessel, Fund., Sectio IV, p. 26/44 und verbesserte sie in F! W. Bessel,
Tabulae Regiomontanae reductionum observationum astronomicarum ab anno 1750
usque ad annum 1850 computatae, Regiomonti Prussorum 1880, p. LIX; hierauf
beruhen seine bis auf die Neuzeit angewandten .Refraktionstafeln (p. 322).
Daneben sind aus neuerer Zeit zu erwähnen: Tabulae refractionum in usum
speculae Pulcovensie congestae, ed. O. Struve, Petropoli 1870 [hierzu HM. Gylden,
Poulkova Obs. 5 (1878)]; 2. Aufl. 1905.
98) Vgl. die Tabelle auf p. 293.
99) M. Nyren, Über die Refraktion im TEEN Astr. Nachr.
131 (1898), p. 291 und die Fußn. 97 zitierten Schriften.
100) Vgl. allerdings über Schichtenbildung im Freien L. Courvoisier"®), p. 219.
5. Physikalische Fehlerquellen: Refraktion. 947
Bei differentiellen Beobachtungen fallen diese Schwierigkeiten in
der scharfen Berechnung des Refraktionseffekts seiner Geringfügigkeit
wegen — außer vielleicht für das Heliometer — weg; er besteht hier
neben der Veränderung der Sternörter m einer Verzerrung der
Stunden- und Parallelkreise, die, wenn man nicht den scheinbaren
Parallel ın situ?!*) bestimmt, bei der Nullpunktsbestimmung des Posi-
tionskreises berlicksichtigt werden muß. Daneben aber kann bei den
erhöhten Anforderungen an die Genauigkeit der differentiellen Messungen
noch die Färbung und Helligkeit des Sterns in Frage kommen. Die
Berechnung des Refraktionseffekts geht nämlich zwar von einer für
visuelle und photographische Beobachtungen verschiedenen Refraktions-
konstanten — letztere #, größer als erstere!®!) — aus, entsprechend
den verschiedenen Brechungsexponenten der optisch und der photo-
graphisch wirksamen Strahlen; innerhalb beider Klassen wird hin-
gegen die Refraktionskonstante in der Praxis als konstant ange-
nommen. Streng genommen werden sowohl verschieden gefärbte,
wie auch helle und schwache Sterne in verschiedenen Stundenwinkeln
anders beeinflußt, indem das Bild der hellen Sterne durch die aimo-
sphärische Dispersion in ein Spektrum auseinandergezogen wird. Es
würde also eine mit dem Stundenwinkel veränderliche reelle Helligkeits-
gleichung (vgl. p. 257 ff. die „persönliche Helligkeitsgleichung“) der
Sternbilder entstehen, deren Effekt wesentlich von der Beobachtungs-
art des Objekts abhängen müßte, indem er für visuelle und photo-
graphische Beobachtungen verschieden ausfallen und im ersteren Falle
außerdem noch von dem Beobachter und der Beobachtungsmethode
abhängen kann. Verschiedene Untersuchungen am Heliometer haben
zwar gezeigt, daß wenigstens für diese Art der Beobachtung ein meß-
barer Einfluß der Sternfarbe nicht existiert. Andererseits ist man
neuerdings geneigt, verschiedene Erscheinungen bei der Ausmessung
photographischer Aufnahmen diesem Stundenwinkeleffekt der atmo-
sphärischen Dispersion zuzuschreiben ').
101) J. Wiüsing, Bestimmung der atmosphärischen Refraktion für die
photographisch wirksamen Strahlen, Astr. Nachr. 145 (1898), p. 273. Der Unter-
schied ist bei differentiellen Messungen relativ gering und beträgt bei 2 = 65°
und 1° Distanz im Maximum nicht ganz 0”.1. Vgl. p. 292, Fußn. 1.
102) Die ersten Hinweise auf den möglichen Einfluß der atmosphärischen
Dispersion auf Sternörter erwähnt A. A. Rambaut, Lond. Astr. Soe. Monthly
Not. 55 (1895), p. 128. G@. B. Airy wies gelegentlich der Venusdurchgänge von
1874 und 1882 darauf hin, Lond. Astr. Soc. Monthiy Not. 29 (1869), p. 42 unten,
ausführlicher im gleichen Barde, p. 388. Ernstlicher beleuchtet D. Gill Lond.
Astr. Soc. Mem. 46 (1880-81), p. 121 u. 161 sowie Cape Obs. Ann. 6 (1897),
part. 6, p. 7 die Gefahren, die aus der atmosphärischen Dispersion für die
248 VIs5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Die unvermeidlichen Fehler der Abbildung, welche das Fernrohr-
objektiv in der Brennebene entwirft, werden erst bei weiten Abständen
von der optischen Achse merkbar. So traten sie bei den älteren
Heliometern mit ebener Schieberführung auf!®), auch bewirken sie
bei der großen Ausdehnung photographischer Aufnahmen eine stärkere
Verwaschenheit der Bilder gegen die Grenzen der Platte hin. Außer-
dem können individuelle Fehler des photographischen Objektivs eine
Unsymmetrie des Aussehens der Sternbilder bewirken und dadurch
zur Entstehung einer Helligkeüsgleichung Anlaß geben!P). Denselben
Effekt hat ein nicht exaktes Funktionieren des Uhrwerks, resp. fehler-
haftes Halten des Fernrohrs, J. ©. Kapteyns quiding error‘). Solche
Helligkeitsgleichungen photogrsphischer Aufnahmen haben sich ganz
neuerdings bei verschiedenen Messungsreihen in merklichem Betrage
nachweisen lassen; über ihre Entstehung im einzelnen herrscht noch
manche Meinungsverschiedenheit!®).
Bestimmung der Sonnenparallaxe entstehen können. — Der Einfluß auf Fix-
sterne, und zwar speziell auf ihre Parallaxenbestimmung, wird erörtert von
A. A. Rambaut, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 55 (1895), p. 123 und in einer
längeren Diskussion zwischen ihm und D, Gill, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 58
und 59 (1897—99); vgl. besonders D. Gill, On the effect of the chromatic disper-
sion of the atmosphere on the parallax of & Centsuri and £ Orionis, Lond. Astr.
Soc. Monthly Not. 58 (1897), p. 53. Vgl. auch H. Seeliger, Über den Einfluß
der Dispersion der Luft auf die Bestimmung kleiner Fixsternparallaxen, Astr.
Nachr. 159 (1902), p. 833 und @. C. Comstock, Stellar color and its effect upon
determination of parallax, Astr. Nachr. 160 (1902), p. 69. — Über den ver-
schwindenden Einfluß der stmosphärischen Dispersion auf Heliometermessungen
vgl. noch B. Peter, Astr. Nachr, 155 (1901), p. 289; F. L. Chase, M. F. Smith
and W. L. Elkin, Parallax investigations, Transactions of the Astronomical Obser-
vatory of Yale University 2, part 1, New Haven 1906. — Den Einfluß der
atmosphärischen Dispersion auf photographische Sternörter betonen besonders
J. C. Kapteyn, The parallax of 248 stars, Groningen Labor. Publ. 1 (1900) und
Ö. Bergstrand, Untersuchungen über das Doppelsternsystem 61 Cygni, Nova acta
societstis scientiarum upsaliensis (4) 1, Nr. 3, Uppsala 1908.
108) Vgl. die rechnungsmäßige „Optische Verbesserung‘ von F. W. Bessel”‘),
p. 124, die, der dritten Potenz des Abstands von der optischen Achse pro-
portional, bei 1° Abstand auf über 1” steigt.
104) Vgl. H. H. Turner, Note on a possible source of error in messures
of star places dus to defective centring of the object glass, Lond. Astr. Soc.
Monthly Not. 65 (1905), p. 54 und p. 2283—29. Bei Meßmikroskopen kommt
auch Verzeichnung in Betracht; vgi. 3. C. Plummer, Note on a optical distortion
of the microscope of one of the Oxford machines for measuring astronomical
photographs, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 64 (1904), p. 640, und H. Ludendorff,
Über optische Distorsion in Meßmikroskopen, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 161.
105) Außer den in Fußn. 102 zitierten Arbeiten über Sternparallaxon
vgl. F. Cohn, Die Helligkeitsgleichung bei visuellen und photographischen Be-
5. Fehler im Strahlengang oder photogr. Prozeß. 6. Persönl. Fehler. 249
Dazu kommen bei den photographischen Aufnahmen noch die
Eigentümlichkeiten der Platte selbst, die kein scharfes Abbild der
Sphäre, sondern infolge der sich ausbreitenden chemischen Wirkung
auf das Silberkorn der Platte mehr oder minder große Stern-
scheibehen!®*) gibt und dadurch systematische Fehler in der Haupt-
sache individueller Natur veranlaßt!®) (s. p. 263).
Hierher gehört endlich noch das gelegentliche Auftreten merk-
licher Schichtversiehungen auf der photographischen Platte, deren
Einfluß auch durch Aufkopieren eines Gitters nicht völlig beseitigt
werden kann. H. Ludendorff!®) fand Fälle, in denen sich Verzer-
rungen systematisch über beträchtliche Teile der Platten erstreckten
und die gemessenen Sternörter um erhebliche Beträge (bis du = 0".3)
verfälschten.
Die Einflüsse optischer Fehler des Okulars und des Auges hat
H. Seeliger betont und speziell die Wirkung des Astigmatismus des
Auges verfolgt?°®).
6. Die persönlichen Fehler bei astronomischen Beobachtungen.
Außer von dem eigentlichen Beobachtungsinstrument und seiner Auf-
stellung, den beiderseitigen Fehlern, den Einflüssen des Beobachtungs-
obachtungen, Astr. Nachr. 172 (1906), p. 225 und Astr. Nachr. 174 (1907), p. 283
und A. R. Hinks, Solar parallax papers No. 5, Examination of the photographic
places of stars published in the Paris Eros circulars, Lond. Astr. Soc. Monthly
Not. 67 (1906), p. 70.
105°) Die Scheibchen hellerer Sterne erreichen bei den üblichen Aufnahmen
(z. B. der photographischen Himmelskarte) bis 30” = 0.5 mm.
105%) Über die Art und Weise, durch Anlage der Aufnahmen und der
Ausmessung die systematischen Fehler zu beseitigen und die Genauigkeit der
Messungen zu erhöhen, vgl., neben Nr.?7 d), noch die Diskussion, die zwischen
Loewy einerseits und Plummer und Hinks andererseits geführt ist: M. Loewy,
Conference astrophotographique internationale de juillet 1900 (Conf. astrophot.
1900), eireulaires No. 8 et 9, Paris 1901 et 190%; M. Loewy, Paris C. R. 184
(1902), p. 881 und M. Loewy, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1902), p. 2;
H. ©. Plummer, Lond. Astr. Soc. Monthiy Not. 61 (1901), p. 618; 62 (1902),
p- 506; 68 (1902), p.14; A. R. Hinks, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 62 (1902),
p: 182.
106) H. Ludendorff, Über Schichtverziehungen auf Bromsilbergelatineplatten,
Astr. Nachr. 162 (1903), p. 843; vgl. auch H. Ludendorff‘®?).
106%) H. Seeliger, Über den Einfiuß dioptrischer Fehler des Auges auf das
Resultat astronomischer Messungen, München Abh. 15 (1886), p. 665. Vgl. ferner
Graefe-Saemisch, Handbuch der gesamten Augenheilkunde, hreg. von Th. Saemisch,
2. Aufl., 8. Band, 2. Abteilung: ©. Hess, Die Anomalien der Refraktion und Akkom-
modation des Auges, mit einleitender Darstellung der Dioptrik des Auges, Leipzig
1908. A. Gullstrands Messungen der normalen menschlichen Hornhaut siehe da-
selbst p. 49.
250 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumenie.
raums sowohl auf das Instrument wie den Weg des Lichtstrahls, der
Uhr und allen Hilfsinstrumenten hängt das Ergebnis einer astrono-
mischen Beobachtung in der wesentlichsten Weise von dem Beob-
achter selbst ab, indem bei einem jeden Beobachtungsvorgang indi-
viduelle Auffassungsunterschiede auftreten. Sie zeigen sich bei der
Beobachtung des Moments, in dem ein Stern einen Faden passiert,
sei es nach der Auge- und Öhr-, sei es nach der Registriermethode,
sie beeinflussen die Bisektion eines Sternscheibchens durch einen
Faden, das Durchschwingen zweier Sternbilder nach der heliometri-
schen Meßmethode usw. Ihr eigentliches Studium gehört in das Ge-
biet der Physiologie!®*®). Für die Astronomie ist es von Wichtigkeit,
ihre numerischen Beträge zu ermitteln und in Rechnung zu ziehen
oder sie durch geeignete Anordnung der Messungen zu eliminieren.
So gelingt das zuweilen durch Einführung eines Reversionsprismas '*?),
welches die Richtungen im Gesichtsfelde vertauscht. Auch dient oft
die Änderung des Messungsvorgangs zu ihrer wesentlichen Vermin-
derung, wie zum Beispiel die Beobachtung der Rektaszensionen mit
dem Repsoldschen Mikrometer an Stelle der Durchgangsbeobachtung.
Eine gänzliche Ausschaltung des Beobachters und eine rein automa-
tische Ausführung der Beobachtung ist naturgemäß meistens aus-
geschlossen. Selbst die photographische Platte bedarf zu ihrer Aus-
messung eines Beobachters; auch führt jeder automatische Vorgang
eigene, meist schwer zu diskutierende Fehlerquellen mit sich.
In den letzten Jahrzehnten ist man dem Studium der persön-
lichen Fehler näher getreten, und zwar sowohl der absoluten Fehler,
die man durch geeignete Beobachtungen meist an künstlichen Sternen
zu bestimmen sucht, wie der relativen Fehler verschiedener Beobachter,
die man bei der gemeinsamen Verarbeitung ihrer Beobachtungen in
Rechnung ziehen muß.
Wir erwähnen nur kurz die persönlichen Unterschiede bei der
Schätzung von Unterabteilungen, seien sie räumlicher oder zeitlicher
Natur, z. B. der Zehntel der Trommelteile einer Mikrometerschraube
und der Sekundenzehntel auf dem Chronographenstreifen oder nach
der Auge- und Ohr-Methode. Zu dem reinen Schätzungsfehler, der auf
die individuell verschiedene Auffassung der mitwirkenden Sinne zurück-
geht, kommt hier meist eine Vorliebe für gewisse Zehntel hinzu’).
106°) Vergl. N. Here, „Persönliche Gleichung‘ in Valeniiner, Handwörter-
buch 3, Abteilung 1 (1899), p. 368.
107) Diese Erscheinung, „personal scale“ oder „&quation d&cimale“ genannt,
erwähnen schon J. Hartmann "9, p. 142 und B. Peirce, Amer. Ac. Proc. 4 (1859),
p: 197. Vergl. F. Gonnessiat, Recherches sur Y’&quation personelle, Travaux
6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 351
Im allgemeinen gehen diese Schätzungsfehler nur als zufällige Fehler
in die Messungen ein und sind meist ungefährlich. Etwas näher
besprechen wir die beiden AHauptformen der persönlichen Fehler, die
von wesentlichem Einfluß auf die astronomische Koordinatenbestim-
mung sind.
a) Fehler in der Auffassung des Zeitmoments einer Erscheinung.
In der Form der „persönlichen Gleichung“ bei Durchgangsbeobach-
tungen haben sieh die individuellen Auffassungsunterschiede zuerst —
schon vor mehr als 100 Jahren!®) — bemerkbar gemacht, indem sie
merkliche Unterschiede in den beobachteten Durchgangszeiten hervor-
riefen, weiche die Ungenauigkeit der eigentlichen Beobachtung um
ein Vielfaches übertrafen. Besonders groß fiel gerade die erste Be-
stimmung der relativen persönlichen Gleichung zwischen zwei Beob-
achtern durch Bessel!”) aus, indem manche Unterschiede auf über 1°
anstiegen, z. B. 1820: Bessel- Walbeck = — 1.04; 1823 Bessel-Arge-
lander = — 1.22; und Auffassungsunterschiede von 0.3 bis 0.5 sind
keineswegs selten !!P).
Seit dieser Zeit gehört eine kritische Untersuchung der pers. Gl.
zu den unbedingten Erfordernissen einer sorgfältigen Beobachtung.
Ihre Berücksichtigung ist aus dem Grunde so schwierig, als sie
keineswegs als eine unveränderliche Konstante des Beobachters (und
des Instruments) angesehen werden kann. Bei der Auge- und Ohr-
Methode hat das Auge den die Fäden passierenden Stern in seiner
Bewegung zu verfolgen und den Punkt seiner Bahn, in dem er sich
in dem Moment des durch das Gehör vermittelten Sekundenschlags
der Uhr befand, zu den Fäden in Beziehung zu setzen. Bei der
Registriermethode tritt neben dem Gesichtssinn der Gefühlssinn in
Tätigkeit, der im Moment der Bisektion des Sterns durch den Faden
de l’Observatoire de Lyon, publies par Ch. Andre 2, Lyon et Paris 1892,
chap. V, sowie aus der großen neueren Literatur E. Großmann, Über Schätzungen
nach Augenmaß, Astr. Nachr. 170 (1906), p. 149; O. Meißner, Über systematische
Fehler bei Zeit- und Raumgrößenschätzungen, Astr. Nachr. 172 (1906), p. 137.
108) Die historische Entwicklung der Erkenntnis und des Studiums der
persönlichen Gleichung behandeln ausführlich: J. L. E. Dreyer‘, On personal
errors in transit observations, Proceedings of the Irish Academy (2) 2, Dublin
1877, Nr. 6, p. 484—528 [Astr. Ges, Vjs. 12, p. 246] und F'. Gonnessiat '”").
109) Über diese erste Bestimmung vergl. 'F. W. Bessel, Königsb. Beob. 8
(1823), Einleit.,
110) Ein sehr umfangreiches Material für das Studium der persönlichen
Gleichung enthalten die Jahresbände der Greenw. Obs., der Cape meridian
results '?®) in the years 1861 ff., erschienen London oder Edinburgh 1893 ff., sowie
die zablreichen modernen geographischen Längenbestimmungen.
252 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
den elektrischen Strom zu schließen hat. Die persönliche Auffassung
so komplizierter Vorgänge hängt naturgemäß von vielerlei veränder-
lichen Umständen ab, und zwar sowohl was den Beobachter als die
beobachteten Objekte und Vorgänge betrifft.
Die Auffassung selbst durchaus gleichartiger Vorgänge seitens
eines Beobachters bleibt im Laufe der Zeit keineswegs dieselbe, sie
unterliegt im Laufe langer Beobachtungsreihen merklichen Änderungen
und bedarf daher einer dauernden Überwachung. Das in Fußn. 110
zitierte Material gibt dafür zahlreiche Belege. Nach Dreyer’), p. 496-—97
betrug die persönliche Differenz der Greenwicher Beobachter
M und R WE und R
1840—41: — 0.04,
1843—46: + 0.21,
1847—49: + 0.37, 1846—49: — 0.07,
1850—51: + 0.46, 1850—51: + 0.40,
1852—53: + 0.66; 1852—53: + 0.53,
so daß die Änderung wesentlich an R gelegen haben dürfte. Ähnlich
findet Wislicenus'*) durch Beobachtung künstlicher Sterne (s. p. 255)
für seine absolute persönliche Gleichung: 1866 Dez. 13—22: — 0.18;
1887 Mai 23—27: — 0.10; 1888 März 17: + 0.15. Aus diesem Grunda
wurde in Greenwich beständig die relative persönliche Gleichung der
Beobachter aus den Beobachtungen jedes Jahres bestimmt und ange-
bracht. Aber auch die momentane Disposition des Beobachters spielt
eine wesentliche Rolle und beeinflußt infolge eintretender Abspannung
schon im Laufe längerer Abendreihen, wie auch während kürzerer
Erholungspausen die Auffassung der Durchgangszeiten. So fand
Küsiner'?) einen „Gang des Beobachters“, der für 100 Minuten im
ersten Jahre für gute Luft: + 0.039 (im Mittel aus 55 Reihen), für
schlechte Luft + 0.079 (15 Reihen) betrug, im zweiten Jahre auf
etwa ®/, dieser Beträge herabging.
Besonders kompliziert wird aber das Studium der pers. Hl. durch
die Verschiedenartigkeit der beobachteten Objekte nach Aussehen, Be-
wegungsart, Luftzustand, Bildschärfe usw. Es handelt sich dabei
einmal um den Unterschied in der Auffassung von Lichtscheiben,
wie sie Sonne, Mond und die großen Planeten darbieten, bei denen
die Durchgangszeiten der einzelnen Ränder beobachtet werden, und
der mehr punktförmig erscheinenden Fixsterne Auch für die ver-
schiedene Auffassung der Sonne relativ zu demselben Sterusystem
bieten die „Greenwich Obs.“ umfangreiches Material; die systematische
6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 253
Abweichung beträgt für manche Beobachter 0.1 bis 0.2. Wie sehr
aber auch für einen Beobachter diese Auffassung von der Schärfe des
Sonnenbildes abhängig ist, beweist z. B. der Fall von Wagner'“), der
zwar den zweiten Sonnenrand ziemlich unabhängig vom Bildzustand
der Sonne beobachtete, den ersten Rand aber je nach der Bildschärfe
um 0.2 bis 0.3 verschieden auffaßte. Die Vernachlässigung dieses
Auffassungsunterschiedes würde eine merkliche Abhängigkeit der ab-
geleiteten Ephemeridenkorrektion von der Bildschärfe hervorgerufen
haben.
Bei den Fixsternen wiederum ist die verschiedene Richtung und
Geschwindigkeit, mit der sie das Gesichtsfeld passieren, sowie ihre
verschiedene Helligkeit von Einfluß. Bei den oberen und unteren
Kulminationen der Zirkumpolarsterne, sowie bei dem durch die Kul-
mination von Sternen nördlich und südlich vom Zenit bedingten
Wechsel in der Stellung des Beobachters („Füße Nord“, „Füße Süd“)
treten Unterschiede auf, die bis 0-1 ansteigen!!?). Die pers. Gl. ist
für Sterne verschiedener Deklination verschieden und natürlich für
Polsterne eine ganz andere wie für Äquatorsterne!!), Auch die
Helligkeit des Himmelshintergrundes spricht mit und kann einen Unter-
schied von Tag- und Nachtbeobachtungen erzeugen‘). Erwähnung
verdienen hier auch die bedeutenden Auffassungsunterschiede der oft
verwaschenen und kernlosen Lichtflecke der Kometen, sowohl bei
Durchgangsbeobschtungen wie bei Bisektionen!!+*).
111) A. Wagner, Poulkova Obs. 12 (1887), p. (92). — Sehr ähnliche Folge-
zungen zieht A. Sokolow, Poulk. Obs. Centr. Nic. Publ. 8 (1905), p. [53] u. ff.
für die drei Beobachter A. Wagner, P. Harzer und Th. Wittram, deren Auf-
fassung der Sonne je nach-der Bildschärfe sich um 0.1 bis 0.’2 verschieden
ergibt.
112) Vergl. z. B. Cape Catalogue for 1885°”*) Introduction, p. XI, sowie
in geringerem Betrage bei H. Battermann, Berlin Sternw. Ergebn. 8 (1899), p.7.
113) Bei hohen Polsternen ®!*) steigt der Auffassungsunterschied auf mehrere
Zeitsekunden, vergl. z. B. Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. XLV; und besonders
einen Fall in den Results of astronomical observations made at the R. Obser-
vatory, Cape of Good Hope (Cape astron. results) during the years 1871—73,
Cape Town 1876, p. IX, wo die Bestimmung des Azimuts aus Polsternen seitens
eines geübten Beobachters um 0.16 von dem der anderen Beobachter abweicht,
was für die Sterne B, so, o Octantis (d = — 89° 26°, — 89° 17’, — 89° 4’) eine Zeit-
differenz von 13.6, 10.0, 7.4 bedeutet.
114) Vergl. F. Cohn, Über einige allgemeinere Ergebnisse einer Neure-
duktion der ältesten Besselschen Meridianbeobachtungen, Astr. Ges. Vjs. 33 (1898),
p. 291 und F. Cohn, Königsb. Beob. 39 (1899).
114°) Über die Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung dieser persönlichen
Auffassungsunterschiede vgl. z.B. H. J. Zwiers, Recherches sur l'orbite de la
254 Vl»,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Eine vollständige Elimination des Beobachters würde somit die
genaue Kenntnis der Abhängigkeit der absoluten pers. Gl. von allen
diesen Einflüssen voraussetzen !'?), eine Kenntnis, die zu erlangen an-
gesichts der Vielseitigkeit der Einflüsse die verfügbare Arbeitskraft
weit übersteigen würde, in mancher Hinsicht sogar aussichtslos wäre.
In der Praxis beschränkt man sich daher darauf, sie nach einzelnen
Richtungen hin zu untersuchen, entweder durch eigens konstruierte
Apparate mit künstlichen Sternen oder durch geeignete Vorrichtungen,
die ihre Prüfung bei der eigentlichen astronomischen Beobachtung
selbst ermöglichen (z. B. Helligkeitsgleichung) oder man ermittelt,
im Falle an einer größeren Beobachtungsreihe mehrere Beobachter
beteiligt sind, ihre relative pers. Gl. und bezieht damit alles auf die
Auffassung eines Durchschnittsbeobachters. Diese letztere Bestim-
mung ist unbedingt erforderlich zur Ableitung eines gleichmäßigen
Uhrganges, wenn, wie es an manchen größeren Sternwarten der Fall
ist, verschiedene Beobachter am Meridiankreise im Laufe eines Tages
abwechseln; sie erfolgt dann unmittelbar aus den abgeleiteten Uhr-
korrektionen selbst!'%). Eine direkte Bestimmung der relativen pers.
Gl. kann nach Bessels Vorgange einfach dadurch geschehen, daß zwei
Beobachter an demselben Instrument Sterndurchgänge beobachten, in-
dem sie entweder während eines Sterns oder von Tag zu Tag mit
den Sternen abwechsein; in jedem Falle müssen durch entsprechenden
Beobachterwechsel die Fadendistanzen oder die Sternörter eliminiert
werden. Diese Methode ist bei geographischen Längenbestimmungen
zur Kontrolle vielfach üblich. Bei entsprechender Auswahl der Sterne
kann auch die Abhängigkeit der relativen pers. Gl. von der Dekli-
nation, Helligkeit usw. geprüft werden !”). Von der zweiten Methode
der von jedem Beobachter vollständig, aber von Tag zu Tag wech-
selnd durchbeobachteten Sterne gelangt man schließlich, wenn das
comete periodique de Holmes et sur les perturbations de son mouvement ellip-
tigue, 1° memoire, Verhandelingen der K. Akademie van Wetenschappen te
Amsterdam, 1° sectie, deel 3, Nr. 5, Amsterdam 1895, p. 97, und besonders
2itme memoire, Leyde 1902, p. 2—3 und 6—7.
115) Die Kenntnis der absoluten pers. Gl. selbst ist nur für absolute Zeit-
bestimmungen erforderlich, z. B. bei geographischen Längenbestimmungen, bei
denen die aus Durchgangsbeobachtungen bestimmten Ortszeiten zweier Erdorte
im gleichen Moment mit einander verglichen werden sollen. Man eliminiert sie
bei der Gleichartigkeit der beobachteten Objekte fast völlig durch Wechsel beider
Beobachter und Instrumente.
116) Auf diesem Wege sind die in Fußn. 110 zitierten Werte der tn:
lichen Gleichung für die Beobachter in Greenwich und am Kap erhalten worden.
117) Vergl. Cape Ustalogue for 1885 ®’®), Introduetion, p. XI—XM.
6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 355
Beobachtungsmaterial ausreicht, dazu, die aus den Beobachtungen
eines jeden Beobachters abgeleiteten fertigen Sternörter nach den ver-
schiedenen Gesichtspunkten zu vergleichen, eine Methode, wie sie
stets bei der zur Vereinigung mehrerer Beobachtungsreihen erforder-
lichen Befreiung von ihren systematischen Unterschieden angewendet
wird (s. Nr. 7)"). Eine Kontrolle erhält man durch die Vergleichung
beider Ergebnisse 7).
Zur empirischen Bestimmung der absoluten pers. Gl. bei Durch-
gangsbeobachtungen und ihrer Variationen hat man verschiedene
Methoden vorgeschlagen und entsprechende Apparate konstruiert. Als
ihr Grundprinzip kann man bezeichnen, daß das Bild eines künst-
lichen, in regulierbarer Geschwindigkeit die Fäden passierenden Sterns
in gewöhnlicher Art beobachtet wird, während sich gleichzeitig der
genaue Moment der Bisektion des Bildes durch den Faden selbsttätig
registriert. Der die Bewegung des künstlichen Sterns erzeugende
Mechanismus ist zu dem Zweck mit einer Reihe von Kontakten ver-
sehen, die seine Bewegungsphase fixieren, indem im Ruhezustand die
ihnen entsprechende Stellung des Sternbilds durch mikrometrische
Messung zu den Fäden in Beziehung gesetzt wird. Von diesbezüglichen
Apparaten''?), die mit Erfolg zur Anwendung gelangten, seien er-
wähnt der von F. Kaiser in Leiden konstruierte „Zeitkollimator“ 129),
der von H. G. van de Sande Balıhuyzen angegebene'*!), welcher auf
die Gleichartigkeit der Beobachtung mit der sonstigen Meridian-
beobachtung Wert legt, und der in dieser Hinsicht noch weiter
gehende Apparat von W. F. Wislicenus '??).
118) A. Sokolow*4) vergleicht die von den drei Beobachtern erhaltenen
Sternörter nach der Deklination usw.
119) Über die ersten Vorschläge zur Bestimmung der absoluten pers. Gl.
[von J. Hartmann, Einige Beobachtungen und Bemerkungen über Personal-
differenz, Auszug aus Grunerts Archiv 1858, p. 31, Astr. Nachr. 65 (1865),
p. 129; E. Plantamour et A. Hirsch, Dötermination telögraphique de la difference
de longitude entre Geneve et Neuchätel, M&moires de la Societ6 de physique
et d’histoire naturelle de Geneve 17, Geneve 1864, p. 289-436; M. C. Wolf,
Recherches sur l’&quation personnelle, Obs. de Paris Ann., mem. 8 (1866)] vergl.
neben J. L. E. Dreyer) und F. Gonnessiat’””) das ausführliche Referat von
W. Förster in Astr. Ges. Vjs. 1 (1866), p. 236.
120) F. Kaiser, Beschreibung der Zeitkollimatoren der Sternwarte zu Leiden,
Leiden Sternw. Ann. 2 (1870), p.19 u. ff.; vergl. auch A. Wagner '')), p. (55) ff.
121) H. @. van de Sande Bakhuyzen, Beschreibung eines Apparats zur Be-
stimmung des absoluten persönlichen Fehlers bei Durchgangsbeobachtungen,
Leiden Sternw. Ann. 7 (1897), p. 75.
122) W. F. Wislicenus, Untersuchungen über den absoluten persönlichen
Fehler bei Durchgangsbeobachtungen, Leipzig 1888.
256 VIa5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Zweifellos enthalten diese Untersuchungen eine Fülle interessanter
Tatsachen, insbesondere über die physiologischen Einflüsse, denen die
persönliche Gleichung unterliegt. Bedenkt man indessen, daß diese
terrestrischen Beobachtungen immerhin unter merklich anderen Ver-
hältnissen zu erfolgen pflegen als die eigentlichen Beobachtungen am
Himmel — vor allem wird die Reaktionszeit des Beobachters durch
die bewußte Absicht, seinen persönlichen Fehler zu bestimmen,
merklich beeinflußt —, so wird es nicht Wunder nehmen, daß man
auf einem dieser Wege zwar allenfalls einen brauchbaren Durch-
schnittswert der absoluten pers. Gl. und einen ungefähren Überblick
über ihre Schwankungen erhalten kann, daß hingegen eine praktische
Anwendung der so erhaltenen Werte auf die eigentlichen astronomi-
schen Beobachtungen kaum jemals stattgefunden hat.
Man begnügte sich daher z. B. bei dem Anschluß der Sterne an
die Sonne, wie er zur Ableitung absoluter Rektaszensionen erforder-
lich ist, bisher stets damit, anzunehmen, daß sich diese Fehler im
Mittel zahlreicher Beobachter vernichten oder wenigstens im Laufe
der Zeiten (Jahrzehnte und Jahrhunderte) dieselben bleiben werden.
Allenfalls könnte man diese Annahme gelten lassen, so lange die
Beobachtungsmethode die gleiche bleibt, wenngleich die größeren
Dimensionen und Vergrößerungen der neueren Instrumente auch diesen
Durchschnittswert beeinflussen müssen; jede Änderung der Beobach-
tungsmethode (z. B. Übergang von der Auge- und Ohr- zur Registrier-
methode) wirft diese Annahme über den Haufen und verfälscht die
Bestimmung der Bewegung des Frühlingspunkts, d. h. die Präzessions-
konstante!#), Ähnliches gilt für den Mond und in geringerem Maße
für die großen Planeten.
Die Untersuchung des Einflusses der Eigenart der Fixsterne
(Helligkeit, Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung) auf die
Auffassung der Durchgangszeiten, dessen Kenntnis für ein fehlerfreies
System von Fixsternörtern erforderlich ist, kann in mancher Richtung
durch die Beobachtung der Himmelsobjekte selbst erfolgen. Der Ein-
fuß der verschiedenen Bewegungsrichtung läßt sich durch Benutzung
eines Reversionsprismas beseitigen'!”). Da die scheinbare Geschwin-
digkeit hingegen allein von der Deklination abhängt, so vermischen
sich hier persönliche Auffassung und instrumentelle Fehler (von der
Form Aa,'?*®) und lassen sich nur schwer voneinander trennen.
123) Den Einfluß der Beobachter auf die Ephemeridenkorrektion der Sonne
zeigt z. B. die Zusammenstellung bei Newcomb, Fund. Const., p. 22—24.
123*) Unter Fehlern von der Form Aa, versteht man Fehler, die sich auf
6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 257
Zu erörtern bleibt die in neuerer Zeit mehr in den Vordergrund
getretene sog. Helligkeitsgleichung der Fixsternbeobachtungen, der
Einfluß der Sterngröße auf die Auffassung der Durchgangszeiten.
Nach einigen mehr gelegentlichen Hinweisen Argelanders'*) auf
die Wahrscheinlichkeit, daß gewisse Eigentümlichkeiten von Beob-
achtungsreihen auf eine Helligkeitsgleichung zurückzuführen sein
möchten — zu einem strengen Nachweise reichte das Material nicht
aus —, führte Gill den ersten positiven Nachweis für ihr Auftreten '?°)
und gab zugleich ein seitdem durchweg angewandtes Verfahren an,
sie zu untersuchen '?®). Indem man nämlich die Helligkeit eines Sterns
durch ein auf das Objektiv aufgesetztes engmaschiges Gitter ab-
schwächt, kann man die Beobachtung des Durchgangs des unge-
den beobachteten Wert der AR. werfen, und deren Betrag abhängt von der
Deklination des beobachteten Gestirns. Analog definiert man Au, Ad, Ad,.
124) Schon F. W. Bessel führt gewisse Unterschiede zwischen seinen Be-
obachtungen und denen von C. T. Anger auf eine „Verschiedenheit der Antritts-
zeiten heller und dunkler Sterne“ zurück, Briefwechsel zwischen W. Olbers und
F. W. Bessel, hrsg. von A. Erman 2, Leipzig 1852, p. 358 (Brief vom
13. April 1831). — Weiter behandelt diese Möglichkeit F. @. W. Struve, Stel-
larum fixarum imprimis duplicium et multiplicium positiones mediae pro epocha
1880.0, Petropoli 1852, p. LXIV ff. — F. W. A. Argelander, Astr. Nachr. 74
(1869), p. 268, macht auf einen 0°.66 betragenden Unterschied von fünf Bonner
und sechs Leidener Meridianbeobachtungen des kleinen Planeten Egeria (9m.2)
aufmerksam. Eine Prüfung seiner Ortsbestimmungen von veränderlichen Sternen
in den verschiedenen Phasen ihrer Helligkeit führte ihn zu keinem entscheiden-
den Ergebnis. Vergl. auch F. W. A. Argelanders Referat, Astr. Ges. Vjs. 7 (1872),
p. 18 ff.
125) D. Gill, Account of a determination of the solar parallax, Lond.
Astr. Soc. Mem. 46 (1880—81), chapter IX, p. 56 fi, sowie D. @ill, On the
results of meridian observations of the Mars comparison stars, Lond. Astr.
Soc. Monthly Not. 39 (1878), p. 98 fand durch Vergleichung heliometrisch
festgelegter Sternörter mit den Ergebnissen der an zwölf Sternwarten erhaltenen
Meridianbeobachtungen einen starken, etwa 0.'018 pro Größenklasse betragenden
Gang der AR.-Unterschiede nach der Helligkeit, der nur den Meridianbeobach-
tungen zur Last fallen konnte, wie Versuche auch bestätigten. Vergl. auch
H. G. van de Sande Bakhuyzen, Die Rektaszensionen von Gills Mars-Sternen und
die Änderung des persönlichen Fehlers bei der Beobachtung von Sternen ver-
schiedener Helligkeit, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 81, sowie H. @. van de Sande-
Bakhuyzen, Astr. Ges. Vjs. 14 (1879), p. 408.
126) Die von Argelander **‘) vorgeschlagene Methode der Beobachtung ver-
änderlicher Sterne in verschiedenen Phasen ihrer Helligkeit 148t nur eine be-
schränkte Anwendung zu und würde eine genaue Schätzung der Helligkeiten
selbst mit verlangen. Die Anwendung von Diaphragmen kann infolge von Un-
regelmäßigkeiten des ÖObjektivs eine Verschiebung des beobachteten Licht-
schwerpunkts erzeugen; vergl. W. F. Wislicenus, Über den Einfluß von Ring-
und Scheibenblenden auf Mikrometermessungen, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 345.
258 Vls,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
schwächten und des abgeblendeten Sterns miteinander vergleichen
und den Unterschied zu der in Größenklassen ausgewerteten Bild-
schwächung in Beziehung setzen'?”). Nach dieser Methode angestellte
Beobachtungsreihen ergaben, daß die H.-Gl. bei allen Beobachtern ')
in dem Sinne wirksam ist, daß schwache Sterne später beobachtet
werden als helle, und daß sie im allgemeinen für die helleren Sterne
eine etwas geringere Steigung besitzt als für Sterne mittlerer Hellig-
keit, für sehr schwache Sterne aber merklich schneller ansteigt. So
erhält man im Mittel von sechs Beobachtern am Kap'?”) als Hellig-
keitskorrektion für Sterne Ot*, 2te usw. bis 10!" Größe:
0m | + 0.016 6” | — 0.012
2” | + 0.008 gm | — 0.030
4m | 0.000 10% | — 0.058.
Ähnliche Beträge findet F. Cohn“) durch Vergleichung von
Registrierbeobachtungen mit Beobachtungen am ‚Repsoldschen Mikro-
meter, die zugleich eine Unabhängigkeit der H.-Gl. von der Dekli-
nation, sofern sie sich in mäßigen Grenzen hält, ergeben:
127) Diesbezügliche Beobachtungen von künstlichen Sternen stellte H. @.
van de Sande Bakhuyzen an, Liinfluence de l’&clat de l’6toile sur le temps de
perception et sur l’&quation personnelle, Archives Neerlandaises des sciences
exactes et naturelles (2) 6, La Haye 1901, p. 727. „Gewebe von Metallfäden"
schlug schon F. W. Bessel?"), Astron. Untersuch. 1, p. 125 = Bessel, Abhdl. 2,
p. 157 vor, um die Helligkeiten der beiden heliometrisch mit einander zu ver-
bindenden Objekte auszugleichen.
128) Eine Ausnahme bilden nur die F. Küstnerschen Beobachtungen der
Zone 0° bis + 18° in Bonn mit einer H.-Gl. von -- 0.007 pro Größenklasse,
während seine früheren Berliner und späteren Bonner Beobachtungen wieder
eine normale H.-Gl. von etwa + 0.004 pro Größenklasse aufweisen. Vergl.
F. Küstner '°).
129) Vgl. die „Results of meridian observations of stars, made at the R.
Observatory, Cape of Good Hope“ (Cape meridian results) in the years 1900 to
1904, Edinburgh 1906, p. XHI—XVH und „Catalogues of stars for the equinox
1900.0, from observations made at the R. Observatory, Cape of Good Hope,
during 1900-—04, Edinburgh 1906" (Cape Catalogue for 1900), p. VIII. Zwei
Beobachter (P., RC.) wurden dabei, da sie einen besonders stark ausgesprochenen
Gang zeigten, ausgeschlossen.
180) F. Cohn, Die Helligkeitsgleichung bei visuellen und photographischen
Beobachtungen, Astr. Naechr 172 (1906), p. 225, sowie F.Cohn, Beiträge zur
Kenntnis der Helligkeitsgleichung bei Durchgangsbeobachtungen, Astr. Nachr.
165 (1904), p. 245. Vergl. auch A. Auwers, Ergebnisse aus Vergleichungen der
Zonenkataloge der Astronomischen Gesellschaft untereinander und mit dem Rom-
bergschen Katalog für 1875, Astr. Nachr. 161 (1903), Nr. 3842-44, insbesondere
d. 71—72. Vgl. auch Fußnote 132*).
6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 959
I IL
4"5 1 40001 + 0.008
een 72008
65 | —0.017 —0.016
7.5 | —-0.029 —0.029
35: —008 — 0.046
95: —0.06L -- 0.07
Kolumne I (38° < ö << 55°) enthält das Mittel von 11, Kolumne I
(11°<ö<.38°) von 12 verschiedenen Beobachtungsreihen.
Da aber in den meisten Fällen das Beobachtungsmaterial zur
Ableitung ihres genauen Verlaufs nicht ausreicht, begnügt man. sich,
die H.-Gl. in erster Näherung als lineare Funktion der in Größen-
klassen ausgedrückten Sternhelligkeit darzustellen und zur Beziehung
aller Beobachtungen auf eine gleiche Sterngröße anzuwenden. Für
die Auge- und Ohr-, sowie die Registriermethode finden sich im Mittel
zahlreicher Beobachter nahe gleiche Werte. So erhält S. Newcomb'?')
als Helligkeitsgleichung pro Größenklasse
für die Auge- und Ohr-Metkode (aus 5 Bestimmungen): + 0.0091,
für die Registrier-Methode (aus 6 Bestimmungen): + 0.0085,
und Boss'”?) durch eine ausgedehntere Diskussion als durchschnitt-
liche H.-Gl. für hellere Sterne (bis etwa 6.”5) aus 11 resp. 19 Reihen
die Werte + 0.0074, resp. + 0.0080, im Mittel: + 0.0077. Dieselbe
H.-Gl. eines Darchschnittsbeobachters (für hellere Sterne) leitet
Küstner'”?*) dadurch ab, daß er aus seinen nach der Gittermethode
von H.-@l. befreiten Beobachtungen die Korrektionen der Sterne des
Auwersschen Fundamentalkatalogs ableitet und nach der Helligkeit
anordnet. Er findet +- 0.0052 pro Größenklasse.
Eine Bestätigung der auf diesem Wege gefundenen Helligkeits-
korrektionen, die wegen mancher gegen die Gittermethode geäußerten
Bedenken’??) erwünscht war, erlangte man durch anders geartete Be-
obachtungen, bei denen der Natur der Messungen nach eine H.-Gl.
131) Neweomb, Fund. (Catal. vgl. p. 30, Fußn. 32), p. 184.
132) L. Boss, Determination of absolute magnitude-equation for the cata-
logue of 627 standard stars, Astron. Journ. 23 (1903), p. 83.
132*) F. Küstner, Beobachtete Korrektionen des Fundamentalkataloges von
Auwers und Ermittelung seiner Helligkeitsgleichungen, Astr. Nachr. 158 (1902),
p. 129. ;
133) H. H. Turner, On the variation of personal equation with stellar
' magnitude, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 60 (1899), p. 3, sowie 62 (1901), p. 3.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 18
260 VIe,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente,
der Rektaszensionen ausgeschlossen war, z. B. durch eine heliometrische
Triangulation des beobachteten Sternkomplexes nach der Distanz-
methode, also auf demselben Wege, auf dem sie Gill zuerst nachge-
wiesen hatte (s. Fußn. 125). Es ist das gelegentlich der großen Ko-
operation zur Bestimmung der Sonnenparallaxe aus Beobachtungen der
Planeten Iris, Vietoria und Sappho (1888—-89) mit vollem Erfolge ge-
schehen!*%). Immerhin kann eine derartige Bestimmung der H.-Gl.
nur gelegentlich stattfinden. Der Anwendung der bequemeren Methode,
sie durch Vermessung desselben Sternkomplexes auf photographischen
Aufnahmen zu bestimmen'??), steht die Schwierigkeit entgegen, daß
sich die photographischen Aufnahmen selbst als merklichen Hellig-
keitsgleichungen ausgesetzt erwiesen haben (s. Fußn. 105).
Die Schädlichkeit der H.-Gl. gegenüber anderen systematischen
Fehlerquellen der Durchgangsbeobachtungen liegt nach dem Obigen
nicht so sehr in ihrer Größe als in der Gleichartigkeit, mit der sie
bei allen Beobachtern auftritt. Während die eigentlichen Instrumental-
fehler durch eingehende Kritik sowohl, wie vermehrte Zahl von mit-
wirkenden Instrumenten usw. verringert werden können und in diesem
Sinne mehr den Charakter zufälliger Fehler besitzen, bleibt die H.-Gl.
im Mittel verschiedener Beobachter immer noch in gleicher Größe
bestehen und verfälscht die Beobachtungen systematisch. Es ist das
besonders wichtig, wenn man diese Örter als Anhaltspunkte für diffe-
rentielle Arbeiten, z. B. Ausmessung photographischer Aufnahmen, ver-
werten will, und darum ist eine Bestimmung seiner H.-Gl. für jeden
Beobachter heutzutage dringend erforderlich. Deun die Genauigkeit
der Meridianörter kann durch keine Häufung des Beobachtungs-
materials erhöht werden, so lange die H.-Gl. unberücksichtigt bleibt.
Noch empfehlenswerter freilich, als den durchschnittlichen Betrag
der H.-G]. mehr gelegentlich zu bestimmen und bei der Reduktion
anzuwenden, ist die von Küsiner in. Bonn zuerst systematisch ange-
wandte Eliminationsmethode, bei der alle Sterne durch Vorsetzen ge-
eigneter Gitter möglichst auf die gleiche Helligkeit abgeblendet wer-
den, da die H.-Gl. wesentlich von Luftunruhe und Bildschärfe abhängt.
Allen Versuchen gegenüber, eine Fehlerquelle, welche die Messung
einer gewissen Größe beeinflußt, zu bestimmen oder zu eliminieren,
wird aber stets eine Methode überlegen sein, welche jene Messung
auf einem von dieser Fehlerquelle ganz unabhängigen Wege erlangt.
So bilden alle Methoden, die persönliche Gleichung bei Durchgangs-
184) Vergl. neben Fußn. 95 noch besonders -D. Gill, Catalogue of 2798
Zodiacal stars, London 1899, p. 4—6; sowie D. Grll, On the definitive place of
the stars used for comparison etc., Astr. Nachr, 130 (1892), p. 161.
6. Persönliche Fehler: a) Persönliche Gleichung. 261
beobachtungen zu bestimmen und zu eliminieren — soweit sie über-
haupt dieses Ziel erreichen — nur einen Notbehelf gegenüber einem
Verfahren, welches die Bestimmung der Rektaszensionen von jeder
Durchgangsbeobachtung unabhängig macht und auf die Pointierung
des Sternbildes mit einem Faden zurückführt. Dieses leistet mit hin-
reichender Schärfe das BRepsoldsche selbstregistrierende Mikrometer, zu
dem in gewisser Weise die oben erwähnten Methoden zur Bestim-
mung der absoluten persönlichen Gleichung hinüberleiten. Während
dort die jeweilige Stellung des den künstlichen Stern bewegenden
Mechanismus zu den Fäden automatisch registriert und dadurch zu
den Signalen einer Uhr in Beziehung gesetzt wird, geschieht dies
bier in gleicher Weise für die Stellung des beweglichen Fadens, der
mit dem Sterne mitgeführt und in dauernder Bisektion gehalten wird.
Schon die ersten Versuche mit dem Repsoldschen Mikrometer ergaben
eine Verringerung der persönlichen Gleichung auf etwa den zehnten
Teil!??). Des weiteren erwies sie sich von weit größerer Konstanz,
sowohl im Lauf einer Abendreihe, wie an den verschiedenen Abenden,
und damit von der Disposition des Beobachters so gut wie unab-
hängig"®*). Von einer H.-Gl. bei Fixsternen traten kaum noch Spuren
auf, und es ist mit Sicherheit zu erwarten, daß bei Anwendung des
Repsoldschen Mikrometers auch der Einfluß der Geschwindigkeit des
Sterndurchgangs verschwinden und der Auffassungsunterschied zwischen
Sonnen- und Fixsternbeobachtungen auf ein Minimum reduziert werden
wird. Da sowohl infolge dieser Vorzüge, wie auch des ganzen Be-
obachtungsvorgangs die Genauigkeit der AR.-Beobachtungen erheblich
größer ist, als bei der gewöhnlichen Registriermethode'?”), so be-
deutet seine Einführung einen wesentlichen Fortschritt in der Besei-
tigung systematischer Fehler, dem kaum irgendwie nennenswerte
Schattenseiten gegenüberstehen.
Außer bei den Durchgangsbeobachtungen macht sich der persön-
liche „Zeitfehler“ auch bei der Beobachtung eines momentan ein-
tretenden Aufleuchtens oder Verlöschens einer Lichtquelle””'®) geltend,
135) Vergl. E. Becker?) und besonders T’'h. Albrecht ®?).
136) F. Cohn, Ergebnisse von Beobachtungen am Aepsoldschen Registrier-
Mikrometer bei Anwendung eines Uhrwerks, Astr. Nachr. 157 (1902), p. 357.
137) Vergl. sowohl F. Oohn'?%), wie Th. Albrecht?”). Im letzteren Falle
ging der mittlere Fehler einer Längenbestimmung aus einem Abend von
+ 0.060 (Durchschnitt von 7 Jahren) auf -+ 0.022 (3 Jahre) herab.
137°) Die persönliche Gleichung bei der Beobachtung von Lichtblitzen er-
wähnt schon ©. L. Gerling, Die Längenunterschiede zwischen Göttingen usw.
durch Signale bestimmt, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 261.
18*
262 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
insbesondere der Sternbedeckungen durch den Mond [vgl. VI»2,3
(Wirtz), Ne: 26. 27. 28. 34. 35.]. Der Moment des Verschwindens
eines Sterns hinter der Mondscheibe oder seines Auftauchens wird
individuell verschieden geschätzt. Diesen Fehler kann man verhältnis-
mäßig einfach durch Beobachtung künstlicher Sternbedeckungen ziem-
lich zuverlässig, insbesondere soweit es sich um den dunkeln Mond-
rand bandelt, ermitteln, indem man durch einen Stromschluß eine
feststehende Lichtquelle aufleuchten, resp. verlöschen und gleichzeitig
ein Signal auf dem Chronographen erzeugen läßt, das mit der Auf-
fassung des Moments durch den Beobachter verglichen werden kann 38).
b) Fehler beim Pointieren eines Objekts mit einem Faden (oder
allgemeiner in der Auffassung rein geometrischer Erscheinungen).
Eine Hauptklasse der hier zu nennenden Vorgänge läßt sich auf Auf-
fassungsunterschiede in der Schätzung der Halbierung von Strecken
zurückführen, sei es, daß man ein Stern- oder Mirenbild mit einem
Faden biseztiert, sei es, daß man einen Stern oder einen Kreisstrich
in die Mitte zwischen zwei enge Fäden einstellt usw. Hierher ge-
hören die AR.-Beobachtungen mit dem Repsoldschen Mikrometer, die
ö-Einstellungen am Meridian- oder Vertikalkreise und die mikrosko-
pische Ablesung seiner Kreise, die Refraktorbeobachtungen mit dem
Fadenmikrometer, die Ausmessungen der photographischen Platte mit
dem Ablesemikroskop usw. Sie alle unterliegen persönlichen Auf-
fassungsunterschieden, die aber weit geringer sind, als die Fehler der
Vürehrääkebiähsehtnnkeh: So fanden F. Cohn und A. Postelmann'®)
beim Kepsoldschen Mikrometer eine konstante Differenz von 0.020,
verschiedene Beobachter am Straßburger Meridiankreise !?%*) merkliche
Unterschiede in der Nadireinstellung, je nachdem sie von. Nord oder
von Süd aus erfolgte. Im allgemeinen werden sie von dem Aussehen
des Objekts und seinen Dimensionen im Verhältnis zur ganzen Strecke
abhängen und somit die Form einer Helligkeitsgleichung annehmen.
138) Vergl. F. Renz, Versuch einer Bestimmung der persönlichen Gleichung
bei der Beobachtung von Sternbedeckungen, Astr. Nachr. 119 (1888), p. 145.
Hierher gehört auch die Helligkeitegleichung bei sog. okkultierenden Mikro-
metern, bei denen auch das Verschwinden und Aufleuchten eines Objekts zur
Zeithixierung dient. Vel, 0. A. L. Pihl, On oceulting mierometers and „their
value as applied to exact astronomical measurements, Christiania 1898 / und
O. A. L. Pihl, Über okkultierende Mikrometer, Astr. Nachr. 134 (1894), p. 318,
sowie L. Grabowski, Beobachtungen von kleinen Planeten, Astr. Nachr. 146
(1898), p. 433 und Astr, Nachr. 174 (1907), p. 81.
158%) E. Becker, Straßb. Sternw. Ann. 1 (1896), p. LXXXIU ff.; bei W. Schur
betrug der Unterschied fast 1” und war veränderlich.
6. Persönliche Fehler: b) Fehlerhafies Pointieren. 263
Eine solche fand Küstner'?) für seine Öö-Beobachtungen am Bonner
Meridiankreise — die Sterne wurden in die Mitte der Horizontalfäden
gestellt —, nämlich für Sterne m*" Größe
+ 0”.08 (m — 8.5) + 0.05 (m — 8.5)?
(Mittel aus drei Zonen, gültig für Sterne von 7”.0 bis 9”.8); Scheiner '*°)
für photographische Messungen, deren Effekt in den relativen Koor-
dinaten heller und schwacher Sterne bei horizontaler wie vertikaler
Richtung auf 074 (Tu) stieg; beim Pulkowaer Vertikalkreise!)
variierten die Unterschiede der Beobachter merklich für Fixsterne und
die Sonne und hingen für letztere wieder von der Bildqualität ab.
Eine von der Länge der Strecke abhängende Formel für den syste-
matischen Fehler beim Schätzen ihres Halbierungspunktes stellt Hart-
mann'“*) auf. Durch Anwendung eines Reversionsprismas'*?) oder
im Falle photographischer Aufnahmen durch Drehung der Platte um
180° lassen sich diese Auffassungsunterschiede größtenteils beseitigen
(vgl. auch Fußn. 105®).
Sehr bemerkbar macht sich der Einfluß des Beobachters bei
Positionswinkel- und Distanzmessungen am Refraktor, indem hier gleich-
zeitig zwei Objekte mit zwei Fäden (Distanz) oder einem Faden
(Positionswinkel) pointiert werden. Die Diskussion dieser Fehler ist
besonders bei Doppelsternmessungen sehr schwierig, da sowohl Hellig-
keit, wie Abstand (von 0”.5 bis zu 20” und mehr) der beiden Kom-
ponenten, Neigung ihrer Verbindungslinie gegen die Vertikale, Kopf-
haltung des Beobachters usw. mitsprechen und nur zum Teil durch ein
Reversionsprisma, das übrigens bei diesen Messungen bisher nur selten
verwertet ist!“®), ausgeglichen werden können. Die Untersuchung dieser
Fehler, die wegen der sonstigen Schärfe der Messungen (s. Nr. 7) be-
hufs Ableitung der Bahnbewegung durchaus erforderlich ist, ist bis-
her in größerem Umfange nur von O. Struve‘*') durch Beobachtung
139) J. Scheiner, Der große Sternhaufen im Hercules Messier 13 nach
Aufnahmen am Potsdamer photographischen Refraktor, Berl. Abh. aus dem J. 1892,
Berlin 1892.
140) M. Nyren, Poulkova Obs. 14 (1888), p. (50) ff.
140*) J. Hartmann, Über die Ausmessung und Reduktion der photographi-
schen Aufnahmen von Sternspektren, Astr. Nachr. 155 (1901), p. 96.
140®) Die Bedeutung des Reversionsprismas +) für die fadenmikrometrische
Messung von Trabantendurchmessern (insbesondere zur Bestimmung ihrer Ab-
plattung) betont H. Seeliger, Über die Gestalt des Planeten Uranus, München Ber.
1884, p. 267. en
141) Vergl. O. Struve, Mesures microm6triques des 6toiles doubles, Poulkova
Obs. 9 (1878), 88 4—8. — Die ersten Untersuchungen an künstlichen Sternen
stellte schon W. Struve’“, p. CXLII ff., in Dorpat an.
.
264 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
künstlicher Doppelsterne durehgeführt worden. Die Fehler sind recht
bedeutend und übersteigen wesentlich den Fehler der einzelnen Messung;
auch sind sie im Laufe der Jahre merklich veränderlich. Im allge-
meinen begnügt man sich aber, die Messungen verschiedener Beob-
achter auf ein möglichst homogenes System nach Art systematischer
Fehleruntersuchung zu beziehen. Auch bei größeren Koordinaten-
differenzen treten diese Fehler auf. So fand sich zwischen den von
H. Struve und F. Renz ausgeführten Anschlüssen der Saturnstrabanten
Thetys und Rhea am Pulkowaer 30-Zöller'#) ein konstanter Unter-
schied: ds(R — 5) = + 0”.22. Zur Ermittlung seines eigenen, als
konstant angenommenen Distanzfehlers bediente sich H. Struve der
Ausmessung eines von mehreren, nahezu in gleichen Abständen be-
findlichen Sternen gebildeten Bogens im ganzen und in seinen ein-
zelnen Unterabteilungen und fand dafür‘), p. 8 aus 2 Reihen
AS = — 0”.088 +0”.012 (35 Abende),
— — 0”.126 + 0”.035 (11 Abende).
Die bei den Heliometermessungen, insbesondere dem durch kleine
Drehungen im Positionswinkel erzeugten Durchschwingen zweier
Sternbilder bei der Distanzmessung, auftretenden persönlichen Auf-
fassungsunterschiede lassen sich, soweit sie von der Helligkeit der
Objekte und der Schwingungsrichtung abhängen, durch Benutzung
von Gitterblenden und Reversionsprisma“?) beseitigen. Doch bleibt
stets noch ein systematischer Messungsfehler individueller Natur meist
in Abhängigkeit von der gemessenen Distanz selbst — wohl infolge
der verschiedenen Krümmung des Schwingungsbogens — bestehen,
dessen Studium direkt, wie oben, durch Messung eines Sternbogens
und seiner Unterabteilungen erfolgen kann!“). Im allgemeinen zieht
142) H. Struve, Beobachtungen der Saturnstrabanten, Poulk. Obs. Centr.
Nic. Publ. 11 (1898), p. 64—65.
143) Ein solches Reversionsprisma beschreibt zuerst D. @ül, Lond. Astr.
Soc. Mem. 46 (1881), p. 12—13 und betont seine Wichtigkeit für heliometrische
Anschlüsse der Marsscheibe an Sterne. Später erwies sich die Notwendigkeit,
Keversionsprisma, wie Gitterblende auch bei Sternanschlüssen anzuwenden
(D. Gil and W. Elkin, Heliometer-determinations of stellar parallax in the
southern hemisphere, Lond. Astr. Soc. Mem. 48 (1884), p. 190).
144) Vergl. über diese systematischen Fehler der Distanzmessungen an
neueren Heliometern neben D. Gill?) besonders W. Schur, Astr. Nachr. 134
(1893), p. 65 und Astr. Nachr. 142 (1897), p. 225; F. Cohn, Astr. Nachr. 142
(1897), p. 198 und Astr. Nachr. 143 (1897), p. 45; L. Ambronn, Astr. Nachr. 145
(1897), p. 49; B. Peter, Astr. Nachr. 148 (1898), p. 81, wo solche Sternbogen-
messungen diskutiert werden.
7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. 265
man es aber vor, die systematischen Distanzfehler im ganzen, ohne
Rüeksicht auf ihre individuelle oder instrumentelle Entstehung, durch
Vergleichung mit entsprechenden Meridianbeobachtungen zu disku-
tieren, was dann ins Gebiet der systematischen Fehlervergleichung
hineingehört; vgl. Nr. 7.
7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. Die
Genauigkeit der astronomischen Ortsbestimmung eines Gestirns hängt
einmal ab von der Leistungsfähigkeit des Instruments, der Konstanz
seiner Aufstellung, den Verhältnissen der äußeren Umgebung, kurz
von den gesamten geometrischen und physikalisch -meteorologischen
Beobachtungsbedingungen, sowie von der Schärfe unserer Sinne. Sie
kann aber wesentlich gesteigert werden durch eine eingehende Kritik
der allen diesen zusammenwirkenden Umständen anhaftenden Fehler-
quellen; die Zuverlässigkeit der aus den Beobachtungen zu ziehenden
Folgerungen wird vor allem durch die Vollständigkeit bedingt, mit
der es gelingt, den Einfluß dieser Fehlerquellen auf die Resultate
herabzumindern oder ganz zu eliminieren. Die diesbezüglichen Prin-
zipien gehören in die allgemeine Theorie der Beobachtungsfehler hinein,
welche gerade im Bereich der astronomischen Messungen eine weit
entwickelte Anwendung findet. Wir deuten hier nur die maßgebenden
Gesichtspunkte an.
Zufällige und systematische Fehler. Bei allen empirischen Mes-
sungen ist der Einfluß der wirksamen Fehlerquellen auf das Resultat
zum Teil mehr zufälliger Natur; er verfälscht dasselbe bald in diesem,
bald in jenem Sinne und läßt sich durch Häufung der Beobachtungen
werklich herabdrücken, wofür die Ausgleichungsrechnung in der Me-
ihode der kleinsten Quadrate eine zweekentsprechende Handhabe bietet.
Weit gefährlicher sind diejenigen Fehlerquellen, welehe das Resultat
systematisch, d. h. stets in einer gewissen gesetzmäßigen Art ver-
fälschen. Eine scharfe Grenze zwischen beiden Fehlerarten ist nicht
vorhanden, indem manche Fehlerquelle je nach ihrem Einfluß auf die
zu ziehenden Folgerungen bald als zufälliger, bald als systematischer
Natur gelten kann, und es ist gerade die Hauptaufgabe eines ge-
schickten Beobachters, die eine Fehlerart in die andere überzuführen.
Oft gelingt es durch entsprechende Anordnung der Beobachtungen,
den Einfluß einer systematischen Fehlerquelle auf das Ergebnis in
einen zufälligen umzuwandeln. Eine fehlerhafte Bestimmung des
Kollimationsfehlers bringt bei nicht umlegbaren Instrumenten einen
systematischen Gang der beobachteten Rektaszensionen nach 6 (A«,)
hervor!2e), bei umlegbaren fällt sie im Mittel beider Lagen heraus.
Bei unabhängigen (fundamentalen) Ortsbestimmungen, bei denen auf ein
266 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
möglichst fehlerfreies System der erhaltenen Sternörter der Haupt-
wert zu legen ist, wird daher eine möglichst weitgehende Variierung
der Beobachtungsumstände geboten sein; bei Anschlußbeobachtungen
wird man auf eine bis ins einzelne gehende differentielle Gestaltung dieses
Anschlusses an ein gegebenes System Wert legen. So kann man sich
bei Meridianbeobachtungen, da man gegenwärtig über hinreichend zu-
verlässige Fundamentalsysteme verfügt, durch Anlage in Form von
sogenannten Zomenbeobachtungen oft einen großen Teil der Instru-
mentaluntersuchungen ersparen. Handelt es sich vorzugsweise um die
Untersuchung periodischer Ortsveränderungen, reeller oder scheinbarer,
wie z. B. bei der Bestimmung von Sternparallaxen, astronomischen
Konstanten, der Polhöhenschwankung usw., so wird eine möglichst
weitgehende Gleichartigkeit der Beobachtungsumstände in den ver-
schiedenen Phasen .der Ortsveränderung zu erstreben sein. Während
dies hinsichtlich der mehr inneren, instrumentellen Einflüsse meist
leicht durchzuführen ist, ist man bei den äußeren geometrisch-physi-
kalischen Beobachtungsbedingungen an gegebene Verhältnisse ge-
bunden, z. B. an einen bestimmten Stundenwinkel oder eine bestimmte
Tageszeit oder an nicht zu beeinflussende meteorologische Zustände.
Hier kann meistens nur eine nachträgliche Diskussion der Beobach-
tungen über das Auftreten systematischer Fehler Klarheit schaffen.
Diese Kritik der Beobachtungen erweist sich stets; auch bei den ein-
fachsten Ortsbestimmungen, als erforderlich. Trotz aller Sorgfalt des
Beobachters bleibt neben den zufälligen Fehlern der Sternörter stets
noch ein Rest übrig, der in ihnen einen Gang nach dieser oder jener
Richtung hervorruft. Bei jeder Vergleichung zweier an verschiedenen
Instrumenten oder von verschiedenen Beobachtern oder nach ver-
schiedenen Methoden angestellten Reihen treten solche gesetsmäßigen
Unterschiede hervor. Handelt es sich nur darum, eine Anzahl solcher
gleichartiger Beobachtungsreihen zu einer möglichst homogenen Ge-
samtreihe zu vereinigen, so hat man nur die systematischen Unter-
schiede der Teilreihen in eine gesetzmäßige Form zu bringen und alle
Reihen auf ein gewisses mittleres System zu beziehen, dessen eigene
Fehler unbestimmt bleiben. Wählen wir die Meridianbeobachiungen
als Beispiel einer solehen Untersuchung, so handelt es sich da um
die Vereinigung einer Reihe von Sternkatalogen zu einem Normal-
katalog. Den Anfang bildet die Ableitung ihrer systematischen
Unterschiede, wobei man, da diese Ableitung durch erhebliche zu-
fällige Fehler sehr erschwert werden würde, eine möglichst zuver-
lässige und homogene Reihe als Bezugssystem zugrunde legt. Die
Unterschiede werden nach den Koordinaten und der Helligkeit an-
7. Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. - 267
geordnet und in mehrfacher Näherung zur Interpolation geeignete
Formeln für A«,, Au,, Ad, Aöd,'**) und die Helligkeitskorrektion ab-
geleitet. Die nach Anbringung dieser Korrektionen verbleibenden
Unterschiede sind als zufällige Fehler aufzufassen, aus ihnen — wiederum
in mehrfacher Näherung, sobald man nicht über eine wesentlich über-
wiegende Reihe verfügt — das Gewicht einer jeden Reihe abzuleiten
und die korrigierten Werte nach Maßgabe dieser Gewichte in einen
Mittelwert zusammenzuziehen. Die Festlegung des Bezugssystems
selbst — sofern, es überhaupt eine Rolle spielt — erfolgt dann da-
durch, daß man aus den systematisehen Abweichungen der stimm-
fähigen Einzelsysteme vom Bezugssystem ein Normalsystem ableitet,
auf welches schließlich jene Mittelwerte bezogen werden. In dieser
Weise sind z. B. die Auwersschen Reduktions- und Gewichtstafeln für
Sternkataloge und schließlich sein neuer Fundamentalkatalog ent-
standen '#).
Weit schwieriger und wesentlicher ist die Diskussion der syste-
matischen Fehler, wenn der Zweck einer Untersuchung nur aus der Ver-
gleichung zweier Messungsreihen und der Diskussion ihrer Unterschiede,
die sonach vorher von allen Fehlerquellen befreit sein müssen, er-
reicht werden kann, wie z. B. wenn man aus der parallaktischen Orts-
verschiebung eines uns nahen Gestirns, von zwei entfernten Erdorten
aus gesehen, seine Entfernung ableiten will. In diesem Falle kompli-
ziert sich die Untersuchung noch besonders dadurch, daß infolge der
schnellen Ortsveränderung des Gestirns die ganze Theorie seiner Be-
wegung in Form zuverlässiger Ephemeriden bekannt sein oder eben-
falls aus den Beobachtungen noch abgeleitet werden muß. Ein hervor-
144°) Vgl. Fußn. 123°). Die Anordnung der Unterschiede, die an sich Funk-
tionen beider Argumente «, ö sind und daher eigentlich in einer Tafel mit
doppeltem Eingang erfolgen müßte, in dieser einfacheren Form ist ein Notbehelf,
dessen Berechtigung nicht immer ohne weiteres angenommen werden darf,
sondern wenigstens bei Fundamentalkatalogen erst nachgewiesen werden müßte.
Siehe .H. Seeliger, München Steruw. Ann.) 1 (1890), p. XXVIL.
145) A. Auwers, Tafein zur Reduktion von Sternkatalogen auf das System
des Fundamentaikatalogs der A. G., Astr. Nachr. 134 (1893), p.33; Astr. Nachr. 143
(1897), p. 65; Astr. Nachr. 145 (1897), p. 101; Astr. Nachr. 162 (1908), p. 857;
A. Auwers, Tafeln zur Reduktion von Sternkatalogen auf das System des Fun-
damentalkatalogs des Berliner Jahrbuchs, Astronomische Abhandlungen, als
Ergänzungshefte zu den Astr. Nachr. hrsg. von H. Kreutz, Nr. 7, Kiel 1904;
A. Auwers, Gewichtstafeln für Sternkataloge, Astr. Nachr. 151 (1900), p. 225 und
Astr. Nachr.162 (1908), p. 357; A. Auwers, Ergebnisse der Beobachtungen 17501900
für die Verbesserung des Fundamentalkatalogs des Berliner Jahrbuchs, Astr.
Nachr. 164 (1904), p. 225; vgl. auch F.Cohn, Definitive Bearbeitung der Rektas-
zensionen der Eros-Vergleichssterne (1900-01), Astr. Nachr. 170 (1905), p. 38.
268 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
ragendes Beispiel einer planmäßig durchgeführten Bearbeitung eines
solchen umfangreichen Materials bietet die Diskussion der anläßlich
der Opposition der Planeten Iris, Viktoria und Sappho (1888—89) zur
Bestimmung der Sonnenparallaxe angestellten Beobachtungen”) (s. a,
Nr. 8). Insbesondere ermöglichte es hier das Zusammenwirken ver-
schiedener Instrumente (Heliometer, Meridiankreis), durch Vergleichung
der beiderseitig für einen bestimmten Sternkomplex erhaltenen Örter
sowohl die Helligkeitsgleichung der Meridianbeobachtungen wie die
von der Größe der gemessenen Distanz abhängigen Fehler der Helio-
metermessungen abzuleiten. Am wichtigsten aber ist eine eingehende
Kritik bei den p. 266 erwähnten Beobachtungen periodischer Orts-
veränderungen, wo zahlreiche Fehlerquellen täglicher und jährlicher
Periode die Ergebnisse zu verfälschen geeignet sind. So gehört die
kritische Diskussion der Beobachtungen und ihre Befreiung von den
ihnen anhaftenden Fehlerquellen zu den schwierigsten Kapiteln der
Fehlertheorie.
Die Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. Will man
einen Maßstab für die Genauigkeit der astronomischen Ortsbestimmung
gewinnen, so muß man nach dem ÖObigen wesentlich unterscheiden
zwischen der inneren Übereinstimmung, welche durch die mehr zu-
fälligen Beobachtungsfehler gestört wird, und die tatsächlich erzielte,
gewissermaßen absolute Genauigkeit, die im wesentlichen von der
Vollständigkeit abhängt, mit der die Elimination der systematischen
Fehler im einzelnen gelungen ist. Die innere Übereinstimmung.
wird im allgemeinen nur ein unsicheres Bild der tatsächlich erzielten
Genauigkeit geben und ein entscheidendes Kriterium nur durch Ver-
gleichung mehrerer ganz unabhängiger Beobachtungsreihen und ihrer
Ergebnisse erlangt werden können.
Die Leistungen der astronomischen Instrumente bewegen sich
seit den Zeiten, da das Fernrohr in ihren Dienst gestellt wurde, be-
sonders aber im letzten Jahrhundert, in schnell aufsteigender Linie.
Waren noch zu den Zeiten J. Flamsteeds die ganzen Sekunden lediglich
Rechnungsgrößen, so erlangte durch J. Bradley und T. Mayer die
Bogensekunde volles Bürgerrecht, und heutzutage sind wir berechtigt,
bei den feinsten Untersuchungen die 0*.001 und 0”.01 mitzunehmen.
Diese Steigerung der Genauigkeit, die sich ganz besonders bei den
Meridianbeobachtungen zeigt, beruht sowohl auf der größeren Leistungs-
fühigkeit der Instrumente, wie auf der gerade dadurch ermöglichten
schärferen Untersuchung ihrer Fehler. Ferner spielt die bessere
Kenntnis der zur Reduktion erforderlichen astronomischen Konstanten
— sowohl der eigentlichen Konstanten, wie auch z. B. der Örter einer
7. a) Genauigkeit der Meridianbeobachtungen. 269
größeren Zahl von Fundamentalsternen — eine wichtige Rolle).
Nicht zum wenigsten sind auch die strengeren Anforderungen, welche
die fortschreitende Theorie der Bewegungen der Himmelskörper an
die Praxis stellt, hierbei zu nennen. Denn erst die Möglichkeit,
die erhöhte Genauigkeit in der Beobachtung eines Vorganges auch
verwertet zu sehen, bietet einen Antrieb, sie aufs höchste zu steigern.
Ein wesentliches und zugleich unübersteigliches Hindernis für eine
weitere Vervollkommnung der astronomischen Beobachtungsergebnisse
verursacht die irdische Atmosphäre, sowohl durch die Verwaschenheit,
als vor allem durch die Unruhe der Bilder, deren Einfluß sich bei
der steigenden Exaktheit der Instrumente mebr und mehr geltend
macht. Oft ist eine scharfe Pointierung der Sternbilder ganz unmög-
lich, da sie bald Sprünge von 10” und mehr ausführen, bald langsamen
aber darum noch gefährlicheren Wallungen unterliegen, bald aus-
einanderfließen oder zerspringen usw. 80 muß man die Genauigkeit
aller feineren astronomischen Beobachtungen in ihrer Abhängigkeit
vom Luftzustande untersuchen.
Die Leistungen der astronomischen Instrumente mögen durch
einige Zahlenangaben veranschaulicht werden, zu deren Ergänzung
die früher für die Schärfe einzelner Messungsvorgänge an Hilfsinstru-
menten usw. gegebenen Zahlen dienen können.
a) Meridianbeobachtungen.
Für einige der namhaftesten Sternkataloge aus der Zeit seit 1750
sei hier der zufällige mittlere Fehler &, der einzelnen Beobachtung,
wie er aus der inneren Übereinstimmung gefolgert ist („innere @e-
nauigkeit“), zusammengestellt, und schon dadurch die Steigerung der
Leistungen veranschaulicht. Zugleich ist in einigen Fällen auf einige
für die Genauigkeit wesentliche Einflüsse hingewiesen.
Greenwich, Passageninstrument und Mauerquadrant von Bird,
Epoche 1755, Beobachter Bradley, red. von A. Auwers'*), meist nur
ein Faden und Teilstrich):
&, («) = + V(0°.160)? + (0°.083 sec 0),
&, (6) = + V1.36 + 0.085 tg? 2" der reine zufällige Beobachtungsfehler;
= +Y1.92 +0.085 tg?z’ inkl. Teilungsfehler.
1456) Aus diesem Grunde werden jetzt nachträglich zahlreiche ältere Beob-
schtungsreihen einer Neureduktion unterzogen. So berechnet A. Auwers das Ge-
wichteverhältnis seiner „Neuen Reduktion der Bradleyschen Beobachtungen‘
3, St. Petersburg 1888, p. 19-21 zu den „Fundamenta astronomiae" Bessels
(Bessel, Fund.) in « wie 1.75:1, in ö wie 1.4:1, und in anderen Fällen wird
die Gewichtszunahme noch größer sein.
270 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Dorpat, Reichenbachscher Meridiankreis!”), Epoche 1830, 3 Be-
obachter 8 (W. Struve), P (Preuß), D (.Döllen):
ö &ı (®) ö & (Ö)
von bis FRE ENT p .|von bis R P D
—15° +45 + 0.08| +10 | +12 | 19 0% +171 | +ıra | +ıX8
+45 0 .10 „15 .15 0 +20 1.0 1:8 1.6
60 65 ‚12 .17 14 420 40 0.9 L 1.6
65 70 .14 .16 .19 40 60 0.8 174 1.5
70 75 ‚19 .22 «26 60 90 0.9 1.0 1.3
75 80 .24 .29 17 il
80 85 ‚89 ‚63 45 |
Pulkowa, Großes Passageninstrument von Ertel'#):
ö 8, (a), Pulkowa 1845 8, (@), Pulkowa 1865
von bis Auge und Orr | Auge und Ohr | Registriert
0° +500 + 0.063 + 08.061 | + 0.088
+60 70 £ 0.098 + 0.091 | =#0.089
Sehr ähnliche Zahlen gibt der Katalog für 1885, p. [68].
Berlin, Großer Meridiankreis von Pistor und Martins“) (8 Zoll):
{) Sterngröße |
Beobachter | Epoche ; 2 &, (@) 8, (6)
von bis von bis |
Becker...... 1876 420° 1250| 0m0 mg + 0.030 + 0.43
Küstner..... 1885 6.235145 9.540.088 +0 .00
Battermann . 1895 10 25|5.0 9.2 )40.024secdi +0 .30
9 3 9.92:i+0.037secöj +0 .38
Bonn, Repsoldscher Meridiankreis (6 Zoll), Epoche 1900, Beob-
achter Küstner'?):
von 0 bis &(®) &, (0)
0° -+18° -+ 0°,036 - 0”.49
+18 36 -+ 0.032 +0 41
36 51 + 0.037 +0 .39
147) F. @. W. Struve, Stellarum fixarum positiones mediae, Petropoli 1852,
p. LXXIU etec.
148) Die drei Pulkowaer Fundamentalkataloge, sowie die im Text ge-
gebenen Werte von s,(«) siehe Poulkovs Obs. 3 (1870), p. (69). (70) [Äquinox
1845.0]; Poulkova Obs. 12 (1887), p. (43) [Äquiuox 1865.0] und: Poulk. Obs. Centr.
Nic. Publ. 3 (1905), p. [68] [Äquinox 1885.0].
149) E. Becker, Catalog der Astronomischen Gesellschaft, 1. Abteilung,
zehntes Stück, Berliner Zone, Leipzig 1895, p.9; F. Küstner, Berlin Sternw.
Ergebn. Heft 2 (1887); H. Battermann, Berlin Sternw. Ergebn. Heft 8 (1899).
7. ©) Genauigkeit der Meridianbeobachtungen. 971
Den durch Einführung des Repsoldschen Mikrometers erzielten
Fortschritt veranschaulichen die folgenden Zahlen:
' München, neuer Repsoldscher Meridiankreis (6 Zoll); Beobachter
Oertel"®), ohne Uhrwerk, nur helle Sterne:
&,(e) = + 0.024 sec Ö,
Königsberg, alter Repsoldscher Meridiankreis (4 Zoll); Beobachter
F. Cohn"), wit Uhrwerk:
Sterngröße
von bis ae)
520 gm6 + 0°.017 sec 6
8,6: : 92,0 | -+ 0°,019 sec Ö
Die Abnahme der inneren Genauigkeit von Deklinations-
beobachtungen mit der wachsenden Zenitdistanz (2), infolge der
zunehmenden Luftunruhe (6) und Refraktionsanomalien (oe), spricht
sich in den folgenden Zahlen für den Pulkowaer Vertikalkreis!??) aus:
Pulkowa 1845 Pulkowa 1865 Pulkowa 1885
2 (6) 2 2(d) Er | 6 | @
10°: +0”.36 | 71,91 +0”.38 | 7, °
20 +038 | 1571 +032| 16 | +03 * Res
I + I HI +0. na Be A
40 +04| 35 |+0.38| 3 | 0.39 +0 .30 +0 .10
50 +0507|45 14040: 5) +08: 40.33 +0 .14
60 037574047 55! +09 |) 40.3 +0.
. 70 +86 1656| +065|60 +04) +0. +0 .27
5 | 2100| 9%) 0.9 | 9% 40:9 | 40.4 +0 88
| 77Yı 0.85 | 77% 0.83%) +0 .56 +0 .62
! !
N T
e(ö) ist hier der m. F. einer auf je zwei Einzeleinstellungen in
beiden Lagen beruhenden Deklination, o der reine Kinstellungsfehler,
g der Refraktionsfehler, wozu als konstanter Rest y = 4- 0.15 noch
die zufälligen Teilungsiebler usw. hinzukommen.
150) K. Oertel, Über das Repsoldsche unpersönliche Registriermikrometer,
Astr. Nachr. 165 (1904), p. 81.
151) F. Cohn, Die Roktaszensionen der Eros-Vergleichssterne, Königsb.
Beob. 41 (1908), p. 112.
152) Enthalten in Poulkova Obs. 5 (18573), Poulkova Oba. 14 (1888) und Poulk.
Obs. Centr, Nic. Publ. 2 (1896).
2372 VIs,5. Fritz Cohn. Theorie
Analog findet Bauschin-
ger‘) bis z= 85°:
&=+Y (0".32)°-+(0”.23 tg2)%,
über 2 = 85° steigt der letzte
Koeffizient auf 0”.28. Hinzu
kommt noch der Fffekt der
nicht angebrachten Teilungs-
fehler mit + 0.23.
Die tatsächlich erzielte
Genauigkeit der genannten
und einiger anderer Kataloge
veranschaulicht nach Auwers’
Gewichtstafeln'*), die aller-
dings eigentlich nur für die
helleren Sterne maßgebend sind
— für die schwächeren dürf-
ten die Fehler etwas größer
sein —, die nebenstehende Zu-
sammenstellung.
Diese Zusammenstellung
zeigt die rasche Zunahme der
Genauigkeit während der letz-
ten 1/, Jahrhunderte. Beson-
ders in « tritt um 1860 bei
Greenwich und Pulkowa ein
Sprung durch den Übergang
zur Registriermethode ein, wo-
zu bei Greenwich noch die
Anwendung eines neuen Meri-
diankreises seit 1850 hin-
zukommt.
Reihen sind angestellt von
Becker, Küstner und Batter-
mann, bei der mittleren be-
zieht sich a auf Anhalt-, b
auf Änschlußsterne. München
1900 ist die erste Reihe mit
Die drei Berliner —
der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
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7. b) Genauigkeit visueller Refraktorbeobachtungen. 273
Repsoldschem Mikrometer). Königsberg 1900 ist die Uhrwerk-
Mikrometerreihe von F. Cohn'??*).
Die Genauigkeit, mit der wir einen Sternort für eine bestimmte
Zeit berechnen können, hängt, da es sich zugleich um die Kenntnis
der als linear angesehenen Eigenbewegung handelt, von der Anzahl
und dem Gewicht der vorhandenen Beobachtungen, sowie von ihrer
Verteilung über einen möglichst weiten Zeitraum ab. Für die best-
bestimmten, die Fundamentalsterne, wird man gegenwärtig ihren Ort
(innerhalb des Systems) mit einem mittleren Fehler von höchstens
+ 0”.1 angeben können. Ferner wird man nach dem Obigen von einer
guten Meridianbeobachtung verlangen müssen, daß ihr mittlerer Fehler
innerhalb ihres Systems + 0”.5 nicht erheblich überschreite.
b) Visuelle Refraktorbeobachtungen.
Für die üblichen mikrometrischen Anschlüsse am Refraktor fehlt
es an zuverlässigen Genauigkeitsangaben, da die Beobachtungen der
Kometen und kleinen Planeten, teils wegen der unsicheren Auffassung
und der nicht hinreichend zu eliminierenden Bewegung des Objekts,
teils wegen der Ungenauigkeit in. den Örtern der Anhaltsterne ein zu
ungünstiges Bild geben würden. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit
bei scharf beobachtbaren, nicht zu schwachen Objekten ist; wesent-
lich höher. Am 30zölligen Refraktor der Pulkowaer Sternwarte erhielt
H. Struve‘’?®) bei 5ldfacher Vergrößerung für den mittleren inneren
Fehler eines auf je 8 Einzeleinstellungen (je zwei vor und nach Durch-
schrauben und geänderter Koinzidenz) beruhenden mikrometrischen
Anschlusses in relativen Polar- resp. rechtwiukligen Koordinaten (s, p
oder x, y) aus der inneren Übereinstimmung der beiden Einzelsätze:
Tethys-Rhea............. 1888 = +00 | 8-89 = + 0”.062
Knceladus-Tethys .... .. | 1888 | +0071 | +0 .066
Mimas ....... KR | 1890 -+ 0.093 | +0 .096
Hyperion-Titan ......... | 1888—89 +0.12386 | +0 .134
Hyperion-Saturmn ........ | 1889 +0 .225 +0 .185
Rhea-Saturm ............ | 1890 2,=-+0.090 y=-+0 07
Er bemerkt dazu, daß die geringere Güte der Beobachtungen von
Hyperion hauptsächlich auf die Anwendung heller Fäden zurückzuführen
sei, sowie daß die mittleren Fehler seiner besten früheren Beobach-
tungen am 15-Zöller doppelt so groß gewesen seien.
Die tatsächlich erzielte Genauigkeit kann man nur vermischt mit
15%*) F. Cohn, Astr. Nachr. 170 (1905), p. 43-—44.
152°) H. Strwe'*®), p. 18.
9274 Vla,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
den nach der Ausgleichung verbliebenen, allerdings wohl geringfügigen
Fehlern der Bahnbestimmung aus der folgenden Darstellung”? °) ersehen:
Mittlerer Fehler einer uollständigen Messung einer Koordinaten-
differenz:
H. Struve Tethys-Rhea Enceladus-Tethys Dione-Rhea
Pulkowa & 8 €
1886 + 0”.084 + 0.077 _—
1887 0 .089 0.093 —
1888 0 .089 0.096 + 0.099
1889 0.096 0.101 +0 .u7
1890 0.104 0 .122 | +0 .105
1891 0.104 0 .107 | + 01107
1892 0.099 0.116 | +0 .086
Die Abnahme der Genauigkeit mit den Jahren geht auf den
niedrigeren Stand des Saturn, sowie auf die allmähliche Zusammen-
ziehung des Ringes zurück, welche die Messungen erschwerte. Unter
günstigen Verhältnissen beträgt also der mittlere Fehler einer voll-
ständigen Messung nur + 0”.09.
Bei den Erosbeobachtungen am 13zölligen Königsberger Re-
fraktor erhielt H. Struve®®) als mittleren Fehler s einer vollständigen,
auf 8 Einzeleinstellungen beruhenden Koordinatenmessung bei 200-
facher Vergrößerung und dunkeln Fäden & == + 0.132, bei hellen
. Fäden s = -+ 0”.171.
Für die Doppelsternmessungen stellen wir die Genauigkeitsangaben,
welche W. Struve am Dorpater 9zölligen, O. Struve am Pulkowaer
15zölligen und H. Struve am 30zölligen Refraktor aus ihren Beob-
achtungen ableiten, zusammen !%#):
PEERE W. Struve OÖ, Struve H. Struve
&, 8-5p £, | 8% & I 8 &n
<ri +2 | +0” | +7 | +5 | +0 | +0.
u .15 .08 .12 .08 a ‚05
2—4 SER .12 ‚i8 .12 ‚il .07
4—8 .22 ‚18 14 18 .10 .08
8—-12 .27 ‚20 20 .26 4 08
12—-16 | .28 22 .20 26
16-—24 29 .28 ‚19 1 13 u
24—32 ‚30 ‚30 ‚18 .24
152°) H. Siruve '*?), p. 65.
153) H. Strwve, Mikrometermessungen von Eros, Königsb. Beob. 41 (1903), p. 12.
154) Für die ersten beiden nach ©. Struve'*'), p. 152, für die letzten nach
H. Struve, Mikrometermessungen von Doppelsternen, Poulk. Obs. Centr. Nic. Publ.
12 (1901), p. 3.
7. e) Genauigkeit der Heliometermessungen. 275
W. Struves Werte beruhen auf 2 s- und 2 p-Messungen, OÖ. Struwes
auf 4 s-und 3p-, H. Struves auf je 4 Messungen in beiden Koordinaten.
e) Die Leistungsfähigkeit des Heliometers-bei der Messung von
Distanzen läßt sich am besten veranschaulichen durch die Vergleichung
der Ergebnisse der heliometrischen Triangulation der Vietoria-Ver-
gleichsterne mit den Meridianbeobachtungen®”). Jede Distanzmessung
beruhte auf dem Mittel von 4 Einstellungen und war in strengem
Anschluß an eine Normaldistanz zweier „Standard stars“ abgeleitet;
die mittleren Fehler enthalten also auch den Fehler der Normaldistanz-
messung in sich, sind dafür aber von der Unsicherheit des anzuwenden-
den Skalenwerts unabhängig. Die Zusammenstellung gibt den zu-
fälligen mittleren Fehler &, (aus der inneren Übereinstimmung), den
tatsächlichen mittleren Fehler & und den systematischen e (aus der Ver-
gleichung mit den Meridianbeobachtungen) !°**) einer Distanzmessung:
Cape (190"= Öffnung)
| a Finlay
\ we 5 c & & €
Distanz | ,8_7.8 | 79-85 |
1000” 1 +0”.10 | +0”.11 !+0”.13 | +0”.08 | +0".18 | +0”.15 | + 0”.07
2000” 12 1a 16 | + ..01 .16 .18 .00
3000” 14 17 + ,0 .18 a u
4000” 17 .20 2|+ 1 .20 25 00
5000” .18 ‚22 241 — .06 ‚23 28 | — .06
6000” .20 ‚24 2686| — .04 .25 3831| —...18
7000” .21 ‚26 .28 .00 Be 18
Chase Jacoby
&, | |
i nn ag € c & | 8 | €
Distanz | 5583| 83-85 |
1000 | +0,22 | +0.32 | +0”.81 | +0”.14 Bon + 0".24 | + 0.18
2000” ‚25 ‚85 32|+ .08 RR Re a
3000” ‚28 ‚39 34 | + .08 2. 3232| + 18
4000” ‚30 42 WE: ba 88 | .00
5000” ‚38 AA Bel Ge re PR TEREEISR N
6000” ‚8b Ab “1.18 BER a re
7090 .36 47 44 | — .08 se REN PR TE SRER N |
154*) Siehe D. Gill ete.?°), Cape Obs. Ann. 6 (1897), p. 113 und p. 280 bis 231.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 19
276 Vle»,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Göttingen (162”m Öffnung)
. Schur ; Ambronn
Distanz
8 | & | e & | & c
1000” | + 0.18” | +0"19 | +0”.20 +0”21 | +0”1a
2000 .22 28:1 0.08 s 25 + .02
3000” .25 | 231 + .89 $ 30 |.—..11
4000’ Mr; BR; | ..,08 io) SA mo ı 11
5000” 3 ig ang i= 201... 58
6000” 38 | ae © En
7000” | 35 | N weg
Durchschnittlich wird man den mittleren Fehler einer solchen
Distanzmessung an den größeren Heliometern bei mittleren Distanzen
zu + 0”.25 veranschlagen können. Vgl. auch Nr. 8.
Eine wesentlich größere Genauigkeit liefert das Heliometer bei
der Messung von Distanzdifferenzen, wie sie zur Bestimmung von
Sternparallaxen ihre klassische Anwendung gefunden haben. So be-
trug der
Mittlere Fehler & einer Distanzdifferenz:
Beobachter | BHeliometer | Öffnung 8
Gall !55) | Cape, altes | 4 Zoll + 0.19
Gi | Cape, neues :, +0 11
Peter ®®) li. Leipsig | ER Fo 1
d) Photographische Beobachtungen.
Zur Charakterisierung der Genauigkeit der photographischen Orts-
bestimmung gibt Thiele!®) für dem mittleren Fehler einer Distanz-
messung, aufgenommen am Pariser photographischen Refraktor, folgende
Daten an: Der allein von den zufälligen Messungsfehlern berrührende
Teil &, beträgt in Bogensekunden:
Er Via (0.0216 -+- 0.0019 (d — 5,5),
worin $ die Distanz, d den Sternscheibchendurchmesser in Bogen-
sekunden, n die Zahl der Einstellungen bedeutet. Für s = 1000”,
d= 5". b, n=3 wird = + 0.086. Als konstanten, von der
iso) D. Gil, Researches on stellar parallax made with the Cape helio-
meter, Cape Obs. Ann. 8, part 2 (1900), p. 138B.
156) T. N. Thiele, Note sur l’application de la photographie aux mesures
mierome6triques des &toiles, Comit6 carte du ciel bull.°") 1, Paris 1887, p. 51.
7. d) Genauigkeit der photogrephischen Beobachtungen. 277
Deformation der Sternscheibchen herrührenden Betrag s, findet er:
&,= + 0”.092, und von der Schichtverziehung herrührend: e, = + 0”.098,
so daß ein Gesamtfehler von + 0".15 resultiert, der durch keine Ver-
mehrung der Messungen auf ein und derselben Platte erniedrigt werden
kann. Ganz ähnliche Zahlen findet Wüsing!®’): + 0.098, + 0”.102,
+ 0”.105, insgesamt + 0".18.
Größer sind die Fehler bei den rechtwinkligen Koordinaten der
Aufnahmen der photographischen Himmelskarte. So findet Scheiner'°®)
im Durchschnitt zweier Beobachter für den mittleren Fehler einer zwei-
maligen Pointierung auf die Sternbilder + 0”.091'3°), der Gitterstriche
+ 0”.042, woraus als mittlerer Fehler einer Koordinate + 0.10 folgt.
Die Vergleichung beider Beobachter liefert hingegen hierfür den
Wert + 0”.15, welcher durch die verschiedene Auffassung der Stern-
scheibchen und Gitterstriche zu erklären ist. Mit Einrechnung des
konstanten Plattenfehlers folgt als mittlerer Fehler der auf die Platten-
mitte bezogenen rechtwinkligen Koordinaten + 0".19. Hingegen ergibt
die Vergleichung derselben Sternörter aus zwei verschiedenen Platten
+ 0”.24. Genau denselben Wert findet M. Loewy für die Örter der
Pariser Zone der photographischen Himmelskarte!). Diese starke
Steigerung beruht zweifellos auf systematischen Fehlerquellen, deren
Studium daher auch für die photographischen Aufnahmen dringend
notwendig ist (vgl. p.247—250). Vorderhand wird sich über die Zuver-
lässigkeit der photographischen Festlegung der Sternörter und damit
ihre Verwertbarkeit für die astronomische Koordinatenbestimmung
kaum ein abschließendes Urteil fällen lassen. Die durch die obigen
Zahlen dargestellte Genauigkeit steht hinter guten Fadenmikrometer-
messungen weit zurück und übertrifft auch die an Meridiankreisen
erzielte Genauigkeit nicht sehr erheblich. Doch ist zu erwarten, daß
sie unter günstigen Verhältnissen und bei strenger Kritik der Fehler-
quellen noch ganz bedeutend gesteigert werden kann. Eine Aussicht
darauf eröffnet die weit größere Genauigkeit, die in der relativen
Koordinatenfestlegung — ähnlich wie beim Heliometer — z. B. durch
157) J. Wilsing, Über die Genauigkeit photographischer Messungen, Astr.
Nachr. 141 (1896), p. 89.
158) J. Scheiner, Photographische Himmelskarte °*®), p. XX-- XXL
159) Für die achtmalige Pointierung eines einzelnen Sternbildes findet
J. C. Kapteyn, The parallax of 248 stars, Groningen Labor. Publ., Heft Nr. ı,
Groningen 1900, p. 33, einen mittleren Fehler von + 0°’.120.
160) Observatoire de Paris, Catalogue photographique du ciel, coordonndes
rectilignes 1, Paris 1902, p. [7]; vgl. auch Conf. astrophot 190005) Circulaires
8 et 9, Paris 1901 et 1902.
19*
278 VlIa,5. Frits Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Anschluß eines Sterns am günstig ausgewählte Vergleichssterne und
möglichste Gleichartigkeit der Beobachtungsumstände bei der Paral-
laxenbestimmung (s. auch Nr. 8) erzielt worden ist. So findet
F. Schlesinger‘®*) als mittleren Fehler einer solchen Ortsbestimmung
am 40-Zöller der Yerkes-Sternwarte & = + 0.045 und A. R. Hinks
und H. N. Russell") erhalten aus 10 Sternen, die auf Parallaxe unter-
sucht und an 6-—9 Vergleichsterne auf 5—8 Platten angeschlossen
sind, im Mittel = + 0”.065.
Ähnliche Erfolge erzielt J. C. Kapteyn“®) bei seiner Methode,
Parallaxen und Eigenbewegungen aus ganz geringen Koordinaten-
differenzen abzuleiten (s. Nr. 8).
e) Erwähnt sei endlich noch die hervorragende Genauigkeit, welche
bei den Beobachtungen nach der Taleott-Horrebow-Methode (vgl. p. 105
und p. 220) wit verhältnismäßig kleinen Instrumenten — vier der
Zenitteleskope der:internationalen Breitenstationen haben eine Öffnung
von 108 mm, eins von 81 mm, eins nur von 68 mm, die Vergrößerung
ist rund 100fach — erzielt wird. Von den Ergebnissen, bezüglich
deren im einzelnen auf die umfangreichen Publikationen des „Zentral-
bureaus der Internstionalen Erdmessung“!%) verwiesen werden muß,
sei hier nur erwähnt, daß sich der zufällige mittlere Fehler eines Stern-
paares im Mittel der 6 Stationen zu + 0”.16 (= 0.9 u) ergeben hat;
dazu kommt allerdings noch ein systematischer Stationsfehler hinzu,
der individueller!#*) oder instrumenteller Natur sein, vor allem aber
von Refraktionsanomalien herrühren kann. Die zahlreichen Beob-
achtungen haben die momentane Polhöhe mit einem mittleren Fehler
von wenigen 0.01 an jedem der 6 Orte bestimmen lassen, so daß
161) F. Schlesinger, On the stellar parallax plates taken with the Yerkes
telescope, The Astrophysical Journal 20, Chicago 1904, p. 123 ff.
162) H. N. Russell, Stellar parallax papers, Lond. Astr. Soc. Monthly Not.,
65 (1906), p. 787 und 67 (1907), p. 132.
163) Centr.-Bur. Erdm. Veröff., insbesondere die „Resultate des internatio-
nalen Breitendienstes“* I von Th. Albrecht, TI von Th. Albrecht und B. Wanach,
Centr.-Bur. Erdm. Veröff., N. F. Nr. 8 und 18, Berlin 1903 und 1906 (Albrecht,
Breitendienst, Resultate). Vgl. auch 7%. Albrecht, Bericht über den derzeitigen
Stand der Erforschung der Breitenvariation im Dezember 1897, am Schlusse
des. Jahres 1898, am Schlusse des Jahres 1899, gleichfalls Centr.-Bur. Erdm.
Veröff., Berlin 1898, 1899, 1900 (Albrecht, Breitenvariation, Berichte).
163°”) So fand sich auf der Station Gaithersburg eine systematische
Differenz zweier Beobachter von 0’°.10; vgl. Albrecht, Breitendienst, Resultate ’*®),
I (1903), p. 167.
8. Die Abgrenzung des Arbeitsfelde«. 979
im Mittel die Bewegung des Pols mit einer + 0".01 kaum über-
steigenden Unsicherheit festgelegt erscheint. Über die Deutung
mancher durch diese Schärfe der Beobachtungen zutage getretenen
systematischen Erscheinungen herrschen noch Meinungsverschieden-
heiten !*%),
8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes und das Ineinander-
greifen der verschiedenen Instrumente und Beobachtungsmethoden,
Eine Verteilung der Aufgaben, welche die astronomische Ortsbestim-
mung bietet, auf die verschiedenen Instrumente kann naturgemäß
nicht mit absoluter Bestimmtheit gegeben werden. Die Entscheidung
hängt oft einmal von den verfügbaren Hilfsmitteln, dann von dem
subjektiven Empfinden ab und ändert sich bei jeder wesentlichen
Vervollkommnung eines Instruments oder Messungsverfahrens; sie
könnte also in jedem Falle nur für einen bestimmten Zeitraum gültig
sein. Doch lassen sich einige allgemeine Gesichtspunkte für sie auf-
stellen, zunächst für die absolute Ortsbestimmung, die entweder direkt
am Meridiankreise oder indirekt durch mikrometrischen Anschluß an
Anhaltsterne am Refraktor erfolgen kann. Die Ortsbestimmung am
Meridiankreise ist im allgemeinen bequemer, da sie ein fertiges Re-
sultat gibt; die mikrometrische, visuelle oder photographische Messung
am Refraktor ist an sich genauer, setzt aber günstig gelegene und
sicher bestimmte Vergleichsterne voraus. Die stets wachsende Zahl
der letzteren verschiebt einerseits die Sachlage zu gunsten des Re-
fraktors, andererseits hat gerade die Genauigkeit der Meridianbeob-
achtungen in dem letzten Jahrhundert eine außerordentliche Steigerung
erfahren. In neuerer Zeit ist hinzugekommen der Gegensatz der
visuellen und der photographischen Beobachtungsmethode, der sich
indessen wesentlich auf den Refraktor beschränkt!®).
164) Vgl. H. Kimura, On the existence of a new annual term in the varia-
tion of the latitude, Astr. Nachr. 158 (1902), p. 233, ferner Th. Albrecht !°®)
und R. Schumann, Numerische Untersuchungen über Polhöhenschwankung und
Aberrationskonstante, Astronomische Abhandlungen, als Ergänzungshefte zu
den Astr. Nachr. hrag. von H. Kreutz, Nr. 11, Kiel 1906 und Astr. Nachr. 173
(1906), p. 209; sowie das Referat von E. Großmann über Schumanns Arbeiten in
Astr. Ges. Vjs. 42 (1907), p. 265—287.
165) Betreffs photographischer Methoden der geographischen und astrono-
mischen Ortsbestimmung vgl. VI23 (Wirtz), Nr. 25; außerdem in bezug auf die
Anwendung der Photographie bei Meridianbeobachtungen z. B. (J. @. Hagen),
The Photochronograph and its application to star transits; sowie (J. G@. Hagen),
Photographic transits of 161 stars [beide Arbeiten sind Publications of the
Georgetown College Observatory (Washington)], Washington 1891, 1896; in bezug
auf photographische Polhöhenbestimmungen nach der Horrebow- Talcott- Me-
280 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
Abgesehen von den fortlaufenden Beobachtungen der Sonne, der
Fundamentalsterne und der großen Zahl hellerer Sterne überhaupt,
die unzweifelhaft dauernd die Domäne des Meridiankreises resp. des
Passageninstruments und des Vertikalkreises bilden werden, hat man
bisher auch stets den Mond, die großen und die hellsten kleinen
Planeten am Meridiankreise beobachtet. Neuerdings macht sich das
Bestreben geltend, die Ortsbestimmung dieser Himmelskörper zur Er-
höhung ihrer individuellen Genauigkeit der differentiellen Meßmethode
zu überweisen, und zwar speziell dem Heliometer!‘®). Ob die neuer-
liche Einführung des Repsoldschen Mikrometers mit seinen schwer-
wiegenden Vorteilen gerade bei Beobachtung von Sternscheiben nicht
wieder einen Rückschlag zu gunsten der Meridianbeobachtung be-
wirken wird, läßt sich. noch nicht übersehen. Nur für den Mond,
dessen schnelle Bewegung eine möglichst häufige, schärfste Fest-
legung seines Orts wünschenswert macht, wird man wohl allmählich
zur Anschlußbeobachtung übergehen. Die ersten Anfänge dazu liegen
in der üblichen Beobachtung der Bedeckung zahlreicher Sterne bereits
vor, deren Örter nachträglich am Meridiankreise bestimmt werden.
Wie weit man die Helligkeitsgrenze der am Meridiankreise zu beobach-
tenden Fixsterne hinausschieben will, während man die Gesamtmasse
der schwächeren der Photographie überläßt, ist noch unentschieden.
In jedem Falle muß der Meridiankreis die zur Reduktion der Platte
erforderlichen Anhaltsierne liefern und hat damit, da z. B. bei der
photographischen Himmelskarte alle Sterne bis zur 9%" Größe etwa
als Anhaltsterne benutzt zu werden pflegen, immer noch ein sehr
großes Arbeitsfeld. Denn es handelt sich nicht nur um die ein-
malige Fixierung der Örter dieser über eine Viertelmillion betragenden
Sterne, sondern um die Kenntnis ihrer Eigenbewegungen, die nur durch
einen längeren Zeitraum überspannende Beobachtungen erlangt werden
kann. Über diese Verarbeitung der Meridianbeobachtungen vgl. VI2,2
(F. Cohn), p. 66—70.
Bezüglich der Verteilung der Anschlußbeobachtungen, sowie aller
thode vgl. z. B. A. Marcuse, Bemerkungen über die photographische Polhöhen-
methode, '‘Astr. Nachr. 150 (1899), p. 101, für andere Methoden der Polhöhen-
bestimmung K. Schwarzschild, Astr. Nachr. 164 (1908), p. 1 und (1904), p. 177.
Hier verdient auch die „stereoskopische Methode‘ der Parallaxenbestimmung
Erwähnung; vgl. C. Pulfrich, Kritische Bemerkungen über neuere Methoden der
Entfernungsbestimmung der Fixsterne, Astr. Nachr. 168 (1906), p. 67.
166) S. Neweomb, Considerations on the best method of determining posi-
tions of the planets by observation, Astron. Journ. 13 (1894), p. 191. Vgl. auch
D. @iNl, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 54 (1894), p. 851.
8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes: a) Sonnenparallaxe. 281
Objekte, deren relative Örter allein von Interesse sind (Doppelsterne,
Sternhaufen, Satelliten), auf die verschiedenen differentiellen Methoden
ist allgemein zu sagen, daß gegenwärtig alle individuellen Aufgaben
(Einzelbeobachtung von Kometen, kleinen Planeten, Doppelsternen,
Satelliten) der visuellen Fadenmikrometermessung, hingegen jede Massen-
arbeit (Durchmusterung, Sternhaufen), sowie alle Beobachtungen eines
einzelnen Objekts, bei denen es sich um schnelle Beschaffung eines
großen Materials handelt (vgl. unten die Erosopposition 1900—01), der
Photographie zufallen. Für manche Spezialaufgaben, in denen eine
besondere Genauigkeit erstrebt wird, wendet man vorzugsweise und
mit Erfolg das Heliometer an (z. B. bei der Festlegung eines Netzes
von Fixpunkten für die photographische Vermessung von Sternhaufen).
An zwei Beispielen mag das Ineinandergreifen oder Zusammen-
wirken der verschiedenen Beobachtungsmethoden veranschaulicht
werden.
a) Die Kooperation zur Bestimmung der Sonnenparallaxe aus
Beobachtungen kleiner Planeten: die Iris-, Vietoria- und Sappho-
opposition (1888—89) und die Erosopposition (1900—01).
‚Das Prinzip dieser Methode zur Bestimmung der Sonnenparal-
laxe ist, die parallaktische Ortsverschiebung eines uns besonders nahe
kommenden kleinen Planeten von den Endpunkten einer möglichst
großen Basis bekannter Länge aus durch differentiell-mikrometrischen
Anschluß an geeignete Fixsterne zu messen und aus seiner so erhal-
tenen linesren Entfernung die der Sonne nach dem dritten Keplerschen
Gesetz zu berechnen. Die Endpunkte der Basis bilden entweder zwei
Erdorte oder die verschiedenen Orte, die ein Erdort infolge der Um-
drehung der Erde zu verschiedenen Tageszeiten im Raume einnimmt
(„tägliche Methode“). Die Idee der Methode entwickelte J. @. Galle
und wandte sie 1873 zuerst an!®”); doch waren die Ergebnisse der
Refrektorbeobachtungen nicht völlig befriedigend, und eine analoge
Unternehmung im Jahre 1882 scheiterte völlig'®). Die erste An-
wendung des Heliometers geht auf @ill zurück, der schon im Jahre
1874, aber unter ungünstigen Verhältnissen, auf den Planeten Juno
in Mauritius die „tägliche Methode“ anwandte'°). Die nächste
167) J. @. Galle, Über die Anwendung der kleinen Planeten zur Ermitte-
lung des Wertes der Sonnenparallaxe, Astr. Nachr. 80 (1873), p. 1; und:
J.G@. Galle, Über eine Bestimmung der Sonnenparallaxe aus korrespondierenden
Beobachtungen des Planeten Flora, Breslau 1875,
168) Vgl. D. GiU®°), Cape Obs. Ann. 6 (1897), p. XVII.
169) J. L. Lindsay and D. Gill, Mauritius expedition 1874, division 1:
282 VlIz,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
günstige Gelegenheit bot die Opposition der Planeten Iris (1888),
Vietoria und Sappho (1889)”®). Bei ihrer hinreichenden Helligkeit
konnte die eigentliche Beobachtungsreihe dem Heliometer — in Aus-
sicht genommene photographische Messungen kamen nicht zur Aus-
führung — überwiesen werden. Die Planeten wurden an den Helio-
metern von Cape, Newhaven, Oxford, Leipzig, Bamberg und Göttingen
durch Distanzmessung —- auch einige Positionswinkel wurden ge-
messen -—— an ein System von Vergleichsternen angeschlossen, welches
im nahen Anschluß an die Planetenbahnen im voraus ausgewählt
war. Diese Auswahl war so erfolgt, daß, wenn möglich, der Planet
zwischen zwei diametral in gleichen Abständen gegenüberstehende Sterne
eingehängt wurde, um von allen Instrumentalfehlern unabhängig zu
werden; die Richtung der Sterne war so gewählt, daß entweder in
Distanz oder im Positionswinkel ein möglichst großer parallaktischer
Faktor erzielt wurde. Im Falle nicht zu vermeidender einseitiger
Anschlüsse war gleichzeitige Messung von Normalsternen (standard
stars) vorgeschrieben. Die Örter dieser Sterne wurden an zahlreichen
Meridiankreisen beobachtet, zugleich aber — wenigstens im Falle der
Vietoria — durch eine heliometrische Triangulation in sich fest-
gelegt. Bei dieser letzteren kamen nur Distanzmessungen zur ‘Än-
wendung, die in geeigneter Weise auf die an jedem Abend mehrmals
gemessene Normaldistanz gewisser „standard stars“ bezogen wurden.
Durch Vergleichung der beiden Ortsbestimmungen konnten die syste-
matischen Fehler beider Beobachtungsarten, die Helligkeitsgleichung
der Meridianbeobachtungen und die von der Größe der Distanz ab-
hängigen Fehler der Heliometermessungen ermittelt werden. Die so
erzielte Elimination aller instrumentellen und persönlichen Fehler-
quellen war eine so vollständige, daß der Ort des Planeten mit einer
bis dahin unerreichten Sicherheit festgelegt wurde. Um diese Ge-
nauigkeit ausmutzen zu können, d. h. die Unterschiede zwischen
Theorie und Beobachtung rechnerisch auf 0”. 01 scharf zu erhalten,
war eine achtstellige logarithmische Ephemerjdenrechnung erforderlich.
Wie die entsprechenden Heliometermessungen des Mars anläßlich
seiner Opposition von 1877 D. Gil zur Auffindung eines Fehlers
kurzperiodischer Natur von 0”,376, Periode 13.6 Tage'*®), in der Ephe-
meridenrechnung geführt hatten, so ergab hier die Vergleichung ein
Glied von monatlicher Periode und dem Betrage 0”.25, das sich
unzweifelhaft auf eine fehlerhafte Annahme der in die monatliche
Determination of the solar parallax by observations of the minor planet Juno,
Dun Echt Observatory Publications 2, Dun Echt bei Aberdeen 1877.
8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes: a) Sonnenparallaxe. 283
Bewegung der Erde um den gemeinsamen Schwerpunkt Erde-——Mond
eingehenden Mondmasse zurückführen ließ. Es gelang, die Mondmasse
mit einer ungewöhnlichen Sicherheit abzuleiten:
Erdmasse
Mondmasse — 75 4-0.141’
und damit diese Methode als eine für diesen Zweck besonders ge-
eignete zu erweisen. In der Bestimmung der Sonnenparallaxe n
wurde ein ebensolcher Erfolg erzielt. Erstens gaben die drei Planeten
einzeln
Iris x = 8”.812 + 0”.014,
Vietoria 8”,801 + 0”.009,
Sappho 8”.798 + 0.017,
und zweitens gab die „tägliche Methode“, auf die Beobachtungen der
Victoria am Kap allein angewandt, genau den gleichen Wert: 8.801,
jedenfalls als besten Beweis der gelungenen Elimination der Fehler.
Der Planet Eros war bei seiner Opposition von 1900-—01, in der
er der Erde noch weit näher kam als die genannten drei Planeten, für
die meisten Heliometer zu schwach, seine Beobachtung fiel daher der
Refraktorbeobachtung, und zwar der visuellen mit dem Fadenmikro-
meter oder der photographischen zu. Auf das durch zahlreiche
Meridianbeobachtungen festgelegte System der fast 700 Anhaltsterne
(etoiles de repere) wurde ein weit engeres Netz von eigentlichen
Vergleichsternen (eloiles de comparaisen) in enger Nachbarschaft der
Planetenbahn photographisch bezogen. Erst an diese Vergleichsterne
wurde der Ort des Planeten an zahlreichen Sternwarten auf eine
der beiden obigen Arten mikrometrisch angeschlossen, in Stunden-
winkeln und Koordinstenrichtungen, die einen möglichst großen paral-
laktischen Effekt. hervorbrachten. Eine Entscheidung über die Vor-
züge der einen oder der anderen Methode liegt zur Zeit noch nicht
vor!'), Dem unbestreitbaren Vorteile der photographischen Methode,
der schnellen Beschaffung eines umfangreichen Materials, das später
nach mancherlei Gesichtspunkten auf systematische Fehler hin dis-
kutiert werden kann und allerdings auch muß, steht der Nachteil
gegenüber, daß das Bild des bewegten Planeten auf der Platte als
Strich erscheint, dessen Pointierung systematischen Fehlern unter-
liegen kann. |
b) Bestimmung der Fixsternparallaxen. Abweichend von der
im allgemeinen erforderlichen Kenntnis der absoluten Koordinaten
170) Vgl. Conf. astrophot. 1900 19%), circulaires 1—12, Paris 190007.
284 VIa,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstrumente.
eines Gestirns oder seiner relativen gegen ein anderes handelt .es sich
bei manchen Aufgaben, die in das Gebiet der astronomischen Orts-
bestimmung fallen, nur um die Veränderungen, welche diese relativen
Koordinaten im Laufe der Zeit, sei es durch die eigene, sei es durch
die Bewegung der Erde, erleiden. Vor allem ist dies bei der Be-
stimmung relativer Fixsternparallaxen der Fall. Die heutige Ge-
nauigkeit der astronomischen Beobachtungen gestattet es noch immer
nicht, die Dimensionen der kleinen parallaktischen Ellipse, welche
alle Fixsterne infolge des jährlichen Umlaufs der Erde um die Sonne
beschreiben, durch absolute Beobachtungen mit hinreichender Schärfe
festzulegen, da sie nur in vereinzelten Fällen 0”.2 überschreiten.
Man muß sich daher damit begnügen, die Parallaxen der Sterne, von
denen man vermutet, daß sie uns besonders nahe seien, — der helleren,
schnellbewegten, der Doppelsterne von schneller Umlaufsbewegung
bei weiter Bahnöffnung — durch Anschluß an andersartige —
schwächere, schwach bewegte und demnach vermutlich weiter ent-
fernte — Nachbarsterne als relative zu bestimmen. Dazu ist nur
eine möglichst scharfe Bestimmung der Änderung, welche diese Ko-
ordinatendifferenz im Laufe eines Jahres erleidet, erforderlich; die
fortschreitende Änderung entspringt der relativen Eigenbewegung, die
periodische der relativen Parallaxe beider Sterne. Aber auch diesen
differentiellen Messungen bereiten systematische F’ehler erhebliche
Schwierigkeiten. Einmal ist der Verlauf der meteorologischen Ele-
mente ebenfalls jährlich periodischer-Natur. Dann aber sind die Be-
obachtungen an eine begrenzte Tageszeit und damit an wechselnde
Stundenwinkel gebunden. So vermischt sich der sog. Stundenwinkel-
effekt mit der parallaktischen Verschiebung, besonders wenn man,
wie meist üblich, nur zu den Zeiten der parallaktischen Extreme be-
obachtet. Früher glaubte man allein schon durch symmetrische Aus-
wahl von Vergleichsternen zu beiden Seiten des Parallaxensterns die
systematischen Fehler ganz zu beseitigen, indem die Parallaxe aus
dem geringfügigen Unterschiede von Koordinatendifferenzen und seinen
zeitlichen Änderungen abgeleitet wird. Für die hierzu erforderliche
Auswahl passender Vergleichsterne bot das Heliometer die besten
Bedingungen, und so hat es sich schon seit lange bei Parallaxenbestim-
mungen aufs beste bewährt, indessen doch erst, seitdem der persön-
liche Stundenwinkeleffekt durch systematische Anwendung von Re-
versionsprisma, Gitterblende und möglichst kleine Winkel beim
Durchschwingen sorgfältig eliminiert wird“). Auch die Durchgangs-
beobachtungen am Meridiankreise, bei denen man allerdings auf die
Beobachtung beider parallaktischer Extreme verzichten muß, erwiesen
8. Die Abgrenzung des Arbeitsfeldes: b) Fixsternparallaxen. 285
sich als brauchbar zur Parallaxenbestimmung!'), da sie von jenem
Stundenwinkelfehler völlig frei sind, und werden sich bei Einführung
des Repsoldschen Mikrometers noch mehr dazu eignen. Die visuelle
Beobachtung am Refraktor hat in der ersten Zeit noch nicht völlig
befriedigendes geleistet, jedenfalls wegen des persönlichen oder instru-
mentellen Stundenwinkeleffektes, und ist seitdem kaum wieder zur
Anwendung gelangt. Und auch die photographische Methode hat
erst in der neuesten Zeit begonnen, den anderen Methoden Gleich-
wertiges zu leisten!’®), Es scheint bei ihr der Stundenwinkeleffekt
noch kompliziertere Formen anzunehmen, teils infolge der atmo-
sphärischen Dispersion (s. p. 247), teils infolge instrumenteller Ein-
Nüsse (s. p. 248), die ebenfalls eine vom Stundenwinkel abhängige
Helligkeitsgleichung erzeugten. Man könnte, wie man es wiederholt
beim Heliometer getan hat, diesen Einfluß bestimmen, indem man
auch zu den Zeiten der parallaktischen Indifferenz, und dann in mög-
lichst verschiedenen Stundenwinkeln, beobachtet. Noch besser ist es,
die Parallaxenbestimmung von ihm ganz unabhängig zu gestalten.
Aus diesem Grunde hat J. C. Kapteyn'®) die strikte Forderung er-
hoben, unter Verzicht auf die größtmöglichen parallaktischen Faktoren
ausschließlich im Meridian oder eventuell einem anderen festen Stunden-
winkel zu beobachten. Er tut dies in Verbindung mit seiner ganz
eigenartigen Methode zur Bestimmung von Parallaxen umd Eigen-
bewegungen en masse. Ihr Prinzip läßt sich so darstellen. Auf einer
Platte werden zu verschiedenen Zeiten i£,, £,, i, unter kleiner Ver-
schiebung, z. B. in «, drei Aufnahmen nebeneinander gemacht — die
Platten bleiben inzwischen unentwickelt — und für jeden Stern der
x-Abstand je zweier Nachbarbilder gemessen. Die Differenz &,,; — Z1ss
setzt sich zusammen aus einer den Aufnahmen eigentümlichen, gleich-
gültigen Konstante, aus einem von der Eigenbewegung u = u, cos ö
herrührenden, der Differenz der Zwischenzeiten proportionalen und
einem der Parallaxe x proportionalen, von den parallaktischen Phasen
der Aufnahmen abhängigen Term. Bei gleichen Zwischenzeiten fällt
die Eigenbewegung heraus, und wenn die Aufnahmezeiten drei auf-
einanderfolgenden parallaktischen Extremen entsprechen, erhält =
seinen Maximalfaktor (nahezu 4). Bestimmt man die Konstante so,
daß die Summe der Parallaxen aller Plattensterne verschwindet, so
erhält man die individuellen relativen Parallaxen der Plattensterne,
171) J. C. Kapteyn, Bestimmung von Parallaxen durch Registrierbeob-
achtungen am Meridiankreise, Leiden Sternw. Ann. 7 (1897), p. 117.
172) Vgl. z.B. F. Schlesinger '*') und H. N. Russell:%,
286 VI2,5. Fritz Cohn. Theorie der astronomischen Winkelmeßinstramente.
bezogen aufs Mittel aller. Ähnlich kann man aus zwei Aufnahmen
zu gleicher parallaktischer Phase — oder im obigen Beispiel aus
%&yg + ira — die relativen Eigenbewegungen aller Plattensterne er-
mitteln. Diese Methode ist von J. C. Kapteyn auf beide Probleme
angewendet und zur Grundlage eines weitausschauenden Plans zur
umfassenden Bestimmung beider für kosmologische Fragen der Stellar-
astronomie so wichtigen Größen gewählt worden, dessen Verwirk-
liehung er von einem Zusammenwirken zahlreicher, dazu befähigter
Sternwarten in der nächsten Zukunft erhofft!"®).
173) J. ©. Kapteyn, Plan of selected areas, brochure, published by the
Astronomical Laboratory at Groningen, Groningen 19206.
(Abgeschlossen im Sommer 1907.)
VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre. 287
t
ED
6.
2%
8
V12,6. BESONDERE BEHANDLUNG
DES EINFLUSSES DER ATMOSPHÄRE
(REFRAKTION UND EXTINKTION).
Von
A. BEMPORAD
IN CATANIA.
Inhaltsübersicht.
Einleitung.
Allgemeines über die Wirkungen der atmosphärischen Luft auf die Licht-
strahlen und über ihre mathematische Darstellung.
I. Physikalische Erfshrungstatsachen.
Abhängigkeit des Brechungsindex, bzw. der Absorptionskonstante von der
Luftdichtigkeit.
Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck und Höhe über
dem Meeresniveau.
Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate.
1. Physikalische Hypothesen.
Kritische Besprechung der wichtigsten Hypothesen über die Konstitution der
Atmosphäre (Cassini, Mayer, Newion, Laplace, Kramp, Bessel, Ivory, Schmidt,
Bauernfeind, Gylden, Kowalski, v. Oppolzer, Mendeleef- Piszetti).
Schlußbetrachtung über die Leistungen der bis jetzt aufgestellten Hypo-
thesen. Brunssches Verfahren.
III. Theorie der Refraktion.
Aufstellung des Refraktiousintegrale.
Retraktionsformeln nach den Hypothesen von Cassini und von Mayer. Brad-
leysche und Simpsonsche Formel.
Orianis (Laplaces) Satz.
10. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Besselsche Theorie.
11. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Schmidtsche "Theorie.
12. Vergleichstabelle der aus den wichtigsten Theorien berechneten Werte der
KRefraktion.
288 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
IV. Theorie der Extinktion.
13. Aufstellung des Extinktionsintegrals.
14. Entwicklung des Extinktionsintegrals bei der Annahme konstanter Dichtig-
keit oder konstanter Temperatur. Lambert- und Bouguersche Formel.
15. Laplacesche Extinktionsformel.
16. Strengere Behandlung der Extinktionstheorie unter Annahme einer gleich-
förmigen Temperaturabnahme mit der Höhe.
17. Vergleichstabelle der verschiedenen Extinktionstheorien.
18. Die terrestrische Extinktion.
19. Die selektive Absorption.
Literatur.
Bibliographie: J. C. Houzeau-A. Lancaster, Bibliographie generale de
l’Astronomie, tome 2, Bruxelles 1882, p. 370-387 (Refraktion) et p. 862—868
(Extinktion).
I. Befraktion.
Für die Literatur bie 1860 vgl. ©. Bruhns, Die astronomische Strahlen-
brechung in ihrer historischen Entwickelung, Leipzig 1861 (Bruhns, hist. Entw.).
Das Folgende gibt eine Ergänzung und Weiterführung dieser Liste.
a) Spezialarbeiten.
@. A. A. (Jean) Plana, M&moire sur la connexion existante entre la hauteur
de l’atmosphere et la loi du deeroissement de sa temperature, Memorie dell’
Accademia delle scienze di Torino, serie II*, tomo 15, Torino 1855, p. 1
(Plana 1855).
C. M. v. Bauernfeind, Die atmosphärische Strahlenbrechung auf Grund einer
neuen Aufstellung über die physikalische Konstitution der Atmosphäre, Astr.
Nachr. 62 (1864), p. 209—252 und Astr. Nachr. 67 (1866), p. 33—88 (v. Bauern-
feind 1864/66).
H. Gylden, Untersuchungen über die Konstitution der Atmosphäre und die astro-
nomische Strahlenbrechung in derselben, St. P&t. M&m. (7) 10 (1866) und 12
(1868) (Gylden, Refr.).
M. Kowalski, Recherches sur la refraction astronomique, Kasan 1878 (Kowalski
1878).
R. Radau, Recherches sur la theorie des refractions astronomiques, Obs. de Paris
Ann., mem. 16 (1882) (Radau 1882).
P. Harzer, Untersuchung über die astronomische Strahlenbrechung auf Grund
der Differentialgleichungen der elastischen Lichtbewegungen in der Atmo-
sphäre, Astr. Nachr. 104 (1883), p. 65; Astr. Nachr. 107 (1884), p. 145; Astr.
Nachr. 146 (1898), p. 377 (Harzer 1883 f.).
Th. v. Oppolzer, Über die astronomische Refraktion, Wien Denkschr. 53 (1887),
1. Abteilung, p. 1 (Oppolzer 1887).
R. Radau, Essai sur les röfractions astronomiques, Obs. de Paris ann., m&m.19 (1889)
(Radau 1889).
H. Bruns, Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Leipzig Ber. 43
(1891), p. 164 (Bruns 1891).
Literatur. 289
F. Hausdorff, Zur Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Leipzig Ber.
48 (1891), p. 481 (Hausdorff, Refr., 1891) sowie Leipzig Ber. 45 (1893), p. 758.
J.v. Hepperger, Zur Theorie der astronomischen Refraktion, Wien Ber. 102 (1893),
p: 821 (Hepperger 1893).
P. Pizzetti, La rifrazione astronomica calcolata in base all’ipotesi di Mendeleef,
Atti della R. Accademis delle scienze di Torino 33, Torino 1897, p. 213
(Pizgetti 1897).
J. Bauschinger, Untersuchungen über die astronomische Refraktion, Neue An-
nalen der k. Sternwarte in München 3, München 1898, p. 41 (Bauschinger
1898).
E. Großmann, Beobachtungen am Repsoldschen Meridiankreise der von Kuffner-
schen Sternwarte in Wien-Ottakring 1896-1898, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 27
(1901), p. 1 (Großmann 1901).
L. Courvoisier, Untersuchungen über die astronomische Refraktion, Veröffent-
lichungen der großherzoglichen Sternwarte zu Heidelberg, astrometrisches
Institut 3, Karlsruhe 1904 (Courvoisier 1904).
H. Andoyer, Sur la th6orie de la refraction, Paris Bull. astr. 22 (1905), p. 404
(Andoyer 1905).
A. Bemporad, Sulla teoria della refrazione astronomica, Memorie della Societ&
degli spettroscopisti italiani 34, Catania 1905, p. 191, 217, 233 (Bemporad,
Spettrosc. 1905).
L. de Ball, Die Radausche Theorie der Refraktion, Wien Ber. 115 (1906), p. 1863
(De Ball 1906).
P. Pizzetti, Intorno al calcolo della rifrazione astronomica, senza speciali ipotesi
sul modo di variare della temperatura dell’ aria coll’ altezza, Atti della
R. Accademia dei Lincei, anno 308 (1906), 5. serie, Rendiconti, Classe di
scienze fisiche etc. 15, 1. semestre, Roma 1906, p. 73 (Pizzetti 1906).
L. de Ball, Le coeffcient de dilatation de l’air et l’infiuence de l’humidite sur les
ıefractions astronomiques, Paris Bull. astr. 24 (1907), p. 209 (De Ball 1907).
H. G. van de Sande-Bakhuyzen, On the astronomical refractions corresponding
to a distribution of the temperature in the atmosphere derived from balloon
ascents, Proceedings of the section of sciences, Kon. Akademie van Wetenschappen
te Amsterdam 9 (2"* part, 1907), Amsterdam 1907, p. 578 (Bakhuyzen 1907).
b) Kompendien.
Darstellungen der Refraktionstheorie finden sich unter anderem in den
folgenden Handbüchern:
F. R. Helmert, Die mathematischen und physikalischen Theorien der höheren
Geodäsie [2 Bände, Leipzig 1880/84] (Helmert, Geodäsie) 2, p. 5ö8flg.
- F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, 4. Aufl. Berl5' 1881, p. 155
W. Chauvenet, A manual of sperical and practical astronomy, 5 ed. (2 vols.,
Philadelphia 1885, 1893, 1900), vol. 1, p. 127.
Wolf, Handb. 2 (1892), p. 259—278.
E. von Oppolzer, Artikel „Strahlenbrechung‘“‘ in Valentiner, Handwörterbuch,
8°, Breslau 1901, p. 548.
A. .Bemporad, Artikel „Strablenbrechung“ in A. Winkelmann, Handbuch der Physik,
. % Aufl, Band 6 (Optik), Leipzig 1906 (Winkelmann, Handb. 6), p. 508.
S. Neweomb, A compendium of spherical astronomy, Newyork 1906, chapter 8:
„astronomical refraction“, p. 173— 224.
290 VIa,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
c) Refraktionstateln.
Giov. Dom. Cassini, Ephemerides novissimse motuum coelestium 1661-1666,
‚additis ephemeridibus solis et tabulis refractionum, Mutinae 1662, p. 173.
Abdruck bei J. Cassini (le fils), Tables astronomiques du soleil, de la lune,
des plandtes, des &toiles fixes et des satellites de Jupiter et de Saturne, Paris
1740, table 74, p.162, sowie bei Bruhns, Hist. Entw. (1861), p. 89.
J. Newton, Tabula refractionum siderum ad altitudines apparentes, Lond. Phil.
Trans. 31 (1721), p. 169 [abr. 6, p. 519], Abdruck in J. Newton, Opera quas ex-
stant omnia, ed. Sam. Horsley, tomus 4, Londini 1782, p. 408, auch. bei
J. B. Biot*?), p. 748. 3
Tob. Mayer (1770), vgl. Fußnote 44,
J. Bradley, Greenw. Obs. 1, London 1776, Einleitung, p. [15], erläutert p.V. Ab-
druck in Bruhns, Hist. Entw., p. 56.
J. Jvory, Lond. Phil. Trans. 1823, p.491ff. und 1838, p. 227f.
F.W. Bessel, Tabulae Regiomontanae reductionum obseryationum astronomicarum
1750—1850 computatae, Regiomonti Prussorum 1830, p. LIX et pag. 538--542.
O. Struve, Tabulae refractionum in usum speculae Pulcovensis congestae, Petro-
pcli 1870 [hierzu H. Gylden, Poulkova Obs. 5 (1873)]; 2. Aufl. 1905.
Th. Albrecht, Formeln und Hilfstafeln für geographische Urtsbestimmungen,
1. Aufl. Leipzig 1873, 3. Aufl. Leipzig 1894. Refraktionstafel 84 der 3. Auf-
lage ist ein erweiterter Abdruck der Besselschen Tafeln.
M. Kowalski, Tables des r&fractions, Kasan 1878.
R. Radau, Obs. de Paris Ann., mem. 19 (1889), p. G61—G80.
L. de Bali, Refraktionstafeln, Leipzig 1906.
X. Extinktion.,
&) Spezialarbeiten.
P. Bouguer, Essai d’optique, sur la gradation de la lumitre, Paris 1729 (Bouguer,
Essai 1729).
— Trait6 d’optique sur la gradation de la lumiere, Ouvrage postume, publie par
Vabb& de Lacaille, Paris 1760 (Bouguer, Traite 1760).
J..H. Lambert, Photometria, sive de mensurs et gradibus luminis, colorum et
umbrae, Augustae Vindelicorum 1760. Deutsch herausgegeben wit Anmer-
kungen von E. Anding in 3 Heften, Ostwalds Klassiker der exakten Wissen-
schaften Nr. 31—38, Leipzig 1892 (Lambert, Photometria 1760).
P.S. de Laplace, Trait6 de mecanique eeleste 4, Paris 1805, seconde partie,
livre 10, chapitre 3: De l’extinetion de la lumiöre des astres dans l’atıno-
sphöre terrestre, et de l’atmosphere du soleil =Üeuvres 4, Paris 1880, p. 288
(Laplace 1805).
J. D. ‚Forbes, On the transparency of the atmosphere and the law of extinetion
of the solar rays in passing through it, Lond. Phil. Trans. 1842, p. 225 (Forbes
1842).
1.. Seidel, Untersuchungen über die gegenseitigen Helligkeiten der Fixstern»
erster Größe, über die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre, über die
Helligkeit der Sonne usw., München Abh. 6 (1852), p. 541.
—, Resultate photometrischer Messungen an 208 Fixsternen, Münch. Abh. 9
(1861—68), p. 419.
J.
@.
Literatur. ; 291
Maurer, Die Extinktion des Fixsternlichtes in der Atmosphäre in ihrer Be-
ziehung zur astronomischen Refraktion, Diss. Zürich 1882 (Maurer, Diss. 1882).
Müller, Photometrische Untersuchungen, 2, Abschnitt: Untersuchungen über
die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre, Publikationen des Astrophysi-
kalischen Observatoriums zu Potsdam 3, Potsdam 1883, Abhdl. Nr. 12, p. 227
(Müller 1883.)
8. P. Langley, On the amount of the lnsherie absorption, American Journal
H.
F.
E.
Vv.
of Science (3) 28, New Haven 1884, p. 163 (Langley, Amer. Journ. 1884).
Researches on solar heat and its absorption by the earth’s atmosphere, a
xeport of the Mount Whitney expedition, Professional papers of the Signal
Service, United States War Department, Nr. 15, Washington 1884 (Langley,
Sign. Serv. 1884).
Müller, Photometrische und spektroskopische Beobachtungen, angestellt auf
dem Gipfel des Säntis, Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums
zu Potsdam 8, Potsdam 1893, Abhdl. Nr. 27 (1891), p. 1 (Müller 1891).
Seeliger, Über die Extinktion des Lichtes in der Atmosphäre, Sitzungsberichte
der Akad. d. Wiss. zu München, math.-physik. Klasse, 21 (1891), p. 247
(Seeliger 1891).
Hausdorff, Über die Absorption des Lichtes in der Atmosphäre, Leipzig Ber.
47 (1895), p. 401 (Hausdorff, Extinkt., 1895).
Müller und P. Kempf, Untersuchungen über die Absorption des Sternenlichts
in der Erdatmosphäre, angestellt auf dem Ätna und in Catania, Publikationen
des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam 1i, Potsdam 1898, Ab-
hal. Nr. 38, p. 209 (Müller-Kempf 1898). °
Oddone, Sul coefficiente medio di trasparenza. dell’ aria per grandi visuali
terrestri, Rendiconti del Reale Istituto Lombardo di seienze e lettere (2) 34
(1901), Milano 1901, p. 511 [mit weiteren Literaturnachweisen) (Oddone 1901).
. Bemporad, Sulla teoria d’ estinzione di Bouguer, Memorie della Societä degli
spettroscopisti italiani 30, Catania 1901, p. 217 (Bemporad 1901).
Zur Theorie der Extinktion des Lichtes in der Erdatmosphäre, Mitteilungen
der Großherzogl. Sternwarte zu Heidelberg, Astrometr. Institut, Heft 4, Karls-
ruhe 1904 (Bemporad, Extinkt., Heidelb. Mitt. £, 1904).
L’assorbimento selettivo dell’atmosfera 'terrestre sulla luce degli astri, Attı
della R. Accademia dei Lincei, anno 301 (1904), 5. serie, Memorie della classe
di scienze fisiche e naturali 5, Roma 1904/05, p. 233 (Bemporad, Lincei
1905).
Cerulli, Sull’ integrale dell’ estinzione, Memorie della Societä degli spettro-
scopisti italiani 35, Catania 1906, p. 39 (Cerulli 1906).
A. Bemporad, Sopra un nuovo sviluppo singolarmente convergente per |’ inte-
grale della estinzione secpndo la teoria di Bouguer, Atti dell’ Accademia
Givenia di scienze naturali in Catania, anno 83 (1906), serie 4*, 19, Catania
1906 (Bemporad 1906).
— ® L. Mendola, L'assorbimento selettivo delle radiazioni caloritiche, Memorie
della Societä degli spettroscopisti italiani 36, Catania 1907, p. 165 (Bemporad-
Mendola 1907).
— Nuova riduzione delle osservazioni pireliometriche di K. Ängström all’ isola
di Teneriffa, Atti dell’ Accademia Gioenia di scienze naturali in Catania,
anno 85 (1908), serie 5*, 1, Catania 1908, p. II, 1 (Bemporad 1908),
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 20
292 Vle,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
b) Kompendien.
G. Müller, Die Photometrie der Gestirne, Leipzig 1897, p. 110 (1. Abschnitt,
Kap. 3): Die Extinktion des Lichtes in der Erdatinosphäre (Müller, Photo-
metrie).
4. Bemporad, Artikel „Extinktion“ in A. Winkelmann, Handbuch der Physik,
2. Aufl., Band 6 (Optik), Leipzig 1906 (Winkeimann, Handb. 6), p. 538.
e) Extinktionstafeln.
4. Seidel, Münch. Abh. 6 (1852), p. 581 und p. 599.
-- Münch. Abh. 9 (1861/63), p. 503 („Korrigierte Tafel‘).
(7. Müller, Publikationen des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam,
3, Potsdam 1883, 12. Stück, p. 268--269 nebst Tafel 39 (Müller, , Ext.-
Tafel 1883).
-— Die Photometrie der Gestirne 1897 (siehe unter b), p. 515--516.
Einleitung.
1. Allgemeines über die Wirkungen der atmosphärischen
Luft auf die Lichtstrahlen und ihre mathematische Darstellung.
Die Strahlen der Gestirne werden auf ihrem Wege durch die Erd-
atnrosphäre in mannigfältiger Beziehung beeinflußt. Sie werden zu-
nächst von ihrer ursprünglichen Richtung abgelenkt (Refraktien); ihre
ursprüngliche Leuchtkraft wird abgeschwächt (Extinktion); ihre Fär-
bung wird eine andere (selektive Absorption); ferner werden sie auch
je nach ihrer Farbe verschieden gebrochen (atmosphärische Dispersion'))
und in allen Richtungen reflektiert (Diffusion); die rasch hinterein-
ander folgenden Änderungen dieser Wirkungen geben uns endlich das
Phänomen der Seintillation?).
Nachfolgende Tabelle soll den Gang der Refraktion, Dispersion
und Extinktion mit wachsender Zenitdistanz veranschaulichen. Sie ent-
t) Über Messungen der utmosphärischen Dispersion vgl. P. Henry, Paris
©. R. 112 (1891), p. 377; H. Seeliger, München Ber. 21 (1891), p. 246/246;
H. Kayser und ©. Runge, Die Dispersion der atmosphärischen Luft (zitiert in
Fußn. 9), sowie Annalen der Physik (8) 50, Leipzig 1893, p. 293—315.
H. Kayser, Handbuch der Spektroskopie 1, Leipzig 1900, p. 360.
Über Messungen der photographischen Refraktion und den Einfluß der
atmosphärischen Dispersion auf Sternörter vgl. p. 247, Fußnote 101 und 102.
2) Über Szintillation vgl. K. Eamer im „Repertorium der Physik“, hrag. v.
Ph. Carl und F. Exner, 23, München/Leipzig 1887, p. 371 und 426, gesondert
erschienen Wien 1891; E. v. Oppolzer, Wien Ber. 110 (1901), p. 1239; K. Exner
und W. Villiger, Wien Ber. 111 (1902), p. 1266, und Wien Ber. 113 (1904), p. 1019,
sowie den Artikel „Szintillation“ von K. Exner in Winkelmann, Handb. 6 (Optik),
Leipzig 1906, p. 567.
Einleitung. 293
hält zugleich die Änderungen dR der Refraktion mit Luftdruck und
Lufttemperatur. Die Extinktion gibt den in Größenklassen aus-
gedrückten Unterschied gegen die zenitale Helligkeit.
Refraktion, Dispersion und Extinktion.
| ;
Scheinbare | _...., ; Dispersion AR Mittlere
ıttiere
Zenit- von 0,56 u |” ia:
i Refraktion \ dä pro 10® visuelle
distanz | bis 0,40 u pro 1’C. Luftdruck | Extinktion
00 0 0” Be -1.0”.0 02,00
3° B u” — 07,0 +0". 0 0”.00
15° 16" 0” — 07.1 +0".2 0”,00
50° gr y” Ir 40".9 0=.12
75° 78%; 4" | — 07,8 + 2.8 0%,66
85° g 47" ir" Ba 2” 17”9 1m 77,
89° 24° 25° 26°
90° 34° 54° 38”
Die empirische Bestimmung der Kefraktion erfolgt durch Be-
obachtungen der Meridianhöhen von Zirkumpolarsternen in beiden
Kulminationen?).
Die Dispersion, d. h. der Unterschied der KRefraktionen für die
Wellenlängen 0,564 und 0,40u, ist nach Kayser und Runge!) gleich
'/,, der Refraktion gesetzt. Die photographische Extinktion ist er-
fahrungsgemäß?) ungefähr gleich dem Doppelten der visuellen Ex-
tinktion.
Die theoretische Untersuchung aller dieser Erscheinungen hängt
in erster Linie von den optischen Eigenschaften der Luft (Nr. 2) und
von der Konstitution der Atmosphäre (Nr. 3, 4) ab. Je nach der Art,
wie die bezüglichen erfahrungsmäßigen Resultate mathematisch dar-
gestellt werden, unterscheiden sich die verschiedenen Theorien von-
einander. Während z. B. einige bei der Behandlung der Refraktions-
theorie einen einfachen Ausdruck für die Dichtigkeit der Luft als
Funktion der Höhe annehmen, wählen andere einen solchen für die
Beziehung zwischen Temperatur und Höhe, andere wieder für die Be-
ziehung zwischen Dichtigkeit und Temperatur oder zwischen Druck
und Temperatur usw. (Nr.5). Den wesentlichen Unterschieden zwischen
. den Theorien, welche mit der zu Grunde liegenden Hypothese ver-
knüpft sind, treten andere mehr formeller Natur, wie die Art und
3) Betreffs Messungen der photographischen Extinktion vgl. J. M. Schaeberle,
Contributions from the Lick Observatory Nr. 3, Saeramento 1893. (©. W. Wirtz,
Astr. Nachr. 154 (1901), p. 349.
90 *
ad
294 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
Weise der analytischen Entwieklung, zur Seite. Für uns ist die
Schilderung der Entwicklungsmethoden bei weitem nicht so wichtig
wie die Besprechung der verschiedenen Hypothesen; es gibt nämlich eine
Methode (die mechanische Quadratur‘)), welche bei allen Hypothesen
gleich schneli zum Ziele, d. h. zur Kenntnis der theoretischen Refrak-
tion führt. Wichtig ist jedoch zu untersuchen, inwieweit die ana-
Iytischen Entwicklungen vollkommen und konsequent durchgeführt
sind, da man nur bei einer strengen Behandlung die verschiedenen
Hypothesen auf Grund der Refraktionsbeobachtungen selbst prüfen kann.
I. Physikalische Erfahrungstatsachen.
2%. Abhängigkeit des Brechungsindex, bzw. der Absorptions-
konstante von der Luftdichtigkeit. Die Größen, welche den Ein-
fluß der Atmosphäre auf die Fortpflanzung des Lichts durch dieselbe
bestimmen, sind der Brechungsindex u und der Absorptionskoeffizient k
der Luft. Beide Größen hängen von der Dichte der Luft ab. Die
Luftdichte ö ist aber eine Funktion der Höhe, daher ändert sich auch
die brechende bzw. absorbierende Wirkung der Atmosphäre längs der
Trajektorie der Lichtstrahlen. Um diese Änderung zu verfolgen, hat
also jede Refraktions- oder Extinktionstheorie sich vor allem mit
dem Zusammenhang zwischen u, bzw. k und 6 zu beschäftigen.
a) Beziehung zwischen « und 6.
Man hat für die Beziehung zwischen dem Brechungsindex u und
der Dichte ö folgende drei Formeln vorgeschlagen:
() W—l=26Öö, u—l-db,
23—1 Ku
rung tete 6,
worin c, bzw. ec’, c” eine spezifische Konstante für jeden Körper be-
deutet und die Bezeichnung „spezifische Refraktion“ (Brühl) erhalten
hat. Die erste schon von Newton aufgestellte, von Laplace auf Grund
der Emissionstheorie des Lichtes theoretisch abgeleitete Formel ist
in der Refraktionstheorie fast ausschließlich gebraucht worden°). Die
zweite Formel entbehrt einer strengen theoretischen Grundlage, wurde
aber bei einer großen Anzahl von Flüssigkeiten durch Dale und
(rladstone, Landolt, Wüllner u. a., auch bei den Gasen durch Beer,
Lang, Mascart u. a. geprüft und sehr genau gefunden. Die dritte
4) Vgl. 1D2 (Bauschinger), Nr. 8.
5) H. Bruns (1891) und F. Hausdorff (1891) bew ihren Untersuchungen
über die astronomische Refraktion, J. Maurer (1882) und F. Hausdorff (1895)
bei ihren Extinktionstheorien machen von der zweiten Formel (1) Gebrauch.
2. Abhängigkeit des Brechungsindex usw. von der Luftdichte. 295
von L. Lorenz und H. A. Lorentz®) abgeleitete Formel ist zwar theo-
retisch und praktisch die beste, doch würde sie bei den Theorien der
astronomischen Refraktion und der Extinktion zu äußerst kompli-
zierten Entwicklungen führen. Nun ist aber für die Luft (im allge-
meinen für die Gase) u — 1 so klein, daß die drei oben aufgeführten
Formeln praktisch mit der einzigen
(2) u—l=cd
züsammenfallen. Man wird also bei den Theorien der Refraktion und
der Extinktion die analytisch vorteilhaftere Formel wählen dürfen,
und dann fällt die Entscheidung bei der gewöhnlichen Behandlungs-
art zugunsten der ersten Formel. Der numerische Wert von e kann
hierbei physikalisch oder astronomisch bestimmt werden. Hier folgen
einige wichtigere Bestimmungen (Einheit für ö die normale Dichtig-
keit der Luft bei 0° und 760 mm):
Biot und Arago (physikalisch) . . » 2. 2... 2c= 0,0005888
Bessel (aus eigenen und Argelanders Beobachtungen) 22e—= 5864
Bauschinger (aus eigenen Beobachtungen, München
ABOImEBOB): wueıe ER u un Bad. Re 5830
Courvoisier (aus eigenen Beobachtungen, Heidelberg
ER IRRB a El Te el ie 5836
b) Beziehung zwischen k und 6.
Was den Absorptionskoeffizienten k angeht, so wird er definiert
dureh die Beziehung: durchgelassene Liehtmenge J steht zur ein-
fallenden J* in dem Verhältnis:
(3) J = e-koJk,
worin 6 die Jdurchlaufene Wegstrecke (in einem homogenen Mittel)
bedeutet.
Zur Ableitung einer Beziehung zwischen Absorptionskonstante k
und Dichtigkeit d wurden zunächst von Beer Versuche an Lösungen
von verschiedener Konzentration, später von anderen an Gasen unter
verschiedenen Drucken angestellt. Die seit Beer gebräuchlichste Be-
ziehung, nach welcher die Absorptionskonstante einfach der Dichte,
bzw. der Konzentration, proportional sein sollte, das sogenannte
Beersche Gesetz
(4) = 06
6) H. A.' Lorentz, Annalen der Physik und Chemie, Neue Folge 9, Leipzig
1880, p. 641; L. Lorenz, Annalen der Physik und Chemie, Neue Folge 11, Leipzig
1880, p. 70. Vgl. den Artikel V 14 (Lorentz), Nr. 47,
296 YVIs, 6. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
(U = spezifische Absorption) ist nach Kayser‘) „außerordentlich
häufig geprüft und ebenso oft als richtig wie als falsch gefunden“.
Das liegt daran, daß das Deersche Gesetz Unveränderlichkeit der ab-
sorbierenden Molekeln voraussetzt, welche aber sehr oft bei ver-
änderter Konzentration (Dichte) nicht vorhanden ist. Dieser Einwand
dürfte für die Atmosphäre wegen ihrer geringen Diehte nicht in Be-
tracht kommen. Doch ist; zu beachten, daß das Gesetz nur für mono-
chromatisches Licht streng gelten kann, da die spezifische Absorption
für verschiedene Wellenlängen im allgemeinen sehr verschiedene
Werte hat°). Die Extinktionstheorie ist daher zunächst immer für ein
bestimmtes monochromatisches Licht zu entwickeln.
Auch die spezifische Refraktion c der atmosphärischen Luft hängt,
obwohl in viel geringerem Maßstabe als die spezifische Absorption (,
von der Wellenlänge ab. Nach Kayser und Runge*) gehen die Werte
von für den sichtbaren Teil des Spektrums von 1,000290 bis
1,000300. Dies hat zur Folge, daß die Bilder der Gestirne in der
Nähe des Horizonts keine scharfen Punkte oder Kreise, sondern un-
reine Spektra einer gewissen Länge sind (die atmosphärische Dis-
persion'), vgl. die Tabelle auf p. 293). Streng genommen muß also
auch bei der Refraktionstheorie ein bestimmtes monochromatisches Licht
vorausgesetzt werden. Man wählt hierfür zweckmäßig die Strahlung
der hellsten Gegend des Spektrums (A = 570 wu bei visuellen, 430 uu
bei photographischen Beobachtungen).
Man könnte vermuten, daß auch die Temperatur an und für sich
die spezifische Refraktion und Absorption der Luft beeinflußte, wie
dies sicherlich bei manchem Körper stattfindet!°). Doch ist ein solcher
Einfluß der Temperatur auf die spezifische Refraktion der Gase sehr
unwahrscheinlich''). Es fehlen aber diesbezügliche Experimente.
7) Vgl. Winkelmann, Handb. 6, p. 741.
8) Während rote Strahlen beim Durchgang durch die ganze Atmosphäre
nur wenige Prozent ihrer Intensität verlieren (vgl. Müller, Photometrie, p. 140),
genügen wenige Zentimeter Luft, um die Strahlen von Wellenlängen unter
157 uu vollständig zu absorbieren, vgl. H. Kaysers Artikel: „Spektralanalyse‘ in
Winkelmann, Handb. 6, p. 737. Wenn umgekehrt z. B. Müller und Kempf in 80*
Zenitdistanz die (visuelle) Extinktion für den roten Stern « Tauri um 0.22 Größen-
klassen größer finden, als für den weißen Stern « Cygni, so liegt das an
physiologischen Ursachen im Auge (Purkinje-Phänomen), vgl. Müller 1883, p. 274.
9, H. Kayser und C©. Runge, Die Dispersion der atmosphärischen Luft, Berlin
Ber: 1893, p. 153, ausführlicher Berlin Abh. 1893.
10) ©. Pulfrich hat zuerst eingehender nachgewiesen, daß der Brechungsindex
von amorphern Quarz sich bei einer Temperaturerhöhung sehr beträchtlich ändert:
©. Pulfrich, Annalen der Physik und Chemie 34 (1888), p. 332.
11) Vgl. Winkelmann, Handb. 6, p. 642.
3. Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck und Höhe, 297
Die optischen Eigenschaften der atmosphärischen Luft hängen
ferner von ihrer tatsächlichen Zusammensetzung ab. Das Vorhanden-
sein von Wasserdampf und von Staub in verschiedenen Mengen ändert
ganz wesentlich, qualitativ und quantitativ, die spezifische Absorption,
nicht so sehr dagegen die Refraktion. Nach H. L. Fizeau'?) und
J. C. Jamin"?) ist der Brechungsindex der feuchten Luft nur wenig
geringer als der der trocknen. E. v. Oppolzer'*) hat darauf aufmerk-
sam gemacht, daß man streng genommen auch die Änderung des
Mischungsverhältnisses von Sauer- und Stickstoff mit der Höhe in
Rechnung ziehen sollte. i
3. Beziehungen zwischen Dichtigkeit, Temperatur, Luftdruck
und Höhe über dem Meeresniveau.
a) Eine erste Beziehung gibt das
Geseiz von Mariotte-Kay-Lussae:
(5) p=dl mi), N
worin 9 der Luftdruck (Einheit der Druck von 760 mm bei 0° C. unter
45° Breite, am Meeresniveau), ö die Luftdiehtigkeit (Einheit die nor-
male der trocknen Luft bei 760 mm und 0%), # die Temperatur in
Celsiusgraden, m = „4; den Ausdehnungskoeffizienten der Luft be
deutet.
Bei feuchter Luft, wenn x die Spannung des Wasserdampfes be-
deutet, tritt nach Radau an Stelle von (5) die Beziehung
p—!n=6d(1 + mt). (5a)
Für die Berechnung der Refraktion ist indessen diese Verbesse-
rung fast bedeutungslos; nur bei den neuesten Radauschen und de
Balischen Tafeln!) wird hierauf Rücksicht genommen.
b) Bedingung des aerostatischen Gleichgewichts.
Setzt man weiter voraus, daß die Atmosphäre sich im mechani-
schen Gleichgewicht befindet, daß an den (sphärischen) Flächen
gleicher Dichtigkeit auch gleicher Druck herrscht, so liefert diese
12) Vgl. H. L. Fizeaus Brief (1852) an F\ Arago, aus Aragos Nachlaß mit-
geteilt in F'. Arago, Oeuvres complötes 11, Paris-Leipzig 1859, p. 724—732, ins-
besondere Tabelle p. 731.
13) J. C. Jamin, Annales de chimie et de physique (3) 52, Paris 1858, p. 188.
Siehe hierüber auch die p. 289 zitierte Arbeit: De Ball 1907.
14) E. v. Oppolzer, Astr. Nachr. 135 (1894), p. 159.
16) R. Radau, Obs. de Paris Ann., m&m. 19 (1889), p. & 3 und L. de Ball,
Refraktionstafeln, Leipzig 1906.
298 VIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
Bedingung folgende Differentialgleichung zwischen p, ö und kh (Höhe
in km über dem Meeresniveau). Das Inkrement dp des Druckes
beim Übergang von der Höhe h zur Höhe h + dh ist, vom Vor-
zeichen abgesehen, gleich dem Gewicht der bezüglichen Luftsäule der
Höhe dh (Querschnitt = 1). Dieses wird durch
da =g (si) gar
in Grammen gegeben, wenn man durch g die Schwerkraft im Beob-
achtungsorte, durch a den Erdradius (bei Beobachtungen im Meri-
dian strenger den meridionalen Hauptkrümmungsradius des Erdellip-
soids für den Beobachtungsort, dessen Höhe y mit inbegriffen), durch
g die Dichtigkeit der Luft in Verhältnis zu der des Wassers bezeichnet.
Hierbei vernachlässigt man die — in der Tat praktisch verschwin-
dende — Anziehung der Luftschicht der Höhe A über dem Beob-
achtungsorte. Setzt man also obigen Ausdruck von d@ dem Ge-
wicht einer Quecksilbersäule der Höhe — dp > 0,00076 km. (da wir
oben als Einheit für » den normalen Druck von 760 mm und als
Einheit für A das km angenommen haben) gleich, so folgt die ge-
wünschte Gleichgewichtsgleichung
dp > 0,00076 x 90m — — 4; > a) ih,
worin 9, die Schwerkraft bei 45° Breite am Meeresniveau und n, die
Diehte des Quecksilbers bedeutet. Stellt e, die normale Dichte der
Luft (bei 0° und 760 mm) dar, so hat man nach den obigen Be-
zeichnungen
mm 99,
und damit die Bedingung des serostatischen Gleichgewichts:
(6) Idp == (u) ödh,
wobei zur Abkürzung:
(6a) = 0,0007 %
v
gesetzt wurde. Die konstanten Größen «= a, + y und {, weiche ım
der Gleichgewichtsbedingung (6) auftreten, hängen beide von der
geographischen Lage (Breite g und Höhe %) des Beobachtungsortes
ab. Nach Helmert'‘) ist nämlich (unter Vernachlässigung der An-
ziehung der Luftschicht zwischen dem ge und der Höhe y)
x a = 9180 (1 + 0,005310 sin? ren
16) Helmert, Geodäsie 2 (1884), p. 579.
u ’
4. Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate.. 299
während man für a,=«-—- x (meridionaler Hauptkrümmungsradius
des Erdellipsoids bei der Breite p) nach Bessel
6356,06 km
(8) I = 1 0,0066744 sin!
zu setzen hat. Bei 45° Breite im Meeresniveau und mit den be-
kannten Werten
16 = 13,5%, 0, == 0,001292607
erhält man
== 1,9939 km, a, = 6577,56 km.
Ersteres ist die sog. „Höhe der homogenen Atmosphäre“, nämlich
einer Atmosphäre, welche überall die normale Dichte o, der Luft am
Meeresniveau besitzt und denselben Druck wie die wirkliche Atmo-
sphäre ausübt.
ec) Temperaturmessungen.
Die zwei Gleichungen (5) und (6) reichen nicht aus, um für die
verschiedenen Höhen den Wert der drei unbekannten Größen p, Ö, t
aus den bekannten Werten derselben an der Erdoberfläche auszu-
rechnen. Hierzu ist eine dritte Beziehung erforderlich, welche man
am einfachsten aus den experimentellen Untersuchungen über das
Verhalten der Temperatur in der Höhe gewinnt.
4. Temperaturänderung mit der Höhe. Beobachtungsresultate.
Man besitzt zur Zeit drei ausgezeichnete Beobachtungsreihen über die
Temperaturabnahme mit der Höhe, und zwar
a) bis zur Höhe von 8km die Ergebnisse der Luftfahrten des
Berliner Vereins für wissenschaftliche Luftschiffahrt, bearbeitet von
Aßmann und Berson'”);
b) bis zur Höhe von 10 km die der internationalen Ballonfahrten,
bearbeitet von Hann'®);
e)’bis zur Höhe von 14 km die von Tersserene de Bort hearbei-
teten Ergebnisse der Ballons-sondes-Aufstiege'?).
Da in den ersten 8, bzw. 10km alle drei Beobachtungsreihen
fast vollkommen übereinstimmen, wird es genügen, um eine Orien-
17) Wissenschaftliche Luftfahrten, bearb. von R. Aßmann und Berson (3 Bde.,
Braunschweig 1899 und 1900), Bd. 3.
18) J. Hann, Über die Temperaturabnahme mit der Höhe bis zu 10 km Höhe
nach den Ergebnissen der internationalen Ballonaufstiege, Wien Ber. 113 (190%),
p- 571.
19) L. Teisserenc de Bort, Paris Ü. R. 188 (1904), p. 42.
300 VIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
tierung über das Verhalten der Temperatur als Funktion der Höhe
zu bekommen, einen Auszug aus der letzteren ausgedehnteren Reihe
zu geben.
Tenıperaturabnahme mit der Höhe h über dem Boden.
Nach den Ergebnissen von Teisserene de Bort'”) aus 141 Ballonaufstiegen,
bei welchen die Höhe von 14 km erreicht wurde.
Die erste Zeile gibt die Bodentemperatur t,, die übrigen geben 1, —t,.
Höhe h in km Winter Frühling Sommer | Herbst Jahr
0 +19 459,1 +13°.0 I +70,5 +6°,9
1 En nn Ügg 12 ai — 18
2 = HR BR WERE, — 5,8 — 54
3 ER —11,5 —10,9 ER € u}
4 12,8 ia —-15,7 — 14,0 15,0
5 — 18,9 — 23,6 — 21,3 —19,9 — 20,9
6 25,6 —30,8 27,8 — 26,2 127,5
4 — 33,4 BR." -—34,7 — 38,3 34,6
8 —40,9 -44,1 —42,8 — 41,0: —42,1
9 48,8 -51,8 —51,0 — 48,9 50,1
10 —55,9 —57,8 — 58,3 — 55,8 --57,0
11 59,8 58,7 68,8 —61,9 —60,9
12 ---59,8 — 58,2 —66,0 —64,6 —62,1
13 58,8 BER je aa wer Pi 64,6 614
14 57.4 Tr ae 64,6 — 61.0
Hiernach wächst der Temperaturgradient pro km von dem
mäßigen Mittelwert ——-1°,8 an der Erdoberfläche bis zum sehr starken,
fast adiabatischen Gradienten —8° in der Höhe von 3 km, nimmt
dann aber fast plötzlich über 10 km ab, so daß bis 14 km eine
Umkehrungs- oder wenigstens isotherme Zone herrseht. Die neuesten
Aufstiege von Ballons-sondes deuten sogar eine Erstreckung dieser
Umkehrung bis in noch größere Höhe (bis zu 20 km) an. Daß
tatsächlich irgendwo eine Abnahme des Temperaturgradienten ein-
treten muß, folgt schon daraus, daß auch eine mittlere Temperatur-
abnahme von nur 5° pro km den absoluten Nullpunkt (—273°) und
hiermit die Grenze der Atmosphäre bereits in 55--60 km Höhe
bringen würde, während die Atmosphäre sicherlich weit höher reicht.
Für die Berechnung der Refraktion würde man daher zweckmäßig
für die Temperatur der Luft bis 10 km Höhe die schon ziemlich ge-
sicherten Beobachtungsresultate verwenden, darüber hinaus aber den
Temperaturgradienten —2° oder —1° pro km, welches einer Höhe
der gesamten Atmosphäre von 120 bzw. 230 km entspricht.
‘Aus obiger Tabelle erhellt ferner ein jahreszeitlicher Unter-
schied im Verhalten der Temperatur zwischen dem Frühling-Sommer-
Halbjahr und dem Herbst-Winter-Halbjahr, indem bis zu 10 km Höhe
3. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 301
die Temperaturabnahme im ersten Halbjahr bedeutend stärker als die
im zweiten ist. Nicht gering ind nach Hann die von der Wetter-
lage abhängigen Unterschiede; bi$@»,km findet er nämlich in Hoch-
druckgebieten eine Temperaturabnahrg,von —20°, in Niederdruck-
gebieten aber eine solche von —-26°,5. nun für die Refraktions-
theorie die Temperaturverhältnisse in den e kın gerade von be-
sonderer Wichtigkeit sind, so wird man als v mmene Theorien
nur diejenigen anerkennen, bei welchen die Berücksichägung der eben
erwähnten meteorologischen Tatsachen leicht möglich ist. In dieser
Beziehung ist bis jetzt die Radausche Bearbeitung der Refraktion®®)
allen anderen vorzuziehen.
U. Physikalische Hypothesen.
5. Kritische Besprechung der Hypothesen über die Konsti-
tution der Atmosphäre. Jede bestimmte Hypothese über den Zu-
sammenhang zwischen zwei der vier veränderlichen Größen i, p, ö, h
führt mit den Gleichungen (5) und (6) und den Grenzbedingungen
ee beii ke,
p=0 bei A=H (Höhe der gesamten Atmosphäre),
zur vollständigen Kenntnis der theoretischen Werte der Temperatur
in den verschiedenen Höhen. Man kann also gleich auf Grund der
eben (Nr. 4) erwähnten Beobachtungsresultate den relativen Wert der
verschiedenen Hypothesen prüfen, bevor man dieselben zur Darstellung
der Refraktion anwendet.
a) Cassini. Nimmt man zunächst mit Br) (1662) die Zuft-
dichtigkeit als konstant, also
6 1
an, vernachlässigt man außerdem die Veränderung der Schwerkraft,
also den Faktor GH in der Gleichgewichtsbedingung (6), dann
erhält man sofort durch Integration in Rücksicht auf die Grenzbe-
dingungen (9):
r x i ;
(11) H = 1= 71,994 km,
(12) Ih — = — 0.
20) Grov. Dom. Cassini, Ephemerides novissimae motuum coelestium 1661
bis 1666, additis ephemeridibus solis et tabulis refractionum, Mutinae 1662.
Vgl. p. 290 sowie Fußn. 43, auch Wolf, Handb. 2, p. 268.
302 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
%
Bei den gemachten Hypothesen (konstante Dichtigkeit und
Schwerkraft) würden also der Luftdruck und die Lufttemperatur linear
mit der Höhe abnehmen. Die Höhe der Atmosphäre würde aber nur
8 km betragen, der Temperaturgradient dagegen den riesigen Betrag
— 34° pro km erreichen, während der höchste mögliche (adiabatisehe)
ein Gradient von 999 pro km ist. Unter Beibehaltung des Faktors
Ye 6 würde man praktisch denselben Druck- und Tem e-
ath, P 'p
raturverlauf erhalten, also immer noch in schroffem Widerspruch mit
den Beobachtungsresultaten über die Konstitution der Atmosphäre
bleiben.
b) Tobias Mayer. Die Mayersche Refraktionsformel (Nr. 8)?"),
auf welche sich die Bougyuer-, Simpson- und Bradleyschen Formeln
reduzieren lassen, gründet sich auf die Hypothese einer linearen Ab-
nahme der Dichtigkeit, setzt also eine Beziehung der Form
1 h
voraus. Die Höhe K, bei ‚welcher die Dichtigkeit verschwindet, muß
nicht als die Höhe H der gesamten Atmosphäre aufgefaßt werden,
da man für die Grenze der Kae eine Dichtigkeit d, > 0 an-
nehmen kann; es soll also nur
KH
sein. Unter Vernachlässigung der Veränderung der Schwerkraft er-
hält man zunächst aus (6) mit den Bedingungen (9)
ER h?
(14) Pl lg):
2 1 H®
(15) ir (H— sR)»
endlich aus (5)
273°, 2(K—d—h
Be
Bi K=H=2/l—= 16km, wenn man also die Dichtigkeit an
der Grenze der Atmosphäre als verschwindend klein annimmt, folgt
t= — 179,08 - h, Y
also wiederum eine gleichförmige Temperaturabnahme, welche A min-
destens dreimal so stark: als die beobachtete ist. Nimmt man ferner
K=nH worin» >1) an, dann folgt aus (15)
Heli Ya
2n—1i
(16) = —
21) Vgl. Fußnote 44.
5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 303
also eine noch kleinere Höhe für die Atmosphäre und, wie aus (16)
sofort ersichtlich, eine noch stärkere Temperaturabnahme mit der
Höhe.
Bei strengerer Berücksiehtigung der Gleichung (6) würde man
wieder praktisch dasselbe Temperaturgesetz erhalten.
ec) Newton. Im Gegensatz zu den eben besprochenen Hypo-
thesen, welche. eine zu starke Temperaturabnahme mit der Höhe er-
geben, steht die Newionsche Hypothese??) einer konstanten Temperatur.
Führt man diese Annahme, welche durch
— 0
ausgedrückt werden kann, in (5) und (6) ein und verwendet die
„reduzierte Höhe“
h
(17) an
so folgt für die Dichteverteilung ein Exponentialgesetz:
(18) Pe ha
Als Höhe der gesamten Atmosphäre ergibt sich hier, auch im
Gegensatz zu den obigen Hypothesen, welche zu kleine Höhen er-
gaben, ein unendlicher Wert.
d) Laplace, Aus der Tatsache, daß die beobachteten Werte der
astronomischen Refraktion zwischen denjenigen liegen, welche die
Mayersche bzw. die Newtonsche Formel ergeben, schloß Laplace?”),
daß eine bessere Darstellung der Refraktion durch eine Verbindung
des arithmetischen und des geometrischen Gesetzes für die Almahme der
Luftdichtigkeit zu erreichen sei. So wurde er zum Ausdruck
(19) = (tHrg)en:
geführt, worin 6, den Wert der Luftdichte au der Erdoberfläche,
f und k konstante Größen, u aber die neue Variabele
® 1 eli-i)
6
bezeichnet. Hierbei bedeutet &« die ‘sogenannte Kefraktionskonstante
22) Über J. Newtons Befisktionstafel vgl: J. B. Biot, Analyse des tables de
röfraction construites par Newton, avec Vindication des procddes numeriques par
lesquels il a pu les caleuler, Journal des Savants, annde 1836, Paris 1836, p. 735.
Feruer Wolf, Handb.2, p.267. Siehe auch p. 290.
23) P. S. de Laplace, Traite de mecanique c6leste 4, Paris 1805, seconde
partie, livre 10, chapitre 1: Des röfractions astronomiques = Üeuvres 4, Paris
1880, p. 233 ff., insbesondere $ 7, p. 263.
-
304 VIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
(Nr. 7), welche sehr nahe dem Überschuß des Brechungsindex u der
Luft über die Einheit gleich ist. Nach Bessel (Fundamenta astro-
nomiae) ist
(21) « = 0,00029243 (bei 0° und 760 nım).
as
1-5
ıst also bei ZLaplace keineswegs einfach, und die Beziehung (19) hat
tatsächlich mehr die möglichste Vereinfachung der analytischen
Behandlung des Refraktionsintegrals (Nr. 7), als die Darstellung der
tatsächlichen Verhältnisse der Atmosphäre im Ange. Trotzdem hat
die Laplacesche Hypothese einen höheren physikalischen Wert, als
die vorherigen Annahmen.
Dividiert man die Gleichung (6) durch
2 = dl + mt)
(Gleichung von Mariotte-Gay-Lussae für die Erdoberfläche) und setzt
man der Kürze wegen
Der Zusammenhang der Dichtigkeit d mit der Höhe =
(22) Kl + mt) = |,
(22) _— FR („relative Dichtigkeit“),
so erhält man
(23) n I, = = — ards.
Nach 61. (20) ist aber
ds = du — adı,
also
Re xdxc — zedu,
Po I,
woraus durch Integration zwischen den Grenzen
p=(0 (Grenze der Atmosphäre)
und p=» (laufende Höhe)
folgt
u@ En
(24) en »+ Pe :+e,
worin € die Integrationskonstante bedeutet. Zwischen den Konstanten
k, f, © bestehen zwei Gleichungen, den Grenzbedingungen (9) ent-
sprechend, und zwar
| 1.7 m +4
o-te 4% rer te.
=
+c,
(25)
&. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 305
Hierbei bedeuten U und & die Grenzwerte der Variabeln U,
bzw. der Dichtigkeit x, welche letztere sich mit der Höhe einem
von Null verschiedenen Grenzwert nähert, indessen findet man bei
dem von Laplace angenommenen Wert der Konstanten k
1
bereits in eimer Höhe von 64 km (wo s und « sehr nahe = 0,01 sind)
> — ge __ 0,0000015.
“Die Luftdichtigkeit ist also bei dieser Höhe schon sehr klein
und kann an der Grenze der Atmosphäre praktisch gleich null gesetzt
werden. Damit folgt sogleich aus (24) und (25)
2 -f En! ent ak. n- KL 3
(27) Do 2%, I, lo
ac ak fak
ein Sie
Bei den normalen Werten von @, I, « und k (s. Nr. 3 und
Formel (21) und (26)) folgt aus letzterer Gleichung
f = 0,495.
Dann ist man imstande, aus den Gleichungen (19), (20) und (27)
die Werte: von x, s und p bei verschiedenen Werten von u, und
hiermit auch die Werte der 'Temperatur
I — 2730. (BE — ) |
(s. Gl. (5)) für die verschiedenen Höhen h = er auszurechnen. Manu
findet:
% c=0:0d, 8 P:P, h t
0,0000 1,0000 0,000000 | 1,0000 0,0 km 0,0
0,0002 0,8662 0,000239 | 0,8233 1,5 —13,5
0,0004 0,7400 0,000476 | 0,6728 3,0 — 14,8
0,0006 0,6252 0,000710 | 0,5467 4,5 —34,2
0,0008 0,5234 0,000939 | 0,4422 6,0 — 41,3
0,0010 . 0,4349 0,001165 0,3565 7,4 — 49,2
0,0012 0,3591 0,001388 | 0.2866 3,9 56,1
0,0014 0,2949 0,001606 0,2299 10,3 —60,1
Die Temperaturabnahme bei der Zaplaceschen Hypothese geht
also zunächst sehr rasch, fast adiabatisch ®), vor sich, wird aber mit
ne
24) Bei genauerer Berechnung des Differentialquotienten der Temperatur
nach der Höhe findet man, daß an der Erdoberfläche selbst der Temperatur-
306 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
der Höhe immer kleiner, so daß im 8° km nur noch ein Temperatur-
gradient von 4° übrig bleibt. Das sind im Großen und Ganzen gut
annehmbare Werte für den Temperaturgradienten, viel bessere jeden-
falls, als bei den vorherigen und auch bei mancher späteren Hypo-
these. Leider ist der Gang des Temperaturgradienten gerade dem
beobachteten entgegengesetzt, da die neuesten Ballonaufstiege mäßige
Werte bei der Erdoberfläche und ein Maximum bei 83km Höhe er-
geben. Als Grenzwert der Temperatur an der oberen Grenze der
Atmospbäre erhält man übrigens bei der Laplaceschen Hypothese
nieht den absoluten Nullpunkt (—273°), sondern
PRBRRRBTBRR VRR Sch Br NE ae u 111°.
( EERN ı+la-e)
e) Kramp und Bessel. Die Krampsche Refraktionstheorie*°),
welche für die Besselsche vorbildlich gewesen ist, geht aus von der
Fundamentalhypothese einer exponentialen Temperaturabnahme, nämlich.
(28) (spezifische Elastizität) — Ir u er E
worin m, a, s die schon p. 297, 298, 303 erwähnte Bedeutung haben,
g aber eine eich Konstante ist. Für diese nahm Bessel, EN
den Bradleyschen Meridianbeobachtungen, den Wert 228 an, so daß
5 = il nahe 30 beträgt. Rechnet man nun aus 16 die Werte
von t— £, bei den drei Annahmen
: a 20, u 30, == 40,
so findet man bzw.
h=1km 10km ! 11km 10km | Ikm 10km
I; = m EHETEET ZWEIT. 85 — 7061
Die Temperaturabnahme mit der Höhe bei der Krampschen
Hypothese ist also innerhalb der ersten Kilometer noch eine fast
gleichförmige und kann bei passender Auswahl des Wertes von g in
gute Übereinstimmung mit den beobachteten Werten der Temperatur
gebracht werden. Au der Grenze der Atmosphäre führt diese Hypo-
these zum absoluten Nullpunkt.
gradient nach der Laplaceschen Hypothese und bei den angenommenen Werten
der Koustanten gleich -—11,°4, also überadiabatisch wird.
25) Chr. Kramp, Analyse des reiractions astronomiques et terrestres, Leipsie
et Paris 1799.
5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 307
Führt man die Hypothese (28) in (5) ein und eliminiert Ö
zwischen (5) und (6), so erhält man durch Integration
log j = ie _ A
()
also verschwindet bei Kramp der Luftdruck nicht strenge in unendlicher
Entfernung von der Erde. Für die Dichtigkeit & (22a) erhält man
log x = log “ — log Arm ilı 2 — ed + 75
i 1 EN
u er ing Yo
Zur definitiven Berechnung der Refraktion behält Kramp schließ-
lich — und Bessel”) mit ihm — nur das Glied erster Ordnung bei,
nimmt also
1 1
(29) log — -- a, —,)s=—Bs
an. Das ist ein rein ewponentiales Gesetz für die Luftdichtigkeit, wie
wir es schon bei der Newtonschen Hypothese angetroffen haben, nur
hängt hier die Konstante 8 von der Temperatur an der Erdober-
fläche ab (vgl. Formel (22)). Die Beziehung (29) bringt aber ein
ganz anderes Temperaturgesetz als (28) mit sich. Man findet nämlich
durch die Einführung von (29) in (5) und (6)
(30) ei —1+ ger re,
I+mt
= tl 5) Bu
Rechnet man hieraus mit den Besselschen Werten
RER. sol yar # nipaı
I, = 8256,73 m |
den Wert von &—4,, so findet man für
h= ıikm 2 3 4 6 8
ih —- 13 — 28 —45 7 — 694 — 10%8 — 1695,
während die beobachtete Temperaturabnahme bei 8$km Höhe nicht
weniger als — 40° beträgt (p. 300). Nach Gl. (30) bekommt man
weiter bei p= 0 als Grenzwert für s (reduzierte Höhe der Atmo-
sphäre bei der .Besselschen Hypothese)
t hP\.
SS — n} log (! _— ar);
a = 6372969 m
26) F. W. Bessel, Fundamenta astronomiae pro anno 1755, Regiomonti 1818,
sectio IV, p. 26/44, verbessert in F. W. Bessel, Tabulae Regiomontanae *"), Regio-
monti Prussorum 1830, p. LIX. Vgl. VI2,5 (Cohn), p. 246, Fußnote 97.
Enoyklop d. math. Wissensch. VI 2. 21
308 V32,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
das gibt nur H = 28,5 km für die Höhe ‘der gesamten Atmosphäre.
Die Luftdichtigkeit an der Grenze der Atmosphäre wird hiernach
nicht kleiner als
1 uf I 0088,
—(),
während die Temperatur bis zum absoluten Nullpunkt herabsinkt.
Das sind alles unphysikalische Bedingungen.
f) Ivory?) nahm als Fundamentalgesetz für die Konstitution der
Atmosphäre eine lineare Beziehung zwischen Temperatur t und Luft-
dichtigkeit x (Formel 22a) in der Form
DR 1-4 mt Ä
(31) ———el— fl
Au i+mt, f ei %)
an. Hieraus in Verbindung mit Gl. (5) folgt
(1 -f+ 2fa)de.
Eliminiert man 9 zwischen dieser und der Gleichgewichtsgleichung
(23), so erhält man die Differentialgleichung für x
+) — as,
aus welcher durch Integration
(32) M-D)-a—Nlgz—ts
folgt. Bei gegebenen Werten von z kann man aus (31) und (32)
die bezüglichen Werte von t und s, dann auch von Ah berechnen und
kiermit das von der Jvoryschen Hypothese bedingte Temperaturgesetz
herstellen. Für die Konstante / nahm Ivory zunächst den Wert 4,
später nach den Versuchen von Dalton und Ramond % an. Hier
folgen für einige Werte von © die entsprechenden Werte von h und
t bei den extremen Annahmen f = 0,2, f= 0,3; wir fügen noch die
beobachteten Temperaturabnahmen im Jahresmittel (vgl. p. 300) hinzu.
% t=0,2 f= 0,3
f } |
h | der. | kpeoh. h ber. 5 rend.
0,95 0,ökm|. —2%7 | 0°,0 05km! -—-41 09,0
0,90 1,0 505 | 108 1.1 80,0 10,8
0,85 1,5 88) 00-805 1,6 120,3 30,5
0,80 21 1099 | 508 22 — 160.4 603
0,70 3,2 1604 | —1008 3,4 46 | — 1108
0,50 6,0 1703 | 470% 6,3 — 419,0 290,5
0,30 10,0 3802 | 5790 10,1 5108 | —57%4
27) J. Ivory, On the astronomieal refractions, Lond. Phil. Trans. 1828, p. 409
|Refraktionstafel p. 491 ffg.] und Lond. Phil. Trans. 1888, p. 169 [Refraktionstafel
p. 227 fig.).
f
5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 309
In beiden Fällen ist die berechnete Temperaturabnahme in den
ersten km zu rasch; der Gang des Temperaturgradienten ist ferner,
wie schon bei der Zaplaceschen Hypothese, gerade dem beobachteten
entgegengesetzt. Die kleinsten Abweichungen (Beobachtung — Rech-
nung) bis 5 km Höhe bietet die erste Annahme f= 0,2 (Normal-
wert bei den neueren Radauschen Refraktionstafeln). Ferner bedingt
die Ivorysche Hypothese bei unendlicher Höhe der Atmosphäre einen
Grenzwert für die Temperatur:
= — f-213(1 + mt),
also etwa —55°, bei f= 0,2 und = (0°. Das ist offenbar eine zu
hohe Temperatur, da schon bei 10 km Höhe die Beobachtung geringere
Werte ergibt (vgl. Tabelle in Nr. 4, p. 300).
g) Schmidt. Nach den Beobachtungen im Gebirge, welche im
allgemeinen eine fast gleichförmige Temperaturabnahme mit der Höhe
ergeben, setzte Schmidt”) die Temperatur als lineare Funktion der
Höhe h und zwar in der Form
r . i-+ mt h
(3°: an -1-h
an. Hiernach hängt der 'Temperaturgradient, außer von der ange-
nommenen Höhe Z der Atmosphäre, auch noch von der Temperatur i,
an der Erdoberfläche ab, und zwar in Übereinstimmung mit den
meteorologischen Ergebnissen, daß die Temperaturabnahme um so
stärker ist, je größer t, ist. Schmidt. nimmt H == 49,1 km an; dem-
entsprechend findet man bei den mittleren Bodentemperaturen + 1°,9
‘und +4 13%0 von Teisserene de Borts Winter-- und Sommerfahrten
die Temperaturabnahme bis 10 km Höhe
ta — Winter Sommer
nach der Schmidtschen Hypothese . . . | —56%0 | — 5892
nach Teisserene de Borts Aufstiegen . . . , —55°%9 | — 58%3
Das ist eine geradezu überraschende, wenn auch zum Teil zu-
fällige Übereinstimmung. Freilich, da den beobachtete Temperatur-
gradient in der freien Luft (s. Tabelle in Nr. 4, p. 300) nicht gerade
konstant bleibt, ist eine ebenso gute Übereinstimmung in den ge-
ringeren Höhen nicht zu erwarten; die Schmidtsche Hypothese bietet
28) Ed. Schmidt, Theorie der astronomischen Strahlenbrechung, Göttingen
1828.
21*
310 VI»,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
aber jedenfalls vor den anderen von Laplace, Kramp, Jvory und den
gleich zu erwähnenden von Gylden, Kowalski, v. Oppolzer den Vorteil,
daß der Temperaturgradient nicht einen dem beobachteten entgegen-
gesetzten Gang (von O bis 10 km Höhe, also bei dem für das Refrak-
tionsintegral wichtigsten Teil) aufweist.
h) Bauernfeind. Die Hypothese von Bauernfeınd?”) unterscheidet
sich von der Schmidtschen nur darın, daß die Höhe der Atmosphäre
nicht als konstant, sondern als von der Temperatur an der Erdober-
fläche abhängig aufgefaßt wird. Bauernfeind setzt nämlich
H = 48 kn (1 + mt,).
Hierdureh fällt aber die jährliche Veränderung des Temperatur-
gradienten weg, welche die Schmidtsche Hypothese so gut darzustellen
vermag. In dieser Hinsicht ist also die Neuerung keineswegs glück-
lich. Außerdem nimmt Bauernfeind bei der folgenden Entwicklung
des Refraktionsintegrals für die Dichte x (Gl. 22a) die Beziehung
1-+-mt\
RR (, = a
an. Das ist aber weiter nichts, als eine andere Hypothese, welche
mit der Fundamentalhypothese (33) nicht im Einklang steht, wovon
man sich sofort durch das Heranziehen der Gleichgewichtsbedingung
überzeugen kann. Die Temperatur an der Grenze der Atmosphäre ist
bei Bauernfeind, wie bei Schmidt, der absolute Nullpunkt.
i) Gylden. Als eine Umgestaltung der Schmidtschen Hypothese
kann man auch die Gyldensche®®) auffassen, welche die Temperatur i
mit der reduzierten Höhe s (p. 303, 307) durch die Formel
s
Be er
verbindet. Unter Vernachlässigung des quadratischen Gliedes, welches
fast ohne Bedeutung hei der Berechnung der Refraktion ist, reduziert
sich (34) auf (33). Für die Konstante ß setzt Gylden
B=-120(1 +0),
worin i verschiedene Werte für die verschiedenen Jahreszeiten (ja
sogar für die Monate) annehmen soll. Nach den Refraktionsbeobach
tungen von Fuß”) ıst z. B.
29) ©. M. Bauernfeind, Astr. Nachr. 62 (1864), p. 209; Astr. Nachr. 67 (1866),
p. 33.
30) H. Gylden, Refr. 1866-68. Siehe aueh St. Pet. Bull. 12 (1868), p. 474.
31) V. Fuß, Beobachtungen und Untersuchungen über die astronomische
Strahlenbrechung in der Nähe des Horizonts, St. Pet. M&m. (7) 18 (1871/72), Nr. 3.
5. Kritische Besprechung d. Hypothesen üb. d. Konstitution d. Atmosphäre. 311
Januar April | Juli Oktober
By + 0,05 + 0,66 — 0,10
BE 779 126 199 108
Hiernach ändert sich also der Temperaturgradient im Laufe des
Jahres, und zwar erhält man, den meteorologischen Ergebnissen ent-
sprechend, größere Werte im Frühling-Sommer als im Herbst-Winter
Die theoretische Änderung ist aber viel größer als die beobachtete,
wie folgende kleine Zusammenstellung beweist.
Temperaturabnahme bei 5 und 10 kın Höhe nach der Theorie von Gylden (Fuß)
und nach den Beobachtungen von Teisserene de Bort.
Höhe | Winter: Frühling: | Sommer: | Herbst:
tl 2 = + 13°,0 +70
| 'Theor. | Beob. | Theor. | Beob. | Theor. | Beob. | Theor. | Beoh.
5km| —16%2 | —180,9 | —25%1 | — 280,6 | 390,6 | — 219,8 | — 220,3 | —190,9
10km| — 2907 | —5509 | 4709 | —5708 | — 7204 | — 580,8 | —390.0 | --55,8
Läßt man die jährliche Änderung des Temperaturgradienten
fallen, weiche man eventuell bei passender Auswahl der Werte von ?
erheblich besser darstellen könnte, so bleibt immer zu Ungunsten der
Gyldenschen Hypothese bestehen, daß sie für den Temperaturgradienten
nach der Höhe einen dem beobachteten entgegengesetzten Gang er-
gibt. Für die Höhe der Atmosphäre ergibt die Gyldensche Hypo-
these den Wert j
a 6377
die Grenztemperatur ist der absolute Nullpunkt.
k) Kowalski. Wie eine Gruppe von Hypothesen für die Refrak-
tionstheorie (Schmidt, Bauernfeind, Gylden) an die Ergebnisse der
Temperaturbeobachtungen im Gebirge (gleichförmige Temperaturab-
nahme) angeschlossen werden kann, so knüpft eine andere Gruppe an
die ersten ausgedehnteren Untersuchungen über die Temperaturver-
hältnisse in der freien Luft, d.h. an die Glaisherschen Luftfahrten
(1860—1870) an. Diese Untersuchungen, welche leider durch die
neueren nicht bestätigt und wahrscheinlich durch Strahlungswirkungen
und instrumentelle Fehler entstellt wurden, ergaben eine, an der Erd-
oberfläche sehr starke, sich aber mit der Höhe sehr rasch verringernde
Temperaturabnahme.
Eine vorzügliche Darstellung der Glaisherschen Resultate erhielt
zunächst Kowalski®?) mit der Hypothese
32) M. Kowalski, Recherches sur la refraction astronomique, Kasan 1878,
312 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmaosphäre.
; Ii-+ mi ! 3
(35) BEE d— a,
worin x wieder die relative Dichte (Gl. 22a),
k == 0,1871 für 1,= 62° Fahr. = 16°7 C.
Aus (35), in Verbindung mit den Gleichungen (5) und (23), er-
gibt sich durch Reihenentwicklung nach den Potenzen von 1 —x:
R \ p ER RN (NET CN Re 3 4
(36) er ee z— kel—e)+:-,
(37) se —lgr+tkl— gt
Ude t+te
Hieraus kann man bei gegebenem x den Wert von t und s oder
h (8. Gl. (17)) ausrechnen und hiermit die Art der Temperaturabnahme
nach dieser Hypothese erkennen. Man findet:
bei = 0,9 0,5 0,2
bzw. h= 1,1 km 6,3 km 13,3 kn
t— = — 1001 —298 — 399
während nach den Aufstiegen von Teisserene de Bort für dieselben
Höhen und für den Sommer (4, = 130,8) bzw.
t—b= — 16 —299 — 6495
ist. Der zufälligen Übereinstimmung bei 6 km steht die starke Ab-
weichung bei 1 bzw. 13 kın gegenüber. Die Temperatur an der Grenze
der Atmosphäre wird nach Gl. (35) viel zu hoch, nämlich
gi ee 2.990.
I) v. Oppolzer, Mendelsef, Pizzetti. Ähnliche Einwendungen |
kann man gegen die v. Oppolzersche Hypothese®®)
t= — 50° + (t, + 509%) 5
und die Mendeieefsche*)
= 300 4 (+ 3692
erheben. Die erste unterscheidet sich nur in der Bestimmung des
Parameters f von der schon besprochenen Jvoryschen Hypothese; die
“
35) TR. v. Oppolzer, Wien Denkschr. 1886, p. 53.
34) D. Mendeleef, De la temperature des couches superieures de l’atmo-
»phere, Archives des sciences physiques et naturelles, nouvelle periode 55, Gendve
1876, p. 233,
6. Leistungen der bis jetzt aufgestellten Hypothesen. Brunssches Verfahren. 313
zweite, aus den Glaisherschen Ergebnissen abgeleitete, von Pizzetti”)
später (1897) zu einem Versuch über die Refraktionstheorie ange-
wandte Formel, gibt offenbar eine zu hohe Temperatur (— 36°) für
die Grenze der Atmosphäre.
6. Schlußbetrachtung über die Leistungen der bis jetzt auf-
gestellten Hypothesen. Brunssches Verfahren. Andere mehr oder
weniger komplizierte Hypothesen rühren von Young (1824), von
Lubbock (1855), von Baeyer (1860) und von Radau (1882—-1889)
her®). Keine ist geeignet die Ergebnisse der neueren Forschungen
über die Verteilung der Temperatur in der freien Luft einigermaßen
gut darzustellen. Auch scheint es sehr fraglich, ob eine einzige so
biegsame Formel zu finden ist, daß sie gleich gut die für die ver-
schiedenen Jahreszeiten und Witterungslagen geltenden Temperatur-
gesetze darzustellen vermag.
Wenn man dabei der Mühe gedenkt, welche die zahllosen ana-
iytischen Behandlungen der Refraktionstheorie, insbesondere die voll-
kommensten von Gylden und Radau, gekostet haben, so scheint die
Frage berechtigt, ob die Ableitung der astronomischen Refraktion
nicht leichter zu erreichen ist vermittelst der bloßen numerischen Be-
rechnung (mechanischer Quadratur) unter direkter Anpassung an die
Ergebnisse der Physik der Atmosphäre, als durch den Umweg über
eine Hypothese, von welcher man gegenwärtig für die Gebiete unter
10km Höhe schon gänzlich absehen kann und welche nach den
neuesten Fortschritten der Ballons-sondes-Technik bald wohl überhaupt
entbehrlich sein wird
Eine andere gründliche Vereinfachung der Behandlung der astro-
nomischen Refraktion wurde im Jahre 1891 von H. Bruns?) vorge-
schlagen, welche darin besteht, daß man die Hypothese gleich in der
Form einer Beziehung zwischen dem Brechungsindex u und der Höhe H
annimmt, mit so vielen empirischen Konstanten, als nötig sind, um
die beobachteten Werte der Refraktion gut darzustellen. Das ist
zweifellos das einfachste Verfahren, wenn man nur die empürtische
Darstellung der Refraktion im Auge hat. Was man aber außerdem
sucht, ist die physikalische Darstellung des Phänomens, welche nur
35) Pizzetti 1897.
36) Th. Young, Lond. Phil. Trans. 1824, part 1, p. 169; J. W. Lubbock, Lond.
Astr. Soc. Mem. 24 (1855), p. 108; J. J. Baeyer, St. P&t. Me&m. (7), 8, St. Peters-
burg 1860, Nr.5; R. Radau 1882 und R. Radau 1889.
37) H. Bruns, Leipzig Ber. 43 (1891), p. 164; F. Hausdorff, Leipzig Ber. 43
(1891), p. 481.
314 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
durch die Verbindung mit den anderweitig bekannten Daten der
Physik der Atmosphäre zu erreichen ist und wohl am leichtesten eben
durch mechanische Quadratur erreicht wird.
111. Theorie der Refraktion.
7. Aufstellung des Refraktionsintegrals. a) Die Refraktionskurve.
Denkt man die Atmosphäre in unendlich viele Schichten gleicher
Dicke zerlegt und setzt eine beliebige aber kontinuierliche Änderung
der Dichte in der Reihe dieser Schichten voraus, so daß (vgl. Nr. 2)
auch der Brechungsindex u» kontinuierlich sich ändert; nennt ferner u
und u = u -+ du die Brechungsindizes für zwei einander folgende
Schichten M und M’, dann wird nach dem Snelliusschen Brechungs-
gesetz zwischen den bezüglichen Inzidenz- und Brechungswinkeln D
und © — di die Gleichung
sin tn sin (U — di) = sin i — cos idi + sin i
bestehen. Hieraus folgt das Differentialgesetz der Refraktion
(38) di— tg ie —dR
für die Elementarrefraktion dR beim Übergang von M in M’. Nimmt
man weiter an, daß das Erdellipsoid in der Nähe des Beobachtungs-
ortes durch die oskulierende Kugel im Beobachtungsorte selbst er-
setzt werden kann und daß die Flächen gleicher Dichte der Atmo-
sphäre die hierzu konzentrischen Kugeln sind, dann führt das Brechungs-
gesetz sofort auf den Schluß:
Die Trajektorie der Lichtstrahlen (Refraktionskurve) durch die
angenommene, sphärisch geschichtete Atmosphäre ist immer eine ebene und
zwar in eimer vertikalen. Kibene liegende Kurve.
Wenn aber die Kurve eine ebene ist, so ergibt das Integral aus
den Kontingenzwinkeln dR längs eines bestimmten Bogens (der Re-
fraktionskurve) genommen den Winkel zwischen den Tangenten in
den Endpunkten, also in unserem Falle die dem Lichtstrahl auf dem
betrachteten Wege erteilte Refraktion R. Geht dieser Weg durch
die ganze Atmosphäre hindurch, wie es bei der Beobachtung von
Gestirnen der Fall ist, dann spricht man von der astronomischen Re-
fraktion, geht der Lichtstrahl dagegen zwischen zwei der Erdober-
fläche angehörigen Punkten, dann spricht man von der terrestrischen
Refraktion. Da die letztere immer als Differenz zweier astronomischer
Refraktionen aufgefaßt werden kann, so brauchen wir darauf nicht
7. Aufstellung des Refraktionsintegrals. 315
näher einzugehen. S. übrigens im Teilbande „Geodäsie und Geophysik“
den Artikel Vlı, 3 (Pizzetti), Nr. 34, 35, 36.
Die astronomische Refraktion R wird also durch das Integral
Ko
(39) R= f tang i r-
Ay
gegeben, worin u, und u, die an der Grenze der Atmosphäre bzw.
an der Erdoberfläche bezüglichen Werte von u bedeuten. Um die ge-
samte Refraktion zu erhalten, hat man im allgemeinen die Brechungen
an den Grenzen hinzuzufügen. Die Brechung an der oberen Grenze der
Atmosphäre ist nicht zu vernachlässigen bei den Theorien, welche, wie
die Besselsche, eine nicht sehr kleine Grenzdichte annehmen. Für die
untere Grenze ist; keite besondere Grenzbrechung erforderlich, so lange
man den Beobachter in der freien Luft voraussetzt. Das ist aber in
der Praxis nie der Fall, und die neueren genaueren Refraktionsbeob-
achtungen, insbesondere die von .Bauschinger®), von Großmann’),
von .Courvoisier‘), haben die Existenz einer unteren, von den ört-
lichen Verhältnissen abhängigen „Saalrefraktion“ außer Zweifel gestellt.
b) Die Invariantenbesiehung (Elimination von i).
Bei der Aufstellung der Gleichung (39) haben wir im Grunde
nur von der Annahme Gebrauch gemacht, daß die Refraktionskurve
eine ebene ist. Beachten wir aber, daB die isotropen, atmosphäri-
schen Schichten von sphärisch konzentrischen Flächen begrenzt sind,
dann ergibt sich ein einfacher Zusammenhang zwischen :, u und h
(oder r=a-+-h), so daß zur weiteren Berechnung der Refraktion
nur noch die Kenntnis der Beziehung zwischen u und h erforder-
lich ist.
Betrachten wir nämlich nochmals zwei einander folgende, unend-
lieh dünne, atmosphärische Schiehten M und M’; nennen i, e den In-
zıdenz- bzw. Brechungswinkel an der Grenzfläche zwischen M und M’,
‘ den Inzidenzwinkel auf die innere Grenzfläche von M’, r und r’
die Entfernungen der Inzidenzpunkte J und 7 von dem Erdmittel-
punkt OÖ, u und u’ die Brechungsindizes für M und M’, dann folgt
aus dem Brechungsgesetze:
u sin i== u’ sin e
38) J. Bauschinger 1898.
39) E. Großmann 1901.
40) Courvoisier 1904.
316 VI»2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
und aus dem Drei OIT:
rsmd=rsine,
also gilt die Invariantenbeziehung:
rusiniö=r'wu sin i = konst.
In Worten ausgedrückt: Das Produkt aus der Entfernung r vom
Erdmittelpunkt O mit dem Brechungsindex u und dem Sinus des Ein-
fallswinkels i ist für alle Punkte der Refraktionskuwrve konstant und
infolgedessen = au, sin z, wenn a die Entfernung des Beobachtungs-
ortes vom Erdmittelpunkt O und z die scheinbare Zenitdistanz des
beobachteten Objekts bedeutet.
Setzt man den aus der Gleichung
(40) ru sin? = au, Sin 2
für tang i folgenden Wert in ie ein, so bekommt man den Ausdruck
(a1) a eins 2
Vu
worin nur noch u durch die Luftdichtigkeit d nach den in Nr. 2
behandelten Beziehungen auszudrücken ist, um dann auf Grund einer
der in Nr.5 besprochenen Hypothesen das Problem auf eine Quadratur
zurückgeführt zu haben.
ce) Die Laplacesche Beziehung (Elimination von uw).
Nehmen wir, wie bei den meisten Refraktionstheorien, die
Laplacesche Besiehng [vgl. Formel (1)]
u —1=2cö
an, führen wir noch (wie in Nr. 5, p. 303—304) die reduzierte Höhe
BE h BIER diem.
ee Free”
und die relative Dichtigkeit x = ö/ö, ein, setzen wir ferner die soge-
nannte Refraktionskonstante?!) « gleich:
cd, a Beh
(42) ud 1er er 77 Soli 7% TB)
41) Konstant ist « nur, so lange man bestimmte Druck- und Temperatur-
verhältnisse für den Beobachtungsort annimmt. Nennt man «, den bei 0° und
760 mm gültigen Wert von «, dann ist sehr nahe der Wert der Refraktionskon-
stanten bei der Temperatur t und dem Barometerstande B
B 1
N rers
8. Refraktionsformeln nach Cassini, Mayer, Bradley und Simpson. 317
so erhalten wir leicht aus (41) das Refraktionsintegral in seiner
endgiltigen Form
1
sinzdx
Pr hf — 20 (1 —x) Voos!s— 2a — a) + (25 — sh) sin?z’
“H
worin &; den an der Grenze der Atmosphäre gültigen Wert der Luft-
dichtigkeit & bedeutet.
Die Refraktionskonstante « ist nach Bessel gleich 0,0002932 (bei
0° und 760 mm) zu setzen, so daß 1 — 2«(1 -— x) zwischen 0,9994
und 1,0000 verläuft. Das ist eine so geringe Änderung, daß man
ruhig den Mittelwert 1—« an Stelle des veränderlichen Faktors
1 — 2«(1 — x) setzen kann; die größtmögliche Abweichung von drei
Zehntausendstel des Wertes von R (also 0,6 bei der Horizontalrefrak-
tion und 0,05 bei 70° Zenitdistanz) ist praktisch immer zu vernach-
lässigen. Ebenso kann man das Glied 2‘ Ordnung in s unter der
Wurzel in (43) weglassen, man darf aber nicht den Faktor 1 — s im
Zähler durch die Einheit ersetzen, denn dies macht bei 2 —= 70° einen
Fehler von 0”,2*) aus, welcher den Wert der Refraktionskonstante «
nieht unwesentlich verfälscht. Diese nicht zulässige Vereinfachung
kommt in den Refraktionstheorien von .bessel und Gylden vor.
8. Refraktionsformein nach den Hypothesen von Cassini
ö 1
(ö = konst.) und von Mayer (5 —=-1— #) s Breadleysche und
o
Simpsonsche Formel. Bei der Üassinischen Hypothese ö = konst.
verschwindet das Integral (43) gänzlich, da bei konstanter Dichte der
Weg der Lichtstrahlen durch die Erdatmosphäre geradlinig, die be-
zügliche Refraktion also null ist. Hier hat man also nur mit der
Grenzbrechung zu rechnen. Für diese haben wir zunächst aus der
G1. (40) (da u — m)
(44) rsini= asinz,
worin ö den Winkel der Trajektorie mit der Normale im Einfalls-
punkt, also den Brechungswinkel bei der Grenzbrechung bedeutet. Ist
“=i-+ R der bezügliche Einfallswinkel, dann gibt das Brechungs-
gesetz
(45) sin (© + R) = u sin i.
Aus (44) und (45) durch Elimination von © und Auflösung nach
R ergibt sich die Refraktionsformel nach Cassinis Hypothese‘®)
42) 8. hierüber Bemporad, Spettrose. 1905, p. 239 ff. oder R. Radau 18832
43) Vgl. Cassini*"). Die Berechnungsart von Cassini war etwas weitläufiger
Formel (46) wurde von A. Eemporad aufgestellt (Bemporad, Spettrose. 1905).
318 Vis2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
(46) tg} R IF nins [Yd+H%°-— sinds —y(l + H)—u2sin®z},
worin, da für # die Höhe der homogenen Atmosphäre (8 km) zu
setzen ist, nur w vermittelst einer Refraktionsbeobachtung zu be-
stimmen ist. Nimmt man zu diesem Zwecke nach Bessel
Refr. bei 70° — 1647,50,
dann folgt der Wert
u == 1,00029301,
welcher sich sehr wenig von dem Besselschen Wert (1,00029315)
unterscheidet. Die nach der Formel (46) berechneten Werte der
Refraktion stunmen bis 70° vorzüglich mit den Besselschen überein,
wie aus der Tabelle in Nr. 12 ersichtlich; nur bei z = 85° und dar-
über werden die Abweichungen zwischen berechneten und beobach-
teten Werten sehr groß.
Bei der Mawyerschen Hypothese (13) einer gleichförmigen Dich-
tigkeitsabnahme mit der Höhe erhält man, wenn man in (43) den
Faktor 1 —2«(l — x) vernachlässigt und Zähler und Nenner durch
1 — s dividiert, ferner (1 —s)"° durch 1 + 2 ersetzt, durch Integration
zwischen den Grenzen 0 und H die Mayersche Refraktionsformel“):
(47) nes - sin e(V eos? z + 2b — cos e),
worın
H
b = — -—
Da nach den obigen Erläuterungen (Nr. 5b, Tob. Mayer, p. 302)
der Wert H=21=16 km am besten den physikalischen Bedin-
gungen entspricht, so bleibt nur die Konstante « zur Verfügung.
Wenn man diese aus dem Besselschen Werte der Refraktion bei
2 == 10° bestimmt, erhält man
u = (1 20)” = 1,00029312 (Bessel 1,00029315)
und die aus (47) berechneten Refraktionen stimmen dann (s. Tabelle
in Nr. 12, p. 325) fast: bis 85° mit den beobachteten (Besselschen)
überein.
Auf die Mayersche Refraktionsformel (47) lassen sich durch leichte
Umformungen und Annäherungsverfahren die im 18. Jahrhundert (bis
44) T'ob. Mayer, Vabulae motuum solis et lunae novae et correctae, quibus
accedit methodus longitudinum promota, (posthum) London 1770, p. XXXU
(Refraktionstafel); p. 62 und 115 (Erklärung); p. 64 und 120 (Refraktionsformel).
Vgl. Bruhns, Hist. Entw. (1861), p. 58---60; Wolf, Handb. 2 (1893), p. 270.
9. Orianis (Taplaces) Satz. 319
in die ersten Jahre des 19. Jahrhunderts) sehr häufig gebrauchten
Refraktionsformeln von Bradley®”):
(48) R=atg(z2-—- mR),
und von Simpson ®®):
(49) R= 2 [z — are sin (k sınz)}
reduzieren, in denen 9, n, k empirische Konstanten sind. Diese
Formeln geben also, wie die Mayersche Kormel, eine für die prak-
tische Astronomie ganz brauchbare Darstellung der Refraktion.
9, Orianis (Laplaces) Satz. Bis etwa. 75° Zenitdistang ist die Art
der Hypothese über die Konstitution der Atmosphäre praktisch ohme
Einfluß auf die Refraktion. Man kann in der Tat aus der
Formel (43) eine nach Potenzen von tang z fortschreitende Entwick-
lung erhalten, welche bis z == 75°, bei jeder Hypothese, so konvergent
bleibt, daß bereits die ersten zwei Glieder zur Darstellung der theo-
retischen Refraktion ausreichen. Diese zwei Glieder aber hängen nur
von den Druck- und Temperaturverhältnissen am Beobachtungsorte
und nicht von der besonderen angenommenen Theorie ab. Die an-
gedeutete Entwicklung wird dadurch erhalten, daß man das auf der
rechten Seite der Gl. (43) vorkommende Radikal nach den Potenzen
— 20(1 — 2) + 2ssin?z
cos? z
von „1 = entwickelt. Man erhält, wenn man nur
die Glieder erster Ordnung in s und « mitnimmt,
1
& ®
RER . ER BNTL PORRR ‚2 |
R= ,--,tang | (1 + all — x») setz —s sec’ z)dr
0
L
ee ri se 2 -— sec? z [sae}-
Nimmt man die Dichtigkeit & an der Grenze der Atmosphäre
als verschwindend klein an, dann erhält man durch teilweise Inte-
gration
1 0
» ’
[saw = [zas.
0 i
Nach der a ee (23) hat ınan weiter
Br
h A u
tds == — — .® }
R Ps a
RERRIRR NO, R 0
45) Siehe Literaturverzeichnis Ic. Vgl. auch Wolf, Handb. 2 (1898), p. 269.
46) Th. Simpson, Mathematical dissertations on physical and analytical
subjects, London 1748. Vgl. Bruhns, Hirt. Evutw., p. 90; Wolf, Handb. 2 (1893),
p: 268.
320 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre
also schließlich
i I ı &
(60) R=,"-(1 +40 ?)tangz — (? — 5) tang: e},
a
worin die Koeffizienten, nach den Formeln (6a), (7), (8), (22) und
(42), nur von der Temperatur und vom Luftdruck, bzw. von der geo-
graphischen Lage (Breite und Höhe) des Beobachtungsortes abhängig
sind. Mit den bekannten Normalwerten != 7,9939 km, a = 6377,36 km,
log « = 6,46483 — 10 (Bessel)*') ergibt sich aus (50)*)
R = [1,18097] taug 2 — [8,82512 — 10] tang? z,
und aus dieser bei z = 45°, 60°, 70°, 75° bzw.:
450 60° 700 750
1. Glied 60389 104”,60 165,92 225”,38
2. Glied — 007... oe Ne
R 6032 10425 16453 221,90
Refr. nach Bessel 60,32 104,23 164,50 221,90
Man sieht, daß die Darstellung der Refraktion bis zu 75° eine
vollkommene ist.
10. Entwicklung des Refraktionsintegrals bei der Besselschen
Theorie. Mit den in Nr. 7, p. 317 angedeuteten Vereinfachungen,
unter Einführung der Besselschen Hypothese [s. p. 307, Formel (29)]
Le” 28
und der Abkürzungen
’
e.
T
p) Er [4
Z2m=yodgs, =. De —
erhält man aus (43)
Ss
R= aß , e-Prds |
a—o)y2 I Vers su er)
0
worin $ die reduzierte Höhe der Atmosphäre bedeutet. Bei Bessel
(vgl. Nr. 5e, p. 308) ist $ = 0,00445, H == 28,5 km.
Wenn man die neue Variabele
u=s— (1 — e-f*®)
einführt und das Zagrangesche Reversionstheorem anwendet, er-
47) F. W. Bessel, Tabulae Regiomontanae reduetioaum observationum astro-
nomicarum 1750-—1850 computatae, Regiomonti 1830, p. LIX, 538—542.
48) Eingeklammerte Zahlen bedeuten durchweg diejenige Zahl, deren deka-
discher Logarithmus in der Klammer steht, also [N] = 10°.
10. Entwicklung des Refraktionsintegrals bei der Besselschen Theorie. 321
gibt sich
(51) R= eh; au__ le-Bu + eß(2e ru — ee?)
a —a)y2, vZ+ul
EP? (03,-3Bu __ 92, 9p-2Bu L o-Pu
ER (ae — 38.3e-3Pu 1 2.3 Let) +... I,
wobei die obere Grenze U durch
U=-S8S—.1—ef®)
bestimmt ist. Bessel setzt nun die obere Grenze = oo, wobei still-
schweigend angenommen wird, daß der Teil des Integrals von v= U
bis u == oo praktisch verschwindend klein ist. Daß dies nicht der
Fall ist, wird aber leicht durch eine angenäherte Berechnung gezeigt.
Man findet nämlich‘*”)
bei z= 45° 70° 80° 85° 90°
far- rı 55 1072 15%3 202.
; |
Diese Beträge wären wegzulassen und dafür die der @renz-
brechung R, an der oberen Grenze der Atmosphäre einzusetzen,
welche nur bis z = 75° praktisch mit f dR zusammenfallen; über 80°
ö
hinaus sind die Unterschiede AR = R, — fe dR nicht mehr ganz un-
U ;
bedeutend, und zwar findet man
bei 2 80° 850 90°
AR= +03 +171 +2°5.
Setzt man mit Bessel in der Gl. (51) die obere Grenze U=
ein, dann nehmen alle auf der rechten Seite vorkommenden Integrale
die Form
ne
= du
? yvZz-+u
0
an, worin p eine positive, ganze Zahl bedeutet. Durch die Substitution
PBEHW-B,
(5la) VpBZ=T
49) Vgl. A. Bemporad, Una osservazione alla teoria di refrazione di Besse:,
Memorie della Societä degli spettroseopisti Italiani 31, Catania 1902, p. 278.
322 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
_ reduzieren sich alle diese Integrale auf die sogen. Krampsche Funktion
(das Wahrscheinlichkeitsintegral)
vin—errferrdt,
r
für welche Tafeln von Ohr. Kramp°®) selbst, von F. W. Bessel®') und
ausgedehnter von R. Radau’?) vorliegen. Setzt man mit Radau
vor [era
(worin T nach (öla) auch von p abhängig ist), dann erhält man als
definitiven Ausdruck der Refraktion nach Bessel
B=EVR ertey, + Berry + +):
Für die Horizontalrefraktion (2 = %", T’=0), folgt, da be-
kanntlich
n
feru- ; also Y, zu Vo ist:
2
I)
Br Ve ee
Die erste Besselsche Refraktionstafel®®) wurde nach den obigen
Formeln unter Annahme der aus den Bradleyschen Meridianbeobach-
tungen abgeleiteten Werte der Konstanten
= 57,538; = 745,747 (bei 99,13 C. und 751,8 mm)
berechnet. Später fand Bessel aus eigenen und Argelanderschen. Be-
obachtungen, daß die so erhaltenen Refraktionen bis z = 85° zu klein,
von 85° bis 90° zu groß waren. Er multiplizierte deshalb die ersten
mit dem Faktor 1,000328, letztere aber ersetzte er einfach durch die
beobachteten, also empirischen Werte. In den so gewonnenen, bis
heute im allgemeinen Gebrauch gebliebenen Zabulae Regiomontanue*')
sind’ nieht die Refraktionen selbst, sondern, der Kürze wegen, die
Werte von k = r mit dem Argument z tabuliert.
Zur Ableitung der Refraktion bei beliebigen Werten der 'Tem-
peratur und des Luftdrucks am Beobachtungsorte entwickelte Bessel
ziemlich weitlänfige Differentialformeln, welche er dann aber zur
50) Chr. Kramp?’), p. 207-—210:
51) F. W. Bessel, Fund.?®) (1818), p. 36, auch Bruhns, Hist. Entw., p. 112.
62) R. Kadau, Obe. de Paris Ann., mem. 18 (1885).
53) Bessel, Fundamenta astronomiae, Regiomonti 1818, p. 45-—52.
11. Entwicklung des Refraktionsintegrals für die Schmidtsche Theorie. 323
logarithmischen Berechnung bequem umgestaltete und mit besonderen
Tafeln ausstattete.
In ähnlicher Weise wie die Besseische lassen sich auch die
Laplacesche, Ivorysche, v. Oppolzersche Refraktionstheorie am einfachsten
unter Einführung der Y-Funktion entwickeln. Bei anderen Theorien
dagegen, wie denen von Schmidt, von Bauernfeind, von Gylden, ge-
langt man zu einfacheren Integralen, die sich durch Rational- und
Exponentialfunktionen ausführen lassen, dafür treten aber umständ-
liche Reihenentwieklungen auf, von denen viele Glieder mitzunehmen
sind. Als Typus dieser Art der Entwicklung werden wir in folgen-
der Nr. die Schmidtsche Theorie in ihren Hauptzügen wiedergeben.
11. Entwicklung des Refraktionsintegrels für die Schmidtsche
Theorie). Führt man die Schmidische Hypothese [s. Nr.5g), Schmidt,
‚309
H 2 1+mt _. h
RT DE RR:
in die Gleichungen (5), (6) ein, so erhält man für die relative Dichte x
(Formel 22a) die Differentialgleichung
de(1—z) dh
a a’ zdh
H = — — 7ds
ei oe a
Unter Vernachlässigung des Gliedes mit A? im Nenner auf der
rechten Seite und durch Auflösung in einfache Brüche ergibt sich
dh 2.
d
(52) ennee 2
ie
H a
worin zur Abkürzung
(53) Be 37
Ha)
gesetzt ist. Aus (52) folgt durch Integration bei der Grenzbedingung
het, zel:
—k—1
m ihre)
Schmidt nimmt das Refraktionsintegral (43) in der Form
1
NER (1—s)dz
Ned ne ar En
()
so daß er weder das quadratische Glied s? sin’ z im Nenner, noch den
Faktor 1 -- s im Zähler vernachlässigt (vgl. Nr. 7, p. 317). Da er
54) Vgl. Fußnote 28.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 22
324 VlIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung: des Einflusses der Atmosphäre.
für dis Höhe ZH der Atmosphäre 49,1 km annimmt, so folgt für die
reduzierte Gssamthöhe der were \
BD m SH fi” 0,00763.
An Stelle von s führt Schmidt die neue Varieabele u gemäß der
Beziehung
(56) A-JP-1-Bl—n)
ein, worin ß so gewählt wird, daB bei s = 8, also an der Grenze der
Atmosphäre, u == (0) ist; demnach
(56) 8-25 —- 8-22 3% +... 0,0152.
Aus der Gleichung (56) folgt
(57) s=1—-[11— Bl — WI,
also zufolge (17)
5) =, all sl WI*—1}
a) HER — +
Vermöge der Gleichung (57) und unter Einführung der Ab-
kürzungen
ßsin?z 2
en L= :
cos?z + Bein?z2’ cos?2 + Bsin?z
geht der Ausdruck (55) im
1
2. Mr K vi - pi - ee -u)
(59) ri BJ yi—-Ku—Li—a)
K=
über.
Die Formel (53) gibt mit den bekannten Werten !== 8 km,
H=49km sehr nahe k+1=®, also k nahe =5. Da nun %
durch /, von der Temperatur am Beobachtungsorte abhängig ist (vgl.
Formel (22) in Nr. 5, p. 304), so wählt Schmidt als Normaltemperatur
bei seiner Theorie eben eine solche (4, = — 20,2), bei welcher genau
k=5 ist. Dann ergibt sich nach den Gleichungen (54), (58), wenn
man bei den Rey erster Ordnung in ß stehen bleibt,
a1 Ham] u +Ba— Wr
Setzt man hier für „ ;4 den aus (56a) erhältlichen Wert
z
Al Ba 1 Zu sh
ein, so folgt
2— [u + 380 -WPIL + FAT EN 4-4]
12. Vergleichstabelle der theoretischen Werte der Rofraktion. 323
Wenn man jetzt diesen Ausdruck anstelle von x im Gl. (59)
einsetzt und die Wurzel nach den Potenzen von L, den Zähler aber |
nach den Potenzen von u und von 1— u entwickelt, so erhält man
eine lange Reihe von Gliedern der Form
C rs
* g id — Ku)+!
worin P,q,r,s ganze Zahlen bedeuten. Diese Integrale sind nun
durch bekannte Verfahren leicht auszuführen, die ganze Entwicklung
wird aber offenbar infolge der vielen Integrationen äußerst lang-
wierig.
Von diesem Mangel abgesehen ist die Schmidische Refraktions-
theorie als eine physikalisch gut‘ begründete und analytisch sehr
streng durchgeführte Theorie hervorzuheben. Auch die von Schmidt
ersonnene Einrichtung zur Verbesserung der Refraktion wegen der
Temperatur t und des Luftdrucks B ist deshalb beachtenswert, weil
sie die Berücksichtigung der Glieder zweiter Ordnung (in di und dB)
gestattet, während das Besselsche Verfahren auf die Glieder erster
Ordnung beschränkt ist.
12. Vergleichstäbelle der nach den wichtigsten Theorien be-
rechneten Werte der Refraktion. In der folgenden Tabelle werden
für eine Reihe von Zenitdistanzen die Werte der Refraktion bei den
wichtigsten Theorien und bei den Formeln (46) (Cassini) und (47)
(Mayer) zusammengestellt. Mit Ausnahme der letzteren Werte sind
alle anderen aus einer Tabelle der mehrmals erwähnten Radauschen
Abhandlung entlehnt.
5 Werte der Refraktion bei 0° und 760 mm nach:
Cassini | Mayer | Laplace | Bessel [T.R.)] | Ivory | Schmidt | Gyldan | Kowalski
as°| 00’3 | 6008| 6805| 60,8 80,8 | 60,5 | 00 | 60,8
70 | 1645 | 164,6 | 165,1 | 164,5 166,2 | 166,0 | yo | 1646
80 | 330,8 | 331.0 | 382.3 | 8311 832,9 | 332,8 4 38183
85 | 07,9 | 11,8 | ein, | [6194 ar 619,8 | 617g | A| 15a
90 |1287,0 |1816,4 |2106,0 | (2241,8) .2200,6 |2207,8 | 771012 | (8096,6)
Hüfstafeln für die Berechnung der Refraktion sind vielen Theorien
beigegeben. Die gebräuchlichsten sind wohl die Besselschen (p. 322),
ausführlicher und genauer die neueren Radauschen, sehr bequem ein-
gerichtet die neuesten de Ballschen Refraktionstafeln®®),
65) Vgl. das Literaturverzeichnis, p. 290, Abschnitt Ie): „Refraktionstafeln“.
22*
326 VIa,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
IV. Theorie der Extinktion.
13. Aufstellung des Extinktionsintegrals. Wenn man sich auf
Strahlen einer bestimmten Wellenlänge. beschränkt, so daß die von
einer gewissen Luftschicht durchgelassenen Lichtstrahlen qualitativ von
den einfallenden nicht verschieden sind, dann gilt strenge das exp»-
nentiale Absorptionsgesetz (3)
Js ek J*,
worin o die durchlaufene Strecke ‚k den Absorptionskoeffizienten der
Längeneinheit, J* die anfängliche, J aber die durchgelassene Licht-
menge bedeutet. Fügen wir noch das Beersche Gesetz (4)
k == 06
hinzu, dann ergibt sich die Fundsmentalformel der Extinktions-
theorie
(60) log J = log J* — 08, f 2-do,
worin d, die für die Erdoberfläche geltende Luftdichtigkeit bedeutet,
de das Element der Trajektorie des Lichtstrahls, also der Refraktions-
kurve, ö die bezügliche Luftdichte darstellt und das Integral über die
ganze Trajektorie zu erstrecken ist. Setzt man weiter
2
A —n I
ö
(61) I p=e7"% (Transmissionskoeffizient der Atmosphäre),
H
ke |
F (2) zu fa
6
worin H die Höhe der gesamten Atmosphäre bedeutet, und bezeichnet
man mit J, und .J, die scheinbare Helligkeit bei der Zenitdistanz z,
bzw. bei der Zenitrichtung (z = 0), dann folgt aus (60), (61)
log J, — log Ju + log p[1 — F(e)},
Die Berechnung des Integrals F(z), also der von den Lichtstrahlen
durchlaufenen Luftmasse (Einheit ist die Masse A einer Atmosphäre
in der Vertikalrichtung), bildet die Aufgabe der Extinktionstheorie.
Bedeutet i die Neigung der Refraktionskurve in der Höhe h
gegen die Normale r an den sphärischen Niveauflächen, so hat man
für das Element de dieser Kurve
do = -—»
% cog ı
18. Extinktionsintegral. 14. Lambert- und Bouguersche Formel. 327
Setzt man für cos i den aus der Invariantenbeziehung (40) (Nr. 7)
erbältlichen Ausdruck, und führt, wie schon p. 304, x (relative Dich -
tigkeit) an Stelle von br ein, so ergibt sich die Formel:
(62) Fe) — ya Ve en
welche hier dieselbe Rolle, wie die Formel (41) in der Refraktions-
theorie spielt.
14. Entwicklung des Extinktionsintegrals unter Annahme
konstanter Dichtigkeit oder konstanter Temperatur. Lambert-
und Bouguersche Formel. Denkt man sich die Atmosphäre durch
eine homogene Lauftschicht ersetzt, nimmt man also = 1 und daher
auch u, = u an, dann folgt zugleich
A=JH,
(63) F(e) = 5 (Va? co®?2+2aH + H? — acosz],
d. i. die sogen. Lambertsche Extinktionsformel°®), welche eine genü-
gende Darstellung der durchlaufenen Luftmassen ergibt, wenn man
für H den Wert der Höhe ! der homogen reduzierten Atmosphäre
[Nr. 3b), p. 298], also etwa 8 km annimmt.
Bei der Annahme einer konstanten Temperatur und unter Ver-
»achlässigung der Veränderung der Schwerkraft mit der Höhe erhält
man [vgl. Nr. 5c), Newton, p. 303]
h
ze Le) H=o,
also
h
Pe T e "dh = | = 7,9994 km.
0)
Führt man diese Werte in (62) ein, vernachlässigt man weiter
die Krümmung der Trajektorie, welches durch die Annahme u = m
geschieht, so ergibt sich aus (62)
Th,
(64) Fe) — al Er fr .. (a + h) (1 Rz atcostz ar) "ah
und durch Reihenentwicklung, welche etwa bis z = 82° zulässig ist‘”)
56) Lambert, Photometria 1760.
57) Vgl. hierüber Bemporad 1901. Die in den Lehrbüchern als .Bouguersche
Extinktionsformel gegebene Entwicklung unterscheidet sich von dieser in den
328 VI»,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
die korrigierte®”) Bouguersche Extinktionsformel
.
(65) Fr) =sec# — ie sec tg’z + 5 set stg?s — ---
Eine bei großen Zenitdistanzen sehr schnell konvergierende Ent-
wicklung des Integrals (64) erhielt Bemporad®®) durch die Einfüh-
rung der Krampschen Funktion Y%(7') (p. 322). Führt man nämlich
die neue Variabele t durch die Gleichung
h-+a(l— sing) = It?
1t?
ein, entwickelt dann die Wurzel nach Potenzen von 54 sin, nd setzt
zur Abkürzung:
un=er, ettdt,
2asinz ”
so erhält man
(5) Fu tun) HT + HN)
— AUT +47 + 4o(T)]
Diese Entwicklung konvergiert so rasch, daß bis zu z = 84° zwei
Glieder zur genauen Berechnung von Fz) ausreichen. Sie ist ferner
auch bei 2 > 90° brauchbar®®).
15. Laplacesche Extinktionsformel. Aus den Fundamental-
gleichungen (5) und (6) folgt unter Vernachlässigung der Vtilände-
rung der Temperatur und der Schwerkraft:
(66) p=d=d,n,
ldı = — ıdh.
Nach der Laplaceschen Beziehung (1)
v=1- 2cÖ
ist ferner
udu = edd —= cö,dz,
algo
Iudu
(67) ldı = 7
Ersetzt man in F(z) den Wert von zdh durch seinen aus (66)
und (67) erhältlichen Ausdruck, ferner } durch A (vgl. oben), so folgt
numerischen Koeffizienten, ist aber wegen zu grober Vernachlüssigungen schon
im zweiten Gliede unrichtig.
58) Vgl. Bemporad 1906 und Cerulli 1906.
15. Laplacesche Formel. 16. Bemporads Formel. 329
unter gehöriger Änderung der Integrationsgrenzen
ko
PER) At pdu
(2) “/y 5 (Cie) int z
Vergleicht man diese mit der Fundamentalformel (41) der Re-
fraktionstheorie (Nr. 7), so ergibt sich
0 Lt
cd, sin 2 e ap,
dF =
Da nun u und — sich sehr wenig von der Einheit unterscheiden,
vo
so wird sehr nahe
(68) F(z) = konst. - ae (Laplacesche Extinktionsformel)
sein.
16. Strengere Behandlung der Extinktionstheorie bei der An-
nahme einer gleichförmigen Temperaturabnahme mit der Höhe
von Bemporad. Nach den im vorigen (Nr. 7 und 10) eingeführten
Bezeichnungen ergibt sich aus (62)
Ss
Fo)=K zy1—2all —a)(1 +25-+:--)ds
v2?—eU—+s—},
’
v
worin
REEL ELLE
aY2-sinz’
(H Höhe der Atmosphäre) eingesetzt wurde. Nimmt man für die
Konstitution der Atmosphäre die Hypothese einer gleichförmigen Ab-
nahme der Temperatur mit der Höhe in der Form
a H
ZA} cotgz, ee or
Ihe — Bas.
an, dann erhält man aus (5) und (6) (Nr. 8)
ng (1 en ys),
worin
5.
mßa a 1
ten TE 0 nl
Bei der Annahme des Temperaturgradienten d = 6°,22 pro km wird
S—= 7 = 0.006894, H=4km, k—$.
4
330 VI2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
Dann folgt
el (1 I u .) = 8,0109 kw
187 657° R a
und durch Taylorsche Entwicklung der Wurzel aus [Z’—s(1— x) +37?
nach den Potenzen von s(1—x) unter Einführung der neuen
Variabeln i (welche natürlich nichts mit der Temperatur ? zu tun hat):
ergibt sich:
T
2 +1 k
Fa Fe
sing
; x T
c ZI 2 ok, Ak—1 A 98 2,
+, 17 3 futäh, PR, a Je RR
R | / 193 ‘ a nt
worin
1 a
a Klrra G=40ar,
gesetzt ist. Die hierbei vorkommenden Integrale sind nun bei dem
Normalwert k = $ leicht durch trigonometrische Funktionen darstell-
bar°®), und die Entwicklung erweist sich bei allen Zenitdistanzen als
rasch konvergierend.
17. Vergleichstabelle der verschiedenen Extinktionstheorien.
In der folgenden Tabelle werden für eine Reihe von Zenitdistanzen
die Werte von F(z) (durchlaufene Luftmasse) nach den Formeln von
Lambert (63), Bouguer (65) und (65a), Laplace (68) und nach der
Theorie von Bemporad (Nr. 16) zusammengestellt.
Zenitdist. Werte der durchlaufenen Luftmasse F'(z) nach:
2 Lambert | Bouguer | Laplace Bemporad
60° 1,997 h 1,993 1,998 1,995
70 2,909 2,897 2,899 2,904
80 6,647 5,551 5,563 5,600
85 10,663 | 10,142 10,196 10,895
88 20,858 | 18,677 18,835 19,787
90 | 89,967 | 35,416 36,664 39,662
18. Die terrestrische Extinktion. Ganz analog wie bei der
terrestrischen Refraktion (Nr. 7) sprechen wir von terrestrischer Ex-
tinktion, wenn die von den Lichtstrahlen durchlaufene Sirecke von
59) Vgl. Bemporad, Extinkt., Heidelb. Mitt. 4, 1904.
17. Vergleichstabelle. 18. Terrestr. Extinktion. 19. Selektive Absorpt. 331
der Erdoberfläche an nicht bis zur Grenze der Atmosphäre, sondern
nur bis zu einer gewissen Höhe verläuft. Dieser Fall kommt vor bei
der photometrischen Beobachtung von Lichtquellen, welche der Erd-
oberfläche angehören (z.B. von entfernten Schneefeldern‘%)) oder bei
der gleichzeitigen Beobachtung eines und desselben Gestirnes aus zwei
Stationen in sehr verschiedenen Höhen über dem Meeresniveau. Die
diesbezüglichen Formeln müssen notwendigerweise komplizierter als
die der astronomischen Extinktion ausfallen; doch hat Bemporad auf
Grund der in Nr. 16 besprochenen Theorie Tafeln eingerichtet,
welche die Berechnung der terrestrischen Extinktion (also der durch-
laufenen Luftmassen) bis zur Zenitdistanz von 89° und bis zur Höhe
von 5000 m über dem Meere ermöglichen ®!),
19. Die selektive Absorption. Da die Atmosphäre die Strah-
lungen verschiedener Wellenlänge in sehr verschiedenem Betrage ab-
sorbiert, so kann jede Extinktionstheorie zunächst nur bei monochro-
matischem Licht eine strenge physikalische Bedeutung beanspruchen.
Da aber die spektralphotometrischen bzw. bolometrischen Unter-
suchungen wegen der kostspieligen instrumentellen Einrichtung,
auch wegen ihrer Schwierigkeit, bisher keine große Verbreitung ge-
funden haben, so ist man m der Praxis genötigt, die Extinktions-
theorie auf die Gesamthelligkeit der Gestirne durch Einführung einer
mittleren, etwa den hellsten Partien des Spektrums entsprechenden
Absorptionskonstante anzuwenden. Wie weit dies Verfahren zulässig
ist, ist eine viel diskutierte Frage.
Schon im Jahre 1842 machte Forbes darauf aufmerksam, daß
eine dünnere rote Glasscheibe nahezu alle Strahlengattungen, eine
dickere aber nur die roten Strahlen hindurchgehen läßt. Die spezi-
fische Absorptionskonstante e dieses Glases für ein bestimmtes natür-
liches Licht müßte also notwendigerweise verschieden ausfallen, je
nachdem dünnere oder diekere Scheiben untersucht werden. .Forbes:
präzisierte auch, daß im zweiten Falle eine kleinere Absorptions-
konstante herauskommen muß, und daß eben dieselbe Erscheinung bei
der Bestimmung der atmosphärischen Absorption auf kleinen (verti--
kalen) und auf großen (fast horizontalen) Weglängen zu erwarten ist,
daß nämlich am Horisont anscheinend eine große speeifische Durch-
lässigkeit der Luft herauskommen muß (Forbessches Phänomen).
60) Oddone 1901; Bemporad, Memorie del Reale Istituto Lombardo di
scienze e lettere 20 (3. serie 11), classe di scienze matematiche e naturali,
Milano 1908. |
61) Bemporad, Lincei 1905.
332 VIs2,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
Diese richtige Ansicht von Forbes wurde in präziserer mathema-
tischer Form von Langley®”) nochmals vorgebracht. Er bewies mit
aller Strenge, daß einerseits wegen der allgemeinen, kontinuierlichen
Zunahme der Absorptionskonstante vom roten bis zum violetten Ende
des Spektrums®), andererseits wegen der diskontinuierlichen Wirkung
der sogenannten atmosphärischen Absorptionsstreifen, die in der ge-
wöhnlichen Weise, d.h. ohne spektrale Zerlegung bestimmte mittlere
Absorption von etwa 18°, der ursprünglichen Intensität (bei der
Vertikalrichtung) nur eine untere Grenze für die wirklich stattfindende
Absorption bedeutet. Nach Langley sollte letztere nicht weniger als
40%, betragen.
Während nun von allen Seiten die theoretische Richtigkeit der
Langleyschen Einwendungen eingeräumt wurde, bestritt man doch
die praktische Bedeutung derselben. Man bemerkte zunächst (Seeliger®®)),
daß die optisch wirksamsten Strahlen in einer verhältnismäßig schmalen
Zone im Gelb und Grün konzentriert sind, welche an Wirkung die
übrigen Partien im Spektrum so sehr übertrifft, daß fast nur sie
allein berücksichtigt zu werden braucht; dann wird die erste der be-
trachteten Fehlerquellen (allgemeine Zunahme der Absorptionskonstante
mit abnehmender Wellenlänge) bedeutend verringert. Andere ( Müller %))
bemerken, daß bei der Anwendung der Extinktionstheorie an den zu-
verlässigsten empirischen Extinktionstabellen keine Spur des Forbes-
schen Phänomens zu finden ist. Dasselbe Phänomen sollte auch be
wirken, daß die auf hohen Bergen angestellten Extinktionsbeobach-
tungen im allgemeinen größere Absorptionskonstanten als die ähn-
lichen Beobachtungsreihen in niedrigeren Stationen ergeben sollten.
Die bis jetzt in dieser Richtung angestellten Versuche ergeben nun
nichts dergleichen, vielmehr öfters das Gegenteil®).
Hingegen haben sich neuerdings Anzeichen gefunden, daß man
trotzdem nicht mit einem mittleren Extinktionskoeffizienten — auch
für visuelle Beobachtungen — auskommt. Müller und Kempf) haben
im Jahre 1894 gleichzeitig auf dem Ätna und in Catania Helligkeits-
messungen an Sternen vorgenommen, die mit einem einheitlichen
Extinktionskoeffizienten nicht zu erklären waren., Die Verfasser
62) Langley, Amer. Journ. 1884.
68) Seeliger 1891.
64) Müller, Photometrie (1897), p. 143.
65) Vgl. die Tabelle der wichtigsten Bestimmungen des Transmissions-
koeffizienten p in Müller, Photometrie (1897), p. 188.
66) Müller-Kempf 1898, p. 278.
19. Die selektive Absorption. 333
führten diesen Widerspruch auf die Wirkung einer Catania umgeben-
den Staubwolke zurück. Während Müller und Kempf bei ihrer Be-
arbeitung nur die gleichzeitigen Beobachtungen von Zenitsternen
herangezogen hatten, hat A. Bemporad‘") bei einer Neubearbeitung
auch die gleichzeitigen Beobachtungen eines und desselben Sternes
bei sehr großen Zenitdistanzen direkt miteinander verglichen. Zur
strengen Berechnung der von beliebig geneigten Strahlen durch-
laufenen Luftmassen zwischen den Höhen von Catania (69 m) und
vom Ätnaobservatorium (2942 m) wurden die schon oben (Nr. 18)
erwähnten Tafeln der terrestrischen Extinktion entworfen. Als
Resultat dieser neuen Bearbeitung der Müller-Kempfschen Beobach-
tungen stellte sich in Bestätigung der Forbes-Langleyschen An-
sichten heraus, daß die mittlere Extinktionskonstante keineswegs die-
selbe war für alle Strahlen, welche dieselbe Schicht unter verschie-
dener Neigung durchliefen, daß vielmehr bei zunehmender Zenitdistanz
die Extinktionskonstante beständig abnahm, sodaß sie bei 80° Zenit-
distanz nur noch etwa halb so groß war, wie im Zenit.
Ganz ähnliche Resultate hat eine Neubearbeitung der Angström-
schen pyrheliometrischen Messungen‘®) zu Teneriffa (1897), sowie der
in Catania und auf dem Ätna angestellten aktinometrischen Beobach-
tungen®®) vom Jahre 1904 durch Bemporad ergeben. Aus den Beob-
achtungen auf Teneriffa ließ sich übrigens noch ableiten), daß der
(logarithmisch genommene) Extinktionskoeffizient der unteren Luft-
schichten etwa mit der vierten Potenz der Dichte der Luft abnimmt.
Da aber hier immer nur etwas unbestimmte Mittelwerte für
größere Spektralgebiete vorlagen und auch systematische Beobach-
tungsfehler eine Rolle gespielt haben können, so bleibt eine zu-
verlässige und ausgedehnte spektralphotometrische Untersuchung der
Extinktion ein unbedingtes Erfordernis. Die bisherigen spektralphoto-
metrischen Ergebnisse’®) gehen weit auseinander und gestatten noch
nicht einmal einen Entscheid darüber, ob die Rayleighsche Theorie” )
gilt, welche ein Wachsen des Absorptionskoeffizienten umgekehrt pro-
portional der vierten Potenz der Wellenlänge fordert. Auch ist noch
zu entscheiden, wie weit Staub und wie weit die Luftmoleküle selbst
67) Bemporad, Lincei 1905, p. 281282.
68) Bemporad 1908.
69) Bemporad-Mendola 1907.
70) Müller, Photometrie (1897), p. 140.
71) Lord Rayleigh [J. W. Strutt), Phil. Mag. 41 (1871), p. 107, 274, 447
== Lord Rayleigh, Scientific papers 1, Cambridge 1899, p. 87 und p. 104.
334 VlIs,6. A. Bemporad. Besondere Behandlung des Einflusses der Atmosphäre.
an der Absorption beteiligt sind‘?), Ferner scheinen tägliche und
jahreszeitliche Schwankungen der Extinktion zu bestehen, deren Studium
namentlich für die Frage nach der Konstanz der Sonnenstrahlung,
der Bag Solarkonstanten, wichtig ist’®).
72) Lord Rayleigh, Phil. Mag. 47 (1899), p. 375 = Lord Rayleigh, Seientific
papers 4, Cambridge 1903, p. 397.
73) €. @. Abbot, Smithsonian Miscellaneous Cölleckions 45 (1903), p. 74;
S. P. Langley, The „solar constant“ and related problems, Astroph. Journ. 17
(1908), p.89; 8. P..Langley, On a possible variation of the solar radiation, Astroph.
Tour. 19 (1904), p. 305.
(Abgeschlossen im Dezember 1907.)
VI2,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse. 335
VI23,7. THEORIE DER FINSTERNISSE.
VoN
F. K. GINZEL UND A. WILKENS
IN BERLIN IN KIEL.
—
Inhaltsübersicht.
Einleitung.
1. Einteilung der Finsternisse.
A. Sonnenfinsternisse.
2. Kriterium für das Stattfinden einer Sonnenfinsternis überhaupt.
3. Die Grundgleichungen der Finsternisse.
4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit.
5. Der lokale Verlauf der Finsternis.
6. Anwendung der Sonnenfinsternisse; Tafeln.
7. Die Perioden der Finsternisse.
B. Mondfinsternisse.
8. Kriterium für das Stattfinden einer Mondfinsternis überhaupt.
9. Verlauf einer Mondfinsternis.
10. Tafeln zur Berechnung von Mondfinsternissen.
C. Andere Finsternisse und Bedeckungen.
11. Sternbedeckungen.
12. Planetenvorübergänge.
13. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen.
Literatur.
I, Sonnen- und Mondfinsternisse.
1. Theorie.
a. Originalarbeiten.
P. A. Hansen, Über die Verfinsterungen auf der Erde überhaupt, Astr. Nachr.
15 (1838), p. 33—104. Nachtrag unter dem Titel:
— Über den Einfluß der Strahlenbrechung auf Sonnenfinsternisse und Stern-
bedeckungen, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 185.
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 23
336 VIs,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
— Theorie der Sonnenfinsternisse und verwandten Erscheinungen, Leipzig Ges.
Wiss. Abhdl. 4 (1859), p. 303 (Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859).
— Analyse der ekliptischen Tafeln, Leipzig Ber. 15 (1863), p. 143 (Hansen,
Analyse d. ekl. Tafeln (1863)).
F. W. Bessel, Analyse der Finsternisse, erschien in Bessel, Astron. Untersuch.,
Band 2, Königsberg 1842, p. 95. Abgedruckt in Bessel, Abhdl., Band 3, p. 369
(Bessel, Analyse der F'insternisse (1842).
J. A. Grunert, Theorie der Sonnenfinsternisse, der Durchgänge der unteren Planeten
vor der Sonne und der Sternbedeckungen, Wien Denkschr. 8 (1854), 1. Ab-
teilung, p. 133.
R. Schram, Beitrag zur Hansenschen Theorie der Sonnenfinsternisse, Wien Ber.
92 (1885), p. 1233.
C. Stechert, Die Vorausberechnung der Sonnenfinsternisse und ihre Verwertung
zur Längenbestimmung, Archiv der deutschen Seewarte 22. Jahrg. (1899), Nr. 1,
Hamburg 1899.
b. Lehrbücher.
J. J. Littrow, Theoretische und praktische Astronomie, Wien 1821, Bd. 2, 6. Kap.
A. Sawitsch, Abriss der praktischen Astronomie, 2. Aufl., deutsch neu heraus-
gegeben von C. F. W. Peters, Leipzig 1879, 5. Abschnitt, p. 452 ff.
F. Brünnow, Lehrbuch der sphärischen Astronomie (4. Aufl. Berlin 1881: Brünnow)
5. Abschnitt, 5. Kapitel.
W. Chawvenet, A manual of spherical and practical astronomy (2 vols.), 5’ ed.
(Chauvenet (1900)) Philadelphia 1885, 1893, 1900, vol. 1, chapter 10, p. 436.
2. Tafeln.
©. L. Largeteau, Tables pour le calcul des syzygies Ecliptiques, Conn. des temps
. pour 1846 (Paris 1843), additions, p. 3 (Largeteau, Tables (1843)).
P. A. Hansen, Ekliptische Tafeln für die Konjunktionen des Mondes und der
Sonne, Leipzig Ber. 9 (1857), p. 75 (Hansen, Ekl. Tafeln (1857)).
Th. von Oppolzer, Syzygientafeln für den Mond, Astr. Ges. Publ. 16, Leipzig
1881 (Oppolzer, Syzygientafeln (1881).
— Tafeln zur Berechnung der Mondfinsternisse, Wien Denkschr. 47 (1883) (Oppolzer,
Tafeln f. Mondf. (1883)).
P. Lehmann, Tafeln zur Berechnung der Mondphasen und der Sonnen- und Mond-
finsternisse, herausgegeben vom k. Statistischen Bureau, Berlin 1882 (Lehmann,
Tafeln (1882)).
S. Neweomb, On the recurrence of solar eclipses with tables of eclipses (für den
Zeitraum 700 vor Chr. bis 2300 nach Chr.), Wash. Astron. Papers, vol. 1,
Washington 1882, Nr. 1 (Newcomb, Recurrence of solar ecl. (1882)).
R. Schram, Tafeln zur Berechnung der näheren Umstände der Sonnenfinsternisse,
Wien Denkschr. 51 (1886), p. 385 (Schram, Tafeln zur Berechn. v. Sonnenf.
(1886)).
— Reduktionstafeln für den Oppolzerschen Finsterniskanon zum Übergang auf
die Ginzelschen empirischen Korrektionen, Wien Denkschr. 56 (1889), p. 185
(Schram, Reduktionstafeln (1889)).
3. Berechnete Finsternisse.
L’Art de v£rifier les dates des faits historiques, @d. par des Benedictins, 1° &d.
Paris 1750, 2itme 6d, Paris 1770; 3itme &d., 3 tomes, Paris 1783, 84, 87 (L’Art
de verifier les dates).
Literatur. 337
A. @. Pingre, Chronologie des Eclipses qui ont &t& visibles depuis le pöle boreal
jusque vers l’&quateur, pendant les dix siecles qui ont pr&c&d& l’ere chretienne,
Paris 1787.
©. Hallaschka, Elementa eclipsium, quas patitur tellus, luna eam inter et solem
versante, Prag 1816 [Sonnenfinsternisse von 1816—1860]. Fortgesetzt u. d. T.:
Caleulus eclipsis Solis observatae die 19. novembris 1816 cui accedunt Elementa
eclipsium quas patitur tellus, luna eam inter et solem versante, ab anno 1861
usque ad annum 1900 etc., Prag 1820 [Sonnenfinsternisse von 1861—1900].
E. Mahler, Die zentralen Sonnenfinsternisse des 20. Jahrhunderts, Wien Denkschr.
49 (1885), p. 237.
Th. von Oppolzer, Canon der Finsternisse, Wien Denkschr. 52 (1887) (Oppolzer
Canon (1887)).
F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse für das Länder-
gebiet der klassischen Altertumswissenschaften und den Zeitraum von 900 vor Chr.
bis 600 nach Chr., Berlin 1899 (Ginzel, Kanon (1899)).
4, Graphische und Näherungsmethoden.
W. Leonhardi, Anleitung zur Berechnung und graphischen Bestimmung der
Sonnen- und Mondfinsternisse, Leipzig 1846.
Bach (in Straßburg), Caleul des Eclipses de soleil par la methode des projections,
Paris 1860.
A. Laussedat, Paris C. R. 70 (1870), p. 240.
A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 30 (1870), p. 162.
Ph. Hatt, Paris C. R. 86 (1878), p. 303.
II. Sternbedeckungen.
J. J. Littrow, Über eine neue Methode, Sternbedeckungen für verschiedene Orte
vorher zu bestimmen, Tübinger Zs. für Astr. 4 (1817), p. 334.
C. Kramp, M&moire sur les occultations des &toiles fixes par la lune, Annales
des math&matiques pures et appliquees, tome 8, Nismes et Paris 1818, p. 165.
J. Fr. Encke, Über die Vorausberechnung der Sternbedeckungen, Berl. astr.
Jahrb. für 1830 (Berlin 1828), p. 253.
F. W. Bessel, Über die Vorausberechnung der Sternbedeckungen, Berl. astr.
Jahrb. für 1831 (Berlin 1829), p. 257, sowie Astr. Nachr. 7 (1829), p. 1 =
Bessel, Abhdl. 1, p. 209.
C. F. A. Shadwell, Tables for facilitating the approximate prediction of occul-
tations and eclipses for any particular place, London 1847.
T. Chhevallier, Report of the 17% meeting of the British Association for the ad-
vancement of science, held 1847, London 1848, Notices, p. 7.
F. C. Penrose, On a method of predicting, by graphical construction, oceultations
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Bailis, Oceultations, pr&dietion graphique, Paris ©. R. 85 (1877), p. 1056.
C. Berry, Theorie complöte des oceultations & l’usage special des officiers de
marine et des astronomes, Paris 1880.
P. Jaffre, Theorie complete el&mentaire des oceultations, St. Nazaire 1883.
©. Stechert, Tafeln für die Vorausberechnung der Sternbedeckungen, Archiv der
deutschen Seewarte, 19. Jahrg. (1896), Nr. 3, Hamburg 1896. (Stechert, Tafeln
für Sternbedeck. (1896)).
23”
333 V13,7. F.K.@inzel und A. Wikens. Theorie der Finsternisse.
©. Stechert, Hilfsgrößen für die Berechnung der im nächsten Jahre stattfindenden
Sonnenfinsternisse und Sternbedeckungen, Ann. d. Hydr. seit 1897 jährlich
(Stechert, Hilfsgrößen (1897)).
III. Planetenvorübergänge.
I. F. Encke, Über die Vorausberechnung der Planetendurchgänge, Berl. astr.
Jahrb. für 1842, p. 291.
J. L. Lagrange, Memoire sur le passage de Venus du 3 Juin 1769, Berl. hist.
1766, p. 265 = ÜOeuvres 2 (1868), p. 335.
P. A. Hansen, Bestimmung der Sonnenparallaxe durch Venusvorübergänge,
Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 9 (1870), p. 455.
K. Friesach, Theorie der Planetenvorübergänge vor der Sonnenscheibe, Leipzig
1874.
M. Vodusek, Neue Methode für die Berechnung der Sonnen- und Mondesparallaxe
aus Planetenvorübergängen und Sonnenfinsternissen, Laibach 1879.
Ferner in vielen Werken über die Bestimmung der Sonnenparallaxe und
in Lehrbüchern, z. B. in den Seite 336 unter I1 b zitierten Brünnow, p. 390;
Chauvenet (1900), vol. 1, p. 591.
IV. Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
J. B.J. Delambre, Tables pour calculer les Eclipses des quatre satellites de Jupiter,
erschienen in J. J. de Lalande, Astronomie, 3ime &d., tome 1, Paris 1792,
Anhang (Tables astronomiques), p. 236.
P.S.de Laplace, Trait€E de mecanique celeste, tome 4, Paris 1805, livre 8,
chapitre 8 — Oeuvres 4 (1880), p. 106.
W. S. B. Woolhouse, New tables for computing the occultations of Jupiters
satellites by Jupiter, The nautical almanac and astronomical ephemeris for
the year 1835, London 1834, appendix.
M. C. T. de Damoiseau, Tables &cliptiques des satellites de Jupiter, 5. Band der
Paris Bur. Long. tabl. astr., Paris 1836, und deren Fortsetzungen von D. P.
Todd, A continuation of de Damoiseau’s tables of the satellites of Jupiter,
Washington, The American Bureau of Navigation 1876 (für 1880—1900) und
L. Pottier, Paris Bull. astr. 13 (1896), p. 67 u. 107 (für 1900—1920).
V. Schatten des Saturnringes.
©. Sowillart, Sur l’ombre d’une planete, Astr. Nachr. 91 (1878), p. 129.
H. Seeliger, Über den Schatten eines Planeten, München Ber. 24 (1894), p. 423.
— Zur Theorie der Beleuchtung der großen Planeten, insbesondere des Saturn,
Münch. Abh. 16 (1887), 2. Abteilung, p. 405.
Einleitung.
1. Einteilung der Finsternisse. Verfinsterungen der Himmels-
körper können auf zweierlei Weise entstehen. Wird ein Planet von
seinem Zentralkörper beleuchtet, so können die den Planeten um-
laufenden Monde, bei geeigneter Stellung ihrer Bahnen, von Zeit zu
8, Kriterium für das Stattfinden einer Sonnenfinsternis überhaupt. 339
Zeit in den Schatten des Planeten kommen und unsichtbar werden
(wahre Finsternisse). Innerhalb des Sonnensystems kann dies z. B.
beim Erdmonde, ferner in den Trabantensystemen von Jupiter, Saturn,
Mars usw. stattfinden. Wichtig für die Beobachtung sind von diesen
wahren Verfinsterungen nur die Mondfinsternisse, die Verfinsterungen
der Jupiter- und Saturntrabanten und die durch den Schatten des
Saturnrings bewirkten Finsternisse. Die anderen Fälle, wo den be-
treffenden Himmelskörpern nieht das Sonnenlicht entzogen wird,
sondern nur eine Verdeckung des einen Körpers durch den anderen
in bezug auf den Beobachtungsort stattfindet, bezeichnet man als schein-
bare Finsternisse. Diesen Fall illustrieren z. B. die Sonnenfinsternisse,
die Sternbedeckungen durch den Mond oder die Planeten und die
Vorübergänge der beiden inneren Planeten Merkur und Venus vor
der Sonne.
A. Sonnenfinsternisse.
2. Kriterium für das Stattfinden einer Sonnenfinsternis über-
haupt. Die Sonnenfinsternisse können nur zur Zeit des Neumondes
stattfinden, und auch dann nur, wenn der Mond der Verbindungs-
linie von Erde und Sonne genügend nahe kommt. Der äußere Um-
hüllungskegel von Sonne und Mond begrenzt den Kernschatten, der
innere den Halbschatten des Mondes. Je nach der Entfernung des
Mondes von der Erde erscheint uns bekanntlich der Mondradius
größer oder kleiner als der der Sonne, so daß die Spitze des Kern-
schattenkegels dementsprechend näher zur Erde oder weiter von ihr
entfernt liegt. Ist der scheinbare Durchmesser des Mondes in dem
Augenblick, wo die Mitten von Sonne und Mond und der Beobachtungs-
ort auf einer Geraden liegen, größer als der der Sonne, so erreicht
die Spitze des Schattenkegels die Erde, der Beobachtungsort fällt in
den Kernschatten und es findet für ihn eine totale Sonnenfinsternis
statt. Erscheint aber der Monddurchmesser kleiner als der der Sonne,
so trifft die Spitze des Schattenkegels die Erde nicht; der Mond ver-
deckt die Sonne zentral, aber nicht ganz, es entsteht eine ringförmige
Sonnenfinsternis. Erreicht die Kegelspitze die Erde nur in einem
Teile der Schnittkurve der Kegelachse und der Erdoberfläche, so
findet eine ringförmig-totale Sonnenfinsternis statt. Passiert die Erde
den Kernschatten überhaupt nicht, so kann höchstens eine partielle
Verfinsterung durch den Halbschatten eintreten. Das Kriterium für
das Stattfinden einer Sonnenfinsternis überhaupt ergibt sich aus der
Bedingung, daß der Mond um die Zeit der Konjunktion!) herum in
1) Konjunktion zweier Gestirne bedeutet den Zeitpunkt, in dem sie, auf
340 VIsT. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
den äußeren Umhüllungskegel von Sonne und Erde eintauchen oder
diesen Kegel doch mindestens berühren, d. h. der scheinbare Minimal-
abstand der Zentren von Sonne und Mond, wie ein bloßes Aufzeichnen
der Kegeldurehschnitte lehrt, <m + u-+p—x sein muß, wenn m
und u die vom Zentrum der Erde aus gesehenen Radien, p und x
die Parallaxen von Mond und Sonne bedeuten. Ist ß die Breite des
Mondzentrums gegen die Ekliptik zur Zeit der Konjunktion und i
die Neigung der Mondbahn gegen dieselbe Grundebene, so ist der
scheinbare Mindestabstand der Zentren von Sonne und Mond gleich
ß cosi; folglich können wir dem Kriterium auch die folgende Form
geben: B<(m + u-+p — m) seci.
Entsprechend den Grenzwerten für die innerhalb enger Grenzen
mit der Zeit variablen m, u, p, x und ö ergeben sich als Grenzwerte
für 8 die folgenden: ß, —= 1°34',9 und f,—= 123,2. Ist, absolut ge-
nommen, 8 </ ß,, so findet sicher eine Finsternis statt, ist aber ß > ß,,
so ist eine Finsternis unmöglich; ist 8 schließlich zwischen ß, und
ß, gelegen, so hängt das Stattfinden der Finsternis von den speziellen
Werten von m, u, p, z, i ab.
3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. Ist das Eintreten
einer Sonnenfinsternis als sicher erkannt, so ist zunächst der Bereich
der Sichtbarkeit der Finsternis auf der Erde zu ermitteln. In jedem
Zeitmoment schneidet der Schattenkegel des Mondes auf der Erdober-
fläche den Bereich der jeweils verfinsterten Erdorte aus. Die doppelt-
gekrümmte Schnittkurve soll kurz als „Schattenoval“ bezeichnet werden.
Die Enveloppen der Schattenovale bilden die nördliche und südliche
Grenzkurve, und die Berührungspunkte der Mantelgeraden des Schatten-
kegels mit der Erde die östliche und westliche Grenzkurve.
Die Ermittelung dieser und anderer Kurven und der Sicht-
barkeitsverhältnisse überhaupt basiert auf der Diskussion der Be-
dingung, die ausdrückt, daß ein Punkt der Erdoberfläche sich auf
dem Umhüllungskegel von Sonne und Mond befindet. Die Gleichung
dieses Kegels, den wir, weil Sonne und Mond Kugeln sind, als Kreis-
kegel betrachten, erhält ihre einfachste Gestalt, wenn eine der Achsen,
die z- Achse des rechtwinkeligen Koordinatensystems, auf das die Punkte
der Kegeloberfläche bezogen werden sollen, der Kegelachse parallel
ist. Den Anfangspunkt des Koordinatensystems legen wir in den
Mittelpunkt 0 der Erde, auf den auch in den Ephemeriden die Ko-
das Figurenzentrum der Erde bezogen, gleiche Rektaszension haben. Die in
den Ephemeriden angegebene Zeit des Neumonds ist exakt die Konjunktion von
Sonne und Mond, also nicht der Zeitpunkt kleinster Mondphase.
3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 341
ordinaten von Sonne und Mond stets bezogen sind; als Längeneinheit
wählen wir den Erdradius.
Sind jetzt x, y, z die Koordinaten des Mondes, &, 7, & die eines
Erdortes E, f der Öffnungswinkel des Schattenkegels und endlich
w und « die Radien der beschatteten Kreise
in der &-y-Ebene!®) und in deren Parallel- r /
ebene durch E (Figur 1), so lautet die Be-
dingung dafür, daß der Erdort E auf dem
Schattenkegel liegt:
@— + y— m’.
Substituieren wir hier uv= uw — $tgf, so er-
hält die Grundgleichung der Finsternisse die
Form:
D @-9+9—- mM’=(W— tgf)’ E
oder in Polarkoordinaten u und p, wo p den u
in der z-y-Ebene gezählten Positionswinkel 5 \
des Schattenkreismittelpunktes $ im Erdort E
darstellt: Fig. 1.
2 —$& =usinp s
ID) ee u=u —stgf.
Die Koordinaten x, y, 2 des Mondes in unserem speziellen Ko-
ordinatensystem ergeben sich aus den in den Ephemeriden zu findenden,
die auf den Aquator oder die Ekliptik als Fundamentalebene bezogen
sind, durch eine gewöhnliche Koordinatentransformation?); dasselbe
gilt von den Koordinaten des Erdortes.
Ist % der in Einheiten des Erdradius ausgedrückte lineare Mond-
radius, so wird W = (z + nF) tgf, und der Öffnungswinkel f, den
wir beim Halbschatten positiv, beim Kernschatten negativ zählen
müssen, ergibt sich aus den Gleichungen
sina—"#° (Halbschattenkegel),
sinf,—= iz (Kernschattenkegel) ,
wo S den linearen Sonnenradius und @ die Entfernung Sonne-Mond
bedeutet; werden S und @ durch die Parallaxen von Sonne und
1°) Der beschattete Kreis in der x-y-Ebene heißt „Schattenkreis“.
2) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), I. Abschnitt, 8 2= Astr. Nachr. 14
(1837), p. 132 = Bessel, Astron. Untersuch. 2, p. 111 = Bessel, Abhäl. 3, p. 376;
Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 310 usw.
342 VIs,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse
Mond (x, und x,) und den Abstand Erde-Sonne R ausgedrückt, und %
durch seinen numerischen Wert ersetzt, so ist?)
2. (1.668767)
sin, = 5 an (Halbschatten) & sh nn
inf, = an (Kernschatten) ne
Da f, und f, dem absoluten Betrage nach fast gleich sind, so ist ge-
nähert und mit Rücksicht darauf, daß cosf nahezu =]:
u, + u, = 2k = 0,54.
Unter Benutzung der astronomischen Ephemeriden sind dann also die
Größen x, y, 2, w und f für jeden Zeitpunkt i eines ersten Meridians
bekannt, und unsere Gleichung I resp. II repräsentiert, mit der Glei-
chung der Erdoberfläche & + n?+ &°—= 1 verbunden, den Ort der
Punkte der Erde, in welchen sich die Oberflächen von Erde und
Schattenkegel schneiden; im speziellen liefert das System II zu jedem
bestimmten Werte von p, d. h. zu jeder bestimmten Mantelgeraden
des Schattenkegels, ihren Schnittpunkt mit der Erde. Charakteristisch
für die Fundamentalgleichungen ist, daß die Zeit 2 transzendent in
dieselben eingeht, weil die Koordinaten von Sonne und Mond tran-
szendente Funktionen der Zeit sind, während die den Erdort definie-
renden Koordinaten der Breite p und Länge A insofern nur algebraisch
auftreten, als nur algebraische Funktionen von sinp und sinA vor-
kommen. Folglich sind alle Auflösungen der Grundgleichungen nach
der Zeit 4 transzendent, während die Auflösung nach den Koordi-
naten eines Erdortes bei gegebener Zeit algebraisch ist.
Die wichtigsten und zugleich klassischen Bearbeitungen der an
die Grundgleichungen der Finsternisse sich anschließenden Probleme
stammen von F. W. Bessel‘) und P. A. Hansen?). Während Bessel
alle Aufgaben der Theorie soweit als möglich streng und direkt zu
lösen sucht, will Hansen dieselben Aufgaben mit zwar theoretisch
geringerer, für die Bedürfnisse der Praxis aber durchaus genügender
Genauigkeit lösen. Aber typisch und auffällig für die Bearbeitung
der Finsternisprobleme durch diese beiden Autoren und andere ist,
daß das geometrisch doch so anschauliche Problem trotzdem so
wenig geometrische Interpretation gefunden hat.
3) Eingeklammerte Zahlen bedeuten diejenige Zahl, deren dekadischer
Logarithmus in der Klammer steht.
4) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842).
5) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859) usw.
3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 343
Nach Aufstellung der Grundgleichungen sind dieselben jetzt für
die folgende Anwendung vorzubereiten.
Zunächst ist die Wirkung der Strahlenbrechung, die, wie P. A.
Hansen®) zuerst nachgewiesen hat, einen Einfluß auf die Erscheinung
ausübt, in Rechnung zu ziehen.
Eine Mantelgerade des Schatten-
kegels SB (s. Fig. 2), d. h. eine
Berührende der beiden Scheiben
von Sonne und Mond, treffe die
Grenze der Atmosphäre, wo deren
brechende Kraft in Wirksamkeit
zu treten beginnt, in 5; der ge-
brochene Strahl trifft das Auge
des Beobachters in A, dem die
Berührung der Scheiben in der
Richtung der letzten Tangente an
den gebrochenen Lichtstrahl, in der Fig. 2,
Richtung AS’ erscheint. Der un-
gebrochene Lichtstrahl $B würde dagegen in seiner Verlängerung die
Vertikale von A in A’ schneiden. Man würde also die Erscheinung,
wenn keine Refraktion stattfindet, in A’ in derselben Weise und zu
derselben Zeit wahrnehmen, wie bei Vorhandensein einer Strahlen-
brechung im Beobachtungsort A. Mithin findet die Strahlenbrechung
dadurch Berücksichtigung, daß der Erdradius AO durch A’O ersetzt
wird; wird also - = ı gesetzt, so sind der Erdradius AO und folg-
lich auch die geozentrischen Koordinaten &, n, & mit (1+v) zu
multiplizieren, wo d von der brechenden Kraft der Erdatmosphäre,
der Refraktionskonstanten und der Zenitdistanz des Berührungspunktes
abhängt”).
Eine Erhebung des Beobachters über die Erdoberfläche um die
Höhe %’ ist ebenso wie die Strahlenbrechung durch Anbringung eines
Faktors (1 + %”) an die Koordinaten des Erdortes zu berücksichtigen.
Ferner sind die Koordinaten des Mondes mit Rücksicht auf die
Praxis und auf die Auflösung der Grundgleichungen nach der Zeit ?
nach Potenzen der Zeit zu entwickeln. In der Regel wählt man fünf
die Zeit der Konjunktion des Mondes umschließende Zeitpunkte und
berechnet für jeden derselben die Koordinaten x, y, 2 des Mondes
N
6) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 185.
7) Eine Tafel für log (1-+%) findet sich bei Hansen, Theorie d. Sonnenf.
(1859), p. 325.
344 VI2,7. F.K.G@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
und deren stündliche Änderungen x’, y und 2. Setzt man
x—=nsinNN, yY=ncosN,
so bedeutet » die stündliche Bewegung des Schattenkreismittelpunktes
relativ zum Erdmittelpunkt und N den Positionswinkel der Bewegungs-
richtung desselben. Um jeden der 5 Zeitpunkte herum kann man
x, y und somit auch » als der Zeit proportional annehmen. Die
Zeit möge zur Vereinfachung in Sternzeit des Ersten Meridians ge-
zählt werden. Die Koordinaten x, y können dann für einen beliebigen
Augenblick t wie folgt dargestellt werden. Ist £, einer der willkürlich
angenommenen Zeitpunkte des 1. Meridians um den Neumond herum,
sind &,, %, die entsprechenden Koordinaten des Mondes, so ist, wenn
zur Konjunktionszeit 7 x,, y, den Mondort bedeutet und die y2-Ebene
durch die Erdachse gelegt wird, in diesem Augenblicke x, = 0, d.h.
0=-,+(T—ti)nsinN und ,„=y+(T—t)n cos N
=y,—adgN.
Folglich ist der kürzeste Abstand » des Erdmittelpunktes von der
Kegelachse:
y=y,snN= y, sin N — 2,cosN
und die zugehörige Zeit
ı=T— —y cooN= b— - (osin N + Yy COS N).
Mithin erhalten die Koordinaten x und y, wenn t, die Ortssternzeit
des Beobachtungsortes, A seine westliche Länge ist, die Form:
je=—resN+(k+Ai—r)nsinN
y=ysinN+(L +2—r)ncosN.
Für die Koordinaten des Erdortes gelten ferner die folgenden in die
Grundgleichungen zu substituierenden Formeln:
& = oc08p sin — A —|),
n= olsin op cosb — cos p sinb cos(t— A —))},
g= olsing’ sinb + cosp’ cosb eos — A —)},
wo o den lokalen Erdradius, 9’ die geozentrische Breite”), A die west-
liche Länge, b und / Deklination und Rektaszension des Zielpunktes
der Kegelachse bedeuten. Mit Hansen?) kann man in diese Ausdrücke
8) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 333.
9) Die geozentrische Breite p’ des Erdorts ist sein Winkelabstand vom Erd-
äquator, gesehen vom Figurenzentrum des Erdellipsoids. Formeln für oe und 9’
siehe Seite 49, Fußnote 87; Tafeln für zahlreiche Erdorte in jedem Jahrgang
der Conn. des temps.
3. Die Grundgleichungen der Finsternisse. 345
statt der zwei abhängigen Variabeln og und p’ eine einzige Variable
Y,, die sogenannte „reduzierte Breite“, die formal der exzentrischen
Anomalie der Planetenbewegung entspricht, substituieren. Ist näm-
lich & die Abplattung der Erde, und setzt man die halbe große Achse
der Erdmeridiane = 1, so lauten die in &, n, & eingehenden Verbin-
dungen von og und g’ als Funktion von g;:
@ C0Sp’ = C08 Q,,
osinp—= (1 — e) sin gp,.
Die Koordinaten b und ! des Zielpunktes der Kegelachse unter-
scheiden sich um die Zeit einer Finsternis herum von den ent-
sprechenden Koordinaten der Sonne um nicht mehr als 4 Bogen-
minute und zwar offenbar um eine kleine Größe von der Ordnung
der Sonnenparallaxe; bei oo ferner Sonne, also bei Sternbedeckungen,
fallen der Sonnenmittelpunkt und der Zielpunkt der Kegelachse zu-
sammen. Deshalb führt man noch, statt b und /, b,, und /, ein, in-
dem man setzt
b—b,=Ab, I—ı„=ÜAl.
Dann lauten die Grundgleichungen der Finsternisse in ihrer end-
gültigen Form:
usinp=—ycosN+(L +i—r)nsinN
— (1+ 0) cos g, sin(, —l,— A),
II) ducsp=ysnN+(h +4—r)ncosN
— (l1+0o){(l—e) sing, cos(db,+ Ab)
\ — c089, sin (du + Ab) cos(, —I,a— Al},
ber „=wW— (1+0o){(l — e) sing, sin (db,+ Ab)
+ cos g, cos(b,+ Ab) cos(t, — I, — Al)}tgf
er 1+o=-(l1+W(+Y%)
ist.
Es sei noch bemerkt, daß , — I, die wahre Ortszeit 2 und N
der Positionswinkel der Bewegungsrichtung des Zielpunktes der Kegel-
achse gegen den Deklinationskreis an der betreffenden Stelle der
Sphäre ist.
Die numerischen Beträge von y und « entscheiden über die
Gattung der Finsternis. Reicht nämlich die Spitze des Kernschatten-
kegels über die xy-Ebene hinaus, so daß die z-Koordinate der Spitze
negativ ist, so ist die Finsternis für alle Erdorte, welche der Kern-
schattenkegel überstreicht, total; der entsprechende Radius u, des
Halbschattenkreises muß dann < 0,546 sein. Erreicht aber die Spitze
des Kernschattenkegels die Erdoberfläche überhaupt nicht, so ist die
346 VIs,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
Finsternis für die Orte, die in der Verlängerung des Kernschatten-
kegels über seine Spitze hinweg liegen, ringförmig und u,'> 0,551.
Liegt u,’ zwischen beiden Grenzwerten, so erscheint die Finsternis,
was den Kernschatten betrifft, teils total, teils ringförmig. Soll die
Finsternis zentral sein, so muß y kleiner als der Erdradius, d.h.
y<1 sein; für totale Finsternisse muß y — u <1 sein; für ring-
förmige y+ u, <1, weil u, in diesem Falle negativ; schließlich für
partielle Finsternisse: y — u, <1. Wir erhalten insgesamt die in
folgender Tabelle dargestellten Bereiche der Größen u,’ und y, welche
die verschiedenen Gattungen der Finsternis bedingen:
> ] | > u,
Ss 0.546 0.551
v | |
total ringf.-total ringförmig
zentral zentral zentral
1
total ringf.-total ringförmig
nicht zentral nicht zentral nicht zentral
1+[|u |
partielle Sonnenfinsternis
1+u,/
y keine Sonnenfinsternis
Y
4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. Ist der Halbmesser der
Erde —=1, so kann der Radius «,' des Halbschattens höchstens 0,58
werden, und es ist deshalb nicht möglich, daß die Erde von dem
Schattenkegel vollständig eingehüllt wird. Folglich ist die Sichtbar-
keit einer Sonnenfinsternis in bestimmte Gebiete auf der Erdober-
fläche eingeschlossen und durch Grenzkurven von den Gebieten ge-
trennt, die nichts von der Finsternis wahrnehmen. Gelangen alle
Mantelgeraden des Schattenkegels zum Eintritt in die Erde, so besteht
die Begrenzung aus vier verschiedenen Kurven, die man zweckmäßig
als nördliche resp. südliche und als westliche resp. östliche Grenzkurve
bezeichnet. Wie erwähnt, bilden die Enveloppen der Schattenovale
auf der Erde die nördliche resp. südliche Grenzkurve, während der
Ort der Punkte, in denen die Mantelgeraden die Erde berühren, die
westliche resp. östliche Grenzkurve darstellt. Zeitlich sind der erste
resp. letzte Punkt der Grenzkurven
a) die Punkte des Beginns und Endes der Finsternis
überhaupt,
die als Berührungspunkte von Erde und Halbschattenkegel auf der
westlichen resp. östlichen Grenzkurve (aber auf deren inneren Teilen,
4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 347
vgl. Fig. T) gelegen sind. Der Berührungspunkt der beiden Scheiben
von Sonne und Mond erscheint im Horizont des Erdorts, weil die
dem Berührungspunkt entsprechende Mantelgerade die Erde berührt.
Bei äußeren Berührungen, also im Falle des Halbschattens, steht der
Sonnenmittelpunkt in jenen Momenten unter dem Horizonte, der des
Mondes über demselben; ist R die Strahlenbrechung im Horizont und
ro der scheinbare Sonnenradius, so ist die wahre Höhe des Sonnen-
mittelpunktes über dem Horizont
„.. äußere # Halbschatten
— (R-+ro) für En Berührungen resp. ER RES
Ist ? die wahre Sonnenzeit des Berührungspunktes auf der Erde,
p und A seine Breite und westliche Länge, so daß "+4 =[1/ die
entsprechende wahre Zeit des ersten Meridians, und d, die Dekli-
nation der Sonne, so ist für den Auf- und Untergang der Sonne:
cost = cos(! — 4) = — tgptgbdo
— (R-+ ro) sec p sec do A Berührung,
womit wir die erste Bedingung für die gesuchten Punkte erhalten.
Da nun Erde und Schattenkegel nach der allerersten resp. vor der
allerletzten Berührung zwei Mantelgeraden des Kegels als gemeinsame
Tangenten besitzen, so muß für die allerletzte resp. allererste Be-
rührung, wo nur eine einzige Mantelgerade berührt, die entsprechende
Zeit ı’ des ersten Meridians ein Maximum resp. Minimum sein. Man
erhält folglich die zweite Bedingungsgleichung für die allererste und
allerletzte Berührung, indem man die Fundamentalgleichungen II)
nach r’ differenziert, wobei p ebenfalls als variabel zu betrachten ist,
und nach der Differentiation d’’—=0 setzt; die gleich O gesetzte
Determinante der so erhaltenen drei in dp, dp, dA homogenen Glei-
chungen stellt die gesuchte Bedingung dar. Dieselbe hat eine sehr
einfache geometrische Bedeutung. Im Augen-
blicke einer allerersten oder allerletzten Berührung
liegen nämlich die Mittelpunkte $ und M von
Sonne und Mond, der Berührungspunkt auf der
Erde und sein Zenitpunkt Z in einer einzigen
Ebene, die auch noch den Zielpunkt 8, der Kegel-
achse enthält (s. Fig. 3). Letzterer rällt aber, Fig. 3,
wie schon erwähnt, nahezu mit dem Sonnen-
mittelpunkt zusammen, da er sich im Falle einer Finsternis höchstens
um +4Bogenminute, d. h. weniger als ;; des scheinbaren Sonnenhalb-
messers vom Sonnenmittelpunkt entfernen kann. Folglich ist der
Z
348 VI2,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
um den Zielpunkt S, der Kegelachse im Äquatorsystem gemessene
Positionswinkel p des Berührungspunktes der beiden Scheiben streng
gleich dem parallaktischen Winkel des Zielpunktes, also sehr genähert
gleich dem parallaktischen Winkel K des Sonnenmittelpunktes im
Augenblick der ersten resp. letzten Berührung im Horizont. Da nun
im Horizont allgemein sin X = cos sin‘, so ist wegen p=K
sinp = 608 sin?,
also wegen
po = — tgptgod, + Refraktionsglied,
sin p= eospV1 — (— tgp tgd, + Refr.)?,
wodurch ? und » als Funktionen von @ allein dargestellt sind.
Die Substitution dieser Ausdrücke für ? und p in das System II)
liefert dann zwei Gleichungen für p und A, und zwar ergibt sich
bei Auflösung nach p und A eine Gleichung 4. Grades für sing resp.
sin), entsprechend den zwei inneren und zwei äußeren Berührungen
des Schattenkegels mit der Erde.
In der Praxis löst man diese Gleichungen durch Näherungs-
methoden auf). Die ersten Näherungswerte kann man sich leicht bei
Voraussetzung einer kugelförmigen Erde verschaffen. Sind nämlich
a, b, e die Koordinaten der Spitze des Schattenkegels in unserem
Koordinatensystem (x, y, 2), so lautet die Bedingung der Berührung
des Schattenkegels und der Erdkugel, wenn man deren Radius = 1
setzt:
(1+ esinf)’= (a?+ b?) cos’f, f= Öffnungswinkel des Kegels,
wie man durch bloßes Aufzeichnen sofort erkennt. In der Praxis
entwickelt man dann die Koordinaten a, b, ce in Potenzreihen nach der
Zeit, so dd a=w,+ 4a, ::-+:-- usw.
Begnügt man sich nun in dieser Entwicklung der Koordinaten
mit den in £ linearen Gliedern, was in der Praxis durchaus ausreicht,
so stellt die eben genannte Bedingungsgleichung zur Bestimmung
von t eine in t quadratische Gleichung dar, deren eine Lösung den
Moment der allerersten und die andere den der letzten Berührung
ergibt. Ist t bekannt, so folgen p und A aus den Gleichungen:
Fre = cos®f,
E:yuiat)d,
= sn.
10) Hansen, Theorie d. Sonnenf, (1859), p. 357 usw.
4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 349
F. W. Bessels analytische Methode für die Bestimmung der Be-
rührungspunkte ist die folgende. Bessel löst die allgemeine Aufgabe,
die Schnittkurve von Erde und Schattenkegel zu ermitteln, in der
Weise, daß er die Koordinaten &, n, & eines beliebigen Punktes jener
Kurve als Funktion des Positionswinkels p darstellt, indem er also
die Sehnittpunkte jeder einzelnen Mantelgeraden mit der Erde be-
stimmt. Da zwei Schnittpunkte vorhanden sind, erhält man die
Koordinaten in der Form: &=«a«+PßP(p), wo P ein von p ab-
hängiger Wurzelausdruck ist. Die Berührung einer durch den
Positionswinkel p charakterisierten Mantelgeraden mit der Erde ist
dann folglich durch P=0 bedingt; im Falle einer allerersten resp.
allerletzten Berührung tritt zu dieser Bedingung noch dr’= 0 hinzu.
Wie Bessel‘') gezeigt hat, erhält man zwei getrennte Gleichungen,
deren eine p, die andere r’ liefert. Die Bedingung P=0 enthält
außer p an Variabeln noch die Koordinaten des Mondes, die sphä-
rischen Koordinaten des Zielpunktes der Kegelachse und ferner den
Öffnungswinkel f; man entwickelt alle diese langsam veränderlichen
Größen nach Potenzen von £ und leitet die Berührungszeiten wieder
durch sukzessive Näherungen her.
b) Die östliche und westliche Grenzkurve.
Den frühesten resp. spätesten Berührungen folgen resp. gehen
vorher weitere Berührungen der Erde mit den Mantelgeraden des
Schattenkegels. Die entsprechenden Berührungspunkte auf der Erde,
in denen die Berührung der Scheiben von Sonne und Mond im Hori-
zont erfolgt, bilden in ihrer Gesamtheit die östliche und die westliche
Grenzkurve. Bewegt sich der Schattenkegel so durch die Erde hin-
durch, daß nacheinander alle Mantelgeraden zur Berührung mit der
Erde kommen, so besteht der Ort der Berührungspunkte aus zwei
getrennten und geschlossenen ovalförmigen Kurven, deren eine die
westliche, die andere die östliche Grenzkurve darstellt. Ragt aber
der Schattenkegel während seiner Hinwegbewegung über die Erde
über dieselbe hinaus, so daß nicht alle Mantelgeraden die Erde be-
rühren können, so gehen die beiden sonst getrennten Grenzkurven
ineinander über und bilden eine einzige mit einem Doppelpunkt ver-
sehene schleifenförmige Kurve. — Die einzelnen Punkte der Grenz-
kurve genügen einmal dem Fundamentalsystem II) und ferner der
11) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), II. Abschn. $ 20; Astron. Unter-
such. 2, p. 162 = Bessel, Abhdl. 3, p. 397.
350 VI23,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
Bedingung, daß die Zeit, zu welcher wir die Mantelgerade die Erde
schneiden lassen, bei festgehaltenem », d. h. bei Fixierung einer
bestimmten Mantelgeraden, ihren kleinsten resp. größtmöglichen Wert
annehmen muß. Wir erhalten so drei Bedingungsgleichungen, aus
denen wir die Koordinaten des Berührungspunktes auf der Erde (p und A)
und die zugehörige Zeit t als Funktion von p ermitteln können.
Die Bedingungsgleichung selber für die Punkte der westlichen
resp. östlichen Grenzkurve kann man analytisch ganz analog dem
Falle der Punkte der ersten und letzten Berührungen herleiten '?).
Aber auch hier können wir die betreffende Bedingung leicht auf geo-
metrischem Wege erlangen. Während die scheinbare Zentrale der
Scheiben von Sonne und Mond im Falle der frühesten resp. spätesten
zZ Berührung senkrecht zum Horizont des Berüh-
rungspunktes der Erde stand, ist sie für jeden
anderen Punkt der Grenzkurve im Augenblick
der Berührung um einen beliebigen Winkel gegen
den Horizont geneigt (s. Fig. 4). Sind S und
M die Mitten von Sonne und Mond und B der
Fig. 4. Berührungspunkt der beiden Scheiben, so liegt
der Zielpunkt der Kegelachse in der Verlängerung
von SM in $,, und zwar höchstens 4 Bogenminute von $ entfernt.
Dann ist $B=f, gleich dem Öffnungswinkel des Schattenkegels,
und PS, B=p, gleich dem Positionswinkel des Berührungspunktes.
Da ferner
S$A=—H _ (4= Schnittpunkt von Horizont und $,Z)
die Höhe der Sonne und PS,Z=K den parallaktischen Winkel
derselben bedeutet, so ist mit Rücksicht darauf, daß HZ und f kleine
Winkel sind: .
H=-—fcs(w—K)
die .Bedingungsgleichung für die Punkte der östlichen resp. westlichen
Grenzkurve.
Da man H und K als Stücke des sphärischen Dreiecks PZS,
auch durch 9, A, ö,, t ausdrücken kann, so kann man die soeben er-
wähnte Bedingung in eine solche zwischen p, g, A, d,, t transformieren.
Man kann auch umgekehrt mit P. A. Hansen in die Grundgleichungen
überall 7 und X statt # und einführen. Mit den beiden Grund-
gleichungen II) zusammen, haben wir dann die drei Gleichungen, die
12) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 349.
4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 351
uns p, A, p und t als Funktionen einer dieser Größen liefern. In
der Praxis löst man diese Gleichungen wie immer durch Näherungen
auf??).
F. W. Bessel löst die Aufgabe mittels der S. 349 erwähnten
Bedingung P(p, t)= 0, die eine der Größen p und # als Funktion
der anderen liefert. P(p, £) ist eine ganze rationale Funktion 4. Grades
in sinp und transzendent in £. Ist also # bekannt, so wird p aus
einer trigonometrischen Form 4. Grades bestimmt, die, wie F. W. Bessel
näher ausführt, stets in zwei reelle Faktoren 2. Grades zerlegt werden
kann“). Alle vier Wurzeln können reell sein, d. h. der Schatten-
kegel kann das Erdellipsoid nicht nur in zwei, sondern unter Um-
ständen sogar in vier Mantelgeraden berühren. Alsdann können sich
Erde und Schattenkegel bei entsprechender Lage c
in zwei getrennten Kurven AB und OD schneiden,
wie die Figur 5 schematisch andeutet, so daß vier
Mantelgeraden die Erde berühren. Im Falle einer
kugelförmigen Erde ist aber nur eine einzige Schnitt- #
kurve vorhanden und folglich auch nur zwei Be-
rührungspunkte. Sollten bei dem tatsächlichen Ellip-
soid vier reelle Berührungen vorhanden sein, so müßte der Radius
des Schattenkreises bei der geringen Exzentrizität der Erdmeridiane
nahezu gleich dem Erdradius sein, was aber bei weitem nicht der Fall
ist, so daß die Gleichung 4. Grades im Falle einer Sonnenfinsternis
nur zwei reelle Wurzeln hat.
Fig. 5.
Sind » und £ bekannt, so liefern die Fundamentalgleichungen
den entsprechenden Erdort, d.h. g und A. Substituiert man, mittels
P=0,p als Funktion von £ in die Fundamentalgleichungen II), so
stellen diese die Gleichung der Grenzkurve dar, die aber transzendent
ist, weil # transzendent in den Koordinaten enthalten ist, während
die erzeugenden Schnittkurven von Schattenkegel und Erde als
Schnitte zweier algebraischen Flächen 2. Grades algebraisch und zwar
vom 4. Grade sind.
Die Wirkung der Strahlenbrechung ist gerade für die östliche
und westliche Grenzkurve eine maximale, weil die Strahlenbrechung
selbst im Horizont ihr Maximum erreicht.
13) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 349.
14) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), II. Abschn., $8$ 12 und 2—=
Bessel, Astron. Untersuch. 2, p. 137 und p. 168 usw. = Bessel, Abhdl. 3, p. 386
und 399.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 24
352 VI2,7. F.K:@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
c) Die nördliche und südliche Grenzkurve.
Sie werden durch die Enveloppen der Schattenkreise des Halb-
schattenkegels gebildet. Jeder Punkt derselben sieht von der Finsternis
weiter nichts als die Berührung der beiden Scheiben von Sonne und
Mond, d. h. die äußere Berührung ist für jene Erdorte das Maximum
der Finsternis, die größte Phase. Fassen wir allgemein an einem Punkte
innerhalb des Sichtbarkeitsbereiches der Finsternis jede einzelne Phase
als eine Berührung der Mondscheibe mit einer der betreffenden Phase
entsprechenden verkleinerten Sonnenscheibe auf, so müssen wir den
Radius w des Schattenkreises als eine Funktion der Zeit betrachten,
und der Augenblick der größten Phase ist durch das Minimum von «',
folglich auch von f in bezug auf die Zeit # bedingt. Soll die größte
Phase im speziellen Falle verschwinden, d. h. soll der betreffende Erdort
ein Punkt auf der nördlichen oder südlichen Grenzkurve sein, so muß
w resp. f für den betreffenden Punkt im Augenblick der größten Phase
die den äußeren Berührungen von Erde und Schattenkegel entsprechende
Größe haben.
Die Bedingungsgleichung für die Punkte der Grenzkurve wird
ganz analog der für die östliche und westliche Grenzkurve erhalten.
Die Grundgleichungen werden bei variablem u’ nach der Zeit diffe-
renziert, und nach der Differentiation wird dw = df = 0 gesetzt. Die
gleich O gesetzte Determinante der entstehenden drei homogenen Glei-
chungen zwischen du, dp und dt ist dann die gesuchte Bedingungs-
gleichung der Grenzkurve, nachdem für w resp. f die den äußeren
Berührungen entsprechende Größe substituiert worden ist. Die Auf-
lösung der Bedingungsgleichung nach dem Winkel y=p— N gibt
derselben die Form:
re: e+ßsny+d)
ter Öcos(+t) °
wo «, ß, y, ö und e von den Variabeln und Parametern des Problems
abhängen, außer von der Zeit Z, die, soweit sie explizit in tg% auf-
tritt, ersichtlich gemacht ist. Mit den Fundamentalgleichungen II)
zusammen haben wir dann wieder drei Gleichungen zur Bestimmung
von 9, A, p und t als Funktion einer derselben als willkürlichem Para-
meter.
Die numerische Auflösung dieser Gleichungen erfolgt wieder
durch sukzessive Näherungen®); dieselben basieren vor allem darauf,
daß der Winkel y—=»p-—- N, welcher den Positionswinkel des Be-
15) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 341.
4. Die Grenzkurven der Sichtbarkeit. 353
rührungspunktes gegen die Bewegungsrichtung des Zielpunktes der
Kegelachse fixiert, stets nahezu 90° resp. 270° ist; denn die Richtung
vom Schattenkreismittelpunkt nach dem Berührungspunkt steht nahezu
senkrecht zur Bewegungsrichtung des Schattenkreismittelpunktes und
kann sich höchstens um 20° von 90° resp. 270° unterscheiden, so daß
sinYy stets nahezu =-+ 1.
Wählt man die Zeit # als willkürlichen Parameter und löst die
Gleichungen nach dem Positionswinkel p auf, so erhält man eine
Gleichung 8. Grades für sin p, falls man die Erde als Rotationsellipsoid
betrachtet!®); im Falle einer kugelförmigen Erde reduziert sich diese
Gleichung auf den 6. Grad. Zur geometrischen Veranschaulichung
nehme man statt des Schattenkegels einen Zylinder, dessen Achse in
der Ebene des Äquators liegt und der, ohne eigene
Bewegung, so gelegt wird, daß er mehr als halb
von der zunächst kugelförmig angenommenen Erde
umschlossen wird. Dann ist die Schnittkurve ein
einziges räumliches Oval. Die nördlichsten und
südlichsten Punkte desselben A, B, C,D, E,F
(s. Fig. 6) repräsentieren die sechs Lösungen unsrer
Gleichung, sie befriedigen die Bedingung du’ — 0. £
Dabei sehen A, B, D, F die Ränderberührung als Fig. 6.
Maximum, C und E als Minimum der Finstemis. _
Zu diesen sechs Punkten resp. Lösungen treten im Falle einer
ellipsoidischen Erde noch zwei weitere hinzu, weil die Schnittkurve in
diesem Fall, wie bereits p. 351 erwähnt, aus zwei getrennten Kurven
bestehen kann; es tritt dann das Oval GH hinzu, wo G und H eben-
falls die Bedingung duw’= 0 befriedigen, und zwar so, daß die Be-
rührung der Ränder ein Minimum bedeutet. Tatsächlich erfüllen die
Dimensionen der Erde und des Schattenkegels die zu dieser Art des
Verlaufes der Erscheinung notwendige Bedingung nicht.
Die nördliche und südliche Grenzkurve sind geschlossene Kurven,
aber nur ein Teil derselben liegt auf der der Sonne zugewandten, der
andere auf der von der Sonne abgewandten Seite. Die Endpunkte
des der Sonne zugewandten Teiles dieser Kurven, also die zeitlich
frühesten Punkte, sind die, in denen die jene Kurven erzeugenden
Mantelgeraden des Schattenkegels die Erde berühren, d. h. Punkte, die
gleichzeitig auch auf der westlichen resp. östlichen Grenzkurve liegen
und «n denen sich nördliche resp. südliche Grenzkurve mit der west-
lichen resp. östlichen berühren. J, K, Lund M mögen diese Endpunkte
16) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), p. 173.
24*
354 VI23,7. F.K.@inzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
sein (s. Fig. T); daß dieselben für beide Kurvenklassen Berührungs-
punkte sind, folgt daraus, daß, wenn dieselben sich schneiden würden,
die den Schnittpunkten entsprechenden Erdörter
J' und K’ im nächsten Augenblick nach der
Berührung in den Schatten geraten würden,
was der Voraussetzung widerspricht, daß jene
Punkte höchstens eine Berührung wahrnehmen
dürfen.
Man erhält die Endpunkte offenbar, wenn
man zu den schon fixierten drei Bedingungs-
Fig. 7. gleichungen noch die der östlichen und west-
lichen Grenzkurve entsprechende Bedingung
dr= (0 hinzufügt; man hat dann vier Gleichungen zur Bestimmung
von 9, A, p und f. Die numerische Auflösung erfolgt wie immer
durch Näherungen ').
Man erhält aus den Gleichungen für die nördliche und südliche
Grenzkurve die von der Kegelachse beschriebene Kurve der Zentralität,
wenn man «= 0, d.h. f und %k (Mondradius) = 0 setzt.
d) Kurven sonstiger spezieller Phasen.
Zu diesen Kurven gehören einmal die Kurven, in deren Punkten
eine bestimmte vorgelegte Phase als größte Phase wahrgenommen
wird (Kurven gleicher größter Phase); man gewinnt dieselben offenbar
aus den Gleichungen der nördlichen resp. südlichen Grenzkurve, indem
man sich aus der Sonne eine der vorgelegten größten Phase ent-
sprechende verkleinerte Scheibe, einem bestimmten « resp. f ent-
sprechend, herausgeschnitten denkt, so daß die Erscheinung dem Falle
verschwindender Phase analog ist.
Eine spezielle Kurve ist ferner die, deren Punkte die größte Phase
im Horizonte sehen. Man erhält dieselbe, indem man zu den Be-
dingungsgleichungen der größten Phase noch die Bedingung des
Sonnenauf- resp. -unterganges hinzufügt.
Schließlich ist noch die Kurve erwähnenswert, auf der die größte
Phase im Mittage gesehen wird. Diese Kurve trennt den Sichtbar-
keitsbereich der Finsternis in zwei Teile, deren einer den größten Teil
der Finsternis am Vormittage, der andere dagegen am Nachmittage
wahrnimmt. Diese Kurven sind namentlich für die Untersuchung
antiker Finsternisse von Interesse. Man erhält diese Kurve wieder
aus den Gleichungen der nördlichen resp. südlichen Grenzkurve, in-
17) Hansen, Theorie d. Sonnenf. (1859), p. 355.
5. Der lokale Verlauf der Finsternis. 355
dem man die wahre Ortszeit =0 setzt und w entsprechend den
verschiedenen größten Phasen innerhalb der zulässigen Grenzen variiert.
5. Der lokale Verlauf der Finsternis. Für einen Erdort, der
innerhalb des Sichtbarkeitsbereiches der Finsternis liegt, interessiert
es mit Rücksicht auf die Beobachtung der Erscheinung, die Zeiten
des Eintritts der verschiedenen Phasen, speziell die Zeit der Berührungen
und die der größten Phase zu bestimmen. Die Berechnung des Ein-
tretens jeder anderen Phase der Finsternis reduziert sich, wie schon
erwähnt, durch Annahme einer entsprechend verkleinerten Sonnen-
scheibe sofort auf das Problem der Ränderberührung.
Da die strenge Auflösung der Grundformeln nach der Zeit
transzendent ist, so bedient man sich einer Näherungsmethode®®), die
schnell zum Ziel führt. Man entwickelt die Koordinaten des Mondes,
des Erdortes und der übrigen veränderlichen Größen um die Ein-
trittszeit der Erscheinung herum nach Potenzen der Zeit t, so daß
die Fundamentalgleichung
@—-’+W—- D’=wW—(uW— &tgf)
bei Mitnahme nur der in ? linearen Glieder in den Koordinaten eine
zur Bestimmung von t quadratische Gleichung liefert. Haben die Ko-
ordinaten x, y im Moment 7, des ersten Meridians die Werte &,, Yo,
und sind ihre minutlichen Änderungen «’, y', so sind die Koordinaten
im Zeitpunkt 7’ des Beobachtungsortes der Länge A und der geozen-
trischen Breite g’:
<= %+[T— (I, — )]®
und analog y, & und n.
Ist d die Deklination und H der Stundenwinkel des Zielpunktes
der Kegelachse für den Nullmeridian, die z. B. in der französischen
Ephemeride „Connaissance des Temps“ berechnet vorliegen, so lauten
die Koordinaten des Erdortes (Radius = ge) und dessen Änderungen,
wenn wir noch
osinp—=AsinB,
o cosp' cos(H — A) = AcosB
setzen °):
&=geospsin(H— A), 4 _ (7.63 982) AcosB,
n=Asin(B—.d), und ur
= Acos(B—d), “ (7.63 982) sin d.
18) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842), p. 207 und Hansen, Theorie d.
Sonnenf. (1859), p. 411.
356 VIs,T. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
Setzen wir schließlich noch, um der Lösung eine trigonometrische
Form zu geben
m snM=,—$8, nsnN=r!— #2, siny = — sin (M — N,)
d ‚
Er T ’ u-u—ftgf,
so lautet nach Substitution dieser Hilfsgrößen in die Fundamental-
gleichung deren Auflösung nach 7:
moeM=y—7, n,cosN, = Yy
7 7, any m sin(M—N,+v) oberes Vorzeichen: Fankrill,
s - Austritt.
N, sin y unteres
Die Zeit der größten Phase wird:-
T=-Tn—4— e0s(M—N,).
Ist u* der dem Zeitpunkt 7, entsprechende Minimalwert von u,
so ist "= + msin(M — N,), wo u® stets positiv zu nehmen ist.
Teilt man den Sonnendurchmesser in 12, Zolle (frz. doigts) benannte
Teile, so ist die Zahl der vom Monde verdeckten, in Zollen ausge-
drückten Teile des Sonnendurchmessers im Augenblick der größten
RE
Phase, d.h. die Größe der Finsternis”): 12 " ned oder auch, weil u,
h
sehr klein gegen u,, genähert 195 , was geometrisch durch
bloßes Aufzeichnen sofort ersichtlich ist, Ebenso findet man leicht
für die Positionswinkel der Berührungspunkte:
N, + 180° — y für den Eintritt,
N, + » :». Austritt.
Ferner bedient man sich zur Vorausbestimmung des lokalen Ver-
laufs einer Finsternis vielfach und vorteilhaft der teils graphischen,
teils interpolatorischen Methode. Man berechnet für eine Reihe von
Zeitpunkten, welche die Erscheinung umfassen, die scheinbaren lokalen
Örter von Sonne und Mond und die denselben Momenten entsprechen-
den scheinbaren Abstände von Sonne und Mond. Durch Interpolation
findet man dann leicht die den Berührungen der Ränder entsprechen-
den Zeiten und Zeit und Größe der größten Phase. Diese nach
J. Kepler benannte Methode ist in extenso von Bohmenberger?”) ent-
wickelt worden.
19) Die englischen Astronomen geben die „magnitude of eclipse“ in Dezimal-
teilen des Sonnendurchmessers an.
20) J..@. F. Bohmenberger, Nautical Almanac and astronomical ephemeris
for the year 1836, London 1835.
6. Anwendung der Sonnenfinsternisse; Tafeln. 357
6. Anwendung der Sonnenfinsternisse; Tafeln. Die Bedeutung
der totalen Sonnenfinsternisse liegt vor allem darin, daß sie die ein-
zige Gelegenheit zu bestimmten astrophysikalischen Studien an der
Sonne und ihrer nächsten Umgebung bieten; ferner liefern sie der
Mondtheorie die genauesten Daten über den Mondort, bezogen auf
den Ort der Sonne, um die Zeit des Neumonds, und die einzige Mög-
lichkeit, die scheinbare säkulare Mondakzeleration nachzuweisen; in
der geographischen Längenbestimmung (vgl. p. 134) stehen sie den
Sternbedeckungen durch den Mond lediglich durch ihre relative Selten-
heit, nicht an Genauigkeit nach. Die Durchmusterung größerer Zeit-
räume des Altertums nach Finsternissen der Sonne und des Mondes
stellt sich in den Dienst der Chronologie. Demgemäß machte sich
das Bedürfnis nach Tabulierung früherer und zukünftiger Finsternisse
bald geltend; schon die „Art de verifier les dates“ (1. Ausgabe 1750)
machte ins einzelne gehende Angaben über die Finsternisse seit Christi
Geburt ??).
Das erste bequeme, die Ergebnisse der Theorie vollständig be-
rücksichtigende und doch die zulaßbarsten Abkürzungen einführende
Hilfsmittel zur schnelleren Berechnung der Sonnen- (und Mond-)finster-
nisse lieferte P. A. Hansen mit seinen „Ekliptischen Tafeln“. Er ent-
wickelte die in seiner Theorie auftretenden Größen, welche sonst zum
Teil aus den Sonnen- und Mondtafeln zu berechnen gewesen wären,
in trigonometrische Reihen nach der Zeit??). Mittels dieser Tafeln
erhält man sämtliche Hilfsgrößen, die man zur Ermittelung der näheren
Umstände der Sichtbarkeit einer Finsternis nötig hat. Hansens Analyse
wurde 1881 von T’h. v. Oppolzer genauer wiederholt in seinen Syzygien-
tafeln?®), Da die Oppolzerschen ekliptischen Tafeln auf sorgfältiger
Revision der Grundlagen beruhen und bei ihrer Tabulierung erheblich
mehr Glieder mitgenommen worden sind, als bei den Hansenschen, so
sind sie wesentlich genauer als die letzteren. Ebenfalls auf Hansens
Analyse fußen die Tafeln von P. Lehmann*); sie sind aber genauer als
Hansens Tafeln und reichen von 2500 v. Chr. bis 2400 n. Chr. - Auch
Largeteau’'s Tafeln) leisten, obwohl auf ältere Grundlagen gestüzt,
gute Dienste für die näherungsweise Ermittelung der Sonnenfinster-
21) L’Art de verifier les dates, 1. &d., p. 1—73; 2. e&d., p. 39—89; 3. ed.
tome 1, p. 41—83, umfaßt die in der alten Welt sichtbaren Sonnen- und Mond-
finsternisse seit Christi Geburt bis bzw. 1800, 1900, 2000.
22) Hansen, Ekl. Tafeln (1857) und Hansen, Analyse d. ekl. Tafeln (1863),
23) Oppolzer, Syzygientafeln (1881).
24) Lehmann, Tafeln (1882).
25) Largeteau, tables (1843).
358 VIs3,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
nisse. Da Oppolzers Syzygientafeln besonders für die systematische
Berechnung der Finsternisse für lange Zeiträume geeignet sind, stellte
Oppolzer einen „Kanon der Finsternisse“ ?°) her, welcher für die Sonnen-
finsternisse von 1208 v. Chr. bis 1261 n. Chr. sämtliche Elemente und
für die zentralen unter denselben drei Hauptpunkte der Zentralität
liefert; letztere gestatten unmittelbar eine ungefähre Übersicht des
Hauptgebietes der Sichtbarkeit der Finsternisse.
Die Bestimmung der Zeit und Größe der Verfinsterungsphase für
einen gegebenen Ort (und damit auch der Hauptkurven) hat R. Schram?”)
außerordentlich vereinfacht. Unter Aufgabe des Anspruches auf Ge-
nauigkeit erhält man aus dessen Tafeln mittels weniger Rechnungs-
operationen unter Zugrundelegung der Elemente des Oppolzerschen
Kanons (oder auch näherungsweise richtig mittels aus den Tafeln
selbst erlangbarer Elemente) für jeden gegebenen Ort mit einer zu
historischen Zwecken mehr als hinreichenden Genauigkeit Zeit und
Größe der Phase. Auch auf Newcombs Tafeln®) ist noch zu ver-
weisen.
Zur Darstellung der historischen Sonnenfinsternisse, namentlich des
Altertums, reichen die Hansenschen Grundlagen der Mondtheorie, auf
welche die Mehrzahl der genannten ekliptischen Tafeln zurückgeht,
bekanntlich nicht ganz aus?”). Th. von Oppolzer hat deshalb in seinen
„Dyzygientafeln“ empirische Korrektionen gegeben, die aus einer pro-
visorischen Ausgleichung einer Anzahl historischer Finsternisse abge-
leitet sind. Der „Kanon der Finsternisse“ ist mit Hinzuziehung dieser
Korrektionen berechnet. F. K. Ginzel hat diese Korrektionen aus 21
mittelalterlichen Finsternissen, für die ein reichhaltiges Beobachtungs-
material vorliegt, und aus einer vom Jahre 71 n. Chr. von neuem ab-
geleitet und einen Anschluß jener Finsternisse an die vorchristlichen
hergestellt®). Diese Korrektionen sind von R. Schram tabuliert wor-
den®!); Günzel hat diese Tafeln zur Berechnung eines ausführlichen
Nachweises sämtlicher zwischen 900 v. Chr. bis 600 n. Chr. innerhalb
des Ländergebietes von 350° bis 50° östl. Länge und 25° bis 50°
nördl. Breite stattgefundenen Sonnenfinsternisse verwendet??). Dieses
26) Oppolzer, Canon (1887).
27) Schram, Tafeln zur Berechn. v. Sonnenf. (1886).
28) Newcomb, Recurrence of solar ecl. (1882).
29) Siehe VIe, 17 (Brown), Erdmond.
30) F. K. Ginzel, Astronomische Untersuchungen über Finsternisse, Wien
Ber. 85 (1882), p. 663; 88 (1883), p. 629; 89 (1884), p. 491.
81) Schram, Reduktionstafeln (1889).
32) Ginzel, Kanon (1899).
7. Die Perioden der Finsternisse. 359
Werk liefert für jeden beliebigen Ort dieses Gebietes Zeit und Phase
und außerdem speziell für Rom, Athen, Memphis und Babylon noch
genauere Angaben.
7. Die Perioden der Finsternisse. Da die Mondbahn gegen
die Sonnenbahn um einen bestimmten Winkel (i = 5088) geneigt
ist, so gibt es zwei Perioden im Jahre, während welcher die Sonne
einmal dem aufsteigenden, das andere Mal dem niedersteigenden Knoten
der Mondbahn auf der Sonnenbahn nahe ist. Ist der Mond gleich-
zeitig einem dieser Knoten nahe, so kann eine Finsternis, Sonnen-
oder Mondfinsternis oder auch beides, in Frage kommen. Diese als
„Finsternisperiode“ bezeichnete kritische Zeit dauert im Durchschnitt
für Sonnenfinsternisse 36 Tage, von denen 18 Tage vor dem Durch-
gange der Sonne durch den Knoten und 18 Tage nachher liegen.
Für Mondfinsternisse beträgt die Finsternisperiode nur 23 Tage, wenn
für diese nur die durch den Kernschatten der Erde verursachten
Finsternisse, die allein genauerer Beobachtung zugänglich sind, in
Betracht gezogen werden. Da die Mondknoten sich nun aber be-
kanntlich rückläufig bewegen, so fällt die Finsternisperiode nicht
immer in denselben Monat, sondern liegt in jedem folgenden Jahre
durchschnittlich 20 Tage früher. Nach etwa 18 Jahren fällt also die
Finsternisperiode wieder in denselben Monat; genauer ist die zwischen
den drakonitischen, d. h. vom Durchgang durch den Mondknoten an ge-
zählten Sonnen- und Mondumläufen bestehende Beziehung die folgende:
242 drakonitische Mondumläufe == 6585,357 Tagen,
19 drakonitische Sonnenumläufe = 6585,780 Tagen,
d. i. nahezu 18 Jahre 10 Tage.
Diese größere Periode von 18 Jahren und 10 oder 11 Tagen (je
nachdem in den 18 Jahren 5 oder 4 Schalttage enthalten sind), nach
deren Ablauf sich die Finsternisse wieder nahezu in derselben Reihen-
folge wiederholen, ist der schon den Alten bekannt gewesene Saros-
zyklus, der ihnen ein Mittel zur Vorhersagung der Finsternisse gab.
Eine bestimmte Finsternis wiederholt sich aber nach Ablauf des Zyklus
nicht zur selben Stunde, sondern, dem Bruchteil des Periodenwertes
entsprechend, 7" 42” später, sodaß die Mitte der Finsternis erst nach
Ablauf von 3 Zykeln annähernd zur selben Stunde eintritt. Da ferner
in einem Zyklus 223 Konjunktionen von Sonne und Mond stattfinden,
die nach diesen 223 Lunationen verflossene Zeit aber nur 6585.3212 Tage,
also etwas weniger als 242 drakonitische Mondumläufe (6585.357 Tage)
beträgt, so findet die 223. Konjunktion von Sonne und Mond statt,
bevor der Mond den Knoten erreicht hat; der Mond ist in diesem
360 VI23,7. F.K.Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
Augenblick noch annähernd $ Grad (genauer 28”) vom Knoten ent-
fernt, sodaß eine bestimmte Finsternis nach Ablauf des Zyklus 4 Grad
weiter vom Knoten entfernt eintritt. Da nun die Finsternisperiode
für die Sonne 36 Tage beträgt, während welcher Zeit die Sonne rund
36° am Himmel zurücklegt, so erhält sich eine Sonnenfinsternis über
rund 72 Zykeln, d.h. für eine Zeit von über 1200 Jahren. Da die
Finsternisperiode für Mondfinsternisse nur 23 Tage beträgt, so er-
halten sich die Mondfinsternisse über eine entsprechend kürzere Zeit
von rund 46 Zykeln oder von nahezu 900 Jahren.
Andere brauchbare d. h. nicht zu große Perioden zur Finsternis-
Vorausbestimmung, welche namentlich für den Fall eines bestimmten
Ortes der Erde sich als nützlich erweisen, behandelt Ginzel°?).
B. Mondfinsternisse.
8. Kriterium für das Stattfinden einer Mondfinsternis über-
haupt. Die Mondfinsternisse können nur um die Zeit des Vollmondes
eintreten. Wie bei den Sonnen-, ist auch bei den Mondfinsternissen
das Stattfinden der Finsternis überhaupt an eine. analoge Bedingung
gebunden, die man durch bloßes Aufzeichnen der Schattenumrisse
sofort erkennt. Die Bedingung ist die, daß die Breite ß des Mondes
gegen die Ekliptik zur Zeit des Vollmondes in bestimmte Grenzen
eingeschlossen ist, und zwar muß dem absoluten Werte nach
"B<(p+r— ro) seci + rg (Kernschatten),
B<(p-+x+ ro) seeöi+ rs (Halbschatten)
Da (p+ x — ro) see i + rg zwischen 51’57” und 64’ 19”,
(p+x+ro)seci + rg zwischen 1°24’32” und 193554” schwankt,
so findet sicher eine Mondfinsternis statt, wenn dem absoluten Werte
resp.
sein.
nach
ß < 51’57” (Kernschatten),
resp.
ß < 1°24'32” (Halbschatten).
In anderen Fällen ist das Stattfinden der Finsternis von den
jeweiligen Werten von p, %, ro, r«, ? abhängig. Da der. Durch-
messer des Kernschattenquerschnittes der Erde in der Mondentfernung
im Mittel 82’ beträgt, so kann der Mond, dessen Durchmesser. im
Mittel nur 32’ beträgt, völlig in ihn eintauchen. Die durch den
Einfluß der Erdatmosphäre eintretende Vergrößerung des Erdschattens*)
33) F.K. Ginzel, Kanon (1899), p. 263.
34) J. Hartmann, Die Vergrößerung des Erdschattens bei Mondfinsternissen,
9. Verlauf einer Mondfinsternis. = 361
um etwa !/,, bewirkt, daß die eben abgeleiteten Grenzwerte der Breite
des Mondes entsprechend zu vergrößern sind.
9. Verlauf einer Mondfinsternis. Wegen der Undeutlichkeit
der Schattengrenze sind die Mondfinsternisse zu genaueren Messungen
nicht brauchbar. Deshalb genügt zur Darstellung ihres Verlaufs eine
graphische Methode resp. eine Näherungsrechnung. Man berechnet aus
den stündlichen Bewegungen von Sonne und Mond die Relativbewegung
des Mondes gegen die Mitte des Erdschattens, d. h. gegen den Gegen-
punkt der Sonne, und zwar kann man dieselbe innerhalb kurzer
Zeiten als gleichförmig betrachten. Zu einer beliebigen Zeit t sind
dann die Längen- resp. Breitendifferenzen von Mond und Schatten-
mittelpunkt:
A=Au,tit Aß=AR-+ Pit,
wo A und ß’ die betreffenden Relativbewegungen bedeuten, und die
Berührungszeiten von Mond und Erdschatten folgen, wenn o der
scheinbare Schattenradius und r; der scheinbare Mondradius ist, aus
der Bedingungsgleichung:
‚ falls äußere Berührung,
” | Pe
tr) = (Ay, + AN) + (AB, + BD; —, falls innere Berührung,
we=z2-+p»-— ro, im Mittel = 41’9”. Zeichnet man sich den
Weg des Mondes gegen den als ruhend gedachten Schatten auf, so
kann man aus dieser Zeichnung sogleich die Positionswinkel der Be-
rührungspunkte, ebenso den Betrag der größten Phase direkt ablesen.
Eine Mondfinsternis ist überall da sichtbar, wo der Mond über
dem scheinbaren Horizont steht, wo also die Zenitdistanz des Mondes
2: <90 — pe + R (wo R = Strahlenbrechung im Horizont), folglich
ist die Sichtbarkeitsbedingung einer bestimmten Phase der Mond-
finsternis für einen Ort der geozentrischen Breite p’ und Länge A,
wenn ® die Sternzeit des ersten Meridians für jene Phase:
C08 2 — sin dg sin 9’ + cos ds cos cos (d — ag — A) > sin (mg — R),
wo «; und dg Rektaszension und Deklination des Mondes sind.
10. Tafeln zur Berechnung von Mondfinsternissen. Die Mond-
finsternisse können in ähnlicher Weise wie die Sonnenfinsternisse aus
entsprechend eingerichteten ekliptischen Tafeln berechnet werden. Die
schon genannten Tafeln von C©. L. Largeteau?®), P. Lehmann”) und
Th. von Oppolzer?®) ermöglichen diese Rechnung ohne weiteres. Die
Leipzig Ges. Wiss. Abh. 17 (1891), p. 363; H. Seeliger, Die scheinbare Ver-
größerung des Erdschattens bei Mondfinsternissen, Münch. Abh. 19, Abteilung 2
(1896), p. 35.
362 VI2,7. F.K.@Ginzel und A. Wilkens. Theorie der Finsternisse.
„Syzygientafeln“ von Th. von Oppolzer*?) gestatten den Übergang von
den für die Konjunktion des Mondes ermittelten Elementen zu denen
für die Opposition, indem man an die Elemente nur entsprechende
Korrektionen anzubringen braucht. Oppolzer hat ferner für den Fall,
daß nur ungefähre Angaben für die Mondfinsternisse verlangt werden,
durch Zusammenziehung der Argumente die Rechnung noch so ab-
gekürzt®®), daß man die Zeit und Größe der größten Phase und die
Dauer der Finsternis innerhalb kurzer Zeit berechnen kann. Mit
diesen Tafeln sind die 5200 Mondfinsternisse im „Canon der Finster-
nisse“ berechnet worden.
C. Andere Finsternisse und Bedeckungen.
11. Sternbedeekungen durch den Mond. Die Sternbedeckungen
durch den Mond bilden einen speziellen Fall der Sonnenfinsternisse;
man erhält aus deren Theorie die entsprechende für die Stern-
bedeckungen, indem man die Sonnenparallaxe und ebenso den Öffnungs-
winkel des Schattenkegels als verschwindend betrachtet, weil man die
Entfernung der Fixsterne als beliebig groß und den Schattenkegel
deshalb als Zylinder ansehen kann. Dann ist aber der Radius w des
Schattenkreises konstant, gleich dem linearen Mondradius k, sodaß
die Fundamentalgleichung jetzt lautet:
@-’+yw—’—R.
Zur Berechnung der Berührungs-, d. h. in diesem Falle der Ein-
und Austrittszeiten entwickelt man wieder die Koordinaten nach
Potenzen der Zeit # und begnügt sich in erster Annäherung mit den
in # linearen Gliedern. Man reicht aber selten mit nur einer An-
näherung aus, sondern muß deren mehrere machen. Zur Abkürzung
derselben sind deshalb zahlreiche Methoden von Astronomen und
Nautikern angegeben worden®). Besonders bemerkenswert ist ein
von 0. Stechert?”) entwickeltes Verfahren, das die Vorausbestimmung
der Berührungszeiten, die dem Beobachter der Erscheinung im voraus
bekannt sein müssen, durch ein halb numerisches, halb graphisches
35) Oppolzer, Tafeln f. Mondf. (1883).
36) Siehe Abschnitt II (Sternbedeckungen) des Literaturverzeichnisses. Für
die praktische Rechnung vgl. Chauvenet (1900), vol. 1, 83 340—346 und die
Formelzusammenstellung bei W. F. Wislicenus, Handbuch der geographischen
Ortsbestimmungen auf Reisen, Leipzig 1891.
Lehrbuch der Navigation, herausgeg. vom Reichsmarineamt, 3 Bde Berlin
1901 Bd. II p. 372.
37) Stechert, Tafeln für Sternbedeck. (1896) sowie Stechert, Hilfsgrößen (1897).
11. Sternbedeckungen durch den Mond. 363
Verfahren unter Benutzung von Tafeln außerordentlich abkürzt. Wie
bereits erwähnt, führt die Auflösung der Grundgleichung nach der
Zeit auf eine transzendente Gleichung, und zwar bringt Stechert die-
selbe auf die folgende Form:
Ist 6, die Sternzeit der wahren Konjunktion in Rektaszension
für den ersten Meridian, A die Länge des Beobachtungsortes, @’ seine
geozentrische Breite, y die zwischen der wahren Konjunktion für den
ersten Meridian und der für den Beobachtungsort verfließenden Zeit,
A die Rektaszension des bedeckten Sterns, ö, die wahre Deklination
des Mondes im Augenblick der Konjunktion, A« die Rektaszensions-
bewegung des Mondes in 1* mittlerer Zeit, so lautet die für die Zeit
y explizit geschriebene Grundgleichung:
R fnitz
y— (0,0019) con sin (, — A—i-ty),
wo r der lokale Erdradius und P die Äquatoreal-Horizontalparallaxe
des Mondes. Diese transzendente Gleichung für y ist völlig analog
der Keplerschen Gleichung der Planetenbewegung. Setzen wir näm-
lich den Faktor des Sinus gleich e, femer A— 9%, +i=M und
0, —A—ıA+y=e, so geht unsere tranzendente Gleichung über
inse—esine=M, also in die Keplersche Gleichung, wo & der ex-
zentrischen, M der mittleren Anomalie und e der Exzentrizität ent-
spricht. Stechert gibt zur Lösung der Gleichung eine Tafel, die mit
e und M als Argument die Unbekannte & und somit auch % liefert.
Ist y bekannt, so erhält man die Ein- und Austrittszeit mittels der
Relatirbewegung des Mondes gegen den Stern; die Positionswinkel
der Ein- und Austrittstellen am Mondrande erhält man graphisch aus
einer Zeichnung, in der man den Mond als ruhend und den Weg
des Sterns in erster Annäherung als geradlinig betrachtet. In zweiter
Annäherung kann man auch die Krümmung der Bahn berücksichtigen.
Der Nutzen der Sternbedeckungen für die Astronomie besteht in
der Möglichkeit, mittels derselben Längendifferenzen auf der Erde?"®),
ferner die Parallaxe und den Radius des Mondes, genaue Positionen des-
selben und die Sonnenparallaxe zu bestimmen?°’®). Besonders wertvoll
37*) Hierzu von historischem Interesse J. Cassini (le fils), Methode de deter-
miner les longitudes des lieux de la terre par les eclipses des 6toiles fixes et
des planötes par la lune, Paris hist. (2) m&m. 1705, p. 194, sowie L. Euler,
Methode de determiner la longitude des lieux par l’observation d’oceultations
des &toiles fixes par la lune, Berl. hist. 1747. Im übrigen vgl. VIa, 3 (Wirtz),
Nr. 34.
37®) H. Battermann, Beiträge zur Bestimmung der Mondbewegung und der
Sonnenparallaxe aus Beobachtungen von Sternbedeckungen am 6füßigen Merzschen
364 VI3,7. F.K.Ginzel und A. Wikens. Theorie der Finsternisse.
sind für diese Zwecke die Bedeckungen von helleren Sternhaufen
wegen der großen Zahl der Bedeckungen (Plejaden). Schließlich
bieten die Sternbedeckungen auch ein Mittel zur Herleitung der Ab-
plattung des Erdkörpers, eine Aufgabe, die F. W. Bessel?®) kritisch
behandelt hat.
12. Planetenvorübergänge. Wird ein Planet vom Monde be-
deckt oder ein Fixstern durch einen Planeten, so ist die Theorie der
Erscheinung der für die Sonnenfinsternisse resp. Sternbedeckungen
völlig analog. Eine Komplikation des Problems entsteht nur durch
die eventuell ellipsoidische Figur des bedeckten resp. bedeekenden
Planeten und ferner durch die unvollständige Beleuchtung der Planeten-
scheibe®®),. Mit der Bestimmung des Schattens eines ellipsoidischen
Planeten beschäftigten sich Seeliger) und Sowillart*'). Die Fixstern-
bedeckungen durch Planeten dienen einmal zur Herleitung genauer
Planetenörter und ferner zur Untersuchung der Atmosphäre der
Planeten. In dem speziellen Falle einer Bedeckung der Sonne durch
Venus diente die Beobachtung derselben zu der Bestimmung der
Sonnenparallaxe.
13. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen.
Die Theorie der Mondfinsternisse findet ein Analogon bei den Ver-
finsterungen eines Trabanten durch den Schatten seines Hauptplaneten.
Die Beobachtung dieser Finsternisse liefert genaue Daten für die
Bahnbestimmung des Trabanten und hat in diesem Zusammenhang
insbesondere zu der Entdeckung der Lichtgeschwindigkeit geführt. Da
die Zeit des Verschwindens des Trabanten von der Lichtstärke des
Fernrohrs abhängt, so legt man neuerdings photometrisch den Moment
fest, in dem die Helligkeit des Trabanten auf die Hälfte des normalen
Wertes gesunken ist. Man hat auch den Eintritt der Verfinsterung
als Zeitsignal in den Dienst der geographischen Längenbestimmung®?)
Fernrohr; sowie: Bestimmung der Mondlänge, des Mondhalbmessers und der
Sonnenparallaxe: Berlin Sternw. Ergeb. 5 (1891) bezw. 11 (1902). Vgl. VI.s, 3
(Wirtz), Seite 135.
38) Bessel, Analyse der Finsternisse (1842); Bessel, Astron. Untersuch. 2,
p. 227 = Bessel, Abh. 3, p. 423.
39) F. W. Bessel, Über die scheinbare Figur einer unvollständig erleuchteten
Planetenscheibe, Astr. Nachr. 12 (1835), p. 201—214 und p. 217—236 —= Bessel,
Astron. Untersuch. 1 (1841), p. 239 = Bessel, Abh. 1 (1875), p. 327.
40) H. Seeliger, Über den Schatten eines Planeten, Münch. Ber. 24 (1894),
p. 428.
41) ©. Souillart, Sur l’ombre d’une plandte, Astr. Nachr. 91 (1878), p. 129.
42) Vgl. VIa, 3 (Wirtz), S. 114.
13. Finsterniserscheinungen in anderen Trabantensystemen. 365
gestellt. Das seltene Phänomen, daß ein Saturnmond in den Schatten
des Saturnringes kommt#?), ist insofern interessant, als es die Durch-
sichtigkeit des Florrings des Saturn zu messen erlaubt.
Zum Schluß sei auf die Vorausberechnungen der Finsternis-
erscheinungen verwiesen, wie sie in der Literatur vorliegen.
Über den Verlauf der einzelnen Sonnenfinsternisse, Mondfinster-
nisse, Merkurdurchgänge, Sternbedeckungen durch den Mond, Ver-
finsterungen und Bedeckungen im Jupitersystem findet man die aus-
führlichsten Angaben in den betreffenden Jahrgängen der „Connais-
sance des temps“. A. Marth veröffentlichte für die Satelliten des
Uranus (seit 1870), Saturn (seit 1873), Jupiter (seit 1875), Neptun
(seit 1878), Mars (seit 1883) in den „Monthly Notices of the Royal
Astronomical Society, London“ Ephemeriden, die seit 1897 A. C.
D. Crommelin weiterführt.
43) Über die Japetusverfinsterung durch Saturn und sein Ringsystem im
Jahre 1889 vgl. A. Marth, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 49 (1889), p. 427;
H. Buchholz, Astr. Nachr. 137 (1895) p. 241.
(Abgeschlossen im Dezember 1907.)
366 VI2,8 F.K. Ginzel. Chronologie,
V1238 CHRONOLOGIE
VoNX
F. K. GINZEL
IN BERLIN.
Inhaltsübersicht.
1. Einleitung.
2. Tagesbeginn und Tageseinteilung.
3. Wochen.
4. Jahreszeiten.
5. Jahr, Urform desselben.
6. Mond- und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung.
7. Besondere Jahrformen und Zyklen.
8. Epochen (Ären).
Literatur.
I. Ältere Werke.
J. J. Scaliger, De emendatione temporum, Paris 1583, Genf 1629.
S. Calvisius, Opus chronologicum, Leipzig 1605, verschiedene Ausgaben 1629,
1650, 1685.
J.J. Scaliger, Thesaurus temporum, Leyden 1606, Amsterdam 1658.
Dion. Petavius, De doctrina temporum, Paris 1627.
II. Neuere Lehr- und Handbücher.
L. Ideler, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, Berlin
1825 [immer noch Hauptwerk, aber jetzt in den meisten Kapiteln veraltet]
(Ideler, Hdb. (1825)).
W. Matzka, Die Chronologie in ihrem ganzen Umfange, Wien 1844 [eingehende
arithmetische Behandlung der chronologischen Aufgaben] (Matzka, Chr. (1844)).
E. Brinckmeier, Praktisches Handbuch der Chronologie aller Zeiten und Völker,
Berlin 1882.
Wolf, Handb. 1 (1890), p. 598.
H. Grotefend, Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 3 Bde.,
Hannover und Leipzig 1891—98.
W. F. Wislicenus, Astronomische Chronologie, Leipzig 1895.
Valentiner, Handwörterbuch 1 (1897), p. 598—624 [verfaßt von W. F. Wislicenus].
Literatur. i 367
F. Rühl, Chronologie des Mittelalters und der Neuzeit, Berlin 1897.
H. Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der
Neuzeit, 2. Aufl, Hannover und Leipzig 1905.
F.K.Ginzel, Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, I. Bd.:
Zeitrechnung der Babylonier, Ägypter, Mohammedaner, Perser, Inder, Südost-
asiaten, Chinesen, Japaner und Zentralamerikaner, Leipzig 1906 (Ginzel, Handb.
d. Chron. I (1906)).
III. Spezialwerke.
Unter den Spezialwerken, deren es für alle Länder, Völker und Zeiten gibt,
heben wir heraus:
R. Lepsius, Chronologie der Ägypter 1, Berlin 1849,
E. Greswell, Origines Calendariae Italicae, Oxford 1854.
L. M. Lewisohn, Geschichte und System des jüdischen Kalenderwesens, Leipzig
1856.
H. Brugsch, Nouvelles recherches sur la division de l’annde des anciens Egyptiens,
Berlin 1856.
Th. Mommsen, Römische Chronologie, Berlin 1859 (Mommsen, Röm. Chronol. (1859)).
H. Brugsch, Materiaux pour servir & la reconstruction du calendrier des anciens
Egyptiens, Berlin-Leipzig 1864 (Brugsch, Materiaux (1864).
Ph. Huschke, Das alte römische Jahr und seine Tage, Breslau 1869.
A. Schwarz, Der jüdische Kalender historisch und astronomisch untersucht, Bres-
lau 1872.
H. Brugsch, Thesaurus Inscriptionum Aegyptiacarum, vol. 1 u. 2, Leipzig 1883
(Brugsch, Thesaurus Inser. Aegypt. (1883)).
Aug. Mommsen, Chronologie, Leipzig 1883 [betreffend die Griechen, besonders
die Athener].
A. Schmidt, Handbuch der griechischen Chronologie, Jena 1888.
Die Literatur über die Zeitrechnung der Römer, Griechen, Kleinasiaten,
Araber, Perser, Ägypter ist ungemein reichhaltig und in philologischen und orien-
talistischen Fachzeitschriften zerstreut; dieselbe wird jetzt durchwegs in dem
oben unter II zitierten Handbuch der math. u. techn. Chronolog. von F. K. Ginzel
(1906) berücksichtigt.
IV. Tafeln.
F. Wüstenfeld, Vergleichungstabellen der muhammedanischen und christlichen
Zeitrechnung, Leipzig 1854; fortgesetzt bis 1500 H. von E. Mahler.
Th. v. Oppolzer, Canon der Finsternisse, Wien Denkschr. 52 (1887).
H. Grotefend, siehe oben unter I.
H. Jacobi, „On the computation of Hindu-Dates in Inscriptions“, in dem Sammel-
werk „Epigraphia Indica [Archaeological survey of India], edited by J. Bur-
gess, Caleutta 1892—94“, vol. 1, p. 403 und vol. 2, p. 487.
F. K. Ginzel, Spezieller Kanon der Sonnen- und Mondfinsternisse für das Länder-
gebiet der klassischen Altertumswissenschaften, von 900 v. Chr. bis 600 n. Chr.,
Berlin 1899.
R. Schram, Kalendariographische und chronologische Tafeln, Leipzig 1908.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 25
368 VI2,8 F.K. Ginzel. Chronologie,
1. Einleitung. Die Begründung der Chronologie als selbständiger
Wissenschaft durch Scaliger, Petavius, Calvisius"), Dodwell u. a. schließt
etwa mit der Zeit Idelers?) ab. Bis dahin bilden hauptsächlich die
Nachrichten der klassischen Autoren und einzelne den betreffenden
Völkern angehörende Schriftsteller die Quelle, aus welcher man die
Schlüsse über die Beschaffenheit der technischen Chronologie der
Nationen zog. Der großartige Aufschwung, den bald nach Beginn
des 19. Jahrhunderts die Ausgrabungen im Orient und die vielfältigen
archäologischen Funde auf klassischem Boden in der Epigraphik und
überhaupt in der Altertumsforschung bewirkten, hat die Basis der
Chronologie ganz umgestaltet. Jetzt sind die uns erhalten gebliebenen
Dokumente, Münzen, Inschriften, Stein- und Kupferplatten, Denkmäler,
Papyrus usw. das Hauptmaterial, auf Grund dessen man die Chrono-
logie der Völker festzustellen sucht, und die klassischen Autoren
kommen erst in zweiter Linie in Betracht. Daneben ist das Studium
der Festkalender einzelner Nationen und der mit diesen in Verbindung
stehenden Mythologie zur unabweisbaren Notwendigkeit für die Be-
festigung der Chronologie geworden, nicht minder die Berücksichtigung
der Resultate der Sprachforschung. Allein immer noch, trotz großer
Fortschritte in diesen Zweigen, greifen gegenwärtig die wissenschaft-
lichen Bedingungen in der technischen Chronologie noch nicht so
vollkommen ineinander ein, wie zu wünschen wäre, und eben das
tiefere Eindringen mittels der modernen Hilfsmittel hat die Klar-
stellung mancher chronologischer Kapitel, deren Lösung zu JIdelers
Zeit schon nahegerückt schien, auf die Zukunft gestellt.
In der mathematischen Chronologie sind seit den Versuchen von
Gauß, Delambre, Oicolini, Tittel, Matzka?), die Arithmetik resp. Zahlen-
theorie zur Lösung der praktisch vorkommenden Aufgaben zu ver-
wenden, keine besonderen Fortschritte gemacht worden. Dagegen
haben gegenwärtig die mathematischen und astronomischen Hilfsmittel
der Chronologie, die Tafeln‘) zur Verwandlung gegebener Daten
- einer Zeitrechnung in die einer anderen, zur Bestimmung des Datums
der Feste, ferner der Finsternisse, heliakischer Sternaufgänge)??) usw.
einen sehr befriedigenden Stand der Vollkommenheit erreicht.
1) Vgl. das Literaturverzeichnis unter 1.
2) Ideler, Hdb. (1825).
3) Matzka, Chr. (1844).
4) Siehe Abschnitt IV des Literaturverzeichnisses.
5) W. F. Wislicenus, Tafeln zur Bestimmung der jährlichen Auf- und Unter-
gänge der Gestirne, Astr. Ges. Publ. 20 (1892).
2. Tagesbeginn und Tageseinteilung. 3. Wochen. 369
2. Tagesbeginn und Tageseinteilung. Die Ägypter der älteren
Zeit begannen den Tag mit Eintritt der Nacht (nach Sonnenunter-
gang), nach den Inschriften etwa mit der 10. Nachtstunde®), die Baby-
lonier haben, wie es scheint, differierende Taganfänge gehabt, bei
ihren Astronomen bilden Mitternacht oder Sonnenuntergang den
Tagesanfang, die bürgerliche Rechnung war wahrscheinlich nach
letzterer Art”), die meisten nach dem Mondjahre rechnenden Völker
beginnen den Tag mit Sonnenuntergang, die alten Griechen mit der
Morgendämmerung, die späteren Römer mit Mitternacht, die Etrusker
um Mittag.
Rohe Tageseinteilungen, mit liturgischen Gebräuchen in den ältesten
Zeiten entstanden und zum Teil sich bis in spätere Zeit erhaltend,
sind: „nach Gebeten“ (Juden, Mohammedaner) nach Vigilien, „Horen“
(Römer, Mittelalter), Nachtwachen (Chinesen, Juden) u. dgl. Die
älteste genauere Teilung der Tag- und der Nachthälfte ist die in
12 Stunden, wahrscheinlich von den Babyloniern oder Ägyptern be-
gründet. Auf alten ägyptischen Denkmälern erscheinen schon die
12 Sonnenscheiben, symbolisch die Tagesphase ausdrückend. In den
astronomischen Tafeln der Babylonier ist überall Sexagesimalteilung
des Tages angewendet, bei den Griechen, Römern Zwölfteilung. Zu
unterscheiden sind die @o«ı zaugıxel (horae temporales) der Alten von
den »ocı lonusgıvei (horae aequinoctiales); die ersteren bezeichnen die
natürlichen Tagesstunden, d. h. die Zwölftel des Tagbogens der Sonne
je nach dessen Länge, sind also nach der Jahreszeit länger und kürzer;
sie waren allgemein in Gebrauch; die anderen, gleichteiligen Stunden,
kommen fast nur bei Astronomen vor (Piolemäus). Die späteren Juden
teilen so: 1 Stunde = 1080 chelakim, 1 chelak = 76 regaim (sexage-
simale, von den Babyloniern übernommene Teilung). Bei den Indern
treten mehrere Systeme auf, zum Teil auf Sexagesimalteilung be-
ruhend; der Tag = 60 ghati, 1 ghati = 60 vinadi, 1 vinadi = 60
prana, mit diversen Varianten und weiteren Unterabteilungen, die in
arithmetische Spielerei ausarten.
3. Wochen. Die siebentägige Woche ist sicher vorderasiatischen
Ursprungs®); sie ist durch die Juden zu den Arabern verbreitet
6) Brugsch, Thesaurus Inser. Aegypt. (1883), vol. I, p. 185; Brugsch, Mate-
riaux (1864), p. 103.
7) F. X. Kugler, Babylonische Mondrechnung, Freiburg i. Br. 1900, p. 114,
192, 201. |
8) Eb. Schrader, Keilschriften nnd altes Testament, 1883, p.19—21; E.Schürer,
Die siebentägige Woche im Gebrauch der christlichen Kirche, Zeitschrift für die
neutestamentlichen Wissenschaften und Kunde des Urchristentums, Bd.6 (1905), p.1.
25*
370 VI2,8. F.K. Ginzel. Chronologie.
worden, die Griechen und Inder erhielten sie vielleicht direkt von
den Babyloniern. Die Namen der Tage entsprechen den sieben alt-
babylonischen Gottheiten von Sonne (Samas), Mond (Sin), Merkur
(Nebo), Venus (Istar), Saturn (Adar), Jupiter (Merodach), Mars (Nergal).
Die 28tägige Woche der Chinesen deutet auf Zerlegung des Mond-
monats (resp. der 28 Mondhäuser) in vier Gruppen. Bei den Ägyptern
finden wir, da für diese das Sonnenjahr bestimmend war, eine andere,
zehntägige Woche, entsprechend den 36, schon in sehr alten In-
schriften auftretenden Dekanen (Schutzgottheiten der Abgestorbenen),
welche in den Sternbildern des Zodiakus (unter Dreiteilung der zwölf
. Zeichen) symbolisiert werden); bei den Römern der alten Zeit weist
der Gebrauch achttägiger Wochenabschnitte (Nundinen) auf das Mond-
jahr!°). Weniger deutlich und nur durch gewisse mythologische Kon-
gruenzen nachweisbar erscheinen Teilungen nach Wochen, z. B. bei
den alten Persern.
4. Jahreszeiten. Ursprünglich unterschieden die meisten Völker
einzelne Jahreszeiten nur nach Maßgabe der klimatischen Beschaffen-
heit ihres Landes, z. B. hatte das nordische und frühmittelalterliche
Jahr nur zwei Hälften, die alten Ägypter unterschieden Sommer,
Winter und Überschwemmungszeit; an den Ursitzen der Indogermanen
(am Indus) hatte man ursprünglich nur hima —= Winter und samä
— Sommer; nachdem sich die Einwanderung über den Punjab aus-
gedehnt hatte, zählte man drei Jahreszeiten, und als die indischen
Arier sich über ganz Indien verbreitet hatten, waren, den sehr ver-
schieden gestalteten Verhältnissen des ausgedehnten Landes ent-
sprechend, im Sprachgebrauch sechs Jahreszeiten eingebürgert. Es
ist bei einzelnen Nationen deutlich an Festen u. dgl. bemerkbar, daß
die ursprünglich den Jahreszeiten gegebenen Namen mit der Zeit
wegen der Verschiebung des Wandeljahres (von 365 Tagen) gegen
das feste (von 365'/, Tagen) ihre Bedeutung geändert haben, z. B.
bei den Ägyptern und Persern. Von der Erkenntnis der vier astro-
nomischen Jahrpunkte (astronomische Jahreszeiten) und von der unter
sich verschiedenen Länge der Jahreszeiten konnte erst bei ziemlich
vorgeschrittener Kenntnis der Astronomie die Rede sein. Die Baby-
lonier kannten im dritten Jahrh. v. Chr. die Längen der astrono-
mischen Jahreszeiten bereits sehr genau'!); sie setzen die Jahrpunkte
auf den achten Grad der Zodiakalzeichen (statt auf den dritten); die-
9) Brugsch, Thesaurus Inser. Aegypt. (1883), vol. 1, p. 131.
10) Mommsen, Röm. Chronol. (1859), p. 228 ff.
11) Kugler”), p. 104.
5. Jahr, Urform desselben. 6. Mond- und Sonnenjahr. 371
selbe Einrichtung findet sich bei den Römern (Oolumella) und, mit
teilweisen Widersprüchen, bei den Griechen (Meton); es ist kaum
noch zweifelhaft, daß die Annahmen der Römer und Griechen auf
babylonischer Überlieferung beruhen. Im Mittelalter finden sich noch
weitere Abirrungen im Anfange der Jahreszeiten von den römischen.
Die Ägypter der Ptolemäer- und Römerzeit unterscheiden vier Jahres-
zeiten und symbolisieren dieselben durch die Sonne (das Utsaauge)
als Kind (Winter, am Sokarfest Geburt der Sonne), als Jüngling
(Frühjahr), als Mann (Sommer, erwachsene Sonne), und als Greis
(Herbst).
5. Jahr, Urform desselben. Die ursprüngliche Form des Jahres
bei den einzelnen Völkern hängt innig mit dem jeweiligen Kultus
zusammen, war aber jedenfalls in Asien vorwiegend das Mondjahr.
Für das einstige Vorhandensein eines theoretischen Jahres von nur
360 Tagen finden sich gewisse Spuren [babylonische und ägyptische
Tempelrechnungen; die besondere, bei den ıneisten vorderasiatischen
Völkern wiederkehrende konstante Trennung der fünf Anhängetage
(Epagomenen) von den 360 Tagen des 365tägigen Jahres u. a.], welche
zu der Annahme berechtigen, daß man zwar nach einem solchen Jahre
in der Praxis nicht rechnete, aber vielleicht bei den Schaltungsversuchen
davon ausging. Daß es bis zur Formulierung des 365 tägigen Wandeljahres
einer erheblichen Zeit bedurfte, beweist die Existenz des altindischen
360tägigen Savanajahrs und anderer Formen, welche in den vedischen
Schriften auftreten!?). Bei den Babyloniern, Arabern, Juden usw. saß
das Mondjahr schon in sehr alter Zeit fest (Mondkultus in Südbabylon,
Arabien, Spuren bei den Juden), während es betreffs der Ägypter der-
zeit noch Streitfrage ist, ob diese nach der Übergangsperiode eines
Naturjahres nicht sofort zum Sonnenjahr von 365 Tagen gelangt sind,
ohne das Mondjahr rechnungsmäßig (außer zu sakralen Zwecken) zu
gebrauchen. In Roms und Griechenlands ältester Zeit bildete das
Mondjahr den Ausgangspunkt, von welchem man durch mancherlei
Reformen zum Sonnenjahre gelangte.
6. Mond- und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. Die
Lichtphasen des Mondes wickeln sich innerhalb des synodischen Mo-
nats = 29° 12” 44” 2:98 — 29453059 ab. Da die bürgerliche Rech-
nung nur nach ganzen Tagen zählen kann, muß der Überschuß von
0°,53059 von Zeit zu Zeit entsprechend eingeschaltet werden, was
12) G. Thibaut, Artikel: „Astronomie, Astrologie und Mathematik“, im
Grundriß der indo-arischen Philologie und Altertums-Kunde, hrsg. von @. Bühler
und F. Kielhorn, 3. Band, 9. Heft, Straßburg 1899.
372 VI2,8 F.K. Ginzel. Chronologie.
durch den Gebrauch hohler und voller Monate (zu 29 und 30 Tagen)
bewirkt werden kann!?). Das freie Mondjahr (ohne Rücksicht auf
den Sonnenlauf) besteht aus Gemeinjahren zu 354 und aus Schalt-
jahren zu 355 Tagen, die in zwölf Mondmonaten untergebracht wer-
den. Das tropische Sonnenjahr, d. h. die Zeit, welche die Sonne be-
darf, um zum Frühlingspunkt (s. S. 19) zurückzukehren, beträgt für
das Jahr 1800 (nach Hansen‘) 365° 5° 48” 46,43. Wird es nur zu
365° angenommen, so entsteht das Wandeljahr, das sich durch Ver-
nachlässigung des Überschusses von 5’ 48” 46°,43 alsbald gegen die
Jahreszeiten verschiebt. Die Berücksichtigung des Überschusses ge-
schah anfänglich durch die Annahme 365/,* (festes Jahr, julianisches
Jahr), späterhin (1582, vgl. Nr. 8) durch ein 365tägiges Jahr mit
entsprechender Einschaltung (Gregorianisches Jahr“)). Das gebundene
Mondjahr entsteht, wenn das Mondjahr mittels Schaltungen in eine
bleibende Übereinstimmung mit dem Sonnenjahre gebracht werden
soll).
13) Die Dauer des synodischen Monats ist
45842976 ( N
= - Tage.
29 56400000 — 8
"777 68
Verwandelt man den in der Klammer”stehenden Bruch in einen Kettenbruch
und ermittelt die Werte der einzelnen Näherungsbrüche, so erhält man der
b , 1:,,.0.::8,,28 422
Reihe nach DW 15’ 17’ 49’ 899
kennen, daß man etwa jeden zweiten Monat hohl anzuwenden haben wird. Eine
viel befriedigendere Schaltung erreicht man mit den Näherungen °’/,, und ®/,,,
nämlich, wenn man unter fünfzehn Monaten sieben hohl sein läßt resp. unter
siebzehn Monaten acht. Der vierte Näherungswert °°/,, gibt bereits den bürger-
lichen Mondmonat nur noch um 2° zu groß.
14) P. A. Hansen et 0. F. R. Olufsen, Tables du Soleil, Copenhague 1853, p.1.
15) Die möglichen Schaltungen gehen aus den Näherungsbrüchen hervor,
die man aus der Kettenbruchentwicklung des Überschusses bestimmen kann.
2092 683 ; ; e
3640000° Der letztere Bruch ergibt die Nähe
; der erste Näherungsbruch gibt die Regel an, nach je
Der erste Näherungsbruch läßt schon er-
Es ist 365° 5? 48” 46°43 — 365
2-00.
4’ 29’ 38’ 128
vier Jahren einzuschalten. Die Näherung °/,,, nämlich daß man innerhalb von
33 Jahren siebenmal nach vier Jahren, einmal nach fünf Jahren einschalten
kann, ist schon ziemlich richtig; der dritte Bruch °/,,,, in 128 Jahren viermal
nach fünf, 27mal nach vier Jahren einzuschalten, gibt die Länge des tro-
pischen Jahres bereits sehr genau.
16) Die entsprechenden Näherungsbrüche gehen hervor aus der Gleichung
rungen
om
trop . Jahr 305 209 26426 „, 458, 42 976
synod. Monat 864 { 864
_ 31556926, 426 _, 939610714
2551442, 976 "2551442976
6. Mond- und Sonnenjahr. Einschaltung, Ausgleichung. 373
Die Babylonier kannten sowohl die Länge des Mondjahrs als des
Sonnenjahrs genau und haben Schaltungsmethoden angewendet; welcher
Art diese waren, ist zurzeit nur für die jüngere Zeit aufgeklärt; nach
Kugler scheint die Lage des Schaltjahrs bei ihnen von der Position des
Neumondes gegen einen festen Punkt des Widders abzuhängen. Die
Entwicklung des gebundenen Mondjahrs (Lunisolarjahrs) kann man am
besten im Zeitrechnungswesen der Griechen beobachten. Anfangs ver-
suchte man die Ausgleichung mittels zweijähriger und vierjähriger
Schaltkreise, im 6. Jahrh. v. Chr. mit der Oktaöteris (von Kleostratos)
— 99 Monate!”), deren Ursprung in sehr alte Zeit zurückreicht und
durch einen 16jährigen Zyklus (in der solonischen Zeit?) verbessert
wurde). Darauf folgte, von Versuchen des Oinopides, Demokritos
u. a. abgesehen, 435 v. Chr. die Aufstellung eines 19jährigen Zyklus
— 6940 Tage = 235 Monate (nämlich 125 volle, 110 hohle)!?) durch
Meton. Obwohl von befriedigender Leistung, fand der Metonsche
Zyklus vermutlich nicht allgemeine Annahme und wurde noch von
Kallippos (aus Kyzikos) verbessert. Dieser fand, daß das Metonsche
Sonnenjahr in 76 Jahren um einen Tag zu lang sei, durch Wegnahme
von Ye Tag brachte er es auf 3654 Tage, seine 76jährige Schalt-
periode enthielt 27759 Tage = 940 Monate, die in der Länge des
synodischen Monats nur einen Fehler von 22°,5 übrig ließ®). Letz-
teren Fehler verbesserte um 125 v. Chr. Hipparch, indem er vier
Der zuletzt angezeigte echte Bruch gibt die Näherungen
ddr Autaaıı) 128: 376 m
rau | ı Folie |
aller Sllr We GREIFT TAT Till
Da das Verhältnis trop. Jahr:synod. Monat=12 + a ist, so würden nähe-
rungsweise p tropische Jahre = (12p + m) synod. Monate. Demnach sind etwa
11 tropische Jahre = 136 synod. Monate (Näherung *,,)
19 ” „= 235 „ ” ” Yo)
334 ” „ =4131 „ ”„ ” le).
17) In der Oktaöteris wurde in 8 Jahren dreimal eingeschaltet, sie enthielt
daher 8-12-+3—= 99 Monate — 8 354° +3.30°— 2922°, ihr mittlerer Mond-
monat war also 2922 :99 — 29°12*21”49°,1, d.h. um 22,2 zu klein, ihr Sonnen-
jahr 2922 :8 — 365'/,%,
18) Die Oktaöteris blieb hinter dem Monde um 1°12*41” zurück, hätte also
eigentlich über 2923!/,* (statt nur 2922°) enthalten sollen. Durch Verdoppelung
der Oktaöteris, auf 16 Jahre» brachte man also die 3 fehlenden Tage ein.
19) Das Sonnenjahr des Metonschen Zyklus enthielt demnach 6940:19
— 3655/,,° (= 365619”, also um 30” zu groß), der Mondmonat 29%/,,7 — 29°
12"45”57° war also um 1”"54° zu groß,
20) Die Periode faßt 4 - 235 Monate 940 Monate oder 4 - 6940 — 1 — 27759.
Der Mondmonat wurde dadurch — 29° 12" 44” 25°,5.
374 VI2,8. F.K. Ginzel. Chronologie.
kallippische Reihen zu einer Periode von 4-76 = 304 Jahren kom-
binierte, und zwar sei dieselbe um einen Tag zu verkleinern, dem-
nach?!) kam hierdurch der synodische Monat auf 29212*”44”2:,55, das
tropische Jahr auf 365°5”55”15°,47, wodurch die beste Übereinstim-
mung des Mondjahrs mit der Sonne erreicht war. — Die Römer be-
dienten sich seit des 3. Jahrh. v. Chr. eines 24jährigen Schaltzyklus,
welcher aber im Lauf der Zeit mißverstanden und zu willkürlichen
Schaltungen benutzt wurde; die hieraus entstandene Kalenderverwirrung
beseitigte Julius Caesar durch Einführung des festen Sonnenjahres.
Das freie Mondjahr hat sich bei den Mohammedanern erhalten.
7. Besondere Jahrformen und Zyklen.
a) Sothisperiode. Der Sirius (Isis-Sothis der Ägypter) ging im
Altertum für die mittlere Breite Ägyptens am 1. Thoth (20. Juli)
heliakisch??) auf; da um dieselbe Zeit der Beginn der Nilschwelle fiel,
wurde dieses Datum für die Ägypter bestimmend, ihr Wandeljahr um
diese Zeit anzufangen. Die Periode faßt 1460 julianische Jahre, das
Wandeljahr kehrt, da es alle vier Jahre um einen Tag zu kurz ist,
nach Ablauf der Sothisperiode wieder zum selben Datum zurück. Wenn
die Angabe Censorins, daß am 20. Juli 139 n. Chr. ein heliakischer
Aufgang des Sirius stattfand, riehtig ist, müßten 1322 v. Chr. und
2782 v. Chr. ebensolche Aufgänge stattgefunden haben; Oppolzer hat
aber die Verkürzung der Sothisperiode nachgewiesen®®). Die Existenz
der Sothisperiode als Rechnungszyklus läßt sich bisher aus den ägyp-
tischen Inschriften nicht erhärten, dagegen sind etwa vier Daten in-
schriftlich bekannt, welche zu heliakischen Siriusaufgängen das gleich-
zeitige Datum des Wandeljahrs angeben.
b) Setperiode (von 30 Jahren), eine in ägyptischen Inschriften
öfters nachweisbare Periode, Apis-Zyklus (25 Jahre), Phönix-Periode
(nach Herodot”*) 500 Jahre), alle drei ohne chronologische Verwertung.
c) Saren und Sossen der Babylonier, früher einseitig als Multipla
von 60 Jahren (600 resp. 3600 Jahre) verstanden, nach den neueren
Forschungen aber überhaupt als terminologische Ausdrücke gewisser
Stufen in sexagesimalen Systemen zu betrachten. — Der 60jährige
Jahreszyklus der C'hinesen (auch zur Zählung der Tage und Monate
gebraucht) ist der Rest einer solchen Sexagesimalteilung. Jedes Jahr
21) 4- 940 Monate = 3760 Monate = 4 : 27 759° — 1° — 111.035°.
22) Der heliakische Aufgang (jährliche Aufgang) eines Gestirns ist derjenige
Tag im Jahre, an dem das Gestirn erstmalig in der Morgendämmerung dem
bloßen Auge erkennbar wird. Vgl. Ginzel, Handb. d. Chron. I (1906), p. 186.
23) Th. v. Oppolzer, Wien Ber. 90 1884°.
24) Herodot, II 73.
7. Besondere Jahrformen und Zyklen. 375
dieses Zyklus, welcher gewissermaßen die Epoche der Zählung ver-
tritt, hat einen besonderen Namen. Der Ursprung des 12-teiligen
Tierzyklus der Ostasiaten ist noch nicht befriedigend aufgeklärt.
d) Große Jahre. Bei den klassischen Schriftstellern (Diodor,
Plutarch, Solinus und vielen anderen) und inschriftlich (bei den
Ägyptern als heh- und hunti-Perioden) auftretende Zyklen von 216,
12954, 36000 und anderen Jahren, die in ihrer Entstehung größten-
teils auf Kombinationen von sexagesimalem Aufbau und Schaltungen,
und auf Mond- und Sonnenjahren (in manchen Fällen auch auf Planeten-
jahren, d. h. Umlaufszeit eines Planeten um die Sonne) beruhen (Plato-
nische Jahre).
e) Jupiterjahre. Speziell auf Indien beschränkt, aber wahrschein-
lich von babylonischer Herkunft?®). Fünf Jupiterumläufe machen un-
gefähr einen 60 jährigen Zyklus (59'/, Jahre). Der Gebrauch dieses
60jährigen Zyklus beschränkt sich auf Nordindien; die einzelnen Jahre
desselben haben (wie der 60jährige Zyklus der Chinesen) besondere
Namen. Noch älter in Indien scheint ein 12jähriges Jupiterjahr zu
sein (Jupiter nimmt etwa alle 12 Jahre dieselben Stellungen am Stern-
himmel ein), welches sich vorzugsweise nach den heliakischen ??) Auf-
gängen des Jupiter richtet.
f) Sonst vorkommende Jahrzyklen: Lustrum (ursprünglich 4-,
dann 5jährig), Yuga (5jährig), Sabbathjahr (alle 7 Jahre), Jubeljahre,
goldene Jahre (bei den Christen und Juden) und andere.
8) Indiktionen, Sonnen- und Mondzirkel. Der erstere Zyklus ist
eine künstlich (aus Schatzungs- oder Steuerperioden?) gebildete Reihe
von 15 Jahren, die gegen Ende des 3. Jahrh. n. Chr. in chronologischen
Gebrauch gekommen ist. Es gibt dreierlei Arten der Indiktionen
(Römerzinszahl, kaiserliche Zahl, a. Zeichen): Die griechische (byzan-
tinische) [mit 1. September anfangend], die konstantinische (kaiserliche)
[beginnend mit 24. September] und die römische (päpstliche) Indiktion
[mit 1. Januar beginnend]. — Sonnenzirkel heißt im julianischen Ka-
lender die Periode von 28 Jahren (7 vierjährigen Schaltkreisen), nach
deren Ablauf die Wochentage wieder auf denselben Monatstag zurück-
kommen. — Da 19 tropische Sonnenjahre nahe gleich 235 synodischen
Mondmonaten sind'®), so gehen die Mondphasen nach 19 Sonnenjahren
ungefähr auf dieselben Jahrestage zurück; dies ist der Mondzirkel,
die Stellung eines Jahres in demselben wird durch die güldene Zahl
25) Den Babyloniern waren, wie aus aufgefundenen astronomischen Tafeln
derselben hervorgeht, die Perioden der Rückkehr der Planeten in dieselben Him-
melsstellungen gut bekannt.
376 VI2,8. F.K. Ginzel. Chronologie.
(numerus aureus) bezeichnet (im gregorianischen Kalender wird die
goldene Zahl durch die Epakte ersetzt).
h) Osterzyklen. Nach 283 Mondzirkeln (zu 19 Jahren), also nach
532 Jahren, fallen im julianischen Kalender die Mondphasen wieder
auf dieselben Wochentage, diese Periode (Osterperiode, eyclus paschalis)
eignet sich daher zur Bestimmung des christlichen Osterfestes, wel-
ches am ersten Sonntage nach dem ersten Frühjahrsvollmonde zu
feiern ist). Es gibt mehrere Osterzyklen, die sich durch den Anfang
der Periode voneinander unterscheiden (Anianus, Vietorius, Dionysius,
Exiguus).
8. Epochen (Aeren). Die Anfangspunkte, von denen die Jahre
gezählt werden, sind überaus verschieden und zahlreich; wir können
hier nur einige Andeutungen geben. — Olympiaden (4jährig, Epoche
Sommer 776 v. Chr.), mit Varianten. — Jahre der Stadt (Rom), u. c.
(urbis conditae) [varronisch gerechnet vom 1. Januar 753 v. Chr,,
.capitolinisch ein Jahr später]. — Weltaeren (des Panodors, die Alexan-
drina und Byzantina), die konstantinopolitanische [Epoche 1. September
5509 v. Chr.], die jüdische Weltaera [3761 v. Chr.], Aera Nabonassars
[747 v. Chr.]. — Die altpersische Aera Jezdegird und die neuere Dsche-
laleddins. Die Hedschra [Epoche 16. Juli 622 n. Chr. (Volkskalender)] —
Julianische Periode [Epoche 1. Januar 4713 v. Chr.]. — Die christliche
(nach Jahren von der Geburt Christi ab zählende) Zeitrechnung kam
durch die Ostertafel des Dionysius im 6. Jahrh. in Gebrauch. Bis 1582
n. Chr. wurde die julianische Schaltung gebraucht, und da um diese
Zeit das julianische Datum schon um 10 Tage gegen das wahre zurück-
geblieben war, durch Gregor XIII. eine Schaltungsreform eingeführt
(alter oder griechischer, julianischer Stil, neuer oder gregorianischer Stl).
26) Eine Regel zur Berechnung des gregorianischen Osterfestes gab 0. F.
Gauß, Monatl. Corr. 2 (1800), p. 121 = Werke 6 (1874), p. 73, dazu Nachtrag in
Tübinger Z. für Astr. 1 (1816), p. 158. Vgl. Wolf, Handb. 1, p. 622.
(Abgeschlossen im Juli 1910.)
B. MECHANIK DES HIMMEILS.
VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen. 379
VI2,9. BAHNBESTIMMUNG DER PLANETEN
UND KOMETEN.
Von
G. HERGLOTZ
IN LEIPZIG.
Inhaltsübersicht.
I. Keplersche Bewegung.
1. Keplersche Gesetze.
2. Elemente der Bahn.
8. Koordinaten eines Ortes.
4. Bestimmung der wahren Anomalie.
5. Lambertsches Theorem.
6. Verhalten der Koordinaten im komplexen Gebiet.
II. Vorläufige Bahnbestimmung.
a) Planetenbahnen.
7. Formulierung der Aufgabe.
8. Grundgleichungen.
9. Herstellung der Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse. Erforderliche Genauigkeit.
10. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse.
11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen.
12. Methode von Laplace. Satz von Lambert.
13. Bestimmung der Elemente aus zwei vollständigen Orten.
14. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen.
15. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen.
16. Bestimmung einer Kreisbahn.
b) Kometenbahnen.
17. Formulierung der Aufgabe. Grundgleichungen.
18. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen nach der Methode von
W. Olbers.
19. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen.
20. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen.
21. Ausnahmefälle. Methode von Gauß.
22. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration.
380 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
III. Definitive Bahnbestimmung.
23. Allgemeine Formulierung der Aufgabe.
24. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte.
25. Differentialquotienten der geozentrischen Koordinaten nach den Elementen.
26. Methoden mit Bevorzugung zweier Orte.
Literatur.
Lehrbücher und Monographien.
©. F. Gauß, Theoria motus corporum coelestium in sectionibus conicis solem
““ambientium, Hamburgi 1809 — 0. F.Gauß, Werke 7. Deutsch von O. Haase,
” Gotha 1877 (Gauß, Theoria motus).
J. Frischauf, Theorie der Bewegung der Himmelskörper, Graz 1868. 2. Aufl.
unter dem Titel: Grundriß der theoretischen Astronomie, Graz 1871.
J. Frischauf, Die Gauß-Gibbssche Methode der Bahnbestimmung eines Himmels-
körpers aus drei Beobachtungen; mit einem Anhang zum „Grundriß der theo-
retischen Astronomie“, Leipzig 1905.
JÖ. Watson, Theoretical astronomy, Philadelphia 1868. 2. ed. 1877. 3. ed. 1881
(Watson, Theor. astr.).
W. Klinkerfues, Theoretische Astronomie, Braunschweig 1871. 2. Aufl. bearb.
von H. Buchholz, 1899. (Klinkerfues-Buchholz, Theor. Astr.).
T. von Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Planeten und Kometen,
Band 1, Leipzig 1870. 2. Aufl. Leipzig 1882 (2. Aufl. Oppolzer, Bahnb. 1).
Französisch von E. Pasquier, Paris 1886. Band 2, Leipzig 1880 (Oppolzer,
Bahnb. 2).
F. Tisserand, Legons sur la determination des orbites, red. par J. Perchot,
avec une preface de H. Poincare, Paris 1899.
J. Bauschinger, Tafeln zur theoretischen Astronomie, Leipzig 1901 (Bauschinger,
Tafeln).
J. Bauschinger, Die Bahnbestimmung der Himmelskörper, Leipzig 1906.
Journal-Literatur und anderes.
J. H. Lambert, Insigniores orbitae cometarum proprietates, Aug. Vindel. 1761.
Deutsch hrsg. v. J. Bauschirger in Ostwalds Klassikern der exakten Wissen-
schaften Nr. 133, Leipzig 1902 (Lambert, Insign. propr. 1761).
J. L. Lagrange, Sur la determination des orbites des com6tes d’aprös trois ob-
servations, Drei Abhandlungen in Berlin Mem. 1778, p. 111, 124; 1783, p. 296
— Oeuvres 4, p. 439, 451, 496.
P. S. Laplace, M&moire sur la determination des orbites des com6tes, Paris Hist.
(1780) M&em. p. 13 = Oeuvres 10, p. 93.
W. Olbers, Abhandlung über die leichteste und bequemste Methode die Bahn
eines Kometen zu bestimmen, hrsg. v. F. v. Zach, Weimar 1797. 2. Aufl.
v. J. F. Encke, Weimar 1847. 3. Aufl. v. J. Galle, Leipzig 1864 = W. Olbers,
Werke 1], p. 3—56 (Olbers, Abh. über Kometenbahnen).
J. F. Encke, Bestimmung einer elliptischen Bahn, Berliner astronomisches Jahr-
buch für 1854. Hrsg. von J. Bauschinger in Ostwalds Klassikern der exakten
Wissenschaften Nr. 141, Leipzig 1903.
1. Keplersche Gesetze. 2. Elemente der Bahn. 381
P. A. Hansen, Bestimmung der Bahn eines Himmelskörpers. Leipzig Berichte
1863, Bd. 15, p. 83. Hrsg. von J. Bauschinger in Ostwalds Klassikern der
exakten Wissenschaften Nr. 141, Leipzig 1903.
E. Weiß, Über die Bestimmung der Bahn eines Himmelskörpers aus drei Beob-
achtungen, Wien Denkschr., Band 60, Wien 1893, p. 345.
K. Zelbr, Artikel „Bahnbestimmung“ in W. Valentiner, Handwörterbuch der
Astronomie (Enzyklopädie der Naturwissenschaften 3 (2)), Breslau 1897, p. 452.
O. Callandreau, Apergues des möthodes pour la determination des orbites, Paris
Ann. de l’Obs., mem. 23, Paris 1902.
P. Harzer, Bestimmung und Verbesserung der Bahnen von Himmelskörpern.
Publicationen der Sternwarte zu Kiel, Nr. 11, Kiel 1901.
Bibliographie in W. Valentiner, Handwörterbuch der Astronomie, Artikel „Bahn-
bestimmung‘“ von K.Zelbr. Ferner bei R. Radau, Paris Bull. astr. 16 (1899),
p- 432.
I. Keplersche Bewegung.
l. Keplersche Gesetze. Werden durchgehends die Massen der
Planeten und Kometen gegenüber derjenigen der Sonne als sehr klein
vernachlässigt, so wird die dadurch idealisierte Bewegung eines solchen
Himmelskörpers bezüglich eines zur Sonne festen Koordinatensystems,
die Keplersche Bewegung, vollständig durch die folgenden drei „Kepler-
schen Gesetze“ beschrieben:
1. Die Bewegung erfolgt in einer durch die Sonne gelegten
Ebene so, daß die vom Radiusvektor überstrichene Sektorfläche der
Zeit proportional wächst.
2. Die Bahn ist ein Kegelschnitt, in dessen einem Brennpunkt
sich die Sonne befindet (bei der Hyperbel in jenem, gegen welchen zu
die Bahnkurve konkar ist).
3. Der Quotient der vom Radiusvektor in der Zeiteinheit über-
strichenen Sektorfläche durch die Quadratwurzel aus der Länge des
Parameters des Kegelschnittes hat für alle Himmelskörper denselben
Wert.
Das Doppelte der durch das dritte Gesetz gegebenen, dem Sonnen-
system eigentümlichen Zahl, die sogenannte Gaußsche Konstante k, hat
in astronomischen Einheiten ausgedrückt den Wert k = 0,0172021.
Vgl. den Artikel V 2 (Zenneck;).
2. Elemente der Bahn. Um mit Hilfe dieser drei Gesetze den
Ort des Planeten für eine beliebige Zeit zu bestimmen, ist die Kennt-
nis der Lage und Gestalt des Kegelschnittes sowie die Kenntnis des
Ortes in der Bahn zu einer bestimmten Zeit (Epoche) erforderlich,
also die Angabe von 2+3-+1=6 Größen, den sechs Bahnelementen.
Die Lage der Bahnebene wird bei der üblichen Wahl des ekliptikalen
382 VIa,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Koordinatensystems festgelegt durch ihre Neigung ö gegen die Ekliptik
und den Winkel N ihrer Schnittgeraden mit der Ekliptik (Knoten-
linie) gegen die Frühlingsnachtgleichenlinie, die Knotenlänge N. Hier-
auf ist die Lage des Kegelschnittes in seiner Ebene gegeben durch
den Winkel x, welchen der kürzeste Radiusvektor (Apsidenlinie) mit
der Knotenlinie einschließt, statt dessen mitunter der gebrochene
Winkel 9 —=x-+9%, die Perihellänge, eingeführt wird. Die Gestalt
des Kegelschnittes ist charakterisiert durch die Länge |a| der großen
Halbachse, und die (numerische) Exzentrizität e, mit denen der Para-
meter » und der kürzeste Radiusvektor g (Periheldistanz) zusammen-
hängen durch:
(1) p=all—e), g—all—e)
Hiebei möge, um Ellipse und Hyperbel durch die gleichen Formeln
zu beherrschen, für erstere «>0, für letztere a<O genommen
werden. Die Angabe des Ortes zu einer bestimmten Zeit wird ge-
leistet durch Angabe des Zeitpunktes Z,, zu welchem sich der Himmels-
körper gerade im Perihel befindet, der Perihelzeit.
Aus den Koordinaten x, y, z und Geschwindigkeitskomponenten
&%, Y, 2 zu irgend einem Zeitpunkt berechnen sich die Elemente so-
fort vermöge der Flächensätze und der Laplaceschen?!) Integrale:
a=yi—el, Ah=2u— ui,
(2) g=ei—u, h=yu— u,
(z =IYy— y&, a =:zu — u,
a . K®
u—rf, ua=V7’——,
“
in denen c,, &, c, die Komponenten eines zur Bahnebene normalen
Vektors der Länge k Yp sind, f}, fs, f; aber diejenigen eines in der
Apsidenlinie liegenden Vektors der Länge K?e.
Den Charakter der Bahn gibt unmittelbar das Vorzeichen der
aus der Energiegleichung
8) n-#-#
folgenden Größe a.
3. Koordinaten eines Ortes. Ein beliebiger Ort des Himmels-
körpers ist nun fixiert durch den in Richtung der Bewegung ge-
zählten Winkel des Radiusvektors gegen die Apsidenlinie, die wahre
Anomalie v, aus welcher der Radius selbst folgt, durch:
12, HE —e)
(4) ET
1) P. 8. Laplace, Me. e&l. 1 (= Oeuvres 1), p.181. Über die geometrische
Bedeutung vgl. @. Darboux, Paris Bull. Astr. 5 (1888), p. 89. :
3. Koordinaten eines Ortes. 383
Ihren Zusammenhang mit der Zeit gibt das erste und dritte Keplersche
Gesetz, angewandt auf den Sektor zwischen dem Radiusvektor und der
Apsidenlinie, wobei man aber den Sektor nicht direkt durch v, sondern
einfacher mittels des vermöge:
1 l— 1
di tan. E= Vi tang .®,
i y1—e’sinv e-+ cos®
— Ss = —
sin E 1-ecosv ? cos E 1-+ecosv
mit v zusammenhängenden Hilfswinkels E, die exzentrische Anomalie
ausdrückt, und hiedurch aus dem ersten und dritten Gesetz die Kepler-
sche Gleichung erhält:
(6) SZ) — B—esinE,
a
nebst:
(7) r=a(1— ecos E).
Man pflegt zu setzen:
(8) ei nt —t)=M, M+o=1
ja
und n als mittlere tägliche Bewegung, M als mittlere Anomalie, I als
mittlere Länge zu bezeichnen. Bei Planetenbahnen wird ferner statt
der Durchgangszeit durch das Perihel {, die mittlere Länge zur
Epoche (= 0) eingeführt:
(9) e=Dd —nt.
Bei der Hyperbel ist, wofern in (6) Yl—e=-+iVe—1 ge-
wählt wird, in (6) Va—= — iY—.a zu setzen. Da in diesem Fall
E rein imaginär wird, empfiehlt es sich einen reellen, durch:
(10) tang E = — itang u
ev sin#—=—itangE, csf=
cos E
bestimmten Hilfswinkel F, den sogenannten Lambertschen Winkel?)
von = einzuführen, wonach (6) in:
7
3%
(11) n(t — t,) = e tang F — log nat tang (5
übergeht.
Für die Parabel ist _—0, 1— e=0, aber a1—e)—g zu
setzen, so daß aus (6) folgt:
kKa—t) __ 1 1 ar
(12) 777. Fesseln Aerandl 5 ı.
2) Vgl. VIa, 3 (Wirtz) Seite 150, Fußnote 330.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 26
384 VlIs2,9. G@. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
E. Halley°) wählte -5,
Flächeneinheit und bezeichnete die in dieser Einheit gerechnete Sektor-
fläche:
75%
13 M= t—1
(13) VE d—%)
3
des rechtwinkligen Parabelsektors als
als „motus medius“ in der Parabel. Zugleich gab er als erster eine
Tafel für v mit M als Argument. Diese Definition von M hat sich
noch bei einigen späteren Autoren erhalten, während Th. v. Oppolzer
und J. Bauschinger einfach
4) M=',°
q
setzen, dessen Logarithmus bereits J. ©. Burckhardt“) als Argument
einer entsprechenden Tafel wählt. — Ist v und damit r für den ge-
wünschten Zeitpunkt bestimmt, so sind damit auch die Koordinaten
des Himmelkörpers gegeben. Die auf ein beliebiges heliozentrisches
System bezogenen rechtwinkligen Koordinaten setzt ©. F. Gauß?), mit
uw=v+za=0v+59— N das Argument der Breite bezeichnend, in
die Form:
x=rsinasin(4A-+ u)
(15) y=rsinbsin(B-+ u)
z2=rsinesn(C+ u),
worin die Gaußschen Konstanten a, b, c und A, B, © sich bzw. mit
den auf die Bahnebene und die Knotenlinie als Anfangsrichtung be-
zogenen Breiten und Längen der Koordinatenachsen zu 90° ergänzen.
4. Bestimmung der wahren Anomalie. a) Numerische Nähe-
rungsmethoden. Die numerische Auflösung der Gl. (6) geschieht bei
Bahnen geringer Exzentrizität am raschesten durch sukzessive Appro-
ximation nach der Newtonschen Näherungsmethode. Als Ausgangs-
näherung kann M oder der von J. F. Encke®) vorgeschlagene und von
N. Herz”) verbesserte Wert dienen. Hilfstafeln geben insbesondere
Th. v. Oppolzer?), J. J. Astrand”), F. Tietjen!).
3) E. Halley, A synopsis of the astronomy of comets, Lond. Phil. Trans. 1705,
4) J. C. Burckhardt, Conn. d. temps pour l’an 1818 (1815), p. 319.
5) ©. F. Gauß, Monatl. Corr. 9 (1804), p. 385 —= Werke 6, p. 94.
6) J. F. Encke, Astr. Nachr. 30 (1850), p. 277.
7) N. Herz, Astr. Nachr. 99 (1881), p. 31.
8) Th. v. Oppolzer, Wien Denkschr. d. k. Akad. 50 (1885), p. 185.
N) JI.J. Ästrand, Hilfstafeln zur leichten und genauen Auflösung des Kep-
lerschen Problems, Leipzig 1890.
10) F. Tietjen, Berlin. Veröff. d. k. Recheninst. n° 1 (1892).
4. Bestimmung der wahren Anomalie. 385
Die Auflösung der bei parabolischen Bahnen auftretenden Glei-
chung (12) kann direkt der sogen. Barkerschen Tafel!!) entnommen
werden, welche M mit dem Argumente v gibt. Liegt jedoch v nahe
an 180°, so wird der großen Interpolationsdifferenzen halber ihr Ge-
brauch beschwerlich, und man hat sich dann des besonderen von
F. W. Bessel“?) und B. Nicolai'?) ausgebildeten Verfahrens zu bedienen;
®
2
die Gl. (12) durch eine einfachere und tabulieren die Korrektion für
den so bestimmten Näherungswert als Funktion desselben. Den um-
gekehrten Weg, v mit dem Argument M zu tabulieren, hat J. C.
Burckhardt‘*) eingeschlagen, dann U. J. Leverrier'?) und 0. F. Gauß"®),
der auch besondere Vorschriften!”) für große v gibt. Ebensolche
Tafeln gibt J. Bauschinger“?). Die Verfahren, welche zur Bestimmung
der wahren Anomalie für der Einheit benachbarte Exzentrizitäten
dienen, sind gleicherweise gültig, mag e wenig kleiner oder größer
als 1 sein, und umfassen daher auch die nahe parabolischen
Hyperbelbahnen, welche die einzigen bei Kometen auftretenden
Hyperbelbahnen sind. Das jenen Verfahren zugrunde liegende
Prinzip ist, die mit einem passend gewählten Faktor versehene
mittlere Anomalie als das M der Gleichung (12) zu nehmen, und
dann die Korrektion, welche dem aus ihr folgenden Werte von v
hinzuzufügen ist, nach Potenzen einer mit 1 —e verschwindenden
Größe zu entwickeln. Die Berechnung der Korrektion wird dann
wieder durch Tafeln erleichtert. Das zuerst von L. Euler'?) angegebene
Verfahren wurde von W. Bessel?”) weiter durchgeführt, eine von Th.
sie ersetzen mit Rücksicht auf den dann sehr kleinen Wert von ctg
11) Th. Barker, Account of the discoveries concerning comets, London 1757.
R. Luther hat das Intervall von 5’ auf 100” reduziert, und die Tafel wurde der
F. Enckeschen Ausgabe (Weimar 1847) von Olbers, Abh. über Kometenbahnen
angehängt. Auch in Watson, Theor. astr. (Intervall 1”) (Tafel 6) und von J. Strobel
neu berechnet in Oppolzer, Bahnb. 1 (1882) (Intervall 10”) (Tafel 4).
12) F.W. Bessel, Astr. Nachr. 22 (1845), p. 253 = Ges. Abh. 1, p. 12. Vgl.
Oppolzer, Bahnb. 1, wo von A. Palisa berechnete Tafeln (a. a. O. Tafel 5a und
5b) zu Bessels Methode abgedruckt sind. (Zuerst veröffentlicht Berlin Ber. 1880,
p- 511.)
13) B. Nicolai, Astr. Nachr. 21 (1844), p. 77.
14) P. 8. Laplace, Meec. cel. trans. b. Bowditch, vol. 3.
15) U. J. Leverrier, Paris Ann. de l’obs. 1, (1885), p. 226, auch in C. F.
Gauß Theoria motus, dtsch. v. Haase, p. 24.
16) ©. F. Gauß, Werke 7, p. 351 (Nachlaß).
17) C. F. Gauß, Astr. Nachr. 20 (1843), p. 299 = Werke 6, p. 191.
18) J. Bauschinger, Tafeln, Nr. 15.
19) L. Euler, Misc. Berol. 7 (1743), p. 1 (Determ. orb. com. A. 1742 obs).
20) W. Bessel, Monatl. Corr. 12 (1805), p. 197 = Ges. Abh. 1, p. 9.
26*
386 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
v. Oppolzer?‘) herrührende veränderte Form desselben von R. Schramm
und F. K. Ginzel??) ausgearbeitet. Ein ähnliches Verfahren gibt
F. Brünnow ®).
Das Gaußsche Verfahren*) bestimmt die Korrektion nicht durch
Reihenentwicklung, sondern durch sukzessive Approximation, deren
Konvergenz auf der Kleinheit von E beruht. Eine vergleichende Be-
trachtung verschiedener Verfahren gibt R. Radau?).
Betreffs der numerischen Näherungsmethoden vergleiche man
neben den Kompendien der Bahnbestimmung vor allem die „Tafeln
zur theoretischen Astronomie“ von J. Bauschinger. Eine Bibliographie
des Keplerschen Problems gibt R. Radau?®).
b) Allgemeine Reihenentwicklungen. Lagrange?®) hat, die nach ihm
benannte Reihe auf die Gleichung (6) anwendend, verschiedene Aus-
drücke in der elliptischen Bewegung (z. B. E, r,r cosv, r sin v) nach
Potenzen von e entwickelt, wobei die Koeffizienten endliche trigonome-
trische Reihen in M werden. Diese Potenzreihen konvergieren für
alle reellen Werte von M nur, so lange e kleiner ist als der für reelles
t— ti, genommene Minimalwert og des aus Gl. (23) berechneten |e|.
Für diesen folgt nun:
Vi+e
(16) 1 BC N\
Ii+yite
Diese Grenze wurde zuerst von P. S. Laplace*) aus den asympto-
tischen Werten der Koeffizienten hergeleitet. Von den Autoren, welche
sie dann aus allgemeinen funktionentheoretischen Gesichtspunkten her-
leiteten, seien hier neben den in IIB1 Nr. 15 (Osgood) aufgeführten
Arbeiten über die Lagrangesche Reihe noch V. Puiseux?”) und
21) Th. von Oppolzer, Über die Berechnung der wahren Anomalie in nahe-
zu parabolischen Bahnen, München Abh. 13 (1878), p. 139.
22) Th.v. Oppolzer, Bahnb. 1, p. 65.
23) F. Brünnow, Astr. Notices 1 (1861), p. 12, 177.
24) Gauß, Theoria motus, art. 37 ff. Weitere Hilfstafeln und Zusätze siehe
A. Marth, Astr. Nachr. 43 (1856), p. 115 — Gauß Theoria motus, dtsch. v. Haase
(Anhang), p. 28.
25) R. Radau, Paris Bull. astr. 2 (1885), p. 509.
25°) R. Radau, Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 37.
26) J. L. Lagrange, Berlin Mem. 25 (1771) = Oeuvres 3, p. 113.
27) Bezüglich dieses Wertes vgl. Correspondance d’Hermite et de Stieltjes 1
(1905), p. 433. Mit E wird die Basis der natürlichen Logarithmen bezeichnet.
28) P. S. Laplace, Paris M&m. de l’acad. 6 (1823), p. 61 = Oeuvres 12,
p- 549.
29) V. Puiseux, Journal d. math. 14 (1849), p. 33 und Note 1 zu Lagranges
Mec. analyt. 2 &d. 4 = Oeuvres 12, p. 341.
5. Das Lambertsche Theorem. 387
J. A. Serret) genannt. Ist o<e<1, so konvergieren die Reihen
bloß in gewissen Intervallen um M=(0 und M= 180°. Rascher
konvergierende Umformungen dieser Reihen gibt E. Weiß®'), und T. Levi-
e EVı-e
1+V1 —e
für alle reellen M und |n|<1, also insbesondere alle reellen e<1
konvergieren.
Ordnet man aber, was bereits Lagrange tat, jene Potenzentwick-
lungen nach den Cos und Sin der Vielfachen von M, so erhält man
die für alle reellen M und e<<1 konvergenten trigonometrischen Ent-
wicklungen, mit denen sich zuerst insbesondere W. Bessel?’) eingehend
beschäftigte. Verschiedene dieser Reihen haben einfach Besselsche Funk-
tionen von e zu Koeffizienten. In großer Allgemeinheit hat P. A. Hansen ”*)
die Entwicklungen einer ganzen Reihe von Ausdrücken behandelt.
Explizite Angaben der Reihenentwicklungen verschiedener Größen
findet man bei U. J. Leverrier?) und A. Cayley?®).
Betreffs der weiteren Literatur über beide Arten von Reihen und
die asymptotischen Werte ihrer Koeffizienten vergleiche man das dies-
bezügliche Referat auf p. 93—122 von H. Burckhardt, „Entwicklungen
nach oszillierenden Funktionen“ im Jahresbericht der deutschen Mathe-
matikervereinigung, Bd. 10.
Civita®?) bemerkt, daß die Potenzentwicklungen nach 7 =
5. Das Lambertsche Theorem besagt, daß die zum Durch-
laufen eines Bahnstückes MM’ nötige Zeit 7 bloß von der Summe
r—+- r' der äußeren Radienvektoren, der Sehne s und der großen
Halbachse a der Bahn abhängt, woraus der fertige Ausdruck von 7
selbst durch Spezialisation auf die geradlinige Bewegung, also un-
mittelbar aus den Formeln von Nr. 3 für e=1 folgt.
Es folgt im besondern für die Ellipse (a > 0):
T- (&e — sine) — (Ö — sind),
8 _ a/r+tr4+s . ee ee
in yırire Pr a Werl eng rauen REEL
30) J. A. Serret, Paris. annal. de l’observ. 5 (1859), p. 337.
31) E. Weiß, Wien. Denkschr. d. k. Akad. 49 (1885), p. 133; Auszug Wien
Berichte 90 (1884), p. 785.
32) T. Levi-Civita, Lincei Rend. d. R. Accad. 13 (1904), p. 260.
33) W. Bessel, Berl. Abh. 1816, p. 49 = Ges. Abh. 1, p. 17; Berl. Abh.
1824, p. 1 = Ges. Abh. 1, p. 92.
34) P. A. Hansen, Leipzig Ber. 1853, p. 7.
35) U. J. Leverrier, Paris Ann. de l’observ. 1 (1855), p. 182.
36) A. Cayley, Lond. Ast. Soc. Mem. 28 (1860), p. 187; 29 (1861), p. 191 =
Works 8, p. 319, 360.
(17)
388 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Sind 5, 8’ die beiden Brennpunkte, und zwar S jener, in welchem
die Sonne sich befindet, so ist dieser Ausdruck zunächst gültig, wenn
das von Bogen und Sehne begrenzte Segment weder $ noch S’ in
seinem Innern enthält, während man nach A. Cayley?”) in dem-
selben & und Ö zu ersetzen hat bzw. durch: 2% — g und — 6, & und
— 6, 27 — e und Ö, je nachdem das Segment S und S’, oder bloß
S oder bloß S’ in seinem Innern enthält.
Für die Hyperbel (a<.0) ergibt sich
— ,.T= (snh e— e) F (snh 8 — 0),
(18) En ie aogı
R EN
snh = en, snh — = zer, 0<öd<e,
und für die Parabel (- —0):
a
(19) KT—=(r Hr +)" Flr+r— 9)”,
wo in beiden Fällen das untere oder obere Zeichen zu nehmen ist,
je nachdem das Segment S in seinem Innern enthält oder nicht. Das
Theorem wurde zuerst von L. Euler®®) für die Parabel bewiesen, dann
von J. Lambert?”) durch geometrische Betrachtung auf beliebige Kegel-
schnitte ausgedehnt, der analytische Beweis von J. L. Lagrange®’) nach-
getragen.
In enger Beziehung steht das Theorem zum Prinzip der kleinsten
Wirkung, nach welchem das Bahnstück MM’ Extremale des Inte-
grales:
u u
(20) ja f vyartdap=i vi 10 — Var + day
M M
ist, indem unter W(r, r', s, a) sein Extremalwert verstanden
(21) PT— 20°
wird. Es kommt das Theorem also darauf hinaus, daß W r, r’ nur
in der Verbindung r + r’ enthält, was 0. @. Jacobi*!) mit Hilfe der
Hamiltonschen partiellen Differentialgleichung, und in besonders ein-
facher Weise N. Joukoffski*?) zeigt. Da weiter die den verschiedenen
37) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 29 (1869), p. 318 = Works 7,
p: 387.
38) L. Euler, Misc. Berol. 7 (1743), p. 1.
39) J. Lambert, Insign prop. 1761 probl. 41.
40) J. L. Lagrange, Berl. M&m. 1778, p. 181 = Oeuvres 4, p. 559.
41) 0.@.J. Jacobi, Vorlesungen über Dynamik (= Werke Suppbd.) 25. Vorl.
42) N. Joukoffski, Nouv. annal. d. math. (3) III (1884), p. 90.
6. Das Verhalten der Koordinaten im komplexen (Gebiete. 389
Vorzeichen entsprechenden Werte von 7 stets gleichzeitig durch die
verschiedenen zwischen MM’ möglichen Bahnen realisiert werden, er-
hellt der Zusammenhang der Vorzeichenregeln mit der Lage der „kon-
jugierten“ Punkte. Daß on W die vom Leitstrahl S’M_ über-
strichene Fläche darstellt, bemerkt 7°).
Weitere Beweise des Theorems geben noch J. J. Sylvester“),
A. Cayley®), J. C. Adams“), E. Catalan*").
6. Das Verhalten der Koordinaten im komplexen Gebiete,
ist, im Falle der Ellipse und Hyperbel, weil dieselben da ganze lineare
Funktionen von sin E und cos E sind, durch jenes von E bestimmt.
E selbst aber ist nach (6) eine unendlich vieldeutige Funktion von
den beiden Variablen t und e, die im Endichen nur singulär wird an
den algebraischen durch
(22) ==
ausgeschnittenen Verzweigungsstellen:
kE—%) _ 51 ee
a” 1+V1—e
Daraus folgen sofort einerseits die Konvergenzverhältnisse der Po-
tenzreihen nach e bei der Ellipse (Nr. 4), andererseits die Konvergenz-
radien für Potenzentwicklungen nach t— t,, welche F. R. Moulton*)
diskutiert. Die Beziehung (23) wird eingehender Weise geometrisch
veranschaulicht von ©. V. Charlier‘”) (Ellipse) und H. @. Block?)
(Hyperbel). Die betreffenden Untersuchungen (auch in Nr. 4) sind im
allgemeinen insofern unstreng, als sie von vornherein die singulären
Stellen der inversen Funktion von f(x) durch die Nullstellen von
f'(&) vollständig gegeben annehmen (wogegen man die Sätze von
A. Hurwitz°!) vergleiche), welche so entstehende Lücke sich indess an
Hand der Differentialgleichungen der Bewegung ausfüllen läßt.
(23)
43) T. Quarterly Journ. of math. 7 (1866), p. 45.
44) J. J. SyWvester, Phil. Mag. 31 (1866), p. 52 = Papers 2, p. 519; Lond.
Astr. Soc. Monthly 26 (1865), p. 27 = Papers 2, p. 496.
45) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 22 (1862), p. 238 = Works 3,
p- 562.
46) J. ©. Adams, Mess. of math. 7 (1877), p. 97.
47) E. Catalan, Nouv. annal. d. math. (3) 3 (1884), p. 506.
48) F. R. Moulton, Astron. Journ. 23 (1903), p. 93.
49) 0.V. Charlier, Lunds Meddel., n° 22 (1904); ferner Mechanik des Himmels
(Leipzig 1902—7) 2, p. 255.
50) H. @. Block, Lunds Meddel., n° 23 (1904); Arkiv of math. astr. ok
fys. 1 (1904), p. 467.
51) A. Hurwitz, Paris C. R. 143 (1906), p. 877; 144 (1907), p. 63.
390 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Im Falle der Parabel°?) sind die Koordinaten ganze quadratische
Funktionen von tg = dieses aber ist nach (12) eine dreiwertige
algebraische Funktion von t, welche im Endlichen nur singulär wird
an den beiden Verzweigungspunkten:
ER ke )=+Fp"
H. Vorläufige Bahnbestimmung.
a) Planetenbahnen.
7. Formulierung der Aufgabe. Das Auftauehen von Kometen
und die Entdeckungen der kleinen Planeten erfordern nun aber auch
die Lösung jener Aufgabe, welche die Umkehrung der bisher be-
sprochenen bildet: die Bahnelemente eines Himmelskörpers aus ge-
gebenen Beobachtungen zu bestimmen. Da die einzelne Beobachtung
desselben bloß die Richtung erkennen läßt, in welcher dieser von
der Erde aus gesehen wird, also zwei unabhängige Daten, etwa
Rektaszension und Deklination, liefert, so reichen drei Beobachtungen
mit Angabe der Beobachtungszeiten gerade hin, die sechs Bahnelemente
zu bestimmen. Man kann auch sagen, die drei Beobachtungen liefern
drei durch die drei Erdorte E, E’, E” gehende Gerade, auf denen
sich der Himmelskörper zu den Zeiten £, f, t’ befindet, und dem-
gemäß das Bahnbestimmungsproblem so aussprechen: Einen Kegel-
schnitt mit gegebenem Brennpunkte $ (Sonne) zu finden, der drei ge-
gebene Gerade in den ebenfalls noch zu findenden Punkten H, H’, H”
so schneidet, daß:
Sector (HSH) = $Ypk(! — ti) = 4YVp0”,
(25) Sector (U SH”) = 4Ypk(!'—t)—= 4YVp9,
Seetor (HSH”’) = 4Ypk(!"— ti) = 4Yp6".
Diese fünf Bedingungen und die Kenntnis des einen Brennpunktes
legen den Kegelschnitt völlig fest. — Die älteren Versuche zur Lösung
des Problems ließen allmählich erkennen, daß sie am zweckmäßigsten
in zwei Schritten erfolgt. Der erste besteht in der Bestimmung der
geozentrischen Distanzen:
(26) o=EH e=EH, 0 =EMH,
der zweite in der Ermittelung des Kegelschnittes aus den nunmehr
bekannten drei vollständigen heliozentrischen Orten.
52) W. A. Hamilton, Astron. Journ. 23 (1903), p. 49.
8. Grundgleichungen. 391
Direkt an die obige Formulierung der Aufgabe knüpft A. Cayley°”)
seine geometrische Behandlung des Problems an.
8. Grundgleichungen. Die zur Bestimmung von oe, e', 0” nötigen
drei Gleichungen ergeben sich auf dem Wege über die Dreiecksver:
hältnisse
(27) ai Dreieck (HSH”) unse Dreieck (H SH)
Dreieck (HSH”) ’ Dreieck (HS H”)
Legt man nämlich durch die Sonne eine beliebige Ebene und
bezeichnet mit D, D’, D”’ die Abstände der drei Orte H, H’, H” von
derselben, so muß, da diese mit der Sonne in einer Ebene liegen, sein:
(28) D=nD-+n’D”.
Wird jetzt eine zur vorigen parallele Ebene durch die Erde gelegt,
welche die scheinbare Himmelskugel in dem größten Kreise K
schneiden möge, und nennt man die von der Erde aus gesehenen
sphärischen Abstände der Sonne und des Himmelskörpers von diesem
größten Kreise X, den Zeiten £, {,t’ entsprechend, bzw. P,p, P',p', P’, p”,
so kann statt (28) sofort geschrieben werden:
(29) o'sinp’— R’sin P=n(esin p— Rsin P)+n” (0" sinp”— R’sin P”),
unter R, R, R’ die Entfernungen der Erde von der Sonne zu den
Beobachtungszeiten verstanden. Es mag gleich hier bemerkt werden,
daß eben diese Relation auch für die Erdbahn selbst, für die
e=0=eo"—= ( ist, gelten muß, wofern nur statt n, n” die auf diese
bezüglichen Dreiecksverhältnisse N, N” gesetzt werden:
(30) RsinP=NRsinP-+ N’R” sin P”.
Es repräsentiert nun (29) bei Wahl von drei verschiedenen Be-
zugskreisen X: K,, K,, K,, ein System von drei Gleichungen, welche,
da R, P,p,... durch Sonnentafeln und Beobachtungen bekannte
Größen sind, die geozentrischen Distanzen o, oe’, oe” linear mit den
Dreiecksverhältnissen n, n’ verknüpfen. Die einer beliebigen Wahl
von K entsprechende Gleichung wird eine lineare Kombination der
obigen drei, welchen Umstand man zur Elimination einer oder zweier
geozentrischer Distanzen benutzen wird, wobei die hiezu nötige Lage von
K sofort durch die Anschauung gegeben ist. Insbesondere erhält man
so durch Wahl der drei Seiten des durch die drei scheinbaren, geo-
zentrischen Orte des Himmelskörpers bestimmten sphärischen Drei-
eckes als Bezugskreise K,, K,, K, das für Planetenbahnbestimmungen
vorteilhafteste System, in welchem die geozentrischen Distanzen o, 0’, 0”,
53) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 38 (1870), p. 17 = Papers 7, p. 400.
392 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
soweit sie explizite auftreten, getrennt sind:
nesinp=nRsinP, +n’R"snP”— RsinP,',
@1) —eosnpf=nRsnP,+n’R’snP” —RsinP,,
n’o" snp’=nRsin P, + n’R” sin P,” — R sin P,',
wobei aber nunmehr »,»’, p” die drei Höhen jenes Dreieckes und
P,, P/, P/' die sphärischen Abstände der drei scheinbaren Sonnenorte
von der i* Seite desselben bezeichnen.
Wäre man nun im Stande », »” irgendwie durch die geozentri-
schen Distanzen o, 0‘, 0” auszudrücken, so erhielte man durch Ein-
setzen dieser Ausdrücke in (29) die gewünschten drei Gleichungen für
0,0’, 0”. Nun gelingt dies in der Tat, indem man auf die Kenntnis
der bisher noch nicht benutzten Zwischenzeiten 0, 0’, 0” basiert. Wie
nämlich aus einer Abzählung der Unbekannten folgt, ist der Kegel-
schnitt durch die drei heliozentrischen Distanzen und die entsprechen-
den Zwischenzeiten:
(32) r—=SH, r=SH, r'=SH”, d=kl'’—t), "=kl—)
festgelegt, so daß also auch die Dreiecksverhältnisse %, »” sich not-
wendig durch diese fünf Größen ausdrücken lassen müssen. Auf der
anderen Seite läßt sich jede heliozentrische Distanz r aus der gleich-
zeitigen geozentrischen Distanz o sofort berechnen, da im Dreieck
HSE, die Seite SE= R der Erdephemeride, der Winkel bei E der
Beobachtung entnommen werden kann. So kann man schließlich die
Dreiecksverhältnisse », n” selbst durch die E, 0‘, 0”, 0, 0” ausdrücken,
und erhält in (29) tatsächlich die drei zur Bestimmung der drei geo-
zentrischen Distanzen _, E', e” nötigen Gleichungen.
9. Herstellung der Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse. Er-
forderliche Genauigkeit. Da jedoch die Dreiecksverhältnisse in
äußerst verwickelter Weise von r, vr’, r”, 6, 6” abhängen, so müssen
diese Gleichungen erst dadurch traktabel gemacht werden, daß man
die Funktionen x(r, r’, r”, 6, 6”) und n’(r, r', r”, 0, 0”) durch einfach
gebaute Näherungsausdrücke ersetzt. Als Grundlage der Näherung
bietet sich sofort die Kleinheit der Zwischenzeiten dar, denn in praxi
tritt dieses Problem der ersten Bahnbestimmung nur in den ersten
Wochen nach Entdeckung eines neuen Himmelskörpers auf. Man
wird daher n, n” zuerst nach Potenzen einer Größe & von der Ord-
nung der Zwischenzeiten entwickeln, indem man vorher etwa, unter
4, u, f, 9 endliche Größen verstehend, setzt:
Hr, 0 gs,
33
(83) r=r — OA — u), "=r+0(2 + u0),
’ 9. Herstellung der Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse. 393
wodurch dann:
(34) uhr of, I; A, u, &), n = B(g, I, A, U, — €)
wird, und nun bloß die ersten Glieder dieser Reihen in (29) ein-
führt. Die Methode, nach welcher diese Entwicklung erlangt wird, ist
, 2
wesentlich diese: Man sieht zunächst außer r’ auch noch ; ee
als bekannt an und drückt durch diese drei Größen und ®, 0” die
Dreiecksverhältnisse n, n”’ aus, indem man erst vermöge der beiden
Differentialgleichungen:
dr
aD du | &
rear ve Tim
den Abstand D(r) zur Zeit ++ in der Form darstellt:
(86) Deo)—yeD +y@Gr
wo go(r), v(r) Potenzreihen nach r mit in »’, en er rationalen
Koeffizienten sind. Nach Elimination von a aus den beiden für
= — 0” und = 6 aus (36) zu erhaltenden Gleichungen gibt der
Vergleich des Eliminationsresultates mit (28):
(37) n:n’:1= (0) :— Y(— 0"): (Op (— 0") — PlO)y(— 0”).
Die Konvergenzverhältnisse der Reihen p, % sind durch die sin-
gulären Punkte der Koordinaten (vgl. Nr. 6) bestimmt, die der Reihen
für n, n” noch außerdem durch die Nullstellen der Dreiecksfläche
+rr” sin (v” — v), welche aber, wie F. R. Moulton‘°) bemerkt, nur ver-
schwindet, wenn r oder "=, d.h. t oder £” ein singulärer Punkt
der Koordinaten ist oder der Zwischenwinkel 0” —v» ein Multiplum
von 180° wird. Die endlichen Ausdrücke für p, » gibt F. Kühnert**).
Um dann Zn aA mit Hilfe der noch unbenutzten r, r” zu eli-
minieren, entwickelt man von der zweiten Differentialgleichung (35)
ausgehend » und r” bzw. nach Potenzen von 6” und 0, wobei in den
Koeffizienten = und = auftreten, und leitet aus der Vergleichung
dieser beiden Reihen mit r und r” die Werte jener Größen in Form
von Potenzreihen nach & her.
Noch vorteilhafter wird man n, »’ durch Oskulationsausdrücke
ersetzen, d. h. Funktionen von r, r', r”, 6, 0”, die einerseits möglichst
einfach gebaut sind, und deren Entwicklungen nach & andererseits noch
in Termen möglichst hoher Ordnung mit denen’von n und »” über-
54) F. Kühnert, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 145, 203.
394 VIs»,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.,
einstimmen. Die Wahl derselben bildet den wesentlichsten Unter-
schied der im letzten Jahrhundert aufgestellten Methoden.
Von besonderer Wichtigkeit ist es festzustellen, wie genau n, n”
zu nehmen sind, damit die Grundgleichungen (29) die Distanzen o, 0’, 0”
mit einer vorgegebenen Genauigkeit liefern. Es zeigt sich in dieser
Hinsicht: sind n, n” bis e”*2 eier rege so werden oe, 0’, 0” bis
&®, 0 — 0,0” — oe bis +! und er +% 0” — og’ bis &"+? exklusive
genau sein. Gleiches findet aber auch dann noch statt, wenn », n”
bloß bis &”+!, aber doch n + n” bis e”+? exklusive genau sind.
Berechnet man dann weiter unter Benutzung solcher Werte der
Dreiecksverhältnisse und Distanzen nach irgend welchem der unter
Nr. 11 genannten Verfahren die heliozentrischen Zwischenwinkel:
(88) 2f=XHSsH, 2f=xXHSsH, 2f=<HSsH,
so erhält man diese allemal bis &”+! exklusive genau.
Für die Funktionaldeterminante der drei Grundgleichungen nach
0, 0,0” findet man angenähert etwa durch Verwendung der Aus-
drücke (41):
(39) D+ 20% Rucosg,
wobei D den Eckensinus des durch die drei scheinbaren geozentri-
schen Orte des Himmelskörpers, A jenen des durch die äußeren Orte
des Himmelskörpers und den mittleren Sonnenort gebildeten sphäri-
schen Dreiecks bezeichnet. Hier ist im allgemeinen das erste Glied
von der Ordnung &? das zweite von der Ordnung &°, so daß D oder
nach Th. v. Oppolzer°®) der nahe halb so große Flächeninhalt des
Dreiecks ein Maß für die Sicherheit der zu gewinnenden Werte der
Distanzen 0, 0’, 0” abgibt. Wird D=0, in welchem Falle die
obigen Genauigkeitsangaben in Frage gestellt sind, so fallen entweder
zwei der scheinbaren geozentrischen Orte des Himmelskörpers zu-
sammen, oder es liegen alle drei in einem größten Kreise. Tritt letz-
teres ein, so ist entweder r’ nahe = R’, oder der mittlere Sonnenort,
nach F. Tietjen®®) genauer der zur Zeit 4(£+ +”) liegt nahe in
demselben größten Kreis.
10. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse. Ein bis &’
exklusive genauer Wert irgend einer Größe möge allgemein im fol-
genden ein »** Näherungswert derselben genannt werden.
Die Ersetzung der Dreiecke durch die zugehörigen Sektoren er-
55) Th. v. Oppolzer, Bahnb. 1, p. 367; Astr. Nachr. 92 (1878), p. 97.
56) F. Tietjen, Astr. Nachr. 73 (1869), p. 353.
10. Näherungsausdrücke der Dreiecksverhältnisse. 395
gibt zunächst für n, n” die 2'" Näherungswerte:
0 Z 0”
Ebenfalls 2" Näherungswerte, bei denen aber n + n” bis e° ex-
klusive genau ist, sind die bereits bei J. L. Lagrange”‘) und in der
Folge insbesondere bei C©. F. Gauß auftretenden Ausdrücke:
) 00” 2 0” 90’
(41) n —z(1 +53): RER Ft +35)»
welche im speziellen bei gleichen Zwischenzeiten, 6 = 0”, 3° Nähe-
rungswerte liefern, bei denen überdies wieder » + n” bis e* exklusive
genau ist’®). Dr 3 ae sind:
2) nl, Mn)
4‘ Näherungswerte stellen die von n v. Oppolzer?”) angegebenen
Ausdrücke dar:
er
(43) "(144 a
em
=
WERD yFrTfr
Ebensolche von etwas anderer Form gibt R. Radau‘”), gelegentlich
einer zusammenfassenden Behandlung der verschiedenen Näherungs-
ausdrücke.
Desgleichen sind 4* Näherungswerte, bei denen aber wieder
n + n’ bis &° exklusive genau ist, die von J. W. Gibbs®') durch Inter-
polation der Koordinaten mittels eines Polynoms 4” Grades in t—
abgeleiteten Ausdrucke:
0.0” — 0° 00° — 6” ®
(44) liade Dad Werken: ui, ME
ER BERN
12r' 12273
57) J. L. Lagrange, Berlin M&m. 1783, p. 296 —= Oeuyres 4, p. 451.
58) Letzteres folgt daraus, daß n-+n" bei gleichen Zwischenzeiten nach
(34) bloß gerade s-Potenzen enthält.
59) Th.v. Oppolzer, Bahnb., p. 100 (1. Aufl., p. 231). Bezüglich der geome-
trischen Bedeutung der Zusatzglieder in diesen und den früheren Ausdrücken
vgl. die Vorrede von H. Poincare in Tisserand-.Perchot. Legons.
60) R. Radau, Paris ‚Bull. astr. 21 (1904), p. 401.
61) J. W. Gibbs, National academy of sciences 4 (1888) — Papers 2, p. 118,
149. Das erwähnte Verhalten der Gibbsschen Ausdrücke rücksichtlich ihrer Ge-
nauigkeit hat E. Weiß in den Denkschriften der Wiener Akademie 60 (1893),
p. 345, klargelegt. .
396 VI2,9 GG. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
welche im speziellen bei gleichen Zwischenzeiten = 6" 5% Näherungs-
werte liefern, bei denen überdies wieder n + n” bis &° exklusive genau
ist. Schon früher hatte A. de Gasparis®?) Glieder höherer Ordnung
in n, n” mitzunehmen versucht, aber ziemlich komplizierte Formen
erhalten.
Bei verschwindender Exzentrizität stellen die von W. Ebert‘®)
angegebenen Ausdrücke:
807 80? 30 2 — 80°?
re a
(45) n Ay 7 48r'3 n” Bor. + 48r $
hast} a 50? > Er . i 50?
48r' "487°
4 Näherungswerte dar, bei denen aber der Fehler von n + n” den
Faktor (8 — 0”)? enthält, so daß bei gleichen Zwischenzeiten n + n”
bis &° exklusive genau ist.
P. Harzer‘) hat die allgemeinen Reihenentwicklungen von n, n”
nach & bis &!® durchgeführt, indem er dabei die einer Kreisbahn ent-
sprechenden Werte von n, n” als Faktoren abspaltete, und hat die
Verwendung der erhaltenen Ausdrücke bei numerischer Rechnung
durch mehrere Tafeln erleichtert.
11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. Der in
Nr. 9 angegebene Zusammenhang zwischen dem Genauigkeitsgrade
der n, n” und demjenigen der o, 0’, 0” läßt erkennen, daß die Nähe-
rungsausdrücke (40) der Dreiecksverhältnisse, durch welche zwar das
System (29) überhaupt linear in den geozentrischen Distanzen würde,
gar keine Näherung für diese gewähren, was bereits J. L. Lagrange®°)
hervorhebt. Mit ihrer Verwendung fallen wesentlich die Versuche
der Kometenbahnbestimmung jener älteren Autoren zusammen (Kepler,
P. Bouguer‘®)), welche den Kometen als in gerader Linie sich gleich-
förmig bewegend annehmen. apa
J. L. Lagrange selbst wählte nicht r, r’, r”, sondern r', = s =.
als Unbekannte, drückt also nach Nr. 9 n, n”, r, r" durch eben diese
Größen aus, wobei unter Vernachlässigung von &° im wesentlichen
die Gleichung (51) für r’ folgt.
62) A. de Gasparis, Astr. Nachr. 42, 43, 46, 47 (1856—58); siehe hierüber
auch @. Lorenzoni Astr. Nachr. 132 (1893), p. 225.
63) W. Ebert, Wien Denkschr. 78 (1906), p. 645.
64) P. Harzer, Kiel Sternw. Publ. 11 (1901).
65) J. L. Lagrange, Berlin M&m. 1778, p. 124; 1783, p. 296 — Üeuvres 4,
p: 451, 496 und Mec. analyt. 2 (= Oeuvres 12), p. 41.
66) P. Bouguer, Paris hist. 1733 me&m., p. 331.
11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. 397
a) Methode von Gauß. Die niedrigste überhaupt zulässige Nähe-
rung für », n” bilden vielmehr die Ausdrücke (41), welche im allge-
meinen erste, bei gleichen Zwischenzeiten aber zweite Näherungs-
werte der geozentrischen Distanzen finden lassen.
Auf ihnen basiert die von Gauß in der Theoria motus ausführ-
lich entwickelte Methode, welche indess in wesentlichen Punkten (vgl.
Nr. 13, 14) von den Verfahren abweicht, deren sich Gauß®”) bei
seinen ersten Bahnbestimmungen der Ceres und Pallas bedient hat.
Da diese Ausdrücke (41) bloß r’ enthalten, so hat man in der zweiten
Gleichung des Systems (31), wenn r’ unter Bezugnahme auf das Drei-
eck SH’E durch o’ ausgedrückt gedacht wird, eine Gleichung mit
der einzigen Unbekannten o’, nach deren Bestimmung o, 0” sofort
aus der ersten und dritten Gleichung des Systems (31) sich ergeben.
Statt 0’ führt Gauß als Unbekannte den Winkel = <SHE
am Planeten ein, durch den sich 0’ und r’ ihrerseits in der Form
darstellen
(46) o:r: R= sin (+ Y): sin y’: sin 7’,
wofern mit %’ der durch die Beobachtung bekannte Winkel X SEH
an der Erde bezeichnet wird. Hiedurch erhält Gauß für 2’ eine
Gleichung (8ten Grades in sin 2’) der einfachen Gestalt:
(47) M sin! = sin (’ + o),
welche nun durch sukzessive Näherung leicht zu lösen ist.
Da die Erdbahn selbst eine Lösung der Aufgabe bildet und für
sie = 180°— y’ ist, so muß diese Gleichung, weil selbst nur
näherungsweise richtig, eine dem Werte 180° — x’ mindestens nahe
gleiche Wurzel 2’ besitzen, die also beiseite zu lassen ist. Von den
übrigen Wurzeln sind, da 2’ und %’ Winkel desselben Dreiecks SHE’
sein sollen, bloß jene brauchbar, für die 0 <2’<180°— y ist.
Solcher gibt es aber stets nur eine oder zwei, und zwar je nachdem
1+ ER a eos y <O oder >0 ist. In letzterem Falle haben
weitere Beobachtungen über die zu treffende Wahl zu entscheiden.
Mit der Diskussion der Wurzeln der Gleichung (47) hat sich zuerst
J. F. Encke®®) näher befaßt und eine Tafel zum raschen Erkennen des
gerade vorliegenden Falles entworfen. Später sind @. W. Hil®),
67) ©. F. Gauß, Monatl. Corr. 20 (1809), p. 197 = Werke 6, p. 148,
68) J. F. Encke, Astr. Nachr. 27 (1848), p. 241, 257; J. F. Encke, Berlin.
Abh. 1848, p. 1.
69) @. W. Hill, Runkles Math. Monthly. 3 (1860), p. 26 = Works 1, p. 2.
398 VI29. @. Hergloiz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Th. v. Oppolzer”®), N. Herz‘) und W. H. Young?) hierauf zurück-
gekommen.
Zur Berechnung von o, 0” aus dem bekannt gewordenen oe’ kann
man sich statt (31) auch irgend zweier in (29) enthaltenen Gleichungen
bedienen, in denen bloß e, 0’ bzw. 0”, 0’ auftreten, was dann der Fall
ist, wenn man den Bezugskreis X durch den dritten bzw. ersten
scheinbaren Planetenort gehen läßt. Die hiebei restierende Willkür
in der Wahl von K kann zur Vereinfachung der beiden Gleichungen
benutzt werden, was meist dadurch geschieht, daß man K noch durch
den dritten, bzw. ersten scheinbaren Sonnenort hindurch gehen läßt,
was P'=(0 bzw. P=0 ergibt. Nur wenn hiebei die Koeffizienten
von e und o” sehr klein werden, was eintritt, wenn die drei Sonnen-
orte mit dem ersten oder dritten Planetenort nahe in einem größten
Kreise liegen, wird man, um die dadurch bedingte Unsicherheit in der
Bestimmung von g9, eo” zu vermeiden, anders über K verfügen.
Sind so die drei vollständigen heliozentrischen Orte des Himmels-
körpers mit ihren geozentrischen nnd heliozentrischen Distanzen be-
kannt geworden, so könnten die für das Weitere wichtigen helio-
zentrischen Zwischenwinkel (38) direkt vermöge:
„ ei
sin 2f: sin 2f:sin2f"=nr:r:n
f=r+f),
bestimmt werden, da hienach 2f, 180° — 2f’, 2f” die Winkel eines
Dreiecks der gegebenen Seiten nr, r’, nr" sind. Doch wird nume-
risch eine größere Sicherheit erlangt, wenn man nach Gauß f’ trigono-
metrisch aus den beiden äußeren heliozentrischen Orten des Himmels-
körpers, und dann bloß f, f” aus (48) berechnet.
Für den Zwischenwinkel n. er hiebei:
J @
sin? f = cos’ — sin? nd sin? I n? de
= +V+2 « htr,
worin .J den Winkel der Ebenen SEH und SE”H”, p, 9” die Winkel
ihrer Schnittlinie mit SE bzw. SE” bedeuten und %, 2 und %”, 2”
die zu %, 2 analogen Größen für die erste und dritte Beobachtung
sind, also alle diese Winkel bis auf z, z” direkt durch die Beobach-
tungen bestimmt sind.
Nach Bekanntwerden der Gaußschen Methode haben insbesondere
(48)
(49)
70) Th. von Oppolzer, Astr. Nachr. 92 (1878), p. 97; Th. von Oppolzer,
Wien Ber. 86 (1882), p. 885.
71) N. Herz, Wien Ber. 86 (1882), p. 1125.
72) W. H. Young, Lond. Astr. Soe. Monthly Not. 57 (1897), p. 379.
11. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen. 399
J.F.Encke”®), P.A. Hansen"*) und F.Tietjen‘®) eingehende Darstellungen
derselben geliefert, und für die numerische Rechnung weitere spezielle
Vorschriften und weitere Umformungen der einzelnen zu berechnen-
den Ausdrücke angegeben.
Die Verwendung der Näherungswerte (42) der Dreiecksverhält-
nisse, welche bloß die Werte von M und ® in der Gaußschen SchluB-
gleichung (47) abändert, hat J. F. Encke in einem Zusatze zu seiner
ebengenannten Arbeit im Berliner Jahrbuch vorgeschlagen.
b) Methode von Th. v. Oppolzer. Die dieser Methode zugrunde
liegenden Ausdrücke (43) der Dreiecksverhältnisse liefern in allen
Fällen zweite Näherungswerte für die geozentrischen Distanzen. Da
dieselben bloß r und r” enthalten, so hat man in der ersten und
dritten Gleichung des Systems (31), wenn r und r” unter Bezugnahme
auf die Dreiecke SHE und SH”’E” durch oe und E” ausgedrückt
gedacht sind, zwei Gleichungen für die zwei Unbekannten e, 0”, die
aber keiner weiteren Reduktion auf eine so einfache Form, wie Gauß’
Schlußgleichung fähig sind, sondern in ihrer ursprünglichen Gestalt
durch sukzessive Näherung gelöst werden müssen.
Statt hierauf ge’ etwa aus der zweiten Gleichung des Systems (31)
abzuleiten, schreitet v. Oppolzer zuvörderst zur trigonometrischen Be-
rechnung des Zwischenwinkels f' aus den beiden durch o, 0” bekannt
gewordenen äußeren heliozentrischen Orten des Himmelskörpers, und
‚bestimmt dann r’ gleichzeitig mit f und f” aus (48). Ausführlich
dargestellt findet sich diese Methode in v. Oppolzers Lehrbuch der
Bahnbestimmung 1. (1882) (zuerst 1869 in der 1. Auflage), auch gab
F. Tietjen”®) ein vereinfachtes vollständiges Rechenschema für die-
selbe an.
c) Methode von J. W. Gibbs. Die ihr zugrunde liegenden Aus-
drücke (44) der Dreiecksverhältnisse liefern im allgemeinen dritte, bei
gleichen Zwischenzeiten aber vierte Näherungswerte für die geozentri-
schen Distanzen. Da in jenen Ausdrücken die drei, heliozentrischen
Distanzen gleichzeitig auftreten, ist eine unmittelbare Reduktion auf
weniger als drei Unbekannte nicht möglich, weshalb J. W. Gibbs
auch nicht. das besondere System (31) benutzt, sondern jene drei
Gleichungen, welche aus (29) hervorgehen, wenn der Bezugskreis K
der Reihe nach in die drei Ebenen des geozentrischen Ekliptikal-
73) J.F.Encke, Berlin astr. Jahrb. für 1854, p. 316; J.F. Encke, Astr. Nachr.
30 (1850), p.33 und 49; Berlin Ber. 1848, p. 60; 1849, p. 167; Berlin Abh. 1849, p.1.
74) P. A. Hansen, Leipzig Ber. 15 (1863), p. 83.
75) F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. für 1879,
76) F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. für 1887.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 27
400 VIs,9. G@. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
koordinatensystems gelegt wird, weil die dann auftretenden Koeffi-
zienten rascher zu bilden sind. Als Unbekannte wählt Gibbs die
Projektionen der drei heliozentrischen Distanzen auf die zugehörigen
geozentrischen und erzielt hiedurch eine gewisse Vereinfachung der
differentiellen Korrektionsformeln des Newionschen Näherungsverfahrens,
nach welchem er sein System auflöst. Außer in der Originalarbeit””)
von @ibbs findet sich seine Methode auch in Klinkerfues- Buchholz,
"Theoretische Astronomie, ausführlich dargestellt.
W. Fabritius”®) hat ein besonderes Approximationsverfahren zur
Lösung der drei @ibbsschen Gleichungen in Vorschlag gebracht,
welches immer nur die wiederholte Auflösung einer Gleichung mit
einer Unbekannten erfordert. Desgleichen hat R. Vogel?) weitere
Vereinfachungen angegeben.
d) Die von P. Harzer?) auf Grund seiner bis &'% gehenden
Reihen für », »’ ausführlich entwickelte Methode bildet das End-
glied jener Reihe von Untersuchungen, welche vor allem Glieder mög-
lichst hoher Ordnung in den Zwischenzeiten gleich beim ersten Schritt
zu berücksichtigen trachten.
Nach anderer Richtung ist E. Weiß®!) gegangen, welcher sich
das Ziel stellte, die für die Praxis gerade ausreichende Genauigkeit
auf dem kürzesten Wege zu erlangen. Er hat hiezu den Einfluß
der einzelnen Glieder 3'* und 4 Ordnung von n, n” auf die Grund-
gleichungen einer eingehenden numerischen Abschätzung mit Rück-
sicht auf die speziell bei Asteroiden vorliegenden Bahnverhältnisse
unterworfen und wurde dadurch zu einer von der Gaußschen wenig
verschiedenen Grundgleichung, als der für Asteroiden einfachsten und
zweckmäßigsten geführt.
Gleicherweise ist die von W. Ebert®?) auf den Näherungsaus-
drücken (45) aufgebaute Methode speziell für nahe kreisförmige Bahnen
zugerichtet, läßt aber bei diesen im allgemeinen bessere Werte der
Distanzen erwarten als die Gaußsche Gleichung (47), wiewohl sie auf
eine ähnliche, nicht kompliziertere Schlußgleichung führt.
12. Methode von Laplace. Satz von Lambert. Auf einem von
dem früheren verschiedenen Gedankengang beruht die von P. $. Laplace®?)
77) J. W. Gibbs, National acad. of sciences 4 (1888) = Papers 2, p. 118, 149.
78) W. Fabritius, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 225.
79) R. Vogel, Astr. Nachr. 129 (1892), p. 37.
80) P. Harzer, Kiel Sternw. Publ. 11 (1901).
81) E. Weiß, Wien Denkschr. 60 (1893), p. 345.
82) W. Ebert, Wien Denkschr. 78 (1906), p. 645; Paris Bull. astr. 23 (1906),
p. 209.
12. Methode von Laplace. Satz von Lambert. 401
entwickelte Methode der Bahnbestimmung. Bei dieser werden zuerst
aus den beobachteten drei oder eventuell mehreren Orten die beiden
Winkelkoordinaten des geozentrischen Ortes mit ihren ersten und
zweiten Differentialquotienten nach der Zeit für einen passend zu wäh-
lenden Zeitpunkt interpolatßgch berechnet, und dann als Unbekannte
die geozentrische Disianaı a i heilen ersten Differentialquotienten
u 1 3 für eher Väis sen Zeitpunkt gewählt. Die
Bestimmungsgleichungen für diese n. %gan direkt in den drei
Bewegungsgleichungen des Himmelskörpers rölahjy zur Erde, welche
bei Wahl des Visionsradius, der relativen Geschwihäligkeit normal zu
diesem und der zu beiden normalen Richtung als Bezugsachsen lauten:
nach der Zeit: oe,
FE |
Kvo = KRsin«e siny (3 —_ =)
(50) 2ude + o— — RR cos a sin p (3: — )'
Em =— (Gr N er)
t
Hierin bedeuten K die geodätische Krümmung der auf die Einheits-
kugel übertragenen scheinbaren geozentrischen Bahn des Himmels-
körpers (positiv gezählt, wenn die Bahn gegen den scheinbaren
Sonnenort zu konvex ist), v die scheinbare Geschwindigkeit desselben
senkrecht zum Visionsradius, und « den Winkel, welchen diese mit
dem den Planetenort und den gleichzeitigen Sonnenort verbindenden
größten Kreise bildet. DBemerkt sei, daß die früheren Grund-
gleichungen (29) bei verschwindenden Zwischenzeiten gerade in dieses
System (50) übergehen.
In der ersten Gleichung hat man, die geometrische Beziehung
zwischen r und go hinzugedacht, eine Gleichung 8%" Grades für @
allein, welche sich aber wegen der Wurzel “= —=() auf den 7" Grad
erniedrigt, und nach deren Lösung a und = linear aus der zweiten
und dritten folgen. Durch o und © ist dann Lage und Geschwindig-
keit des Himmelskörpers für den de ahiken Zeitpunkt gegeben, woraus
nach Gl. (2) die Elemente selbst abgeleitet werden können. Auf der
gleichen Methode basieren J. W. Lubbock®), G. B. Airy°), A. Cauchy**®)
83) P. $. Laplace, Paris Hist. de l’acad. 1780, p. 18 = Oeuvres 10, p. 93 und
Mec. cel. 1 (= Oeuvres 1), p. 218.
84) J. W. Lubbock, Lond. Astr. Soc. Mem. 4 (1830), p. 39.
85) @. B. Airy, Lond. Astr. Soc. Mem. 11 (1840), p. 181.
86) A. Cauchy, Zahlreiche Abhandlungen in: Paris C. R. 23 (1846), 25 (1847),
26 (1848) — Üeuvres ser. 1, t.10. ;
27*
402 VIa,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
und Y. Villarceau®”). Später haben A. Bruns®®), K. Schwarzschild®?) und
P. Harzer ®) weitere Ausführungen zu derselben gegeben. Die Ge-
nauigkeit der Laplaceschen Methode untersuchte H. Poincare?") und
zeigte, daß man bei Interpolation der scheinbaren Bahn aus drei be-
obachteten Orten und Wahl des arithmetischen Mittels der drei Be-
obachtungszeiten als Epoche der Bahnbestimmung stets gleich zweite
Näherungswerte der den drei Orten zugehörigen geozentrischen Distanzen
de d?o 2
9, u ie erhält.
Aus der ersten Gleichung des Systems (50) liest man, wie dies
E. Vicaire””) tut, unmittelbar den Lambertschen Satz ab, dß r<R
oder r> R ist, je nachdem die scheinbare Bahn des Himmelskörpers
ihre konkave oder konvexe Seite dem scheinbaren Sonnenorte zukehrt.
Dieser Satz wurde zuerst von J. H. Lambert”?) aus geometrischen Be-
trachtungen hergeleitet, welche analytisch gefaßt zu der mit der
Gaußschen Gleichung (47) im wesentlichen identischen, aber erst von
Lagrange”) aufgestellten und zur Bahnbestimmung verwandten ap-
proximativen Relation:
‚sin p’ 1 „{1 1
(51) ns a)
überleiten, so daß bei Lambert der erste Keim der Gaußschen Methode
zu suchen ist, was des näheren J. Glauser”) und H. Bruns®®) erörtert
haben. Bei der ersten Bahnbestimmung der Ceres und Pallas hat
sich Gauß noch direkt der Gleichung (51) bedient. Auf ihren geo-
metrischen Inhalt sind R. Lehmann-Filhes”") und @. Sidler®®) näher ein-
gegangen. Soll die scheinbare geozentrische Bahn einen Wendepunkt
zeigen, also X = 0 sein, so muß nach (50) entweder r = R sein, oder
der jene tangierende größte Kreis den scheinbaren Sonnenort ent-
halten. Damit letzteres eintritt, muß die Relativgeschwindigkeit des
Himmelskörpers gegen die Erde in die durch diese beiden und die
durch Interpolation aus
87) Y. Villarceau, Paris Ann, de l’obs. 3 (1857), p. 1.
88) H. Bruns, Astr. Nachr. 118 (1888), p. 241.
89) K. Schwarzschild, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 211.
90) P. Harzer, Astr. Nachr. 141 (1896), p. 177.
91) H. Poincare, Paris Bull. astr. 23 (1906), p. 161.
92) E. Vicaire, Paris ©. R. 100 (1885), p. 778, 842.
93) J. H Lambert, Berlin Nouv. M&em. 1771, p. 352.
94) J. L. Lagrange, Berlin M&m. 1778 = Oeuvres 4, p. 451.
95) J. Glauser, Astr. Nachr. 121 (1889), p. 65.
96) H. Bruns, Astr. Nachr. 118 (1888), p. 241.
97) R. Lehmann-F'lhes, Astr. Nachr. 98 (1881), p. 307.
98) @. Sidler, Astr. Nachr. 99 (1881), p. 139.
13. Bestimmung d. Elemente aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten. 403
Sonne gelegte Ebene fallen, wofür ©. F. Gauß®”) die Bedingung:
rsinu _ Rsin(L— 9)
vr vP
(52)
angibt.
13. Bestimmung der Elemente aus zwei vollständigen helio-
zentrischen Orten. Mit den geozentrischen Distanzen o, 0’, 0” sind
drei vollständige heliozentrische Planetenorte bekannt geworden, und
es erübrigt nun, den zweiten Schritt zu tun, aus diesen die sechs
Bahnelemente herzuleiten, wozu offenbar bereits zwei Orte gerade
ausreichen. Man wird den ersten und dritten, HZ und 4”, hiezu
wählen, um durch Ausdehnung des Intervalls möglichste Schärfe zu
erlangen, und wird dann den mittleren Ort MH’ zur Probe der Richtig-
keit der Rechnung verwenden. Da die Ebene HSH” die Bahnebene
ist, so sind © und N} trigonometrisch sofort zu berechnen. Die Ge-
stalt des Kegelschnittes, also die Elemente a und e, lassen sich aus
den zwei Radienvektoren r und r” und dem von ihnen eingeschlos-
senen Winkel 2f=v”— v ermitteln. Gauß führt ihre Bestimmung
auf diejenige der Differenz der zu beiden Orten gehörigen exzentrischen
Anomalien 29—= E”— E zurück. Zunächst nämlich folgt aus den
Formeln der elliptischen Bewegung:
(53) ar er (+ en), Day seven,
sin? g sin g ;
— sin T
l cos g— sin r
(54) e cos BER, en
l un ein? =
wobei zur Abkürzung:
55 BO Le Mar) KRRR ER
180) 4Yrr”cosf’
gesetzt ist.
“ Auf der anderen Seite wird der Flächeninhalt des Segmentes,
das durch die Sehne HH” von der Ellipse abgetrennt wird, durch
den Ausdruck 4ab (29 — sin 2g) dargestellt. Daher ergibt die Be-
dingung:
(56) Sektor = Dreieck + Segment = 4Y p®’
unmittelbar die zur Bestimmung von = sin? dienende transzendente
99 C. F. Gauß, Werke 7, p. 303. Es bedeuten P den Parameter der Erd-
bahn, Z die wahre Länge der Erde.
404 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Gleichung:
m
Vyitz
1+3(+ 0) -
RR 3 29 —sin2g
aa) = Q(sin®$) u ee
67) .
m = ®
(2Vrr” cos n)*
Ist g gefunden, so folgen aus (53) die Elemente a, e, und dann mit
Hilfe von (54) E, also auch «. Da nun der Ort H völlig bekannt
ist, so wird durch » die Richtung der Apsidenlinie, also x gegeben.
Die Beobachtungszeit # liefert schließlich das letzte Element {, oder
&. Die Formeln (53—55) sind übrigens von Gauß noch weiterer
Umgestaltungen zwecks numerischer Rechnung unterzogen worden.
Die Auflösung der Gleichung (57) durch sukzessive Näherung
oder Reihenentwicklung stützt sich darauf, daß vermöge der Klein-
heit der Zwischenzeit x eine Größe 2 Ordnung in den Zwischen-
zeiten ist. Aus einem später (Nr. 14) ersichtlichen Grunde führt
Gauß das Verhältnis Sektor : Dreieck:
SE RER JE y. re
(58) = Ver DR Te I
statt x als Unbekannte ein, und setzt dann die Gl. (57) mit Rück-
1 ’
sicht darauf, dad — — — ein Näherungswert von Q(x) ist, in der
; 6 5 ’
—_——%
5
Form an:
‚ ‚ m? ‚ 1 6/1
Nr +5): -2+, 05-1!)
wo zwar &(x) durch x noch von n’ abhängt, aber von 2'* Ordnung
in x ist. Die Berechnung einer fortlaufenden Kette von n’- und
x-Werten nach (58) und (59), ausgehend von = 0, bildet daher
ein rasch konvergentes Verfahren zur Bestimmung dieser Größen,
das durch die von Gauß gegebenen Tafeln noch wesentlich ver-
einfacht wird. Eine weitere Modifikation desselben gibt F. Tietjen'”)
und die Gaußischen Tafeln auch J. Bauschinger!"). Der Umstand,
daß Q(x) eine hypergeometrische Funktion ist:
(60) e@)=F(1,3, 2,2),
bildet die Quelle verschiedener von Gauß angegebener Kettenbruch-
und Reihendarstellungen von &(x). Später sind P. A. Hansen‘) und
neuerdings W. Fabritius!®) und L. de Ball!®) auf solche zurück-
gekommen.
100) F. Tietjen, Berl. astr. Jahrb. für 1879.
101) J. Bauschinger, Tafeln, Nr. 19 und 20.
102) P. A. Hansen, Leipzig Ber. 15 (1863), p. 83.
13. Bestimmung d. Elemente aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten. 405
Reihenentwicklungen für die Lösung der Gl. (59) haben
P. A. Hansen‘) und C. F. Encke!%) aufgestellt, und zwar entwickelt
ersterer 7 nach Potenzen von / und einer mit m? verschwindenden
Größe, während letzterer Ign’ nach Potenzen von — __ und sin 2
e+ 3 :
(vgl. Gl. (85)) entwickelt.
Besonders bemerkenswert ist die große Unempfindlichkeit des
durch (57) und (58) berechneten Wertes von n’ gegenüber von Ver-
änderungen des Zwischenwinkels f’. Da nämlich angenähert:
en
(2) a
ist, so erzeugen Fehler von f’ immer in x’ Fehler einer um drei
Einheiten höheren Ordnung bezüglich e. Die zu erwartende Genauig-
keit der Elemente untersucht P. Harzer !®).
Ein anderes bereits von Gauß!®) angedeutetes Verfahren zur
Bestimmung der Bahn aus zwei vollständigen heliozentrischen Orten
besteht darin, die Gl. (57) durch die Lambertsche Gl. (17) zu ersetzen,
indem man zunächst aus dieser den Wert von a bestimmt. Mit
diesem folgt dann x aus (53) und hierauf die übrigen Elemente
ebenso wie früher. Es empfiehlt sich dieses Verfahren, von welchem
neuerdings auch O. Callandreau!”) eingehend handelt, bei nahe para-
bolischen Bahnen und größeren Zwischenzeiten.
Da für diese wegen der Kleinheit von n auch &, ö klein und
daher ihre Differenz gegen den Sinus durch trigonometrische Tafeln
schlecht bestimmbar werden, so setzt man hier die Lambertsche Glei-
chung in die Form:
[4 Ja 3 ® „ . Ö
—=(r Hr’ + ’Q(sin’Z) — (r+r"— ’Q(sin’ 2),
se r+r+s 90 r+r—s
Bi a
und legt vermittels der erwähnten hypergeometrischen Reihen oder
Kettenbrüche für Q(x) Tafeln an, wie dies J. @. Watson'”®), Th. v. Op-
‚polzer‘%) und J. Bauschinger*) tun. Die wieder für kleine Zwischen-
(62)
103) W. Fabritius, Astr. Nachr. 129 (1892), p. 49. Hierzu L. de Ball, Astr.
Nachr. 129 (1892), p. 283.
104) J. F. Encke, Berlin astr. Jahrb. für 1854, p. 316.
105) P. Harzer, Publik. d. Sternwarte Kiel 11 (1901).
106) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 109 (Schluß).
107) O. Callandreau, Determ. d. orbites. Paris. ann. de !’obs. 23 (1902), p. G.1.
108) J. C. Watson, Theor. astr., Tafel 15 und 16.
109) Th. v. Oppolzer, Bahnbest. 2, Tafel 17.
110) J. Bauschinger, Tafeln Nr. 23.
406 VI2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
zeiten entstehende Schwierigkeit, daß 6° sich nach (62) als Differenz
nahe gleicher Größen bestimmt, zu beheben, gibt A. Marth'!") unter
Einführung des Hilfswinkels sin y = Gr eine andere Umformung
und Reihenentwicklung, deren Benutzung er durch besondere Tafeln
erleichtert. Eine für kleine Exzentrizitäten und Zwischenzeiten rasch
konvergierende Reihenentwicklung gibt M. Kowalski").
J. W. Gibbs endlich zieht zur Bestimmung der Bahn alle drei
heliozentrischen Orte jedoch mit Weglassung der Beobachtungszeiten,
heran. Das hiedurch erlangte überzählige Datum gestattet die Lösung
von (57) zu umgehen, indem der Parameter der Bahn aus:
(63) en an
folgt, welche Relation unmittelbar aus (28) erhalten wird, wenn
man die Ebene normal zur Apsidenlinie wählt. Indessen erscheint p
als Quotient von Größen 2** Ordnung unsicher bestimmt, ein Um-
stand, den Gauß vermieden wissen wollte, obzwar er auch dieses
Verfahrens zur Herleitung der Elemente ausführlich gedacht hat!!?®).
Gleiches gilt auch von den zu (63) analogen Ausdrücken für e, v, v', v”,
welche W. Fabritius!“*) hergeleitet hat.
Es kann nach Gauß"'?) aber auch bei Verwendung von nur
zwei Orten p direkt ‚zu mindest sehr angenähert bestimmt werden,
indem aus O'Yp = [rar mittels der Cotesschen Formeln als erste
Näherung folgt: 5 R
(64) Nr)
mit welcher der den Winkel (rr”) halbierende Radius r, berechnet
werden kann:
cos f’ 1:[% 1 f
os rauen hun
mit dem nun wieder nach den Cotesschen Formeln als zweite Nähe-
rung folgt: E:
(66) eyYpr=4f(r+r"’+4r2).
111) A. Marth, Astr. Nachr. 65 (1865), p. 321. Vgl. hierzu noch ©. Cal-
landreau, Paris Bull. astr. 18 (1902), p. 127 und analoge Tafeln bei J. Bauschinger,
Tafeln.
112) M. Kowalski, St. Petersburg. Bull. de l’acad. 20 (1875), p. 559.
113) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 86.
113°) ©. F. Gauß, Theoria motus art. 82, 83.
114) W. Fabritius, Über die Berechnung der en Dibtanzeii Kiew 1877
und Astr. Nachr. 90 (1877), p. 217, 225.
14. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. 407
Diesen auf L. Euler zurückgehenden Weg hat Gauß bei seinen ersten
Bahnbestimmungen der Ceres und Pallas wirklich eingeschlagen. Wird
aber in (66) r, aus r?, r’?, r"? interpoliert:
rer
so resultiert der von F. R. Moulton"?) zugrunde gelegte Näherungs-
ausdruck.
14. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. Die
vorigen Verfahren der Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen
müssen, um als wirkliche Bahnbestimmungsmethoden bezeichnet werden
zu können, durch ein weiteres Approximationsverfahren ergänzt werden,
das die geozentrischen Distanzen und damit die Elemente mit be-
liebiger Genauigkeit zu finden gestattet. Die Auffindung eines solchen
Verfahrens von praktisch leichter Durchführbarkeit ist, zumindest
was nicht parabolische Bahnen angeht, ein ganz wesentlicher Fort-
schritt, den Gauß seinen Vorgängern gegenüber erzielt hat. Der
Kern desselben mag gleich unter spezieller Bezugnahme auf die
Gaußschen Näherungsausdrücke (41) der Dreiecksverhältnisse, die hier
kurz durch (n) und (n”) bezeichnet werden sollen, angegeben werden.
Will man v + 1% Näherungswerte der Distanzen ermitteln, so ge-
nügt es, für n, n” in das System (29) einzuführen:
(68) n=(m)+R, "—(n)+R”,
unter R, R” die auf (n), (n”) in den Reihenentwicklungen (34)
folgenden Glieder bis mindestens &”*? inklusive verstanden. Hat nun
eine vorhergehende Näherung für die heliozentrischen Distanzen
v** Näherungswerte r;, r%, r. ergeben, so wird man in n, n” bzw.
n-+n" Fehler der erlaubten Ordnungen &’+? bzw. +? begehen,
wenn man in R, R’ eben diese Werte für die heliozentrischen
Distanzen einsetzt, und also auch statt (68) in dem System (29) ein-
führen können:
(69) "= mW)+R, W"=-W)+tR.
Hier sind nun R,, R,' numerisch bekannte kleine Größen, daher die
Ermittlung v + 1‘ Näherungswerte aus v‘” durch formal genau eben-
dieselben Gleichungen geschieht, wie unter (Nr. 11a) diejenige erster.
Dies wäre im Grunde noch das von Lagrange vorgeschlagene
Verfahren.
Der Schwerpunkt des Gaußschen Verfahrens ruht aber nun
weiter in seiner von den umständlichen Reihenentwicklungen der n, n”
115) F. R. Moulton, Astr. Journ. 22 (1902), p. 43.
408 VI»2,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
unabhängigen Methode der Berechnung dieser numerischen Korrek-
tionen R,, Rx". Sie sind die Überschüsse der mit den Werten r;., 7, 14"
bis mindestens &”*? inklusive genau gebildeten n, n” über die mit
den gleichen Werten berechneten Näherungsausdrücke (»), (n”):
(70) Ran. — (N)g, BR’ — N. — (M)e-
Berechnet man aber nach Nr. 13) aus r,;, rx', rx” und den zugleich
mit diesen bei der vorhergehenden Näherung bekannt gewordenen
v + 1‘ Näherungswerten f;, fx, fx der Zwischenwinkel die Ver-
hältnisse 7%, 7%, 27% der drei Sektorflächen zu den zugehörigen
Dreiecksflächen, so kann man in (70) nehmen:
(71) ng ie, n— m
Denn der hiebei begangene Fehler rührt allein von der Ersetzung
der zu r%, r%, x exakt gehörenden Werte der Zwischenwinkel durch
die Werte f;, fx, / her, welche voneinander um Größen der Ord-
nung &’*! verschieden sind, da beide von den wirklichen Werten
derselben bloß um solche abweichen, und dies ergibt in den 74,7%, 2%
Fehler der Ordnung &’+?, so daß n,,n," sogar um eine Einheit ge-
nauer folgen als fürs erste nötig ist!!®). Die so der » + 1" Näherung
‚zugrunde zu legenden Ausdrücke (69) lassen sich noch leicht, ohne
die erforderliche Genauigkeit zu unterschreiten, in die von Gauß ver-
wandte Form bringen:
(72) N = TrP (1 — a): N = IEF (1 + u) ’
[24 [73
(73) Bar ES N KR
Q u; are " T: "re a8 2 ah "x ne c08 fs 608 fe co3 %- ;
welche überdies den Vorteil besitzt, die Berechnung bloß von y%, n%
zu erfordern.
Dies Verfahren wird erst in der „Theoria motus“ auseinander-
gesetzt, während bei den ersten Bahnbestimmungen der Ceres und
Pallas Gauß sich entweder der Methode der Variation der geozen-
trischen Distanzen (Nr. 26) bediente oder auch nach Hinzufügung der
Differenz Beob.-Rechn. zum beobachteten mittleren Orte zu einer
neuen Bahnrechnung schritt.
116) Ein Verfahren aber, welches bei den folgenden Näherungen direkt die
numerischen Werte n,, n,'’ in die Grundgleichungen einführt, worauf im wesent-
lichen W. Fabritius Berechnung der richtigen Distanzen, Kiew 1877 und Astr.
Nachr. 90 (1877), p. 127 hinauskommt, entbehrt hienach der theoretischen Grund-
lage seiner Konvergenz.
15. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen. 409
Aus der Tatsache, daß die auf obigem Wege ermittelten n,, nx",
bis e**° inklusive genau sind, erhellt die Möglichkeit, bei Ersetzung
der Näherungsausdrücke (n), (n”) durch genauere bei jedem Schritt
immer gleich um zwei Einheiten in der Genauigkeit zu steigen. Bei
gleichen Zwischenzeiten ist dies bei der geschilderten Gaußschen
Methode von selbst der Fall, bei beliebigen Zwischenzeiten aber, wenn
man mit v. Oppolzer obiges Approximationsverfahren an seine Methode
anschließt. Aus der gleichen Tatsache erhellt aber auch die Un-
möglichkeit, auf dem gleichen Wege etwa bei Verwendung der
Gibbsschen Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse um mehr als zwei
Einheiten in der Genauigkeit bei jedem Schritt zu steigen.
Übrigens geht Gibbs auch hier einen anderen Weg. Da er die Ele-
mente aus allen drei heliozentrischen Orten ohne Heranziehung der
Zwischenzeiten bestimmt, so ist die Bedingung, der die strengen Werte
der Distanzen genügen müssen, diese, daß die umgekehrt aus den Ele-
menten und heliozentrischen Orten herschüle Zwischenzeiten 0, 0”
den gegebenen ®, 0” gleich sind. Dies mit beliebiger Gehmilgkeit zu
erreichen, ersetzt er in den Ausdrücken (44) der ” n' die 6, 6”
durch so zu bestimmende unbekannte Größen r, r”, daß @, 0", die
jetzt bestimmte Funktionen von r, r” sind, gerade gleich 0,6” werden.
Da nun allgemein sehr nahe = r, 0” —= 1” ist, so EM die r, r”
einfach durch sukzessive Iteration erhalten, indem man immer beim
folgenden Schritt r, 7” ersetzt durch +0 — 0,1” + 0" — 0’ und
beim ersten natürlich wie vorhin r = 6, r = 0” nimmt.
15. Bahnbestimmung aus vier Beobachtungen. Fällt die Bahn-
ebene des Planeten mit der Ekliptik zusammen, so sind alle geozen-
trischen Breiten Null, und da aus dem Verschwinden zweier Breiten
bereits das jeder anderen folgt, so liefern hier drei Beobachtungen
bloß fünf unabhängige Daten und lassen also die Bahn unbestimmt.
Daher werden bei sehr geringer Neigung der Bahnebene gegen die
Ekliptik die Elemente durch drei Beobachtungen sehr unsicher be-
stimmt sein. Diesen Übelstand zu beseitigen ersetzt man nach Gauß"")
die Angabe der einen geozentrischen Breite durch jene der geozentri-
schen Länge einer vierten Beobachtung, oder man zieht allgemeiner
gesprochen (Oppolzer)*'®) die acht Daten von vier Beobachtungen (der
Zeiten £,, %,, iz, £,) dadurch in sechs unabhängige zusammen, daß man
die Angabe zweier der scheinbaren Orte (t,, 1) ersetzt durch die
zweier, je einen der beiden Orte enthaltender größter Kreise K,, K,
117) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 164 ff.
118) Th. v. Oppolzer, Bahnb. 1, p. 413.
410 VIz,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
und stellt so die neue Aufgabe: jene Bahn zu finden, welche zwei
Gerade und zwei Ebenen zu gegebenen Zeiten t,,t, und £,, £, schneidet.
Die Grundgleichungen der auf den Prinzipien von Nr. 8 beruhenden
Methode ihrer Bestimmung sind die aus der Anwendung der Relation (29)
auf die Orte 4, {,t, mit K, (= 2,3) als Bezugkreis und der Rela-
‘tion (48) auf eben diese Orte folgenden Beziehungen 4):
Al; 3 A; i
(dab) As (g, ein p.,— A, sin B,) + A (qsinp,— Rysin Du)
DR =(, (= 2,3),
Ari — sin 2f,,:sin 2f,:sin2fi, (=2,3),
(75a,b) a
A,,
LA 104
nebst einer zu (49) analogen Gleichung (75e), welche den helio-
zentrischen Zwischenwinkel f,, trigonometrisch durch o,, oe, ausdrückt.
Sie reichen in der Tat, den Zusammenhang zwischen r, und og,
bemerkt, gerade aus die Distanzen r, samt den Zwischenwinkeln f,;
zu ermitteln, falls noch die Dreiecksverhältnisse wie früher durch ihre
Ausdrücke in den r, ersetzt werden. Hiezu hat man aber einerseits
festzustellen, daß abweichend gegen früher bei Verwendung »v'” Nähe-
rungswerte der Dreiecksverhältnisse bloß » — 3 Näherungswerte der
Distanzen folgen, und andererseits zu beachten, daß bloß jene Nähe-
rungsausdrücke, die r,, r, allein enthalten, praktikabel sind, weil bei
diesen dann (74a,b) bloß die beiden Unbekannten r,,r, enthalten,
und sich so die numerische Rechenarbeit auf die durch Versuche zu
erfolgende Auflösung dieser zwei Gleichungen reduziert, während die
übrigen Unbekannten sich nachher aus (75a,b,c) direkt bestimmen.
Obwohl hienach vierte Näherungswerte der Dreiecksverhältnisse die
niedrigst zulässigen wären, so langt Gauß!!") doch, wenigstens bei
mäßiger Exzentrizität und nahe gleichen Zwischenzeiten, mit seinen
Ausdrücken aus, weil die Glieder dritter Ordnung in ihnen für Kreis-
bahnen allgemein, für gleiche Zwischenzeiten aber vermöge seiner
Vorschrift, die äußeren Orte als unvollständig zu wählen (,<t,<t,<t,),
verschwinden. Die gleiche Methode gibt auch J. C. Watson '”°).
Th. v. Oppolzer‘'?) wählt zur Erhöhung der Genauigkeit der Be-
stimmung der Bahnlage die beiden inneren Orte als unvollständig
(, <t,<t,<t,) und hat in den von ihm aufgestellten Ausdrücken (43)
nun unmittelbar bloß »,, r, enthaltende vierte Näherungswerte der Drei-
ecksverhältnisse, denen er übrigens noch die mit der Exzentrizität nicht
119) Unter A,,, 2/,, ist das Dreieck und der Winkel zwischen r,, r;, unter
Pr, P;: der sphärische Abstand des Planeten und der Sonne zur Zeit £, von K,
verstanden.
120) J. ©. Watson, Theor. astr., p. 282.
16. Bestimmung einer Kreisbahn. 411
verschwindenden Glieder vierter Ordnung hinzufügt, die ebenfalls durch
Y,,r, allein ausdrückbar sind. Die Ermittlung beliebig genauer Werte
der Distanzen erfolgt jedesmal genau so wie in Nr. 14, indem man
immer mit den zuletzt gefundenen Näherungswerten der r,, f,, die n-
Größen und aus diesen die numerischen Korrektionen der angewandten
“Ausdrücke der Dreiecksverhältnisse bestimmt, durch deren Verwen-
dung dann die nächsten Näherungswerte der Distanzen folgen. Die
Elemente ergeben sich dann nach Nr. 13 aus zweien, am besten den
beiden äußeren, der durch die Distanzen bekannt gewordenen helio-
zentrischen Orte. |
Die @ibbsschen Ausdrücke der Dreiecksflächen zieht W. Fabri-
tius'”') heran.
Unter numerischer Diskussion der einzelnen Glieder der Reihen-
entwicklungen der Dreiecksflächen sucht E. Ooddington '”?) ein verein-
fachtes Verfahren aufzustellen, bei dem insbesondere die Korrektion
der Dreiecksflächen statt durch Berechnung der n-Größen einfach
durch Berechnung weiterer Glieder ihrer Reihenentwicklung erfolgt.
Zur Ermittlung beiläufiger Näherungswerte der Distanzen gibt A. .Der-
berich"”?) ein abgekürztes Verfahren. Verschiedene zweckdienliche
Winke auch bei Klinkerfues-Buchholz'?*).
16. Bestimmung einer Kreisbahn. Im Falle die zu bestimmende
Bahn von vornherein als kreisförmig vorausgesetzt wird, wie dies zur
Erlangung einer allerersten Orientierung über die Bahnlage eines neu-
entdeckten kleinen Planeten bisweilen geschieht, sinkt die Zahl der
zu ermittelnden Elemente auf vier, indem mit der Exzentrizität auch
die Perihellänge in Wegfall kommt, und es reichen also zu ihrer Be-
stimmung die vier Daten von zwei vollständigen Beobachtungen gerade
aus. Da diese jetzt wieder zwei Gerade liefern, auf denen der
Planet sich zu den Beobachtungszeiten befinden muß, und seine gleich-
zeitigen heliozentrischen Entfernungen immer gleich dem Radius der
Bahn sind: r—=r"=a, erscheint die Lage der beiden Orte im
Raum von der einzigen Unbekannten a abhängig, zu deren Bestim-
mung man nun die Bedingung heranzuziehen hat, daß der von den
Radienvektoren der beiden Orte angeuchlogseng‘ Winkel 2f' den vom
zweiten Keplerschen Gesetz geforderten Wert —;- hat. Dies liefert
121) W. Fabritius, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 321.
122) E. Coddington,. Dissertation, Berlin 1902.
123) A. Berberich, Veröffentl. d. kgl. Recheninst. Nr. 20 (1902), p. 81.
124) W. Klinkerfues-H. Buchholz, Theor. Astr., p. 460.
A192. VI 2,9. G. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
nach Nr. 11 Gl. (49) die Gleichung:
in? SE BE te 7
SINN S 7 BIN 5.008 FAN Ten =
[44 „ „ „”
(76) 94045, dep'tute,
R Rn. ae 2
inz=7-siny, in’—--siny”, .
welche durch Versuche nach a aufzulösen ist, worauf die übrigen
Elemente N,i,e aus den jetzt bekannt gewordenen beiden heliozen-
trischen Orten folgen!®). Die Frage, wann den beiden Beobachtungen
durch eine Kreisbahn nicht genügt werden kann, also (76) keine reelle
Lösung zuläßt, behandelte unter der Voraussetzung, daß die Beo-
bachtungen nahe der Ekliptik gelegen und der Opposition zeitlich
benachbart sind, F\ Tisserand'?°) und zeigte, daß dies dann eintritt,
wenn die Bewegung in Breite eine gewisse Grenze übersteigt. Seine
Darlegung vereinfachte H. Bourget'?”).
Die Aufgabe, aus drei Beobachtungen eines in der Ekliptik sich
bewegenden Planeten eine Kreisbahn und gleichzeitig die Konstante k
zu bestimmen, behandelt G. W. Hill!?®).
b) Kometenbahnen.
17. Formulierung der Aufgabe. Grundgleichungen. Im Falle
die zu bestimmende Bahn von vornherein als Parabel vorausgesetzt
wird, wie dies bei einer ersten Kometenbahnbestimmung ausnahmslos
geschieht, erscheinen die noch übrigen fünf Elemente durch die sechs
Daten dreier Beobachtungen überbestimmt, und man zieht deshalb die
beiden Angaben der mittleren Beobachtung dadurch in eine einzige
zusammen, daß man einen noch beliebig zu fixierenden größten
Kreis K durch den mittleren Kometenort auf der scheinbaren Himmels-
kugel legt, und dann allein die Bedingung benutzt, daß der mittlere
Ort auf K liegen soll — mit anderen Worten, man ersetzt in der
Formulierung von Nr. 7 der allgemeinen Bahnbestimmungsaufgabe
die Gerade E’H’ durch eine sie enthaltende Ebene. Dies hat zur
Folge, daß man von den drei in (29) enthaltenen Grundgleichungen
bloß die eine bei Wahl von K als Bezugskreis resultierende bilden
kann; also mit den Bezeichnungen von Gl. (29) und Berücksichtigung
125) Klinkerfues-Buchholz, Theor. Astr., p. 237 (nach mündl. Mitt. v. Gauß).
126) F\. Tisserand, Paris C.R.119 (1894), p.881. Paris Bull. astr. 12 (1895), p. 53.
127) H. Bourget, Paris Bull. astr. 23 (1906), p. 81.
128) @. W. Hill, Proc. of the Amer. Acad. 3 (1870), p. 201 = Works 1,
p. 77; The Analyst. 1 (1874), p. 43 = Works 1, p. 170.
17. Formulierung der Aufgabe. Grundgleichungen. 413
daß p —=0 ist:
(77) e"=Mo+m,
Gr ich M
(78) i n” sin p”’?
et (nRsin P-+ n’R’sin P’— R’'sin P)).
Diese erste Grundgleichung enthält nun bloß 0, e” oder die mit
diesen in einfacher geometrischer Beziehung stehenden r, r” als Un-
bekannte. Denn hier bei der Parabel sind, wie eine Konstanten-
zählung lehrt, oder aus Nr. 9 wegen 20 hervorgeht, n, »” durch
r, r', 0, 0° allein, ohne Heranziehung von r’ ausdrückbar.
In endlicher Form sind hier die Dreiecksverhältnisse in ihrer
Abhängigkeit von den beiden äußeren Radien und den Zwischen-
zeiten durch die von F. W. Bessel'??) hergeleiteten beiden kubischen
Gleichungen gegeben:
i 42° — 3(r Hr) + +0"—=0
(79) y-— + Hr +7" — 209)y+40"—r)2— 4(0’— 0,
n=ı—y W=rH+y.
„
Die zur Bestimmung von r, r’ nötige zweite Grundgleichung
bildet dann der Eulersche Satz:
(80) ltr let,
da die Sehne s= HH” ebenfalls mit r, r” in einfacher trigonometri-
scher Beziehung steht.
Diese beiden Gleichungen müssen nun wieder dadurch erst trak-
tabel gemacht werden, daß man in der ersten für n, n” passende
Näherungsausdrücke verwendet, wobei man überdies aus der noch
willkürlichen Lage von X wird Nutzen zu ziehen haben. In dieser
Richtung hin ist es wesentlich festzustellen, daß, wie zuerst T’h. Olausen '?°)
klargelegt hat, es hier, um r, r” bis Größen der Ordnung &” exklusive
genau zu erhalten, genügt für M, m bis Größen der Ordnung e”*!
exklusive genaue Werte einzuführen. Solche zu erhalten, genügt es
bei allgemeiner Lage von K für n, n” bis ®”+! exklusive genaue Werte
zu verwenden, wofern diese nur nn” bis &’+? exklusive genau
geben; bei der Olbersschen Wahl von K aber genügt hiezu, daß n/n”
bis &*! exklusive genau ist.
129) F. W. Bessel. in der Zeitschrift: „Astronomische Abhandlungen‘, hrsg.
v. Schumacher, Heft 2, Altona 1823. Abgedruckt in Bessel, Abh. 1, p. 13.
130) Th. Clausen, St. P&tersb. bull. (phys.) 10 (1852), p. 175; vgl. auch J. F.
Encke, Berlin astr. Jahrb. für 1856, p. 362.
414 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
18. Ermittlung von Näherungswerten der Distanzen nach
der Methode von W. Olbers"?!). Diese liefert im allgemeinen erste,
bei gleichen Zwischenzeiten, 0 = 6”, aber zweite Näherungswerte der
Distanzen.
Bei ihr wird zunächst der größte Kreis X durch den mittleren
Sonnenort gelegt, wonach p, p’, P, P’ im allgemeinen Größen der
Ordnung e sind und P=0 wird, so daß nach (30) aus (78):
n sin n sin P sin P” vr n N\sinP
N, ra
folgt. Für M, m werden nun niedrigst zulässige, also zweite Nähe-
rungsausdrücke verwendet. Solche sind aber, da m durch die beson-
dere Wahl von X von der Ordnung e? bei gleichen Zwischenzeiten
von der Ordnung &° geworden ist:
0 sin
(82) N=—; ng” m—=0,
welche Ausdrücke im besondern bei gleichen Zwischenzeiten dritte
Näherungswerte repräsentieren. Die Bestimmung von r,r” aus den
durch die geometrischen Beziehungen zwischen r, r” und 0, 0”,s zu
ergänzenden Gleichungen (77) und (80) wird dann von Gauß"??) auf die
Ermittlung einer einzigen mit oe linear zusammenhängenden Unbekann-
ten u zurückgebracht, durch die sich s und # + r” in der Form dar-
stellen:
(3)s-Ve FE, r—Valu+ BL, "’-Vaa FE" Hy"
und die nun so zu bestimmen ist, daß diese Werte die Eulersche
Gleichung (80) erfüllen. Dies geschieht durch Anwendung der regula
falsi oder eine Art fortgesetzter Iteration. Auch kann die Enckesche
Behandlung der Eulerschen Gleichung (vgl. Nr. 19) hiebei mit Vor-
teil benutzt werden.
Eine der Olbersschen im wesentlichen gleiche Methode hat, wor-
auf W. Fabritius'””) aufmerksam machte, bereits A. Du Sejour'?*)
vorgeschlagen. Auch J. Lambert'?’) kam derselben äußerst nahe und
benutzte später!?®) direkt die Olberssche Gleichung (77) mit den Werten
(82), was des näheren R. Vogel"?”) und J. Bauschinger'?®) erörtern.
131) W. Olbers, Abh. über Kometenbahnen = Werke 1, p. 3.
132) ©. F. Gauß, Monatl. Corr. 28 (1813), p. 501; Gött. Com. soc. reg. 2
(1813) = Werke 6, p. 25.
133) W. Fabritius, Astr. Nachr. 106 (1883), p. 87.
134) A. P. Dionis du Sejour, Paris Hist. 1779, M&m. p. 51.
135) J. Lambert, Insign. propr. 1761, probl. 31.
136) J. Lambert, Berlin M&m. 1771, p. 352.
137) R. Vogel, Astr. Nachr. 136 (1894), p. 83.
19. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen. 415
Läßt man ferner insbesondere die Zwischenzeiten 6, 0°’ nach Null
konvergieren, so gehen die Grundgleichungen der Olbersschen Methode
in diejenigen der auf parabolische Bahnen zugeschnittenen Laplace-
schen Methode (vgl. Nr. 12) über:
2 .2
e ee,
in denen V die Geschwindigkeit des Kometen in seiner Bahn, p aber den
jeweiligen sphärischen Abstand des scheinbaren geozentrischen Kometen-
ortes von jenem größten Kreise bezeichnet, der zur „Beobachtungszeit“
diesen mit dem gleichzeitigen Sonnenort verbindet. Die erste Gleichung
kann auch unmittelbar als Ausdruck der Tatsache gefunden werden,
daß die Relativbeschleunigung des Kometen gegen die Erde in der
Ebene von Sonne—Erde— Komet liegt. Aus beiden Gleichungen folgt,
die kinematische Beziehung zwischen es und Y hinzugedacht, eine
Gleichung 6 Grades für oe, welches wieder der niedrigste Grad ist,
auf den das Kometenproblem reduzierbar ist. Sind indessen die ersten
und die zweiten Differentialquotienten der beiden Koordinaten des
scheinbaren Ortes vollständig gegeben, so kann durch Hinzunahme
der Relation V? = a zu dem System (50) e im Prinzip rational
gefunden werden, worauf neuerdings L. Picart'??) zurückkommt. Das
Verhältnis der Laplaceschen zur Olbersschen Methode erörtert R. Ra-
dau“). Die mehrfachen Lösungen des Kometenproblems untersucht
Th. v. Oppolzer'*"), indem er die Eulersche Relation näherungsweise
durch ?— 80; ersetzt und zeigt, daß die dann resultierende Gleichung
6'® Grades für eg immer nur eine oder drei reelle positive Wurzeln
besitzt. Dieselbe Frage behandelt dann E. Pasquwier '*?).
19. Bestimmung der Elemente aus den Distanzen. Die die
Bahnlage fixierenden Elemente i, Q ergeben sich wie bei Planeten-
bahnen sofort trigonometrisch aus den durch o, 0” bekannt gewor-
denen heliozentrischen Orten. Den Weg zur Bestimmung der übrigen .
Elemente eröffnet die Ermittlung der Gestalt der Parabel, also des
Parameters 9, welche hier abweichend von Nr. 13") durch die beiden
138) J. Bauschinger, Veröffentl. d. Kgl. Recheninstitutes Nr. 20, (1902), p.1.
139) L. Picart, Paris. Bull. astr. 16 (1899), p.412; Paris 0. R. 129 (1899), p. 17.
140) R. Radau, Paris. Bull. astr. 4 (1887, p.409; Paris ©. R. 105 (1887), p. 457.
141) Th. v. Oppolzer, Wien Ber. 86 (1882), p. 885; Oppolzer, Bahnb. 1, p. 308.
142) E. Pasquier, Belg. Bull. (3) 32 (1896), p. 111.
143) Die dortigen Formeln auf die Parabel anzuwenden, hat man bloß zu
bemerken, daß für diese stets = — 0 ist.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 28
416 YVIs»,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Radien r, r” und die Zwischenzeit 0’ allein bestimmt erscheint, da
der dort unter Zuhilfenahme der Beobachtungen abgeleitete Zwischen-
winkel 2f’ hier vermöge der Sehne s gefunden werden kann, welche
selbst wieder aus (80) zu berechnen ist. Letzteres geschieht nach
J. F. Encke‘“*) praktisch durch:
(85) en (r m r") sin Y; sin z = v2 sin = sin = N
oder durch Benutzung der ebenfalls von J. F. Encke'°®) entworfenen
u-Tafel, welche mit dem Argument en den Wert von
3 cos
(86) ar gibt, mit welchem s—
folgt.
Da sich weiter das Verhältnis von Sektor zu Dreieck in der
Form darstellt:
a LE SER 1
(87) ar 7 Vs
20
Ye
so ist hienach auch der Parameter:
(88) Va nrr" sin 2f’ DM Yer? Mm a eosy
2 cos
sin — fr
gegeben. Nach dessen Bestimmung aber a Perihellänge © und
Perihelzeit {, ohne weiteres aus den Gleichungen der parabolischen
Bewegung.
20. Ermittelung beliebig genauer Werte der Distanzen. Auch
für das weitere auf den Prinzipien von Nr. 14 beruhende Approxi-
mationsverfahren zur Auffindung beliebig genauer Werte der Distanzen
gestalten sich bei der Olbersschen Wahl von K die Verhältnisse be-
sonders günstig. Um v + 1% Näherungswerte der Distanzen zu er-
halten, genügt es, für — einen v + 2‘ Näherungswert in M und m
Rn
einzuführen. Hat nun eine vorhergehende Näherung v' Näherungs-
werte r,, vr; der Distanzen ergeben, so wird man einen Fehler der
erlaubten Ordnung &”*? (bei gleichen Zwischenzeiten der Ordnung &”*°)
. . ”n
begehen, wenn man ebendiese in den Ausdruck von - durch v,r", 6,
144) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. für 1833, p. 264. Eben diese Umfor-
mung bei A. P. Dionis du Sejour Paris Hist. 1779, M&m. p. 51; ferner in Gauß
Nachlaß Werke 7, p. 327, früher von Klinkerfwes mitgeteilt Gött. Abh. 10, p. 196
unter Beifügung einer Tafel für u und n. Fine ebensolche bei B. Nicolai, Astr.
Nachr. 10 (1833), p. 233 und J. Bauschinger, Tafeln, Nr. 22 und 24.
20. Ermittlung beliebig genauer Werte der Distanzen. 417
einsetzt, und man wird also für M und m die numerischen Werte:
n, sinp De sin P R sin P’ R'
(89) My rag N," sin p” , My IE N, sin p’ + sin p”
verwenden können. Einen Fehler an Ordnung begehend,
kann man aber weiter m, auch durch -- m, ersetzen, was darauf
hinauskommt, die Grundgleichungen mit den Werten:
(90) M=M,+2%, m—0,
anzusetzen, so daß die Ermittelung » + 1'% Näherungswerte aus „'”
wieder durch formal genau ebendieselben Gleichungen geschieht wie
unter Nr. 18 die erster. Gleichzeitig erhellt aus den angegebenen
Fehlerordnungen, daß bei gleichen Zwischenzeiten dies Verfahren bei
jedem Schritt stets um zwei Einheiten genauere Werte der Distanzen
liefert.
*
. n .
Die Berechnung von „*; aus r,,r,', 0, 0” kann hier streng ent-
*
weder durch die Besselschen Gleichungen (79) geschehen, oder dadurch,
daß man auf Nr. 19 basierend noch vr,’ und damit n,, x ermittelt.
Mit einer wenigstens für die ersten Schritte, die aber in der Praxis
stets ausreichen, genügenden Genauigkeit kann man sich nach E. Weiß")
und W. Fabritius‘) hiezu auch mit Vorteil des Gibbsschen Aus-
druckes bedienen:
Eesakhehlize ih
(91) a en
* 1 Te
welcher im allgemeinen bis zu dritten Näherungswerten der Distanzen
in drei Schritten, bei gleichen Zwischenzeiten aber bis zu vierten
Näherungswerten in zwei Schritten führt. Endlich kann auch bei
den weiteren Näherungen die Auflösung der mit dem verbesserten M
gebildeten Grundgleichungen dadurch umgangen werden, daß man die
Änderung von M als differentiell betrachtet und den Differential-
quotienten -; ei aus (77), (80) bildet. Den Ausdruck für _ leitet
4.0. Teuschner tn ab und gibt gleichzeitig Formeln für die differen-
tiellen Änderungen der Elemente bei Variation von o, 0”. Ein von
obigem verschiedenes sukzessives Näherungsverfahren hat Carlini
in Vorschlag gebracht. Man kann nämlich auch die strengen
145) E. Weiß, Wien Ber. 100 (1891), p. 1132.
146) W. Fabritius, Astr. Nachr. 128 (1891), p. 225.
147) A. O. Leuschner, Berlin. Dissertation 1897.
28*
418 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Werte der Distanzen mit der Annahme (82) bestimmt denken, wo-
fern man bloß den Bezugskreis K nicht mehr durch den mittleren
Kometenort gehen läßt, sondern unter Festhaltung seines Knotens
seine Neigung r abändert. Und zwar wird dieses r so zu be-
stimmen sein, daß wenn man mit den aus o, o” folgenden Ele-
menten, den Ort für die Zeit der mittleren Beobachtung berechnet,
die Neigung ® des durch ihn und den mittleren Sonnenort ge-
legten Kreises der beobachteten # gleich ist: $=#. Da nun wieder
allgemein bis auf Größen höherer Ordnung $ —= r ist, so findet man
t durch sukzessive Iteration, indem man immer beim folgenden Schritt
t ersetzt durch v+9#— # und beim ersten natürlich wie vorhin
t=%# setzt.
21. Ausnahmefälle. Methode von Gauß. Die Konvergenz der
Olbersschen Methode erscheint in dem Falle zunächst wenigstens fraglich,
in welchem 9, p” von höherer als erster Ordnung in s sind, also die drei
scheinbaren Kometenorte und der mittlere scheinbare Sonnenort sehr
nahe auf einem größten Kreise liegen. Einerseits wird dann nämlich m
von niedrigerer als zweiter Ordnung in eg, also nicht zu vernachlässigen
sein, andererseits erscheint auch M numerisch recht unsicher bestimmt.
Nun läßt sich durch andere Wahl von K, etwa normal zu dem die
beiden äußeren Kometenorte verbindenden größten Kreise, oder nach
E. Weiß'“®) so, daß sein Knoten in der Ekliptik um 90° von der
Mitte zwischen den beiden äußeren Sonnenorten absteht, sofort er-
reichen, daß », p” von erster Ordnung, also M numerisch sicher be-
stimmbar ist. Dagegen bleibt m auch dann noch, wie (30) lehrt, von
erster Ordnung, wird aber doch durch den in seinen Gliedern nieder-
ster Ordnung auftretenden Faktor u _ in den meisten Fällen
R®:
erheblich verkleinert, da die Kometen zumeist in Erdnähe entdeckt
werden. Th. v. Oppolzer“®) behält in solchen Fällen m bei und er-
setzt n, n’ durch die beiden ersten bloß von r + r” abhängigen
Glieder seiner Näherungsausdrücke (43), wonach seine Grundgleichungen
freilich nieht mehr auf die einfache Olbers-Gaußsche Form reduzier-
bar sind. Sie liefern wie diese im allgemeinen erste, bei gleichen
Zwischenzeiten aber zweite Nähernngswerte der Distanzen.
Indessen findet sich im Nachlasse von ©. F. Gauß") eine Me-
thode ausgearbeitet, der die gleiche Genauigkeit wie der Olbersschen
148) E. Weiß, Wien. Ber. 92 (1885), p. 1456, wo auch ein weiterer Kunst-
griff zur genaueren Berechnung von M angegeben wird.
149) Ih. v. Oppolzer, Wien. Ber. 57 (1868), p. 219; €0 (1870\. p. 918; 64
(1871). p. 676.
150) ©. F. Gauß, Werke 7, p. 332—350.
22. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration. 419
zukommt, aber bei beliebiger Wahl von K und einem ebenso ein-
fachen Rechenschema. Gauß setzt in der Grundgleichung:
0 Z 1
02) nA
ae)
was im allgemeinen n, n” bis &® und n-+ n” bis &° exklusive genau
wiedergibt, bei gleichen Zwischenzeiten 6 — 6’ aber bis e° bzw. &* ex-
klusive, und erhält damit aus (29) statt der Olbersschen Relation
oe" FAR Mo:
BERE 1
(93) Me+ eTR= er)
und hiemit bei Einführung einer Hilfsgröße u analog zu (83):
B 2
(94) ?=wW#"+4H+ a c),
2
"—elut+ 2m) +
(95) ie ; ai;
r?—d'(u+B Karat
Die Eulersche Relation (80) aber ersetzt nun Gauß mit großer
Annäherung durch:
(96) An 2
kis 14 70°
ae IE
und geht nun zur Auffindung von r, r”, s, u in der Weise vor, daß
zu einem angenommenen Werte von r + r” aus (96) s, damit aus
(94) u, und damit aus (95) r, r’” berechnet werden, wobei dann r +r”
dem angenommenen Werte gleichkommen muß, was durch Iteration
oder Anwendung der regula falsi sehr rasch erreicht wird. Statt (96)
werden übrigens noch verschiedene andere Formen benutzt und auch
ein besonderes Verfahren*!) zur Herleitung der Elemente aus r, r”, s
gegeben.
22. Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration. Da die
durch die Beobachtung gelieferten Visionsstrahlen nicht unmittelbar
die in Nr. 7 zugrunde gelegten Verbindungsgeraden zwischen Erd-
mittelpunkt und Himmelskörper darstellen, sondern die noch durch
die Aberration verfälschten Verbindungsgeraden zwischen dem Be-
obachtungsorte und dem Himmelskörper, so müßten noch durch An-
bringung der Korrektionen wegen Parallaxe und Aberration jene
aus diesen hergeleitet werden. Da nun einerseits die zur Reduk-
151) ©. F. Gauß, Werke 7, p. 827.
3
420 VlI2»,9. :@. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
tion des beobachteten Ortes auf den Erdmittelpunkt nötige geo-
zentrische Distanz des Himmelskörpers von vornherein unbekannt ist,
und sich andererseits die Rechnungen zur Ermittlung der Bahn etwas
vereinfachen, wenn die drei Erdorte mit der Sonne in einer Ebene
liegen, so legt man nach Gauß"??) zur Elimination der Parallaxe die
Durehschnittspunkte der Visionsstrahlen mit der Ekliptik als fiktive
Erdorte (locus fictus) der Bahnbestimmung zugrunde, bringt also
eine entsprechende Korrektion an den den Tafeln entnommenen Ko-
ordinaten der Erde an. Der Einfluß der Aberration??) dagegen muß
zunächst unberücksichtigt bleiben, und erst nach Erlangung der
ersten Näherungswerte der geozentrischen Distanzen können die dies-
bezüglich korrigierten Beobachtungsdaten gewonnen werden, welche
dann der Ermittlung der nächsten Näherung zugrunde zu legen
sind. Hiebei handelt es sich noch darum, diese Korrektion in einer
solehen Weise anzubringen, daß möglichst wenige von den schon für
die erste Näherung aus den Beobachtungen abgeleiteten Hilfsgrößen
geändert werden. Dies wird erreicht, indem man ausgehend von der
Bemerkung, daß der von der Fixsternaberration befreite, beobachtete
Ort gleich dem vom selben Erdort aus gesehenen, wirklichen Ort zur
Zeit E— - ist, die von eg unabhängige Fixsternaberration gleich von
e
vornherein an den Beobachtungen anbringt, und nach Erlangung der
ersten Näherungswerte der Distanzen jede Beobachtungszeit um die
zugehörige Lichtzeit verringert, und so mit alleiniger Abänderung der
Zwischenzeiten zur nächsten Näherung schreitet.
III. Definitive Bahnbestimmung.
23. Allgemeine Formulierung der Aufgabe. Die für die Kon-
vergenz der Bahnbestimmungsmethoden aus drei Beobachtungen not-
wendige Voraussetzung kleiner Zwischenzeiten hat zur Folge, daß
die den Beobachtungen anhaftenden Fehler solche von erheblich
größerem Betrage in den Elementen erzeugen, die sich dann in den
mit der Zeit anwachsenden Differenzen zwischen den berechneten und
beobachteten Orten zu erkennen geben. Es wird durch diese Ele-
mente also nur eine erste vorläufige Bahn festgelegt und aus wei-
teren Beobachtungen eine genauere definitive Bahn zu ermitteln sein.
Hiebei wird man einerseits sich durch die Kenntnis der genäherten
ersten Bahn von der Beschränkung auf zeitlich benachbarte Beob-
achtungen befreien, andrerseits zur Erreichung möglichster Genauig-
152) ©. F.Gauß, Theoria motus, art. 117.
153) ©. F. Gauß, Theoria motus, art. 118.
24. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte. 421
keit gleich sämtliche bekannten Beobachtungen heranziehen, indem man
die definitive Bahnbestimmung als Bahnverbesserungsaufgabe im An-
schluß an die Ausgleichungsrechnung so formuliert: eine bekannte
vorläufige Bahn so zu korrigieren, daß die Quadratsumme der schein-
baren geozentrischen Abstände der beobachteten Orte von den gleich-
zeitigen berechneten Orten ein Minimum wird. Die Grundlage ihrer
Behandlung bildet die Voraussetzung, daß die an den vorläufigen
Elementen oder irgend sechs Bestimmungsstücken der Bahn anzu-
bringenden Korrektionen genügend klein sind, um ihre Quadrate und
Produkte vernachlässigen zu können.
24. Methoden mit gleichmäßiger Berücksichtigung aller Orte.
Sind daher in einem beliebigen geozentrischen Koordinatensystem zu
irgend einer der Beobachtungszeiten Länge und Breite des aus der
vorläufigen bzw. definitiven Bahn berechneten und des beobachteten
Ortes: L, B, bzw. L+6L, B+öBund L+6’L, B+ö’B, und
führt man die kleinen sphärischen Abstände der beiden letzten Orte
von dem dureh den ersten gehenden Längen- und Breitenkreis ein:
97 do—=cosBödL, Ö’o= cosBö'L,
Bi ör=6B, oe,
so wird zuvörderst sein sollen:
(98) A4= Z[(d6 — 0’6)’ + (dr — Ö’r)?] = Minimum.
Hier sind jetzt Ö’6, ö’r bekannte numerische Größen, do, Ör
aber nach Voraussetzung homogene, ganze lineare Verbindungen mit
bekannten numerischen Koeffizienten der unbekannten sechs Korrek-
tionen irgend welcher sechs Bestimmungsstücke der Bahn, die sich
sonach aus sechs linearen Gleichungen bestimmen. Die Wahl dieser
Bestimmungsstücke und die Entwicklung der analytischen Ausdrücke
der ds, ör, also die Bildung der Differentialquotienten der geozen-
trischen Koordinaten nach jenen, ist nun Sache der speziellen Me-
thodee Am unmittelbarsten bieten sich hier als Bestimmungsstücke
die Elemente selbst dar, welche Wahl der bereits von ©. F. Gauß'°t)
verwandten und seither am meisten benutzten und bearbeiteten Me-
thode der Variation der Elemente zugrunde liegt. (Über die Ausdrücke
der 66, ör bei dieser vgl. Nr. 25.) U. J. Leverrier"”°) brachte die
Wahl der dreien der Beobachtungszeiten entsprechenden geozentrischen
154) 0.F.Gauß, Theoria motus, art.187 und ©. F. Gauß, De elementis ellipticis
Palladis, Gött. Com. soc. reg. 1 (1811) = Werke 6, p. 3, abgedr. in Börsch-Simon,
Gauß’ Abhandlungen zur Methode der kleinsten Quadrate, Berlin 1887.
155) U.J. Leverrier, Paris C. R. 20 (1845), p. 1071. Astr. Nachr. 23 (1846),
p. 183.
422 VI»,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
Orte in Vorschlag, derart, daß die diesen Zeiten zugehörigen 66, ör
die Unbekannten der Aufgabe werden, was den Vorteil gewährt, bei
den Koeffizienten in den Ausdrücken der übrigen d6, ör mit wenig
Ziffern auszureichen. Seither ist nur R. Radau'?®) auf diese Methode
kurz zurückgekommen. Th. v. Oppolzer'°”) wählte die einer mittleren
Epoche zugehörigen rechtwinkligen, heliozentrischen Koordinaten und
Geschwindigkeiten des Himmelskörpers als Bestimmungsstücke. Da
nämlich von diesen die heliozentrischen Koordinaten zu einem be-
nachbarten Zeitpunkte nahe linear abhängen, so wird, wenn das Be-
obachtungsmaterial einen mäßigen Zeitraum (etwa eine Opposition)
umspannt, bei dieser Wahl der Vernachlässigung der Quadrate und
Produkte der Korrektionen eine erhöhte Genauigkeit zukommen. Er-
gänzungen zu\dieser Methode hat F. Kühnert!°®) gegeben.
Den gleichen Vorteil zu erreichen hat F. Tietjen'°”) die vollstän-
digen, zweien der Beobachtungszeiten zugehörigen geozentrischen
Koordinaten als Bestimmungsstücke gewählt, die do, ör aber wegen
der Kompliziertheit ihrer Ausdrücke nur für zeitlich benachbarte
Beobachtungen entwickelt.
25. Differentialguotienten der geozentrischen Koordinaten
nach den Elementen. Um für die Methode der Variation der Ele-
mente die Größen ö6, Ör oder gleich vollständiger do, do, Ör durch
die Änderungen der sechs Bahnelemente auszudrücken, hat man nach
dem Vorgange von Th. Olausen'‘) und W. Goetze'*') die Bemerkung
zu benutzen, daß do, od6, odr die Komponenten der Verrückung
ös sind, welche der Planetenort im Raume durch die Variation der
Elemente bei festgehaltenem t erfährt, und zwar genommen nach den
drei zueinander normalen Richtungen 0, 6, r, gebildet vom Visions-
strahl o und den Tangente ns bzw. r, welche in dem scheinbaren,
geozentrischen Orte des Himmelskörpers an den durch ihn gehenden
Breiten-, bzw. Längenkreis gelegt werden. Die Verrückung Ös
selbst aber wird, wenn R die Richtung des Radiusvektors des Him-
melskörpers, 7 die Normale seiner Bahnebene und $ die zu diesen
beiden normale Richtung bedeutet, in einfachster Weise durch ihre
nach diesen drei Richtungen genommenen Komponenten öR, 068, 06T
156) R. Radau, Paris Bull. astr. 21 (1904), p. 401.
157) Th. von Oppolzer, Berlin Ber. 1878, p. 583; Oppolzer, Bahnb. 2, p. 428.
158) F. Kühnert, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 145.
159) F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb. für 1878.
160) Th. Olausen, J. f. Math. 7 (1831), p. 108.
161) W.C. Goetze, Astr. Nachr. 28 (1849), p. 97, 113 und 32 (1851), p. 113.
24. Differentialquotienten d. geozentrischen Koordinaten n. d. Elementen. 423
festgelegt:
doR=Ör, da=sinzsinidN\+tcoszdi,
(99) 68=r(dv+dy)=r(döu+t cosiön), HB=ecosasinidN— sinzdi,
d T=r(sinvda— cosvöß) Öoy=cstöNtör,
—=r(sinudi— cosusinidgl),
wobei d«, öß, öy die kleinen Drehungen sind, welche das Dreikant
R, S, T bei Variation von i, , x um seine Achsen ausführt, und
ör, öv endlich sich aus den Gleichungen von Nr. 3 ergeben zu:
i 2
A 97 = (OU + 1On) — a cosude — 7,00,
ra VE (60, + 1ön)+ a sino(1 T 2) de,
unter M, die mittlere Anomalie zur Epoche {= 0 verstanden. Bei
hyperbolischen Bahnen hat man in diesen Formeln M,, n, V1—e,
1 1 re
bzw. durch — M,, —n, iVe!—1 zu ersetzen.
Hienach können nun sofort do, 006, odr aus OR, 68, OT ver-
möge der leicht trigonometrisch zu berechnenden Richtungskosinusse
zwischen den Achsen o, 6, r und R, S, T zusammengesetzt werden,
welche Ausdrücke sich dann nach E. Schönfeld'®) durch Einführung
der Gaußschen Hilfsgrößen des Achsensystems o, 6, r (siehe Nr. 3)
noch erheblich zusammenziehen lassen. Mit der Herstellung der Dif-
ferentialquotienten beschäftigen sich noch M. Kowalski") und Th.
v. Oppolzer') Eine Vereinfachung auf anderem Wege zu erreichen
bezieht F\. Tietjen!®) Länge und Breite, L, B auf ein geozentrisches
System, dessen Achsen den Richtungen R, S, 7’ parallel sind, wodurch
wegen X (6, 7) = 90° öT aus Ö6 herausfällt, während, wie J. .Dau-
schinger!®°) anmerkt, sein Koeffizient cos (r, 7) in ör wegen
(101) co8?(6, 7) + cos?(r, 7) = sin?(e, T)
seinen maximalen Wert sin (0, 7)—= cos B erreicht. Dies gewährt
den Vorteil, daß sehr angenäherte Werte der Elementenkorrektionen
einfacher so zu erlangen sind, daß man erst Z(d6 — ö’6)’, welches
jetzt bloß von 6.M,, ön, de, öy abhängt, zu einem Minimum macht
162) E. Schönfeld, Astr. Nachr. 113 (1886), p. 65.
163) M. Kowalski, Rech. astr. de l’obs. de Kasan 1859, p. 91.
164) Th. v. Oppolzer, Wien. Ber. d. k. Akad. 49 (1864), p. 271.
165) F\. Tietjen, Astr. Nachr. 67 (1866), p. 91; F. Tietjen, Berlin astr. Jahrb.
für 1878. Im wesentlichen das gleiche früher bei 7. H. Safford, Mem. Am.
Akad. 6 (1858), p. 461; vgl. die histor. Angaben bei R. Radau, Paris Bull. astr. 21
(1904), p. 401.
166) J. Bauschinger, Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 23, 1903.
424 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
und dann noch d«, öß so bestimmt, daß unter Einführung der ge-
fundenen Werte jener vier Korrektionen Z(ör—0’r)? ein Minimum wird.
R. Radau'®') erzielt eine Trennung der Unbekannten dadurch,
daß er die Komponenten von ds in Richtung der Schnittgeraden der
Ebene or mit den Ebenen ST, TR, RS bildet, in denen bzw. ÖR,
8, 87T nicht auftritt, und die dritte in Verbindung mit der ersten
oder zweiten statt Ö6, ör der entsprechenden Minimalbedingung
unterwirft. Eine ähnliche Vereinfachung sucht A. Orlof!®) zu er-
zielen, während V. Cerulli'#) hiezu die Bildung der Bedingungs-
gleichungen für den Zeitpunkt der Opposition oder des Knotendurch-
gangs des Planeten vorschlägt. Auf die Tietjenschen Formeln ist
neuerdings @. Boccardi!'®) zurückgekommen. Bei nahe kreisförmigen
Bahnen wird der Natur der Sache nach dx nur unsicher erhalten
werden können, weshalb sich in diesem Falle die Einführung von
i i 1—e|t8”
ecosz, esinx, oder nach K. Bohlin''') von a, . _ an Stelle
1-telsinz
von e, x empfiehlt; P. V. Neugebauer”?) ersetzt im gleichen Falle
örx durch eöy. Bei nahe parabolischen Bahnen, wird durch Ein-
führung der Elemente e, g, t, statt e,n, My:
dq
1)
Ir— [ram ®
pP
+ cos vdq — Et Öt,,
v9 — ın® r us je q
00 [gsinv(1 +7) — Vallgz.r =)
—sino (142) 09 — VR or,
esin®
(102)
wo nun zwar die Koeffizienten von de für parabolische Bahnen be-
stimmte Werte erlangen, aber für nahe parabolische Bahnen numerisch
unsicher bestimmt sind, und daher so umgeformt werden müssen,
daß sich der Nenner 1—e kürzen läßt. Dies zu erreichen ent-
wickelte bereits €. W. @oetze''?) in ziemlich umständlicher Weise die-
selben nach Potenzen von 1— e, unter Hinzufügung diesbezüglicher
Hilfstafeln. In einfacher Weise gelangten dann E. Weiß!) und
167) R. Radau, Paris Bull. astr. 5 (1888), p.5; Paris ©. R. 105 (1837), p. 432.
168) A. Orloff, Paris Bull. astr. 22 (1905), p. 291.
169) V. Cerulli, Catania Mem. soc. spett. 34 (1905), p. 175.
170) @. Boccardi, Publ. d. Os. di Collurania Nr. 2 (1900), p. 37.
171) K. Bohlin, Astr. Nachr. 159 (1902), p. 165.
172) P. V. Neugebauer, Astr. Nachr. 157 (1902), p. 21.
173) C. W. Goetze, Erg.-Heft d. Astr. Nachr. (1849), p. 159.
174) E. Weiß, Wien Ber. 83, (1881), p. 466. Tafel v. J.v. Hepperger.
26. Methoden mit Bevorzugung zweier Orte. 425
Th. v. Oppolzer“®) durch Entwicklung nach Potenzen von tg? =
und E. Schönfeld‘) durch Heranziehung der Gaußschen Methode
der Bestimmung der wahren Anomalie in nahe parabolischen Bahnen
zum Ziele — Gewährt die Vernachlässigung der Quadrate und Pro-
dukte der Korrektionen der Elemente noch keine genügende An-
näherung, so muß das ganze Verbesserungsverfahren ein zweites Mal
mit Zugrundelegung der das erste Mal gefundenen verbesserten Bahn
wiederholt werden. Die Bildung der neuen do, dr kann hiebei in
leicht zu ersehender Weise durch Benützung der zweiten Differential-
quotienten der geozentrischen Koordinaten nach den Elementen,
welche L. Schulhof"'”) entwickelte, durchgeführt werden.
26. Methoden mit Bevorzugung zweier Orte. Weniger streng
vom Standpunkte der Ausgleichungsrechnung aus, aber mit geringerer
Rechenarbeit verbunden sind jene Verfahren, welche die Zahl der
Unbekannten dadurch verringern, daß sie gewisse Bestimmungsstücke
‚der Bahn, als welche insbesondere zwei der beobachteten geozentri-
schen Orte gewählt werden, als nicht zu verändernd festhalten. Als
zu korrigierende Bestimmungsstücke werden dann bei der bereits von
Gauß*'®) besprochenen und seither vielfach angewandten Methode
der Variation der geozentrischen Distanzen eg, o” genommen, deren
Korrektionen de, do” nun die beiden Unbekannten der Aufgabe sind.
Die Bestimmung der numerischen Werte der vier Koeffizienten von
de, de” in den einer der Beobachtungszeiten zugehörigen Größen
06’, ör’ geschieht in der Praxis meist einfach dadurch, daß auf dem
Wege über die Elemente, welche aus den passend zu wählenden
Wertepaaren n, o und o, n” von do, do” folgen, die entsprechenden
Wertepaare für 00’, ör’ berechnet werden. Mit den weitläufigen
analytischen Ausdrücken derselben haben sich ©. W. Goetze‘'”) und
N. Herz'?®) beschäftigt. Zu einfacheren genäherten Ausdrücken ist
J. Bauschinger '°‘) gelangt, welcher nach dem Vorgang von F. Tietjen'*?)
von der Bemerkung ausgeht, daß nach Gl. (28), zwischen den durch
175) Th. von Oppolzer, Berlin Ber. 1878, p. 852; Astr. Nachr. 95 (1879),
p. 13. Tafeln v. F. K. Ginzel in Oppolzer, Bahnb. 2, Tafel 16.
176) E. Schönfeld, Astr. Nachr. 113 (1886), p. 65.
177) L. Schulhof, Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 151, 192.
178) ©. F.Gauß, Theoria motus, art. 188,
179) ©. W. Goetze, Astr. Nachr. 32 (1851), p. 113 und Erg.-Heft (1849),
p. 159.
180) N. Herz, Wien Ber. 92 (1885), p. 590.
181) J. Bauschinger, Berl. Rechen-Inst. Veröff. Nr. 23 (1903).
182) F. Tietjen, Berl. astr. Jahrb. für 1878.
426 VIs,9. @. Herglotz. Bahnbestimmung der Planeten und Kometen.
eine Bahnänderung erzeugten Verrückungen ös, ds’, ös” dreier Orte
die vektorielle Gleichung besteht:
(103) dos’ —=nds + n”ds’ + (rön) + (r’ On”),
wenn die beiden eingeklammerten Größen Verrückungen dieses Be-
trages in Richtung der beiden Radienvektoren bedeuten. Hienach
sind, wenn für n, n” bloß r, r” enthaltende Näherungsausdrücke (vgl.
diesbez. Nr. 10) gesetzt werden, ös’° und dadurch auch do‘, ör'
gegeben, da sich ös, ör und ös”, dr” unmittelbar durch do bzw. 60”
ausdrücken lassen. Für eine zu verbessernde parabolische Bahn
werden als zu korrigierende Bestimmungsstücke bei 0. Hornsteins'??)
Methode des Übergangs von parabolischen auf nahe parabolische
Bahnen das Verhältnis M = $ der den beiden festgehaltenen Orten
zugehörigen geozentrischen Distanzen und der reziproke Wert der
großen Halbachse « = — gewählt, und die Ausdrücke 06’, örT’ wie
früher aus zwei speziellen Annahmen über dOM und da = = ge-
wonnen. Aus den verbesserten Werten von M, a folgen dann o,
eo” mittels eines unmittelbar aus der Olbersschen Methode durch Ein-
führung der Lambertschen Relation an Stelle der Eulerschen hervor-
gehenden Verfahrens, worauf aus den bekannt gewordenen zwei helio-
zentrischen Orten die Elemente in verschiedener Weise gefunden
werden können, je nachdem man hiebei auf den bekannten Wert
von @ rekurriert oder nicht. Die Methode der Variation des Ver-
hältnisses der geozentrischen Distanzen geht aus diesem Verfahren
hervor, wenn auch die verbesserte Bahn als parabolisch vorausgesetzt,
also an dem Werte «= 0 unverändert festgehalten wird. Die ana-
lytischen Ausdrücke der Differentialquotienten gibt für letztere
O. Leuschner'*).
183) C. Hornstein, Wien Ber. 38 (1864); C. Hornstein, Astr. Nachr. 38
(1854), p. 323.
184) O. Leuschner, Berl. Diss. 1897.
(Abgeschlossen im Dezember 1906.)
VI 2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem. 427
V12,10. DIE BESTIMMUNG DER METEOR-
BAHNEN IM SONNENSYSTEM.
Von
G. v. NIESSL
IN WIEN.
Inhaltsübersicht.
Literatur.
Allgemeines.
I. Ermittelung des Radiationspunktes und der geozentrischen Geschwindigkeit.
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Orten.
a) Bestimmung des Endpunktes der Bahn.
b) Bestimmung des scheinbaren Radianten.
c) Lage der Bahn, Bahnlänge, Höhe des Aufleuchtens.
d) Geozentrische Geschwindigkeit.
e) Zenitattraktion.
2. Einseitige Beobachtung verschiedener Körper desselben Stromes.
II. Ableitung der Bahn im Sonnensystem.
III. Beobachtungs- und Rechnungsergebnisse.
1. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und der Rechnungsergebnisse.
2. Ergebnisse für die Höhen des Aufleuchtens und der Hemmung, und ihre Be-
ziehungen zu anderen Faktoren (Massen, Geschwindigkeit). Vergleich mit der
Theorie des Luftwiderstands.
3. Masse der Sternschnuppen.
4. Durchschnittliche und außergewöhnliche Bahnlängen.
5. Die heliozentrische Geschwindigkeit und Bahnform.
Literatur.
H. W. Brandes in J. F. Benzenberg: Über die Bestimmung der geographischen
Längen durch Sternschnuppen. Hamburg 1802. (Methoden der Höhenbestim-
mung von Brandes und Olbers.)
— Unterhaltungen für Freunde der Physik und Astronomie. Leipzig 1826 u. f.,
dann in Gehlers phys. Wörterb. IV, 1827.
428 VIa,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
A. Quetelet, Sur les &toiles filantes. Corresp. math&matique et physique. Brüssel
T. IX, 1837.
Fr. W. Bessel, Über Sternschnuppen. Astr. Nachr. 16 (1839), p. 321.
A. Erman, Über die Sternschnuppen der Augustperiode ete. Astr. Nachr. 17
(1840), p. 3.
J. G. Grunert, Über eine geometrische Aufgabe. (Die Gleichung einer geraden
Linie zu finden, welche vier gerade Linien im Raume, deren Gleichungen
gegeben sind, schneidet. Mit Anwendung auf die Bestimmung der Cometen-
bahnen.) Archiv Math. Phys. I. 1841.
— Die verschiedenen Auflösungen des Sternschnuppen-Problems aus einem all-
gemeinen Gesichtspunkte dargestellt. Arch. Math. Phys.
J. C. Houzeau, Sur les &toiles filantes periodiques du ‚mois d’Aoüt etc. Me&m.
de l’Acad. de Bruxelles. T. XVIII. 1844.
F. Petit, Methode pour determiner la parallaxe et le mouvement des bolides.
Mem. de l’Acad. de Toulouse V. 1849.
— Recherches analytiques pour la trajectoire et la parallaxe des bolides. Paris
C. R. 32 (1851).
E. Heis, Die periodischen Sternschnuppen ete. Köln 1849.
4A. Laussedat, Sur la methode employde pour determiner la trajectoire du bolide
du 14. Mai 1864. Paris C. R. 58 (1864), p. 1222, 59 (1864), p. 74.
A.S. Herschel, Method of determining the path of a meteor. Proceed. of the
Brit. Meteorol. Soc. II. 1866.
E. Weiß, Beiträge zur Kenntnis der Sternschnuppen. Wien Ber. 57 II (1868),
p. 281 und 62 II (1870), p. 277, sowie Astr. Nachr. 72 (1868), p. 81 und 76 (1870),
p. 194 (Weiß, Beiträge).
J. V. Schiaparelli, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen.
Autorisierte deutsche Ausgabe der Note e Riflessioni sulla teoria astronomica
delle stelle cadenti von @. v. Boguslawski, Stettin 1871 (Schiaparelli).
E. Reimann, Die Höhenbestimmung der Sternschnuppen. Breslau 1870. (Enthält
u. a. eine kritische Darstellung der bis dahin bekannt gewordenen älteren
Methoden.)
J. G. Galle, Über die Berechnung der Bahnen heller, an vielen Orten beobachteter
Meteore etc. Astr. Nachr. 83 (1874), p. 321.
H. Bruns, Bemerkung über die Berechnung der Höhe von Sternschnuppen aus
korrespondierenden Beobachtungen. Astr. Nachr. 84 (1874), p. 379.
R. Lehmann Filhes, Zur Theorie der Sternschnuppen. Inaug. Dissert. Berlin 1878.
— Über die Bestimmung des Radiationspunktes eines Sternschnuppenschwarms
mit Hilfe eines neuen Meteoroskops. Astr. Nachr. 96 (1880) p. 241.
— Die Bestimmung von Meteorbahnen nebst verwandten Aufgaben. Berlin 1883.
@.v. Niepl, Theoretische Untersuchungen über die Verschiebungen der Radiations-
punkte aufgelöster Meteorströme. Wien Ber. 83 (1881), p. 96. Dann des
Verfassers zahlreiche Bestimmungen von Meteorbahnen, ebenda.
K. Necker, Zur Ausgleichung von Massenbeobachtungen atmosphärischer Licht-
erscheinungen. Inaug.-Dissertation. Wien 1894.
E. Weiß, Höhenberechnung der Sternschnuppen Wien Denkschr. 1905.
P. Moschick, Eine neue Methode zur Bahnbestimmung von Meteoren. Mitteilungen
der Sternwarte zu Heidelberg V. Karlsruhe 1905.
H. Rosenberg, Über eine Methode zur Bestimmung der Meteorbahnen. Astr.
Nachr. 167 (1905).
Allgemeines. 429
Bibliographie.
J. C. Houzeau — 4A. Lancaster, Bibliographie generale de l’Astronomie, tome II,
Brüssel 1882, p. 714.
Allgemeines. Die Bahnen der Körper, welche durch ihr Ein-
dringen in die Atmosphäre Feuermeteore hervorrufen, haben im
Sonnensystem planetarischen Charakter. Sie sind Kegelschnittslinien,
in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet. Der durch die
Beobachtungen nachgewiesene Teil derselben ist jedoch so klein, daß
er selbst für die genauesten Bestimmungen nur geradlinig angenommen
werden kann. Unregelmäßige Bewegungen, welche, durch besondere
Gestalten dieser Körper bedingt, zuweilen vorkommen, bleiben hier
außer Betracht.
Für alle auf diese Weise sichtbar werdenden Bahnen ist die
kleinste Entfernung vom Erdmittelpunkt, oder in geozentrischer Be-
ziehung das Perigeum, im Vergleiche mit der Entfernung von der
Sonne oder dem betreffenden Radiusvektor der Erdbahn verschwin-
dend klein und gegen letzteren stets zu vernachlässigen. Es wird
somit für die Fallepoche der heliozentrische Radiusvektor der Meteor-
bahn als identisch mit dem der Erdbahn angenommen. Weil ferner
aus demselben Grunde das Zusammentreffen mit der Erde als gleich-
bedeutend mit dem Durchgange des Meteors durch den einen Bahn-
knoten gelten kann, so findet man aus der Sonnenephemeride für das
Falldatum direkt stets die Länge und den Radiusvektor eines Bahn-
knotens.
Die scheinbare Lage der Lichtbahn am Himmel hängt parallak-
tisch mit der Lage des Beobachtungsortes zusammen. Sie wird daher
für die näheren Bahnpunkte größere scheinbare Verschiebungen zeigen
als für die entfernteren. Ein Punkt der geradlinigen Bahn oder ihrer
Verlängerung nach rückwärts, welcher von allen Beobachtungsorten
schon so weit entlegen ist, daß deren gegenseitige Entfernung nicht
mehr in Betracht kommt, würde von allen Orten an derselben Stelle
des Himmels gesehen werden. Dieser perspektivische Divergenzpunkt
aller an den verschiedenen Erdorten statt der wahren Bahn aufgefaßten
scheinbaren Bahnen ist der scheinbare Strahlungs- oder Radiations-
punkt. Er bestimmt die geozentrische Richtung der nachgewiesenen
geraden Bahnstrecke. Diese ist jedoch, abgesehen von der Wirkung
der Erdschwere, welche leicht in Abrechnung gebracht wird, zu-
sammengesetzt aus der Bewegung der Erde und aus der wahren
heliozentrischen Meteorbewegung. Der projektivische Richtpunkt der
430 VIa2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
letzteren am Himmel ist der wahre Radiationspunkt, welcher also die
wahre Bahnrichtung am Knoten der Meteorbahn bestimmt.
Da die Sonne sich in der Bahnebene des Meteors befinden muß,
so ist diese bestimmt durch den Radiusvektor und die Bahnrichtung
am Knoten, oder auf der Kugel durch den Großkreis, welcher den
Ort der Sonne und den wahren Radianten enthält.
Durch letzteren ist aber auch der Winkel, welchen die wahre
Bahnrichtung mit dem Radiusvektor am Knoten bildet, gegeben, und
es sind dann alle weiteren Bahnelemente nur mehr von der Ge-
schwindigkeit in diesem Teile der Bahn abhängig, welche entweder
aus den Beobachtungen abgeleitet wird, oder aus theoretischen Folge-
rungen hervorgeht.
Die vorliegende Aufgabe besteht demnach aus zwei voneinander
ziemlich strenge gesonderten Teilen, von welchen gewissermaßen der
erste die geozentrischen, der zweite die heliozentrischen Beziehungen
behandelt. Diese sind:
I. Die Ermittlung des Radiationspunktes und jener Größen, welche
zur Abschätzung der relativen Geschwindigkeit nötig sind.
II. Die Ableitung der Bahn im Sonnensystem.
Hinsichtlich des ersten Teiles, welcher die schwierigeren und ver-
wickelteren Arbeiten umfaßt, dessen Resultate aber zugleich auch für
die Ergebnisse des zweiten ganz entscheidend sind, können die Aus-
gangspunkte und Ziele verschieden sein. Die wichtigsten Fälle der
Radiantenbestimmung sind folgende:
1. Ermittlung der Bahnlage gegen die Erde und des Radianten
durch mehrfache Beobachtungen desselben Meteors aus verschiedenen
Erdorten (korrespondierende Beobachtungen im weitesten Sinne).
2. Nachweisung des Radianten durch Beobachtung mehrerer zu
demselben Radianten (Meteorstrom) gehörigen scheinbaren Bahnen aus
einem Erdorte (einseitige Beobachtungen).
I. Ermittlung des Radianten und der geozentrischen
Geschwindigkeit.
l. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten.
Reichliche Erfahrungen lehren, daß, je nach der Lage der Bahn gegen
die einzelnen Beobachtungsorte, der Anfang der wahrgenommenen
leuchtenden Strecke (Aufleuchten) gewöhnlich nicht identisch auf-
gefaßt wird, ja, daß in dieser Hinsicht Unterschiede bis zur Länge
großer Bogen und, im linearen Maß, bis zu Hunderten von Kilo-
metern vorkommen können. Ausgenommen hiervon sind die Fälle
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. © ’ 431
mit" lang anhaltender,"scharf markierter ’Spur, wenn sich Beobach-
tungen speziell auf diese‘ — "nicht auf die ganze’ Bahn '— ‘beziehen.
In der Regel‘ darf die’ Ableitung der Bahn vonder‘ Annahme
der Identität für die bezeichneten Aufleuchtungspunkte nicht ausgehen.
‘Da die währe Bahn von’ der Geraden nicht merklich‘ abweicht,
sö bestimmt sie mit dem Auge des Beobachters eine Ebene, welche im
Sehnitt mit der gedachten Kugel einen größten Kreis liefert. Die'an
verschiedenien Orten beobachteten „scheinbaren Bahnen“ können daher
als Bogen’ größten Kreises’ betrachtet werden, welehe‘ in ihrer‘ Ver-
längerung' nach rückwärts (nämlich entgegen dem Lauf‘ des Rn
als’ Schnittpunkt den ‚scheinbaren Radianten“ bezeichnen. gsia
'»Die Ermittlung dieses seheinbaren Strahlungspunktes kommt ‘also
darauf hinaus, den einen Schnittpunkt (der’ andere ist ‘dann selbst-
verständlich)‘ andlnfurbe durch’ die Beobachtung’ derselben Meteorbahn
ah‘ verschiedenen ‚Orten gegebenen, nicht er ee Be
Kreise zu bestimmen! | / 2
Liegen nur zwei’ söoleher Balnbogen’ vor, so ist die Köshng rech-
nerisch oder’ graphisch #0° einfach, daß’ sie einer‘ weiteren Rrörkerung
hier nicht“bedarf.‘"Verwickelter wird’ die Aufgabe, wennviele. über-
zählige Beobachtungen zu vereinigen sind; und doch ist es gerade
zar Ermittlung’ der Bahtnverhältnisse ‘großer Feuerkugeln wie auch
der Meteöriten,. für welche oft 'nur" minder "genaues, teilweise auch
invollständiges Material’ zur‘ Verfügung steht, ‘besonders erwünscht,ja
notwendig, eine große Überzahl von. Beobachtungen verwenden zu
können." "Dies'sind"die' typischen Fälle, auf welehe sich nachstehende
SELTENEN vörnehmlich beziehen.
‘Die Stelle," an © weleher‘‘der'"planetarische Lauf 'eines. größeren.
Meteors durch den" Widerstand ‘der "irdischen "Atmosphäre ‘gehemmt
wird („Hemmüngspunkt“, „Endpunkt“. der Bahn) ist fast’ immer durch:
besondere Erscheinungen so ausgezeichnet, daß’ über die Identität kin-
sichtlich‘ dieses Punktes’ selten Zweifel bestehen. Gewöhnlich: ist''es
auch der einzige‘ Bahnpunkt, von. dem dies mit. gleicher Wahrschein-
lichkeit "angenommen "werden kann.‘ Überdies‘ ist in"Bezug auf 'den-
selben 'die' nähere Verständigung ‘mit den Beobachtern ziemlich sicher:
und "zuweilen ‘dessen Erforschung "auch dureh’ Schallwahrnehmung,
wenn’ 'nieht'gar durch Auffindung' von 'Fallstücken: begünstigt.
Die’ möglichst’ genaue Festlegung der Lage und Höhe des: End.)
pünktes bildet daher‘ in’ der Regel eine sehr wichtige, manehmal' un-
eiitbehrliche Grundlage aller weiteren Untersuchungen. ©
"Es hat zwar keine großen geometrischen Achwiorigcbibih, die
Aufgabe allgemeiner so’zu lösen, daß die drei Raumkoordinaten des
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 29
432 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Endpunktes zusammen mit den sphärischen Koordinaten des Radianten
aus einem Ausgleichssystem hervorgehen. Allein eine solehe Lösung
würde, abgesehen davon, daß sie sich äußerst langwierig und wenig
lohnend gestaltet, nur selten zu brauchbaren Resultaten führen. Sie
wird daher hier weiter nicht berücksichtigt, sondern es wird die Aus-
mittlung des Endpunktes als wesentlichste Vorarbeit abgesondert er-
örtert.
a) Bestimmung der geographischen Koordinaten und der Höhe des
Endpunktes. Aus guten Gründen wird auch bei dieser Aufgabe in
der Regel eine Teilung nützlich sein, indem man vorerst die geo-
graphische Lage und hierauf die lineare Höhe ermittelt. In einzelnen
Fällen wird allerdings die allgemeine Behandlung notwendig oder
doch zweckmäßig. Um alle drei Unbekannten zu bestimmen, müssen
die Beobachtungen drei geeignete Stücke aus mindestens zwei Orten
liefern, unter welchen sich ein Höhenwinkel (scheinbare Höhe) be-
finden muß. Die beiden anderen können Richtungsangaben (Azimute)
sein, und es ist meist zweckmäßig, wenn dies der Fall ist. Drei
Azimute reichen offenbar nicht aus, um auch die lineare Höhe zu
finden, wogegen die Aufgabe durch drei scheinbare Höhen im all-
gemeinen bestimmt sein kann. Die Ausmittlung der geographischen
Lage bloß durch die Parallaxe in Höhe wird sogar die einzig mög-
liche, wenn die Azimutalparallaxe versagt, also z. B., wenn die Be-
obachtungsorte zugleich mit dem Endpunkt nahezu in demselben
Vertikalschnitt angeordnet sind.
Zuweilen sind die beobachteten Höhen so unsicher, daß durch
ihre Verbindung mit den Richtungsbeobachtungen das Resultat un-
günstig beeinflußt wird. Hat man brauchbare Azimute bei aus-
reichender Parallaxe, so ist es vorzuziehen, die Lage des Endpunktes
aus diesen allein zu ermitteln, wobei völlig ausreichend dem Erd-
sphäroid eine Kugel von entsprechendem Radius substituiert wird.
Man kann sich mit Vorteil folgenden Näherungsverfahrens bedienen.
An den Orten 0, @=1,2,3...n) der Erdoberfläche, bestimmt
durch die geographischen Koordinaten L,, p, seien die Azimute A,
des Endpunktes E (L,, p,) der Meteorbahn beobachtet worden.
Nach irgend einem kurzen, auch graphischen Verfahren werden
zunächst Näherungswerte Z,, 9, für Z,, p,, dann auch ein solcher H,
für die lineare Höhe H, gesucht. Gewöhnlich ergeben sich diese
schon sozusagen von selbst vor Beginn des eigentlichen Rechnungs-
vorganges, da man beim allmählichen Einlangen der Beobachtungen
über die Lage des Endpunktes sich ein beiläufiges Urteil bilden muß,
um danach weiteren Nachforschungen nützliche Richtung zu geben.
e
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 433
In allen bedeutenderen Fällen, welche eine eingehendere rechnerische
Behandlung verdienen, wird man über diese Größen beiläufig bald
orientiert sein.
Mit diesen Näherungswerten berechnet man nun genäherte Azi-
mute von OÖ, gegen E, die hier mit A,, und auch die leicht hieraus
zu findenden Gegenrichtungen E— O,, die mit A,, bezeichnet werden,
ferner genäherte Distanzen O0, E oder die sphärischen Amplituden z,
und beiläufige scheinbare Höhen h,,. Letztere beeinflussen diese Be-
stimmung nur soweit, daß auch ganz rohe Näherungen genügen, wenn
man die beobachteten Größen nicht verwenden will.
Endlich sind die Zahlenwerte für alle Unterschiede
4,. Tr A. = 0,
zu bilden. Wird nun
=bL+rAL, 9 —=Mt Am
genommen, wobei also AL, und Ag, die zu bestimmenden Verbesse-
rungen für die vorläufigen Koordinaten des Endpunktes bezeichnen,
so erhält man aus der Gleichung
tg p, cos 9, —= cotg A,,sin (L,— L,) + sin , cos (L,— L,)
für die Fehlergleichungen im bekannten Sinne:
() = 4t as + by,
worin
Se AL, 08 9, = Ay
[ 0,= 0, cos h,,,
cosh;,
(2) Fe A;
cosh,, .
e = Bra sine, -sın A,= Fer a, tang Az
Der allgemeine Faktor cos h,, ist um so notwendiger, je ungleicher
die Entfernungen, also auch die h,, sind, weil die solchen Beobach-
tungen gewöhnlich anhaftenden Richtungsfehler nicht eigentliche Azi-
mutdifferenzen, sondern kleine sphärische Bogen sind, welchen je nach
der Zenitdistanz sehr verschiedene Azimutwerte entsprechen.
Aus den Gleichungen (1) gehen — eventuell unter Erteilung ver-
schiedener Gewichte an die einzelnen Beobachtungen — nach der
Methode der kleinsten Quadrate AL, und Ag,, also auch L, und g,
mit ihren mittleren Fehlern hervor.
Die endgültigen Azimute sind dann
A.=A,+ vu, sech,.-
29*
434 Vla, 10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Fallen die ®, groß aus, so ist es zu empfehlen, die A,;, nochmals direkt
aus dem endgültigen L,, @, zu berechnen.
x und y erhält man selbstverständlich in der Einheit des Ab-
solutgliedes o,. In dieser Hinsicht kann man je nach Umständen ver-
schiedene Modifikationen bevorzugen.
Bezeichnet u, den sphärischen Abstand des genäherten Endpunktes
E,(Lg, Pu) von. der beobachteten durch A,, bezeichneten Richtung, so
u;
sine, B
ist genähert: 0, —
Wird dann gesetzt:
+®)
cos h;,
ne; = YV),
| cos A, = a, sin A, —b,
so ist
(4) Br V» (u, +.0,% + b,y)
und Yy, ist ein Gewichtsfaktor für die ganze Gleichung.
Wünscht man z. B. bei Abnahme aus. der Karte für u, als
Einheit ein Längenmaß, welches dann auch für x und y gilt, wäh-
rend die ® im Gradmaß hervorgehen sollen, daß also allenfalls die
Einheiten 1 km und 1° (für die Azimute und Höhen) zu nehmen
seien, so wird die frühere Gleichung für Yy; noch mit
1 1
ST tn 0.0089807
zu multiplizieren sein, wenn der Erdradius R = 6380 km gesetzt wird.
Es können dann, wie leicht einzusehen, auch die Koeffizienten a,
und b, mit Vorteil graphisch abgenommen werden, namentlich, wenn
die Beobachtungen nicht die äußersten rechnerischen Rücksichten ver-
dienen.
Findet man es rätlich, zur Bestimmung der Lage des Endpunktes
(Z,, p,) auch die Parallaxe in Höhe einzubeziehen, was, wie schon er-
wähnt, manchmal kaum zu vermeiden ist, so wird man den Näherungs-
wert H, genauer aufzusuchen und die daraus für die vorläufigen Ent-
fernungen D,, geltenden scheinbaren Höhen h,, sorgfältiger zu rechnen
haben.
Ist H,—=H,-+ AH,, femer AL, cos 9, —%, Ap—y, AH, —:z
im Längenmaß, während die Verbesserungen der beobachteten Rich-
tungen und der beobachteten Höhen h,, im Gradmaß hervorgehen
sollen, und wird gesetzt:
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 435
(tangh,, + sins,) cs, —=äK,,
ik
3 Ba we Vy,: coh,=#;;
(8) han
— FAK,sn A, = a,
— F.R,cs A, —=b,,
F, — (6,
‘ i
so sind die Fehlergleichungen
(6) vn ty +byHt 62
denjenigen beizufügen, welche man bloß aus den Richtungen erhalten
hat. Hieraus ergeben sich wieder die Normalgleichungen und die Un-
bekannten.
Das Verfahren soll jedoch nur mit verläßlichen Höhen und dann
angewendet werden, wenn solche aus Orten in der Nähe des End-
punktes mit weiter entfernten zu verbinden wären.
Soll die lineare Höhe des Endpunktes abgesondert, auf Grund der
bereits endgültig ermittelten geographischen Lage desselben bestimmt
werden, so pflegt man gewöhnlich die einzelnen, auf den verbesserten
Endpunkt bezüglichen Entfernungen D,, mit den zugehörigen beob-
achteten scheinbaren Höhen h,, zu verbinden, um Einzelwerte für ZZ,
zu erhalten, aus welchen dann ein Mittelwert gebildet wird. Die Ent-
fernungen brauchen, wenn sie in bezug auf den vorläufigen Endpunkt
aus den früheren Arbeiten bekannt sind, nicht neuerdings berechnet
zu werden, da sie aus den ermittelten Verbesserungen AL, cos p, und
Ay, namentlich mit Hilfe der Azimute A,, leicht auf den definitiven
Punkt L,,, ergänzt werden können, denn
Da die Reduktion der Distanz auf die Sehne für derartige Höhen-
bestimmungen meist überflüssig ist, kann man nehmen:
sin (M Rn &)
(7) HDi ee
Wird h,—+ a — h; gesetzt, so gilt noch bis ungefähr 1000 km Ent-
fernung die Näherung
D. tg h’)2
(8) m, Di täng hr Crew,
für einige hundert Kilometer genügt auch das erste Glied. Die An-
bringung ‚der Refraktion wird gegenüber den übrigen Unsicherheiten
436 VIs,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
selten besondere Vorteile gewähren, doch kann sie bei besonders
großen Entfernungen immerhin erfolgen.
Wenn man bei Vereinigung der einzelnen Bestimmungen H, zu
einem Mittelwert die Gewichte derselben berücksichtigen will, so muß
man dabei mit Vorsicht die Gewichte der angewendeten beobachteten
h, auch mit berücksichtigen, welche man gewöhnlich nicht ganz leicht
abschätzen kann.
Größere Unterschiede in den Seehöhen der einzelnen Beobach-
tungsorte sind leicht anzubringen.
b) Bestimmung des scheinbaren Radiationspunktes. Die hierzu brauch-
baren Angaben können in verschiedener Form gegeben sein, nämlich:
1) Koordinaten vom Anfang und Ende der scheinbaren Bahn
(A, h oder «, Ö).
2) Zwei andere Punkte der Bahn oder auch nur einer, wenn er
dem, als bereits sichergestellt, vorausgesetzten Endpunkt nicht
zu nahe liegt. Hierher gehört auch die Richtungsbezeichnung
durch entferntere Sterne.
3) Die scheinbare Neigung des Bahnteiles am Endpunkt gegen
den Vertikal desselben, gewissermaßen der Positionswinkel
gegen den Vertikal. Dieser kann auch für eine andere gut be-
zeichnete Bahnstelle gegeben sein. Bei Bahnen, welche einen
Kulminationspunkt zeigen, ist die scheinbare Höhe desselben
oft ausreichend, minder das Azimut. Eine mehr als bei-
läufige Angabe des scheinbaren Bahnknotens am Horizont
(scheinbare Bewegungsrichtung gegen einen Horizontpunkt)
ist zuweilen gut verwendbar.
Auch die Benutzung der unter 3) angeführten Stücke setzt
voraus, daß der Endpunkt bereits aus anderen bestimmt werden konnte.
Sie sind zuweilen, namentlich bei sehr kurzen Bahnen, besser ver-
wendbar als die Koordinaten für Anfang und Ende der Bahn. Gra-
phische Beobachtungsskizzen sind in solchen Fällen stets eine er-
wünschte Beigabe.
Zunächst werden nun aus der bekannten Lage und Höhe des
Endpunktes dessen scheinbare äquatoreale Koordinaten («,’, d,”) für
die einzelnen Beobachtungsorte berechnet und im Falle 1) statt der
beobachteten, im Falle 2) für den nicht bezeichneten Endpunkt ge-
nommen.
Auch in den unter 3) erwähnten Fällen dienen diese berechneten
Koordinaten für den Anschluß der angegebenen scheinbaren Bahn-
bogen. Ist nämlich N’ die in der unvollständigen Beobachtung an-
gegebene Neigung der scheinbaren Bahn gegen den Vertikal des End-
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 437
punktes (A,,h,) dagegen N die Neigung gegen den Horizont im
scheinbaren Bahnknoten und A, das Azimut dieses Knotens, so ist
cos N=sin N cosh,,
(9) tang f = tang N’sin h,,
4, En 2,8 r f;
+ f, je nachdem die Bewegung des Meteors im Sinne der Zählung
des Azimuts oder entgegengesetzt erfolgte.
In ähnlicher Weise wird die Verbindung hergestellt, wenn der
Winkel mit dem Vertikal an einem anderen Punkt des Bahnbogens,
für den entweder Azimut oder Höhe oder Bogenabstand vom End-
punkt mitgegeben sein muß, beobachtet wurde.
In den Fällen 1) und 2) wird aus den Koordinaten «/, 6, und
«&;', 6; der beiden gegebenen Bahnpunkte sodann für den hierdurch
bestimmten Großkreis die Rektaszension «, des aufsteigenden äqua-
torealen Knotens und die Neigung J gegen den Äquator gerechnet.
tg f
Mit er s wird
‚ _.. __ssin(e’— eo‘)
tg (a — 0) — 1—s cos (@”— «')?
(10) ee re
sin (@—a,) sin(e’—«,)?
«, ist so zu nehmen, daß beide Gleichungen für J erfüllt sind.
Diese Bestimmungen können mit Benutzung eines Kartennetzes
gnonomischer Projektion, bei entsprechend großem Maßstab auch gra-
phisch, rasch und hinreichend genau vorgenommen werden.
Hiernach ergibt sich auch das Verfahren im Falle 3). Es wird
also schließlich jeder Beobachtungsort, welcher brauchbare Angaben
lieferte, einen durch «, und J mit der zugehörigen Bewegungsrichtung
bestimmten Großkreis für die Ermittlung des Radianten darbieten.
Wären diese scheinbaren Bahnen fehlerfrei, so müßten sie nach rück-
wärts verlängert sich sämtlich im Radiationspunkt a, d schneiden,
d. h. die Gleichung
(11) sin (a — «,,) tang J, = tang d
müßte dann für «=1,2,3...,n erfüllt werden.
Da dies der Beobachtungsfehler wegen nicht der Fall ist, müssen
an den beobachteten Bahnbogen die entsprechenden Verbesserungen
angebracht werden. Abgesehen von einigen Ausnahmefällen wird
dabei angenommen, daß die Koordinaten «”, ö” unverändert bleiben,
daß also die Verbesserungen nur auf «’, ö’ (Anfangspunkt) oder auf
«, und J entfallen, was durch eine Drehung um den scheinbaren End-
438 VI, 10: @%.\Niessl. » Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
püunkto@’,ö” bewirkt wird, Diese Drehung, hätte (demnach )so ‚zu .er-
folgen, daß für die nötigen ‚Verbesserungen: cos 9,,.A&, und-Ad, mit
Rücksicht auf die etwaigen Gewichte 9; ..
[p (Ad’?: eos?ö 4 A0"2)] — Minimum )
wird.
Zu diesem Zweck wird wieder (wie bei der Ermittlung der geo-
gräphischeh Koordinaten des Endpunktes)—— am einfachsten graphisch —
ein vorläufiger Wert für a, d, welcher hier mit &,, d, bezeichnet ist,
ahgenoimmen und der normale Abstand A, desselben von jedem schein-
Bern Bahnbögen &,,, J, berechnet, oder’ auch graphisch entnommen.
Bezeichnet man 'A als positiv. wenn &,, d, \inherhalb des’ nörd-
lichen Polraumes von «,; J,; liegt, so findet man holen Abstand, wenn
er streng berechnet werden soll, aus“ En | Ä
(12): sin A, = — c08 J; sin d, + sin 3. cos.d, sin ex — ee
Da: nun ..die A;.die Widersprüche vorstellen „ 80.:sind ‚die: | Vierbesse-
rungen Aa, cos d, und Ad, so zu bestimmen, daß. jene Null
werden. tu
Setzt man RE
sin I Co8°’(a, — ,,) = 008 P,,|
cos J, see.d 2 a
(13) ER sın 25,
Aa, co h=R%,,.Ad—=Y,
‚sinA—=4,
so bestäht die et
(14) i Our Ayaricos Pj: 3 Juni Pig!
A Um die Fehlergleichungen richtig anzusetzen, muß jedoch noch
berücksichtigt werden, daß A,' die Verschiebung, welche der vorläufig
angenommene Radiant Kadopis ‚müßte, um in den beobachteten Bahn-
bogen zu kommen, keine beobachtete Größe ist, denn der durch die
Drehung zu verbessernde Ort ist «', 0. BErchnet 4 die Verände-
rung, welche ‘dieser dabei erleiden uf 3 A
sind, RL sin
ind OR nr)
wenn die Bogenlänge von «', v bis , 2. mit 5 jene von 0: d bis
0” mit 7 bezeichnet ap"
‚ Der ‚Faktor be y3. ist daher als. Bewichtsfaktor u ganzen
Gleichktingg anzuhängen.) Unterläßt' man dies, sö.wird..den kurzen Bahn-
bogen, für welche: dieses’ ‚Sianswerhälinis. ein“ ee Baiteh ist, ein
viel: zu,großes ‚Gewicht ‚beigelegt. t
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 439
Ist die betreffende scheinbare Bahn nicht durch «‘, ‘6°, sondern
durch die scheinbare Neigung am Endpunkt bezeichnet, so kommt
man der richtigen Bewertung am nächsten, wenn man-sin?= 1 nimmt.
Selbstverständlich ist überdies auch ‚noch in allen besonderen
Fällen das etwa nachweisbare Gewicht der beobachteten Größe an-
zubringen.
Das: hier erörterte ‚Verfahren stützt sich, wie erwähnt, auf. die
Voraussetzung, daß der Endpunkt sicher genug ermittelt wurde, um
die aus demselben berechneten scheinbaren Positionen «;”, 0,’ auch
bei: der Bestimmung des Radianten unverändert zu lassen. Wäre dies
nicht zulässig, so müßte man die Gewichte: der einzelnen «;', 0,” aus
den ‚mittleren Fehlern bei der Bestimmung. der Lage und Höhe des
Endpunktes ableiten und dann auch das Gewicht für den ersten Punkt
der. Bahn «,, ö;' abschätzen... Die Verbesserungen der beiden Punkte
müssen dann den Gewichten pP’ und 9” verkehrt proportional be-
stimmt: werden, d.h. die Drehung der: scheinbaren Bahn hat nicht
um:.den ‘Punkt «”, 6”, sondern um jenen Bahnpunkt: zu erfolgen,
welcher von diesem um die Größe ag .J und von «', d’ um ara
absteht. Bezeichnet /” die sphärische Entfernung dieses Teilungs-
punktes vom vorläufigen Radianten a,d,, so wäre der Faktor
Pa:
RR 2
9 sin?”
sin
Kann oder will man den Endpunkt der Bahn gar nicht vorher
bestimmen, so wird man in der Regel den beiden Punkten «’ö’ und
in
«”ö” gleiches Gewicht beimessen, so daß Yg — nv
Ist der Radiant durch .die endgiltigen Koordinaten a, d bestimmt,
so wird für jeden Beobachtungsort der Bogen von a, d bis «,”, 6,’ der
Lage nach die verbesserte scheinbare Bahn bezeichnen. Die normale
Projektion des Punktes «', 6’ auf diesen Bogen liefert einerseits die
verbesserte scheinbare Bahnlänge, andererseits die auf die Bahnrichtung
normale Komponente des Beobachtungsfehlers. Die in der Bahnrichtung
gelegene ist selbstverständlich wegen der Ungleichheit der Auffassung
unbestimmbar. Die nach. dieser Andeutung leicht vorzunehmende
Verbesserung von «', Ö’ ist. jedoch nur dann notwendig, wenn die
zu nehmen wäre.!)
1) Über die Ermittlung des Radianten aus überzähligen Beobachtungen
ohne vorhergegangene Endpunktbestimmung vgl. auch R. Lehmann-Filhes. Zur
Theorie der Sternschnuppen. Berlin 1878.
440 VI2,10. @.v. Niessi. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Angabe verläßlich genug ist, um sie noch zur Bestimmung der Auf-
leuchtungshöhe und der reellen Bahnlänge zu verwenden.
c) Lage der Bahn gegen die Erde; Bahnlänge; Höhe des Auf-
leuchtens. Werden für den endgültig ermittelten Hemmungspunkt
(L,, 9,) mit der diesem Meridian entsprechenden Fallzeit des Meteors
aus den äquatorealen Koordinaten des definitiv bestimmten Radianten
a, d die auf den Horizont des Hemmungspunktes bezogenen Werte
für Azimut und Höhe des Radianten berechnet, so entspricht ersteres
zugleich dem Azimut der linearen Meteorbahn und letztere der Neigung
derselben gegen den Horizont des Endpunktes. Dem Azimut, welches
die Projektion der Bahn auf die Erdoberfläche bezeichnet, kann man
in der Karte oder rechnerisch diejenigen Orte entnehmen, über deren
Scheitel das Meteor hingezogen, und die Neigung in Verbindung mit
der Höhe des Endpunktes gibt die lineare Höhe, welche es an irgend
einer Stelle dieser Bahn über der Erdoberfläche hatte.
Man kann weder von der wirklichen Bahnlänge des Meteors in
der Atmosphäre noch von der Höhe des Aufleuchtens im allgemeinen
sprechen, weil, wie schon einmal erwähnt, die Beobachter sehr häufig
verschiedene Bewegungsphasen auffassen. Da die linearen Bahnlängen
in Verbindung mit den Dauerschätzungen ungefähr auf die geozen-
trische Geschwindigkeit schließen lassen, so müssen die reellen Bahn-
längen insbesondere für jene Beobachtungen ermittelt werden, welche
auch Abschätzungen der Dauer liefern. Als Höhe des ersten Auf-
leuchtens kann dann immerhin diejenige genommen werden, welche
aus der längsten noch sicher ermittelten Bahn hervorgeht.
Zur Bestimmung dieser Größen sind aber, sobald die oben er-
wähnte Projektion der reellen Bahn auf die Erdoberfläche und die
Neigung sichergestellt sind, alle Behelfe gegeben. Für jeden einzelnen
Beobachtungsort wird nun die verbesserte Position «’, ö’ des frühest
gesehenen Bahnpunktes in Betracht kommen. Das entsprechende
Azimut liefert dann den Richtungseinschnitt in die Bahntrajektorie,
woraus mit Benutzung der Bahnneigung gegen den Horizont sowohl
die entsprechende Bahnlänge als auch die Höhe des Meteors über
diesem Punkt sich ergibt.
d) Geozentrische oder relative Geschwindigkeit. Sind L, und t, zu-
sammengehörige Werte einer aus den Beobachtungen gerechneten
wirklichen Bahnlänge und des durch Schätzung ermittelten Zeitinter-
valles für die Zurücklegung derselben Strecke in Zeitsekunden, so ist
1. Mehrfache Beobachtungen aus verschiedenen Erdorten. 441
der aus dieser Beobachtung hervorgehende Durchschnittswert der rela-
tiven Geschwindigkeit des Meteors, behaftet namentlich mit der großen
Unsicherheit, welche die Dauerschätzung fast unvermeidlich mit sich
bringt. Ein Durchschnittswert, weil man annehmen muß, daß die
Geschwindigkeit im Verlauf der Bewegung durch die atmosphärischen
Schichten nicht völlig konstant geblieben sein kann.
Liegen mehrfache, zusammengehörige Angaben Z,, #,, . . . vor, sO
wird man sorgfältig zu erwägen haben, ob etwa eine einzige an-
scheinend sehr verläßliche Schätzung von # mit dem dieser Beobach-
tung entsprechenden Werte L allein beizubehalten oder ein Mittel
abzuleiten wäre, immer nur im Hinblick auf Zusammengehöriges. Die
aus dem frühesten Aufleuchten hervorgehende größte Bahnlänge mit
dem Mittel aller Dauerschätzungen zu verbinden, was zuweilen ge-
schieht, ist nicht zu empfehlen, weil unter diesen gewöhnlich viele
Schätzungen vorkommen, die sich nur auf kürzere Bahnteile beziehen.
Am besten ist es in der Regel, die Geschwindigkeit aus jedem
Paare ZL, t für sich zu bestimmen und dann das Mittel mit oder ohne
Rücksicht auf Gewichte zu nehmen. Die häufig vorkommenden starken
Überschätzungen der Dauer — also stets einseitige Fehlerquellen —
machen jedoch den Erfolg einer scharfen Gewichtsbemessung sehr oft
fraglich.
Findet sich in keiner Beobachtung die zur bezeichneten Bahn-
länge gehörige Dauerschätzung, so mag etwa das Mittel sämtlicher
L mit dem Mittel der £ verbunden werden. |
Nicht selten liefern lange, größtenteils die höheren Schichten der
Atmosphäre durchschneidende und auch schon in größerer Höhe
endigende Bahnen wesentlich größere Werte für die Geschwindigkeit
als solche, welche erst in den tieferen Schichten in geringer Länge
nachgewiesen wurden. Die Beantwortung der Frage, ob solche Er-
fahrungen den verzögernden Einfluß des Luftwiderstandes auch quan-
titativ darstellen, oder mehr in der Überschätzung der Dauer be-
gründet sind, durch welche bei kurzen Bahnen das Resultat merklicher
entstellt wird als bei langen, bedarf noch weiterer Studien. Der Fall,
daß sich einzelne Angaben der Beobachtungen mit Sicherheit auf be-
sondere, bestimmt begrenzte höher oder tiefer gelegene Bahnteile be-
ziehen, ist also immer sehr wichtig und deshalb für sich eingehender
zu untersuchen.
e) Zenitattraktion. Geschwindigkeit und Radiant sollen für die
weitere planetarische Rechnung noch von dem Einflusse der Erdschwere,
welche erstere vergrößert und letzteren dem Zenit näher bringt, be-
freit werden.
442 Vle2, 10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der. Meteorbahnen im Sonnensystem.
Ist z die Zenitdistanz des nachgewiesenen scheinbaren Radianten
im Endpunkt L,9, und v’ die von der Erdschwere befreite relative
oder geozentrische Geschwindigkeit, dann. 2’ die im selben Sinne ver-
besserte Zenitdistanz, so wird?) (g Schwerebeschleunigung)
v—=YVB°—2gR,
worin, wenn alles in Kilometern gilt,
2.9R>= 128.18,
DE Be
(18) tang —- ir tang an
!=2+ Az.
Das Azimut des Radianten erleidet hierdurch keine Änderung.
Die äquatorealen Koordinaten des letzteren sind mit diesem und der
verbesserten Zenitdistanz neuerdings zu rechnen. Wo sie im folgen-
den für die Berechnung der planetarischen Bahn benutzt werden, sind
sie nun mit a’, d’ bezeichnet.
2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes aus
einem Erdorte. Wenn mehrere, demselben Strahlungspunkte an-
gehörige scheinbare Bahnen vorliegen, welche innerhalb eines nicht
zu langen Intervalles nur an einem Orte beobachtet wurden, und
wenn die während dieser Zeit eingetretenen Änderungen in den
Koordinaten des Radianten unbedeutend sind?) oder berücksichtigt
werden, können diese Koordinaten auch wieder nach dem Grundsatze
bestimmt werden, daß sie den wahrscheinlichsten Schnittpunkt der be-
treffenden größten Kreise bezeichnen. “Indessen hat man bei ein-
seitigen Beobachtungen nie die volle Sicherheit, daß die in Betracht
gezogenen Bahnen wirklich zum gleichen Strahlungspunkt gehören, wo-
durch die Anwendung strengerer Methoden etwas an Wert verliert.
Bei einseitigen Beobachtungen kann auch die geographische Lage
und Höhe des Endpunktes irgend einer Bahn nicht angegeben werden.
2) Schiaparelli p. 251
3) Die Zenitattraktion bewirkt eine mehr oder weniger merkliche eben mit
der Zenitdistanz zusammenhängende Änderung im Orte des Radianten. Bei
Meteoren, welche die Erde mit geringer Geschwindigkeit treffen, kann diese
immerhin recht merklich werden. Man sollte daher bei solchen Strömen (zu
welchen u. a. die „Bieliden‘“ gehören) nur solche Beobachtungen in eine Be-
stimmungsgruppe vereinigen, welche hinsichtlich der Zenitdistanz des Radianten
nicht allzuweit auseinander liegen. Die mit der Sonnenlänge vor sich gehende
Verschiebung bleibt aber zumeist für mehrere Tage innerhalb der Grenzen,
welche durch die Beobachtungsfehler gezogen sind. Die Vereinigung von Be-
obachtungen, welche sich auf mehrere Wochen erstrecken, wird in der Regel
nur beiläufige Resultate liefern können.
2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 443
Es entfällt somit die im betreffenden Teile des vorigen Abschnittes
erörterte Verbesserung der Endposition «”, 6”, welche also nur un-
gefähr gleichwertig sein wird mit «, 6”. Demnach wird es nahe-
liegend sein, die Verbesserungen gleichmäßig zu verteilen und die
nötige Drehung des Bogens um die Bahnmitte vorzunehmen. Der
Ag
Faktor der Fehlergleichung wird also ——; sein, wenn F den Abstand
der Bahnmitte vom vorläufigen Radianten bezeichnet. Sonst wird
man das gleiche Verfahren wie dort anwenden können und zwar auch
bei der in solchen Fällen gewöhnlich bevorzugten graphischen Be-
stimmung durch die Eintragung in Kartennetze.
R. Lehmann-Filhes*) erörtert die Methode, den scheinbaren Ra-
dianten bei einseitigen Sternschnuppenbeobachtungen aus scheinbaren
Bahnen abzuleiten, welche je durch einen beliebigen Punkt «, Ö der-
selben und ihren Positionswinkel gegen den Deklinationskreis dieses
Punktes bestimmt sind. Hat der Beobachter die Wahl dieses Punktes
frei, so wird er ihn häufig durch die Nähe eines ihm bekannten
Sternes sicherstellen können, und wenn die Aufmerksamkeit nicht all-
zusehr durch die genaue Fixierung von Anfang und Ende der Bahn
in Anspruch genommen ist, dürfte die Bahnrichtung, also auch der
Positionswinkel vermutlich genauer erhalten werden als durch Fest-
legung jener beiden Punkte, die bei einseitigen Beobachtungen nur
beiläufig angedeutet zu werden brauchen, wenn man sie überhaupt
berücksichtigen will.
Die Gleichungen (14) bis (17) in welchen der Positionswinkel P
am Stundenkreis des vorläufigen Radianten a,, d,, also nicht der in
einem beliebigen anderen Bahnpunkte «, ö bestimmte, vorkommt, lassen
sich ganz leicht auf diese Art der Lösung anwenden.
Bezeichnet W den in «, ö bestimmten Positionswinkel, wo diese
Koordinaten also bezeichnet sein müssen, so ergibt sich sofort «, aus
( tang (« — «,) = tang W sin ö
(19) ünd. sit = — z sin W,
0
08 (A, — &)
cos P = cosW.
v c08 (8 — @,)
Setzt man diese Werte in die erwähnten Gleichungen, so sind sie für
die vorstehende Lösung modifiziert.
Endlich mag noch erwähnt werden, daß bei: einseitigen Beob-
4) R. Lehmann-Filhes, Astr. Nachr. 96 (1880) p. 241.
444 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
achtungen die Zenitattraktion für die Verbesserung des Radianten nur
hypothetisch bestimmt werden kann, denn man muß dazu das Zenit
des Bahnendpunktes, der unbekannt ist und die relative Geschwindig-
keit kennen. Für den letzteren kann der Beobachtungsort genommen
werden, woraus große Fehler nicht entstehen können. Statt der un-
bekannten Geschwindigkeit wird gewöhnlich die aus der parabolischen
Bahn sich ergebende geozentrische Geschwindigkeit genommen.
II, Ableitung der Bahn im Sonnensystem.
Die von der Zenitattraktion befreiten Koordinaten des schein-
baren Radianten a’, d’ sollen in der Beziehung auf die Ekliptik mit
%, ß' bezeichnet werden. Diese und die geozentrische (relative) Ge-
schwindigkeit v’ entstehen durch die Zusammensetzung der helio-
zentrischen Bewegung des Meteors mit der Geschwindigkeit v aus der
durch die analogen Koordinaten A, ß bezeichneten Richtung mit der
Größe und Richtung der heliozentrischen Erdbewegung am Knoten
der Meteorbahn. A, ß bestimmen den wahren Radiationspunkt und v
ist die heliozentrische Geschwindigkeit an dieser Stelle. Der viel zu
unbedeutende Einfluß der Erdrotation kann hier außer Betracht bleiben.
Als Einheit zur Bezeichnung von v und v’ soll nun wie üblich,
wenn nichts anderes bemerkt ist, die Geschwindigkeit der Erde in
der mittleren Entfernung von der Sonne genommen werden. Die in
Kilometern ausgedrückten Größen werden auf diese Einheit hinreichend
genau zurückgeführt, indem man durch 29.59 dividiert.
Für den Radiusvektor, oder die Entfernung der Erde von der
Sonne, gilt als Einheit die mittlere Entfernung oder die große Halb-
achse der Erdbahn. Für jene Stelle der Erdbahn, an welcher die
Sonnenlänge © ist, beträgt die zugehörige Entfernung in dieser Einheit:
r=1-+ec0o(® — I.
Hierin kann noch für lange Zeit hinreichend e’—= 0.01676 und, wenn
T die Jahreszahl bezeichnet,
II = 101° 12.8’ + 1.03’ (7 — 1900)
genommen werden. Übrigens ist r für alle Tage in jedem astrono-
mischen Jahrbuch gegeben.
Bezeichnet © die Länge der Normalenrichtung an dem Punkt
der Erdbahn, für welchen die Sonnenlänge ® beträgt, so ist
O-©+ ,sin ©- M=-©+576-sin(@ —M
und demnach ist die Länge des in der Ekliptik liegenden jedesmaligen
Zielpunktes oder Apex der Erdbewegung = ®& — 90°.
2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 445
Endlich ist die heliozentrische Geschwindigkeit der Erde in der
Entfernung r von der Sonne gegeben durch > —1.
Zwischen A’, ß, v’ und A, ß, v bestehen die drei Gleichungen:
v cos ß sin (®’ — A) = v’ cos P’ sin (®’ — A) — Ye —1,
(20) | v cos ß cos (©’ — A) = v’ cos P’ cos (O’ — A),
v sin ß —=v sin),
woraus man A, ß und v findet.
Will man allein die Größe der heliozentrischen Geschwindigkeit
kennen lernen, so erhält man hieraus
21) !=V"+ (; _ 1) — 2 V — 1: cos f’ sin (© — 4)
und die halbe große Achse der betreffenden Meteorbahn
r
(22) ad = RR Di
Diese Bahn ist also eine Ellipse oder eine Hyperbel, je nachdem «@
positiv oder negativ ausfällt, je nachdem v? s- ist.
Der Parabel für = ®© entspricht daher der besondere Grenz-
eAle=-.
-
Zuweilen wird aus der periodischen Wiederkehr besonders reich-
lich auftretender Meteore eines bekannten Radianten A’, ’ (z. B. der
„Leoniden“) auf die Umlaufszeit U eines dichtern Meteorschwarmes
geschlossen und diese danach als gegeben betrachtet. Um die übrigen
Bahnelemente in einem solchen Falle zu berechnen, erhält man
(23) a= U
und hiernach auch v. Dann liefern die drei Gleichungen (20) v’, A
und ß, aus welchen die Bahnelemente des Stromes nach dem Folgen-
den abgeleitet werden können.
Bezeichnen: i die Neigung der heliozentrischen Meteorbahn gegen
die Ekliptik, r den Winkel der Tangente an diese Bahn mit dem
Radiusvektor r der Erdbahn im Knoten der Meteorbahn, p den halben
Parameter, e die Exzentrizität, q die Periheldistanz derselben und w
deren wahre Anomalie für den Radiusvektor r, so erhält man diese
Größen aus nachstehenden Gleichungen:
| sinisinr= sin ß,
(24) cosisint = — cos ß sin (O — A),
co T—= — cos ß cos (OÖ — A),
446 VI», 10. @.v. Niessl.' Die Bestimmung der Meteorbalinen im Sonnensystem.
( p=rv%sindr,
ee a 4 2 SR1OT 7 Rn
(25) } Ka er ee e),
ERS 3 |
DU Ei
e
Wegen Ermittlung der weiteren Elemente kann auf die Bahn-
berechnung der Kometen und ‘Planeten verwiesen werden, da nun-
mehr alle hierzu nötigen Stücke gegeben sind, Die: Größen i und r
müssen stets. in gegenseitiger Beziehung gezählt werden. Rechnet
man r von der gegen 180 + ® hinausgehenden. Verlängerung des
Radiusvektor r gegen die Sonne hin stets nur im 1. oder 2. Qua-
dranten, so erhält sin { immer das Vorzeichen von sin ß.' Für'nörd-
liche Radianten. ist daher der betreffende Knoten stets der absteigende
und es ist dann = ®. Die Bewegung ist unter dieser Voraussetzung
(nämlich für positive ß) recht- oder rückläufig, je nachdem i im
1. oder 2. Quadranten liegt. Für Radianten in südlicher Breite wird
%&—=180+ © und die Bewegung recht- oder rückläufig, je nachdem
‘ aus den Gleichungen im, 3. oder 4. Quadranten hervorgeht. ‚Bei
der späteren Darstellung der Elemente wird aber ö. für ‚den betreffen-
den aufsteigenden Knoten mit dem Beisatze recht- oder: rückläufig
angegeben. |
Da für eine erhebliche Anzahl großer (auch sogenannter deto-
nierender und. selbst auch mit dem Niederfallen von Massen verbun-
dener) Meteorerscheinungen durch sorgfältige Benutzung des Beobach-
tungsmaterials festgestellt ist, daß deren heliozentrische Geschwindigkeit
v die oben bezeichnete parabolische Grenze wesentlich überschreitet,
so daß @ negativ, e>1, die heliozentrische Bahn demnach eine aus-
gesprochene Hyperbel darstellt, welehe schon der Lage nach unmög-
lich im Sonnensystem erzeugt worden sein konnte, so muß angenommen
werden, daß solche Körper aus dem Weltraum in. das Sonnensystem
eingedrungen sind.
Körper, welche im. Weltraume nahezu parallele Bahnen: in großen
lateralen. Abständen mit identischer Geschwindigkeit beschreiben, also
gleichsam einem siderischen. Strome von bedeutender Ausdehnung an-
gehören, können die Erdbahn in. so verschiedenen Knotenlängen treffen,
daß außer «, welches von der ursprünglichen kosmischen Geschwindig-
keit abhängt, alle anderen gleichnamigen Bahnelemente und danach
auch die Koordinaten der scheinbaren Radianten gänzlich verschieden
ausfallen können.
Was unter ‚solehen Umständen eine Vergleichung verschiedener
2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 447
Fälle ermöglicht, ist nicht der Komplex jener Elemente, welche für die
Bahnen der Planeten und Kometen charakteristisch sind, sondern nach
dem hier Gesagten ausschließlich die Größe und Richtung der Be-
wegung für so große Werte des Radiusvektor o, gegen welche selbst
r nahezu als verschwindend klein angesehen werden kann. Da ein
solcher Bahnteil der Asymptote sehr nahe kommt, kann man für diese
Entfernung og = © nehmen.
Der Richtpunkt dieser Asymptote an der scheinbaren Himmels-
kugel, dessen Länge und Breite hier /, b heißen sollen, kann als der
siderische oder kosmische Ausgangspunkt des Meteors bezeichnet werden.
Die Bestimmung desselben, für verschiedene Annahmen von @(v), bei
gegebenem Strahlungspunkt A’f’, ist hinsichtlich der hyperbolischen
Meteore eigentlich das wichtigste Ziel.
Ist w’ die wahre Anomalie der Meteorbahn für den Radiusvektor
e=® und 6 der Winkel, welchen die Riehtung der Asymptote
(aus dem Punkt /, b) mit dem Radiusvektor r am Bahnknoten der
Erdbahn bildet, völlig in analoger Zählung und Bedeutung wie r, so
erhält man
(26) cos = —-, oc=w—w,
oder, wenn
%) Vers"
6 m sin t
(28) tang Benin 1-+m cost )
für umgekehrte Bestimmungen bequemer, auch
(29) cos (dr — a) Zee
l, b erhält man dann aus:
sin (O — !) cosb = — sin 0 c0si,
(30) cos (O — P) eosb = — cos 6,
sin b = sin 6 sin i.
Die Geschwindigkeit für den Eintritt in das Sonnensystem
(e = ®) gibt
on et
Für parabolische Bahnen wäre rv — 2—=(, also = x, hier-
nach:
p= 2r sin?r, e=1 w= 180°— 2r,
(32) = rn =rsin?r, w = 180°,
eo 2r, v0 z=10! oO +w.
Encyklop. d math. Wissensch. VI 2. 30
448 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Es kann zuweilen von großem Interesse sein, die Aufgabe in um-
gekehrter Ordnung zu lösen, d h. also den scheinbaren Radianten
4',ß' für einen bestimmten Tag des Jahres (©) zu bestimmen, wenn
als gegeben vorausgesetzt werden:
a) die nötigen Elemente der elliptischen Meteorbahn, oder
b) das parabolische Aphel durch /, b oder endlich
c) der hyperbolische kosmische Ausgangspunkt, auch wieder
durch /, b mit vo, oder v.
Es ist dann nach dem Früheren bei den elliptischen Bahnen «a,
wenn nicht ohnehin direkt durch das Elementensystem, durch die
Umlaufszeit U, bei den hyperbolischen durch die Gleichungen (31)
oder (22) gegeben.
Ferner
(33) eye
Unter den elliptischen Elementen sind auch e? und i gegeben.
Man kann also berechnen:
(34) p=al—e), sinr= Te.
rv?
dann aus System (24) den Ort A,ß des wahren und aus (20) A, ß',v
für den scheinbaren Radianten. Die Zenitattraktion kann nur für eine
bestimmte Polhöhe und Sternzeit angebracht werden.
Bei hyperbolischen Bahnen ist in der Gleichung für v @ negativ,
bei parabolischen unendlich zu nehmen.
Das System (30) liefert mit ©, Z und 5, dann i und o, ferner
erhält man aus (29) r, aus (24) A,ß und zuletzt auch wieder 4’, ß’
und v.
Gleichung (29) liefert für jede Ausgangsrichtung /,b ein zusammen-
gehöriges Radiantenpaar. Umgekehrt gibt es daher auch für jede ©
stets zwei zusammengehörige und mit einem 1,b konjugierte scheinbare
Radianten an weit voneinander entfernten Stellen des scheinbaren
Himmelsgewölbes. Man findet beide leicht, wenn man bedenkt, daß
cos (2r — 6) auch bei feststehendem Vorzeichen stets zweierlei Werte
für 27 — o, also für ein bestimmtes 6 zweierlei r, entsprechend den
in jeder Ebene und für identischen Brennpunkt möglichen Hyperbeln,
welche nach einer Seite hin parallele Asymptoten besitzen. Dabei ist
die eine Bahn rechtläufig, die andere rückläufig, und ihre Perihele
liegen auf entgegengesetzten Seiten des Radiusvektor. Da eine der
beiden Periheldistanzen gewöhnlich sehr klein ist, fällt der zugehörige
Radiant meist noch in den vom Sonnenlicht beherrschten Himmels-
raum. Für die parabolischen Bahnen müßten die wahren Orte der
2. Beobachtungen verschiedener Körper desselben Stromes. 449
beiden zusammengehörigen Radianten einander diametral gegenüber
liegen.
Die im vorstehenden angegebenen Ausdrücke für die Bahn-
bestimmung gehen bei dem gegenwärtigen Stande der Beobachtungs-
technik hinsichtlich der rechnerischen Genauigkeit über das erforder-
liche Maß hinaus. Sie werden daher zweckmäßig nur dann anzuwenden
sein, wenn es sich um die Weiterentwicklung von bestimmten theo-
retischen Annahmen handelt. Bei der Verwertung von Beobachtungen
‘ aber wird man schneller und doch ohne merklichen Genauigkeits-
verlust ans Ziel gelangen, wenn man überall hinsichtlich der Erdbahn
e=(0, r=1, © = © und auch die Geschwindigkeit der Erde durch-
weg = 1, kurz die Erdbahn als kreisförmig nimmt.
Es ist leicht, die vorhin angeführten Ausdrücke durch diese
Substitutionen zu vereinfachen, nur wäre zu erwähnen, daß es nicht
notwendig ist, den wahren Radianten aufzusuchen, wenn man auf
dem kürzesten Wege zu den gewöhnlichen Elementen gelangen will.
Man rechnet nämlich
@=v?-+1— 2v cos fsin (@ — A),
(85)
don e cos ß’ cos (O — 4),
sini—= — tang ß’ cotg r see (© — A),
(36) 1+veosrtang (@—A)
cost — :
vsınr
Das Weitere ergibt sich durch die angeführte Substitution in die
bekannten Formeln.
Für die Bestimmung des siderischen Ausgangspunktes /, b wird
m sin t
© 1-+mcost’
. ® 6
mit — me Mm „‚tang
(37) vv’— 2
_2+(@?— 2) cos o
cos (2T— 6) = s
worauf man aus System (30) Z und 5 findet. Die Geschwindigkeit
für = © wird, =Vv! — 2.
Die Vereinfachung der umgekehrten Aufgabe, aus /!, b den Ra-
dianten A’, 8’ zu finden, bedarf hiernach keiner weiteren Ausführung.
Rechnungsergebnisse für die Bahnelemente aus der den ‚Beobachtungen
entnommenen Geschwindigkeit sind fast wertlos, weil die Grundlage
für diesen Zweck zu unsicher ist. Die möglichst sorgfältige Ableitung
der Geschwindigkeit ist allerdings sehr wichtig, um wenigstens den
Grad der Wahrscheinlichkeit kenntlich zu machen, daß die betreffende
planetarische Bahn von der Parabel nach der einen oder anderen
30*
450 VIs»,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Seite abweicht. Die Berechnung der Elemente jedoch, wenn man
sich damit befassen will, soll mit verschiedenen angenommenen, zweck-
mäßig gewählten Werten für die Geschwindigkeit durchgeführt werden,
wodurch die Gesamtergebnisse zur Vergleichung mit anderen Fällen
anschaulicher gestaltet werden.
III. Beobachtungs- und Rechnungsergebnisse aus Meteor-
beobachtungen.
1. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und der Rech-
nungsergebnisse.
a) Am End- oder Hemmungspunkt der Bahn. Der mittlere Fehler
einer Richtung (eines Azimuts) ergab sich im Durchschnitt aus 351
benutzten Beobachtungen zu + 5.8°.
Die Feststellungen erfolgten nur in 12%, durch sogleiche Be-
ziehung auf Gestirne, in etwa 20°/, auf Grund späterer Messungen, in
den übrigen Fällen durch Bezeichnung irdischer Objekte der Um-
gebung nach Plänen und Karten usw.
Der mittlere Fehler einer Bezeichnung der scheinbaren Höhe oder
Zenitdistanz kann aus 235 Angaben zu + 4.1° angenommen werden.
Es wurden in der Regel nur Beziehungen auf Gestirne oder doch
nachträgliche Messungen berücksichtigt. Rohe „Abschätzungen“ liefern
bekanntlich fast immer viel zu große scheinbare Höhen. Wo solche
ausnahmsweise in Verwendung kamen, wurden sie in der Regel auf
2/, bis °/, des angegebenen Betrages reduziert.
Die Azimute, bei welchen solche einseitige Fehler minder zu be-
sorgen sind, wurden nicht so streng gesichtet, was auch an dem
größeren mittleren Fehler einer Beobachtung zu erkennen ist.
Der mittlere Fehler in der Bestimmung der geographischen Lage
des Endpunktes ergab sich aus 42 Fällen zu + 8.3 km. Die besten
Bestimmungen blieben noch bis 31,—4 km ungenau. Der mitt-
lere Fehler der abgeleiteten linearen Höhen beträgt durchschnittlich
+ 3.4 km.
b) Am Anfangspunkt der beobachteten Bahn. Die Umstände der
Beobachtungen verursachen es, daß ein Meteor von mehreren Beob-
achtern an ganz verschiedenen Stellen seiner Bahn zuerst aufgefaßt
werden kann. Dies sind Unterschiede, welche ganz und gar nicht
den Charakter von Beobachtungsfehlern tragen. Als solche können
nur die transversalen Abweichungen von der verbesserten scheinbaren
Bahn betrachtet werden.
1. Mittlere Genauigkeit der Beobachtungen und der Rechnungsergebnisse. 451
Diese betrugen für den Anfangspunkt aus 217 Angaben im
Mittel + 4.2, Sie wurden in ähnlicher Weise wie für den Endpunkt
erhalten, jedoch gröbere Angaben häufiger als dort ausgeschlossen.
Bei Beziehungen auf Gestirne, wenn sie sogleich nach der Beob-
achtung hergestellt wurden, ergab sich der mittlere Fehler einer
solchen für den Anfangs- oder Endpunkt im Durchschnitt zu + 31,0
c) Schätzungen der scheinbaren Neigung der beobachteten Lichtbahn
wiesen in 250 benutzten Fällen durchschnittlich einen mittleren Fehler
von + 6.5° auf. Solche Schätzungen bezogen sich gewöhnlich auf
den Vertikal des gesehenen Endpunktes oder eines sonst bezeichneten
Bahnpunktes und wurden zumeist durch graphische Skizzen geliefert.
Radianten, welche nicht weit über dem Horizonte liegen, werden ge-
wöhnlich nur durch einen geringen Teil dieser Unsicherheit beeinflußt.
d) Erreichte Genauigkeit in der Ableitung der Radianten. _ Bei 43
verläßlichen Bestimmungen von Radianten großer, zumeist detonie-
render Feuerkugeln aus 537 scheinbaren Bahnen (also durchschnitt-
lich aus 12—13 Beobachtungen für je einen Fall) stellte sich der
mittlere Fehler in der Lage dieses Punktes am Himmel im Durch-
schnitt auf + 3.3°.
Die Anzahl der in den einzelnen Fällen verwendbaren Bahn-
bogen war aber sehr ungleich und betrug manchmal über 40, aber
oft auch nur 3—4.
Gegenwärtig sind mehr als 420 Feuerkugel-Radianten nachge-
wiesen, von welchen jedoch ungefähr 30%, mit anderen identisch sein
dürften. Viel größer ist die Anzahl der in den letzten Katalogen
verzeichneten Radianten von Sternschnuppen. Denning?) führt aus
der betreffenden Literatur, sowie nach eigenen Beobachtungen 4367
solcher Strahlungspunkte an, von denen indessen wahrscheinlich mehr
als die Hälfte mit andern zusammenfällt.
Wenn er dabei®) bemerkt, daß durchschnittlich in jeder Nacht
mehr als 50 Radianten wirksam sind, so ist dies sicher richtig, nur
können wegen zu geringer Frequenz an einzelnen Meteoren viele davon
nicht jedesmal am selben Ort und in jedem Jahre nachgewiesen werden.
Die reichen Sternschnuppen-Ströme liefern so viel Beobachtungs-
material, daß ihre Radiationspunkte zumeist genauer als jene der
Feuerkugeln bestimmt werden konnten, wie nachstehende Beispiele,
in welchen die mittlern Fehler angesetzt sind, zeigen:
5) W. F. Denning, General-Catalog (1899).
6) W. F. Denning, Ebenda p. 203.
452 VIa, 10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Ort des scheinb. Radianten:
. Rectase. Deelinat. Maximum
Leoniden 150.1° (+ 0.3%) + 23.0° (+ 0.2°) November 14
Perseiden 44.0 — + 56.9 — August 10
Lyriden 271.5° (+ 0.79) + 33.4 (+ 0.49%) April 20
Andromediden 23.8° (+ 0.9%) + 44.0° (+ 0.2°) November 25—28
Quadrantiden 230.9° (+ 0.7°%) + 51.3° (+ 0.4°%) Jänner 2
Geminiden 108.3° (+ 0.5%) + 33.6° (+ 0.4%) Dezember 10—12
oa | 89.7° (+ 0,5%) + 15.6° (+ 0.3%) Oktober 10—16
91.5°(+03%) + 15.7° (+ 0.53%) Oktober 16-—22
für die „Perseiden“ glaubt Denning‘) die Wirksamkeit von Juli 11
bis August 19 annehmen zu sollen, wobei der Radiant eine Ver-
schiebung von « = 11.5° ö = 47.7° bis « = 56.6° d = 59.1? erfährt.
Alle diese Ströme führen längs ihrer ganzen bisher bekannt
gewordenen Bahnen mehr oder weniger dicht verbreitete Partikel,
aber nur die „Leoniden“ überdies einen in sichergestellter Periode
von 33'/, Jahren zur Sonnennähe wiederkehrenden besonders reichen
Schwarm.
2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hem-
mung, und ihre Beziehungen zu anderen Faktoren. In dieser Hin-
sicht muß unterschieden werden zwischen den kleineren Erscheinungen,
welche man gewöhnlich als „Sternschnuppen“ bezeichnet, und den
großen Meteoren, die als „Feuerkugeln“ häufig mit außerordentlicher
Lichtentwicklung, oft auch bedeutenden Schallimpulsen, zuweilen nach-
weisbar von Meteoritenfällen gefolgt, ihren Lauf in der Atmosphäre
beschließen.
Hinsichtlich der Sternschnuppen des sogenannten Perseidenstroms
im August fand Weiß®) in Wien aus der Bearbeitung von 49 ver-
läßlichen korrespondierenden Beobachtungen als Mittelwerte für die
Höhen:
Beim Aufleuchten: 115 km,
„ Brlöchn: 88 „.
Unabhängig davon wurden von H. A. Newton?) ebenfalls für die
„Perseiden“ aus 39 Beobachtungen durchschnittlich folgende Höhen-
mittel abgeleitet:
Beim Aufleuchten: 112 km,
„»..: Brlöschen:: 90. .,.»
Eine vortreffliche Übereinstimmung.
7) W. F. Denning, Astr. Nachr. 148 (1899) p. 283.
8) E. Weiß, Wien. Ber. 1868.
9) H. A. Newton, American Journal of Science and Arts. 2. Serie. 40.
2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung. 453
Für die Sternschnuppen der „Leoniden“ im November dagegen
berechnete Newton!®) aus 78 Bestimmungen die Höhenmittel:
Für das Aufleuchten: 155 ku,
» 2» ° Brlöschen: 738, .
Danach liegt für diese durchschnittlich die ganze Lichtbahn höher
als für die „Perseiden“, was offenbar damit zusammenhängt (s. unten),
daß die „Leoniden“ mit rund 70 km und die „Perseiden“ nur mit
60 km relativer Geschwindigkeit in die Atmosphäre eintreten. Übri-
gens scheinen die Massen des Novemberstroms auch chemisch beson-
ders charakterisiert zu sein.'!)
159 Höhenbestimmungen von Sternschnuppen (5. bis 1. Größe)
der verschiedensten Radianten'?), wobei also auch geringere Geschwin-
digkeiten vertreten sind, geben im Durchschnitt
für das Aufleuchten: 108.5 km,
» » Erlöschen: 86,3% ,
also eine nur geringe Abweichung von den für die „Perseiden“ er-
langten Resultaten.
Für die großen Meteore, einschließlich jener mit Detonationen
und Meteoritenfällen, fand ich aus besonders sichern Bestimmungen
ohne Auswahl der größten Erscheinungen:
für das Aufleuchten (121 Fälle): 138.6 km,
eher I u )EAOT 2.
Diese Zusammenstellung zeigt, insbesondere wegen der vergleichs-
weise geringern Höhe des Hemmungspunktes, also des tieferen Ein-
dringens in die Atmosphäre, den Einfluß größerer Massen. Dieser
drückt sich noch deutlicher aus bei weitergehender Unterscheidung.
Ich fand!?) die Höhe des Hemmungspunktes im Durchschnitte:
für 147 Feuerkugeln ohne Detonation: 60 km,
57 detonierende Meteore: BEN,
„ 16 Meteoritenfälle: pe
Hiernach dürfte es wohl begründet sein, diese verschiedenen
Typen durch graduelle Massenunterschiede zu erklären, da größere
Massen einen relativ geringeren Widerstand in der Atmosphäre er-
fahren und daher tiefer herabsteigen können als die kleineren.
10) H. A. Newton, Ebenda.
11) Die „Leoniden“ liefern unter allen Sternschnuppen die meisten lange
nachleuchtenden Rückstände in der Atmosphäre.
12) Memoirs of the British Astronomical Association. Bd. 9, 12. Part. 1
(1900—1903).
13) @.v. Niessl, Über die Periheldistanzen und andere Bahnelemente jener
Meteoriten, deren Fallerscheinungen mit einiger Sicherheit beobachtet werden
konnten. Brünn 1891.
”
454 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Noch wichtiger sind die Beziehungen der Höhen des Endpunktes
zu den Werten der geozentrischen Geschwindigkeiten, welche man aus
den Beobachtungen erhält. Um einseitige Auffassungen möglichst zu
vermeiden, habe ich in dieser Hinsicht sehr verschiedenes Material
untersucht und ich führe die wesentlichsten Ergebnisse in den Zu-
sammenstellungen I bis IV mit der Vorbemerkung an, daß die
Gruppen unter I und II sich hauptsächlich auf kleinere Erschei-
nungen (Sternschnuppen), III und IV überwiegend auf Feuerkugeln
beziehen.
Mittel der beobachteten
Höhenlage Zahl der \ Mittel der
des Endes Fälle REREENSEISCDER LAW Endhöhen
schnittsgeschwindigkeiten
1.)
Über 100 km 23 67.7 km 106.6 km
80—100 „ 48 51:.6.:',, 89.8: „
60—80 „ 33 35.5 „ 130 3,
30—60 „ 17 EN er 46.2 ,„
unter 30 „ 2 232 ,„ 288 „
| 11.25)
Über 100 km 10 72.3 km 112.2 km
80—100 „ 11 43.0 ,„ 06.5 „
60—80 „ 13 405 „ 142 ,„
50—60 „ 6 35.4 „ 59,2...
unter 50 „, 14 274 „ 33.9 „
IIL®)
Über 60 km 12 (1 deton.) 51.8 km 86.4 km
50—60 „ 19 (3 deton.) 55.0 „ D42 „
30—50 ,„ 43 (16deton.) 40.6 „ 39.0 „
unter 30 , 28 (13 deton.) 37.6 ,„ 24.0 ,„
14) Die Fälle unter I sind den vorerwähnten „Memoirs of the Br. Assoc. (Fuß-
note 12) entnommen. Es sind 78°, Sternschnuppen, 11°, Meteore von 1 bis
4facher Venusgröße, 11%, Feuerkugeln bis Mondgröße ohne Detonations-Angaben.
15) II bezieht sich auf ältere von Denning veröffentlichte Bearbeitungen.
(W. F. Denning, 107 Real paths of Fireballs and Shooting-Stars observed in
England from 1886 to 1896. Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 57, p. 161, worunter
74°, Sternschnuppen wie oben, 6°, Meteore von Venusgröße oder etwas mehr,
20%, Feuerkugeln, einschließlich einer detonierenden.
16) III ist entnommen einer Liste von zumeist sehr großen Meteoren, welche
ich selbst im gleichen Hefte der Monthly Notices p. 170 veröffentlicht habe. Von
den dort angefiihrten 100 Fällen konnte jedoch nicht überall die Geschwindigkeit
”
2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung. 455
IV.)
Über 100 km 9 76.8 km 116.8 km
80—100 9 TEE 893 „
60—8044,©.:46 494 , 725: „
5060. „Au 41, 89:5,
30-50 „85 DT N 390 ,„
unter 300 „ 21 36.6 „ > 53 We
Alle vier Zusammenstellungen zeigen völlig deutlich einen gesetz-
mäßigen Zusammenhang zwischen der aus Beobachtungen abgeleiteten
geozentrischen Geschwindigkeit und der Höhe des Hemmungspunktes in.
dem Sinne, daß die eine mit der anderen abnimmt.
Es liegt nahe, hieraus zu schließen, daß ein Meteor um so tiefer
in die Atmosphäre eindringen kann, mit je geringerer Geschwindig-
keit es auftrifft. Daß dieser Schluß zu Recht besteht, wird noch
durch folgende Tatsachen erhärtet.
1) Die rascheren Leoniden erlöschen in größeren Höhen, als die
langsameren Perseiden, wie oben erwähnt wurde.
2) Unter Voraussetzung gleicher heliozentrischer Geschwindigkeit
müssen Meteore, welche der Erde in ihrem Laufe direkt (vom Apex
her) begegnen, mit einer relativen Geschwindigkeit in die Atmosphäre
eintreten, welche rund 56 km größer ist, als jene der Meteore von
der entgegengesetzten Seite (vom Antiapex). Ordnet man die Meteore
nach der Elongation ihres Radianten vom Apex, so findet man fol-
gende Ergebnisse:
1. Aus dem Material Fußnote *°).
Scheinbare Elongation Anzahl der Durchschnittliche Höhe
der Radianten Fälle des Endpunktes
zwischen 0° und 40° 12 95.6 km
FT RBB; 12 845 „
BER RUE 3. 12 61.6 „
are tg 10 SR
>. 210.) 186 10 521,
bestimmt werden; mit den seitherigen Ergänzungen ergaben sich aber 102 zu-
sammengehörige Bestimmungen von Endhöhe und Geschwindigkeit.
Dieses Material enthält nur 8°/, Sternschnuppen 1. bis über 4. Größe und
27°/, Meteore von ein- bis mehrfacher Venusgröße. Dagegen sind 65°, große
Feuerkugeln mit Mond- oder Sonnengröße verglichen, darunter 30°, detonierend
und 7 Meteoritenfälle.
17) IV entstammt einer Analyse von 111 Fällen, die ich nach Materialien
der älteren Literatur bearbeitet habe. Da früher die Größenbezeichnungen minder
bestimmt lauteten, kann ich nur sagen, daß diese Daten sich ebenfalls mehr auf
große Meteore (darunter 22°, detonierende) beziehen.
456 VIs,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
2. Aus dem Material Fußnote !#).
Scheinbare Elongation Anzahl der Durchschnittliche Höhe
der Radianten Fälle des Endpunktes
zwischen 0° und 80° 13 54.2 km
a 9 50.5 „
BE 100 10 445 „
100°, 110 un 402 „
„LO E20 7 383.6 „
„E20; E50 13 38.6 „
„OHLEON. 5'180 7 364 „
Abgesehen von Details, welche für diese Feststellung unwesent-
lich sind, zeigen beide Reihen den erwarteten Zusammenhang zwi-
schen Elongation und Endhöhen. Daß letztere in der ersten Liste
überhaupt größer sind als in der zweiten, ist wohl gewiß darin be-
gründet, daß sich jene überwiegend auf kleine, schon in großen Höhen
erlöschende, meine dagegen fast nur auf große Meteore bezieht. In
dieser Hinsicht bildet daher letztere gewissermaßen eine ergänzende
Fortsetzung der ersteren. Zum Teil muß die geringere beobachtete
Geschwindigkeit der tieferen Meteore selbstverständlich auch auf der
Abnahme der Geschwindigkeit während des Laufes durch die Atmo-
sphäre beruhen. Die schließliche Hemmung ist fast momentan, doch
liegen auch einzelne Erfahrungen vor, daß aus Beobachtungen, die
sich nur auf die untersten Bahnteile in den tieferen atmosphärischen
Schichten beziehen, geringere Geschwindigkeiten erhalten werden, als
die durchschnittliche, welche bei Berücksichtigung der ganzen Bahn-
länge in demselben Falle hervorgeht"®). Freilich erschweren die Fehler
in der Schätzung kurzer Zeitdauern hier ein abschließendes Urteil.
Vergleich mit der Theorie des Luftwiderstandes. Zur Berechnung
des Luftwiderstandes, welchen die Meteore in den einzelnen Phasen
erleiden, hat man versucht, die Erfahrungen zu benutzen, welche aus
Experimenten mit sphärischen Geschossen der Artillerie abgeleitet
wurden. Die nachstehenden Zusammenstellungen sind auf die Robert-
sche!?) Widerstandsformel gegründet. Sie setzen vertikale Bewegung
eines 118 Gramm schweren kugelförmigen Körpers von 3.5 Dichte
und 2 cm Halbmesser voraus. Die beiden Annahmen über die Ge-
schwindigkeit, mit der jener in die Atmosphäre eintritt, bezeichnen
für eine parabolische Bahn die Extreme (vom Apex und Antiapex
18) Vgl. @.v. Niessl, Wien. Ber. 114 (1905), p. 1511.
19) Schiaparelli p. 23 und 24 nach $. Robert, Del moto dei Projettili nei mezzi
resistenti. Torino 1855. (Memorie dell’ Academia delle scienze di Torino, II 9 16.)
2. Ergebnisse für die Höhe des Aufleuchtens und der Hemmung. 457
her). Wäre bei derselben Dichte der Halbmesser 2r cm und die
Neigung der Bahn gegen den Horizont h, so können in der Spalte
für die Geschwindigkeit die Werte ungeändert bleiben, wenn der zu-
gehörige Luftdruck mit r sin h multipliziert wird.
I I
Eintrittsgeschwindigkeit: 72 km Eintrittsgeschwindigkeit: 16 km
Luftdruck Höhe Geschwindigkeit Luftdruck Höhe Geschwindigkeit
mm km km mm km km
— — 12 — — 16
0.00007 129 70 0.006 94 14
0.00014 125 68 0.016 86 12
0.0005 114 60 0.032 80 10
0.0013 106 48 0.062 75 8
0.0031 99 36 0.128 69 6
0.0082 91 24 0.305 62 4
0.036 80 12 1.229 51 2
0.082 13 8 4.299 41 1
0.315 62 4 11.619 33 0.5
1.249 51 2
4.318 41 1
11.639 32 0.5
In beiden Fällen kommt die Höhe (33 km), in welcher die
planetarische Geschwindigkeit nahezu aufgebraucht erscheint, der für
detonierende Meteore im frühern angeführten durchschnittlichen Hem-
mungshöhe fast gleich. Die Art der Geschwindigkeits-Abnahme wider-
spricht jedoch allen sonstigen Erfahrungen. So würde z. B. die durch
Abschätzung der Dauer für den Fall I aus 129 km bis 353 km er-
haltene Durchschnittsgeschwindigkeit nur Y/,, der Eintrittsgeschwindig-
keit und bei Meteoren, welche erst in tieferen Regionen, z. B. zwischen
80 km und 33 km beobachtet wurden, was nicht selten vorkommt,
gar nur !/,, derselben betragen. Tatsächlich erhält man für Meteore,
welche nur im untersten Bahnteil beobachtet wurden, allerdings fast
immer viel geringere Geschwindigkeiten, aber bei weitem nicht in
dem hier angeführten Maße.
Für 16 km Eintrittsgeschwindigkeit würde (II) die beobachtete
Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen 94 und 33 km Höhe auch nur
!/; der ursprünglichen, also immer noch viel zu wenig betragen. An
diesen Umständen ändert sich auch nichts Wesentliches, wenn man
andere Annahmen unterlegt.
Die wirkliche geozentrische Geschwindigkeit der „Leoniden“, unter
welchen besonders viele helle Sternschnuppen vorkommen, ist uns aus
458 VI2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
der bekannten Umlaufszeit sicher gegeben und beträgt nicht viel
weniger als 72 km. Für ein Körperchen dieses Stromes von 2 mm
Halbmesser und 0.12 Gramm Gewicht, dessen Bahn die Atmosphäre
in 30° Neigung gegen den Horizont durchschneidet, hätte man die
oben unter I angeführten Luftdrucke durch 20 zu dividieren, woraus
sich dann die zugehörigen Höhen wie folgt ergeben:
II.
Höhe Geschwindigkeit Höhe Geschwindigkeit
km km km km
153 70 103 12
147 68 97 8
138 60 86 4
130 48 75 2
123 36 65 1
115 24 57 0.5
Für die ganze Bahn aus 153 km bis 57 km würde sich als
Durchschnittsgeschwindigkeit auch hier nur ungefähr 4 km oder !/,,
der Eintrittsgeschwindigkeit ergeben. Wie früher mitgeteilt wurde,
liegen die Bahnen der Leoniden im Mittel zwischen 155 und 98 km,
vermutlich, weil die Partikel durch die bedeutende Wärmesteigerung
gänzlich aufgelöst werden, ehe sie tiefer herabkommen können. In
der Tat hinterlassen die Körper dieses Stromes unter allen Stern-
schnuppen die meisten anhaltenden Schweifrückstände Es scheint
daher zweckmäßig, das vorstehende Schema nur innerhalb ähnlicher
Grenzen, also zwischen 153 und 97 km zu betrachten. Dabei erhält
man dann im Durchschnitt etwa 27 km oder ®%, der ursprünglichen
Geschwindigkeit, während aus den Beobachtungen die Differenz gegen-
über der theoretischen im Mittel viel geringer ausfällt.
Direkte Beobachtungen, so lückenhaft ihre Ergebnisse auch noch
sind, machen es überhaupt wahrscheinlich, daß die Verminderung der
Geschwindigkeit in den höheren atmosphärischen Regionen geringer,
dagegen in dem letzten, untersten Teil der Bahnen, welche tiefer
herabreichen, größer sein müsse, als sie nach den vorstehenden
theoretischen Ansätzen erscheint. Auch so manche optische Wahr-
nehmungen bei der Hemmung von Feuerkugeln sprechen dafür.
Die Abhängigkeit der Höhe des Endpunktes der Lichtbahn von
der Eintrittsgeschwindigkeit erfordert noch eine Aufklärung. Es ist
unter wahrscheinlicher Annahme nachgewiesen (vergl. Schiaparelli
231 u. w.), daß die großen, aber sehr verschiedenen Geschwindigkeiten
zweier Körper, welche unter sonst ganz gleichen Umständen in die
Atmosphäre eintreten und sie in geradliniger Bahn durchlaufen, durch
3. Masse der Sternschnuppen. 459
den Widerstand derart vermindert werden, daß sie in irgendeiner
Höhe fast genau den gleichen Betrag erreichen. In den Beispielen
I und II ist dies bei rund 62 km schon der Fall.
Man darf daraus jedoch nicht schließen, daß die Endhöhen von
der Eintrittsgeschwindigkeit unabhängig sind. Denn das mit der
größeren Geschwindigkeit eintreffende Meteor setzt bis zum Abstieg
auf 62 km viel mehr kinetische Energie in Wärme um und wird da-
durch viel rascher verbraucht.
3. Masse der Sternschnuppen. A. Herschel folgerte”) aus der
Vergleichung der Leuchtkraft von Sternschnuppen in bekannter Ent-
fernung mit jener einer gegebenen Menge Gases, daß die Meteore
„i. Größe“ durchschnittlich höchstens wenige Gramme und die kleinern
nur Bruchteile eines Gramms wiegen.
Durch ähnliche Vergleichungen mit dem Drummond-Licht gelangte
B. F. Sands?") hinsichtlich der „Leoniden“ von 1867 zu nachstehenden
Gewichtsschätzungen für Sternschnuppen verschiedener „Größenklassen“,
Scheinb. Helligk.: Jupiters Sirius 1.Gr. 2.Gr. 3.Gr. 4.Gr. 5. Gr.
Gewicht (Gramm): 0.67 0.45 0.06 0.02 0.01 0.006 0.004.
Wenn auch derartige Schätzungen nur beiläufige Ergebnisse liefern
können, so bekräftigen sie doch die Annahme, daß als Substrat des
Sternschnuppen-Phänomens nur sehr geringe Massen in Frage kommen,
die vermutlich im ursprünglichen Zusammenhange die Erdoberfläche
kaum erreichen können.
Nach Buchner”) wiegt der kleinste unter den aufgefundenen
‚Aeroliten, von denen man vermuten kann, daß sie als einzelne Körper
herabgekommen sind, noch immer 24 Gramm. Viel geringere Partikel,
welche im Lauf unter dem Schutz vorangehender größerer Stücke die
Atmosphäre in kleinen Aggregaten durchziehen und „Steinregen“ ver-
ursachen, sind in dieser Hinsicht mit den Sternschnuppen nicht ver-
gleichbar. Sie bilden mit den größern zusammen eine Feuerkugel.
Erfahrene Beobachter der Sternschnuppen sprachen sich wiederholt
dahin aus, daß ihr äußerer Anblick notwendig auf große Verschieden-
heiten in ihrer Zusammensetzung schließen läßt?®). Einiges mögen
die beträchtlichen Unterschiede der Geschwindigkeit dazu wohl auch
beitragen. Solange man über die physische Natur der Sternschnuppen-
Materie nichts Genaueres kennt, wird man beim Vergleiche mit den
20) A. Herschel, Proc. Brit. meteor. Soc. II 19.
21) F. Sands, Wash. Obs. 1867, p. 19—30.
22) Schiaparelli p. 203.
23) Weiß, Beiträge p. 303.
460 VIs2,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
Meteoriten hauptsächlich die Massenunterschiede zu berücksichtigen
haben.
4. Durchschnittliche und außergewöhnliche Bahnlängen. Aus
185 berechneten Bahnen von Sternschnuppen 5. bis 1. Größe der
letzten englischen Materialien fand ich im Mittel für die Länge der
sichtbar gewordenen Lichtbahn 57 km, dagegen für 120 große und
in etwa 30%, detonierende Meteore aus meinen eigenen und anderen
Bearbeitungen durchschnittlich eine Bahnlänge von 319 km. In
einigen Fällen, besonders wenn die betreffenden Radianten sich in der
Nähe des Horizontes befinden, kommen noch weit längere Bahnen
vor. Ein solches Beispiel soll hier angeführt werden.
Das Meteor vom 7. Juli 1892*) wurde sichtbar, als es 74 km
hoch über der Gegend von Slobozia in Rumänien sich befand und
konnte ununterbrochen verfolgt werden bis 158 km hoch, etwa 70 km
WNW der Tibermündung über dem tyrrhenischen Meer. Dort entzog
es sich der Beobachtung nicht sowohl durch eine „Explosion“, als
durch anscheinend allmähliche Entfernung. Bei dieser großen Höhe
ist es nicht unwahrscheinlich, daß die noch übrig gebliebenen Massen
die Atmosphäre wirklich wieder verlassen haben. Die nachgewiesene
Bahnlänge beträgt 1350 km. Es ist der erste und bisher auch ein-
zige mir bekannt gewordene Fall einer zweifellos aufsteigenden Bahn.
Da der Punkt in 74 km ungefähr das Perigäum darstellt, so muß
weiter gegen Osten hin ein mindestens ebenso langer Bahnteil in der
Atmosphäre angenommen werden.
Bemerkenswert ist ein am 18. Oktober 1892 in Niederösterreich
und Böhmen beobachtetes Meteor®®) besonders durch den ganz un-
gewöhnlich langen Streifen, in welchem die Residuen zurückblieben.
Soweit die Bahnstrecke mit einiger Sicherheit nachgewiesen werden
konnte, verlief sie in etwa 1630 km Länge von 257 km über der
Gegend 70 km östlich von Königsberg in Preußen bis etwa 43 km
hoch, etwas südlich der Insel Elba. Der Lichtstreifen, „gerade und
horizontal wie mit dem Lineal gezogen“, war mindestens 634 km lang
und blieb durch etwa 3 Minuten sichtbar, so daß sein Verlauf zwi-
schen den Sternen bequem festgestellt werden konnte.
5. Die heliozentrische Geschwindigkeit, welche aus der beob-
achteten geozentrischen hervorgeht, überschreitet weitaus in den
meisten Fällen ganz erheblich den parabolischen Grenzwert und führt
24) @.v. Niessl, Wien. Ber. 102 (1893), p. 265.
25) @. v. Niessl, Verhandlungen des naturforschenden Vereins in Brünn.
Brünn 1901. 39, p. 220.
5. Die heliozentrische Geschwindigkeit. 461
zur notwendigen Annahme ausgeprägt hyperbolischer Bahnen. Es ist
gewiß bemerkenswert, daß dies fast immer gerade bei denjenigen
Bahnen am entschiedensten zu Tage tritt, welche für die möglichst
genaue Ausmittlung der Geschwindigkeit die günstigste Lage haben,
nämlich bei den aus der Umgebung des Antiapex her gerichteten,
wie z. B. bei den Meteoriten von Pultusk, für deren Bahn J. @. Galle?)
die Exzentrizität e= 2.277 als Minimalwert nachgewiesen hat.
Das Mittel aus 26 der sichersten Bahnbestimmungen, zumeist
detonierende große Feuerkugeln betreffend, gibt für die heliozentrische
Geschwindigkeit 59.05 km, also sehr nahe = — 4. Bei den wenigen
Meteoritenfällen, für welche hinreichende Beobachtungen vorliegen, um
einen Schluß auf die Bahnform zu ziehen, ist die hyperbolische außer
jedem Zweifel.
Für 154 große Meteore, deren Bahnverhältnisse älterem Material
entnommen oder auch von mir erst bearbeitet wurden, ergab sich die
heliozentrische Geschwindigkeit im Mittel zu 59.8 km.
Schiaparelli?”) hat schon vor mehr als 36 Jahren erklärt, es sei
„in der Tat bemerkenswert, daß man allemal, wenn man mit irgend-
welcher Annäherung die Geschwindigkeit, mit welcher ein Meteorit
oder eine Gruppe von Meteoriten in die Atmosphäre eingedrungen
ist, hat untersuchen können, auch gefunden hat, daß die entsprechende
absolute Geschwindigkeit größer als die parabolische war“.
Die großen Meteore sind also zweifellos im allgemeinen inter-
stellaren Ursprungs. Dem steht gegenüber, daß Sternschnuppen-
ströme in denselben Bahnen laufen, wie einige Kometen bekannter
Umlaufszeit, also gegenwärtig interplanetar sind. Hiernach würde
man zunächst geneigt sein, die großen Meteore für interstellar, die
kleineren Sternschnuppen für interplanetar zu halten. Doch muß die
unleugbare Tatsache hervorgehoben werden, daß die meisten Radiations-
punkte von Meteoriten und detonierenden, sowie auch anderen großeıf
Meteoren, sofern sie sichergestellt werden konnten, mit bekannten
Sternschnuppenradianten zusammenfallen. Es ist schwer, in solchen
Fällen den zugehörigen kleinen Erscheinungen interplanetarische
Bahnen zuzuschreiben, wenn die gestreckten Hyperbeln der großen
Meteore aus denselben Radianten in den Weltraum hinaus weisen.
Zur Lösung dieser anscheinenden Widersprüche wird man viel-
26) J. G@. Galle, Über die Bahn des am 30. Januar 1868 beobachteten und
bei Pultusk im Königreiche Polen als Steinregen niedergefallenen Meteors.
Breslau 1868,
27) Schiaparelli p. 207 und 209,
462 VIs,10. @.v. Niessl. Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem.
leicht annehmen können, daß unter dem Namen der „Sternschnuppen“
verschiedene, äußerlich ähnliche Erscheinungen zusammengefaßt wer-
den, deren dynamische Grundlagen und kosmische Bedeutung vermut-
lich nicht gleichartig sind. Aus den vielen Erfahrungen der letzten
Jahrzehnte wird man wenigstens zunächst den Schluß ziehen müssen,
daß sich in dem Gesamtphänomen neben den begrenzteren interplane-
tarischen auch ausgedehnte interstellare Meteorströme durch Partikel
verschiedenster Grade geltend machen.
(Abgeschlossen im November 1907.)
VIsa,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten. 463
V12,1. BAHNBESTIMMUNG DER DOPPEL-
STERNE UND SATELLITEN.
Von
J. v. HEPPERGER.
IN WIEN.
Inhaltsübersicht.
1. Beobachtung von Doppelsternen.
2. Einleitung zur Bahnbestimmung von Doppelsternen.
3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne.
a) Benutzung einzelner Örter.
b) Benutzung der vollständigen scheinbaren Ellipse.
c) Bahnverbesserung.
d) Bemerkungen über die bekannten Doppelsternbahnen.
«. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne.
. Einige Ergebnisse der Beobachtung und der Bahnbestimmung spektroskopi-
scher Doppelsterne.
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne.
a) Algolsterne.
b) Veränderliche von kontinuierlicher Lichtschwankung.
7. Bahnbestimmung der Satelliten.
SU
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der Störungen. Astr. Ges. Vjs. 43 (1908).
PUB ER AS OO RER VORNE OR
1. Beobachtung von Doppelsternen. Schon frühzeitig wurde.
die Wahrnehmung gemacht, daß einige Sterne, welche das freie Auge
einfach sieht, durch das Fernrohr betrachtet doppelt erscheinen, so
namentlich & Centauri (Feuillee 1709) y Virginis, Castor, 61 Cygni
(J. Bradley 1753). Die paarweise Anordnung von Sternen blieb als
vermeintliche Wirkung der Perspektive wenig beachtet, bis Christian
Mayer sie zur Bestimmung der Eigenbewegungen auszunützen ge-
dachte und zu diesem Zwecke emsig nach neuen Paaren suchte. Das
Resultat seiner Bemühungen war ein Katalog!) (1779) von 72 Doppel-
31*
466 VIz,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
sternen, unter denen viele weite Paare vorkommen. Ungefähr um
diese Zeit hatte William Herschel seine erfolgreichen Nachforschungen
begonnen, die binnen kurzem zur Entdeckung von 269 Doppelsternen
führten. Die Publikation dieser Entdeckungen veranlaßte J. Michell
der Frage näher zu treten, ob das Vorkommen so vieler Paare mit
einiger Wahrscheinlichkeit dem Walten des Zufalls bei der Verteilung
der Sterne zugeschrieben werden könne. Mi:hell?) fand, daß diese
Wahrscheinlichkeit äußerst gering ist, und entschied sich für die An-
nahme, daß in den meisten Fällen die paarweise Anordnung auf
Rechnung der Gravitationswirkung zu setzen sei. Schon. W. Herschel
vermochte durch die Beobachtung relativer Bewegung ein wertvolles
Argument für die Richtigkeit der Anschauung Michells beizubringen.
Die Bedeutung der Tätigkeit W. Herschels auf dem Gebiete der Doppel-
sternkunde liegt vor allem in der großen Zahl?) (703) der von ihm ge-
fundenen Paare und den vielen, trotz erheblicher Unsicherheit ihres
Alters wegen schätzbaren Messungen derselben. Man verdankt ihm
auch die Einführung der noch jetzt üblichen Messungsmethode, wonach
der Ort des einen Sternes durch Bestimmung des Positionswinkels
und üer Distanz auf den Ort des andern Sternes bezogen wird. Der
Anhaltstern wird Hauptstern, der andere Nebenstern oder Begleiter
genannt. Als Hauptstern hat die hellere Komponente zu gelten; ist
der Helligkeitsunterschied nicht deutlich markiert, so ist die als
Hauptstern gewählte Komponente auf andere Weise kenntlich zu
machen. Die Zählung des Positionswinkels ist von Herschel nicht
immer in derselben Weise vorgenommen worden. Wilhelm Struve
hat eine einheitliche Zählweise inauguriert durch die Festsetzung,
daß der Positionswinkel (0) der Winkel am Hauptstern ist, um wel-
chen der von diesem zum Nordpol führende Kreisbogen nach der
Seite hin, auf welcher die Sterne mit größeren Rektaszensionen liegen,
gedreht werden muß, um den Nebenstern in sich aufzunehmen.
Distanz (e) ist der in Bogensekunden ausgedrückte scheinbare Ab-
stand des Nebensternes vom Hauptsternee Hat der Hauptstern die
Koordinaten «, d, der Nebenstern «’, ö’, so wird
(@ — «) cosd = e sin
0” — 6 = 0c0s0.
1) De novis in coelo sidereo phaenomenis; Mannheim 1779; Berl. astr.
Jahrb. für 1784.
2) On the means of discerning the distance...of fixed stars; Lond. Phil.
Trans. 1783.
3) Synopsis of all Sir W. Herschel’s Microm. Measurements by Sir J. Herschel;
Lond. Astr. Soc. Mem. 35 (1867).
1. Beobachtung von Doppelsternen. 467
. Die Verdienste, welche W. Struve durch die Fülle der Entdeckungen,
die Vollständigkeit der Beobachtungen und die Gediegenheit der Mes-
sungen sich um die Wissenschaft erworben hat, können kaum über-
schätzt werden. Seine Mensurae Micrometricae‘), die Messungen von
2712 doppelt- und mehrfachen Sternen nebst Angaben ihrer Größe
und bei helleren auch ihrer Farbe enthalten, sind noch jetzt von
hervorragender Bedeutung für die Doppelsternastronomie. In das
Beobachtungsprogramm sind nur Paare aufgenommen worden, für
welche e< 32”; die Astronomen haben sich daran gewöhnt, nur
Paare von dieser Beschaffenheit als Doppelsterne (im engeren Sinne)
zu betrachten. Auch für die weitesten Paare dürfte das Verhältnis der
Zahl der optischen Doppelsterne (konstante Eigenbewegung) zur Zahl
der physischen (veränderliche Eigenbewegung) noch durch einen sehr
kleinen Bruch dargestellt sein. _
Die Arbeiten W. Herschels sind datch dessen Sohn John Herschel
mit großem Erfolge fortgesetzt und durch Ausdehnung des Arbeits-
feldes bis zum Südpol in glücklicher Weise ergänzt worden. J. Herschel
hatte den Plan gefaßt, eine synoptische Geschichte der Doppelsterne
zu schreiben und zu diesem Behufe eine Liste der Positionen aller
von ihm selbst und von anderen Astronomen gefundenen Doppel-
sterne anzulegen unternommen, deren Publikation aber erst nach
Herschels Tode unter dem Titel „A Catalogue of 10300 Multiple and
Double Stars“®) erfolgt ist. Durch Festhalten an dieser Ziffer würde
man jedoch die Zahl der bis zum Jahre 1874 bekannt gewordenen
Doppelsterne sehr überschätzen. Otto Strwe, Sohn W. Struves und
ebenfalls durch die Pflege der Doppelsternastronomie zur Berühmtheit
gelangt, sagt in einer Besprechung‘) des Katalogs, den er für einen
temporären Arbeitskatalog hält, J. Herschel dürfte die geplante syn-
optische Geschichte nur auf solche Sternpaare ausgedehnt haben,
welche innerhalb der von W. Struve aufgestellten Grenzen als Doppel-
sterne zu bezeichnen sind, und dann auch den Katalog revidiert und
diesen Grenzen angepaßt haben, womit die Zahl der Sterne auf nicht
viel über die Hälfte herabgesunken wäre. Einen großen Fortschritt
verdankt die Doppelsternkunde zunächst der unermüdlichen Tätigkeit
des -Barons E. Dembowski, der in den Jahren 1852—1878 etwa 20000
vorzügliche Messungen ausgeführt hat, dann aber auch den Be-
mühungen vieler Astronomen, unter denen Dawes, Duner, Schiaparelli,
4) Stellarum duplicium et multipl. Mensurae Micrometricae; St. Peters-
burg 1887.
5) Lond. Astr. Soc. Mem. 40 (1874).
6) Astr. Ges. Vjs. XI (1876).
468 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
A. Hall, H. Strwe, Doberck als Beobachter, Burnham, Aitken und
Hussey als Entdecker hervorragen. Die Zahl der neueren Funde über
trifft sicherlich die Zahl der selbst bei strenger Revision aus Herschels
Kataloge zu streichenden Positionen, so daß von Doppelsternen im
engeren Sinne wahrscheinlich mehr als 11000 bekannt sind. Burnhams
Kataloge”) verzeichnen 1336 Doppelsterne, darunter viele sehr enge
Paare. Die laufenden Nummern der Kataloge von @. Aitken?) und
J. Hussey”) reichen bis 2300 bzw. 1337. Burnhams Generalkatalog”)
(1906) verzeichnet 13655 Doppelsterne, wovon, da eine Beschränkung
auf die Struvesche Grenze nicht stattfand, sehr viele (nach des Autors
eigener Schätzung mehrere Tausende) optische Doppelsterne sein
dürften. Von älteren Werken möge hier noch erwähnt werden: A
Handbook of Double Stars by E. Orossley, @. Gledhill and J. Wilson
(London 1829), das von den Methoden der Beobachtung sowie der
Bahnbestimmung handelt und eine chronologische Zusammenstellung
der Messungen von 1200 Paaren gibt.
Nicht selten scheinen die Komponenten von Doppelsternen Licht
von verschiedener Farbe auszustrahlen; das Erkennen der Farbe ist
um so schwieriger je höher die Größenklasse der Sterne ist. Die
auf 596 Paare ausgedehnten Untersuchungen W. Struves ergaben
gleiche Farbe der Komponenten bei 476 und verschiedene Farbe bei
120 Paaren‘). Der beobachtete Farbenunterschied besteht häufig im
Vorherrschen von Gelb oder Rot gegen Weiß oder Gelb, aber auch
nicht selten in komplementärer Färbung der Komponenten, wovon
eine, und zwar gewöhnlich der Hauptstern, rot oder gelb, die andere
grün oder blau erscheint. Nach Struve nimmt die Zahl der blauen
Begleiter rasch mit der Distanz zu, während sehr enge Doppelsterne
dieselbe Farbe haben. Im allgemeinen erweist sich auch die Hellig-
keit um so verschiedener, je verschiedener die Farben sind!®); der
Unterschied in Helligkeit wächst ebenfalls mit der Distanz. Die
Farbenschätzungen verschiedener Beobachter stimmen häufig nicht
überein. Manchmal, wie es für W. Herschel und W. Struve einiger-
maßen zutrifft, genügt eine konstante Verschiebung der Farbenskala
zu einer in. der Hauptsache befriedigenden Ausgleichung der Diffe-
renzen.*) Das Vorkommen einer verschiedenen Färbung der Kom-
7) A General Catalogue of Double Stars within 121° of the North Pole;
Washington 1906.
8) Lick. Obs. Bull. 188 (1910).
9) Lick. Obs. Bull. 117 (1907).
10) W. Doberck, On the colour of revolving’ Double Stars; Astr. Nachr.
95 (1879).
1. Beobachtung von Doppelsternen. 469
ponenten in der Farbenfolge weiß-gelb-rot wird wohl von allen Beob-
achtern zugestanden; daß es aber auch Paare geben soll, in welchen
die Komponenten komplementär gefärbt sind, wurde von mehreren
erfahrenen Beobachtern lebhaft bestritten und die Empfindung dieser
Farben auf Sinnestäuschung durch Kontrastwirkung zurückgeführt.
Bei einigen Paaren, deren Spektra untersucht werden konnten, wird
diese Wirkung jedenfalls wesentlich unterstützt durch die verschieden-
artige Lichtemission, indem der gelbliche Stern ein Spektrum II. Klasse,
der bläuliche ein Spektrum I. Klasse besitzt.!')
Zu den Messungen von Position und Distanz dient ein in Grade
geteilter Positionskreis in Verbindung mit dem Fadenmikrometer oder
das Heliometer. Auch Interferenzmethoden scheinen mit gutem. Er-
folge verwendet werden zu können??), sowie verschiedene andere Arten
von Doppelbildmikrometern.'?)
Die Messungen der Positionswinkel sind im allgemeinen viel ge-
nauer und zuverlässiger als die der Distanzen, so daß Änderungen
der relativen Lage der Komponenten eines Doppelsternes. viel sicherer
aus den Positionswinkeln als aus den Distanzen erkannt werden.
Unter den Fehlern der Messung sind die von der Eigenart des Beob-
achters abhängigen persönlichen Fehler!*) wegen ihres systematischen
Charakters von besonderer Bedeutung; sie treten bei Vergleichung
der Messungsreihen je zweier Beobachter als persönliche Gleichung
mitunter sehr deutlich hervor. Wegen der veränderlichen Natur
dieser Fehler empfiehlt es sich, sie stets aus den auf dasselbe Objekt
sich beziehenden Messungen abzuleiten und dabei auch die Möglich-
keit zu beachten, daß durch große Zeitintervalle getrennte Messungen
desselben Beobachters einer verschiedenen Korrektur bedürfen. (Vgl.
Artikel VI2, 6 Cohn Seite 263.)
Zur Reduktion der beobachteten relativen Koordinaten des Be-
gleiters auf ein fixes Äquinox i, bedarf es, bei der Kleinheit von g,
nur der Berücksichtigung der durch Präzession veranlaßten Anderung
11) E.C. Pickering, The Discovery of Double Stars by means of their Spectra;
Astr. Nachr. 127 (1891).
12) A. A. Michelson, Memoirs of the National Acad. of Sciences; Washington
5 (1891); K. Schwarzschild, Über Messung von Doppelsternen durch Interferenzen;
Astr. Nachr. 139 (1896).
13) M. Brendel, Über die Brechung des Lichtes in Prismen aus einachsigen
Kristallen und über deren Anwendung zu mikrometrischen Messungen. 1891.
14) O. Stone, on personal equation in double star observations; Astr. Nachr.
92 (1878), 94 (1879); E. Großmann, Untersuchungen über systematische Fehler
bei Doppelst.-Beob. Diss. Göttingen 1892.
470 VIe,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
des Positionswinkels im Betrage von
8 — 0, = 0°. 0056 sin asecd(t — 4),
wenn die Zwischenzeit ? — i, in Jahren ausgedrückt ist.
2. Einleitung zur Bahnbestimmung. Nachdem die an Doppel-
sternen ausgeführten Messungen in vielen Fällen eine krummlinige
Bewegung des Begleiters außer Zweifel gestellt und die allgemeine
Gültigkeit des Newtonschen Gesetzes noch wahrscheinlicher gemacht
hatten, fing man an nach Methoden zu suchen, welche eine genäherte
Bahn des Begleiters aus einigen Örtern desselben nach Analogie einer
ersten Bahnbestimmung von Planeten zu berechnen gestatten. Da
die Beziehung zwischen mittlerer Bewegung und Halbachse nur durch
Einführung einer neuen, von der Masse und der Parallaxe des Doppel-
sternes abhängigen Unbekannten hergestellt werden kann, so war es
klar, daß jede Bahnbestimmung sich auf mindestens 7 voneinander
unabhängige Beobachtungsstücke gründen muß. Die ausschließliche
Verwendung von Positionswinkeln oder Distanzen genügt zu einer
vollständigen Bahnbestimmung nicht, da hierbei entweder die Dimen-
sion der Bahn oder die Bahnlage unbestimmt bleibt. Werden mehr
als 7 Beobachtungsdata benützt, so wird man eine Ausgleichung vor-
nehmen müssen.
Denken wir uns durch den Hauptstern, der sich in der Ent-
fernung Z von der Erde befinden soll, ein rechtwinkliges Koordinaten-
system so gelegt, daß die z-Achse die Fortsetzung des Visionsradius Z
bildet, so ist die xy-Ebene die Referenzebene für die durch die
visuelle Beobachtung gelieferten Koordinaten des Begleiters. Auf
diese oder eine zu ihr parallele Ebene werden auch die von der
Bahnlage abhängigen Elemente der Bewegung des Begleiters um den
Hauptstern oder den gemeinsamen Schwerpunkt in gleicher Weise
bezogen, wie die Elemente eines Planeten auf die Ekliptik, nur mit
dem Uhterschiede, daß der Positionswinkel an die Stelle der Länge
tritt. Dementsprechend hat man die Achsen so zu legen, daß die
Koordinaten des bewegten Punktes werden 2 = gc030, y= eg sin 9;
die Koordinaten sind auch gegeben durch:
x = r(cosu c0o8®& — sinu sin & cos i)
y=r(cosu sin®& +4 sinu cos & cos i)
z=rsinusinti.
Die Bezeichnungen sind hier und im folgenden in Übereinstimmung
mit dem Artikel VI2,9 (Herglote) Seite 381—384 gewählt.
2. Einleitung zur Bahnbestimmung. 4711
Die :Zeit {, des Periastrons und die Periode P = “= werden bei
visuellen Doppelsternen in Jahren ausgedrückt. Zur Bezeichnung
der Bewegungsrichtung dienen die Ausdrücke direkt (Zunahme der
Positionswinkel mit der Zeit) und retrograd (Abnahme der Positions-
winkel). Bei Angabe dieser Bezeichnung kann für die Neigung stets
der spitze Winkel genommen werden. Der aufsteigende Knoten läßt
sich vom niedersteigenden aus Messungen von 0 und og allein nicht
unterscheiden, da, wie auch aus obigen Gleichungen ersichtlich ist,
eine Änderung des Vorzeichens der Neigung x und y, mithin auch
6 und oe ungeändert läßt.
Ist die Neigung von Null verschieden, so beziehen sich infolge
der endlichen Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes die beob-
achteten Örter der Komponenten eines Doppelsternus im allgemeinen
auf verschiedene Zeitpunkte. F. Savary"”) hat zuerst darauf auf-
merksam gemacht, daß dieser Umstand zu Aberrationserscheinungen
Anlaß geben müsse, aus denen, wie er meinte, die Parallaxe des
Doppelsterns bestimmt werden könnte. Dies wäre jedoch nach den
grundlegenden Untersuchungen Villarceaus'®) nur dann möglich, wenn
das Massenverhältnis der Komponenten bekannt ist. L. Birkenmeyer'”)
hat die Ableitung der Villarceauschen Formeln etwas vereinfacht
und durch deren Anwendung auf die Bahn von & Ursae maj. einige
interessante Resultate erhalten. H. Seeliger?) gibt eine sehr einfache
und klare Darstellung der wichtigsten Resultate Villarceaus und
außerdem eine Theorie der optischen Ungleichheiten, die durch die
Abhängigkeit der Geschwindigkeit des Lichtes von seiner Intensität
veranlaßt würden. Eine solche Abhängigkeit könnte durch die Bahn-
bestimmung von Doppelsternen nur dann nachgewiesen werden, wenn
die Eigenbewegung sehr groß, die Parallaxe sehr klein und die
Helligkeit der Komponenten sehr verschieden ist. Die endliche Ge-
schwindigkeit des Lichtes bewirkt eine konstante, in den Beobach-
tungen nicht zu erkennende Veränderung von 9, :, © und eine perio-
dische, durch Beobachtungen bestimmbare Ungleichheit der Bewegung,
die durch Korrektion der Beobachtungszeit um — "—"*r voll-
m, + m,
15) Conn. des Temps pour 1830.
16) Theorie analytique des inegalites de lumiöre des &toiles doubles. Conn.
des Temps additions pour 1878.
17) Über die durch die Fortpflanzung des Lichtes hervorgerufenen Un-
gleichheiten. Wien. Ber. 1886.
18) Über optische Ungleichheiten in der Bewegung der Doppelsterne.
München Ber. 19, 1889.
472 VlIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
ständig berücksichtigt wird, wo r den in Lichtzeit ausgedrückten
Unterschied der geozentrischen Entfernungen der Massen m, und m,
bedeutet. |
Die Bahn, welche eine Komponente um die andere oder um den
gemeinsamen Schwerpunkt im Raume beschreibt, setzen wir als eine
Keplersche Ellipse voraus und nennen sie die wahre Bahn oder die
wahre Ellipse. Die Projektion der wahren Ellipse oder die scheinbar
in einer zur Gesichtslinie senkrechten Ebene beschriebene Bahn, die
auch eine Ellipse ist, heißt die scheinbare Bahn (scheinbare Ellipse).
Der Mittelpunkt der scheinbaren Ellipse ist die Projektion des Mittel-
punktes der wahren Ellipse. Die Projektionen der Brennpunkte der
wahren Ellipse fallen aber (für > 0) nicht mit den Brennpunkten
der scheinbaren Ellipse zusammen. Wenn nämlich die durch den
Brennpunkt getrennten Teile einer Fokalchorde mit r und r’ bezeichnet
werden, so ist
tr Pal)
Ist & der Neigungswinkel der Sehne gegen die xy-Ebene, so
sind die Projektionen der Sehnenabschnitte g = rcos&, g'=r'cos$;
: 1 1 2 7
daraus folgt, daß die Summe Er + ver! (wegen der Verän-
derlichkeit von &) nicht konstant, der Punkt g—=0 daher kein Brenn-
punkt ist. Fürr=r=p wirdgo=o’=p cos$; setzt man pcos$=s,
so läßt sich mit Hilfe der Gleichung + rn = - für jedes Paar
@, 0" je ein auf eg und e’ oder in der Verlängerung dieser Linien
gelegener Punkt mit der Entfernung s vom Orte des ruhenden Sternes
finden. Der geometrische Ort dieses Punktes ist eine Ellipse (Thiele-
sche Hilfsellipse'®), welche die Projektion eines in der Ebene der
wahren Bahn mit dem Radius »7 um den Hauptstern beschriebenen
Kreises darstellt. s wird ‚ein Maximum für &=0 (Knotenlinie).
Die große Halbachse der Hilfsellipse ist daher = p und liegt in der
Knotenlinie.e Der Minimalwert von s, die kleine Halbachse der Hilfs-
ellipse, stellt den Wert p cosi dar; es ist daher gleich dem Exzen-
trizitätswinkel der Hilfsellipse. In gleicher Weise benützt H. Zwiers”®)
eine andere, der Projektion eines mit dem Halbmesser «a um den
Mittelpunkt der wahren Ellipse beschriebenen Kreises entsprechende
Hilfsellipse zur konstruktiven Darstellung der Elemente.
Die Halbachsen der scheinbaren Ellipse sind im folgenden mit
19) Th, Thiele, Über einen geometrischen Satz zur Berechnung von Doppel-
sternbahnen; Astr. Nachr. 52 (1860).
2. Einleitung zur Bahnbestimmung. 473
&,,ß,, die Projektionen der Halbachsen a, I, auf die Ebene der schein-
baren Bahn mit a,, b, bezeichnet. Die Neigungswinkel der Achsen
gegen diese Ebene seien durch die Gleichungen a,—=acos&,, b,=beos$,
bestimmt. Den Übergang von der scheinbaren auf die wahre Ellipse
vermitteln die Beziehungen, daß jene die Projektion dieser ist, woraus
folgt &,ß, = ab cosi, und daß die konjugierten Durchmesser, von denen
einer durch den Ort des ruhenden Sternes geht, die Projektionen der
Achsen der wahren Ellipse vorstellen, weshalb auch die Projektion
der großen Halbachse durch den Ort des ruhenden Sternes im Ver-
hältnis e: 1 geteilt wird. Die Bestimmung von e ist sonach graphisch
leicht durchführbar. Die durch den Punkt e=0 gehende und in
diesem Punkte halbierte Sehne der Projektionsellipse ist parallel
zu b..
Die Dimensionen der Bahn und die Koordinaten des bewegten
Massenpunktes werden auf die den Messungen zugrundeliegende Ein-
heit des Weges bezogen. Ist diese Einheit die Bogensekunde, so
können, wenn f die Anziehung zweier Masseneinheiten in der Einheit
der Entfernung und das Dehnungszeichen — die Wertung der Koor-
dinaten und Halbachsen in linearem Maße bedeuten, Gleichungen von
der Form = Zasin!” FerpRneRk werden, um aus jeder der Be-
er z.B. er 25 a r mr £=0, die entsprechende
= ri ui —=( abzuleiten. Die nr: jedes System charakteristische
Konstante der Gravitation ist daher gegeben durch = Ken
Z°sin®1”
Wird die Vertauschung des Doppelsternsystems an dem System
Sonne-Erde durch den Index O0 (m, = Sonnenmasse), der Ausdruck
Vırı durch *k,, die Parallaxe des Sternes durch x bezeichnet,
M
1 + —,
Mm,
so bestehen die Relationen
f a a a’n? at > m m’
Zul l2-—; f=- —- —--; M=an— + ek;
7 a m + m m, + m, Mm,
mtm n°
a==% m+m asen ER
m tm, n!
k, geht in die Gaußsche Konstante über, wenn n, auf den Tag be-
zogen wird. Der Annahme m + m’= m, + m, entspricht die „hypo-
thetische Parallaxe“
Ri N
3
at
Die Bahnbestimmung eines Doppelsternes von bekannter Parallaxe
’
474 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
m+m m
x vermittelt, indem n?a? — °ky, die Kenntnis der Masse des
mM,
Systems. Da ” gleich ist dem Verhältnis zwischen den Abständen
der Komponenten vom gemeinsamen Schwerpunkte und aus den Achsen
der. Bahn einer Komponente bezüglich des Schwerpunktes und des
Ortes der anderen Komponente berechnet werden kann, so wird das
Massenverhältnis bekannt, sobald für eine beider Komponenten ver-
änderliche Eigenbewegung konstatiert ist.
Hat man veränderliche Eigenbewegung eines Sterns, ohne daß
der Begleiter sichtbar ist, so hat man zunächst aus möglichst ent-
legenen Beobachtungen die als gleichförmig anzusehende Bewegung
des Systemschwerpunktes zu ermitteln und dann die Relativkoordi-
naten des Sterns gegen den Schwerpunkt wie diejenigen eines Doppel-
sterns zu behandeln. °®)
Zur Vorbereitung seien noch folgende Formeln angemerkt:
Die Gleichung des Flächensatzes zdy — ydz = cdt, in welcher
c=kYpcosi—any1— ecosi= abn cosi— «PN,
läßt sich auch schreiben
y cdt x — cdt
Ä - Fn a(y) ET
die Integration zwischen den NEN die Indizes 1 und 2 bezeichneten
Grenzen gibt
er "dt
I, Yyp— Bfı EC un: 1 Ro un] r :
iı &ı
Die doppelte Dieischelänhe als Funktion der wahren oder der
exzentrischen Anomalien (in der wahren Bahn) ist
% Yg — %ayı = 0,0, Sin (6, — 0,) = r,rz sin(dy — v,) 608%
— — [sin (E, — E,) — e (sin E, — sin E,)]
= «A,lsin, — E)— (B,—E)+n—4)]-
3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne.
a) Benutzung einzelner Örter. Die älteste, von Savary?!) (1827)
ersonnene Methode verwertet vier Positionswinkel mit den zugehörigen
Distanzen und Zeiten; sie führt im Wege fortgesetzter Versuche,
durch welche die in den Zwischenzeiten erfolgte Änderung der exzen-
trischen Anomalien bekannt werden soll, zur Bestimmung der schein-
20) H. Seeliger, Valentiners Handwörterbuch I; Breslau 1897.
21) F. Savary, Conn. des Temps pour 1830.
8. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 475
baren Bahn, aus der dann die wahre abgeleitet wird. Unter Benutzung
von Relationen, welche zwischen zwei konjugierten Durchmessern der
Ellipse und den durch die vier Örter parallel zu den Durchmessern
gezogenen Sehnen bestehen, erhält man zwei Gleichungen mit
B—Eb=g9 ,—-E=Y% E-E=YV
als Unbekannten. Da in den Gleichungen
Bın(t; — &) — 9,08 5in (0, — 0,) = aß, (pP — singp)
Br (tz — 4) — 0105 Sin (d, — 0) = a, Pd — siny)
nt, — 4) — 919, sin (0, — 0,) = a, ß,(W — sin y‘)
das Produkt «8, sich aus den Werten p und % berechnen läßt, so
bleiben nach Elimination von «,ß,n noch zwei von den Zwischen-
zeiten abhängige Gleichungen, im ganzen also vier Gleichungen zur
Bestimmung der Unbekannten. Es wird daher im allgemeinen kein
Wert von p angenommen werden können, welcher ohne Änderung der
Beobachtungsdaten allen Gleichungen genügt. J. F. Encke??) glaubt _
die Übereinstimmung am zweckmäßigsten durch Änderung einer Distanz
erreichen zu können. Nach seiner Methode, deren Formeln den
Rechner mehr befriedigen, werden die geometrischen Beziehungen
zwischen 9, %, %’ durch Gleichungen vermittelt, welche den Flächen-
inhalt (123) eines durch drei Punkte der scheinbaren Ellipse be-
stimmten Dreiecks einerseits durch die gegebenen Koordinaten dieser
Punkte und andererseits durch die Unbekannten ausdrücken; letztere
Gleichungen sind von der Form
(123) = 2a, ß, sin — =p sin — = — p)sin —
‚und gestatten eine bequeme Berechnung von g, %, %’ aus einem an-
genommenen Werte von Y+Hy+g.
H. Seeliger hat in seiner Inauguraldissertation?®) nach detaillierter
Besprechung der Methoden von Savary und Encke eine neue Methode
der Bahnbestimmung aus vier Positionswinkein und drei Distanzen
gegeben, welche die Rechnungsoperationen vereinfacht, indem sie die
Dimension der scheinbaren Ellipse zunächst unbestimmt läßt und bis
zu deren Ermittlung statt der drei Distanzen nur zwei Verhältnisse
derselben benützt. Bezeichnet y den Winkel zwischen der Richtung
Hauptstern — erster Ort und der großen Achse, & und n die Koordi-
naten des Hauptsternes bezüglich der großen und kleinen Achse der
scheinbaren Ellipse, so läßt sich der Gang der Rechnung folgender-
22) Berl. astr. Jahrb. für 1832.
23) Zur Theorie der Dibaalikiinbeiranunren. Diss. Leipzig 1872.
476 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
maßen darstellen. Die (im Versuchswege zu bestimmenden) Werte
von p und % geben mit Hilfe von sechs (nur einmal zu berechnenden)
N ßı
—-, — und a’ erhalten werden. Diese
RB’
9, %, %' müssen drei Zeitgleichungen, in denen die Produkte der Di-
stanzen durch deren Verhältnisse ersetzt sind, genügen. «, kann dann
Konstanten y, woraus E,, 8;
han
der Gleichung o, cosy = «, (cos E, — 2) entnommen werden. Seeliger
gibt noch eine elegante Bestimmung der scheinbaren Ellipse aus den
Werten von p, x und «,ß,, welche auch bei den Methoden von Savary
und Encke anwendbar ist.
Unter den Methoden, welche eine direkte Bestimmung der wahren
Bahn bezwecken, ist die Methode von Yvon-Villarceau*) (1849) die
älteste. Sie beruht auf der Entwicklungsfähigkeit von 6, o und der
Differentialquotienten dieser Funktionen nach Potenzen der Zeit.
Das Wesen der Methode besteht darin, daß durch wiederholte Differen-
tiation von 2=0_c0560, y=gsin®, z=otg& und Ersetzung der
zweiten Differentialquotienten durch ihre den Bewegungsgleichungen
entnommenen, als Funktionen von k®, 6, o, & ausgedrückten Äquiva-
lente eine lineare Gleichung zur Bestimmung von tg &- - und durch
deren Vermittlung nach Elimination von %® und «u eine Gleichung
4'® Grades erhalten wird, in welcher nur tg?& und tg*& als Unbekannte
auftreten. Die Gleichung hat nur zwei reelle, gleich große und entgegen-
gesetzt bezeichnete Wurzeln, wie es dem Mangel eines Kriteriums zur
Unterscheidung zwischen auf- und niedersteigendem Knoten entspricht.
Nach Auswahl eines & und des zugehörigen 3 gelangt man zur
BR d .
Kenntnis von Ä?, x, y, 2 7: 2 ! a welche Daten zur Bestimmung
der wahren Bahn genügen. Eine zweite Abhandlung Villarceau s®*)
enthält eine Spezialisierung der Methode für den Fall, daß die Ge-
sichtslinie gegen die Bahnebene nur sehr wenig geneigt ist.
K. Schwarzschild®°) gelangt in einfacher Weise zur Bestimmung
der Koordinaten und Geschwindigkeiten, indem er von den Potenz-
reihen für x und y ausgeht, welche, wenn die Zahl der Striche die
Ordnung der Differentialquotienten bezeichnet, der Bedingung genügen
müssen
24) Conn. des temps pour 1852.
25) Methode zur Bahnbestimmung der Doppelsterne; Ast. Nachr. 124 (1890).
3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 477
Es sei
%
w
r: i Y Pi
= u’; .daan it ———
k 2) w
oe
Mit Hilfe dieser Relation wird aus der Gleichung r?—= g°+ 2? und
ihrer ersten und zweiten Ableitung nach der Zeit durch Elimination
von r’ und r” die Formel erhalten
A a ne
++]
Da oe, w und ihre Derivierten ohne weiteres aus x, y und deren Diffe-
rentialquotienten gefunden werden können, ist dies eine quadratische
Gleichung für r. Aus r (doppelte Lösung möglich) erhält man
+2 + und Ak? womit die Aufgabe gelöst erscheint.
Die Zuverlässigkeit der nach diesen Methoden erhaltenen Resultate
wird dadurch wesentlich beinträchtigt, daß die Entwicklung der Funk-
tionen nach Potenzen der Zeit nur so lange durchführbar ist, als die
Zeit einen gewissen Bruchteil der Periode nicht überschreitet, und
daß die Fehler der Beobachtung die Koeffizienten um so stärker be-
einflussen, je höher die Potenz der Zeit ist.
Viel leistungsfähiger ist die Methode von Klinkerfues?°), welche
davon ausgeht, daß das Verhältnis der Flächen je zweier in der
Bahnebene gelegenen Dreiecke gleich ist dem Verhältnisse ihrer Pro-
jektionen. auf die Ebene der scheinbaren Bahn.
r,sin(®, —®) _ ge, sin(0, — 0) ;
r, sin(w, —®) 0, sin(0, — 6)
Das Verhältnis zweier Gleichungen, welche aus dieser durch Be-
teilung von v und 9 mit dem Index 2 bzw. 4 hervorgehen, ist
sin (v, — 9,)sin(m, —v,) _ sin(0, — 0,)sin(d, —6,).
. sin(d — 9,)sin(v, —v,) sin(0, — 6,) sin (6, — 0,)
Je nachdem ein g und sechs 6, zwei vollständige Örter und drei
0 oder drei vollständige Örter und ein ® gegeben sind, hat man
unter Bevorzugung der äußersten Positionen drei, zwei oder eine der
Gleichungen von der zweiten Form und keine, eine oder zwei Glei-
chungen von der ersten Form zu bilden. Die rechten Seiten der
Gleichungen sind bekannt. Mittels der Formeln, welche v mit t ver-
binden, ist im Versuchswege auf Grund hypothetischer Werte von
n und {, die Erfüllung der entsprechenden Gleichungssysteme anzu-
26) Diss. Göttingen 1855, Theoretische Astronomie, Braunschweig 1871 und
1899; Astr. Nachr. 42 (1856), 47 (1858).
478 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
streben. Ist dies erreicht, so kennt man e, n, i,. Die von der Bahn-
lage abhängigen Elemente werden aus drei Gleichungen von der Form
tg (9 — 2) = cositg(v + @) abgeleitet. Zur Bestimmung der Halb-
achse muß eine Distanz herangezogen werden.
b) Benutzung der vollständigen scheinbaren Ellipse.
Da die Elemente der wahren Bahn aus Örtern, die in der Ebene
der scheinbaren Bahn liegen, abgeleitet werden müssen, so hängt ihre
Verläßlichkeit von der Genauigkeit ab, mit welcher die scheinbare
Ellipse durch die Beobachtungen bestimmt wird. Die Fehler der
Messung lassen den Charakter dieser Ellipse um so schwieriger er-
kennen, je kleiner die durch die äußersten Beobachtungen markierte
Winkelbewegung des Begleiters ist. Ist sie kleiner als 180°, so darf
man erfahrungsgemäß kaum hoffen, einigermaßen genäherte Bahn-
elemente zu erhalten. Aber auch bei größerer Bewegung werden die
bisher besprochenen Methoden, soweit sie überhaupt noch anwendbar
sind, je nach Auswahl der Beobachtungsstücke im allgemeinen sehr
verschiedene Resultate geben, so daß es geboten erscheint, das vor-
handene Beobachtungsmaterial schon zum Zwecke einer provisorischen
Bahnbestimmung intensiver auszunützen. Hierzu eignen sich Methoden,
nach welchen die scheinbare Ellipse durch Konstruktion oder auf
analytischem Wege bestimmt wird und die Ermittlung von Dimen-
sion, Form und Lage der wahren Ellipse ohne Inanspruchnahme der
Beobachtungszeiten erfolgt.
Die Konstruktion der scheinbaren Ellipse wird auch bei genügen-
der Zahl und günstiger Verteilung der beobachteten Örter häufig
Schwierigkeiten begegnen, welche durch Fehler in den Positionswinkeln
und noch viel mehr durch Fehler in den beobachteten Distanzen veran-
laßt sind. Um diese Schwierigkeiten zu beheben, sucht J. Herschel?')
zunächst die Fehler der Positionswinkel durch graphische Darstellung
von 0 als Funktion der Zeit auszugleichen, und berechnet dann mit
Hilfe der 0-Kurve die Distanzen nach der sich aus dem Flächensatz
ergebenden Formel og = Ga in welcher nur c aus den gemessenen
di
Distanzen bestimmt wird. Da die so berechneten og den elliptischen
Charakter der aus zusammengehörigen Werten von # und g konstru-
ierten scheinbaren Bahn nicht garantieren, muß noch untersucht
werden, ob die Bahn sich einer Ellipse genügend nähert, und falls
27) On the Investigation of the Orbits of revolving Double Stars; Lond.
Astr. Soc. Mem. V (18383).
3. Bahnbestimmung visneller Doppelsterne. 479
dies nicht zutrifft, durch Nachbesserungen die Annäherung an die
elliptische Form herbeigeführt werden.
Ist die scheinbare Ellipse mit dem Orte & des ruhendes Sternes
und der Richtungslinie #0 gezeichnet, so lassen sich der Mittelpunkt
O der Ellipse und ihre Achsen 2«,, 2ß, durch Konstruktion finden.
Der durch O und Z gehende Halbmesser ist a,, der konjugierte b,.
Bezeichnet ® den Winkel zwischen Knotenlinie und a, (vom auf-
steigenden Knoten gegen die Projektion des Periastrons hin gezählt),
so ist tg@ = tg w’ - seei. Die Größen p, © und die Lage der Knoten-
linie, mithin auch ein Wert von & kann durch Konstruktion der
Thieleschen Hilfsellipse, deren Zentrum 2 ist, erhalten werden. Nach
N 20
Messung von ®' gelangt man zur Kenntnis von @, wodurch, da e=-,
die Bestimmung der Elemente bis auf die von {, und P durchgeführt
ist. 4, ist durch die Zeit gegeben, welche dem Positionswinkel der
Projektion des Periastrons entspicht. P kann aus dem Verhältnis der
Fläche eines Sektors zur Ellipsenfläche nach der Formel
ia
dj od — 2ma,P,(y — fı)
bh
oder, wenn 0, — 6, > 2x, durch Interpolation der Zeiten berechnet
werden, welche zu nahe um 2x differierenden Positionswinkeln ge-
hören.
Die graphische Methode von H. Zwiers®) ermöglicht eine vorteil-
haftere Bestimmung von a, 2,i. Sie beruht auf der Konstruktion
einer anderen Hilfsellipse, welche aus der scheinbaren Ellipse durch
symmetrische Verlängerung von 2b, und der zu diesem Durchmesser
parallelen Sehnen im Verhältnisse 1:Y 1 — e? erhalten wird. Diese
Hilfsellipse (mit dem Zentrum in O) ist daher die Projektion eines
der wahren Ellipse umschriebenen Kreises. Durch die Projektion er-
leidet nur der parallel zur Knotenlinie liegende Durchmesser des
Kreises keine Verkürzung, weshalb die große Achse der Hilfsellipse
die Länge 2a besitzt und die Richtung der Knotenlinie markiert.
Der zur Knotenlinie senkrechte Durchmesser des Kreises erfährt die
stärkste, dem Neigungswinkel ö entsprechende Verkürzung. Durch
Messung der Halbachsen «’, #’ der Hilfsellipse wird also a und i be-
kannt, dd a= «a; acosi= ß’. wo’ ist der Winkel zwischen «’ und a;;
tgo —=tgo sei— tg.
28) Über eine neue Methode zur Bestimmung von Doppelsternbahnen ;
Astr. Nachr. 139 (1896).
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 32
480 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Zur Berechnung von 2, o, i aus Bestimmungsstücken der schein-
baren Ellipse sind die Formeln von Klinkerfues?®) sehr geeignet.
Sind P,, Pı die Positionswinkel der Achsen der wahren Ellipse
(entsprechend den Punkten v—= 0 und v = 90°), so wird
a, = acosß,; sin@cosi—= cosh,sin(P, — 2); sin (@ - Z)eosi
—= cos&, sin (P, — 2)
= bcos$,; cos = cos $, cos (P, — R); Cos (© En 3)
—= cos&,cos (PR, — 2).
Es ist daher
2 sin @ c05 0 cosi = (=) sin2(, — 2) =— (2) sin2(P,— 8)
oder
ER 4) __ sin2(A—M
(d (5) = sin2(P, —®)
Aus dieser Gleichung, deren linke Seite als bekannt zu gelten
hat, folgt & durch Rechnung oder einfache Konstruktion. ?®)
Der Bedingung, daß die scheinbare Bahn eine sich den Beobach-
tungen unter Berücksichtigung ihrer relativen Güte möglichst an-
schmiegende Ellipse sein soll, kann leichter auf analytischem als auf
graphischem Wege entsprochen werden. Schon J. Herschel?®) hat
den Vorteil der analytischen Bestimmung der scheinbaren Bahn er-
kannt und eine Methode angegeben, welche die Elemente aus den
Koeffizienten der Ellipsengleichung finden lehrt und in etwas verein-
fachter Form hier auseinandergesetzt werden soll.
Fünf Örter bestimmen die Koeffizienten der Ellipsengleichung
ax + By +yay+öcx + ey—1= 0; liegen mehr Örter vor, so
wird der günstigste Anschluß der Kurve durch die Berechnung der
Koeffizienten nach der Methode der kleinsten Quadrate gesichert.
Es sei
0—2—=B,
—=oc0o(# +2)
y—esin(# +2)
dann ist
oder
xcos2 + ysin&® =pcos#—=rcosu
— sind +yeaR—=gsIn$®—=rsinu cosi.
Unter Berücksichtigung dieser Relationen kann die Gleichung der
29) On the Determination of the most probable Orbit of a Binary Star;
Lond. Astr. Soc. Mem. 1850.
3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 481
wahren Ellipse nach Be der Substitution
ecosw-rcosu+* -rsinucsi=p—r,
cost
ec08@ —=9cos@
e sin w
cosi
—=gsin@G
geschrieben werden
gecs(# — G)=p—r
r=p—9x2cos(Q® + G) — gysin (2 + 6).
r ist andererseits gegeben durch die Gleichung
r=-?+yVP+2=-:+y+ 0°’sin’stgi—= all + tg?isin? 2)
+ y?(1 + tg?i cos? Q) — xytg?isin22.
Die durch Elimination von r? hervorgehende Gleichung ist die der
scheinbaren Ellipse. Die Identifizierung der Koeffizienten der veränder-
lichen Größen gibt
ep —=1--tgisin?Qd — co? (+ 6)
BP—=1-1tgtico®?Q — sin? (2 + @)
vP®—=—tgisin2R8 — gsin2(2 + G)
dop=29c08(28 + G)
ep—=29sin(Q + @).
Hieraus u; die von Kowalsky®) aufgestellten Formeln
sin 2a —y—
oder
0?— e?
“
pi’ cs22=ß— u —- z
2 + ht +err
Pt
esino—=-p cosi(— Öösin® + ecos2)
ecoso — (0 cos + esin2).
n und, werden am sichersten aus Wertepaaren von 6, ti nach der Methode
der kleinsten Quadrate erhalten.
Zur Bestimmung von «, ß... aus der. Figur. der scheinbaren
Ellipse eignet sich die Methode von $. v. Glasenapp®‘) sehr gut.
80) Wissenschaftliche Schriften der Kasaner Universität für 1873; D. Dubjago,
Astr. Nachr. 109 (1884).
81) On a Graphical Method for determining the orbit of a Binary Star;
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 49 (1889).
82*
482 VlIa,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Sie beruht auf der Messung der Koordinaten von fünf Punkten der
Ellipse, wovon vier in den Achsen des zur Konstruktion der Ellipse
verwendeten Koordinatensystems liegen. Die zwei in der x-Achse
gelegenen Punkte haben die Abszissen x,, %,; diese müssen der Be-
dingung genügen a +d2—1=0, woraus folgt «= — A
%, %g
sat, j
% %g
gelegenen Punkten mit den Ordinaten %,, %
EN ua,
Yıya YıYa
y wird durch die Koordinaten x,, y, eines fünften Punktes bestimmt,
der so gewählt werden soll, daß das Produkt x,y, möglichst groß sei.
Die Verwertung der Beobachtungszeiten zur Bestimmung aller
Elemente gestattet die von T'h. Thiele®?) ausgearbeitete, auch bei sehr
großen Neigungen anwendbare Methode, welche dadurch, daß sie sich
auf ein Integrationsverfahren stützt, den Einfluß der Beobachtungs-
fehler auf die Resultate wesentlich vermindert. Nach den in Nr. 2
gegebenen Entwicklungen ist:
n gleicher Weise erhält man aus den in der y-Achse
2
dt 1 “
Has: Sans uf = [B,-47 sin(E, — E})],
1,
wo x durch y ersetzt werden kann. Indem man einmal an Stelle des
ersten Orts, ein anderes Mal an Stelle des zweiten den dritten Ort
verwendet, erhält man drei Gleichungen, welche, da die Integrale
durch Quadratur erhältlich sein sollen, zur Ermittlung von
n,E,—E=9 E—-E=vY
ausreichen. Infolge der Bestimmung der Bahn aus acht (in den drei
Gleichungen enthaltenen) unabhängigen Größen ist eine scharfe Dar-
stellung der drei Örter nur dann zu erwarten, wenn die Gleichung
6
Mr Nr AA
J) ==: -2)- 9 — 189)
tı
in ihrer Anwendung auf den dritten Ort durch denselben Wert von ce
befriedigt wird.
Die Keplersche Gleichung bestimmt
nr
e Co8 a = (| und ecos a care D
32) Neue Methode zur Berechnung von Doppelsternbahnen; Astr. Nachr.
104 (1883).
3. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 483
aus den Werten von p und y; e und E, werden aus den Gleichungen
gefunden
: . E,—E
Ceos 2 — Deos® = esin E, sin +: ?
Ba.
C sin ne — Dsin = = cos E, sin Kar we .
i, wird durch E bestimmt. Thiele führt an Stelle der übrigen Ele-
mente der scheinbaren Bahn a,, b,, P,, P, ein, welche mit x, y durch
die Gleichungen zusammenhängen
x = _ 0080 = a, cos P,(cos E— e) + b, cos P, sinE
y=osin®= a, sin P,(cos E—e)-+b, sin P, sinE
und aus zwei Örtern berechnet werden können.
c) Bahnverbesserung. Zur Verbesserung der nach irgendeiner
Methode erhaltenen Elemente einer Doppelsternbahn wird man aus
diesen eine Ephemeride rechnen, die Unterschiede zwischen den beob-
achteten und berechneten # und oe bilden und in Normalörter zusammen-
fassen und dann mittels der Differentialquotienten der Koordinaten
des Ortes nach den Elementen die Größen ableiten, welche zu den
ursprünglichen Elementen summiert, alle Örter mit Rücksicht auf das
jedem einzelnen zukommende Gewicht am besten darstellen. Die
Differentialquotienten findet man bei A. Marth?®). Die Bildung der
Funktion, die ein Minimum werden soll, aus den Quadraten der Ab-
weichungen in Richtung und Distanz muß dem Takt des Rechners
überlassen bleiben.
d) Bemerkungen über die bekannten Doppelsternbahnen. Der Umstand,
daß eine Bahnbestimmung sich auf Beobachtungen stützen muß, die sich
über den größeren Teil eines Umlaufs des Begleiters erstrecken, macht
es erklärlich, daß die Zahl der bekannten Doppelsternbahnen noch gering
ist. @. Aitkens®) Katalog enthält die Elemente von 91 Bahnen, wo-
von 53 gut bestimmt, die übrigen aber unsicher sein sollen. Darf
man behaupten, daß die Bewegung der Doppelsterne, deren Bahnen
gut bestimmt sind, durch das Newtonsche Gesetz beherrscht werden?
Die Behandlung des Bertrandschen Problems®), die Form der mit
den Bedingungen, daß die Flächengeschwindigkeit in der wahren Bahn
konstant und daß die scheinbare Bahn eine Ellipse sei, verträglichen
33) A. Marth, On the formulae for correcting Approximate Elements of
the Orbits of Binary Stars; Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 47 (1887).
34) Lick Obs. Bull. 84 (1905).
35) J. B. Bertrand, G@. Darboux, G@. H. Halphen, Paris C.R. 84 1877;
F. Tisserand, Paris Bull. astr. IV 1887.
484 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Kraftgesetze zu bestimmen, läßt bei einigen an sich sehr wahrschein-
lichen Annahmen das Newtonsche Gesetz als die einzige Lösung er-
scheinen. Die Unvollkommenheit der Doppelsternmessungen erschwert
jedoch die Prüfung des elliptischen Charakters der scheinbaren Bahn
so sehr, daß das Urteil Duners®®): „Es wäre kaum zu rechtfertigen,
irgendeine der bisherigen Bahnbestimmungen als Bestätigung der
Gültigkeit des Newtonschen Gesetzes außerhalb des Sonnensystems
anzuführen“ auch jetzt noch als zutreffend anzusehen ist, wenn man
eine Bestätigung von einiger numerischer Exaktheit fordert. Die
kleinste Periode, wahrscheinlich 5, 7 Jahre, besitzt ö Equule. Unter
den Exzentrizitäten kommen fast alle Werte vor; doch sind wenige
so klein, wie bei den Planeten, oder so groß, wie bei den Kometen.
Die kleinste Exzentrizität (0,13) hat & Scorpii, die größte (0,90)
y Virginis. Der aus den Exzentrizitäten von 40 Bahnen abgeleitete
mittlere Wert e = 0,48 dürfte, da die Häufigkeit der Bahnen, welche
auf gleiche Änderungen von e entfallen, in der Nähe dieses Wertes
ein klar ausgesprochenes Maximum besitzt, den Bahnen visueller
Doppelsterne im allgemeinen ungefähr entsprechen.?”) Je größer P
ist, desto größer ist im Durchschnitt auch e. Durch Einteilung von
45 nach der Länge der Periode geordneten Bahnen in drei Gruppen:
P<50, 50 <P<120 und P>120 fand @. Doberck?®) für die
mittleren Exzentrizitäten die Werte 0,37, 0,50 und 0,62. Die nahe
liegende Schlußfolgerung, daß die Exzentrizitäten mit der Entfernung
der Komponenten zunehmen, ist aber vielleicht doch zu weitgehend,
da Dobercks®®) Untersuchungen über die Werte: von n?a® andeuten,
daß enge Doppelsterne entweder eine kleinere Parallaxe oder eine
kleinere Masse besitzen als weite. Die Neigung der Bahnen zeigt
keinen Zusammenhang mit irgendeinem größten Kreise der Sphäre,
wohl aber die Verteilung der Doppelsterne. Nach Doberck*°) findet
eine Anhäufung der Paare gegen den Kreis hin statt, dessen nörd-
licher Pol die Koordinaten hat « = 11"40”; d = + 22°, und daher
dem Pole des Gouldschen Kreises!) sehr nahe liegt. Die Dichte der
Paare in der Nähe des Kreises ergab sich ungefähr dreimal so groß
als in der Nähe seiner Pole. Die in Betracht gezogenen Paare sind,
86) Einige Bemerkungen über verschiedene Berechnungen von Doppel-
sternbahnen. Astr. Nachr. 132 (1893).
87) T.J. See, Researches on the Evolution of the Stellar Systems Vol. I, 1896.
838) On Double Star Orbits. Astr. Nachr. 147 (1898).
89) On the Axes and Periods of Double Stars. Astr. Nachr. 138 (1895).
40) On the Distribution of Binary Stars. Astr. Nachr. 158 (1902).
41) H. Kobold, Der Bau des Fixsternhimmels (Seite 154) Braunschweig 1906.
8. Bahnbestimmung visueller Doppelsterne. 485
um optische Doppelsterne nach Tunlichkeit fern zu halten, so aus-
gewählt worden, daß der Abstand der Komponenten und die Größen-
klasse der helleren Komponente die Grenzen 2”,0 bzw. 7,5 nicht
überstiegen.
Daß ein Fixstern, dessen Eigenbewegung im Laufe eines Jahr-
hunderts sich als veränderlich erweist, mit einem oder mehreren
anderen Sternen zu einem physischen Systeme verbunden sein muß, hat
Bessel bewiesen. Pond glaubte in den Eigenbewegungen einiger Sterne
Veränderungen zu bemerken, die aber durch spätere Beobachtungen
nicht bestätigt worden sind. H. W. Bessel‘”) dagegen konnte aus den
Rektaszensionen des Sirius und den Deklinationen des Procyon eine
Veränderlichkeit der Eigenbewegung konstatieren. Die Bahn des
Sirius ist von Peters*?) und später von A. Auwers“*) bestimmt worden,
noch bevor A. Clark (1862) gelegentlich der Prüfung des Washing-
toner 26-Zöllers den Begleiter (Stern 10 Größe) entdeckt hat.
Messungen der Distanz gaben die noch unbekannte Halbachse der
a Deine Nach Zwiers®) ist P=488, a=17",59, e= 0,59,
ie 7 = 33; Ru 50 (Auwers). Procyon beschreibt nach Auwers“°)
a Kreisbahn ni dem Radius 0”98 (nach L. Struve: 074) in nahe
40 Jahren. Schäberle*”) hat (1896) einen Begleiter 13" Größe ent-
deckt (= 319%, g—=4",6); der berechnete Wert von ® ist 284°,
A. Auwers“) hält die Identität des entdeckten Begleiters mit dem
störenden Körper in dem System des Sirius für sicher, in dem des
Proeyon aber, besonders mit Rücksicht auf die beobachtete Änderung
der Distanz, für sehr zweifelhaft. Mehrere Sterne scheinen dunkle
Begleiter zu besitzen; die Bewegungen der Komponenten des drei-
fachen Sternes & Caneri“) und des Doppelsternes 70 Ophiuchi°®)
machen zu ihrer Erklärung die Annahme unsichtbarer Begleiter not-
wendig.
42) Über Veränderlichkeit der eigenen Bewegungen der Fixsterge. Astr.
Nachr. 22 (1845); Bessel Abhdl. I.
43) C. A. F. Peters, Astr. Nachr. 32 (1851).
44) Untersuchungen über veränderliche Eigenbewegungen, I. Teil, nigs-
berg 1862, II. Teil, Leipzig 1868.
45) W. W. Campbell, Variable Radial Velocity of Sirius. Astrophys. Journal
21 (1905).
46) Berl. Ber. 1873.
47) Astr. Nachr. 142 (1897).
48) Astr. Nachr. 164 (1904).
49) H. Seeliger, Wien. Denkschr. 44 (1881); Münch. Abhdl. 17 (1892); Münch.
Ber. 24 (1894); P. Harzer, Astr. Nachr. 116 (1887).
50) A. Prey, Wien. Denkschr. 72 (1901).
486 VIs,ı1. J.v. Hepverger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. Die zu-
erst von Huggins im Jahre 1867 angewandte Methode der Be-
stimmung der Radialgeschwindigkeit von Fixsternen durch direkte
Messung der Verschiebung von Linien des Sternspektrums gegen die
Linien eines Vergleichsspektrums ist durch die von H. ©. Vogel und
.J. Scheiner 1888 eingeführte und seither immer mehr vervollkommnete
spektrographische Methode schon seit Jahren vollständig verdrängt
worden, da es sich gezeigt hatte, daß die Linienverschiebung in den
Spektrogrammen viel sicherer gemessen werden kann als in dem
sich dem Auge darbietenden vibrierenden und fluktuierenden Spektral-
bande. Die Vergleichung der aus mehreren Beobachtungen eines ein-
fachen Sternes abgeleiteten, auf die Sonne reduzierten Radialgeschwin-
digkeiten gibt ein Maß für die Sicherheit ihrer Bestimmung. Diese
ist gegenwärtig so groß, daß unter besonders günstigen Umständen
(starke Zerstreuung, scharfe Linien) die Abweichungen nur Bruchteile
eines Kilometers betragen. Die hohe Leistungsfähigkeit der neuen
Methode wurde schon im Jahre 1889 bewiesen, indem Vogel?!) aus
ılen beobachteten Radialgeschwindigkeiten Algols eine Veränderlichkeit
derselben im Höchstausmaße von 80 Kilometern konstatieren und den
Nachweis erbringen konnte, daß der Lichtwechsel dieses Sternes
in dessen zeitweiliger Bedeckung dureh einen relativ dunklen Be-
gleiter begründet ist. Einige Jahre darnach hat die Lick-Stern-
warte die systematische Beobachtung der Radialgeschwindigkeiten der
Fixsterne und namentlich auch der Sterne mit veränderlicher Radial-
geschwindigkeit (spektroskopische Doppelsterne) in ihr Arbeitspro-
gramm aufgenommen, welchem Beispiele dann auch die Yerkes-Stern-
warte folgte. Das rasche Anwachsen der Zahl der Entdeckungen
spektroskopischer Doppelsterne ist vornehmlich dem Beobachtungs-
dienste an diesen Instituten zu danken.
W. W. Campbells Second Catalogue (Lick Obs. Bull. 181, 1910)
verzeichnet bereits 306 spektroskopische Doppelsterne und darunter
mehr als 70, wovon ziemlich verläßliche Bahnbestimmungen vorliegen.
Die Duplizität von Sternen, deren Geschwindigkeitsänderung weniger
als 6 Kilometer beträgt, oder deren Helligkeit geringer ist als die
eines Sternes 7!" — 8°" Größe, ist zurzeit schwer nachweisbar. Sehr
bemerkenswert ist die Häufigkeit einer veränderlichen Geschwindigkeit
bei Sternen vom Oriontypus. Wie unter den visuellen Doppelsternen
enge Paare viel häufiger vorkommen als weite, so entfallen auf die
gleiche Anzahl von Sternen auch weit mehr spektroskopische Doppel-
sterne als visuelle.’?)
51) Spektrographische Beobachtung an Algol. Astr. Nachr. 123 (1890).
4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 487
Die Bahn, welche eine Komponente des Doppelsternes um dessen
Schwerpunkt beschreibt, wird durch die Radialgeschwindigkeiten dieser
Komponente, die Bahn, in der sich eine Komponente um die andere
bewegt, durch die Differenzen der Radialgeschwindigkeiten beider
Komponenten bestimmt. Der Erfolg einer Bahnbestimmung ist in
der Regel nur dann gesichert, wenn die beobachteten Geschwindig-
keiten die Periode erkennen lassen und, eventuell durch Änderung
der Beobachtungszeiten um ganzzahlige Vielfache von P, innerhalb
des ganzen Zeitraumes einer Periode die Geschwindigkeit als Funktion
der Zeit zu bestimmen gestatten. Den Zusammenhang von Ge-
schwindigkeit und Zeit kann man wohl am bequemsten dadurch
finden, daß man die auf eine und dieselbe Periode reduzierten Beob-
achtungszeiten als Abszissen, die zugehörigen Geschwindigkeiten als
Ördinaten aufträgt und eine regelmäßig verlaufende Kurve zu ziehen
versucht, welche sich den Endpunkten der ÖOrdinaten bestmöglich
anschließt. Je schärfer die Geschwindigkeitskurve durch die Beob-
achtungen bestimmt erscheint, desto größer wird auch die Sicherheit
der Bahnbestimmung sein.
Die Einheiten der Zeit und des Weges seien mittlerer Tag und
Kilometer. Da sich die Radialgeschwindigkeiten der Sterne stets auf
die Sekunde beziehen, so wird ihre Reduktion auf die gewählte Zeit-
einheit durch den Faktor 7 = 86400 bewerkstelligt.
Der Stern Z habe die Masse m, Z’ die Masse m’. Der Schwer-
punkt des Systems befinde sich in $, die Sonne in O. Es sei
dZz,
z20=Z Z—Z=$ = er
Z0-Z 2-2: Z=y
Os 'Z, sE-g = yV
Zr:
« = Halbachse der Bahn von 2 mit Bezug auf 8
bi.
ar „ ” D) ev» 2» ” „2.
Dann findet sich nach den Gesetzen der Keplerschen Bewegung:
(m+m)g=ms; =
—g;
a
(m + m’) = m’a; Eat, "na 1—e
d
= ; (cos u + e cos).
2=rsinusini
52) Lick Obs. Bull. 79 (1903).
488 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Je nachdem die auf die Sonne reduzierten Radialgeschwindig-
keiten \/ des Sternes & oder die Differenzen V der Radialgeschwin-
digkeiten von & und 3’ gegeben sind, wird man von den Gleichungen
ausgehen
1 dz
0};
übers Ba HP 7) oder ee
Durch Integration der ersten Gleichung zwischen den Grenzen
t und {+P, für welche & denselben Wert besitzt und daher fa = 0
ist, erhält man die Radialgeschwindigkeit des Schwerpunktes:
Vz fvar.
Diese Gleichung kann man auch schreiben of (V\—\)dt=0 und
demnach \, aus der Bedingung ableiten, daß eine zur Abszissenachse
parallele Gerade, welche die auf entgegengesetzten Seiten liegenden,
von ihr und der Geschwindigkeitskurve begrenzten Flächenstücke
gleich groß macht, die Ordinate \, besitzen muß.
Ist \” die Ordinate eines Kurvenpunktes mit Bezug auf diese
Gerade, so wird
V=T(eosu-+ ecoso); T=
nasind
AT
V’ erreicht den größten positiven Wert (A) für v=0, den
größten negativen (— B) für u=n; es ist also:
A+B,
2 ; ecosoa = AÄ+B s
Um e zu finden, bestimmte A. A. Rambaut°?), welcher von diesen
Gleichungen zuerst Gebrauch gemacht hat, zunächst die Projektion
der wahren Ellipse auf eine die Gesichts- und Knotenlinie enthaltende
Ebene (6,9. Fra— + it 5-0, V-1.
Ist T einer dieser Zeitpunkte, so folgt aus dem Flächensatz:
T m
Entsprechen ferner den Momenten, in welchen der Reihe nach
V= 4,0, —B, 0 wird, die Zeiten r,, t,, 1, %,, so ist
ea yfvar.
53) On the Determination of Double Star Orbits; Lond. Astr. Soc. Monthly
Not. 51 (1891).
4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 489
Damit ist die Projektionsellipse gegeben, aus der sich e leicht ablesen
läßt. Da die Projektionsellipse nur zur Ermittlung von e dienen soll,
kann c’ nach Belieben angenommen werden.
R. Lehmann-Filhes®*) gibt eine bequemere Lösung durch Auf-
stellung einer Gleichung für esino. Besitzt % für {,, 4 die Werte
U, %,, So ist, da
| A--B
0O<u<r und a<w<2z, CO nn DO =
N 2y AB
“=2r—- u; siınw=+ ee
Aus
&= osinu sin?
Er al —e?)
er 1-+ ecos (u — o)
folgt für die Zeiten #, und %&...
A era sin u, — esino
B:. % sinwm-+esino
und daraus
e sin — at sin.
A)
A ern durch Quadratur erhalten aus
er fVa ger fva.
Nach Bestimmung von e und » ergibt sich /, aus den Formeln
1— =
tg Vi - u: E—-esnE=n(t —i,),
welche am zweckmäßigsten für i, und f, zu verwenden sind. Bei
großen Exzentrizitäten leistet die Formel Y1— ®—=xtgu, (+ — 2)
gute Dienste. Die I' definierenden Gleichungen geben
«sin? = 2 Yı—e.
2, «, i bleiben unbestimmt, da die Radialgeschwindigkeit von 2 un-
abhängig ist und die Elemente « und ö nur in der Kombination
« sin‘ enthält.
Sind die relativen Geschwindigkeiten 7 gegeben, so bleibt \,
unbestimmt. Die zur Berechnung der Bahnelemente dienenden For-
meln bleiben in Gültigkeit, wenn V, r, « an Stelle von \’, g, « ge-
54) Über Bestimmung einer Doppelsternbahn aus spektr. Mess. Astr. Nach.
136 (1894).
"490 Vla,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
setzt werden. Da
i ’ 2 3 ’
m m n a , mtm .,.
————:, wird —'— sın?di = N
My ki” Mm, kn
1 Bor
20, R
wodurch eine untere Grenze für die Masse des Doppelsternes fest-
gelegt ist. Die Erdbahnhalbachse a, ist in Kilometern auszudrücken;
lg k, = 8,23558.
Vorzüge der Methode von Lehmann-Filhes sind ihre allgemeine
Anwendbarkeit und die Sicherheit der Bestimmung der Elemente
durch Quadraturen; die Umständlichkeit der Ausführung von Qua-
draturen bildet aber einen Nachteil, den K. Schwarsschild®®) durch
Verwertung der Koordinaten gewisser Punkte der Geschwindigkeits-
kurve vermeidet.
Bedeutet M das Maximum, N das Minimum der Radialgeschwin-
digkeit Y= \u+ T'(cosu + ecos ») und ist W definiert durch
W=N—- PER, so wrd W=Tcou T= TER:
Wenn W= — W ist, wird cosw= — cosu und demnach ent-
weder
&) vru—l,
oder für > u
(2) u—u=n.
'Nennt man ein von der größten und kleinsten Ordinate begrenztes
Stück der Geschwindigkeitskurve einen Zweig derselben, so ist für
einen Zweig 0<u<x für den andern m <u< 2x; die Relation
(1) drückt daher aus, daß die Punkte W,t und — W,t auf gleichen,
die Relation (2), daß sie auf verschiedenen Zweigen der Kurve liegen.
Für „— u=x wird
Bi #,.» i+e
vr 1 te
RE EN DD EU Sad
ig 2 — cotg tg, ER 1+cosv’
woraus folgt
R '—E . E+E E—-E
eco +" — oo, sın + = 0089 Sin —.—
und unter Bezugnahme auf die Keplersche Gleichung
EF—-E—snE—- H=n(lt—1t).
Der spezielle Fall, wo die Zeitdifferenz 4P beträgt, soll hier durch die
55) Ein Verfahren der Bahnbestimmung bei spektr. Doppelsternen. Astr.
Nachr. 152 (1900).
4. Bahnbestimmung spektroskopischer Doppelsterne. 491
Indizes 1 und 2 gekennzeichnet sein. Das Punktepaar, für welches
W=—-Wb—t=4P,w— u =, entspricht, daauh, — = rn
ist, dem Periastron und Apastron. Die Zeit des Periastrons ist dem-
nach eine der Abszissen t,, t, des auf verschiedenen Zweigen der
Kurve gelegenen durch W=— W, und ,—1,—=4P bestimmten
Punktepaares. Das Periastron hat ein’ positives bzw. negatives \W, je
nachdem die Kurve der positiven bzw. negativen \/ rascher durch-
laufen wird und in der Nähe des in Frage kommenden Punktes stärker
gegen die Abszissenachse geneigt ist.
© wird bestimmt durch I’cos® = Ordinate \W des Periastrons.
Die Anwendbarkeit dieser Methode erfährt eine Beschränkung durch
die für große Werte von cos » auftretende Unsicherheit der Bestim-
mung von » aus cos ©. Um e zu finden, wähle man einen Kurvenpunkt
(W, £) ungefähr in der Mitte zwischen Periastron und Apastron,
suche auf dem anderen Zweige der Kurve einen zweiten Punkt (W’, ),
so daß W’=— W, und bediene sich der oben angesetzten Gleichungen
unter Berücksichtigung, daB v = u — o; cosu—= M - Die Auflösung
der transformierten Keplerschen Gleichung wird durch eine Tafel mit
dem Argument ? — t wesentlich erleichert. Die übrigen Unbekannten
erhält man aus \,= Fe -— eT coso; asini = z ryi—e
Sind die Werte von V gegeben, wird, nachdem ® bekannt ge-
worden ist, e aus der Gleichung r- ecos® gefunden.
H. Nijland°®) empfiehlt zur Bestimmung von e die Wahl der
durch ihre symmetrische Lage zum Periastron im allgemeinen leicht
bemerklichen Punkte v—= + 5 ‚ deren Ordinten W=+ T’sino
sind. Die Auffindung dieser Punkte wird bei sehr kleinen Werten
von sin o@ unsicher. Ist At ihre Abszissendifferenz, so wird
2E — sin2E=At; e= cosE.
‚ Zwei Wertepaare von V, V genügen zur Bestimmung von V, und
—, dad\/Y=\W\+t —- V und r —. no; werden die Radialgeschwin-
digkeiten von EZ und &’ mit g und g’ bezeichnet, so ist
9, g-Y-V md HH - 2 + IN:
W. Zurhellen®') empfiehlt, zunächst aus diesen Gleichungen \, und
- zu bestimmen.
—
56) Zur Bahnbestimmung von spektr. Doppelsternen. Astr. Nachr. 161 (1903).
57) Bemerkungen zur Bahnbestimmung spektr. Doppelsterne. Astr. Nachr.
175 (1907).
492 VI»,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Wenn die anfangs gezeichnete Geschwindigkeitskurve beträcht-
liche Fehler aufweist, wie dies bei Sternen, deren Spektra schwierig
zu messen sind, gewöhnlich vorkommt, werden die wahrscheinlichsten
Bahnelemente nur im Wege fortgesetzter Näherungen zu erhalten
sein. In solchen Fällen kann man den angestrebten Zweck durch
sukzessive Verbesserungen der Geschwindigkeitskurve erreichen, wozu
sich die graphische Methode von W. F. King°®) besonders eignet.
Die Bahnelemente eines spektroskopischen Doppelsternes können
auch auf analytischem Wege erhalten werden, indem man \ durch
Reihenentwicklung als Funktion der Zeit darstellt und die Koeffizienten
aus den Beobachtungsdaten bestimmt. J. Wilsing®”) hat sich auf die
Bestimmung . von Bahnen mit kleiner Exzentrizität beschränkt; bei
größeren Exzentrizitäten kann man sich der Methode von N. H. Russel ®°)
bedienen, welche die Reihenentwicklung voraussetzt:
V=0(,+0(,csN-+ (,cs2N-+-- ee IR
wo N=n(t— r), r= Epoche; die zu r gehörige mittlere Kurbeln
(M) sei mit M, bezeichnet. Durch die Substitution O= @ cos g;
S= — Gsing erhält man
V=6+&ea(N+g)+Rcs@N+9)+:-
In eine Reihe von derselben Form läßt sich die Gleichung
1d
Verietz a
überführen; es ist nämlich
2 or—Ze+X, cosM + 2 cs2M-+---
2 sind— YsnM+7- 1 eY,en2M+--
Die Koeffizienten sind Funktionen der Exzentrizität, die von der
Einheit nur um Größen von der Ordnung e? verschieden sind.
Setzt man
Xsino= bsin ß
Yeswo=bcosß,
so ist, da &= osinisnvw+ o) und M=N + M,
\=-\%\+t .. : [b, cos(N+M,+ß,)+ eb, cos(2 N+2M,+Bß,)+--)-
58) Determination of the Orbits of Spektroscopic Binaries. Astroph. Journ.
27 (1908).
59) Über die Bestimmung von Bahnelementen enger Doppelsterne aus
spektr. Mess. Astr. Nach. 134 (1894).
60) An improved Method of calculating the Orbit of a Spectr. Binary.
Astrophya. Journal 15 (1902).
5. Einige Ergebnisse der Beob. und der Bahnbest. spektrosk. Doppelsterne. 493
Die Elemente werden auf dem Wege fortgesetzter Näherungen
erhalten. Die erste Näherung, bei welcher schon e? unberücksichtigt
bleibt, ist die Wüsingsche Lösung: X = Y=b=1; B=o:
Bar G
V= @%; esini—.G; mn M=-9%-9; 0=29, —%-
5. Einige Ergebnisse der Beobachtung und der Bahnbestimmung
spektroskopischer Doppelsterne.°!) Die Änderung der Radialgeschwin-
digkeit nimmt zugleich mit der Geschwindigkeit der Revolutions-
bewegung bei wachsender Entfernung der Komponenten eines Doppel-
sternes ab und wird demnach, wenn die Entfernung eine gewisse
Grenze überschreitet, aufhören, meßbar zu sein. Diese Grenze dürfte,
bei ausreichender Lichtstärke der Komponenten, öfters zur Auflösung
des Doppelsternes durch das Fernrohr mehr als genügen. Bis jetzt
sind aber nur sehr wenige Sterne bekannt, deren Duplizität durch das
Fernrohr mit und ohne Spektroskop zu erkennen ist. Hierzu ge-
hören & Hydrae und ö Equulei, deren Perioden 15,7 bzw 5,7 Jahre
betragen. Da man in solchen Fällen die Neigung i der Bahn aus
den direkten Messungen der Komponenten, a sini dagegen aus den
spektrographischen Beobachtungen bestimmen kann, so können die
Dimensionen der Bahn in linearem Maße sowie die Parallaxe ge-
funden werden.
Im allgemeinen entfernen sich aber die Komponenten der spek-
troskopischen Doppelsterne zu wenig voneinander, als daß es möglich
wäre, sie im Fernrohre getrennt wahrzunehmen, und man ist daher
bei der Untersuchung dieser Systeme lediglich auf die Messung der
Radialgeschwindigkeiten angewiesen. Zurzeit (Ende 1910) sind, wie
erwähnt, ungefähr 70 Bahnen spektroskopischer Doppelsterne bekannt,
und es ist bereits möglich gewesen, einige allgemeinere Schlüsse über
ihre Eigentümlichkeiten zu ziehen. Zusammenfassende Diskussionen
des vorhandenen Materials sind gleichzeitig von F\. Schlesinger und
R. H. Baker®?), H. Ludendorff®) und W. W. Campbell) geliefert
worden. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeiten sollen hier kurz
dargelegt werden.
61) Verfaßt von H. Ludendorff in Potsdam.
62) F. Schlesinger and R. H. Baker, A Comparative Study of Spectroscopic
Binaries. Publications of the Allegheny Observatory of the University of Pitts-
burgh. Volume I, No. 21 (1910).
63) H. Ludendorff, Zur Statistik der spektr. Doppelsterne. Astr. Nachr.
184 (1910). Ä
64) W. W. Campbell, Second Catalogue of Spectroscopie Binary Stars.
Lick Obs. Bull. No. 181 (1910).
494 VlIa,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Was zunächst die Exzentrizitäten angeht, so zeigt es sich, daß
die Bahnen der spektroskopischen Doppelsterne durchschnittlich be-
‘deutend weniger exzentrisch sind als die der visuellen Doppelsterne.
Sowohl bei den letzteren wie bei den spektroskopischen Doppelsternen
verrät sich im Durchschnitt eine deutliche Zunahme der Exzentrizität
mit der Periode. Dies erkennt man an der folgenden, von Schlesinger
und Baker gegebenen Tabelle:
| EEE | Bee
Spektroskopische Doppelsterne v. kurzer Periode 4 Tage | 0,07 5
h, 5 „langer „ 129...4:%i::0,80
Visuelle ‚R „kurzer... 5 | 36 Jahre | 0,45
a £ „langer ©, er 186: zire 084
Für die visuellen Systeme hat übrigens, wie bereits in Nr. 3d
erwähnt, W. Doberck schon früher auf dieses Verhalten aufmerksam
gemacht. Die auffallende Gesetzmäßigkeit ist für die Entwicklungs-
geschichte der Sterne von Interesse. Dasselbe gilt von folgender
Tatsache: Diejenigen spektroskopischen Doppelsterne, welche Spektra
besitzen, wie sie nach den heutigen. Anschauungen einer verhältnis-
mäßig frühen Entwicklungsstufe entsprechen (Spektra der Vogelschen
Spektralklasse Ib und Ia,) haben im Durchschnitt kürzere Umlaufs-
zeiten und engere Bahnen als diejenigen, deren Spektra weiter ent-
wickelt sind (Spektra der Spektralklassen Ia, und IIa). Es ist nämlich
für die erste Gruppe im Mittel P = 30 Tage, a sin : = 16 500000 km,
für die zweite Gruppe P = 167, a sin i = 29500000 km. Es ist
hierbei allerdings zu beachten, daß man unter den spektroskopischen
Doppelsternen der ersten Gruppe bisher hauptsächlich solche mit großen
Anderungen der Radialgeschwindigkeit zur Bahnbestimmung ausge-
wählt hat, so daß das obige Resultat dem Sinne nach reell, numerisch
aber etwas übertrieben sein dürfte.
Über die Massen der spektroskopischen Doppelsterne kann man
nur dann einigen Aufschluß erhalten, wenn die Radialgeschwindig-
keiten beider Komponenten gemessen worden sind. Man kann als-
dann die Größen m sin®i und m’ sin?‘ angeben. ; ist zwar im all-
gemeinen unbekannt, immerhin liefern jene beiden Größen aber
Minimalwerte für die beiden Massen. Es hat sich nun gezeigt, daß
die lichtschwächere Komponente in allen diesen Systemen auch stets
die kleinere Masse besitzt. Die numerischen Werte von m sin®‘ und
5. Einige Ergebnisse der Beob. und der Bahnbest. spektrosk. Doppelsterne. 495
m’ sin®‘ variieren innerhalb ziemlich weiter Grenzen. Die bisher
beobachteten Extreme sind (in Sonnenmassen ausgedrückt) 0,52 und
0,38 bei $ Aquilae, 11,2 und 10,6 bei n Orionis. Im Mittel aus 15
von Schlesinger und Baker aufgeführten Fällen ist (m + m’) sin’i—=6
Sonnenmassen, so daß also diese Systeme durchschnittlich weit größere
Massen haben als die Sonne. Man wird sich aber vor dem Schlusse
hüten müssen, daß große Masse eine allgemeine Eigenschaft der
spektroskopischen Doppelsternsysteme ist. Denn es ist zu beachten,
daß es sich in jenen 15 Fällen um helle Sterne handelt, für die schon
ihrer Helligkeit wegen größere Massen‘ wahrscheinlich sind.
Ist bei einem spektroskopischen Doppelstern nur das Spektrum
(m + m’)?
ist. Da sowohl i wie — un-
einer Komponente sichtbar, so kann man nur die Größe
(a sin s)®
En
bekannt sind, so kann man keinerlei Angaben über die Einzelmassen
machen. Immerhin ermöglicht das Verhalten der asin: und P bei
den verschiedenen Systemen den Schluß, daß die Größe und die Ver-
teilung der Massen in den einzelnen Systemen durchschnittlich recht
gleichmäßig ist. Ordnet man nämlich die Bahnen der spektroskopischen
Doppelsterne nach der Periode P und bildet aus benachbarten Werten
von P und den zugehörigen Werten von asin: die Mittel P, und
(a sin i),, so zeigt sich nach. H. Ludendorff, daß die (a sin i),’ und P,?
in einem einigermaßen konstanten Verhältnis stehen, so daß sich
m’? sin?
mm)"
berechnen, welche proportional
also für kurzperiodische Systeme ungefähr derselbe Wert von
ergibt wie für langperiodische.
Der Fall, daß nur das Spektrum der helleren Komponente sichtbar
ist, ist der weitaus häufigere. Immerhin hat man bisher bei ungefähr
60 Systemen mehr oder weniger deutliche Spuren des Spektrums des
Begleiters nachweisen oder vermuten können. In mehreren Fällen sind
die beiden Komponenten gleich hell und besitzen gleiche Spektra, so daß
alsdann infolge der relativen Radialbewegung beider Komponenten
periodische Linienverdoppelungen eintreten. Klassische Beispiele für
diesen Fall sind die Sterne 8 Aurigae und $, Ursae majoris. Für letzteren
sind die Elemente der relativen Bahn nach AH. C. Vogel®): P = 201,5,
A= 128 km, B= 149 km, e= 0,52, asini= 33000000 km. Auch
der etwa 14” von £&, Ursae majoris entfernı stehende visuelle Begleiter
'&, Ursae majoris ist ein spektroskopischer Doppelstern und ebenso der
65) H.C. Vogel, Weitere Untersuchungen über das spektr. Doppelstern-
system Mizar. — Archives Neerlandaises des sciences exactes et naturelles.
Serie II, Tome VI. 1901, p. 661.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 33
496 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
etwa 11’ entfernte Alkor. Da, wie aus der Gleichheit der Eigen-
bewegungen hervorgeht, Alkor und das visuelle Doppelsternsystem
& Ursae majoris physisch zusammengehören, so haben wir hier ein aus
drei spektroskopischen Doppelsternen bestehendes System vor uns.
Ein visueller Doppelstern, dessen beide Komponenten spektro-
skopische Doppelsterne sind, ist auch « Geminorum (Castor), dessen
durch eine Distanz von 6” getrennte Komponenten eine Umlaufszeit
von mehreren hundert Jahren haben, so daß ihre relative Bahn noch
nicht mit Sicherheit hat bestimmt werden können. Beide Kompo-
venten sind nun, wie schon erwähnt, spektroskopische Doppelsterne.
Nach H. D. Curtis‘®) sind für die hellere Komponente («, Geminorum)
die Elemente: P—= 9122, A=13,0 km, B= 14,1 km, e= 0,50,
a sin? == 1485000 km, V,=-+ 6 km, für die schwächere («, Gemi-
norum): P = 24,93, A = 31,7 km, B= 31,8 km, e= 0,01, asini=
1279000 km, /,—= — 1km. Die relative Radialgeschwindigkeit von
7 km der beiden Komponenten gegeneinander deutet auf eine ziem-
lich große Masse des ganzen Systems hin.
Von anderen interessanten spektroskopischen Doppelsternsystemen
seien hier noch kurz erwähnt die zwei mit den kürzesten bisher fest-
gestellten Perioden, nämlich 8 Cephei (P= 04,19) und ß Canis majoris
(P = 01,25), ferner das System ß Arietis mit außerordentlich großer
Exzentrizität (e= 0,88) und einige Systeme, in denen die Amplituden
der Radialgeschwindigkeit sehr groß sind, nämlich « Hereulis (hellere
Komponente A + B= 199 km, schwächere Komponente A+ B=
506 km), n Orionis (4 B= 290 km), Y Orionis (A + B== 288 km).
Besonders bemerkenswert sind einige wenige Fälle, in denen die
Werte der Radialgeschwindigkeit so verlaufen, daß man zu der An-
nahme eines dritten Körpers in den betreffenden Systemen gezwungen
ist. Das bekannteste Beispiel dieser Art ist der Polarstern, dessen
Natur als spektroskopischer Doppelstern von W. W. Campbell‘) ent-
deckt wurde. Seine Bahnelemente sind P = 39,97, A+ B=6,1 km,
e—= 0,13, asini— 164500 km. Der Schwerpunkt dieses Systems
hat aber, wie Campbell bemerkte, keine konstante Radialgeschwindig-
keit; vielmehr bewegt er sich in einer Bahn mit den Elementen
P—= 11,9 Jahre, A+ B= 6,0 km, e=0,35, «sin i—= 166 800000 km.
Wir haben uns das System also wie folgt vorzustellen: Ein sehr
enges Doppelsternsystem mit viertägiger Umlaufszeit bewegt sich in
66) H. D. Curtis, The System of Castor. Astroph. Journ. 23 (1906), p. 351.
67) W. W. Campbell, The Variable Velocity of « Ursae Minoris in the Line
of Sight. Astroph. Journ. 10 (1899), p. 180.
5. Einige Ergebnisse der Beob. und der Bahnbest. spektrosk. Doppelsterne. 497
zwölfjähriger Periode um den Schwerpunkt des aus ihm und einem
dritten Körper gebildeten Systems in einer Bahn, deren auf den Visions-
radius projizierte große Halbachse etwas größer ist als die große
Halbachse der Erdbahn. Auch bei einigen andern spektroskopischen
Doppelsternen hat man Abweichungen von der einfachen elliptischen
Bahnbewegung bemerkt, die aber zumeist noch nicht näher unter-
sucht sind.°®) Zur Erklärung der beobachteten Erscheinungen wird
man wohl meist die Existenz eines dritten, störenden Körpe:s an-
nehmen müssen. Auch ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu
weisen, daß in gewissen Fällen die Linienverschiebungen nıchit durch
Radialbewegung, sondern auf andere Weise, z. B. durch Druckände-
rungen, zustande kommen.
Bei den bisherigen Betrachtungen ist eine Klasse von Sternen
ganz außer acht gelassen worden, die in gewisser Weise den andern
gegenüber eine Sonderstellung einnimmt. Es sind dies diejenigen
spektroskopischen Doppelsterne, die zugleich veränderliche Sterne vom
ö Cephei- und & Geminorum-Typus sind. Die Helligkeitsänderungen
dieser Sterne verlaufen mit großer Regelmäßigkeit in Perioden von
meist nur wenigen Tagen. Die Radialgeschwindigkeiten erleiden
Änderungen von derselben Periode wie die Helligkeit, und das Maxi-
mum der Helligkeit fällt sehr nahe mit der größten Annäherungs-
geschwindigkeit, das Minimum mit der größten von der Erde fort-
gerichteten Geschwindigkeit zusammen.‘°®) Charakteristisch für die
Bahnen ist ziemlich starke Exzentrizität (0,31 im Mittel aus elf be-
kannten Bahnen) und kleine Werte von asini (856000 km bis
2000000 km). Durchweg ist die Größe an sehr klein, näm-
(m+ m)
lich gleich durchschnittlich 0,0034 Sonnenmassen. Dies deutet darauf
hin, daß m’ im Verhältnis zu »m ziemlich klein ist, da man sonst sehr
geringe Gesamtmassen annehmen müßte. Eine befriedigende Erklärung
für den Zusammenhang zwischen den Änderungen der Helligkeit und
denen der Radialgeschwindigkeit ist bisher noch nicht gefunden worden.
(Vgl. unten Nr. 6b).) Die Spektra dieser Sterne sind durchweg, von
gewissen Eigentümlichkeiten abgesehen, dem Sonnenspektrum ähnlich,
und Andeutungen des Spektrums des Begleiters sind nicht wahrzu-
nehmen.
68) Vgl. z.B. J. S. Plaskett, The Speetroscopie Binary ß Orionis. Astroph.
Journ. 30 (1909), p. 26.
69) J. C. Duncan, The Orbits of the Cepheid Variables Y Sagittarii and
R T Aurigae; with a Discussion of the Possible Causes of this Type of Stellar
Variation. Lick Obs. Bull. Nr. 151 (1909).
33*
498 VIs, 11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher
Sterne. Wenn man den Lichtwechsel eines veränderlichen Sterns
auf Verfinsterungserscheinungen zweier umeinander kreisender Körper
zurückführen will, so ergibt sich das Problem, aus der Lichtkurve
die Bahn und die relativen Dimensionen der beiden Körper zu be-
rechnen. Es zeigt sich, daß sich dabei auch noch interessante‘Schlüsse
auf die Dichte der Körper machen lassen.
a) Algolsterne. Besonders klar und zweifellos mit Verfinsterungen
hat man es zu tun bei den Algolsternen — so genannt nach dem
hellsten dieses Typus Algol (8 Persei) —, bei denen in regelmäßigen
Intervallen für eine kurze Zeit eine beträchtliche Verminderung der
sonst konstanten Normalhelligkeit eintritt. Unter der Voraussetzung,
daß beide Körper als Kugeln angenommen werden können, seien
R,d, R,d die Radien und Dichten der Massen m und m’. Die durch
die Gleichung D = definierte mittlere Dichte des Systems
ist (bei Vernachlässigung der Masse Erde + Mond) in Einheiten der
‚mittlren Dichte D, a Sonne gegeben durch
3 a?
2 Pe) Par”)
Ist # die Dauer des Lichtwechsels (die Zeit zwischen den beiden
äußeren Berührungeri der Körper von der Erde aus gesehen), so wird
für eine Kreisbahn, wie geometrisch leicht ersichtlich:
R+R=ayV1-— cos ini — ao.
3
v=4P, ()
so kann geschrieben werden
D (R+R% 1
D, "uRIRS' Pe
Setzt man
Da
-< era <1 und o>sin,
ist auch
Das Gleichheitszeichen bezieht sich auf den Fall
R=R, i-Z;
70) M. Meriau, Densit6 des 6toiles variables dü type d’Algol, Paris C. R.
122, 1896.
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 499
wird P in Stunden ausgedrückt, so ist log» = 1,4905. Für elliptische
Bahnen wird 6 durch eine sehr komplizierte Formel dargestellt.?°)
Die meisten Algolsterne zeigen nur ein Minimum. Nur die Be-
deckung des Hauptsterns durch den Begleiter, nicht aber die des Be-
gleiters durch den Hauptstern gibt eine merkliche Lichtabnahme. In
diesem Falle muß, wenn von großen Bahnexzentrizitäten abgesehen
wird, bei welchen die zweite Bedeckung überhaupt ausfallen kann,
die Helligkeit des Begleiters um mindestens 2—3 Größenklassen ge-
ringer sein als die des Hauptsternes, so daß der Begleiter als dunkel
aufgefaßt werden kann. Sofern sich der Begleiter zur Zeit des Mini-
mums vollständig auf den Hauptstern projiziert und dessen Ober-
fläche in allen ihren Teilen Licht von gleicher Intensität uns zusendet,
läßt sich die Maximaländerung Am der Sterngröße ausdrücken durch
Am— 2ölg — ya; R<R.
1-(z)
Aus dieser Gleichung kann z bestimmt werden. Dann tritt in dem
Ausdruck für D nur noch sin‘ als Unbekannte auf, welche Größe
wohl nie sehr weit von der Einheit abweichen dürfte Da
Be
fnaleepi ke) 120
und die Vertauschung von R, m mit R’, m’ die Gleichung für 5 gibt,
0
so bedarf man nur der Kenntnis von P,t und 2, um zu Grenzwerten
der Dichten zu gelangen gemäß der Relation
| R,\® ei
7)
A NE sin: =t :
Fe) ın ®
Hat das Minimum selbst, die Zeit zwischen den beiden inneren Be-
rührungen, eine Dauer t,, so besteht auch die Gleichung
R— R—ayY1-— cos? Zh sins;,
welche die Bestimmung von D, = ; = und i ermöglicht. Die weitere,
aus spektroskopischer Beobachtung gewonnene Kenntnis von «sini,
mithin auch von «, kann, wie Barnard’?) gezeigt hat, zur Bestimmung
71) A Roberts, Density of close Double Stars. Astroph. Journ. 10 (1899).
12) R. J. A. Barnard, Note on the Algol System. Astroph. Journ. 23 (1906).
500 VIs,11. J.r. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
der Minimalwerte von R, R’ und der Maximalwerte von d, d’ ver-
wendet werden, indem, wenn = —=ı4 und = = x gesetzt wird,
1-+1’r
+1
= Fe) :6 und d = D
K 2c+1
a6
Ten
und d’ sind D(A°-+ 1) bzw. p(1 4 =) Für das System Algol
(D = 0,13) fand Barnard
m DT
z d d’ — Se
Mm, Mm,
400 0,07 .027 0,08 0,05
100 013 013 051 023
025 01T 004 1920 2,4.
ist. Der kleinste Wert von R ist die größten Werte von d
Die Massenwerte werden, wie man sieht, außerordentlich stark von
der Annahme über & beeinflußt.
Der Lichtwechsel Algols ist von A. Pannekoek”?) zum Gegen-
stande eingehender Untersuchung gemacht worden, die zum Ergeb-
nisse führte, daß die Lichtkurve symmetrisch ist und eine periodische
Schwankung in der Helligkeit des Minimums oder in der Dauer der
Verfinsterungen nicht nachgewiesen werden kann. Es muß deshalb
dahingestellt bleiben, ob nicht doch gewisse Ungleichheiten vorkommen,
die $. C. Chandler’*) durch eine Bewegung des Doppelsterns um einen
dritten Körper, F. Tisserand”) durch eine Drehung der Apsidenlinie
der Doppelsternbahn zu erklären versuchten. J. Stebbins’®) hat durch
Verwendung von Selenzellen die Helligkeit Algols und anderer heller
Sterne mit einer Genauigkeit zu bestimmen vermocht, die durch
visuelle oder photographische Methoden bisher nicht erreicht. worden
ist. Nach seinen Beobachtungen besitzt die Lichtkurve Algols ein
sekundäres Minimum, in dem die Helligkeit des Sterns eine Abnahme
um 0”,06 erfährt. Die aus der Lichtkurve unter der Annahme einer
größeren Flächenhelligkeit (J,‘) der vom Hauptsterne beschienenen
73) Untersuchungen über den Lichtwechsel Algols. Dissertation Leiden (1902).
74) Contributions to the Knowledge of the variable stars, Astronomical
Journal XI (1892).
75) Sur l’etoile variable ß de Persee (Algol), Paris C. R. 120 (1895)
76) The Measurement of the Light of Stars with a Selenium Photometer,
with an Application to the Variations of Algol, Astrophys. Journ. 32 (1910).
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 501
Seite des Begleiters erhaltenen Bestimmungsstücke des Systems sind:
i=823 R=10 J=1W0 P= 68832 D=007D,
e=00 R=1,i14 J=009 t= 980 d4<0.18D,
a=4N1 J=0,05 d<012D,
Die Dichte der Algolsterne ist viel geringer als die der Sonne (1,4).
Der Durchschnittswert der oberen Grenze für D dürfte etwa 0,2 sein.
Einige Algolsterne, wie Z Herculis’”), UZ Cygni”) zeigen schon
bei roherer Beobachtung zwei Wiyima von ungleicher Helligkeit. Photo-
metrische Beobachtungen des Lili echsels dieser Sterne geben der
Bahnbestimmung eine sicherere G@ lage als Beobachtungen vor
Sternen, die nur ein Minimum haben. @nter der Annahme i — S
können die Zeiten des beginnenden und ende Lichtwechsels in sehr
einfacher Weise zur Bestimmung von Bahnelemef%gn verwertet werden.
Je nachdem sich die Zeiten auf das Ende und ah Aare der
Maxima oder auf Beginn und Ende der Minima beziehen, sei
RIE_g oder Fa
Wenn diese Zeiten, vom Beginne des durch die Verdeckung des Be-
gleiters entstehenden Lichtwechsels an gezählt, der Reihe nach mit:
tı, ig, ti, t, bezeichnet werden, sind die ihnen entsprechenden r
und v an die Gleichungen gebunden
208, +0)=— cs (wu +0)=— "cos (+ 0)
5 — 00, +0o)=d
Ersetzt man r, v durch a, E, so ergibt sich hieraus unter Be-
nutzung der Substitutionen
Bay BA A
E,
iltehihiag ray! Meine Rad DE. dmeniinue mi
gG,=-g,=-—Vl— edtgo
6089, + c08 9, = 2ecos @,
USW.
2d cos @,
OB De = OR. em.
G=6; = er Be
G+&%=20; -=— +9
77) E. Hartwig, Der veränderliche Stern vom Algoltypus Z Herculis, Astr.
Nachr. 152 (1900). |
78) E. Hartwig, Ein Zwischenminimum des langperiodischen Algolsterns
U Z Cygni. Astr. Nachr. 165 (1904).
502 VI2,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Aus den vier Keplerschen Gleichungen folgt
29, — sin 95 (0089, + cosg,)— n (1 — th)
29, — sin 9, (6089, + c089,) = n(t, — )
2esin G, (608, — cosg,)=n(, — a —t, +14,)."°)
Die zwei ersten Gleichungen bestimmen g,, 9,, woraus e, G@ und dann
@, d erhalten werden. {, wird durch E,=g,+ @, bestimmt. Je
größer der Helligkeitsunterschied der beiden Minima ist, desto un-
sicherer wird die Beziehung der Zeiten auf gleiche d und daher auch
die Bestimmung der Elemente.
Die kleine Distanz und geringe Dichte der Komponenten der
Algolsterne bedingen eine elliptische, von der jeweiligen Größe der
zerrenden Kräfte abhängige Gestalt dieser Körper. Die Flutbewegung,
deren Lebhaftigkeit mit der Bahnexzentrizität wächst, hat gewiß auch
Verschiebungen der an und nahe der Oberfläche gelegenen, stark ab-
sorbierenden Dämpfe zur Folge, wodurch die Intensität der Licht-
emission geändert wird. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die
Annahme einer der scheinbaren Größe der leuchtenden Fläche pro-
portionierten Lichtintensität auch nicht imstande ist, die Lichtände-
rung der Algolsterne in ganz befriedigender Weise darzustellen. Die
Beobachtung zweier Minima läßt die Unverträglichkeit der Annahmen,
daß die Körper kugelförmig seien und Licht von konstanter Intensität
aussenden, mitunter sofort erkennen. Die analytische Formulierung dieser
Annahme führt nämlich, wenn | ,, |, die Intensitäten des Vollichtes
jedes der Körper, |, die Intensität des Maximums, |, |’ die des
Haupt- und Zwischenminimums bedeuten, und u,, u, positive zwischen
den Grenzen O0 und 1 liegende Größen ausdrücken, zu den Relationen
“Lıtb=L
L+Wl,= LE
L[trb=L;
woraus folgt L+L > 1; die Schwächung des Lichtes von UZ Cygni
Be
beträgt im Hauptminimum 2,7, im Zwischenminimum 0,4 Größen-
klassen. Es wird daher IH —= 0,78. Ob dieses Resultat mehr auf
i 0
Rechnung der Deformation oder der Veränderlichkeit der Lichtemission
der Komponenten zu setzen ist, läßt sich vorläufig nicht entscheiden.
79) J. v. Hepperger, Über den Zusammenhang zwischen der Lichtänderung
und den Elementen des Systems ß Lyrae. Wien. Ber. 1909.
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 503
b) Veränderliche von kontinuierlicher Lächtschwankung. Während
das Licht der Algolsterne nur zeitweilig veränderlich ist, weist eine
andere Klasse von veränderlichen Sternen einen ununterbrochenen
Wechsel des Lichtes auf. Wahrscheinlich bestehen alle diese Sterne,
von denen mehrere spektroskopische Doppelsterne sind, aus zwei oder
mehreren Körpern, deren Konstellation für die zur Erde gelangende
Lichtmenge bestimmend ist. Daß der Lichtwechsel auch ohne Ver-
finsterung einer Komponente durch eine andere erfolgen kann, lehren
die spektroskopischen und photometrischen Beobachtungen von
ö Cephei®®), welche wohl dieselbe Periode (524) ergeben, aber mit
der Annahme einer Verfinsterung von bemerkenswerter Phase kaum
verträglich sind. Die große, diesem Systeme eigene Bahnexzentrizität
(0,5) läßt eine von der Flutbewegung abhängige, veränderliche Licht-
' emission vermuten, doch liegt, wie in Nr. 5 erwähnt, für diese Art
des Lichtwechsels noch keine ganz befriedigende Erklärung vor.
Verfinsterungen werden wieder wahrscheinlich, wenn sich die
Komponenten eines Doppelsternes in nahe kreisförmigen Bahnen be-
wegen; dann wird ihre Figur und Lichtemission nur kleine Ände-
rungen erfahren. Eins leicht erkennbare Veränderlichkeit des Lichtes
kann in diesem Falle ohne partielle Bedeckung der Körper wohl kaum
zustande kommen.
Die Bestimmung der Bahn und der Pinandonen der Kompo-
nenten aus der Lichtkurve eines solchen kontinuierlich veränder-
lichen Sternes, wofür 8 Lyrae als Typus gelten kann, ist hun,
auch wenn man eine nahe kreisförmige Bahn und Bedeckungen
voraussetzt, ohne weitere willkürliche Annahmen bezüglich der Form
der leuchtenden Flächen und der Helligkeit ihrer Elemente nicht
möglich. Da die Lichtschwankungen wegen ihrer, im Verhältnis zur
Beobachtungsgenauigkeit geringen Amplitude zur Bestimmung vieler
Unbekannten nicht ausreichen und die zu bildenden Annahmen die
Lösung der Aufgabe. nicht zu schwer machen sollen, werden die vor-
ausgesetzten Eigenschaften des Systems von den wahren in mehr-
facher Beziehung und oft beträchtlich abweichen, so daß die gewon-
nenen Resultate auch bei guter Darstellung der Lichtkurve mit großen
Fehlern behaftet sein können. Der Deformation kann einigermaßen
durch die Annahme Rechnung getragen werden, daß die Oberflächen
der Komponenten unveränderliche gestreckte Rotationsellipsoide seien,
deren große Achsen in einer und derselben Geraden liegen und zu
80) B. Meyermann, Resultate aus den Beobachtungen von öCephei. Astr.
Nachr. 167 (1905).
504 VIsz11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
den kleinen Achsen in' demselben Verhältnisse stehen. Mit Bezug auf
die Lichtemission empfiehlt sich die Annahme, daß die von jeder
Komponente herrührende Lichtmenge der scheinbaren Größe ihrer
unverfinsterten Oberfläche proportioniert sei.®!)
Das Ellipsoid &, dessen Zentrum sich in O befinde, habe die
Halbachsen A, B; die größte Intensität des von & herrührenden
Lichtes sei |,; für das Ellipsoid 2’ seien die entsprechenden Be-
stimmungsstücke mit 0’, AA, AB und 1 — |, bezeichnet. Die Maxi-
malintensität des Systems ist daher der Einheit gleichgesetzt. Be-
deutet - — ö den Winkel zwischen der Linie O0’ und der Gesichts-
linie, so sind die Halbachsen «, $# der durch Projektion von & auf
eine zur Gesichtslinie senkrechte Ebene entstehenden Ellipse:
a=4A:x, ß=B, »=-YVl-— sind, ?= u
die Halbachsen der Projektion von 2’ sind Aa, Aß. Das Dreieck
00°C, in welchem 00’ —=rcosd ist, und OC=«, OC=4u sein
soll, habe bei O bzw. 0’ den Winkel A bzw. x, so daß
in Das
cp + icsg—- Tin,
Bar.
copy — tr Hi
Setzt man zur Abkürzung
2% — sin2Y» + 1%(2y — sin2y) = 2(y + Ay — vsiny) = 2q,
so ist der Inhalt F der beiden Ellipsen gemeinschaftlichen Fläche.
F= eßng.
Die Intensität | des Systems ist, wenn 2’ vor 2 liegt:
—F 23
L=L uf En (1 — 1) oe een «(1 — 4Lo)»
im entgegengesetzten Falle aber
L=x(1-95°).®)
Die typischen Eigenschaften der Lichtkurven der Gruppe von
veränderlichen Sternen, um die es sich hier handelt, nämlich bestän-
diger Wechsel des Lichtes, Gleichheit oder nur geringe Verschieden-
heit der Intervalle zwischen den Epochen der Maxima und Minima
deuten darauf hin, daß r nur wenig von A-+AA verschieden ist und
als nahezu konstant gelten kann. Man wird sich daher vorerst mit
81) @. Myers, The System of ß Lyrae, Astroph. Journ. 7 (1898).
6. Bestimmung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 505
der Näherung r—= A(1-+-4) begnügen und r—=1 setzen, wodurch A
in Teilen des Radius der Kreisbahn ausgedrückt erscheint. Da in
der Kreisbahn die Änderung von « der Zeit proportioniert ist, und
die Minima für = + 5 eintreten, so ist durch die Lichtkurve
auch der Zusammenhang von % und | gegeben. Aus sind=sinusins
folgt für
De EHEN 1+14 ;
u-+2....-V1-—- mt; BR +1) cosi
% ,
für
7 In 1 Bas,
u=+- und +... .-Vi-4tesni;
A. Roberts®:) geht von den Annahmen |,=4#, 4=1 aus und
bestimmt & und ? aus den zwei mittleren Werten der vom Helligkeits-
maximum an gezählten Größenänderung Am des Systems für = + -
und die ungeraden Vielfachen von . Die Erzielung eines engeren
Anschlusses an die Lichtkurve bleibt der Ausgleichsrechnung vor-
behalten. Die Berechnung zweier Tafeln, welche mit den doppelten
Argumenten e°, i auf Grund der Relationen
1 a 1
11, 09-59, 19-2 —sin2y, L=-r(ll—;0)
Am = 2,5 log n-
die Werte der Funktion Am für v= ” und = geben, ermöglicht
eine rasche Bestimmung von & und :.
Die dem Robertsschen Verfahren zugrunde liegenden Annahmen
Lo>=%, 4=1 sind nur bei gleicher Intensität der Minima vereinbar
und widersprechen sich um so mehr, je größer der Intensitätsunter-
schied ist. Wenn dieser mehr als ungefähr 2 bis 3 Zehntel einer
" Größenklasse beträgt, erscheint es vorteilhafter, die Unbekannten ohne
Zuhilfenahme neuer Hypothesen zu bestimmen, was am einfachsten
durch Auflösung eines Systems von vier Gleichungen geschehen kann,
in denen die Intensitäten der Minima und noch zweier Punkte der
82) A. Roberts, On the Relation existing between the Light Changes and
the Orbital Elements of a close Binary System. Lond. Astr. Soc. Monthly Not.
63 (1903); On a Method of Determining the Absolute Dimensions of an Algol
Variable Star. Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 66 (1906).
506 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
Liehtkurve vorkommen, für welche die Summe der ö gleich Null ist.
Bei Auswahl der. Punkte v=—+ > können, wenn Yl— e’sini=tgw
gesetzt wird, die Gleichungen geschrieben werden
7
u-—3.-w(l—qo)-L;
2
=
4
1
u IL;
el
4 al ze)=T,
wo q eine Funktion von A und v == (1 + A)cosicotgw, q’ dieselbe
Funktion von A und V=Y(1 + 4)?+ v’sin?’w ist. Durch Berech-
nung einer einzigen Tafel, welche mit den Argumenten A, » die
Größen q gibt, ist man daher in den Stand gesetzt, den einem be-
liebigen Wertepaare g, A bzw. g’, A zugehörigen Wert von v bzw. v/
auf dem Wege der Interpolation zu finden. Zur Bestimmung von w
dienen die Gleichungen
L—-U_, N 'L—-LTD &
0-7 -V3; sin 14-1 Y3; osinwts)=1.
Es ist ferner
RR 1—i, tgu—L. _ 1-Leotgw, »_1—L’YV2cosw,
lo tguw—L’ q E ’ 4% L 3
L, ist versuchsweise so zu bestimmen, daß die zu A, q, q’ gehörigen
Argumente », v’ die Gleichung erfüllen v»’?—= (1 + )?+ v? sin? w;
die übrigen Elemente werden durch die Gleichungen
coBt —= . tgw, esini = nn Am en B=Ayl—®
bekannt. ’®)
Wenn.auch die Zeiten der Maxima und Minima die Annahme
einer Kreisbahn rechtfertigen, so kann doch r von A(1-+4) um eine
Größe n verschieden sein. Sollte es sich zeigen, daß für n„=0 eine
befriedigende Darstellung der beobachteten Intensitäten nicht zu er-
reichen ist, so wäre n so zu bestimmen, daß die Fehler der Darstellung
möglichst klein werden. 1
Ungleichheit der Intervalle in der Reihenfolge der Maxima und
Minima weist auf eine elliptische Bewegung der Komponenten hin,
bei welcher im allgemeinen die Lage der Minima nicht mehr genau
durch u= + - oder durch die Richtung einer Fokalchorde markiert
2
6. Bestiimung der Bahn, Figur und Dichte veränderlicher Sterne. 507
ist. Bezeichnen At, Av, 29 die Änderungen der Zeit, der wahren
und exzentrischen Anomalie vom Hauptminimum zum Nebenminimum,
At, A’v, 2g’ die Änderungen von dem auf das Hauptminimum fol-
genden Maximum zum nächsten Maximum, so ist
Ar=n
29 — sin2g—=nA't
®
— — sin — cotg’.
yvı—e
Aus Av2x folgt, daß die Relationen 29 — sin 2g = nAt
und Teer, c08@ = cotgg nur als näherungsweise richtig angenom-
men werden dürfen. Die zur Berechnung von e, »® aus den Zwischen-
zeiten gemachte Annahme Av— x bedarf daher noch einer Kontrolle
durch die nach Bestimmung der übrigen Elemente sich ergebende
Lage der Minima.
Der Lichtwechsel. des spektroskopischen Doppelsternes ß Lyrae
(P = 124,91, Max. 3”,4, Min. 3”,9, 4”,5) wird nach den Untersuchungen
von Myers durch die Annahme erklärt: |
a=1,.e=002;, A=052, B=043, 1 = 0/5,
I, & = (0,56, Lo 0,71,
er läßt sich aber auch ebensogut durch ein wesentlich anderes Ele-
mentensystem darstellen, nach welchem das Hauptminimum durch Ab-
blendung des Lichtes des kleineren Körpers zustande kommt. ’®)
Den spektroskopischen Beobachtungen zufolge ist für
n
gr
ya
v=
:a@ = 50,2 Mill. Kilometer, E — 20,9, = — 9,6;
hieraus folgt, daß die Komponenten ungefähr dieselbe mittlere Dichte
0,0006 haben und daher weniger dicht sind als die Luft an der Erd-
oberfläche.
Die Untersuchungen Roberts über die veränderlichen Sterne
U Pegasi (P= 9,0) und RR Centauri (P —= 14",5)®?) scheinen die
Annahmen zu rechtfertigen, daß die Komponenten von gleicher Größe
sind und sich bei gegenseitiger Berührung in Kreisbahnen bewegen.
Die durch die elliptische Gestalt der zu engen Systemen verbundenen
Körper bedingte Zunahme des Radiusvektors und der Bahnexzentrizität |
‚und die damit zusammenhängende Drehung der Apsidenlinie bewirken
. eine Änderung der Form der Lichtkurve, welche jedoch nur aus Be-
obachtungen, die sich über sehr viele Jahre erstrecken, zu konsta-
tieren sein wird.
508 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmung der Doppelsterne und Satelliten.
7. Bahnbestimmung der Satelliten. Die Methoden der Bahn-
bestimmung visueller Doppelsterne haben die Unveränderlichkeit der
Lage des den Messungen zugrundeliegenden Koordinatensystems zur
Voraussetzung und sind daher auf ein System Planet—Satellit nur
dann ohne weiteres anwendbar, wenn die Bewegung des: Satelliten so
rasch erfolgt, daß während eines Umlaufs die Änderung des geozen-
trischen Ortes des Planeten vernachlässigt werden darf. Wird durch
die Beobachtungen die Projektionsellipse hinreichend bestimmt, so
empfiehlt sich die Anwendung graphischer Methoden zur Ermittlung
genäherter Bahnelemente, die daun auf ein vom scheinbaren Orte des
Planeten unabhängiges Koordinatensystem übertragen werden können.
Lage und Dimension der Ringe des Saturn®?) ergeben sich aus Mes-
sungen der Richtung und scheinbaren Größe der Achsen der sicht-
baren Projektionsellipsen, die für e= (0 Zwierssche Hilfsellipsen sind.
Bei verhältnismäßig rascher Bewegung des Planeten kann man
versuchen, die Beobachtungen des Satelliten durch eine Kreisbahn
darzustellen, welche, wenn die mittlere planetozentrische Bewegung
des Satelliten bekannt ist, durch zwei Positionsmessungen bestimmt
wird.®%)
‚Zur Zeit i seien die geozentrischen äquatorialen Koordinaten des
Planeten A, A, D, die planetozentrischen, äquatorialen Koordinaten
des Satelliten r, «, d, Positionswinkel und Distanz 6, o; die Beziehung
auf eine andere Zeit soll dureh Beifügung eines Striches angedeutet
sein. Bezeichnet 180° — 6 den Winkel am Planeten im Dreieck Erde —
Planet—Satellit, so ist zur Zeit
| t...sin(6 — )— sine
(1) | R
..sin (’ — 0) = = sin g'
Der Winkel zwischen den Richtungen r, r’ ist die planetozen-
trische Bewegung des Satelliten und auch gleich dem Winkel, welchen
die vom Erdzentrum parallel zu r und »’ gezogenen Geraden ein-
schließen. Denkt man sich die Erde im Zentrum einer Sphäre vom
Radius 1 und nennt die Punkte der Sphäre, gegen welche diese Linien
gerichtet sind, &, &’, die sphärischen Örter, des Planeten und Satel-
liten M, M’, S, $’, so liegen die Punkte M,$, & in einem, M’, 8’, 2’ in
einem anderen Bogen größten Kreises. Der nächste Schnittpunkt der
83) F. W. Bessel, Abhdgl. 1.
84) A. Marth, Researches on Satellites. Astr. Nachr. 44 (1856). — J. Bau-
schinger, Die Bahnbestimmung ‘der Himmelskörper, Leipzig, 1906.
7. Bahnbestimmung der Satelliten. 509
Bögen MS und M’S’ sei C; der Nordpol befinde sich in P. Die
Auflösung des sphärischen Dreiecks MCM', in welchem zwei Seiten
und der von ihnen eingeschlossene Winkel A’— A bekannt sind,
gibt die Seite MM’ und die anliegenden Winkel, woraus mit Hilfe
der Positionswinkel 0, 6° von MS und M’S’ die Seiten MC=&,
M'C= und der von ihnen gebildete Winkel s berechnet werden
können. Da MZ=o, M'xX’—= 6, wird
‚cos EX’ = cos (£ — 0) cos ( — 0) + sin (6 — oJtin (£ — 0’) cose.
Durch diese Gleichung und die Gleichungen (1) werden für eine
Kreisbahn (22° =-n#—d); r=r=a) die drei Unbekannten
6, 0’, a bestimmt, allerdings nicht in eindeutiger Weise, da nach (1)
6 — o, 0’ — 0’ im I. oder II. Quadranten liegen können, was bei der
weiteren Rechnung zu beachten ist.
Zur Bestimmung der Länge N des aufsteigenden Knotens und
der Neigung ./ der Satellitenbahn mit Bezug auf den Himmelsäquator
bedarf man der « und d; die Koordinaten des Punktes (E), in dem
die Verlängerung der von der Erde zum Planeten gezogenen Geraden
die um den Planeten beschriebene Sphäre trifft, sind A, D; die Lage
des Punktes ($) mit den Koordinaten «, d ist dadurch gegeben, daß
im sphärischen Dreieck (E) P(8) die Seite (E)(S)=6 und der Winkel
bei (E) als Neigungswinkel der Ebene EMS und EMP gleich ® ist.
Der Winkel bei P ist « — A; «’, ö’ werden durch dieselben Formeln
erhalten wie «, d. N und J ergeben sich aus tgJsin(e — N)=tg6;
tgJsin(« — N)=tg0’; das der Zeit ? entsprechende Argument der
Breite U folgt aus der Formel tg U=tg(@«— N)secJ. Die analoge
Berechnung von U’ muß hierfür einen Wert ergeben, welcher die
Gleichung erfüllt U’ — U=n(f —
Sind N, J und U, a oder allgemeiner U, r gegeben, so werden
6, oe mit Hilfe der sich auf denselben Zeitpunkt beziehenden Größen
A, A, D durch einfache Koordinatentransformation gefunden.
Wie Positionswinkel und Distanz, können auch Rektaszensions-
und Deklinationsdifferenzen durch die Elemente ausgedrückt werden.)
Genauere Elemente werden mittels der Differentialformeln der Bahn-
verbesserung erhalten (vgl. Artikel VI2, 9 Herglotz Seite 422).
Sofern Näherungswerte von N und JJ vorliegen, kann man nach der
Methode von W. Klinkerfues®®) aus drei Beobachtungen eines Satelliten
85) F. W. Bessel, Abhälg. I, Astr. Nachr. 9 (1831). — W. Meyer, Le Sy-
steme de Saturne (Mem. de la Soc. de Phys. et d’Histoire nat. de Gen&ve) 1884.
— H. Struve, Astr. Nachr. 111 (1885), 123, 125 (1890),
86) Theoretische Astronomie (1885), (1890). Braunschweig, I. Aufl. 1871,
510 VIs,11. J.v. Hepperger. Bahnbestimmuug der Döppelsterne und Satelliten.
genäherte Bahnelemente bestimmen. Für das Datum jeder Beobach-
tung werden zunächst die Werte i, & und „= u— U und dann
mittels der Formeln:
cotg 6 —= sin (O — L) tgi, rsin(@—g)—=Asine,
9—28
tg (u + 0) = 8059
cos®i
die von r, U bekannt.
Aus drei Gleichungen von der Form a(l — e)=r(l1-+ ecosv)
folgt, da die Differenzen der U denen der wahren Anomalie v gleich
sind,
U —U. U”— U, UÜ”— U
4rrr ein sın sın
in 2 2 2
a rr sin (U’ — U)— rr” sin (U” — U) + r'r"sin(U” — U’)
2e sin ® +? sin “ —=al- 9) — 5)
2 r'
dt" +v uU” U 1 1
2e cos —.— cos rei- tr 2
wodurch a,e, U—v und v,v” daher auch n, t, bestimmt werden.
Sind die angenommenen Werte von N, J nahe richtig, so wird auch
der Unterschied zwischen n(t’— t,) und der aus v’ berechneten mittleren
Anomalie klein sein. Zur Bahnverbesserung muß mindestens noch
eine Beobachtung verwendet werden. Die Kenntnis von N, J genügt
überdies zur Reduktion aller Beobachtungen auf einen und denselben
geozentrischen Planetenort, wodurch die für Doppelsterne gegebenen
Methoden der Bahnbestimmung auch für Satelliten Geltung erlangen.
A. O0. Leuschner®”) hat auf der Versammlung der Astr. Gesellschaft
in Wien (1908) die Grundzüge einer Bahnbestimmung mit sofortiger
‚Berücksichtigung der Störungen angegeben. Diese Methode, deren
vollständige Darlegung im Vol. VII of the Publications of the Lick
Observatory erfolgen soll, eignet sich, wie aus der Berechnung der
Bahnen des 7'® und 8 Jupitertrabanten hervorzugehen scheint, sehr
gut zur Bahnbestimmung von Satelliten, deren Bewegung durch die
Sonne bedeutend gestört wird. Aus den Beobachtungen sind zunächst
für eine bestimmte Zeit Rektaszension und Deklination des Satelliten
sowie der erste und der zweite Differentialquotient dieser Koordinaten
nach der Zeit zu bilden. Hierdurch werden mit Hilfe von drei, durch
II. Aufl. 1899 (Die Ableitung der „reduzierten“ Positionswinkel P, P, ‚deren Diffe-
renz gleich » — v’ sein soll, ist unrichtig gegeben).
87) A. Leuschner, Versuch der Bahnbestimmung mit sofortiger Berück-
sichtigung der Störungen. Astr. Ges. Vjs. 43 (1908); Lick Obs. Bull. 137 (1908).
7. Bahnbestimmung der Satelliten. 511
Transformation der Grundgleichungen für die spezielle Störungsrechnung
2
zu erhaltenden Gleichungen die geozentrische Distanz o und =, zs
als Funktionen der Entfernung des Satelliten vom Planeten und von
der Sonne bestimmt, worauf mit Rücksicht auf die für die Dreiecke
Erde, Satellit, Planet und Erde, Satellit, Sonne geltenden Beziehungen
die Distanzen des Satelliten vom Planeten und von der Sonne, daher
auch die Anziehungskräfte bekannt werden. Die Berechnung der
Elemente bedarf keiner neuen Entwicklungen.
(Abgeschlossen im Dezember 1910.)
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 34
512 VI, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
VI2, 12. PRINZIPIEN DER STÖRUNGSTHEORIE
UND ALLGEMEINE THEORIE DER BAHN-
KURVEN IN DYNAMISCHEN PROBLEMEN.
Von
E. T. WHITTAKER
IN DUBLIN.
(Aus dem Englischen übersetzt von A. Haar in Zürich.)
Inhaltsübersicht.
1. Reduktion der Differentialgleichungen des allgemeinen Dreikörperproblems.
2. Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörperproblems.
8. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems.
4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen.
5. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie.
6. Spezielle periodische Lösungen.
?. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der benachbarten
Lösungen. i
8. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter der Bewegung
für lange Zeiten.
9. Die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen; die älteren
Untersuchungen.
10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen.
11. Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der Glieder der Reihen.
12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik.
13. Eigenschaften der Koeffizienten spezieller Glieder in den Reihen der Himmels-
mechanik.
‚Literatur.
Lehrbücher und Monographien.
P. 8. de Laplace, Trait€ de mecanique celeste I-V. Paris 1799—1827.
4A. Gautier, Essai historique sur le problöme des trois corps. Paris 1817.
P. G. de Pontecoulant, Theorie analytique du syst@me du monde I—IV. Paris
1834—56.
U.J.J. leVerrier, Recherches astronomiques. Annales de l’Observatoire de Paris,
1855— 77.
©. E. Delaunay, Theorie du mouvement de la lune I—II. Paris 1860—67.
Vorbemerkung. 513
A. Cayley, Report on the progress of the solution of certain problems in dynamics.
British Association Report., London 1862.
P. A. Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnung der. in den Mondtafeln
angewandten Störungen I—I. Leipzig 1862—64.
O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen. Pe 1888.
F. Tisserand, Traite de m&canique celeste I-IV. Paris 188996.
H. Poincare, Les mö&thodes nouvelles de la m&canique c&leste I—III. Paris 1892—99.
(Poincare Meth. Nouv.)
H. Gylien, Trait6 analytique des orbites absolues des huit plandtes principales 1.
Stockholm 1893, I. 1909.
E. W. Brown, An introductory treatise on the lunar theory. Cambridge 1896.
N. Herz, Artikel „Mechanik des Himmels“ in Valentiners Handwörterbuch der
Astronomie. Breslau 1898.
E. T. Whittaker, Report on the progress of the solution of the Problems of
Three Bodies. British Association Report. London 1899.
H. Andoyer, Theorie de la lune. Paris 1901.
F. S. Moulton, An introduction to Celestial Mechanics. New York 1902.
C. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels I—II. Leipzig 1902—07.
E. T. Whittaker, A treatise on Dynamics, including the Problem of Three Bodies.
Cambridge 1904. (Whittaker Dynamics.)
H. Poincare, Legons de Me&canique Celeste. Paris 1905—10.
@. W. Hill, Collected Mathematical Works I-IV. Washington 1905—07.
Vorbemerkung.
Das fundamentale Problem der Himmelsmechanik besteht darin,
die Bewegungen der Himmelskörper unter dem Einfluß der gegen-
seitigen Anziehung zu bestimmen, die sie nach dem Newtonschen
Gravitationsgesetz aufeinander ausüben. Dieses Problem kann in ge-
schlossener Form nicht durch bekannte Funktionen gelöst werden,
und daher sind für praktische Zwecke eine Anzahl von Methoden
unter dem Namen von „Planetentheorien“ oder „Mondtheorien“ erdacht
worden, welche Annäherungen für die Bewegung der verschiedenen
Körper geben, die im Sonnensystem wirklich vorkommen, und zwar
in einer zur numerischen Berechnung geeigneten Form. Neben diesen
Untersuchungen ist die Dynamik eines Systems von Punkten, die sich
nach dem Newtonschen Gesetz anziehen, vielfach vom rein theoreti-
schen Standpunkt aus betrachtet worden. Was sich hier ergab und
was aus der allgemeinen Theorie der Bahnen in dynamischen Systemen
bekannt war, wurde verwandt, um über gewisse wichtige Grundfragen
der Astronomie Aufklärung zu gewinnen, z. B. über die der Stabilität
der Bahn des Mondes und der Planeten.
In gegenwärtigem Artikel wird versucht, den wesentlichen Inhalt
aller dieser Untersuchungen von den Anwendungen loszulösen, mit
34*
514 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
denen ursprünglich viele von ihnen verknüpft waren, und so unsere
Kenntnisse über das Hauptproblem der Himmelsmechanik von all-
gemeinen theoretischen ‘Gesichtspunkten aus darzustellen.
l. Reduktion der Differentialgleichungen des allgemeinen Drei-
körperproblems. Unter Dreikörperproblem versteht man die Aufgabe,
die Bewegung im Raume von drei Punkten gegebener Masse zu be-
stimmen, die sich gegenseitig nach dem Newtonschen Gesetz anziehen.
Seien die Massen der Punkte m,, m,, m,, seien ihre Koordinaten
bezogen auf feste rechtwinklige Achsen resp.: (q,, 9, 93), (Q4> 95 9))
(4;, 9» 9). Ferner bezeichne man m, ar durch p,, wo t.die Zeit be-
zeichnet und % die größte in 4({r-+ 2) enthaltene ganze Zahl bedeutet.
Dann wird das Problem analytisch durch die Differentialgleichungen
ausgedrückt:
dq, _0H dp, __ 0oH r=1,2,...,9)
dt Op, dt 04.
wobei
H=) Ber mm (aa + + at
I mm ++ a)
ist. mm + +}
18
Diese Gleichungen bilden ein kanonisches System der 18. Ordnung.
Lagrange‘) zeigte zuerst, daß die Ordnung des Systems der Be-
wegungsgleichungen reduziert werden kann, indem man die bekannten
Integrale des Systems benutzt. Sechs Integrale werden durch den
Umstand geliefert, daß die Bewegung der Teilchen relativ zu ihrem
gemeinsamen Schwerpunkt unabhängig von der absoluten Bewegung
dieses Schwerpunktes ist. Drei weitere Integrale bedeuten, daß die
Komponenten der Flächengeschwindigkeit um die drei Achsen konstant
sind. Nimmt man noch den Energiesatz hinzu, so hat man im ganzen
zehn bekannte Integrale. Ferner geht die Zeit # in die Differential-
gleichungen nur mittels ihres Differentiales dt ein, daher kann die
Ordnung der Gleichungen auch noch durch Elimination von dt redu-
ziert werden. Nach der Integration des so reduzierten Systems kann
dann die Zeit durch eine einfache Quadratur gefunden werden.
Man denke sich ferner die Anordnung des Systems in irgend
einem Augenblick mit Hilfe von Koordinaten ausgedrückt, von denen
eine die Orientation des ganzen Systems in bezug auf eine im Raume
feste Linie ausdrückt, so daß eine Vergrößerung dieser Koordinate 2
1) Recueil. des pidces, qui ont remport6 les prix de l’Acad. de Paris 9 (1772).
1. Reduktion d. Differentialgleichungen d. allgemeinen Dreikörperproblems. 515
um einen Betrag « unter Festhaltung der übrigen Koordinaten eine
Rotation des ganzen Systems um den Winkel « um jene feste Linie,
wie bei einem starren Körper, zur Folge hat. Solch eine Wahl der
Koordination läßt sich offenbar für die drei Körper leicht treffen.
Dann ist X eine sog. verborgene Koordinate, und das entspreckende
Integral (welches in diesem Falle eines der Flächensätze ist) setzt
uns in den Stand, die Ordnung der Bewegungsgleichungen um zwei
Einheiten statt um eine herabzusetzen. Letzteres Faktum ist implizite
in Lagranges Arbeit?) enthalten, wurde aber erst von Jacobi?) deut-
lich ausgesprochen, der es Elimination der Knoten nannte.
Mit Hilfe der zehn bekannten Integrale, der Elimination der Zeit
und der. Elimination der Knoten kann die Ordnung des Systems. der
Bewegungsgleichungen um zwölf Einheiten reduziert werden, so daß
das reduzierte System von der 6. Ordnung wird. Lagrange‘) gelang
tatsächlich die Ausführung dieser Reduktion, doch kann seine Re-
duktionsart jetzt als überholt gelten durch die symmetrischeren Ver-
fahren, die die kanonische Form der Gleichungen erhalten und die
nunmehr zu schildern sind.
Wir haben zunächst von den Schwerpunktsätzen Gebrauch zu
machen, um das System von der 18. auf die 12. Ordnung zu redu-
zieren. Dies kann nach einer von Jacobi’), Bertrand‘), Radau”) aus-
gebildeten Methode in folgender Weise geschehen.
Sei 9 der Schwerpunkt von m, und m,. Seien q,', 95, 9; die
Projektionen der Strecke m, m, auf feste rechtwinklige Achsen und
I» 9, 96 die Projektionen der Strecke Hm, auf dieselben Achsen.
Sei ferner:
ne—p (1,23, wen (r—4,5,6),
wobei: |
u— ad “= m; (mM, + m;)
ist m, + m,’ m, + Mm; + m,
ist.
Die Variabeln q,', 99,.: 96» Pi» 295 -- 2, Zusammen mit sechs
anderen Variabeln, welche nur von der Bewegung des Schwerpunkts
2) loc. eit.
3) J. f. Math. 26 (1843), p. 115.
4) loc. cit. . Serret gab in dem Bull. des Sc. Math. 6 (1873), p. 46 eine Dar-
stellung der Lagrangeschen Arbeit, wo auch die Reduktion von Hesse, J. f. Math. 74
(1872), p. 97 besprochen wird. ;
5) J. f. Math. 26 (1843), p. 11.
6) J. de math. 17 (1852), p. 893.
7) Paris C. R. 66, p. 1262; 67, p. 171, 316, 841; Annales de l’Ecole Normale
. (1808), p. 311. bi
516 VIa, 12. E.T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
des Systems abhängen, können aus den Variabeln q,, @, - - -, 0,
21» Pa, -- 2, durch eine Berührungstransformation abgeleitet werden,
und daher kann das System der Bewegungsgleichungen als ein System
12. Ordnung in der Form geschrieben werden (unter Weglassung der
Akzente von den neuen Variabeln):
eo ir — =, (iu 8, 2,
Wie Bertrand bemerkte, kommt diese Reduktion auf die Ersetzung
dreier Massen durch zwei fiktive Massen » und u’ hinaus.
Eine entsprechende Reduktion gibt Poincare an.?) Seien 4,', 9,
die Koordinaten von m, bezogen auf ms, 94, 45, % die Koordinaten
von m, relativ zu m,, 97, 95, 9 die Koordinaten von m, selbst. Seien
Pı, Pa, Ps die Impulskomponenten von m,, 2,', 25,2, diejenigen von
m, und 9,', 3, 2, die Impulskomponenten des ganzen Systems. Der
Übergang von den Variabeln (9, ,:- -, 9» Pır Pas -- »P9) zu den
Variabeln (9,',93,--@» Pr Pe»-- Ps) wird durch eine Berührungs-
transformation vermittelt, und infolgedessen behalten die Bewegungs-
gleichungen ih den neuen Variabeln die kanonische Form. Es zeigt
sich, daß die Gleichungen für die Variabeln q,', 94, 99, Pr, 2g, Pa von
dem übrigen System abgetrennt werden können, und so erhalten wir
wieder ein System der Form von der 12. Ordnung.
Es ist nun weiter das System von der 12. auf die 8. Ordnung
zu reduzieren mit Hilfe der Flächensätze und der Elimination der
Knoten. Bour und Radau®) gehen zu diesem Zweck aus von dem
oben angegebenen System 12. Ordnung von Jacobi und Bertrand.
Seien q,, 9 die vom Nullpunkt an gerechneten Radienvektoren der
beiden fiktiven Massen u und w. Sei q, der Winkel zwischen q,’
8) Paris C. R. 123 (1886), p. 1031; Acta math. 21 (1897), p. 88.
9) Bour, Journ. de l’Ecole Polytechnique Paris 21 (1856), p. 35; Radau,
Annales de l’Ecole Normale 5 (1868), p. 311. Ein Versehen von Bour wurde von
Mathieu bemerkt, J. de math. (8) 2 (1876). Die Variablen von Bour sind von
denjenigen von Radau verschieden. Bour mißt die Winkel q,’ und q,’ in der
Ebene der Radienvektoren von der Schnittgeraden dieser Ebene mit der veränder-
lichen Ebene an.
Verschiedene Mathematiker untersuchten die Reduktion des Problems auf
ein Problem 8. Ordnung in mehr oder weniger ähnlicher Weise wie Bour und
Radau. Brioschi, Paris C. R. 66 (1868), p. 710, leitet Bours Gleichungen ab und
gibt eine interessante Form der Flächensätze. Stiacei, Atti di Torino 6 (1871),
p. 440; Paris C. R. 78 (1874), p. 110, zeigte, wie man eine Anzahl von Gleichungs-
systemen konstruieren kann, die den Bourschen analog sind.
Eine Arbeit von Vernier, Paris C. R. 119 (1894), p. 451, ist im wesentlichen
nur eine Wiedergabe der Arbeit von Siacei von 1874.
4. Reduktion d. Differentialgleichungen d. allgemeinen Dreikörperproblems. 517
and der Schnittlinie (Knotenlinie) der unveränderlichen Ebene mit
einer Ebene durch zwei aufeinanderfolgende Lagen von q,. Die
Variable q,’ hat die entsprechende Bedeutung für u’. Man setze ferner:
pn =u a; rn =u en i
Schließlich mögen »,’ und »,’ die Flächengeschwindigkeiten der beiden
Massen u und w’ in ihren augenblicklichen Bahnebenen bedeuten.
Dann lassen sich analog, wie in den obigen Fällen, vier weitere
Variable hinzufügen, so daß eine Berührungstransformation zwischen
neuen und alten Variablen besteht und die Gleichungen für diese vier
weiteren Variablen — eben infolge der Gültigkeit der Flächensätze —
von dem übrigen System abgetrennt werden können. Die-Bewegungs-
gleichungen bilden dann (unter Weglassung des Indices der neuen
Variablen) das folgende kanonische System 8. Ordnung:
44, OH op, oH
dt — 9p,’ aa 7% (r=1,2,3,4),
wobei:
Wr EB De
H= (+24) + 2, (04 2) 4ı
2 ı_-9,°—29° .. h
— mm; ee (000 94-0000, sin 9 sinq,)
PER. RE,
(m, + m,)3 2
2 ı_p'— 2°.
— MM, 14’+ een (008,00, —* Be = sin g,-sing,)
RR. RER
tm)
ist und noch x die Gesamtflächengeschwindigkeit des Systems be-
deutet.
Entsprechende Reduktionen auf die 8. Ordnung sind von Scheibner'®),
Bruns‘) und Whittaker‘?) gegeben worden. In den beiden ersteren
Fällen figurieren die drei wechselseitigen Abstände der drei Körper
unter den Endvariablen, während im letzteren Fall q,, 9, 9, Q, die
rechtwinkligen Koordinaten von m, und m, sind, bezogen auf beweg-
liche Achsen durch m, in der Ebene der drei Körper.
Die Reduktion der Bewegungsgleichungen des Dreikörperproblems
von der 12. Ordnung auf die 8. Ordnung mit Hilfe der Flächensätze
und der Elimination des Knotens kann auch durch Zie’s Methode zur
TRENNT R
10) J. f. Math. 68 (1868), p. 390.
11) Acta Math. 11 (1887), p. 25.
12) Dynamics Kap. XII.
518 VIe, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Auflösung partieller Differentialgleichungen vollzogen werden.!?) Die
Lösung des kanonischen Systems 12. Ordnung
ög, OB .0B, oH
TS RC RRNE 7 Mreseugr 7°
hängt mit der zugehörigen Hamilton-Jacobischen partiellen Differential-
gleichung
(v=1,2,..,6)
H (q; 9% -- +96 PırPas - - 3m) =h
zusammen, wo
eV
Eu gg, (=1,2,...,6)
ist.
Bezeichnen wir mit
“ F,= konst, F,= konst, F,= konst.
die drei Flächensätze, so daß die Funktionen F\, F,, F, die Relation
(H, F)= 0 befriedigen, so sind auch die Gleichungen
F,PA)=-R, RFR)=F, KF)=F
erfüllt (wo das Symbol (u, ») den Poissonschen Klammerausdruck be-
deutet), und es bilden daher die Funktionen F\, F,, F, eine Funk-
tionsgruppe. Daraus können wir nach der Lieschen Methode das
zugehörige Involutionssystem ableiten, das aus Funktionen besteht,
die miteinander und mit HZ in Involution sind. Im vorliegenden
Falle besteht das System aus den Funktionen F, und F?+ FF? + F}?.
Mit Hilfe dieser zwei Funktionen kann die partielle Differentialgleichung
H (3-46 Pır-- De) —h
auf eine partielle Differentialgleichung, mit 6 — 2 —= 4 unabhängigen
Variablen zurückgeführt werden; das ist aber die Hamilton-Jacobische
Differentialgleichung eines Hamiltonschen Systems 8. Ordnung, womit
die fragliche Reduktion erfolgt ist.
Mit Hilfe des Energiesatzes und der Elimination der Zeit kann
man die erhaltenen Systeme auf die 6. Ordnung reduzieren bei Bei-
behaltung der kanonischen Form. In der Tat, bezeichnen wir das
Energieintegral des Systems 8. Ordnung
U rl BE ar A sole 159,8,
de. Pu. Mi, .08
H(q,:-»96 Pr. -„Pp)t+h=0
und lösen diese Gleichung in bezug auf p, auf
K (9,2, 0, 9: »W)+tP1 = 9;
mit
' 13) Math. Ann. 8 (1875), p. 215.
2. Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörperproblems. 519
so können wir den Zusammenhang zwischen den Veränderlichen
PP? U - - „» 94 durch die Gleichungen 6. Ordnung:
a, _?K dn__%E „_934
dag, Op,’ PRERREr
darstellen.
2. Die Differentialgleichungen in Spezialfällen des Dreikörper-
problems. In gewissen Spezialfällen des Dreikörperproblems verein-
fachen sich die Differentialgleichungen. Der wichtigste Fall dieser
Art entspringt dem Umstand, daß die drei Körper immer in einer
Ebene bleiben, wenn sie selbst und zugleich ihre Bewegungsrich-
tungen in einem bestimmten Moment in einer Ebene lagen, es ist
der Fall des „ebenen“ Dreikörperproblems.
Das unreduzierte kanonische Gleichungssystem wird hier von der
12. Ordnung. Es existieren vier Integrale für die Bewegung des
Schwerpunkts, ein Flächensatz und das Integral der lebendigen Kraft.
Die Elimination der Knoten und der Zeit kann, wie früher, ausgeführt
werden. Auf diese Weise läßt sich das Problem schließlich auf ein
kanonisches System der 4. Ordnung reduzieren.
Viele der im vorigen Paragraphen erwähnten Arbeiten enthalten
auch den Übergang vom allgemeinen auf das ebene Dreikörperproblem.
Das Gleichungssystem von Bour und Radau wird:
re =--% (r=1,2,3),
WO 91, 9 Pi, Pa die frühere Bedeutung haben, während g, jetzt der
Winkel zwischen q, und 9, ist und », die Differenz der Flächen-
geschwindigkeiten von u und u’ ist.
Scheibner ‘*) reduziert das System auf dieselbe Form, wo g,, 99, 9
die wechselseitigen Distanzen der drei Körper bedeuten. Whittaker'?)
erhält diese Form, indem er g, den Abstand m,m,, q, und g, die
Projektionen von m; m, auf m,m, und auf eine dazu Senkrechte be-
deuten läßt.
Die fernere Reduktion des Systems auf die 4. Ordnung kann wie
in Nr. 1 erfolgen.
Ein andrer Spezialfall des Dreikörperproblems, der in neueren
Untersuchungen eine besondere Rolle spielt, ist das restringierte Drei
körperproblem. Dasselbe lautet folgendermaßen: Zwei Körper $ und
J bewegen sich unter ihrer gegenseitigen Anziehung in kreisförmigen
14) J. f. Math. 68 (1868), p. 390; vgl. auch Perchot und Ebert, Bull. Astr. 16
(1899), p. 110.
15) Dynamics. Kap. XIII.
520 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Bahnen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt 0. Ein dritter Körper P
von verschwindender Masse (oft der Planetoid genannt), der also die
Bewegung von S und J nicht stört, bewegt sich unter der Anziehung
dieser beiden Körper. Seine Bewegung ist zu bestimmen.
Dieses Problem wurde zuerst von Jacobi!) behandelt, der zeigte,
daß es von einem Differentialgleichungssystem der 4. Ordnung ab-
hängt, von welchem ein Integral — jetzt allgemein das Jacobische
Integral genannt — sofort hingeschrieben werden kann. Seien näm-
lich x und y die Koordinaten des Planetoiden in einem rotierenden
rechtwinkligen Koordinatensystem, dessen Nullpunkt mit dem Schwer-
punkt O und dessen x-Achse stets mit der Linie JS zusammenfällt,
dann lautet das System 4. Ordnung: '”)
de _0H dy_dH du__2H do__ ou
” Prag 775 23 TYbzeueldr 7ER 20 Fans 7° a
wobei:
Ba
1 1
H= ee) + n(uy— ve) 55 — Ip
ist und m,, m,, n resp. die Massen von $ und J und die mittlere Be-
wegung von 8 und J in ihrer Bahn, SP und JP ihre Abstände von
P bedeuten. Das Jacobische Integral lautet:
H == konst.
Tisserand'®) gibt kanonische Variable an, die von den Elementen
der oskulierenden Ellipse abhängen, die der Planetoid um einen der
beiden anderen Körper beschreibt. Poincare'”) bringt ähnlich die Be-
wegungsgleichungen auf die Form:
dq, _2H dp, ___2H
a Er ee Te
wobei die Ellipse zugrunde gelegt wird, die der Planetoid, von seiner
augenblicklichen Lage und Geschwindigkeit ausgehend, unter der An-
ziehung eines Körpers der Masse 1 im Schwerpunkt O beschreiben
würde; q, bedeutet die mittlere Anomalie des Planeten in dieser Ellipse,
q, die Perihellänge, p, ist gleich Ya, p, gleich Ya(1— e‘), wenn a
und e die halbe große Achse und die Exzentrizität der Ellipse bedeuten.
Setzt man die Massen von $ und J gleich 1— u resp. u, so kann
man H bei kleinem u in der Form entwickeln:
H=-H ++ WB +:
(r Bey) 1, 2),
16) Paris C. R. 3 (1836), p. 59.
17) Scheibner, J. f. Math. 65 (1866), p. 291.
18) Bull. Astr. 4 (1887), S. 183.
19) Acta Math. 13, p. 1.
8. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems. - 521
wobei:
| 1
A 32: "Da
und H,, H,,:.. periodisch in q, und g, von der Periode 2x sind.
Durch Elimination der Zeit unter Benutzung des Jacobischen
Integrales kann das restringierte Dreikörperproblem auf ein kanonisches
System der 2. Ordnung reduziert werden.
3. Die Differentialgleichungen des n-Körperproblems. Ist die
Zahl der anziehenden Körper größer als drei, so wird die Behand-
lung verwickelter, ohne sich im Wesen. zu ändern. Lagranges Re-
duktionsart für das Dreikörperproblem wurde von Seydler?) auf vier
Körper übertragen. Das Gleichungssystem wird von der 12. Ordnung.
Das allgemeine n-Körperproblem kann mit Hilfe der zehn be-
kannten Integrale, der Elimination der Knoten und der Zeit von der
6nt® auf die 6%” — 12. Ordnung reduziert werden. Der Nachweis
hierfür stammt von Radau?!), welcher schon früher??) eine Reihe von
Möglichkeiten angegeben hatte, wie man die Schwerpunktssätze bei der
Reduktion benutzen kann. Die tatsächliche Reduktion des n-Körper-
problems auf ein kanonisches System der 6» — 10. Ordnung, welches
Bours Gleichungssystem 8. Ordnung für das Dreikörperproblem völlig
analog ist, wurde von Mathieu ausgeführt.)
4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. Es
wurden viele Versuche unternommen, in dem Dreikörperproblem neue
Integrale aufzustellen, die den zehn bekannten analog sind, also nur
bekannte Funktionen in geschlossener Form enthalten. Das Mißlingen
dieser Versuche legte den Gedanken nahe, daß es keine weiteren Inte-
grale von dieser einfachen Art gibt; diese Vermutung wurde durch
ein wichtiges Theorem von Bruns bestätigt?*), das aussagt, daß in dem
20) Abhandlungen der k. böhm. Ges. d. Wiss. (7) 1 (1885), Nr. 5.
21) J. de math. (2) 14 (1869), p. 167; die Möglichkeit dieser Reduktion
wurde auch von Allegret untersucht, J. de math. (3) 1 (1875), p. 277. (Über die
Lücken in Allegrets Arbeit vgl. Mathieu, J. de math. (8) 3, p. 216; 4 (1877), p. 69,
und (anknüpfend an Lagranges Arbeiten) von Betti, Annali di mat. (2) 8 (1877),
p- 301.
22) Annales de l’Ec. Norm. 5 (1868), p. 311; Allegret gab, Paris C. R. 79
(1874), p. 656, ein von dem Radauschen Theorem nicht wesentlich verschiedenes
Resultat. Vgl. auch Andrade, Paris C. R. 108 (1889), p. 226, 280, und ein all-
gemeines Theorem von Sir R. $. Ball, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 37 (1877),
p. 265.
23) J. de math. (3) 3 (1877), p.5. Vgl. Bennett, Mess. of Math. (2) 34
(1904), p. 118.
24) Berichte der kgl. Sächs. Ges. der Wiss. zu Leipzig (1887), S. 1, 55; Acta
622 VI», 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
vorgelegten Problem außer den bekannten Integralen kein anderes
algebraisches Integral existiert.
Dem Beweis von Bruns werden die Differentialgleichungen des
n-Körperproblems in der nichtreduzierten Form als ein Gleichungs-
system 6n“* Ordnung zugrunde gelegt, das man also in der Form
ey, u — f,(a, Ygy: + Bm) (=1,2,...,3n)
schreiben kann, wobei s die Summe aller wechselseitigen Entfernungen
der Körper bedeutet; der Grund der Einführung von s ist der, daß
die Funktionen f, rationale Ausdrücke von (2, %,,-- „ %;,, 5) werden,
obwohl sie irrationale Ausdrücke von (2,,%5,...,%;,) allein sind.
Angenommen, dieses Gleichungssystem besäße ein Integral von
der Form
p(2,; U) ey Zanı Yır Yar ** Yan) Be konst,,
wobei p eine algebraische Funktion ihrer Argumente ist und also
die Wurzel einer algebraischen Gleichung darstellt, deren Koeffizienten
rationale Funktionen von x, y sind. Es wird gezeigt, daß dann ent-
weder alle Koeffizienten dieser Gleichung in selbst Integrale sind oder
aber p einer Gleichung von geringerem Grade genügt, deren Koeffi-
zienten rationale Funktionen in x, y, s sind. Auf diese Weise wird
bewiesen, daß alle Integrale, die algebraische Funktionen von x, Y
sind, algebraische Kombinationen von anderen Integralen sind, die
selbst rationale Ausdrücke in x, y, s sind. Wir betrachten also nur
diese letztere Klasse von Integralen.
Es wird sodann gezeigt, daß die Integrale von der zuletzt be-
trachteten Gattung aus einer anderen Gattung von Integralen auf-
gebaut werden können, die Bruns homogene Integrale nennt. Wenn
ein homogenes Integral in Faktoren zerlegt ist, die Polynome in
bezug auf die Größen y sind, so ist jeder Faktor entweder selbst
schon ein Integral oder wird durch Hinzufügung bestimmter Faktoren
ein Integral. Jedes Integral des n-Körperproblems, das algebraisch
in den Variablen x, y und unabhängig von t ist, kann also schließ-
lich auf algebraische Weise aus Integralen einer bestimmten Gattung
aufgebaut werden, die Polynome von y, rationale Funktionen von x
und s und außerdem homogen sind. Es wird ferner gezeigt, daß,
wenn 9 ein solches Integral bedeutet und man mit 9, diejenigen
Glieder bezeichnet, die in bezug auf die Größen y von möglichst hoher
math. 11, p. 25. Ein Versehen in Bruns’ Beweis wurde von Poincare, Paris C. R.
.123 (1896), p. 1224 rektifiziert.
4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. 528
Ordnung sind, die Funktion 9, die Größen z nur ganz und rational
und nur in der Verbindung (y,2,—y,z,) enthält; 9, ist von s un-
abhängig. Wir bezeichnen mit A, B, C die drei Komponenten der
Flächengeschwindigkeit des Systems, mit L’, M’, N’ die Komponenten
der Geschwindigkeit und mit L, M, N die Koordinaten des Schwer-
punktes und setzen
A’=MN— NM, B=LN—LN, C=LM—LM.
Wir nehmen an, daß diese Größen durch x, y ausgedrückt sind, so
daß jede von ihnen gleich konst. gesetzt ein bekanntes Integral des
Problems ist. Es wird bewiesen, daß 9, die Variablen x nur in der
Verbindung A, B, C, A’, B’,C’ enthält und ein. Polynom in 4, B, C,
4A’, B’,C’ und in den y ist. Sodann wird bewiesen, daß 9, ein
Polynom in A, B,C, A’, B’, C', L', M’, N’, T ist (wo T die kinetische
Energie bedeutet). Setzen wir
9%=f(4,B,0;4',B',C'; L,M',N’; T).
Bezeichnen wir mit V die potentielle Energie des Systems, so daß
T-+YV ein Integral ist, Der Ausdruck
J=f(4,B,C, 4', B',C',L,M,N,T+WV)
ist ein Integral, da er aus Integralen allein aufgebaut ist. Die Differenz
g=9—J
ist daher ein Integral von derselben Gattung wie p, nur ist ihr Grad
in den Veränderlichen y mindestens um 1 geringer als der Grad von
p in diesen Variablen. Folglich kann jedes Integral p in einer Form
dargestellt werden, die außer den bekannten Integralen nur noch von
einem Integral abhängt, deren Grad in y kleiner ist als der Grad
von 9 in diesen Veränderlichen; es kann also — durch Fortsetzung
dieses Verfahrens — g dargestellt werden in einer Form, die außer
den bekannten Integralen nur von einem Integral von der nullten
Ordnung in y abhängt; ein solches Integral ist aber eine Konstante.
Bruns gelangt also zu dem Theorem: Alle von der Zeit freien Inte-
grale des n-Körperproblems, die die Koordinaten und Geschwindigkeiten
algebraisch enthalten, lassen sich aus dem Schwerpunktsatze, Flächen-
satze und Energiesatee algebraisch aufbauen. Eine leichte Erweiterung
dieser Überlegung zeigt auch, daß mit Ausnahme der bekannten Inte-
grale keine weiteren Integrale existieren, die die Zeit und die Variablen
x, y algebraisch enthalten.
Bruns untersuchte auch noch die Frage, ob Integrale des redu-
zierten Systems existieren, die die Form von Integralen von totalen alge-
524 VIs,12. E.T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
braischen Differentialen haben, sich also aus verallgemeinerten Abel-
schen Integralen zusammensetzen, wie sie von Picard untersucht
worden sind. Dies ist gleichfalls unmöglich. Das Resultat kann auf
das n-Körperproblem ausgedehnt werden, da man aus einem solchen
Integral des n-Körperproblems ein entsprechendes Integral des Drei-
körperproblems dadurch erhalten kann, daß man alle Massen mit
Ausnahme dreier gleich Null setzt.
Painleve®) hat das Brunssche Theorem verallgemeinert, indem
er bewies, daß jedes Integral des »-Körperproblems, das die Geschwindig-
keiten algebraisch, die Koordinaten aber beliebig (algebraisch oder
nicht) enthält, eine algebraische Kombination der bekannten Inte-
grale ist.
Ein dem Brunsschen Theorem ähnliches, in mancher Hinsicht
noch allgemeineres Theorem wurde später von Poincare publiziert.?®)
Wir schreiben die Bewegungsgleichungen des restringierten Dreikörper-
problems in der Form:
N FERN N BEE PERERE Si
Bl a Pe
wobei H nach den Potenzen der Konstanten u entwickelbar ist:
H=H+uH+WB +;
H, ist eine Funktion von 9,, ?, allein, und wir können durch eine
einfache Transformation erreichen, daß die Funktionaldeterminante
von H, in bezug auf p,,?, nicht gleich Null ist. H,, H,,... sind
periodische Funktionen in bezug auf g,, g, von der Periode 2x.
Sei nun p eine Funktion von (g,, 9, 21, Ps; w), die in bezug auf
9, 9 periodisch ist mit der Periode 2”; wir nehmen ferner an, daß
diese Funktion eine eindeutige analytische Funktion ist für jedes
reelle Wertsystem g,, 9,, für hinreichend kleine Werte von u und für
solche reelle Wertepaare 9,, 2,, die ein bestimmtes beliebig kleines
Gebiet D ausfüllen. Unter diesen Annahmen kann man die Funktion
in einer Reihe
v=1,2),
y=antrıpntept
entwickeln. Poincares Theorem sagt nun aus, daß das restringierte
Dreikörperproblem außer dem Jacobischen Integral kein anderes Integral
von der Form
p = konst.
besitzt, wenn p eine Funktion dieser Art bedeutet.
25) Paris ©. R. 124 (1897), p. 173; Bull. Astr. 15 (1898),'p. 81.
26) Acta Math. 13 (1890), p. 259; Meth. Nouy. I, chap. 5 (1892).
4. Die Nichtexistenz bestimmter Klassen von Integralen. 525
Angenommen es gebe ein Integral dieser Art; die Bedingung,
daß p ein Integral ist, kann mit Hilfe der Poissonschen Klammern,
wie folgt, ausgedrückt werden:
(H,, 99) =(, (4:: 9) + (H,; 9,) =(,...
Man kann leicht zeigen, daß man, wenn @ und H wesentlich ver-
schiedene Integrale sind, und @, eine Funktion von H, allein ist,
aus p ein anderes Integral derselben Art ableiten kann, das so be-
schaffen ist, daß es keine Funktion von H, allein wird, wenn man
u= 0 setzt. Wir können daher annehmen, daß 9, keine Funktion
von H, allein ist. Die Annahme, daß 9, die Variablen g,, q, wirk-
lich enthält, ist aber unverträglich mit der Gleichung (H,, 9,) = 0;
wir können daher g, als eine Funktion von 9,, », allein annehmen.
Da H, und 9, periodische Funktionen von g,, q, sind, gestatten
sie eine ag.
— Bm ematmn, = EM em tm),
My ig MM,
wobei m,m, ganze Zahlen bedeuten und die Koeffizienten B und C
nur von 9,, 2, abhängen. Die Gleichung
(H,, 90) + (B,; 9,) = (0
Bam (m; irn Er) it Omym (mM = tm au) |
Im allgemeinen enthält jedes noch so kleine Gebiet D unendlich viele
Brüche m, :m,, für die nicht jeder der zugehörigen Koeffizienten B,, „,
verschwindet, wenn man p,, fa solche Werte erteilt, daß
oH,
OP:
ist. Im allgemeinen Falle (zu dem das restringierte Problem gehört)
ist daher die Gleichung |
ergibt
m, u +m
ge un "nn Zu —=(
eine Folge der kat
oH, oH,
8 Pal nie Dr Prog dp, =(0,
woraus wir schließen, daß die Jacobische Determinante un
1122
verschwindet. Dieses Resultat hat zur Folge, daß 9, eine Funktion
von H, sein müßte, was, wie wir gesehen haben, nicht der Fall ist;
die zugrunde gelegte Annahme über die killen von p muß tallen
gelassen werden, womit Poincares Theorem für das restringierte Drei-
körperproblem bewiesen ist. Man kann zeigen, daß das Theorem auch
526 VIa,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
für das allgemeine Dreikörperproblem richtig bleibt. Painleve?”) ver-
allgemeinerte dieses Resultat in derselben Weise wie das Brunssche,
indem er zeigte, daß außer den bekannten Integralen kein anderes
Integral existiert, das eindeutig und analytisch in den Geschwindig-
keiten ist, wobei das Auftreten der Koordinaten durch keine Be-
dingung eingeschränkt ist.
ö. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie. Das Drei-
körperproblem besitzt Partikularlösungen, bei denen die wechsel-
seitigen Entfernungen periodische Funktionen der Zeit sind. Solche
Lösungen bezeichnet man als periodische Lösungen oder als periodische
Bahnkurven des vorgelegten Problems. Man wendet allgemein diese
Bezeichnung für Lösungen eines dynamischen Problems an, bei denen
die Bahnkurven geschlossen sind. sStäckel zeigte”), daß in sehr aus-
gedehnten Fällen der lösbaren dynamischen Probleme in jedem Punkte
diejenigen Anfangsrichtungen, die zu periodischen Lösungen führen,
in jedem Winkel überall dicht liegen.
Die Theorie der periodischen Lösungen entstand aus der Theorie
gewisser spezieller periodischer Lösungen (vgl. die nächste Nummer);
die allgemeine Existenztheorie — die später entwickelt wurde — rührt
von Poincare her.?”)
Betrachten wir das restringierte Dreikörperproblem, wenn der
kleine Parameter u, der von dem Verhältnis der Massen von J und S
abhängt, gleich Null ist, so existieren offenbar periodische T,ösungen,
denn in diesem Fall wird der Planetoid von .J nicht gestört und be-
schreibt daher um $ eine Keplersche Ellipse; die Lösung ist periodisch,
wenn die beiden Umlaufszeiten, die von P und die von J um $,
kommensurabel sind. Betrachten wir nun ein System von Differential-
gleichungen, das noch einen Parameter u enthält und für u = 0
periodische Lösungen besitzt; es kann gezeigt werden, daß, wenn eine
bestimmte Jacobische Determinante nicht verschwindet, das vorgelegte
Öystem auch. für von Null verschiedenes u periodische Lösungen be-
sitzt, die von den vorgelegten nur wenig verschieden sind.) Un-
glücklicherweise ist in den Problemen der Himmelsmechanik jene
Determinante das Produkt zweier anderen Determinanten, von denen
‚die eine — die die Hessesche Determinante der von u freien Glieder
27) Paris C. R. 130 (1900), p. 1699.
28) Math. Ann. 54 (1901), p. 86.
29) Bull. Astr. 1 (1884), p. 65; Acta Math. 13 (1890), p. 1; Meth. Nouv, I
(1892).
30) Die Jacobische Determinante verschwindet, wenn einer der charakte-
ristischen Exponenten der periodischen Lösung (vgl. No. 7) gleich Null ist.
5. Periodische Lösungen; die allgemeine Theorie. 527
der Störungsfunktion ist — verschwindet. In dem restringierten Drei-
körperproblem kann man diese Schwierigkeit durch einen einfachen
Kunstgriff leicht beseitigen®!), bei dem allgemeinen Dreikörperproblem
jedoch ist dies nicht so leicht zu erreichen.??) _
Zu jeder periodischen Lösung gehört ein bestimmtes System von
Veränderlichen, von der Beschaffenheit, daß die Gleichung dieser
Lösung in bezug auf diese Variable eine besonders einfache Form
annimmt.®) Betrachten wir z. B. eine periodische J,ösung des Systems
09,’ dt 0gq, = E 2),
wobei H eine Funktion von q,, @, 21,3, ist, die durch die folgenden
Gleichungen definiert ist:
He %=AG, Merl), Au.
Durch Elimination von t aus diesen Gleichungen erhalten wir ein
Gleichungssystem, das wir in die Form
4 =9(P), = (pP), mM = 9;(P,)
setzen; wenn wir statt der Variablen (q,,2,, 9,2,) durch die Be-
rührungstransformation
= 9(B),
= — dl) + (a —9(2))9; (BP) — (Pi — ‚ov)6, '(B),
P,=mn— 99),
P,=»
die neuen Variablen Q,, Q,, P,, P, einführen, so lauten die Be-
wegungsgleichungen: |
daQ, _ _0H ap,__9H
u > 0q,’
während die periodische Lösung jetzt durch die Gleichungen
a=0, 9 =0, P=0, Bull)
definiert ist.
Ein von Whittaker”*) herrührendes Kriterium zur Auffindung
von periodischen Lösungen in dem restringierten Dreikörperproblem
lautet wie folgt:
31) Poincare, Acta Math. 13, p. 122;.Meth. Nouy. I, p. 117.
32) Poincare, Möth. Nouv. I, p. 133; Kobb, ‚Öfversigt of K. Sv. Vet-Ak. Förh. 52
(1895), p. 216.
33) Poincare, Meth. Nouv. II, p. 369.
34) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 62 (1902), p. 346. Vgl. auch Signorini,
Palermo Circ. Rend. 33 (1912).
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 35
528 VI2, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Wir bilden in den Bezeichnungen von No. 2 die Funktion
m, m +
Kt tree t+n),
wo h die Energiekonstante im Jacobischen Integral bezeichnet; wenn
in der Bewegungsebene eine geschlossene. Kurve existiert, die ganz
innerhalb einer anderen geschlossenen Kurve verläuft, von der Be-
schaffenheit, daß der Ausdruck
RT! 38 ..
tree pt 7, up+Y2n
(wo g den Krümmungsradius bezeichnet) in jedem Punkte der inneren
Kurve negativ, in jedem Punkte der äußeren Kurve positiv ist, so
existiert in dem von beiden Kurven umschlossenen ringförmigen Gebiet
eine periodische .Bahnkurve des Planetoiden, die die beliebig vorgeschriebene
Größe h als Energiekonstante besitzt.
Poincar€E gab nach dem folgenden Prinzip eine Einteilung der
verschiedenen periodischen Lösungen des restringierten Dreikörper-
problems: die Lösung wird als eine Lösung der ersten Klasse (premier
genre) bezeichnet, wenn die relative Bahnkurve des Planetoiden sich
schließt, bevor der Planetoid einen einzigen Umlauf um 5 beendet
hat; wenn der Planetoid mehr als einen +Umlauf macht, bevor seine
Bahnkurve sich schließt, so wird die Lösung als Lösung von der
zweiten Klasse (deuxieme genre) bezeichnet. Eine Methode, periodische
Lösungen von der zweiten Klasse zu erhalten, ist die folgende®®):
man betrachte die Bewegung des Planetoiden in der Nähe einer
stabilen periodischen Bahn der ersten Klasse; wenn die Periode kleiner
Schwankungen um diese Bahn nahezu kommensurabel ist mit der
Periode 7 der periodischen Bahn selbst, so existiert im allgemeinen
unter den Nachbarbewegungen eine periodische Bahn der zweiten Klasse.
Poincare teilt ferner die periodischen Bahnen der ersten Klasse, die
in der Ebene von $ und .J verlaufen, in zwei Sorten, je nachdem ihre
Exzentrizität gleich Null ist oder nicht, d. h. je nachdem die Bahnen
sich einer Kreisbahn nähern oder nicht, wenn die Masse von J un-
begrenzt abnimmt.?°*)
Periodische Lösungen jeder Art können leicht bestimmt werden
durch geeignete Spezialisierung der unten zu besprechenden Entwick-
55) Acta Math. 13 (1890), p. 228; Meth. Nouv. III (1899), p. 201.
35*) In bezug auf die Einteilung der periodischen Lösungen vgl. ferner
Charlier, Mechanik des Himmels Bd.2 und H. von Zeipel, Upsala Nova Acta (2)
20 (1904).
6. Spezielle periodische Lösungen. 529
lungen, die die allgemeinen Lösungen des Dreikörperproblems dar-
stellen®®), da diese im allgemeinen divergenten Entwicklungen gerade
im Fall periodischer Lösungen konvergent werden.
6. Spezielle periodische Lösungen. Die einfachsten periodischen
Lösungen des Dreikörperproblems wurden von Lagrange?”) gefunden;
er zeigte, daß man die Bewegungsgleichungen durch eine Klasse von
Lösungen befriedigen kann, wobei die drei Körper in den Eckpunkten
eines bewegten gleichseitigen Dreiecks liegen; bei einer anderen Klasse
von Lösungen liegen die drei Körper stets auf einer geraden Linie;
wir bezeichnen diese Bewegungen als die Lagrangesche Bewegung der
drei äquidistamten bzw. gradlinig angeordneten Massenpunkte. Betrachten
wir jetzt speziell das restringierte Dreikörperproblem; hier erhält
man das Resultat, daß der kleine Planet bei geeigneter Anfangs-
geschwindigkeit ständig in einer unveränderten Lage in bezug auf S
und J bleibt, wenn er an einer der beiden Stellen steht, wo er mit
S und J ein gleichseitiges Dreieck bildet, oder wenn er sich an einer
von drei bestimmten Stellen der geraden Linie $.J befindet. Diese
fünf Stellen werden Librationszentra genannt. Keine dieser Gleich-
gewichtslagen ist vollständig stabil, es sei denn, daß die Massen von
S und J die Ungleichung”)
(m, + m;)? > 27m, m,
erfüllen; in diesem Falle ist die Konfiguration des gleichseitigen Drei-
ecks stabil; von den zwei normalen Schwingungen um die geradlinige
Konfiguration ist die eine stabil, die andere instabil.
Man erhält eine neue Klasse von periodischen Lösungen, wenn
man entsprechend der Methode der kleinen Schwingungen die Be-
wegungen des Planetoiden in der Nähe der Librationszentra betrachtet.
Die schwingenden Bewegungen dieser Art in der Nähe der Librations-
zentra wurden von verschiedenen Autoren untersucht, unter anderen
36) Poincare, Bull. Astr. 15 (1898), p. 289.
37) Recueil des pieces, qui ont remport& les prix de l’Acad. de Paris 9
(1772). Auf den Fall mehrerer anziehender Körper wurden die Lagrangeschen
Resultate von verschiedenen Autoren erweitert; vgl. Hoppe, Arch. Math. Phys. 64
(1879), p. 218; Lehmann-Filhes, Astr. Nachr. 127 (1891), p. 137; Sloudsky', Bull.
de la soc. Imp. Natur. Moscow. 1892, p. 437; Moulton, Amer. M.S. Trans. 1 (1900),
p. 17; Dziobek, Astr. Nachr. 152 (1900), p. 33; Pizzetti, Roma Lincei Rend. 5* 13
(1904), p. 17; Lovett, Quart. Jour. Math. 35 (1904), p. 116.
Eine imaginäre Lösung, die aus der Lagrangeschen Arbeit entsteht, ist von
Whittemore, Math. Ann. 64 (1907), S. 150 betrachtet worden.
38) Routh, London Math. Soc. Proc. 6 (1875), p. 86.
35*
530 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
von Gylden®®), von Burrau‘®) (der gefunden hat, daß die Reihe der
Bahnen durch eine sog. Ejektionsbahn abgeschlossen wird, in der der
Planetoid von einem Zusammenstoß mit 5 oder J ausgeht), von
Thiele*'), Perchot und Mascart“?), (der die Poincar6sche Theorie auf
die Lösungen anwandte), von Darwin*?), Charlier“) (der auch Bahnen
in der Umgebung der Librationszentra des zleichseitigen Dreiecks
betrachtet) und von Plummer.*?)
Die Bewegungen der drei äquidistanten Massenpunkte haben da-
durch praktisches Interesse gewonnen, daß seit 1906 mehrere Asteroiden
(588 Achilles, 617 Patroclus, 624 Hector, 659 Nestor) entdeckt worden
sind, deren Bewegung in Schwingungen in der: Nähe dieser Konfi-
guration besteht*°*).
Für die neuere Entwicklung der Theorie der periodischen Bahnen
bilden den Ausgangspunkt die Arbeiten von Hill.) Hill betrachtet
das restringierte Dreikörperproblem (mit einer für uns unwesentlichen
Vernachlässigung) und sucht periodische Lösungen, bei denen der
Planetoid in einer periodischen Bahn S umkreist. Seine Methode be-
steh: darin, daß er in die Differentialgleichung eine Entwicklung von
der gesuchten Form mit unbestimmten Koeffizienten einsetzt; er be-
stimmt diese Koeffizienten als Funktionen eines Parameters m, der
von dem Verhältnis der Periode der Lösung und der Umlaufszeit der
Linie $J abhängt. Bei Änderung von m erhält man verschiedene
periodische Lösungen; für kleines m ergibt sich die sehr nahe mit
einer Ellipse übereinstimmende „Variationskurve“, für wachsendes m
erhält Hill als letzte Lösung (die Bahn von größter Lunation) eine
Kurve mit Spitzen in den Quadraturen, an den Stellen, wo der Winkel
39) Öfversigts of K. Sv. Vet.-Ak. Förh. 4 (1884), p. 3; Bull. Astr. 1 (1884),
p. 361.
40) Astr. Nachr. 136 (1884), p. 161.
41) Astr. Nachr. 138 (1895), p. 1.
42) Bull. Astr. 12 (1895), p. 329.
43) Acta Math. 21 (1897), p. 99.
44) Meddelanden fran Lunds Obs. No. 18 (1901).
45) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 62 (1901), p. 6; 63 (1908), p. 436; 64 (1904),
p- 98.
45*) Vgl. Linders, Stockholm Arkiv för Math. 4 (1908), Nr. 20.
46) Hill benutzte zuerst periodische Lösungen in einer Arbeit, die in
Cambridge. Mass. U. S. A. bei J. Wilson & Sohn 1877 veröffentlicht und in den
Acta Math. 8 (1886), p. 1 abgedruckt wurde. In ausführlicher Form ist der Teil
über die periodischen Lösungen in Am. Journ. Math. 1 (1878), p. 5, 129, 245 er-
schienen. Die Konvergenz der Hillschen Reihen im Falle der Mondbewegung
wurde von Liapounoff, Trans. Imp. Soc. Nat. Mosc. 13 (1896) und Happel, Tnaug.-
Diss. Göttingen 1900 bewiesen.
6. Spezielle periodische Lösungen. 531
von SJP ein rechter Winkel ist. Hill hielt diese Bahn für den Ab-
schluß seiner Reihe; Poincare?') aber wies darauf hin, daß die Fort-
setzung durch eine Reihe von Kurven mit Schlingen gegeben wird,
und Kelvin‘) zeichnete mittels graphischer Methoden eine solche
Lösung.
Darwin“) berechnete numerisch eine große Anzahl von periodi-
schen Lösungen in dem restringierten Dreikörperproblem und teilte
sie in sechs Klassen; in einer Klasse (Planet A) beschreibt der Planet
eine geschlossene Kurve um $, wie bei den Hillschen Bahnen; in
zwei anderen Klassen (oszillierende Satelliten a und b) oszilliert der
Planetoid um eine der geradlinigen Librationszentra (der Satellit b
beschreibt Burraus Bahnen); in den anderen drei Klassen (Satellit A,
B,C)) beschreibt der Satellit geschlossene Bahnen um J.
‚Darwin fand, daß in der Klasse des Satelliten A die Bahnen
wesentlich von der Wahl der Energiekonstante im Jacobischen Integral
abhängen. Für bestimmte Werte der Konstanten sind die Bahnen
einfache Ovale und sind stabil; bei anderen Werten dieser Konstante
haben die Bahnen die Form einer 8 und sind instabil. Poincare®®)
vermutete, daß die instabilen Lösungen nicht die analytischen Fort-
setzungen der stabilen Lösungen sind, und Hougk bewies®!) dies durch
Betrachtung solcher Bahnen, wo die anfängliche Geschwindigkeit
retrograd ist.
Schwarzschild°?) untersuchte die periodischen Lösungen des restrin-
gierten Dreikörperproblems, die in die zweite Sorte von Poincare ge-
hören. Nimmt man an, daß der Planetoid so in Bewegung gesetzt
wird, daß er — bei verschwindender Masse des Planeten J — um 8
eine Ellipse beschreiben würde, deren Periode kommensurabel mit der
Umlaufszeit von $ um J ist, so läßt sich mit Hilfe der Poincar&schen
Methoden zeigen, daß man auch, wenn die Masse von .J klein, aber
nicht verschwindend ist, durch Variation der Elemente des Planetoiden
eine periodische Bahn erhalten kann.
Besondere Aufmerksamkeit haben in den letzten Jahren diejenigen
periodischen Bahnen des Planetoiden gefunden, die in einer einfachen
47) Meth. Nouv. 1 (1892), p. 106.
48) British Association Report (1892), p. 648; Phil. mag. 34 (1892), p. 447.
49) British Association Report (1896), p. 708; Acta Math. 21 (1897), p. 99:
Math. Ann. 51 (1899), p. 523.
50) Meth. Nouv. III (1899), p. 352.
51) Acta Math. 24 (1900), p. 257—288. In bezug auf die Darwinschen
Bahnen vgl. ferner: Schlitt, Diss. Kiel 1903; Moulton, Trans. Amer. Math. Soc.
7 (1906), p. 537; Strömgren, Astr. Nachr. 174 (1907), p. 33.
52) Astr. Nachr. 147 (1898), 8. 17, 289.
532 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Kurve $ umkreisen und deren Periode annähernd gleich der Hälfte
der Umlaufszeit von S.J ist. Diese Lösungen werden allgemein als
Lösungen vom Hekubatypus bezeichnet, da die mittlere Bewegung des
kleinen Planeten Hekuba annähernd zweimal so groß ist, wie die von
Jupiter. Wegen der annähernden Kommensurabilität der Perioden
sind die Störungen, die der Planetoid von J erfährt, ungewöhnlich
groß. Betrachten wir zunächst die periodischen Lösungen der ersten
Sorte von Poincare für eine mittlere Entfernung von S$ unterhalb
derjenigen, die der doppelten mittleren Bewegung von J entspricht°®),
so finden wir, daß die Bahn des Planetoiden relativ zu der bewegten
Geraden 8J in der Richtung der Senkrechten auf $.J verlängert ist.
Diese Erscheinung wird um so ausgeprägter, je mehr die Entfernung
an jenen kritischen Wert heranrückt, je genauer die Kommensurabilität
wird, und schließlich geht die Lösung in eine Poincaresche Lösung
zweiter Sorte über, die auch bei verschwindender Masse .J eine end-
liche Exzentrizität hat. Wenn nun die mittlere Entfernung die Stelle
überschreitet, die der Kommensurabilität entspricht, so werden die
Bahnkurven in der Richtung von 8J verlängert; wächst die mittlere
Entfernung weiter, so gehen die Lösungen zweiter Sorte wieder in
Lösungen erster Sorte über, und die Bahnform wird wieder nahezu
kreisförmig. °®*)
7. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter
der benachbarten Lösungen. Wir betrachten die Bewegung eines
Massenpunktes unter dem Einfluß gegebener Kräfte; wir setzen eine
Partikularlösung der Bewegungsgleichung als bekannt voraus und unter-
suchen die Bewegung eines Massenpunktes, der von einer der gegebenen
Bahnkurve benachbarten Stelle ausgeht und daselbst eine Geschwindig-
keit besitzt, die der Größe und Richtung nach nur wenig von der Ge-
schwindigkeit in dem betreffenden Punkte der Bahn verschieden ist.
Wir wollen untersuchen, ob dieser Massenpunkt während seiner Be-
wegung nur um die gegebene Bahnkurve oszilliert und in ihrer Nähe
bleibt, oder ob sich die Bahn des Massenpunktes von der bekannten
Bahn mehr und mehr entfernt, so daß schließlich eine Bewegung von
53) Brendel (Abhandl. der K. Ges. der Wiss. zu Göttingen 1 (1898)) wendet
Gyldens Methode an; Poincare, Bull. Astr. 19 (1902), p. 177, 289; Hill, Astron.
Journ. 22 (1902), p. 93, 117; Schwarzschild, Astr. Nachr. 160 (1903), p. 385, unter-
sucht die Stabilität dieser Bahnen. Vgl. auch Simonin, Nice Obs. Ann. 6 (1897) A,
Bull. Astr. 19 (1902), p. 129; Andoyer, Bull. Astr. 20 (1903), p. 321; Welkens,
Astron. Abh. als Ergänzungshefte zu den Astr. Nachr. Nr. 8 (1905).
53*) In bezug auf andre Kategorien periodischer Lösungen vgl. Pavanint,
Annali di Mat. (3) XII, p. 179 und Griffin, Trans. Amer. Math. Soc. 9 (1908), p. 1.
7. Die Stabilität der Lösungen. 533
ganz anderem Charakter resultiert. Diese beiden Möglichkeiten werden
häufig als Stabilität bzw. Instabilität bezeichnet.
Sei @ (das wir als kleine Größe annehmen) die normale Ent-
fernung des Massenpunktes von der bekannten Bahn zu einer Zeit {,
bezeichnen wir ferner mit s die Länge des Bogens auf der gegebenen
Bahn von einem bestimmten Punkte gerechnet bis zu dem Fußpunkte
der Normalen ®, mit v die Geschwindigkeit und mit o den Krümmungs-
radius in der bekannten Bahn an dieser Stelle; schließlich sei 7 die
potentielle Energie des Massenpunktes. Schreiben wir die Bewegungs-
gleichungen des Massenpunktes in den Koordinaten © und s und eli-
‚minieren die Größe (ds/dt — v), so erhalten wir die Differentialgleichung
2 2 2
ze HET HE0=0
die die normale Verrückuug der gegebenen Bahn von der Nachbar-
bahn angibt.
Wenn man in dem kinetischen Potential die Glieder 2. Grades
in den Geschwindigkeiten (d. h. die kinetische Energie) nicht trennen
kann von den Gliedern nullter Ordnung in den Geschwindigkeiten
(d.h. von der potentiellen Energie), so ist eine kleine Modifikation
nötig, dieser Umstand tritt z. B. in dem restringierten Dreikörper-
problem auf, da die Energiefunktion in diesem Falle ein Glied von
der Form n(uy—vx) enthält (Nr. 2).
In dieser Weise untersuchte Mill?) die kleinen Oszillationen des
Planetoiden um eine der von ihm gefundenen periodischen Bahnen.
Berechnen wir den Koeffizienten von »® in der Differentialgleichung,
so erhalten wir die Gleichung
+ (0, + 0, e0s2:+9,cos4t+--)o —=0,
wo 6, @,, -.. Konstante bedeuten. Diese Gleichung wird die Hillsche
Gleichung genannt.®) In der allgemeinen Theorie der linearen Diffe-
rentialgleichungen mit periodischen Koeffizienten wird gezeigt, daß
54) Acta Math. 8 (1886), p. 1, Abdruck einer 1877 in Cambridge (Mass.)
veröffentlichten Arbeit. Adams bemetkt Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1877),
p. 43, daß er schon einige Jahre vorher die Bewegung des Mondknotens nach
einer Methode untersucht hat, die der Hillschen für das Mondperigäum ähnlich
ist, und daß er dabei zu einer ähnlichen unendlichen Determinante gelangte.
55) Es ist dies eine Verallgemeinerung der Gleichung
d’o
ts -+ (6, +6, co8 28) == 0,
die die Funktionen des elliptischen Zylinders definiert, vgl. Heine, Kugelfunk-
tionen p. 404.
534 VI, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie,
die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung die Form
o—= Ad“ f(t) + Be'“'f,(t)
hat, wo c eine bestimmte Konstante bedeutet, die reell ist, wenn @,
eine positive Zahl ist, die nicht das Quadrat einer ganzen Zahl ist;
A und B sind willkürliche Konstanten, und f(£) und f, (?) sind periodische
Funktionen von der Periode x. Zur Bestimmung von c entwickelte
Hill die folgende Methode:
Setzen wir e'= $, so lautet der Koeffizient von ® in der Diffe-
rentialgleichung:
20.0",
n==o
wo die Größen ®, reell sind. Hill setzt für ® die Reihe Div,get®
n=—=o
an und führt diesen Ausdruck von ® in die Differentialgleichung ein.
Da jede Potenz von & einen verschwindenden Koeffizienten haben
muß, so erhalten wir unendlich viele Gleichungen, die die Größen b
linear enthalten. Durch Elimination dieser Größen erhält man eine
Determinante mit unendlichvielen Zeilen und Kolonnen, in der nur €
und die bekannten Größen 9, vorkommen. Diese Determinante gleich
Null gesetzt gibt den Wert von c.®)
Dieses Ergebnis kann’ auf die Mondtheorie übertragen werden;
die kleinen Öszillationen um die periodische Bahn können als Folge
der Exzentrizität der Mondbewegung betrachtet werden, und die Kon-
stante c gibt die Bewegung des Mondperigäums an. Die Stabilität
der Bewegung — in dem Sinne, wie sie oben definiert wurde —
hängt offenbar von der Realität der Größe c ab; die Größen ic und
— ic werden die „charakteristischen Exponenten“ der betrachteten
periodischen Lösung genannt, und die Bedingung der Stabilität ist
die, daß die charakteristischen Exponenten der periodischen Lösung rein
imaginär ausfallen. Die allgemeine Theorie der Stabilität der Lösungen
und insbesondere der periodischen Lösungen rührt von Routh°”), Korte-
weg°’®) und Poincare®®) her; der Name „charakteristischer Exponent“
wurde vom letzteren eingeführt. Das Resultat all dieser Unter-
suchungen kann folgendermaßen zusammengefaßt werden.
56) Hill untersucht nicht die Konvergenz dieser unendlichen Determinante;
diese Lücke wurde von Poincare ausgefüllt, Bull. de la Soc. math. de France. 14
(1886), p. 77.
57) Stability of motion, Cambridge 1876.
58) Wien. Ber. 93 (1886).
59) Acta Math. 13 (1890), p. 1; Meth. Nouv. I (1892).
7. Die Stabilität der Lösungen. 535
Betrachten wir das Differentialgleichungssystem:
de: #
X (12...)
wobei X,, X,,..., X, Funktionen von %,,%,,..., %, bedeuten. Nehmen
wir an, ein System von periodischen Lösungen
s=pl) (i=1,2,...,n)
von der Periode T sei bekannt, so daß 9,(t+T) = g;(t) ist (wenn
x, eine Winkelvariable bedeutet, so soll diese Beziehung. folgender-
maßen lauten:
9 +T)= gp(t) + 2nz,
wo n eine ganze Zahl ist). Betrachten wir eine Nachbarbewegung,
die analytisch durch die Gleichungen:
s=9l)+ 5 G=1,2,...,n)
gegeben ist, wo die Größen &, so klein sein mögen, daß man ihre
Quadrate und Produkte vernachlässigen kann. Die Größen &, werden
aus den Differentialgleichungen
a ar 0X, i
ai G@=12,..,n)
bestimmt. Da dies ein System von linearen Differentialgleichungen
ist mit periodischen Koeffizienten, so ergeben sich die Funktionen &
als Summe von Ausdrücken von der Form e“*!$,,, wo die Funk-
tionen S,, periodische Funktionen der Zeit von derselben Periode wie
die 9,(t) sind, und die Konstanten e?'”** Wurzeln einer algebraischen
Gleichung n'" Grades sind. Die Konstanten «, werden die charakte-
ristischen Exponenten der periodischen Lösung genannt; wenn sie rein
imaginär ausfallen, so bleiben die Funktionen & klein, und die periodische
Lösung ist stabil; im entgegengesetzten Falle ist die Lösung instabil.
Wenn zwei charakteristische Exponenten gleich sind, so tritt in
der allgemeinen Lösung ein Glied von der Form te“! auf. Es ist
übrigens klar, daß die charakteristischen Exponenten nicht eindeutig
definiert sind, sondern bis auf ganzzahlige Vielfache von 2xi un-
bestimmt bleiben.
Wenn die Funktionen X, von t unabhängig sind, so ist stets einer
der charakteristischen Exponenten gleich Null;®) gibt es ein Integral
von der Form F== konst., wo Feine eindeutige analytische Funktion
ihrer Veränderlichen ist, so verschwindet noch ein charakteristischer
Exponent.®!)
60) Meth. Nourv. I, p. 180,
61) ibid. p. 187.
536 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Wenn das ursprüngliche Differentialgleichungssystem die kanonische
Form hat, so sind stets zwei charakteristische Exponenten entgegengesetzt
gleich; die verschiedenen Werte von «? werden die Stabilitätskoeffizienten
der zugrundegelegten periodischen Lösung genannt; wenn sie alle ver-
schieden sind und einen negativen reellen Wert haben, dann ist die
Lösung stabil. Wenn die Hamiltonsche Funktion die Zeit nicht ent-
hält, so ist einer der Stabilitätskoeffizienten gleich Null. Bewegt
sich ein Massenpunkt in einer periodischen Bahn unter dem Einfluß
konservativer Kräfte mit zwei Freiheitsgraden, z. B. in einer periodi-
schen Bahn des restringierten Dreikörperproblems, so verschwinden
zwei charakteristische Exponenten, die anderen beiden sind entgegen-
gesetzt gleich. Dieses Resultat wurde zuerst von Poincare ausge-
sprochen; es ist im wesentlichen schon in einem Theorem enthalten,
das früher von Korteweg‘?) aufgestellt wurde: wenn u,, U,,1, Urs
die normalen Verrückungen bedeuten von einem gegebenen Punkte der
periodischen Bahn dieses Charakters zu dem entsprechenden Punkt der
Nachbarlösung bei drei aufeinanderfolgenden Umläufen, so hat das
Verhältnis
Un+3 Er U
U,+41
einen konstanten Wert, der unabhängig von der Lage des Punktes
auf der Bahn und unabhängig von der Wahl der Nachbarlösung ist;
das Verhältnis hat den Wert 2 cosh «7, wo « einer der charakte-
ristischen Exponenten der periodischen Bahn ist.
Im Dreikörperproblem sind die charakteristischen 'Exponenten
einer periodischen Lösung in eine nach den Potenzen der Quadrat-
wurzel des kleinen Parameters u fortschreitende Reihe entwickelbar.
Darwin®®) untersuchte die Stabilität der von ihm gefundenen
periodischen Lösungen des restringierten Dreikörperproblems.
Eng verknüpft mit der Theorie der charakteristischen Exponenten
ist die Theorie der asymptotischen Lösungen.) Im allgemeinen gibt
es charakteristische Exponenten mit negativem Realteil. Diejenigen
Glieder in der Darstellung der Funktionen &, die einen charakteristi-
schen Exponenten mit nicht negativem Realteil enthalten, können
durch eine passende Wahl der Integrationskonstanten beseitigt werden;
wir erhalten auf diese Weise Partikularlösungen der Differential-
62) loc. cit. Fußnote (58).
63) Acta Math. 21 (1897), p. 144.
64) Korteweg, loc. eit.; Poincare, Acta Math. 13 (1890), p. 136; Meth. Nouv. I
(1892), III (1899).
7. Die Stabilität der Lösungen. 537
gleichungen für die &, in denen die Funktionen & durch eine Summe
von Gliedern dargestellt sind von der Form e*’S,,, wo der Realteil
von & negativ ist.
Wenn i über alle Grenzen wächst, konvergiert &, gegen Null;
mit anderen Worten, die erhaltene Lösung nähert sich mit wachsender
Zeit mehr und mehr der ursprünglichen periodischen Lösung; diese
Lösungen werden als asymptotische Lösungen bezeichnet. In ähnlicher
Weise kann eine andere Klasse von Lösungen gebildet werden, die
für {= + oo von der periodischen Lösung wesentlich abweichen,
aber für {= — oo sich der periodischen Lösung asyınptotisch an-
nähern; diese Lösungen bilden eine zweite Klasse von asymptotischen
Lösungen.
Poincare®) hat ferner die Existenz von Lösungen bewiesen, die
beiden Klassen von asymptotischen Lösungen angehören, d. h. die
sowohl für {= — oo, wie auch für = + oo sich der periodischen
Bahn asymptotisch annähern und keine periodischen Lösungen sind.
Dies sind die sog. doppeltasymptotischen Lösungen. Poincare®®) zeigt
noch, daß man die Reihen, die die asymptotischen Lösungen dar-
stellen, aus den allgemeinen Lösungen des Dreikörperproblems er-
halten kann; er wendet ferner®”) das Prinzip der kleinsten Wirkung
auf die Theorie der periodischen Lösungen an und gibt eine Klassi-
fikation der instabilen periodischen Lösungen, indem er zeigt, daß
man durch kontinuierliche Variation der Konstanten der Bewegung
eine periodische Lösung in eine andere nicht überführen kann, wenn
die Instabilität der beiden Lösungen verschiedenartig ist.
Die Frage, ob die Methode der kleinen Schwingungen und der
charakteristischen Exponenten auch hinreichende Bedingungen für die
Stabilität liefert, wurde von Levi-Civita untersucht®®):
Betrachten wir bei einem dynamischen System von zwei Freiheits-
graden eine periodische Lösung, für die der charakteristische Ex-
ponent « rein imaginär und = kommensurabel mit der mittleren
Bewegung = ist. Wir bezeichnen mit (9,, Ps; 9, 9) die dieser
Lösung entsprechenden Poincareschen Normalvariablen (vgl. Nr. 5). Die
Methode der kleinen Schwingungen gibt für die Nachbarbewegungen
65) Acta Math. 13, p. 25; Meth. Nouv, III, Ch. XXXIH.
66) Bull. Astr. 15 (1898), p. 289.
67) Paris C. R. 123 (1896), p. 915; Paris C. R. 124 (1897), p. 713; Meth..
Nouy. III (1899), p. 249.
68) Paris C. R. 131 (1900), p. 170, 236; Annali di Math. 5 (1901), p. 221.
Vgl. ferner Cigala, Annali di Mat. (3) 11, p. 67.
538 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
die Gleichungen
PC t Gh Bit ad
wo x und y Konstante, c,,6,€2%s periodische Funktionen der Zeit
bedeuten. Wenn wir nun die Glieder 3. Ordnung in der Hamilton-
schen Funktion nicht mehr vernachlässigen, so werden die Größen
x, y Variable, welche bestimmten nach der Methode der Variation der
Konstanten zu erhaltenden Differentialgleichungen genügen. Wenden
wir die Transformation, der x und y bei einer vollständigen Umkrei-
sung der periodischen Bahn unterworfen sind, hinreichend oft auf einen
Punkt, dessen Koordinaten x, y sind, an, so wird der Punkt schließ-
lich von dem Inneren in das Äußere eines gegebenen Kreises gelangen.
Wir erhalten also das Resultat, daß die periodische Lösung, die zu-
folge der durch die Theorie der kleinen Schwingungen gelieferten
Kriterien stabil zu sein schien, instabil wird, wenn man die Glieder
höherer Ordnung berücksichtigt.‘°)
8. Die Stabilität der Lösungen definiert durch den Charakter
der Bewegung für große Werte der Zeit. Der Begriff der Stabilität
wird oft in anderem Sinne gebraucht als in voriger Nummer.
Eine Lösung des Dreikörperproblems wird häufig als stabil bezeichnet,
wenn die gegenseitigen Entfernungen der Körper für alle Zeiten
zwischen bestimmten Grenzen bleiben, so daß die Körper weder ein-
ander sehr nahe kommen, noch sich sehr weit voneinander entfernen.
Hi’), Bohlin”‘) und Darwin'?) haben gezeigt, daß bestimmte Be-
wegungstypen im restringierten Problem in diesem Sinne stabil sind
(durch Abgrenzung der Gebiete, wo die Geschwindigkeit des Planetoiden
imaginär werden müßte, um das Energieintegral zu befriedigen). Man
‚benutzt ferner auch das Wort „Stabilität“ bei Bewegungen von der Art,
daß das betrachtete System unendlich oft eine Konfiguration annimmt,
die der anfänglichen Konfiguration beliebig nahe kommt, wobei die
dazwischen vorkommenden Öszillationen keiner Einschränkung unter-
worfen sind. Poincare benutzt den Ausdruck StabilitE a la Poisson,
um eine Bewegung letzterer Art zu charakterisieren. Ein von Hada
mard'®) herrührendes Theorem ist in der Hinsicht sehr interessant.
Betrachten wir die Bewegung eines Punktes der Einheitsmasse unter
dem Einfluß einer Kraft, die aus einem Potential Y abgeleitet ist
69) Vgl. auch Korteweg, loc. cit.
70) Am. J. Math. 1 (1878), p. d.
71) Acta Math. 10 (1887), p. 109.
72) Acta Math. 21 (1897), p. 99.
73) J. de Math. (5) 3 (1897), p. 331.
$. Die Stabilität der Lösungen. . 5349
auf einer überall regulären Fläche, deren Flächenelement durch die
Gleichung:
ds? = Edu? + 2 Fdudv + Gdv?
gegeben ist. Bezeichnen wir mit J die Funktion
A,(V)A,(V) 2 +V(P, A,(N)),
wo A,, A, den ersten und zweiten Differentialparameter und V den
Differentialparameter der zwei Funktionen V, A,(V) bedeutet.’*) V sei
auf der ganzen Fläche regulär und besitze nur eine endliche Anzahl
Maxima und Minima. Derjenige Teil der Fläche, wo ./ positiv ist,
werde mit Hadamard als anziehendes Gebiet bezeichnet. Dann ist
entweder derjenige Teil der Bahn, der im anziehenden Gebiet ver-
läuft, der Länge nach größer als jede endliche Zahl, oder aber die
Bahnkurve strebt asymptotisch einer instabilen Gleichgewichtslage zu.
Im allgemeinen durchsetzen die Bahnkurven unendlich oft das an-
ziehende Gebiet und haben dabei Stabilität & la Poisson.
Poincares Untersuchungen'*®) über die Kurven, die durch Diffe-
rentialgleichungen definiert sind, haben gezeigt, daß in dem allgemeinen
n-Körperproblem die Stabilität & la Poisson wesentlich von der Stabilität
im Sinne von Hill abhängt. Die ganze Frage der Stabilität hat der-
selbe Autor wesentlich gefördert durch Einführung und Anwendung
der Integralinvarianten:”°) Die Existenz der asymptotischen Lösungen
zeigt, daß es in dem restringierten Dreikörperproblem unendlich viele
Partikularlösungen gibt, die instabil sind in Poissons Sinne. Poincare
beweist aber”®), daß es auch unendlich viele in diesem Sinne stabile
Lösungen gibt, und daß die instabilen die Ausnahme bilden und die
stabilen die Regel sind in demselben Sinne, wie die rationalen Zahlen
die Ausnahme bilden und die irrationalen die Regel sind. Mit anderen
Worten, die Wahrscheinlichkeit, daß eine Anfangsbedingung zu einer
instabilen Bewegung führt, ist gleich Null. Der Beweis dieser Sätze
gelingt auf Grund des folgenden Theorems: Wenn sich der Punkt
(&is %gy +: Ru Yır Yar - Yu) SO bewegt, daß die Koordinaten dieses
Punktes stets endlich bleiben, und das Integral
Saz, ... ax, ay,.... ay,
‚Invariant ist — eben eine Integralinvariante bildet, dann gibt es zu
jedem noch so kleinen Raumteile », Bahnkurven, die unendlich oft
durch diesen Raumteil (v,) hindurchgehen; in der Tat haben die-
74) Vgl. Bd. III 3, p. 123 dieser Enzyklopädie.
74*) J. de Math. (3) 7, p. 375; (8) 8, p.251; (4) 1, p. 167; (4) 2,p. 151; (1881—86).
75) Vgl. Bd. II, p. 253 dieser Enzyklopädie (Artikel IIA 4b, Vessiot).
76) Acta Math. 13 (1890), p. 67; M6th. Nouv. IIT (1899), p. 162.
540 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
jenigen Punkte von »,, von denen eine Bahnkurve ausgeht, die diese
Eigenschaft nicht besitzt, einen verschwindend kleinen Inhalt im Ver-
gleich zu »,.
Ähnlich wird gezeigt, daß, wenn die Energiekonstante im restrin-
gierten Dreikörperproblem zwischen bestimmten Grenzen bleibt, die
Bewegung stabil ist, nicht nur im Sinne von Hill und Bohlin, sondern
auch im Sinne von Poisson; wenigstens ist die Anzahl der Ausnahme-
fälle verschwindend gering gegenüber der Anzahl der stimmigen Fälle.
9. Die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen;
die älteren Untersuchungen. Die Beobachtungen der Himmelskörper
legen unmittelbar eine bestimmte Form der analytischen Ausdrücke
nahe, durch welche ihre Bewegung darzustellen ist. Man fand, daß
diese Darstellung jedenfalls so weit, wie unsere Nachrichten in die
Vergangenheit zurückreichen, durch die Annahme ermöglicht wird,
daß die Planeten in Ellipsen die Sonne umkreisen. Diese Ellipsen
sind freilich nicht unveränderlich, sondern ihre Elemente (Exzentrizität
usw.) variieren von Jahr zu Jahr. Manche dieser Ungleichungen oder
Störungen sind periodisch, d. h. können durch Glieder von der Form
a sin (bt ++ c) dargestellt werden, wo a,b, c Konstanten bedeuten; solche
Störungen verursachen keine wesentlichen Änderungen in den Ver-
hältnissen des Sonnensystems; andere Störungen, die durch Glieder
von der Form at+bi? +... dargestellt werden, werden säkulär
genannt; ihr Einfluß besteht in einer fortwährenden Änderung der
Bahnen, die schließlich zu einer total verschiedenen Konfiguration
führen könnte.
Die Methoden der klassischen Planetentheorie schließen sich diesen
den Beobachtungen entnommenen Tatsachen an. In dem Sonnensystem
überwiegt die Masse der Sonne alle Planeten; dementsprechend dient
in der Planetentheorie als Prinzip der Annäherung die Voraussetzung,
daß die Masse des einen Körpers groß gegen die Gesamtmasse der
anderen Körper ist. Auf Grund dieses Prinzipes fand man, daß sich
mit Hilfe der Methode der Variation der Konstanten”) analytische Aus-
drücke finden lassen, die mit einer bestimmten Annäherung die Diffe-
rentialgleichungen des Problems erfüllen und deren physikalische
Deutung auf die oben erwähnten veränderlichen Ellipsen führt.
Frühzeitig zeigte sich aber, daß diese Art von Lösung einen be-
stimmten Nachteil hat, Die säkulären Störungen der Elemente führen
nämlich zu Gliedern von der Form ct und c# sin bt in den Ausdrücken
der Koordinaten. Diese Glieder wachsen nun mit £ über alle Grenzen,
77) Vgl. den Artikel VI 2, 14 über die Planetentheorie.
10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstränsformationen. 541
und das. macht es von vornherein unwahrscheinlich, daß die so er-
haltenen Reihen für eine beliebig lange Zeit approximative Dar-
stellungen der Bewegungen sind. Es entsteht naturgemäß die Frage
nach dem wahren Charakter der säkulären Störungen, wenn die Diffe-
rentialgleichungen nicht näherungsweise, sondern streng gelöst werden.
Die erste Annäherung mag durch Glieder von der Form ct gegeben
werden, wo c eine Konstante ist; doch besteht die Möglichkeit, daß
dies nur das erste Glied der Entwicklung z. B. von — sin mt ist, wo
m eine kleine Zahl bedeutet. Wenn dies der Fall ist, so sind die
säkulären Glieder tatsächlich periodisch, nur von sehr langer Periode.
Die Beantwortung dieser Frage hat eine fundamentale Wichtigkeit
bei den Untersuchungen über die Stabilität des Sonnensystems und
bei der Darstellung der Koordinaten für sehr lange Zeiten.
Die Sache wurde noch verwirrter durch den Umstand, daß
man in der Monatheorie Reihen von etwas verschiedener Bauart er-
hielt. Die Mondtheorie versucht — gleich der Planetentheorie —
die Lösung des Dreikörperproblems durch unendliche Reihen; doch
die Annäherungen gründen sich in diesem Fall auf die Annahme,
daß zwei der Körper einander umkreisen, während sie gemeinsam um
einen dritten Körper von überwiegender Masse rotieren; die Mond-
theorie liefert also ebenfalls eine Lösung des Dreikörperproblems,
deren Geltungsbereich aber von dem der Planetentheorie verschieden ist.
Diese theoretischen Schwierigkeiten, die der klassischen Planeten-
und Mondtheorie wenigstens teilweise im Wege standen, werden durch
die Auffindung von Lösungen des Dreikörperproblems in rein trigono-
metrischer Form bewältigt; wir gehen jetzt zu der Theorie dieser
Reihen über.
10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstrans-
formationen. Die von den verschiedenen Autoren zur Lösung des
Dreikörperproblems angewandten Methoden zerfallen in zwei Klassen;
die erste Klasse der Methoden beruht auf dem Prinzip der Variation
der Konstanten; die zweite Klasse von Methoden beruht auf dem An-
satz von Reihen bestimmter Bauart und der der sukzessiven Bestimmung
‚Ihrer Glieder wachsender Ordnung. Wir wollen zuerst zeigen ’®), wie
78) Diese Methode ist nicht wesentlich von der Delaunayschen Methode
verschieden (Theorie de la lune, Paris 1860—67); Delaunay selbst wandte seine
Methode nur auf die Mondbewegung an, die Anwendung auf das allgemeine
Dreikörperproblem rührt von Tisserand her (Obs. de Paris ann., mem. 18 (1885));
vgl. auch Hill, Amer. M. S. Trans. 1 (1900), p. 205—242. Die hier gegebene Dar-
stellung rührt von Whittaker her (Proc. Lond. Math. Soc. 1901). Die Methode
von Newcomb (Smithsonian Contributions 1874, p. 1), der zuerst das Theorem
542 Via,12. E.T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
man zu einer Methode der ersten Klasse kommt, welche Reihen liefert,
in denen die Zeit nur als Argument von trigonometrischen Funktionen
‚auftritt.
Zum Ausgangspunkte wählen wir die Bewegungsgleichungen in
‚der folgenden Form (Nr. 1):
dq, oH dp, oH
un Fe (v=1,2,3,4),
wobei.
-;, Ps 1/22. M\__ mm
Hd er + + +) FR
2 iR rose Re ER
| -+
a, ap a
—9’—p°
27,24
MM [9° +, m, m (cos 95 cosgq, —
sin g, sin 4)
m,* 2 +
; + (m, +m,)? q
gesetzt ist. Wir wenden auf dieses Gleichungssystem eine Berührungs-
transformation an, die durch die Gleichungen:
oWw P oW
2,= er, 2v,=— er (v—=1,2,3,4)
definiert ist, wobei
IE 8 5 2 .2,%
fe + ee) dq,,
2 2 2 p} d mm *8 &
+f|-® Fre Br a Ken) dq,
ist. Man sieht leicht ein, daß die Funktion A in eine periodische
Funktion der neuen Variablen »,', 2,', 2, 9, übergeht; die neuen Be-
wegungsgleichungen können auf die Form
en, u (v=1,2,8,4)
gebracht werden, wobei wir die Akzente bei den neuen Veränder-
lichen weggelassen haben und H durch eine unendliche Reihe von
der Form:
H= Igyoo + Da, Gm c08 (N,Pı 7 NgPs + N3P3 + N,D,)
dargestellt ist; die Größen a hängen nur von g,, 9, 4; Q, ab, und
über die Lösbarkeit des Dreikörperproblems mit Hilfe rein trigonometrischer
Reihen aussprach, hängt mit der Methode der Variation der Konstanten eng
zusammen und ist eine Erweiterung der klassischen Planetentheorie.
10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen. 543
die Summation ist über alle positive und negative ganzzahlige Werte
von N,,N,, %,, N, zu erstrecken, wobei nur die Kombination
nennen =)
anzuschließen ist. Wenn m, und m, kleine Größen sind im Vergleich
mit m,, so überwiegt das konstante Glied in der Entwicklung von
H die periodischen Glieder; eine approximative Integration zeigt, daß
sich in diesem Falle die Größen q,', 9, , 43, %4, 2, Ps; nur sehr wenig
ändern, und die Größen p,', 2,' beinahe proportional mit der Zeit sind.
Betrachten wir nun ein periodisches Glied von HZ, das die anderen
periodischen Glieder überwiegt, etwa
mm cos (np, 7 NgPa zn N3P; #- N,P,) F
HA = ao + Ann, 080 + R,
wobei # zur Abkürzung für n,p, + np: + n3?5 + n,p, steht und
R die Summe der anderen periodischen Glieder bedeutet. Wenden
wir auf das Gleichungssystem die durch die Gleichungen
P ow 0
pP, 77,’ =) (v„=1,2,3,4)
wir setzen
definierte Berührungstransformation an, wobei
v9 +49 +49 + up + fa) %,%, 4,9)
ist, und die Funktion f so gewählt ist, daß # in dem Ausdrucke
’ D) ’ 7) ’ ’ P)
ron (9, Han dh, 9a tm, 93 +36, U +55)
‚ 0 ie 0 ‚ 0 ‚ 0
+ Guman(d u N, a 9 I, ı- N zT, g3 7 N5 ar, % r n, 58) cosd
gar nicht mehr vorkommt, daß also dieser Ausdruck nur von q,',99,95 >
abhängt; diese Funktion von q,', 95, 93, 9 —- wir bezeichnen sie mit
Ayo (4 » 9a 95, 4) — ist durch die Bedingung bestimmt, daß, wenn
man aus der Gleichung
1
Aygoo + G, mn cos 6 Su Aoo00
die Funktion E berechnet und in der Form
of a a
36 — la) > 9) 94) oo) + Da, 4 „45, 94 > oo) ©08 kO
k=1
darstellt, das Glied c, identisch verschwindet:
Die soeben definierte Berührungstransformation kann also explizite
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 36
544 VI2,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
durch Gleichungen von der Form:
P, I: r + >, sin k6',
k=1
= (v=1,2,3,4)
q, Sa 4, + 2,29 cos k6
k=1
dargestellt werden, wobei = n,2,' + Nn3Pg + NP; + np, gesetzt
ist. Durch Anwendung dieser Berührungstransformation gehen die
Bewegungsgleiehungen in das neue Gleichungssystem
dq, oH dp; oH
dt dp}? r Brent = (v=1,2,3,4)
über, und H läßt sich in eine unendliche Reihe von der Form
H = Go + San, mmm, 608 (mp, + mapz' + MP, + m,p,))
entwickeln, wobei die Koeffizienten a nur von g,', 95, 95, 9, abhängen.
Das neue Gleichungssystem hat dieselbe Form wie das alte; der einzige
Unterschied besteht darin, daß das neue konstante Glied ayooo Zwei
alte Glieder repräsentiert, nämlich das ursprüngliche konstante Glied @,g9
und gleichzeitig das alte periodische Glied
Gy nnyn, 08 (RP, + NaPı + NgDs + ıP.).
Der Effekt der Transformation ist also der, daß das konstante Glied
von H noch überwiegender wird wie früher, und daß den periodischen
Gliedern in H eine noch unwesentlichere Rolle zukommt. Wir wählen
‚jetzt wiederum eines der wesentlichsten periodischen Glieder in der
neuen Entwicklung von H heraus und vereinigen es wieder mit dem
konstanten Glied durch Anwendung einer Berührungstransformation
von der soeben beschriebenen Art. Auf diese Weise können wir
sukzessive alle wesentlichen periodischen Glieder von H mit dem
konstanten Glied vereinigen, und das Überwiegen des konstanten
Gliedes über die periodischen Glieder wird bei jedem Schritt be-
deutender; schließlich werden die periodischen Glieder in H so un-
wesentlich werden, daß man sie vernachlässigen kann. Wir bezeichnen
mit (@,, &%, &, &, Bi, Be, Be, Bı) die Variablen, zu denen wir nach
diesen Transformationen gelangen; die Bewegungsgleichungen lauten:
= 55 (v„—=1,2,3,4),
wobei H nur von «,, &, &, &, abhängt; es sind daher «,, &, &%, &
konstante und ß,, ß,, ßs, ß, lineare Funktionen der Zeit:
B,= 1,t+ &; (v„=1,2,3,4);
die Integrationskonstanten sind &,, &, &%, &yy E15 Ey &gy &4-
\
10. Die Lösung des Problems mit Hilfe der Berührungstransformationen. 545
Durch die sukzessiven Transformationen, die die ursprünglichen
Variablen des Dreikörperproblems in die Variablen «@,, &,, &, &,, ßı,
Ba, Bs, ß, überführen, sind folglich auch diese ursprünglichen Koor-
dinaten als Funktionen der Zeit bestimmt; die Form der Transfor-
mationen zeigt, daß die Variablen in dem ursprünglichen kanonischen
System 8. Ordnung durch Ausdrücke von der Form
q,=c,+ Zu. cos (m, ß, + mzßs + m; ß, + m,ß,)
»,=B,+ BAER sin (m, ß, + myß; + m;ß; + m,ß,)
dargestellt sind, wobei die Größen a, b,c Funktionen von «,, &,&, 0,
sind und die Summation über alle ganzzahligen Werte von m,, m,,
m,, m, zu erstrecken ist, mit Ausnahme der Kombination
(= 1,2,3,4) /
n=m=m=m=0.
Mit Rücksicht auf die Transformation in Nr. 1 sehen wir, daß in dem
Dreikörperproblem die Koordinaten der Massenpunkte durch Ausdrücke
von der Form
Du. ir (MB + NA + Nßs + Pr + NsPß5)
dargestellt werden können, wobei ß,, ßg, ßs, Pu, ß, lineare Funktionen
der Zeit sind und die «a Konstanten bedeuten; die Summation ist über
alle ganzzahlige Werte von n,, %g, 3, N,, N, zu erstrecken. Bei Be-
wegungen vom Typus der Planetenbewegungen, wo die Massen m,
und m, verglichen mit der Sonnenmasse m, kleine Größen sind, werden
demzufolge auch drei von den Winkeln 8 — etwa ß,, ß,, ß,; — sehr
langsam variabel (entsprechend den langen Umläufen der Perihele und
Knoten im Planetensystem) und die anderen beiden Winkel, ß, und ß,,
repräsentieren angenähert die mittleren Anomalien der Planeten m,
und m, bei ihrer Bewegung um m,.
Im Lichte dieser Ergebnisse klären sich die Begriffe „säkulare
Glieder“ und „periodische Glieder“ der alten Theorie folgendermaßen:
In den soeben abgeleiteten Reihen kommen Glieder vor, deren Argu-
mente nur von den langsam variierenden Winkeln ß,, ß,, ß, abhängen;
diese Glieder entsprechen den säkularen Gliedern. Die Glieder, die
eine oder beide der rasch veränderlichen Winkel ß,, ß, enthalten,
stellen die sog. periodischen Störungen dar.’®)
Gylden faßte die säkularen Glieder etwas anders auf.) Denken
wir an irgendein Glied der Störungsfunktion; dieses Glied gibt Anlaß
79) Vgl. Hül, Astron. Journ. 22 (1902), p. 183.
80) Trait& des orbites absolues I (1893). Vgl. Hill, Astron. Journ. 25 (1906),
p. 1; Poincare, Acta Math. 29 (1905), p. 235.
36*
546 VIe, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
zu einem entsprechenden Glied in der Entwicklung der Koordinaten.
Wenn bei der Integration der Koeffizient dieses Gliedes durch eine kleine
Größe von der Größenordnung der störenden Massen u dividiert wird,
so daß der Einfluß dieses Gliedes in der endgültigen Entwicklung der
Koordinaten viel wesentlicher ist als in der Störungsfunktion, so wird
das Glied ein elementares Glied genannt. Diese elementaren Glieder
geben tatsächlich die säkularen Glieder; denn wenn das Argument
eines Gliedes nur die langsam variierenden Winkel ß,, ß,, ß, enthält,
so ist der Koeffizient von t in diesem Argument eine kleine Größe
von der Ordnung u; bei der Integration wird aber dieses Glied durch
diesen kleinen Koeffizienten dividiert, und daher fällt dieses Glied in
die Klasse der Glieder, die soeben als elementare Glieder definiert
wurden.
11. Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der
Glieder wachsender Ordnung der Reihe. Wir wollen jetzt ein Bei-
spiel für die zweite Art von Verfahren geben, die Lösung des Problems
in der Form einer trigonometrischen Reihe zu erhalten. Die Methode,
die wir hier entwickeln, ist die von Ländstedt®‘) und Poincare.®”)
Betrachten wir das restringierte Dreikörperproblem; wir können
das Gleichungssystem auf die Form
de 28 dp oH
ea u
bringen (Nr. 2). Diejenigen Glieder von H, die von der kleinen
Größe u unabhängig sind, bezeichnen wir mit H,; es ist
= 1, 2)
1
H=;,;t"%%-
Die Funktion H— H,, die den Faktor u besitzt, ist eine periodische
Eunktion von p, und 9,; wir bezeichnen sie mit uH,. Für u=0
sind q, und g, konstant. Wenn die kleine Größe u von Null ver-
81) Paris C. R. 47 (1883), p. 1276, 1353; Astr. Nachr. 107 (1888), p. 197;
Annales de l’Ecole Normale (3) 1 (1884), p. 85. Eine Lücke in Lindstedts Arbeit
wurde von Poincare ausgefüllt, Bull. Astr. 3 (1886), p. 57, der durch eine An-
wendung des Greenschen Theorems bewies, daß in jeder Lindstedtschen An-
näherung nur ein säkulares Glied auftritt, und daß man dieses stets weg-
schaffen kann.
82) Acta Math. 13, p. 1; Möth. Nouv..IL. H.e. Zeipel, Bihang till K. Sv.
Vet.-Ak. Handl. 24 (1898), Nr. 8, leitet auf eine neue Weise die Lindstedtschen
Reihen ab und erhält die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für ihre
Existenz; er zeigt ferner (ibid. 26 (1901), Nr. 8) daß die Lindstedtschen Reihen
für die Bewegung eines kleinen Planeten nicht existieren, wenn die Neigung der
Bahnebene des kleinen Planeten eine bestimmte Grenze übersteigt.
11. Die Lösung des Problems durch sukzessive Bildung der Reihenglieder. 547
schieden ist, und wenn &, und &, die Anfangswerte von q, und
bezeichnen, so sind die Größen q, — &, und 9 — &, von derselben
Größenordnung wie u. Setzen wir
oH,(&; OH,(&, , &)
Bun ai an &,) De se 2)
so sind die Größen
OH, (4 , %) Piz Be 0H, (4, %) 3ER
BR a a n, und 24, Ng
von derselben Größenordnung wie u; wir können also schreiben
2H, >H,
ZT mu — da Petr 9).
Die Bewegungsgleichungen lassen sich auf die folgende Form bringen:
ag, _ „OH: 4% __ „A
area a Zn’
mtl), Beamten 4)
Fassen wir jetzt die Variablen g,, 9, P,, 25, die wir bisher als
Funktionen von ? aufgefaßt haben, als Funktionen der zwei Veränder-
lichen &, =4,t+ 8, @ = 4,t-+ : auf, wo A,, A, zwei Konstanten
bedeuten, die wir später bestimmen werden, und &,, &, Integrations-
konstanten sind. Unser Gleichungssystem bekommt die Form:
u 04 ua ah
hı do, + Ag do, Kaya Mon, ,
12% 0% OH, _
hd, u (1)
0) 0 "04H,
hde, +4 1 Fee nu) 9,
°P dpa oH\
Aa, rt Ar Gem ul 5) 0.
Diese Größen können in Potenzreihen nach u .entwickelt werden:
ht ti Fast
n—- 9 =um tw +:
,=ohtuhtesht
= tun + ut,
B—- 9 =um + wm +.
»=ohtmht WR gig ur
wo die Koeffizienten ‚2, Konstante und die Ausdrücke ,‚p,, ‚q, nach den
Vielfachen von ©, und ®, geordnete trigonometrische Reihen be-
548 VI, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
deuten. Setzen wir diese Entwicklungen von A,, Ay, 21 Pa, 4; % in
die linken Seiten der Gleichungen (1) ein, so erhalten wir vier Potenz-
reihen von u, deren Koeffizienten trigonometrische Reihen von o,
und ®, sind; wir bezeichnen diese Funktionen mit ®,, ®,, ®,', 8. —
Das Theorem von Lindstedt lautet folgendermaßen: Wie groß
auch die ganze Zahl k gewählt ist, es ist stets ın“glich, die Konstanten
oA, ıdı, ERS PIE ofg, 1dg, RN »l8
und die trigonometrischen Reihen
oQı> **» alı» 09a ler 1Pır -»-aPır 1ıDas --» aPa
derart zu bestimmen, daß in.der Entwicklung von ®,, ®,, ®,', ®, das
von u freie Glied und die Koeffizienten derjenigen Glieder, deren Ord-
nung in bezug auf u nicht größer als k ist, verschwinden; mit anderen
Worten, daß die Bewegungsgleichungen bis auf Glieder (k + 1)" Ordnung
in u befriedigt werden.
Wir finden zuerst
Amann, Am Ast Rt
wobei y, und %, Integrationskonstanten bedeuten, von denen wir an-
nehmen, daß sie von der Größenordnung von u sind.
Nehmen wir an, wir hätten die Werte
A da +. 14 0% +7 %-105 1Po --» x-ıP =1,2)
gefunden, und suchen ;A,, zAg, z1> 92 »Pı, »2s zu bestimmen. Diese
Größen sind aus der Bedingung zu bestimmen, daß in ©,®,®,,®,
der Koeffizient von u* verschwinden soll; wir erhalten also ein
Gleichungssystem, das wir in der folgenden Form schreiben können:
+ m. ch —X, N. a4 md —X,
Mn ee ng + Ah=J do nu na +4h=J,-
wobei n X,, Y,, Y, bekannte trigonometrische Reihen bedeuten.
Die Auflösung dieser Gleichungen ist möglich, wenn
1. das Verhältnis »,/n, inkommensurabel ist, was wir annehmen
wollen,
2. die von ®, und o, unabhängigen Glieder in den trigonometri-
schen Reihen X,, X, verschwinden; diese Tatsache kann mit Hilfe
der ritirirmilen bewiesen Veran,
3. die von @, und ®, unabhängigen Glieder in den krigonometri-
schen Reihen Y,, Y, mit ‚A, bzw. ‚A, identisch sind; wir können diese
Bedingung erfüllen, indem wir ‚A, und ‚A, passend wählen; Die Auf- _
12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. 549
lösung dieser Gleichungen ist also stets möglich, womit das Theorem
von Lindstedt bewiesen ist.
Das allgemeine Dreikörperproblem kann in ähnlicher Weise be-
handelt werden; wir gelangen zu demselben Resultat wie in Nr. 10
mit dem Vorteil, daß die Entwickelbarkeit nach Potenzen von u an-
schaulicher in Evidenz gesetzt ist. Wir können also sagen, daß die Diffe-
rentialgleichungen für die Koordinaten im Dreikörperproblem formal
befriedigt werden durch unendliche Reihen, die nach Potenzen des
kleinen Parameters u fortschreiten, der von der Ordnung der kleinen
Massen ist; die Koeffizienten dieser Potenzreihen sind unendliche
Reihen, deren Glieder Sinus und Kosinus von linearen Funktionen
der fünf Argumente
Berttn, Buhtt, Bmhttg, B-htite, B—htts
sind (&,, &9, &3, &4, & sind willkürliche Konstanten) multipliziert mit
von den anderen Integrationskonstanten abhängigen Konstanten. Zwei
der Größen ß, etwa ß, und ß,, sind wieder näherungsweise gleich den
mittleren Anomalien der beiden kleinen Massen in ihren instantanen
Bahnen um die große Masse, während die anderen drei Argumente
ßs, ß,, ß, nur langsam veränderlich®®) sind.
12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. Wir
haben gesehen, daß man die Differentialgleichungen für die Koordinaten
im Dreikörperproblem formal erfüllen kann durch Reihen von der Form
htuhtehrt
wobei fy, fi, fa, - . - selbst unendliche Reihen von der Form
Be On Be (nB, + +n,B;)
ne =—n
sind und
B,=4t+ 8,
ist; wir untersuchen jetzt die Konvergenz dieser Reihen. Diese Unter-
suchung zerfällt natürlich in zwei Teile: 1. Die Konvergenztheorie
der Reihen f, fi, fa, . . . und 2. die Konvergenztheorie der vollständigen
Reihe , tu tu + :-
Wir behandeln zuerst die Reihen
Be Cn,: 40% or (n,B, Es Reh am n,ß}).
my R=—n
83) Poincare gab eine andere Ableitung dieser Reihen, Bull. Astr. 14 /1897),
p. 241.
550 VIs,12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Aus den Gleichungen, mit deren Hilfe wir sukzessive die Funktionen f,
nach der Lindstedtschen Methode berechnet haben, sehen wir, daß
diese Reihen aus anderen bekannten Reihen (die sich schließlich aus
der Störungsfunktion ergeben) durch Integration nach der Zeit ab-
geleitet wurden. Dabei erhält der Koeffizient c, „myn,...,n, den
Divisor nA, ++ n,A,. Da die Konvergenz der Entwicklung der
Störungsfunktion denselben Charakter hat, wie die einer Potenzreihe
von mehreren Variablen, in der der Koeffizient des Gliedes mit dem
Argument (n,ß, ++ n,ß,) in bezug auf die Variabeln von den
Ordnungen |n,|, |ns|,...., |n,| ist, so hat die Konvergenz der be-
trachteten Reihen denselben Charakter wie die der Reihe
a Imigml glmgl
= PEN.
mt tm
Ay N=—S
Nehmen wir der Einfachheit halber k = 2, so können wir die Frage
auf die Untersuchung der Konvergenz der Reihen von dem Typus
ZIEL
m=1in=
einschränken, wo A die positive Zahl Fa ist.
Der Wert der Konstante A häugt von den willkürlichen Inte-
grationskonstanten ab; wenn A eine rationale Zahl ist, so ist die
Reihe offenbar divergent, da die Glieder, für die = —= A ist, unend-
lich werden. Wenn A eine ganze algebraische Irrationalität ist®%),
d. h. die Wurzel einer irreduziblen algebraischen Gleichung mit ganz-
zahligen Koeffizienten
2A... EO-O,
so ist die Reihe konvergent, wie wir sofort zeigen werden. Zu diesem
Zweck multiplizieren wir Zähler und Nenner jedes Gliedes der Reihe
DIE at
m=1in=
(m—nA)(m—nA}").
mit dem Produkt
wobei A’, A”,.... die anderen Wurzeln der Gleichung sind. Der
Nenner wird ein Polynom in m und n mit ganzzahligen Koeffizienten ;
und da er nicht verschwinden kann, muß er mindestens gleich 1
84) Diese Bemerkung rührt von Bruns her, Astr. Nachr. 109 (1884), p. 216.
12. Die Konvergenz der Reihen der Himmelsmechanik. 551
sein. Der Zähler ist ein Polynom (s— 1)" Grades in m und n; man
sieht unmittelbar, daß in diesem Falle die Reihe konvergiert.
| Es ist übrigens leicht zu zeigen®®), daß es unendlich viele irrationale
Werte von A gibt, für die die Reihe divergiert; man sieht auch, daß
in jedem noch so kleinen Intervall unendlich viele Werte von A exi-
stieren, wo die Reihe konvergiert, und unendlich viele, wo die Reihe
divergiert. Es liegen also in jedem noch so kleinen Gebiete der reellen
Variablen A,, . . ., A, unendlich viele Wertsysteme dieser Konstanten, für
die die Teilreihen von f komvergieren, und unendlich viele Wertsysteme,
für die sie divergieren.
Die Folgen der Divergenz dieser Reihen kann man indessen um-
gehen durch Anwendung eines Kunstgriffes, der auf der Willkürlich-
keit in der Wahl der Konstanten u beruht und vermöge dessen man
erreichen kann, daß jede der Teilsummen nur eine endliche Anzahl
von Gliedern enthält. Man kann dies z. B. für ein Glied von f,, das
p”g" als Faktor besitzt (p, q sind kleine Größen von der Größen-
ordnung der Exzentrizitäten oder Neigungen der Bahn), dadurch er-
reichen, daß wir seinen Koeffizienten als von der Größenordnung »*+”+”
ansehen in bezug auf einen neuen Parameter ».
Trotzdem wird natürlich die Schnelligkeit der Konvergenz der
Reihen der Himmelsmechanik immer leiden unter dem Auftreten der
kleinen Divisoren bei den Integrationen, die von der näherungsweisen
Kommensurabilität der Größen A herrühren. Die Glieder, in denen
diese kleinen Divisoren auftreten, werden von Gylden charakteristische
Glieder genannt; sie werden in vielen Fällen im Planetensystem sehr
bedeutend. So hat in der Theorie von Jupiter und Satum eine Un-
gleichung, deren Periode 900 Jahre ist, einen beträchtlichen Koeffi-
zienten, der von dem kleinen Divisor 5n — 2n’ herrührt, wo n und n’
die mittleren Bewegungen von Jupiter und Saturn bedeuten. Noch
bedeutender werden die charakteristischen Glieder bei den kleinen
. Planeten vom Hekubatypus. Methoden zur Beseitigung der Schwierig-
keiten, die von dem Auftreten der charakteristischen Glieder herrühren,
sind von vielen Seiten entwickelt worden.®®)
856) Bruns loc. eit.
86) Vgl. den Artikel über kleine Planeten. Wir erwähnen an dieser Stelle
die Methode von Bohlin, Bihang till K. Sv. Vet.-Ak. Handlingar 14 (1888), Nr. 5;
Astr. Nachr. 121 (1889), p. 17, der durch Anwendung der Jacobi-Hamiltonschen
Theorie Reihen erhielt, bei denen die Divisoren ganze Zahlen sind; Bohlins
Arbeiten wurden von Poincare, Meth. Nouv. II, Ch. 19—21 weitergeführt. Vgl.
auch Charlier, Archiv för Math. 1 (1904), p. 449, der auch die Jacobi-Hamiltonsche
partielle Differentialgleichung benutzt und zeigt, daß bei jeder Wahl der Inte-
552 VIs, 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
Nachdem wir nun die Konvergenz der Partialsummen f,, f}, fs» - --
untersucht haben, wenden wir uns zur Diskussion der Reihe vom Typus
htrehitehr +»
die die Koordinaten im Dreikörperproblem darstellt. Es wurde von
Poincare gezeigt?”), daß diese Reihe ‚nicht gleichmäßig konvergent
sein kann für alle Werte der Zeit und für alle Werte der Integrations-
konstanten, die in einem endlichen Gebiet liegen. Nehmen wir näm-
lich an, die Reihe wäre gleichmäßig konvergent; wir könnten dann
aus ihr periodische Lösungen ableiten, wenn wir den Integrations-
konstanten solche Werte erteilen, daß die Größen A kommensurabel
ausfallen. Die charakteristischen Exponenten dieser periodischen
Lösung werden gefunden durch Differentistion der Reihe nach den
willkürlichen Konstanten; bezeichnen wir mit x eine der Koordinaten,
mit ® eine der willkürlichen Konstanten, so müßten wir erhalten:
0
eP Aaa0}
WO &3; %y,... die charakteristischen Exponenten der periodischen
Lösung bedeuten, und 9,(tf) periodische Funktionen der Zeit sind,
deren Periode mit der der Lösung übereinstimmt. Nun können aber
aus der Differentiation unsrer trigonometrischen Entwicklungen niemals
Exponentialgrößen e** entstehen, deren Periode von der Periode der
Ausgangslösung verschieden wäre. Daraus würde aber folgen, daß alle
charakteristischen Exponenten der periodischen Lösung verschwiuden;
da dies unmöglich ist®®), erhalten wir das Theorem, daß die Reihe
nicht gleichmäßig konvergent sein kann für alle Werte der Zeit und
für alle Werte der Integrationskonstanten in einem endlichen Gebiet.
Charlier®®) hat die Konvergenz der Reihe
htuhitehr +:
direkt untersucht mit Hilfe eines Theorems von Cauchy und Poincare,
das folgendermaßen lautet:°)
Betrachten wir die Differentialgleichungen
dx; ;
Fr. ZC7E Bye y Zt, Mi) G=1,2,..,n)
grationskonstanten die Größe A so bestimmt werden kann, daß die Reihe kon-
vergiert.
87) Acta Math. 13 (1880), p. 249; Möth. Nouv. II, Ch. 13, vgl. auch Schwarz-
schild, Phys. Zeitschr. 4 (1908), p. 765.
88) Poincare, loc. eit.
89) Bull. Astr. 19 (1902), p. 380.
90) Möc. Cei. I, p. 58.
18. Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den Reihen. 553
und sei
= 0;(t, u)
eine Lösung dieser Gleichungen, bei der die Anfangswerte von z,,.. .,z,
verschwinden für {=0. Nehmen wir an, daß für alle Werte von t
zwischen 0 und 4, die Funktionen 9,,..., p, in Potenzreihen nach
u und 2, — 8,(1,0) i=1,...,n) entwickelbar sind, deren Koeffizienten
noch von t abhängen. Es lassen sich dann die Funktionen
9,4, u), . .., 0,(6, u)
für alle Werte von t zwischen O0 und , in eine nach den Potenzen
von u fortschreitende Reihe entwickeln für hinreichend kleine Werte
von |w. |
Charlier zeigt nun, daß der Radius dieser Potenzreihe in u
gegen Null konvergiert, wenn {, über alle Grenzen wächst; wenden
wir dieses Theorem auf die Differentialgleichungen des Dreikörper-
problems an, so erhalten wir das Resultat, daß die Entwicklungen
der Lösungen des Dreikörperproblems nach Potenzen der störenden
Massen zwar konvergent sind, doch die Konvergenz ist keine gleich-
mäßige, da der Konvergenzradius (in den Massen) eine Funktion der
Zeit ist.
Ein Fall, wo die Reihen, die die Lösung des Dreikörperproblems
darstellen, nach einer bestimmten Zeit sicherlich aufhören müssen zu
konvergieren, ist der Fall des Zusammenstoßes zwischen zweien der
drei Körper. Painleve’‘) deutete an, daß die Anfangsbedingungen,
die einem Zusammenstoß entsprechen, zwei verschiedene analytische
Bedingungen erfüllen müssen, die im Falle des ebenen Dreikörper-
problems in eine einzige Bedingung übergehen; Painleve zeigte auch ”?),
daß diese Bedingungen nicht algebraisch sein können. Levwi-Oivita®?)
hat den Charakter dieser Bedingungen im Falle des restringierten
Problems näher untersucht und gezeigt, wie man sie finden kann.
Bisconcini”*) erweiterte Levi-Civitas Resultate auf das allgemeine Drei-
körperproblem und verifizierte die Andeutungen von Painleve.
13. Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den
Reihen der Himmelsmechanik. Der Unterschied zwischen den säku-
91) Paris C. R. 123 (1896), p. 871; Legons sur la theorie analytique des
€quations differentielles. Paris 1897, p. 586.
92) Paris C. R. 125 (1897), p. 1078.
93) Annali di Mat. 9 (1903), p. 1: Paris C. R. 136 (1903), p. 82, 221. Acta
Math. 30 (1906), p. 305.
94) Rend. della R. acc. d. lincei (5) 12 (1903), p. 552; Acta Math. 30 (1906),
p. 49. Vgl. ferner Sundman, Acta Soc. Scient. Fenn. 34 (1907), Nr.6; Block,
Stockholm Arkiv för Mat. 5 (1908), Nr. 9: Medd. frän Lunds Obs. 2, Nr. 6.
554 VI2,12. ET. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
laren und periodischen Störungen der elliptischen Elemente der Planeten-
bahn wurde schon erläutert. Laplace”°) zeigte, daß eins dieser Ele-
mente — die miillere Entfernung oder die halbe große Achse der
Bahn — keine säkularen Störungen erfährt, wenn man diejenigen
Glieder vernachlässigt, die von höherer als 1. Ordnung in den Massen
oder von höherer als 2. Ordnung in den Exzentrizitäten und Neigungen
sind; Lagrange”) wies nach, daß das Resultat richtig bleibt, wenn alle
Potenzen der Exzentrizitäten und Neigungen mitgenommen werden;
Poisson®") bewies schließlich die Richtigkeit des Theorems auch für
den Fall, daß die Quadrate der Massen mitgenommen werden. —
Mathieu”) erweiterte diese Untersuchungen in der Weise, daß er
auch Glieder 3. Ordnung in den Massen berücksichtigte. Mit Hilfe
der Jacobischen Transformation ersetzte er die Sonne und die Planeten
durch drei fiktive Planeten, die sich um ein festes Zentrum in Bahnen
bewegen, die homothetisch mit den wirklichen Bahnen sind. Er zeigte
durch Entwicklung der Störungsfunktion bis zu den Gliedern 3. Ord-
nung in den Massen, daß die reziproken mittleren Entfernungen keine
säkularen Störungen dieser Ordnung erfahren. Poisson®) glaubte
bereits ein Resultat bezüglich der Nichtexistenz säkularer ' Störungen
3. Ordnung in den mittleren Entfernungen erhalten zu haben. Haretu:%)
zeigte jedoch, daß Poisson bestimmte Glieder dieser Klasse weggelassen
hat, und bewies, daß diese Glieder tatsächlich eine säkulare Störung
zur Folge haben; daher haftet das Theorem über die Invariabilität
der großen Achsen an den Gliedern 2. Ordnung in den störenden
Massen.
Eginitis zeigte!"'), daß die säkularen Störungen 3. Ordnung der
mittleren Entfernungen nur von dem Glied
1 ( ii
n?a?
herrühren, wobei Ei das Aggregat der Glieder 1. und 2. Ordnung
95) Paris. M&m. des Savans Etrangers 7 (1773).
96) Mem. de l’Acad. de Berlin (1776).
97) Journal de l’Ecole Polyt., cah. 15 (1808), p. 1. Poissons Beweis wurde
von Tisserand vereinfacht, M&m. de l’Acad. de Toulouse (7) 7, p. 374, Annales
de l’Ecole Normale Sup. (2) 7. p. 261 (1875—76). Tisserand wendet die Jacobi-
Radausche Transformation an und reduziert das Dreikörperproblem auf ein
Problem 12. Ordnung, bei dem nur eine einzige Störungsfunktion auftritt.
98) Paris C. R. 79 (1875), p. 1045; J. f. Math. 80 (1875), p. 97.
99) Me&moires de l’Acad. des Sciences I (1810), p. 58.
100) Paris ©. R. 85 (1877), p. 504; Obs. de Paris ann., mem. 18 (1883).
101) Paris ©. R. 108, p. 1156; Obs. de Paris ann., mem. 19 (1889).
18. Eigenschaften der Koeffizienten besonderer Glieder in den Reihen. 555
bedeutet. Er zeigte zugleich, daß solche Störungen in der Tat auf-
treten, und daß sie periodisch sind, wenn auch von sehr großer Periode.
Der Übergang von der alten Planetentheorie mit ihren säkularen
und periodischen Störungen zu der modernen Himmelsmechanik, bei
der alle Glieder periodisch sind, berührte natürlich auch die Theoreme
dieser Art. Tisserand'’?) gab die neue Fassung des Theorems der
Invariabilität der großen Achsen, wenn die Lösung des Dreikörper-
problems durch Reihen ausgedrückt ist, wie die der Delaunayschen
Mondtheorie. Er zeigte, daß das Theorem nicht richtig ist, wenn
man auch diejenigen Glieder berücksichtigt, die 4. Ordnung sind in
bezug auf das Verhältnis der mittleren Bewegungen.
Rein vom modernen Gesichtspunkte aus wurde die Frage behandelt
von Andoyer‘®), Hill!%) und Poincare'®), welcher bewies, daß in
dem restringierten Dreikörperproblem der Ausdruck der mittleren
Entfernungen eine bestimmte Klasse von Gliedern, die den säkularen
Gliedern der alten Theorie entspricht, nicht enthält, wie weit man
auch die Annäherung führt.
Einige merkwürdige Resultate verwandter Richtung fand Adams!'®)
in der Mondtheorie. Bezeichnen wir mit e die Exzentrizität der Mond-
bahn und mit y den Sinus der halben Neigung der Mondbahn gegen
die Ekliptik (diese Größen sollen wie in der Delaunayschen Theorie
definiert sein): sei » die mittlere Bewegung des Mondes, (1 — c)n die
mittlere Bewegung des Mondperigäums, (1 — g)n die mittlere Bewegung
des Mondknotens, & die mittlere Entfernung und v der Radius vector.
Der nichtperiodische Teil von = gestattet eine Entwicklung der Form:
A+Be& +07 + Et +2Fe?+Gy%+--:
wobei A, B,C,... Funktionen der Exzentrizität der Erdbahn und
des Verhältnisses der mittleren Bewegungen von Sonne und Mond
sind. In ähnlicher Weise bezeichnen wir mit He? + Ky? die Glieder
von c, die e? und y? enthalten, und mit Me? + N? die entsprechenden
Glieder von g. Adams’ Theorem lautet
;
B=0, C=0, EK—FH=0, FN—GM=0.
Alle diese Resultate werden durch denselben Prozeß gewonnen, der
102) Paris C. R. 106 (1888), p. 788.
103) Annales de la Fac. de Toulouse 4 (1898); Obs. de Paris ann., mem. 23 A
(1902).
104) Astron. Journ. 24 (1904), p. 27.
105) Meth. Nouv. II (1893), p. 109; Bull. Astr. 14 (1897), p. 261.
106) Lond. Astr. Soc. Monthly not. 38 (1878), p. 460.
556 VI», 12. E. T. Whittaker. Prinzipien der Störungstheorie.
für das erste folgendermaßen geschildert werden kann: es werden
zwei Monde betrachtet, von denen die Bahn des einen weder eine
Exzentrizität noch eine Neigung, die des anderen keine Neigung be-
sitzt. Es wird gezeigt, daß eine bestimmte Funktion der Koordinaten
der. beiden Monde eine periodische Funktion ist, und dies hat das
Verschwinden der Größe B zur Folge.
Diese Resultate wurden von E. W. Brown”) und Picart’%) er-
weitert. Andere Eigenschaften der Koeffizienten. bei der Lösung des
allgemeinen Dreikörperproblems durch trigonometrische Reihen wurden
von Newcomb'®), Siacci"") und E. W. Brown'!") gefunden.
107) Amer. Journ. Math. 17 (1895), p. 318; Trans. Amer. Math. Soc. 4 (1903),
p. 284; Proc. Lond. Math. Soc. 28 (1897), p. 148.
108) Paris ©. R. 181 (1900), p. 63—68.
109) Paris C. R. 75 (1872), p. 1750.
110) Paris C. R. 77 (1878), p. 1288.
111) Proc. Lond. Math. Soc. 28 (1897), p. 130. In dem Resultat (X) dieser
Arbeit findet sich ein Versehen, das aber den weiteren Teil nicht beeinflußt.
(Abgeschlossen im März 1912.)
VIs3,13. H.v, Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion 557
VI 2,13. ENTWICKLUNG DER STÖRUNGS-
FUNKTION.
Von
H. v. ZEIPEL.
IN UPSALA.
Inhaltsübersicht.
Einleitung.
1. Allgemeines über die Störungsfunktion und ihre Ableitungen.
1. Kreisbahnen in einer Ebene.
2. Koeffizienten db von Laplace.
3. Reihenentwicklungen derselben
4. Integralausdrücke derselben.
5. Ältere Berechnungsmethoden.
6. Methode von Newcomb.
7. Koeffizienten von Cauchy.
8. Koeffizienten von (ylden.
9. Koeffizienten von Radau.
10. Tafeln.
1I. Kreisbahnen in geneigten Ebenen.
11. Koeftizienten b"’ von Jacobi.
12. Integralausdrücke derselben.
13. Rekursionsformeln von Jacobi.
14. Entwicklungen bei kleiner Neigung.
15. Entwicklungen von Tisserand.
16. 17. Entwicklungen von Hansen.
18. 19. Appelsche hypergeometrische Entwicklungen.
20. Berechnungsmethode von Sundman.
IIL. Entwicklungen nach Potenzen von e und €,
21. Methode von Leverrier.
22. Methode von :Newcomb.
Encoyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 37
558 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
28. Entwicklungen von Cauchy.
24. Entwicklung von Gylden.
25. Entwicklung von Hill.
26. Gruppenentwicklungen von Bohlin.
27. Zweiter Teil der Störungsfunktion.
28. Kanonische Elemente.
IV. Entwicklungen nach Potenzen des Verhältnisses der großen Achsen.
29. Koeffizienten X;"”” von Hansen.
30. Störungsfunktion der Mondtheorie.
V. Konvergenz der Entwicklungen.
31. Formulierung der ersten Aufgabe.
32. Integralausdrücke der Koeffizienten.
38. 34. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale.
85. Konvergenz der Entwicklungen für die Koeffizienten A,,m und Bin
‚und B#’
m m, m“
12
86. Konvergenz der Entwicklungen für die Koeffizienten A,,’
37. Formulierung der zweiten Aufgabe.
88. Konvergenz der Entwicklung von AT".
VI. Allgemeine Theorie der Rekursionsformeln und Differentialgleichungen.
39. Formulierung der Aufgabe.
40. Reduktion einiger Doppelintegrale.
41. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen mit rationalen Koeffizienten.
42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen mit
eindeutigen Koeffizienten.
VII. Numerische Entwicklungsmethoden.
43. Unzulänglichkeit der analytischen Entwicklungen.
44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren.
45. Zweiter Teil der Störungsfunktion.
46. Entwicklungsmethode von Jacobi.
47. Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwicklungen durch mecha-
nische Quadratur.
48. Methode von Liouville.
49. Trigonometrische Interpolationsmethode von Leverrier.
50. Cauchys gemischte Methode.
51. Entwicklung von Hansen.
52. Elimination von E”.
58. Anwendung der elliptischen Funktionen.
54. Gauß' Theorie der säkularen Störungen.
VIII. Asymptotische Ausdrücke für Funktionen großer Zahlen.
65. Formulierung der Aufgabe.
56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten in der Taylorschen und
Laurentschen Reihe.
57. 58. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale.
Literatur. 559
IX. Asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten der Entwicklungen
der Störungsfunktionen.
59. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der mittleren
Anomalie des einen Planeten.
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen der beiden mitt-
leren Anomalien.
Literatur. .
Monographien.
J. Lalande, Astronomie 2, 1764; 2° &d. 8, 1771.
P. S. Laplace, Trait& de mecanique celeste I—V. Paris 1799—1827.
P.@.de Pontecoulant, Theorie analztique du systöme du monde III—IV. Paris
1834 —46.
U. J. J. Leverrier, Recherches astronomiques. Annales de l’Observatoire de Paris
IL, II, 1856-56.
P. A. Hansen, Auseinandersetzung einer zweckmäßigen Methode zur Berechnung
der absoluten Störungen der kleinen Planeten, Abh. I. Abh. d.K.S. Ges. d.
Wiss. II. Leipzig 1857.
S. Newcomb, Development of the Perturbative Function and its Derivatives in
sines and cosines of multiples of the Eccentric Anomaly, and in Powers of
the Eccentricities and Inclinaisons. Astron. Papers. III,. Washington 1884.
H. Gylden, Trait& analytique des orbites absolues des huit planötes principales 1.
Stockholm 1893.
S. Newcomb, Development of the Perturbative Function in cosines of multiples
of the Mean Anomalies and of Angles between the Perihelia and Common
Node and in Powers of the Eccentricities and Mutual Inclination. Astron.
Papers V,. Washington 1895.
Lehrbücher und Bibliographien.
H. Resal, Trait& el&mentaire de m&canique c6leste, 2° 6dition. Paris 1884.
O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen. Leipzig 1888.
F. Tisserand, Trait de Mecanique ce&leste I, II, IV. Paris 1889--96.
N. Herz, Artikel „Mechanik des Himmels“ in Valentiners Handwörterbuch der
Astronomie. Breslau 1898.
H. Burkhardi*), Die Entwicklung analytischer Funktionen in harmonische trigo-
nometrische Reihen. Jahresbericht der deutschen Mathematiker-Vereinigung,
Bd. X, Heft 2, erster Halbband. Leipzig 1901—2.
I". R. Moulton, An Introduction to Celestial Mechanics. New York 1902.
C. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels I, II. Leipzig 1902, 1907.
H. Poincare, Legons de mecanique c&leste I, IL. Paris 1906, 1907.
*) Der sehr vollständigen Bibliographie von H. Burkhardt sind viele be-
sonders von den älteren Literaturangaben entnommen.
37*
560 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Einleitung.
l. Allgemeines über die Störungsfunktion und ihre Ablei-
tungen. Mit dem Namen Störungsfunktion wird gewöhnlich die eine
oder die andere der Funktionen
a) 1 rcosH Rmt _rcaH
ee" a g\ Fu
wo
A=r+r?—2rr cosH,
bezeichnet. Hier sind r und »’ die Radiivektoren zweier Himmels-
körper, H der von r und r’ eingeschlossene Winkel (vgl. den Artikel
VI 2,14). In der Mondtheorie heißt Störungsfunktion der Ausdruck:
ha 1 ap 1
KEIM, Sa (1— o)Yr*—2r’r(1— 0) cos H+fr*(1—o)? eyVr:+@rrocosH+r’o:
Dabei bedeutet r den Radiusvektor des Mondes, bezogen auf den
Schwerpunkt der Erde, r' den Radiusvektor der Sonne, bezogen auf
den Schwerpunkt zwischen Erde und Mond, H den von r und r’ ein-
geschlossenen Winkel, « das Verhältnis zwischen der Masse des Mondes
und der Summe der Massen von Mond und Erde (vgl. den Artikel
VIa, 16). h
In der Bewegungstheorie der Himmelskörper geht man im all-
gemeinen von der elliptischen Bewegung als erster Annäherung aus.
Die erste Aufgabe für eine Berechnung der Störungen wird dann, in
die Störungsfunktion für die Koordinaten der beiden Himmelskörper
ihre Ausdrücke durch die Keplerschen Elemente einzuführen und die
entsprechende komplizierte Funktion in zweckmäßiger Weise zu ent-
wickeln.
Nach der Theorie der elliptischen Bewegung ist:
E—esnE=M, r=a(l-—ecosE)
rcosv—=alcs#E —e, rsinv=ayl— esinE.
Für den zweiten Körper gelten dieselben Gleichungen, wenn nur alle
Buchstaben gestrichelt werden. Weiter iet:
cos H = cos(r + @) cos(r’ + @') + cosJ sin(v + ®) sin(v’ + @’).
Dabei bezeichnen in Übereinstimmung mit den vorausgehenden Artikeln:
a, a’ die halben großen Achsen der beiden Bahnen; e, e’' die Exzentri-
zitäten; @, @’ die Perihellängen von der Schnittlinie der Bahnebenen
an gerechnet; .J die gegenseitige Neigung der Bahnebenen; M, M’
die mittleren, E, E’ die exzentrischen, v, v’ die wahren Anomalien.
Das Problem der Entwicklung der Störungsfunktion läßt sich
(3)
2. Koeffizienten bi? von Laplace. 561
nun in der Hauptsache so charakterisieren. Wenn man den Fall aus-
schließt, daß sich die beiden Ellipsen schneiden, ist die Störungs-
funktion für alle reellen Werte der mittleren Anomalien M und M’
endlich. Es existieren dann für sie und ihre partiellen Ableitungen
trigonometrische Entwicklungen nach den Vielfachen von M und M’,
in welchen die Koeffizienten von den übrigen Elementen a, «', e, €',
@, ©, .J abhängig sind. Das Problem besteht im wesentlichen in der
Bildung dieser Koeffizienten. Für die Integration der Bewegungs-
gleichungen für kürzere Zeit (einige Jahrhunderte) ist es hinreichend,
die Koeffizienten der trigonometrischen Entwicklungen für konstante
Werte von a, a’ usw. berechnen zu können. In diesem Falle kann
man die Koeffizienten durch mechanische Quadratur berechnen, be-
dient sich aber doch meist analytischer Entwicklungen in Gestalt von
’
Reihen, die nach Potenzen kleiner Größen, wie e, €‘, sin? Z oder a/a
fortschreiten, solange wenigstens die Konvergenz dieser Reihen ge-
nügend ist. Bei Untersuchungen über die wahre Natur der Bewegung
und über die Veränderung der Bahnen im Laufe von Jahrtausenden
ist man natürlich auf die analytische Form für die Entwicklungs-
koeffizienten angewiesen.
Es sei vorausbemerkt, daß sich die Betrachtung fasi «lurchweg
auf den sog. „Hauptteil“ der Störungsfunktion 1/A beschränkt, während
(die einfache Berücksichtigung des zweiten oder „indirekten“ Teils der
Störungsfunktion era resp. bi ge H für sich erfolgt (Nr. 27, 45).
I. Kreisbahnen in einer Ebene.
2. Koetfizienten b,® von Laplace. Wenn e, e’ und J verschwin-
den, wird die Entwicklung der Störungsfunktion einfach. Mit Ein-
führung der Bezeichnungen
uy—
[77
ml, Z2=(C R
unter c die Basis der natürlichen Logarithmen verstanden, ergibt sich
A: a?—=1+a?—2ac H=l+a— ale + )=(1—az)(l—ar}).
Die Aufgabe wird also, die Entwicklungen
ER NERE N) ie =. ı Diy0 cosiH,
i=—o
(4)
a
+»
I+e®—aß+rt)) = 3 DI 00%
i=—»
562 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
zu studieren, wo n eine ungerade positive Zahl ist. Die Größen 5
werden die Koeffizienten von Laplace genannt. Dieselben spielen in
der Theorie der Störungsfunktion eine ganz hervorragende Rolle.
Offenbar ist
u» — p®
Es genügt also diejenigen p" zu betrachten, für welche © nicht
negativ ist.
3. Reihenentwicklungen der b®. Die Koeffizienten von Laplace
können in verschiedene hypergeometrische Reihen entwickelt werden.
Es ergibt sich, unter Anwendung der Bezeichnungen
=rß+td..-vti—d), 9-1
Faßy)=1+ + ar e+ .
und
mw: ,
7 PR & ‘) ai n in i at 4a!
5) OT, a a
(+ e))
(6) ZU — cu N urle,n +hiH+l, e*)
—,i .
aD) he F-3+1,—5+i+Li+4l,e)
id le n +1
(8) EN (1, 9) (d+ ar +2 F(z +, Bi 2? ‘+ ‚ats
RER
N 5 ‘) as N Bu 1 ’ — 4a
(9) 2 (1, i) Ya ar +23 F(> un ee r 2? 2i + Ir)
(d) (5) ai n “;% — a!
ne nie
(1—aN?
A (3) ai a n IR — 1!
EN EI tree)
(1-a)?
Die ersten Glieder der Reihen (5) wurden von L. Euler!) für
1) L. Euler, Sur les inegalit6s du mouvement de Saturne et de Jupiter,
Paris 1749, $ 25, p. 26. Die Abhandlung war ursprünglich für den 7. Band des
Pariser „recueil des piöces qui ont remport6 les prix‘‘ bestimmt (Vgl. dessen Vor-
rede), ist aber in manchen Exemplaren dem 6. angehängt oder fehlt auch ganz.
8. Reihenentwicklungen der bi, 563
i=0,1,2,3 berechnet. Er entwickelte zuerst nach den Potenzen von
cos.H und ordnete nachher um, indem er von dem allgemeinen Aus-
druck von cos’ H durch cosiH, cos —2)H,... Gebrauch machte.
Die allgemeine Form dieser Reihen erkannte J. B. L d’ Alembert?). Die
Reihe (6) rührt von J. L. Lagrange?) her. Er zerlegte 1+0°—2«cosH
in die beiden komplexen Faktoren (1 — «c#V-!), (1— «c#V-1) und
entwickelte die (— 2) Potenz jedes Faktors für sich nach Potenzen
von «, multiplizierte aus und ordnete nach den Kosinus der Viel-
fachen von H. Durch Transformation der hypergeometrischen Reihe
in (6) leitete L. Euler‘) aus (6) die Formel (7) ab. C. F. Gauß?)
führte in seiner Abhandlung über die hypergeometrische Reihe noch
die Entwicklungen (8) und (9) an, die sich aus den beiden Identitäten
n
‚AN?
n 40 C08* —
(1+e)"(1+«?— 2«cos H) and Aarar
HR
4a cos? —
(1—eo)(1+a—2«cosH) n ne nn.
ergeben. Die wichtige Formel (10) wurde von A. M. hen mittels
der Methode der unbestimmten Koeffizienten gefunden. Dieselbe Ent-
wicklung sowie auch (11) wurden endlich von A.L. Cauchy”) aus
einem Integralausdruck (18) erhalten, wovon später die Rede sein wird.
Die Reihen (5)—(8) sind konvergent, wenn 0<«<‘1. Die Kon-
vergenz der Reihe (9) besteht nur, solange 0O<«<3— V8 = 0,172...
Die in (10) und (11) vorkommenden hypergeometrischen Reihen kon-
vergieren nur, wein 0 <«< 7 = 0,707... A.L.Cauchy®) und nach
ihm O. Callandreau®”) haben aber gezeigt, daß die Formel (10) auch
2) J. B. L. d’ Alembert, Recherches sur differens points importans du syst&me
du monde, 2, Paris 1754, p. 61.
8) J. L. Lagrange, Misc. Taur. 8,, 1762/65 [66], Nr. 73 = (Euvres, 1, p. 619;
Paris, recueil des ... prix 9, (1766), Nr. 18 = (Euvres 6, p. 87.
4) L. Euler, Institutiones calc. integr., 2. ed., 4, Petrop. 1794, p. 250—259.
5) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 2 (1813), Nr. 6 = Werke 3, p. 128.
6) A. M. Legendre, Exercices de calcul integral, tome 2, 5° partie, Paris
1817, Nr. 156, p. 278.
7) A. L. Cauchy, Paris 0. R. 19 (1844), p. 58 = (Euvres (1) 8, p. 248.
Reihen nach Potenzen von F u ) gibt J. Hellins, Lond. philos. trans. (1798),
p. 535, 557. nr
8) A. L. Cauchy, Paris C. R. 34 (1852), p. 159 = (Kuvres (1) 11, p. 402.
8) O. Callandreau, Paris.C. R. 115 (1892), p. 386; Journ. Ecol. Pol. (2) 7
(1902), p. 47.
564 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
für größere Werte von « mit Vorteil angewandt werden kann, wenn
nur i eine große Zahl ist. Die Reihe ist in der Tat semikonvergent,
und der Fehler ist gleich dem ersten weggelassenen Glied mit einem
echten Bruche multipliziert, wenn nur die Anzahl der mitgenommenen
Glieder größer als 5 1 ist.
4. Integralausdrücke der b{. Die Koeffizienten 5% können auch
durch bestimmte Integrale ausgedrückt werden. Die erste der Glei-
chungen (4) gibt in der Tat
nz
(12) =" | (1+a!— 2ucosy) 3 cos ivdy.
ö
Diese Darstellung fanden schon J. B. L. d’Alembert?) und A. C.
Olairaut '°).
Durch Anwendung seiner Methoden zur Lösung von Differenzen-
gleichungen fand P. S. Laplace'') die Relation
z
2
ng sin?'ap Ay
(13) W=-— “f
Vi— «!sin’y x
Dieselbe wurde später auch von A. M. Legendre'?) gewonnen, indem
er die Reihenentwicklung des Integrals nach Potenzen von «* mit der
Entwicklung (7) für n=1 verglich.
Von der Formel
za
ä de PR—N). P—i+N RES IN
Jr z ewizde— 13T Ser Ir sin'izdx
[}
ausgehend hat (. @. .J. Jacobi'?) die allgemeine Gleichung
(14) [reos=) cosirde = -— Ser Teen Sr eos) sin®'xdz
0 0
9) J. B. L.d’Alembert, Recherches sur differens points importans du systöme
du monde 2, Paris 1754, p. 66.
10) A. C. Clairaut, Paris hist. (2) mem. 1754, p. 548 (Juli 1757).
11) P. 8. Laplace, Mec. cel. livre 15, Nr. 3 (1824) = (Euvres 5, p. 873. Er-
rata Conn. d. temps pour 1828, p. 815.
12) A. M. Legendre, Trait& des fonctions elliptiques et des integrales Eule-
riennes 2, Paris 1826, appendice, sect. I, p. 536.
18) 0. @. J. Jacobi, J. f. Math. 15 (1886), p. 3, 10 [Juli 1835] = Werke &,
p- 88, 89, 98.
4. Integralausdrücke der b@. 565
abgeleitet. Aus ihr ergibt sich infolge (12):
j ee WE S>D8 ; rt sin’'pdy
15) 1 — Be
—— +
0 (i+ae? Re,
Durch Anwendung der Landenschen Transformation
sing —= nr
PR BT yealenig
ndet er:
a». +9, - a +3 —2), 2 ,
(16) DI) m 1-3 -:.- (2? —1) a
n—l
sin’ pdg (VYi—e*sin’p+«cosp
Vi-esin’g | ri
Für n=1 ergibt sich hieraus als Spezialfall die Formel (13).
Als hypergeometrische Funktionen müssen sich die b(’) auch durch
hypergeometrische Integrale ausdrücken lassen. Eine solche Darstellung
fand J. Binet'*) im Spezialfalle » = 1:
1
(17) 0 — = “ (ua) ® A de.
Eine Entwicklung nach Potenzen von « führt in der Tat auf die
Formel (6) von Lagrange. Ein allgemeinerer Ausdruck rührt von
A. L. Cauchy'?) her, der seine Theorie der komplexen Integrale nutz-
bar machte. Er nn vom Integrale
(18) 0 — VE loan ?(1—- 5) Tp-1g;
aus, wo der Integrationsweg der Einheitskreis ist. Diesen Integrations-
weg ersetzt er durch einen anderen: |z2|=«(1-+s), wonach sich
ergibt:
1 3, e -: er
1) „W=-——JI(i—es) (1) *a-tda.
z|=1+e
€ ist hier eine beliebig kleine positive Größe.
H. Poincare‘*) führte in die Theorie der Koeffizienten D@ die
elliptischen Funktionen p(u) von Weierstraß ein. Er setzte in der
Gleichung (18)
1
s=pW)—4, (=&,—6&, ware atatam I
14) J. Binet, J. Ec. Polyt. cah. 27 (1839), p. 332.
15) A. L. Cauchy, Paris C. R. 15 (1842), p. 266 = (Euvres (1) 7, p. 97.
16) H. Poincare, Legons de me&ec. eel. 2 (1907), p. 57.
566 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
womit folgt:
dan) @— a), Ep (m)
und
eo) imw-L()
2 \a@
2w,
fr loW—ear rau
0
Die zu integrierende doppeltperiodische Funktion F(u) wird nur un-
endlich für v= 0, o,, ©, ©, (P(®,) = &,). Weiter ist
F(u) = F(—u), F(o,+ u) = F(o, — u).
Die Funktion F(w) ist daher linear zusammengesetzt aus den Ab-
leitungen ungerader Ordnung der Funktionen $(w), &(u — @,),v=1,2,3.
Es ist daher (n,—= &(,)):
b® —_Fn+ Yo, :
aya
wo P und @ rationale Funktionen von « sind.
A. Wilkens'') hat gezeigt, wie die Berechnung von P und Q
durch Rekursionsformeln erleichtert werden kann.
Von den Laplaceschen Koeffizienten d® sind 5 und b{!) die wich-
tigsten. Infolge der Gleichung (13) können dieselben leicht durch die
elliptischen Integrale
Fi
EB ar
ni Vi — «?sin? :
ausgedrückt werden. Man findet:
4 Py /RBeNS
(21) w—=/F, w—_ au.
F,
a
2
5, — (VI-eEnGay
ö
Andererseits ergibt sich aus (20)
1
1
«3 (« +) 9A
7 Ve ;
Für die Berechnung von F, bietet die Theorie der elliptischen
Integrale mehrere Methoden, die sehr rasch zum Ziele führen. Nach
©. F. Gauß?) ist
(23) vn
(22) b0 — ee , W—
n 1
3 a1, yı—«:)’
17) A. Wilkens, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 213, 214.
18) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 4 (1818) nr. 16, = Werke 3, p. 352.
4. Integralausdrücke der b®. 567
wo das arithmetisch-geometrische Mittel M(m, n) durch die Formeln
m—ttr, n,=Vmn,
m,_ıt Nn,-ı
m = — nn nme 92 den
M(m,n) = lim m, = lim n,
vyv=»© vr=o©
definiert ist. Diese Methode wurde besonders von P. A. Hansen'?) und
S. Newcomb?°) empfohlen. Letzterer setzt
«= sin®,
log 0) — log N — log cos — 1-log cos 0
und gibt die Werte von log N (N nahe = 2) für « = 0,45; 0,46; ...; 0,75.
R. T. A. Innes?‘) bemerkte, daß die Tafel von Newcomb Fehler in der
siebenten Dezimalstelle enthält. Er setzt
log 60) — log 8 — 2log 1 +VI— a) +N..
Die Größe 10®N, ist von F. Robbins*?) für « < 0,85 tabelliert worden
Für F, hat A. M. Legendre®®) das rasch konvergierende unendliche
Produkt gegeben:
R=-( +a)1+@)1+8):-;,
1— yı — ad,
ne 1+ Yı-a?_,’
ist. Für numerische Rechnung noch zweckmäßigere Formeln wurden
hieraus von H. Gylden®*) abgeleitet. Er fand
wo
W=«, v=1,2,3,...
Fr — * Veos0, e0s0, cos®, ... We .. 1
r R Veos0 (cos 5 con Cı 005 % )
2 2 2
wo
0,
@ = sin 6, sin 0, — tg?-", 6,=9, va1,2,3,:...
Die in der Formel (22) auftretenden Perioden ®, und 7, können
leicht durch Anwendung der sehr konvergenten #-Reihen von Jacobi
19) P. A. Hansen, Paris C. R. Suppl. 1 (1856), p. 165. [Eingereicht 1846.]
20) 5. Newcomb, Wash. Astron. Papers, vol. 3, part. 1 (1884), p. 69.
21) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 69 (1909), p. 688.
22) F. Robbins, ibid. p. 649.
23) A. M. Legendre, Trait& des fonctions elliptiques 1 (1825), p. 83.
24) H.Gylden, Stockholm Bih. K. Vet. Akad. Handl. Bd.6, Nr.16, p.26 (1881).
568 Vle,13. H.o. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
berechnet werden. Die hierfür nötigen Formeln hat H. 4. Schwarz?)
zusammengestellt. Je nachdem « < N oder «> = ‚ kommen ver-
schiedene Formeln in Anwendung. Dadurch erreicht man, daß die
Größe I, nach deren Potenzen die #-Reihen fortschreiten, stets
<e"—= 0,04321...
ist. Die Konvergenz ist deshalb immer eine sehr große.
“ ö. Ältere Berechnungsmethoden. Für die numerische Berechnung
der Koeffizienten der trigonometrischen Entwicklung von A” ist es
im allgemeinen nötig, die numerischen Werte von b® nebst deren Ab-
leitungen nach « zu kennen. Obwohl die Reihen (6) konvergent sind,
wenn |«|<1 ist, so sind sie in numerischer Hinsicht als unzweck-
mäßig zu bezeichnen, besonders wenn «>4. Es ist deshalb nötig
gewesen, andere Berechnungsmethoden aufzusuchen. Dabei haben ge-
wisse Rekursionsformeln eine wichtige Rolle gespielt.
Es seien
IF, = 1a, ß,, Pi, %) i=1,2,3,...
beliebige hypergeometrische Reihen, für welche die Differenzen
6, B—B; 779 (j=1,2,3,...)
ganze Zahlen sind. ©. F. Gauß?®) hat gezeigt, daß zwischen drei be-
liebigen der Funktionen 7", eine homogene, lineare Relation besteht
mit Koeffizienten, die rationale Funktionen von x, «, ß und 7 sind.
Nun sind die Koeffizienten d® mit allen ihren Ableitungen homogene,
lineare Ausdrücke mit rationalen Koeffizienten solcher hypergeome-
trischen Reihen. Es folgt da.aus, daß zwischen drei beliebigen der
Funktionen
a’ u%)
1 W=012..5n—1,3,8,°.)
eine homogene, lineare Rekursionsformel besteht mit Koeffizienten,
die rationale Funktionen von « sind. Mehrere von diesen Rekursions-
formeln waren schon im 18. Jahrhundert bekannt. So hatte Z. Euler?”)
die folgende abgeleitet:
(24) bit) — rs (e + 2) RE ey
” U 3
a) 2i—n+?2 *
Mit ihrer Hilfe können b®
nn)»
b®), ... berechnet werden, wenn 5 und
256) H. A. Schwarz, Formeln und Lehrsätze zum Gebrauche der elliptischen
Funktionen, Göttingen 1885, Nr. 45, p. 61.
26) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 2 (1818), nr.7, 8 = Werke 3, p. 180—131.
27) L. Euler, Sur les indgalit6s du mouvm. de Sat. et de Jup., Paris 1749,
8 26, p. 27,
5. Ältere Berechnungsmethoden. 569
d() bekannt sind. Von J. L. Lagrange”) rühren zwei Formeln her, die
”, durch d® und 2*” oder durch b” und b“”" ausdrücken. Mit
ihrer Hilfe können z. B. RR und ER durch ur und v" berechnet
werden. Eine spätere Abhandlung von J. L. Lagrange?”) drückt die
0)
Ableitung “'” durch 2° und 50, , aus. Endlich hat A. M. Legendre®)
die folgenden Formeln gegeben:
(+1) __ (2i+n)0 — (2i—n+2) vet ı
(2)
(25) bu +42 v b, e 3- RE n(1 — 0)? ?
ya ern _ At et
n+2 n+2 n(1+ «)*
Bei den Rechnungen, die P. S. Laplace und A. Boward für die
Mecanique Celeste ausführten, kam die Formel (24) zur Anwendung.
P. @. Pontcecoulant°") und später U. J. «J. Leverrier?) wiesen darauf hin,
daß diese. Formel aus zwei Gründen fehlervergrößernd sein kann.
Erstens wird b@+2 als Differenz von zwei größeren Zahlen gefunden;
zweitens tritt bei kleinen Werten von « ein Fehler in 5% stark ver-
größert in bÜ+D auf.
U.J.J. Leverrier?®) hat deshalb auf die Anwendung der Formel (24)
bei kleineren Werten von « verzichtet. In solchen Fällen berechnete
er die Funktionen 5, bW, 5®,.... und die Ableitungen derselben mit
Hilfe von Reihen, die durch eine die Konvergenz vermehrende Um-
formung aus den Reihen (6) abgeleitet wurden. Die Koeffizienten dieser
transformierten Reihen wurden später auch von $. €. Walker®) nume-
risch gegeben. Übrigens hat auch O. Uallandreau®°), ausgehend von,
der Integralformel von Cauchy dieselben Reihen behandelt und in
bezug auf ihre Konvergenz diskutiert. Nachdem die bÜ) bekannt waren,
berechnete Leverrier D$, b@, b@,... durch sukzessive Anwendung der
Rekursionsformeln (25). Aber auch diese sind, besonders für größere
28) J. L. Lagrange, Misc. Taur. 3, 1762/65 |66], n® 73 = Oeuvres 1, p. 622;
Paris, regueil des ... prix 9 (1766), n® 20 = Oeuvres 6, p. 91.
29) J. L. Lagrange, Berl. nouv. m&m. 1781 [83], n® 45 = Öeuvres 5, p. 185.
30) A. M. Legendre, Excercises de calcul integral, tome 2, 5" partie (1817),
n" 164, p. 284.
31) P. @. de Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du monde 3
(1834), p. 63.
32) U. J. J. Leverrier, Paris C. R. 10 (1840), p. 751. — Developpements sur
plusieurs points de la theorie des perturbations des planetes, Paris 1841, p. 33.
33) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 2 (1856), add. I, p. [1]—[10].
34) S. C. Walker, Amer. Ephem. Appendix 1857, p. 95—117.
35) O. Callandreau, Paris C.R. 90 (1880), p. 1540,
570 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Werte von «&, für numerische Rechnung wenig geeignet. Für die Be-
rechnung der Größen
ei v@
Te
leitete endlich U.J.J. Leverrier*) eine Reihe Rekursionsformeln ab, die
aber kompliziert und in numerischer Hinsicht ziemlich unzweckmäßig
sind. Übrigens treten die Größen (26) nicht direkt in der Leverrier-
schen Entwicklung der Störungsfunktion auf. Die für diese Entwick-
lung nötigen Größen sind tatsächlich
na
vel)
g! de’
6. Methode von Newcomb. Für die Berechnung der Größen
n—=1,3,5,..35i=0,1,2,..3j=1,2,3,...)
ame F ) BETTY. ig eh
D=u! W=2 1) n F(5, title)
und ihrer Ableitungen nach log «
{ ; a’ cd R
(27) Das Jmhäbn.
hat $. Newcomb®”) ein durch Eleganz und Schärfe ausgezeichnetes Ver-
fahren gegeben.
Newcomb führt anstatt c® eine allgemeinere Funktion
(3. Heer
(1,543)
Ft Stirn itit he)
ein. Es ist dann offenbar
(29) Dr+1 6 — NT Den + Dieas+n,
ET
Durch diese Formeln (29) können die in der Newcombschen Ent-
wicklung der Störungsfunktion vorkommenden Größen (27) für
j= 0,1,2,..., m berechnet werden, sobald die numerischen Werte
der Funktionen (28) für j= 0,1,2,...,m bekannt sind.
Zur Berechnung dieser Funktionen (28) dienen einige von New-
‚(28) EEE)
36) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 2 (1856), ch. 5, n° 4, p. 7—9.
37) S. Neweomb, Wash. Astron. Papers 8, part. 1 (1884), p. 42—47; 5, part. 4
(1895), p. 809-317.
6. Methode von Newcomb. 571
comb abgeleitete Rekursionsformeln:
30) (it 2jtn— Dad — 2tj tie)
+ in +2) HM —= 0,
(31) 2ijtn)ad 2 — it) Lak — 0,
(32) n+YB)a ne ++ Ne],
+ nat je 0.
Unter Einführung der Bezeichnung
(83) Ar ankea
E FE)
können dieselben in folgender Weise geschrieben werden:
(34) 26 2. pr |
E 1 — ge per 9?
(35) est ya (25+ 1a pl) RN) |
1 VAR apbi+n
(36) N ea. u
Hann 2a] — ann + jap’
wo P@3 und Q@ als bekannt betrachtet werden können.
Newcomb beginnt mit der Berechnung von p%?, wo k eine große
Zahl, z.B. k= 10, ist. Es ist
BE 3 F
Pr 2.+27 °*pm
Fe F(A, B, 0, e?), FR=F(AB-+I1, C+1,0),
A=7ti Bez tt, C=kHj.
Für die Berechnung von En wendet 5. Newcomb°®®) eine sehr konver-
gente Kettenbruchentwicklung von C. F. Gauß°®) an.
Nachdem in dieser Weise die p%) bekannt geworden sind, wer-
den die p@9 für i=k—1,k—2,...,3,2,1 durch (34) erhalten.
Den ersten Koeffizienten c(»9 — 5{0) berechnet Newcomb durch das arith-
metisch-geometrische Mittel [siehe (21), (23). Durch sukzessive An-
wendung der Formel (35) ergeben sich dann die c{"D, c0®,.... Da-
nach können c ,c@»),... nacheinander mittels (36) berechnet werden.
Durch die Formel (33) werden endlich nach und nach die Werte von
AI, N, 8, ... erhalten.
wo
38) $. Newcomb, Wash. Astron. Papers 3, part. 1 (1884), p. 48.
39) C. F. Gauß, Gott. comm. rec. 2 (1813), nr. 12 = Werke 3, p.-134.
572 VIe, 13. H.r. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Die von Newcomb gegebene Rekursionsformel (30) geht für j—= 0
in die Eulersche Gleichung (24) über. Rekursionsformeln dieser Art
waren schon vorher von (. F. Gauß*), C.@.J. Jacobi*') und P. A.
Hansen*?) durch Kettenbrüche aufgelöst worden.
R.T. A. Innes“®) hat die Newcombsche Methode in einem wesent-
lichen Punkte umgestaltet. Er ging von der neuen Rekursionsformel
(37) ED ui HN
n+2
aus, setzte j= 0, und drückte ci» und c@-b®9 mittels c#-», De; -®
und D?c#“-» unter Anwendung der Formeln (29) aus. Es ergab sich
in dieser Weise und nach m-facher Differentiation
n? Dr ce”
0, {+ Der
[4 Dee
Nachdem die Größen D’c®) nach Newcombs Methode (für » = 1)
berechnet worden sind, ergeben die Formeln (38) nach und nach die
Werte von Dic®, D/ic® usw.
In einer späteren Abhandlung bemerkt R.T. A. Innes“), daß in-
folge (38) die Größen c@, c@, c@, usw. nebst ihren \bleitungen elimi-
niert werden können. Die Koeffizienten der Störungsfunktion werden
dann (siehe Nr. 22) linear zusammengesetzt aus den b® und ihren
Ableitungen in bezug auf log«. Damit gewinnt man aber keine Ver-
einfachung in numerischer Hinsicht.
(38)
%. Koeffizienten von Cauchy. Aus den numerischen Werten der
Funktionen (26), die U. J. J. Leverrier*?) für die verschiedenen Kom-
binationen der Hauptplaneten gegeben hat, geht hervor, daß dieselben
mit wachsender Ordnungszahl 5 abnehmen, wenn «< 4, daß sie da-
gegen zunehmen, wenn «> }. In strenger Weise hat später F\ Tisse-
rand*“*) bewiesen:
PB TEC) 4.
(39) ee I
aa ji de |oo, wenn «> }-
40) C. F. Gauß, Nachlaß, Werke 8, p. 84 (1813?).
41) C. @. J. Jacobi, Astr. Nachr. 28 (1848), p. 77, 78 = Werke 7, p. 156.
42) P. A. Hansen, Paris C. R. Suppl. 1 (1856), p. 163. [Eingereicht 1846.]
Leipzig Ges. Wiss. Abh. 2 (1855), Nr. 5, p. 187.
43) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 69 (1909), nr. 8, p. 635.
Die Formel von Innes p. 635, 1.7 scheint von einem Druckfehler entstellt zu sein.
44) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 70 (1909), nr. 2, p. 194.
45) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 2 (1856), p. 67—86.
46) F. Tisserand, Paris C. R. 90 (1880), p. 1021, 1093.
7. Koeffizienten von Cauchy. 573
Diese Arbeit von Tisserand veranlaßte einige weitere Unter-
suchungen über den asymptotischen Wert der Funktion (26) für
große j. O. Callandreau?‘) leitete das Hauptglied des asymptotischen
Ausdruckes ab. Auf Grund einer sehr allgemeinen Methode, von der
in Nr. 56 die Rede sein wird, hat J. @. Darboux*?) die fünf ersten
Glieder gegeben. Später hat J. @. Darboux‘”) sein Resultat auch in
anderer Weise wiedergefunden.
Es folgt aus der eben besprochenen Eigentümlichkeit der Funk-
tionen (26), daß die numerischen Werte der Koeffizienten der Störungs-
funktion für große « als Differenzen von großen Zahlen erhalten
werden, wenn diese Koeffizienten aus den Funktionen (26) aufgebaut
sind. Um diesem Übelstand abzuhelfen, führte A. L. Cauchy’) andere
Transzendenten ein. Er setzte
(m) 1 a ah a;
(0) ON — je fein a) 3 (14) Farr-tae.
x =1+8:
Es ist also, infolge von (19)
us Ye 0)
(41) dern. an steht, dam Eher
b &, 5) (dat) (2.5) (das)?
In hypergeometrischen Reihen ausgedrückt, wird
N. .
’ u r, +5) RE INN OR AN
a) = FE tt th iHir te):
Die Koeffizienten von Cauchy sind sehr eng mit den e“ 9 von New-
comb verwandt. Es ist in der Tat, infolge (28) und (42)
(43) | 9" — 6.
u-j n+zi+sj—1 ;
„+ (> i ;) & 2
Durch partielle Integration der rechten Seite der Gleichung (40)
erhielt Cauchy°!) die Rekursionsformel
(4) ne" = 2 +5+N)O"° + (2j+n)aro"?
j+1 i+.j+2"
47) O. Callandreau, Paris C. R. 90 (1380), p. 1154, 1201.
48) J. @. Darboux, Paris C. R. 90 (1880), p. 1416.
49) .J. @. Darboux, Paris C. R. 90 (1880), p. 1472.
50) A. L. Cauchy, Paris C. R. 15 (1842), p. 255, 301, 357, 478 — (Euvres (1)
7, p- 86, 101, 104, 121.
51) A. L. Cauchy, Paris C. R. 15 (1842), p. 483 = (Euvres (1) 7, p. 126 (Cauchy
gibt eigentlich fehlerhaft Bas +„ Im letzten Glied der Gleichung (44)).
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 38
574 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Mit ihrer Hilfe können die or mit den Indizes n=3,5,... be-
rechnet werden, wenn die oN bekannt sind. Die Rekursionsformel (44)
spielt also dieselbe Rolle wie die Gleichung (37) von Innes. Die beiden
Gleichungen sind aber nicht zusammenfallend.
Noch andere Rekursionsformeln zwischen den eo wurden von
F. Tisserand®?) abgeleitet.
8. Koeffizienten von Gylden. 25 Jahre später, aber wie es
scheint, unabhängig von Cauchy, führte A. Gylden®®) die nach ihm ge-
nannten Koeffizienten y”” ein durch die nur wenig von Cauchys
Gleichung (41) abweichende Definition
wir.
m +i+2 az 2,9)
(45) vn ER
Aus dieser Formel ergibt sich im Vergleich mit (41) und (43):
g 8
(2) 2
ni \2") Rt) 8 )
(46) EN 9,,= Razer a
Aus den Rekursionsformeln (37) und (44) bzw. folgen also für
die y-Koeffizienten zwei entsprechende. Auf die zweite von diesen hat
HB. v. ir ke die Aufmerksamkeit gelenkt. Mit ihrer Hilfe können
die Y ih . berechnet werden, wenn die y bekannt sind. Die-
selben fe RE als die von H. Gylden®s) für denselben Zweck
abgeleiteten.
Die Berechnung von Ye führt Gylden auf die Berechnung Bo
Transzendenten
Te
(47) +) _2 sin“ pdy
i ”) Vi eranyPtt
zurück.°®) Der Integralausdruck (13) in der Be (45)
für n=1 eingeführt, gibt ihm
Ir SR: 2) rr gas+i)
(48) 1.0 a“ # ß;
Infolge der ersten der Gleichungen (46) ist ß/}"” nichts anderes
als die von Cauchy eingeführte Funktion on. Übrigens hatte auch.
62) F. Tisserand, Paris C. R. 90 (1880), p. 557.
58) H. Gylden, Astr. Nachr. 70° (1867), p. 151.
54) H.v. Zeipel, Stockholm, Arkiv för matematik etc. -Bd.7, Nr. 3 (1911), p. 1.
56) H. Gylden, Stockholm, Bih. K. Vet. Akad. Handl. Bd. 7, Nr. 2 (1882),
p.51,. 52; Orbites absolues 1 (1898), p. 386, 887.
8. Koeffizienten von Gylden. 575
Scheibner°®) diese Transzendenten für die Entwicklung der Störungs-
funktion angewandt. Aber H. Gylden gebührt das Verdienst, geeignete
Formeln für die Berechnung von pe’ has gegeben zu haben. Für
diesen Zweck leitete er Rekursionsformeln ab, die als Spezialfälle
(für n— 1) der Newcombschen Gleichungen (30) und (31) betrachtet
werden können. Bei Auflösung derselben benutzte A. Gylden?”)’?) eine
Methode, die nur in bezug auf die Bezeichnungen von dem Newcomb-
schen Verfahren für n = 1 abweicht.
Es ist zu erwähnen, daß P. Harzer®®) und O0. Callandreau°®) die
Koeffizienten 8 nach der Formel (47) mittels mechanischer. Quadra-
turen — in speziellen Fällen — leicht und genau berechnet haben.
Die Koeffizienten von Laplace können in verschiedenen Weisen
durch die Gyldenschen 8 ausgedrückt werden. J. ©. R. Radau®!) hat
1 Pr i+2v a(n+2») (n+2r) 5 i+2r „(2r—1)
zb be ke BT v M,« lg
v=0 v=0
wo K,, L,, M, gewisse rationale Zahlen sind, von welchen K,>0,
L,>0, (-1M,>®.
F. dh nö: ‚ von der Definitionsgleichung (45) für
nl ausgehend, * linear durch die er a (k=0, 1, rd)
aus. In Kittghkehrbär in hat A. Wilkens®®) kelancken der Form
a’ v9 - Ka oe, R
=D N Ip y G=1,2,3, 4)
j
da k=0
wo die N} positive ganze Zahlen sind, gegeben. Diese Formeln sind
für die Berechnung der Ableitungen von o. zweckmäßiger als die
Leverrierschen. Offenbar könnte man analoge Formeln auch für
n=3,5,... ableiten.
56) W. Scheibner, Über die Berechnung einer Gattung von Funktionen, welche
bei der Entwickl. der Störungsfunkt. erscheinen. Gotha 1853. (Diese Arbeit war
mir nicht zugänglich.)
57) H. Gylden, Stockholm, Bih. K. Vet. Akad. Handl. Bd. 6, Nr. 16 (1881),
p. 22, 23.
58) H. Gylden, Orbites absolues 1 (1893), p. 401.
59) P. Harzer, St Pet. m&m. (7), 34 (1886), Nr. 12, p. 27, 125.
60) O. Callandreau, J. Ec. Polyt. (2) 7 (1902), p. 39.
61) J. C. R. Radau, Paris Bull. astr. 13 (1896), p. 7.
62) F. Tisserand, Trait& de Mec. cel. 4 (1896), p. 384.
68) A. Wülkens, Astr. Nachr. 166 (1904), p. 209.
38*
576 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
9. Koeffizienten von Radau. Um bei der Entwicklung der Stö-
rungsfunktion kleine Differenzen zwischen großen Zahlen zu vermeiden,
führte auch J. ©. R. Radau) anstatt der Ableitungen der Laplace-
schen Koeffizienten andere Transzendenten ein. Er setzte
Ab® — b) — abe»,
A Re Abi EN adbi- RN be — 2abE- 1) el m,
vo RR »o ai aber 2,
v0 — VbN — aVbe+) — BO — 2ubi+) + arbeit,
Auch diese Größen lassen sich, wie die vorher von Cauchy, Gylden
und Newcomb angewandten, als Produkte einer Potenz von « mit einer
hypergeometrischen Reihe darstellen. Es ergibt sich die Relation:
n .
EN (3) n+j1 ae
RE +25"
Für die Berechnung von Ab und Vb hat Radau Rekursions-
formeln gegeben.
10. Tafeln. Die Werte der im vorstehenden besprochenen: Koef-
fizienten sind zum Teil tabuliert, und zwar etwa in dem Umfange, in
dem sie für eine Entwicklung der Störungsfunktion bis auf Glieder
4. Grades in bezug auf die Exzentrizitäten und Neigungen (s. u.) nötig
sind. Die vor allen wichtigen b(® und 5" berechnen sich infolge (21)
mit Hilfe der Tafeln von A. M. Legendre‘®). Diese Tafeln geben
log F, und log E, mit 12 bis 14 Dezimalen und mit 3 bis 4 Diffe-
renzen für die Werte 0°,0; 0%,1; 092; ...; 890,9; 909,0 des Argumentes
are sin «.
Ausgedehnte Tafelwerke von J. D. Runkle‘®) geben mit fünf bis
sieben Stellen die Werte der Funktionen
[e?’’(1—«
für & = 0,00C; 0,005; 0,010; ...; 0,745; Be
Die Werte von log ß{@’+" wurden mit vier bis sieben Stellen von
H. Masal”) tabuliert für log «= 9,30; 9,31; ...; 9,59; 9,600; 9,601; ...;
9,850; und für ‚= 0,1,2,3,4; h=3j,j+1,j+2,..., 12.
e 2
64) J. C. R. Raduu, Obs. de Paris ann. 21 (1895), p. 22.
65) A. M. Legendre, Trait6 des fonc. ellipt. 2 Paris (1826), p. 221—243;
Exercises du Calc. integr. tome 3, Paris 1816, p. 125—147.
66) J. D. Runkle, Smiths. Contr. to Knowl. 9 Wash. 1857, Appendix (1855).
67) H. Masal, Stockholm Obs. Astr. iakttagelser. etc. 4, Nr. 3 (1891).
11. Koeffizienten bi-5 von Jacobi. 12. Integralausdrücke derselben. 577
Endlich hat H. Gylden“®) sehr vollständige und bequeme Tafeln
mit vier bis sieben Stellen von log y,"' für log « = 9,620; 9,621; ...;
9,799; 9,800 gegeben.
II. Kreisbahnen in geneigten Ebenen.
1l. Koeffizienten b’'/ von Jacobi. Wenn die Exzentrizitäten e
und e’ verschwinden, die Neigung .J aber beliebig ist, wird die Ent-
wicklung der Störungsfunktion immer noch verhältnismäßig einfach.
Unter Einführung der Bezeichnungen '
k = cos? —- vsintl, (u+rv=|1)
= L— L', Yy=L-+L), = avi, n=cW-1,
wo L und L die mittleren Längen vom gegenseitigen Knoten an ge-
zählt bedeuten, ergibt sich
(49) o—=cosH—=pcosa+veosy—4n(i EN) +4v(n+n"N),
‚AM: =1-+ 0°— 200 = D?.
Die Aufgabe wird also, die Entwicklungen
(50) er
ia Ze cos du + 2 dw. ’cosjy+ «> >32 "5 608 iX 08 jYy,
j=1 ee
en N > Den, (bi) — bil»)
u
zu studieren. Die Koeffizienten b’'’ sind Funktionen von & und JJ.
Für die praktische Anwendung ist es erforderlich, diese Koeffizienten
und ihre Ableitungen in bezug auf « berechnen zu können.
12. Integralausdrücke derselben. Die Koeffizienten b''/ können
durch bestimmte Integrale ausgedrückt werden. Es folgt aus der Ent-
wicklung (50):
Le;
62) B9— 1.[ [D-' 008 in cosjyandy— — Jen Taaeer
00 SZ Inl=1
Von der oben besprochenen allgemeinen Gleichung (14) ausgehend
hat C. G@. J. Jacobi) den Ausdruck (52) in den folgenden trans-
68) H. Gylden, Astr. Ges. Publ. 21 (Leipzig 1896).
69) C.@. J. Jacobi, J. f. Math. 15 (1836), p. 14 [Juli 1835] = Werke 6, p. 103.
578 VIs,18 H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
formiert:
x n
vs it DZ F D-*-33-1sint a sin’ ydady.
er, =).
Aus dieser Gleichung geht hervor, erstens daß die 5’ >0O sind,
zweitens ihre annähernde Größenordnung.
13. Rekursionsformeln von Jacobi. Mit Hilfe der Identitäten
+3 Be u) Da + 32-0
leitete C. @. J. Jacobi?®) zwei homogene lineare Relationen ab, durch
welche b’+15 und 5%/+! mittels 5%), 5-45 und 54/1 ausgedrückt wer-
den. Durch Anwendung dieser Rekursionsformeln berechnen sich die
b’'’, sobald vier von ihnen, z. B. 59°, 51-0, 99-1, d1-1, bekannt sind.
Diese Berechnungsmethode ist aber nicht zweckmäßig. Die Jacobi-
schen Rekursionsformeln sind in der Tat fehlervergrößernd wie die
vorher behandelte Formel (24). Als Kontrollformel können aber jeden-
falls diese Relationen angewandt werden.
14. Entwicklungen bei kleiner Neigung. Wenn die Neigung J
hinreichend klein ist, so ist es erlaubt, nach Einführung von u=1—v
die Funktion D-! nach Potenzen von » zu entwickeln. In dieser
Weise sind in der Tat U. J. J. Leverrier"') und $. Newcomb"?) vor-
gegangen. Es ergibt sich
Be — (4, m) [2«v(cos y — cos x)]”
ur A WE
Beer [1+@?--2ucosa] ?°
Nach Entwicklung der verschiedenen Glieder in trigonometrischen .
Reihen findet man die folgenden Reihen für b’’:
Dt — 46,0 — Bann =D 4 «b,®+D)
i6v v?(a*b,t-9 + 406,9 + a?b,#+9) ke
ie ehe
Br
S. Newcomb"?) hat diese Reihen bis zu »* einschl. getrieben.
70) ©. @. J. Jacobi, J.f. Math. 15 (1836), p. 209 [Okt. 1835] = Werke 6, p. 124.
71) U.J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 260.
72) S. Newcomb, Wash. Astr. Papers 3, (1884), p. 14.
73) 8. Newcomb, Wash. Astr. Papers 5, (1895), p. 27.
15. Entwicklungen von Tisserand. 579
Die obige Entwicklung von D”* ist nur erlaubt, wenn
EN |
(54) a
Es wird sich später ee daß die Reihen (53) nur unter
der Bedingung (54) konvergent sind. Bei größeren Neigungen müssen
deshalb andere Entwicklüngsmethoden angewandt werden.
15. Entwicklungen von Tisserand. Eine solche wurde schon von
U. J. J. Leverrier"*) angedeutet, aber erst von F. Tisserand durchge-
führt. Dieser ging von der ersten der Formeln (4) für n„=1 aus
und führte in diese die Entwicklung
coonH= >) a Co8 iX 608 jy
17
ein. Damit folgt:
e 432% (@+j+2m) n(i+j+2m)
(55) — we b, 9%,
In mehreren Noten lieferte Tisserand”®) allgemeine Ausdrücke
für = { ” ; ai i eb nach Potenzen von sin? .J geordnet. Weiter
zeigte er’), wie die Q/°.” durch die Kugelfunktionen X, wdX, ,
ausgedrückt werden können. Wegen der Dinwookmkfigkeik der Sana
schen Rekursionsformeln suchte er ferner. die allgemeine Form für
g. Er ging dabei’) von der Ideniität
sinn +H sinn—1)H
sin H ein H
aus, definierte Br. als Funktionen von v durch den Ansatz
sinn +1)H (n) i r
en = D’RN c08 iX cos jy
Fer
2cosonH—=
und erhielt so
(n) (n) (n—2)
(56) 20N)=RN— RK,
Durch Induktion wies er nach, daß
(57) sahen Fr en ur (= m,m+i+j+1lj+1l,v),
i+j+2 .
o 0/*®”) ein numerischer Faktor ist.
74) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 331—383.
756) F. Tisserand, Paris C. R. 88 (1879), p. 97, 137, 201.
76) F. Tisserand, ibid. p. 1229.
77) F. Tisserand, Obs. de Paris ann. 15 (1880), p. C 12; Auszüge Paris C. R.
89 (1879), p. 558, 585.
580 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Tisserand’®) gab schließlich den asymptotischen Ausdruck
ge 2 rd 1)
cos nJ,
für große n, aber endliche i und j. Er ging dabei von dem asym-
ptotischen Wert für Fan, —n,y,x) aus, den @. Darboux als
Beispiel seiner allgemeinen Methode zur Bestimmung asymptotischer
Werte angeführt hatte. (Siehe später Nr. 56.)
Eine elegante Ableitung der Formel (57) wurde später von
T. J. Stieltjes’®) gegeben. In dem Polynom
U (6) ER sinn +1)H
HH, woo=cosH,
setzte er, die Beziehung (49) verallgemeinernd:
= cos Yy cos y’ cosz + sin Y sin Y cos y.
Von der bekannten Differentialgleichung
(1— oe?) U, (6) — 30U,(6) + n(n + 2)U,(e) = 0
ausgehend leitete er dann für U, als Funktion von x, y und % die
folgende Gleichung ab:
. U, U, “7,
(58) + 2 ot Fe re u a tn +2)T, = (.
8?ap dx*
Weiter setzte er
= IT" (cos % cos Y")'(sin Y% sin w’)’ cos ix cos jy
und erhielt so, infolge (58), für 7,., eine hypergeometrische Diffe-
rentialgleichung, aus der sich ergab
- wu 2,7 I
20 = F(iti P,ätite ‚+1, sin’ y),
unter CO’ eine Funktion nur von %’ verstanden. Da % und %’ in sym-
metrischer Weise in er eingehen, so wird also
rt +1, sin’ y)
1] Beat a BE ar 1, sin? %)-
In dieser Formel
, J
setzend fand Stieltjes die Tisserandsche Gleichung (57) wieder.
18) F. Tisserand, ibid. p. 31.
79) T. J. Stieltjes, J. de Math. (4) 5 (1889), p. 55; Auszug Paris C. R. 95
(1882), p. 901, 1043. Vgl. auch Tisserands traite 1, p. 448—456.
16. Entwicklungen von Hansen. 581
16. Entwicklungen von Hansen. P. A. Hansen®®) entwickelte
b’'5 nach Potenzen von « und zeigte, daß die Koeffizienten dieser
Reihen, von einem einfachen Faktor abgesehen, hypergeometrische
v . . .
Polynome von v oder — E sind. Der Beweis von Hansen ist kom-
pliziert. A. Cayley®‘) hat später dieselbe Aufgabe einfacher behandelt.
F. Tisserand®®) ging von der Entwicklung
DH Ze"P,(0),
n=0
wo P,(6) Legendres Polynom ist, aus. Auf Grund der bekannten Diffe-
rentialgleichung zweiter Ordnung für P,(6) leitete Tisserand für P,
als Funktion von J, x und y folgende Differentialgleichung ab:
op, ar OB LE
Bau» + cot JF7 + ” 7 es öy: E= n(n E- 1)P, =(.
In dieser führte er die endliche Reihe
P(e) = PH co8 iX cos jy
u
ein und erhielt für die so definierten Funktionen An von J eine
Differentialgleichung zweiter Ordnung. In dieselbe setzte er
a - w v’ Bi
und führte » anstatt J/ als unabhängige Veränderliche ein. Für =
ergab sich dann eine hypergeometrische Differentialgleichung. In solcher
Weise fand Tisserand die Formel
(59) AT N /F(—2m,2m+2i+2j+1,2j+1,»)
wo kn +?”) eine Konstante ist, die er durch Bildung der Koeffizienten
von vIti+2m eogix cosjy ın P. 6) bestimmte.
JY i+j+2m
Die Hansensche Entwickeluug von b‘'? nach Potenzen von «
ist also:
(60) ER er Wie
ee j
P. A. Hansen®?) gibt für A +?”) auch eine Form, wo das hyper-
80) P. 4. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abh. 2 (1855), p. 307—347.
81) A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 28 (1860), p. 207—215.
82) F. Tisserand, Obs. de Paris ann. 18 (1885), p. C 1—11; Auszug Paris
C. R. 97 (1883), p. 815. Vgl. auch traite 1, Nr. 197, p. 456—459.
83) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abh. 2 (1855), p. 329.
582 VIa, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
geometrische Polynom F(— 2m, —2m —2:i,257 +1, — Pe auftritt.
Für die Koeffizienten dieser Polynome gibt er numerische Werte.)
Auch entwickelte Hansen®) das in (59) auftretende Polynom F' nach
cos der Vielfachen von J.
17. Andere Entwicklungen von Hansen. P. A. Hansen®”) hat
außerdem b*'’ nach Potenzen von dr} und auch nach Potenzen von
1 —= ß entwickelt. Indessen macht Hansen darauf aufmerksam,
daß diese Reihen für ein gegebenes « schlechter konvergieren als die
Entwicklungen nach Potenzen von «. Hansen zeigte, wie die Koeffi-
zienten der nach Potenzen von ß geordneten Reihe sich leicht durch
hypergeometrische Polynome mit dem Argumente v*: u? ausdrücken
lassen. Hansens Resultat wurde durch mehrere Noten von P. Appell®®),
R. Radau?”), O. Backlund®®) bestätigt.
In Analogie mit (50) wird allgemein gesetzt
+
(61) Dr _ Din cos iX cos jy.
ve j=—o
B
Um die Funktion (1+.«?)? b,‘’ nach Potenzen von ß zu entwickeln,
wurde zuerst die Funktion
(Fu?
nach dem Binomialsatz entwickelt. Nachdem für die verschiedenen
Potenzen von 6 ihre endlichen trigonometrischen Reihen nach cos ix
und cosjy eingeführt waren, ergab sich die Hansensche Formel
ü- i an (Dititem) i+2m
(2) Ge—lt) a. RT EETTSTERe zale
Mar nik, 2):
84) Ibid. p. 357 370.
85) Ibid. p. 334.
85’) Ibid. p. 347—352.
86) P. Appell, Paris C, R. 97 (1888), p. 1036.
87) R. Radau, Obs. de Paris ann. 18 (1883), p. D 14. Analyse: Paris Bull.
astr. 1 (1884), p. 449. Auszüge Paris C. R. 97 (1883), p. 1130, 1275.
88) O. Backlund. Paris C. R. 97 (1883), p. 1470; vgl. R. Rudau, Paris C. R.
97, p. 1548.
18. Appellsche hypergeometrische Entwicklungen. 583
18. Appellsche hypergeometrische Entwicklungen. P. Appell®®)
hat gezeigt, daß die b,’ mit Hilfe der von ihm®) eingeführten hyper-
geometrischen Reihen von zwei Veränderlichen dargestellt werden
können. Unter Verwendung der Bezeichnung
‚AL S@mtnm+nary
(63) Fa, By, y',2,y) = (,m)(y,n)(Q,m)(ı,n)
mn=
ergibt sich, nach leichter Umformung, aus (62):
(2)
(64) N Bu)Br)-
BE RHFFE 641,541, (280) (2BV))-
Wenn diese Reihe nach Potenzen von v geordnet wird, findet man:
» (2,i+5)
= (lt) 2 Bu Br)
(65)
. „arts er a ie in
PAR mr Ft tn. + Anirl@pu))
19. Fortsetzung. F. Tisserand®?)”) versuchte die Hansensche
Formel (60) zu generalisieren und die allgemeinen Ausdrücke der
Koeffizienten in den Entwicklungen von b,'’ nach Potenzen von «
zu geben. Es gelang ihm zu beweisen, daß diese Koeffizienten im
Spezialfalle <= j durch hypergeometrische Polynome zweiter Ordnung
von der Form
I (a, m) (d,m) (em), s rm
ne
dargestellt werden können.
P. Appell®) betrachtete im Ausdrucke (49) für 6, u und v als
voneinander unabhängige Größen und zeigte, daß die in Frage stehen-
den Koeffizienten hypergeometrische Polynome von u? und »? sind.
Nach Entwicklung der verschiedenen Glieder der Hansenschen Reihe (62)
nach Potenzen von « fand Appell die Formel
($ ‚m+i Er
IST Pr u “ m
(66) ! > RD 1,9(1,5)(1,m) .
m=
en — m, i+l,j+l, 0, 9‘)
89) ‚P. Appell, J. de Math. (3) 8 (1882), p. 173 (presente & l’Acad. mars 1880).
90) F. Tisserand, Paris C. R. 97 (1883), p. 880.
584 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Für die numerische Berechnung der Polynome F, hat A. Lebeuf?")
einfache Rekursionsformeln abgeleitet.
In seiner Abhandlung über die hypergeometrischen Funktionen
von zwei Veränderlichen hatte P. Appell?) gezeigt, daß die durch die
Formel (63) definierte Funktion 7‘, zwei homogenen, linearen, partiellen
Differentialgleichungen zweiter Ordnung genügt. Von diesen Diffe-
rentialgleichungen ausgehend fand O. Callandreau??), daß für die in (65)
vorkommende Funktion F,, nachdem u = 1 — v gesetzt worden war,
eine homogene, lineare Differentialgleichung dritter Ordnung mit den
Singularitäten v—= 0, 1, oo besteht. Bald darauf gelang es P. Appell”),
diese Differentialgleichung dritter Ordnung wirklich zu bilden. Er zeigte
auch, daß dieselbe für ©=j in die Differentialgleichung der hyper-
geometrischen Funktionen zweiter Ordnung vom Argumente 4v(1— v)
übergeht. Dadurch wurde ein schon von F\. Tisserand”®) gefundenes
Resultat bestätigt. Endlich hat R. Radau®*) die Polynome F', nach
Potenzen von »v entwickelt und die komplizierten allgemeinen Aus-
drücke der auftretenden Koeffizienten gebildet.
20. Berechnungsmethode von Sundman. Für die analytische
Entwicklung der Störungsfunktion, wenn die Exzentrizitäten klein
sind, braucht man nicht nur die numerischen Werte von b’'’, sondern
auch die Werte der Ableitungen dieser Funktionen in bezug auf «.
Für hinreichend kleine Neigungen berechneten Leverrier, Newcomb u. a.
die Werte dieser Ableitungen mit Hilfe der Reihen, die durch Diffe-
rentiation der Formel (53) entstehen. Die in den $$ 15—19 be-
sprochenen Entwicklungen von Tisserand, Hansen und Appell können
wohl im allgemeinen für die Berechnung von b’'’ angewandt werden,
aber die durch Differentiation dieser Entwicklungen hervorgehenden
Reihen konvergieren wenigstens für größere Werte von @ zu langsam,
um für die Berechnung der Ableitungen von b'/ brauchbar zu sein.
Eine auch in den schwierigen Fällen vorzügliche Methode zur Be-
rechnung der Funktionen a |
(67) ad a
m! da”
ist von K. F. Sundman””) gegeben worden. Er betrachtete in D* u
91) A. Lebeuf, Sur une nouvelle d&monstration des polynomes Hansen-
Tisserand, Thöse soutenue & la Sorbonne (1897), Nr. 11, p. 17; Analyse Paris
Bull. astr. 15 (1898), p. 74.
92) O. Callandreau, Paris C. R. 97 (1883), p. 1187.
93) P. Appell, J. de Math. (3) 10 (1884), p. 418.
94) R. Radau, Paris C. R. 97 (1883), p. 1275.
95) K. F. Sundman, Über die Störungen der kleinen Planeten usw. Akade-
mische Abhandl. Helsingfors (1901), p. 24—36.
20. Berechnungsmethode von Sundman. 585
und v als voneinander unabhängig und entwickelte D-! nach Potenzen
von v. Unter Verwendung der Bezeichnungen
Dr. =1-+ 0 — 2«u cost,
D’— = B®” + D'B% cos ix
n=1
findet man leicht
a: Mae < (4, m) (2x » cos y)"
D '— J 1, m) 29 :
und Y:
3 _ N) vu B® 4342 rt ge
(68) 256° BE ad Br AWDA5+HND Bayıs
+4
er ee a A
Es sei nebenbei bemerkt, daß diese Entwicklung als Spezialfall
der Formel (65) für py—= 1 betrachtet werden kann.
Die Reihe (68) ist für beliebige Werte der Neigung konvergent.
(Vgl. Nr. 35.)
Durch Differentiation der Sundmanschen Reihe (68) wird die Be-
rechnung der Größen (67) auf die Berechnung von
) I gi nl)
Reken
et a
zurückgeführt.
Sundman bemerkt, daß die Größe B,,, der Koeffizient von 0’ cosix
in der Entwicklung von
P® —[1-+.a!1+ 0) — 2a(l1+ o)u cos at
in eine Fouriersche Reihe und nach Potenzen von e ist. Nach Ein-
führung der Größen x, y, A durch die Gleichungen
»Al+N)=1+e, „y=au, Klee nders
ergibt sich:
Pi) — {1 + Y%(1+ 0)?— 2y(1+ 0) cos2 + A(20+09)] °.
Wenn . die Laplaceschen Koeffizienten mit dem Argumente y
bezeichnen, und wenn
(0<yr<1)
N)
PRO EEE N 50. (4>0)
nl 1! dy! ’ .n,0 n n,—N
gesetzt wird, so ist also in endlicher Form:
586 VI2,18. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
rn) (#) (@) (@)
% B,: Sig zen 2 54200, FR us SR
n.“+2, @) @ ()
er 4 a2[4B/ PETE ET Dura, r- .
nn+?n
2
ee 2[85.) «> 12 np
n+6,1—3
4 n+6,1—4
() (‘
+65, +6, 1- ts:
Hierdurch können die Br berechnet werden, nachdem die Werte
der br bekannt sind. Zur Berechnung dieser letzteren können die
schon besprochenen Methoden von Leverrier oder Newcomb angewandt
werden.
III. Entwicklungen nach Potenzen von e und e'.
21. Methode von Leverrier. Wenn die Exzentrizitäten e und e’
klein sind, so können die Koeffizienten der trigonometrischen Entwick-
lung der Störungsfunktion nach Potenzen von e vr e entwickelt
werden. Wir betrachten zuerst nur den Hauptteil 4 der Störungs-
funktion.
Die für kreisförmige Bahnen geltende Entwicklung (51) kann
offenbar in ger Weise geschrieben werden
(70) E — DA sg) V-ieL+sn),
wo für s und s’ alle positiven und negativen ganzen Zahlen, für welche
s+s’ gerade ist, zu nehmen sind. Die Koeffizienten A(s, s’) sind.
durch die Formel
”—s 8’ +3
(71) 4,9)= 5°" (6)
mittels der in Kap. II vorkommenden Funktionen b’/ ausgedrückt.
Theoretisch ist es leicht, von der speziellen Formel (70) zu der
allgemeinen Entwicklung von x überzugehen. Infolge der Glei-
chungen (3) für die elliptische Bewegung ist in der Tat
r=a(ll+r), v=MH+y v+o=L+y,
wo x und Y— 1y Potenzreihen mit rationalen Zahlenkoeffizienten
nach Potenzen von ecY 14 und ec-Y-1# sind, die übrigens mit diesen
Größen verschwinden. Für r’ und v’ gelten dieselben Formeln, wenn
nur alle Größen gestrichelt werden. Wenn man also in der Glei-
chung (70) an die Größen
u WED E
21. Methode von Leverrier. 587
die Zusätze
(4
UL, ax, Yy, Yy
anbringt und nach Potenzen der Größen
(72) ectV-IM, eesV-im
ordnet, so bekommt man eine Entwicklung von der Form
m,m’ m ei" auaR I(@L+s’L’+9M+g’M’)
(13) a Zi (,8)e ;
wo
de —m,:-;, +®, sts’ = gerade,
m — ||, m — ld =(0,2,4,...,-+o-
Die Koeffizienten An, (8,5) für gegebene s und s’ sind offenbar
durch die Entwicklung von
s‘—s 8’ +5
—XxT
(U) en en:
ae (8,8) e" €” eV raa+7
91
nach Potenzen der Größen (72) definiert. Dieselben nehmen deshalb
folgende Form an
+ ’
(75) Ebene (s s) IN So ak dk u 2.
99 7a k kl dek ’
k=0
wo die CO, Polynome von s und s’ vom Grade m + m’— k sind mit
rationalen Zahlenkoeffizienten, die von m, m’, q, q’ und %k abhängen.
Eine für die Integration zweckmäßigere Form des Argumentes
ergibt sich nach Einführung in (73) von
M=L-—-o, M=LlL—-o, s=-p—g, Ss=r—d.
Wenn die Neigung J zwischen den Bahnebenen hinreichend klein
ist, so können, infolge von $ 14, die b’' und also auch die Koeffi-
zienten (75) nach Potenzen von v = sin? Ei entwickelt werden. Man
bekommt so die Leverriersche Entwicklung
Fi; m, €” nd 2/ ’— gu—g'w
(716) ge ae (sin n57) ce VUpL+P 1’ qu-g' r
wo
P,29,, = —8,:--, +%, p+p—g—d gerade,
ger FIR Me ld, 2f— p+P—gqa—gd|] Nr 0, 2, 4, tr oo.
Die allgemeine Form der Koeffizienten geht aus der Gleichung
m, m’ m',f f
A,r P—,r—-)- Ay, ag?
f
in Verbindung mit den Formeln (75) und (53) hervor.
588 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Die wirkliche Durchführung der eben skizzierten Entwicklungs-
methode bietet natürlicherweise große Schwierigkeiten dar. Nach
Lagrange und Laplace, welche die Glieder dritten Grades vernach-
lässigten, haben sich eine ganze Reihe von Astronomen mit diesem
Probleme beschäftigt. In erster Linie muß eine Arbeit von J. ©. Burck-
hardt*®) erwähnt werden. In derselben wird die Entwicklung bis zu
den Gliedern sechsten Grades in e und e’ einschl., aber mit Vernach-
lässigung der Neigungsglieder, getrieben. Burckhardts Arbeit enthält
wesentliche Fehler, und Burckhardt hat übrigens selbst eine genaue Kon-
trolle für nötig gehalten. Aber Burckhardts Verdienst ist es, gezeigt zu
haben, daß eine Entwicklung in so großer Ausdehnung praktisch aus-
führbar ist. Die Frage wurde bald wieder von J. Binet?”) aufgenommen.
Er hat in einer an die Acad&mie des Sciences 1812 eingereichten Ab-
handlung, die Pontecoulant im Manuskript vorgelegt war, die für eine
Entwickelung bis zum siebenten Grade einschl. nötigen Vorbereitungen
gegeben. Von Binets Untersuchungen scheint aber nur ein Auszug””)
gedruckt zu sein. @. de Pontecoulant”®) hat die Resultate von Burck-
hardt kontrolliert und außerdem durch Hinzufügung der Neigungs-
glieder vervollständigt. Die Entwicklung von Pontecoulant enthält
keine Glieder siebenten Grades und vpn den Gliedern sechsten Grades
nur diejenigen, für welche ip + »’| = 6. Von den Gliedern dritten,
vierten und fünften Grades gibt Pontecoulant alle, wo 'p+p| =3,
4 oder 5 ist, aber nur die von der Neigung unabhängigen, wo
lo+p',=0,1 oder 2. Eine vollständige Entwicklung bis zu den
Gliedern sechsten Grades einschl. wurde von B. Peirce””) publiziert.
Als Grundlage seiner Theorie der großen Planeten entwickelte U.J. J.
Leverrier'”) von neuem die Störungsfunktion und berücksichtigte da-
bei auch die Glieder siebenten Grades. Für alle so auftretenden Koef-
fizienten hat Leverrier die analytischen Ausdrücke gegeben. Außer-
dem hat er auch Tafeln geliefert, welche die numerischen Werte der
in den meisten und wichtigsten Koeffizienten auftretenden Zahlenfaktoren
geben. Unter Verwendung der von Leverrier eingeführten Methoden
und Bezeichnungen hat F. Boquet'”') alle Glieder achten Grades hin-
zugefügt.
96) J. C. Burckhardt, Paris Inst. (math.) möm. 1808, (1809), p. 36—67.
97) J. Binet, Paris, Soc. philomatique bulletin 3 (1812), p. 113. (Diese Ab-
handlung ist mir nicht zugänglich gewesen.)
98) G. de Pontecoulant, Theorie analytique du syst&m“ du monde 3 (Paris
1834), p. 26—55, Nr. 6—16.
99) B. Peirce, Astr. Journ. 1 (1849), p. 1, 31, 33.
100) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 277—380, 358—383,
22. Methode von Newcomb. 589
22. Methode von Newcomb. Die Rechnungen, durch welche
Leverrier und Boquet zur Entwicklung der Störungsfunktion gelangten,
müssen als sehr verwickelt bezeichnet werden. Von $8. Newcomb wurde
deshalb eine einfachere und systematischere Entwicklungsmethode vor-
geschlagen !%?), und in allen Einzelheiten durchgeführt.'%) Später hat
H. Poincare'®*) eine in mathematischer Hinsicht elegantere Darstellung
der Neweombschen Methode geliefert. Von einer beliebigen Funktion
F(x,:x’) ausgehend schreibt Poincare die Tayiorsche Formel in sym-
bolischer Weise:
(77) Fia+s,2 +8) = e?+t Fa, 2).
Auf der rechten Seite steht die Exponentialfunktion anstatt ihrer Ent-
wicklung nach Potenzen von D und D’. In dieser gedachten Ent-
wicklung hat ferner
DD*E
die Bedeutung von
ECM
PEACE Au
PoincareE nimmt an, daß & und &’ Potenzreihen mehrerer Veränder-
lichen h und A’ sind, die übrigens mit diesen k und A’ verschwinden.
Durch die Entwicklung
(78) aD+®.D —_ SIR = IL,
m,m'=0
werden die Polynome II, „, vom Grade m + m’ in D und D’ defi-
niert. Für die Entwicklung von F(x-+e,x’+ €”) nach Potenzen von
h und h’ bekommt Poincare in dieser Weise den symbolischen Aus-
druck
(79) Fats,2+) = > KR" IL m: Fa, ©).
Diese Grundsätze können auf die Entwicklung der Störungsfungs-
funktion angewandt werden. Bei verschwindenden Exzentrizitäten be-
trachtet Newcomb = als Funktion von loga,_L, loga, L’, die also
die Rolle von x, x’ spielen. Anstatt e und e’ kommen hier die Größen
e=lg-, y=v—M, e=1log-, y=v—M
101) F. Boquet, Developpement de la fonetion perturbatrice. These de
doctorat. Paris 1885, Analyse Bull. astr. 2 (1885), p. 386.
102) S. Newcomb, Paris C. R. 70 (1870), p. 385. American Journ. of Math. 3
(1880), p. 198-209.
103) Wash. Astr. Papers 3, (1884); 5, (1895).
104) H. Poincare, Legons de mec. cel. 2, (Paris 1907), p. 86.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 39
590 VIe,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfuuktion.
in Betracht. Dieselben können infolge der Formeln (3) für die ellip-
tische Bewegung nach Potenzen der kleinen Größen
(80) ectY-IM und e’ctY-ım
entwickelt werden. Diese letzteren spielen also die Rolle von %h und h‘.
Die auf der linken Seite der Formel (78) vorkommende Größe ist hier
D “\D’
(81) coD+YDi+g'D+yY Di — (2) co—ıM)D,. (4) an) D/
a a
wo D, D,, D‘, D,’ die Differentialsymbole in bezug auf loga,Z,
log a’, L’ bedeuten. Die Aufgabe wird also, die Größe (81) nach Po-
tenzen der Größen (80) zu entwickeln. Poincare setzt
a Lad
m,g
m=(,1,2,..., 00, m — |q| = 0, 2,4,...
und definiert dadurch die Polynome IIL,”(ß8,y) vom Grade m in ß
und y. Die in diesen Polynomen auftretenden Koeffizienten sind ratio-
nale Zahlen. Die der Formel (78) entsprechende Entwicklung wird nun
cgD+yD,+g'D’'+y’D,’
- Zur(0, 2)n7(0, Do )eewoonen,
In la mit (79) wird dann die Entwicklung der Störungsfunktion:
+ = De DD, ve) nF (D = =
Für ge muß hier seine Entwicklung (70) eingesetzt werden. Nun
ist aber
( in 3 ;)o —1@L+ 12) — gngm , V-ileL+sn),
v-ı) \y-i
Man findet also für 4 eine Entwicklung der Form (73), wo
an" 6) = ID, FD, S)A6,S)
Diese Formel kann noch etwas vereinfacht werden. Die Koeffhi-
zienten A(s, s’) der Entwicklung (70) sind in der Tat homogene Funk-
tionen vom Grade — 1 von a und a’. Es ist also
ara —4,
d. h.
D+D=--—1,
32, Methode von Newcomb. 591
d.h.
D=-—D-—1.
Unter ng der Bezeichnung
(83) 1" (D,s,s) = I (D,) 1 (—D—1,s)
bekommt man also für die Bildung der allgemeinen Koeffizienten der
Entwicklung (73) die Gleichung
(84) AR (s,5)= I), ‘(D,s,8)- A(s,s').
Die rechte Seite ist hier eine Kt lineare Funktion von A(s,s’)
und deren Ableitungen nach loga. Die Entwicklung der Störungs-
funktion ist also auf die Bildung der Polynome II zurückgeführt.
Die Polynome I werden die Differentialoperatoren von Newcomb
genannt.
Für die sukzessive Bildung der Polynome II,”(ß,y) hat S. New-
comb!®) Rekursionsformeln abgeleitet. Dieselben können durch Diffe-
rentiation der Definitionsgleichung (82) nach log e gefunden werden.
Es ergibt sich in Aieser Weise die Identität
= N, (B, y)mer cV-ieM
m, q
— (Bet + *) Zmoner
ay-:
nalen Koeffizienten, die age RL der Größen ec+Y-1# fort-
schreiten und mit e verschwinden. Der Vergleich der Koeffizienten
von e” in den beiden Seiten der eben angeführten Identität gibt also
für IT"(ß,y) einen homogenen linearen Ausdruck aus den Polynomen
II"-!, 11"=?, ... niedrigeren Grades als m. Die Koeffizieriten dieses
linearen Ausdruckes sind offenbar homogen und linear in bezug auf
ß und y» mit Koeffizienten, die rationale Zahlen sind. In der er-
wähnten Abhandlung Newcombs!®) findet man (8. 27—29) die Poly-
nome II,”(D,—i) für m< 8. Ebenso findet man (8. 30—32) die
Polynome I7”(— D—1,i). Weiter hat Newcomb (S. 32--42) die
Polynome 17" (D, —i,i) für m + m’< 7 und (8. 42—48) die Po-
lynome I (D,—i+1,i+1) für m + m’<5 gegeben.
00
Nun sind aber e- de und e—- = bekannte Potenzreihen mit ratio-
105) S. Newcomb, Wash. Astr. Papers 5, (1895), p. 13.
89*
592 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Für die Bildung der Polynome II,” hat P. H. Cowell) die Formel
(85) I1°(B, y) PAR (B, 0,137" (0, 7)
vorgeschlagen, welche eher aus der Definitionsgleichung (82)
folgt. In der Doppelsumme nimmt m’ die Werte 0, 1,2,...,m. Für
ein gegebenes m’ muß g’ alle diejenigen Zahlenwerte durchlaufen, für
welche m’ — |g’| und m — m —|q—g| gerade positive Zahlen oder
Null sind. Man brauchte also im voraus nur die Polynome IZ,”(ß,0)
und /1,”(0,y) zu kennen. Diese Cowellsche Methode ist besonders
bequem, wenn man ein isoliertes Polynom II von hohem Grade ab-
zuleiten wünscht.
A. 5. Chessin!?) hat eine Rekursionsformel
(86) 2 (By) = 2, 9 (RE, 7)
abgeleitet, in welcher die 2”*(y) unabhängig von 8 und Polynome
von y sind. Der Grad dieses Polynoms ist nie höher als die kleinere
der Zahlen A; und en. Infolge dieser Relation und der Gleichungen
(83) und (84) findet lg die Formel
(By. Asuele,e) - I Ser ee
=0 #=0
Es wäre also nur nötig, die Koeffizienten A” na, s’) direkt zu be-
rechnen. Die Formel (87) ist besonders wichtig und vereinfacht in
hohem Grade die Berechnung von "rast „.(8,8') und . ‚(8 8), da
in diesen Fällen die Anzahl der Glieder nur m +1 und m +1 ist,
während die Polynome ® höchstens ersten Grades sind.
Von den Newcombschen Rekursionsformeln ausgehend hat R.T. A.
Innes'") einige andere abgeleitet. Dieselben drücken II”(ß,y) und
II"_,(ß,y) linear durch I7,(ß, y), II, (ß,y), ... und IT ,(ß, y) aus.
Innes gibt das allgemeine Gesetz der Koeffizienten, die linear in bezug
auf 8 und y sind.
Mit Hilfe einiger Rekursionsformeln und Differentialgleichungen
für die Koeffizienten X”’”’ von Hansen (siehe Nr. 29) hat schließlich
H. v. Zeipel‘”'”) eine allgemeine und doch aus nur wenigen Gliedern
106) P. H. Cowell, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 69 (1909), p. 170.
107) A. 8. Chessin, Astron. Journ. 19 (1898), p. 73, 159.
107”) R.T. A. Innes, Trans. Roy. Soc. South Africa 2, (1912), p. 301.
107’) H.v. Zeipel, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv 8 No. 19 (1912), p. 6.
22. Methode von Newcomb. 593
zusammengesetzte Relation zwischen den Operatoren von Newcomb
gegeben:
4m 11" (8, y)=(—2ß+4y) 17, (Br +) —(2B+4y) I), (Br —1)
+ B+H NZ BY +D +28 + 4m — 8)" (B, r)
175 (ß Ei IT, B, em 2).
Hieraus ergibt sich für q = m:
4mII"(B,y)=(—2ß+4y) I, (By HD) + BY) IR, (By +2).
m
Für die Berechnung von II,_, gibt Zeipel die ebenso einfache Formel:
am" (BY) = — (2B +4), y— 1)
— (+4 + m — 2)", (B, >
Nach derselben Methode hat S. Newcomb!®) auch eine Entwick-
lung der Störungsfunktion hergestellt, wo die Argumente der trigo-
nometrischen Funktionen nicht aus den mittleren, sondern aus den
exzentrischen Anomalien und Längen zusammengesetzt sind. Die Koeffi-
zienten dieser Entwicklung sind nach Potenzen von & und &’ geordnet,
wo
28 N 28
it! . Ti
Für die Differentialoperatoren II, und II,, = (m,m’<T) und für
I””" (m-++-m’<6) hat Nensorab die chen Ausdrücke ge-
En Weiter hat er die numerischen und die logarithmischen Werte
der Koeffizienten dieser Operatoren (für m + m’< 6) in Tafeln zu-
sammengestellt. In diesem Falle ist die Herleitung der Operatoren
einfacher, da og und y besonders einfache Funktionen der exzentrischen
Anomalie sind. Doch scheint die Berechnung der Koeffizienten
e =
Au "(s,s’) ebenso mühsam zu sein bei dieser Entwicklungsart (wenn
man von den Tafeln absieht), wie bei der schon betrachteten Entwick-
lung nach den mittleren Anomalien. In seiner Arbeit über die Be-
wegung der vier inneren Hauptplaneten hat Newcomb jedoch zuerst
nach den exzentrischen Anomalien entwickelt, um erst vor der Inte-
gration mit Hilfe der Besselschen Funktionen (siehe Nr. 44) zu den
mittleren Anomalien überzugehen. Bei Wahl der exzentrischen Ano-
malien ist die Entwicklung der Störungsfunktion rascher konvergent,
und die Zahl der nötigen Glieder wird deshalb viel kleiner als bei der
Entwicklung nach den mittleren Anomalien. Dieser Vorteil scheint
108) S. Newcomb, Wash. Astr. Papers 8, (1884).
594 VIs,13 H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
aber durch den notwendigen Übergang zu den mittleren Anomalien
mit Anwendung der Besselschen Funktionen neutralisiert zu werden.
Die von Cowell abgeleitete Formel (85) ist offenbar auch für
die bei der Anwendung der exzentrischen Anomalien auftretenden Ope-
ratoren gültig.
Es erübrigt noch zu erwähnen, daß A. S. Chessin!®)'!%) für die
Entwicklung nach den exzentrischen Anomalien Rekursionsformeln ge-
geben hat, die analog und sogar einfacher sind als die Gleichungen (86)
und (87). Endlich hat Chessin!) auch einige Rekursionsformeln für
die Berechnung der Koeffizienten A,’ ",(s, 8) publiziert.
23. Entwicklungen von Cauchy. Von A. L. Cauchy wurden zwei
Methoden vorgeschlagen, die derjenigen von Leverrier ziemlich ver-
wandt sind. In der ersten!!!) zeigte Cauchy, wie die Koeffizienten (75)
durch die Transzendenten b,’"’ anstatt durch b,''’ und seine Ableitungen
ausgedrückt werden können. Gleichzeitig hat er für die Berechnung
von 5,’ die später von Sundman angewandten Entwicklungen von
der Form (68) vorgeschlagen.
Bei seiner zweiten Methode?) entwickelte Cauchy, wie Leverrier,
& nach Potenzen von v = sin? 7. Bei den darauffolgenden Entwick-
lungen von
+ r?— 2rr cos w+o—vV—oN)] ?
führte er die vom Argumente r/r’ abhängigen Laplaceschen Koeffi-
zienten p. (7) ein. Dann wurden die Funktionen
r\:i,o/r
er Fe
nach Potenzen der Größe :
(9) a4
entwickelt, wodurch die im $ 7 betrachteten Transzendenten oe ein-
geführt wurden. In dieser Weise werden die Koeffizienten A, Be
der Entwicklung (76) linear durch die 0, +2 ausgedrückt. Diese von
Cauchy skizzierte Methode ist aber nie in allen Einzelheiten ausge-
führt worden.
109) A. S. Chessin, Astron. Journ. 14 (1894), p. 105, 153.
110) A. $. Chessin, Astron. Journ. 20 (1899), p. 73.
111) A. L. Cauchy, Paris C. R. 11 (1840), p. 453, 501 = (Euyres (1) 5,
p. 288, 811.
24. Entwicklung von Gyldön. 25. Entwicklung von Hill. 595
24. Entwicklung von Gylden. Die von H. Gylden angewandte
Entwicklungsmethode ist der zweiten eben besprochenen von Cauchy
sehr ähnlich. Gylden°®) entwickelte zuerst A-! in eine Fourriersche
Reihe nach Vielfachen des Winkels H zwischen den beiden Planeten.
Die so auftretenden Funktionen (88) (für » = 1) entwickelte er nach
Potenzen der kleinen Größe (89) und führte so die Transzendenten
AN » ein, die mit den Funktionen 9, von Cauchy zusammenfallen.
Später kam Gylden°®), bei der Entwicklung von A-*, auf die Tran-
szendenten y,”'. Der Zusammenhang derselben mit Cauchys 0” wurde
schon in $ 8 hervorgehoben. Als unabhängige Veränderliche verwandte
Gylden nicht die Zeit, sondern die wahre Anomalie des gestörten
Planeten. Zuerst bildete er die besonders einfache „fundamentale Ent-
wicklung“, welche nach den Vielfachen der beiden wahren Anomalien
fortschreitet. Diese Form ist aber für die Integration nicht geeignet.
Deshalb wurde die wahre Anomalie des störenden Planeten mittelst
der Keplerschen Gleichung durch die wahre Anomalie des gestörten
Planeten ausgedrückt. In dieser Weise entstand Gyldens „diastema-
tische Entwicklung“ der Störungsfunktion. Die Entwicklv rsmethode
Gyldens ist Gegenstand einer Reihe von Untersuchungen anderer Astro-
nomen gewesen. Betreffs derselben wird hier auf den Artikel von
K. Sundman verwiesen (VI2, Nr. 14). Hier sei nur gesagt, daß die
„diastematische Entwicklung“ von Gylden analytisch komplizierter ist,
als die Entwicklung (76) von Leverrier und Newcomb. Bei Gylden
sind in der Tat die Koeffizienten y,** mit Faktoren multipliziert, welche
Polynome des Verhältnisses der beiden mittleren Bewegungen sind,
während bei Leverrier und Newcomb die Laplacesci. :n Koeffizienten
und ihre Ableitungen nur mit rationalen Zahlen multipliziert vor-
kommen. Durch die Wahl der wahren (oder exzentrischen) Anomalie
des einen Planeten als unabhängiger Veränderlicher anstatt der Zeit t
wird die analytische Entwicklung der Störungsfunktion nur verwickelter.
25. Entwicklung von Hill. Unter der Annahme, daß die Bahn-
ebenen zusammenfallen, hat G. W. Hill"!?) die negativen ungeraden
Potenzen von A in trigonometrischen Reihen nach den Vielfachen der
wahren Anomalien entwickelt. Er geht dabei von der Reihe
PP Ze
112) G. W. Hill, Coll. Math. Works 4 (1907), p. 398—407.
596 VIsa, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
aus. In der Taylorschen Entwicklung
Miele
vernachlässigt er alle Glieder, wo j>8. Dann wird approximativ nach
Entwicklung von (=: en 1):
re.
m=0
wo die K einfache lineare Ausdrücke von den Größen (26) sind. Für
die Potenzen von r und r’ führt Hill ihre Fourierschen Reihen
(-Zomae"
ein und findet endlich erh:
(z )— > | Dx2.000 DE Keyloinrin
N, g,’=-o m=
Die Größe ®,”(e) entwickelt Hill bis zum achten Grade einschl. für
m—=—9, —8,..,+7,-+8.
26. Gruppenentwicklungen von Bohlin. Um die angenäherten
Störungen der kleinen Planeten gruppenweise zu berechnen, hat
K. Bohlin‘‘?) den Vorschlag gemacht, die Koeffizienten der trigono-
metrischen Entwicklung der Störungsfunktion nicht nur nach Potenzen
von e, e' und sin? = zu entwickeln, sondern auch nach den Potenzen
einer kleinen Größe w, welche durch die Gleichung definiert ist:
eo. (1 Se %),
wo u das Verhältnis der beiden mittleren Bewegungen und u, eine
einfache rationale Zahl wie 4, 4, 2, --- ist. Solche Entwicklungen
sind von K. Bohlin‘'®) im Falle von u,=+4, von H. v. Zeipel!) für
4, = 4 und von H.G. Block!) für u, = + ausgeführt worden. End-
lich hat K. G@. Olssin"!*) analoge Entwicklungen nach Potenzen von
[2
a eh ;
0 2 250
e— arcsin 12, e, sin——sin?6% 1 3u
118) K. Bohlin, Nova Acta Reg. Soc. Sc. Upsaliensis (3) 17 (1896). Siehe
auch: Sur le developpement des perturbations planetaires. Stockholm 1902.
114) H. v. Zeipel, St. Pet. mem. (8) 12 Nr. 11 (1902).
115) H. @. Block, Stockholm Obs. Astr. Jakttagelser etc. 8, Nr. 5 (1907).
116) K. @. Olsson, Stockholm Bih. K. Vet. Akad. Handl. 25, Nr. 8 (1900).
27. Zweiter Teil der Störungsfunktion. 597
veröffentlicht. Bei allen diesen Arbeiten wurde nach Hansens Vorgang
die exzentrische Anomalie des gestörten Planeten als unabhängige Ver-
änderliche verwandt.
In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, daß H. Luden-
dorf“) Entwicklungen gegeben hat, mit deren Hilfe die Gyldenschen
p,®+D für j=0; h=0,1,2,...,12 und für j=1,3,3; h=12
berechnet werden können, wenn log « nahe = 9,880 ist (die Hilda-
gruppe der kleinen Planeten).
27. Zweiter Teil der Störungsfunktion. Von den bisher be-
handelten Entwicklungen für den Hauptteil - der Störungsfunktion
ist es leicht, zu den entsprechenden Entwicklungen der vollständigen
Störungsfunktion R oder R’ [vgl. (1)] überzugehen. Für den zweiten
Teil der Störungsfunktion R ergibt sich für verschwindende Exzen-
trizitäten der Ausdruck
ne [ne + Ar le A? ver -tE+2) ide A.
Um aus der Entwicklung (70) für - die entsprechende Reihe
für R, abzuleiten, müssen also in der Formel (71) an b+%0 und b%#!
folgende Korrektionen angebracht werden
ob 0 — — Lou, ob" t1— — 4ev.
Die entsprechenden Korrektionen für den Übergang von I zu
&,
R, sind offenbar:
bt — — Aaru, bett — ta’.
Infolge der Ausdrücke (53) von b’' müssen deshalb an die Laplace-
schen Koeffizienten folgende Verbesserungen angebracht werden
b,4d— —e, d(ab,0) = — 2u;
N — a? lab) = — 2a.
Durch Differentiation dieser Ausdrücke ergeben sich leicht die-
jenigen Verbesserungen, welche an die, in den von T. J. Leverrier''?),
S. Newcomb"?) und H. Gylden“?®) gegebenen analytischen Entwick-
lungen von rn ‚ auftretenden, von & abhängigen Transzendenten anzu-
(90)
bringen sind, wenn man von dem Hauptteil x zu der vollständigen
Störungsfunktion R bzw. R’ überzugehen wünscht.
117) H. Ludendorff, Astr. Nachr. 140 (1896), p. 197.
118) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 273.
119) $. Newcomb, Wash. Astron. Papers 3, (1884), p. 56.
120) H. Gylden, Orbites absolues etc. 2, Stockholm (1908), p. 178, 178.
598 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
28. Kanonische Elemente. Wenn man in den Differentialglei-
chungen kanonische Elemente benutzt, was in vieler Beziehung vor-
teilhaft ist, so empfiehlt es sich, auch die Störungsfunktion nach
kanonischen Elementen zu entwickeln.
Ch. E. Delaunay'?') hat in seiner Mondtheorie anstatt der ellip-
tischen Elemente die kanonischen Elemente
(91) L, G, ®, 1, 9, 0
angewandt, wo
L=Yya, G=Yal—e), = Yall—e) cosi,
während i die Neigung der Bahn, / die mittlere Anomalie, 9 die Länge
des Perihels vom aufsteigenden Knoten, ® die Länge dieses Knotens
bedeutet. Derselben Elemente (91) hat sich übrigens, wenigstens teil-
weise, ©. @. J. Jacobi'??) bedient bei seiner Integrationsmethode des
Problems der zwei Körper. Von H. Poincare'?®) wurden zwei andere
kanonische Elementensysteme
(92) u HA
und
(93) A, B, pP, 4,0,
eingeführt. Hier ist (mit 8 einen von den Massen abhängigen Faktor
bezeichnend)
A= BL, H=Pß(L—G@), Z=Bß(G— 0),
i=1+9+0, h=—9—9, = —9,
&=YV2HcosÄh, n=YV2Hsinh,
p=V2Z cost, q=YV2Z sine.
Dieselben Elemente wurden übrigens ungefähr gleichzeitig von
P. Harzer‘*) in Anwendung gebracht. Die Elemente (93) sind den
Elementen (91) und (92) vorzuziehen. Die Elemente & und n sind
nämlich von der Größenordnung der Exzentrizität, » und q von der
Größenordnung der Neigung i. Weiter können ecosh, esinh, vcos$,
isin& nach Potenzen von &,n,7,g entwickelt werden. Es folgt daraus
für die Störungsfunktion eine Entwicklung nach den Vielfachen der
121) Ch. E. Delaunay, Paris Memoires de l’Acad. d. Sciences 28 (1860);
29 (1867).
122) C. @. J. Jacobi, Vorlesungen über Dynamik (1842—43): 24. Vorl. =
Werke 7, p. 183—189.
123) H. Poincare, Methodes nouvelles etc. 1, Paris (1892), p. 30.
124) P. Harzer, Die sükularen Veränderungen der Bahnen der großen Pla-
neten. Preisschr. der F. Jablonowsk. Ges. Leipzig 1895, p. 4.
29. Koeffizienten X” von Hansen. 599
mittleren Längen und nach den Potenzen der Größen &, 7,9, 9, 8, 7,25,‘
In allen Einzelheiten ist diese Entwicklung von @. Noren und J. A.
Wallberg'‘°) bis zu den Gliedern zweiten Grades einschl. durchgeführt
worden.
IV. Entwicklungen nach Potenzen des Verhältnisses der großen
Achsen.
29. Koeffizienten X,»* von Hansen. Wenn das Verhältnis y
der Radienvektoren wesentlich kleiner als Eins ist, kann es in manchen
Fällen vorteilhaft sein, die Entwicklung der Störungsfunktion in erster
Linie nach den Potenzen dieses Verhältnisses zu ordnen. So z.B.
wenn es sich um die Berechnung der allgemeinen Störungen der kleinen
Planeten oder einiger Kometen durch Saturn handelt. Vor allem ist
aber eine solehe Entwicklung der Störungsfunktion in der Mondtheorie
von Bedeutung.
Infolge der Formeln (70) und (71) im Verein mit der Entwick-
lung PN von Hansen ergibt sich die Reihe
en : y” ’ a ag
5 8 it yrrı
wo
n=0,1,2,-.-,-+ o,
s,s=-—n —n+2, —n+4..,n—2,n
Die Größe Ni ist durch die Formel (59) gegeben. Nun sind r und
v Funktionen der mittleren Anomalie M, während r’ und v’ von M’
abhängen. Nach Einführung der durch die Gleichung
(94) (rote = Dixpe om
i=—-o
definierten, von der Exzentrizität e abhängigen Größen X,** bekommt
man die Entwicklung
E 1 n, -n-1l,s n a
(95) N X, +q’ Sr (@)- 2 as s| \s’+s Tat.
n,3,8',9,9'
i VteL+rltadM Mm’)
’
wo noch die ganzen Zahlen qg und g’ alle Werte von — x zu + oo
annehmen. Die Entwicklung der Störungsfunktion R oder lieber die-
125) G@. Noren und J. A. Wallberg, Öfversigt af K. Sv. Vet. Akad. Förhandl.
1899, Nr. 9. Stockholm 1900 = Meddelanden frän Lunds astr. observatorium Nr. 10.
Vgl. auch ©. V. L. Charliers Mechanik des Himmels Bd. I, p. 301—316.
600 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
jenige von R— 4 erhält man durch Ausschließen der Glieder, wo
n=0,1.
Allgemeine Reihenentwicklungen für die Koeffizienten X,”* hat
P. A. Hansen“) gegeben. Er geht von dem Integralausdrucke
ER ER, I =) _ı 82
aller
]=1
aus, Wo
zu ch-ie, y=cV-1E, 2 = c/ -1M
ist. Als Integrationsvariable wählt er anstatt z entweder x oder y
und bekommt so für X,»* zwei andere Integralausdrücke. Die Inte-
gration wird nach Entwicklung der zu integrierenden Funktion nach
positiven und negativen Potenzen von x bzw. y ausgeführt. So findet
Hansen für X,”»* ziemlich komplizierte Reihenentwicklungen, wo die
Glieder rationale Funktionen von = k ee sind. Für i=0
werden die Entwicklungen einfacher, und man wird dann auf hyper-
geometrische Reihen oder Polynome geführt. Eine elegante Darstellung
dieser Hansenschen Formeln hat F. Tisserand!??) gegeben.
Eine andere Darstellung von X,”* verdanki man @. W. Hill.'®)
Er bemerkt, daß X,”* das konstante Glied von
ie 1
AH+NTAyl— er (l— =). tr)
ist. Die Entwicklung des rationalen Faktors nach positiven und nega-
tiven Potenzen von y führt auf Koeffizienten, die immer mit Hilfe
von hypergeometrischen Polynomen von s? ausgedrückt werden können.
Die Koeffizienten der Entwicklung des transzendenten Faktors sind
die Besselschen Funktionen der Argumente n Man bekommt so für
X,»* eine unendliche Reihe, deren Glieder aus hypergeometrischen Po-
lynomen und Besselschen Funktionen einfach zusammengesetzt sind.
Die Koeffizienten X,** können offenbar nach Potenzen von e ent-
wickelt werden. Dabei treten als Koeffizienten die Operatoren von
Newcomb auf (vgl. Nr. 22). Infolge der Definitionsgleichung (82)
dieser Operatoren ist in der Tat
(96) =D, Jr, m—lga=0,23,4,..., +.
126) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 2 (1855), p. 270.
127) F. Tisserand, Trait& de Me&e. cel. 1, p. 249—261
128) @. W. Hill, The Analyst 2 (1875), p. 176 = Works 1, p. 221.
80. Störungsfunktion der Mondtheorie. 601
G. W. Hill“) hat versucht, die analytische Form der Koeffizienten
der Reihe (96) zu finden, kam aber dabei im allgemeinen auf sehr
komplizierte Ausdrücke. Nur für den ersten Koeffizienten II,2!(n, s)
hat er einen ziemlich ein@ehen Ausdruck publiziert. Mit Hilfe des-
selben und infolge der Neweofßbachen Gleichungen (83) und (84) ist
die analytische Form des AnfangSfdigdes der Entwicklung nach Po-
tenzen von e und e’ eines beliebigen ®ßeffizienten der Fourierschen
Reihe (73) vollständig bekannt. Als Spe ip eines Theorems von
F. Tisserand'®) ergibt sich übrigens unter einfa@tez symbolischer Form
die allgemeine Entwicklung von X;*° nach Potenzefogon e.
Für numerisch gegebene Werte der Indizes q, m und n sind die
Il,”(n,s) Polynome von s vom Grade m. Einige dieser Polynome
können leicht aus denjenigen Entwicklungen abgeleitet werden, welche
U. J. J. Leverrier*?') für die Größen
(2) nn s@—M) n=0,—1,—2,..,—7
gegeben hat. Numerische Werte für die Koeffizienten der Entwick-
lungen von X»* nach Potenzen von e bis zum siebenten Grade einschl.
und fira=—5, —4,.., +4; s=0,1,...,5 sind von,A. Cayley'??)
publiziert worden. Endlich hat R.T. A. Innes"”?) die Koeffizienten
. n,8 N.8 n,8 e
der Entwicklungen X/”', X), ..-, X,,, nach Potenzen von e bis
zum siebenten Grade einschl. als Polynome von n und s ausgedrückt
Dieselben Polynome sind übrigens schon von $. Newcomb'*) in noch
größerer Ausdehnung (bis zum achten Grade einschl.) gegeben worden.
Man hat nur in Newcombs Ausdriieken n, s anstatt D, —i einzuführen
30. Störungsfunktion der Mondtheorie. Unter Hinweis auf den
Artikel VI2, 16 von E. W. Brown über Mondtheorie sei hier nur
folgendes bemerkt. In den Mondtheorien von Lubbock, Pontecoulant
und Delaunay wird die durch die Gleichung (2) gegebene Störungs-
funktion R” nach Potenzen der kleinen Größen «, e, €‘, v entwickelt.
Offenbar wird diese Entwicklung aus (95) erhalten, indem man zuerst
mit
diejenigen Glieder, für welche n—=0, 1 ist, wegläßt, dann ji
a
dem Faktor [(1 — 6)"-?— (— 0)"-1] multipliziert und endlich die Funk-
129) @. W. Hill, ibid. p. 222, 223.
130) F\. Tisserand, Paris C. R. 91 (1880), p. 897.
131) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 346, 348—355.
132) A. Cayley, Lond. Astr. Soz. Mem. 29 (1861) (Read Jan. 1859), p. 257—304.
133) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soz. Mem. 54 (1904) (Read Dez. 1902), p. 137.
134) S. Newcomb, Wash. Astron. Papers 5, (1895), p. 27—29.
602 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
tionen a, X), Kr »*(g) unter Verwendung der Formeln (59)
und (96) nach Potenzen von v bzw. e oder e’ entwickelt. Die so auf-
tretenden Koeffizienten sind in großer Ausdehnung von @. de Ponte-
coulant!”), A. Cayley'°°) und Ch. E. Delaunay'?”) berechnet worden.
Am weitesten hat es der letztere getrieben, indem er alle Kombinationen
nr EEE | 2/
" rg“ (sin _ J)
art 2
berücksichtigte, für welche (m + m’ +2f-+2n) < 10 ist.
V. Konvergenz der Entwicklungen. |
31. Formulierung der ersten Aufgabe. Die Störungsfunktion
kann, als eine periodische Funktion der in ihr auftretenden Winkel-
variabeln, in trigonometrischen Reihen entwickelt werden, die entweder
nach den Vielfachen der mittleren Anomalien M, M’ oder auch nach
Vielfachen von M, M’, ®, ®’ fortschreiten. Statt M und M’ können
auch z. B. die exzentrischen Anomalien E und E’ angewandt werden.
Die Konvergenz dieser trigpnometrischen Entwicklungen ist evident,
solange man den Fall eines Schnitts der Ellipsen ausschließt. Nun
lassen sich aber die Koeffizienten der trigonometrischen Reihen selbst
in all den im vorausgehenden behandelten Weisen in Potenzreihen
nach kleinen Größen wie e,e’, v, « entwickeln. Die hier auftretende
erste Aufgabe ist, die Konvergenz dieser Potengreihen für die einzelnen
Koeffizienten der trigonometrischen Entwicklung zu studieren.
Für den indirekten Teil der Störungsfunktion ist die eben be-
zeichnete Konvergenzfrage mit wenigen Worten zu erledigen. Die
Koeffizienten sind nur in bezug auf e und e’ transzendent, und ihre
Entwicklungen nach Potenzen von e und e’ konvergieren, wenn nur
le|<1, je] <1 ist (siehe z. B. Tisserand, Trait& Vol. I, Chap. XII).
Im folgenden wird daher nur der Hauptteil & der Störungsfunktion
betrachtet werden.
32. Integralausdrücke der Koeffizienten. Die wichtigsten trigo-
nometrischen Entwicklungen der Störungsfunktion sind die folgen-
135) @. de Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du monde 4, Paris
(1846), p. 58—61.
136) A. Cayley, Lond. Astr. Soz. Mem. 27 (1859), p. 76—86. Errata ibid. 28
(1860), p. 216.
137) Ch. E. Delaun:y, Paris, M&m. de l’Acad. des Sciences 28 (1860),
p. 33—54, 883,
32. Integralausdrücke der Koeffizienten. 603
den vier:
en a Kyle UmM+m'M+su+3' w)
(97) m, m’ ® m, m’, s,8
da —ImE+mEN) __ B** R Bad, i(mE+m'E +sw+s'w')
B,, m € m, m’
ın,m m, m’, s,8’
(m, m’, s, s' ganzzahlig).
Die Koeffizienten A, m, B,m’ Jassen sich nach der elementaren
Theorie der Fourierschen Reihen als Doppelintegrale darstellen. Das-
selbe gilt auch für die Koeffizienten Ar; und BY; für die zunächst
vierfache Integrale erhalten werden. Schreibt man nämlich:
< Au >’ 0*" eV -16o+sw),
Er
so lassen’ sich die Koeffizienten ®** dieser Entwicklung durch ein-
fache Umsetzung aus der Entwicklung (51) entnehmen, und zwar gilt:
‘8 +3
(98) Be,
r
wo b%/ die dort a al Jacobischen Koeffizienten sind. Da nun:
N ABER 3,8’ an ImM+mM) __ ss®’ V-1imE+m'E)
D Ar m’ Era - B,. m’ c
Ni, m’ m, m’
ist, so erhält man die Koeffizienten A”*
Doppelintegralen über ®**
In allen diesen Doppelintegralen werden passend anstatt M und
M’ oder E und E’ als Integrationsvariabele
FRE, ‚Z1E'
= ; y—(
B*”, durch Bildung von
m, m’) m, m’
gewählt. Nach Einführung ‘der Bezeichnungen
riet],
Re me Ay me \s
re a en ie Se Fern) Leert HERD,
ergibt sich:
| 1 Ve?dx dy
(100) a a egal
52
ss 1 ss Ve” dady
(101) 4,m=— ff? rt ymir
Die Integrationswege sind hier die Kreise in der komplexen Ebene
für z bzw. y |] =1, |yl=1.
604 VIe, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Wenn V=1, &=0 in (100) und (101) gesetzt wird, so be-
kommt man die Ausdrücke von B, „, und Bis,
Um die Konvergenzbedingungen der Entwicklungen von A, m
Bun Aa Bin, zu finden, sieht man sich nun auf das Problem,
geführt, die Singularitäten der entsprechenden Doppelintegrale, als
Funktionen der elliptischen Elemente betrachtet, zu suchen, da die
dem Nullpunkt nächstliegende Singularität die Konvergenzgrenze angibt.
33. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale.
.H. Poincare'*) hat allgemein gezeigt, wie solche Singularitäten ge-
funden werden können. Er betrachtet zuerst eine durch ein einfaches
Integral gegebene Funktion
fo—[F@, dx,
wo die Integration längs einer geschlossenen Kurve in der komplexen
x-Ebene auszuführen ist. Die im Endlichen liegenden Singularitäten
von F(z, z), als Funktion von x, werden mit &,, 25, . ... bezeichnet.
Dieselben sind im allgemeinen mit z beweglich. Es wird angenommen,
daß keiner der Punkte x, sich auf dem Integrationswege befinde. Der
Integrationsweg kann kontinuierlich in beliebiger Weise deformiert
werden, ohne daß f(z) seinen Wert ändert, solange nicht einer der
Punkte x, überschritten wird. Es werde jetzt weiter vorausgesetzt,
daß z in stetiger Weise sich verändert. Wenn dann irgendeiner der
Punkte x, sich dem Integrationswege nähert, so kann man diesen
Weg deformieren, um der heranrückenden Singularität auszuweichen.
Dies ist immer möglich, und f(z) bleibt holomorph, solange nicht
entweder zwei von verschiedenen Seiten des Integrationsweges kom-
mende x, zusammenfallen oder eine innerhalb der Integrationskurve
liegende Singularität x, sich ins Unendliche entfernt. Poincare nimmt
an, daß die x, Wurzeln einer Gleichung
p(z, 2) = 0
sind, welche sich in mehrere voneinander unabhängige Gleichungen
9%, 2) =(, p(, £) =(,
auflösen läßt. Unter dieser Annahme befinden sich die gesuchten
Singularitäten von /(z) unter den Wurzeln der Gleichungen, die er-
halten werden, wenn x aus den verschiedenen Paaren von Gleichungen
Be ,jm 1,2...
(102) 0, k=1,2,...
9,=0, = km 1,2,...
138) H. Poincare, Methodes nouvelles 1 (1892), p. 282; Paris Bull. astr. 15
(1898), p. 450—454; Legons 2, (1907), p. 101-106.
‘
34. Allgemeines über die Singularitäten bestimmter Integrale. Fortsetzung. 605 i
eliminiert wird. Denn jede Lösung eines solchen Gleichungspaares
bezeichnet das Zusammenfallen zweier Singularitäten.
Jeder in dieser Weise gefundene Wert von z . aber offenbar
noch nicht notwendig eine singuläre Stelle für f(z). Hierüber wird
in jedem einzelnen Falle eine spezielle Untersuchung nötig, die oft
den schwierigeren Teil der Aufgabe ausmacht.
34. Fortsetzung. Poincare geht weiter zum Aufsuchen der Singu-
laritäten des Doppelintegrals
f(e) —/ def Fz, y,2)dy
als Funktion von z betrachtet. Die Integration wird zuerst in der
y-Ebene längs einer mit x und z veränderlichen geschlossenen Kurve
C, ausgeführt und danach in der x-Ebene längs einer mit z beweg-
lichen geschlossenen Kontur (,.
Poincare nimmt an, daß die Singularitäten von F(x,y, 2) durch
die Gleichung
p(2,y,2) = 0
gegeben sind, und daß sich diese Gleichung in die folgenden irreduk-
tibeln Gleichungen auflöst:
(103) p(%, y,2)=I, Ps(®, Y; £) =(, pt, y,2)=0,
Zuerst werden die Gleichungspaare
9 =9,—0, ,j=123,...
09;
(104) p, = 2 —(, 1,2, 8,...
Gy =0, y—=w, —=1,2,3,...
betrachtet. Durch dieselben werden eine Reihe von Funktionspaaren
(2), y.(2) n=1,2,3,...
. definiert, welchen in den x- und y-Ebenen mit z bewegliche Punkte-
paare x,, %, entsprechen.
Solange die Kontur C,, während der stetigen Veränderung von z,
den Punkten x,(z) ausweichen kann, so lange bleibt offenbar f(z) holo-
morph. Nur wenn zwei von verschiedenen Seiten von ©) kommende
Punktepaare (z,,y,) und (z,,y,) zusammenfallen oder wenn ein Punkt x,
ins Unendliche rückt, kann f(z) aufhören, holomorph zu sein. Die
möglicherweise singulären Werte von 2 sind also diejenigen, für welche
entweder eins der Systeme (104) eine Doppellösung oder zwei dieser
Systeme eine gemeinsame Lösung oder endlich eins von diesen
Systemen eine ins Unendliche rückende Lösung bekommt. Da die
Integrationsordnung beliebig ist, so brauchen unter allen Systemen
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 40
606 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
von je drei Gleichungen, die so erhalten werden, nur diejenigen in
Betracht gezogen zu werden, in welchen die Differentiationen nach
x und y syınmetrisch auftreten. Alle diejenigen z, die möglicherweise
singulär für f(z) sein können, werden also nach Elimination von x
und y aus den verschiedenen Systemen von je drei Gleichungen
== —d; i,j,k=1,2,...
0(p,,9, FT
ee
(105) Ba
09, 209, 9
Kg 7 u i=1l,2...
9,—=0, z=y=m. i=1,2,...
erhalten. Aber wieder sind nicht alle diese Werte notwendig singu-
läre und eine spezielle Untersuchung ist in jedem einzelnen Falle nötig.
35. Konvergenz der Entwicklungen für A, und B, „. Im
Falle des Integralausdruckes (100) für A,,„. (und B, „ fr V=1,
2 = 0) werden die Gleichungen (103)
(106) =0,, 90, FIR ed:
Die Funktion z?y?A? ist ein Polynom sechsten Grades in x und y
mit Koeffizienten, die nur fre=-+1, ed = 1 nicht holomorph
sind. Da die letzte Gleichung sehr kompliziert ist, so ist es noch
nicht gelungen, die allgemeinen Konvergenzbedingungen für die Ent-
wicklungen von A. und DB, „. aufzustellen.
Für den allgemeinen Fall hat jedoch A. Poincare?’) den Satz aus-
gesprochen: Die Entwicklungen aller Koeffizienten A, „. und BD, m
besitzen denselben Konvergenzbereich. Dieser Satz folgt daraus, daß
die Gleichungen (106) unabhängig von m und m’ und außerdem dieselben
für A... und Bm Sind.
Von Spezialfällen hat H. Poincare*) zuerst denjenigen behandelt,
wo e=e=( ist. Dann ist xyA? ein Polynom zweiten Grades in
x oder y. Die Auflösung der Gleichungssysteme (105) gibt dann für
die Singularitäten der Koeffizienten b’’ die Bedingungen
(107) n=0, v=0, IT+a+2atutrv)=0.
In eingehender Weise sind diese Singularitäten von H. v. Zeipel‘*')
untersucht worden. Für die Entwicklungen (53) hat er den Konver-
139) H. Poincare, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 457; Lecons 2, (1907), p. 107.
140) H. Poincare, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 457—459; Legons 2, (1907),
p- 108—112.
141) H. v. Zeipel, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv. 6, Nr. 83 (1911), p. 17.
35. Konvergenz der Entwicklungen für A, „ und B,, m 607
genzkreis
v|= ae)!
a ©
gefunden. Außerdem hat er gezeigt"‘?), daß die Hansensche Entwick-
lung (60) auf ihrem Konvergenzkreis |«| = 1 nur die Singularitäten
in P V-1J)
besitzt. Für «= +1 sind diese Funktionselemente holomorph,
venn O<J<m.
Aus den Bedingungsgleichungen (107) geht weiter hervor, daß
die Appellschen Entwicklungen (64) konvergent sind, sobald
12Bul + 12Pvi<I1.
Ebenso findet man für die Sundmansche Entwicklung (68) die
Konvergenzbedingung
vIi< kung u.
. 20
Die Entwicklungen (60), (62), (64), (65), (66), (68) sind für alle
Werte der Neigung konvergent, wenn nur @«<1.
H. Poincare“'?) hat ferner auch den Spezialfall J= 0 behandelt.
Dann ist A? eine Summe von zwei Quadraten und kann deshalb in
zwei Faktoren aufgelöst werden. In diesem Falle ergeben sich für
die Entwicklungen von A, und B,„, nach Potenzen von e und €
die Konvergenzbedingungen
lel<1, jel<1l,
a? e| + a’?le'?| + 2aa’ |ee' cos (a — ©) < (a -—- a)”.
In einem dritten Spezialfalle, wo die Bahnen konzentrisch sind
(€ = ae), hat A. Feraud“) die Konvergenzbedingungen der Entwick-
lungen von A,„„’ und B,„’ nach Potenzen von e und sin J, oder
von e und sin? £, oder von e, cos Z, sin® 2 anfgestellt.
Endlich hat A. Feraud'*) versucht, diejenigen Spezialfälle zu be-
handeln, wo die eine Bahn kreisförmig ist, während die Apsidenlinie
der anderen Bahn mit der Knotenlinie zusammenfällt oder dazu senk-
recht steht. Er leitet die Gleichungen (105) ab. Es ist ihm aber nicht
gelungen, aus diesen komplizierten Gleichungen die gesuchten Kon-
vergenzbereiche zu finden.
142) H.v. Zeipel, ibid., p. 12, 15.
143) H. Poincare, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 460—464; Legons 2, (1907),
p. 112—117.
144) A. Feraud, Paris Bull. astr. 16 (1899), p. 449—456.
145) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 10 (1902), p. i—37. Auszüge Paris
C. R. 130 (1900), p. 1376; 131 (1900), p. 661.
40*
608 VI», 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
36. Konvergenz der Entwicklungen für ing und BE; Da
die Singularitäten von 5%’ durch die Bedingungen” (io7) käksene. sind,
so findet man leicht, daß die Gleichungen
e0, yo r-0, r-0, r+4r—0, r tet Vr—0
alle endlichen Singularitäten der in (101) integrierten Funktion geben.
Aus diesen Gleichungen und aus den entsprechenden Systemen (105)
hat H.v. Zeipel““®) die Singularitäten von A und 9 abgeleitet
und außerdem die Konvergenzbedingungen für die Entwicklungen
dieser Funktionen aufgestellt.
Diese Bedingungen sind
el<1, Jei<1, ale + aje| <Ya+a?—2aa’ cosJ
für die Entwicklungen nach Potenzen von e und e’; und
f PR, #7 1 ran iR 2
el<1, aliteli<a—a, <a
für die- Entwicklungen nach Potenzen von e, e’ und ».
Die Konvergenz der Entwicklungen nach Potenzen von e und e’
nimmt also mit der Neigung der Bahnen zu.
37. Formulierung der zweiten Aufgabe. Bei der praktischen
Anwendung der analytischen Entwicklungsmethoden werden meistens
die Koeffizienten der betreffenden Fourierschen Reihe nach Potenzen
der kleinen Größen e, e’ und v entwickelt. Dabei werden alle Glieder
von höherer Ordnung als z. B. der siebenten vernachlässigt.
Was man also vornimmt, ist im Grunde gar keine trigonome-
trische Entwicklung, sondern eine Entwicklung der ganzen Störungs-
funktion nach Potenzen der kleinen Größen e, €’, v, und es ist die
Konvergenz dieser Potenzentwicklung, welche zu untersuchen ist
und welche eigentlich viel mehr Interesse hat als die bisher behan-
delte Konvergenzfrage für die einzelnen Entwicklungskoeffizienten.
Die Entwicklung des zweiten Teiles der Störungsfunktion nach
Potenzen von e und e’ ist wieder eine ziemlich einfache. Bei Anwen-
dung der wahren oder der exzentrischen Anomalien sind die Konver-
genzbedingungen
al. 1; lei.
Wenn aber die mittleren Anomalien gewählt werden, dann treten die
der Keplerschen Gleichung entsprechenden Lagrangeschen Reihen auf.
Die Konvergenzbedingungen lauten dann (für beliebige reelle Werte
von M und M’)
lel<x, jel<x, wo x = 0,6627434193...
146) H.v. Zeipel, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv 6, Nr. 33 (1911), p. 20, 37,44.
838. Konvergenz der Entwicklung von A-'. 609
Der Wert von x wurde zuerst von P. $. Laplace‘*”) aus den asympto-
tischen Ausdrücken der Koeffizienten hergeleitet. Dieselbe Grenze
wurde später verschiedentlich aus funktionentheoretischen Gesichts-
punkten bestimmt. [Siehe II B1, Nr. 15 (Osgood) und VI 2,9, Nr. 4
(Herglotz)]. In letzter Zeit hat noch H. Poincare‘“*) diese Kufzabe
behandelt.
38. Konvergenz der Entwicklung von A-!. Die Konvergenz-
bedingungen für die Entwicklungen des Hauptteils der Störungsfunk-
tion A=! nach Potenzen von e, e' (und v) zu finden, scheint eine sehr
schwierige Aufgabe zu sein, die jedenfalls bisher in ihrer Allgemein-
heit noch ungelöst ist. K. F. Sundman') hat den Fall behandelt,
wo v=( ist. Dann ist
7 Wer N (Mer
an een
Es wird gesetzt
eg’ ""?, e ZDERT M
wo 0, g' reell und positiv, p, p’ reell sind. Mit 9 und 9° werden
solche Werte von go und o’ bezeichnet, daß A?—=0 für o=9, 0 =!’
und für gewisse reelle Werte von M, M’, 9,9, © — ®, während
dagegen A?-+-0, solange e<p, 0 < Y Die gesuchten Bars
bedingungen für die Entwicklung von A”? nach Potenzen von e und
e' sind dann offenbar
lei<p, lei<e.
Sundman setzt weiter
V-1v
,
IR ia re —1v
R=|re
und bezeichnet mit Ry(g) den größten Wert von R für gegebenes go
und beliebige M und 9; mit R/(e’) den kleinsten Wert von R’ für
gegebenes o’ und beliebige M’ und p’. Die gesuchten Werte von
und 0 werden dann offenbar durch die Gleichung
Ru(e) auge: Rn(E')
verbunden. Sundman hat gezeigt, daß R einen Maximalwert
all+2g+0+,0+--) für M=3, 9-%
147) P. S. Laplace, Paris mem. pres. (2) 6, annde 1823 (1827), p. 61 =
(Euvres 12, p. 549—560. Vgl. Mee. cel. Suppl. au 5° Vol., Nr. 2, 3 (1825) =
(Euvres 5, 5 473 —484.
148) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 28—33.
149) K. F. Sundman, Ohr: die Störungen der kleinen Planeten usw. Akad.
Abh. Helsingfors (1901), p. 18—23.
610 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
und einen Minimalwert
2
a(1 2 +®-ze+:) fr M=7, 9-7
besitzt. Damit sind aber vielleicht nicht das größte Maximum und
und das kleinste Minimum gefunden. Deshalb kann Sundman nur
folgendes Divergenzkriterium formulieren: Die Entwicklung von A?
nach Potenzen von e und e’ divergiert, wenn
a<a, ‘=6,;
al+2e+e +3 +3e+-)>a(l—2e +e?— Fe? +3e!—.-.).
Einige hinreichende (aber nicht notwendige) Bedingungen für die
Konvergenz der Entwicklung von A! nach Potenzen von e, e’ und
v hat @. Silva”) aufgestellt.
VI. Allgemeine Theorie der Rekursionsformeln und
Differentialgleichungen.
39. Formulierung der Aufgabe. In der Theorie und bei der
praktischen Berechnung der Laplaceschen Koeffizienten 5,® spielen die
Rekursionsformeln, die zwischen je dreien von diesen Koeffizienten
und ihren Ableitungen bestehen, eine wichtige Rolle. Vermutlich
würde auch die Berechnung der Koeffizienten b»’ und ihrer Ablei-
tungen durch geeignete Ausnutzung der Jacobischen Rekursionsformeln
(oder damit analoger) vereinfacht werden können. Ein noch wesent-
licherer Fortschritt wäre es, wenn man direkt die Koeffizienten der
rein trigonometrischen Entwicklungen der Störungsfunktion (oben
Gl. (97)) durch Rekursionsformeln berechnen könnte. Dann wäre man
der Frage der Konvergenz der Entwicklungen nach den Potenzen
der Exzentrizitäten und anderer kleiner Größeu enthoben und hätte
es nur mit den zweifellos konvergenten trigonometrischen Entwick-
lungen selbst zu tun. Schon 0. @. J. Jacobi'') hat angegeben, daß
die Koeffizienten B,,„. der Entwicklung nach den exzentrischen Ano-
malien mittels 15 von ihnen durch lineare Rekursionsformeln ausge-
drückt werden können. Das folgt aus den Identitäten:
Den
mtl, freie,
wenn man für A! die trigonometrische Kaas: a A? seinen
Ausdruck als gänze Funktion von x, 1/2, y, 1/y einsetzt. Zugleich
schwieriger und wichtiger ist es, analoge Rekursionsformeln für die
150) G. Silva, Paris Bull. astr. 26 (1909), p. 49, 97.
151) ©. @. J. Jacobi, Werke 7, p. 287 (Nachlaß).
40. Reduktion einiger Doppelintegrale. 611
Koeffizienten A, „, der trigonometrischen Entwicklung nach den mitt-
leren Anomalien aufzustellen. Zur Lösung dieser Fragen hat H. Poin-
care52)153)154) die allgemeine Theorie der Doppelintegrale algebraischer
Funktionen von zwei Veränderlichen herangezogen. Die auf diesem
Wege bisher erhaltenen Resultate werden im folgenden dargestellt.
Es sei aber bemerkt, daß eine Durcharbeitung dieser Rekursionsfor-
meln bis zur rechnerischen Brauchbarkeit noch aussteht.
Mit der Existenz von Rekursionsformeln ist überall die von ent-
sprechenden Differentialgleichungen höherer Ordnung für die Koeffi-
zienten verbunden.
40. Reduktion einiger Doppelintegrale. Poincare betrachtet?) 19%)
die Doppelintegrale
32
(108) Hin He’dady
j ayr:
welche längs gewissen geschlossenen Flächen im Gebiete der komplexen
Veränderlichen x und y ausgeführt werden. In denselben ist 2s eine
ungerade Zahl. & und F' sind gegebene Polynome von x, x7!, y, y!
vom Grade » bzw. f, während H ein beliebiges Polynom vom Grade h
ist. Ein Polynom
(109) 97 Azıy
heißt dabei vom Grade n, wenn |a|<n, |b|<n. Das allgemeine
Polynom vom Grade » enthält (22 + 1)? arbiträre Konstanten.
Die Integrale IT können auf eine gewisse Anzahl voneinander
linear unabhängiger unter ihnen reduziert werden. Es ist in der Tat
IT=0, wenn H durch die Gleichung
(110) ee 0 ln DU va
xy F* öx yF" oy «F”
bestimmt wird, wo P und Q beliebige Polynome vom Grade y=h—f—o
bezeichnen. Es scheint zunächst, als ob man auf diese Weise ent-
sprechend den 2(2p-+1)? willkürlichen Konstanten von P und ®
auch ebensoviele Rekursionsformeln zwischen den (2% + 1)? Inte-
gralen II fände. Indessen sind offenbar alle solche Kombinationen
von Funktionen P und Q auszuschließen, bei welchen H identisch
Null wird. Man erhält alle Kombinationen letzterer Art, indem man
in den Gleichungen
(111) Te 2 (ER), ein 2 25) “
yF oy\F xF ox\F
152) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 180.
153) H. Poincare, J. de Math. (5) 3 (1897), p. 203—276.
154) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 119—139.
612 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
S so bestimmt, daß P und @ Polynome vom Grade py<h—-f—o
werden. Poincare zeigt nun, daß dann 5 notwendig ein Polynom vom
Grade (p—f—o) ist. Die Zahl der auf diese Weise zu findenden
linearen Relationen ist also nur 2(2p +1)? — [?(p —f—o) +1].
Damit folgt, daß es höchstens
(R+ 1 — 2[2—f—o)+ 1] + [2(0—2f—20) +1? 8(f+ 0)’
voneinander linear unabhängige Integrale II von der Form (108) gibt.
Diese Anzahl ist unabhängig von h und s.
Um zu beweisen, daß 5 ein Polynom ist, studiert Poincare die
Verzweigungen der Funktion
Sc” BEER 5 OR au [ie Ben).
F'? Fr’! x Fr! yJ
Diese Funktion kann offenbar nur dann aufhören, holomorph zu sein,
wenn eine der Gleichungen
(112) 0, y=0, AyFay)=fl,y)—0
befriedigt ist.
E. Picard'®) hat gezeigt, daß jeder vor x, y beschriebene ge-
schlossene Weg durch kontinuierliche Deformation in einen anderen
transformiert werden känn, welcher aus einem Punkte der y-Ebene
und einem geschlossenen Weg in der x-Ebene besteht, ohne daß
irgendeine der Gleichungen (112) befriedigt wird. Es genügt daher,
nur die Verzweigungen der Funktion
2
F x
zu studieren. |
Die zyklischen Perioden dieser Funktion sind infolge der Inte-
grabilitätsbedingung des Systems (111) von y unabhängig. E. Picard'°®)
hat weiter gezeigt, daß jeder Zykel, auf welchem YF eindeutig bleibt,
in eine Anzahl Partialzykeln aufgelöst: werden kann, von welchen
jeder durch Variation von y in einen Punkt zusammengezogen werden
kann, so daß die entsprechende zyklische Periode Null ist. Der Be-
weis von Picard setzt nur voraus, daß die Gleichung (112) irreduk-
tibel ist, und daß für die singulären Werte von y nur zwei Wurzeln
sich untereinander vertauschen. Unter diesen Bedingungen besitzt
also U keine zyklische Periode.
Polare Perioden können nur für = 0 auftreten und dann nur,
155) E. Picard, Thsorie des fonctions algebriques de deux variables inde-
pendantes 1 (Paris 1897), p. 68, 69.
156) E. Picard, ibid., p. 88—90.
40. Reduktion einiger Doppelintegrale. 613
wenn. f eine gerade Zahl ist. Auch die polare Periode ist von y un-
abhängig, wechselt aber ihr Vorzeichen, wenn y eine ungerade Wurzel
der Gleichung ae
mer
umkreist. In dieser Weise fand Poincare, daß die Funktion U keine
polare Periode besitzt, wenigstens wenn f(0,y) oder f(x, 0) ungerade
Nullstellen haben.
Wenn x einen Zyklus beschreibt und YF dabei sein Vorzeichen
wechselt, so geht U in einen Wert T=h— U über, wo h eine
Konstante ist, denn man hat
ai, Pe” ou
2 El lager Yy 9y
Die Konstante h hat für alle solche Zykeln denselben Wert, sonst
würde U eine von Null verschiedene Periode haben.
Durch Hinzufügung einer Konstanten kann U offenbar so defi-
niert werden, daß U sein Vorzeichen zusammen mit YF wechselt.
Dann ist UYF und also auch S eine eindeutige Funktion.
Diese Funktion $ kann nur mit 27 und I unendlich werden,
0x
d. h. für
wo, y=o, 1.0, y=0, F=).
Wenn F=0 ist, so werden = und ee unendlich von der Ord-
nung s—1 und deshalb U unendlich von der Ordnung s— 2, woraus
folgt, daß S endlich bleibt. Indem Poincare endlich die Größenordnung
von 8 zuerst für große und kleine x, dann für große und kleine y
untersucht, findet er, daß S ein Polynom vom Grade p — f— o in
z, a Y, 7 ist.
Die Anzahl voneinander linear unabhängiger Doppelintegrale II
wird kleiner, wenn die Polynome gewisse Symmetrieeigenschaften be-
sitzen. So z. B. wenn F, & und H unverändert bleiben, wenn x und
y gleichzeitig ihr Vorzeichen wechseln. Im Ausdruck (109) für diese
Polynome sind dann a und b gleichzeitig gerade oder gleichzeitig un-
gerade. Ein Polynom vom Grade n mit dieser Eigenschaft enthält nun
o(n)=2n’+2n +1
willkürliche Konstanten. Poincar& zeigt, daß in diesem Falle nur solche
Polynome P, Q und $ zu betrachten sind, welche ebenfalls die oben
erwähnte Symmetrieeigenschaft besitzen. Er findet, daß in diesem
Falle die Integrale IT durch eine Anzahl von höchstens
(113) eh) — 20(h— f— o) + 9(h— 2f— 20) = 4(f-+ 0)?
unter ihnen linear ausgedrückt werden können.
614 VIa,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
41. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen mit ratio-
nalen Koeffizienten. Die vorstehende allgemeine Theorie hat H. Poin-
care'®') angewandt, um die Rekursionsformeln und Differentialglei-
chungen der durch die Formel (100) definierten Koeffizienten A,, „.
(und B,„') zu studieren. Anstatt x und y führt er als Integrations-
variablen & und n durch die Transformation
z=$&n, y--
ein. Dann werden A?, welche Funktion die Rolle von F spielt, und
2 Polynome von &, &4, n, n"! vom Grade f=2 undo=1 (vo=0
für B,,,.) mit Koeffizienten, die rationale Funktionen der Keplerschen
Elemente
’ ‚ J N
(114) a, ad, £, &£, tg 9? tg Y tg 5
sind. Die Koeffizienten A, und B, „. nebst ihren Ableitungen nach
den Elementen (114) können so durch Integrale von der Form (108)
ausgedrückt werden. Dabei ist aber zu bemerken, daß 2 für die
Koeffizienten A, „, und ihre Ableitungen die Indizes m und m’ ent-
hält. Die Funktion A? erfüllt im allgemeinen Falle die Bedingungen,
welche dem Polynome F' in Nr. 40 auferlegt wurden. Poincar& ge-
langt daher zu folgenden Sätzen:
Zwischen den Koeffizienten B,, „. in der trigonometrischen Ent-
wicklung von A”! nach den Vielfachen der exzentrischen Anomalien
existieren lineare Rekursionsformeln mit Koeffizienten, die rationale
Funktionen der Elemente (114) sind. Mit Hilfe dieser Rekursions-
formeln können alle diese Koeffizienten D, „, durch 16 unter ihnen
ausgedrückt werden.
Jeder Koeffizient B,,„,, als Funktion eines der Elemente (114)
betrachtet, genügt einer homogenen linearen Differentialgleichung von
höchstens 16. Ordnung mit Koeffizienten, die rationale Funktionen der
Elemente (114) sind.
Jeder Koeffizient A, „. in der trigonometrischen Entwicklung
von A! nach den Vielfachen der mittleren Anomalien, als Funktion
eines der Elemente (114) betrachtet, genügt einer homogenen linearen
Differentialgleichung von höchstens 36. Ordnung mit Koeffizienten,
die rationale Funktionen der Elemente (114) sind.
In dem Spezialfalle e= e—0 ist A, „= Bu,m, und diese Koeffi-
zienten gehen in die Jacobischen b"’ über. Das Polynom A? ist vom
Grade f= 1 und bleibt unverändert, wenn x und y gleichzeitig ihre
157) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 127—132.
41. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen. 615
Vorzeichen wechseln. Es ist in der Tat'®)
= a+a?— adu(ey'+arty) — adv(ay+ar'yr)).
Weiter ist xyA? irreduktibel und besitzt für = (0 einfache Null-
stellen. Es folgt also der Satz:
Zwischen den Koeffizienten b’’ und ihren Ableitungen nach «,
u oder v existieren lineare Rekursionsformeln mit Koeffizienten, die
«, u, v rational enthalten. Mit Hilfe dieser Rekursionsformeln können
die b5/ und ihre Ableitungen mittels vieren von ihnen ausgedrückt
werden.
Denselben Satz beweist Poincare°®) auch in anderer Weise, in-
dem er anstatt x und y die Veränderlichen z und w durch die Trans-
formation
g=iy"", w—= xy
einführt. Für den Beweis stützt er sich auf den Umstand, daß A? in-
variant ist, wenn z durch > oder w durch Z ersetzt wird.
Bei einem dritten Beweis führt Poincare'), um zu zeigen, daß
S ein Polynom ist, im Integralausdruck für U die elliptische Funk-
tion p(w) anstatt x ein. Von den Poincareschen Grundgedanken ge-
leitet hat übrigens A. Feraud'®') gleichzeitig gezeigt, daß die Zahl
der linear unabhängigen unter den b’’/ höchstens vier ist.
Von denselben Prinzipien ausgehend hat ferner A. Feraud'®) auch
eine Reihe anderer Spezialfälle behandelt und eine obere Grenze für
die Anzahl der unabhängigen Koeffizienten bei Entwicklung von A!
nach Vielfachen der exzentrischen Anomalien bestimmt. Dabei hat er
sich der für jeden Spezialfall charakteristischen Symmetrien des Po-
lynomes A? bedient.
Von A. Lambert") sind einige Differentialgleichungen für die
durch die Entwicklung (61) definierten Koeffizienten b,'’ abgeleitet
worden. Einer dieser Differentialgleichungen widmete er eine eingehende
Untersuchung. Diese Gleichung ist
ı 927 41-1 4°—1
DIA ARD uxX— yi’
(115)
158) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 136, Nr. 297.
159) H. Poincare, ibid., p. 132—136.
160) H. Poincare, Paris Bull. astr. 14 (1897), p. 449—466; 15 (1898), p. 70—71.
161) A. Feraud, Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 369—377.
162) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 8 (1898), p. 1—66; Auszüge Paris‘
C. R. 126 (1898), p. 1402; Paris Bull. astr. 16 (1899), p. 93—101.
163) A. Lambert, Obs. de Paris ann. 26 (1910), p. CO 1—45. Auszug Paris
©. R. 144 (1907), p. 183.
616 VIe, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion
wo
3 2-1. , acosJ
Zi=(1+0)? asinJ).bi), X- Yo :
&
1+0? 1+.0?
Lambert zeigte, wie die Gleichung (115) durch sogenannte
Moutardsche Transformationen'!®) in die entsprechenden Differential-
gleichungen für
Bersrt Bir A Re Fe
übergeführt werden kann.
Lambert wendete außerdem das sog. Riemannsche Integrationsver-
fahren für die Gleichung (115) im Falle «=j= 0 an. B. Riemann!)
hat, wie bekannt, einen Ausdruck für diejenige Lösung der Gleichung
(116) a aa, y)
gegeben, welche auf den beiden Linien >= a und y=b gegebene
Werte annimmt. Für die Anwendbarkeit dieser Methode ist es nötig,
die sog. Riemannsche Funktion zu kennen, d.h. eine Lösung 2(2, y; &,, %.)
mit zwei Parametern x,, y, und mit der Eigenschaft
2(&9, Y; 2 Y) E 28, Yo; u El.
Lambert hat die Riemannsche Funktion für die Gleichung (115) im
Falle <=j = 0 abgeleitet.
42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differential-
gleichungen mit eindeutigen Koeffizienten. Es werde wie oben an-
genommen, daß in der Formel (108) die Integration längs einer ge-
schlossenen zweidimensionalen Fläche im vierdimensionalen Gebiete
der komplexen Veränderlichen x und y auszuführen ist. Weiter werde
angenommen, daß auf dieser Fläche die Funktion unter den Integral-
zeichen stetig und eindeutig ist. Solange diese Bedingung erfüllt ist,
behält die sog. Periode II ihren Wert unverändert, wenn auch die
Integrationsfläche in kontinuierlicher Weise deformiert wird. Es gibt,
wie bekannt, eine gewisse Anzahl von solchen geschlossenen Flächen
(117) es A ee
oder von entsprechenden Fundamentalperioden
(118) IL, I, ..., I,
mit der Eigenschaft, daß jede beliebige Periode II eine lineare Kom-
164) M. Moutard, J. Ecole Polyt. cah. 45 (1878), p. 1—11 (presente a
l’Acad. 1870). Vgl. Darboux, Theorie des surfaces 2, p. 144.
165) B. Riemann, Göttingen Abh. der K. Ges. Wiss. 8 (1860) = Werke,
2. Aufl., p. 156. Vgl. Darboux, Theorie des surfaces 2, p. 71.
42. Fundamentalperioden. Rekursionsformeln und Differentialgleichungen. 617
bination mit ganzzahligen Koeffizienten dieser Fundamentalperioden ist
H. Poincare®®) betrachtet nun k + 1 Perioden IT
(119) mo, I7®, ..., Im@+»,
in welchen die Polynome H oder 2 verschieden, aber das Polynom F'
und die Integrationsfläche für alle gemeinsam sind. Man kann z. B.
aus den Koeffizienten A, „.,, B.,m’ und ihren Ableitungen eine Anzahl
von k +1 beliebig herausgreifen. Die den Flächen (117) entsprechenden
Fundamentalperioden von II® werden mit
1,9, I19, ..., 1,0
bezeichnet. Zwischen den Perioden (119) besteht dann offenbar die
Rekursionsformel
12 A 3 ee A,
(2) (2) (2) \
e+D IL0rD .,. nern |
welche auch in der Form
I7%+9) = ©1790 + &,1® +... ®,11®
geschrieben werden kann. Poincar& beweist, daß die Koeffizienten ®
eindeutige Funktionen der Elemente (114) sind. Dieselben sind in
der Tat Quotienten aus Determinanten der Ordnung k, die aus den
k letzten Kolonnen der Determinante (120) gebildet werden. Wenn
die Elemente (114) einen beliebigen geschlossenen Weg im komplexen
Gebiet beschreiben, so wird auf jeder Zeile dieser Determinanten eine
und dieselbe lineare Substitution ausgeübt. Jede von diesen Deter-
minanten wird dann also mit einem und demselben Faktor multipli-
ziert. Die Quotienten ®,, ..., ®, sind deshalb eindeutig.
Wenn die Integrale IT nur algebraische Singularitäten besitzen,
so sind die Koeffizienten offenbar rationale Funktionen der Ele-
mente (114). Dieser Fall trifft zu für &—=0. Die Zahl der linear
unabhängigen unter den B,, „‚ ist aber höchstens 16 im allgemeinen
und-4, wenn die Exzentrizitäten Null sind. Für die Störungsfunktion
weiß man daher, daß k<16 in dem allgemeinen Falle, und daß k<4,
wenn e=ed—=(.
In dieser Weise hat H. Poincare& den folgenden Satz gefunden:
Zwischen den Koeffizienten A, „. in der trigonometrischen Ent-
wicklung von A”! nach den Vielfachen der mittleren Anomalien
existieren lineare Rekursionsformeln mit Koeffizienten, die eindeutige
166) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 137—139.
618 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Funktionen der Elemente (114) sind. Mit ihrer Hilfe können alle
diese Koeffizienten A, „, durch höchstens 16 unter ihnen ausgedrückt
werden. Jeder Koeffizient A, „., als Funktion der Elemente (114) be-
trachtet, genügt außerdem einer homogenen linearen Differentialglei-
chung von höchstens 16. Ordnung mit Koeffizienten, die eindeutige
Funktionen dieser Elemente sind.
Poincare spricht die Hoffnung aus, es werde sich bei dem Auf-
suchen der Fundamentalperioden zeigen, daß die Ordnungszahl % be-
trächtlich kleiner als 16 sei.
VI. Numerische Entwicklungsmethoden.
43. Unzulänglichkeit der analytischen Entwicklungen. Die
analytischen Entwicklungen der Störungsfunktion sind für die allge-
meine Störungstheorie von großer Bedeutung, besonders bei Unter-
suchungen über die allgemeinen Eigenschaften der Planetenbewegung.
Aber auch bei Aufgaben von beschränkterer Natur, wenn es sich
z. B. um die Vorausberechnung der Bewegung der Planeten für einige
Jahrhunderte handelt, können dieselben von Nutzen sein. Ein großer
Vorteil ist dabei, daß isolierte Glieder direkt berechnet werden können,
unabhängig von den übrigen Gliedern. Eine notwendige Voraussetzung
für die Anwendbarkeit der Leverrierschen und Newcombschen Ent-
wicklungen ist aber im allgemeinen, daß wenigstens die Exzentrizi-
täten sehr kleine Größen sind. Für die Bahnen der großen Planeten
scheint ja diese Bedingung erfüllt zu sein. Aber auch bei diesen
Hauptplaneten kommt es zuweilen vor, daß gewisse Störungen von
sehr langer Periode in der Praxis nicht berechnet werden können
mit Hilfe von Reihen, die nach Potenzen der Exzentrizitäten geordnet
sind, da die Glieder dieser Reihen im Anfang zu langsam abnehmen.
Die Exzentrizitäten mancher Asteroidenbahnen sind so groß, daß Ent-
wicklungen nach Potenzen derselben von vornherein vermieden werden
müssen. Weiter ist es offenbar, daß solche Entwicklungen bei Unter-
suchungen über die Bewegungen der Kometen unbrauchbar sind.
In manchen Fällen müssen deshalb die Koeffizienten der Fourier-
schen Reihen für die Störungsfunktion und ihre Ableitungen durch
Methoden berechnet werden, bei’ welchen schon von Anfang an die
numerischen Werte der Elemente a, u‘, e, e', @, ®, J in die Rech-
nung eingeführt werden. Es kann übrigens die Frage aufgeworfen
werden, ob nicht bei allen Bewegungstheorien in unserm Sonnensysteme
die numerischen Entwicklungsmethoden den analytischen vorzuziehen
sind, wenn eine der Genauigkeit der modernen Beobachtungen ent-
sprechende Schärfe der Theorie angestrebt wird.
44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren. 619
44. Übergang von exzentrischen Anomalien zu mittleren. Bei
mehreren dieser numerischen Methoden werden die Reihen zuerst
nach den Vielfachen einer exzentrischen Anomalie geordnet, weil die
Distanz A einfacher durch diese Anomalie als durch die mittlere aus-
gedrückt wird. Um von der Entwicklung einer Funktion nach den
Vielfachen von E zur entsprechenden Entwicklung nach Multipeln
von M überzugehen, wird die von ©. @.J. Jacobi!) und P. A. Hansen !“®)
abgeleitete Formel
+0 | FR
(121) ala 2. 6 Dr Aka
angewandt. Dieselbe folgt leicht aus der Definitionsgleichung
27
(122) J, (2) — [eos (E—zsinE)dE,
27
durch welche F. W. Bessel'%) die nach ihm benannten Besselschen
Funktionen J,(z) in die Analyse einführte.
Infolge (121) können die gesuchten Koeffizienten A; der Reihe
+»
Kiss DE
i=—x
aus den bekannten Koeffizienten B, der Entwicklung
+%
F= Rn KR I
j=-»
durch die Formeln
Mr Sina, se), = 0
(123) 2 39
A=B—,(Bı+B,)
berechnet werden.
167) C. @. J. Jacobi, J. f. Math. 15 (1836), Nr. 9 (Juli 1835) = Werke 6,
p- 100.
168) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 2 (1855), p. 249.
169) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1824, Nr. 8 = Ges. Abhdl. 1, p. 92. Bessel
schreibt I! anstatt J,(z2). Für die Theorie der Besselschen Funktionen sei auf
IA10, Nr. 44—61 (Wangerin) verwiesen.
620 VIe2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
In ähnlicher Weise findet man durch die Formeln
+»
Am ZE-HE-MACAHEN Ben, HirO
k,k'=—o
+0 , |
id. = Da — k)d,(ie) [Bio —(B_.-ı % Buandadlı
k=—o
(124) ® en.
ÜAow aa D’e—K) I,@e)| Bor-r TR —(B_1#_r + Bien ’
a ’+0
Ay, NER By, an: rn (B_,.o a5 B,,,0) SR © (B,,-ı +B 22)
“* = B_,-.tB,H4t+t#1-1r B;1,+1)
die unbekannten Koeffizienten A,., einer Entwicklung
+» es
alle DA BT Teen rn
wU=—ow
aus den bekannten B, , der entsprechenden Reihe
+0
F— SB .Y-1VE+Hr®)
> R FRE)
derselben Funktion F'.
Bei den in (123) und (124) auftretenden Summen brauchen nur
einige wenige Glieder mitgenommen zu werden, da die Größen J,(ie)
und J,(e) mit wachsenden |k| und |A’| rasch abnehmen.
Die Ausdrücke (123) und (124) folgen auch leicht aus folgendem
Satz von A. L. Cauchy'"°): Der Koeffizient A, von c/-!'# in der Ent-
wicklung einer Funktion F' nach Vielfachen der mittleren Anomalie
ist gleich dem Koeffizienten von cV/-1:E in der Entwicklung jeder
der Funktionen
ie sin E 1 -liesinz dF
(1—ecos HE). ”' r; wa ae
nach Vielfachen der exzentrischen Anomalie. Die erste Hälfte dieses
Satzes fand Cauchy, indem er im Integralausdrucke für A, als Inte-
grationsvariable die exzentrische Anomalie statt der mittleren ein-
führte; die zweite Hälfte erhielt er aus demselben Integral nach par-
tieller Integration.
170) A. L. Cauchy, Paris C. R. 12 (1841), p. 88 = (Euvres (1) 6, p. 21.
45. Zweiter Teil der Störungsfunktion. 621
45. Zweiter Teil der Störungsfunktion. Von den aus der Theorie
der elliptischen Bewegung wohlbekannten Formeln
Zcosv—=cosE—e, —snv—=yl1-— esinE,
a a
(125) - d* cos ; a? 7. sin
ei it Fe
ig am’ am®
ausgehend entwickelte F. W. Bessel!"') die auf den linken Seiten
stehenden Funktionen in trigonometrische Reihen nach Vielfachen
von M. Die Koeffizienten drückte er einfach durch die Besselschen
Funktionen aus. Durch Kombination dieser Reihen leitete .Bessel'?)
für den zweiten Teil
rcosH
2
r
der Störungsfunktion R die allgemeine Entwicklung nach Vielfachen
der mittleren Anomalien ab. In diesem Teil der Störungsfunktioh
kommt offenbar kein konstantes Glied vor, weil derselbe die zweite
Ableitung einer periodischen Funktion ist. Eine Folge davon ist, daß
keine säkularen Störungen erster Ordnung aus dem zweiten Teil der
Störungsfunktion hervorgehen.
Die partiellen Ableitungen der Störungsfunktion in bezug auf die
Koordinaten sind lineare Ausdrücke der negativen ungeraden Potenzen
des Abstandes A mit Koeffizienten, die aus den durch die Formel (94)
entwickelten Funktionen zusammengesetzt sind. Die Ausdrücke der
in der Praxis vorkommenden Ableitungen sind von P. A. Hansen!"®)
und @. W. Hill!) abgeleitet. Von den dabei auftretenden Funktionen
von der Form (94) können außer den Funktionen (125) noch mehrere
andere mit Hilfe der Besselschen Funktionen nach Vielfachen von M
(oder M’) entwickelt werden. !??) 175) 176)
Die im folgenden behandelten numerischen Entwicklungsmetho-
den beziehen sich nur auf die Entwicklung der Funktionen A-*.
171) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. (1824), Nr. 4, 8 = Ges. Abh. 1, p. 88, 93.
172) F. W. Bessel, ibid., p. 89, 983.
173) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 5 (1856), p. 120. (Auseinander-
setzung 1. Abhdl., p. 120.)
174) @. W. Hill, Wash. Astron. Papers 4 (1890), p. 66, 201 —= Works 3,
p. 66, 201.
175) F. W Bessel, Astr. Nachr. 14 (1837), p. 33—36 — Ges. Abh. 1, p. 46, 47.
176) H. Poincare, Lecgons 2, (1907), p. 24—26. Siehe auch F Tisserands
Traite 1 (1889), p. 224—227.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 41
622 vil2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
46. Entwicklungsmethode von Jacobi. Von (. @. J. Jacobi!'”)
rührt eine Entwicklungsmethode her, welche eine mittlere Stellung
zwischen den analytischen und den numerischen Methoden einnimmt.
Jacobi entwickelt A" nach Vielfachen der exzentrischen Anomalien.
Er setzt
(126) = +6,
wo Ö nur Glieder zweiten Grades in bezug auf die Exzentrizitäten
und die Neigung enthält. Als Voraussetzung wird angenommen, daß
die Entwicklung von A! nach Potenzen von Ö rasch genug kon-
vergiert. Die Funktion ö wird so gewählt, daß
A = H’{1+9?+Y"”— 27 cos (E— E+B—B’) — 2y’eos (E’+B’)
+2yy’eos(E+B)}
= H’(1— y»—Yyı)l—ya!— yet),
wo ;
7
IlEnE Se;
PETER A 1(E +B u
u EIETUEeN:
während H, y, y’, B, B’ konstante von den Bahnelementen abhängige
Größen sind. Ihre analytischen Ausdrücke hat F' Tisserand""®) gegeben.
Die Entwicklung von A-” wird infolge (126) auf die einfacheren
Entwicklungen von A,-", A,""3, ... zurückgeführt.
H. Poincare‘“”) hat in eleganter Weise die Zerlegung von A?
durchgeführt. Er hat außerdem bemerkt, daß der Koeffizient von #*2*
in der Entwicklung von A,-”, von einem Faktor C,,y*y”* abgesehen,
eine Appellsche hypergeometrische Reihe der Veränderlichen p? und p”?
ist. Die genannten Reihen können nach Potenzen von y’?, die eine
kleine Größe zweiten Grades in bezug auf die Exzentrizitäten und
die Neigung ist, entwickelt werden. Dabei treten als Koeffizienten
die gewöhnlichen hypergeometrischen Reihen von y? auf, welche in
analoger Weise wie die Laplaceschen Koeffizienten berechnet werden
können. Jacobi waren die Appellschen Reihen unbekannt. Seine etwas
abweichende Analyse für die Entwicklung von A,-* findet man in den
schon angeführten Arbeiten. 177)178)
Der Übergang zur Entwicklung nach Vielfachen der mittleren
Anomalie geschieht numerisch mit Hilfe der Formeln von Nr. 44.
47. Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwick-
lungen durch mechanische Quadratur. In schwierigeren Fällen
177) 0. @. J. Jacobi, Astr. Nachr. 28 (1848), p. 65—94 = Werke 7, p. 145—174.
Auszug Berl. Ber. (1843), p. 50 = Werke 7, p. 9.
178).F. Tisserand, Trait& de mec. c&l. 4 (1896), ch. 18, p. 301—311.
179) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 148—145.
47. Berechnung der Koeffizienten trigonometrischer Entwicklungen. 623
können die schon erwähnten Entwicklungsmethoden unbrauchbar
werden, obwohl die trigonometrische Entwicklung der Störungsfunk-
tion gut konvergiert. Solche Fälle treten häufig auf, wenn es sich
um die Berechnung der Störungen der kleinen Planeten durch Jupiter
handelt. Für die numerische Bestimmung der Koeffizienten in den
Fourierschen Reihen für R und ihre Ableitungen wird dann die Me-
thode der mechanischen Quadratur von großer Bedeutung.
Die Koeffizienten C, in der trigonometrischen Entwicklung
+0
(127) Yy - 0 A
i=—-o
einer periodischen Funktion y(w) sind, wie bekannt, durch die Formel
9x
EU BR er
Ge. |y.e du
0
gegeben. Wo die Integration nicht analytisch ausgeführt werden
kann, ist sie doch stets wenigstens wenn y endlich ist, mit Hilfe von
mechanischer Quadratur möglich. Am einfachsten wird der Integrations-
weg in gleiche Teile zerlegt. Wenn %,, %,--:, %,_, die bekannten
x = 2u 28: n .
Werte von y sind füra=0, —,..., n— 1), ist näherungsweise
1 EV
(128) = De Y E73 4
Die exakte Formel wird erhalten, indem der linken Seite das Kor-
rektionsglied
19) Bd t+ int t
hinzugefügt wird. Dieses Glied wird im Verhältnis zu CO, beliebig
klein, wenn, für ein gegebenes ö, » hinreichend groß gewählt ist.
Diese Methode zur Berechnung der Koeffizienten trigonömetrischer
Entwicklungen wurde schon von L. Euler“) angewandt bei seiner
Bestimmung der säkularen Störungen von Jupiter und Saturn. In
derselben Weise berechnete später A. Clairaut!®!) einige periodische
Störungen der Sonnenbewegung.
Später wurde _die Anwendung der Formel (128) auch von F\ W.
Bessel'®?) und P. A. Hansen'*?) befürwortet. Die besonders einfachen
180) L. Euler, Sur les inegalit6s du mouvement de Saturne et de Jupiter;
Paris 1749, $ 29, p. 30.
181) A. Clairaut, Paris hist. (2) mem. 1754 (59), p. 546 (Juli 1757).
182) F. W. Bessel, Jenaische Literatur-Zeitung (1814), p. 412; Königsb.
41*
624 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion
Fälle, wo n== 16 oder 32, wurden von P. A. Hansen‘) in seiner
Untersuchung über die gegenseitigen Störungen des Jupiter und
Saturn eingehend behandelt. In seiner Auseinandersetzung'®) usw. hat
er Rechnungvorschriften für die Fälle » = 12, 16, 24, 32 gegeben.
Weiter findet man in den Arbeiten von U. J. J. Leverrier'**) detallierte
Formelsysteme für n = 8, 16, 32. Endlich hat auch C. Runge'?”) be-
queme Rechnungsmethoden für n = 12 und 24 veröffentlicht. Vgl.
auch den Artikel II A 9a (Burkhardt), p. 685.
Für die Bestimmung eines geeigneten n schlägt F. W. Bessel'?®)
die Methode von P. 8. Laplace'°”) vor, durch welche Integrale, die
sehr große Zahlen enthalten, geschätzt werden können. (Vgl. im folg.
Kap. VIII)
Auch die in der trigonometrischen Entwicklung
(130) v- Do, Re
WW =—n
einer periodischen Funktion y(u,«u’”) von zwei Veränderlichen auf-
tretenden Koeffizienten C,,, welche durch Doppelintegrale gegeben
sind, können mit Hilfe mechanischer Quadraturen berechnet werden
Der angenäherte Ausdruck für O,, wird dann
n—-1n—1
Q,; ni ” 2 Zn ler (ar v7 =),
=0 #=0
? .. 27 .
wo Y,„ den Wert von y für v= Er W= k—,; bezeichnet.
’ N n
Diese Methode zur Berechnung von Doppelintegralen wurde von
F. W. Bessel!”) empfohlen. Aber P. A. Hansen'®) war.der erste,
welcher in größerer Ausdehnung ausgeführte doppelte mechanische
Beob. 1 (1815), p. III = Ges. Abhdl. 2, p. 25; Berl. Abhdl. für 1816—17, p. 49 =
Ges. Abhdl. 1, p: 18; Astr. Nachr. 6 (1828), p. 336 —= Ges. Abhdl. 2, p. 366.
183) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 7 (1829), p. 475—478.
184) P. A. Hansen, Untersuchung über die gegenseitigen Störungen des
Jupiter und Saturn, Berlin (1831), p. 49—57.
185) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 5 (1856), p. 158—165. (Aus-
einandersetzuug 1. Abh., p. 158—165.)
186) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 107—118, 137—151.
187) C. Runge, Zeitschr. für Math. u. Physik 48 (1903), p. 443; 52 (1907),
p- 117; Göttingen, Nachr. der K. Ges. Wiss. (1908), p. 275.
188) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1820—21, p. 56 = Ges. Abhdl. 2, p. 363.
189) P. S. Laplace, Tu6orie analytique des probabilites, 2° &d. Paris (1814),
2° partie, 1° ch. = (Euvres 7.
190) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1820—21, p. 55 = Ges. Abhdl. 2, p. 362.
48. Methode von Liouville. 625
Quadraturen veröffentlichte. Er berechnete in dieser Weise die Koeffi-
zienten in den trigonometrischen Entwicklungen von A-!, A-°? und
A-5 im Falle Jupiter-Saturn. Dabei teilte er der Differenz M — M’
der mittleren Anomalien 32 Werte und der mittleren Anomalie M’
Saturns 16 Werte zu. Dieselbe Methode war übrigens schon 1811 von
C. F. Gauß?') in Anwendung gebracht worden bei seiner erst neuer-
dings veröffentlichten Berechnung der allgemeinen Störungen der Pallas
durch Jupiter. Den Umkreis teilt Gauß für M — M’ in 48, für M
in 24 Teilen.
48. Methode von Liouville. J. Liouville'”?) hat gezeigt, wie
Koeffizienten von hohem Grade in der Entwicklung der Störungs-
funktion mit großer Annäherung durch einfache Integrale gefunden
werden können. Unter der Annahme, daß ö und :’ für den gewünschten
Koeffizienten relative Primzahlen sind, führt Liouville in die Reihe (130)
statt u und w’ zwei neue Variable 6 und 9 ein gemäß den Gleichungen:
i - (7
u=—io, w=i Hr,
woraus sich noch ergibt
in+iW=9.
y(u,w') wird dann eine periodische Funktion von 6 mit der Periode 2x.
Das von o unabhängige Glied in der trigonometrischen Entwicklung
von y nach Vielfachen von 6 ist
+9 2n
> 1 1 ne (7)
0
p=-»2
3%
ah
und erhält dann, infolge der Formeln (128) und (129), die Gleichung
= 70 va) + Viel) rl} 9
Bu O_3,,-3% "F RER #4 C_14,-10 + Qy,9r + ie
Wenn y die Störungsfunktion, u und «’ die mittleren Anomalien be-
zeichnen, so ist O,, vom Grade |+| in bezug auf die Exzentrizi-
täten und die Neigung. Das Korrektionsglied ö ist vom Grade |3:+ 3?|
und wird deshalb oft vernachlässigt werden können.
Dem Argumente @ erteilt Liouville die vier Werte 9=0, —, z,
wo
191) ©. F. Gauß, Ges. Werke 7 (1906), p. 489—564 (Nachlaß).
192) J. Liouville, J. de Math. 1 (1886), p. 197. Auszug Paris C. R. 2 (1836),
p. 217. Siehe auch Poissons Rapport über Liouvilles Arbeit Paris C. R. 2 (1836),
p. 394.
626 VIa,13. H.v. Zeipel.: Entwicklung der Störungsfunktion.
Die Integration in bezug auf o, um die erforderlichen Werte
von %(6) für 0 =0, - z, 3” zu erhalten, kann durch mechanische
2
Quadratur ausgeführt werden. Dabei muß aber 2x in sehr viele Teile
zerlegt werden; denn die trigonometrische Entwicklung von A! nach
Vielfachen von o konvergiert nur langsam.
49. Trigonometrische Interpolationsmethode von Leverrier. Um
die Schwierigkeiten zu umgehen, welche in der geigneten Bestimmung
von n in der Formel (128) stecken, hat U.J.J. Leverrier'?®) vorgeschlagen,
die Funktion y(w) für äquidistante Werte v=0, rt, 2r,..., 2nr zu
berechnen, wo r mit 2% inkommensurabel ist. Aus den Gleichungen
+n
(130) Be>C.. ie01., 8
eliminiert Leverrier nacheinander C,, C;,, C;, usw. und findet schließ-
lich analytische Ausdrücke für C, und C_,. Wenn diese Koeffizienten
nicht klein genug sind, so ersetzt er » durch ein größeres »’. Dabei
werden die Ausdrücke für CO, und O_,, ebenso leicht gewonnen, wie
wenn man von Anfang an n’ anstatt n gewählt hätte. Wenn die C,„
klein genug sind, so werden die folgenden Koeffizienten vernachlässigt.
Darauf geben die Leverrierschen Formeln rückwärts analytische Aus-
drücke für Oyw_1» Oiw-ap ---, Orr, Co. Leverrier hat in eingehen-
der Weise die Formeln numerisch entwickelt in dem Falle r = 42° 14’
und n=20. J. F. Encke‘”*) hat die Darstellung Leverriers veran-
schaulicht durch Einführung von trigonometrischen Funktionen anstatt
der Exponentialfunktion. Endlich hat G. J. Houöl!”) mit Anwendung
von Determinanten die Gleichungen aufgelöst, welche aus (130) durch
Einführung vonk=0, +1, +2,..., +» entstehen.
U. J. J. Leverrier'**) hat seine Interpolationsmethode angewandt,
um die große Ungleichheit vom Argumente 18 M’— 7M, welche in
der mittleren Länge von Pallas infolge der Einwirkung Jupiters auf-
tritt, zu berechnen. Um die beiden erforderlichen Glieder in der Ent-
wicklung von A-! zu finden, berechnete Leverrier diese Funktion
für die Werte 0, r, 2r, ..., 407 (r=42°14’) der mittleren Länge
193) U. J. J. Leverrier, Developpements sur plusieurs points de Ja theorie
des perturbations des planttes, Paris (1841), p. 1—29. Obs. de Paris ann. 1 (1855),
p. 384—397,
194) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. (1860), p. 313 = Ges. Abhdl. 3, p. 188.
195) @. J. Houel, Obs. de Paris ann. 8 (1866), p. 83—130; Rapport Paris
C. R. 53 (1861), p. 880.
196) U. J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 397—418
50. Cauchys gemischte Methode. 627
von Pallas und für die Werte 0°, 5°, 10%, ..., 355° der mittleren
Anomalie von Jupiter.
50. Cauchys gemischte Methode. Die Berechnung der Koeffi-
zienten in der trigonometrischen Entwicklung von A” dutch mecha-
nische Doppelquadraturen ist eine ziemlich verwickelte Aufgabe. Glück-
licherweise gibt es eine bequemere Methode, bei welcher man mit
einer einfachen mechanischen Quadratur auskommt, indem die andere
Quadratur analytisch ausgeführt wird. Auf die Möglichkeit einer
solchen gemischten Methode hat schon F. W. Bessel'””) hingewiesen.
Er dachte dabei an eine Verallgemeinerung der Gaußschen Theorie
der Säkularstörungen erster Ordnung. Der Gedanke Bessels wurde in-
dessen nicht ausgeführt. Aber eine in derselben Richtung gehende
Methode wurde 25 Jahre später von A. L. Cauchy'?®) aufgestellt. Cauchy
hat dieselbe angewandt, um den von Leverrier berechneten Wert der
großen Ungleichheit in der mittleren Länge von Pallas zu kontrol-
lieren. Auf Aufforderung von Leverrier hat V. Puiseux'?”) eine zusam-
menfassende Darlegung der Methode gegeben. Endlich hat J. Bourget?®),
von den Ideen Cauchys geleitet, vollständige Formeln für die Ent-
wicklung der Störungsfunktion und ihre partiellen Ableitungen gegeben.
Cauchy geht von der Entwicklung
+0
At DE "el
aus. Für A®, betrachtet als Funktion von y=c/-1F, gilt der ein-
fache Ausdruck
(131) M=4A+By+-By'+CcY+Cy®,
wo A, B,..., ©’ in bekannter Weise von E abhängen. Darauf gründet
sich die Möglichkeit, die Koeffizienten B, in analytischer Form zu
geben, wie gleich gezeigt werden wird. Mit Hilfe der analytischen
Ausdrücke für B, werden nun die Werte dieser Koeffizienten für
äquidistante Werte von E berechnet. Durch Anwendung der Formel
+%
An Dr Ilm e) Buy,
k=—-o
197) F. W. Bessel, Berl. Abhdl. 1820-21, p. 55 = Ges. Abhdl. 2, p. 363, 364.
198) A. L. Cauchy, Paris C. R. 18 (1844), p. 625; 19 (1844), p. 1228; 20
(1845), p. 769, 825 — (Euvres (1) 8, p. 168, 348; 9, p. 124, 141.
199) V. Puiseux, Obs. de Paris ann. 7 (1863), p. 165—235. Vgl. auch Tisse-
rand, trait6 4 (1896), ch. 17, p. 278300.
200) J. Bourget, Obs. de Paris ann. 7 (1863), p. 263—300. Vgl. auch Fr. Faä
de Bruno, Paris thöse 1856; Berger, Toulouse thöse 1863; J. Hou&l, Obs. de Paris
ann. 8 (1866), p. 131 und Prag Archiv 1 (1875).
628 VIa,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
[vgl. (123)] folgt weiter der Koeffizient A,, in der Reihe
+0
(132) At >> A
für die BEER Werte von E. Der gesuchte Koeffizient A, „
in der Entwicklung (97) nach den Vielfachen von M und M’ wird
schließlich aus dem Integrale
97
RER -Y-1imM PIcR
Au, -[Ane (1—ecosE)dE
ö
durch eine einzige mechanische Quadratur erhalten.
Die analytischen Ausdrücke für die Koeffizienten B, selbst findet
Cauchy in folgender Weise. In der Formel (131) ist
CC’ 1a’eR.
A ist reell, B und B’ sind konjugierte komplexe Größen. Die Wurzeln
der Gleichung A? = 0 sind deshalb von der Form
,‚ u 1 2: ’ Pa GW, I... ’
(133) ee, Zenie ße Kr, F° Fre,
’
(wO<f<Wd<|)
woraus folgt, daß
DT — 20’ 00 (Ey) + a1 — 2 000 (E+y) +87).
Die von E abhängigen Größen «’, ß’, 9 werden durch Auflösung
einer Gleichung dritten Grades mit reellen Wurzeln erhalten (siehe
z. B. Tisserands Traite 4, p. 283). Die Koeffizienten dieser Gleichung
sind einfäche trigonometrische Funktionen von E. Man kann auch
die Gleichung dritten Grades vermeiden und die Größen a’, ß’, @’ nach
Potenzen der kleinen Größe C = 4a’?e’? entwickeln (siehe z. B. Tisse-
rands Traite 4, p. 285—287). Dabei können Schwierigkeiten auftreten,
wenn « sehr nahe = 1 ist. Wie man dieselben umgehen kann, hat
Ch. Trepied?'*) gezeigt.
Nach Entwicklung der beiden von E’ abhängigen Faktoren von
A! nach den Vielfachen von E’ findet Cauchy für B, den analytischen
Ausdruck
in
Ei Veh >, #9 (0), (BP). V-iei-ng,
i=—-»
in welchem die von «’ und ß’ abhängigen Laplaceschen Koeffizienten b,®
auftreten.
201) Ch. Trepied, Paris C. R. 90 (1880), p. 1474.
51. Entwicklung von Hansen. 52. Elimination von E'. 629
5l. Entwicklung von Hansen. Die gemischte Methode wurde
von P. A. Hansen®”) in zwei Hinsichten vereinfacht. Analytisch ent-
wickelt er nach den Vielfachen von E’— E. Die Entwicklung der
Koeffizienten nach Vielfachen von E durch mechanische Quadratur
wird dann einfacher als die entsprechende Entwicklung bei Cauchy.
Weiter vermeidet Hansen die Auflösung von A? in zwei Faktoren.
Mit Einführung der Bezeichnungen
N=-A+ Te 5 BerE a are? Ir Re N
4
wird infolge (131) |
ä A=A +0.
Unter der Voraussetzung, daß ö: A; eine kleine Größe ist (wie im all-
gemeinen in der Praxis), entwickelt Hansen A=” nach Potenzen von Ö
und wird so auf die Entwicklung der einfacheren Funktionen A),
Ar, As°, ... geführt. Er setzt
A) = Mf1 + 0? — 20 cos (E’— F)]
und findet
+9
ne “ ne Pl en
wo v
a0 _ Am togerzur-n
Die Größen M, 6 und F— E, und also auch die ®.” sind
periodische Funktionen von E. In der Entwicklung
+0
BUN BEN VIE
n ; 2 n
ist RN vom Grade j in bezug auf die Exzentrizitäten und die Neigung.
Die Berechnung dieser Koeffizienten ar durch mechanische Quadra-
tur ist deshalb eine einfache Aufgabe.
In dieser Weise findet Hansen für A”, Ar"-3,... Entwick-
lungen nach Vielfachen von E und E’. Nach Multiplikation mit den
Potenzen von Ö ergeben sich für A" ähnliche Reihen.
52. Elimination von E’. In seiner Theorie der kleinen Planeten
wählt Hansen als unabhängige Veränderliche die exzentrische Ano-
malie E des gestörten Planeten. In den nach den Vielfachen von E
202) P. A. Hansen, Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 3 (1857), Nr. 64, p. 157; Nr. 68,
p. 167. (Auseinandersetzung 1. Abh., p. 157, 167.)
630 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
und E’ fortschreitenden Reihen führt er?) zuerst die mittlere Ano-
malie M’ anstatt E’ ein. Darauf substituiert er für M’ den Ausdruck
M=-—M+ = E—Ze sin E,
wo
E=-#E+0
ist [a und n’ sind die mittleren Bewegungen, © eine Konstante]. In-
folge dieser Umformungen geht z. B. die Reihe
(134) A BE eV -imE+m'E))
in eine andere
(135) At 3 eV -imE+m’E,)
über. Durch die Formeln
m Cm = Diem — kJ, (- E m’e) J(m’e) B„_ı,m_-r; m’ +0
k,k'=—o
C„o Sun Bo BR 5 (Bis “> DB.)
in welchen wieder die Besselschen Funktionen auftreten, können die
Koeffizienten der Reihe (135) aus, denjenigen der Reihe (134) be-
rechnet werden.
53. Anwendung der elliptischen Funktionen. C. V. L. Charlier?%)
betrachtet A-” als periodische Funktion von E (oder E”) und E— E’
und macht darauf aufmerksam, daß die Entwicklung nach den Viel-
fachen von E (oder E’) analytisch ausgeführt werden kann, während
die dabei auftretenden Koeffizienten mit Hilfe mechanischer Quadratur
nach Vielfachen von E— E’ entwickelt werden können. Die Glieder
der analytischen Entwicklung nehmen dann rasch ab, denn der Koef-
und die Neigung. Man braucht deshalb nur wenige Werte von k in
Betracht zu ziehen. Im Anschluß an die Theorie von C. F. Gauß®®)
über die Säkularstörungen drückt Charlier?®) die Koeffizienten mit
den Indizes k=0, +1, +2 in der Entwicklung von A-? mit
Hilfe zweier elliptischer Integrale, mit von E — E’ abhängendem
208) P. A. Hansen, ebd. Nr. 69, p. 169; Nr. 74, p. 180.
204) C. V. L. Charlier, Stockholm K. Vet. Akad. Handlingar 22, Nr. 2
(1887), p. 11.
205) ©. F. Gauß, Gott. comm. rec. 4 (1818) = Werke 3, p. 831—355.
206) ©. V. L. Charlier, Stockholm K. Vet. Akad. Handlingar 22, Nr. 2
(1887), p. 19.
53. Anwendung der elliptischen Funktionen. 631
Modul, aus. Die mechanischen Quadraturen, durch welche die Koeffi-
zienten der vollständigen Reihe gefunden werden, werden jedoch bei
Charliers Vorschlag komplizierter als bei Hansen.
H. Poincare®°) hat vorgeschlagen, die Koeffizienten der Reihe
A" = IB" eV Im’ E'
mit Hilfe der elliptischen Funktionen von Weierstraß zu berechnen.
In der Formel
RE. ee.”
"gay ß
> (y’A®)?
vI=1
genügt die Beschränkung auf Werte m’<0, denn die ur und B.
sind konjugiert komplexe Größen. Von den Wurzeln (133) der Glei-
chung y?A?—= 0) werden die inneren mit «, ß; die äußeren mit y, Ö
bezeichnet. Poincare setzt
y a, 2=p()
und bestimmt die Größen s, s’ in der Weise, daß
dy Sa dz
V-1Vy -)y-AYy-NW-N Var g2—g
Die Größen s und s’ sowie die Wurzeln e,, &,, e, der Gleichung
= du.
4 — 98 — 90
werden dann einfache rationale Funktionen von «, ß, 7, d. Die Wur-
zeln e,, e,, e; sind übrigens reell. In dieser Weise findet man
2m,
(136) 2 zu ol" (pu— Ss)" (pu)”"t"du,
0
wo ® eine rationale Funktion von «, ß, y, d bezeichnet.
Die elliptische Funktion Fu) unter dem Integralzeichen wird
unendlich nur für u= 0, @,, @, ©, +%,, wo p(o, ya „=1,2,3)
und p(u,) = s. Weiter u F(— u) = F(u), F(o,— u) = F(o,+ u).
Nach der Theorie der elliptischen Funktionen ist das in (136) vor-
kommende Integral linear zusammengesetzt aus den ee
2a 20,
Ja — 20, f (u)du = 27,, 6 (uto)du=2n,
ee rien
207) H. Poincare, Legons 2, (1907), p. 151—153.
632 VIse, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Sei noch:
= Ww+VY— 1w.
(a’e)" B"
74
Die Koeffizienten
sind aus den vier reellen Transzendenten
’ „
O,, Ni Nor No
linear zusammengesetzt mit Koeffizienten, die rational in «a, ß,
y, Ö sind.
Wenn
Im] <n,
treten übrigens nur @, und n, in den Koeffizienten auf.
. Für die Berechnung der Transzendenten @,, 7, und «, hat H.A.
Schwarz?®) sehr bequeme Formeln zusammengestellt.
54. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. Die in den vorigen
Nummern erwähnten Methoden stehen in enger Beziehung zu der von
C. F. Gauß?®) gegebenen Methode zur Berechnung der säkularen
Störungen erster Ordnung in den Bahnelementen von Planeten oder
Kometen.
Diese Störungen treten in folgender Form auf
9n 9r
(137) Jfw us +7 -+w% GG )dMaM..
Hier sind A, B, C die rechtwinkligen Koordinaten des gestörten Kör-
pers; U, V, W sind unabhängig von der Lage des störenden Planeten
in seiner Bahn, d. h. unabhängig von der mittleren Anomalie M’. Als
A- und B-Achse wählt Gauß die Hauptachsen der Bahnellipse des
störenden Körpers. Für A? gilt dann der einfache Ausdruck
= (A— adcosE)% + (B—b’sinE’)?’ +0? wdb=ayl— e*.
Gauß zeigt, wie die Integration in bezug auf M’ ausgeführt werden
kann mit Hilfe von elliptischen Integralen erster und zweiter Gattung.
Dieses von Gauß gelöste Problem fällt offenbar mit dem Problem zu-
sammen, die Attraktionskomponenten eines materiellen Ringes zu be-
stimmen, welcher entsteht, wenn die Masse des störenden Planeten
längs seiner Bahn verteilt wird im Verhältnis der Zeiten, in welchen
der Planet die verschiedenen Teile seiner Bahn beschreibt. Nach Ein-
führung der exzentrischen Anomalie E’ anstatt M’ nehmen die ge-
208) H. A. Schwarz, Formeln und Lehrsätze zum Gebrauche der elliptischen
Funktionen, Göttingen (1885), Nr. 45, p. 61; Nr. 49, p. «0.
54. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. 633
nannten Attraktionskomponenten die Form der partiellen Ableitungen
in bezug auf A, B, C der Funktion
ie cos E’) ‚
fi A dE
0
an.
In die so entstehenden Integrale führt Gauß anstatt E’ die Va-
riable 7’ ein, indem er setzt
HesE—=«+ «cos T+«”sinT, Ei ET sin T,
H=y-+yeosT-+y'sinT.
Die Koeffizienten «, «, ..., 7” werden durch die Bedingung
IPA! — G + @co®?7T + @"sin®7T
bestimmt. Diese Bestimmung ist möglich, wenn @, — @’, — @” die
Wurzeln der Gleichung
A? B? 0!
(138) ee +—=l
sind. Gauß zeigt, daß die Wurzeln dieser Gleichung reell sind, und
daß eine positiv, zwei negativ sind. Die Koeffizienten «, «', ..., y”
sind alle reell, wenn die Größen G, @’, @” so gewählt werden, daß
keine von ihnen negativ ist, was hiernach immer möglich ist. Infolge
der von Gauß eingeführten Transformation ist
HaE = +dT.
Für die Attraktionskomponenten des Ringes bekommt Gauß so
Ausdrücke, die aus den beiden elliptischen Integralen erster und zweiter
Gattung mit dem Modul
(139) M—
linear zusammengesetzt sind.
Nach vielen Jahren wurde das von Gauß behandelte Problem
wieder von E. Bour?) aufgenommen. Dieser betrachtet den Kegel,
welcher die Bahn des störenden Planeten als Basis und die Lage des
gestörten Körpers als Spitze hat, und findet so die geometrische Be-
deutung der von Gauß eingeführten Größen. Die Gleichung des Kegels
in bezug auf die reg desselben ist
2?
@ +.
Weiter ist 7’ die exzentrische Anomalie in der Hauptellipse des Kegels.
Eine elegante Ableitung der von Gauß gewonnenen Resultate hat
BR
FG
209) .E. Bour, J. de l’&cole polytechnique cah. 36 (1856), p. 59— 84.
634 VI», 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
G. H. Halphen®'®) geliefert. Wie Bour, legte er die Koordinatenachsen
durch den angezogenen Punkt und parallel mit den Hauptachsen des
schon betrachteten Kegels. Aber außerdem führte Halphen in die
Integrale
27 97 ER
(140) X, ee, Yy, = A Z, ee,
0 ö ö
wo A=2°+y?+ 2°, anstatt dM’ das vom Radiusvektor beschrie-
bene Flächenelement do durch die Formeln
dM’ _ de
2% na'b’’
2hdo = a,(ydz— zdy) + y,(ede— zde) + 2,(e dy— ydı)
ein, wo h den Abstand des gestörten Körpers von der Bahnebene des
störenden Planeten, x,, Y%9, 2, die Koordinaten der Sonne bezeichnen.
Die Integrale (140) werden dann, von dem Faktor (2xha’b)-! ab-
gesehen,
x(ydz — zdy) "ylede— xd2) 2(cdy— ydı)
Top ‚3 ‚ % I OR A 2) A: ®
Ihr Werte verändern sich nicht, wenn anstatt der Bahnellipse des
störenden Planeten eine Hauptellipse des Kegels als Integrationskurve
gewählt wird. Man kann deshalb setzen
z=YV@cosT, y=-YG’snT, s=YVG.
In dieser Weise werden die Attraktionskomponenten (140) sehr ein-
fach durch die vollständigen Integrale erster und zweiter Gattung
mit dem Modul (139) ausgedrückt.
G. H. Halphen?'‘) hat auch eine andere Form für die Lösung
des Problems von Gauß gegeben, in welcher die von Weierstraß
eingeführten Perioden ®, und n, der elliptischen Integrale erster und
zweiter Gattung auftreten. Er hat dann auch gezeigt, wie die Attrak-
tion des Ringes vollständig berechnet werden kann ohne Auflösung
der Gleichung dritten Grades von Gauß.
Dieser Umstand hängt mit einem von ZH. Bruns?"?) bewiesenen
Satze zusammen. Bruns hat nämlich gezeigt, wie die Fundamental-
perioden ®,, @,, 21, Ns der elliptischen Integrale erster und zweiter
210) @. H. Halphen, Traite des fonctions elliptiques 2 (Paris 1888), p. 310—316.
Vgl. Tisserands Trait6 1, p. 431—440.
211) @. H. Halphen, ibid., p. 316—328. Auszug Paris C. R. 103 (1886),
p: 363.
212) H. Bruns, Über die Perioden der elliptischen Integrale erster und
zweiter Gattung, Dorpat 1875.
54. Gauß’ Theorie der säkularen Störungen. 635
Gattung mit Hilfe der Invarianten 9, und 9, einfach ausgedrückt
werden können. Die dabei auftretenden Transzendenten sind hyper-
geometrische Reihen, in welchen das vierte Element nur von der
absoluten Invariante
2
I
abhängt.
Die in dieser Nummer erwähnten Arbeiten hatten hauptsächlich
den Zweck, die Attraktionskomponenten des elliptischen Ringes zu
bestimmen. Um die Methode von Gauß für die Störungsrechnung
fruchtbar zu machen, blieb noch übrig, die Rechenvorschriften auf-
zustellen, durch welche die zweite Integration in (137) ausgeführt
werden konnte. Bei dieser Integration ist man offenbar auf die mecha-
nische Quadratur angewiesen. Anstatt M wird die Anomalie E als
Integrationsvariable eingeführt. Einige der nötigen Formeln wurden
von H. Seeliger?!) abgeleitet. @. W. Hill?) gibt eine für die nume-
rische Rechnung bequeme Zusammenstellung nebst Tafeln, um die
Berechnung einiger Kombinationen von elliptischen Integralen zu er-
leichtern. Auch O. Callandreau?"°) und R.T. A. Innes?'°) haben ähn-
liche Tafeln publiziert. Nach den Untersuchungen Halphens hat G@. W.
Hül”"')®) die Frage von neuem aufgenommen. Für die Berechnung
der elliptischen Integrale empfiehlt Hill in diesen Arbeiten die be-
kannten #-Reihen. Infolge der sehr raschen Konvergenz dieser Reihen
sind Tafeln beinahe zwecklos. In Anschluß an die eben erwähnten
Arbaiten von Bruns und Halphen haben L. Arndt?!) und R.T. A. Innes®?°)
vollständige Formeln gegeben, mit deren Hilfe die Säkularstörungen
ohne Auflösung einer Gleichung dritten Grades gefunden werden können.
Für die Berechnung der in den Ausdrücken für ©, und n, auftreten-
den zwei hypergeometrischen Reihen findet man ausführliche Tafeln
in Arndts Arbeit. Für die von Innes angewandten analogen hyper-
213) H. Seeliger, Astr. Nachr. 94 (1878), p. 1—30.
214) @.W. Hill, Wash. Astr. Papers 1, (1882), p.317—361 = Works 2, p.1—46.
Referat von H. Seeliger, Astr. Ges. Vjs. 17 (1882), p. 169.
215) O. Callandreau, Obs. de Paris ann. 18 (1885), p. A 1—46.
216) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 54 (1894), p. 289—296;
Errata p. 401.
217) G. W. Hill, American J. of Math. 23 (1901), p. 317—336 — Works 4,
p. 219 238.
218) @. W. Hill, American J. of Math. 22 (1901), p. 53—56 — Works 4,
p. 236— 243.
219) L. Arndt, Neuchätel, Bull. de la soc. d. sciences naturelles 24 (1896),
p. 3—44.
220) R. T. A. Innes, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 67 (1907), p. 427—443.
636 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
geometrischen Reihen hat F. Robbins??") Tafeln veröffentlicht. In einem
Zusatze zu einer Berechnung der Säkularstörungen des Planeten Ceres
hat endlich ©. J. Merfield®*”) die numerischen Werte der 20 ersten
Koeffizienten der von Innes angewandten hypergeometrischen Reihen
zusammengestellt.
VII. Asymptotische Ausdrücke für Funktionen großer Zahlen.
55. Formulierung der Aufgabe. Wenn die Umlaufszeiten zweier
Planeten nahe kommensurabel sind, so treten in ihren Längen gewisse
langperiodische Störungen auf, die zuweilen sehr bedeutend sind. Solche
Störungen von hoher Ordnung können ohne Anwendung von zeitrauben-
den doppelten mechanischen Quadraturen viel leichter berechnet werden
mit Hilfe von gewissen, für große m’ geltenden, asymptotischen
Ausdrücken der in der Entwicklung (132) auftretenden Koeffizienten
A,., und darauffolgende einfache mechanische Quadratur. Will man
jede Quadratur vermeiden, so wird man vor die noch ungelöste Auf-
gabe gestellt, asymptotische Ausdrücke für die durch die Formel (100)
definierten Koeffizienten A, zu finden. Die Ableitung dieser beiden
Sdrten von asymptotischen Ausdrücken hängt nahe zusammen mit der
Aufgabe, asymptotische Ausdrücke entfernter Glieder einer Laurent-
schen Reihe zu finden und ebenso mit der noch allgemeineren Auf-
gabe, solche Ausdrücke für Integrale von der Form
(141) St grau
aufzustellen, wo n eine große positive Zahl bedeutet.
56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten in den
Reihen von Taylor und Laurent. Solche Ausdrücke für die Koeffi-
zienten A, (n>0) der Entwicklung
(1-7) re) - ee a”
wurden von A. L. Cauchy®®) abgeleitet unter den Annahmen, daß
0<s<1 und f(x) eindeutig und holomorph ist zwischen zwei kon-
zentrischen Kreisen mit den Radien a und a,, wo a,<!|k <a. In
der Formel
+7
(12) A, =, f ar(1—%) fa)ap, wo eh" h<|kl
-_n
221) F. Robbins, Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 67 (1907), p. 444—447.
222) ©. J. Merfield, Astr. Nachr. 176 (1907), p. 245—246.
223) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 708—722 = (Euvres (1) 9,
p. 102—116.
56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten. 637
setzt Cauchy = k. Er spaltet f(x) durch den Ansatz:
frei) = f(k) + PP,
wo P und seine Ableitungen kontinuierliche Funktionen von p sind,
in zwei Teile. Die Integration für den ersten Teil führt auf das be-
kannte Eulersche Integral und gibt den Wert k-"f(k)[s],, wo
[s, = s(s +1). -s+-n—]1) au T(n-+ s) ;
* 1-.2...n T’)I(n+1)
Im Iutegralausdruck des zweiten Teiles ö integriert Cauchy partiell
in bezug auf den Faktor e-V-!1”>. Er findet so, bei der Annahme
0<s<1, daß lim »k"ö eine endliche Größe ist. Da en von Jder
Größenordnung mei ist, so folgt, daß mit wachsendem n der Beitrag
des zweiten Teils klein wird gegen den des ersten, und daß daher der
asymptotische Ausdruck gilt:
(143) An fh)h"[sh.
Um mehrere Glieder im Ausdruck für A, zu gewinnen, führt
Cauchy in die Formel (142) die Entwicklung f(ke/-1r) — Di onp"
m=0
—@_ und EUR findet er so den
ein. Unter der Annahme, daß c” < 17 Ir
ı
symbolischen Ausdruck
BA
(144) = hen flke a») [s],.-
Cauchy betrachtet speziell den Fall, wo f(x) = (2, „) und
führt anstatt der Ahleitungen in bezug auf » die endlichen Diffe-
renzen
d
Ar) = pn +1) — yn)=eirpln)—1,
d
von—=- pn) gr Y=-e"om)+1
ein. Dann wird die Formel (144)
(145) A,„= k"F(k — kV, k=!+ kr!A)[s],-
In dieser Weise findet er eine Reihe für A,, nachdem 7 nach Po-
tenzen von V und A entwickelt worden ist und nach Einführung von
v"-Ar fs), =[s—m— nm) ym:
Diese Größe ist von der Größenordnung n’-!-”-”" Die Glieder im
Reihenausdrucke für A, nehmen also anfangs rasch ab, wenn n eine
große Zahl ist. Auf vorher publizierte Untersuchungen ?**) hinweisend,
224) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1915), p. 280—293; 463—481 = (Euvres
(1) 9, p. 5—19; 54—74. |
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 42
638 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
hebt Cauchy hervor, daß diese Reihe für A, für große n konvergent
ist, wenn die Entwicklung von F(k — ky, k=!-+ k=!z) nach Potenzen
von y und 2 für |yr!| + |2°!|<1 konvergiert, daß sie aber halb-
konvergent ist, wenn die Entwicklung von 7 unter den Bedingungen
yı>1, |2|>1 konvergiert.
Einige Jahre später hat Cauchy??®) gefunden, daß die besprochenen
Formeln mit Vorteil durch andere einfachere ersetzt werden können.
Er betrachtet dabei die Funktion
Z= (1 — 227')"F() = Sur,
wo F(z) eindeutig und holomorph ist in der Nähe von 2] = 2|.
Im Ausdrucke
1
(146) ER rag IV - 1.
führt er ein
zms dv 1 Fu) du
le el et w—..
ln), wols>|al,
wo |v| > |z|, |u| < |2,!. Dabei setzt er
1 1 2—8,
vw. v— 2, —(2—2,) Ka RR # ( — 2,)? ve
@—2 — 2)"
2% (— 3)" + w—2)”"(w—2)
; die anloge. Identität an. In dieser Weise wird
zu 1
und wendet für
erhalten
(1) 4,— [har Fe) ar) +:
1 sm-ı ( m—1 -)
Ba 2 ae (+ on
wo das Restglied o,, die folgende Form hat:
n+m—-1 Ra ms
1) mh . 4 ran sy" Flo)dede
(v ar 2,) + 2)
Ai a —_ 2,571)" 7" Fu) de du
4n? (u — 2)" (u— 2)
Wenn die Taylorsche Entwicklung von F(z) nach Potenzen von
2— 2, längs des ganzen Integrationsweges in (146) konvergiert, so
kann dieselbe dort eingeführt werden. Es ergibt sich so für A_, eine
konvergente Reihe, und man hat in (147) limo, =.
225) A. L. Cauchy, Paris 0. R. 83 (1851), p. 709; 34 (1852), p. 9, 70, 1211 —
(Euvres (1) 11, p. 385—399,
56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten. 639
Cauchy sagt, daß die Größe von ge, immer abgeschätzt werden
kann, und daß o, mit beliebiger Genauigkeit berechnet werden kann
mit Hilfe einer konvergenten Reihe, die nach Entwicklung von er r
und
2 in Reihen nach Potenzen von — oder “ aus (148) folgt.
ww, ® 2
Man muß hiergegen doch bemerker, daß im allgemeinen keine
obere Grenze für |e,| wirklich abgeleitet ist, und daß es sogar im
allgemeinen unbekannt bleibt, in welcher Weise |o,| mit wachsen-
dem % gegen Null geht.
Nur in demjenigen speziellen Falle, wo F(z) in allen Punkten
des Gebietes |z| < z,| holomorph ist, gibt Cauchy?*®) für den Modul
von _, eine obere Grenze. In diesem Falle fällt das zweite Glied im
Ausdrucke (148) für o,, weg. In das erste Glied wird die Entwicklung
70-33)
eingeführt. Weiter wird dort die Funktion (; Eier )" ö . i nach posi-
PatgPE, Zargen
tiven Potenzen von = und Be entwickelt. Endlich wird für ( — a)" i
1
[7
seine Entwicklung nach positiven Potenzen von .- gesetzt. In dieser
Weise findet Cauchy den Ausdruck
pr [8], [1 — s]m n+m m
1) un anregt 0 Me),
Mm1<1,
wo &")(z,) die m‘ Ableitung in bezug auf z der Funktion
00- Di2.(:)
für 2=2, ist. [Die Formel (149) setzt voraus, daß m>s— 1, was
Cauchy zu erwähnen unterläßt.]
Wenn die Koeffizienten B, positiv sınd, so ist ®(z) = F(z),
Dann ist auch 0<9, <1, und das Restglied og, wird ein Bruchteil
des ersten weggelassenen Gliedes in der halbkonvergenten Reihe für
A_,. Cauchy zeigt, daß dies bei der Entwicklung (10) von Legendre
zutrifft, und daß diese Entwicklung deshalb auch, wenn «> 7 ist,
für die Berechnung der Laplaceschen Koeffizienten anwendbar ist,
wenn nur der obere Index eine große Zahl ist.
226) A. L. Cauchy, Paris C. R. 34 (1852), p. 156 = (Euvres (1) 11, p. 399— 403.
42°
640 VI2,13. H.v. Zeibel. Entwicklung der Störungsfunktion.
G. W. Hi?) hat darauf hingewiesen, daß die Formel (144),
welche geschrieben werden kann:
A + +),
unbequem wird, wenn die Ableitungen von f(x) komplizierte Funk-
tionen sind. Er setzt deshalb
„—krls),tfk—ky) + afk—ky)t + Sf(k—ky,))
und bestimmt %,, Yo, X, Yı» ++, 22%, 80, daß bei der Entwicklung
dieses Ausdruckes nach Potenzen von %, Y%ı, ---, %, dieselben Fak-
toren für f(k), f(k),...., f??*!(k) erhalten werden wie in jenem
Ausdrucke. Hill zeigt, daß %,, %, - . -, 9, von der Größenordnung n
sind, und daß diese Größen Wurzeln einer Gleichung vom Grade p-+1
sind. Für 9 = 0 ist offenbar
1—5
%=,15_-1’
Auch für p=1 gibt Hill die Ausdrücke von %,, Y%9, &, Yı- Fürp=2
schreibt er die Gleichung dritten Grades für y auf. Außerdem findet
man in der Abhandlung von Hill numerische Werte mit sieben Stellen
von log [s], für 23=1,3,5,7,9;n=1,2,3,...30.
Mehrere Jahrzehnte nach Cauchys Arbeiten über diesen Gegen-
stand wurde die Theorie der Funktionen großer Zahlen in hohem
Grade durch @. Darboux?®) gefördert. Dieser sucht asymptotische
Ausdrücke für die Koeffizienten a, der Taylorschen Reihe
Fo)=at+%2+: +92" +:-;,
wenn n eine große Zahl ist. Er nimmt zuerst an, daß F'(z) auf dem
Konvergenzkreise, dessen Radius I sei, eine einzige Singularität z—= «a
besitzt, und daß in der Umgebung von z= a
(150) F()— %4,(1— 2)” +96)
gilt, wobei p(z) in der Nähe von z= a holomorph ist. Die A, sind
Konstante, die «, mit » zunehmende Zahlen, von welchen keine eine
positive ganze Zahl oder Null ist. (Darboux macht auch die unwesent-
liche Annahme, daß «,— «, ganze Zahlen sind.) Der Koeffizient
h
von (z)" in der Entwicklung von (1 — . ist
a a
BR I'(n — h)
T(h,n) = THIRD
227) @. W. Hill, American J. of Math. 6 (1884), Nr. 4, p. 125—130 = Works 2,
p. 58—863,
228) G@. Darboux, J. de Math. (3) 4 (1878), Nr. 1, p. 9-20.
%o=1.
56. Asymptotische Ausdrücke entfernter Koeffizienten. 641
Darboux zeigt, daß in dem Ausdrucke
(151) a, = a"(A,T(e,,n) ++ 4,T(e,,n) + 8.)
die sukzessiven Glieder innerhalb der Klammer von den Größenord-
nungen n-!-%&, ..., n-!7%, n"!"%+1 sind.
Der Beweis ist folgender:
Wenn die Anzahl der Exponenten «,, &,, ... endlich ist, was
z. B. für einen Pol zutrifft, so ist offenbar p(z) holomorph in allen
Punkten des Gebietes |z|<_R. Derjenige Teil von a,, welcher von
der Entwicklung von p(z) nach Potenzen von z stammt, hat dann
eine kleinere Größenordnung als R-*.n-*, wo s eine beliebige Zahl
ist, denn die Entwicklungen von @(z) und seinen Ableitungen sind
konvergent, wenn |z|= R. Da weiter die Größe T(h,n) für große
positive Werte von n von der Größenordnung n-!-* ist, so folgt
Darboux’ Satz für diesen Fall.
Wenn aber die Exponenten «,, &, ... in unendlicher Anzahl
vorkommen, stützt Darboux seinen Satz auf folgendes Theorem von
O. Bonnet??): „Wenn eine Funktion f(z), welche durch eine Taylor-
sche Reihe nach Potenzen von z gegeben ist, auf dem Konvergenz-
kreise dieser Reihe in eine trigonometrische Reihe entwickelt werden
kann, so konvergiert die Taylorsche Reihe auf dem Konvergenzkreise
und stellt dort die Funktion f(z) dar.“ Darboux setzt «,,, =v—e,
wo v eine nicht negative ganze Zahl ist, und O<«<1; darauf
wendet er Bonnets Theorem auf die Funktion
fe) — ag FO — ZA) = ,(2)"
an. Auf dem Konvergenzkreise, wo = ReY/-!°, gilt dann die
Gleichung
0 ner Dwa,läjrorme.
n=0
Die hier entwickelte Funktion wird unendlich von der Ordnung « für
den z=a entsprechenden Wert des Argumentes 0. Die Koeffizienten
der trigonometrischen Entwicklung (152) sind von derselben Größen-
ordnung wie die entsprechenden Koeffizienten in der Fourierschen
Entwicklung der Funktion (#— 0,)"“. Darboux zeigt mit Hilfe der
Integraldarstellung dieser letzteren Koeffizienten, daß sie die Größen-
229) O. Bonnet, Memoire sur la theorie generale des series (Couronne par
l’Academie royale de Belgique en 1849). [Diese Arbeit habe ich nicht einsehen
können.)
642 VIe, 183. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
ordnung n-!*“ besitzen. Es folgt daraus, daß d, von der Größenord-
nung n"!7%p+1 ist.
Wenn die Funktion F(z) auf dem Konvergenzkreise mehrere
Singularitäten von der betrachteten Natur (150) besitzt, so behandelt
man jede Singularität für sich und vereinigt in dem asymptotischen
Ausdrucke für a, die von den verschiedenen Singularitäten stammen-
den Glieder.
J. B. Flamme?) hat nach Verallgemeinernng des Theorems von
Bonnet gezeigt, daß der asymptotische Ausdruck von Darboux auch
für die Koeffizienten a, (n > 0) der Laurentschen Reihe
+%
(153) Fe)= ar
n=—%0
gilt, wenn die Singularitäten von F(z) auf dem äußeren Konvergenz-
kreise von der Natur (150) sind. Um analoge Ausdrücke für a, (n<0)
zu finden, hat man nur z durch ; zu ersetzen.
57. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale.
J. B. Flamme?®‘) hat auch in anderer Weise die Aufgabe verallge-
meinert. Nach einer Untersuchung der Singularität 2=« der Funktion
B B
F(z)dz ü dz
Fa - ID: iur
A "a
hat er gezeigt, daß der asymptotische Ausdruck (151) auch für die
allgemeine Funktion
(154) M, ur al? (a Er (n>0)
gültig bleibt, wenn |A,> a, |B|> ja] und der Integrationsweg
äquivalent ist mit einem Wege, von welchem nur ein unendlich
kleiner Halbkreis, in retrograder Richtung um a beschrieben, inner-
halb des Kreises |2| = |a! liegt. („Contour de premiere espece“ nach
der Terminologie von M. Hamy.) Der Koeffizient a, (nr >0) in der
Reihe (153) ist offenbar aus ebensovielen Integralen M, linear zu-
sammengesetzt, wie es Singularitäten auf dem äußeren Konvergenz-
kreise dieser Reihe gibt.
Am weitesten in der Verallgemeinerung geht M. Hamy.??®) Bei
230) J. B. Flamme, Obs. de Bordeaux ann. 2 (1887), p. 49—68.
231) Ibid., p. 68—76.
232) M. Hamy, J. de Math. (6) 4 (1908), p. 209-239, 267—275. Mehrere
57. Asymptotische Ausdrücke einiger bestimmter Integrale. 643
ihm ist n nicht notwendig eine ganze Zahl, und er macht außerdem
allgemeinere Annahmen über die Natur der Singularitäten von F(z)
und über die Lage des Integrationsweges.
Hamy betrachtet einerseits das Integral
(155) - w-f Fer
wo der Integrationsweg, mit Ausnahme des Anfangspunktes a, ganz
außerhalb des Kreises |z| = ja| liegt. (Contour de troisieme esp£ce.)
Er nimmt an, daß a0, daß keine Singularitäten für F'(z) unend-
lich nahe an a vorkommen, und daß die Funktion F(z) in der Um-
gebung von a die folgende Form hat
(156) F(e) = Br (= 1)” log" (-— 1)
+ I _ 1) v@ log? ( — 1) .
Die hier vorkommende Funktion »(z) ist für z=a endlich. Die
Yı3 +++, 9, Q sind positive ganze Zahlen oder Null; weiter ist
mau, <e<e,
Die Konstanten A,, A,, ..., A, sind so gewählt, daß die Binome
(-— 1)” reell und positiv sind, wenn - >.
Sein Resultat ist in diesem Falle folgendes. Sei
TA+V)T(n—h)
(157) Uo(h,n )- | ng }-
Dann sind im Ausdruck:
(158) ;=— ar(A, Ua, mn) ++ 4,U0lay,n) + 8)
die sukzessiven Glieder innerhalb der Klammer für große Werte von n
von den Größenordnungen:
log?! n log” n log?n
De Tag joop mean ie; b} ”
nit ’ nItr%’ n'te
Andrerseits betrachtet Hamy das Integral -
(159) [FO er
wo der Integrationsweg wie im Integral (154) definiert wird. (Contour
seiner Resultate hatte Hamy schon vorher ausgesprochen. Siehe Paris C. R. 114
(1892), p. 993; 125 (1897), p. 926; J. de Math. (4) 10 (1894), p. 398-408.
644 VIe,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
de premiere espece.) In der Umgebung der isolierten Singularität a ist
Fo=$(@)+ F@+[(t — 2)"log: (1 — &)]v@.
%(z) ist im Punkte a endlich, p(z) in demselben Punkte holomorph.
Weiter ist
p
F, (z) _ D’4, (1 Sr .) log?r (1 Se —) 5
v=1
Die q,,..-, 9,, q sind positive ganze Zahlen oder Null; weiter ist
zu<:i<a<e,, Den
Wenn q,=(0, so wird angenommen, daß das entsprechende «, nicht
eine ganze Zahl oder Null ist. Die Konstanten A,, ..., A, sind so
gewählt, daß die im Ausdrucke für F,(z) vorkommenden Funktionen
zZ
(1 — =)” log! (1 — I reell und positiv sind, wenn —< 1.
a
Sein Resultat in diesem zweiten Falle lantet: Sei
d? T(n—h) \,
T®(h,n) — am ITChATa+I)
dann sind im Ausdruck:
(160) M,— a (4, To (@,n) +++ 4,7%(a,,n) + 8}
für das Integral (159) die sukzessiven Glieder innerhalb der Klammer
für große Werte von n von den Größenordnungen:
logan log» n log?!n
..., 5
„ira? ni+% „ira
Hier muß man qg,— 1 bzw. g—1 statt q, bzw. q einsetzen, wenn
«, bzw. « eine ganze positive Zahl oder Null ist.
Schon vor Hamy hatte J. Hadamard?°®) asymptotische Ausdrücke
für die Koeffizienten einer Taylorschen Reihe angedeutet, wenn die
entwickelte Funktion auf dem Konvergenzkreise logarithmische Singu-
laritäten der obigen Art besitzt. Eine wirkliche Durchführung der
Größenabschätzungen für diesen Fall ist vor Hamy schon von O. Blumen-
thal gegeben?*) worden. Weiter hat dann noch A. Feraud”®°) dieselbe
Aufgabe behandelt. Er betrachtet neben der gegebenen Reihe
F() = Dar
233) J. Hadamard, J. de Math. (4) 8 (1892), 3. Partie, p. 154—186.
234) O. Blumenthal, Dissertation Göttingen 1898, .p. 37.
235) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 7 (1897), 1. Partie, p. 48—69.
58. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Integrale. 645
die adjungierte
p(t) — [a -2)-°-: Fit) de = Ne) Dnea,t
und sucht zuerst asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten dieser
letzten Reihe.
58. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Inte-
grale. Im innigsten Zusammenhange mit dem in voriger Nummer be-
handelten Probleme steht die Aufgabe, asymptotische Ausdrücke für
die Integrale
(161) I — /f(u) p(u)" du
zu finden, wie gleich des näheren gezeigt werden wird. Diese Auf-
gabe wurde zuerst von P. $. Laplace?®®) in Angriff genommen für den
Fall, wo der Integrationsweg reell ist. Die Deduktion von Laplace
ist aber nicht einwandfrei. Sein Resultat hat A. L. Cauchy?®”) be-
stätigt und erweitert in Zusammenhang mit seinen Untersuchungen
über die Konvergenz der Lagrangeschen Reihe. Cauchy betrachtet
das Integral I zwischen den reellen Grenzen c— —- und c-H — und
Yr Vr
nimmt an, daß
(162) 2 =(0, |p(w)|=max. füru=c;
übrigens wird vorausgesetzt, daß a eine große, Tr aber eine kleine
N
Größe ist. Er setzt v=c-+ TR p= c”, entwickelt w und f nach
N
Potenzen von t und findet leicht den asymptotischen Ausdruck
+a
x 19"
(163) I Se f®* "a ne ra ner
wo f, g und p” die Werte von f(u), p(u) und o ei für v=c sind.
Wenn |p(c)| das maximum maximorum von a ist im Gebiete
w<u<u,, so-gilt, für große Werte von », der asymptotische Aus-
druck (163) auch für das Integral (161) zwischen den Grenzen u,
und u..
236) P. S. Laplace, Theorie analytique des probabilites, 2° edition, Paris
1814, Nr. 27, p. 103 = (Euvres 7, p. 108.
237) A.L.Cauchy, Paris M&m. de l’acad. roy. des sciences 8 (1829), p. 101—107
(vom Sept. 1827). Vgl. auch Paris C. R. 29 (1849), p. 42 = (Euvres (1) 11, p. 139.
646 VIe,ı3. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Cauchy bemerkt, daß die Gleichung er =( in zwei zerfällt,
wenn @ komplex ist; wenn aber p einen Parameter r enthält und der
Wert von I von r unabhängig ist, so könne man oft r und e so
wählen, daß die Bedingungen (162) erfüllt sind. Unter Anwendung
dieses Grundsatzes gelingt es Cauchy*®), auch denjenigen Fall zu be-
handeln, wo der Integrationsweg ein Kreis in - Ebene der kom-
plexen Veränderlichen « ist. Wenn für v= . en =0(0 und |p(e)|
das maximum maximorum von |p(w)| längs des Kreises |u| = el ist,
so nennt Cauchy?®°)*%°) |p(c)| den Prinsipalmodul von p(u). In dieser
Weise findet Cauchy, daß die Relation (163) auch dann besteht, wenn
der Integrationsweg ein Kreis ist, auf welchem p(u) einen Prinzipal
modul besitzt.
Cauchy*°) kehrte im Zusammenhange mit seinen astronomischen
Arbeiten mehrmals zu demselben Probleme zurück. Er leitete dabei
aufs neue die Relation (163) ab und zeigte außerdem, wie asympto-
tische Ausdrücke von größerer Annäherung erhalten werden können.
Diese Ausdrücke sind aber später von anderen ganz verdrängt worden.
Ungefähr 30 Jahre nach Cauchy hat sich @. Darbouxr*?") der
Theorie dieser Integrale zugewandt. Er bemerkt, daß dieselben als
Koeffizienten für ?* in den Entwicklungen der Funktionen
_fu)du f(u) du
164 le pre)
2 vi-toW" 1—tp(u)
nach Potenzen von ? auftreten. Er nimmt an, daß der Integrations-
weg, ohne die Singularitäten von f(w) und von g(u) zu berühren,
deformiert werden kann, so daß derselbe durch einen Punkt v=c
geht, wo = — (0), während |p(u)| < |p(c)| längs des ganzen Integra-
tionsweges ist. Auf dem Konvergenzkreise der Entwicklungen der Funk-
tionen (164) gibt es dann nur eine Singularitüt, und zwar = =
Unter Anwendung seiner Methode für die Herstellung von asympto-
tischen Ausdrücken für die Koeffizienten der Taylorschen Reihe findet
Darboux die Formel (163) von Laplace und Cauchy wieder.
Der Zusammenhang der jetzigen Aufgabe mit der in voriger
Nummer behandelten wird am deutlichsten, wenn man dem Vorschlage
238) A. L. Cauchy, ibid., p. 108—110.
239) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 546 = (Euvres (1) 9, p. 75.
240) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 704 = (Eurvres (1) 9, p. 97.
241) G. Durboux, J. de Math. (3) 4 (1878), p. 29-85.
58. Asymptotische Ausdrücke allgemeinerer bestimmter Integrale. 647
von J. B. Flamme**?) folgt, das Integral (161) durch die Substitution
(165) ;—— =)
zu transformieren. Mit Einführung der Bezeichnung
ER
F(z) = ge
wird
(166) 1- (For
in formaler Übereinstimmung mit den in Nr. 57 behandelten Inte-
gralen. Natürlich ist die Art der Singularitäten aber besonders zu
studieren. Flamme weist schon darauf hin, daß asymptotische Aus-
drücke für / erhalten werden können, nicht nur in dem von Darboux
betrachteten Spezialfalle, sondern auch in anderen Fällen, wo z= 5
eine Singularität für F(z) ist, während |p(w)| <|p(c)| längs he
Integrationsweges ist. Die vollstänitie Durchführung verdankt man
wieder M. Hamy.”°) Hamy studiert zuerst den Fall, wo der Modul
von p(u) längs des Integrationsweges seinen größten Wert an der
unteren Grenze u—=c des Integrals (161) annimmt. Im transformierten
Integral (166) ist dann |2]| > EA (Contour de troisieme espece par
rapport ä a)" Er nimmt an, daß f(w) und p(u) in der Umgeburg
von c in folgender Weise entwickelt werden können:
fl) — DB, — Pr log” (u— 0),
(167) is
Yu) yo) + 2 Alu g*,
wo A und B Konstanten, die g, ganze positive Zahlen oder Null
sind, während
mI<BRShRch< in, << <m<--
Unter diesen Voraussetzungen gilt für F(z) in der Nähe von z= ir
eine Entwicklung von der Form (156) mit a = 5 Hamy findet in
dieser Weise und unter Anwendung der Gleichung (158) den gesuchten
asymptotischen Ausdruck für I.
In dem speziellen Falle, wo /(u) und p(w) für u = c holomorph
242) J. B. Flamme, Obs. de Bordeaux ann. 2 (1887), p. 76—82.
243) M. Hamy, J. de Math. (6) 4 (1908), p. 239—267, 275—281.
648 VIs, 18 H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
sind und außerdem p’(c)= 0, 9”(c)+0, hat man in der Nähe von
1
Ta; i S
168) Fe)—=C@p—1) "+ Gep—1+G@y—1) "+.
Infolge der Gleichungen (157) und (158) wird dann der asymptotische
Ausdruck von der Form
Sr D D
I = c)]® BE 2 Ban IS = ...
Fort tm tirk
n n
wo die D, rationale Funktionen von f und @ und ihren Ableitungen
für v= c sind.
Weiter betrachtet Hamy den von Cauchy®®) und Darbouxr*!)
studierten Fall, wo der deformierte Integrationsweg durch einen
Punkt u=c hindurchgeht, in welchem f(w) und @(u) holomorph
sind und p’()=0, 9”(c)=+0, während außerdem auf dem ganzen
übrigen Integrationsweg |p(u) <|p(c)| ist. Die ersten Glieder des
asymptotischen Ausdrucks werden:
—2 7 ? IV
as) I- VRrYErlt+ 374 Hl
5 far Sr -
er r At):
Das Vorzeichen der Quadratwurzel hängt mit der Richtung des Inte-
grationsweges im Punkte u = c zusammen.)
Hamy nimmt schließlich an, daß, nach Deformation des Integra-
tionsweges in (161), der Integrationsweg des transformierten Inte-
grals (166) „de premiere espece“ ist in bezug auf den singulären
Punkt = 7 für F(z). Er setzt außerdem voraus, daß f(u) und
y(u) wie in den Formeln (167) entwickelt werden können. Die
Formel (160) gibt dann für I einen asymptotischen Ausdruck.
Ein interessanter Spezialfall tritt auf, wenn (u) holomorph ist
für u=c, p (+0,
fu) = w— oP[B, + B(u— co) + B(u—0)’+--],
und wenn außerdem auf dem Integrationswege |p(u)| <|Y(c)| mit
Ausnahme eines unendlich kleinen Halbkreises um c, wo |p(u)|>|$(e)\.
Dann ist unter der Voraussetzung, daß u in retrograder Richtung
um c geht,
a ar EP eR-1)2-38]
+30)
” * * 1
wobei ein bestimmter Wert von )* zu benutzen ist.2#5)
59. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach einer Anomalie. 649
IX. Asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten der Entwick-
lungen der Störungsfunktion.
59. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen
der mittleren Anomalie des einen Planeten. Nach einem Satze von
Cauchy''®) ist der Koeffizient A,, in der Entwicklung (132) gleich
dem Koeffizienten für x’” in der Entwicklung der Funktion
hd
. al ” 7) t '-5) m’e
’
F(x') =
nach Potenzen von x. Um einen asymptotischen Ausdruck für A,, zu
finden, betrachtete Cauchy**®) c’ als eine von m’ unabhängige kon-
stante Größe und suchte einen für große m’ geltenden asymptotischen
Ausdruck für den Koeffizienten von x’” in der Entwicklung 'von F(«’).
Für reelle Werte der exzentrischen Anomalie E ist
ERN £ 3 V-1y'
gene
die auf dem äußeren Konvergenzkreise liegende Singularität von F(x’)
(vgl. Nr. 50). In der Umgebung dieser Singularität ist
= x -+ Pe |
Fe&)- (1-7) "Fe, z):
wo der Ausdruck 7 leicht aus dem Ausdruck für A? (Nr. 50) ab-
geleitet wird. Durch Anwendung seiner Formel (145), und indem a
er e'”? im Vergleich mit Eins vernachlässigt wurden, fand Cauchy den
angenäherten Ausdruck
11 g_m WePp +le-2)-$ lH) a
Ale ne en:
Cauchy hat diese Formel angewandt, um im Falle Pallas-Jupiter
die numerischen Werte von A,. (für m’ —=18) für die äquidistanten
Werte E = 0°, 10°, 20°, ..., 350° der exzentrischen Anomalie von Pallas
zu berechnen. Aus diesen Werten fand er durch eine mechanische
Quadratur den Wert des Koeffizienten A_,,, in der Entwicklung von
A! nach Vielfachen der beiden mittleren Anomalien. Für die lang-
periodische Störung in der mittleren Länge von Pallas ergab sich in
244) Ibid., p. 246.
245) Ibid., p. 266.
246) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 843—845 — (Euvres (1) 9,
p. 160-162.
650 VIe, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
dieser Weise der Wert”)
906”,3 sin (18 M’— 7. M — 2% 3’ 25”).
Kurz vorher hatte Cauchy mit Hilfe seiner komplizierteren gemischten
Methode (vgl. Nr. 50) den Wert?)
906”,6 sin (18 M’— 7 M — 29° 3’ 55”)
gefunden. In dieser Weise ist es Cauchy gelungen, den von Leverrier'?®)
durch sehr zeitraubende mechanische Doppelquadraturen . berechneten
Wert
895” sin (18 M’— 7. M — 29° 4’)
zu kontrollieren.
Die eben betrachtete Methode Cauchys setzt voraus, daß die
Exzentrizität e’ eine kleine Größe ist, M. Hamy*?) hat andere asympto-
tische Ausdrücke für A,, gegeben, welche nur voraussetzen, daß die
beiden Bahnellipsen sich nicht schneiden. Hamy geht von den Formeln
€’ 1
1— — (7 +—
fe). a 2)
An Sta ipar, m>o
IFj=1
ee,
aus und wendet seine Untersuchungen über Integrale von dieser Form
an.#®) Die Gleichung 9’(z”) = 0 hat zwei Wurzeln: z’—= tg > und
x = cot en wo siny’= e. Eine wichtige Rolle spielen die Kurven,
auf welchen |p(x’)| = const. Man hat |p(a’)| = 1 auf dem Kreise
|«|=1. Wenn |p(«’)| abnimmt, so geht dieser Kreis in eine ge-
schlossene Kurve N über, die sich immer mehr gegen den Nullpunkt
zusammenzieht, und auf welcher der Radiusvektor wächst, 2 das
Argument von x’ von 0 gegen + x geht. Im Falle «= tg % — nimmt
N eine spezielle Lage N, ein. Die Funktion f(x’) besitzt, Machen
von <=0 und z= oo, nur die vier in der Formel (133) ausge-
schriebenen Singularitäten. Unter re liegt immer eine innerhalb
der Kurve N,, denn es ist #’< g > .
Hamy betrachtete zwei Fälle:
1. Die Singularität Z—= «’c/-1# liegt zwischen der Kurve N,
und dem Kreise |*’|= 1. Dann wird der anfängliche Integrations-
247) Ibid., p. 846.
248) Ibid., p. 843.
249) M. Hamy, Paris Ü. R. 147 (1908), p. 1251—1256.
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 651
weg |x’| = 1 so deformiert, daß er schließlich zwischen N, und der
Kurve |p(x’)| = |p(Z)| liegt mit Ausnahme eines unendlich kleinen
Halbkreises um Z, welcher außerhalb der letzten Kurve bleibt. In
der Nähe von Z sind Yx’— Z:f(&) und 9(z’) holomorph. Weiter
ist 9 (Z)==0. Durch Anwendung der Formel (170), wo = —-4, findet
daher Hamy den aymptotischen Ausdruck
08 V- (2- 1%) (2- 4; x)
nn V2r m ysin y(Z—2)(Z— 2) (Z— 2,)
A [AZ
Wo 2,, 24, 2, die drei übrigen Wurzeln der Gleichung x’”’A? = 0 be-
zeichnen. Das Restglied ist von der Größenordnung -
2. Die Singularität Z—= «’c/ 1? liegt innerhalb der Kurve N..
(Nach Hamy dürfte dieser Fall wohl nie in der Praxis vorkommen.) Dann
wird der Integrationsweg durch den Punkt 2 =tg x ‚und zwar durch
das Gebiet zwischen der Kurve N, und dem Kreise |z’| = tg . ge-
legt. Auf einem solchen Wege nimmt |p(x’)| seinen größten Wert im
Punkte 2 = tg} an. In diesem Punkte sind f(x’) und p(z’) holo-
morph; weiter ist dort p’(x’)=0, 9”(z)=+0. Die Formel (169)
gibt daher für diesen Fall einen asymptotischen Ausdruck für A_,.
Da tg nd eine einfache Wurzel von f(x’) ist, so enthält das erste
Glied m’-* als Faktor.
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach den Vielfachen
der beiden mittleren Anomalien. a) Methoden von Cauchy und Hamy.
A.L. Cauchy?°®) hat auch asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten
einer Potenzreihe
+»
Fa,y)— DZ) Anaa”y"
M,N=—X
. von zwei Veränderlichen gesucht. Er nimmt dabei an, daß die Funk-
tion F(x,y) in der Umgebung von |x|=1, |y|=1 in der Form
Fa,y)—(1—*) "f@, 9)
geschrieben werden kann, wo v eine Funktion von x ist, deren
Modul >1 ist im betrachteten Gebiete der Veränderlichen x, während
250) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 722—726 — (Euvres (1) 9,
p. 116—121.
652 VIa,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
f(x, y) holomorph ist, wenn 1<y<v. Der Koeffizient A, von y* in
der Entwicklung von F(x, y) ist, infolge von (143) oder (144), durch
eine Formel
=, ir mp0)
gegeben. Dieselbe gilt, solange x in einem gewissen den Kreis |x|=1
enthaltenden Gebiete @ bleibt. Um einen angenäherten Wert für den
Koeffizienten A_,, zu finden, sucht Cauchy das konstante Glied in
der Entwicklung von
Ayan — [s], a" 7") Aa,o)(ı +9)
nach Potenzen von x. Er nennt « denjenigen Wert von x, welcher
dem Prinzipalmodul des Produktes x”v”” entspricht, und setzt voraus,
daß die beiden Kreise |x| = u und |x| = 1 und der ringförmige Be-
reich zwischen ihnen innerhalb des Gebietes @ liegt. Unter diesen
Annahmen wendet Cauchy seine bei den Untersuchungen ?®®) über das
Integral (161) gewonnenen Resultate an und findet so den asympto-
tischen Ausdruck:
My Rn fu, v)
ea [5]. u v 2 Yran (1 * e),
wo « gegen Null geht mit 2 und 2. In dieser Formel ist außerdem
Mm n
a —
1 dgezdo
s2aalı 2)
für z=u.
Cauchy hat vorgeschlagen ®°'), diese Methode auf die Entwicklung
der Störnngsfunktion anzuwenden, ist aber dabei nicht in Einzelheiten
eingegangen.
In nächstem Anschluß an diesen Ideen Cauchys stehen Arbeiten
von M. Hamy über die asymptotischen Ausdrücke für die Koeffi-
zienten A, „. in der Entwicklung von - Hamy hat zuerst?°?) den
einfachen Fall behandelt, wo die Exzentrizitäten e und e’ Null sind,
die Neigung aber einen beliebigen von Null verschiedenen Wert hat.
Dann ist zyA? ein Polynom vom zweiten Grade in x und in y. Weiter
ist infolge von (100)
A
m, m!’ "mal m+1 nase)
251) A. L. Cauchy, Paris C. R. 20 (1845), p. 1612—1620 = (Euvres (1) 9,
p. 205— 214.
252) M. Hamy, Paris Bull. astr. 10 (1893), p. 41—56, 84—90; Auszug Paris
C. R. 114 (1892), p. 993; 115 (1892), p. 869.
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 653
Das Polynom zyA? hat zwei Wurzeln y’ und y”, von welchen |Y|<1,
|y’|>1, wenn |z2|=1. Die Diskriminante von xyA?, betrachtet als
Funktion von y, ist vom vierten Grade in bezug auf x. Ihre Wurzeln
sind reell und von der Form -,, —u, +u, + (O<u<1).
Solange die Veränderliche x die Querschnitte
1 1
84, -u— + 4, — +»
nicht überschreitet, kann als Integrationsweg in der y-Ebene eine
Kurve „de premiere espece“ in‘ bezug auf die Wurzel y” gewählt
werden (vgl. Nr. 57). Solange x in dieser Weise sich verändert, bleibt
übrigens y’*+ oo. In der Nähe von y=y” ist nun
ital -Ft+-:;,
und die Koeffizienten f(x),... in dieser Entwicklung sind eindeutig
und holomorph, solange x die Querschnitte nicht erreicht. Unter An-
wendung der von J. B. Flamme?®‘) generalisierten Darbouxschen Me-
thode findet Hamy die Formel
dy_ _ yr-m _ Em +B) F
eh. fa) (149),
Berti T()Tm’ +1)
wo ö von der Größenordnung Z ist, solange x den Querschnitten
nicht unendlich nahe kommt. Für A, „. ergibt sich also der Ausdruck
1 T(mM’+% A
Ant T Gay Darin J ROH Ds" de,
wo
x9 1
"ar
ist. Um einen asymptotischen Ausdruck von der Form (169) für A, m
zu finden, sind nun die Nullstellen der Funktion 9’(z) zu suchen.
Dieselben sind Wurzeln einer algebraischen Gleichung vom achten
Grade, sind übrigens paarweise reziprok und paarweise entgegengesetzt
gleich. In dem von den erwähnten Querschnitten begrenzten Gebiete
der x-Ebene gibt es zwei reelle und zwei rein imaginäre Wurzeln
für p’(x). Von den beiden reellen, die mit + Z bezeichnet werden,
liegt die eine zwischen — ei und — u, die andere zwischen + u
und + = In den Punkten + Z hat |p(x)| längs der reellen Achse
ein Minimum. Auf dem Kreise D, welcher mit dem Nullpunkt als
Zentrum durch die Punkte + Z öe, nimmt |p(x)| seinen ErORHR
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 43
654 VIs, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Wert in diesen Punkten + Z an. Mit dem Kreise D als Integrations-
weg findet sich daher für A,„, ein asymptotischer Ausdruck nach
der Formel (169). Genau genommen betrachtet übrigens Hamy die Ent-
wicklung der etwas allgemeineren Funktion p(z)-A”‘, wo 2s=1,3,5,...
und »(z) ein Polynom in x und - ist, und gibt für die Koeffizienten
dieser Entwicklung asymptotische Ausdrücke unter Angabe der zwei
ersten Glieder in der halbkonvergenten Reihe nach fallenden Potenzen
von m’.
Andere Spezialfälle behandelt Hamy in einer späteren Arbeit.*°°)
Er setzt in etwas abweichender Bezeichnung:
Zu, Vaud, VM—t-t.g
m h
und findet so den Ausdruck
1 w m gzät at
em Sa > x
te1l|lz=1
Anstatt # wird z durch die Substitution (wo e=sin y)
t 6-) ARE di! A sin t Y g® /
u), Mar rt)
eingeführt. Es ergibt sich dann
> Finale J-
2zy—1i
A es j Fix, 2)a-"-'dx,
I2;=1
F(z, 2) m — ar.
Hamy entwickelt I nach Potenzen von sin’4y, wo y die Neigung
zwischen den Bahnebenen bezeichnet, und sucht asymptotische Aus-
drücke für die Koeffizienten dieser Ban Da die Diskussion für die
Koeffizienten verschiedener Potenzen von sin? + ungefähr dieselbe ist,
wollen wir uns hier auf den Koeffizienten Ahr nullten Potenz be-
schränken, also einfach die Neigung gleich Null setzen.
Hamy betrachtet Bu den Fall, wo die äußere Bahn kreis-
förmig ist - (,.o—=-; > < 1). Dann ist
ei. 291: 2);
253) M. Hamy, J. de Math. (4) 10 (1894), p. 405410.
254) Ibid., p. 410-466; Errata: J. de Math. (5) 2 (1896), p. 439. Kinür
Paris C. R. 117 (1898), p. 1050; 118 (1894), p. 88, 698.
- 00
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 655
wo
in: sinw /1 -8
Me A
Die Singularitäten für F(x,z), als Funktion von x betrachtet, sind
2
<=(0, ©,u,v, wu= Zt v= = ra Man hat u = 0 oder
v= oo nur für z=(0 oder z= oo. Die Bedingung u =», d.h.
r?= a” zerfällt in zwei Gleichungen vom zweiten Grade in bezug
auf z. Die eine (r—=.«’) hat zwei negative reziproke Wurzeln 2, und
2 (,<2<0). Die andere (r = — a’) hat zwei positive reziproke
Wurzeln 2,’ und 3’ (2'’>2,>0). Die Singularitäten für J sind des-
halb (vgl. Nr. 33) z,, z,, 0, 2,', 2,', 00. Solange die Veränderliche z
die‘ geradlinigen Querschnitte — oo 2 a —- Ba, + o
nicht berührt, bleibt J eindeutig und holomorph. Wenn außerdem
2=$ cot > (damit u endlich sei), so ist es möglich, einen Integra-
tionsweg „de premiere espece“ in bezug auf u zu wählen. Unter An-
wendung der von Flamme?®®!) generalisierten Darbouxschen Methode
findet dann Hamy den asymptotischen Ausdruck »
at) J= #7) >. (1 + &), wet I I
az Var r Vz :
Die von z und m’ abhängige Größe R bleibt für unendlich große m’
endlich, wenn nur z den Querschnitten oder dem Punkte z = cot x
nicht unendlich nahe rückt. -
Im Ausdrucke für I ist es erlaubt, den Integrationsweg zu ver-
ändern, wofern nur die Singularitäten von ./ vermieden werden. So-
lange der Integrationsweg nicht unendlich nahe an die Punkte 2,, %,
0,2,84,, ©, cot* rückt, darf man für große m’ in der Formel (171)
R:m’ im Vergleich mit Eins vernachlässigen. A, „. erscheint dann
angenähert als ein Integral von der Form (161). Um einen asympto-
tischen Ausdruck für A,„. zu finden, sind also die Wurzeln der
Gleichung 9’(e)—=0 zu suchen. Diese Bedingung führt nun zur
Gleichung
(172) ®siny («—t8?) (— cot +) En 22(2 + cot}) =(.
Die Nullstellen der von # abhängigen Diskriminante bezeichnet Hamy
mit 0°, 0°, 0”. Man hat 0”<0”"<0<6, wenn %>0. Wenn
— 0<0<60” ist, dann sind die drei Wurzeln der Gleichung (172)
positiv. Die kleinste wird mit Z bezeichnet. Wenn 6” <#< 6", so
43*
656 VIs,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
sind zwei Wurzeln konjugiert komplexe Größen. Dieseiben werden
mit Z;, bezeichnet. Wenn 0”<0<0 ist, gibt es zwei negative und
eine positive Wurzel. Die kleinste negative Wurzel wird Z genannt.
Wenn 0<@<.0', so sind noch zwei Wurzeln negativ und eine po-
sitiv. Dann bezeichnet aber Z die mittlere Wurzel. Wenn endlich
0<0< oo, so sind zwei Wurzeln Z+; konjugiert komplex.
Hamy zeigt, daß auf einem Kreise D, welcher mit Zentrum im
Nullpunkt durch den Punkt Z bzw. durch die Punkte Z;, geht, der
Modul von (2) seinen größten Wert in Z bzw. Z;, annimmt. In
diesem Punkte ist übrigens 9’(z) = 0. Hamy deformiert den anfäng-
lichen Integrationsweg |z| = 1 so, daß derselbe zum Schluß mit dem
Kreise D zusammenfällt. Wenn nötig, werden dabei die Singulari-
täten von J auf Doppellinien längs der Querschnitte und auf kleinen
Kreisen umgangen. Dabei treten zwei verschiedene Fälle auf. Im
ersten Fall: |
IsI<Z bzw. |Zu]<!z,
ist eine Deformation des Kreises D nicht nötig, da dieser Kreis die
Querschnitte nicht schneidet. Je nachdem Z oder Z+,; in Betracht
kommt, hat man dann infolge von (169) entweder
(173) I=H(Z)(1-+.e)
oder
(174) T= (HZ) + H(Z_)} (+0).
Hier ist
wer. 29() pl)”
Bo. Ve,
während & von der Größenordnung - ist.
Im zweiten Falle:
IZ| bzw. |Z1,|>|z,| oder <|jz!
muß man den Kreis D in der eben angedeuteten Weise deformieren,
um 2, oder 2, zu vermeiden. Der durch z, (z, oder z,) deformierte
Integrationsweg in der 2-Ebene geht dann teilweise unendlich nahe
an z, vorbei. Für die Untersuchung des entsprechenden Teiles von I
ist der Ausdruck (171) nicht mehr anwendbar. Diese Schwierigkeit
wird durch Wechsel der Integrationsordnung umgangen. In dieser
Weise zeigt Hamy, daß im Falle
2a) Ip(Z)] bzw. |p(Z4)|>|P@,)|
der asymptotische Ausdruck (173) bzw. (174) noch gilt; im Falle
2b) Ip(Z)| bzw. \p(Zu)|<Ipla,)|
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 657
dagegen findet er den asymptotischen Ausdruck:
I=&@)(l-+08),
CH — 4 e@) A : p(2) 2 — 171-4 p(2)””
E@)= — ee ee) + «sin y re en,
wo
und & von der Größenordnung - ist.
Schließlich hat M. Hamy?®) in ganz analoger Weise den Fall
behandelt, wo die innere Bahn kreisförmig ist.
b) Methode von Poincard. Etwas vor den erwähnten Arbeiten von
Hamy hatte H. Poincare”°®) von der Darbouxschen Methode ausgehend
asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten A, „;..n+a gesucht,
wenn n eine sehr große Zahl ist. Er nimmt dabei an, daß a,b,c,d
bestimmte ganze Zahlen sind, und daß a und c keinen gemeinsamen
Divisor haben. Unter Verwendung der Substitution
VA VA
und nach Einführung der Bezeichnung
Fı,)= A-tge-se-1g°
ergibt sich für F(z,t) die Entwicklung
m'’—d
Fa, = ZA tn
Poincare definiert durch die Formel
©(e) ar er de F(e,t) dt
eine Funktion ®(z). Nach der obigen Entwicklung für F(z,t) ist
offenbar
+»
(175) &(z) Dee
n=—%0
Für ®(z) ergibt sich ein einfacher Ausdruck, indem man anstatt i als
1
Integrationsvariable x° durch die Substitution
1 e/1
ER Ce,
255) M. Hamy, J. de Math. (5) 2 (1896), p. 381—439; Auszug Paris C.R. 122
(1896), p. 980, 1082,
256) H. Poincare, Les methodes unouvelles de la mecanique celeste 1, Paris
1892, chap. 6, p. 280—325; Auszug Paris C. R 112 (1891), p. 269.
658 VI2,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
einführt. Dann wird
(176) Gl.) =
RR forte] er der.
s=yzi), 2 \z i
x“ |=1
Die Funktion x?y?A? ist ein Polynom vom sechsten Grade in x und y,
wo x und % dieselbe Bedeutung wie in Nr. 32 haben. Zwischen z, y
und z besteht offenbar die Relation
(177) = re :)]' fi sl; „)] 4
Für |x°
[4
= 1, |g° | —= 1 hat. man |y|=1. In dieser Weise wird y
R 1 2
als Funktion von x° und z° vollkommen definiert. Die Funktion
innerhalb des Integralzeichens im Ausdrucke (176) für ®(z) ist also
im allgemeinen Falle ein ganz bestimmter Zweig einer unendlich viel-
i 1
deutigen Funktion von z° und 2°. Um nach dem Vorschlage Poin-
cares asymptotische Ausdrücke für A,„42,.n+a für große Werte von n
zu finden, muß man die dem Kreise |2|—= 1 am nächsten liegenden
Singularitäten für ®(z) entdecken und studieren. Dabei kommen die
in Nr. 33 erwähnten Prinzipien zur Anwendung. Die Singularitäten
der Funktion innerhalb des Integralzeichens in (176), als Funktion
1 1 1
von x° betrachtet, sind, außer &° = (0) und x° = oo, entweder solche,
für welche y aufhört holomorph zu sein, oder auch solche, für welche
A= () ist. Diejenigen Werte von x und y, welche nach Einführung
in (177) Singularitäten für ®(z) geben, sind Wurzeln algebraischer
Bedingungsgleichungen, durch welche ausgedrückt wird, daß zwei
Singularitäten der Funktion innerhalb des Integralzeichens zusammen-
fallen. Das Aufsuchen der Wurzeln dieser algebraischen Bedingungs-
gleichungen ist keine schwierige Aufgabe, besonders wenn die Exzen-
trizitäten und die Neigung kleine Größen sind. Schwieriger scheint
es zu sein, diejenigen Fälle anzugeben, wo die zusammenfallenden
Singularitäten nicht nur dem betrachteten Zweig der Funktion inner-
halb des Integralzeichens zugehören, sondern auch vor dem Zusammen-
fallen sich auf verschiedenen Seiten des Integrationsweges befinden.
Diejenigen Werte von z, welche diesen Fällen entsprechen, nennt
Poincare „zulässig“ (admissibles).
Poincar6 leitet die genannten algebraischen Bedingungsgleichungen
ab, wenn die Neigung Null ist. Bei der folgenden Diskussion, durch
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 659
welche zu entscheiden ist, welche Singularitäten zulässig sind, macht
er außerdem die sehr vereinfachende Annahme, daB !—=0 ist.
Dann ist
(= — r)? d— rn)?
(178) =’ u [By . era [By"* ti el
tg - (arcsin e), = —
Abgesehen von 2=(0, x = oo werden die Singularitäten der Funk-
tion innerhalb des Integralzeichens in (176) aus der einen oder anderen
der Gleichungen
(170) [st AT Leer
Baresal ’
(180) a [zT Ba+emay
(1 — xr)?
erhalten. Damit diese Gleichungen eine gemeinsame Wurzel besitzen,
ist notwendig und hinreichend, daß
(181) (—)(1—- a) BI HM) = 0.
In dieser Weise werden vier Singularitäten „de premiere espece“ un-
abhängig von den ganzen Zahlen a und c erhalten. Sie sind alle
reell. Die Bedingung, daß die Gleichung (179) oder (180) eine zwei-
fache Wurzel besitze, wird durch die erste oder die zweite der Glei-
chungen gegeben: .
(182) ea +) IH) Hal— ar) —T)—=0,
(183) cal+ar) IHM) +aa—)(l—ar) =0.
Indem die Gleichungen (179) mit (182), (180) mit (183) kombiniert
werden, findet man sechs Singularitäten „de deuxieme espece“, welche
mit a und ce veränderlich sind. Abgesehen von z=0 und z= mw
besitzt also die Funktion ®(z) höchstens zehn Singularitäten. Die-
selben sind paarweise reziprok. |
Die Diskussion, durch welche zu entscheiden ist, welche von
diesen Singularitäten zulässig sind, führt ‚Poincar& in eingehender
Weise nur unter einigen einschränkenden Bedingungen durch. Er
nimmt an, daß e (oder r) eine kleine Größe ist, daß 8 >1, und daß
e ' TERTL ;
— —, nur wenig vom Verhältnis der mittleren Bewegungen der beiden
Planeten abweicht. Dann sind alle Singularitäten reell. Die Kurven
(179) und (180) werden geometrisch dargestellt, indem |z und x als
rechtwinklige Koordinaten eines Punktes gedeutet werden. Die Sin-
gularitäten für ®(z) entsprechen denjenigen Punkte, wo die beiden
Kurven einander schneiden, oder wo |z| ein Maximum oder ein Mini-
660 VI2, 13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
mum hat. Um zu entscheiden, ob eine Singularität 2, zulässig ist
oder nicht, läßt Poincare |z| von dem Wert |2,| gegen den Wert |j2|=1
gehen. Nur dann ist 2, zulässig, wenn die beiden von |z| = |z,| aus-
gehenden Werte von x sich an verschiedenen Seiten des Kreises | «| —=1
befinden, sobald |2| = 1 geworden ist. Unter den gemachten An-
nahmen findet Poincare in dieser Weise, daß die einzigen zulässigen
Singularitäten für ®(z) diejenigen reziproken Werte sind, welche den
negativen Wurzeln der Gleichungen (182) und (183) entsprechen.
Poincare zeigt weiter ganz kurz, wie die Resultate verallgemeinert
werden können. Er sucht zuerst die zulässigen Singularitäten in dem-
jenigen Falle auf, ww J=0, 9 —©=(, während e und e klein
sind. Darauf geht er zu dem allgemeineren Falle über, wo die Neigung
eine kleine Größe ist, und deutet an, wie die zulässigen Singularitäten
dann gefunden werden können. Darauf beweist er den Satz, daß die
Natur einer Singularität (ob zulässig oder unzulässig) im allgemeinen
unveränderlich ist, wenn die Bahnelemente sich verändern. Nur als
eine Singularität, vom Nullpunkte aus gesehen, hinter einer zulässigen
geht, kann dieselbe in gewissen Fällen ihre Natur wechseln. Durch
geeignete kontinuierliche Veränderung der Elemente würde man also
die zulässigen Singularitäten für ®(z) in jedem gegebenen Falle finden
können.
Poincare zeigt endlich, daß in der Nähe einer zulässigen Sin-
gularität 2,:
D(2) — Dy(e) + Ds(e) log (2 — 20)
ist, wo ®, und ®, für =, holomorph sind. Man kann also die
verallgemeinerte Darbouxsche Methode anwenden, um für große Werte
von n asymptotische Ausdrücke für A,„,..n+a zu finden.
Die eben erwähnten, von Poincare teilweise nur skizzierten Ideen
sind von N. Coculesco®”) mehr ins Detail ausgeführt worden für den
Fall, daß die Balinebenen zusammenfallen, die Exzentrizitäten klein
sind, die Perihelien in derselben Richtung liegen, und c:@a<O ist.
Die eigentliche Schwierigkeit der Aufgabe liegt in dem Umstande, daß
die Funktion innerhalb des Integralzeichens in (176) eine unendlich
vieldeutige Funktion von z° und z° ist, und daß die Integration
1
nicht mehr, wie im Falle e = 0, in der x°-Ebene ausgeführt werden
kann. Der Integrationsweg muß in der Tat auf der Riemannschen
257) N. Coculesco, J. de Math. (5) 1 (1895), p. 359—442. Auszüge Paris
C. R. 118 (1894), p. 59; 120 (1895), p. 32.
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 661
Fläche, welche der Relation (177) entspricht, gezogen und deformiert
werden. Diese Fläche hat unendlich viele Blätter und ist außerdem
mit z veränderlich. Diese Schwierigkeit sucht Coculesco zu beseitigen,
indem er die Relation (177) angenähert auflöst. In erster Annähe-
rung ist:
o|r
ee
und in zweiter:
1 1
Mit solcher Annäherung ist y eindeutige Funktion von x° und s°. (Es
würde noch zu untersuchen sein, inwieweit die Resultate der Dis-
kussion durch diese Vereinfachung beeinflußt werden.) Die den Sin-
gularitäten von ®(z) entsprechenden Werte von x und y werden nach
Potenzen der kleinen Größe r entwickelt. Dabei wird r’:r als Pa-
rameter betrachtet. Coculesco sucht die Singularitäten auf den Kon-
vergenzkreisen der Entwicklung (175) und findet mittels der Darboux-
schen Methode asymptotische Ausdrücke für die Koeffizienten A, ;2cn+a-
c) Methode von Feraud. Eine dritte Methode für die asymptotische
Berechnung der durch die Formel (100) definierten Koeffizienten A
in der Entwicklung von & ist von A. Feraud?°®) vorgeschlagen worden.
Er setzt
m,m’
m=—ap+b, M=—cp-+d,
wo a,b,c,d bestimmte ganze Zahlen sind, a und c ohne gemein-
samen Divisor, c>0. Er bildet die Funktion
(184) y(l) = ne A
p-0
Mit Einführung der Bezeichnungen (vgl. Nr. 32)
=, a@-e)+ u),
- Ze) + FUN)
wird erhalten
(186) HH) - —
® “
«!=1 y =1
Die Entwicklung (184) für p(t) konvergiert offenbar, wenn |t >1.
yet Iggdy
E _ era yIA
258) A. Feraud, Obs. de Bordeaux ann. 7 (1897), p. 100—238. Auszüge
Paris C. R. 122 (1896), p. 871; Bord. Proc. 1896/97, p. 98.
662 VI2,12. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Um nach dem Vorschlage von Feraud asymptotische Ausdrücke für
die Koeffizienten A_,,43,_cp+a (für große Werte von p) zu finden, muß
man die Singularitäten der Funktion p(t) auf dem Konvergenzkreise
der Reihe (184) entdecken und studieren. Dabei kommen die in Nr. 34
erwähnten Prinzipien zur Anwendung. Es ist ziemlich leicht, alle die-
jenigen Werte von £ zu finden, die überhaupt singulär für die ver-
schiedenen Zweige der Funktion g(t) sein können. Schwieriger ist
es, zwischen allen diesen verdächtigen Werten diejenigen zu entdecken,
welche auf dem Konvergenzkreise der Reihe (134) liegen und für
diese Entwicklung wirklich ‚singulär sind.
Die wirkliche Durchführung der Untersuchung geschieht auch
von Feraud wieder für den Fall von Kreisbahnen in verschiedenen
Ebenen und für den Fall eines Kreises und einer Ellipse in der-
selben Ebene.
Falls die Exzentrizitäten Null er während die Neigung einen
beliebigen Wert hat, ist g(z, yJ) = 245 ein Polynom zweiten Grades
von x bzw. y.
Weiter ist in diesem Falle V=1, &, = 2,= 0. Feraud studiert
zuerst eine Funktion ®(z, t), welche für |x|=1, |t|>1 durch das
Integral |
dı
D(z,t) = u
ya (1 Er )Vay° ga, W)
vl=1
definiert wird. Die Singularitäten von ®(x, t), als Funktion von &
betrachtet, werden nach den Prinzipien der Nr. 33 gefunden. Dabei
werden 8 feste (von t en Singularitäten erhalten, und zwar
die 4 Verzweigungspunkte + u, + — - (alle reell) der durch die Gleichung
(186) 98, h HA
definierten Riemannschen Fläche nebst den 4 auf der imaginären Achse
dieser Fläche liegenden Punkten, wo y=(0 oder y= oo. Weiter
werden dann auch bewegliche Singularitäten gefunden, welche durch
die Relation
(187) = z°y°
auf der genannten Riemannschen Fläche definiert werden. Diese Rie-
mannsche Fläche besitzt zwei Blätter. Man gelangt von dem einen
zu dem anderen über die Querschnitte — oo bis — 7 — ubis + u,
= n bis + 00. Auf dem Kreise |x|—=1 ist |y|<1 auf dem unteren
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 663
Blatt und ‚y >1 auf dem oberen. Darauf geht Feraud zum Auf-
suchen der Singularitäten der Funktion
(188) On 7 D(x, ddr.
Jede Singularität von p(t) (von #= 0 abgesehen) muß entweder ein
solcher Wert von £ sein, für welchen eine bewegliche Singularität von
®(x, t) mit einem Verzweigungspunkte zusammenfällt oder auch ein
solcher Wert von t, für welchen zwei bewegliche Singularitäten von
®(x, it) in einem und demselben Punkte der Riemannschen Fläche
sich begegnen. Diese letzteren Werte von ? werden erhalten, indem
im Ausdrucke (187) für t die gemeinsamen Lösungen des Systems
BER ey, _
(189) a0, ED 0
eingeführt werden. Die Resultante dieses Systems ist vom 8. Grade.
Ihre Wurzeln sind von der Form <= -+»,, +4, +V-—-1»,
1
+y-1,, wo v, und », reell, positiv und <1 sind. Die Punkte
1 . . . b 1
v, und —- liegen immer zwischen den Verzweigungspunkten u und r
1
Jede Singularität von g(?) ist entweder reell oder rein imaginär.
Um auf einer beliebigen der Halbachsen in der i-Ebene die von dem
Ursprung entfernteste zulässige Singularität zu finden, läßt Feraud
die Veränderliche diese Halbachse in der Richtung gegen den Ur-
sprung durchlaufen. Die durch die Gleichung (187) auf der Riemann-
schen Fläche (186) definierten beweglichen Singularitäten von ®(z, £)
beschreiben dann auf: dieser Fläche gewisse Kurven. Wie schon er-
wähnt, können zwei von diesen Kurven sich nur in denjenigen 8 Punkten
schneiden, welche den gemeinsamen Lösungen des Systems (189) ent-
sprechen. Die für große t-Werte mit dem Kreise x; —= 1 im unteren
Blatt der Riemannschen Fläche zusammenfallende Kurve wird auf
dieser Fläche kontinuierlich deformiert, so daß dieselbe den auf dieser
Fläche liegenden Singularitäten für ®(x, t) ausweicht. Feraud zeigt,
daß diese Kurve als Integrationsweg im Integrale (188) angewandt _
werden kann. Er beweist mit andern Worten, daß p(t) holomorph
bleibt, solange die eben betrachtete Kurve in der angedeuteten Weise
deformiert werden kann. Feraud findet in dieser Weise schließlich,
daß die Singularitäten auf dem Konvergenzkreise der Reihe (184) sind
+t, wenn a--c ungerade,
+1, wenn a--c gerade ist.
664 VIe,13. H.v. Zeipel. Entwicklung der Störungsfunktion.
Hier bezeichnet t, diejenige von den beiden Größen i, und >, für
welche das Modul <1 ist.
Feraud hat auch die analytische Natur der Entwicklungen der
Funktion p(t) in der Nähe von diesen Singularitäten studiert. Durch
Anwendung einer von H. Poincard®°®) bei seinen Untersuchungen über
Doppelintegrale gegebene Methode findet er, daß
(190) FM = A) + pl) legt — ho),
wo 9, und 9, im singulären Punkte 4, holomorph sind. Mit Hilfe
der Methode von Darboux können also asymptotische Ausdrücke für
die Koeffizienten A_,,+,-cp+a gefunden werden.
Im Falle, daß die Bahnebenen zusammenfallen und die eine Bahn
kreisförmig ist (e = 0), gilt für A? der Ausdruck (178). Die Riemann-
sche Fläche A?= 0 besteht also aus zwei getrennten Blättern, dem
unteren und dem oberen, dem ersten und dem zweiten Faktor des
Ausdrucks für A? entsprechend. Die Funktion @(t) wird wie in der
Formel (188) geschrieben. Die Funktion ®(z,t), als Funktion von x
betrachtet, besitzt in diesem Falle (abgesehen von <= 0, 2—= m)
6 feste Singularitäten, und zwar die 4 Berührungspunkte der beiden
Blätter der Riemannschen Fläche (alle reell und durch die Glei-
chungen (181) gegeben) nebst den 2 Punkten 2=r und = 7!
auf dieser Fläche, wo y=0 bzw. y= oo. Die beweglichen Singu-
laritäten von ®(x, t) werden auf den beiden Blättern der Riemannschen
Fläche durch die beiden Gleichungen (179) und (180) definiert (wo
nur £ anstatt 2 gedacht wird).
Als anfänglichen Integrationsweg (für große Werte von ?) im
Integralausdrucke für @(t) wählt Feraud den Kreis x =1 in dem-
jenigen Blatt der Riemannschen Flüche gezogen, wo |y|<1, als
x =1. Dieser Weg liegt deshalb im unteren Blatt, wenn ß>1,
dagegen im oberen Blatt, wenn &# < 1. Feraud beweist, daß der Inte-
grationsweg nur deformiert zu werden braucht, um diejenigen Singu-
laritäten für D(x, t) zu vermeiden, welche in demselben Blatt wie der
Integrationsweg liegen. Wenn 8 >1, so gibt es also (abgesehen von
. t=0) keine anderen Singularitäten für g(t) als diejenigen, welche
durch Einführen der Wurzeln der Gleichungen (181) und (182) im
zweiten Membrum der Formel (179) erhalten werden. Wenn dagegen
ß <1, so werden (abgesehen von t = 0) alle Singularitäten gefunden,
indem die Wurzeln der Gleichungen (181) und (183) im Ausdrucke (180)
eingesetzt werden. Wenn die Gleichung (182) bzw. (183) imaginäre
259) H. Poincare, Acta mathematica 9 (1887), p. 321—380.
60. Entfernte Glieder in der Entwicklung nach beiden Anomalien. 665
Wurzeln besitzt, so gibt es im allgemeinen zwei konjugiert komplexe
Singularitäten i+,; für (ft). Feraud zeigt, daß diese Singularitäten
zulässig sind, indem er # mit konstantem Argumente von oo gegen t+;
variieren läßt. Die reellen Singularitäten für @(f) studiert Feraud,
indem er ? die reellen Halbachsen von |? = oo durchlaufen läßt und
dabei die beweglichen Singularitäten von ®(x, t) graphisch verfolgt.
Bei dieser Diskussion treten verschiedene Fälle auf, je nach der rela-
tiven Lage der reellen Wurzeln der Gleichungen (181) und (182)
bzw. (183). In jedem Falle sucht Feraud diejenige von diesen Wurzeln
auf, welche die vom Ursprung am weitesten entfernte, zulässige Singu-
larität von p(f) gibt.
Er zeigt ferner, daß „(t) in der Umgebung einer solchen Singu-
larität von der Natur (190) ist. Die Methode von Darboux liefert
also für große Werte von » asymptotische Ausdrücke für die Koeffi-
zienten A,
V12,14.. THEORIE DES ERDMONDES.
Von
. ERNEST W. BROWN
IN NEW HAVEN.
(Übersetzt und mit einigen Zusätzen versehen von A. v. Brunn in Danzig.)
3
4
>
6.
7.
8.
9
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
Inhaltsübersicht.
Historischer Überblick.
Verhältnis der Mondtheorie zum n-Körperproblem.
I. Das Hauptproblem.
Die Kräftefunktion.
Bewegungsgleichungen.
Spezielle Differentialgleichungen.
Formen der Ausdrücke für die Koordinaten.
Konvergenz und Divergenz,
Intermediäre Bahnen. Lösungsmethoden.
Entwicklung der Störungsfunktion.
Variation der willkürlichen Konstanten.
Eigenschaften der Lösung.
II. Die Lösungsmethoden.
Geometrische Methoden: Newton.
Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche: Laplace, Olawraut, d’Alem-
bert, Damoiseau, Plana.
Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Veränderlicher: de Ponte-
coulant, Lubbock, Aüry, Neison.
Variation der Konstanten: Euler, Poisson, Puiseux, Delaunay,. Poincare.
Bewegliche rechtwinklige Koordinaten: Euler, Hill, Brown, Poincare.
Mittlere Anomalie und Verhältnis der Entfernung zu einem elliptischen
Radiusvektor als abhängige Variable: Hansen, v. Oppolzer, Weiler.
Wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche: Euler, Gylden, Brendel.
III. Planetarische und andere störende Einflüsse.
Behandlungsmethoden.
Die Figur der Erde und des Mondes.
Die direkte Wirkung der Planeten.
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 44
668 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
22. Die indirekte Wirkung der Planeten.
23. Die säkularen Beschleunigungen.
24. Störungen zweiter Ordnung.
25. Andere mögliche störende Ursachen.
26. Der gegenwärtige Stand der Mondtheorie. Vergleich mit der Beobachtung.
27. Tafeln der Mondbewegung.
Bemerkung. Dieser Artikel behandelt ausdrücklich nur das Problem des
Erdmondes. Er nimmt daher nur gelegentlich nebenbei Notiz von Entwick-
lungen, die zwar aus diesem Problem herstammen, aber entweder auf ähnliche
himmlische Systeme oder überhaupt auf andere Probleme anwendbar sind; diese
Dinge sind in IV 1,12 und VIsa, 12, 13 u. 18 behandelt. Andrerseits sind auch
Resultate, welche in jenen Artikeln entwickelt sind und auf die Mondtheorie
angewandt werden können, im allgemeinen hier nicht wiederholt. Die Litteratur
. und die Methoden, die sich auf die Bestimmung der Konstanten aus Beobach-
tungen beziehen, gehören in den Artikel VIs, 19.
Literatur.
Lehrbücher.
@. B. Airy, Mathematical tracts on physical Astronomy, Cambridge, 1. Aufl. 1826,
2. Aufl. 1831.
H. Godfray, Elementary treatise on the Lunar theory, London, 1. Aufl. 1853,
3. Aufl. 1871.
F. Tisserand, Traite de mecanique c&leste 3, Paris 1894.
E. W. Brown, An introductory treatise on the Lunar theory, Cambridge 1896.
J. C. Adams, Lectures on the Lunar theory, Cambridge 1900.
H. Andoyer, Theorie de la Lune. Scientia, Paris 1902.
H. Poincare, Legons de mecanique celeste 2, Paris 1909.
@. Boccardi, Elementi di Astronomia, Torifno, 1912.
Monographieen.
I. Newton, Philosophiae naturalis prineipia mathematica, London, 1687.
A. C. Olairaut, Theorie de la Lune, 1. Aufl. St. Petersburg 1752, 2. Aufl. Paris
1765.
L. uler, Theoria motus Lunae exhibens omnes ejus inaequalitates (mit einem
Additamentum), St. Petersburg 1753.
J. d’Alembert, Recherches sur differents points importants du systöme du Monde
1, Paris 1754.
L. Euler, Reflexions sur la variation de la Lune, Berl. Acad. Mem. 1766, p. 334—353.
— Theoria motuum Lunae nova methodo pertractata ete., St. Petersburg 1772.
P. 8. Laplace, Trait& de mecanique celeste liv. 7, Paris 1802.
M. C. T. Damoiseau, M&moire sur la theorie de la Lune, Paris mem. pres. 3 ser.
1 (1827), p. 318—598,
@. A. A. Plana, Theorie du mouvement de la Lune (3 Bde.), Turin 1832.
J. W. Lubbock, On the theory of the Moon and on the perturbations of the
Planets. Lond. Phil. Trans. 1831, p. 217—66, 1832, p. 1—49, 229— 236, 361—381,
601—607, 1834, p. 123—141 = Tracts on the theory of the Moon and on
the perturbations of the Planets, London 1834, 1836, 1837, 1840 und, eine
Diskussion vieler Fragen enthaltend, 1861.
1. Kurzer historischer Überblick. 669
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m&m. pres. 3 ser. 13 (1835), p. 209— 335.
P. A. Hansen, Fundamenta nova investigationis orbitae verae, quam Luna per-
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P. @. D. de Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du Monde 4, Paris 1846.
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P. A. Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnung der in den Mondtafeln
angewandten Störungen, Leipzig. Ges. Wiss. Abhal. 6 (1862), p. 91—498, 7
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V. Puiseux, Sur les prineipales inegalites de la Lune, Ann. &c. norm. sup. Paris,
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G. W. Hill, Researches in the Lunar theory, Amer. Journ. of Math. 1 (1877),
p. 5—26, 129—147, 245—260 —= Works 1, p. 284—335.
— On the part of the motion of the lunar perigee which is a function of the
mean motions of the sun and Moon, Cambridge U. S.A. 1877 = Acta math.
8 (1886), p. 1—36. = Works 1, p. 243—270.
J.C. Adams, On the motion of the Moons node ete., Lond. Astr. soe. Manhis
Not. 38 (1877), p. 43—49. = Collected works 1, p. 181—188.
H. Gylden, Die intermediüre Bahn des Mondes, Acta math. 7 (1885), p. 125—172.,
G. B. Airy, Numerical Lunar theory, London 1886.
H. Poincare, Les me&thodes nouvelles de la m&canique ce&leste, 3 Bde., Paris 1892,
1893, 1899.
Th. v. Oppolzer, Entwurf einer Mondtheorie etc, Wien Denkschr. 51 (1886),
p. 69—105, 54 (1888), p. 49—244.
R. Radau, Recherches concernant les inegalites planetaires du mouvement de la
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Gött. Math. Abh. N. F. Bd. 3, Nr. 4.
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E. W. Brown, Inequalities produced by the direct action of the planets, Cam-
bridge University Press XII u. 93 p. 1908.
1. Kurzer historischer Überblick.') I. Newton (1687) selbst war
der erste, der die Bewegungen des Mondes seinem Gesetz vom reci-
1) Nachweisungen siehe unten. Die Hauptquellen, aus denen man sich
über die Geschichte der allgemeinen Astronomie unterrichten kann, sind A. Gautier,
44*
670 VI 2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
proken Quadrat der Entfernung unterordnete, indem er aus ihm
angenäherte Werte für die hauptsächlichsten Ungleiehheiten und Be-
wegungen ableitete. Eine analytische Methode wandte zuerst Olairaut
(1747) an, der den Kunstgriff gebrauchte, eine Ellipse mit beweg-
licher Apsidenlinie in die Gleichungen einzuführen; er erhielt eine
zweite Annäherung für die Apsidenbewegung, welche zeigte, daß das
Newtonsche Gesetz allen Tatsachen genüge. Diese Theorie war
numerisch. Eine ähnliche rein analytische Theorie arbeitete @’ Alembert
(1751) aus. 1753 publizierte Euler den ersten seiner zahlreichen Ver-
suche, brauchbare analytische Darstellungen und Lösungen des Problems
zu finden; er benutzte zum ersten Male bewegliche rechtwinklige Ko-
ordinatenachsen, die Variation der Konstanten, eine der Hansens analoge
Methode, den Ausdruck der Koordinaten durch trigonometrische Funk-
tionen der Zeit, Annäherungen zunächst nach Potenzen der Exzentri-
zitäten und Neigungen und erst dann nach Potenzen der störenden
Kraft und unendlich unbestimmte Koeffizienten zur Aufstellung und
Lösung von Bedingungsgleichungen, um so numerische Werte der
willkürlichen Konstanten zu erhalten. 7. Mayer gab, indem er Bulers
Methode von 1753 benutzte und Theorie und Beobachtung vereinigte,
in den Jahren 1753 und 1770 Tafeln heraus.
Laplace nahm den Gegenstand 1770 auf; seine Untersuchungen
sind zum größten Teile im 3. Bande seiner Mecanique celeste (1802)
enthalten. Er stellte die allgemeinen Bewegungsgleichungen auf, gab
eine generelle Lösungsmethode, die er in beträchtlichem Umfange
durehführte, und welche die von der Figur der Erde und der An-
ziehung der Planeten herrührenden Störungen berücksichtigte, wies
auf die Bedeutung der langperiodischen und säkularen Terme hin und
klärte die Ursache der Säkularbeschleunigung auf. Damoiseau (1827)
und Plana (1832) entwickelten Laplaces Methode bis zu einem viel
höheren Grade der Annäherung, jener numerisch, dieser analytisch.
„Essai historique sur le problöme des trois corps“, (Paris 1817) und die Einleitungen
der hauptsächlichsten Monographieen sowie der Lehrbücher von Tisserand und
Brown.
Die nach Gegenständen geordnete „Bibliographie generale de l’Astronomie“
von Houzeau und Lancaster und das „Vademecum de l’Astronomie* von Houzeau,
Brüssel 1882 und 1887 bzw. 1882, enthalten Titel und Verlagsort der meisten
Bücher und Abhandlungen bis 1880. Zur Vervollständigung der mathematischen
Kataloge enthält das Paris bull. astr. (seit 1884) ein Verzeichnis der meisten der
im betreffenden Jahre erschienenen Werke. Endlich gibt (seit 1900) der „Astro-
nomische Jahresbericht“ von Walther F. Wislicenus ein nach (egenständen ge-
ordnetes Verzeichnis nebst kurzer Besprechung der Publikationen,
1. Kurzer historischer Überblick. 671
De Pontecoulant und Lubbock begannen um 1830 ihre Untersuchungen
unter Verwendung der Zeit als unabhängiger Veränderlicher; des
ersteren vollständige Resultate wurden 1846 veröffentlicht. In ungefähr
dieselbe Zeit fallen Hansens erste Publikationen seiner Methoden: Die
„Fundamente usw.“, die seine Theorie enthalten, erschienen 1838, die
„Darlegung usw.“ mit seinen numerischen Resultaten 1862 und 1864
und die „Tafeln“ 1857. Poissons Memoire, welches die Variation der
Konstanten anwendete, kam 1835 heraus. Adams’ Abhandlung von 1853
zeigte, daß Laplaces theoretischer Wert der Säkularbeschleunigung
trotz der scheinbaren Übereinstimmung mit der Beobachtung um die
Hälfte seines Betrages falsch war. Delaunay kündigte seine Methode,
die Variation des Konstanten anzuwenden, 1846 an und führte sie so
weit durch, daß er (1867) eine analytische Entwicklung für die Sonnen-
störungen bis einschließlich der Größen 7. Ordnung in der störenden
Kraft erhielt, die Sonnenbahn als elliptisch vorausgesetzt. Die An-
wendung seiner Methode auf planetarische und andere Ungleichheiten
ist durch Hill, Newcomb, Radau, Brown und andre gemacht. Airys
Versuch (1886), numerisch Delaunays Resultate zu verifizieren, schlug
fehl. Weiler (1872), Neison-Nevill (1877) und v. Oppolzer (1887) haben
ebenfalls allgemeine Methoden gegeben.
In Hills Schriften von 1877 trat die Idee hervor, eine periodische
Bahn anstatt der Ellipse mit beweglicher Apsidenlinie als erste An-
näherung zu benutzen. Indem er Eulers Gedanken einer Annäherung
nach Potenzen der Exzentrizitäten und Neigungen aufnahm, erhielt er
mit hoher Genauigkeit den Teil der Störungen, die von jenen unab-
hängig sind. Den gleichen Gedanken hatte Adams gehabt, dessen
Abhandlung über die Bewegung des Knotens unmittelbar folgte. Die
angedeutete Methode ist vollständig entwickelt durch Brown, der alle
Terme einschließt, die Koeffizienten bis zum Betrage von 0”,01 liefern
können, und diese auf 0”,001 genau rechnet. Die Anwendung peri-
odischer Bahnen ist von Poincare von der mathematischen Seite aus auf
alle Gebiete der Himmelsmechanik ausgedehnt, und ähnliche Probleme
sind von Darwin, Schwarzschild und anderen behandelt. Gyldens Ab-
handlung aus dem Jahre 1886 zeigt die Anwendung seiner eigenen
Methoden auf die Mondtheorie; Brendel (1905) und andere Autoren
haben seine Methoden modifiziert und sein Werk fortgeführt, aber es
ist nicht zu einer vollständigen Entwicklung gekommen. Im Jahre
1900 hat Poincard eine allgemeine Methode gegeben, die auf der von
Hill und Brown basiert. Cowell (1903—5) hat zahlreiche theore-
tische Koeffizienten durch eine direkte Analyse der Mondbeobachtungen
verifiziert.
672 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
2. Verhältnis der Mondtheorie zum n-Körperproblem und zur
Planetentheorie. Jeder Körper im Sonnensystem kreist scheinbar inner-
halb einer ringförmigen Fläche um einen andern, der das Zentrum dieser
Fläche einnimmt; letzterer (b) bestimmt den Hauptteil der Bewegung
des ersteren (a), und die übrigen Körper (c) „stören“ diese Be-
wegung in höheren oder geringerem Grade. In der Planetentheorie
sind diese Körper: a ein Planet, b die Sonne, c die übrigen Planeten;
in der Mondtheorie dagegen sind es: a der Mond, b die Erde, c die
Sonne und die Planeten. Die Unterscheidung dieser beiden Probleme
ist nur vorgenommen, um ihre analytischen Verschiedenheiten hervor-
zuheben. Es seien nämlich « und » mittlere Entfernung und mittlere
Bewegung des gestörten Körpers um den Zentralkörper der Masse E;
ebenso m’, a’, n' Masse, mittlere Entfernung und mittlere Bewegung
des störenden Körpers. Dann erfordert die Lösung des Bewegungs-
problems eine Entwicklung nach positiven oder negativen Potenzen
m
an nl. 1 “u a n
von =» „77 9° In der Planetentheorie ist are, während 7 und es
(oder En =) die Einheit erreichen können. In der Mondtheorie da-
gegen, wenn die Sonne der störende Körper ist, hat man:
m’ a 1" 1
ungefähr. In jenem Fall ist die Schwierigkeit die, die merkbaren
m
.
Potenzen davon mitgenommen werden; und daß man im Mondproblem
von einer solchen Entwicklung nach der störenden Masse, die ja die
Einheit um mehr als das Dreihunderttausendfache übertrifft, überhaupt
sprechen kann, hat nur dadurch einen Sinn, daß sich infolge der Eigen-
tümlichkeit des Problems die Gesamtheit der Entwicklungen nach
5; und “; tatsächlich auf eine solche nach (—) und , reduziert.
a N a
Und weiter: Während die Apsiden- und Knotenbewegungen der Pla-
neten so langsam vor sich gehen, daß Ausdrücke der Form
D(A+ Bt+ ---) sin (at + ß), ww «= in + jn,,
zur Darstellung der Elemente für sehr lange Zeit genügen, würden
solche für den Mond schon nach Ablauf einiger Monate unbrauchbar
werden: Man muß daher so verfahren, daß die Zeit nur in trigono-
metrischen Funktionen vorkommt, welche von 4 (der Zeit proportio-
nalen) Argumenten abhängen, z. B. den beiden mittleren Längen in
der Bahn, der mittlere Perihellänge und der mittleren Knotenlänge
Glieder 1., selten 2. Ordnung in —, zu erhalten, in diesem müssen viele
3. Die Kräftefunktion. 673
des Mondes. Die zu berücksichtigenden Vielfachen dieser Argumente
sind beim Monde nicht hoch, während in der Planetentheorie vielfach
ziemlich hohe Werte von © und j noch mitzunehmen sind.
Wegen der im Verhältnis zur Sonne kleinen Massen der Planeten
und überhaupt der ganzen Konfiguration des Systems ist es möglich,
das gesamte Mondproblem in Unterprobleme zu teilen, die nachein-
ander getrennt behandelt werden können; und zwar folgendermaßen:
1. Das Hauptproblem: in ihm werden Erde, Mond und Sonne
auf ihre Schwerpunkte mit den Massen E, M, m’ reduziert (be-
ziehungsweise die Körper als Kugeln mit konzentrischen Kugelschichten
gleicher Dichte aufgefaßt). Die Bewegung des Schwerpunktes @ von
E und M um m’ kann als in einer bekannten festen Ellipse vor sich
gehend gedacht werden (Nr. 3—18).
2. Die Wirkungen, die durch den Unterschied zwischen angenom-
mener und wirklicher Figur von Erde und Mond hervorgerufen werden
(Nr. 20).
3. Die direkte Anziehung von M durch die als Massenpunkte ge-
dachten Planeten (Nr. 21).
4. Die Wirkungen der Abweichungen der Bewegung von @ von
einer festen Ellipse; diese werden durch die Planeten hervorgerufen
und sind als deren indirekte Wirkung bekannt (Nr. 22 und 23).
5. Störungen, die von den Quadraten und Produkten der in 2,
3, 4 genannten Kräfte abhängen (Nr. 24).
6. Andere Ursachen, deren Wirkungen entweder zu klein sind, um
beobachtet werden zu können, oder deren Charakter und Beträge noch
größtenteils hypothetisch sind; das sind: Die Gezeiten. auf der Erde
die Abweichungen vom Newionschen Gesetz, Massengewinn oder
-verlust, Einfluß eines widerstehenden Mittels usw. (Nr. 25).
I. Das Hauptproblem.
3. Die Kräftefunktion. Es seien &,y,2, r und «, y', z’, r' Koordi-
naten und Abstand von Mond bzw. Sonne in einem festen Koordinaten-
system, dessen Anfang in E liegt; A sei der Abstand Mond—Sonne;
E, M, m’ die Massen von Erde, Mond und Sonne, gerechnet in astro-
nomischen Einheiten. Dann lauten die Bewegungsgleichungen des
Mondes?):
dx 6F dy_ OF die 9F
a de de Dy ai De
2) Laplace, Mecanique celeste, liv. 2, Nr. 14.
674 VI2, 14 Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
wo
Ft 4 er (-” muy ter)
ist.
Die Sonnenkoordinaten sind auf @, den Schwerpunkt von Eund M
bezogen, und von der Sonne wird vorausgesetzt, daß sie eine feste
Ellipse um G@ als Brennpunkt in der xy- Ebene (Ekliptik) beschreibe;
es ist also = 0. Man setzt nun z@’+ yy' = rr' cos ®, wo also
9 —=<-MEm’, und entwickelt nach Potenzen von 5, das ungefähr 2
ist. Es werde außerdem bezeichnet;:?)
a ee le
dann ist
Da
330 000
m"=n®’a’(l —A),
wo n’ und a’ mittlere Bewegung und große Halbachse der Sonnenbahn
sind. Es sei nun P, die Kugelfunktion j‘* Ordnung von 9. Dann
kann man schreiben
j=o
#— +4 = a ds Du, P,(#)- Er= +.
r
j=2
In den meisten Theorien wird A—= 0 und «,—= 1 gesetzt. In der Tat
bringt auch 4 nur eine kaum merkliche Veränderung in der Apsiden-
und Knotenbewegung hervor, und den Größen #, wird annähernd Rech-
J N
nung getragen, wenn man in den Schlußresultaten vr we statt ri
setzt.) Die Störungsfunktion ist R; ist sie null, so geht die Mond-
bewegung in einer Ellipse mit E als Brennpunkt vor sich. Die Zeit
tritt in R explizit nur in der Form „nt + dundnt+.— =!
auf, wo € und ®’ die mittlere Länge und die Perigäumslänge der
Sonne für 2=0 sind; und zwar kommt »’t-+ e’ in $ nur so vor,
daß, wenn man die Bewegung auf ein bewegliches Koordinatensystem
bezieht, dessen Anfang in E liegt, und dessen &-Richtung nach dem
mittleren Sonnenort zeigt, in F' die Zeit £ explizit nur.durch 7 ein-
geht. Wir können dann R mit Formeln, wie sie für die elliptische -
Bewegung gelten, nach Kosinus der Vielfachen von 7” und Potenzen
von e', der Exzentrizität der Sonnenbahn, entwickeln; dabei tritt e'*
in dem Koeffizienten von cos kl’ als Faktor auf.
3) P. Harzer, Astr. Nachr. 123 (1889), col. 193—200.
4) Für die Begründung dieser Vereinfachung siehe E W. Brown, Treatise
on the Lunar theory, Chap. 1, Cambridge 1896.
4. Die Bewegungsgleichungen. : 675
4. Die Bewegungsgleichungen. Den Bewegungsgleichungen sind
vielerlei verschiedene Formen gegeben worden. Einige der wich-
tigsten sind:
a) Für Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Ver-
I )
OR , FOR
EN r?) — +- =, +2R—2n fan
a © Bl +9 _ - -/3 oR R at,
> Fl u _Vi+soR FE AB
(a) ” vır® r 2 Vi s? Or ?
wo a und h Integrationskonstanten sind und s die trig. Tangente der
Breite über der xy-Ebene, v die sphärische Länge der Projektion von
r auf die «y-Ebene von der x-Achse aus gerechnet, &’ die mittlere
Länge der Sonne für *=0, und u=E+M ist. Wenn R= 0 ist,
so ist 2@ die große Achse und 4h die Flächengeschwindigkeit in der
x y-Ebene.
b) Polarkordinaten mit v als unabhängiger Veränderlicher:°)
d’u 10F e OF == 1 - ao. d’u oF ch
wart nd ag Mu 0s Au’ 7r dv den +) | vm®
d’s s öF 1+s?0F 1 dsörF 2 oFdv
dr ii er a Du?
dt
oF =) 3
an Ki (14% dv u?
Hier hat h eine ähnliche Bedeutung wie in a); ——r,, ist die Pro-
jektion des Radiusvektors auf die zy-Ebene.
e) Rechtwinklige Koordinaten, auf ein bewegliches Achsensystem
bezogen.”) Es sei die x-Achse stets nach dem mittleren Sonnenort
gerichtet und außerdem bezeichnet:
F=F++n?(@° +).
Dann ist |
d’x ‚dy__ OF d’y ra Sr Zr
Te a ST a
5) Laplace, M&canique celeste, liv. 2, Nr. 46 und de Pontecoulant, Systeme
du monde 4, Nr. 1.
6) Laplace, Mecanique celeste, liv. 2, Nr. 15; 7, Nr. 1.
7) @. W. Hill, Researches in the Lunar theory, Amer. Journ. of Math. 1
(1877), p. 5—26, 129—147, 245—260. = Works 1, p. 284—335.
676 VIa,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Man setze nun:
“ati, geeemin, g-y—1
und führe das Opernlsonsenichin D ein für
d 1 d
Fra in — nn) dt
ferner sei
u ET Ger
pP—=»
Tm!(u+ s)— me 2
=?2
Dann ist 2, eine homogene Funktion p' Grades von u, s, z, welche
(° als Faktor enthält; 2, enthält außerdem e’ als Factor. Dann
kann man die Differentialgleichungen folgendermaßen umformen:?)
D!(us+2°)— Du Ds— (D2)’—2m(uDs—s Du) + 2m?(u+ s)’— 3 m? 2?
2 , Ss se
(n — n’)?
=(0 -3 K2+ 1)2,+ DD,2,)],
p=»
Pr 08
D(uDs—sDu—2mus)+z > m3(u? —)— Y>6 SE er un.)
p=2 i
Re, BES 1,09, 09,
D(u Dz—2Du)—2mzDu—m’uz— 5; m :(u+9- (3 aa, U 72)
ee 2 2
Hier bedeutet D, die Operation D angewandt auf die Teile von 2,
welche die Zeit explizite enthalten; D°, die Wiederholung der Operation
D, und D-!, die inverse Operation zu D,, sind so zu verstehen:
Dr— sale), Dr! +0,
n ist die mittlere Bewegung des Mondes und C eine willkürliche
Konstante. Wenn € = 0, so besitzen die Differentialgleichungen das
Jacobische Integral”), und C ist die relative Energiekonstante. Wenn =()
ist, dann sind die Gleichungen in ihrer ersten Form, abgesehen von
xc Y PA . . . .
den Termen 75’ 75’ „5 linear in bezug auf x, y,z und bilden die
8) E. W. Brown, Investigations in the Lunar theory, Amer. Journ. of
Math. 17 (1895), p. 318—358. ung Gleichungen sind zuerst aufgestellt und
behandelt unter der Beschränkung =ed=z=0 durch @. W. Hill.
9) 0.@.J. Jacobi, Paris C.R. 3 SiBaeı p. 59—61. = Gesammelte Werke 4,
p- 37—38.
5. Spezielle Differentialgleichungen. 677
Grundlage von Adams Untersuchungen über die Bewegungen der
Apsiden- und der Knotenlinie (Nr. 11). In der zweiten Form sind
sie homogen und vom 2. Grade, abgesehen von der Konstanten C.
d) Kanonische Formen. Setzt man
2T=:2"+y’+.:.:9),0=-T—-F
und behandelt x, y, 2, &,y, 2’ als gleichberechtigte abhängige Ver-
änderliche, so nehmen die ursprünglichen Bewegungsgleichungen die
kanonische Form an:
dx 08 da 08
11 Dual KA ee
Poincare'*) hat eine Transformation gegeben, die ein System kanonischer
Gleichungen liefert, bei dem ® nicht explizite von der Zeit abhängt.
Wenn man sich nach ce) eines beweglichen Achsensystems bedient und
X=-0—ny Y=y+na,Z=37),
1X ++ (FH + ZI Fe W—nL
setzt, dann sind (x, y, 2, L), (X, Y, Z, 7) kanonische Variable, und ®
ist die charakteristische Funktion des Problems; es besteht also das
Integral ® = const. L ist definiert durch A- Ep Ein ähnliches
kanonisches System kann bei festen Achsen'?) benutzt werden, wenn
dlL __0®
man setzt 4, —;, mdo—=T— F—n LwT=4(@?+y’+2°).
5. Spezielle Differentialgleichungen. Ein Typus von Differential-
gleiehungen, auf den man immer wieder stößt, ist
“. 4 n?’z Da, cos &,;t.
Wenn «,=#n, so enthält die Lösung nur trigonometrische Funktionen
der Zeit; wenn jedoch «,—=n, so tritt t als Faktor dieser Funktionen
auf. Da Terme dieser Form möglichst vermieden werden müssen,
so ist es nötig, daß man auf die Gleichung zurückgeht, aus der der
obige Typus hervorgegangen ist. In der Mondtheorie sind das Diffe-
rentialgleichungen der Form:
d’x ?
dt? + nx = fix, d),
wo f nach Potenzen von x entwickelbar ist und ? nur in periodischen
Gliedern enthält. Die wichtigsten speziellen Typen, auf die man dabei
10) Die gestriichenen Größen sind Ableitungen nach der Zeit, nicht Sonnen-
koordinaten.
11) Paris Bull. astr. Nr. 17 (1900), p. 167 ff.
12) E. W. Brown, Amer. Math. Trans. 4 (1903), p. 333—350.
678 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
geführt wird, sind die folgenden:
a) Ga ten + Da, eos 2it) = 0 (Gylden-Lindstedische Wleichung).
i=1
Clairaut'?) hat zuerst, und zwar auf indirektem Wege, versucht, dieser
Gleichung durch rein trigonometrische Funktionen von £ zu genügen,
wobei Argumente ?, gE + ß auftreten; D’Alembert‘*) erreichte das in
seinen Untersuchungen direkt. Unsere Gleichung a) ist ein spezieller
Fall der linearen Differentialgleichung mit periodischen Koeffizienten
(112,7), und ihre Lösung in der Himmelsmechanik hängt eng zu-
sammen mit der von
dex 2 15
trennt umerte )
Die Lösung kann im allgemeinen in der Form ausgedrückt werden
2 b>'e, cos (gt + ßB + 2it),
i=0
wo die «, und q allein von » und den a, abhängen, und b und ß
Integrationskonstanten sind. Die Hauptschwierigkeit liegt darin, eine
rasch konvergierende Reihe für q zu finden. Das letztere Problem
ist zuerst von @. W. Hill“) und J. ©. Adams!) gelöst, welche die
obige Lösung formell in die Differentialgleichung einsetzen und (q
ist stets verschieden von einer ganzen Zahl vorausgesetzt), indem sie
die Koeffizienten der einzelnen periodischen Terme gleich null setzen,
ein System unendlich vieler linearer Gleichungen?) mit ebenso un-
endlich vielen Unbekannten erhalten; damit diese linearen Gleichungen
ohne konstantes Glied miteinander verträglich seien, muß die Deter-
minante der Koeffizienten der «, verschwinden, welche also ebenfalls
unendlich viele Zeilen und Kolonnen enthält; dadurch wird eine Be-
dingung für die Unbekannte g geliefert. Durch Ausnutzung der
13) Olairaut, Theorie de la Lune, St. Petersburg 1765.
14) Opuscules, Paris 1768, Bd. 5, p. 328—390.
15) Die Gleichung ist von Lagrange auf drei verschiedenen Wegen durch
Annäherungsmethoden integriert. Oeuvres 1, p. 476, 554—66. Siehe ferner
Cauchy, Oeuvres ser. 5, p. 264 und R. Radau, Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 481—487.
16) Motion of the Perigee, Cambridge U.S.A. 1877 = Acta math. 8 (1886),
p: 1—36. = Works 1, p. 243—270.
17) Motion of the node, Lond. Astr. Soc. Monthly not., Nr. 38 (1877), p
43—49. — Coll. works 1, p. 181—188, 2, p. 85—103. Andere Meanoden gibt er
in Coll. works 2, p. 64—67, 132—135.
18) Poincard bemerkt, daß man sie besser als Ungleichungen wie als Glei-
chungen ansehen sollte, Bull. soc. math. 14 (1886), p. 77—90.
5. Spezielle. Differentialgleichungen. 679
Eigenschaften dieser Determinante gelingt es, q zu isolieren und
BE
‚sin? g,
sin®n #
2
durch eine andere unendliche Determinante auszudrücken, die schließlich
in eine Reihe entwickelt wird; die Konvergenz derselben hat Poincare
bewiesen.) Gylden?®) führt, indem er unter der Voraussetzung, daß
die a, sehr klein sind, gewisse Termen wegläßt, unsere Gleichung a)
auf die Lamesche Differentialgleichung zurück (Il 1, 10) und integriert
durch elliptische Funktionen. Er hat in ähnlicher Weise auch die
Gleichung
d?
Ze +z1lr v,) = do,
wo %, und %, periodische Funktionen von # mit verschiedener Periode
sind, behandelt?!) und ebenso auch
d?
Tat = ir + Aa”)
Lindstedt?) findet q, im Falle, daß a,=0 für i>1, durch Ketten-
brüche, die auf eine Reihe ähnlich der Hills zurückgeführt werden
können; damit sind dann auch die Koeffizienten der periodischen Terme
gefunden. Auch die allgemeinere Gleichung
d’x 9
tra thrt
wo die % periodische Funktionen sind, gelingt es Lindstedt zu inte-
grieren. Poincare”) hat die Ländstedtschen Methoden in der Jacobi-
schen Form dargestellt und außerdem noch auf eine andere Weise,
wodurch er sie von einer Einschränkung befreit.) Eine Diskussion
zwischen Lindstedt?®), Gylden?") und Backlund®®) klärte gewisse Schwie-
rigkeiten, die sich in Gyldens Abhandlung finden, auf.
19) Paris Bull astr. 17 (1900), p. 134. Me&canique celeste, chap. 17. Über
allgemeine Eigenschaften unendlicher Determinanten siehe IA 2 u. 3,
20) Stockholm Acad. Bih. 6 (1881), Astr. Ges. Vjs. 16 (1881), p. 296—304.
21) Paris C. R. 93 (1881), p. 127—131.
22) Ib. p. 537—538; 122 (1896), 160—165, 585—588. Siehe auch 92 (1881),
p. 1083—1038.
23) St. Pet. mem., ser. 7, 1 (1883) Nr. 4, p.1-—20; Tisserand, Mecanique
celeste 3, chap. 1.
24) Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 57—61.
25) Paris C.R. 108 (1889), p. 21—24.
26) Astr. Nachr. 103 (1882), p. 211—220, 257—268; 104 (1883), p. 145—150.
27) Ib. 103 (1882), p. 321—324.
28) Ib. 103 (1882), p. 323—326.
680 VI2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Beweise für die Existenz der Lösungen unserer Differentialglei-
chungen hat Lindstedt?”) unter Benutzung der gewöhnlichen Methoden
fortgesetzter Annäherungen geliefert. Einige Lücken in der Strenge
seiner Beweisführung hat Bruns’) ausgefüllt und zugleich Reihen-
entwieklungen der Lösung gegeben. O. Callandrean?') macht sich die
Resultate der Theorie der Differentialgleichungen mit periodischen
Koeffizienten zunutze und gelangt dadurch zu einem kurzen und
strengen Existenzbeweis, der außerdem auf eine elegante Form des
Ausdrucks zur Bestimmung von g führt.””) Eine sehr allgemeine Be-
handlung von Gleichungen dieses Typus geben Moulton und Mac-
Millan®”) =
"x
b) ar” u HLc+Ly—=H,
Um @tLc+Ly=R,
r. u g; w 608 9 r, cos ‚
er. “ = >, Zain ®F rs, ren —n)(t — 1).
Im Falle R= R' = 0 führt Hill!) diese Differentialgleichung auf
den Typus a) zurück, indem er ein bekanntes partikuläres Integral
benutzt, und findet:
x P;,c08 |
a ‚on Airdrth).
Die Lösung für Rund F=+0 hat E. W. Brown in einer Form, in
der nur Quadraturen vorkommen, gegeben.®*) Mit den Bezeichnungen
von Nr. 4c) gehen nämlich die obigen Gleichungen über in:
(D+-m)u+ Mu+Ns=4A; (D—-m)’s+Ms+Nu=Ä4,
wo A die Form _I,R,& hat, M und N von der Form I;Q;€' und
N und A zu N und A konjugiert sind; (D—+ m)? sind Symbole
29) Ib. 105 (1883), p. 9T—112.
30) Ib. 106 (1888), p. 198—204; 107 (1883), p. 129—132.
31) Ib. 107 (1884), p. 33—38; Tisserand, Mecanique celeste 3, chap. 1.
32) Andere Arbeiten stammen von P. Harzer, Astr. Nachr. 118 (1888),
p. 273—280; 119 (1888), p. 273—294, welcher Bruns Methode auf Gyldens Rech-
nungen zum Zwecke uumerischer Resultate ausdehnte und eine analytische Ent-
wicklung in schnell konvergierende Reihen für jede Zahl von Perioden gab;
Andoyer, Face. Toul. Ann. 1 (1887), M p. 1—72. Siehe auch Poincare, M&canique
celeste chap. 17.
33) Amer. Journ. Math. 33 (1911), p. 68—96.
34) Cambridge Phil. mem. 18 (1900), p. 94—106. Das Resultat ist schon
mitgeteilt London Astr. Soc. Mem. 53 (1899), p. 167.
6. Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. 681
für DD +2mD“ + me“ . Es seien nun
ee Sl (im 1, 2, 3,4)
vier linear unabhängige Integrale der obigen Gleichungen im homo-
genen Fall, f= ( ein gewisses erstes Integral derselben; alsdann zeigt
Brown, daß die allgemeine Lösung der nichthomogenen Gleichung die
Form annimmt:
Cu= D{wD-g,,4+u,,4)—W,ıD" (A) i—=1,3.
Poincare®) hat die Methode auf 2» Variable ausgedehnt; die Form
der Lösung bleibt dabei die gleiche, nur geht ö von 1 bis 2» — 1
| = =all+ar+.-)siny;
| 2 —alb, +b,2°+.-.)+all+6%0°+»--) cos y.
Dabei sei x eine kleine Größe.) Um Entwicklungen nach negativen
Potenzen von x zu vermeiden, setzt man
e)
E=rcosy, 1=rsiny
und findet damit
Enten; Teat+k+ vn),
wo und w Potenzreihen nach & und n sind, die mit den zweiten
Potenzen beginnen. Die Lösung erfolgt durch fortgesetzte Annähe-
rungen.
6. Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. Die Kräfte-
funktion F' ist entwickelbar nach Potenzen von e’ und 4 und enthält,
wenn bewegliche Koordinatenachsen benutzt werden, ? explizit nur in
der Form cos kl’; die Koeffizienten von (+) sind homogene Funk-
tionen von &, y, z vom Grade p— 2, und der Koeffizient von
cos kl’ hat außerdem e’'*' (Nr. 3) als Faktor. Wenn = I 0, so
reduzieren sich die Differentialgleichungen auf die Hills (Nr. &c) mit
2,=:2=0), der gezeigt hat”), daß sie das folgende partikuläre
Integral besitzen:
«) „aa Da a (@i+1)D, Dant+e—nt—e; i—=0, +1...
35) Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 96—104.
36) ©. Delaunay, Paris Inst. (math.) mem. 28 (1860), p. 106-110. Conn. des
temps pour 1861, Add. p. 3—44. F. Tisserand, Paris Bull. astr. 7 (1890), p. 265—-271.
37) Amer. Journ. Math. 1 (1877), p. 5—26, 129—147, 245260.
682 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
won und e willkürliche Konstanten sind, "= E-+-M=u ist,
und die a, nach Potenzen von m = —. entwickelt sind. Er hat
ferner gezeigt®®), daß eine erste Annäherung der allgemeinen Lösung
durch einen Ausdruck der folgenden Gestalt gegeben ist:
)+aDAenti+2i+1D),
wol=cnt+ e— © ist,eund © willkürliche Konstanten und e und A,
Potenzreihen nach m sind. Es folgt hieraus, daß die allgemeine Lösung
der Hillschen Gleichungen von folgender Form ist:
I, A reitdD El),
sin
wo A,, N c nach Potenzen von m und e? entwickelt sind. ao
man at die Terme hinzu, die auftreten, wenn +0 und — + Ö,
so zeigt die Methode der fortgesetzten Annäherungen, daß als Argu-
mente den Typus ji + (@-+1)D-+kl’ und die Koeffizienten den
Typus 04, ‚„e'’le'* (2) 4 bekommen, wo die A und ce nach Potenzen
a\? i > r ; r
von m, e&, e'?, (#) entwickelt sind, und 2— @==0, mod 2 ist. Gehen
wir weiter zu 2, so nimmt die Differentialgleichung für diese Koor-
dinate für — 2 —= (), falls man nur die erste Potenz von 2 berück-
sichtigt, die Form Nr. 5a) an, und man findet z= ay 3,4, sin (F+2&D),
wo F=gnt-+ e— #%; dabei sind y und # Integrationskonstanten —
die erstere im Falle des Mondes klein von der Ordnung der Bahn-
neigung — und A, und g wiederum Potenzreihen von m. Fährt man
so fort, so findet man als allgemeine Ausdrücke für die Koordinaten,
bezogen auf ein System, dessen x-Achse Eg dem mittleren Sonnenort
gerichtet ist, die folgenden:
BL DS HART LEE Ey A +1) D+ji+kl ah
Yy sin
=); Aussstıe gi (2) fr rl
| in DAT HORDE
l=cont+e—-o, F=gnt+.e—9, Dent+ce—nt—
ij, hi, rl, +, +2.; i—-d=0mod2;
. 1 b 2
c, 9, A Potenzreihen von m, e?, €’, (2) PP
a
Wen med — . — () ist, so reduzieren sich die Differential-
gleichungen auf die der elliptischen Bewegung, und ce und g werden
33) Acta math. 8 (1886), p. 1—36.
6. Die Formen der Ausdrücke für die Koordinaten. 683
— 1; e und y sind Exzentrizität und Sinus der Bahnneigung. Da n’
in R als Faktor auftritt (Nr. 3), so müßte der Wert m = 0 die Resul-
tate auf die der elliptischen Bewegung reduzieren; daß dies scheinbar
nicht der Fall ist?®), rührt von einer etwas anderen Auffassung der
Integrationskonstanten her.) Es muß nun noch die Annahme, daß
nur positive Potenzen der Parameter auftreten, als richtig erwiesen
werden. Negative Potenzen können nur durch die Integrationsdivi-
soren auftreten. Alle diese Divisoren haben die Form iHdm-+i"z,
+i”9,, wo n=1l-— Fr und 9, =1— en die mittleren Be-
wegungen der Apsiden- bzw. Knotenlinie sind. Nun sind aber die
Terme niedrigster Ordnung in =, und 9;:
ml + m+:); m tm +).
Es können also Divisoren von der Ordnung m? nur auftreten im Falle
=i—=0,i’=i". Daß die Divisoren der Ordnung m? keine nega-
tiven Potenzen von m in die Koeffizienten einführen, geht daraus
hervor, daß R bei der Methode der Variation der Konstanten (Nr. 10)
m? als Faktor enthält. Der Fall der Divisoren von der Ordnung m°
ist nicht vollständig untersucht, indes enthält die elliptische Entwick-
lung der Störungsfunktion (Nr. 9) keine derartigen Glieder, so daß
die zweite Annäherung jedenfalls nicht zu negativen Potenzen von m
Anlaß gibt.
Die Charakteristik!) der niedrigsten Ordnung, in der dieser
Divisor auftreten kann, ist ey?e'*.*)
Eine Methode, den Genauigkeitsverlust durch kleine Divisoren zu
39) Siehe z.B. die Schlußausdrücke von Delaunay, Theorie du Mouvement
de la Lune, chap. 11.
40) Gogou, Obs. d. Paris ann. mem. 18 (1885)E; P. H. Cowell, Lond. Astr.
Soc. Monthly not. 56 (1895), p. 3—11.
41) Diese Bezeichnung ist von E. W. Brown eingeführt, Lond. Astr. Soc. Mem.
53 (1897), p. 61 und bedeutet den nur von e, e’, y, = abhängigen Faktor eines
Koeffizienten. Die Ordnung der Charakteristik des oben gegebenen allgemeinen
Koeffizienten von z ist |5j| + |k | + ]i]+12>|.
42) Über diese Frage und die langperiodischen Sonnenglieder siehe Laplace,
Mee. cel. 7, Nr. 5. J. W. Lubbock, Lond. Phil. Trans. 1834, p.123—126, Philos.
Mag. 17 (1840), p. 338—346; 8. D. Poisson, Par. M&m. pres. 13 (1835), p. 209—835,
Paris ©. R. 4 (1837), p. 475—486; de Pontecoulant, Paris C.R. 4 (1837), p. 280--291;
V. Puiseux, Paris &cole normale sup., serie 1, 1 (1864), p. 39—80; Poincars,
Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 289—8310; E. W. Brown, Amer. Journ. math,. 17
(1895), p. 356—358, Amer. math. Trans. 3 (1902), p. 159—185.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 45
684 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
vermeiden, hat Brown gegeben.*?) Poincare**) zeigt, daß bei hin-
reichender Fortsetzung der Näherungen negative Potenzen von m
auftreten. Er unterscheidet diesen Fall von demjenigen, in welchem
sehr kleine numerische Divisoren für bestimmte Werte der Konstanten
auftreten können.
Alle andern Darstellungen als Summen von harmonischen Gliedern
lassen sich leicht aus den obigen ableiten. Für Polarkoordinaten wird
die wahre Länge = nt + + Glieder wie die in y, nur daß in den
Winkeln iD statt («+ 1)D steht; der Radiusvektor oder die Paral-
laxe wird wie & mit derselben Änderung in den Winkeln; die Breite
wird wie 2. Hansens Ausdrücke (Nr. 17) enthalten Terme der Form
sin oder cos (1 + harmonische Glieder), welche, da die harmonischen
Glieder kleine Koeffizienten haben, in Ausdrücke der obigen Art ent-
_ wickelt werden können.
7. Konvergenz und Divergenz. Die nach Potenzen von m an-
geordneten Entwickelungen sind wahrscheinlich ‘ divergent.*°) Das
hindert aber nicht, daß sie zur Berechnung benutzt werden können,
da Poincare gezeigt hat‘), daß divergente Reihen dazu benutzt werden
können, Funktionen bis zu einem beschränkten Grade der Genauigkeit
zu berechnen — die übrigens im Falle des Mondproblems jedenfalls
größer ist, als es für die Vergleichung mit der Beobachtung erforder-
lich ist. |
Wenn man mit rein numerischen Werten der Parameter operiert
und die Reihen nach Vielfachen der Argumente anordnet, liegt die
Schranke für die erreichbare Genauigkeit noch höher. Für praktische
Zwecke handelt es sich wesentlich um die Frage einer langsamen oder
schnellen „numerischen“ Konvergenz der ersten Glieder der Reihen.
Eine schlechte Konvergenz tritt hauptsächlich bei der grundsätzlichen
Entwicklung nach Potenzen von m ein; denn, obgleich m = 0,07 ist,
bewirken große numerische Faktoren, daß die Reihen (nach m) in
einigen Koeffizienten nur etwa in demselben Verhältnis konvergieren
wie eine geometrische Reihe mit dem Quotienten 0,5. Die Methode
von Hill-Brown (Nr. 16) und Brendel (Nr. 18) läßt diese Schwierig-
keit so ziemlich verschwinden, indem hier Annäherungen nur nach
den andern Parametern (e, y, usw.), nicht nach m gemacht werden, für
welches vielmehr von vornherein sein numerischer Wert benutzt wird.
43) Amer. Math. 'Trans. 3 (1902), p. 159—185.
44) Paris Bull. astr. 25 (1908) p. 321—360.
45) Poincare, Mec. cel. 2, chap. 14.
46) Ib. chap, 8. Siehe auch E. Borel, Legons sur les series divergentes,
Paris 1901.
8. Intermediäre Bahnen. 685
Gewisse Gruppen von Gliedern für sich genommen sind kon-
vergent. So bekanntlich die von der Elliptizität der Bahn herrührenden
für e< 0,6627432.*°) Ferner Hills periodische Bahn (Nr. 16) in dem
Falle, den unser Mond tatsächlich darbietet“*); dann die Terme, die
nur von m und den ersten Potenzen von e oder y abhängen”); end-
lich auch für eine aus Gliedern einer bestimmten Charakteristik ge-
bildeten Reihe, wenn man den numerischen Wert von m benutzt und
nach Vielfachen des Argumentes 2 D anordnet.°) Eng verknüpft mit
der Frage der Konvergenz ist die nach der Stabilität des Systems,
die hauptsächlich von der oberen und unteren Grenze für den Radius-
vektor des Mondes abhängt (Häillsche Grenzkurve.°!))
8. Intermediäre Bahnen. Wenn man die analytische Form der
Koordinaten kennt, so könnte man die A, c, 9 (Seite 682) mit der
Methode der unbestimmten Koeffizienten finden; aber die Kompliziert-
heit der Bestimmungsgleichungen für die Koeffizienten macht diesen
Weg praktisch ungangbar, man muß vielmehr die Arbeit in verschiedene
Schritte teilen.
Der erste Schritt führt zur sogenannten intermediären Bahn. °?)
Die meisten älteren Untersuchungen benutzen als solche die unge-
störte Ellipse; durch Einsetzen der aus ihre folgenden Koordinaten-
werte in die Störungsfunktion erhalten sie eine zweite Annäherung,
damit eine dritte usf. Die Ellipse wurde dann dadurch modifiziert,
daB man cent +e — © statt nt +e — © und gnt+e— # statt
nt+& — ® einführte, wo ce und g durch die Bedingung bestimmt
werden, daß für jede Annäherung die der Zeit proportionalen Terme
verschwinden. Die Annäherungen schreiten so nach Potenzen der
störenden Kräfte fort. Von den moderneren Theorien benutzt Hansen
(Nr. 19) eine in der momentanen, Oppolzer eine in der mittleren Bahn-
47) Laplace, Par. M&m. pres., ser. 2, 6 (1823), p. 61—80.
48) Liapunoff, Mosk. Phys. Soc. 8 (1896); H. Happel, Diss. Göttingen 1901.
49) Poincare, Paris Bull. astr. 17 (1900), p. 87—96.
50) E. W. Brown, Cambr. Phil. Trans. 18 (1900), p. 94.
51) Siehe Hill, Researches in the Lunar theory, Amer. Journ. Math. 1
(1877); Happel, a. a. 0.
52) Die Bezeichnung stammt von Gylden; ihre Bedeutung ist nicht streng
definiert, hat aber den Sinn, daß die intermediäre Bahn in gewissem Sinne in
der Mitte zwischen der Ellipse und der wahren Bahnkurve liegt: Stock. Acad.
Bib. 6 (1881), Nr. 8; Paris C.R. 92 (1881), p. 1262—1265; Astr. Nachr. 100 (1881),
p. 97—102; Astr. Ges. Vjs. 16 (1881), p. 296—304. Die Bezeichnungen im Text,
die nicht ganz mit denen Gyldens übereinstimmen, werden jetzt vielfach ge-
braucht. Betreffs einer Erweiterung der Bezeichnung siehe Thiele, Astr. Nachr.
102 (1882), p. 65—70.
45*
636 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
ebene bewegliche Ellipse; Delaunay (Nr. 15) eine feste unter dem
mittleren Winkel gegen eine feste Ekliptik geneigte Ellipse; Hill
(Nr. 16) eine periodische Kurve, die nur von dem Parameter m ab-
hängt. Gylden (Nr. 18) schließt in F eine Anzahl von Termen ein,
die dazu dienen, den Hauptgliedern in den Koeffizienten der größten
Störungen von vornherein Rechnung zu tragen. Hill?®) hat vorge-
schlagen, F auf die Terme - En —h («+ y?) + r 2? zu beschränken,
wo k und %’ Konstanten sind, die so bestimmt werden müssen, daß
die mittleren Bewegungen der Apsiden- und der Knotenlinie ihre be-
obachteten Werte haben. Die Bewegungsgleichungen reduzieren sich
damit auf die folgenden:
tut kt I-0; ut stBsut—0,
wou= - v = der wahren Länge, s—=tang der Breite; « und
sind gewisse kleine Konstanten, die von k, X und gegebenen Para-
metern abhängen.
Die Lösung bewirkt er, indem er zunächst s vernachlässigt, für
die erste Gleichung durch elliptische Integrale’*) oder fortgesetzte
Näherungen; dann folgen Annäherungen nach Potenzen von s. Man
findet dann % und s als Reihen, die nach Vielfachen der Argumente
cv + r, und g’v + 9, fortschreiten, und # aus einer Gleichung ähnlich
der dritten von b) in Nr.4. Perchot°°) schlägt vor, von Delaunays
Gleichungen (Nr. 15) auszugehen, und wendet, unter der Annahme, daß
die mittleren Bewegungen von Perigäum und Knoten kommensurable
Werte haben, die sehr nahe mit ihren tatsächlichen Werten überein-
stimmen, Poincares°°) Theorie der periodischen Lösungen an. Die so
erhaltene intermediäre periodische Bahn ist frei von dem Mangel, daß
Apsiden- und Knotenlinie festliegen. Die Lösung wird durch die Methode
von Poincare gefunden (Nr.15), die in einer Modifizierung der Delaunay-
schen besteht.
Diese speziellen Methoden geben im allgemeinen gute Annähe-
rungen für die großen Glieder und sind in theoretischer Beziehung
nützlich, ihr Wert für die Entwicklung einer vollständigen Mond-
theorie ist aber bisher noch nicht erwiesen. Weitere Methoden, inter-
53) Astron. Journ. 18 (1897), p. 81—87. = Works 4, p. 136—149.
54) Eine Ableitung dieser Formeln nach Jacobis Methode ist von A. W.
Krassnow, Astr. Nachr. 146 (1898), p. 7—10 337—340, gegeben.
55) Par. Ec. norm. sup., ser. 3 10 (1893) S, p. 3—94.
56) Mec. cel., chap. 3.
9. Die Entwicklung der Störungsfunktion. 687
mediäre Bahnen abzuleiten, sind von R. Radau studiert worden.°”)
Brendel (Nr. 18) schließt die Terme, die von m, =
seine intermediäre periodische Bahn ein.
= abhängen, in
9, Die Entwicklung der Störungsfunktion. Mit er Bezeich-
nungen von Nr.3 und 4 hat man cs®=(1+ s°) 3 cos (v — v),
wo v’ die wahre Länge der Sonne ist. Entwickelt man danach die
P, nach Potenzen von s, dann ist R eine Funktion von
r,r,rcosv,rsinv,r cosv,, r sin v, s.
Führt man, wie es in einigen Theorien geschieht, die elliptischen
Werte für die Koordinaten ein°®), so finden wir:
R= wat > (1 — A) x, Bee "y?ra% cos N;
hier ist
a
U =)
a
Nein te aD) +. + — 9) +2, (nt He — 9) +55
B ein Quotient von 2 ganzen Zahlen;
und weiterhin gilt:
= nt+e—nt—E),
Ju Jar Ir a =(0,+1,+ 2.2,
ii, 2, und >]; Ial, 1258 |, O mod 2.
Die Derivierten von R erhält man so:
„OR —_
or
OR 0R
ten
Dagegen muß = aus der Entwicklung in der Form, die sie vor Ein-
setzen der elliptischen Werte hat, gewonnen werden. Wird v als un-
abhängige Veränderliche benutzt, so müssen für r und s deren ellip-
tische Ausdrücke durch v eingeführt werden, ferner muß in r’ und v’
die Zeit durch ihren elliptischen Ausdruck als Funktion der wahren
Länge v ersetzt werden. Die Entwicklungen, die für spezielle Methoden
gelten, werden im einzelnen bei der Darlegung jener Methoden an-
gegeben. Die höheren Annäherungen in R können durch das Taylor-
sche Theorem erhalten werden, wenn man die entsprechende Annähe-
rung für die Koordinaten gefunden hat.
57) Paris Bull. astr. 9 (1892), p. 321—340.
58) Tafeln zu diesem Zweck hat A. Cayley, aufgestellt, Lond. Astr. Soc,
Mem. 29 (1861), p. 191—306. = Coll. Works 3, p. 360—474.
638 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
10. Die Variation der Konstanten.°”) Die Lösung der Bewegungs-
gleichungen für die elliptische Bewegung ist die gleiche wie in der
Planetentheorie (VIs, 14), und Lagranges Gleichungen für die Varia-
tion der Elemente a, e, y, &, ©, ® behalten also dieselbe Gestalt.
Die Jacobische kanonische Grundform des Problems ist
da; öR dß,
md
DIE a ee
wo sich die kanonischen Elemente durch die elliptischen folgender-
maßen ausdrücken:
gs —Ö ar;
rREHTRN TG EFT FT v, 2 Eaana Y,
B,=— Fr Ps —=Yua(1—e}), ß; = B, eos y.
Für R=0, also «,= const., ß,— const. ergibt sich natürlich die
elliptische Bewegung. Man hat noch andere Formen der kanonischen
Differentialgleichungen vorgeschlagen, deren jede ihre besonderen Vor-
züge hat. Jede Berührungstransformation der 6 Variabeln (Enzyklop.
IV 2), verbunden mit einer entsprechenden Änderung der charakte-
ristischen Funktion, erhält ja die kanonische Form der Differential-
gleichungen. Die meistbenutzten anderen Formen sind:
a) Delaunays‘®) Form, die das Auftreten der Zeit außerhalb des
Arguments auf der rechten Seite der Gleichungen vermeidet. Man
setze dazu:
L=Yna; G=ßy; H=ß,; I=n(t+ 0), 9—0; =; R= 37: + R,,
dann ist
0 d ©
Et, G,H)= (dr d9 77) R 13 19; = — (sr 3@’ za)
Hier ist jetzt R, periodisch mit der Periode 2x in bezug auf |, g, h, T,
und die Koeffizienten der periodischen Terme sind Funktionen von
L,@, H und den festen Konstanten.
b) Die modifizierte Delaunaysche Form erhält man, indem man setzt:
»—L,9n»=-6—-L,p=-H-G ,—i+9+h,9=9+h,g—h.
Dabei sind p, und p, von den Ordnungen e? und y°, und q, ist die
mittlere Lange, g, die Länge des Perihels, 9; die des Knotens.
9) Die Literatur hierüber ist sehr umfangreich. Der Gegenstand ist unter
eingehender Literaturangabe behandelt von: Tisserand, Mec. cel. 1 und 3;
Dziobek, Theorie der Planetenbewegungen, Leipzig 1888; Brown, Treatise;
Charlier, Mech. des Himmels 1 (1902), Abschn. 5. Siehe auch die reports von
A. Cayley, Brit. Ass. 1857, 1862 u. E. T. Whittaker, ib. 1899. ferner Encyel. IV 2.
60) Theorie du mouvement de la Lune, chap. 1.
11. Verschiedene Eigenschaften der Lösung. 689
c) Poincares®') Transformation. Man setze
r B Br 1,2 Ve co
PP hi, ,-VAL- sin —V2(G—H) n®;
. . ’ [4 ’ ’ 1
dann ist R entwickelbar nach Potenzen von > 92, P3, 95, ©, „7 und
ist mit 2x periodisch in q,’ und !. Wenn man nun mit dieser Trans-
formation noch den Gedanken (Nr. 4d) kombiniert, zwei neue Variable
?,, 9 mit der entsprechenden Änderung in R, einzuführen, so er-
reicht man, daß R, allein in q,' periodisch und nach den übrigen
kanonischen Koordinaten p/, q; @= 2, 3, 4) entwickelbar wird; es er-
gibt sich aber dann natürlich ein System von vier Paaren kanonischer
Differentialgleichungen.
d) Hansens‘?) Transformation auf „Pseudoelemente“ 2 derart, daß
dA — I'(A,dp, + B;dg,)
kein vollständiges Differential ist. Diese kann in gewissen Fällen, wo
R die A nicht explizit enthält, nützlich sein (Nr. 17).
e) Browns®®) Transformation auf das nicht kanonische System
N, Pa5 Ps, 9; 9a, 9, wird ausgiebig bei der Bestimmung planetarischer
und anderer Störungen gebraucht (Nr. 19—24).
11. Verschiedene Eigenschaften der Lösung. Das erste kano-
nische System von Nr. 4 d) führt auf 6 willkürliche Konstanten
a, B,"">®; hier kommen die ß, nur in Argumenten &,—b;t-+ ß,
vor, in denen die b, Funktionen der «, und fester Konstanten sind.
Bezeichne jetzt f, g irgend zwei dieser Größen°%); entweder aus dem
Satze «,, ß, oder «,, ©, so haben wir:
BETEN RT OPER Ey BUT, Taman a8 aa
KON Ba ee rer:
[f, 9] = eonst.
Hier sind x, y,2, x, y',z’ als durch die willkürlichen Konstanten und £
ausgedrückt zu denken. Die Symbole in runder und eckiger Klammer
unterscheiden sich nur dadurch, daß entweder die &;, ß,; oder die «,, ®,
61) Mec. cel. 1, chap. 1.
62) J. f. Math. 42 (1850), p. 1—31; ferner A. Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem,
27 (1859), p. 1—29 —= Collected works 3, p. 270— 292.
63) Trans. Amer. Math. Soc. 4 (1903), p. 241—242; ib. 5 (1904), p. 279— 284;
Lond. Astr. Soc. Mem. 59 (1908), p. 5—9.
64) Dies sind eigentlich neue Variable. Die f, 9 sind Konstante, wenn man
sie aus dem Satz «,, ß; wählt; die g hängen von der Zeit ab, wenn man den
Satz «;, o; wählt.
690 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
eingesetzt zu denken sind. Weiter ist nach Nr. 6:
(@;, «,) = (ß,, ß,) = [a,, «,] = [o,, ®@,] =
de, , dB i,j=1,2,3
(@;, ß,) el [e;, @;] — Fr b=— de;
wo c, in B von den ß, unabhängige Konstanten sind. Die Systeme
6, ß, und c,, ®, sind kanonisch; wir haben also:
(4, B,) = 6, @,] = =
je nachdem Be
mr
T
ist. 65) öi
Bezeichne ferner [Q] den zeitlichen Mittelwert irgendeines Aus-
druckes Q@, also den konstanten Teil in der Entwicklung von @ in
trigonometrische Reihen nach den von der Zeit abhängigen Argu-
menten. Dann lassen sich (Nr. 6) - D u [] in Potenzreihen nach
e? und y? entwickeln, deren Koeffizienten ihrerseits Potenzreihen nach
m, ec, (2) sind. Wenn man (= 2) vernachlässigt, so sind, wie
J. C. Adams‘®) gezeigt hat, die Koeffizienten von e® und y? in |
gleich null; und ferner ist:
Koeff. von e* File! WER Koeff. von e® . [2]; &
Koeff. vony? n Koeff. von 2e?y? np
Koeff. vone®. #, Koeff. von 2e?y?. [2]
Koeff. von y? N, "Koefl. von y*
rl
E. W. Brown®“) hat, indem er eine Formel zur Berechnung der
Terme 2g** Ordnung in bezug auf e und y in der Entwicklung von
[] erhielt, diese Beziehungen erweitert und auf alle Potenzen von
e und y? ausgedehnt. Er hat ferner bewiesen®), daß
[#] =B+ba+b%+ bc;
ist, und daß diese Beziehung die Theoreme von Adams und deren .
Erweiterungen einschließt. Wir wählen in diesem Falle ß, = &,ß,=®,
ß;,=# so daß b,—=n, b,=n,, b,—=#, werden. Mit den Resultaten von
65) Siehe hierfür Poincare, Sur les equations du mouvement de la Lune,
Paris Bull. astr. 17 (1900) p. 167 u. ff.
66) Lond, Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1878). =Collected works 1, p. 189— 204.
67) Investigations, Amer. Journ. Math. 17 (1895), p. 345—356.
68) London Math. Proc. 28 (1897), p. 143—155.
11. Verschiedene Eigenschaften der Lösung. 691
Adams hat sich auch L. Picard®°) beschäftigt, der zu ihrem Beweise
die Theorie der Integralinvarianten heranzieht. Eine weitere Reihe
von Beziehungen, die gelten, wenn Fr. nicht vernachlässigt wird, hat
wiederum E. W. Brown") erhalten:
(@) tan te de
(B) ng nee
d dF7ıı
9) 2-&
wobei « eine gegebene Konstante ist, die in F, aber nicht in dem
Winkel n’t + e' vorkommt und von n’ unabhängig ist, und wo nn
bedeuten soll, daß die Ableitung nach « nur soweit dasselbe in dem
ursprünglichen Ausdruck für F explizit vorkommt, genommen werden
soll. Ferner
Zu at dc, ap u
T-F—H0=—B w %-- 7, )
daB oF 3LZ 2 et UR
(0) Zur = Te => + E Ar
wo Gr bedeutet, daß die Ableitung des ursprünglichen Ausdruckes
von F nach dem explizit auftretenden » ohne Rücksicht auf sein
Vorkommen in »’t + €’ genommen werden soll.
Diese Relationen werden auf beliebige Funktionen der gegebenen
Konstanten und von £ in einer weiteren Arbeit””) ausgedehnt.
Brown”*) gibt noch eine andere Schar von Beziehungen zwischen
den Derivierten von Funktionen der Koordinaten nach den willkürlichen
Größen. Insbesondere wird gezeigt, wie Derivierte nach n aus einer
Theorie gefunden werden können, in der » numerisch benutzt ist,
wenn nur die andern willkürlichen Größen unbestimmt gelassen sind.
Es wird zunächst gezeigt für die Systeme b) und c) von Nr. 10 und
dann’) für Rechnungszwecke erweitert auf die Konstanten e, k seiner
Theorie (Nr. 16).
69) Paris ©.R. 131 (1900), p. 6683—665.
70) Amer. Math. Trans. 4 (1903), p. 333—350.
71) Resultate, welche den («) u. (ß) entsprechen, hat Newcomb für das all-
gemeine 3-Körperproblem erhalten; Smiths. Contr. 21 (1876), Nr. 3.
72) Vgl. auch Nr. 4d,
73) E. W. Brown, Trans. Amer. Math. Soc. 6 (1905), p. 332—343.
74) Trans. Amer. Math. Soc. 3 (1903), p. 234—248,
75) Lond. Astr. Soc. Mem. 59 (1908), p. 10—13.
692 VIe, 14 Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
II. Die Lösungsmethoden,
12. Die geometrischen Methoden. Der erste, der die haupt-
sächlichsten Ungleichheiten der Mondbewegung aus dem Gravitations-
gesetze herleitete, war J. Newton selbt"), der alle seine Ableitungen
in eine geometrische Form goß; er erhielt die Koeffizienten der Un-
gleichheiten — abgesehen von der Evektion — ziemlich genau. Auch
die mittleren Bewegungen der Apsiden- und Knotenlinie hat er bestimmt;
jedoch ergab sich für erstere nur ungefähr die Hälfte des beobachteten
Wertes; aus den Manuskripten‘”) scheint jedoch hervorzugehen, daß
es ihm später gelungen ist, ihren Wert innerhalb 8°%, genau zu
finden. Seine Methode ist im wesentlichen die Variation der Kon-
stanten (Nr. 15); sie ist von einigen späteren Autoren in analytische
Form umgegossen worden.)
Die Hauptungleichheiten haben die folgenden Bezeichnungen er-
halten:
die elliptischen Ungleichheiten sind die mit den Argumenten
I, 21, 3l usw.;
die jährliche Gleichung ist die mit dem Argument 7’;
die Variation die mit dem Argument 2D;
die Evektion die mit dem Argument 2D—|;
die parallaktische Ungleichung ist der mit ne multiplizierte Haupt-
teil des zum Argument D gehörigen Termes.
Die mittlere Bewegung der Apsidenlinie ist die auf die Zeiteinheit
bezogene Veränderung des Argumentes nt ge — I; die mittlere Be-
wegung der Knotenlinie jene des Argumentes nt + = — F (Nr. 6).
Ursprünglich haben sich diese Namen auf den Gesamtbetrag gewisser
beobachteter Ungleichförmigkeiten in der Mondbewegung bezogen;
heute bezieht man sie lediglich auf die angeführten bestimmten Argu-
mente; sie werden mit Vorteil vor allem bei geometrischen Ableitungen
der Mondbewegung benutzt. ””)
13. Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche. Laplace®®)
benutzt die modifizierte Ellipse (Nr. 8) als intermediäre Bahn und
76) Principia, 3. Buch.
77) Portsmouth Collect., Cambridge 1888.
78) Laplace, Mec. cel., liv. 16; J. ©. Adams, Coll. Works 2, p. 227—232;
Tisserand, M&c. cel. 3, chap. 3.
79) J. Herschel, Outlines of Astronomy, London 1883; Airy, Gravitation,
London 1834; Möbius, Elemente der Mechanik des Himmels sect. 3, Leipzig 1843.
— Gesammelte Werke 4.
80) M&e. cel. 3, liv.7. In bezug auf Laplaces Methode siehe auch: Airy,
13. Die wahre Länge als unabhängige Veränderliche. 693
setzt die aus ihre folgenden Koordinatenausdrücke in R (Nr. 3), und
dann dessen Ausdruck in die zwei ersten Gleichungen Nr. 4 b) ein.
Seien u,,s, die der modifizierten Ellipse entsprechenden und u=u, +6u;
s—=s,+6ds die gesuchten genauen Werte, so kennen wir (Nr. 6 mit
v statt nt + e) für du und ös den formalen Ansatz als trigono-
metrische Reihe mit unbestimmten Koeffizienten; die durch das Ein-
setzen in die Differentialgleichungen sich ergebenden Bedingungs-
gleichungen bestimmen diese letzteren.
In du treten zwei neue Integrationskonstanten in der Form
A cos (cv + «) auf; Laplace setzt « = — ©, und für A einen Wert,
so daß der formelle Ausdruck der hauptsächlichsten elliptischen Un-
gleichung in Länge ungeändert bleibt; ce wird aus den Bedingungs-
gleiehungen der anderen Terme dieses Arguments durch die Forderung
bestimmt, daß » nicht außerhalb trigonometrischer Funktionen vor-
kommen soll. Der Hauptterm von ds ist von der gleichen Form;
die Integrationskonstanten und g werden auf analoge Weise bestimmt.
Wenn du und ds als Funktionen von v erhalten sind, dann gibt die
dritte Gleichung Nr. 4b) ? als Funktion von v; die neu auftretenden
Integrationskonstanten werden so gewählt, daß stets nt + & gleich
dem unperiodischen Teil von v wird; nunmehr findet man durch
Reihenumkehrung v, und damit endlich u und s als Funktionen von t.
Sobald die Bedingungsgleichungen aufgestellt sind, setzt Laplace, ab-
gesehen vom Koeffizienten des Hauptgliedes jeder Periode, die nume-
rischen Werte ein (Nr. 6). Die so er haltenen Näherungswerte schließen
die zweiten Potenzen der störenden Kraft, also die Quadrate und
Produkte der du und ds und, für gewisse Terme, bei denen kleine
Divisoren auftreten, die dritten Potenzen ein.
Clairaut®") ist zunächst davon ausgegangen, in Nr. 4b) die Breite
zu vernachlässigen, und hat dann die Lösung durch fortgesetzte Nähe-
rungen gesucht. Er führte zuerst die modifizierte elliptische Bahn
in die Differentialgleichungen ein und veröffentlichte einen mit den
Beobachtungen genügend nahe übereinstimmenden Wert für e; er hat
seine Resultate auf numerischem Wege erlangt. D’Alembert??) befolgte
eine ähnliche Methode, jedoch unter Benutzung analytischer Entwick-
lungen; er gab auch allgemeine Entwicklungen für die Koordinaten,
welche allein periodische Glieder enthalten, und endlich erkannte er
Math. Tracts, Cambridge 1831; Godfray, Treatise, London 1871; Resal, Mee.
c@l., chap. 12, Paris 1884; Tisserand, Me&c. ce@l. 3, chap. 7.
81) Theorie de la Lune, St. Petersburg 1752, 1765.
82) Recherches, tome 1.
694 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
es auch als wichtig, sich mit der Konvergenz dieser Reihen zu be-
schäftigen. |
Damoiseau®?) und Plana°®) sind der Methode Laplaces gefolgt,
ersterer numerisch, letzterer analytisch, und zwar bis zu einem viel
höheren Grade der Annäherung. Plana gelangte zu Entwicklungen, die
bis zu den 5. Ordnungen in den Parametern gehen, aber es schlichen
sich viele Irrtümer®®) in seine Arbeit ein, die ihren Wert vermindern;
sie wurde durch Delaunays Theorie vollständig in den Schatten ge-
stellt (Nr. 15). Laplaces Methode ist auch vielfach für spezielle
Gruppen von Störungsgliedern angewandt, aber die Reihenumkehrung
und die Darstellung von cos, sin!’ als Funktionen von v, welche
bei ihr erforderlich sind, haben ein ernstes Hindernis für ihre Ent-
wicklung bis zu einer modernen Anforderungen genügenden Genauig-
keit gebildet.
14. Polarkoordinaten mit der Zeit als unabhängiger Veränder-
licher. De Pontecoulant?®) benutzt die Gleichungen Nr. 4a und löst
sie, indem er zunächst s vernachlässigt, vollständig bis zur 5. Ord-
nung in den kleinen Größen, für gewisse Koeffizienten sogar bis auf
höhere Ordnungen; die Methode ist die der unbestimmten Koeffizienten.
Für die Breite geht er auf die Differentialgleichung ne = rn zurück,
welche einfacher als die Gleichung für s ist; in diese werden die
früher erhaltenen Werte für r und v eingesetzt, und man findet dann
alle Terme, die von der ersten Potenz von y oder 2 abhängen. Die
Gleichungen für r und v geben die von y?, jene für z die von y°
abhängigen usf. Die willkürlichen Konstanten sind so definiert, daß sie
ihrer Bedeutung nach mit denen von Laplace übereinstimmen, und
sie weichen auf diese Weise von ihrer für diese Theorie naturgemäßen
Definition ab®”). J. W. Lubbock®®) befolgte unabhängig fast die gleiche
Methode, trieb sie aber nicht bis zu derselben Genauigkeit; jedoch deckte
er, indem er häufig seine Resultate mit denen von Plana und de Ponte-
coulant verglich, mehrere Fehler auf. Die Arbeit von Stockwell®®) ist
83) Theorie de la Lune, Paris m&m. pres. ser. 3 1 (1827), p. 313—598.
84) Theorie du mouvement de la Lune, 3 Bde., Turin 1832
85) Lubbock, Lond. Astr. Soc. mem. 30 (1862), p. 1—37; Adams, Lond.
Astr. Soc. Month. Not. 13 (1853), p. 262 = works 1, p. 110; Cayley, ib. 23 (1863),
p. 211—215; 25 (1865), p. 182—189 — works 7, p. 357—360, 361—366.
86) Systeme du monde, 4, Paris 1846. Die Methode ist im einzelnen aus-
einandergesetzt in den Lehrbüchern von Tisserand, Brown, Andoyer.
87) Siehe Brown, Treatise, Art. 152, 159.
88) Siehe das Verzeichnis zu Anfang dieses Artikels.
89) Gesammelt in „Theory of the Moon’s motion“, Philadelphia 1881.
15. Die Variation der willkürlichen Konstanten. 695
infolge von Fehlern in der Theorie nicht sehr zuverlässig. Über die
Arbeiten von Aöry und Cayley siehe Nr. 15. E. Neison (= Nevill)°®) hat
eine Methode skizziert, die Mondtheorie innerhalb der Richtlinien
Pontecoulants so zu behandeln, daß für jeden Koeffizienten und jedes
Argument, welche in der Entwicklung der Glieder der Differential-
gleichung vorkommen, ein besonderes Symbol eingeführt wird, welches
die Herkunft des Gliedes andeutet. Man kann dann die Gleichungen
entwickeln, integrieren und den Wert jedes Koeffizienten nach der
Integration einsetzen; so trifft jeder etwa begangene Fehler nur den
Term, in dem er begangen ist. Dies ist die Methode der unbestimmten
Koeffizienten in ihrer allgemeinsten Form, aber die Kompliziertheit
des Verfahrens läßt seinen praktischen Wert zweifelhaft erscheinen.
H. Andoyer®*) hat sie jedoch mit Erfolg zu sehr genauen allgemeinen
Entwicklungen spezieller Terme (Nr. 6) verwandt und durch Vergleich
mit Delaunay (Nr. 15) viele kleine Fehler bei letzterem berichtigt.
15. Die Variation der willkürlichen Konstanten. Die erste An-
wendung dieser Methode auf die Mondtheorie stammt von Euler”?),
der sich aber im wesentlichen damit begnügte, die Gleichungen anzu-
geben. Poisson”?) schlug vor, die Differentialgleichungen für die sechs
Elemente a, e, i, &,@,% (VI 2,15, Nr.6) zu einer allgemeinen Entwick-
lung nach fortgesetzten Näherungen zu verwenden. Er erkannte in-
dessen schon, daß sie am nützlichsten bei der Behandlung der lang-
periodischen und säkularen Terme sein müßte, und seine Beispiele
betreffen zum größten Teil Berechnungen einzelner von diesen; es steht
jedoch allgemein fest, daß die Methode für eine vollständige Entwick-
lung nicht brauchbar ist. V. Puwiseux”) hat sie modifiziert, indem er
in der Störungsfunktion nur die für den besonderen Zweck erforder-
lichen Terme beibehielt. Er kommt so zu einer schnelleren Berech-
nungsweise für gewisse säkulare und langperiodische Ungleichheiten,
besonders die, welche von der Wirkung der Planeten herrühren.
90) Lond. Astr. Soc. mem. 44 (1879), p. 1—49.
91) Face. Toul. Ann. 6 (1892), J; 7 (1893), E = Toul. Obs. Ann. 3 (1899),
B, C; Paris Bull. Astr. 18 (1901), p. 177—208; 19 (1902), p. 401—418; 24 (1907),
p- 395—412. In der letzten Arbeit ist die Methode modifiziert. Siehe auch das
Buch des Verfassers im Literaturverzeichnis. Die modifizierte Methode wendet
P. Coubet, Face. Toul. Ann. Ser. (3) 1 (1909), p. 381—471 auf von der Neigung
abhängige Ungleichungen an.
92) Theoria motus Lunae, St. Petersburg 1753, Appendix; Berl. Acad. mem.
1763 (publ. 1770), p. 141—193.
93) M&moire sur le mouvement usw., Paris möm. pres. (3) 13 (1835), p.209—335.
94) Paris Ec. norm. sup. Ann. ser. 1 (1864), p. 39—80.
696 VI2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Delaunays Theorie®°) geht von den Gleichungen Nr. 10a aus, wo
der Wert von R unter der Voraussetzung der elliptischen Bahn ent-
wiekelt (Nr. 9) und damit implizit durch die Variabeln /, g, h, L,G,H
ausgedrückt ist. Man setzt ,—=— B—4Acos#® + KR, wo —B
der Teil von AR, ist, der unabhängig von !,g,h,! und — 4 cos®#
einer der periodischen Terme in R, ist. Man löst diese Gleichungen,
indem man zunächst R,’—= 0 setzt. Dann erscheinen statt der ellip-
tischen Werte /!, g, h, Z, @, H neue willkürliche Konstanten /,, 9,
h,, L, &, H,. Will man nun AR, berücksichtigen, so sind diese
Größen nieht mehr konstant. Es zeigt sich aber, daß sich die Diffe-
rentialgleichungen, aus welchen sie zu bestimmen sind, wiederum auf
die kanonische Form bringen lassen; also
BEN URN SENELFLTE TIER
Br ra TB ee
wo R, sich von AR, dadurch unterscheidet, daß einmal die alten Größen
!...H durch die neuen /,... A, ausgedrückt sind, und daß ferner
eine gewisse Funktion von L,, @,, H, hinzugefügt werden muß. Der
Effekt dieses Verfahrens ist, daß in der neuen Funktion .R, das Glied
A cos ® nicht mehr vorkommt. Dasselbe Verfahren wird nunmehr
unter Heraushebung irgendeines periodischen Gliedes in R, usf. so
lange wiederholt, bis alle merklichen periodischen Glieder eliminiert
sind. Die Differentialgleichungen reduzieren sich dann auf:
Bası SRH ale, Sir To
di ET 2L, as
welche unmittelbar gelöst werden können. Allerdings treten in diesem
Verfahren bei jedem Schritt neue periodische Terme in R, auf, aber
dieselben sind jeweils von höherer Ordnung als die bereits eliminierten;
auf die Weise braucht der Prozeß nur so lange fortgeführt zu werden,
als die Koeffizienten noch merklich sind. Die Modifikationen und
Einzelheiten findet man bei Delaunay”) in Kap. 5 und in späteren
Auseinandersetzungen der Methode durch verschiedene Autoren °®).
Nachdem diese Operationen erledigt sind, müssen die verschiedenen
Transformationen, welche die Integrationskonstanten hintereinander er-
litten haben, in die elliptischen Reihenentwicklungen für Breite, Länge
und Parallaxe (oder ) eingesetzt werden, die damit Funktionen von
t und den endgültigen willkürlichen Konstanten werden. Endlich
95) Theorie de la Lune, Paris mem. pres. 28 (1860), 29 (1867); er gibt
seine Methode auch in Conn. des Temps, Add. (1861), p. 3—44.
96) Tisserand, Mee. cel. 3, chap. 11, 12; Brown, Treatise, chap. 9. Siehe
auch die späteren Noten dieser Nr.
15. Die Variation der willkürlichen Konstanten. 697
müssen diese letzteren aus praktischen Gründen noch einmal durch
neue ergänzt werden, welche folgenden Anforderungen entsprechen:
1) nt + & ist der nichtperiodische Teil der Länge; 2) der hauptsäch-
lichste Term sowohl in Länge als in Breite (Argumente: cent +: --ö,
gnt + e— ®) müssen für ihre Koeffizienten denselben Ausdruck haben
wie in der elliptischen Bewegung; 3) &— © bzw. &—% sind die
konstanten Teile dieser Argumente; 4) na =u=E-+M. Alle
Entwicklungen sind bei Delaunay bis zum 7. Grade einschließlich in
den kleinen Größen (m = ;\, als kleine Größe erster Ordnung betrachtet)
geführt, abgesehen von einigen Koeffizienten, die weiter geführt sind,
wegen auftretender großer numerischer Multiplikatoren, welche ihre
Konvergenz verlangsamen?”). Aöry®) und Cayley”’) schlugen vor,
"Delaunays Endresultate durch Einsetzen in die Gleichungen Nr. 4a)
zu kontrollieren und nachzusehen, welcher Korrektionen sie bedürfen;
ersterer führte diese Arbeit auch in ziemlichem Umfange durch, ver-
fiel aber in Irrtümer"). Die Methode ist auch unvollständig''!), weil
Delaunay r nur bis zur 5. Ordnung gibt, während man für Gleichung
Nr. 4a) diesen Ausdruck bis zu demselben Genauigkeitsgrade braucht
wie Länge und Breite. Tafeln, die auf Delaunays Theorie gegründet
sind, sind von Radau veröffentlicht worden.!”)
Der wesentliche Punkt von Delaunays Theorie ist der Übergang
von einem Satze kanonischer Differentialgleichungen zum andern; er
selbst erreicht dies durch direkte Transformation, Brown!) durch
die Methode der willkürlichen Variationen, Tisserand'!*) und, kürzer,
97) Die numerischen Ausdrücke der Koordinaten sind von Delaunay ge-
geben: Conn, des Temps pour 1869, Add. p. 3—42; die vollständigen analytischen
Ausdrücke von Knoten- und Apsidenlinie in Paris C. R. 74 (1872), p. 17—21; die
analytischen Ausdrücke der Koordinaten in Conn. des Temps 1865, Add. p. 3—87
sind ohne die Zusätze gegeben, die er durch ergänzende Untersuchungen — Paris |
mem. pres. 29 (1867), chap. 10 — fand, welche unternommen waren, um langsam
konvergierende Koeffizienten bis zu höheren Ordnungen genau zu erhalten.
98) London Astr. Soc. Monthly Not. 34 (1874), p. 89—98; Greenw. obs. 1875,
App. p. 1—68; Numerical Lunar Theory, London 1886.
99) London Astr. Soc. Monthly Not. 52 (1892), p. 2—5 = works 13, p. 206
— 209.
100) Ibid. 49 (1889), p. 2.
101) R. Radau, Paris Bull. astr. 4 (1887), p. 274—286 — Lond. Observatory
10 (1887), p. 339—345, 377—383; J. C. Adams, London Astr. Soc. Monthly Not. 48
(1888), p. 319—322 — Coll. Works 1, p. 264—267; E. J. Stone, London Astr. Soc.
Monthly Not. 52 (1892), p. 68—69.
102) Paris 1911.
103) Treatise, chap. 9.
104) J. de Math. (2) 13 (1868), p: 255—303; Mec. ceel. 3, chap. 11.
698 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Brown‘®) durch die Benutzung der Jacobischen Methode. Die Lösung
jedes Satzes kommt auf die folgender Gleichungen hinaus:
dr BRD dB 08 -
Kt cs + go tin; 7 A su 9.
Diese Gleichungen ergeben als Lösung:
Acos#® + B+ in = ( = const.
do
ei :-T V4?—-(C— B- in 9)!’
A und B sind Funktionen von ®, und i ist der Koeffizient von 7’ in
%. In der Mondtheorie ergeben diese Gleichungen ® als periodische
Funktionen von 9,(t+ c), wo ®, eine bestimmte Konstante ist. Das
Integral ist vollständig für alle Fälle von Poincare!%®) studiert worden.
Die Gleichungen sind im allgemeinen vom Typus Nr. 5c), und es
müssen also in speziellen Fällen die dort gegebenen Modifikationen
eintreten.
Poincare'”) hat darauf hingewiesen, daß die kanonischen Glei-
chungen Nr. 10b) mit Vorteil vor den Delaunayschen benutzt werden
können, indem es dann unnötig ist, sowohl @ und H als e und y
in den Formeln hervorzuheben, und Brown!) zeigte weiter, daß, wenn
man Nr. 10b) verwendet, man die Lösung in einer Form vornehmen
kann, die jede Anzahl von periodischen Gliedern einzuschließen ge-
stattet. Endlich haben Bohlin!®) und Poincare"!”) eine Methode ge-
funden, welche die Transformationen von einem Satz kanonischer
Gleichungen zum nächsten zu vermeiden gestattet; in Poöncares Aus-
einandersetzung stellt sich die Methode als eine Entwicklung dar,
welche dadurch erreicht wird, daß die „Hauptfunktion“ ihrerseits in
der Form:
S=S8+ ms, + m’S,—+ ---
entwickelt auftritt, wo die S,, $S, usw. durch Rekurrenzen bestimmt
werden.
Für Perchots Modifikation von Delaunays Methode vgl. Nr. 8.
16. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. In
seiner späteren Theorie benutzt Euler''') rechtwinklige xy-Achsen,
105) London math. proc. 27 (1896), p. 385—390.
106) M&c. c&@l., chap. 19.
107) Mec. c&l., chap. 1, p. 80; O. Callandreau [Paris Bull. Astr. 12 (1895),
p. 369—372] zeigt, wie die Rechnung in diesem Fall vor sich geht.
108) London Math. Proc. 28 (1897), p. 146.
109) Bih. Stockholm Akad. 14 (1889), Nr. 5.
110) Mee. ce&l., chap. 19.
111) Theoria motuum Lunae etc., S" Petersburg 1772.
und
16. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. 699
die sich in der Ebene der Ekliptik mit der mittleren Winkelgeschwin-
digkeit des Mondes bewegen, während die z-Achse konstant senkrecht
zur Ekliptik steht. Die Lösung des Problems wird als in der folgen-
den Form entwiekelbar vorausgesetzt:
A+Be+Be+:...+0e+0,de+:--®D+-:-;,
wo die A, B, C, usw. aus periodischen Gliedern bestehen. Das ist
nun möglich bis zur zweiten Ordnung, jedoch nicht für die höheren
Ordnungen, indem auch die Bewegungen der Apsiden- und Knoten-
linie die Potenzen von e?, e” usw. enthalten. Indessen vermeidet Euler
diese Schwierigkeit, indem er die aus den Beobachtungen abgeleiteten
Werte dieser mittleren Bewegungen anwendet und deren theoretische
Werte nur zur Verifikation benutzt. Er erhält dann eine Reihe von
Systemen von Differentialgleichungen für die sukzessive Bestimmung
der A, B usw., und jedes System kann dann nach der Methode der
unbestimmten Koeffizienten integriert werden, da ja die Ausdrücke
der Form noch bekannt sind. Er gibt die Lösung von 31 solchen
Systemen von Differentialgleichungen und berechnet danach Tafeln
für die Bewegung. Seine Methode ist von J. 7. Schubert‘'?) weiter-
geführt, der die von e? und e’” abhängigen Terme mit ziemlicher Voll-
ständigkeit erhält. Er benutzt diese letzteren, um Laplaces Wert für
die Säkularbeschleunigung (Nr. 23) wiederzufinden, muß aber zu dem
Zweck zu festen Achsen übergehen.
@. W. Hill?) schlug vor, die Bewegung auf Achsen zu beziehen,
die sich mit der mittleren Winkelgeschwindigkeit der Sonne in der
Ekliptik bewegen, und die Störungen in Gruppen nach Maßgabe ihrer
Charakteristiken abzuteilen. Er behandelt zunächst die Glieder mit
der Charakteristik 1 (d. h. diejenigen, welche von e, e‘, y, Z unab-
hängig sind). Das Resultat ist Hills erste intermediäre Bahn, auf die
in Nr. 8 Bezug genommen wurde; es ist die partikuläre Lösung («)
in Nr. 6 der Gleichung Nr. & (c), falls gesetzt wird 2,—=2—= (0;
und zwar enthält sie nur zwei von den erforderlichen vier willkür-
lichen Konstanten und ist periodisch in bezug auf die beweglichen
Achsen !!). Hill setzt diese Lösung, —=x,, y=y,, formal in die
112) Petersb. Nova Acta 13 (1802), p. 418—462.
113) Amer. Journ. math. 1 (1877), p. 5—26, 129—147, 245—260 —= Works 1,
p. 284—335.
114) Diese Bahn kann man auch als „Variationsbahn“ bezeichnen, da ihr
hauptsächlichster periodischer Term eben das Hauptglied der „Variation“ (vgl.
Nr. 12) ist. Schon Euler hat ihre Wichtigkeit erkannt (Hist. Mem, Berl. Acad.
1766 (publ. 1768), p. 334—353) und gemeint, daß ihre vollständige Bestimmung
viele Schwierigkeiten der Mondtheorien lösen würde,
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 46
700 VI2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Differentialgleichungen ein und löst die Bedingungsgleichungen für
die Koeffizienten numerisch bis auf 15 Dezimalstellen und analytisch
bis m’; er untersucht dann diese Bahn auch für andere Werte von m
(siehe Nr. 1). In einer anderen Abhandlung*") beginnt er die voll-
ständige Lösung der reduzierten Gleichungen, indem er setzt
=n+d y-yt by
und alle Produkte von dx und dy wegläßt; die dadurch neu hinzu-
tretenden Glieder sind die mit der Üharakteristik e Für dx und öy
ergeben sich auf diese Weise zwei lineare Differentialgleichungen
zweiter Ordnung, die sich mit Hilfe bekannter Integrale auf eine
einzige zweiter Ordnung reduzieren lassen’); ihre Form und Lösung
ist in Nr. 5 (a) gegeben. Bei der numerischen Auswertung beschränkt
er sich auf die Berechnung des Teiles der Bewegung des Perigäums
(d.i. qg in Nr. 5 a)), welcher von m allein abhängt, und zwar bis
auf 15 Stellen. In einer späteren Schrift!!”) wendet er die Methode
an, um auch analytisch die Perihelbewegung bis m!! zu finden. Be-
züglich der Konvergenz dieser Entwicklungen sei auf Nr. 7 verwiesen.
J. ©. Adams") hat eine ähnliche Untersuchung über die Knoten-
bewegung veröffentlicht, nachdem er vorher dieselbe intermediäre
Bahn auf eine ganz andere Art wie Hill bestimmt, aber nichts dar-
über veröffentlicht hatte Wenn r, den aus der intermediären Bahn
folgenden Radiusvektor darstellt, so bestimmt Adams den Hauptteil
von 2 durch die Differentialgleichung:
BEE Hm)e=0,
welche also bereits die Form Nr. 5 (a) besitzt. Der hieraus sich er-
gebende Teil der Knotenbewegung wird auf 15 Stellen berechnet. Die
115) Motion of the Lunar perigee, Cambridge, U.S.A., 1877 = Acta math.
8 (1886), p. 1—36 = works 1, p. 243— 270.
116) @. H. Darwin [Acta math. 21 (1897), p. 183—139 — Math. Ann. 51,
p. 538—543 — Works 4, p. 27—32, zuerst publiziert bei Brown, Treatise, p. 211)
und J. C. Adams [Lectures, p. 85—88 — Coll. Works 2, p. 81—84] haben gezeigt,
daß diese Gleichung die einer senkrechten Verrückung von der Variationsbahn aus
ist. E. A. Hermann [London Astr. Soc. Monthly 63 (1903), p. 541—543] hat eine
kurze Ableitung dieses Resultats gegeben.
117) @.W. Hill, Amer. Ann. Math. 9 (1895), p. 31—41 = Works 4. p. 41—50.
Hills Variationsbahn und Perihelbewegung hat A. W. Krassnow nach Jacobis Me-
thode abgeleitet, Astr. Nachr. 170 (1906), p. 309—318; 173 (1907), p. 49—56;
174 (1907), p. 129—134.
118) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1878), p. 43—49 —= Coll. Works 1,
p. 181— 188.
16. Rechtwinklige Koordinaten mit beweglichen Achsen. 701
Störungsglieder mit den Charakteristiken (2): =1,2,3] hat E.W.
Brown”) durch eine Vervollständigung der Hellschen Gleichungen
bis zu eben diesen Gliedern erhalten. Er hat auch Hills Arbeit über
die Apsidenbewegung fortgeführt '?), indem er die periodischen Terme
der Charakteristiken e, e?, e® und den Teil der Perigäumsbewegung
mit der Charakteristik e? fand. Die periodische Lösung, welche streng
alles berücksichtigt, was von m und n allein abhängt, einschließlich
der Teile der Störungsfunktion, die ei ı enthalten (Nr.3), hat wiederum
@.W. Hill?) gegeben!?). Die ‚Mothode, die er hier verwendet, um die
Korrektionen zu ermitteln, die eignen und Browns Resultate er-
fordern, ist eine Modifikation der Gfgungen von Laplace (Nr. 4 (b))
Die Glieder mit den Charakteristiken #9 4°, „* und den Teil der
Knotenbewegung, der y? als Faktor enthält&yerdankt man P.H.
Cowell'*). Endlich hat noch Hill die Glieder mit (&g, Charakteristiken
€’ (2) berechnet, indem er sich einer früher angegelAggn Methode
bedient'!?°), und hat Andoyer'?*) nach einer modifizierten Methode von
Hill die Koeffizienten, die von m, e’ und der ersten Potenz von e ab-
hängen, analytisch abgeleitet.
Alle diese Arbeiten haben die Auffindung von Gliedern ganz be-
stimmter Charakteristiken zum Ziel; eine generelle Methode zur
strengen Behandlung des ganzen Problems ist von E. W. Brown'?”)
skizziert. Er erhält zunächst die allgemeinen Gleichungen Nr. 4 (ec)
und entwickelt, indem er setzt:
uw=wtbu s=s+ Ös,
nach Potenzen von du, Ös, z, so daß die Ordnung der Charakteristik
von (du (dös)* «+j+k%k ist. Indem nun die Bestimmung der
119) Amer. Journ. Math. 14 (1892), p. 141—160; Lond. Astr. Soc. Monthly
Not. 52 (1892), p. 71-80.
120) Amer. Journ. Math. 15 (1898), p. 244—263; 321—338.
121) Astron. Journ. 15 (1895), col. 136—143 — Works 4, p. 78—93. Moulion
[Trans. Amer. math. Soc. 7 (1906), p. 537—571], der Polarkoordinaten gebraucht,
erhält sie analytisch mit großer Genauigkeit. Vgl. auch Brendel (Nr. 18).
122) Ein kleiner Fehler Hills in der Reduktion von Browns Resultaten be-
wirkte, daß die Korrektionen groß zu sein schienen; Hills endgültige Resultate
sind aber trotzdem korrekt.
124) Amer. Journ. Math. 18 (1896), p. 99—127.
125) Astr. Journ. 20 (1899), p. 115—124 = Works 4, p. 153—168.
126) Fac. Toul. Ann. 6 (1892) J; 7 (1893) E.
127) Investigations, Amer. Journ. Math. 17 (1895), p. 318—358.
46*
17192 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Störungsglieder einer bestimmten Charakteristik auf die Lösung eines
Systems von linearen Differentialgleichungen der Form Nr. 5 (b) zu-
rückgeführt wird, werden sukzessive die Störungen einer bestimmten
Charakteristik erhalten. Die Integrationskonstanten a, &, ®, # werden
in der gewöhnlichen Weise definiert; die Konstante a als Hauptterm
der „Variationsbahn“ so, daß a=af(m), wo a’n’—= u; die Kon-
stante ae als Koeffizient der hauptsächlichen elliptischen Glieder in x;
endlich ak als die des Hauptgliedes in 2. Alsdann werden zusammen
mit denen gewisser Charakteristiken dritter Ordnung die Koeffizienten
der Charakteristiken zweiter Ordnung in der Apsiden- und Knoten-
bewegung bestimmt, indem für sie lineare Gleichungen erhalten werden,
die frei sind von allen unbestimmten Koeffizienten. Dieser eben
skizzierte Plan ist in einer Reihe von Abhandlungen im Detail aus-
gearbeitet!?®\. Zuerst werden die rechtwinkligen Koordinaten des
Mondes abgeleitet, wobei von Anfang an der numerische Wert von m
eingesetzt wird, während die andern Konstanten unbestimmt bleiben.
Alle früheren Resultate mit Ausnahme von Hills Variationsbahn !?”)
werden neu gerechnet oder kontrolliert. Die Hauptarbeit reduziert
sich auf Multiplikation aufsteigender und absteigender Potenzreihen
mit numerischen Koeffizienten, wobei jedes Reihenprodukt leicht kon-
trolliert werden kann, Auch werden verschiedene Wege zur Kontrolle
der Gesamtresultate benutzt. Am durchgreifendsten sind dabei die
aus Adams’ Theorem (Nr. 11) folgenden Relationen. Meistens wird
mit den komplexen Variabeln in ihrer ursprünglichen Form gerechnet,
nur für Terme und Charakteristiken der Ordnung 5, 6 werden die
homogenen Formen (Nr. 4 (c)) gebraucht. Die Resultate werden auf
Polarkoordinaten transformiert, die Konstanten a, e, k in diejenigen
von Delaunay (Nr. 15) übergeführt und ihre numerischen Werte ein-
gesetzt, so daß alle Koeffizienten schließlich in Bogensekunden aus-
gedrückt sind. Fast alle Koeffizienten in Länge und Breite über
0”,001 und in Parallaxe über 0”.0001 werden erhalten, ohne Ausnahme
die über 0”.01 bzw. 0”.001. Die jährlichen mittleren Bewegungen von
Perigäum und Knoten werden auf 0”.01 genau bestimmt. In der letzten
Arbeit werden andere bekannte Schwerewirkungen (Nr. 20—25) ebenso
genau berechnet"). Tafeln, die alle diese Störungen einschließen,
sind gegenwärtig in Ausführung '?"),
128) Theory of the Motion of the Moon, siehe das eingangs gegebene Ver-
zeichnis von Monographieen. Eine andere Darstellung gibt Poincare, Legons de
Me&c. cel. 2, chap. 24—28.
129) Amer. Journ. Math. 1 (1877), p. 248 = Works 1, p. 324.
130) Die Endergebnisse finden sich in Lond. Astr. Soc. Mem. 57 (1905),
17. Mittlere Anomalie als abhängige Variable. 1703
Poincare??) hat eine Modifikation dieser Methode angegeben, die,
falls man auf eine rein analytische Entwicklung ausgeht, eine Ab-
kürzung der Arbeit darstellt. Er geht dabei von den Eigenschaften
des Klammerausdruckes [f, 9] (Nr. 11) aus. Wenn nämlich Q irgend-
eine Koordinate oder Geschwindigkeitskomponente bezeichnet, so hat
= den Faktor e, 2
von Nr. 6), so daß, wenn man für f: nt-+ &,n, für g der Reihe nach:
e, b oder y, F usw. setzt und außerdem voraussetzt, daß die Koeffi-
dx dy dz
dr’ ar’ dt
wickelt sind, die Ableitungen der Koordinaten und Geschwindigkeiten
nach f in ihren Üharakteristiken um eine Ordnung niedriger sind
als die nach g. Infolge dieser Tatsache hängt die Berechnung der
Störungsterme einer bestimmten Charakteristik von je einem Paar
linearer Differentialgleichungen ab, die etwas einfacher sind als die
von Brown (Nr. 5 (b)). Es werden die Gleichungen von Nr. 4 (d)
benutzt und nach Poincares Modifikation von Delaunays Methode
(Nr. 15) behandelt; dabei wird eine spezielle Untersuchung über die
Apsiden- und Knotenbewegung und für einige andere Terme erforder-
lich, deren Koeffizienten nicht durch die Gleichungen [f, 9] = const.
geliefert werden.
den Faktor y» (entsprechend den Bezeichnungen
“ a
zienten von &, Y, 2 nach Potenzen von e, e', y, z ent-
17. Mittlere Anomalie und Verhältnis der Entfernung zu
einem elliptischen Radiusvektor'””) als abhängige Variable P.A.
Hansen!) geht aus von einer Ellipse fester Größe und Form in der
instantanen Bahnebene. Die Längen werden von einem „Anfangs-
p. 130—145; 59 (1908), p. 94—103 mit Verbesserungen in Lond. Monthly Not.
70 (1910), p.-3, 148; 74 (1914), p.424. Verschiedene Nebenresultate und Diskus-
sionen in Artikeln in den Lond. Montbly Not. 1891—1910.
131) E. W. Brown, Lond. Monthiy Not. 70 (1909), p. 148—175; 71 (1911),
p- 639—650, 651—660.
132) Paris Bull. Astr. 17 (1900), p. 167—204; Legons de M&c. cel., chap. 29.
133) Dieses Verhältnis ist zuerst von Euler (siehe Nr. 18) als abhängige
Veränderliche benutzt.
134) Hansen hat seine Methoden in einer Reihe von Veröffentlichungen dar-
gelegt mit dem Titel: Disquisitiones circa theoriam perturbationum, quae motus
corporum coelestium affieiunt, Astr. Nachr. 7 (1829), col. 417—448, 465—484; 11
(1834), p. 49—104, 309—368; 12 (1835), p. 321—364; 13 (1836), p. 97—142. Die
auf die Mondtheorie bezüglichen Teile sind gesammelt und vervollständigt in
den Fundamenta nova usw., Gotha 1838; die „Darlegung usw.“, Sächs. Ges. Abh. 6
(1862), p. 91—498; 7 (1864), p. 1—399, ist hauptsächlich zur Verifikation früher
ausgeführter Rechnungen geschrieben, aber sie enthält zugleich die leichteste
Darstellung im allgemeinen. Es empfiehlt sich, die der Planetentheorie gewid-
meten Schriften ebenfalls zu Rate zu ziehen: Eneyel. VI 2, 15.
704 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
punkt“!?°) aus gerechnet, der dadurch definiert ist, daß sich bei einer
infinitesimalen Drehung der Bahnebene die Längen nicht ändern. Die
Apsidenlinie hat in der Bahnebene von diesem Anfang gerechnet, die
gleichförmige Bewegung n,y. Bezeichnet n,2 die mittlere Anomalie
in dieser Ellipse, so hat man z=t-+- const. für eine rein elliptische,
2—=t-- const. + öz in der tatsächlichen Bewegung. Sind nun ö und
7 Länge und Radiusvektor in der Ellipse, v und r in der tatsäch-
lichen Bahn, so setzt Hansen:
v=d; r=Ffll+o),
so daß also die Bewegung in der wahren Bahn auf die Bestimmung
von öz und v reduziert ist. Es seien weiter: 2a,, &,, f große Achse,
Exzentrizität und wahre Anomalie in der Hilfsellipse, ferner
bedeuten endlich 9, p dieselben Funktionen einer Variabeln &, wie 7,
f von z sind, und ®, T die Komponenten der störenden Kraft in
Richtung des Radiusvektors und senkrecht dazu in der instantanen
Bahnebene, dann ergeben sich für z und v folgende Differential-
gleichungen:
dz I So h, y 2 Yy F\2
a er
dv 10W, 1 ylA+tnd/r\
eher 9 ur er
Dabei ist
ei r\2dz Yy r\2
(7) arte)
und W wird erhalten, indem man z statt & nach Integration der fol-
genden Differentialgleichung setzt:
aWw ° r ® rn) en
here FM +2 en —1]
dt
2 ine NO
+ 2h, r Pr sın (f p) + le) n,0£
1 h,
ae
_
unter der Annahme, daß & = const. ist!#). y wird so bestimmt, daß
135) Der englische Ausdruck „Departure point“ ist als Terminus von
A. Cayley, Quart. Journ. Math. 1 (1857), p. 112—125 — Coll. Works 3, p. 19 ein-
geführt.
136) Methoden, zu diesen Differentialgleichungen zu gelangen, sind gegeben
von Zech, Astr. Nachr. 41 (1855), col. 129—142, 205—208; Hansen, ibid. 42 (1856),
col, 273—280; Brünnow, ibid. 64 (1865), col. 259-266; A. Cayley, Quart. Journ.
17. Mittlere Anomalie als abhängige Variable. 1705
nur periodische Glieder in der Lösung vorkommen. Indem man zu-
nächst die elliptischen Werte:
s—=t-+tceont, v=U h=eh, W —0
in die rechte Seite der Differentialgleichung für W einsetzt, erhält
man eine zweite Annäherung für diese Funktion und damit dann aus
den Gleichungen » und z solche für diese Funktionen usf.
Um die Bewegung der Bahnebene zu finden, ersetzt Hansen die
Gleichungen für die Veränderungen von Knoten und Neigung (Eneyel.
VI2, 15 Nr. 22) wie folgt: Seien
N+K—N—K, —mle—n)i;
N —-K—N+LK, —mle+n)t
bezgl. die periodischen und Säkularteile der Mondknotenbewegung in
der momentanen Bahnebene bzw. der momentanen Ekliptik; J der
Winkel zwischen diesen Ebenen; — w’ die mittlere Länge des Mond-
knotens in der momentanen Ekliptik; @ und 0’ Neigung und Knoten-
länge der momentanen in einer festen Ekliptik gegebenen Epoche -—
die Länge gerechnet von einem „Anfangspunkt“ in der ersteren
Ebene. Bezeichnet man ferner:
P = 2sin = sin(N—N,, p'= sin ’ sin 6,
Q = 2sin d cos (N—N,), = sin i cos 6’,
dann sind die Gleichungen, denen P, ®, K Genüge leisten müssen:
2 = — md — >: cos? 14 E +22)
ei og Su: cos u MEN. eg sin “),
N mePp+ ng e 0 u 4.055)
c08 —
dp ag
ae es sin W 77. dt cos w),
mn + n(PIS + 055)
a ER HE) + (Oi )
4Cos? cos -
2
Math. ı 1 (1857) —= Works 3, p. 13—24; @. W. Hill, Amer. Journ. Math. 4 (1881),
p. 256—259 — Works 1, p.348—350; W. Scheibner, Sächs. Ges. Abh. 25 (1899),
p. 131—156. Eine Schwierigkeit bei der Integration der Differentialgleichungen
ist von E. W. Brown, London Astr. Soc. Monthly Not. 56 (1896), p. 52—53, auf-
geklärt worden.
706 Vl 2,14. Ernest W. Brown. "Theorie des Erdmondes.
Wenn die störende Kraft vernachlässigt wird, so ist
P=0, Q-2in®, KR,
In den höheren Näherungen sind « und n stets so zu bestimmen, daß
P, Q, K nur periodische Glieder enthalten.
Zu bemerken ist, daß hier uR statt R die Störungsfunktion ist.
In den Entwicklungen von R'?) führt Hansen den numerischen Wert
von — ein und setzt ferner
r=#f(l+v),
cos 9 —= cos (f + ®) cos (+ ©) + sin (? + o@) sin (f’-+ @') cos J,
wo © und ®’, die Abstände der Apsidenlinien der beweglichen Hilfs-
ellipsen für Mond und Sonne vom gemeinsamen Knoten sind; ferner sollen
f',n,,v', y dieselbe Bedeutung für die Erdbahn haben wie f, n,, v, y
für die Mondbahn; dann läßt sich R entwickeln nach Potenzen von v, v’,
65 2 sin? = und nach Kosinus der Aggregate von Vielfachen
von Nok, N%,2, @ + ®'. Die Kraftkomponenten T und ® sind zunächst
durch die partiellen Derivierten von AR nach e, und ® ausgedrückt.
Endlich aber gestatten die Definitionsgleichungen für P und © zu-
sammen mit
o+o=ntyty+2e)+2N oe — oa =mtly —y'— 27) +2K
R durch P, @, K auszudrücken.
In den Endresultaten bezeichnen dann ® und ®’ nur die nicht-
periodischen Bestandteile der vorher durch diese Buchstaben bezeich-
neten Funktionen, während 9 und g’ die nichtperiodischen Anteile von
n,2 und n,2’ sind, so daß also zu .Delaunays endgültigen Bezeich-
nungen die folgenden Beziehungen bestehen:
=1; Jy-l; gto=F; y+0o—g—o=D.
Schließlich wird der Übergang von der instantanen Bahnebene auf die
instantane Ekliptik vollzogen. Hansens Resultate sind, da sie die in-
[2
direkten Planetenstörungen durch Berücksichtigung von v', ir, = usw.
einschließen, allgemeiner als die anderen Theorien, die sich mit dem
Hauptproblem beschäftigen. Aber seine Theorie ist keineswegs frei
von empirischem Einschlage, da sie für die Perigäums- und Knoten-
137) Hansen, Fundamenta, Sect. IV, Sächs. Ges. Abh. 2 (1855), p. 181— 231;
283—376, Siehe auch Cayley, Lond. Astr. Soc. Mem. 27 (1859), p. 69—95; 28
(1860), p. 187—215; 29 (1861), p. 191-306 — Works 8, p. 293—318, 319343,
17. Mittlere Anomalie als abhängige Variable. 107
bewegung die beobachteten Werte einführt, mit denen die berechneten
nicht ganz übereinstimmen (Nr. 25). Bei der Bildung seiner Tafeln
(Nr. 27) bringt er außerdem noch andere empirische Korrektionen an,
und später haben noch weitere hinzugefügt werden müssen, um die
Tafeln mit den Beobachtungen in Übereinstimmung zu bringen.
Hansens Resultate sind auch verschiedentlich umgeformt werden, um
sie mit anderen Theorien, besonders der von Delaunay vergleichbar
zu machen, so von Wilding'?®) und von Newcomb und Maier‘?°). Man
hat vielfach versucht, die Darlegung der Theorie zu vereinfachen !*°).
Th. v. Oppolzer'*') folgt Hansen, insofern er die Störungen in der
Bahnebene zur mittleren Anomalie hinzufügt. Die Länge und Paral-
laxe werden in gleicher Weise wie bei Hansen ausgedrückt, aber die
dritte Koordinate ebenso wie die Parallaxe behandelt. Die Bewegung
wird auf die mittlere instantane Bahnebene bezogen, d.h. diejenige,
welche statthaben würde, wenn man alle periodischen Störungen der
instantanen Bahnebene beiseite läßt und nur die säkularen beibehält.
Die drei Differentialgleichungen für die rechtwinkligen Koordinaten
ergeben sich dann in folgender Form:
d? ’ d* ’ 13; ’ %
(e) tut) Kata tdi N Tatttn)s=Z,
wo u und w Konstante sind, und X, Y, Z sowohl die Komponenten
der eigentlichen störenden Kraft als auch die von den Bewegungen
der Achsen herrührenden Reaktionskräfte enthalten. Oppolzer setzt dann
£4 Y 2 r 1
PRELPE VIER IN Ra To PER Re =D,
138) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 40 (1880), p. 8—10.
139) Wash. Astr. Pap. 1 (1880), p. 57—107. Hierher gehört auch eine
Arbeit von Cowell (Lond. Monthly Not. 64 (1904), p. 159—168) der die Hansen-
schen Tafelformeln, welche von den theoretischen Formeln verschieden sind, um-
geformt hat.
140) Eine Übersicht über die „Fundamenta“ und „Darlegung“ hat E. W.
Brown, Treatise chap. 10, gegeben. Tisserand, Meec. cel. 3, chap. 17, gibt eben-
solche für die „Darlegung“. Weitere Auseinandersetzungen von Hansens Methode
findet man bei Hansen, Astr. Nachr. 15 (1838), p. 201—216; 18 (1841), p. 237—
288; 19 (1842), p. 33—92; Delaunay, Journ. des Sav. 1858, p. 16—17. Eine Ver-
gleichung der Theorien von Clairaut, Hansen, Oppolzer, Gylden gibt R. Radau,
Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 433—449; 475—487. Siehe auch R. Radau, Bull.
des Sc. math., ser. II, 5 (1881), p. 270—295; Scheibner, Sächs. Ges. Abh. 25 (1899),
p. 131—156; Enceyel. VI2. |
141) Wien. Denkschr. 51 (1886), p. 69—-105; 54 (1888), p. 59—244; letzteres
von R. Schramm herausgegeben. Eine frühere Abhandlung bezieht sich haupt-
sächlich auf die Planetentheorie.
708 VI 2,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
so daß wir jetzt also die 6 Variabeln x), Yo, 20, Y, &, # statt der alten
x,y,2,t haben. Die zwei willkürlichen Bedingungen, denen diese
Größen demnach noch unterworfen werden können, definiert er durch:
2 2 4
traut Na=9 TEtatN)d—0
zusammen mit 1, —= 2% + Yo, so daß also der Punkt z,%, eine Ellipse
mit der mittleren Anomalie $ beschreibt. Die Gleichungen («), die
zweiter Ordnung sind, werden so ersetzt durch 6 Gleichungen erster
Ordnung. Von diesen sind 3 die Differentialgleichungen für die Pro-
jektionen der Flächengeschwindigkeiten auf die drei Koordinatenebenen,
von denen die auf die xy-Ebene bezogene die Gestalt annimmt:
TE 5 TEE CR > <
wo a, I Konstanten sind. Zwei weitere Gleichungen geben den Betrag
der Geschwindigkeitsänderung in der @y-Ebene, und die letzte, die &
gibt, lautet:
G-lü+Da+N
Wenn diese Gleichungen durch fortgesetzte Näherung nach Potenzen
der störenden Kraft gelöst sind, so findet man die Koordinaten durch
Einsetzen von & in ihre elliptischen Ausdrücke; der Wert von y
(welcher als Funktion der sechs benutzten Variabeln erhalten wird),
gibt die Parallaxe, und z, wird in ähnlicher Weise ausgedrückt. Nach
des Autors Tode sind seine Resultate insoweit vervollständigt, als es
sich um eine vollständige analytische Entwickelung der Ausdrücke
nr der rechten Seite der Differentialgleichungen, abgesehen von der für
av
führung der ersten Näherung in bezug auf die störende Kraft; das
erstrebte Endziel an Genauigkeit war dasjenige von Delaunay, jedoch
so, daß numerische Werte für die Konstanten benutzt werden sollten.
A. Weiler‘?) schlägt als intermediäre Bahn eine bewegliche
Ellipse von veränderlicher Größe, aber konstanter Gestalt in der in-
stantanen Bahnebene vor. Sowohl für die gestörte als die ungestörte
Bewegung gelten die Gleichungen
; = er)
ei N + e cos fj; d=n(2) yvi—e,
r
handelt, herausgegeben worden; sie sind also fertig für die Durch-
142) Astr. Ges. Publ. 12 (1872). Diese Abhandlung gründet sich auf eine
frühere Arbeit, ibid. 3 (1866), die sich hauptsächlich mit dem allgemeinen Drei-
körperproblem beschäftigt. Seine späteren Entwickelungen sind im wesentlichen
in verschiedenen Nrn. der Astr. Nachr. enthalten, von denen sich aber viele nicht
speziell auf die Mondtheorie beziehen.
18. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. 709
wo n,e konstant sind und f die wahre Anomalie ist. Diese Glei-
chungen geben r und f als Funktionen von a und £. Die Länge v
und die Länge des Perigäums ©, gerechnet zunächst längs der Bahn
bis zum Knoten und von da in der Grundebene bis zu einem festen
Anfangspunkt, hängen durch v—=f-+ © zusammen; so erhält man v
und r, wenn a und ® bekannt sind; die Beziehung n?a°— u gilt hier
in der gestörten Bewegung nicht mehr in aller Strenge. Die Stö-
rungen von i, # bestimmen die Bewegung der Bahnebene. Die Glei-
chungen, die man für ©, ®, i erhält, sind erster, die für a (oder p)
ist dritter Ordnung; diese letztere wird durch 3 Gleichungen erster
Ordnung für die abhängigen Veränderlichen h, k, q ersetzt, die so
definiert sind:
sen) —heoso+hsinv; a cosv + sinv—0,
wo 9,. der ungestörte Wert von 9 ist; für q gilt eine Gleichung, die
der Energiegleichung einigermaßen analog ist. Alsdann werden die
störenden Kräfte eingeführt und die 6 Gleichungen mannigfach um-
geformt; schließlich wieder die Lösung in Näherungen nach Potenzen
der störenden Kräfte durchgeführt. Die gleichzeitige Gültigkeit der
obigen Gleichungen gestattet die Integration von gr =
m ganze Zahlen sind) durch endliche Ausdrücke. Die Konvergenz der
der für p erhaltenen Reihen, die Weiler behauptet, scheint nicht streng
bewiesen zu sein!*?).
mv (won,
18. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. Euler
geht in seiner ersten Theorie!) von den auf Zylinderkoordinaten be-
zogenen Gleichungen:
2 E} 2
Erde er
aus, wo r, und v die Projektion des Radiusvektors und die Länge sind.
Er transformiert dann die Gleichungen auf die wahre Anomalie f als
unabhängige Variable. Dann setzt er
A al —e”)(1+»)
1-tecosf
und gelangt zu einer Differentialgleichung erster Ordnung für v und
einer zweiter Ordnung für v, die diese Größen als Funktionen von f
143) Zusammenfassungen und Auseinandersetzungen der Theorie sind ge-
geben worden durch R. Radau, Bull. des Sc. math., ser. II, 5 (1881) p. 270—295
und A. Weiler, Astr. Nachr. 106 (1883), p. 686—76 und Astr. Ges. Vjs. 35 (1900),
p. 319—322.
144) Theoria motus Lunae, St. Petersburg 1753.
710 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
zu bestimmen gestatten. Die Lösung der ersteren Gleichung ist
v— const. 2 + periodische Glieder; dabei ist offenbar 1 — c die
mittlere Apsidenbewegung. Euler setzt nun für ce seinen beobachteten
Wert ein und zeigt, daß in dem Kraftgesetz, welches er in der Form
Ei — ö voraussetzt, ö sehr klein sein muß. Statt der dritten der
obigen Gleichungen führt er die Variationen von Knoten und Neigung
ein. Um die willkürlichen Konstanten zu bestimmen, rechnet er mit
seinen Resultaten 13 Finsternisse und bestimmt dann durch Vergleich
mit den Beobachtungen die Konstanten.
H. Gylden“®) verwendet eine modifizierte wahre Anomalie v, als
unabhängige und zwei Größen u und y als abhängige Veränderliche,
die folgendermaßen definiert sind:
ed = re wye; v=w-+yx, wo c= constans.
0
Er erhält seine intermediäre Bahn, indem er F' (Nr. 3) auf die Teile
beschränkt, die fri=0,k,=1,j=2,s=( übrig bleiben; die
Gleichungen für die intermediäre Bahn ergeben sich dann so:
d’u ie er
TB “(14 5) RIED
Die Absicht bei dieser Formulierung ist, in der intermediären Bahn
die Hauptteile der größten Glieder zu berücksichtigen; dafür genügt
es, in der ersten Näherung in R zu setzen:
v—v'=mv,-+ const.,
wodurch von Gliedern, die kleine Divisoren erhalten, erst die 4. Ord-
nung vernachlässigt wird.
Gylden setzt nun
u=a(l+0)=a+aEY1l-+ n, cos (Au — A),
wo 4, n,, 4, A Konstanten sind; für E ergibt sich dann eine Gleichung
von der Form Nr. ö(a). Gylden selbst löst dieselbe durch elliptische
145) Acta math. 7 (1885), p. 125—172. Vgl. auch Andoyer, Toul. Fac. Ann.
1 (1887)M, und Tisserand, Toul. Fac. Ann. 2 (1888) D; Me&c. c&l. III, chap. 8.
Die Methode ist analog zu Gyldens allgemeiner Behandlung der Störungstheorie,
VIs, 15 Nr.31. Für die nähere Auseinandersetzung der Theorie sei auch verwiesen
auf: Gylden, Astr. Nachr. 100 (1881) p. 97—102; O. Callandreau, Paris C. R. 93
(1881), p. 779—81, Paris Bull. Astr. 3 (1886), p. 35857, 7 (1890), p. 471-497;
O. Backlund, Astr. Nachr. 101 (1882), p. 19—22; M. Brendel, Astr. Nachr. 116
(1886), p. 161—166; R. Radau, Paris Bull. Astr. 3 (1886), p. 433—449; Shdanow,
Dissertation Stockholm 1885.
18. Die wahre Anomalie als unabhängige Veränderliche. 711
Integrale. Tisserand‘“) weist aber darauf hin, daß die Einführung
solcher nicht erforderlich ist, und führt die Lösung durch trigono-
metrische Reihen durch. Für die Weiterbehandlung werden nun drei
neue Variable S, &,% und zwei Funktionen @, und P, folgender-
maßen eingeführt: |
a—h—N—1j+y; di= (1+5S) r’do, Bade; in r’,dv,
% Y r Ve ve By
TE-P+P A+HNTF-UÜHNGHR,
wo P, und Q, diejenigen Anteile sind, welche der intermediären Bahn
entsprechen. Die Gleichungen für die Abweichungen der wahren von
der Be; Bahn werden dann:
HRS HIGH W-— A
1 dSd a 1 .4S d /d
ar, De NErNETTT Han En Te BSHÄIT THE I (n)
= — P—-(2S+S®)(P,+P:)
Gylden selbst hat diese Gleichungen nicht weiter behandelt, da es ihm
nur auf die intermediäre Bahn selbst ankam, hat auch die von der
Neigung abhängigen Störungen nicht berücksichtigt. Tisserand '")
hat die Behandlung der letzteren aufgenommen, indem er die zweite
Gleichung von Nr. 4 (b) benutzt, dieselbe in Gyldens Sinne umformt
und sie dadurch auf die Form Nr.5 (a) bringt. Die Methode ist
weiter durchgeführt von Shdanow'), der bis zur 2. Näherung ein-
schließlich geht und damit die Apsiden- und Knotenbewegung auf ;;,
bzw. ;o ihres wahren Wertes erhält.
M. Brendel“) hat die Modifikation der Gyldenschen Methoden,
die er in seiner Theorie der kleinen Planeten’) benutzt hat, auch
auf den Mond angewandt, so daß Entwicklungen nach den Charakte-
ristiken leicht zu erhalten sind. Mit v als mittlerer Anomalie in der
oskulierenden Ellipse setzt er:
ad—m) „dv _VMal—m)
RITTER RE er Vo
wo ;
ie E°®
i REN (E + m’?
ist.
146) Toul. Fac. Ann. 2 (1888) D; Mec. cel. 3, chap. 8.
147) Toul. Fac. Ann. 2 (1888) D.
148) Dissertation Stockholm 1885.
149) Gött. Ges. Abh. N. F. (3) 4 (1905), p. 1—97.
150) Ib. I, 2 (1898), p. 171 usw.
739 VI2, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmonder.
Dabei ist der Ursprung der Schwerpunkt des Systems Erde-Mond.
Er setzt ferner:
N ee
erh (o+T)+he,. ®.
Hier sind % und I’ Konstanten, die der Exzentrizität und Perihel-
länge entsprechen, & ist die mittlere Bewegung der Apsidenlinie; X‘,
das Fr ;—= « als Faktor enthält, verschwindet, wenn die Sonne sich in.
einer festen Ellipse bewegt. Ist die Mondbewegung ungestört, so ver-
schwinden R und 5.
Die Gleiehungen für $ und o werden:
a NUT nat
te =— Br oral +25 +38°—(1+5)!P
i d (1 +8)?
rs aa ee RT rer 7) + 1—n? 0, »\(14+9),
wo
08 r? 08
2
erg 97 ao
ist und 2 die Störungsfunktion bedeutet. Der Ausdruck von t als
Funktion von v wird in der Form angesetzt:
nt + const.— v + IB, sin iv — x) + W,
wobei n?a?—= M’ ist. Das zweite Glied rechts ist dabei die Mittel-
punktsgleichung, mit n und x als Exzentrizität und Perihellänge ge-
rechnet. Für W ergibt sich die Gleichung:
BR N
. 2
ei rel 6 7: rel
— {IB siniw— m),
wobei S- die Ableitung nach v, nur soweit es in n und = auftritt,
bedeutet. Die Kräfte P, @ werden nach Potenzen von n,e', R, W
entwickelt. Brendel erhält zuerst eine intermediäre Bahn, indem er
n und e' vernachlässigt. Diese fällt zusammen mit der zuerst von @.
W. Hill’) numerisch berechneten. Brendel läßt die Entwicklungen
zunächst allgemeiner, löst aber dann auch ein System von Gleichungen
mit in Strenge unendlich vielen Unbekannten rein numerisch auf.
Weiter werden dann die von n und e’ abhängigen Terme bestimmt,
wobei die beobachtete Apsidenbewegung eingesetzt und nachträglich
an der Theorie geprüft wird.
Planetarische und andere störende Einflüsse. 19. Behandlungsmethoden. 713
III. Planetarische und andere störende Einflüsse.
19. Behandlungsmethoden. Jeder kleinen störenden Ursache
kann man Rechnung tragen, indem man der Kräftefunktion ein Glied
«2 hinzufügt, wo « eine kleine Konstante ist, deren Quadrat selten
merklich ist. & bedeutet eine Funktion der Zeit, der Koordinaten,
und eventuell der Geschwindigkeiten des Mondes.
Meist wird die Methode der Variation der Konstanten verwandt,
wobei aber als neue Variabele nicht die Konstanten der elliptischen
Bewegung, sondern die des Hauptproblems gewählt werden müssen,
da jeder überhaupt in Betracht kommende Term durch die Wirkung
der Sonne wesentlich beeinflußt wird. ??)
Wenn man von den kanonischen Gleichungen für die Variationen
ausgeht, so braucht man nur auf Grund der Delaunayschen Theorie
(Nr. 15) den entsprechenden Schritt weiter zu gehen, indem man, falls
«® vernachlässigt werden darf, in «% die aus dem Hauptproblem sich
ergebenden Werte der Konstanten einsetzt. G. W. Hill”°”) hat die In-
tegration der Gleichungen für diese störenden Einflüsse auf eine Form
gebracht, die unmittelbarer Anwendung fähig ist. Er findet nämlich,
daß einem Gliede in «2% von der Form:
füa,e,y) akcs Gl Haug +uhtpt+p)=Aecos(ut-+ u),
wo a,k,p, p’ unabhängig von den Mondelementen sind, eine zuge-
ern Anderung der Elemente von folgender Form entspricht:
2 de, oy=(Zi,a, A an wir)
. 08, 60, 9 — (Zi,b, + — .2),6,) —z sin (ut +),
wo
q=1,2,3
. ser % df df
E Cage “a “and ri Ja ar?
und a,,b,,c, numerische Größen sind, die für jedes Element verschiedene
Werte haben und nur von den Derivierten der endgültigen Delaunay-
schen Elemente L, @, H nach a, e, y abhängen, in denen die nume-
rischen Werte von m, e,e y, a eingesetzt sind. Radau!?®) und New-
comb"°*) haben ähnliche Gleichungen, aber mit etwas anderen Werten
151) Fast alle früheren Behandlungen kranken daran, daß diese Überlegung
nicht berücksichtigt worden ist.
152) Wash. Astr. Pap. 3 (1891), p. 390 = works 2, p. 336. Eine Skizze
davon gibt R. Radau, Paris Bull. astr. 9 (1892), p. 361 —63.
153) Paris Obs. Mem. 21 (1895) B, p. 35—36.
154) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 211—212; Carnegie Inst. Publ 72, chap. 2.
714 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
für a,, b,, e, erhalten. Die Schwierigkeit, diese Werte genau zu be-
rechnen, rührt von der langsamen Konvergenz der Potenzreihen nach
m her, besonders bei den Koeffizienten, die Ableitungen nach n ent-
halten. E. W. Brown“®) hat Gleichungen ähnlicher Form direkt aus
seiner Theorie abgeleitet, wobei der numerische Wert von m auf
Grund des letzten Resultates in Nr. 11 substituiert ist. Statt der
obigen Form für A benutzt er die Derivierten von A nach n,e, k,
den Konstanten seiner Theorie vor dem Übergang von rechtwinkligen
zu Polarkoordinaten, was in seinem Falle das bequemste ist. So werden
die Variationen der Variabeln », 23, P3, 9, 9, 95 (Nr. 10e) gefunden.
In einzelnen Fällen werden von Brown die Delaunayschen Entwick-
lungen benutzt, diese aber kontrolliert und die aus der langsamen
Konvergenz entspringenden Fehler als unmerklich nachgewiesen.
20. Der Einfluß der nichtsphärischen Figur der Erde und des
Mondes. Erde: Sind A, B,C,J die Trägheitsmomente um die drei
Hauptträgheitsachsen und um die Verbindungslinie der Mittelpunkte von
Erde und Mond, so ist in hinreichender Näherung gemäß der Ent-
wicklung des Erdpotentials in Kugelfunktionen
„a _A+B+0-3I
73
oder, da man die beiden äquatorialen Trägheitsmomente der Erde als
gleich annehmen kann, also A=B,
a
wo Ö die Deklination des Mondes ist.
Die Differenz C — A von polarem und äquatorealem Trägheits-
moment kann durch Pendelbeobachtungen oder durch die Gleichung
}(C— A)— ER!(@— 1B)
bestimmt werden, wo E, R, « Masse, Äquatorealradius und Abplattung
der Erde sind und 8 das Verhältnis von Zentrifugalkraft zur Schwer-
kraft am Äquator bezeichnet. Sind ferner 2.» Bm, & ekliptische Länge
und Breite des Mondes und Schiefe der Ekliptik, so ist nach den ge-
wöhnlichen Formeln der sphärischen Astronomie
sind — sin ß,, cos & + cos ß,, sin A, sin @.
Mit Hilfe dieser Beziehung kann man «2 als Funktion der Zeit und
der Mondelemente ausdrücken. Bestimmungen der sich so ergebenden
155) Adams Prize Essay, Cambridge 1908, p. 10. Die verbesserte endgültige
Form findet sich in Lond. Astr. Mem. 59 (1908), p. 14, wo die Transformation
" von 92, p, aufe, Y, gegeben ist.
21. Die direkten Planetenstörungen. 715
Ungleichheiten in der Mondbewegung sind durchgeführt von Zaplace'°),
de Pontecoulant"°”), Hansen“”®) — ziemlich vollständig auf Grund seiner
Methode —, Hill"®) — sehr vollständig nach der Methode von Delaunay
—, Brown) — vollständig bis auf 0”,01 in Länge und Breite. Hill
drückt die Ungleichungen. als Zusätze zu den Koordinaten, Brown als
solche zu den Integrationskonstanten aus, was eine kürzere Dar-
stellung gibt.
Mond: Laplace‘*) betrachtete den Einfluß und bezeichnete ihn als
unmerklich. Hansen (Nr. 25a) schob eine (jetzt als nicht bestehend
erkannte) Abweichung von Theorie und Beobachtung auf diese Ursache.
E. W. Brown“) findet mit den neuesten Bestimmungen der Abplat-
tungen des Mondes kleine Zusätze zur Bewegung des Perihels und
Knotens, die in letzterem Falle gerade an das Beobachtbare heran-
reichen.
21. Die direkten Planetenstörungen. Die Formeln für R in Nr. 3
sind für die direkten Planetenstörungen ohne weiteres benutzbar, wenn
man statt x, y', 2’, m’, r' die geozentrischen Koordinaten, Masse und
geozentrischen Entfernung des Planeten: &,n, &, m”, D einsetzt. Für
die Koordinaten des Mondes in der Störungsfunktion «2, welche sich
so ergibt, sind die Werte einzusetzen, die das Hauptproblem ergibt,
für die Planetenkoordinaten ihre als bekannt vorausgesetzten Funk-
tionen der Zeit. Hat man alsdann die Störungsfunktion entwickelt,
so ist die Methode von Nr. 19 anwendbar. Hill!) hat die Störungs-
funktion in eine Summe von Produkten zerlegt, von denen je das eine
nur von den geozentrischen Mondkoordinaten, das andere nur von den
heliozentrischen Erd- und Planetenkoordinaten abhängt, von der Form:
uf? — 332 / 1 36
et —=m 4 ones],
156) Mec. cel. Livre 7, chap. 2; Livre 16, chap. 3; Paris Inst. .(math.) mem.
3 (1801), p. 198—206; Conn. des Temps pour 1823, p. 219—225; 332—35 (eine
Neuberechnung der Resultate in der Me&e. cel.); ibid. 232—239 = Oeuvres 13,
p- 189—197, 205— 212, 221—228 (der Anteil, der von der eventuellen Verschieden-
heit der Hemisphären herrührt).
157) Systeme du monde 4, chap. 4.
158) Darlegung usw., Leipzig Ges. Wiss. Abhdl. 6 (1864), p. 459-474;
ibid. 7 (1865), p. 273—322.
159) Wash. Astron. Papers 3 (1884), p. 201—344 — works 2, p. 179—320.
160) Lond. Monthly Not. 68 (1908), p. 454—455; Lond. Astr. Mem. 59 (1908),
p. 78—80. Eine Verbesserung in Lond. Monthly Not. 70 (1910), p. 3.
160*) Mec. Cel. Liv. 7, Nr. 21.
160°) Lond. Astron. M&m. 59 (1908), p. 80—81.
161) Amer. Journ. Math. 6 (1883), p. 115—130 = Works 2, p. 47—63.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 47
716 VIe,14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Ist y” der Sinus der halben Neigung zwischen Planetenbahn und
Ekliptik, A’ die Knotenlänge der Planetbahn, 7”, r" heliozentrische
Länge und Radiusvektor des Planeten V’ die Länge der Erde, so
findet man:
FREE
Dat a leos(P’ + 77 — 20) — con (P’ — 9) +:
wo
De =r?+r"?— 2r'r" cos (V’— V”).
Die verschiedenen Entwicklungen von D? werden in der Theorie
» der Hauptplaneten (VI 2, 13 Nr.2) mitgeteilt.!®) Im allgemeinen
würden diese Störungen wegen der Kleinheit der Massen m” und
.. . a . . . . .
des Verhältnisses FL unmerklich sein, wenn nicht bei den langperio-
dischen Störungen infolge des Auftretens kleiner Divisoren, d.h. der
Kleinheit von u (Nr. 19) eine enorme Vergrößerung einträte, und
einzelne Glieder sehr wohl merklich machte. Bei dem Fehlen einer
allgemeinen Methode, um zu entscheiden, ob ein bestimmter Term
langer Periode einen merklichen Koeffizienten gibt, und bei der großen
Zahl solcher Terme ist die Untersuchung mühselig.
Nur zwei Terme mit Koeffizienten über 1” in Länge sind be-
kannt.!%*) Der eine stammt von Venus und hat bei einer Periode von
273 Jahren einen Koeffizienten über 14”.1%®) Der andere ist bekannt
als die „Jupiterevektion“, die Periode ist nahe die der Evektion
(Nr. 12), und der Koeffizient ist 1”,14.16)
162) In diesem Zusammenhange sei, als speziell auf die Mondtheorie be-
züglich, für die Berechnung von Ungleichheiten hoher Ordnung verwiesen auf:
Flamme, Diss. Paris 1887; O. Callandreau, Paris C.R. 115 (1892), p. 386—89;
Ecole pol. Journ., ser. II, 7 (1902), p. 29—99; M. Hamy, Paris Bull. astr. 10 (1893),
p. 41—56, 84—92.
162®) Gogou, Obs. de Paris ann. mem. 17 (1883) A 1—101, zeigt, daß der,
Koeffizient von 7”,55, den E.Neison (Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 38 (1878)
p. 49—53) einer von Mars herrührenden Ungleichheit zuschreibt, in Wirklichkeit
unmerkbar ist; er erklärt den Irrtum in Lond. Astr. Soc. Mem, 48 (1885), p. 419—437.
162°) Diese Störung wurde von Hansen entdeckt, Astr. Nachr. 25 (1847),
p. 325—332, Paris C.R. 24 (1847), p. 795—99; Lond. Astr. Soc. Mem. 16 (1847),
p. 465—476, der für den Koeffizienten zu verschiedenen Zeiten die Werte 16”,
27”, 23” fand. Dieser ist genau berechnet worden von Delaunay, Conn. des
Temps, pour 1862, Addition, p. 3—58, und von Tisserand, Paris C R. 113 (1891),
p-5—9. Für eine andere Ungleichheit von 239 jähriger Periode gab Hansen den
Koeffizienten 23” an, Delaunay hat jedoch gezeigt, daß derselbe in Wirklichkeit
< 0”,3 ist: Paris C. R. 49 (1859), p. 923—27, Conn. des Temps pour 1863, Add.,
p- 1—56; sieheauch Hamy, Radau, Newcomb, Brown, Fußn. 162, 153, 154, 155, 160.
163) Eotdeckt durch eine Analyse der Beobachtungen von Newcomb, Trans.
Venus Pap. 3 (1876) und erklärt von Neison (= Nevill), Lond. Monthly Not. 87
21. Die direkten Planetenstörungen. 717
Außer den erwähnten sind Berechnungen spezieller Ungleich-
heiten von E. Neison (Nevill)?%), E. v. Haerdil"®) und anderen Mond-
theoretikern 1%) ausgeführt worden.
Der erste Versuch, eine vollständige Liste der Planetenstörungen
aufzustellen, stammt von Radaw'°”), der Hills Teilung der Störungs-
funktion und dessen Variationsgleichungen mit wenig veränderten
numerischen Werten (Nr. 19) benutzt. Er entwickelt jeden Planeten-
faktor nach Potenzen der Planetenelemente und benutzt für die Mond-
faktoren Delaunays Theorie. Es werden über 120 Terme in Länge
erhalten. Newcomb#®) gab 1894 eine allgemeine Methode zur Be-
handlung des Problems, die er später durchführte.!%) Jeder Planeten-
faktor wird numerisch aus speziellen Werten entwickelt, während die
Mondfaktoren und ihre Ableitungen teils aus Delaunays, teils aus
Browns Theorie entnommen werden. Er benutzt seine eigene Glei-
chungsform (vgl. Nr. 19). Seine Liste ist etwas umfangreicher als
die Radaus bei etwa gleicher mittlerer Genauigkeit. Beide Autoren
schließen die indirekte Wirkung (vgl. Nr. 22) ein.
Brown“) nimmt sieh vor, alle Planetenstörungen über 0,01 zu
ermitteln. Er teilt mittels einer allgemeinen Formel die Störungs-
funktion in Hills Art und zeigt, daß die Planetenfaktoren als Ab-
leitungen von 55 nach «’, €, y”, W’ dargestellt werden können. Lever-
riers Buchstabenentwicklung von 5
dieser Faktoren benützt werden, statt jeden einzelnen entwickeln zu
müssen. Kurze Verfahren!’!) zur Berechnung der auftretenden Funk-
kann daher zur Ableitung aller
. a . “r . . .
tionen von — werden eingeführt und die numerischen Werte in Tafeln
gegeben. Die Mondfaktoren und ihre Derivierten entnimmt Brown
(1877), p. 248, der auch (ib. p. 359) den richtigen Koeffizienten berechnete, wie
verschiedene spätere Untersuchungen bestätigten. Der Koeffizient schließt die
indirekte Wirkung ein.
164) Lond. Astr. Soc. Monthly Not., vols. 37, 38, 42, 45, 46, 47; jedoch ist zu
bemerken, daß einzelne seiner Resultate angezweifelt worden sind.
165) Wien Denkschr. 59 (1892), p. 385—408; Paris Bull. Astr. 10 (1893),
p. 124—130; 12 (1895), p. 145—48.
166) Siehe Tisserand, Mee. cel. 3, chap. 18.
167) Par. Obs. Ann, 21 (1895), B p. 1—114.
168) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 97 - 295.
169) Carnegie Inst. Publ. 72 (1907), p. 1—160.
170) Adams Prize Essay, Cambr. 1908, p. 1—93. Lond. Astr. Mem. 59
(1908), p. 24—77.
171) Weiter verbessert von R.T. A. Innes, Lond. Monthly Not. 69 (1909),
p. 633—638; 70, p. 194—196.
47*
718 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
seiner eigenen Theorie unter Beachtung des letzten Satzes aus Nr. 11.
Mittels einer Näherungsformel, die unmittelbar eine obere Grenze für
den Betrag jeder Störung liefert, vermag er etwa hundert Terme aus-
sondern, die allein Koeffizienten über 0”,01 geben können. Diese
nebst den kurzperiodischen Termen werden genau berechnet. Browns
schließliche Liste!’?) enthält, die indirekten Störungen eingeschlossen,
über 400 Terme.
92. Die indirekten Planetenstörungen. Diese rühren von den
Störungen der Erdbahn durch die Planeten her. Sie werden gleich
von vornherein formal berücksichtigt in den Theorien von Hansen
und Brendel (Nr. 17, 18), bleiben dagegen in den anderen Theorien
einer besonderen nachträglichen Bestimmung überlassen. Die ur-
sprünglichen elliptischen Werte x’, y', 2° erhalten dadurch kleine Zu-
wächse dz’, öy', öz’, so daß die Zusatzstörungsfunktion lautet:
DRS, 0m.) 0OB.7
Vielfach ist es bequemer, diese Störungen so zu berücksichtigen, daB
man die Zuwüchse da’, de‘... benutzt, welche die Sonnenelemente
erhalten. Da nun in dem Hauptproblem eine feste Ekliptik als Be-
zugsebene benutzt wird, so sind die Sonnenelemente, welche die
Lage dieser Ebene bestimmen, nicht die instautanen; es ist also noch
eine besondere Untersuchung erforderlich, um den Einfluß der Be-
wegung der Ekliptik auf die Mondbahn zu bestimmen. Die Säkular-
beschleunigungen, obwohl aus indirekten Planetenstörungen herrührend,
sollen in Nr. 23 besonders behandelt werden.
Umfassende Untersuchungen über die entsprechenden periodischen
Ungleichheiten sind zusammen mit den direkten Störungen angestellt
von Adams, Newcomb, Brown (siehe Nr. 21 und die dort angegebenen
Zitate). Newcomb!") hat das Problem als nochmals gestörtes Drei-
körperproblem aufgefaßt. Er bestimmt die Variationsgleichungen der
Elemente des Systems, wenn eine äußere störende Kraft wirkt. Er
zeigt, wie sich diese in zwei Gruppen teilen lassen, von denen sich die
eine hauptsächlich auf die Störungen der Erdbewegung, die andere
auf die der Mondbewegung bezieht. Im Verlaufe der Arbeit entdeckt
172) Lond. Astr. Mem. 59 (1908), p. 94—103. In Lond. Montly Not. 68
(1908), p. 148—170 wird mit den von Radau und Newcomb berechneten Formen
verglichen, und es werden die meisten Unstimmigkeiten aufgeklärt.
173) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 105—203. Die Methode dieser Abhand-
lung ist kurz dargestellt und vervollständigt von E. W. Brown, Lond. Math.
Proc. 28 (1897), p. 130—142. Es ist dabei in $ X ein kleiner Irrtum unter-
gelaufen; siehe E. T. Whittacker, Brit. Ass. Rep. 1899, p. 156.
22. Die indirekten Planetenstörungen. 719
er ein bemerkenswertes Theorem über die Wirkung säkularer Ände-
rungen der Erdbahn auf die Mondbewegung (vgl. Nr. 23).
Brown hat bei zwei Gelegenheiten !*) den Fall behandelt, daß
die Parameter in einem dynamischen Gleichungssystem zeitlich variabel
werden; hierunter gehören indirekte Störungen jeder Art. Ist u eine
Funktion von t und den Parametern und erzeugen kleine variable Zu-
sätze in diesen Parametern die Zusätze du und nen in u und en so
erhält man ‘die Wirkung der Veränderlichkeit der Parameter, indem
man zur Störungsfunktion einen Betrag u(z; dou—6 =) hinzufügt,
wo U eine gewisse Funktion der Zeit und der Parameter ist, die aus
dem ursprünglichen Problem gewonnen wird. Man hat dann die
Variationsgleichungen für die Integrationskonstanten des ursprüng-
lichen Problems zu bilden und aufzulösen und die gefundenen vari
abeln Werte der Integrationskonstanten wie der Parameter in die
ursprüngliche Lösung zu substituieren. Newcombs erwähntes Theorem
wird als ein Spezialfall wiedergefunden. Bei der Anwendung auf die
Mondtheorie ergibt sich für langperiodische Terme, wo ö? vernach-
lässigt werden kann, daß der kleine Divisor in der Mondbewegung
höchstens im Quadrat auftritt, selbst wenn die entsprechende Un-
gleichung in der Erdbewegung sein Quadrat enthält.
Eine besondere Untersuchung, die hierunter fällt, ist die Bestim-
mung, des Einflusses, den die Veränderlichkeit der Ebene der Erdbahn
auf die Mondbewegung ausübt.
Das Hauptglied, das von der Bewegung der Ekliptik hervorge-
rufen wird, hat in Breite einen Koeffizienten von 1”,4, in Länge von
0”,3. Laplace!”) hatte dieses Glied für unmerklich gehalten, und erst
Hansen“'®) konnte zeigen, daß, wenn auch kleine, so doch merk-
liche periodische Glieder entstehen. Später sind nach verschiedenen
Methoden die indirekten Planetenstörungen- untersucht von Adams’),
Lespiault””®), A. Cayley!"®), G. B. Airy"®), @. W. Hill"), Radau'”),
174) Trans, Amer. Math. Soc. 4 (1908), p. 333—350; 6 (1905), p. 332—343.
Der Beweis in Art. 17 des ersten Aufsatzes ist falsch; oben ist auf den zweiten
Bezug genommen.
175) Mee. cel. Livre 7, Nr. 3. _
176) Astr. Nachr. 29 (1849), p. 198—196; Darlegung (1860), p. 118—120,
480— 91.
177) In Artikel 113 von Godfray, Lunar theory (1. Ed. 1853); Lond. Astr.
Soc. Monthly Not. 41 (1881), p. 385—403 — Works I, p. 231—52.
178) Bordeaux phys. m&m. 2 (1861), p 7—58.
179) Lond. Astr. Soc. Mem. 31 (1863), p. 43—56 = Works 3, p. 505—15,
180) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 41 (1881), p. 264—71, 375.
720 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Newecomb'??) und Brown'®*), der auch die Wirkungen kleiner peri-
odischer Schwankungen der Ekliptik berücksichtigt.
23. Die säkularen Beschleunigungen. 1693 fand Halley'°°) bei
einer Berechnung alter Finsternisse, daß die mittlere Umlaufszeit
des Mondes nicht ganz konstant sein könne. Seither haben verschie-
dene Autoren (vgl. Nr. 26) dieses Element aus den Beobachtungen
hergeleitet mit dem Resultat einer Zunahme der mittleren Länge von
61% bis 13”2, wo t, die Anzahl der Jahrhunderte ist: der Koeffi-
zient von £,? wird säkulare Beschleunigung genannt. Die letzten sind
Newcomb'"*°), der 8” erhält, und Cowell'®”), der Beschleunigungen von
7” bzw. 2”A4 in den Winkelabständen der Sonne vom Mond bzw.
vom Mondknoten findet. Die Werte hängen wesentlich von der. Be-
wertung der alten Finsternisberichte ab.!%®)
Als analytisch-dynamische Ursache der Erscheinung entdeckte
Laplace'*) 1786 die Veränderlichkeit von e’; die erste Näherung er-
gab etwa 10” für diese Störung in guter Über en mit der da-
maligen Berechnung aus den Be ne Seine unmittelbaren Nach-
folger Plana und Pontecoulant verfuhren, um die höheren Näherungen
zu erlangen, fälschlicherweise so, daß sie die Differentialgleichungen
integrierten, als ob e’ konstant wäre, und erst nach erfolgter Inte-
gration die zeitliche Veränderlichkeit dieses Elementes berücksichtigten;
sie erhielten auf diesem Wege nur unwesentliche Änderungen von
Laplaces Wert. Erst Adams") führte, als er eine strenge Berechnung
der Säkularbeschleunigung vornahm, richtigermaßen die Veränderlich-
keit von e’ bereits in die Differentialgleichungen ein und fand auf die
Weise andere Terme höherer Ordnung, welche den Laplaceschen
(richtigen) ersten Näherungswert auf fast die Hälfte reduzierten. Seine
Resultate und Methoden wurden bestritten") von Hansen‘), Plana
181) Amer. Ann. math.1 (1884), p.5—10, 25—31, 52—58 —= Works 2, p.64—79.
182) Paris Bull. Astr. 9 (1892), p. 363—373.
183) Carnegie Inst. Publ. 72 (1907), p. 127—132.
184) Lond. Monthly Not. 68 (1908), p. 450-454; Lond. Astr. Mem. 59 (1908),
p. 46—48.
185) Lond. Phil. Trans. 17 (1693), p. 913—921.
186) Lond. Monthly Not. 69 (1909), p. 167.
187) Lond. Monthly Not. 66 (1906), p. 352.
188) Wichtig hierfür sind Arbeiten von J. K. Fotheringham, in den Lond.
Monthly Not. 69 (1909).
189) Paris Inst. M6m. 2 (1788), p.126—182 = Works 11 (Ed. 1895), p.243—271.
190) Lond. Phil. Trans. 143 (1853), p 397—406 = Works 1, p. 140—157;
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 40 (1880), p. 472—482 — Works 1, p. 211-223;
Works 2, p. 120-—29, 237—38.
23. Die säkularen Beschleunigungen. 721
und de Pontecoulant*??), jedoch späterhin bestätigt durch Delaunay'*),
der*"®)die vollständigste analytische Entwicklung des Koeffizienten der
Säkularbeschleunigung gegeben hat, Plana'”), Cayley'?'), Lubbock!?)
und P. Puiseux"). Weitere numerische Bestimmungen sind dann noch
von Newcomb?®), Brown?®'), Andoyer?”®) und v. Brunn?) durchge-
führt worden. Laplace®*) konnte nun zeigen, daß, ebenfalls wegen
der säkularen Veränderlichkeit der Erdexzentrizität, auch die mittleren
Bewegungen von Apsiden und Knotenlinie Beschleunigungen erfahren,
und gab das Verhältnis der Werte dieser beiden Beschleunigungen
an. Er hat für beide die ersten (gleichen) Näherungswerte gegeben. -
Weiterhin haben dann auch die meisten der vorerwähnten Autoren
Werte dafür erhalten.
Die älteren Methoden zur Berechnung der Säkularakzelerationen
sind bei größeren Genauigkeitsansprüchen sehr mühsam. Die meisten
der erwähnten Autoren, die überhaupt korrekt rechneten, haben sich
mit den ersten zwei oder drei Gliedern nach m begnügt. Delaunay
hat indessen nach seiner Methode eine allgemeine Entwicklung ge-
geben, die nach einer Korrektur durch Andoyer?®®) noch die genaueste
in dieser Form ist. Die Rechenarbeit ist durch die Theoreme von
Neweomb und Brown einfach geworden. Newcomb?®) zeigte, daß,
wenn die Werte der Koordinaten im Hauptproblem durch Delaunays
Endwerte von L, G, H (vgl. Nr. 15) ausgedrückt werden, der variable
191) Die Diskussion wurde hauptsächlich geführt in Paris C. R. und Lond.
Astr. Soc. Monthly Not. von 1859—66. Ihre Geschichte ist zusammengefaßt
worden von Delaunay, Conn. des Temps 1864, Add. p. 21—68; Glaisher, Adams
Works 1, p. XXXV—XXXIX, Tisserand, Mee. cel. 3, chap. 13, 19.
192) Hansen gibt schließlich die Richtigkeit von Adams Theorie zu, Lond.
Astr. Soc. Monthly Not. 26 (1866), p. 173.
193) Paris C. R. 48 (1859), p. 137—8, 817—827; 49 (1859), p. 309—14; Conn.
des Temps 1862 App., p. 59—68; 1864 Add., p. 21—68.
194) Paris C.R, 72 (1871), p.495—96. Teile davon sind geprüft von Andoyer.
195) Ib. 74 (1872), p. 152—3.
197) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 22 (1862), p. 173--228 — Works 3,
p. 522—561. ;
198) Lond. Astr. Soc. Mem. 30 (1862), p. 38—52.
199) Paris Ec. norm, ann. 8 (1879), p. 361—444.
200) Carnegie Inst. Publ. 72, p. 119.
201) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 57 (1897), p. 342—349.
202) Paris C. R. 135 (1902), p. 432.
203) Die Säkularbeschleunigung des Mondes, Diss., Göttingen 1905.
204) Paris Inst. (math.) m&m. 2 (1799), p. 126—182 = Oeuvres 12, p. 191—
234; Conn. des Temps 1800, p. 362—378 — Oeuvres 13 (Ed. 1895), p. 3—4.
205) Wash. Astr. Pap. 5 (1894), p. 191.
122 VIe, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Wert von e' für den konstanten Wert eingesetzt werden darf, wo
immer er in diesen Ausdrücken auftritt. Wenn dann L, @, H durch
n, e, Y,e' ausgedrückt werden, so können die Änderungen von n,e, Y
aus denen von €’ we nn mittels der Kae
0-51-°7 Z 5 n. 5 2 de e+207+%
und zweier ähnlicher a 0@G and öH. Die Säkularänderungen der
mittleren Bewegung, des Perigäums und des Knoten werden dann ge-
geben durch
Sönat, fözar, fooat,
wo z und 9 die mittleren Bewegungen von Perigäum und Knoten
sind. Brown?) zeigte ferner: Wenn «aP das konstante Glied in der
schließlichen trignometrischen Entwicklung von a/r im Hauptproblem
ist, und wenn 9,, ?, die kanonischen Konstanten aus Nr. 10b sind,
dann können bei Vernachlässigung von (a/a’)’ — das nur unmerkliche
Glieder gibt — die Veränderungen von n, e, Y aus den drei Glei-
chungen erhalten werden:
6 3 =
tn na add z («= n, e, Y)
wo:
= ön. +öe .+8Y,, +8e a
Ps, 2, läßt sich direkt finden (vgl. Nr. 11). Da P die ersten Potenzen
von e?, Y* nieht enthält und 9,,p, bzw. diese Faktoren enthalten, so
wird speziell der Teil von dr, der nur von m und de’ abhängt, gleich:
0:P 0°
DR ehr al
Durch Kombination der allgemeinen Entwicklungen mit seiner halb-
numerischen Theorie findet er?®), mit de —= — [6,5968 — 10] im
Jahrhundert und unter Berücksichtigung eines Terms zweiter Ord-
nung?) (vgl. Nr. 24), für die totalen Säkularbeschleunigungen
mittl. Bewegung 6,02 + 0”,02; Perigäum — 38”2 + 0,1;
Knoten 6”,36 + 0,02,
wobei die Fehler die größtmöglichen aus allen bekannten Unvoll-
kommenheiten der Mondtheorie hervorgehenden sind. Die Werte
stimmen innerhalb 0”,2 mit den erwähnten von .Delaunay-Andoyer,
206) Lond. Math. Proc. 28 (1896), p. 154.
208) Lond. Month. Not. 57 (1897), p. 342—849; Lond. Astr. Mem. 59 (1908),
p. 56. Andoyer erhält denselben Wert, siehe Fußnote 202.
209) Lond. Month. Not. 70 (1909), p. 148.
24. Störungen zweiter Ordnung. _ 123
Neweomb und v. Brunn überein, wenn der angeführte Newcombsche
Wert?!) von de’ benutzt wird. |
Es bleibt demnach, wenn man die mittlere Länge durch
2
nt +: + 6",0-
darstellt (£ in Jahren gerechnet), eine Differenz von 2” in dem mit
?? multiplizierten Gliede zwischen Theorie und Beobachtung bestehen.
Versuche, diese Differenz aus der Gravitationstheorie allein zu erklären,
hat V. Puiseux?!!) gemacht, indem er die höheren Glieder, die von ??, #
abhängen, und den Einfluß der Säkularänderung der Ekliptik ?'°) prüfte;
er fand diese Einflüsse unmerklich innerhalb historischer Zeiträume.
Zum gleichen Resultat gelangt v. Brunn?"!*), der für Erdexzentrizität
und -perihellänge statt der säkularen die langperiodische Form ein-
führt. A. Weiler?'?) glaubte, daß die Figur der Erde die Differenz er-
klären könnte, aber Seeliger*'?) und Hill?!) zeigten, daß dadurch keine
Glieder der erforderten Art hervorgebracht werden können; diese Be-
richtigung wurde dann von Weiler selbst vollkommen bestätigt.?'°)
Die Differenzen zwischen Theorie und Beobachtung. werden jetzt
meist auf die Wirkung der Flutreibung geschoben, die die Umdrehungs-
dauer der Erde (unser Zeitmaß) und die mittlere Bewegung des
Mondes ändert. P. H. Cowell?') glaubt auch an eine Beschleunigung
der mittleren Länge der Erde; aber die von ihm gefundenen Ab-
weichungen können ebenso gut unbekannten Änderungen der mittleren
Länge des Mondes und seines Knotens zur Last fallen.
24. Störungen zweiter Ordnung. In den Nummern 20—23 sind
allein Glieder von erster Ordnung in den störenden Kräften betrachtet;
die aus den Quadraten und Produkten der störenden Kräfte entsprin-
genden Glieder studiert Brown®'”). Es zeigt sich, daß die kleinen
Divisoren in dieser zweiten Näherung im allgemeinen nicht in höherer
Ordnung auftreten als in der ersten. Es ergeben sich einige lang-
periodische Terme mit kleinen Koeffizienten.
210) Wash. Astr. Pap. 6 (1895), p. 9.
211) Paris Me&m. div. Sav. 21 (1875), p. 263—391.
211°) Diss. Göttingen 1905.
212) Astr. Nachr. 90 (1877), col. 369—82; 91 (1878), col. 1-12, 17—30,
35—48.
213) Ibid. 91 (1878), col. 193—206.
214) Ibid., col. 2531—54 — Works 1, p. 282—283.
215) Ibid. 92 (1878), col. 289—300, 305—318, 321—328.
216) Lond, Month. Not. 66 (1906), p. 3—5.
217) Lond. Astr. Mem. 59 (1908), p. 82—98.
724 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
Eine von Stockwell®!8) zuerst bemerkte säkulare Änderung ergibt
sich aus der Kombination der Bewegung der Ekliptik mit Termen,
die der Abplattung der Erde entspringen. Brown?) findet als Zu-
sätze zu den Säkularbewegungen der mittleren Länge, des Perigäums
und des Knotens bzw. + 0”,20, + 0”,11, — 0”,10.
25. Andere mögliche störende Ursachen®"®). Es sind zu er-
wähnen:
a) Die Annahme, daß der Exponent des Attraktionsgesetzes nicht
streng = — 2, sondern = — 2 — Ö ist (Halls®!%®) Hypothese). Der
Wert ö = 0,00000015 würde die bekannte Anomalie in der Perihel-
bewegung des Merkur erklären, ohne die Übereinstimmung von Theorie
und Beobachtung bei den übrigen Planeten zu stören?!?®). Die gleiche
Annahme würde in der Mondtheorie eine Vermehrung der jährlichen
mittleren Apsidenbewegung um 1”,5 hervorbringen, ohne die Knoten-
bewegung merklich zu beeinflussen. Hansens Theorie zeigt in der
Apsidenbewegung gerade diese Differenz?!®*), welche Hansen selbst
einem Unterschied zwischen Schwerpunkt und Figurmittelpunkt zu-
schrieb 21%®) -aber er findet gleichzeitig auch eine Differenz in der
Knotenbewegung von — 2”,86. Browns??®) Rechnungen haben endlich
gezeigt, daß die theoretischen mittleren Bewegungen mit dem Be-
obachteten innerhalb 0”,3 übereinstimmen, so daß Ö keinesfalls größer
sein kann als 0,00000004. Vgl. Fußn. 233a).
b) Eine Änderung der Periode der Erdrotation infolge der Ge-
218) Theory of the moons motion, Philadelphia 1881, p. 363. Er setzt die
veränderliche Neigung statt der konstanten in die fertige Lösung. Der theore-
tische Fehler macht in diesem Falle praktisch fast nichts aus.
219) Lond. Month. Not. 70 (1909), p. 143—148.
216°) Vgl. auch den Artikel VI2 (Oppenheim).
217®) Newcomb, Astronomical Constants, Washington 1895, p. 119.
218*) Hansen [Astr. Nachr. 19 (1842), col. 191—198] sagt, daß ein Fehler
von 0”,1 in der Evection einen solchen von 1”,47 in der jährlichen Apsiden-
bewegung hervorbringt und Wand [Astr. Nachr. 126 (1891), col. 129—138] stellt
fest, daß die Koeffizienten der periodischen Terme bei Hansen nicht zuverlässig
genug sind, um die Apsidenbewegung auf mehr als 2” genau garantieren zu
können.
219®) Lond. Astr. Soc. Mem. 24 (1856), p. 29—89; Darlegung, p. 175,
474—479; Newcomb [Phil. Mag. (4) 37 (1869), p. 32—35] ist der Meinung, daß
die Korrektion unberechtigt ist. Aber seine Argumente wurden von Hansen nicht
anerkannt, Leipz. Ber. 23 (1871), p. 1—12.
220) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1908), p. 396—397. Eine frühere
Diskussion des Gegenstandes durch den gleichen Autor findet sich ibid. 57 (1897),
p. 332—341. Siehe auch P. H. Cowell, ibid. 65 (1905), p. 275.
25. Andere mögliche störende Ursachen. 725
zeitenreibung?®'), säkulare Kontraktion des Erdkörpers oder Massen-
zuwachs durch herabfallende Meteore???). Es ist möglich, daß die
beiden erstgenannten Ursachen merkbare Änderungen hervorbringen ?®),
dagegen ist es unwahrscheinlich, daß die letztere eine beobachtbare
Wirkung haben kann.
€) Der Einfluß eines widerstehenden Mittels ist höchstwahrschein-
lich zu klein, um sich in den Beobachtungen bemerkbar zu machen.
d) Eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Schwerkraft
nach irgendeinem wahrscheinlichen Gesetz wird schwerlich imstande
sein, die Mondbewegung merklich zu beeinflussen, ohne zugleich auf
die Planetenbewegung mehr, als es die Erfahrung zuläßt, einzu-
wirken ???),
e) Elektrodynamische Theorien der Gravitation und das Relativi-
tätsprinzip. Diese würden sich wahrscheinlich nur in den Bewegungen
des Knotens und der Apsidenlinie äußern.
Die einzigen annehmbaren Erklärungen für die Unstimmigkeiten
bei der Säkularbeschleunigung dürften die beiden ersten unter b) ge-
nannten Ursachen sein.
Brown®?®) hat sich auch bemüht, Newcombs langperiodische em-
pirische Terme (vgl. Nr. 26) zu erklären. Magnetische Kräfte hält
er trotz anderer Andeutungen magnetischer Wirkungen für unwahr-
scheinlich. Eine mögliche Wirkung der Mondlibration bleibt aus
Mangel an Beobachtungsmaterial noch offen. Eine nahe Koinzidenz
zwischen der Sonnenrotation und dem drakonitischen Monat würde
genügen, wenn die Sonne eine Abplattung von "sn hätte. D. St.
Blancat??") prüft die Wirkung eines etwaigen intramerkuriellen Planeten,
dessen Masse aber dann der des Merkur vergleichbar angenommen
werden müßte.
221) Delaunay, Paris ©. R. 61. (1865), p. 1023—1032 — Journ. de Math. (2)
10 (1865), p. 401—411; W. Ferrel, Astron. Journ. 3 (1854), p. 138—141; Airy,
Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 26 (1866), p. 221—235.
222) Dufour, Bull. Soc. Vaud. Laus. 9 (1868), p. 252—254.
223) Thomson and Tait, Natural Philosophy 2, App. G.
225) BR. Lehmann-Filhes [Münch. Ber. 25 (1895), p. 371—422] zeigt einmal,
daß eine endliche Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwerkraft keine Beschleu-
nigung, sondern eine Verzögerung hervorbringt, und zweitens, daß diese Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit von der Ordnung 1000000 x Lichtgeschwindigkeit sein
müßte, wenn nicht unmöglich große Störungen sich ergeben sollen.
226) Amer. Journ. Sc. ser. 4, 29 (1910), p. 529—539.
227) Fac. Toulouse Ann. (2) 9 (1907), p. 1108.
726 VIa, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
26. Der gegenwärtige Stand der Mondtheorie. Eine zusammen-
fassende Darstellung vom gegenwärtigen Stande der Mondtheorie geben
Tisserand®?®) und Newecomb®). Die vollständigste theoretische Be-
stimmung der Mondbahn, die zum Vergleich mit der Beobachtung
zur Verfügung steht, ist noch immer die von Hansen (Nr. 17),
wenn man folgende Korrektionen daran anbringt: (1) eine Ungleich-
heit von 239 Jahre Periode und von 21”,47 Amplitude in Abzug
bringt (Nr. 21), deren Koeffizient in Wahrheit nur 0”,3 beträgt;
(2) statt des empirischen Wertes von 12”,2 für die Säkularbeschleu-
nigung, den Hansen verwendet, den theoretischen von 6”,0 einsetzt;
(3) kleine Änderungen der Konstanten vornimmt, die teils von den
Änderungen (1) und (2) und von eingeführten empirischen Termen
herrühren, teils von den modernen Beobachtungen gefordert werden;
und (4) einen oder zwei kleine zufällige Fehler berichtigt. Indeß ist
es nicht vollkommen sicher, in welchem Umfange empirische Daten
in die Theorie eingeführt sind (vgl. Nr. 17). Immerhin bleiben, wenn
man Hansens Resultate nach Anbringung der oben erwähnten Kor-
rektionen als den gegenwärtigen Stand der eigentlichen Theorie des
Mondes gelten läßt, eine Reihe nicht unerheblicher Differenzen zwischen
Theorie und Beobachtungen, die Neweomb?°®), Tisserand*®), Neison ?°?)
und Cowell?®®) zu eingehenden Untersuchen veranlaßt haben. Folgende
empirischen Korrektionen nach Newcomb scheinen die Beobachtungen
seit 1620 am besten darzustellen: 1. Eine Ungleichung mit einem
Koeffizienten von ungefähr 13” und einer Periode von 270 Jahren,
die aber gegen das langperiodische Venusglied eine Phasenverschiebung
von etwa 60° zeigt. 2. Eine Ungleichheit von 2—3” Amplitude und
der Periode von 60—70 Jahren. 3. Einige Terme kurzer Periode mit
Koeffizienten bis an 1”. Ein Grund für diese Abweichungen ist nicht
bekannt (vgl. Nr. 25).
Eine ausführliche Vergleichung zwischen Theorie und Beobach-
tung hat Oowell”*) unternommen, der die verbleibenden Differenzen
auf Glieder von der Periode vorgegebener theoretischer Terme ge-
prüft und so deren Koeffizienten empirisch bestimmt hat. Die Veri-
228) Mec. cel. 3, chap. 19 = Paris Bull. Astr. 8 (1891), p. 481— 5083.
229) Rome Math. Congress 1 (1908), p. 135—143.
230) Lond. Astr. Soc. Monthly Not. 63 (1908), p. 316—324.
231) Mec. Cel. 3, p. 414.
232) Lond. Astr. Soc. Mem. 48 (1884), p. 283—418.
233) Lond. Month. Not. 65 (1905), p. 34—53. Vgl. auch die Diskussion in
den Lond. Month. Not. 1903—1909.
234) Zahlreiche Arbeiten in der Lond. Month. Not. 1908—1907.
27. Tafeln der Mondbewegung. 127
fikation von etwa 300 Koeffizienten bestätigt die allgemeine Verläß-
lichkeit der theoretischen Werte.???®)
Vollständige Vergleichungen der Resultate versehenen moderner
Theorien sind ausgeführt von Neweomb und Maier??), die Hansens
Theorie in Delaunays Form überführten und mit letzterer verglichen;
von Cowell?®), der die Terme in Hansens Tafeln in ähnlicher Weise
transformierte; und von Brown??”), der die Koeffizienten seiner Theorie
im Hauptproblem mit denen von Hansen und®®®) in den planetaren
Gliedern mit denen von Radau und Newcomb verglich. Eine teilweise
Vergleichung der Resultate seiner noch unpublizierten Theorie mit
- Hansen und Brown führte E. Newill?®) aus.
27. Tafeln der Mondbewegung. Clairaut””) war der erste, der
Tafeln zur Berechnung des Mondortes zu jeder beliebigen Zeit angab,
die allein auf die Gravitationstheorie gegründet waren; sie wurden
in verbesserter Gestalt 1765 **!) neu herausgegeben. Auch Euler *?)
brachte seine Ergebnisse in Tabellenform. Eine eigenartige Stellung
nehmen die Tafeln von Tobias Mayer?“?) ein, indem für ihre Her-
stellung die Argumente aus der Theorie hergenommen, die Koeffizienten
jedoch aus einer größeren Reihe von Beobachtungen bestimmt wurden;
sie sind späterhin unter Benutzung der inzwischen zahlreich ange-
233°) Newcombs letzte Arbeit (Wash. Astr. Pap. 9 (1913) Part. 1) enthält eine
Vergleichung von Sternbedeckungen seit 1620 mit der nach Browns Theorie kor-
rigierten Hansenschen Theorie. Brown hat in Fortsetzung von Cowells Unter-
suchungen ähnlich eine Vergleichung der Greenwicher Meridianbeobachtungen
seit 1750 ausgeführt (Lond.Monthly Not. 73 (1913), p.692—714; 74 (1914), p. 156— 167,
396—424, 552—568). Die allgemeinen Schlüsse haben sich hierdurch nicht ge-
ändert, und es ist jetzt sicher, daß die empirischen Terme nicht auf Beobachtungs-
fehlern beruhen. Brown zeigte, daß innerhalb der Genauigkeit von Theorie und
Beobachtung die theoretischen Werte der mittleren Bewegung von Perigäum und
Knoten mit den beobachteten übereinstimmen, wenn man der Erdabplattung den
Betrag 1/293.5 gibt. Die Unterschiede in den jährlichen Bewegungen sind dann
kleiner als 0.03 (vgl. Nr.25a). Diese Arbeiten enthalten auch die letzten Werte
der Integrationskonstanten. Die letzte Zusammenfassung siehe Brown, Lond.
Observatory 37 (1914), p. 206—211.
235) Wash. Astr. Pap. 1 (1880), p. 57—107.
236) Lond. Month. Not. 64 (1904), p. 159—168.
237) Ibid. 65 (1905), p. 276—296.
238) Ibid. 68 (1908), p. 148—170.
239) Ibid. 65 (1905), p. 658—662.
240) Theorie de la Lune, 1. Aufl., St. Petersburg 1752.
241) Theorie de la Lune, 2. Aufl., St. Petersburg 1765.
242) Theoria motuum Lunae (2. Theorie), St. Petersburg 1772
243) London 1755; verbessert 1770.
128 VI, 14. Ernest W. Brown. Theorie des Erdmondes.
häuften Beobachtungen verbessert worden von ©. Mason“), J.T.
Burg®®), J. K. Burckhardt*®). Damoiseau””) hat auf Grund seiner
Theorie Mondtafeln veröffentlicht, die, neben denen Burckhardts, bis
zum Erscheinen der Hansenschen am meisten im Gebrauch waren.
Die Tafeln Hansens endlich*®) mit den von Newcomb für dieselben
angegebenen Korrektionen®?) liegen allen Mondephemeriden bis auf
den heutigen Tag zugrunde.
Auch nach Planas Theorie sind nach Anbringung einiger Korrek-
tionen von .B. Peirce®) Tafeln gerechnet worden.
Tafeln, die unter R. Radaus Leitung aus Delaunays Theorie mit
Verbesserungen und Zusätzen aus verschiedenen Quellen konstruiert
sind ?°!), werden zukünftig für die Mondephemeride der Connaissance
des Temps gebracht werden. E. W. Brown hat Tafeln auf Grund
seiner Theorie in Arbeit (Nr. 16).
244) London 1787.
245) Paris 1806.
246) Paris 1812.
247) Tables de la Lune, Paris 1828,
248) Tables de la Lune, London 1857.
249) Corrections to Hansen’s Tables etc., Papers publ. by Venus Commission
Pt. II, p. 1—51.
250) Washington 1853/4.
251) Paris 1911.
(Abgeschlossen Juli 1914.)
2.
3.
4.
5.
6,
8.
9.
10.
11,
18.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25
VI2, 15. THEORIE DER PLANETEN.
Von
KARL F. SUNDMAN
IN HELSINGFORS
Inhaltsübersicht.
Einleitung.
Numerische Verhältnisse.
Die Differentialgleichungen der Bewegung.
Die erste Annäherung. Das Zweikörperproblem.
Die Störungen.
I. Die Methode der Variation der Konstanten.
Anwendungsweise der Methode in der Störungstheorie.
7. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. Differentialgleichungen.
Integration.
Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation.
Säkulare Störungen.
12. Angenäherte Berechnung der säkularen Werte der Elemente.
Die säkularen Störungen der kleinen Planeten.
Säkulare Glieder höheren Grades.
Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen Störungen in: den
periodischen Gliedern.
Langperiodische Glieder.
Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen Planeten. Libration.
Die Methode von Poincare,
II. Die Hansensche Methode.
Vorbemerkung.
Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Koordinaten.
Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instantanen Bahnebene.
Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahnebene und die Lage
der x-Achse.
Differentialgleichungen zur Bestimmung des Radiusvektors und der mittleren
Anomalie.
Bestimmung der Funktion W.
Bestimmung der Breite.
730 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
26. Weitere Ausführung der Methode.
27. Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlichen.
98. Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche.
III. Koordinatenstörnngen.
29. Störungen der rechtwinkeligen Koordinaten.
30. Störungen der polaren Koordinaten.
IV. Theorie von Gylden.
31. Vorbemerkung.
32. Differentialgleichungen der Gyld&nschen Koordinaten.
33. Zerlegung der Variablen.
34. Entwicklung der Größen P, Q und R. Fundamentale Entwicklung.
35. Diastematische Entwicklung.
36. Einteilung der Glieder.
37. Integration.
38. Integration der elementaren und charakteristischen Glieder.
39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gyldenschen Methode.
Methode von Brendel.
V. Verschiedene Methoden.
40. Methode von Backlund.
41. Die Jupitergruppe.
42. Angenäherte Störungen.
5 Literatur.
Lehrbücher und Monographien.
P. 5. Laplace, Traite de mecanique ce&leste I—V. Paris 1799— 1827. (Cit.: m&c. c£l.)
P. @. de Pontecoulant, "Theorie analytique du systeme du monde I, III. Paris
1829—1834.
P. A. Hansen, Untersuchung über die gegenseitigen Störungen des Jupiters und
Saturns. Berlin 1831.
U. J. J. Leverrier, Recherches astronomiques. Annales de l’Observatoire de
Paris, 1855—1877.
P. A. Hansen, Auseinandersetzung einer zweckmäßigen Methode zur Berechnung
der absoluten Störungen der kleinen Planeten. Abh. I—II—II. — Abh. d.
K. S. Ges. d. Wiss. II—IV—V. Leipzig 1857—1861.
J. F. Encke, Über die allgemeinen Störungen der Planeten. Berliner Astr. Jahr-
buch für 1857, Berlin 1854.
H. Resal, Traite &l&mentaire de me&canique celeste, 2° Edition. Paris 1884.
O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen. Leipzig 1888.
F. Tisserand, Trait6 de m&canique celeste I, IV. Paris 1889, 1896.
H. Poincare, Les meöthodes nouvelles de la mecanique celeste I—III. Paris
1892— 1899.
O. Backlund, Über die Bewegung einer gewissen Gruppe der kleinen Planeten.
M&m. de l’Acad. de St. Pötersbourg, VII: Ser., 38 Nr.4. St. Petersburg 1892.
1. Numerische Verhältnisse. 731
H. Gylden, Trait& analytique des orbites absolues des huit plandtes principales I.
Stockholm 1893, II. 1909.
K. Bohlin, Formeln und Tafeln zur gruppenweisen Berechnung der allge-
meinen Störungen benachbarter Planeten. Nova Acta Reg. Soc. Se. Ser. II.
Upsala 1896.
N. Herz, Artikel „Mechanik des Himmels“ in Valentiners Handwörterbuch der
Astronomie. Breslau 1898.
M. Brendel, Theorie der kleinen Planeten I—-IV. Abh. d. K. Ges. d. Wiss. zu
Göttingen. Neue Folge I, VI, VII. Berlin 1898—1911.
F. R. Moulton, An Introduction to Celestial Mechanics. New York 1902.
C. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels I, II. Leipzig 1902, 1907.
H. Poincare, Lecons de mecanique celeste I. Paris 1905.
l. Numerische Verhältnisse. Da eine strenge und allgemeine
Lösung des Problems der Planetenbewegung nicht gelungen ist, mußte
man für praktische Zwecke geeignete Annäherungsmethoden suchen.
Dabei sind gewisse rein numerische Verhältnisse im Sonnensystem
von wesentlicher Bedeutung. Es seien daher einige solche angeführt.
Nach ihrer Größe teilt man die unsere Sonne umkreisenden
Planeten in zwei Gruppen: große oder Hauptplaneten und kleine
Planeten (Asteroiden oder Planetoiden). Zurzeit sind 8 Hauptplaneten
bekannt, und zwar Merkur (3), Venus (2), Erde (&), Mars (3), Jupiter (2),
Saturn (5), Uranus (8) und Neptun (f). Die Anzahl der Entdeckungen
von Asteroiden in dem letzten Jahrhundert geht aus folgender Tafel
hervor:
Jahre Anzahl Jahre Anzahl
1801— 1807 4 1871—1875 45
1808— 1844 0 1876— 1880 62
1845— 1850 9 1881—1885 34
1851—1855 24 1886—1890 49
1856— 1860 25 1891—1895 107
1861 — 1865 23 1896— 1900 54.
1866— 1870 27
Bis zum Jahre 1912 sind zusammen etwa 750 Asteroiden ge-
funden worden. Um in einfacher Weise diese zu unterscheiden, wird
jedem nach Vorschlag von Encke außer einem Namen eine in einen
Kreis oder durch eine Parenthese eingeschlossene Nummer beigelegt,
z. B. (108) Hekuba, (153) Hilda.
Nach J. Bauschinger‘) seien hier die Logarithmen der großen
Halbachsen (a), mittlere tägliche Bewegung (n), Exzentrizitätswinkel
1) J. Bauschinger, Tafeln zur theoretischen Astronomie, Leipzig 1901. —
Veröffentl. d. Kgl. Astr. Recheninstituts Nr. 16, Berlin 1901.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 48
1732 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
(e= sin p), Neigung gegen die Ekliptik (ö) und die Masse (m) für
die Hauptplaneten und einige typische Asteroiden angeführt.?)
Epoche | log a N p i =
Merkur 1900.0 | 9.5878 |14732'.4 11052 | 7° 0 6.000000
Venus 1900.0 | 9.8598 | 5767”.7 0023 | 3024 408.000
Erde 1900.0 0.0000 | 3548”.2 0058 0° 0 329 390
Mars 1900.0 | 0.1829 | 1886”.5 5°21° |; 1°51’ 3093 500
(46) Hestia 1865.0 | 0.4025 883,7 ge2s’ | 2018’
(108) Hekuba | 1878.9 0.5063 617.4 5054 | 4094
(153) Hilda 18840 0.5965 452.2 9044 | 7958
(279) Thule 1891.1 | 0.6297 403.2 4048’ | 2028’
Jupiter 1850.0 | 0.7162 299.1 2046 119 1047.355
Saturn 1850.0 | 0.9795 120.5 30138° | 2030’ 3501.6
Uranus 1900.0 | 1.2831 42.23 2042° | 0946’ 22869
Neptun 1900.0 | 1.4781 21”.58 0°29 | 1947’ 19700
Die Bahnen der Asteroiden liegen zwischen Mars und Jupiter. Aus-
nahmen sind (433) Eros, dessen Bahn teilweise innerhalb der Mars-
bahn liegt, und die vier Asteroiden der sog. Jupitergruppe, deren
Bahnen nahe dieselbe große Achse haben wie die Jupiterbahn. Die
Bahnen der großen Planeten haben, Merkur ausgenommen, kleine
Exzentrizitäten und Neigungen. Dagegen kommen bei den Asteroiden
Exzentrizitäten bis 0.4 und Neigungen bis 35° vor.
Die Massen der Asteroiden sind sehr klein. Nach Bauschinger')
dürfte die Summe der Massen aller Asteroiden nicht mehr als 35500000
der Sonnenmasse betragen, und von dieser Gesamtsumme kommt die
Hälfte auf Vesta und Ceres allein. Die Einwirkung eines Asteroiden
auf die übrigen Planeten ist daher unmerklich. Nur wenn zwei
Asteroiden einander sehr nahe kommen, ist eine merkbare Einwirkung
möglich. Unter den vielen Untersuchungen über die kleinsten Ab-
stände (Proximitäten) zwischen den Asteroiden sei nur diejenige von
A. Galle?) angeführt, welcher Abstände bis zu ;.,; der großen Halb-
achse der Erdbahn herab findet.
2) Vollständige Elementenverzeichnisse werden im Berliner Astronomischen
Jahrbuch publiziert. Die Elemente der Planeten in Bezug auf die unveränder-
liche Ebene finden sich bei A. A. Psilander, Öfversigt af K. Sv. Vet. Akad. För-
handl. 1900, Nr. 8, Stockholm 1901 = Meddelanden frän Lunds astr. observa-
torium Nr. 16, abgedruckt in ©. V. L. Charlier, Die Mechanik des Himmels, Tafel I
und III, Leipzig 1902.
3) A. Galle, Zur Berechnung der Proximitäten von Asteroidenbahnen. Diss.
Breslau 1883,
2. Die Differentialgleichungen der Bewegung. 133
2. Die Differentialgleichungen der Bewegung. Um die Be-
stimmung der Bewegung eines von Satelliten umkreisten Planeten zu
vereinfachen, zerlegt man sie in die folgenden drei:
a) die Bewegung des Schwerpunkts @ des von dem Planeten und
seinen Satelliten gebildeten Systems P;
b) die Bewegung des Schwerpunkts des Planeten um G, und
c) die Bewegung des Planeten um seinen Schwerpunkt.
Diese Bewegungen sind im allgemeinen nicht ganz unabhängig.
Wie die Verhältnisse im Sonnensystem sind, hat jedoch die letzt-
genannte Bewegung keine merkbare und die unter b) genannte nur
ausnahmsweise eine zu berücksichtigende Einwirkung auf die erst-
genannte Bewegung. Sobald die Bewegungen der Satelliten um ihren
Hauptplaneten durch die Mondtheorien bekannt sind, folgt die unter
b) genannte Bewegung aus der bekannten linearen Gleichung zwischen
den Koordinaten des Planeten, der Satelliten und des Schwerpunktes @.
(Vgl. Jung IV 2, 2.) Die eigentliche Aufgabe der Planetentheorien ist
die unter a) genannte Bewegung zu bestimmen.
Seien x, y, 2 die rechtwinkligen auf im Raume feste Achsen be-
zogenen Koordinaten des Schwerpunkts @ eines Planeten. Nach dem
sogenannten Schwerpunktssatz*) sind dann die Bewegungsgleichungen
d?x
d? y d?
(1) mas — X, mM =Y, m Z,
a. as ;
wo £ die Zeit, X, Y, Z die Summe der x-, bzw. y- und z-Kompo-
nenten aller auf den Planeten und seine Satelliten wirkenden äußeren
Kräfte und m die Summe der Massen des Planeten und seiner Satelliten
bezeichnen. Die Gleichungen (1) gelten auch für die Bewegung des
Schwerpunkts der Sonne.
Unter den äußeren Kräften sind zunächst die nach dem Newton-
schen Gesetz wirkenden Anziehungen der bekannten Himmelskörper
unseres Sonnensystems zu berücksichtigen. Würden die Himmels-
körper aus homogenen konzentrischen sphärischen Schalen gebildet
sein, so dürfte man vollkommen streng bei der Berechnung der Kraft-
komponenten annehmen, daß ihre Massen in ihre resp. Schwerpunkte
konzentriert seien.’) Da die Massenverteilung in den Körpern unseres
Sonnensystems nicht viel hiervon abweicht und dazu die Entfernungen
zwischen den Planeten im Verhältnis zu ihren Dimensionen groß sind,
4) Vgl. Stäckel, IV 6, 29; P. Appell, Trait& de mecanique rationnelle II,
p-. 18 und 224, Paris 1904 und übrigens alle Lehrbücher der Mechanik.
5) Wie Laplace, Mee. cel. I, p. 143 — Oeuvres1 p. 160 zeigt, hat nur ein An-
ziehungsgesetz von der Form Ar + = diese Eigenschaft (A und B Konstanten).
48*
734 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
kann man in den Planetentheorien ohne merklichen Fehler diese An-
nahme machen. Bis auf Größen höherer Ordnung ist nämlich der
Fehler, den man bei dieser Annahme in der Berechnung der Kom-
ponenten der zwischen zwei einander anziehenden Himmelskörpern
wirkenden Kraft begeht, im Verhältnis zu dieser Kraft absolut ge-
nommen kleiner als
9 5 ne Se)
wo r die Entfernung der Schwerpunkte der Körper, oe und go’ die
größten von ihren resp. Schwerpunkten aus gerechneten Erstreckungen
der Körper bezeichnen.
Man betrachte zwei Systeme von Körpern P und P’, jedes be-
stehend aus einem Planeten und den ihn umkreisenden Satelliten.
Seien m, &-+ 2, y+ Y;, 2 + 2, die Masse und die Cartesischen Ko-
ordinaten der verschiedenen zum System P gehörigen Körper P,
(@—=1,2,3,...), wobei x, y, 2 die Koordinaten des Schwerpunktes @
des Systems bezeichnen sollen. Die entsprechenden Größen bei dem
System P’ seien @', P,,m,, a, y, 2, +2, y+9y,2+2;-
Die Summe der Komponenten der Kräfte, welche die Körper des
Systems P’ auf die Körper des Systems P ausüben, sind dann gleich
den partiellen Ableitungen nach x, y und z der Funktion
wobei
A,= Ve+s—d— u,” +W+4—-y-y’+@+3—2—2,)
die Entfernung der Körper P, und P/ bezeichnet und k die GauB-
sche Attraktionskonstante®) ist. Unter der Voraussetzung, daß die
Entfernungen zwischen den Körpern P, untereinander und zwischen
den Körpern P,' untereinander klein sind im Verhältnis zur Entfernung
6) Die Konstante % hat nach C. Fr. Gauß (Theoria motus, p. 2 = Werke
VL, p. 14) den Wert k = 0.017202099 [log k = 8.2355814414], wobei er als Zeit-
einheit den mittleren Sonnentag, als Masseneinheit die Sonnenmasse und als
Längeneinheit die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne wählte. Später,
als die Erdbewegung genauer bekannt war, hätte man wohl einen genaueren
Wert von k berechnen können. Um die mit dem Gaußschen Wert ‚von k be-
rechneten Tafeln nicht verändern zu müssen, behält man nach U. .J. J. Leverrier
(Obs. de Paris ann. 1 (1855), p. 189) für die Gaußsche Konstante den obigen
Wert bei, verändert aber die Einheit der Länge um ein Unbedeutendes. In
theoretischen Untersuchungen pflegt man die Zeiteinheit so (— 1- 58.13 244.087
mittlere Sonnentage) zu wählen, daß die Gaußsche Konstante gleich 1 ist.
2. Die Differentialgleichungen der Bewegung. 135
der Schwerpunkte @ und @':
(2) A= Va’ +YW—Y’+@— 2),
läßt sich U durch Reihenentwicklung in zwei Teile
@) ur
und
ML — + Gy, + 25)°]
He Eee 7 > us |
i j
' m Tl — x) (0. — 0,’ gg — zz. — zz.
1 3» I" > mm, | —&) (8; —&,)+ (Y : Y—-Yy)t@— 22; Zu
i $ f)
4
+ Glieder höherer Grade in ,— 2,, ;—Y,, 3 — 2;
J
0 = a, ii m #
Mm = M;, mM = mM j
ö J
zerlegen, wo
die Massen der Systeme P und P’ bezeichnen.
Im allgemeinen kann man T, vernachlässigen und U = U, setzen,
was bedeutet, daß man die Massen der Systeme in ihre resp. Schwer-
punkte konzentriert. Nach P. $. Laplace”) ist die aus U, stammende
Störung merkbar nur bei dem System Erde-Mond. In den Planeten-
theorien versteht man auch überall (wie auch stets im folgenden),
wo kein Mißverständnis zu fürchten ist, unter einem Planeten eben
den materiellen Punkt, der erhalten wird, wenn die Masse des Planeten
und diejenigen seiner eventuellen Satelliten in ihrem gemeinsamen
Schwerpunkt konzentriert gedacht werden. Die Differentialgleichungen
der Bewegung des Planeten P schreiben sich dann einfach
dz _ 8U dıy OU die U
ae gr ae äyr a Da
ist und das Summenzeichen angibt, daß jeder Planet (außer P selbst)
und die Sonne ein zu MT analoges Glied in die Funktion U ein-
führen.
Weil die Sonne als Zentralkörper eine besondere Stellung ein-
nimmt, pflegen die Astronomen öfters die Koordinaten der Planeten
in bezug auf ein Koordinatensystem, dessen Nullpunkt in den Schwer-
punkt der Sonne fällt, anzugeben. Seien jetzt m, x, %, z die Masse
7) P. 8. Laplace, M&c. cel. livre 6, chap. 4 (1802) = Oeuvres 2 p. 63.
136 VIa,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
und die Koordinaten des Planeten P in bezug auf die Sonne, deren
Masse gleich 1 angenommen wird. Die Differentialgleichungen der
relativen u sind dann
k?(1 O8
et Pt mE
d’y 1 =
(4) di? + Bam _ k*(1 + m) ar:
d’z k?(1 4 m)z
BER — B(1+m)8 r ’
wobei 2,
m (1 autyytee
2m (A |
(8) AS 1 rcos H
4m (& a er)
die sog. Störungsfunktion (eingeführt von J. L. de Lagrange?); Name
von Laplace) ist. Es bezeichnen hierbei m’, x, y', 2’ die Masse und
die Koordinaten des Planeten P’ in bezug auf die Sonne. Ferner sind
(6) r=Ve+ty+R, |
@) KVeHste,
(9) A-Vae ey FO IT HEN Vrtrt Hr usH
die Abstände der Planeten P und P’ von der Sonne und voneinander.
H ist der von r und r’ eingeschlossene Winkel. In dem angegebenen
Wert von & ist nur die Einwirkung eines Planeten berücksichtigt.
Jeder weitere einwirkende Planet fügt zu dem in Gleichung (5) ge-
gebenen & ein der rechten Seite von (5) analoges Glied hinzu. Weil
aber zunächst am besten jedes Glied von & besonders behandelt wird,
pflegt man meist wie oben nur ein Glied von 2 anzuschreiben.
Die Differentialgleichungen der Bewegung von P’ werden er-
halten, wenn man in den Gleichungen (4) und (5) die gestrichenen
und ungestrichenen Größen vertauscht. Dadurch geht 2& in
‚ m 1 r cos H
* - a a)
über. Bei der Entwicklung der Störungsfunktion pflegt man anzunehmen,
daß der Planet P’ weiter von der Sonne entfernt ist als der Planet P.
Öfters läßt man auch die konstanten Faktoren . er und ; 7 weg.
3. Die erste Annäherung. Das Zweikörperproblem. Wie schon
hervorgehoben, kann man die Bewegungsgleichungen (4) nicht streng
integrieren. Man muß bei ihrer Integration zu Annäherungen und
8) J. L. de Lagrange, Nouv. M&m. de Berlin 1777 = Oeuvres 4, p. 401.
3. Die erste Annäherung. Das Zweikörperproblem. 137
Reihenentwicklungen greifen. Um die Lösungen zu vereinfachen, hat
.man sich an die tatsächlich vorhandenen Bewegungsverhältnisse im
Planetensystem zu halten. Je genauer man die Bewegungen übersehen
kann, um so vorteilhafter wird man im allgemeinen das Integrations-
verfahren anlegen und die jedesmaligen erleichternden Bedingungen
ausnützen können. Für die Astronomen ist es ja vor allen Dingen
nötig, leicht und sicher berechenbare Ausdrücke zu erhalten.
Unter den Umständen, welche im Planetensystem die Lösung er-
leichtern, ist zunächst der zu nennen, daß die Anziehungskraft der
Sonne auf einen Planeten groß ist im Verhältnis zu der der anderen
Planeten, was von der Kleinheit der Massen und den großen Ent-
fernungen zwischen den Planeten herrührt.
Die Massen der Asteroiden sind so klein, daß ihre Einwirkung
auf die übrigen Planeten bis jetzt unmerkbar ist. Man kann daher
erst die Bewegungen der Hauptplaneten unter alleiniger Berücksich-
tigung der Anziehung der Sonne und ihrer gegenseitigen Anziehungen
bestimmen. Es zeigt sich, daß nur die einander nächsten Planeten
‚größere Einwirkungen aufeinander ausüben. Bei der Bestimmung der
Bewegung eines Asteroiden braucht man nur die Einwirkung der
Hauptplaneten zu berücksichtigen.
Die Methoden der Lösung der Differentialgleichungen der Be-
wegung sind für große und kleine Planeten wesentlich dieselben. Die
Verschiedenheiten hängen nur von dem größeren oder kleineren Um-
fang der einzelnen Teile der Formeln ab.
In der ersten Annäherung vernachlässigt man die gegenseitigen
Anziehungen der Planeten. Dies wird erreicht, wenn man rechts iu
den Differentialgleichungen die Massen und also & gleich Null setzt,
wodurch die Bewegungsgleichungen eines Planeten in dem solcher-
weise ‚entstehenden Zweikörperproblem die folgenden werden:
(d?x kri-tme N
di? TR rd;
d? k?(1
(9) a an
#2 |, KiÜtm: _o
\dt? r® '
Diese Gleichungen bestimmen x, y und z als Funktionen von # und
sechs Integrationskonstanten, wobei es sich zeigt, daß die Bewegung
des Planeten nach den Keplerschen Gesetzen vor sich geht. Wählt
man als Integrationskonstanten die Keplerschen Elemente: @ die große
Halbachse, e die Exzentrizität, © die Neigung der Bahn gegen die
Ekliptik, 8 die Knotenlänge, x den Abstand zwischen Perihel und
138 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Knoten (oder anstatt x die Perihelläinge 9 =x+ 8), & die mittlere
Länge zur Epoche (t=0), so sind die Koordinaten durch die Formeln
(10) Ban De
(11) M=nt+s—-9=1—9,
(12) M=E-—esinE,
(13) tg > v -y:+ tg = E,
6, 2
(14) r=a(l—ecosE)= nn ;
(15) u=-vtra=ı +9 — 8,
in —= r[eos(u+ 2) + sin u sin (1 — cos )],
(16) y=r|sin (u+ 8) — sin u sin Q(1— cos;)],
58%; sin u sin ö
zu berechnen. Vgl. den Artikel VI2, 9, Nr. 1—3 (Herglotz).
4. Die Störungen. Die bei der ersten Annäherung erhaltene
Keplersche Bewegung stellt nur für kurze Zeiten die Beobachtungen
dar. Der Einfluß der vernachlässigten rechten Seiten der Gleichungen (4)
macht sich im Laufe der Zeit geltend durch Abweichungen (Störungen
genannt) von der sonst stattfindenden Keplerschen Bewegung, welche
daher ungestörte Bewegung genannt wird. Die tatsächlich statt-
findende Bewegung heißt gestörte Bewegung. Der Planet, dessen Be-
wegung man untersucht, heißt gestört, während die übrigen Planeten
als störende bezeichnet werden. Diese Bezeichnungen sind in den
klassischen Planetentheorien, wie sie z. B. von Laplace, Leverrier, Hansen
entwickelt sind, durchgängig. Je nachdem man die Abweichungen in
den Elementen oder in den Koordinaten betrachtet, spricht man von
Elementenstörungen oder Koordinatenstörungen. In bezug auf die
Prinzipien, auf welche die Lösungsmethoden der Bewegungsgleichungen
gegründet sind, sei auf den Artikel von Whittaker (Vl2, 12, Nr. 9—11)
verwiesen.
I. Die Methode der Variation der Konstanten.
5. Anwendungsweise der Methode in der Störungstheorie. Es
seien für einen Planeten die Gleichungen (4) und für die. übrigen
n — 1 Planeten ganz analoge Gleichungen zu integrieren. Alle diese
Gleichungen können durch das System der Gleichungen
d , du . :
(17) Be Z+B= Q,; (=1,2,3,..., 39%),
6. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. 739
ersetzt werden, wo jedes Glied von @Q, eine der Massen der störenden
Körper als Faktor hat und die Funktionen P, im allgemeinen so ge-
wählt werden, daß die Lösungen der Gleichungen
Ana 1 2 ;
Then re —=1,2,3,..,3n),
welche die erste Annäherung geben, leicht und einfach erhalten werden
können. Seien c, Integrationskonstanten und
Ä i=1,2,...,3n
(18) fl, c), =, 6), . 1,2... =
diese Lösungen. Nach den Prinzipien der genannten Methode fordert
man, daß die Lösung der Gleichungen (17) durch die Formeln (18)
gegeben ist, muß dann aber die Größen c, nicht mehr als Konstanten,
sondern als mit t veränderliche Größen ansehen. Die Bedingungs-
gleichungen, welche die c, zu erfüllen haben, sind dann
of, de, of; de, .
ufe ; =Q, (=1,2,..,3n),
LE Dia de, di
v v
aus welchen man ein Gleichungssystem der Form
d
Zn ==:F'(t, c,), (v=1,2,...83n)
ableitet (vgl. Vessiot, IIA, 4b, Nr. 22). Je nach der Wahl der ver-
änderlichen Konstanten erhält man spezielle Fälle dieser Methode.
6. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. Diffe-
rentialgleichungen. Untersuchungen über die Veränderungen der Ele-
mente durch Störungen findet man schon bei L. Euler’), aber die
wirkliche Grundlegung dieser Methode verdankt man J. L. de Lagrange'”).
Unter den vielfachen Anwendungen dieser Methode seien als Stellen,
die vor allem die Anlage der praktischen Rechnung unter verschiedenen
Umständen wiedergeben, genannt: die Theorien der großen Planeten
von U.J.J. Leverrier‘"), die Neptunstheorie von S. Newcomb'?), die
Pallastheorie von C©. Fr. Gauß'?), die Vestatheorie von J. Perrotin '*).
9) L. Euler, Recueil des pieces qui ont remporte les prix de l’Acad. des
Sciences (Paris) VI, Nr. 6 (1749), VII, Nr. 2 (1752) und VIII (1756 gedruckt 1771),
Berl. hist. M&m. (1749), Petersb. Commentarii (1747/8). Die Formeln von: Euler
sind indessen nicht alle richtig.
10) J. L. de Lagrange, Turin mel. III (1766) = Oeuvres I (1867), p. 471.
Paris m&m. pres. 10 (1785) = Oeuvres 6, p. 403 und vor allem in Paris Inst.
(math.) mem. (9) 1 (1808) = Oeuvres 6, p. 713.
11) U.J.J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 1, 2, 4, 5, 6, 10—12, 13, 14
(1865 — 1877).
12) 8. Newcomb, Smiths. contr. 15 (1867).
740 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Die Gleichungen (10)—(16) geben in der ungestörten Bewegung
%, y und 2 als Funktionen der Zeit und der elliptischen Elemente a,
e, &, ©, & und ©. Nach den in voriger Nummer dargestellten Prin-
zipien der Lagrangeschen Methode sind die Ableitungen der Elemente
nach der Zeit aus den folgenden Gleichungen zu bestimmen:
Oxda , öxde oadi
adtraatrt Tan
öy da , Oyde ‚9yW__
RETTET ums
02 da 02 de 02 di
ren
0x da 0°x de 0x di 08
a teaatetaaand +m) 7
0°y da 0°y de 9y di r 08%
at ratrtt rhrn
0°z da 0°z de 022 di j OR.
Ya trarat tan Plrm,
Um zu vermeiden, daß i explizite als Faktor von gewissen Gliedern in
den Ableitungen auftritt, ersetzt man nt in der Gleichung (11) durch
(19) oe—=/ndi,
so daß M und / durch die Gleichungen
. (20) M=/nd+e—9, I=o+:
zu berechnen sind und M oder ! nicht bei Bildung der Ableitungen
nach «a als veränderlich betrachtet werden.
Unter Anwendung der Gleichungen (10)—(16) gewinnt man aus
den obigen Gleichungen durch eine ziemlich verwickelte Elimination ')
die Formeln
da. _ 2,08%
as [= ana a};
wi) de ___ 940208 +4 area , naeyi—e? 08
Fa EREE Wenger WRITER ram SE TE
18) 0. Fr. Gauß, Werke 7, Nachlaß p. 489—577 (1906). Bei @. Struve, Die
Darstellung der Pallasbahn durch die Gaußsche Theorie für den Zeitraum 1803
bis 1903. Diss. Berlin (1911) findet man interessante Tafeln über die Abweichungen
zwischen Theorie und Beobachtung.
14) J. Perrotin, Obs. de Toulouse 1 (1880).
15) Bezüglich der geeignetsten Methoden, diese oder entsprechende Diffe-
zentialgleichungen abzuleiten, sei auf die Lehrbücher der Himmelsmechanik ver-
wiesen.
6. Die Methode der Variation der elliptischen Elemente. 741
de _ nayı—e: 88 naeyi—e? 98
a kei, ,oB. 1,
dö nayı —e: 52
rer,
dan er et oR
ad Vie sin: a’
23
( ) an. mat 22 natg BE FE 08)
ae Vie! sini 202 »5 NM-e Data 91 9%)’
in welchen er Em und die an enthaltenden Glieder mittels der
E. .--98° dt
ersten Gleichung 0) eliminiert werden könnten, so daß die rechten
Seiten dieser Gleichungen nur von den Elementen und den partiellen
. Ableitungen der Störungsfunktion nach den Elementen abhängig
werden. Diese Möglichkeit wurde gleichzeitig von Lagrange'?) und
P.S. Laplace‘‘) gefunden. Die veränderlichen Elemente nennt man
auch oskulierende, weil die durch sie bestimmte Bahn und Bewegung
sich für jeden Augenblick der wirklichen Bahn und Bewegung mög-
lichst anschmiegen und für dieselbe sowohl den Ort als die Ge-
schwindigkeit des Planeten richtig angeben.
Man könnte auch Elemente durch andere Bedingungen zu definie-
ren suchen, um anderen Verhältnissen als den wesentlich formalistischen
der Lagrangeschen Methode Rechnung zu tragen. Solch ein Vorschlag
ist auch von M. Brendel'?) gemacht worden.
Wenn i klein ist, wird das erste Glied der rechten Seite von
(23) groß und diese Gleichungen selbst unzweckmäßig zur Bestimmung
von ö und 2. Lagrange'?) vermeidet diesen Übelstand, indem er statt
i und SR die Elemente
(24) p=tgising, qmtgico‘
‚einführt.
Bei den Gleichungen (22) tritt derselbe Übelstand ein, wenn e
klein wird. Man vermeidet ihn gleicherweise durch Einführung der
Elemente
(25) g=ecos@, h=esin®.
Die Differentialgleicehungen zur Bestimmung von g, h, p und q sind:
16) J. L. de Lagrange, Paris Inst. (math.) m&m. 9, Nr. 1 (1808) = Oeuvres 6,
p- 713.
17) P.S. Laplace, Suppl. au M&c. cel. = Oeuvres 8 p. 325—348.
18) M. Brendel, Astr. Nachr. 187 (1911) p. 97; Göttingen, Ges. Wiss. Neue
Folge (8) 1 (1911) p. 89—98.
19) J. L.de Lagrange, Paris hist. (2) mm. (1774) = Oeuvres 6, p. 635.
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u Vi e:costi 09 2yi—et cosieost Eat a)
en 1,
u: na “oo naq —(& ER =):
v Vie: cossi 0P ayi et cos icon : oa ol
7. Fortsetzung. Die rechten Seiten der Gleichungen (4) sind
den &-, y- und <-Komponenten der störenden Kraft gleich. Wenn
diese sich nicht als partielle Ableıtungen einer Funktion ausdrücken
lassen, wie das z. B. bei verschiedenen Widerstandskräften eintritt,
ist es nötig, die Ableitungen der Elemente unmittelbar durch die
Komponenten der störenden Kraft auszudrücken. Zwei verschiedene
Komponentensysteme kommen in praxi vor: Die Komponenten R, $,
W parallel zur Verlängerung des Radiusvektors, zur Senkrechten auf.
dem Radiusvektor in der Bahnebene (positiv nach der Seite wachsender
Längen gezählt) und zur Normalen auf der Bahnebene (positiv nach
Norden). Andrerseits die Komponenten 7, N und W; T parallel zur
Tangente an die Bahn (positiv in Richtung der Bewegung), N parallel
zur Normale auf die Tangente in der Bahnebene (positiv nach der
Seite der Sonne), W wie oben.
Die Differentialgleichungen der Elemente werden:
ni ut re
en Be ae nn
Es - Po [R sin» + S(cosv + cos E)],
( ao _ = mr en] +
zn Perg: — —W vo +5 —8),
Tee Sr ae
8. Integration. 743
(da _ 2e@a—n)
og er ’
de _ Be esin v Er ) EN da
Ber 57 1-+ecosv 1tVi—e di
RE a
29) | +2y1— esin re
Ge here
dt c ac
da 2sinv 1 r 008 © gi dN
wen ec T+-2+ )N + sin 2 dt’
wo abkürzend ;
——ı/3 1
e=kVl+mV—-
gesetzt worden ist. Sie sind sogar einfacher direkt abzuleiten, als die
Gleichungen (21), (22) und (23), und werden besonders wichtig, wenn
man sich über die Einwirkung irgendeiner Kraft auf die Elemente
orientieren will.
8. Integration. Um die Gleichungen (21)—(23) zu integrieren,
entwickelt man im allgemeinen die Elemente nach Potenzen der
störenden Massen und bestimmt durch aufeinanderfolgende Annähe-
rungen die Glieder erster, zweiter, ... Ordnung. Die Ordnung eines
Gliedes ist gleich der Anzahl der in ihm enthaltenen Massenfaktoren.
Dagegen nennt man Grad eines Gliedes die Anzahl der eingehenden
Faktoren von Exzentrizitäten und Neigungen, wenn nach Potenzen
dieser Größen entwickelt wird.
Es bezeichne n, ein Element oder eine Funktion nur von Ele-
menten und absoluten Konstanten. Nach Potenzen der störenden
Massen entwickelt sei
(80) Det tren Tr =n Tr 9m,
wo n von nullter und d,n von v** Ordnung ist. Um die Integration
analytisch ausführen zu können, muß man 2 zweckmäßig entwickeln.
Der Störungsfunktion kann man die Form (vgl. v. Zeipel, VI, 13)
(31) 2—= DIN cosD
geben, wo
(32) D=-3U+3M+0=-jI+5T+ 0
ist und die Größen N, C und C’ nur von den Elementen der Planeten
abhängig sind (j und 5 ganze Zahlen). Entwickelt man nach Po-
tenzen der ön, so wird
(83) L=HFIRALFHLH:
wo 2, erster, 6,2 (v + 1)" Ordnung ist.
144 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Weil & erster Ordnung ist, folgt aus den Gleichungen (21)—(23),
daß die Teile nullter Ordnung der Elemente Konstante sind, welche
auch als Integrationskonstante betrachtet werden können. 2, wird aus
2 erhalten, wenn man allen Elementen diese konstanten Werte gibt.
Dann folgt, daß
M=nt
(24) ne
M=nt-+ec,
wird, und 2, nimmt die Form an
(35) = ZDN,,wsD, (D=jnt+jnt+?),
woc,c,&, N,, standen sind.
Die rechten Seiten der Gleiehungen (21)—(23) haben dieselbe
Form wie 2,, wenn nur Glieder erster Ordnung berücksichtigt werden.
Durch Integration jedes Gliedes unter Anwendung der Formel
sin. D,
(36) fs Dat = 5,
werden die Störungen erster Ordnung der Elemente in der Form
N,;
(37) 6,n=N er 5 cin D,
erhalten. Um M zu erhalten, hat man noch die Integration der Glei-
chung (19) oder nach (10) der Gleichung
d? 08
(38) 7 Was
auszuführen. Die rechte Seite dieser Gleichung und diejenige der
ersten Gleichung (21) enthalten selbstverständlich nur in / und also
in ? periodische Glieder. Daraus folgt das Theorem von Laplace, daß
ö,a kein mit £ und o kein mit £? proportionales Glied enthalten kann.
o hat daher die Form
D ER : RER .
Hierbei ist vorausgesetzt daß keiner der Integrationsdivisoren jn + Jr’
gleich Null ist.
Werden in den Differentialgleichungen der Elemente die eben
erhaltenen in erster Ordnung genauen Werte der Elemente eingeführt
und nach Potenzen der d,n entwickelt, so erhält man zur Bestimmung
der Glieder zweiter Ordnung Gleichungen der Form
ABM N+ IN, 08 D)+t IN, sin D,,
woraus unter eine der Formel (36) und
40 ; u IRA, 000 D,
(40) Soon Dat u + rw
9. Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation. 745
für die d,n die Form folgt
ns m. 2
dn=Nt+ 2 zw sin DD + RE rue 608 Ds
N, ?
- De sın ‚Di.
Mittels der Glieder zweiter Ordnung erhält man in analoger Weise
die Glieder dritter Ordnung der Elemente. Bei den aufeinander-
folgenden Annäherungen hat man nur Integrale der Form
fe eos (vt + c) dt
auszuführen, was mittels der Formel
. 7
m sin (vt+h+p 7)
(a1) fir oo wt + at= 5"; . im-p
p=0
oder, falls v» —= 0, mittels der Formel
a gm+1
geschieht.
Man bestimmt so nach und nach die Glieder der aufeinander-
folgenden Ordnungen, was also einfach und schematisch vor sich
geht?®). Die Anzahl der Glieder von gegebenem Grade wächst jedoch
ungeheuer schnell und würde die ganze Methode praktisch unbrauch-
bar machen, wenn man höhere Ordnungen als die zweite ganz mit-
nehmen müßte. Zufolge der Kleinheit der Massen ist die Konvergenz
jedoch oft hinreichend, um die Methode anwenden zu können.
9. Verschiedene Arten von Gliedern und deren Klassifikation.
Nach dem Obigen überblickt man leicht, daß die Darstellung der
Elemente bei fortgesetzter Annäherung von der Form
D'Ntr cos D
wird, wo die Argumente D von der Form
SM+ SM HU + Han)
sind (die j ganze Zahlen; die M mittlere Anomalien der verschiedenen
Planeten).
Die Glieder, bei denen p = 0), sind periodisch und werden nach
der Größe von v in langperiodische und kurzperiodische Glieder geteilt.
20) Eingehende ausführliche Formeln zur Berechnung der Glieder zweiter
Ordnung sind von U. J.J. Leverrier [Obs. de Paris mem. 2 (1856), p. 43—57 und
10 (1874), p. 192ff.] gegeben. Die Glieder dritter Ordnung behandelt M. A. Gaillot
[Paris Bull. Astr. 5 (1888), p. 329—344, 377—384].
746 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Langperiodisch ist ein Glied, wenn » klein ist im Verhältnis zur
mittleren Bewegung des gestörten Planeten. Ein langperiodisches
Glied in der Störungsfunktion (eigentlich in den Ableitungen der Ele-
mente nach der Zeit) wird durch die Integration vergrößert in die
Elemente übergehen. Infolgedessen sind die langperiodischen Glieder
sehr wichtig, vor allem, wenn » sehr klein ist.
Ein Glied, für welches p >1, nennt man säkular. Ist speziell
v = (), so wird es nach Poincare rein säkular genannt, sonst aber ge-
mischt säkular (seculaire mixte). Das einzelne rein säkulare Glied wird
mit der Zeit unendlich groß. Das gemischt säkulare Glied schwankt,
wenn £ wächst, zwischen immer größeren Grenzen. Die säkularen
Glieder sind daher besonders für große Werte von # zu berücksichtigen.
Die Größe eines Gliedes in den Störungsausdrücken ist wesent-
lich abhängig von seinem Grad, seiner Ordnung (s), dem Exponenten
(p) von t und der Anzahl (g) seiner kleinen Integrationsdivisoren.
H. Poincarc?‘) bezeichnet als „Rang“ eines Gliedes die Zahl
SUR
und als „Klasse“ eines Gliedes die Zahl
2a ARE) CU
ns 2
Über die Bedeutung eines Gliedes geben sein Grad, seine Ordnung,
sein Rang und seine Klasse einen gewissen genäherten Aufschluß. Je
größer der Grad, die Ordnung oder die Klasse eines Gliedes ist, um
so kleiner ist es.
Die relative Bedeutung der Ordnung, der Klasse und des Ranges
hängt von der Länge der Zeit ab, für welche man die Bewegung dar-
stellen will. Wenn man die Bewegung für kürzere Zeiten betrachtet,
sind die Glieder der niedrigsten (1') Ordnung die wichtigsten. Wünscht
man eine Darstellung für ziemlich lange (mit den Perioden der lang-
periodischen Glieder vergleichbare) Zeiten, so sind die Glieder niedrig-
ster Klasse die wichtigsten, Für sehr lange Zeiten schließlich treten
die Glieder niedrigsten Ranges in den Vordergrund.
Aus den von H. Poincare??) für kanonische Elemente bewiesenen
Sätzen über das Vorkommen von Gliedern eines gewissen Ranges und
gewisser Klassen folgert man die Sätze:
1. Es gibt keine Glieder, deren Klasse negativ wäre; die kon-
stanten Teile ausgenommen jet die Klasse aller Glieder in den Ent-
21) H. Poincare, Legons de m&e. cel. I, p. 129, Paris 1905.
22) H. Poincare, ibid. p. 131, 341.
10. Säkulare Störungen. 747
wicklungen der Elemente a, 9, h,p,q (in den Gleichungen (26) und
(27)) immer >4.
2. In den Entwicklungen der Elemente g, h,p,g, und o (das
Glied »4 ausgenommen) ist der Rang aller Glieder > 0.
3. Der Rang der periodischen und derjenige der gemischt säku-
laren Glieder ist >1.
4. Das konstante Glied ausgenommen ist in der Entwicklung von
a der Rang aller Glieder > 1.
Der letztgenannte Satz ist eine Verallgemeinerung des Satzes von
Lagrange über die Invariabilität der großen Halbachsen (siehe Whittaker
VIa, 12, Nr. 13). Der folgende von H. Poincare?”’) bewiesene Satz
gibt unmittelbar eine Verallgemeinerung des Poissonschen Satzes:
In der Entwicklung von @ gibt es keine rein säkularen Glieder
vom Range 1. |
Zu bemerken ist auch, daß o keine rein säkularen Glieder des
Ranges Null hat.
10. Säkulare Störungen. Die säkularen Störungen, deren Rang
>1 ist, sind unbedeutend im Verhältnis zu denen des Ranges Null.
Da in a keine Störungen des Ranges Null vorkommen und alle Glieder
des Ranges Null rein säkular sind, werden die Differentialgleichungen
zur Bestimmung der Glieder des Ranges Null erhalten, wenn man in
den Formeln (21), (26) und (27) in der Störungsfunktion & alle in
e und @’ periodischen Glieder wegläßt. Sei & der solcherweise er-
haltene sogenannte säkulare Teil der Störungsfunktion, d. h. die Summe
aller nichtperiodischen Glieder von 2. Da 2 von & und < unabhängig
ist, können die säkularen Glieder vom Rang Null in den Elementen
e,©,i und & oder g, h, p und q getrennt von solchen Gliedern in &
und &’ bestimmt werden. Nachdem man die genannten Glieder in den
9,h,P, 4,9, h', p' und q’ bestimmt hat, werden die Glieder in & durch
eine einfache Quadratur erhalten.
Auch die rein säkularen Störungen können nur durch Annähe-
rungen erhalten werden, und zwar wird dabei öfters die in 8 dar-
gestellte Methode, die Glieder der sukzessiven Ordnungen zu bestimmen,
angewandt.
Wir wollen für die rein säkularen Teile der Elemente die-
selben Bezeichungen anwenden, wie für die Elemente selbst. Zur Be-
stimmung der säkularen Glieder erster Ordnung erhält man die Dif-
ferentialgleichungen aus den Gleichungen (21), (26) und (27), wenn
man in diesen überall & durch 2 ersetzt und in den rechten Seiten
23) H. Poincare, ibid. p. 307.
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 49
748 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
allen Elementen konstante Werte gibt. Wenn die Elemente g, h, p,
9, 9,..-. klein sind, kann 2 und also 2, welches übrigens nur
Glieder geraden Grades enthält, nach Potenzen dieser Größen ent-
wickelt werden, und man kann die rechten Seiten der genannten
säkularen Gleichungen ohne andere Schwierigkeit als die Länge der
Rechnung numerisch finden. Aus den so erhaltenen Gleichungen der
Form
dn _
a=#B
gewinnt man unmittelbar das Glied erster Ordnung
n—= Ht.
In dieser Weise hat D.J. J. Leverrier*) die säkularen Änderungen
der Elemente der Hauptplaneten berechnet. Wenn die Konvergenz
der Entwicklung von & schwach ist, oder wenn man die säkularen
Störungen erster Ordnung genauer berechnen will, wendet man die von
©. F. Gauß”°) gegebene Methode zur Berechnung der rechten Seiten
der Differentialgleichungen der Störungen an. Geht man von den
Gleichungen (28) oder (29) aus anstatt von den Gleichungen (21),
(22) und (23), so findet man, daß die Ableitungen nach ? der säku-
laren reg erster ne in der Form
5 0 95
FF at dMdM’
erhalten wärdche wo A, B, © die rechtwinkligen Koordinaten des ge-
störten Körpers und U, V, W unabhängig von der mittleren Anomalie
M' ist. Bezüglich der Berechnung sei auf den Artikel von v. Zeipel
(VIe, 13, Nr. 54) verwiesen.
11. Angenäherte Berechnung der säkularen Werte der Elemente.
In dem Falle, daß die Exzentrizitäten und Neigungen klein sind, kann
man sich auf die Berücksichtigung der Glieder erster Ordnung und
ersten Grades in den Differentialgleichungen der säkularen Störungen
beschränken. Indem die g, h, p und q für die n verschiedenen Planeten
durch untere Indizes kenntlich gemacht werden, erhält man zur Be-
stimmung der genannten Größen die folgenden linearen Gleichungen
24) U.J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann., m&m. 2 (1856), p. 87—105 und
II 1 (1876). Unter Berücksichtigung nur der Glieder ersten Grades berechnete P. 8.
Laplace (Mee. c&l. III, Ch. VII) die säkularen Änderungen der Elemente der sieben
innersten Planeten.
25) ©. F.Gauß, Gott. comm. rec. 4 (1818) = Werke 3, p. 3831—855.
11. Angenäherte Berechnung der säkularen Werte der Elemente. 749
= 26 zer
(43) in inf 54 m +3 » ne vvV=1,2,..,n),
(9 Sau Bea (v, v') .. (m, v)g,,
(44) q a, N Se „ u De We l,2,.,.,n),
wo die Größen (v, v’) und [v, v’] nur von den Massen und den großen
Halbachsen der Planeten P, und P,, abhängen und also als Konstanten
betrachtet werden können. Der Strich bei dem Z-Zeichen gibt an,
daß bei der Summation v’ nicht gleich » werden darf. Die Bestimmung
der Größen g, und A, ist also bei dieser Annäherung von der der
Größen p, und g, unabhängig.
Die linearen Gleichungen (43) können streng integriert werden.
Ihre Lösungen sind bekanntlich von der Form (siehe Vessiot, IIA, 4b,
Nr. 28):
[
9, — 2, N,9 eos (6,1+7,),
(45) x («—1,2,..,n)
h,— DN,® sin (6,6+7,); un.
\
wo die Verhältnisse der Konstanten N,(® durch die » Gleichungen
(A, 9,)N,9+ A,aN, nn A,,5N3” 3. Fr AN? —(,
A,, ıN9+(4,, A Ar, N, K ‘Wr Aa, ms Ü—0,
I A A a ct A,
A, +A, Nor. a IRRE N, 0,
(4.= I (ur), A,=—b,v))
bestimmt werden, sobald die Größen 6, erhalten sind, welche die
Wurzeln der „Saeeulardeterminante“
A, G, A, 4,3 2° 3 A,
A, As — 6, Ay3, ECRGE, As
(7) Ay da Aus Be 6, e 4; ER
A ir are
N,17 n,n
49*
750 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
bilden. Die Koeffizienten A,, haben solche Werte, daß die Deter-
minante in eine symmetrische Determinante derselben Form übergeht,
z 1
wenn man die v* Zeile mit a,Ym,n, und die »’' Kolonne mit
San;
multipliziert. Man kann daher, ohne die Wurzeln 5 zu verändern, die
A,, in (46) und (47) durch die Gleichungen
= Va N,
4,v RT Mn, v,
definieren und hat dann
A, = Ay:
Die 4, „ sind reelle Größen, weil in unserem Planetensystem alle
Planeten in demselben Sinne sich um die Sonne bewegen (n, > 0).
Die n Wurzeln der Gleichung (47) sind alle reell, was P. S. Laplace?®)
unter Anwendung des aus den Gleichungen (43) abzuleitenden Inte-
grales
(48) D/m,Vi+ m,Va,g,’+h,%)
-) m,V1l-+ m,Va,e, = Konstans
zuerst allgemein bewies. Dagegen ist der von Laplace (a. a. O.) ge-
gebene Beweis, daß nicht mehrere Wurzeln 6, gleich sein können,
unrichtig. Daß gleiche Wurzeln nicht möglich sind, findet man im
Falle n = 2 unmittelbar. Im Falle » = 3 ist dies von H. v. Seeliger ?”)
bewiesen. ©. V. L. Charlier?'*) untersucht, wie die säkularen Störungen
sich ausdrücken lassen, wenn zwei Wurzeln gleich sind. Aus der
Gleichung (48) folgert Laplace auch, daß die Exzentrizitäten immer
klein bleiben. Wie Lagrange bemerkte, ist das indessen nicht stich-
haltig, wenn eine Masse m, klein ist, weil dann das zugehörige e,
groß werden kann. Übrigens ist ja die Gleichung (48) nur bis auf
Glieder vierten Grades richtig.
Die Auflösung der Gleichung (47) und die Berechnung der Ver-
hältnisse der N, aus den Gleichungen (46) für das System der
Hauptplaneten ist sehr weitläufig. J. L. de Lagrange ®) gab die Lösung
26) P. 8. Laplace, Paris hist. (2) m&m. (1784) —= Oeuvres 11, p. 88—92.
Siehe weiter A. Cauchy, Exercices de Math. IV (1829), p. 140; O. Jacobi, J. f. Math.
12 (1834); J. A. Grunert, Arch. d. Math. 29 (1857), p. 442; Sourander, J. de Math. 3,
Ser. 5 (1879), p. 195—209.
27) H.v. Seeliger, Astr. Nachr. 93 (1878), p. 358—364.
27°) ©. V.L. Charlier, Öfversigt of K. Vet. Soc. Förh. Nr. 97, Stockholm
1900 = Meddelanden fr. Lunds Obs. Nr. 15.
28) J. L. de Lagrange, Berl. M&m. de l’Akad. 1782 = Oeuvres 5, p. 211—344.
12. Fortsetzung. 151
für die damals bekannten Hauptplaneten. M. @. Pontecoulant?”) und
U. J. J. Leverrier®) führten die Rechnung für die sieben innersten
Planeten durch. Nach der Entdeckung des Neptun haben U. J. J.
Leverrier®‘), J. M. Stockwell®?) und P. Harzer®?) die Rechnungen für
alle acht Hauptplaneten ausgeführt.
Bei den Hauptplaneten wird die Auflösung der Gleichung (47)
dadurch vereinfacht, daß das System der vier inneren und das System
der vier äußeren Planeten aufeinander nur eine geringe Einwirkung
haben und die Gleichungen (46) dementsprechend in zwei fast unab-
hängige Systeme von je vier Gleichungen zerfallen. Ebenso zerfällt
die Gleichung (47) in zwei fast unabhängige Gleichungen. Wie
man die numerische Berechnung der Wurzeln von (47) durch all-
mähliche Vereinfachung dieser Gleichung bewerkstelligt in der Weise,
daß in der Determinante der linken Seite die Elemente außerhalb der
Diagonale nach und nach verkleinert werden, hat ©. @. J. Jacobi)
gezeigt.
Um die Größe der Wurzeln beurteilen zu können, seien hier die
Werte, welche J: M. Stockwell?”, bei den Hauptplaneten gefunden hat,
angeführt. Sie lauten: |
6 = 5”.463802, 6,— 0”.6166849,
= 172484279, = 2’.1276592,
6, = 17”.0143734, 6,= 3”.7166075,
6, — 17”.7844562, 6, = 22”.4608479,
wobei als Zeiteinheit das Julianische Jahr genommen ist. Stockwell
gibt auch Formeln, um Änderungen in den angenommenen Massen-
werten berücksichtigen zu können.
12. Fortsetzung. Die Werte von g, und h, werden für eine be-
stimmte Zeit aus den Beobachtungen entnommen. Nachdem die Ver-
hältnisse zwischen den Größen N,® und N,® aus den Gleichungen
(46) berechnet sind, erhält man die Konstanten y, und die N,@) aus
den Formeln
29) M.@. Pontecoulant, Theor. Anal. du Syst. du Mond, Bd. 3 (1834). Seine
Werte sind jedoch mit zu wenig Dezimalen gerechnet.
830) U.J. J. Leverrier, J. de Math. 5, p. 220ff. = Conn. des temps pour 1843.
831) U.J.J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 2. p. 105—170.
32) J. N. Stockwell, Smiths. contr. 18, Washington 1870.
33) P. Harzer, Preisschriften der Fürst. Jablonowsk. Ges., Leipzig 1895. In
dieser Arbeit bedient er sich der sog. kanonischen Elemente anstatt elliptischer.
34) 0.G.J. Jacobi, J. f. Math. 30 (1846), p. 51—94 = Werke 7, p. 97.
752 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
m,h, N)
Lo na, N
N,® sin (6,t+y7)= —
m, N) x!
a
m,g, N,”
2 n,a, N
N,® cos (9,8 En Y.) u ig ve zo
Sea)
Um zu sehen, wie sich die Perihellänge ©, des Planeten P, ver-
ändert, bildet man aus den Gleichungen (25) und (45) die Relation
DIN sin (6, — SE +10 — Ya)
a"
N DIN 608 (6,— 6,)t + Ya — 70)
tg (©, Dr 5,8 PR Ya)
Wenn der Nenner der rechten Seite nicht Null werden kann, folgt,
daB ©,— 6,t— y, von seinem Mittelwert nicht mehr als 90° ab-
weichen kann, und daß also ©, eine mittlere Bewegung gleich ©, hat,
was für die Beurteilung der Bahnlage und der Veränderungen der
störenden Kräfte von Nutzen sein kann. Die Kriterien für das Be-
stehen einer mittleren Bewegung sind noch nicht vollständig ent-
wickelt. Betrachtet man nur zwei Planeten (n = 2), so hat ©, immer
eine mittlere Bewegung. Ist für einen gewissen Wert von «
2 DIN,
so hat ©, die mittlere Bewegung 6,.°°) Im Falle » = 3 hat P. Bohl®®)
gefunden, daß in gewissen Fällen eine Entscheidung der Frage be-
züglich der Existenz einer mittleren Bewegung unmöglich ist, weil
eine noch so kleine Veränderung in den aus den Beobachtungen ent-
nommenen Konstanten bewirken kann, daß eine vorhandene mittlere
Bewegung zu existieren aufhört oder umgekehrt.
Nach den Rechnungen von Stockwell (a. a. ©.) haben die Perihel-
längen der Planeten Merkur (6,), Mars (6,), Jupiter (6,), Saturn (6,),
Uranus (6,) und Neptun (6,) mittlere Bewegungen.
Die Integration der Neigungsgleichungen (44) wird ganz wie die
der Gleichungen (43) ausgeführt. Zu bemerken ist dabei nur, daß
35) J. L.de Lagrange, M&m. de l!’Akad. de Berlin (1782) = Oeuvres 5, p. 285.
36) P. Bohl, J. f. Math. 135 (1906), p. 189—283. Daselbst findet man über
die Versuche, diese Frage zu lösen, referiert.
13. Die säkularen Störungen der kleinen Planeten. 7153
eine der entsprechenden Wurzeln ©, gleich Null ist, was mit dem Be-
stehen des Flächensatzes zusammenhängt.
13. Die säkularen Störungen der kleinen Planeten. Bei den
Asteroiden hat man die Vereinfachung in den Gleichungen (43) und
(44), daß die zu den Hauptplaneten gehörenden g,, h,, p,, q, als bekannt
angesehen werden können. Die Differentialgleichungen zur Bestimmung
von 9 und h sind dann von der Form ’?”)
= es 92,0, v) — 210, v]9,,
” = — h >)(0, v) + 210, vjh,,
dh
dt ae Be (0, v) — DM, cos (6,8 Fr By
oder
d ‘
Fr = — h>.(0, v) + DM, sin (6,2-+7,)-
Die Lösungen dieser Gleichungen sind
h—M sin (t I'(0, ») + >) ar Te sin (5,14 7,),
g=M cos (t. >’, v) +?) Een ER (Be
) —
wo M und » Integrationskonstanten bedeuten. Wenn 6, gleich
< (0, v) wäre, würden g und h unendlich große Werte erkiktihhe können.
Dies würde indessen nur anzeigen, daß die Integrationsmethode nicht
anwendbar ist, weil wir ein Resultat erhalten, das gegen die voraus-
gesetzte Kleinheit von g und h verstößt. ©. V. L. Charlier®®) hat in-
dessen gefunden, daß für die Asteroiden zwischen Mars und Jupiter
-6, nicht gleich (0, v) wird.
Für die Größen p und g erhält man analoge Differentialgleichun-
gen und Lösungen. Dabei zeigt sich jedoch, daß für einen Asteroi-
den, dessen Abstand von der Sonne —1.98 ist, der (0, v)— 6
entprechende Integrationsdivisor Null ist. U. J. J. Leverrier?”) schließt
37) Die numerischen Werte der Koeffizienten (0, 0) und [0, 0] findet man
bei @. Noren und $. Raab, Lunds Univ. Ärsskrift 36, Afd. 2, N.8=K. Fysiogr.
Sällsk. Handl. 11, Nr. 8 — Meddel. fr. Lunds obs. Ser. II, Nr. 2, (1901).
38) ©. V. L. Charlier, Mech. d. Himmels I, p. 424, Leipzig 1902.
39) U.J.J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 2, p. 165 und Add. p. 35,
754 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
daraus, daß ein kleiner Planet, welcher sich in diesem Abstand von
der Sonne bewegt, sich von seiner ursprünglichen Bahn entfernen
muß und eine große Neigung gegen die Ebene der Jupiterbahn er-
halten würde. Dies sei also ein Fall, wo man bei der Berechnung
der säkularen Glieder der Neigung nicht mit den Gliedern ersten
Grades auskomme, obwohl die Neigung ursprünglich klein wäre.
Über die Maximalweıte der Neigung kann man indessen nichts sagen,
ohne daß man die Glieder höheren Grades mitnimmt. Bei Berück-
sichtigung dieser finden M. F. Tisserand‘®) und C. V. L. Charlier*'),
daß die singuläre Stelle bei « = 2.05 liegt, und daß die Schwankungen
in der Neigung innerhalb ziemlich enger Grenzen liegen.
14. Säkulare Glieder höheren Grades. Lagrange und Laplace
hatten angenommen, daß die Glieder höheren Grades eine so kleine
Einwirkung hätten, daß man sie unberücksichtigt lassen könnte. U. J.
J. Leverrier*?) versuchte die Glieder dritten Grades zu berücksichtigen.
Er wendet die Methode der sukzessiven Annäherungen an und be-
rechnet in den Differentialgleichungen die Glieder dritten Grades
mittels der bei bloßer Berücksichtigung der Glieder ersten Grades er-
haltenen Werte. Durch eine kleine Veränderung der in den letzt-
genannten Gliedern enthaltenen Konstanten kann er die Lösung noch
in periodischer Form erhalten, wobei in den Argumenten auch lineare
Verbindungen der ursprünglichen Argumente mit ganzen Koeffizienten
auftreten. Indessen finden sich in der Lösung sehr kleine Integrations-
divisoren, welche bewirken, daß die Konvergenz der Annäherungen
sehr fraglich ist. Bei dem jetzigen Stande der Himmelsmechanik
scheint es in der Praxis am besten zu sein, wenigstens die Glieder
höheren Grades nicht in periodische Form zu bringen, sondern sie
als Entwicklungen nach Potenzen der Zeit zu geben, deren Konver-
genzverhältnisse man freilich untersuchen müßte. Selbstverständlich
sind auch die Glieder des Ranges eins, zwei, ... zu berücksichtigen,
da besonders aus langperiodischen Gliedern entstandene säkulare Glieder
höheren Ranges sehr merkbar sein können.
15. Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen
Störungen in den periodischen Gliedern. Um in einfacher Weise
die Genauigkeit der Berechnung der periodischen Glieder zu steigern,
pflegen die Astronomen oft diese Glieder nicht mit den konstanten
Werten der Elemente, sondern mit der Summe der konstanten Werte
40) M.F. Tisserand, Obs. de Paris ann., m&m. 16 (1882), p. 56—57.
41) ©. V. L. Charlier, Mech. d. Himmels I, p. 432.
42) U.J. J. Leverrier, Obs. de Paris ann., mem. 2, Add. p. 88-51.
15. Berücksichtigung der säkularen und langperiodischen Störungen usw. 755
der Elemente und ihrer säkularen Störungen zu berechnen. Nennen
wir der Kürze wegen diese Summe säkulares Element. Nachdem man
die säkularen Elemente bestimmt hat, berechnet man in der ersten
"Annäherung die rechten Seiten der Differentialgleichungen der Ele-
mente mit den säkularen Elementen. Jedes Element 7 = (n) + 67
ist dann aus einer Gleichung der Form
dön
5 = A+ ZB, sin (in + nt + 30, cos (in+im)t
zu bestimmen, wo A, B,, und O,, Funktionen der säkularen Ele-
Ri
mente sind (# und : ganze Zahlen). Die Gleichung
d(n)
Fr -+
definiert die säkularen Elemente selbst. Der periodische Teil dr des
Elementes 7 wird erhalten durch partielle Integration nach der Formel
d Q, p d! B, r
ae cos in + in’)t Ei dt IE
an PN 2, in GW 19 (in + in) gr (in Lim): — .. |
dB, , d?C
sin (in +’ m')t ar A u
ri in + in 1% ar n+in) (in+im) alrir? | ;
Die Gleichung (38) gibt zur Bestimmung des periodischen Teils von
o eine Gleichung der Form
„ei — DB, , sin (in +! n)t + IC, , cos (in + mM)t,
woraus durch partielle Integration wieder folgt
AP Bur
> sin (in + #’w)t "dt de b.
Gr, (in + in’)? 2- in+in (in+in) T |
„AB; „Co
cos (in + i'm’)t di di: |
un (in + in’)? 10 re intin (in+tim) 8 | ;
Man wendet also eine allgemeinere und genauere Bahn als die Kepler-
sche Ellipse schon in der ersten Annäherung an.
Die Glieder, deren Periode sehr lang ist, haben die Eigenschaft
der säkularen Glieder, sich langsam zu verändern, und man kann die
Genauigkeit der Rechnung noch erhöhen, wenn man sie bei der Be-
rechnung der periodischen Störungen mit den säkularen Elementen
vereinigt. Die größten langperiodischen Glieder finden sich in o. Man
756 VIa, 15. Karl F.Sundman. Theorie der Planeten.
beschränkt sich oft darauf, die langperiodischen Glieder von g in Ver-
bindung mit nt zu halten. In der Theorie von Pallas verwendet z. B.
©. F. Gauß"?) in den Argumenten die mit der Hauptstörung der Pallas-
länge behaftete Pallaslänge und die mit der sog. großen Ungleichheit
der Jupiterlänge behaftete Jupiterlänge. In den Theorien der kleinen
Planeten berücksichtigt man immer in dieser Weise die große Un-
gleichheit von Jupiter.
16. Langperiodische Glieder. In Nr. 8 ist gezeigt worden, daß
in den Elementen bei der Integration jedes Gliedes ein Divisor
v=jn+jn
eingeführt wird. Bei der Integration der Gleichung (38) dagegen er-
hält man in o den Integrationsdivisor »?. Je länger die Periode des
Argumentes eines Gliedes ist, desto kleiner ist v» und desto mehr
wird das Glied bei der Integration vergrößert, wodurch große Un-
gleichheiten in den Elementen und besonders in o entstehen. Um
eine möglichst richtige Bestimmung der Ungleichheiten zu erhalten,
muß man in den weiteren Annäherungen v gleich dem Koeffizienten
von £ in dem Argumente des betreffenden Gliedes setzen, so daß man
etwa hat
v=jn+jn-+e,
wo 6 jedenfalls eine sehr kleine Größe von der Ordnung der störenden
Massen ist. Ein kleiner Integrationsdivisor entsteht, wenn die mittleren
Bewegungen kommensurabel oder nahe kommensurabel sind. Je kleiner
die ganzen Zahlen © und © sind, durch welche man das Verhältnis
n:n' ausdrücken kann, desto größer sind im allgemeinen die Koef-
fizienten des Gliedes mit dem Argument öl — ‘+ c in der Störungs-
funktion, und desto größer werden die entstehenden Ungleichheiten.
Bei den kleinen Planeten z. B. sind die langperiodischen Glieder
sehr bedeutend, wenn das Verhältnis ihrer mittleren Bewegungen zu
derjenigen des Jupiter nahe gleich 2 (Hekubatypus oder Typus #),
% (Hildatypus oder Typus 3), 3 (Hestiatypus oder Typus 4), ..... ist.
Bei den kleinen Planeten kommen mehrere Fälle vor, wo die
Kommensurabilität der mittleren Bewegungen mit derjenigen des
Jupiter sehr scharf und die langperiodischen Glieder die bedeutendsten
sind. In dem System der großen Planeten sind besonders bekannt
die sog. große Ungleichheit in den Bewegungen von Jupiter und
Saturn und die sog. lange Ungleichheit in der Bewegung der Erde.
Die erstgenannte entsteht, weil die 5malige mittlere Bewegung Saturns
nahe gleich der mittleren 2 maligen Bewegung Jupiters ist. Die letzt-
genannte, weil die 13fache mittlere Bewegung der Erde nahe gleich
17. Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen Planeten. 757
der $fachen mittleren Bewegung der Venus ist. Die Berechnung von
Ungleichheiten, welche größeren Werten von ö und © entsprechen, ist
deswegen schwer, weil man die Koeffizienten entfernter Glieder irn der
Störungsfunktion zu bestimmen hat. Für solche Fälle sind vor allem
die asymptotischen Ausdrücke der Koeffizienten benutzt worden (vgl.
VI2, 13 Nr. 59, 60 v. Zeipel).
Bei den Gliedern höherer Ordnung treten in den Argumenten
lineare Verbindungen der verschiedenen Planetenlängen auf, und dem-
entsprechend erhält man Integrationsdivisoren der Form
in Han + + on,
wo die j") ganze Zahlen sind. Wenn die mittleren Bewegungen n" ge-
geben sind, kann man leicht Zahlen 5") erhalten, welche den be-
treffenden Divisor sehr klein machen. Es zeigt sich jedoch im Planeten-
system, daß nur wenige solche Glieder merkbare Ungleichheiten geben.
Ausgeschlossen ist jedoch nicht, daß die Summe aller derartigen
Glieder merkbar würde. Je weiter man die Annäherungen treibt, desto
mehr solcher Glieder entstehen, und die Konvergenz wird immer frag-
licher. Wie man strenge der Schwierigkeit der kleinen Divisoren
entgehen soll, ist noch eine ungelöste Frage. Für kürzere Zeiten
entgeht man der Schwierigkeit dadurch, daß man die fraglichen Glieder
als säkulare Glieder behandelt. Bei sehr langen Zeiten aber hängt
diese Frage mit der Frage der Existenz von mittleren Bewegungen
überhaupt zusammen.
P. 8. Laplace®?) hat gefunden, daß zwischen den langperiodischen
Teilen do und 0’ der Größen o und 0’ zweier einander störender Pla-
neten die angenäherte Gleichung
mYado = — m Va’dgo'
stattfindet.
17. Die Lücken in den mittleren Bewegungen der kleinen
Planeten. Libration. Da die langperiodischen Ungleichheiten bei sehr
naher Kommensurabilität der mittleren Bewegungen sehr groß sind,
wollte man daraus schließen, daß die Störungen hier so groß würden,
daß eine mittlere Bewegung nicht möglich wäre, und suchte darin
die Erklärung der von Kirkwood*) entdeckten Lücken im System der
kleinen Planeten für bestimmte mittlere Bewegungen. Die ausgeprägtesten
Lücken findet man da, wo die mittleren Bewegungen sich zu der-
jenigen des Jupiter wie 2, $, ? verhalten. Die in dieser Hinsicht von
43) P.S. Laplace, M&e. c@l. 1, p. 334 = Oeuvres I p. 360.
44) Kirkwood, Proc. of the Amer. Philos. Soc., Philadelphia 1871.
158 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
O. Callandreau*°), H. Gylden*®), F. Tisserand*‘) und andern angestellten
Untersuchungen haben kein entscheidendes Resultat gegeben, weil man
über diese Verhältnisse aus den ersten Gliedern der Störungen kein
solches erhalten kann. Sie zeigen jedoch wenigstens an, daß in Zeiten
von erheblicher Länge nichts passiert, was die Lücken als Folge der
Gravitation der gegenwärtig vorhandenen Massen verständlich machte.
In nahem Zusammenhang mit diesen Untersuchungen steht die
Frage der Libration. Wenn die Störungen bewirken, daß ein Argu-
ment in der Störungsfunktion nur zwischen endlichen Grenzen schwankt,
sagt man, daß eine Libration vorhanden ist. Solche können entstehen,
wenn die mittleren Bewegungen der Argumente nahe kommensurabel
sind. Da die säkularen Bewegungen der Perihelien und diejenigen der
Knoten sehr klein sind im Verhältnis zu den mittleren Bewegungen
der Planeten, hat man im allgemeinen nur Librationen einzeln für sich
zwischen Perihelbewegungen, Knotenbewegungen und mittleren Be-
wegungen zu betrachten. Ein besonderes Interesse beanspruchen die
Librationen unter den mittleren Bewegungen. Sei
D=ie—igo+te
das betrachtete Argument, wo c eine konstante oder wenigstens sehr
langsam veränderliche Größe ist. Mittels der Gleichung (38) und der
analogen Gleichung für den störenden Planeten findet man, daß D
eine Gleichung der Form
d’D i
a > h, sin D,
zu erfüllen hat. Auf der rechten Seite dieser Gleichung betrachtet man
nur Glieder der Form
h,sin (uD-+-e,), (e, = Konst.)
oder man vereinfacht noch weiter und bestimmt D aus einer Gleichung
d?D :
Zee hsin (D-+.c,),
welche die Bewegungsgleichung eines schwingenden Pendels ist. Es
ist bekannt, daß das durch diese Gleichung bestimmte D je nach
den Werten der Integrationskonstanten entweder um einen gewissen
Wert schwingt, was eine Libration geben würde, oder mit der Zeit
unendlich wächst oder schließlich mit der Zeit sich einer endlichen
Grenze asymptotisch nähert. Indessen scheint es unmöglich, etwas
45) O. Callandreau, Obs. de Paris ann., mem. 22 (1896).
46) H. Gylden, Öfversigt af K. Vet. Akad. Förh. 52. p. 608, Stockholm 1895.
47) F. Tisserand, Mee. ceel. 4, p. 417 —444.
18. Die Methode von Poincar£. 759
Bestimmtes daraus für den Verlauf der Planetenbewegungen in äußerst
langen Zeiten zu schließen, da der Einfluß der vernachlässigten Glieder
nicht hinreichend untersucht ist. Schon C. F. Gauß*?) vermutete, daß
zwischen den mittleren Bewegungen von Pallas und Jupiter eine Libra-
tion stattfände. Die Untersuchungen von O. Callandreau®), F. Tisse-
rand*') und anderen zeigen, wenngleich sie nur angenähert sind, daß
wahrscheinlich keine solche Librationsfälle im System der kleinen
Planeten sich finden. Die Librationsbewegungen zwischen anderen in
den Argumenten vorkommenden mittleren Bewegungen hat ©. V. L.
Charlier“?) behandelt.
18. Die Methode von Poincare. Auf die Resultate der allge-
meinen theoretischen Untersuchungen und Andeutungen von A. Poincare®®)
versuchten M. Simonin°!) und M.K. Popoff°”) eine Theorie des Planeten
Hekuba zu gründen. Der Grundgedanke der Poincar&schen Methode ist,
eine periodische Lösung aufzusuchen, welche sich so nahe als mög-
lich der Bewegung des untersuchten Planeten anschließt, und durch
Zufügung kleiner Variationen die noch übrigbleibenden Abweichungen
zu berücksichtigen. Da in der periodischen Lösung die Bewegung für
alle Zeiten bekannt ist, so sollte man erwarten können, dadurch eine
wenigstens für sehr lange Zeiten gültige Lösung des Problems zu er-
halten. Es scheint jedoch bei der praktischen Ausführung mit Schwierig-
keiten verbunden zu sein, periodische Lösungen zu finden, welche sich
hinreichend nahe den wahren Bewegungen anschließen. Man müßte,
um das Ziel zu erreichen, periodische Lösungen anwenden, deren
Periode sehr groß im Verhältnis zu den Umlaufszeiten der Planeten
ist. Bezüglich der bis jetzt angewandten periodischen Lösungen sei
hier auf den Artikel von Whittaker (VI2, 12, Nr. 5, 6) verwiesen.
Die praktische Verwendung der Poincar&schen periodischen Bahnen
behandelt A. Wilkens°®®).
Bei diesen Untersuchungen bedient man sich öfters, dem Vor-
gange von Poincare folgend, der kanonischen Elemente. Man hat
dann den Vorteil, daß die Differentialgleichungen der Bewegung die
48) ©. F.Gauß, Werke VII, Nachlaß p. 421, 557—559.
49) 0. V. L. Charlier, Öfversigt af K. Vet. Soc. Förh. Nr. 2 = Meddel. fr.
Lunds Obs. Nr. 12, Stockholm 1900.
50) H. Poincare, Les meth. nouv. de m&ec. cel. 1, 2, 3, Paris 1892, 1893,
1899; Leg. de m&ec. cel. 1, Paris 1905; Bull. Astr. 19 (1902), p. 177—198 und
289-310.
51) M. Simonin, Obs. de Nice ann. 6, Paris 1897.
52) M.K. Popoff, Sur le mouv. de (108) Hecube, Diss. Paris 1912.
52%) A. Wilkens, Astr. Nachr. 195 (1913) p. 385—412.
760 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
sehr einfache Form
dq, OH dp, oH
Ce
haben, wo p», und q, die kanonischen Elemente bezeichnen (siehe den
Artikel von Whittaker VI2, 12, Nr. 1). Ein Nachteil ist dagegen, daß
die Entwicklung der Störungsfunktion komplizierter wird, und daß
ein Übergang zu elliptischen Elementen für die praktischen Zwecke
der Theorien öfters von den Astronomen gewünscht wird. Außer den
im vorgehenden genannten Integrationsmethoden ist bei. Anwendung
kanonischer Elemente die von Delaunay in seiner Mondtheorie an-
gewandte Methode, bei welcher nach und nach jedes Glied streng aus
der Funktion. 4 wegintegriert wird, besonders vorteilhaft.®) 4. Posncare°*)
hat gezeigt, daß die langperiodischen Glieder der niedrigsten Klasse,
welche die wichtigsten sind, erhalten werden, wenn man in den Glei-
chungen (49) alle kurzperiodischen Glieder wegläßt.
(r=1,2, 3,...)
II. Die Hansensche Methode.
19. Vorbemerkung. Obgleich die Methode der Variation der
Konstanten in analytischer Hinsicht viele Vorteile gewährt und ohne
Zweifel das Störungsproblem an seinen innersten Wurzeln faßt, hat
sie in praktischer Hinsicht doch mehrere Nachteile. Als solche nennt
P. A. Hansen’®) z. B.
1. Man muß für jeden Planeten die Störungen in sechs Elementen
berechnen, während man, um seine Lage im Raume zu bestimmen,
nur drei Koordinaten nötig hat.
53) @. W. Hül, Trans. of the Amer. Math. Soc. I, Washington (1900)
p- 205—242 — Werke 4 p. 169—206.
54) H. Poincare, Leg. de mec. cel. 1, Ch. 13, Paris 1905.
55) P. A. Hansen hat selbst seine Methode in mehreren Abhandlungen dar-
gestellt. Von diesen seien hier nur die folgenden angeführt: Untersuchung über
die gegenseitigen Störungen des Jupiter und Saturn, Berlin 1831; Astr. Nachr.
15 (1838), p. 201 ff., wo Hansen die Prinzipien seiner Methode darstellt; Astr.
Nachr. 18 (1841), p. 237 f.; Astr. Nachr. 42 (1856), p. 273f., und schließlich mit
aller Vollständigkeit in „Auseinandersetzung einer zweckmäßigen Methode zur
Berechnung der absoluten Störungen der kleinen Planeten“, Leipzig Ges. Wiss.
Abhdl. 3 (1857) [Erste Abhandlung], 4 (1857) [Zweite Abhandlung], 5 (1861)
[Dritte Abhandlung], welche allgemein als „Auseinandersetzung“ 1., 2. oder
3. Abh. zitiert werden. Weiter ist diese Methode beinahe unverändert in seiner
Mondtheorie angewandt (vgl. VI, Nr. 15). Die Hansenschen Differentialgleichungen
findet man weiter abgeleitet bei: Brünnow, Astr. Nachr. 64 (1865), p. 259— 266;
O. Lesser, Untersuchung über die allgemeinen Störungen der Metis, Diss. Marburg
1861; H. v. Zeipel, St. P&t. mem. 12 (1902). Ein Beispiel, wie die Hansensche
Theorie für einen kleinen Planeten mit den Beobachtungen übereinstimmt, gibt
H. Samter, Astr. Nachr., Ergänzungshefte Nr. 17. (1910).
20. Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Koordinaten. 761
2. Die Störungen der Elemente sind im allgemeinen weit größer
als die Störungen zweckmäßig gewählter Koordinaten, und um die be-
absichtigte Genauigkeit in den Koordinaten’ zu erhalten, muß man in
den Ausdrücken der Elementenstörungen eine größere Anzahl von
Gliedern berechnen, die sich nachher bei dem Übergang zu Koordi-
naten fast ganz aufheben. Dies kommt daher, daß die Veränderungen
der Geschwindigkeiten des Planeten in den Elementenstörungen auch
einbegriffen sind.
3. Die Störungsfunktion hängt von doppelt so viel Elementen
als Koordinaten ab. Bei der Berechnung der Störungen höherer Ord-
nung hat man daher eine weit größere Anzahl Ableitungen derselben
nach den Elementen als nach den Koordinaten zu bilden.
Die genannten Nachteile sucht Hansen durch eine Abänderung
der Methode zu vermeiden. Er hebt hervor, wie wichtig es ist, so-
wohl die zu bestimmenden Größen als die Funktionen der Zeit, durch
welche man die Störungen ausdrücken will, zweckmäßig zu wählen.
Am geeignetsten findet Hansen die Störungen der mittleren Länge
oder diejenigen der mittleren Anomalie und diejenigen des mit der
für die Störungen korrigierten mittleren Anomalie berechneten Radius-
vektors®®) und die Breite über der Bahnebene oder die senkrecht
auf ihr stehende Koordinate. In seinen ersten Arbeiten wählte er die
mittlere Länge oder die mittlere Anomalie zur unabhängigen Ver-
änderlichen. Später erkannte er, daß es weit vorteilhafter ist, die
exzentrische Anomalie des gestörten Körpers als unabhängige Variable
zu wählen, indem dann mehrere in den Entwicklungen vorkommende
Faktoren aus einer kleinen Anzahl endlicher Glieder bestehen, wo-
durch an vielen Stellen schwach konvergierende Entwicklungen nach
Potenzen der Exzentrizität vermieden werden.
Endlich ist hervorzuheben, daß Hansen, auf explizite analytische
Ausdrücke der Koeffizienten verzichtend, im weitesten Masse numerische
Rechnungen anwendet, um langsam konvergierende Reihen zu vermeiden.
20. Die Hansenschen beweglichen Koordinaten. Ideale Ko-
ordinaten. In der ungestörten Bewegung vereinfacht sich die Inte-
gration der Bewegungsgleichungen dadurch, daß die Bewegung in einer
festen Ebene vor sich geht. Die Gleichungen und Konstanten, welche
die Bahnebene bestimmen, trennen sich dann unmittelbar von den
Gleichungen und Konstanten, welche die Bewegung in der Bahnebene
bestimmen. Hansen erreicht eine entsprechende Trennung in der ge-
56) Anstatt des Radiusvektor wird bisweilen dessen natürlicher Logarithmus
angewandt.
762 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
störten Bewegung, indem er anstatt eines festen Koordinatensystems
X, Y,Z ein anderes bewegliches Koordinatensystem x, %, 2, das seinen
Ursprung im Schwerpunkt der Sonne hat, einführt.
Bei der Methode der Variation der Konstanten werden die Ver-
änderungen der Elemente durch die Bedingung bestimmt, daß die auf
feste Achsen bezogenen Koordinaten X, Y, Z und ihre ersten Ab-
leitungen nach der Zeit die gleiche analytische Form in der gestörten
wie in der ungestörten Bewegung haben sollen und daß man also
na Elemente als Konstanten ansehen kann, wenn man ex : eE und
id ; dureh Differentiation der Ausdrücke von X, Y und Z bildet.
Von dem Ort des Planeten abhängige Größen, welche diese Eigen-
schaft haben, nennt Hansen „ideale“ Koordinaten. Eine jede Funktion
von nur idealen Koordinaten und Konstanten ist wieder eine ideale
Koordinate.
Es sei
Pr e.X+,Y+wZ
50) y=ßX+BAY+BZ
|
ey 192,
Wo &, &,...7g die neun Richtungskosinus der beweglichen Achsen
darstellen. Hansen will, daß x, y und z ideale Koordinaten werden
sollen. Die Richtungskosinus müssen dann die Bedingungsgleichungen
de, de,
Rerrerzal 0,
(51) IX ieh 0,
+ zen + Zr = 0
erfüllen. Setzt man bu
d
A=pE ++ ee,
d d
B=otl+ta 0% Zete er
d d
a
so können diese Gleichungen wie folgt geschrieben werden:
(52) Ay—B=0, Ar—(z=0, Be—- Oy—=0,
Die Gleichungen (51) stellen also nur zwei unabhängige Bedingungen
zwischen den Richtungskosinus dar und besagen geometrisch, daß das
bewegliche ideale Koordinatensystem sich jederzeit um den augen-
de,
21. Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instanten Bahnebene. 763
blicklichen Radiusvektor des gestörten Planeten dreht. Daher be-
stimmen die sechs bekannten Bedingungen
++ el ABrah tat,
P+B’+B’=|, ey tat ar —0,
++ Prrtbnthn— I
in Verbindung mit den Gleichungen (51) nicht vollständig die Rich-
tungskosinus des idealen Koordinatensystems. Um dies zu erreichen,
wählt Hansen als neunte Bedingung
(53) =,
woraus folgt, daß der Radiusvektor stets in der zy-Ebene sich be-
findet, oder daß die xy-Ebene, welche also die instantane Bahnebene
ist, sich um den in dieser Ebene sich befindenden augenblicklichen
Radiusvektor dreht. Durch diese Bestimmungen wird die z- und somit
auch die y- und z-Achse vollkommen bestimmt für jeden beliebigen
Zeitpunkt, wenn die Lage der x-Achse in der Bahnebene für eine ge-
gebene Ausgangsepoche gewählt ist.
Um die Lage des Planeten zu erhalten, hat man folglich die
Lage der Bahnebene, die Lage der x-Achse in der Bahnebene und
die Bewegung des Planeten in dieser Ebene zu bestimmen.
21. Die Differentialgleichungen der Bewegung in der instan-
tanen Bahnebene. Unter Anwendung der Gleichungen. (50) und der
Differentialgleichungen der Bewegung für die auf feste Achsen be-
zogenen ee’ X, Y, Z leitet man die Gleichungen
(I+-m)x
an fi ne ehe
5 + rn a (1 + m m),
ab, wo die Störungsfunktion r den vorher (Nr. 2) angegebenen Aus-
druck hat und, weil z=0, der Radiusvektor durch die Gleichung
(65) Party
gegeben ist. Dabei ist k —= 1 gesetzt?).
Führt man statt x und y die Polarkoordinaten r und » durch
die Gleichungen
(56) z=rcosw, y=rsinw
(54)
ein, so geben die Gleichungen (54)
d’r dw\? 1 5 m
a-@)+ m -u4n
„dw drdw _d a 082
Ir a tern le) - tm)
Encyklop. d. math. Wissensch. VI ?. 50
(87)
1764 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Die Gleichungen (54) und (57) sind von den Astronomen oft an-
gewandt worden”) Wie man sieht, kann die Bewegung der Bahn-
ebene, nur soweit 2 davon abhängt, auf die Bewegung in der Bahn-
ebene einen Einfluß ausüben.
22. Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahn-
ebene und die Lage der &-Achse. Die Lage der xy-Ebene bestimmt
sich am einfachsten durch Angabe ihrer Knotenlänge & und ihrer
Neigung ö in bezug auf eine feste Grundebene X Y (z. B. die Ekliptik
für eine beliebige Zeit). Die Lage der x-Achse wird gegeben durch
den in der Bewegungsrichtung des Planeten gezählten Abstand 6 von
der x-Achse bis zum aufsteigenden Knoten der xy-Ebene auf der
festen X Y-Ebene. Den Wert o,, welchen 6 für die Epoche t=0
annimmt, bestimmt Hansen durch die Gleichung
(58) = 8a;
wo S, die oskulierende Knotenlänge für {= 0 bezeichnet. Für die
Größe 6 findet man die auch durch geometrische Betrachtungen leicht
abzuleitende Differentialgleichung
ds .d2
(59) 1 wi
wo 2 und i z. B. durch die Gleichungen (23) erhalten werden können.
Sei B der Winkel, den der Radiusvektor mit der XY-Ebene
macht und Z der Winkel zwischen der X-Achse und der Projektion
des Radiusvektors auf die X Y-Ebene. Dann ist
X=rcosBeosL,
(60) Y=rcosBsinL,
Z=rsind,
und
cos B sin (L— 9) = cosi sin (w— 6),
- (61) cos B cos (L— 8) = cos (w — 6),
sin B = sin i sin (w — 6).
Diese Gleichungen sind indessen nicht die geeignetsten zur Er-
mittlung von Z und B, weil die konstanten Teile der Elemente nicht
von den variablen Teilen derselben getrennt sind. Hansen erreicht
eine solche Trennung durch Transformation der Gleichungen (61) in
die folgenden
5) Sie sind zuerst von Hansen gegeben. Nach Y. Villarceau (Paris Bur.
Long. annales 2 (1882)) hat Wronski 1842 dieselben Gleichungen gefunden.
22. Die Differentialgleichungen für die Bewegung der Bahnebene usw. 765
[cos Bsin (L— &— I) = eos i, sin (w — Rp) — s(tg‘, + u)
(62) cos Beos(ZL— &—T) = eos (w — Ro) ne
sin B = sin i, sin (w— Ro) + 5;
wo
P = sin i sin (6— Ru),
(63) Q = sin i cos (6 — R%,) — Sin ig,
x — c08 i,(6083, + 6082) — Q sin i,,
(64) s— Q sin (w — Rp) — P eos (w — 8%)
ist, und die Größe I’ durch die Gleichung
; (cost + cosi,) sin (6 — %,)
tg (OR — un — Be (1-+ cos? co83,) cos (6 — 2,) — Sin? sin,
gegeben ist. Am einfachsten ist jedoch I’ aus der Differentialgleichung
dl hrs9%
(2 und
zu erhalten, wobei
2 Vi-+m
in Neiaaes
gesetzt worden ist.
Die Größen P und @ können auch durch die Gleichungen
hr sin (w — &%o) = cos i,
(67) do 08% :
u — hr cos (w — Ru), C08 i
bestimmt werden, wobei die Integrationskonstanten so gewählt werden
müssen, daß P und @ Null werden, wenn = (0 ist.
Die Größen P, Q und s sind von der ersten Ordnung, wogegen I’
zweiter Ordnung ist. In den Gleichungen (62) sind T, ui und _*®
* C08 8,
in den meisten Fällen ganz unmerklich und können unberücksichtigt
bleiben.
Ersichtlich sind r, w und nach den letzten Gleichungen (60) und
(62) auch s ideale Koordinaten. Aus der Gleichung (64) folgt daher
de = (Q 005 (m — 2) + Psin w— Ro)
welche Gleichung in Verbindung mit (64) unmittelbar P und Q gibt,
wenn die analytischen Ausdrücke von » und s bekannt sind. Da
man immer mit hinreichender Genauigkeit x = 2cos? i, setzen kann,
ist die Bestimmung der Lage des Radiusvektors in der Hauptsache
auf die Ermittlung von w und s zurückgeführt.
50*
766 VIe2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
23. Differentialgleichungen zur Bestimmung des Radiusvektors
und derjenigen der mittleren Anomalie. Anstatt der Veränderlichen
r und w führt Hansen zwei neue Größen v» und & oder nd& durch
die Gleichungen
kb=-u—», tg, Em Ver:
i—
(68) AR” er e a —a(l—ecosE),
r=n(l+v, Ma=1l-+m,
ne=nt+c+nöd=E-—esinE
ein, wo ®, a, e und c Konstante sind, welche am zweckmäßigsten
gleich Mittelwerten der elliptischen Elemente ©, a, e und & für die
Zeit, welche die Theorie umfassen soll, gewählt werden. Bevor solche
bekannt sind, kann man sie gleich den oskulierenden Elementen zur
Zeit der Epoche (t=0) setzen. Durch diese Wahl wird erreicht, daß
v und Ö& Größen erster Ordnung werden.
Aus den Gleichungen (57) und (68) leitet man die Gleichungen
er. »si+m) _ 14m (08 esinv 08
t? r,(1+»® n(-+») va — s—e) )
9 1-m
SH, bh at (25-+ 8°),
ec FR Fake uud
ed all Fe)?
daS ı/1i+m 982
(70) ur VE or
ab, welche nach Hansen indessen nicht zur Berechnung allgemeiner
Störungen geeignet sind, weil sie auf schwach konvergierende Reihen
führen.
Um seine zur Berechnung allgemeiner Störungen anzuwendenden
Gleichungen abzuleiten, geht Hansen von den für die elliptische Be-
wegung geltenden Formeln
1—&
v_-u,+49, tg- Eu ViTä tg! 2 91
seh .1—e?) 3
r it eroose, — alla cos H,), nPar=l+tm,
nt, — 9, =E-esinE,
|
aus, wobei a,, &,, & und ®, die oskulierenden Elemente sind. Die
aus (68) und (71) folgenden Gleichungen
Pa
2: = VÜFmad—e, r% —VÜtmal—eN)
23. Differentialgleichungen zur Bestimmung des Radiusvektors usw. 767
geben . e
g
(72) en
wo 7 ‚g9i
A He a E22 Yitm
(13) a dur le
ist, und h die früher (Gl. (66)) eingeführte Konstante ist. Weil
1 r,
if r
ist, bekommt man nach den Gleichungen (68) und (71)
h,\2 .’%
(74) (5) (14 8”% eoso +9” sinv),
wo
E coo?p—e co (W, —O)— e,
(75) Yco®p—=e, sin (0, —O),
e= sing
ist. Unter Anwendung der Gleichung Se erhält man aus (72)
2
(762) E-1l+W+, (5)
oder nach @. W. Hill®®) a
(76b) [hr and ”
wo
(77) ER TIR
ist und die sogenannten Hansenschen Elemente durch die Formeln
ar
=2 7 Area or
2h,
(78) { nn Ba &,
2h,
De
gegeben sind.
Eliminiert man r cos v und e aus den Gleichungen (74), (77)
und (78), so findet man bis auf Glieder höheren als "zweiten Grades
inW und # die Entwicklung
HEHE
Oft wendet man indessen diese Gleichung nur zur Kontrolle an und
berechnet » aus der Gleichung
(80) eo (Teinv — P(cosv+o),
58) @. W. Hill, Amer. Journ. of Math. 4 p. 246 (1881) = Works 1 p. 348.
1768 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
welche man durch Differentiation der Gleichung (75) und Substitution
des Wertes (72) für % erhält, wobei die Elemente als Konstanten
betrachtet werden können, weil » eine ideale Koordinate ist.
@. W. Hill?®) hat noch gezeigt, wie man v aus den ersten Glie-
dern von W berechnen kann, wenn & bekannt ist.
24. Bestimmung der Funktion W. Da #£, T, # bekannte Funk-
tionen der oskulierenden Elemente sind, so könnte man, um W zu
erhalten, unter Anwendung der Gleichungen (21) und (22) jede ein-
zelne dieser Größen durch eine Differentialgleichung bestimmen. Um
W nicht in dieser Weise zerlegen zu müssen, wodurch seine Ent-
wicklung weitläufig gemacht wird, leitet Zansen durch Differentiation
einen Ausdruck für 4. ab, wobei indessen nur die Größen #, T, #,
dt
nicht aber r, und v als von ? abhängig betrachtet werden. Um die
festgesetzte Unabhängigkeit dieser explizite in W eingehenden Größen
r, und v von den in den störenden Kräften eingehenden und von £
abhängigen Variablen r, und v unzweideutig zu kennzeichnen, führt
Hansen für sie und die von ihnen abhängigen variablen Größen neue
Bezeichnungen ein. Seien in diesem Sinne
(G). , Yutsih, & und, 5%
durch
)T) T, @g, Po, No, X und dx,
bezeichnet, wonach man die Gleichungen
ny=ntr+c+ noy =, — esin N
1 1—e 1
(81) Iesn-Vir.w m
a(l —e?
= en = a(l— ee cosn,)
hat. Die Funktion
(82) V=#5+ r2 c08 0, + gl sin ©,
geht also in W über, wenn überall die Größen (T') durch die ent-
sprechenden Größen (G) ersetzt werden, wenn also die Unabhängig-
keit der Größen (I') von t wieder aufgehoben wird, was von Hansen
(wie hier) durch einen Strich über der betreffenden Funktion ange-
zeigt wird.
Weil
a — -"-(Tsin o— V(coso,-+ e))
de "—Ioosp
59) @. W. Hill, Amer. Journ. of Math. 4 p- 258 — Works 1 p. 350.
25. Bestimmung der Breite. 769
ist, kann die Gleichung (80)
(83) : asian
geschrieben werden, wodurch die Bestimmung von v von der Funk-
tion W abhängig gemacht wird.
Differentiiert. man die Funktionen W und vn nach ? und führt für
die Derivierten der Elemente die Ausdrücke (1) und (22) ein, so er-
hält man die Gleichungen
(84) —n[ cos (v— o,) —1 +2) - [eos (v — 0.) —
+ 2n% sin B-a)r
1)
und
h,. 928
durch welche W und h, zu bestimmen sind.
25. Bestimmung der Breite. Zur Bestimmung der durch die
störenden Kräfte bewirkten Abweichung der Bahn von der durch 2
und ö bestimmten Bahnebene benutzt Hansen anstatt s (vgl. Nr. 22)
das Produkt
(86) u-ts—"0Qsin(w+9— 8) — Pcos +5 —8).
Weil u eine ideale Koordinate ist, kann man wieder bei der Bildung
von = die Größen P und @ als Konstanten betrachten. Wird
87) R= Qsn(, +9 —-8)— "Peos (+9 — 8),
gesetzt, so findet man, daß
(88) u=R
und
2,
wo der Strich die vorher angegebene Bedeutung hat. Aus diesen
beiden Gleichungen muß derselbe Ausdruck für u folgen, was zur
Kontrolle dient.
Um ZR zu bestimmen, wendet man den Ausdruck
dR
dt
‚an, welcher aus den Gleichungen (23) und (87) leicht abzuleiten ist.
(90)
u 082
= hr sin (©, —v) cos u,
770 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
26. Weitere Ausführung Methode. Um 68, v und u zu
erhalten, hat man zunächst W, ,- % und R aus den Gleichungen (84),
(85) und (90) zu bestimmen. Die rechten Seiten dieser Gleichungen
enthalten jedoch die zu bestimmenden Größen, und man muß Annähe-
rungsmethoden anwenden. Da d£, v und u kleine Größen erster Ord-
nung sind, entwickelt Hansen nach Potenzen derselben. Schreibt man
NM tUN EM Tr
R=R+4,R+4ISR-+---,
} h h h
= merEp FOL tur
wo Wi, Ro, don - die Glieder erster Ordnung, 6, Wa R,, nr die
1
Glieder Be Ordnung sind usw., so erhält man durch Gleich-
setzung der Glieder erster Ordnung in den Gleichungen (84), (85)
und (90)
aW,
> h|2,- cos (0— ©) —1-+2 a „ [eos @— 0) —1]} &
+ 2%, sin W—o)r.,,
a 1 daR, 08
eh | ah” — sin W— 9);
h
a
\ dt ov’
wo
nrtc=n-—esinn,
1 1
(92) ge to— Vit!igln,
ge
e= ns = alle cosn)
ist. Um die Glieder zweiter Ordnung zu bestimmen, erhält man weiter
(93) nF — Aö6+ By + 09,4 + Dw+ ER
+ FO + Guy + Hu, ”
de, R da,
und analoge Ausdrücke für —,, und —.,'-, wo A, B,..., H Funk-
tionen von r, @ und den partiellen Ableitungen der Störungsfunktion,
Oo&, Yos Un E die in der ersten Annäherung erhaltenen Werte erster
Ordnung von Ö£,v, u, ae und Ö,8, v,, % die analogen Größen für
27. Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlichen. 7171
den störenden Planeten sind. Das Glied E = erklärt sich dadurch,
daß die ei... ee den Größen Pe er Q und diese wieder
ds
von s und 7, ; oder u und ze abhängen.
27. Integration mit der Zeit als unabhängiger Veränderlichen.
Wenn die Exzentrizitäten klein sind, kann man die Zeit als unabhängige
Veränderliche anwenden und dabei doch eine genügende Konvergenz
erhalten. Hansen‘) selbst und nach ihm @. W. Hill®') haben in dieser
Weise die Theorien verschiedener von den großen und A. W. Leusch-
ner®?) von den kleinen Planeten behandelt.
Die Störungsfunktion und ihre partiellen Ableitungen entwickelt
man in Reihen der Form (siehe den Artikel VI,, 13, v. Zeipel)
DKR j5M +7’ +0),
wo M=nt-+c und M'=nt-+.c die mittleren Anomalien des ge-
störten und des störenden Körpers, © und K Konstanten, ö und
ganze Zahlen bezeichnen. Die in den Differentialgleichungen enthaltenen
Funktionen von oe und ® sind in der Form Fourierscher Reihen von
(M)=ntr + c zu entwickeln, so daß schließlich die rechten Seiten
der Gleichungen (91) in der Form
(94) DER uM)+iM+i’M-+C)
erhalten werden (ı eine ganze Zahl). Hansen‘®) zeigt, wie man die
Koeffizienten K für alle verschiedenen Werte von ı einfach berechnen
kann, sobald man K für die speziellen Werte — 1, O0 und + 1 be-
stimmt hat. Bei der Integration sind nur M und M’ von der Zeit
abhängig, und man erhält durch lineare Integration gemäß der Formel
j® [u(M) +iM-+iM' + Oldi
cos B ag
ER mer ae a
für W,, R, und d,,- " Ausdrücke der Form (94). Um die Störungen
erster Ordnung De v, und u, zu berechnen, hat man in W,, RB,
60) P. A. Hansen, Untersuchungen über die gegenseitigen Störungen des
Jupiter und Saturn, Berlin 1831; Leipzig. Ges. Wiss. Abhdl. 1876.
61) @. W. Hill, Wash. Astron. Papers 4 (1890) = Works 3.
62) A. W. Leuschner, Mem. of Nat. Acad. of Science 10 (1910).
63) P. A. Hansen, Untersuchungen über die gegenseitigen Störungen des
Jupiter und Saturn, Berlin 1831, p. 26—28.
1123 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
uf 05 die Zeit # anstatt r und also M anstatt (M) zu setzen,
01
Wedirch die rechten Seiten der aus (76a), (83), (88) und (89) folgenden
Gleichungen RE
ddE_ ar dv, 1/0
Re br
] du, (OR,\
Da er Ze
erhalten werden. Um die Störungen zweiter Ordnung zu erhalten,
berechnet man die rechte Seite der Gleichung (93) und die analogen
h
dd, R Adız
Ausdrücke in den Gleichungen für —,,- und an, wonach erst
6,W,6d,R, 6, r und weiter d,&, v, und «, ähnlich wie die Störungen
erster Ordnung erhalten werden. Ähnlich berechnet man nach und
nach Störungen höherer Ordnung, wenn dieses nötig ist. Natürlich
ist es wichtig, ein zweckmäßiges Rechenschema anzuwenden, um
keine merklichen Glieder in den im allgemeinen eine große Anzahl
von Gliedern enthaltenden Reihen zu übergehen. Es sei hervorgehoben,
daß Hansen alle Koeffizienten in numerischer Form hält, wodurch bei
der Rechnung die Größe der Glieder gleich hervortritt und die mit-
zunehmenden Glieder leicht zu finden sind.
28. Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche.
Wenn die Exzentrizität des gestörten Körpers, wie es bei den kleinen
Planeten öfters statthat, nicht klein ist, vermeidet Hansen durch An-
wendung der ungestörten exzentrischen Anomalie als unabhängiger
Veränderlichen mehrfach schwach konvergierende Reihenentwicklungen.
Dementsprechend werden oe und ® als Funktionen von n dargestellt,
womit erreicht wird, daß n, aber nicht Vielfache von n in den Argu-
menten eingehen. Mit dieser unabhängigen Veränderlichen ist die
Methode von Hansen in seinen „Auseinandersetzungen“ eingehend dar-
gestellt und ist in der daselbst gegebenen Form vielfach von den
Astronomen ganz oder fast ganz unverändert angewandt worden.
Die exzentrische Anomalie, welche hier von Hansen benutzt
wird, ist die, welche aus der Zeit und den den Störungsrechnungen
Snörumäsgnlegken konstanten Elementen folgt. Sie sei der Deutlichkeit
wegen mit & bezeichnet. Man hat dann
nt+c=s—esine
und erhält weiter einen dazugehörenden Radiusvektor (r)
(r) = a(l—e coss).
28. Die exzentrische Anomalie als unabhängige Veränderliche. 773
Unter Anwendung der Gleichung
e dt — N
folgt aus (91)
dW,
ge =T,,
(96)
a = qui csi—=U,,
wo die Größen M, N und @ durch die Gleichungen
cos? p M = — 3(1—}e) + 2e cos & — te! cos 22 + e’ cos (+ E)
— 3ecosn + (4—e) cos (n— e) — e cos (N —2e),
copy N =esins—4esin2e+e®sin(m—+te)—esinn
— (2 — e?) sin (n—e) + e sin (n— 28),
Q=esins—tesin2s++esin(n-+e) — $esinn
+ (1-+4e) sin (m — &) — $e sin (7 — 28)
gegeben sind. Die Glieder zweiter und höherer Ordnung in W und
R werden nach und nach ähnlich wie in Nr. 26 und 27 erhalten.
Die Größen 88, v und u sind vermittels der aus (76a), (83), (88)
und (89) abzuleitenden Gleichungen
. -ofm, +5, UL IT Bm ALOPI N arne ı,
ne
(97) 0) () Bear +4,
a a LE
le
| er
zu bestimmen, wobei jedoch auf den rechten Seiten nur Glieder erster
und zweiter Ordnung ausgeschrieben sind.
Aus der Gleichung (72) findet man, daß
Ba ee au an)
ist, kann aber n bis auf Glieder zweiten Grades durch die aus (85)
774 VIe,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
abzuleitende Gleichung
a
0) rat
erhalten.
Die Störungsfunktion und die zur Berechnung der Störungen
erster und höherer Ordnung nötigen Ableitungen derselben entwickelt
Hansen vermittels einer gemischten, numerisch-analytischen Methode
(vgl. v. Zeipel, VIe, 13, Nr. 51, 52) in Reihen der Form
NT sın nr
DE, lc Weiden),
’
”
Em
wo
und c’, n die ce und » entsprechenden Größen des störenden Planeten
sind. Bei diesen Entwicklungen befolgt Hansen den Grundsatz, alle
Glieder, welche eine vorgeschriebene Größe erreichen, mitzunehmen,
was bei der eingeschlagenen numerischen Entwicklung unmittelbar
durchgeführt werden kann.
Die oben angeführten Werte von M, N und Q geben in Ver-
bindung mit den Ableitungen der Störungsfunktion für 7, und U,
Reihen der Form
DE fan + dis —re@—ecn),
wo A nur die Werte — 1,0 und + 1 annimmt. Nach den Gleichungen
(96) finden sich dann für W, und R, Reihen der Form
Be
PET + in Anh ende re —cu)}
+ DR, 00 a {Qn) + ot hycosn + Iysinn],
wo ky, k, und k, von n unabhängige Integrationskonstanten sind.
Wenn » und »’ kommensurabel oder nahe kommensurabel wären,
könnte der Divisor ©— iu gleich oder nahe gleich Null sein, ohne
daB == 0 sind. In diesen Fällen müßte die Integration anders
ausgeführt werden, weil die Konvergenz nach Potenzen der störenden
Kräfte nicht mehr stattfindet. Hansen nimmt an, daß die mittleren
Bewegungen nicht solche Werte annehmen, daß die Divisoren zu klein
werden. Um bei kleinen Divisoren die Hansensche Methode anwenden
zu können, schlägt K. @. Olsson®) vor, äbnlich wie in den Gylden-
schen Theorien, das in den Argumenten vorkommende d& in zwei
64) K.@. Olsson, Stockholm, Bih. K. Vet. Akad. (22) 2 (1896).
29. Störungen der rechtwinkligen Koordinaten. 7175
Teile, wovon der eine, Ö&,, nur Glieder von langen Perioden, der andere,
ö£,, nur solche von kurzen Perioden enthält, zu zerlegen und nur Ö&,
aus den Argumenten durch Reihenentwicklung wegzuschaffen, wogegen
ö&, in den Argumenten stehen bleibt und die einzelnen Glieder durck
partielle Integration integriert werden.
Mit den oben angegebenen Werten von W, und R, findet man
nach den Gleichungen (97) und (99) für d,8, v,, %, und d, z Aus-
1
drücke der Form
K,+ Kg + K,s cos & + K,e cose + K,e cos 2: + K,s sin 2
+ DK, v es Id — Üu)e — de — cn) I;
wo. die Integrationskonstanten ÄK,, K}, ..., K, zweckmäßig zu be-
stimmen sind. Die Störungen zweiter Ordnung kann man aus den
Gleichungen (97) und (99) gewinnen, sobald die Störungen erster Ord-
nung erhalten sind. Im allgemeinen sind nur die Glieder zweiter und
höherer Ordnung merkbar, welche kleine Divisoren enthalten, was
ihre Aufsuchung bedeutend erleichtert.
III. Koordinatenstörungen.
29. Störungen der rechtwinkeligen Koordinaten. Seien %,, Yo, £o
die Koordinaten der ungestörten Bewegung, welche also die Geichungen
(4) für 2 = 0 erfüllen, und d,x, d,y, d2 die Störungen u Ordnung
des gestörten Körpers. Setzt man in den Gleichungen (4) k—= 1 und
| tet hat,
tr99+9sy4+°°;,
++ et,
statt x, y, z, so erhält man durch Gleichsetzung der Glieder derselben
Ordnung zur Bestimmung der Störungen u®* Ordnung Differential-
gleichungen der Form
‚ad, x A+-md,x 3 + m)a 0, Et Y0.Y + 208,2)
dt? a 1 Kal Kun
(100) ad, y A+m)d,y.3AHm@ dc + YIuy rt 209,2) it
dt? 1° e; I a a
I (1 +m)d,2 3(1+ m) I, Ct Y9uY tr 20%)
8 38T 5 EN
ar 1, r, Ir
wo
n=% + % + 2%
ist und X,, Y,, Z, nur von bekannten Größen und von den Störungen
bis zur (uw — 1)t® Ordnung abhängen. Wenn die Bahnen der störenden
776 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Körper nicht bekannt sind, hat man gleichzeitig durch ähnliche Glei-
chungen deren Störungen zu bestimmen. Man gewinnt nun vermittels
der Gleichungen (100) nacheinander
6,2, 0,y, 6,2 füru=1,2,3,....
Die Koordinaten &,, %,, 2, und ihre Ableitungen
= re har A = KEN
sind bekannte Funktionen der Zeit und von sechs Integrationskon-
stanten (z. B. den elliptischen Elementen) C,(»= 1, 2,..., 6), und
umgekehrt sind die Konstanten CO, Funktionen von %,, Yo, 205 &> No»
&, und £. Nach O. Deiobek‘°) sind die Lösungen der linearen Glei-
chungen (100) durch die Formeln
6 6
0% 0% 02
=, 70; 0 ns 30, Out - D4, 20,
yum1
v=1 v=1
zu erhalten, wo die A, durch die re
2 FR x 2% ne
ee Ku +Y,5 He A (v1
bestimmt werden. Eine a Form der Lösung w
ö
ö „DB, ge 1.4 DB,5n» Ö,2 a,
v1 vi v1
wo die B, aus den Gleichungen
aB, _ 0% ey
RR. BT 30,72 a
erhalten werden. Daneben x“ noch die Formeln
EEE Du, An im Hehe Ze
ya vi
Wel,2,..., 6)
=
Ba
zu bemerken.
Führt man in die Störungsfunktion anstatt der Koordinaten x,y, 8
die Werte von &%,, Yy, 2), als Funktionen der Zeit und der elliptischen
Elemente ein, bildet das Integral
ah
to
65) O. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetenbewegungen,
Leipzig 1888, p. 161—168.
29. Störungen der rechtwinkligen Koordinaten. 177
und ersetzt in U wieder die Elemente des gestörten Planeten durch
ihre Ausdrücke in %9, Yo, 245 0, 90; &0, So kann man die Störungen
erster Ordnung durch die einfachen Formeln ®)
oU oU oU
Zu Au Fe (2 = BE
eU eU eU
erg
erhalten, welche eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit den kanonischen
Differentialgleichungen zeigen.
J. F. Encke‘®), welcher zuerst die Methode der Berechnung der
allgemeinen Störungen in rechtwinkligen Koordinaten entwickelt hat,
führt indessen die Integration in anderer Weise aus, indem er das
dritte Glied der drei Gleichungen (100) zunächst für sich ermittelt
und dadurch das weitere Problem vereinfacht.
Multipliziert man die Gleichungen (4) der Reihe nach mit
dz
LER
addiert und integriert, so folgt:
d dy\2 d 2(1 ‚
Der Tat mfaarE,
wo K eine Konstante und
, 02 dx o2dy | 02dz
er mm en det dy dt Fr Da)
ist. @2 ist also das Differential von 2, wofern nur die von dem ge-
störten Körper abhängigen Größen variiert werden. Aus den Gleichungen
(4) und (101) findet man
(10) Gr = 2K+214+m) (ri, +2/a8)
und dadurch für Pr (die Störung u" Ordnung von r) die Gleichung
d’(r,d ö
(104) une 2 i. R,,
wo R, nur von bekannten Größen und von den Störungen bis zur
(u—1)'® Ordnung abhängt. Da
%,0,% 4 Y%0y + 2042 — r,ö,r nz (dr),
ist, wo (ör), auch nur von bekannten Größen und den Störungen bis
zur (u—1)“* Ordnung abhängt, kann man nach der Integration der
66) J. F. Encke, Berl. astr. Jahrb. f. 1857. Schubert hat Tafeln einiger
kleiner Planeten nach der Methode von Encke gerechnet. Z.B. Tafeln der Eu-
nomia, Washington 1866.
7178 VIa, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Gleichung (104) das dritte Glied der Gleichungen (100) als bekannt
ansehen. Die Gleichungen (104) und (100) sind dann alle von der
Form
d’o @
(105) eg,
8
N,
wo Q bekannt ist und wo ® nacheinander den Wert 10,7, Iu%, 0,9,
6,2 bekommt. Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lautet
y, [2 9dt— x, | yı Yat
ES TI Vahmyaa
wo
(107) y=Nn08Y%, Yznsinv,
ist und v,, @%, &, die wahre Anomalie, die halbe große Achse und
die Exzentrizität der ungestörten Bewegung bezeichnen. Um die In-
tegration auszuführen, werden die Störungsfunktion und ihre Ab-
leitungen in Reihen der Form
Da cos iM, + iM’) + DB sin dM, + iM’)
entwickelt, ww M, = nt + 9 — ©, und M—=nt+ € — 9 die mitt-
leren Anomalien des gestörten resp. des störenden Körpers bezeichnen.
Encke‘) entwickelt x, und y, in Fouriersche Reihen von M, und
leitet Formeln ab, wodurch man unmittelbar aus einem Gliede in @
von den Formen
c08
en EM, +iM)\, atı, |6M,)
das entsprechende Glied in ® erhält, was für die Bestimmung von
ö,r, 6,2, ö6,y und d,2 hinreichend ist.
@. W. Hill‘) hat die Formeln noch kürzer schreiben können,
indem er anstatt # die wahre Länge als unabhängige Veränderliche
einführt.
Die Störungen in den rechtwinkligen Koordinaten wachsen ver-
hältnismäßig schnell an. Dadurch wird es früher als bei anderen
Methoden nötig, die Störungen höherer Ordnung zu berücksichtigen.
30. Störungen der polaren Koordinaten. Die polaren Koordi-
naten, Radiusvektor r, Länge w in der beweglichen Bahnebene (im
Sinne von Hansen; siehe Nr. 20), von einer in dieser Ebene festen
Linie gerechnet und der Abstand z des gestörten Körpers von einer
festen Ebene, wozu öfters die Bahnebene des gestörten Körpers zur
Ausgangsepoche gewählt wird, können durch die Gleichungen (57)
und die letzte der Gleichungen (4) bestimmt werden. Eine der Glei-
6/) @. W. Hill, Astr. Nachr. 83 (1874) p. 209 —224 = Works 1 p. 151—166.
30. Störungen der polaren Koordinaten. 779
chungen (57) ersetzt man indessen oft durch die Gleichung (103).
Anstatt z sucht man auch 3 = — d.h. den Sinus der Breite über der
Ausgangsebene.
Seien
r=-n+Iırt+dhrt
w—-wtIwtdw-t:,
ati rin
WO rg, %g, 30 (= 0) den Radiusvektor, die Länge und den Sinus der
Breite in der ungestörten Bewegung und ö,r, dyr,... die Störungen
erster, zweiter, ... Ordnung bezeichnen. Führt man diese Werte in
der Gleichung (108) und in der durch r dividierten ersten Gleichung
(57) ein, so erhält man die Gleichungen
d? 06, 1 ) 00,
RE N Ak Malle
(108)
dw, dö d?r, d?ö, 3(1 Öd,
en in ur BT Much 84H,
wo G, und H, die Glieder bezeichnen, welche höherer als erster Ord-
nung sind. Wird De aus diesen Gleichungen eliminiert, so be-
kommt man die Gleichung
dö dd, d , 082
(109) ai eat (ar + 8,792) — 3fA nn, + Hr
wo H, wieder die Glieder zweiter Ordnung bezeichnet. Sie wird von
P. $. Laplace®®) in Verbindung mit der ersten Gleichung (108) ange-
wandt, um ö,r und d,w zu bestimmen.
S. Neweomb‘®) verwendet in seiner Uranustheorie, um die Berech-
nung der Glieder höherer Ordnung zu erleichtern, etwas modifizierte
Gleichungen. Er setzt
e—lır, 9 =In, ge = mt de; w— w, = dw
und erhält aus (103) und (57)
yet jan Pa enge ENEke r — NL,
(111) | ae (1200) ee di
— 2V1+mya(1—e) (d0 — (00°) + H,,
wo G, und H, die Glieder höherer als zweiter Ordnung bezeichnen.
68) P.S. Laplace, M&ec. ceel. 1 p. 256 = Oeuvres 1 p. 281.
69) S. Newcomb, Smiths. contrib. XIX, Washington 1874.
Encyklop. d. math. Wissensch. VT 2. 51
780 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Die letzte der Gleichungen (4) gibt bis auf Glieder zweiter Ordnung
d’(r, 1-4 m)r 02
(112) a ER Er En od __ 5,’
aus welcher man die Störungen erster Ordnung »,d,5 in der dritten
Koordinate bestimmt.
Die Gleichungen (108), (110) und (112) sind von der Form (105) und
können nach der Formel (106) integriert werden, und man berücksichtigt
dabei die Glieder aller Grade in den verschiedenen Ordnungen. Ist
indessen die Exzentrizität klein, so daß man nur die Glieder, welche
von niedrigen Graden sind, zu berücksichtigen braucht, so ordnet man
besser die Integration nach Potenzen der Trieeiririlät:
Entwickelt man mit P. $. Laplace"°) : nach Potenzen der Ex-
zentrizität (Mittlere Anomalie = M), so wi z.B. die Gleichung (108)
d?(r,6, r) . 2
(113) art rg r—2[a8 u+r dr,
— 3NgMrod,r(ecos M+ecos2M-+---)+---,
aus welcher man durch sukzessive Annäherungen »,6,r bestimmt.
Ein Glied der rechten Seite dieser Gleichung von der Form
«cos(vt+ N)
—— 608 (vE + N),
gibt in r,d,r das Glied
N, Rn
wenn &, v(nZv) und N als Konstanten betrachtet werden. Daraus
folgt, daß die Glieder der rechten Seite, deren Periode nahe mit der
Umlaufszeit des gestörten Planeten übereinstimmt, für welche » also
nahe gleich n ist, bei der Integration sehr vergrößert in r,6,r über-
gehen. Wenn v—=n ist, erhält man in r,d,r das säkulare Glied
rt
> sin (nt + N),
welches dadurch berücksichtigt wird, daß man die Elemente mit ihren
säkularen Teilen vereinigt.
Weil die Gleichung (112) dieselbe Form hat wie die Gleichung
(110), gilt das eben Gesagte auch von den in r,6,3 entstehenden Gliedern.
Um die Gleichung (109) oder (111) zu integrieren, hat man sich
ersichtlich der Formeln
fe cos (vt + N)dt = = sin (vt + N),
Lfafe sin (vi + Nd=—, ;sin(wv?+ N)
70) P. S. Laplace, M&c. ce. 3, p. 5 = Oeuvres 3 p. 5.
(114)
30. Störungen der polaren Koordinaten. 781
zu bedienen, wenn «, v und N Konstanten sind. In dw werden also
diejenigen Glieder bei der Integration am stärksten vergrößert, welche
langsam veränderlich sind, und besonders ist das der Fall mit den
aus d’Q, oder = entstehenden Gliedern, welche durch doppelte Qua-
dratur erhalten werden.
Die Astronomen pflegen indessen von vorneweg die säkularen Stö-
rungen der Elemente zu berücksichtigen, so daß «, v und N langsam
veränderliche Größen werden, statt der Formeln (114) hat man dann
die folgenden’)
f. cos (vi + Nd=-— sin (v? + N)
r 1 d(asinN) 1d*(acos N)
+ sin vi; FTSE Dr 7 As: a"
2
+ cos vil,; or Sn N)__ u on ) 2
(115) !
fuf« sin (vt + N)d—— „;sin (wt+- N)
sin ve[}, 2 ee Lore)
| 5 cos vt[— = ee 3 —n +2],
und ein Glied der Form
acos(vte+ N)
auf der rechten Seite der Gleichung (113) würde zu r,d,r den Beitrag
a ei
Tee za 008 (vH N) +08 vi | - —B She a
— sin vi ee er va: ei: Br u, a3
liefern.
Bezüglich der langperiodischen Glieder in dr und dw, welche aus
S d' 2 entstehen und infolge der doppelten Integration durch das Quadrat
eines kleinen Divisors dividiert sind und daher zu den bedeutendsten
gehören, hat P. S. Laplace”?) gezeigt, daß man sie am einfachsten be-
rücksichtigt, wenn man überall in den elliptischen Werten für r, und
w, die mittlere Bewegung », in dem Ausdruck
M= |) mdi+ 9 — %
71) P.S. Laplace, Mec. cel. 1, p. 335; 3, p. 7 = Oeuyres 1 p. 361 u. 3 p. 7.
72) P.S. Laplace, Mec. c@l. 1, p. 292—293 = Oeuvres 1 p. 315—316.
DRS
1823 VI, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
um die langperiodischen Glieder von
ns Re)
van St
vermehrt.
Die in (115) und anderen ähnlichen Formeln enthaltenen Ablei-
tungen der mit den säkularen Werten der Elemente berechneten
Koeffizienten werden gewöhnlich nicht direkt gebildet, sondern man
berechnet nach dem Vorgange von P. $. Laplace”?) den Wert der be-
treffenden Koeffizienten X für zweckmäßig gewählte Zeiten innerhalb
des Intervalles, für welches die Theorie gültig sein soll, und bestimmt
danach auf interpolatorischem Wege die Koeffizienten
Ka,
in der Taylorschen Entwickelung
dK,,
K=R+yt—-W)+:
IV. Theorie von Gylden.
31. Vorbemerkung. Bei den bisher besprochenen Methoden
wurden die Annäherungen nach Potenzen der störenden Massen (oder
der schon annähernd ermittelten Störungsbeträge) geordnet, und
Potenzen der unabhängigen Veränderlichen traten multipliziert mit
Konstanten sowie mit periodischen Gliedern auf, wodurch man auf
eine Entwickelung geführt war, welche teilweise nach Potenzen der
unabhängigen Veränderlichen fortschritt. Die erhaltenen Ausdrücke
der Störungen könnten daher, auch wenn sie konvergent wären, was
indessen höchst unwahrscheinlich ist, in praxji nur für eine begrenzte
Zeit angewandt werden. Das Hauptprinzip der Gyldenschen Methode
ist, konsequent alle Entwickelungen nach Potenzen der unabhängigen
Variabeln zu vermeiden, wodurch wenigstens die Möglichkeit offen
bleibt, für beliebig lange Zeiten brauchbare Ausdrücke zu erhalten.
Um den Integrationsprozeß einzuleiten und die Annäherungen
stärker konvergent zu machen, versuchte MH. Gylden'*) schon in seinen
älteren Arbeiten eine Ausgangsbewegung als erste Näherung zugrunde
zu legen, die allgemeiner war und sich näher an die wirkliche Bewegung
anschließen sollte als die sonst verwandte elliptische Bewegung. Schon
in der ersten Annäherung setzte er nicht die störenden Massen gleich
Null, sondern nahm aus der störenden Kraft einige vom Radiusvektor r
73) P. 8. Laplace, Mec. cel. 3, p. 25 = Oeurvres 3 p. 26.
74) H. @ylden, Stockholm Bih. K. Vet. Akad. Handl. (6) 8 u. 16 (1881).
32.. Differentialgleichungen der Gyldenschen . Koordinaten. 183
abhängige Glieder mit, welche so gewählt wurden, daß gewisse nachträg-
lich schwer zu integrierende Teile der Störungsfunktion dadurch berück-
siehtigt wurden, und daß die erhaltene Differentialgleichung doch noch
leicht und durch einfache Ausdrücke integriert werden konnte. Die
so erhaltene Bahn, in welcher die Perihellänge veränderlich war,
nannte Gylden intermediäre Bahn. Nach Gylden sind auch von anderer
Seite bei Störungsproblemen verschieden definierte intermediäre Bahnen
vorgeschlagen worden.”®) Indessen zeigte sich bald, daß auch die in-
termediäre Bahn zu speziell war, um den genügenden Ausgangspunkt
zubilden. In demselben Gedankengang fortschreitend, gelangte Gylden ®)
zur Einführung der sogenannten absoluten Bahn, welche für jeden
Planeten von sechs absoluten Konstanten (Elementen) abhängt und
so bestimmt sein soll, daß sie sich von der wirklichen Bewegung des
Planeten immer nur um Größen von der Ordnung der Planetenmassen
unterscheidet.
Die Ausdrücke der Koordinaten in der absoluten Bahn lassen
sich nur durch Annäherungen ermitteln. Um die wirkliche Bahn zu
erhalten, muß man zu den Koordinaten der absoluten Bahn Glieder
zufügen, welche von der Ordnung der störenden Massen sind und
deren größter Teil von den augenblicklichen Konfigurationen der
Planeten abhängt. Die Glieder in der Störungsfunktion, welche bei
der Integration so vergrößert werden, daß sie nullter Ordnung sind,
müssen folglich in der absoluten Bahn schon berücksichtigt sein.
Es sei bemerkt, daß bisher kein Beweis geliefert ist, daß die
Gyldenschen absoluten Bahnen die obigen Forderungen betreffend ihre
Abweichung von der wirklichen Bahn tatsächlich erfüllen.
32. Differentialgleichungen der Gyldönschen Koordinaten.
Ebenso wie Hansen zerlegt Gylden die Aufgabe in zwei, nämlich die
Bestimmung der Bewegung in der Bahnebene und die Bestimmung
der Lage der Bahnebene. Als xy-Ebene wählt Gylden wie Hansen
die augenblickliche Bahnebene, bestimmt aber die Lage der x-Achse
in anderer Weise. Bezeichnet, wie oben, w den Winkel zwischen dem
Radiusvektor des gestörten Planeten und der Hansenschen in der Bahn-
ebene unbeweglichen x-Achse, so führt Gylden als unabhängige Variable
756) 2.B. T. N. Thiele, Astr. Nachr. 102 (1882), p. 65; ©. V. L. Charlier,
Lunds Meddelanden 21 (1904); M. H. Andoyer, Contribution & 1» theorie des
orbites intermediaires, Paris thöse 1886.
76) H. Gylden, Stockholm Bih..K. Vet. Akad. Hand]. (7) 2 (1882); Orbites
absolues des planötes principales 1u.2, Stockholm 1893 resp. 1908 [zitiert: Or-
bites abs.).
784 VI, 16. Karl F. Sundman. "Theorie der Planeten,
den durch die Gleichung
(116) v
Kar w
ch
definierten Winkel v ein, wo 9 eine Konstante ist, die so bestimmt
werden soll, daß die durch die Gleichung
(117) vV+G=o—R
eingeführte Funktion G keine mit » proportionalen Glieder enthält,
wobei 6 wie in Nr. 22 der Winkel zwischen der Hansenschen x-Achse
und denmi aufsteigenden Knoten auf der Grundebene ist. Die Gylden-
sche x-Achse, die zur Unterscheidung als &-Achse bezeichnet werde,
ist beweglich in der Bahnebene und bildet mit der Hansenschen z-
Achse einen Winkel gleich gv — iu in der Bewegungsrichtung
des Planeten, .woraus folgt, daß v der Winkel zwischen dem Radius-
vektor und der &-Achse ist. Der Winkel zwischen dem aufsteigenden
Knoten auf der Grundebene und der &-Achse in der Bewegungsrich-
tung des Planeten st = + @ und unterscheidet sich also nur durch
die periodische Funktion @ von der Knotenlänge.
Aus den Gleichungen (59) und (117) folgt:
49
mn rn
(118) u en 2 sın 3 a5
woraus hervorgeht, daß G keine anderen Argumente hat als die in ö
und & enthaltenen. Da die Koordinaten des Planeten in bezug auf
im Raume feste Achsen durch r, v und trigonometrische Funktionen
von i, & und @ ausgedrückt werden können, so folgt daraus, daß @
keine neuen Argumente in die Formeln einführt. Würde man die
Hansensche Achse anstatt der Gyldenschen &-Achse und demgemäß
w als unabhängige Veränderliche anstatt vo anwenden, so scheint es,
als würde man bei den auf feste Achsen bezogenen Koordinaten ein
Argument mehr erhalten, indem das Argument -w dann in den
Richtungskosinussen der beweglichen Achsen vorkommt. Auf Grund
der Relation (116) schließt man jedoch, daß man ebensogut w anstatt v
als unabhängige Variable anwenden kann, ohne fremde Argumente
einzuführen. Man würde nur für die Konstanten etwas veränderte
Werte erhalten. So benutzt z.B. M. Brendel bei seiner Verwendung
der Gyldönschen Methode w anstatt v.
In Analogie mit den Formeln der elliptischen Bewegung setzt
Gylden |
\ _al—n?)
(119) Yr— 27. y
(120) „av _Vatmalı—m)
To i+8
32. Differentialgleichungen der Gyldenschen Koordinaten. 185
wo a eine Konstante (Protometer genannt) und 7 eine langperiodische
positive Funktion ist, die etwa der Summe des konstanten und des
säkularen Teils der Exzentrizität entspricht und welche später genauer
bestimmt werden wird. Vermittels der Gleichungen (57) findet sich
leicht, daß o und S durch die Differentialgleichungen
f dn? as
3 dv dv ide
2.08 n 1+8Jdv
dn?\2 d’n? dn® |,
mar di An | , de du de
a2ı) | Hr Ti-ri+s0
dn’\?2 din? dn’ dS
d dv? d
BRRRR? 2 Matt erraten
td+SPP,
das cd
i de 1 (+9)?
(122) 58.77.3475 Sk cur Q,
erhalten werden, wobei gilt:
(123) P=+al— 9% = ;
(124) ER EINS
1-+o* 0
Bei der Bildung von 5 sind dabei alle von v abhängigen Glieder,
welche sich auf die Ian der Planetenbahn beziehen, als konstant
anzusehen.
Die Länge L in der festen Grundebene berechnet sich nach der
Formel
N (L») ah _ sin@ + 2sin’fisin Ww—R— G) cos — SR)
8 c0s@ — 2 sin? Hisin w— R — sin m — Q)
oder durch die Gleichungen
(195) So cos L= cos (v —@) +(1— cosi) sin & sin (0 —@ — 8),
cos Bsin LZ=sin w— @)— (1— cos) cos 2 cos —E — 28).
Auf Gründ der Gleichungen |
3 =sinisinw — 8 —G)
1a_ (1-+9)sinicsw — 2 —@)
wird die Bewegung der Bahnebene durch den mit 3 bezeichneten Sinus
der Breite B über der festen @Grundebene erhalten. Weil
(127) _—r
1126)
786 Vie, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
ist, leitet man aus der dritten Gleichung (4) nach einigen Transfor-
mationen die Differentialgleichung
23) Fra+Ny-Ut+S[@ os R+
ab, wo 3° den Sinus der Breite des störenden Planeten über der Grund-
ebene bedeutet und
} aıl—n) 2982
(129) R= (1-+0)? 9cosH
ist. Zu bemerken ist noch die Gleichung
(130) g— — nl
Aus den Gleichungen (118) und (126) findet man
(++ mn)
Fk een.
(131) 2(1 +9) cosicos® =
-— (truth) (I-7+% sin’: +7 d init .. -);
welche Gleichung 7 und @ bestimmt, indem sin?i aus (126) folgt
und 5 gleich den konstanten Gliedern der rechten Seite zu setzen ist.
Zur Bestimmung der Zeit als Funktion von v dient die Gleichung
(120), die in der Form
\
dt 1—
(132) n“ AN mS (1 +8)
geschrieben werden kann, rt
(133) PFRRRL. Ärapl.,
a?
die absolute mittlere Bewegung bezeichnet.
33. Zerlegung der Variablen. Die Grundgleichungen (121), (122),
(128) und (132) müssen für die beabsichtigte Form der Lösung zur
Integration noch weiter transformiert werden. Es handelt sich hierbei
in erster Linie darum, in den zu bestimmenden Größen die Glieder,
welche mit den störenden Massen nicht verschwinden, von den Gliedern
zu trennen, welche mit den störenden Massen verschwinden. Wenn
die Massen verschwinden, muß die Summe der erstgenannten Glieder in
die entsprechenden Größen bei der ungestörten Bewegung übergehen
und die Elemente derselben bestimmen. Diese Glieder werden daher
elementare genannt. Gylden setzt
(134) e=(e)-+ do
und bezeichnet mit ög die Summe aller nichtelementaren Glieder.
33. Zerlegung der Variablen. 187
Die Summe (oe) aller elementaren Glieder von g kann in der Form
(135) (0)=xcos ! — 0) + ef; cos (d — @,)
geschrieben werden. Dabei bezeichnet x eine positive Integrations-
konstante, den sog. diastematischen Modul, und x, Konstanten, die
sog. diastematischen Koeffizienten, welche von den störenden Massen
abhängen, aber mit denselben nicht verschwinden. Indem A, T,T,
konstante Winkel bezeichnen, von welchen 4 und I’ Integrations-
konstanten sind, gilt weiter für die Winkel
wi =st—AHT,
=,W— AT,
wobei g und s; kleine mit den störenden Massen verschwindende
Konstanten sind.
Die früher eingeführte Funktion 7 und der Winkel I/ werden nun
durch die Gleichungen
nceos(I—TI)=x +2%; co8 (® — ®,),
(136)
(137)
ysin (I —I)= — In, sin (@ — 0,),
definiert. Nach (135) wird somit
(138) (0)=ncos F
erhalten, wo der Winkel
(189) F=v— 0 — (H— T)=v— st — N— H=v— (o)
das sog. diastematische Argument ist. Wenn |x} > D]z,| ist, so liegt
IT — T' immer zwischen — 90°, und + 90° und der säkulare Teil des
Winkels F ist in v— © abgesondert, welcher also die mittlere Be-
wegung 1— sg hat. Wäre dagegen ein Koeffizient x, größer als die
Summe von x und der übrigen x, , so würde man analog
F=v—,— (I,—T)
finden, wobei — 90 < 7, — T,< + 90°, und der Winkel F’ hätte die
mittlere Bewegung 1 — g..
Gylden””) hat versucht nachzuweisen, daß das Argument F eine
mittlere Bewegung hat, auch in anderen 'als diesen beiden Fällen, je-
doch ohne überall durchzudringen. Die Bedeutung der Existenz einer
mittleren Bewegung liegt darin, daß dann das Argument I] — TI’ resp.
IL,—T, für alle Zeiten innerhalb konstanter Grenzen liegt. Hier
werden wir mit Gylden die Form (139) voraussetzen.
Ganz ebenso wie die Funktion o zerlegt wurde, wird dies auch
77) H. Gylden, Stockholm Obs. Astr. Takttagelser etc. (5) 4 (1896).
188 VIa, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
mit 3 gemacht, indem
(140) = W)+ I;
gesetzt wird. Indem ®, ©, konstante Winkel und r, r, kleine mit den _
störenden Massen verschwindende Konstanten bezeichnen, setzt man
(# = —ıt—A)+9,
(141) 9, — 1, — A-+ 9,,
Jos (A — 9)=ı+ 21,008 (8 —9;),
(142) (2 — 0) — u, sin (# — ®,),
wo ı, ı, Konstanten sind, von welchen ı anastematischer Modul und
die ı, anastematische Koeffizienten genannt werden, und erhält
(143) G)=Jsin T,
wobei das sogenannte anastematische Argument folgendermaßen ge-
schrieben werden kann:
(144) V=-r—- 9 —(A- 9)=-rv+rW N-2=rV-M).
Die Zeit t zerfällt in zwei Teile
(145) t=(l) + Öl,
wobei (?), das reduzierte Zeit genannt wird, durch die Gleichung
dv (+)
definiert wird. dt wird Zeitreduktion genannt.
In Analogie mit den Formeln der 'elliptischen Bewegung setzt
Gylden weiter
a3
(146) at) _ (di. n)°
(147) tg —E -yiz" tg — Es
(148) | He eng =
wodurch
RR
(149) n-% il = a(l—ncosE)
erhalten wird, Vermittels der Gleichung (146) findet man für das
sogenannte mittlere Argument @ den Ausdruck
(150) G=l—)na)+A— H+A— 9X,
wobei X aus der Gleichung
dX
(1-5) dv
asy!__ Vi-n?(@+ncosF)sinF (cos a yalsa Sen ) +sin (IT- en mr ))
(inc! BR
(1— n?)® € d(nsin (MT) d dr)
- 1 1) (cos) er — sinn) _ 7
34. Entwicklung der Größen ?P, Q und R. Fundamentale Entwicklung. 789
erhalten wird. Im allgemeinen ist X sehr klein und kann oft gleich
Null gesetzt werden.
Um noch mehr Freiheit zu haben, hat Gylden‘®) versucht, die
unabhängige Variabele v auch in zwei Teile zu zerteilen. Es sei hier
nicht auf diese weitere Komplikation eingegangen.
34. Entwicklung der Größen P, Q und R. Fundamentale
Entwicklung. Um die Integration der Gleichungen (121), (122),
(128) und (132) ausführen zu können, müssen die Größen P,Q und R
zweckmäßig entwickelt werden.
Wenn von der Betrachtung des zweiten Teiles der Störungs-
funktion, welcher leicht zu berücksichtigen ist (siehe den Artikel von
v. Zeipel VlIe, 13 Nr. 27), und konstanten Faktoren abgesehen wird,
hat man
a
r
zu entwickeln. Gylden setzt
(152) w=v—vV’—(E—-G@)
(153) cos H=cosw-+h,
und erhält nach Potenzen von h entwickelt
+»
a m m
(154) =D wem,
wo %
“ d,m)(2 r r\m 2m+1
(155) ER (a, an 2) (5)
(Die akzentuierten Größen beziehen sich auf den störenden Pla-
neten.) Dabei wurde
(156) @& 7 D’=r’+r?— 2rr' cos w
VER HD... +), 9-1
gesetzt. In Fouriersche Reihen a) gelte
(157) w— wm ı > W” cos nw,
und
2m+i1 urn
(158) (5) — U” +2) UN” cos nw.
n=1
Nach (155) hat man dann
jr wi” — nl Y 2)" um,
(1,m)\« a «a
28) H. Gylden, Orbites abs. I, p. 515.
790 VIa, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Die Größe
y\2m+1
ee
ist Funktion nur der Größe « und von:
= na\®, da lae*
N Fu aan 62 Yale ae Kesyhtewk
Nach Potenzen von y entwickelt hat man dann
2m+1l_ (m gen m,n m,n
as) AT +
(162) (2 Erneut grmsing nr
welche Gleichungen die Gyldenschen $- und y-Transzendenten defi-
nieren, und aus welchen noch die Relation
m,n 2m+1,n N 2m+l,n nn—2%2 2m+l,n
r e u 4 + v 9 4...
ı
i 2 ii ER‘ i—2
4 N N ee Pu
zwischen den beiden Transzendenten folgt. Betreffs derselben sei auf
den Artikel von v. Zeipel verwiesen (VIa2, 13, Nr.8 und 24). Ent-
. f r en
wickelt man —» —> und y nach Potenzen von n?, 9”, e', so erhält
man aus den Gleichungen (159), (161) und (162) Entwicklungen der
Form
(162) Ww— Zyeln, s, s),„e’e''n?"n'?”
wo y) Polynome in den y?”+b” oder 9” Transzendenten sind.
Die Koeffizienten dieser zuerst von P. Harzer'”) gegebenen Polynome
von y-Transzendenten hängen von m und n ab und sind für größere
Werte vom » mühsam zu berechnen. Die Logarithmen einiger dieser
Koeffizienten gab H. Masal®®).
Eine bedeutende Vereinfachung erreichte Gylden durch Einführung
der &-Transzendenten, weil die Koeffizienten der Polynome dann nur
von m abhängen. In den Anwendungen werden nur die niedrigsten
Werte von m gebraucht.
Es bezeichne N eine beliebige der Funktionen a2, P, Qoder R. Da
LEER
0co H 22h
ist, schließt man aus den Gleichungen (123), (129) und (130), daß
bis auf das zu Q hinzuzufügende Glied — P ur N in der Form
(163) N-) Non, s, S),„‚hrg, 0" ee
79) p. Harser, St. P6t. mem. 7. Reihe (34) 12 (1886).
80) H. Masal, Stockholm K. Vet. Akad. Handl. (28) 7 (1889).
35. Diastematische Entwicklung. 7191
geschrieben werden kann, wo bei der Summation m, n, s, 8, v und v/
alle ganzzahligen Werte zwischen O0 und» + oo annehmen und die
Koeffizienten N@)(n, s, s’),„ als Polynome der Koeffizienten y') oder
der » oder der $-Transzendenten ausgedrückt werden können.
Aus den Gleichungen Z und (126) findet man,. daß h nach
Potenzen von 3, 3, m und Fi entwickelt werden kann, und daß
(164) = N; +3’) cesw+-— (63 =; ns sinw+337 +:
ist, wobei die Glieder höheren als dritten Grades weggelassen sind. Wird
hier (4) +63, (4) + 3 für 3 und 3 eingeführt, so kann man wieder
(165) h=(h) +öh.
schreiben, wobei jedes Glied von dh wenigstens eine der sogenannten
anastematischen Ungleichheiten ö3, 03 oder ihrer Ableitungen N,
döz
de als F aktor hat.
Es ist hiernach ersichtlich, daß N in der Form
(166) N= ZN, ,,($h) (do) (do)
entwickelt werden kann, und daß die N, Ei ihrerseits von der Form
(161) N, = DIN) 0,8,9),, WE Yan? mw
sind. Die hier auftretenden Koeffizienten folgen nach der Formel
(m) m+Lt +1, (+ 1,7) arm
N, 9 5 Se KW EN ERRELORS Nm) (n,s, s’)
sofort aus den Koeffizienten der für «&=ß=y7-=0 gültigen Ent-
wieklung (163).
Die Entwicklung von N nach Vielfachen von w und nach Po-
tenzen von
(h), (0), (0), 9, m, Oh, 69, dp
nennt Gylden die fundamentale Entwicklung.
yr
35. Diastematische Entwicklung. Um die Integration der Diffe-
rentialgleichungen (121), (122) und (128) möglichst einfach ausführen zu
können, muß man, soweit als möglich, ihre rechten Seiten als Funktion
der unabhängigen Variablen ausdrücken, was indessen nur durch suk-
. zessive Annäherungen und Integrationen zu erreichen ist, indem die
Größen ög, öde’, ö4, dh und dt nur solcherweise zu erhalten sind.
Aus der Gleichung (143) und der analogen Gleichung
(168) (4) = J"sin U’
folgt, daß
a —=Jcos U+(f), “) — J' cos U’+(d),
192 VI 2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
wo ($) und (£) kleine und leicht zu erhaltende Größen von der Ord-
nung der Masse bezeichnen, welche auch oft vernachlässigt werden
können, und das Argument
(169) UV=V’ — -— !—-N=V/+r/W—- N l—=VvV— (9)
ist. Vereinigt man der Kürze wegen die aus ($) und (£') entstehenden
Glieder mit öh, so ergibt sich aus (164) daß (h), welches wenigstens
vom zweiten Grade ist, nach Potenzen von J und J’ und nach Ko-
sinussen der Vielfachen von w, U und U” entwickelt werden kann.
Die in $ 34 mit N oder N, ,,, bezeichneten Funktionen, ebenso
wie die auf den rechten Seiten der Gleichung (128) sich befindenden,
von denselben abhängigen: Ausdrücke können daher zunächst in der
Form
(170) N=- INMITTEN) sin [9 +gU +4 UV‘)
geschrieben werden.
Für den störenden Planeten hat man nun die Gleichungen
(171) F = ee ac in =—=vy — !W— A) IT =rv ER (@'),
12) g;E- tg -F, @=E'—ıYsinE,
(173) Ban + rue,
(174) t=(f) +0,
(175) (()=n cos F".
Durch diese Gleichungen und die entsprechenden der gestörten
Planeten ist auch die Abhängigkeit der Länge v’ von v gegeben.
Die zur Einführung von v anstatt v’ und umgekehrt nötigen
Formeln sind von H. Gylden®') vollständig gegeben. Der von ihm
beschrittene Weg ist etwa der folgende. Durch Elimination von £, (?)
und (?) aus den Gleichungen (145), (150), (173) und (174) findet er
+1 —- T=96—- +V/+T,
wo
1— n
4 wesp% u, se a?
Me Be 2 N ei.
hr —= (1 — S[u(ndt — X) — (nd! — X)
Unter Anwendung der Bezeichnung
(177) H=F—-@-—-o(F—-6)
y=
(176) .
81) H. Gylden, Orbites abs. 1, p. 133—151.
85. Diastematische Entwicklung. 793
hat man dann
o—r a N ae
(178) ge
Y— Oo -u- eg u Fr
wo noch H als Funktion von v darzustellen ist, was indessen selten
nötig ist, da H immer klein und s’ von der Ordnung der Masse ist.
In „Orbites absolues“, p. 143—147, gibt Gylden Formeln, um laH
cos
in trigonometrische Reihen von v oder v’ zu entwickeln (« eine Kon-
stante).
Vermittelst der Entwicklung
(119) 6— F= Sz,sneH, en)
leitet Gylden die nach Potenzen von n und der Konstante A entwickel-
baren Koeffizienten Y,(A, n) der Entwickelung
+»
e-iA(@—F) — > Y,(A, n)e-'r?
v=—o
ab “=YV— 1 und e die Nepersche Basis). Andererseits hat man die
Entwickelung (v und v’ ganze vu
men A 5x, ‚(m, n)e-*”®.
v=1
vV=—o
Zwischen den Koeffizienten der beiden Entwickelungen existiert die
Beziehung
At), mM)=AXLA— vn).
Unter Anwendung der vorstehenden Gleichungen erhält man
nacheinander
emo 0) — e- im )—im(@+T—T”),
ae P2® (m, were 2 N,
ee
= >2.:0 (m, n)etlatng@- tm +D-rar—T)],
v
= IX,.m, T)Y,(pm-+rv),n)e’ Prtmt HM -vıd— rn]
und daher schließlich”nach einigen Reduktionen
(180) eimß-)
og Pe (m, 7) L, (p (m + v)), n)e' Im —v)o— (m+N)(ue + B)+r(w)-+ v’(w)]
794 VI 2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
wobei
(181) B=1—ud4+ umdt — X) wit —X) +,
ist und durch Gleichsetzung der reellen und imaginären Teile für sich
die Entwickelung von m(v — v)) erhalten wird.
Die Formeln (178) und (180) gestatten alle in den Argumenten
vorkommenden von v abhängigen Größen in einfacher Weise durch v
auszudrücken. -. In „Orbites absolues“, p. 198—320, gibt Gylden die
Ausdrücke in v von
(CE )" cos mw, + SD),
bis auf Glieder sechsten Grades in 7 und /, und von verschiedenen
6, ) (2) (5) enthaltenden Gliedern.
Nach der Gleichung (167) übersieht man nun, daß die Funktionen N,
nachdem v’ durch die vorstehenden Formeln eliminiert ist, in der
folgenden Form erhalten werden:
(182) N= DA, „(9,9',9,0) ,(89—8(uv+B)+p(e)+P'(@)
++) C++) -M)},
wo die ganzen positiven oder negativen Zahlen s, s’, p, p', gq, q’ die
Gleichung
a ea Aue |
erfüllen. Die Koeffizienten A haben die Form
1.09, = 24.00, EN
(ya, vw 0,1, 2,..., +00),
wo die A-Koeffizienten Polynome von @ = u : er sind, deren Koef-
fizienten sich aus den Koeffizienten der Fundamentalentwicklung zu-
sammensetzen. Die Entwickelung (182) nennt Gylden die diaste-
matische Entwickelung. Streng genommen wäre noch die in B ent-
haltene Größe era H, welche oft vernachlässigt werden kann, sowie
(©) und (#°) durch v auszudrücken.
Die expliziten Ausdrücke der Koeffizienten der diastematischen
Entwiekelung von P, Q und R gibt Gylden in Orbites abs. 1 p. 448—453
und 2 p. 242—270 für alle Glieder von niedrigerem als viertem Grad
in n und x’, sowie für die wichtigsten Glieder vom vierten, fünften
und sechsten Grad.
H. Masal®) drückt diese Koeffizienten bis auf Glieder einschließ-
lich dritten Grades in n und n’ durch y-Transzendenten aus und
gibt Formeln und Tafeln zu ihrer Berechnung.
36. Einteilung der Glieder. 195
In seinen „Hilfstafeln“®?) hat Gylden Formeln für die zur Berech-
nung der Hauptungleichheiten der kleinen Planeten nötigen Koeffi-
zienten gegeben und ihre Berechnung durch ausgedehnte numerische
Tafeln erleichtert.
36. Einteilung der Glieder. Unter den auf den rechten Seiten
der Differentialgleichungen der Bewegung vorkommenden Gliedern
treten vier Formen auf, welche besondere Schwierigkeiten bei der
Integration darbieten. Erstens hat man die beiden Formen
(A) antm+4, B) binla-r—B),
0 cos
wo a,b, A, B Konstanten sind und die o mit den störenden Massen
verschwinden. Diese immer auftretenden Glieder sind nach der Gylden-
schen Terminologie elementare Glieder. Diesen zur Seite treten im
Falle angenäherter Kommensurabilität der mittleren Bewegungen
Glieder der beiden Formen
(0) emtAv+lCl, DD da„tÜ+Me+D),
wo enic und d.. i D aus Gliedern der Form (A) zusammengesetzt
sın sın
sind und, indem das Verhältnis u der mittleren Bewegungen des
störenden und des gestörten Planeten nahe gleich dem ganzzahligen
Bruche = angenommen wird,
A=p—gü
ist. Die Glieder der Formen (C) und (D) nennt Gylden „charakte-
ristische“. Die Formen (A) und (C) sind langperiodische, (B) und (D)
dagegen kurzperiodische. Bei dem Integrationsprozeß können die Glieder
der Form (C) Divisoren von der Ordnung A?, diejenigen von. der
Form (D) aber Divisoren von der Ordnung A erhalten. Die elementaren
Glieder, welche den säkularen Gliedern der anderen Theorien ent-
sprechen, erhalten Integrationsdivisoren von der Ordnung der Masse
und geben also Veranlassung zu Gliedern, die formell von der nullten
Ordnung sind.
Die Glieder (A), (B), (C) und (D) sind mindestens vom Grade resp.
eg len) |.
Die nieht zu den genannten vier Formen gehörenden Glieder
werden „gewöhnliche“ genannt.
82) H. Gylden, Astr. Ges. Publ. XXI, Leipzig 1896.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 52
796 VIs, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
37. Integration. Die Bestimmung der Größen o, 5, 3 und dt nach
den Gleichungen (121), (122), (128) und
R | g__ LHA@ +20 + 32a)
(183) dt (149)? d+@+6e?
— (1— 29 cos F+.-)S-(2 +37? + )(1+S)de+---,
welch letztere aus (132),(145) und (146) folgt, vereinfacht Gylden dadurch,
daß er diese Größen in mehrere Teile spältet und ebenso die Diffe-
rentialgleichungen in solche für diese Teile zerlegt. Das hierbei be-
folgte Prinzip besteht darin, alle die Glieder, welche von derselben
Form sind und etwa dieselben Schwierigkeiten bieten, in eine Glei-
chung zu vereinigen.
Seien gewöhnliche Glieder und Glieder der Formen (A), (B), (C),
(D) einer Größe durch die bezüglichen Indizes g, a, b, c, d gekenn-
zeichnet. Aus den genannten Gleichungen ergeben sich dann für (oe),
O0 en tt)
resp. Gleichungen der Formen
(184) a iu Meo—=R, (0 = (Q), 60.; 99. Ida, $9,),
(185) .EDBRTT Ya (Bot Sri 84:8 6)
(186) ZT, (dt — t,, öt,, öt,, öt,, öt,),
(187) - FU Tr) 4, GW, Ida Ger dar Id,))
wo a und b kleine Konstanten erster Ordnung sind und AR, (8), T, und Z
die resp. Glieder der Differentialgleichungen von og, S, öt und öz2 be-
zeichnen, welche von der Form der zu bestimmenden Teile sind.
Die rechten Seiten dieser Gleichungen lassen sich nur durch fort-
gesetzte Annäherungen bestimmen, denn sie enthalten die gesuchten
Größen selbst, wenn auch mit kleinen Faktoren multipliziert. Eine
Ausnahme bilden dt und 7, welche in die Argumente mit Faktoren
nullter Ordnung multipliziert eingehen.
Handelt es sich darum, die Theorien der Hauptplaneten aus-
zuarbeiten, so erhält man für jeden ein System von Gleichungen
wie (184), (185), (186), (187), und alle diese Systeme sind dann
gleichzeitig zu integrieren. Solch eine Integration, die mit ganz be- .
deutenden Schwierigkeiten verbunden sein muß, ist niemals ausgeführt
worden. Ä
Die diesbezügliche Arbeit von Gylden (Orbites absolues) ist leider
unabgeschlossen geblieben. Aber auch wenn es sich um die Bahnen
38. Integration der elementaren und charakteristischen Glieder. 7197
der kleinen Planeten handelt, wo die Bewegungen der Hauptplaneten
als bekannt angenommen werden, ist die Integration der genannten
Gleichungen mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden, wenn man
streng an dem Gyldönschen Prinzip festhält, alle gesuchten Größen als
Summen von periodischen Gliedern ausdrücken und keine Entwicke-
lung nach Potenzen der unabhängigen Variablen zuzulassen.
Es sei im folgenden vorausgesetzt, daß die von den störenden
Planeten abhängigen Größen bekannt seien.
Aus der Form der Gleichung (184) folgt, daß in o nur diejenigen
Glieder der Formen (B) and (D) Schwierigkeiten verursachen, in denen
sehr kleine Divisoren auftreten. Die übrigen Glieder können nach
der in $ 30 gegebenen Formel, ein Glied « cos (vt + N) der Gleichung
(113) zu integrieren (« und N langsam veränderlich), erhalten werden.
Dabei kann und muß man, ebenso wie öfters auch in den übrigen
Gleichungen, die in den Argumenten vorkommenden Ödt,, öt, und Öt, ver-
mittelst Reihenentwickelung wegschaffen.
In den Gleichungen (185) und (186) aber bieten nur Glieder dar
Formen (A) und (C) Schwierigkeiten. Die übrigen Glieder können
nach der ersten Formel (115) integriert werden. Weil S in R (Glei-
chung (184)) eingeht, ohne die Masse als Faktor zu haben, muß man
jedoch auch kleine Glieder in $ von der Form (B) oder (D) berück-
sichtigen. Überhaupt kann man von den Gleichungen (184), (185)
(186) sagen, daß sie die verschiedenen Gruppen von Gliedern nur
formal trennen, und daß man. in Wirklichkeit die Framung erst durch
mühsames Aussuchen bewerkstelligen muß.
38, Integration der elementaren und charakteristischen Glieder.
Nach der Gleichung (184) erhält man zur Bestimmung von (og) eine
Gleichung der Form
as) OHIO tete +
wo die Koctäntanden b periodische Reihen in » von der Ordnung der Masse
sind. A. Lindstedt??) zeigte, wie diese Gleichung in periodischer Form
formell integriert werden kann (vgl. VI2, 12, Nr. 11 Whittacker). Die
Lindstedtschen Reihen sind jedoch im allgemeinen divergent. Um eine
konvergente Entwickelung zu erhalten, suchte Gylden schon in der
ersten Annäherung gewisse Glieder höheren und besonders dritten
Grades zu berücksichtigen. Unter Anwendung der angenäherten Werte
ncsF=(), „snf=-— =,
(+ + (0) Pos 2 Fr (9 pi ach
83) Mr Lindstedt, Pet. me&m. 7.. Reihe (31) 4 (1883).
52*
198 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
schaffte er aus der diastematischen Form der Entwickelungen die ele-
mentar werdenden Glieder weg. Er erhält in dieser Weise die soge-
nannte verallgemeinerte Fundamentalform, welche in die Differential-
gleichung von go eingeführt, zur Bestimmung von (e) eine Gleichung
gibt, welche, wenn nur die wichtigsten Glieder explizite ausgeschrieben
werden, die Gestalt hat
ss) OH (it + a7 ++ 0" (R),
wo die Koeffizienten a Konstanten erster Ordnung und nullten Grades
sind, deren Werte in den Annäherungen nur unbedeutend verändert
werden. (R) bezeichnet eine Summe von elementaren Gliedern. Es
ist zu zeigen, daß (oe) von der antizipierten Form (135) ist, und daß
die darin enthaltenen Koeffizienten #, so bestimmt werden können, daß
die Reihe für (o) konvergiert. Indem die konstanten Teile von n?
und »'? mit [n?], und [y’?], bezeichnet werden, nimmt die Gleichung
(189) unter den aufeinanderfolgenden Annäherungen die Form
FOL At +AB+ Em +) (B)
an, wobei ß,, Aß, ß und ß, Konstanten sind und Aß so zu bestimmen
ist, daß kein Glied der Form n cos F mal einer Konstante in (R)
auftritt. Man kann (R) die Form
(R) —- Dry, — sw — N— T,)
geben und erhält für (o) die antizipierte Form (135), wenn 6 und «,
durch die Gleichungen
(190) (1 — ’=1+A+Aß+Pln”b + lab»
(191) 1
as ri
2; — 5’ ++ APß+Plm bo +nh
bestimmt werden. Da nach (137)
[n?) ne ; 3. %
Yo =423%,?
ist, so werden die #, durch Lösung einer algebraischen Gleichung
höheren Grades erhalten. Ist nur ein x, zu bestimmen, so ist die
Gleichung (191) dritten Grades, und Gylden®%) zeigt, daß x, höchstens
von der Größenordnung Y7, ist. Das Vorkommen von I, in dem
Nenner würde also die Größe von |x,| begrenzen. Gylden nennt daher
> x” eine rg ae Funktion. Vermittels der horistischen Funktion
und analog
84) H. Gylden, Acta math. 15 (1891), p. 75—79.
38. Integration der elementaren und charakteristischen Glieder. 799
glaubte Gylden®) nachweisen zu können, daß man bei Anwendung
derselben für (e) eine konvergente Reihe erhalten würde. H. Poincare®®)
hat gezeigt, daß dies unrichtig ist, und daß Gylden Glieder auf der
rechten Seite von (189) vernachlässigt, welche ebenso wichtig sind
wie die Glieder der Form Konstante mal (e). Berücksichtigt man
aber auch jene Glieder, so dürfte indessen der Gyldensche Vorgang
mit Vorteil angewandt werden können, wenn es sich darum handelt,
Ausdrücke zu erhalten, welche für sehr lange, wenn auch nicht be-
liebig lange Zeiten gültig sein sollen.
Die wichtigsten elementaren Glieder von o hat Max Wolf?‘) ge-
geben.
Die Glieder von e von der Form (D) sind aus einer Differential-
gleichung zu bestimmen, welche von derselben Form ist wie die Glei-
chung für die elementaren Glieder, und können auch in derselben
Weise erhalten werden. Oft dürfte es sogar am zweckmäßigsten sein,
die Glieder der Formen (B) und (D) gleichzeitig zu behandeln. Die
in den Argumenten der Glieder von der Form (D) eingehende Zeit-
reduktion, berücksichtigt man durch teilweise Integration der lang-
periodischen Glieder und Reihenentwickelung der übrigen.
Die Glieder der Formen (A) und (C) in den Gleichungen (185)
und (186) werden kritisch, wenn die linearen Integrationsdivisoren
sehr klein sind, und eine lineare Integration kann dann ganz illu-
sorische Resultate liefern. Eine bessere Integrationsmethode suchte
Gylden zu erhalten, indem er von vornherein das Eingehen der zu
bestimmenden Größen in die Argumente berücksichtigte. Wie aus
der Gleichung (183) hervorgeht, entsteht der wichtigste Teil von 7
in der Gleichung für dt, und dt, aus S, resp. S, und die wichtigsten
Teile von dt, und dt, sind daher aus einer Gleichung der Form
(192) =D’ Asin (2iv-+ söt + 20)
zu bestimmen, wo 24 eine kleine Konstante, A RN C aber Konstanten
oder Summen von elementaren langperiodischen Gliedern von der ersten
Ordnung sind. Hieraus ist ersichtlich, daß dt, und öt, bei linearer
Integration den kleinen Integrationsdivisor 24 im Quadrat erhalten
und daher sehr vergrößert werden.
Bei den Gliedern der Form (A), wo die Integrationsdivisoren von
der ersten Ordnung sind, würde man das Entstehen von Gliedern der
85) H. Gylden, Acta math. 15 (1891) u. 17 (1893).
86) H. Poincare, Acta math. 29 (1905), p. 235—271.
87) Max Wolf, Stockholm Obs. Iakttagelser ete. (4) 4 (1891).
800 VI2, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
Ordnung — 1 oder sogenannten hyperelementaren Gliedern erwarten
können. Gylden®®) hat indessen schon früh gezeigt, daß die Koeffi-
zienten erster Ordnung der elementaren Glieder in (192) sich gegen-
seitig heben, und daß also hyperelementare Glieder in dt, sich nicht
finden, was nichts anders ist als das Poissonsche Theorem auf die
Gyldensche Theorie übertragen.
Die vielen Versuche Gyldens®°), die Gleichung (192) zu integrieren,
haben nicht zu definitiven Resultaten geführt. Gewöhnlich zerlegt
er öt in mehrere Teile 6,8, Ö,t,..., welche nacheinander bestimmt
werden können. Indem nur ein, aber das wichtigte, Glied der rechten
Seite von (192) berücksichtigt wird, bestimmt er Ö,t 7 aus der
bekannten Gleichung eines schwingenden Pendels
= Bsin2(Av + + 0),
welche, da B und Ü nach seiner Bestimmung Konstanten sind, ver-
mittelst elliptischer Funktionen integriert werden kann. Der Unter-
schied dt — d,t wird durch eine Hilfsgröße V vermittelt, die durch
eine Gleichung der Form
> T- 8
7m Pa + DHRs®r+-hl=X
zu bestimmen ist, wo k, h und die in& = yv + @ eingehenden zweck-
mäßig zu bestimmenden Größen » und p Konstanten sind und X teils
bekannte, teils durch Annäherungen zu erhaltende auch von V ab-
hängige langperiodische Glieder enthält. Die Integration dieser Glei-
chung sucht Gylden unter Anwendung der von Ch. Hermite?’) gege-
benen Lösung der Lameschen Differentialgleichung zu bewerkstelligen.
Eine andere von Gylden stammende Methode, die Gleichung (192)
zu integrieren, ist von P. Harzer’?) ausgearbeitet worden. Indem
wieder nur das bedeutendste periodische Glied explizite ausgeschrieben
wird, kann man nämlich der genannten Gleichung die Form
«9 + Bene +9)—X
geben. In erster Annäherung nimmt er ß und # als Konstanten und
X=( an und erhält dann für ® eine zwei Integrationskonstanten
enthaltende, durch einfache elliptische Funktionen ausdrückbare Lösung.
Die Funktion X und die Variabilität von ß und ® werden in den
88) H. Gylden, Stockholm K. Vet. Akad. Handl. (7) 2 (1882), p. 187—144;
Orbites absolues 1, p. 536—541.
89) Ch. Hermite, Paris C.R. 85 (1877), 2" sem. Mehrere Aufsätze.
39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gyldenschen Methode. 801
folgenden Annäherungen durch Variation der Integrationskonstanten
berücksichtigt.
Die Einführung der elliptischen Funktionen in die Lösung kom-
pliziert indessen die weiterend&&nnäherungen ungeheuer, es wird un-
möglich zu überblicken, was in », Differentialgleichungen berück-
siehtigt ist und was nicht. Natürlich yß zugegeben werden, daß in
einigen Fällen durch ihre Einführung schw@eh konvergierende Reihen
kürzer geschrieben und berechnet werden könn®t%, Viele bei Störungs-
problemen vorkommende Entwickelungen der ellıft@schen Funktionen
hat Gylden an den in Fußnote”) verzeichneten Stelle egeben.
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß Gylden”') auch die Zeit-
reduktion auf die Ermittelung einer Größe V zurückzuführen versucht
hat, die ihrerseits aus einer Gleichung der Form
dv
er v? V = X
zu bestimmen wäre. Das Vorkommen der horistischen Funktion v?
würde das Entstehen beliebig kleiner Divisoren verhindern. Gemäß
den Untersuchungen von H. AR %) ist auch dieser Integrations-
versuch unwirksam.
39. Spezielle Ausarbeitungen und Anwendungen der Gylden-
schen Methode. Methode von Brendel. (Gylden selbst hat keine
vollständigen Anwendungen seiner Theorie gegeben. Dagegen sind ver-
schiedene Teile seiner Methode und die bei den verschiedenen Pla-
netentypen am besten geeigneten Formeln von anderen Astronomen
weiterentwickelt und ausgearbeitet worden.
P. Harzer”) behandelte den Hecubatypus und untersuchte dabei
besonders die charakteristischen Glieder.
Die Planeten des 4-Typus untersuchte M. Brendel®?). Die Gylden-
schen Differentialgleichungen integrierte er dabei in der Weise, daß
die Koeffizienten der angesetzten Reihen nach der Methode der un-
bestimmten Koeffizienten bestimmt wurden. In ähnlicher Weise be-
handelte K. @. Olsson®?) einen kleinen Planeten desselben Typus, wobei
er noch verschiedene Koeffizienten nach Potenzen der Größe n — 3n’
entwickelte.
90) H. Gylden, St. P&t. mem. 7. Reihe (16) 10 (1871); BWookholn K. Vet.
Handl. (11) 9 (1874).
91) H.Gylden, Acta math. 17 (1893); Astr. Ges. Publ. 21, Leipzig 1896,
p. XLIV—L.
92) M. Brendel, Stockholm Obs. Iakttagelser ete. (4) 3 (1891).
93) K.@. Olsson, Stockholm K. Vet. Akad. Handl. (25) 8 (1893).
802 VIs,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
In seiner später erschienenen Theorie der kleinen Planeten teilt
M. Brendel”*) die Planeten nach ihren Kommensurabilitätsverhältnissen
in bezug auf Jupiter in drei Klassen:
1. gewöhnliche, deren mittlere Bewegung nicht nahe kommensurabel
mit derjenigen Jupiters ist;
2. charakteristische, deren mittlere Bewegung nahe, aber nicht sehr
nahe kommensurabel mit derjenigen Jupiters ist;
3. kritische, deren mittlere Bewegung sehr ne kommensurabel
mit derjenigen Jupiters ist, so daß strenge Kommensurabilität (Libra-
tion) befürchtet werden kann.
Die charakteristischen und kritischen Planeten sind von der v-ten
Klasse, wenn das Verhältnis der mittleren Bewegungen “- nahe gleich
N
ee ist (p und » ganze teilerfremde Zahlen).
Bei der Integration wendet Brendel”) hier öfters die partielle
Integration an, indem erst 7, n, J, ®,... als’ Konstanten betrachtet
werden. Die aus der Veränderlichkeit des in den Argumenten ent-
haltenen 7’in den Lösungen entstehenden Glieder werden „exargumen-
tale“, die aus der Veränderlichkeit der elementaren Größen n, J,®,...
entstehenden Glieder werden „Zusatzglieder“ genannt. Brendel be-
handelt speziell die gewöhnlichen und die Planeten der Typen 4, 4, 2
und gibt explizite die Hauptglieder der Störungen, sowohl in ana-
lytischer Form als auch numerisch tabuliert, wobei indessen für die
kritischen Planeten die Behandlung noch nicht ganz durchgeführt ist.
Um die Berechnung einer Ephemeride zu vereinfachen, führt er auch
in die erhaltenen Störungsformeln die Zeit als unabhängige Veränderliche
ein. Weiter leitet er aus den Störungen der Gyldenschen Koordinaten
auch die Störungen in den Elementen ab. Bisweilen findet er es vor-
teilhaft, statt oskulierender Elemente sogenannte instantane Elemente '®)
anzuwenden, welche so gewählt werden, daß sie zu jeder Zeit die
Koordinaten des Planeten, nicht aber auch gleichzeitig deren Ab-
leitungen darstellen.
Nach der Brendelschen Methode haben H. Ludendorff”°) und
J. Kramer‘) die Theorien der kleinen Planeten des Typus 4 und
H. Buchholz®®) diejenigen des Typus 2 ziemlich ausführlich entwickelt.
Kramer entwickelt dabei die elementaren Glieder in säkularer Form.
BR M. Brendel, Göttingen Ges. Wiss. Abhdl. Neue Folge (1) 2 (1898), (6) 4
(1909), (6) 5 (1910), (8) 1 (1911).
95) M. Brendel, Math. Ann. 55 (1901), p. 248—256.
96) H. Ludendorff, Die Jupiterstörungen der kl. Pl. vom fs.
Berlin 1897.
40. Methode von Backlund. 803
Y, Verschiedene Methoden.
40. Methode von Backlund. Um die bei Anwendung der wahren
Anomalie als unabhängiger Veränderlichen erforderliche komplizierte
Entwickelung der Störungsfunktion zu vermeiden und die Störungen
_ durch eine wenig von der Zeit verschiedene Veränderliche auszu-
drücken, hat O0. Backlund”®) auf Grund der Laplaceschen Theorie der
Jupitersatelliten!®) eine neue Methode entwickelt, in welcher übrigens
die Gyldenschen Hauptprinzipien bezüglich der Form der Störungs-
ausdrücke zur Anwendung gekommen sind.
Backlund setzt die wie bei Gylden definierte Länge in der Bahn an:
v_n+tVv+y+rA,
wo A eine Konstante, d eine langperiodische Funktion und y eine
kleine Größe ist, nach deren Potenzen die Störungsfunktion entwickelt
werden kann. Als unabhängige Veränderliche wählt er
rent+v
und indem er als zu bestimmende Größen w, den Sinus der Breite 5
und die durch die Gleichung
"=a(1+0®-+o), n?’a?—= k?(1 + m)
(® eine überzählige Konstante von der Ordnung der Masse, welche
so zu bestimmen ist, daß og nur periodische Glieder enthält) definierte
Größe o nimmt, folgen aus den Gleichungen (101), (103) und (128)
zu ihrer Bestimmung Gleichungen der Form
te = Rt RR;
d
it m+ Mm
Ar je Zi
wo Ro, War Zus Ri; Wı, Z, nach Potenzen von ®, o, Y, Sr, a ; und
den entsprechenden Größen des störenden Planeten entwickelt sind.
R,, W,, Z, haben die störende Masse als Faktor, R,, W,, Z, hingegen
97) J. Kramer, Die genäherte absolute Bewegung des Planet. (108) Hecuba.
Inaug.-Diss. Berlin, Göttingen 1902, Göttingen Ges. Wiss. Neue Folge (2) 2 (1901)
und (5) 3 (1907).
98) H. Buchholz, Wien. Denkschr. 72 (1902) und 77 (1905).
99) O. Backlund, St. Pet., mem. 7. Reihe (38) 11 (1892) und 8. Reihe (6)
10 (1898).
100) P. S. Laplace, Traite de mee. c&l. 4 (1805), p. 5-- 82 = Oeuvres 4, p. 1—94;
Paris hist. (2) mem. (1788/9) = Oeuvres 11 p. 309-—473.
804 VI2,15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten. -
nicht. Die Integration, welche Backlund mit einigen Vereinfachungen
nach Gyldens Muster bewerkstelligt, wird durch das Vorkommen der
Größen R,, W,, Z, ein wenig kompliziert, indem die Annäherungen
teilweise nur nach Potenzen der Exzentrizitäten und Neigungen fort-
schreiten.
Die Methode ist von Backlund für die kleinen Planeten des 4-Typus
spezieller entwickelt und bezweckt zunächst nur eine angenäherte
Lösung. Hilfstafeln zur Berechnung der Hauptungleichheiten hat
A. Iwanow'!?') gegeben.
41. Die Jupitergruppe. Eine allgemeine Theorie dieser erst nach
1906 entdeckten Planetengruppe ist noch nicht gegeben. Da ihre
mittleren Abstände von der Sonne nahe gleich demjenigen Jupiters sind,
kann die gewöhnliche Entwicklung der Störungsfunktion nicht ange-
wandt werden. Da aber diese Planeten seit ihrer Entdeckung in der
Nähe der Lagrangeschen Dreieckspunkte verblieben, konnte man die
Untersuchungen über die Bewegungen kleiner Massen in der Nähe
dieser Punkte anwenden (siehe VIe, 12, Nr. 6, Whittaker). Die Stö-
rungsfunktion entwickelt man nach den Potenzen des Abstands der
Planeten vom Dreieckspunkt. F. J. Linders'®) bestimmte in erster An-
näherung die Variationen der Delaunayschen kanonischen Elemente,
wobei die Jupiterbahn kreisförmig vorausgesetzt wird. W. W. Heinrich")
berücksichtigt noch die Jupiterexzentrizität.
42. Angenäherte Störungen. Um die kleinen Planeten wieder zu
erkennen oder ihre Örter für die Beobachtungen bis auf einige Bogen-
minuten genau zu berechnen, braucht man nur angenäherte Lösungen.
Eine solche wird z.B. erhalten, wenn man in einer genauen Theorie
mit genau bestimmten Konstanten nur die größten Glieder beibehält.
In dieser Weise würde man eine für lange Zeiten geltende genäherte
Lösung erhalten. Gewöhnlich entwickelt man indessen nur die Haupt-
glieder der Lösung und fordert nur eine ziemlich kurze Darstellungs-
zeit (höchstens etwa 100 Jahre). Um die Konstanten aus den be-
obachteten Örtern einigermaßen genau zu erhalten muß man den Ein-
fluß der Vernachlässigungen in der Lösung durch Vermehrung und
gleichmäßige Ausdehnung der Beobachtungen über möglichst lange
Zeiten abzuschwächen suchen, was indessen nicht immer gelingt, da
die Fehler oft systematisch wirken.
101) A. Iwanow, St. P6t. bull. (10) 1 (1899); (18) 3 (1900).
102) F.J. Linders, Stockholm K. Vet. Akad. Arkiv (4) 20 (1908) — Medde-
landen fran Lunds astr. Obs. 38.
103) W. W. Heinrich, Prag. Ges. Wiss. Ber. (Febr. 1913).
42. Angenäherte Störungen. 805
Die in Nr.39 und 40 genannten Methoden sind auch speziell
für solche angenäherte Lösungen ausgearbeitet worden. Denselben
Zweck hat auch die von K. Bohlin'%) ausgebildete Methode der
gruppenweisen Berechnung der Störungen. Er wendet die Hansen-
sche Methode bis auf die Entwicklung der Störungsfunktion (vgl.
VI2,13, Nr.26, v. Zeipel) und die Integration an und gibt speziell
die für den Typus } nötigen Formeln und numerischen Tafeln. In
der Entwicklung der Störungsfunktion und derjenigen ihrer Ableitungen
führt er anstatt der mittleren Anomalie des störenden Körpers, welche
wie bei Hansen in der Form
M=nt+cd-+ndf
geschrieben sei, die verhältnismäßig langsam veränderliche Größe
= w(E-—esinE) — M’
ein, wobei u, eine einfache Zahl, wie 3, #,4,... ist, die nahe
dem Verhältnis u = — der beiden mittleren Bewegungen liegt, so daß
u=-1—--
al)
für die betreffende Planetengruppe eine kleine Größe ist. Diese Ent-
wicklungen sind von der Form
sinf. .r .r ?
DENE -ÜmWEHi 6+L),
wo L und K Konstanten bezeichnen, von denen die letzteren nach
Potenzen von w entwickelt sind. Indem als unabhängige Veränder-
liche die gestörte exzentrische Anomalie E anstatt der in Nr. 28 ein-
geführten ungestörten Anomalie s angewandt wird, werden die Diffe-
rentialgleichungen die den Formeln (96) ganz analogen Formen
aWw ı dR
N
annehmen. 7 und U sind in Fouriersche Reihen von der Form
si . . .r
| DESVE- wE+iO HAM HL],
entwickelt, wo n, die in den Gleichungen (81) vorkommende Größe
ist und A nur die Werte — 1,0 und + 1 annimmt. Die Größe W
wird daher in der Form
W=x-+4yeosn + 2sinn
erhalten, wo &, y, 2 von n, unabhängig sind.
Nach (81) und (82) findet man dann, daß
ran JS K=z-+ ey
104) K. Bohlin, Nova Acta Reg. soc. sc. Upsaliensis (3) 17 (1896); Stock-
holm Obs. Jakttagelser etc. 7 (1902).
806 VIe, 15. Karl F. Sundman. Theorie der Planeten.
ist, und da BB
W=|W=x+yesE+zsinE
10=E
ist, kann v» nach der Gleichung (79) unmittelbar berechnet werden.
u folgt am einfachsten aus der Größe R nach der der Gleichung (88)
analogen Formel E
ü=R=|R.
1o=E
Die Störung der mittleren Anomalie nd& folgert Bohlin aus der
Gleichung
= wwng +1 — wndd) — dd +uc—c,
nachdem ® selbst aus der durch na der Gleichungen (68)
und (76b) abgeleiteten Gleichung
d6
ds
[m + au) tz] (1—ecosE) en == H
bestimmt ist.
Bohlin spaltet nun 6 in zwei Teile
0-6, +9,
und entwickelt alle # enthaltenden Glieder nach Potenzen von 6,. Bei
den Annäherungen wird H ebenso nach und nach in zwei Teile
H=H, + Hr
zerlegt, wobei in H, alle Glieder von H aufgenommen werden, die
0, aber nicht E enthalten. 9, und 9, bestimmen sich dann aus den
Gleichungen
d6, d8
ar Po» 1 = Hr.
dE
Charakteristisch für die Methode von Bohlin ist, dad W und R
als Funktionen der beiden Veränderlichen 9, und E vermittels der
partiellen Differentialgleichungen
oW oW
DE F Ho 55, IT IE Der,
OR |
+ u a EL ar
bestimmt werden, ohne daß man 9, als Funktion von E zu kennen
braucht. Um die Integration auszuführen, spaltet er W und R ın
derselben Weise wie H in zwei Teile
W=W,+W;, R=Re+ Rs
und setzt die Glieder der beiden Seiten der Gleichungen (193), welche
nur 6, enthalten, für sich gleich und ebenso die übrigen Glieder für
sich. Wird weiter in den solcherweise erhaltenen Gleichungen für
(193)
42. Angenäherte Störungen. 807
jede Größe eine vorausgesetzte Entwicklung nach Potenzen von w, z.B.
MW;=Woo+ Woıw+ Wow + ;,
eingeführt und die Glieder gleichgesetzt, welche dieselbe Potenz von w
enthalten, so erhält man eine Reihe von Gleichungen, aus welchen die
einzelnen Teile von W und R und damit diese Größen selbst leicht.
zu erhalten sind.
Da u, eine rationale Zahl ist, so werden die Integrationsdivisoren
der periodischen Glieder © — i’u, nicht unendlich klein, wohl aber
Null, woraus folgt, daß E in den Störungsausdrücken außerhalb der
Zeichen sinus und cosinus vorkommt. H. Poincare!®), der beinahe
gleichzeitig mit Bohlin dieselbe Integrationsmethode fand, zeigt, daß
die erhaltenen Reihen nicht konvergieren. Wie die von Bohlin'%) und
anderen gemachten Vergleichungen mit anderweitig abgeleiteten Stö-
rungsausdrücken zeigen, liefert die Bohlinsche Methode indessen recht
gute Darstellungen der Störungen, wenigstens wenn man die ersten
Potenzen von w berücksichtigt. Ä
Die speziellen Formeln und Tafeln für den $-Typus sind von
AH. v. Zeipel!®), für den 3-Typus von D. T. Wilson!) gegeben. v. Zeipel
macht dabei einige Abänderungen. Er spaltet @ nicht, sondern behält
es als Argument bei. Indem W und R in der Weise gespalten werden,
daß . und - keine von E unabhängigen Glieder enthalten, er-
zielt er, daß E aus den Argumenten nicht heraustritt. Er vermeidet
eine konsequente Entwicklung nach Potenzen der Masse m’, setzt
vielmehr zw für w, m’ für m’ und entwickelt die verschiedenen
Größen durchgehend nach Potenzen der (zum Schluß wieder gleich 1
zu setzenden) Größe x. Ein Glied, welches x? u Faktor hat, be-
trachtet er als vom Range gq.
Um die von den langsam veränderlichen Gliedern herrührenden
Schwierigkeiten zu vermindern, sollte man bei der Ausarbeitung der
Methoden auf die Länge der Zeit, innerhalb deren die Lösung gelten
soll, mehr Rücksicht nehmen, als bisher geschehen ist. Die auf die
Beherrschung langer Zeiten abzielenden Methoden sind sicherlich
nicht die besten für kurze Zeiten.
105) H. Poincare, Les meth. nouv. de la me&ec. cel. II, p. 315—476, Paris 1893.
106) H.v. Zeipel, St. Pet., mem. 8 Serie (12) 11 (1902).
107) D.T. Wüson, Stockholm Obs. Jakttagelser ete. (10) 1 (1912).
(Abgeschlossen im Februar 1915.)
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V12. 16. DIE SATELLITEN.
Von |
KURT LAVES
IN CHIKAGO (ILL.).
Inhaltsübersicht.
Einleitung: Überblick.
A. Die empirische Methode. 1610—1760.
1. Das Jupitersystem
2. Das Saturnsystem.
B. Die analytische Methode. 1760 bis zur Gegenwart.
3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satelliten
und Neuentdeekungen.
4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem.
5. Die Auffindung der Satelliten von Uranus, Neptun und Mars.
6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise.
7. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse des Haupt-
planeten.
8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der Ringe.
9. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines Satelliten
10. Die Störungsfunktion R.
11. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten und Neigungen.
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme:
«) Das Jupitersystem: Die vier Galileischen Satelliten.
ß) Das Saturnsystem:
a) Japetus,
b) Titan und Rhea,
c) Hyperion,
d) Dione, Tethys, Enceladus und Mimas,
e) Phöbe und Themis.
y) Die Satelliten des Mars, Uranus und Neptun.
13. Die säkularen und langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten, der
Längen der Perizentren und mittleren Längen,
«) Das Jupitersystem:
a) Die vier Galileischen Satelliten,
b) Die übrigen Satelliten.
Fncyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 53
s10 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
ß) Das Saturnsystem:
a) Japetus, Titan und Rhea; Phöbe und Themis,
b) Die Satellitenpaare, bei denen Librationsglieder auftreten:
Hyperion-Titan,
Enceladus-Dione,
Tethys-Mimas.
y) Die übrigen Satellitensysteme.
14. Die kurzperiodischen und die von der Sonne herrührenden Ungleichheiten.
15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme.
Literatur.
Lehrbücher und Monographien.
Lehrbücher.
P. S. Laplace, Trait& de M&canique celeste, t. IV, Paris 1805 = Oeuvres 4 (1880),
p. 1—190.
F. Tisserand, Trait€ de Mecanique celeste, Paris 1896, t. IV, chp. 1—9.
Das Jupitersystem.
J. Bailly, Essai sur la theorie des satellites de Jupiter, Paris 1766.
J. Lagrange, Recherches sur les inegalites des satellites de Jupiter. Oeuvres VI,
p. 67 fl.
J. Delambre, Tables des satellites de Jupiter. Conn. des temps pour 1791 = La-
lande Astr. I (1792), p. 236.
M. Cl. de Damoiseau, Tables &cliptiques des satellites de Jupiter. Paris Bur.
Long. tabl. astr. V (1836), und deren Fortsetzungen von D. P. Todd: A conti-
nuation of de Damoiseaus tables of the satellites of Jupiter. Wash. Americ.
Bureau of Navig. 1876 (for.1880—1900), und L. Pottier, Par. Bull. astr. 13
(1896), p. 67 u. 107 (für 1900-1920).
©. L. Sowillart, Theorie analytique des mouvements des satellites de Jupiter 1.
Lond. Astr. Soc. Mem, 45 (1879).
— Theorie analytique des mouvements des satellites de Jupiter II. Paris M&m.
30 (1837).
A. Marth, Formules for positions of satellites and correetion of elements. Lond.
Astr. Soc. Month. Not. 47 (1887), p. 333.
— Data for computing the positions of satellites of Jupiter with Tables of the
inequalities. Lond. Astr. Soc. Month. Not. 51 (1891), p. 505.
W. de Sitter, Discussion of Heliometer observations of Jupiters satellites. Gro-
ningen (Dissertation) 1901.
— Determination of inclin. and nodes of satellites of Jupiter. Cape obs. ann. XII.
Part 3 (1906).
— Libration of the 3 inner satellites of Jupiter. Groningen Laboratory Nr. 17
(1907).
— On the masses and elements of Jupiters satellites and the mass of the
system. Amsterdam Akad. 10 (1908).
B. Cookson, Determination of mass of Jupiter and orbits of satellites. Cape obs.
ann. XII, Part. 2 (1906).
— Determination of the elements of the orbits of Jupiters satellites. Cape obs.
ann. XII, Part. 4 (1907).
Inhaltsübersicht. Literatur. sil
R. A. Sampson, A discussion of the eclipses of Jupiters satellites 1878—1893.
Harvard obs. ann. 52, Part 2 (1910).
Tables of the 4 great satellites of Jupiter. Durhani obs., 1910, p. 1—299.
. Cohn, Bestimmung der Bahnelemente des V. Jupitermondes. Astr. Nachr. 142
(1897), p. 289.
. Struve, Bestimmung der Säkularbewegung des V. Jupitermondes. Berlin Ber.
1906, p. 790.
. Wilkens, Über die Säkulargleichungen der vier helleren Jupitermonde. Astr.
Nachr: 201 (1915), p. 85.
Be
Das Saturnsystem.
F. W. Bessel, Untersuchungen über den Planeten Saturn, seinen Ring und seine
vier Trabanten, Königsbg. Archiv für Naturw. u. Math. I (1812), p. 113 =
Abh. I, p. 110. Zitiert als Bessel I.
— Bestimmung der Bahn des Hugenischen Saturnsatelliten, Astr. Nachr. 9 (1831),
p. 1, samt erster Fortsetzung Astr. Nachr. 9. (1831), p. 381 u. zweiter Fortsetz.
Astr. Nachr. 11 (1834), p. 17 = Abbh. I, p. 127, 147 u. 148. Zitiert als Bessel II.
— Bestimmung der Lage und der Größe des Saturnringes und der Figur des
Saturn, Astr. Nachr. 12 (1835), p. 153 = Abh. I, p. 150. Zitiert als Bessel III.
— Theorie des Saturnsystems, Astr. Nachr. 28 (1849), p. 1, 49, 321 u. 3711 =
Abh. I, p. 160. Zitiert als Bessel IV.
H. Struve, Beobachtungen der Saturnstrabanten am 15’’ Refraktor. Poulkova obs.
Suppl. 1 (1888).
— Beobachtungen am 30zölligen Refraktor. Poulkova obs. (2) XI (1898).
W. Meyer, Recherches sur Saturne, ses anneaux et ses satellites. Me&m. Societe
phys. de Gen&ve 27 (1881), und Le syst&me de Saturne, ibid. 30 (1884). Zitiert
als Meyer (Geneve).
K. Bohlin, Sur les &l&ments de l’orbite de Töthys. Acad. des Sciences de Suede (1885).
A. Hall, The six inner satellites of Saturn. Wash. obs. 1883, App. 1 (1886).
— The orbit of Japetus. Wash. obs. 1882, App. 1 (1885).
H. Struve, Neue Bestimmung der Libration von Mimas und Tethys. Astr. Nachr.
162 (1903), p. 325.
F. Tisserand, Sur un cas remarquable du problöme des perturbations. Paris Bull.
astr. 3 (1886), p. 425.
— Sur les mouvements des apsides des satellites de Saturn. Ann. Toulouse 2 (1886).
— Sur le deplacement seculaire du plane de Japetus. Ann. Toulouse 2 (1886).
S. Newcomb, On the motion of Hyperion (a new case in the celestial mechanic).
Wash. Astron. Pap. 3 (1884).
@G. W. Hill, On the motion of Hyperion and the mas of Titan. \stron. Journal 8
(1888), p. 57.
Die Satellitensysteme von Mars, Uranus und Neptun.
H. Struve, Bestimmung der Abplattung und des Äquators von Mars. Astr. Nachr.
138 (1895), p. 217.
S. Newcomb, Discussion of observations of the sat. of Uranus and Neptune. Wash.
obs. 1873, App. 1 (1875) = Wash. Astr. Pap. 1.
F. Tisserand, Deplacements seculaires de l’&quateur d’une planete. Paris Bull.
astr. 11 (1814), p. 337.
H. Struve, Beobachtungen des Neptuntrabanten amı 30zölligen Refraktor. St. Pet.
mem. 42 (1894), Nr. 4.
53*
812 VI2, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
Einleitung.
Die Entwicklung‘ der Satellitentheorie zerfällt der Zeit nach in
zwei Abschnitte:
1. Die Zeit vor der Einführung des Newtonschen Gravitations-
gesetzes 1610—1760,
2. Die Zeit von 1760 bis zur Gegenwart.
Im ersten Abschnitt werden an der Hand der Finsternisbeob-
achtungen der vier Galileischen Satelliten auf empirischem Wege die
Hauptungleichheiten in der Länge bei der Bewegung dieser Satelliten auf-
gefunden. Die Schwierigkeit, die Ungleichheiten in der Breite zu er-
schließen, führt vorwiegend zum Aufgeben der empirischen Methode.
Dieses geschieht etwa um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Seit dem
Eintreten von Lagrange und Laplace beherrscht die analytische
Methode das Feld und gewinnt in der Laplaceschen Satellitentheorie
der vier Galileischen Trabanten eine scheinbar endgültige und ab-
schließende Darstellung.
Im Saturnsystem geben Bessels heliometrische Feinmessungen
die Basis für seine grundlegende Theorie der Saturntrabanten. Wesent-
liche Weiterführungen der letzteren Theorie sind einmal in der New-
combschen Theorie des Hyperion, und andrerseits in H. Struves syste-
matischen Untersuchungen des Gesamtsystems zu sehen.
Die auf der Laplaceschen Theorie aufgebauten Tafeln der Finster-
nisse von Delambre und Damoiseau bringen infolge schwerwiegender
Inkonsistenzen die Forschung im Jupitersystem zu einer langjährigen
Stagnation. Durch Sowillarts Weiterführung der Zaplaceschen Theorie
und Marths vielseitige Bemühungan und endlich durch die systema-
tisch angestellten Feinmessungen von Gill, Finlay, de Sitter, Cookson,
ferner Pickering und Sampson ist die Basis für eine spätere moderne
Theorie der vier Galileischen Trabanten geschaffen worden.
A. Die empirische Methode. 1610—1760.
l. Das Jupitersystem. Die vier ersten Trabanten des Jupiter
wurden von Galblei!) am 7. Januar 1610, von Simon Mayer?)?) unab-
Für die ältere Literatur vgl.: Houzeau et Lancaster: Bibliogr. generale de
l’Astr., Bruxelles 1882. Vol. II: 1888—1406; R. Grant, History of Physical. Astr.,
London 1855, p. 76—96, u. R. Wolf, Handbuch der Astr., ihrer Geschichte u. Lite-
ratur, Bd. I u. II, Zürich 1890 u. 1892.
1) Sidereus Nuntius, Opere di Galileo 2, p. 5, engl. Ausgabe von Carlos 1880.
2) Oudemans et Bosscha, Galilee et Marius, Arch. neerl. Science. VIII (1903).
3) J. Klug, 5. Marius aus Guggenhausen und Galilei. München Akad. Abh.
2 (1902), p. 385.
1. Das Jupitersystem. 813
hängig davon am 8. Januar entdeckt. Aus den von Galilei noch un-
genau bestimmten Umlaufszeiten und Distanzen leitete Kepler die
Gültigkeit seines dritten Gesetzes für das Jupitersystem ab. 1675
entdeckte Olaus Römer aus den Verfinsterungen des I. Satelliten die
endliche Fortpflanzungszeit des Lichtes. Die Bestimmung der geogra-
phischen Längen‘) wurde durch die Beobachtung der Verfinsterungen
des I. Satelliten wesentlich verbessert und dadurch die Aufmerksam-
keit der Astronomen diesen Beobachtungen und ihren tabellarischen
Vorausbestimmungen zugewendet. Solche Tabellen werden vor allen
von J. D. Cassini?), Bradley®) und Wargentin”) veröffentlicht. Wäh-
rend Cassini nur beim I. Satelliten die Lichtgleichung ansetzt, weil
die unregelmäßigen Bewegungen der andern Trabanten nicht da-
durch behoben zu werden schienen, wird bei den Tafeln von Brad-
ley und Wargentin sowohl auf die Lichtgleichung Rücksicht genommen,
wie auch schon die große Ungleichheit von 437 Tagen in Rechnung
gestellt wird. Dieser große Fortschritt wird gleichzeitig und unab-
hängig von beiden Forschern erreicht, doch gebührt Wargentin, der
Zeit der Publikation nach, der Vorrang. Spätere Neuausgaben der
Wargentinschen Tafeln stellen zwei langperiodische Ungleichheiten
beim III. Satelliten in die Berechnungen ein. Die starke Exzentri-
zität der Bahn des IV. Satelliten wurde von Brudley zuerst klar er-
kannt, und von Maraldi II?) wird der Wert seiner Mittelpunkts-
gleichung schön sehr genau angegeben. Damit fiel endlich das eine
der Cassinischen Axiome, daß alle Trabantenbahnen Kreisgestalt
haben. Das andere Axiom, wonach die Bahnen gleiche und konstante
Neigung im Raume haben sollten, wird ebenfalls als durch die Be-
obachtungen nicht bestätigt erkannt. Die Neigung des IV. Satelliten”) °
zur Jupiterbahn ist kleiner als diejenige der anderen Satellitenbahnen;
bei scheinbarer konstanter Neigung zur Jupiterbahn bewegt sich der
Knoten der Bahn in direkter Richtung auf der Jupiterbahn. Zu
dieser wichtigen Erkenntnis trat die andere, daß die Neigungen der
4) J. D. Reuß, Repert. commentationum a societatibus literariis editarum.
Göttingen 1804, tom. 5 (Astron.), p. 258.
5) J. D. Cassini, Comparaison des satellites de Jupiter et de Saturne. Paris
hist. 1730.
6) J. Bradley, Indication de la periode de 437 jours des trois premiers sa-
tellites de Jupiter, Lond. Phil. Trans. 1726.
7) P.W.Wargentin, Tabulae pro calculandis eclipsibus satellitum Jovis. Acta
Upsal. 1741.
8) J. D. Maraldi, Vgl. Artikel in Paris hist. (2) mem. 1 und 2 von 1732 an.
9) —, Mouvement des noeuds du 4itme satellite. Paris hist. (2) mem. 1758.
814 VI2, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
drei innern Satellitenbahnen variabel sind und nach Maraldi'’) durch
die Annahme einer Libration des Knotens um eine mittlere Lage
dargestellt werden. Die Periode dieser Librationen bei den einzelnen
Satelliten ist verschieden; sie wächst mit dem Abstande vom Zentral-
körper. Diese allgemeinen Andeutungen werden genügen, um anzu-
deuten, wie außerordentlich erfolgreich die heuristische Methode bei
der Diskussion der zahlreichen und relativ sehr genauen Verfinste-
rungsbeobachtungen gewesen ist. Trotzdem Bradley, durchaus klar-
blickend, die endgültige Aufklärung nur auf der Basis des Newton-
schen Grundgesetzes schon um 1745 voraussagt, bedarf es doch noch
einer Reihe wichtiger Vorarbeiten, bis hierfür der Boden reif ist.
Dahin kann man Olairauts wichtige Arbeiten über die Mondbewegung'')
und die Gestalt der Erde'?), ferner Eulers'?) Untersuchung über die
Apsidenbewegung eines Satelliten rechnen.
2. Das Saturnsystem. Durch Galileis'*) Entdeckung der unregel-
mäßigen Gestalt des Saturn war die Anregung geboten, diesen Pla-
neten intensiver mit den neugeschaffenen optischen Mitteln zu beob-
achten. Die Natur des Ringsystems wurde durch Huygens'?) scharf-
sinnige Erklärung „annulo eingitur, tenui, plano, nusquam cohaerente,
ad eclipticam inclinato“ erschlossen. Das hiernach vorausgesagte Ver-
schwinden der Ringe und ihre Wiedererscheinung wurde durch die
Beobachtung bestätigt, und eine erste approximative Bestimmung der
Neigung der Ringebene zur Ekliptik ermöglicht. Die Entdeckung des
größten der Saturnsatelliten, Titan, durch Huygens"?) fällt in das Jahr
1655, in dem auch das Verschwinden der Ringe eintrat. In den
Jahren von 1671 bis 1684 gelang es Cassini 1, vier weitere Trabanten
zu entdecken, wovon der als zweiter entdeckte Japetus in nahezu drei-
fachem Abstande Saturn—Titan erst in 79 Tagen den Zentralkörper
umkreist. Die drei andern Satelliten sind Rhea, Dione und Tethys, in
den Abständen 9, 6 und 5, wobei der Radius des Saturnkörpers als
Einheit genommen ist. Ein volles Jahrhundert sollte verstreichen, ehe
die Vervollkommnung der astronomischen Instrumente weitere Neu-
10) J. D. Maraldi, Variation de l’inclinaison et libration des noeuds du
second satellite. Paris hist. (2) mem. 1768.
11) Clairaut, L’orbite de la Lune. Paris hist. (2) m&m. 1743, p. 17, u. 1748
p. 421.
12) Olairaut, Nouvelle theorie de la figure de la Terre. Paris 1743.
13) Euler, Du mouvement des apsides des satellites de Jupiter. Berl. hist.
1773, p. 311.
14) Galileo, Opere T. 2; edit. Padua.
15) Huygens, Systema Saturnium. Hagae 1659.
16) Huygens, De Saturni luna observatio nova. Hagae 1656.
8. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satelliten. 315
entdeckungen möglich machte. Die in dieser Zeit angestellten sehr
spärlichen Beobachtungen des Durchgangs durch die Ringebene sind
von Bessel!?)'®) zusammengestellt und diskutiert, sowie auch alle mit
Bezug auf die Satelliten gemachten Beobachtungen.
B. Die analytische Methode. 1760 bis zur Gegenwart.
3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Gali-
leischen Satelliten und Neuentdeckungen. Der erste Schritt zur
Einführung des Newtonschen Gravitationsgesetzes in die Satelliten-
theorie geschah durch Newton?) selbst, der die Bewegung der Bahn-
ebene des IV. Satelliten auf der Jupiterbahn durch die störende
Wirkung der Sonne zu erklären suchte. Hierbei ergab sich ihm aber
eine retrograde Bewegung statt der durch die Beobachtung erwie-
senen direkten. Der Grund für diese Differenz lag, wie sich erst viel
später herausstellte, in der Vernachlässigung der störenden Wirkungen
des III. Satelliten und der Abplattung. Der nächste Versuch in
dieser Richtung war Baillys?)*)®) Übertragung der Clairautschen
Mondtheorie auf die Jupitersatelliten. Der Erfolg seiner Arbeiten war,
daß er die große Ungleichheit von 437 Tagen wirklich analytisch
darstellte und durch geschickte Kombination die Masse des II. Satel-
liten bestimmte. Dem spezifischen Charakter des Problems der Jupiter-
satelliten war Bailly aber noch nicht nahe gekommen, erst Lagrange
war dieses vorbehalten. Lagrange?”) gibt in seiner Preisarbeit die
Differentialgleichungen der Bewegungen der Satelliten unter Berück-
sichtigung der gegenseitigen Anziehungen, der Attraktion der ellipsoi-
dischen Jupitermasse und der Sonnenanziehung. Indem er diese Glei-
chungen zunächst unter Vernachlässigung der Exzentrizitäten und
Neigungen integriert, kommt er auf die Ungleichheit von 437 Tagen
bei den Verfinsterungen der drei innern Satelliten. Bei der Berück-
sichtigung der Exzentrizitäten und Neigungen stößt er auf die näm-
liche Schwierigkeit, die Euler und Lagrange bei der Theorie von
17) F. W. Bessel UI.
18) F. W. Bessel II.
19) Newton, Principia, lib. III prop. 23.
20) Bailly, Essai sur la theorie des satellites de Jupiter. Paris hist. (2)
me&m. 1766.
21) Bailly, La cause de la variation de l’inclinaison de l’orbite du second
satellite de Jupiter. Paris hist. (2) m&m. 1765.
22) Bailly, Mouvement des noeuds et variation de l’inclinaison des satellites
de Jupiter: Paris hist. (2) m&m. 1766.
23) Lagrange, Recherches sur les inegalites des satellites de Jupiter. Turin
Mel. 3 (1766) = Oeurr. 6, p. 67.
816 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
Jupiter und Saturn erfahren hatten. Lagrange verfährt hier ähnlich,
wie er es dort getan hat. Er erhält so für jeden Satelliten vier
Mittelpunktsgleichungen und vier Breitengleichungen. Diese letztern
denkt er sich geometrisch nachgebildet durch vier Ebenen, wovon
sich die erste auf der Jupiterbahn bewegt, die zweite auf der ersten,
die dritte auf der zweiten und die vierte, welche die Bahnebene des
Satelliten selber ist, auf der dritten.
Indem aber Lagrange die Neigung zwischen Jupiteräquator und
Jupiterbahnebene vernachlässigt, bringt er Glieder zum Verschwinden,
die sehr charakteristisch bei den Breitenstörungen sind. Diese Lücke
wird von Laplace**)?)?°) ausgefüllt, der dann vor allem durch seine
Untersuchungen, die sich an die Gleichungen u, — 2u, + 3u, = 0
und /, — 21, + 31, = 180° anschließen, die Gesamttheorie auf einen
hohen Grad von Vollkommenheit erhebt. Seine Formeln werden von
Bouvard?”) numerisch berechnet, doch bleiben noch die 31 Unbe-
kannten darin stehen: die Elemente und Massen der vier Satelliten,
die Abplattung Jupiters und die Neigung und Knotenlänge seines
Äquators. Die große Arbeit, die Werte dieser 31 Unbekannten aus
mehr als 2000 Finsternisbeobachtungen zu bestimmen, wurde durch
Delambre®®) ausgeführt. Eine Revision seiner Tafeln der Finsternisse,
die sich auf 6000 Beobachtungen stützte, erschien im Jahre 1804.
Die Werte der Delambreschen Koeffizienten legte Laplace seiner Be-
stimmung der Massen und Elemente der Satelliten sowie der Be-
stimmung der Abplattung Jupiters zugrunde Die 1836 erschie-
nenen Damoiseauschen””) Tafeln sind nicht bloß eine Weiterführung
der Delambreschen Tafeln, sondern suchen eine Verbesserung der
Koeffizienten durch Hinzuziehung weiterer Beobachtungen zu geben.
Dabei haben eine Reihe von Koeffizienten Änderungen erfahren,
während andere ihre ursprünglichen Werte behielten. Da das Ver-
fahren, nach welchem die Änderungen vorgenommen sind, von
Damoiseau nicht angegeben ist, ist der Zweifel gerechtfertigt, ob alle
24) Laplace, Theorie des satellites de Jupiter. Paris hist. (2) mem. 1788—89.
25) Laplace, Mecanique celeste, t. 4, livre 8, chp. 1—16 (1805).
26) Laplace, Du mouvement des satellites de Jupiter notice historique. Mec.
c@l., t. 5, livre 16, chp. 5.
27) Zur Geschichte der Entwicklung der Theorie und der Tafeln der
Jupitersatelliten vgl. A. Souchon, TraitE d’astronomie pratique. Paris 1883.
Introduction historique: tables du mouvement des satellites de Jupiter.
28) Delambre, Table des satellites de Jupiter. Conn. des temps pour 1791 =
Lalande Astr. Paris I (1792), p. 236, und Corrections: Conn. des temps pour 1794.
29) Damoiseau, Tables &cliptiques des satellites de Jupiter. Paris 1836,
samt Fortsetzungen von Todd u. Pottier. Siehe Literatur.
3. Einführung in die Lagrange-Laplacesche Theorie der Galileischen Satelliten. 817
Ungleichheiten durch ein und dasselbe Elementensystem dargestellt
werden können. Das stellt aber den ganzen Wert der Damoiseauschen
Tafeln in Frage. Bessel?”), Adams®®) und Souillart?') haben sich in
diesem Sinne geäußert.
Von Souillart?®)®") wird die Laplacesche Theorie der Gableischen
Trabanten wesentlich weiterentwickelt, und Marth®?)*®°)?*)®) veröffent-
licht auf der Basis dieser neuen Theorie Tafeln für die Berechnung
der Positionen der Trabanten, ohne die eine Benutzung der Beob-
achtungen für die Theorie unmöglich war. Durch Marth angeregt,
werden von 1891 Heliometermessungen der Satelliten untereinander
von @iül und Finlay vorgenommen, die durch photographische Auf-
nahmen ergänzt werden. De Sitters®®)?)40)41) und Cooksons *?)*?)
Diskussionen dieser und ähnlicher Beobachtungen sowie solcher in
Helsingfors und Pulkova“*) ergeben zum ersten Male eine zuverlässige
Bestimmung der Neigungen und Knoten der Satellitenbahnen sowie
30) L. C. Souillart, Theorie analytique des satellites de Jupiter I. Lond.
Astr. Soc. Mem. 45 (1879).
31) L. C©. Sowillart, Theorie analytique I. Paris M&m. 30 (1887).
32) A. Marth, Researches on satellites. Astr. Nachr. 44 (1856), p. 113.
33) A. Marth, On the formulae for computing the apparent positions of a
satellite. Lond. Astr. Soc. Month. Not. 47 (1886), p. 333.
34) A. Marth, Data for computing the positions of satellites of Jupiter.
Lond. Astr. Soc. Month. Not. 51 (1891), p. 505, ferner regelmäßige Vorausberech-
nungen in den laufenden Nummern der Monthly Notices.
35) A. Marth, Observatory 1890, Aprilnummer: Über Mikrometermessungen
im Jupitersystem.
36) J. ©. Adams, Repetitions on some numerical calculies to the theory of
Jupiter’s satellites. Scient. Papers 2 (1875), p. 191.
37) F. W. Bessel, Bestimmung der Masse des Jupiter. Astr. Untersuch. 2
(1836), p. 25. |
38) W..de Sitter, Discussion of Heliometer Observ. of Jupiter's satellite. Gro-
ningen 1901 = Cape obs. ann. XI, part 1.
39) W. de Sitter, Determination of the inclinations and nodes of satellites
of Jupiter. Cape obs. ann. XII part 3 (1906).
40) W. de Sitter, Some points in the theory of Jupiter satellites. Amster-
dam Akad. Proc. X (1907), p. 95.
41) W. de Sitter, Über die Libration der 3 großen Jupitersatelliten (hollän-
disch.) Handl. Need. Nat. Geneesk Congress. X 1905, p. 124 — Astr. Lab. Grön.
17 (1907).
42) B. Cookson, Determination of the mass of Jupiter and orbits of satel-
lites. Cape obs. ann. XII part 2 (1906).
43) B. Cookson, Determination of the elements of the orbits of Jupiter
satellites. Cape obs. ann XII part 4 (1907).
44) F. Renz, Phot. Positionen der Jupitertrabanten. 1. und 2. Teil. St. Pet.
Acad. mem. VIII (1902).
818 VI2, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
auch der Koeffizienten gewisser kurzperiodischer Ungleichheiten. De
Sitters Ergebnisse werden im X. Band der Sitzungsberichte der
Akademie von Amsterdam“) zusammengefaßt. — Parallel hiermit
geht Sampsons *)*")4®) Reduktion der photometrischen Beobachtungen
der Jupitersatelliten am Harvard Observatorium, die von E. Pickering
in systematischer Weise fast ein Vierteljahrhundert lang ausgeführt
worden sind. Im Gegensatz zu der alten Beobachtungsmethode ge-
währen diese photometrischen Beobachtungen eine Genauigkeit wie
die von Heliometermessungen.*?)°) Sampsons*®) Tafeln beruhen ledig-
lich auf dem Vergleich dieser Beobachtungen mit der Theorie von
Souillart. Der von de Sitter*‘) gefundene Betrag von 0,158° in der
Libration der drei innern Satelliten wird von Sampson nicht bestä-
tigt, wie er auch beträchtlich in dem Werte der Dauer dieser Oszil-
lation von de Sitter abweicht. Beachtenswert ist der von de Sitter
geäußerte Wunsch nach einer den dynamischen Bedingungen mehr
entsprechenden Theorie der drei inneren Satelliten, bei der der Jupiter-
äquator als Beziehungsebene benutzt wird. Griffins®!) Arbeit kann
voraussichtlich hierfür die Basis bilden. — 1892 wird der V. Satellit
von E. E. Barnard auf der Licksternwarte aufgefunden. Elementen-
bestimmungen werden von F\. Oohn??), E. E. Dobbin°?) und H. Struve°*)
abgeleitet. Auf die starke jährliche Bewegung des Perijoviums wird
zuerst von Tisserand )°®), dann Adams’) und Callandreau®®) hinge-
45) R. A. Sampson, A discussion of the eclipses of Jupiter satellites 1878
—1893. Harv. obs. ann. 52 part 2 (1910), p. 143.
46) R. A. Sampson, Tables of the 4 great satellites of Jupiter. Durham
Observat. (1910), p. 1.
47) W.de Sitter, Sampson, Controverse Ba. 24, 25 des Journal Observatory
1901 ff.
45) R. T. A. Innes, Professor Sampsons Tables of the satellites of Jupiter.
Observatory 33 (1910), p. 478.
49) A. Obrecht, Etude sur les &clipses des satellites de Jupiter. Paris 1844.
50) M. A. Cornu, Etudes &xperimentales relatives ä& l’observations photo-
metriques des satellites de Jupiter. Paris C. R. (1883), p. 1815.
51) F. L. Griffin, Periodie Orbits of k finite bodies, revolving about a
relatively large central mass. Amer. Math. Soc. Trans. IX p. 1 (1908).
52) F.Cohn, Bestimmung der Bahnelemente des V. Jupitermondes. Astr.
Nachr. 143 (1897), p. 289.
53) E. E. Dobbin, On the orbit of the V. satellite of Jupiter. Astr.
Journ. 24 (1904), p. 83.
54) H. Struve, Bestimmung der Säkularbewegung des V. Jupitermondes.
Berl. Ber. 1906, p. 790.
55) F. Tisserand, Sur le mouvement du Vitme satellite de Jupiter. Paris
C. R. 117 (1898), p. 1024.
4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem. 819
wiesen und sie durch Cohn und H. Struve genauer aus den Beobach-
tungen hergeleitet. Der VI. und VII Satellit werden von Perrine
auf photographischem Wege 1905 und 1906 aufgefunden, Melotte in
Greenwich findet auf gleiche Weise 1908 den VIII. Satelliten.?®) ®°)
Die Neigung aller drei Satelliten zur Jupiterebene ist nahezu 30°,
der VI. und VII. bewegen sich, wie es scheint, in derselben Ebene
derart, daß sich ihre Bahnen schneiden; der VIII.®) in so großer
Entfernung vom Planeten, daß die Stabilität®!®) seiner Bahn zweifel-
haft erscheint.
4. Bessels Untersuchungen über das Saturnsystem. Im Jahre
1789 entdeckte W. Herschel die beiden innersten Saturnsatelliten
Mimas und Enceladus, 1848 fanden fast gleichzeitig W. Bond und
Lassell den Satelliten Hyperion, und auf photographischem Wege ge-
lang es W. Pickering 1890 und 1904 Phöbe und Themis zu ent-
decken.
Konjunktionsbeobachtungen der Satelliten mit Punkten des Pla-
neten oder des Ringes sowie gelegentliche Beobachtungen der nur
selten sich ereignenden Verfinsterungen oder Schattenvorübergänge
bildeten bis auf Bessel das unzulängliche Material, auf das sich eine
Theorie der Bewegungen der Satelliten hätte gründen lassen. In
voller Erkenntnis dieser Tatsache beschränkte sich Laplace‘?) darauf,
aus der Theorie die Erklärung für die vom Saturnäquator stark ab-
weichende und variable Bahnlage des Japetus herzuleiten (vgl. Nr. 12 ßa).
Bessels®®) mikrometrische und heliometrische Messungsreihen, die
er bei noch unzureichenden Beobachtungsmitteln schon 1806 in
Liliental begann und mit Unterbrechungen am Königsberger Helio-
meter bis zu seinem Ende fortsetzte, bildeten die Basis für seine
56) F. Tisserand, Sur excentrieit6 de l’orbite du Vime satellite de Jupiter.
Paris C. R. 119 (1894), p. 581.
57) W.S. Adams, The polar compression of Jupiter and the Vth satellite.
Astr. Tourn. 20 (1899), p. 133.
58) O. Callandreau, Sur Yanomalie du mouvement du perihelie du Viöme
satellite de Jupiter. Paris C. R. 130 (1900), p. 17.
59) VI., VII. und VIII. Trabant des Jupiters. Vgl. Lond. Astr. Soc. Month.
Not. 67—72 und Observatory 28—31.
60) F. E. Ross, Elemente des VIl. Satelliten. Astr. Nachr. 174 (1907), p. 359.
61) A. C. Crommelin, The motion of Jupiter VIII satellite from 1908 to
1916. Lond. Astr. Soc. Month. Not. 71, (1911) p. 50.
61a) C. Kobb, Sur un cas d’instabilit& possible. Paris Bull. astr. 18 (1901),
p. 219.
62) Laplace, Mec. c@leste, t. IV, lib. 8, chp. 17.
63) F. W. Bessel 1.
320 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
fundamentalen theoretischen Untersuchungen über das Saturnsystem.
Aus den Heliometerbeobachtungen des Titan, die über alle vier Qua-
dranten seiner Bahn sich erstreekten, in Verbindung mit überlieferten
Konjunktionsbeobachtungen des 17. und 18. Jahrhunderts, gelang es
Bessel, die Elemente dieser Bahn'®) so erschöpfend zu bestimmen,
daß auch die modernen Beobachtungen noch sicher genug durch
diese Elemente dargestellt werden. Neigung und Knotenlänge der
Ringebene®*)'”), die bis dahin nur aus Beobachtungen des Verschwin-
dens und Wiedererscheinens des Ringe bestimmt waren, wurden von
Bessel aus direkten Heliometermessungen abgeleitet. Die Elongations-
messungen von Rhea, Titan und Japetus bestätigten die Bestimmung
der Masse des Saturn, die vorher lediglich aus den Bahnstörungen,
die Jupiter von Saturn erfährt, hergeleitet worden waren. Ferner er-
gab die Diskussion der älteren und neueren Beobachtungen des Ver-
schwindens und Wiedererscheinens der Ringe einen wichtigen Schluß
mit Bezug auf die Dieke der Ringe. Daß Bessel eine erschöpfende
Bearbeitung des Saturnsystems vor Augen gehabt, etwa wie es
Laplace beim Jupitersystem getan hat, geht einmal aus den leider
unvollendet gebliebenen Untersuchungen über das Saturnsystem her-
vor®), dann aber auch aus den Relativmessungen der einzelnen
Satelliten untereinander. Diese Beobachtungsmethode, die in der
Folgezeit große Bedeutung gewonnen hat, ergab für die Ermittlung
der Bahnelemente der anderen Satelliten, wenn sie so mit Titan durch
Relativmessungen verbunden wurden, einen gleichen Grad der Genauig-
keit wie bei diesem. — Die Beobachtungen von Lassell, Marth, Bond,
Jacob, Meyer®®), A. Hall*")‘®)‘®) und andern ergaben für die weitere
Erschließung der Bewegungen im Saturnsystem wichtiges Beobach-
tungsmaterial. Jedoch sind es erst die langjährig fortgesetzten syste-
matischen Mikrometermessungen der Satelliten untereinander sowie
auch mit Bezug auf das Planetenzentrum, wie sie H. Struve'®) ') 1?) 9)
64) F. W. Bessel, Über die Neigung der Ebene des Saturnringes. Berl.
astr. Jahrb. für 1829, p. 175 = Abh. I, p. 319.
65) F. W. Bessel IV. Vgl. dazu auch Schumacher (Herausgeber der Astr.
Nachr.), Literatur in den Astr. Nachr. bis Band 60 auf p. 194, und Houzcau
Lancaster, Bibliogr. astr. II, p. 1440—1740.
66) W. Meyer, Geneve.
67) A. Hall, The six inner satellites of Saturn. Wash. obs. 1883, App. 1
(1886).
68) A. Hall, The orbit of Japetus. Wash. obs. 1882, App. 1 (1885).
69) A. Hall, Determination of the orbit of Titan. Yale Univers. Obs. 1889.
70) H. Struve, Bestimmung der lülemente der Saturntrabanten. Astr.
Nachr. 111 (1895), p. 1 u. 17.
6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise. 821
mit dem 15- und später mit dem 30-zölligen Refraktor zu Pulkova
ausführte, durch deren Diskussion Struve unsere Kenntnis des Systems
wesentlich vertiefte. Diesen Untersuchungen geht: Newcombs'*) wich-
tige Arbeit über das System Hyperion-Titan voraus, deren Resultate
erst durch A. Halls Beobachtungsreihen mit dem 26-zölligen Re-
fraktor zu Washington möglich gemacht wurden, und an die sich
Hill”) und O. Stone”*) anschließen.
5. Die Auffindung der Satelliten von Uranus, Neptun und Mars.
W. Herschel entdeckte die beiden äußeren Uranussatelliten Titania und
Oberon im Jahre 1787. 1851—52 fanden Lassell und Marth die zwei
innern Ariel und Umbriel auf Lassells Sternwarte auf Malta. Die
wichtigste Eigenschaft der Bahnen dieser Satelliten ist ihre Neigung
von gegen 98° zur Ekliptik. — Neptuns Satellit wurde gleichfalls
von Lassell entdeckt, 1846; O. Struve, W. Bond und Newcomb”)
haben die Elemente der Bahn bestimmt. Die von Marth zuerst be-
merkte Veränderung der Bahnlage des Satelliten wurde von Tisserand
als die Störung erkannt, welche die Abplattung des Planeten auf den
Satelliten ausübt. — Die Monde des Mars wurden 1877 von A. Hall
in Washington entdeckt. Auffallend ist die schnelle Umlaufszeit des
innern Satelliten Phobos, die etwa nur ein Drittel der Rotations-
dauer des Planeten selbst ist, sowie die nahe Koinzidenz der Ebenen
beider Satellitenbahnen mit der Äquatorealebene des Mars.
6. Die Störungen in einem Satellitensystem; Bezeichnungsweise.
Um die Theorie der Satellitenstörungen in allgemeiner Form darzu-
stellen, wird das Saturnsystem als der allgemeine Fall aufgefaßt.
Darnach kann der Hauptplanet als ein konzentrisch geschichtetes
Rotationsellipsoid angesehen werden, das von einem Ring enggeschich-
teter Massenpartikel umkreist wird, die sich alle nahezu in der-
selben Ebene bewegen. Diese Ringebene fällt nahezu mit der Äquator-
ebene des Planeten zusammen. Die Massen des Planeten, der Ringe
71) H. Struve, Beobachtungen der Saturntrabanten am 15” Refr. Poul-
kova obs. Suppl. 1 (1888).
72) H. Struve, Beobachtungen am 30” Refraktor. Poulkova obs. (2) XI
(1898). Vgl. auch Astr. Nach. 123 (1889), p 251 und 162 (1903) p. 325.
73) H.St#uve, Beobachtungen des Saturntrabanten Titan. Berlin Ber. 1908.
74) 8. Newcomb, On the motion of Hyperion, a new case in the celestial
mechanic. Wash. Astr. Pap. 3 (1884).
75) G. W. Hill, On the motion of Hyperion and the mass of Titan. Astr.
Journ. 8 (1888), p. 57.
76) O. Stone, On the motion of Hyperion. Annals of Mathematics 3
(1837), p. 161, u. 4, (1888) p. 53. ;
77) Houzeau et Lancaster: Bibliographie astr. II, 1470—1740.
822 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
und einzelnen Satelliten seien mit m,, mr, m; bezeichnet. Der Koordi-
natenanfang liege im Schwerpunkt von m,, und die positiven Achsen
der &,y,2 weisen resp. nach dem Frühlingspunkt, Sommersolstitium
und Nordpol der Ekliptik zur Zeit t. Die Bahnebene des Satelliten
m; ist zur xy-Ebene unter dem Winkel ;, geneigt, die Länge des
aufsteigenden Knotens sei »;; für Äquator und Ringe seien die ent-
sprechenden Größen i4,04,ir,r. Mit Bezug auf die Äquatorealebene
seien diese Größen resp. mit y; und #, und mit bezug auf die Bahn
des störenden Körpers m; mit y;, und #;, bezeichnet. Die Keplersche
Bewegung des Satelliten erleidet Störungen folgender Art:
1. Störungen, die von der ellipsoidischen Gestalt des Haupt-
planeten,
2. Störungen, die von den Ringen,
3. Störungen, die von den gegenseitigen Anziehungen der Se-
telliten,
4. Störungen, die von der Sonne
herrühren. Diese Störungskräfte machen sich bemerkbar in zweierlei
Hinsicht:
(1) Die Bahnebenen ändern ihre Lagen im Raume, und
(2) die Form der Bahnkurve und die Bewegung in derselben er-
leiden Veränderungen.
Die Diskussion von (1) bedingt als notwendiges Vorstudium die
Untersuchung der rotierenden Bewegung des Hauptplaneten, insofern
als die Lage und Neigung seiner Äquatorealebene mit in die Lösung
eines Systems von simultanen Differentialgleichungen eingeht. Aus
einer erschöpfenden Diskussion von (1) und (2) ergeben sich durch
Vergleich mit den Beobachtungen Masse und Gestaltbestimmung des
Hauptplaneten, der Ringe und ihrer Lagen im Raum sowie die sieben
Elemente jedes einzelnen Satelliten.
7. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungs-
achse des Hauptplaneten. Die Poissonsschen Differentialgleichungen
sind:
08 di
(1) sin 4 Ba ig 2
4A
0 A 0.
J 024
C,p,sini,on,
Die hier auftretende Größe 2, setzt sich zusammen aus den Bei-
trägen, welche die Sonne, die Satelliten und die Ringe liefern:
2u= er Zm; V;. Die Potentiale V; werden je nach den speziellen
Annahmen durch einen der drei folgenden Ausdrücke gegeben:
8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungsachse der Ringe. 823
(ay_" sfsalteyi Te),
@) VE sr foa(eyfie) ”
3/0. er v1 e)
(2): Franz |
m 3e:/ö da® ; 3e* fd da’ =...
@r=rl1- 3:5r: fd da° %r 5:7rtSöda° ur |
m 3e?a? 3eta*
&r=*l1- eV ae ar SE Fr ur)
wobei (a) das Potential eines aus elliptischen Schichten bestehenden
Rotationsellipsoides,
(b) das Potential für den Fall, daß alle Schichten ähnlich sind,
(e) das Potential eines homogenen Rotationsellipsoides ist.
Hierbei bezeichnen Ö die Dichte, a die halbe große Achse der
elliptischen Schichten, und die y, sind Kugelfunktionen einer Veränder-
lichen. Bei der Kleinheit von e und a/r sind diese Reihen äußerst
konvergent, so daß ein Mitnehmen des y‚-Gliedes nur bei den inner-
sten Satelliten nötig ist. Durch Wahl des Äquators als Bezugsebene
und Einführung von y und des Arguments der Breite, « — T, in die
y-Funktionen (vgl. VI213 $30 und 14 $ 20) wird:
(3) Uu=—ihlr — sin? y,[1 — cos2 (u, = Pit „sin“ YR
+ Se sin?y,[1 — cos2(u, — rn)]}
k _ Sddlareyi1 — ei)
41 Seal Vie)
so werden die Differentialgleichungen (1):
an, Hy 4 IRBABN? /NHEPt VERREB Pi
(4) ae Kay TE REN Fe Try
Setzt man , = 2kı _1J8d(ae’ Vie‘)
en C,;, 2 fdlayi—e)
wo — Ru —= R, gesetzt ist.
8. Die Differentialgleichungen der Bewegung der Drehungs-
achse der Ringe.) Nach Analogie mit (4) sind diese Gleichungen:
di, ah, OB, en 3hzöRz
(5) — = I— SDR = — - ——
dt 8 p,sin i,0n, dt 8 Ppbir
die Rr-Funktion ist genau wie die R,-Funktion gebaut, hier ist Ar — 1.
78) Vgl. 65) $ 3, dann 72) sowie Tisserand: Sur le deplacement du plan
de Japetus. Ann. Toulouse II (1886), ferner: Mouvement des apsides des satel-
lites de Saturne, ebenda, und Un cas remarquable du probleme des pertur-
bations. Paris Bull. astr. 3 (1886), p. 425 u. 504.
824 VI2,16. Kurt Laves. Die Satelliten.
9. Die Differentialgleichungen der Bewegung eines Satelliten.)
(ae mtmatee, _ 08
dt? +1 - Em = ER ER 0x
Ö In gun tntnn en
die gmtrmitm OR
dt? g" 02
rqı Ex, ‚rt yy,r268,
R=V,+ Vrtm| RT Kreee EN |
Ex, a yy,+ 22,
+ > m; n ET
pPVi A; r;
Statt der Differentialgl. in x,y und z werden allgemein die in
den Bahnelementen bei der Satellitentheorie benutzt. Dieselben sind:
RE ns ER 2.
dt yalıe Ei
di 1 öR ‚ofoR , eR
di” 0 ya 1—e) Fr von +tgi/2 (Fi +38)
da —-OR
2 V07E
de _ Ne öR vi- 132
(7) dt . eya De ie vie |58
dw _Vıe öR , tgi2 OR
dt eya de | Yaıcen di
dE_ “IR ne | realer
tg er öR
\ er 1—e) ei
\ m;ky Be
(8) R—— "441 Ssin’yall—cos2(w— Tu]
4 a 1 — E sin’pr|1 — 0052 (u — Be
1 m el Bi ] 22, + yy; +22,
10. Die TE ER ER % E TE in bekannter
Weise nach säkularen, langperiodischen und kurzperiodischen Gliedern
entwickelt. Im Jupiter- und Saturnsystem treten zu den säkularen und
langperiodischen Gliedern noch Librationsglieder. Dieses kann unter
Umständen die Entwicklung von R bis zum Quadrat der störenden
79) F. Tisserand, Mee. cel. IV, p. 9,
11. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten und Neigungen. 325
Massen notwendig machen. Im allgemeinen sind die Bahnen der
inneren Satelliten sehr wenig zur Äquatorialebene des Planeten ge-
neigt, während die der äußeren beträchtliche Neigungen aufweisen.
R wird deshalb für beide Fälle verschieden entwickelt werden. Die
Sonne, der einzige störende Körper von außerhalb, der zu berück-
siehtigen ist, bewegt sich in einer scheinbaren Bahn, die bei Jupiter
zur Äquatorealebene geringe, bei Mars, Saturn, Uranus und Neptun
größere Neigung aufweist.
ll. Die säkularen Ungleichheiten der Knoten und Neigungen.
Um in den Reihenentwicklungen für R,, Rz und Rs die säkularen
'Glieder abzusondern, denkt man sich R nach den mittleren Anoma-
lien des störenden und gestörten Körpers entwickelt. Durch doppeltes
Mittelbilden in bezug auf diese Variablen werden die säkularen Glieder
erhalten. Es genügt, bis zu den Quadraten der Entwicklungsparameter
vorzugehen. Dann enthält R die Variable E nicht mehr und ® nur
in den quadratischen Gliedern. Vernachlässigt man diese, die auch in
% quadratisch auftreten, so trennen sich die Gleichungen für B:
und = gänzlich von den übrigen säkularen Gleichungen. Für ein
System von » Satelliten bestehen dann 2» simultane Differentialglei-
chungen, zu denen noch vier weitere Differentialgleichungen für die
säkularen Änderungen der Äquatoreal- und Ringebenen treten. Die
Störungsfunktion nimmt dann die folgende Gestalt an:
(8a) R= — (, sin „u — GC, sin? y, — DC; sin? y,,
wo die Ü-Größen von den Massen der störenden Körper und den
Elementen des gestörten und störenden Körpers abhängen.
Die 2» + 4 Differentialgleichungen sind dann:
[ dn
0 0 .
Ba I DK; sin Yyı; COS Yı; COS Yr;
di, :
Er = > Kr; sın Yi; C08S Yı; SIn Y,;
dn x
ae R n & h
ini = DiKu; sin Yaj COS Yaz COS Yas
(9) i di, j
dt >Z DK, sin Ya; COS Yaj sin Va x
an
ie R Y ®
SID An tar >’ Kr; SIN Yrj COS Yrj COS. Yrj
di .
R ” . .
2 m DiKr, sin Yrj COS Yrj Sin Yrj,
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 54
826 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
hier ist %,; der Bogen der gestörten Bahn, der zwischen Ekliptik und
störender Bahn liegt.
Beim Saturnsystem werden später Ring- und Äquatorebene als
zusammenfallend angenommen werden, so daß sich bei allen Planeten
die Säkularstörungen durch ein System von 2n + 2 simultanen Dif-
ferentialgleichungen bestimmen. Wenn die Elemente und Massen be-
kannt sind, werden durch Gleichungen (9) die Geschwindigkeiten der
Pole der Satellitenbahnen für jede Zeit t gegeben, für welche die
Elemente bekannt sind. — Durch die Integration der Gleichungen
gelangen wir andererseits zur Kenntnis der Verbindungen, die zwi-
schen den Satelliten in säkularer Hinsicht statthaben. Es ist hierzu
vorteilhaft, neue Variablen, wie folgt, einzuführen:
T; = sın %; cos N,
(10) y,= sin i,sinn,
2, = 008 i,
und
(11) C0oS Y;, = 2,%, + YyY%t 2,0 = Sr
Hierbei bezieht sich der Index j auf sämtliche Mitglieder des
Systems inklusive der Sonne. Die Gleichungen nehmen die folgende
Gestalt an:
dx A
a — |Kusbasza+ Kan baren + IK, 833) Ya
— [Krabra zul yr — (Ku 6,24ly — IKaı Sa alı — [I ..-
21 TE — — [Knstnaenlya+ [Knukasent Knataaca+ I 1Yo
— [En taszal 9 — [Kr rail yı >
ER
und ähnliche Gleichungen in den y.
In die Klammerausdrücke rechts gehen nur die z- und £-Koor-
dinaten ein.
Wenn x, y und z bekannt sind, bestimmen diese Gleichungen
sämtliche Variablen. Die Klammergrößen von (12) werden Konstante
und die Gleichungen damit linear und integrierbar, wenn die Kosinus
sämtlicher Neigungen, d. h. alle z und £, als unveränderlich ange-
nommen werden. Bessel?‘) zeigt, wie dann die Integrale von (12)
erhalten werden, bei der einen oder anderen der folgenden Annahmen
über x und y: (2) u — Ih sin [it + H]
= Dh cos[it + H]
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 827
oder (b) u —=ht
yht
Soweit bekannt, haben die allgemeinen Untersuchungen Bessels,
die bis zu diesem Punkt von ihm gebracht sind, keine Fortsetzung
gefunden. Die Anwendungen auf die speziellen Systeme sind für Ju-
piter schon vor Bessel durch Laplace gegeben worden. Weiterführungen
hierfür sind von Sowillart gegeben. Im Saturnsystem sind für Japetus
durch Laplace, für die anderen Saturntrabanten teils durch Bessel,
teils vor allen durch A. Struve die speziellen Untersuchungen geführt
worden.
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme.
«) Das Jupitersystem. Die vier Galileischen Satelliten. Da die Pole
der inneren Satellitenbahnen und auch der der festen Ekliptik
nahezu in der Tangentialebene des Poles des Äquators liegen, so
können die x und y als ebene Polarkoordinaten dieser Pole mit Be-
zug auf einen Punkt Q angesehen werden. Nimmt man die vier Gali-
leischen Satelliten zusammen, so stellt sich ein System von zehn
Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten zur Lösung, das
von Laplace bereits annähernd aufgelöst worden ist. Souillart hat
unter Benutzung der genaueren Stockwellschen®®) Werte der säkularen
Störungen der Planeten die auf der rechten Seite auftretenden Stö-
rungsglieder berücksichtigt. Die Integrale werden dann in bekannter
Weise erhalten. Die Differentialgleichungen sind, wie folgt:
dx
u. — Au Yı + AeYya + Qısys + arıyı + maya = — Kı: Yı
dy n
1
da + MuRı — A028 — A150 — au — HıRXı = + Kuss
dx,
(13)!at AsYı + Qusya + asys + Quya + Hay = — Kısyı
dy,
u. + au — Age — Aslz — Aus — yarı = + Kst,
dx, i
4 MaıYı 4 Rraya + Qssys + Qssyı + asuıyı = — Ku
dy,
ar + Asıkı — Asz2d2 — Asslg — Asadı —— As sata = + Kuss
und bei Vernachlässigung der rechten Seiten werden die allgemeinen
Integrale:
80) Stockwell, Secular variations of the elements of the 8 planets. Smithson.
Contrib. to Knowledge 17 (1873).
54*
828 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
% = Nhı 608 (bit + G) + Nas cos (bet + 3) + Nis cos (b3t + 65)
+ Ny4 eos (bit + a) + Naa cos (bit + ca) :
(14) y, = Na: sin (bit + ©) + Nas sin (bet + ©) + Ni5 sin (dat + c5)
+ Na sin (bt + a) + Niasin (bit + ca)
\ i=1,2,3,4 4,
wo die d, die Wurzeln der Fundamentalgleichung 5. Grades sind; die
C1, Ca, C3, C4, CA und Nı1, Nis, Nıis, N, Nıa sind die zehn willkürlichen
Konstanten. Bei Berücksichtigung der störenden Glieder treten rechts
Fouriersche Reihen von der Form on Ss in
cos
mation sich auf alle störenden Planeten bezieht. Nimmt man nun
die zehn Größen N,; sinc; und N,;cosc, als Funktionen von t
an, so ergeben sich z. B. für den I. Satelliten nach der Integration
Zusatzglieder von der Form:
= Ds(, 4, andonjgie 4.) 608 (st — 0)
are ee
Is +, +. Br sin (st — 6)
zu =) cos 6,
Souillarts numerische Berechnungen haben ergeben, daß die
Zusatzglieder für den III. und IV. Satelliten eben merklich wer-
den, während sie für die anderen ganz unmerklich bleiben. — Geht
man zur Darstellung der Breiten der Satelliten über der augenblick-
lichen Jupiterbahn über, so setzen sich diese entsprechend dem Vorher-
gehenden aus vier resp. fünf Sinusgliedern zusammen; der Koeffizient
des von der Abplattung herrührenden Gliedes ist dabei weitaus der
bedeutendste. Dieses Glied charakterisiert bei jedem der Satelliten die
„Laplacesche feste Ebene“, die durch den gemeinsamen Durchschnitt
der Äquator- und Jupiterbahnebene hindurchgeht. Die Neigungen
dieser festen Ebenen zur Äquatorebene sind resp. 10”, 67”, 4, 38” und
24° 12”, und die augenblicklichen Satellitenebenen entfernen sich
periodisch nur wenig von diesen festen Ebenen.
(st — 6) auf, wo die Sum-
(1 Alla
ß) Das Saturnsystem. a) Japetus. Schon Laplace hat die be-
trächtliche Bahnneigung des Japetus und die Bewegung seiner Kno-
ten auf der Bahnebene auf den störenden Einfluß der Sonne zurück-
geführt. Die beträchtliche Neigung der störenden Bahnen zur ge-
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 829
störten macht es erwünscht, auf die ursprüngliche Form der Diffe-
rentialgleichungen zurückzugreifen:
sin i = — — K,sin y, cos y, cos y, — K’ sin ya 608 ya C08 Ya
ai _
dt
Hier st X=K, + IE, wo in K, die Wirkungen der Abplat-
tung und der Ringe vereinigt gedacht sind. Die Integration dieser
Gleichungen geschieht unter der Annahme, daß Äquator- und Planeten-
ebene einen konstanten Winkel A miteinander bilden. Durch die Ein-
führung der Laplaceschen „festen“ Ebene läßt sich die Integration in
geschlossener Form vermittels elliptischer Funktionen ausführen. Die
feste Ebene geht durch die Schnittlinie der Äquator- und Planeten-
ebenen; ihre Neigung zu der ersteren ist gegeben durch:
K,sin 2 A
K+K,co24
Bezeichnet man mit A, F und $ die Pole der drei Ebenen auf der
Einheitskugel, so geht der Pol J der Japetusbahn in einer sphäri-
schen Ellipse um F’ derart, daß F' den Ellipsenmittelpunkt bildet.
Tisserand”®) hat diese Bewegung näher diskutiert. Die Dauer der
Öszillation von J um F’ ist um so größer, je kleiner X, und X’ sind.
Aus einer Diskussion von älteren und neueren Beobachtungen, die
etwa 100 Jahre voneinander getrennt sind, bestimmte AH. Struve
= — 0,750 und die Periode zu etwa 3300 Jahren.
b) Titan und Rhea. Bessel"?) hat die Bahn Titans einer muster-
gültigen Untersuchung unterzogen, sodaß sein Elementensystem noch
jetzt die modernen Beobachtungen gut darstellt. Allein bei der Be-
stimmung von Neigung und Knotenlänge sind H. Struves'!)'?) 12)
neuere Untersuchungen als eine wesentliche Verbesserung aufzufassen.
Bessel begnügte sich, den Einfluß von Abplattung und Ringen ge-
nähert anzusetzen, indem er die Bewegung in » als Bruchteil der
durch die Sonne verursachten Bewegung des Knotens auf der Saturn-
bahn voraussetzte. Als eine Folge davon ergab sich eine äußerst ge-
ringe Veränderung der Bahnneigung, die auf lange Zeiträume hin
unmerklich geblieben wäre. An Stelle dessen zeigen die neueren Be-
obachtungen mit Evidenz ein allmähliches Anwachsen der Neigung,
‘welches durch die kombinierte Wirkung der Störungen von Sonne,
Abplattung und Ringen und Japetus erklärt wird. Rheas Bahnlage
wird in ganz ähnlicher Weise wie die von Titan beeinflußt, nur daß
(16)
— K,sin y, cos y, sin d, — K’ sin yı C08 ya sin Ya.
..tang 2, =
8330 VIa, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
der schon bei Titan geringe Einfluß von Japetus ganz vernachlässigt
werden kann. Streng genommen ergibt sich für die beiden Satelliten
das folgende System simultaner Differentialgleichungen:
dx, =
ae. ven Brur-Yr + KrsYs + Kr,Yıy + DIKr,y;
d a
= = + Prur:&r — KrsAs — Kor Xı— DKr; T
(17) d
TR
er Prur:Yr+ KrsYs+ Krr Yı + Kr
d
ar —= + Prur £r— KrsXÄs— Krs: X, — IKr2;
wo Bıur — Aja + SK,; und
3 —=sini-(m—Nı) Xs= — sin ys cos Ys sin vs
yaı-dlı Ys = — sin ps 608 Ys C08 Yys
(18) X, = — sin p C08 Y sin Y,
Y, = — sin 9, 08 7 608 %;.
\
Sowohl für die Sonne wie für Japetus werden die XY-Größen
durch Reihen von der Form gegeben:
e X Da (sin b; 2 2,004 hit)
Y= Da (cos b, — hit)
gegeben. Statt die Gleichungen simultan zu integrieren, genügt es,
die zwei Gleichungen für jeden Satelliten separat zu behandeln. Bei
genügend eingeschränkter Zeit können auch die XsYs und X,Y, als
konstant angesetzt werden. Es ergibt sich so:
Ki 5
Ir = cr sın (br TB) Prurt) - Di) Xrs + ar f X,
Prür Prur
Korr
(19) Prür FERN, Prur “ z
Yr = Cr ©08 (br — Brurt) + we 2. BI: Y,
Krrtr ;
Prur sog PruRr :
hier ist der Einfluß von Rhea ganz vernachlässigt worden. Bei
Rhea kann von Japetus ganz abgesehen werden, während Titan in-
folge seiner Masse und größeren Nähe berücksichtigt ist. Man er-
hält so:
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme. 831
Krs K
RER sin (dk — Brurt) - Prks us Kot Pr&, ne "Brkr Xsk
K
RER Cr sin (br — Prurt)
(20) PruR— Prür
Krs kr K
Yr = Cr 608 (br — Brurt) + Pzur Ysr+ Denn Bro Ysr
K
PruRr Eu 0 ERBE (basze Prur Ö
c) Das System Hwyperion-Titan. Bei Hyperions Bahn, die in
größter Nähe von Titans Bahn ist, tritt zu den säkularen Wirkungen
der Abplattung, der Sonne und des Titan noch das Librationsglied
des Titan. Die Störungsfunktion, insofern nur die Störungen der
Bahnebene in Betracht kommen, ist:
aR=4y?[P,+ Pıe eosV” + P,e c0s2V +---),
wo V = 4ly — 3lr— ©z und die Zahlen P von den Entwicklungs-
koeffizienten B abhängen; y ist die Neigung der Bahn des Hyperion
zu der des Titan. Für die Säkularänderungen setzt man V = 180,
e = const., und es wird: aR= — 1p?-P,wP=P,—P,e+P,e® +
Die höheren Koeffizienten sind sehr kompliziert, und die Konvergenz
der Reihe tritt erst in den höheren Gliedern ein und ist sehr lang-
sam. Es ist daher besser, wie es H. Struve tut, P aus den Beobach-
tungen zu bestimmen. Setzt man wie früher:
(ei) [mr a A Fee Nr) ir = n re
Yaz=lı Ir Yr=UuUU
so wird
Es. EURE. Fer: (Kurt Kys)ya + + (KasYas — Krs Yrs)
(22) { du + (Kra— Ky4)Yyr
—._—+ (Kur + Kurs)ea Serge (Kas Xus — Krs Xrs)
\ + (Kra er Kyı) Xr;
hierbei ist Kra = Mr Buck hi
Vi-e; ?
Die Gleichungen ergeben integriert:
—K
ya =. 18x.
a In + 1 Sin — hr)
(23) ı x
Ya = Cu C08 (by oa: hzt) u a Ysr
hy
+ Kur Ka) + ni ar GO (ir — hr}.
hr
832 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
d) Dione, Tethys, Enceladus und Mimas. Der Einfluß von Titan,
der bei Rhea Ungleichheiten von 2’ bis 4’ in x und y hervorbringt,
geht bei Dione schon auf 0,3° bis 0,4’ herab. Ungefähr von derselben
Ordnung sind die säkularen Ungleichheiten, welche Tethys in der Bahn-
ebene von Dione verursacht. Das von der Sonne abhängige Glied
wird bei diesen vier Satelliten ganz unmerklich. Sofern demnach nur
die säkularen Störungen in Frage kommen, kann man für die vier
Satelliten schreiben:
(24) ak (b — But)
y= c.cos(b — But).
Auf die Librationsglieder, die in jedem der Systeme ähnlich wie bei
Hyperion-Titan auftreten, braucht bei den Störungen der Bahnebene
nicht Rücksicht genommen zu werden, weil ihre Beträge unterhalb
der Beobachtungsfehler verbleiben.
e) Phöbe und Themis. Die Bahnen von Themis und Phöbe sind
noch zu kurze Zeit bekannt, als daß die Eigentümlichkeiten der Be-
wegung dieser Satelliten genügend überblickt werden könnten. Es
scheint, daß sich 'Themis®?)°*) in großer Nähe von Titan und Hyperion
bewegt bei einer Bahnneigung von etwa 40° zur Ekliptik. Titans
Einfluß auf die Bahnlage von Themis wird fraglos bedeutend sein,
doch fehlen noch Angaben, die sich auf gesicherte Beobachtungen
stützen. Phöbes®!)®?)%)®) Bahnneigung zur Ekliptik ist gleichfalls
bedeutend, bei der überaus großen Entfernung dieses Trabanten von
Saturn wird die Sonnenstörung die Bahnlage noch viel stärker beein-
flussen, als es bei Japetus der Fall ist. In der Tat bringt die Sonne
nach den Berechnungen von Roß eine jährliche Knotenbewegung von
0,431° und eine Neigungsänderung von 0,02° zustande Roß hat die
Bahnstörungen nach Delaunays Methode ausgeführt.
y) Die Satelliten des Mars, Uranus und Neptun. Für die Bahn-
lagen der Satelliten dieser Systeme gelten Gleichungen (16) Während
81) W. H. Pickering, The IX" satellite of Saturn, Harvard obs. ann. 53
(1904), Nr. 3.
82) W. H. Pickering, An investigation of the Xt* satellite of Saturn, Har-
vard obs. ann. 61 (1908), p. 86.
83) W. H. Pickering, Phoebe, the IX!" satellite, Harvard obs. ann. 53 (1904),
Nr. 5 \
84) W. H. Pickering, The XI! and X" satellite of Saturn, Harvard obs.
ann. 53 (1905), Nr. 9, p. 173.
85) F. E. Roß, Investigations on the orbit of Phoebe, Harvard obs. ann. 53
(1905), Nr. 6, p. 101.
86) A. Hall, The orbits of the satellites of Mars, Wash. obs. for 1875 (1878).
12. Die Integrale der Gleichungen (12) für die Spezialsysteme 833
bei den Marssatelliten ®)®”) die Knotenbewegung infolge der Sonnen-
attraktion noch 0,1° resp. 0,2° beträgt, kann sie beim Uranus- und
Neptunsystem ganz vernachlässigt werden. Die Pole der Laplaceschen
festen Ebenen liegen beim Marssystem nahe dem Pol des Planeten-
äquators — für Phobos in einem Abstand von weniger als 1’, bei
Deimos etwa 1° —, und um diese Pole bewegen sich die Pole der
Satellitenbahnen mit nahezu uniformer Geschwindigkeit. Marth®®),
J. C. Adams®?), Tisserand®°) und Struve®')”?) haben diese Bewegungen
unter verschiedenen Annahmen über die Marsabplattung diskutiert.
Die Knotenbewegungen für die beiden innern Uranmustraban-
ten 93) 94) 95) 96,97) können vor der Hand nur aus den noch sehr ungenau
bestimmten Bewegungen des Periuraniums ermittelt werden. Für die
beiden äußeren Trabanten fehlen noch alle Angaben.
Die von Marth®®) zuerst wahrgenommene Bewegung des Kno-
tens des Neptuntrabanten auf der Bahnebene des Planeten wurde
von Tisserand””) und Newcomb') zu einer Bestimmung der Lage des
Planetenäquators benutzt. H. Struve!"") hat aus fortlaufenden Beobach-
tungsreihen am 30-zölligen Pulkovaer Refraktor die Dauer der Periode
zu 1734 sin y Jahren berechnet, wobei » noch nicht bestimmt ist.
87) Harshman, The orbit of Deimos, Astr. Journ. 14 (1894), p. 144.
88) A. Marth, On the satellites of Mars, Astr. Nachr. 95 (1879), p. 369.
89) J. C. Adams, On the elliptieity of Mars and its effeet on the motion
of the satellite, Lond. Astr. Soc. Month. Not. 40 (1879), p. 10 = Scient. pap. I,
p- 275.
90) F. Tisserand, Sur les satellites de Mars, Paris C. R. 84 (1879), p. 961.
91) H. Struve, Bestimmung der Abplattung und des Äquators des Mars,
Astr. Nachr. 138 (1895), p. 217.
92) H. Struve, Über die Lage der Marsachse und die Konstanten im Mars-
system, Berl. Ber. 1911, p. 1056.
93) $S. Newcomb, The Uranian and Neptunian systems, Wash. obs. 1873,
App. 1 (1875).
94) O. Bergstrand, Über die Bahn des ersten Uranussatelliten, Upsala Nova
Acta 20 (1904).
95) O. Bergsirand, Sur le mouvement du 2idme satellite d’Uranus, Arkiv
for Matem. 6 (1909), p. 6.
96) O. Bergstrand, Sur la figure et la masse d’Uranus, Paris C. R. 149
(1909), p. 333.
97) A. Hall, The orbits of Oberon and Titania, Wash. obs. 1885, App. 1.
98) A. Marth, Ephemeris of the satellite of Neptune, Lond. Astr. Soe.
Month. Not. 46 (1886), p. 504.
99) Tisserand, L’applatissement de Neptune, Paris C. R. 107 (1908), p. 804.
100) $.Newcomb, Note on the satellite of Neptun, Astr. Journ. 8 (1888), p. 143.
101) H. Struve, Beobachtungen des Neptuntrabanten am 30” gig
St. Pet. m&m. 42 (1894), Nr. 4.
334 VIs,16. Kurt Laves. Die Satelliten.
13. Die säkularen und langperiodischen Ungleichheiten der
Exzentrizitäten, der Längen, der Perizentren und der mittleren
Längen. «) Das Jupitersystem. a) Die vier Galileischen Satelliten. Die
säkularen Ungleichheiten in den Exzentrizitäten und Perijovien müssen
mit den langperiodischen Gliedern vereinigt werden, die infolge der
nahen Kommensurabilitäten der drei innern Satelliten bedeutende Be-
träge annehmen. Souillart hat Laplaces Untersuchungen wesentlich
hier ausgedehnt, indem er zu den Gliedern von den Argumenten
21,—l, — ©, die Zusatzglieder von den Argumenten 4,— 21, — 29,
41, — 21, — 9, — 9, und 4, — 21, — 29, und entsprechende für
den zweiten und dritten Trabanten hinzufügte. Die Differentialglei-
chungen für die LDagrangeschen Koordinaten h,=e,sin®, und
k,= e, c08s ©, haben die Form:
dh
Pe — Ok + Cishe + Gy + Cukı
—= — Im,uFcosuw + «,,(k, cos 2u + h, sin 2u)
— ßis(k, cos 2u + h, sin 2u)
dk 2
det rd — Oral — Ghz — Cuhy
= + 4m,uF sinu + «,(h, cos 2u — k, sin 2u)
— ßs(h, cos 2u — k, sin 24)
dh, |
ey + Ok — Coohg + Oggy + Cyuhy
= — u, (m, @— m; F’) cosu + (&, + &,)(k, cos 2u + h, sin 2u)
— By, (k, cos 2u + h, sin 24) — Ps (k, cos 2u + h, sin 2u)
dk
3 — Cy1 h, 52 Cahy TER: Cozhz NER PUR
29) m tu, (m, @ — m; F’) sinu + (a, + @,)(h, cos 2u — k, sin 2u)
— By, (h, cos 2u — k, sin 24) — By,(h, cos 2u — k, sin 2u)
dh,
dt + Gsıkı 4 Opahe — Ghz + Och,
—= 4 m,u, @ cosu + &,(k, cos 24 + h, sin 24)
— ß,,(k, cos 2u + h, sin 2u)
dk
de sl — ya 4 gs — Cyıhy
= — 4m,u, @’ sinu + a,,(h, cos 2u — k, sin 2u)
— By, (h, eos 2u — k, sin 2u)
dh,
de + Cakı + Che + Csliz — Cuk, — 0
dk
ar ah — al — op + cu 0,
ig 12, —l, 2, —L;
13. Die säkularen u. langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 835
wegen der Beziehung !, — 3l, + 21, — 180° ist «,, durch u,, aus-
drückbar, was auf der rechten Seite geschehen ist, wo die Indizes
unterdrückt sind.
Die Integration ohne die rechten Glieder führt zu den Integralen:
h,= DM, sin (9,2 + B;)
1,2,3,4
k, uaöi Di M,,; 08 (gt + B}),
1,2,3,4
(26)
|
wo die g, die Wurzeln der Fundamentalgleichung 4. Grades sind. Von
den 16 Größen M,, sind vier willkürlich, diese mit ß,, ß,, ßs, P,
bilden die acht willkürlichen Integrationskonstanten des Systems.
Berücksichtigt man zunächst rechts in (25) nur die Glieder vom
einfachen Argument %,, und “,, so ergeben sich die allgemeinen
Integrale, wobei noch «,, nicht durch ,, ausgedrückt ist:
(a — 4 alt _ sin u, + I’Mu sin (gt + 8)
2, —2. +
_1_ muf,
=; gu a 008 My + D'Mı; cos (git + ß})
1 m, u, @ ü 1 mM, U, F' ;
h == — 112 77 ra 72372 u
2 u — u; 4 62 mt 2 Us — 2; + Cys kai.
+ I’ Ms; sin (gt + 2)
1 m, u, @ 1 m, u, F'
TERROR. ı lg u s ste fs u
(27)3 5 2 u — 2: 4 09 ET 2 U — 2; + 02 en.
HI’ Mai cos (nt + 8)
1 M; U, @ ; \
ea Sin ts + I Mia sin (gat + Ba)
1 _mu®%
h OWL + N +23M: E- (git 7 ß:)
h,—= I'M. sin (gt + Bı)
\k, = IM: cos (gıt E- ß:).
Neuerdings wies Wilkens'"®) nach, daß man die Gleichungen (25)
direkt integrieren könne. Durch die Substitution
h,sinu + k,cosu=e,
h, cosu — k,sinu = y,
und mit der Berücksichtigung, daß
102) A. Wilkens, Über die Integration der Grundgleichungen der Theorie der
Jupitermonde, Berl. Ber. (1914), p. 552, und: Über die Säkulargleichungen der
vier helleren Jupitermonde, Astr. Nachr. 201 (1915), p: 35.
836 VIe, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
au _
dt
konstant ist, gehen sie über in ein System von linearen Differential-
gleichungen mit konstanten Koeffizienten und konstanten rechten Seiten.
Ein Vergleich der noch nicht abgeschlossenen numerischen Entwick-
lungen Wilkens’ mit denen Souillarts zeigt eine genügende Überein-
stimmung. Merklichere Unterschiede finden sich nur beim zweiten
Monde vor, was seinen Grund haben dürfte in der Kommensurabilität
seiner Bewegung sowohl zum ersten wie zum dritten Mond.
Nun sind noch die rechts auftretenden Größen “,, und u,, Stö-
rungen unterworfen, die von den langperiodischen Gliedern der Stö-
rungsfunktion abhängen. Für dieselben gelten die Differentialglei-
chungen:
a’e, _ 3 Mau? \
dr — 2 Mami [F,(k, sin ug, — h, c08 U,,)
= 5 G, (k, sin Us Rn h, cos Ug,)}
d
1 2 — Ar (2% — 21) = 2% — N, — 2, — ng
d’o, 3 9 ö
Zi" z Mm bs 1 G, (kg sin Ug, — Ri, COS %,,)
4- © F,(k, sin u, — h, c08 4, )}
3 «
+5 Mau | F3(k, sin U, — hy cos Us)
+ FL (k, Sin Ugg — Az COS Ug,)}
(28)
d? A
Zr = — 3m,u2 {@,(k, sin u — hy COS Us)
4 „R (k, SID Ugg — Mg COS Ugs)}-
Bei Mitnahme der in den Massen linearen Glieder ergibt sich für
%,, die Ungleichheit:
sin EA) +:
wo die Koeffizienten W,®,& linear in den Massen sind. ER für %s5.
Bei Berücksichtigung dieser Glieder auf der rechten Seite von (25)
wird die Fundamentalgleichung für g jetzt nicht mehr vom 4. Grade
sein, sondern infolge des Nenners in (29) nimmt sie einen höheren
Grad an. Ihre approximative Auflösung ergibt dann ein neues (26)
entsprechendes System von Gleichungen. Nimmt man nun auf die
Souillartschen Glieder auf den rechten Seiten von (25) Rücksicht, so
werden die Gleichungen (27) die Integrale von (25) darstellen, wenn
man in den Nennern die Größen c durch die Größe « sich vergrößert
denkt. Die Berücksichtigung entsprechender Glieder in den Glei-
chungen (28) ist mit keinen weiteren Schwierigkeiten verknüpft.
Natürlich treten die Werte von h und k auch in die Ausdrücke für
13. Die säkularen u. langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 837
die Sonnenstörungen ein und bedingen je 4 Glieder, die dem Evek-
tionsglied in der Mondtheorie entsprechen. — Die Glieder vom Qua-
drat der Massen, die bei der Diskussion der Gleichungen in h und k
vernachlässigt wurden, spielen eine wichtige Rolle in den Differential-
gleichungen für die mittleren Längen. Setzt man nämlich
9—=U: —4, und PP?=K : ®+ m 7 m),
u,
wo Ku ton te
u — 2 + u
so ergibt sich die von Laplace zuerst aufgestellte Differentialgleichung
der Libration: ;
(30) d’Y
dt?
Aus den Beobachtungen ergibt sich angenähert # = 180° und
dieses führt mit Hilfe von (30) zu den allgemein gültigen Zaplace-
schen Relationen:
(31) 4 — 3 +2, =0 una
(32) , —3l, + 21, = 180°.
Dieselben werden, wie Laplace gezeigt hat, auch durch von außen
eintretende Störungen auf die Dauer nicht in Frage gestellt. Das
allgemeine Integral von (30) ist:
(33) 9 —= 180° — D sin (ßt + E).
Delambres Diskussion der Finsternisse hat ergeben, daß die Ampli-
tude von &® — 180° verschwindend klein ist, was durch Sampson *)
bestätigt zu sein scheint, während de Sitters‘') Diskussion 0,158
ergibt. — Mit Benutzung von (32) werden die aus den Integralen
von (25) sich ergebenden Störungen der Längen der drei innern
Satelliten auf die Form gebracht:
(34) dev = (Dsin (Ut+ ut); d,, = — (U) sin (Ut-+ ust);
09 = — (ID) sin (Ut + ut — 90%),
wenn man die Zeit von einer gemeinsamen Konjunktion der beiden
ersten Satelliten zählt und wenn u‘, w,, u, die mittleren synodischen
Bewegungen bezeichnen. Es ist
(34a) U-v — 2, = — 27,.
Souillarts Werte für I, II und III sind: 1634”, 3860” und 262”,
während Laplace dafür 1561”, 3737” und 226” gefunden hatte, be-
deutende Abweichungen, die den Wert der Sowillartschen Theorie be-
stätigen. Die bekannte Finsternisperiode 7’ = 437,659 Tage ergibt
sich aus (34a): T= gr
—= ß? sin ®.
338 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
b) Die übrigen Satelliten. Beim V. Satelliten sind Knoten- und
Perijoviumbewegung einander numerisch gleich. Da ein Fall von
Kommensurabilität hier nicht auftritt, kann man in dem Newcomb-
Tisserandschen Satz — vgl. $ 128 — m’ gleich Null setzen und erhält:
(h = esin (b + But)
\k = ecos (b + But).
Die Beobachtungen haben die jährliche Bewegung des Perijoviums zu
916° ergeben, ein Wert, der von dem theoretischen Werte Tisserands °°) °°)
abweicht. — Die Bahnen des VI. und VII. Satelliten sind noch zu
wenig bekannt, als daß sich etwas Definitives über die Bewegungen
in denselben aussagen ließe. Sollte es sich bestätigen, daß sie in
derselben Ebene liegen und sich schneiden, so würde damit ein neuer
Fall der Himmelsmechanik vorliegen, der große theoretische Schwierig-
keiten bieten wird. — Der VII. Trabant bewegt sich retrograd in
seiner Bahn. Cowell und Crommellin‘!) haben gefunden, daß Delau-
nays Methode nicht direkt anwendbar ist, weil die Parameter hier zu
große Werte annehmen und darum die Reihenentwicklungen zu lang-
sam konvergieren. Nach Kobb®'*) ist die Bahn möglicherweise in-
stabil.
ß) Das Saturnsystem. a) Japetus, Titan und Rhea. Phöbe und T’hemis.
Die Differentialgleichungen für die Länge des Perisaturniums und die
Exzentrizität enthalten auf den rechten Seiten die von der Sonne, Ab-
plattung, Ringen und je den benachbarten Satelliten herrührenden Stö-
rungen. Es brauchen nur Glieder vom Quadrat des Sinus der Nei-
gung der Bahnebenen und der Exzentrizitäten mitgenommen zu werden.
Da keine Kommensurabilitäten zwischen den mittlern Bewegungen
stattfinden, treten keine langperiodischen Glieder hier auf.
b) Die Satellitenpaare, bei denen Lihrationsglieder auftreten. Wenn
die mittleren Bewegungen, u und u’, zweier Satelliten so beschaffen
sind, daß (j + 1)u’— ju (j ganze Zahl) klein ist im Verhältnis zu u’
und u, so werden bei einem ellipsoidischen Zentralkörper die Integrale
der Differentialgleichungen für h, k; W, X, wenn V=(j + I)’ —jl
gesetzt wird, die Form haben:
= ce sin(b+ But) + Am’ sinV
(36) k=c cos(b + But) + Am’ cosV
"= c sin (b’ + But) + A’m sin V
k= ec c0s(b’+ Bw) + Am cosV.
A und A’ sind gegebene Funktionen der Elemente, c,c und 5,
(35)
13. Die säkularen u. langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 839
sind die willkürlichen Konstanten. Sind ce und ce’ Null, so ergibt sich
das allgemeine Theorem:
Bei zwei ursprünglichen Kreisbahnen werden, wenn die Bewegung
des Konjunktionspunktes im Verhältnis zu den Satellitenbewegungen klein
ist, die gegenseitigen Störungen wechselseitig eine Exzentrizität erzeugen,
und die so erzeugten Apsidenlinien werden bei beiden Bahnen durch den
Konjunktionspunkt gehen.
Wenn c und c’ klein sind, ohne doch gleich Null zu sein, so
wird das System eine Libration um jene Mittellage erleiden. Die
Systeme Hyperion-Titan, Mimas-Tethys und Dione-Enceladus können
alle unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.
‘ Hyperion-Titan. A. Hall stellte die Beobachtungen des Hyperion
zufriedenstellend dar, indem er für die Länge des Perisaturniums die
Formel ableitete:
© — 174,24° — 20,344% — 0,1030.
Newcomb!°) verband diese retrograde jährliche Bewegung von 20°
mit dem nahezu gleichen Betrag, den 4ur — 3ur in einem Jahre an-
nimmt, und erkannte die hohe Wichtigkeit des Argumentes: V — 4ly
— 3lr — ®,. Indem in der Störungsfunktion außer den säkularen
Gliedern das erste Glied ezÜCcos V genommen wird, erhält man die
Gleichungen: |
d
+ 3,91 mzuir sin V
dE
(37) 1-5 = + 4,22 mzulr cos V
düj,, |
\ Ser; u Mrun(4,53 —+- 3,26 COS e.
Für V ergibt sich die Differentialgleichung:
d’V { d
Die Beobachtungen zeigen, dad V um den mittleren Wert x herum
schwankt. Macht man Y = 180° — H, so wird angenähert:
(39) = — 15,6mz sin H.
Aus dem Integral dieser Gleichung:
(40) H= «cos Kunt — ßBsin Kuut,
103) S. Newcomb, On the mutual action of the satellites of Saturn, Astr.
Journ. 8 (1888), p. 104.
840 VIs, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
wo K = V15,6mr ist, ergibt sich eine Massenbestimmung des Titan,
deren genauer Wert aber erst durch Berücksichtigung der andern
merklichen Glieder der Störungsfunktion erhalten werden könnte.
Nun ist aber die Berechnung der Koeffizienten dieser Glieder infolge
a
T E Krhre . R
des großen Wertes von _—- mit großen Schwierigkeiten verknüpft, so
H
daß es Newcomb vorzog, durch Quadratur ihren Betrag in Rechnung
zu stellen. Die Bestimmung der Masse des Titan gelang so mit großer
Genauigkeit. Hill”), Tisserand”®), O. Stone") haben ihrerseits durch
periodische Lösungen das gleiche Problem sehr elegant behandelt und
gleichfalls durch Quadratur die Störung in © für einen halben syn-
odischen Umlauf bestimmt und damit auf die Größe der Masse des
"Titan geschlossen. Eine zufriedenstellende analytische Theorie, welche
die wesentlichen Glieder in der Entwicklung von R berücksichtigt
und zugleich auf die Exzentrizität der Titanbahn Rücksicht nimmt,
ist bisher noch nicht entwickelt worden. Jedoch hat H. Strwe aus
einer Diskussion der Beobachtungen eine Darstellung von V in der
Form: 0
Y—180-+ Asin (7 (t— %))
gegeben, in der er nicht nur die Konstanten A und £,, sondern auch
T, die Periode der Libration, durch die Beobachtungen bestimmt.
Eichelberger'*) hat gleichfalls auf rein empirischem Wege eine Dar-
stellung von V erhalten, bei der zu der Darstellung von Struve
noch Glieder vom Sinus des Vielfachen des Winkels II treten,
der gleich der Differenz der Längen der Perisaturnien der beiden
Bahnen ist.
Enceladus-Dione. Aus dem Theorem von Neweomb folgt, daß
die Exzentrizität und Apsidenbewegung von Enceladus sich aus zwei
Teilen zusammensetzt. Wäre die Masse der Dione Null, so wäre
e=c,9—=b-+- But; die Apsidenbewegung wäre in diesem Falle
gleich der Knotenbewegung. Ist umgekehrt c sehr klein gegenüber f,
wo f== Am’ gesetzt ist, so wird genähet e=f und 9 = 2!’ —-|,
die Apsidenbewegung ist dann 2u’— u, das Perisaturnium von Ence-
ladus fällt beständig mit dem Konjunktionspunkt der beiden Tra-
banten zusammen. Die Beobachtungen Struves zeigten, daß der letz-
tere Fall der Wirklichkeit entspricht. Aus e=f—= Am’ folgt, daß
die Masse Diones aus dem Mittelwert für e erhalten werden kann.
Der Wert von c kann nicht aus den Werten der oskulierenden Werte
104) Eichelberger, The orbit of Hyperion, Astr. Journ, 11 (1892), p. 145.
77 Dr a
13. Die säkularen u langperiodischen Ungleichheiten der Exzentrizitäten usw. 841
von e bestimmt werden, wohl ist es aber möglich, auf dem Umweg
durch die Längen hierzu zu gelangen, wie dieses Strwve”?) gezeigt
hat. Hierbei ist von Wichtigkeit, daß sich die Werte von ßu für
beide Satelliten mit hinreichender Genauigkeit aus den Knoten-
bewegungen von Tethys und Mimas bestimmen lassen.
Tethys-Mimas. Die merkliche Neigung der Bahnen von Tethys
und Mimas zum Saturnäquator haben es möglich gemacht, die säku-
laren Bewegungen der Knoten aus den Beobachtungen mit Sicherheit
zu bestimmen. Darauf fußend, hat H. Struve‘?) die merkwürdige
Beziehung aufdecken können, die zwischen den mittleren Bewegungen
der Trabanten und den säkularen Bewegungen der Knoten besteht
und zu der großen Libration zwischen Thetys und Mimas Anlaß gibt.
Der Librationswinkel ist hier: W = 4lr — 2ly — 0r — 9y. Die
Störungsfunktion hat die folgende Form:
PERS ER W,
24 Y Mm, 4 YrYı cos ’
wenn man nur die hauptsächlichsten säkularen und Librationsglieder
mitnimmt. Aus den Differentialgleichungen für die Elemente ergibt
sich eine Differentialgleichung 2. Ordnung in W, die mit genügender
Annäherung auf die Gleichung für Pendelschwingungen reduziert
werden kann. Die Beobachtungen zeigen, daß in der Tat der Fall
des oszillatorischen Pendels statthat, d. h. Librationsbewegung. Die
Differentialgleichungen in ur und u, ergeben durch doppelte Inte-
gration die großen Librationsglieder in den Längen beider Satelliten.
Unter der Annahme, daß der Ausschlag von W etwa 79° beträgt, wie
die Beobachtungen zeigen, ferner daß das Verhältnis der Massen der
. ist, ergibt sich für die Länge von Mimas eine Am-
plitude von 45°, für die Länge von Thetys etwa 2,5°, wenn man bei
beiden nur die ersten Glieder in Betracht zieht. Das Verhältnis der
Koeffizienten der beiden Librationsglieder ergibt einen Wert für das
Verhältnis der Massen der beiden Satelliten, während die Periode
der Libration sogleich die Masse des großen Satelliten ergibt. Man
kann betreffs der Konjunktionen von Mimas und Thetys aussagen,
daß sie immer um die Mitte des Bogens statthaben werden, der
auf dem Saturnäquator zwischen den aufsteigenden Knoten der bei-
den Trabanten gelegen ist. Von diesem Punkt können sie sich in.
maximo bis auf 45° entfernen. Die Dauer der.Oszillation ist etwa
63 Jahre.
y) Die übrigen Satellitensysteme. Da Kommensurabilitäten in den
Bewegungen der Satelliten dieser Systeme nicht aufzutreten scheinen,
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 55
Trabanten =
842 VIse, 16. Kurt Laves. Die Satelliten.
so werden die Gleichungen für die Größen % und %k beim Neptun-
und wohl auch dem Marssystem sich wie die für den V. Jupiter-
mond schreiben lassen, während bei den Uranustrabanten noch auf die
gegenseitigen Anziehungen der Satelliten untereinander wird Rück-
sicht genommen werden müssen.
14. Die kurzperiodischen und die von der Sonne herrühren-
den Ungleichheiten werden analog den unter VI2 B14 und 15 ent-
wickelten Prinzipien hergeleitet und brauchen daher hier nicht weiter
besprochen zu werden. Infolge der nahen Kommensurabilitäten der
mittleren Bewegungen der drei inneren älteren Jupitermonde sind
diese kurzperiodischen Ungleichheiten sehr bedeutend, wie man aus
den Kapiteln 13, 14 und 15 von Bd. IV der Mecanique celeste von
Tisserand ersehen kann.
15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme.
Durch die beobachteten säkularen Verschiebungen der Knoten und
Apsidenlinien werden für jeden Satelliten theoretisch zwei Gleichungen
gegeben, in die neben den von den Potentialen des Planeten und der
Ringe herrührenden Konstanten k,, lı und kr, !x die Massen der
meßbar einwirkenden Satelliten eintreten. Überall, wo einesteils Ab-
weichungen von der Kreisbahn oder andrerseits Abweichung der
Trabantenbahnebene von der Äquatorealebene des Planeten sich
nicht haben beobachten lassen, scheiden die betreffenden Satelliten
aus den die Massen bestimmenden Gleichungen aus. Die Massen der
Planeten ergeben sich aus den Elongationsbeobachtungen vorwiegend
der äußeren Satelliten. Der VIII. Satellit Jupiters sowie der IX. Sa-
tellit Saturns werden in der Zukunft wohl die allergenauesten Massen-
bestimmungen ihrer Planeten ergeben. Für die Konstantenbestim-
mungen im Jupitersystem finden sich in der Mecanique celeste von
Laplace und ebenso in der von Tisserand eingehende Erörterungen,
die noch in den Diskussionen von de Sitter und Sampson im An-
schluß an Sowsillarts Werk weitergeführt sind. Den Anteil, den der
V. Jupitermond dabei hat, ist von Cohn und de Sitter näher disku-
tiert worden. Für das Saturnsystem findet man alles Nötige im 16.
und 17. Abschnitt der zweiten Pulkovaer Abhandlung von H. Struve.
Für Uranus werden erst zukünftige genauere Satellitenmessungen ein
verläßliches Resultat erbringen. Aus der Knotenverschiebung des
Neptunsatelliten wird sich in nächster Zukunft nieht nur die Lage
des Neptunäquators, sondern auch die Größe der Abplattung bestim-
men lassen. Auch bei Jupiter und Saturn sind die so errechneten
Bestimmungen der Lagen.des Planetenäquators den durch direkte
Messung gewonnenen Werten überlegen. Das gleiche gilt für den
15. Die Bestimmung der Konstanten der Satellitensysteme. 843
Planeten Mars'®), dessen Abplattung mit einiger Genauigkeit bisher
fast nur auf diesem Wege bestimmt werden konnte. Betreffs der
Figur der Planeten und des Saturnrings vgl. VI 2, B 20 (Oppenheim)
105) Vgl. Hartwig, Untersuchungen über die Durchmesser der Planeten Mars
und Venus, nach Heliometermessungen ausgeführt auf der Kgl. Sternwarte in
Straßburg, Astr. Ges. Publ. 15 (1879); ferner: Untersuchungen über den Durch-
messer und die Abplattung des Mars, Astr. Nachr. 150 (1899), p. 313, sowie die
unter 91) und 92) zitierten Abhandlungen H. Struves; endlich die zahlreichen
Beobachtungen von P. Lowell in Lowell-Obs. Annals I (1898), Observations of
the Planet Mars during the opposition 1894—95, made at Flagstaff (Arizona);
bes. capt. II, $ 3, und ebenda Bull. Nr. 24, 33, 46, 56 (1912).
(Abgeschlossen im Sommer 1916.)
55*
V12,17. BESTIMMUNG UND ZUSAMMENHANG
2.
3
4.
Os
-
die
8.
DER ASTRONOMISCHEN KONSTANTEN.
Von
J. BAUSCHINGER
IN LEIPZIG.
Inhaltsübersicht.
Einleitung.
Die astronomischen Konstanten.
Geodätische Konstanten.
Physikalische Konstanten.
Astronomische und physikalische Einheiten. Die Gravitationskonstante.
Erde.
Die Sonnenparallaxe. Trigonometrische Bestimmung.
Die Aberrationskonstante.
Die Lichtgleichung.
Die Mondgleichung in der Erdbewegung. Beziehung zwischen Mondmasse
‘und Sonnenparallaxe.
10.
11.
12.
13
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
28.
24.
25
26.
Die Präzessions- und die Nutationskonstante.
Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde.
Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt.
Tropisches und siderisches Jahr.
Sternzeit und mittlere Zeit.
Verwendung der Schweremessungen.
Die Erdmasse und ihre Beziehung zur Sonnenparallaxe.
Mond,
Die Mondparallaxe.
Die parallaktische Ungleichheit in der Mondbewegung.
Die Elemente der Mondbahn.
Die Störungsglieder der Mondbewegung.
Die Mondmasse.
Planeten.
Die Theorien der Sonne und der großen Planeten.
Bestimmung der Planetenmassen.
Ableitung der Massen von Merkur, Venus und Erde aus den Säkularstörungen.
Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde.
Die Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden.
Die Massen von Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun.
EEE EREN NEE
1. Die astronomischen: Konstanten. 845
Literatur.
Wm. Harkness, The solar Parallax and its related Constants, including the figure
and density of the Earth. Washington Observations for 1885 Appendix III,
Washington 1891. (Hierin findet man die ältere Literatur.)
S. Neweomb, The elements of the four inner Planets and the fundamental Con-
stants of Astronomy. Suppl. to the American Ephemeris for 1897. Washington
1895. (Zitiert: Fund. Const.)
F. Tisserand, Resume des tentatives faites Jusqu’ici pour determiner la parallaxe
du Soleil. Obs. de Paris ann., mem. XVI. 1882.
S. Newcomb, Investigation of the distance of the Sun and of the elements which
depend upon it. Wash. obs. 1865 App. II. .
D. Gill, Determination of the Solar Parallax. Combination of Results and Ge-
neral Conclusions. Cape Obs. ann. Vol. VI, part 5. 1897.
F. W. Bessel, Fundamenta Astronomiae. Regiomonti 1818.
—, Tabulae Regiomontanae Reductionum, Regiomonti 1830.
U. J. Leverrier, Annales de l’Observatoire de Paris, t. 1—14. 1855—1877.
S. Neweomb, Astronomical Papers prepared for the use of the American Ephe-
meris and Nautical Almanac. Washington Vol. I-IX. 1882—1912. (Zitiert:
Astr. Pap.)
F. R. Helmert, Die mathematischen und physikalischen Theorien der höheren
Geodäsie. 2 Bände. Leipzig 1880—1884. (Zitiert: Helmert, H. G.)
P, A. Hansen, Darlegung der theoretischen Berechnung der in den Mondtafeln
angewandten Störungen. Leipzig. Ges. Wiss. Abhdl. 6 (1862), p. 91—498,
7 (1864), p. 1—399. .
Einleitung.
l. Die astronomischen Konstanten. Als astronomische Kon-
stanten werden hier sowohl diejenigen Größen verstanden, die die
Grundeinheiten aller Maßbestimmungen in der Astronomie bilden,
wie die Sonnenparallaxe, die Gravitationskonstante u. a., als auch
jene, die bei der analytischen Behandlung der Probleme als Integra-
tionskonstante auftreten, wie die Präzessionskonstante, die Planeten-
elemente u. a. Allen ist gemeinsam, daß sie direkt oder indirekt
durch Messung bestimmt werden müssen, daß ihre zahlenmäßige Be-
stimmung infolge der Fortschritte der Meßkunst also in der Regel
eine lange Geschichte hinter sich hat; ferner, daß zwischen ihnen
eine ganze Reihe von Zusammenhängen besteht, die nicht nur an
sich wichtig sind, sondern auch für die zahlenmäßige Festlegung
der Größen und die Prüfung der Theorien bedeutungsvoll werden.
Auf die Entwicklungsgeschichte einzugehen, ist hier nicht beabsich-
tigt; an der Hand der unten zitierten Werke!) wird man sie leicht
1) J. C. Houzeau, Vade-mecum de l’astronome. App. & la nouv. serie des
Ann. astr. de l’Obs. de Bruxelles. Bruxelles 1882. — Wm. Harkness, The solar
Parallax and its related Constants. Washington 1891.
846 VlI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
verfolgen können; dagegen ist neben der Angabe der Messungs-
methoden und der jetzt zuverlässigsten Werte die Auseinandersetzung
der Zusammenhänge das Hauptziel des Artikels. Die Anordnung ist
der Inhaltsübersicht zu entnehmen. Da es sich vielfach um eine Nach-
lese zu anderen Artikeln des Bandes handelt, war eine weitergehende
systematische Darstellung zwecklos.
2. Geodätische Konstanten. Die in der Astronomie gebrauchten,
der Geodäsie zu entlehnenden Konstanten sind die Dimensionen des
Erdkörpers und die Bestimmungen der Schwerkraft der Erde. Wir
verweisen betreff näherer Ausführungen auf Band VI1, insbesondere
Artikel 3 (Pizetti), Nr. 50 und 51 und Artikel 7 (Helmert), Nr. 4 und
geben hier nur die zuverlässigsten im folgenden verwendeten Resultate:
Halbe Er, Achse des Erdellipsoids oe, = 6377397 m [6,8046435]
nach Bessel (1841).
Abplattung a — — 0,0033428 [7,524107_,,].
1
299,153
Beschleunigung der normalen Schwerkraft (nach Helmert (1901)):
9 = 918,046 (1 + 0,005302 sin? 9 — 0,000007 sin! p) cm,
p —= geogr. Breite;
1
hieraus Abplattung a = =
Länge des Sekundenpendels (nach J/wanoff')
I — 99,0997 + 0,5240 sin? 9 — 0,0016 (sin — > sin? @’) om,
p — geogr. Breite, 9’ = geoz. Breite;
1
hieraus Abplattung a — ante
Für die geozentrische Breite p,’, die aus
sing, = v}
bestimmt ist und mittlere Breite genannt wird, findet man
9, = 35°15’52”
und die dazu gehörige geographische Breite
9, = 3502642”.
_ Hierfür wird der entsprechende Radiusvektor der Erde
—= [9,9995142] o, = 6370268 m [6,8041577]
und die Being
— 978,046 > [0,000773] = 979, 187. em [2,991132].
2. Geodätische Konstanten. 3. Physikalische Konstanten. 847
Der vertikale Teil der Zentrifugalkraft in der Breite p ist
4 = @ 008 cos p
x? ’
wo oe der zu g’ gehörige Radiusvektor und r — 86164 die Rotations- |
dauer der Erde in Sekunden mittlerer Zeit ist. Für die mittlere
Breite g, wird sie — 2,253 cm
und daher die von Zentrifugalkraft befreite Schwere oder die An-
ziehung G, — 979,787 + 2,253 — 982,040 em.
Das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere wird aus den ge-
gebenen Ausdrücken berechnet; am Äquator wird es:
3,391 1
Co T g78006 0,0034672 — 288,41?
; _. 4m?gcospcosp _ 4ECOSPCosp
allgemein = gesis® — Tssıo®
und in der mittleren Breite 9,
c; = 0,0022997 [73616710] = gg455
und damit die Anziehung
Get) ell+u)= Lu.
3. Physikalische Konstanten. Aus physikalischen Messungen
gehen die Lichtgeschwindigkeit c und die Dichtigkeit der Erde hervor.
Die älteren Werte für c sind von Harkness?) 8. 29 zusammen-
gestellt. Als zuverlässigster Wert kann der aus den Versuchen von
Michelson und Newcomb?) hervorgehende gelten:
c = 299860 + 30 km pro Sekunde.
Er wird bestätigt durch neuere Versuche von Perrotint), der aus
zwei Reihen findet:
c = 299880 + 50 km pro Sekunde.
Wir haben im folgenden
c = 299865 + 26 km pro Sekunde
angenommen.
Über die Dichtigkeitsbestimmungen der Erde sei auf Encykl. V 1
Art. 2 (Zenneck), Nr. 9 verwiesen, wo gefunden wird:
4= 5,513;
daraus folgt die in Nr. 4 abgeleitete Gravitationskonstante:
0,6675 >< 10-7 em? see”? gr".
2) W. Harkness, The solar Parallax...., s. Literatur.
3) Astr. Pap., Vol. II, p. 202.
4) Perrotin, Paris ©. R. 1902, p. 881.
848 VlIsa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
4. Astronomische und physikalische Einheiten. Die Gravita-
tionskonstante. Das jetzt in der Physik gebräuchliche System der
Einheiten der Länge, der Masse und der Zeit, das Zentimeter-Gramm-
Sekundensystem (wobei Gramm — Masse — m, nicht gleich Gewicht,
sondern Gewicht = mg, g = Beschleunigung), wird in der Astronomie
nur dann verwendet, wenn sie sich auf physikalische Maßbestim-
mungen bezieht; im übrigen bedient sie sich, um zu große Zahlen zu
vermeiden, seit jeher eines besonderen Systemes von Einheiten.
1. Längeneinheit ist die halbe große Achse a der Erdbahnellipse
mit der kleinen Abänderung, die weiter unten besprochen wird. Um
die Beziehung zu einem irdischen Maß herzustellen, wird der Winkel
rs eingeführt, unter welchem der Radius des Erdäquators o,, der
durch geodätische Messungen bestimmt wird, in der Entfernung a ge-
sehen wird; dieser Winkel, die Sonnenparallaxe, ist durch astrono-
mische Messungen bekannt; es wird
BR.
zo sin 1”
Mit 0, = 637739715 [8,50464346] Zentimeter folgt:
[14,1190686] _
astr. Längeneinheit — =
"0
a=
oder mit z& = 879
astr. Längeneinheit = [13,1750797] em.
In dieser Einheit werden alle Entfernungen im Sonnensystem an-
gegeben.
In der Stellarastronomie wird diejenige Länge als Einheit ge-
braucht, in welcher die eben besprochene «a unter einem Winkel von
1” erscheint; diese Länge, Sternweite genannt, ist also
1 Sternweite = 206264,8 Erdbahnhalbachsen.
ar.» . | . r
Ist p” die Parallaxe eines Sternes, so ist „> seine Entfernung ir Stern-
weiten.
2. Zeiteinheit ist der mittlere Sonnentag, dessen Definition in
Nr. 13 gegeben ist; er ist gleich 1,002737909 Rotationen der Erde
um ihre Achse und wird in 86400 mittlere Zeitsekunden geteilt. Da-
mit ist die Beziehung zwischen physikalischer und astronomischer
Zeiteinheit gegeben. Eine Rotation der Erde wird in 86164,091 mittl.
Zeitsekunden ausgeführt; die Erde rotiert also mit der Winkelge-
schwindigkeit
2 i
(siscosı) Radien = 15”’0411 in der Sekunde.
3 la FT a ie
43 n=
4. Astronomische und physikalische Einheiten. Die Gravitationskonstante. 849
3. Die Einheit der Masse wird in die Astronomie durch das
Newtonsche Gesetz eingeführt, wonach die Anziehung zwischen zwei
k?mm’
TEE )
Massen m und m’ in der Entfernung r gegeben ist durch
hierin ist k® die Anziehung zwischen zwei Masseneinheiten in der
Einheit der Entfernung. Hat man %? für die Längeneinheit bestimmt,
so ist dadurch die Masseneinheit festgelegt. Masse im astronomischen
Sinn ist also nicht gleich Anziehungskraft, sondern entspricht dem,
was die Physik Masse nennt, nicht dem, was die Physik Gewicht
nennt. Die analytische Behandlung des Problems der Bewegung der
zwei Körper m und m’ führt auf die Gleichung:
22 71 /k?(m m’)
Keira A
(das dritte Keplersche Gesetz), worin 7’ die Umlaufszeit, «a die große
Halbachse der Bahnellipse ist. Nimmt man als die beiden Körper
die Sonne m und die Erde m’, legt die Längen- und die Zeiteinheit
wie oben fest, benutzt die aus anderen Erscheinungen hervorgehende
Tatsache, daß die Anziehungskraft der Erde auf die Einheit der Ent-
fernung der 354710 Teil von der der Sonne ist, und nimmt für 7
die siderische Umlaufszeit der Erde um die Sonne —= 365,2563835
Tage (beides nach den Annahmen von Gauß°)), so wird obige Be-
ziehung: 1 a }
Km(1 + g50770) — (sopanessss)
und gibt in km — 0,0002959122082 [6,4711628828_,.]
die Anziehungskraft der Sonne auf die Masseneinheit in der Einheit
der Entfernung und in der Einheit der Zeit. Setzt man %? gleich
obiger Zahl 0,0002959122082, so ist die Masse der Sonne m—=1 zu
nehmen und ist damit die Masseneinheit definiert. Die Konstante %?
(Gaußsche Konstante, Attraktionskonstante des Sonnensystems, An-
ziehungskraft der Sonne) ist oben nach Gauß mit Werten der Erd-
masse und des siderischen Jahres gerechnet, die nicht mehr als richtig
bezeichnet werden können. Statt aber die Konstante den jeweiligen
besten Werten dieser beiden Größen anzupassen, zieht man es vor, sie
ungeändert beizubehalten und dafür die Längeneinheit einer leichten
Änderung zu unterwerfen, damit die Richtigkeit der Gleichung (1)
erhalten bleibt. Mit den Werten
‚ 1 E
m 0, und 7 = 365,25636042
5) C. F. Gauß, Theoria motus corporum coelestium. 1809, art. 1 = Werke,
Band 7.
850 VI»,17. J. Bauschinger. "Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
wird log a = 0,000000013,
und die Einheit der Entfernung ist also streng genommen nicht die
die halbe Erdbahnachse, sondern eine Größe, in der ausgedrückt die
halbe Erdbahnachse den eben angegebenen Wert hat. Der Unter-
schied ist in den Sonnen- und Planetentafeln kaum merkbar.
Würde man als Zeiteinheit die Dauer von 1:% = 58,13244087
mittleren Sonnentagen einführen, so würde als Attraktionskonstante
sich 1 ergeben. Zur Vereinfachung der Schreibweise wird hiervon
bei theoretischen Untersuchungen vielfach Gebrauch gemacht.
Wird die Sonnenmasse — 1 gesetzt, so erscheinen die Planeten-
massen als reine Zahlenfaktoren m’, m”, ...., die mit %? multipliziert
die Anziehungskräfte derselben in der Einheit der Entfernung geben.
So wird die Anziehungskraft von Erde + Mond in der Entfernung 1
0,0002959122082
330200
und die des Erdkörpers allein (Mondmasse — = 58 Erdmassen gesetzt)
0,0002959122082 „
sa — — [9,947092,,1.
Um diese Zahl in das cm/sec-System der Physik überzuführen, ist
sie mit 14978738000000° Ä
Te een |29,6533981]
(entsprechend dem Desselschen Radius des Erdäquators und der zu
obiger Masse gehörigen Sonnenparallaxe 8”782) zu multiplizieren und
wird dann [20,600490] = 398556 > 10%,
Dies ist also die Anziehungskraft der Erde in einer Sekunde und in
l cm Entfernung vom Erdmittelpunkt.
Diese Größe läßt sich durch Messung der Länge des Sekunden-
pendels "auch physikalisch bestimmen. Nach Helmert (s. Nr. 2) wird
für die Breite @,’, deren sin gleich 1:3 ist,
die Schwere . . 2... = YI9,T8T om/sec?,
die Korr. für Zentrifugalkraft gs + 2,253
also die Anziehung der Erde an der EEE
Oberfläche der Breite 9, . . 982,040 em/see?. [2,992130]
Der Radius der Erde in der Breite @,’ ist nach Bessel
637026800 em [8,8041577]
und folglich die Anziehung in 1 em/see?
982,040 > 637026800? — [20,600444] = 398515 > 10".
5. Die Sonnenparallaxe. . Trigonometrische Bestimmung. 851
Für die Anziehungskraft des Mondes erhält man in denselben
Einheiten [18,689173] — 488847 >< 101
und für die der Sonne
[26,124561] — 133218 > 109.
Die Anziehung eines Kubikzentimeters Masse von der mittleren Dichtig-
keit der Erde 4 = 5,513 erhält man aus obiger Zahl [20,600490],
wenn man sie durch die Masse der Erde in Grammen, also durch
- [27,034565] Kubikzentimeter 2
[ 0,741388] Dichte
[27,775953] Gramm
dividiert. Es ergibt sich somit in
[2,824537_,0] = 0,6676 > 10-7 em? sec=? gr="
die Gravitationskonstante im Einheitensystem der Physik.
Die Konstanten der Erde und der Erdbewegungen.
5. Die Sonnenparallaxe. Trigonometrische Bestimmung. Unter
Sonnenparallaxe versteht man in abgekürzter Bezeichnung den Win-
kel x5, unter welchem im Mittelpunkt der Sonne der Radius des Erd-
äquators o, erscheint, wenn die Erde sich in ihrer mittleren Entfer-
nung a von der Sonne im Horizont eines Punktes des Erdäquators
befindet; die vollständige Bezeichnung ist Äquatorealhorizontalparallaze-
Um a in irdischem Maß auszudrücken, hat man die Beziehung:
00 206264,8
eh
Mit den Werten go, = 6377,397 km und x, = 8”80 wird
| “ a = 149480976 km.
Die trigonometrische Methode zur Bestimmung von zo wird, da
sich die Sonnenscheibe zu genauen Messungen nicht eignet, nicht
direkt auf die Sonne angewendet, sondern auf einen der Erde mög-
lichst nahen Planeten des Sonnensystems, aus dessen gemessener Ent-
fernung dann unter Heranziehung der Eigenschaften der Gravitation
(des dritten Keplerschen Gesetzes) auf die Entfernung der Erde von
der Sonne geschlossen wird. Wegen der näheren Ausführung sei auf
den Artikel VI 2,2 (Cohn) Nr: 9b verwiesen, hier werden nur die
„Resultate aufgeführt, und zwar nur jene, die heute noch als stimm-
berechtigt gelten können:
sin to —= - oder «a
852 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Mittl.
3 - z Ge
1. Aus der Marsopposition 1877, beobachtet von Gill 2 Fehler
SUP Ascona 8” 780 + 0”020 1,0
. Aus Kontaktbeobachtungen während der Venusdurch- ;
gänge 1761, 1769, 1874, 1882 nach der Diskussion von
EEE a Pa ER Fa I ee 8'794 + 0022 0,8
3. Aus Heliometer- und ER Messungen während der
Venusdurchgänge 1874 und 1882 nach der Diskussion
[0
WIE SNODOOMED®]. 20 ...4 Les ee Te ae 8” 857 + 0”023 0,8
4. Aus Heliometermessungen der kleinen Planeten Vik-
toria, Sappho und Iris 1888/89 nach Gills Plan®) . . 87802 +0”"007 8
5. Aus Meridianbeobachtungen der kleinen Planeten Vik-
toria, Sappho und Iris 1888/89 nach der Diskussion
TR N 8806 + 0044 0,2
6. Aus Beobachtungen des Planeten Eros 1900/01, mikro-
metrisch, nach der Diskussion von Hinks'') . . . . 87806 + 0”006 11
7. Aus Beobachtungen des Planeten Eros 1900/01, babe:
wemskinch, nach: Hinka!®), 2 ns 8” 807 +0”004 25
Die Gewichte sind unter Annahme des mittleren Fehlers der Ge-
wichtseinheit + 0”020 angesetzt und führen zu
ro —= 8"806 + 0”003 (trig. Meth.).
Es können nur solche Messungsmethoden bei Bestimmung dieser wich-
tigsten Zahl der Astronomie zugelassen werden, bei denen kein un-
kontrollierbarer systematischer Fehler zu befürchten ist. Hierüber
haben Newcomb in Fund. Const. 5. 154 und @i1") Es ge-
macht.
Außer der direkten hat man noch vier indirekte Methoden, zur
Kenntnis der Sonnenparallaxe zu gelangen, die auf den Eigenschaften
des Lichtes und der Gravitation beruhen. Man sehe die Nr. 6, 8, 15,
17 und die Zusammenstellung in Nr. 25.
6. Die Aberrationskonstante. Durch die Theorie der jährlichen
Aberration (siehe VI 2,2 (Cohn) Nr. 7a) wird die Größe
A="*7? oder „A, — 7477 206264” 8
€ . c-
6) D. Gill, Account of a determination of the solar parallax from obs. of
Mars, made at Ascension in 1877. Lond. Astr. Soc. mem. 46 (1880/81).
7) 8. Newcomb, Fund. Const., p. 146.
8) Id., p. 144.
9) Cape Obs. Ann. VI (1897), part. 6, p. 11.
10) Id., part 5, p. [95].
11) A. R. Hinks, Solar Parallax Papers, Lond. Astr. Soc. Month. Not. 70
(1910), p. 603.
12) Id., vol. 69, p. 566.
13) D. Gill, On Solar Parallax. Observatory I (1878).
6. Die Aberrationskonstante. 853
eingeführt, die Aberrationskonstante, die in der Verbindung der line-
aren Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn mit der Lichtgeschwin-
digkeit die wichtigste Konstante der Astronomie und Physik ist. Da
nn’ —= n206264”8 die mittlere Winkelbewegung der Erde um die
Sonne, a die halbe große Erdbahnachse, @ der Exzentrizitätswinkel
der Erdbahnellipse ist, .so stellt der Zähler naseep von A das Mittel
aus der größten (Perihel-) und der kleinsten (Aphel-) Lineargeschwin-
digkeit der Erde in ihrer Bahn vor, der Nenner ist die Lichtge-
schwindigkeit c, A also das Verhältnis beider; oder A ist die mitt-
lere Erdgeschwindigkeit selbst, wenn c als Einheit genommen wird.
Durch Einführung der Sekunde mittlerer Zeit als Zeiteinheit und des
Kilometer als Längeneinheit wird aus A”
[7,732622]
R H ng, sec p - 206 264,8 54028370
(2) A ET SER 32571 ae ” hi
4 86400 LOK; n„e
Diese Beziehung zwischen Aberrationskonstante, Sonnenparallaxe und
Lichtgeschwindigkeit (n” = 3548193, o, = 6377,39” km und 9 =
0°57'35”3 können als völlig bekannte Größen betrachtet werden)
wird uns unten weiter beschäftigen; hier gehen wir zunächst auf die
direkte astronomische Bestimmung der Aberrationskonstante ein. Sie
gehört zu den wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der
praktischen Astronomie; denn da die Beobachtungen, bei denen im
Gestirnsort infolge der Aberration die größten Ausschläge eintreten,
zu entgegengesetzten Jahres- und Tageszeiten angestellt werden müs-
sen, sind systematische Fehler nur bei besonderen Anordnungen der
Messungen und bei besonderen Vorsichtsmaßregeln zu beseitigen. Die
Diskussion der Aberrationsformeln (dieser Band S. 56) läßt erkennen,
daß man,vier verschiedene Methoden anwenden kann: 1. Messung
von Rektaszensionen eines Polsternes, 2. Messung von Meridianzenit-
distanzen eines Polsternes, beides in oberer und unterer Kulmination,
3. Durchgangsbeobachtungen von Zenitsternen im ersten Vertikal nach
dem Vorschlag von W. Struve't), 4. die Talcottsche Methode der Mes-
sung von Unterschieden der Zenitdistanzen je zweier in nahezu glei-
chen Abständen nördlich und südlich vom Zenit kulminierender Sterne
nach dem Vorschlag von Küstner.'”) Die Resultate aus allen vorhan-
denen Bestimmungen zu einem definitiven Wert der Konstante zu-
14) F. @. W. Struve, Sur le coefficient constant dans l’aberration des etoiles
fixes... St. Pet. m&m. tom. 3 (1844),
15) F. Küstner, Neue Methode zur Bestimmung der Aberrationskonstante.
Berlin, Sternw. Ergebn., Heft 3 (1888).
854 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
sammenzustellen, ist dreimal unternommen worden, von Harkness’*),
Neweomb*") und Chandler'?) mit den Ergebnissen:
Harknes -. . . » -.. 2... ..20”466 + 0”011 wahrsch. F.
Neweomb, Pulkowaer Bestimm. . 20”493 + 0”011
“ Anderweitige Bestimm. 20”463 + 0”013
Chandler, Benutzte Bestimm. . . 20”521 + 0”005
% Ausgeschl. Bestimm. . 207450.
Der Harknesssche Wert kommt nicht mehr in Betracht, weil dabei
der Veränderlichkeit der Polhöhe, die 1888 durch Küstner aufgedeckt
wurde, noch nicht Rechnung getragen ist. Diese Entdeckung machte
eine Neureduktion aller älteren Beobachtungsreihen notwendig, die
durch Chandler vorgenommen wurde, von dessen Resultaten auch
Newcomb Gebrauch macht. Newcomb faßt ohne ersichtlichen Grund
alle Pulkowaer und alle anderweitigen Bestimmungen zu je einem
Wert zusammen, wie in obiger Übersicht bereits angegeben. Am
. durchgreifendsten verfuhr Chandler, indem er von 67 Bestimmungen
24 meist ältere wegen des Verdachtes systematischer, nicht mehr zu
ermittelnder Fehler ausschloß. Wir geben eine Übersicht seiner Werte:
Gew.
1. Aus 3 Pulkowaer Reihen Rektasz. von Polaris... .... 20” 53 6
2. Aus 10 Reihen Meridianzenitdistanzen von .Polstenen . . . 20”514 22
3. Aus 3 Pulkowaer Reihen Durchgangsbeobacht. im I. Vert. . 20”525 24
4. Aus 25 Reihen nach Küstners Methode. .. ... 2... 20” 523 151
5. Aus 2 Reihen nach Loewys Methode!?). .... 2. 22.. 2048 5
6. Aus 7 Reihen Rektasz. von Polstenen . ... 2.2... [2045] 5
7. Aus 13 Reihen Meridianzenitdistanzen . . ... 2.22... [2046] 5
8. Aus 2 Reihen Durchgangsbeobachtungen im I. Vert. . . . . [20”43] 2
9. Aus 2 Reihen nach Küstners Methode . ......... [20° 44] 1
Die Werte 1. bis 5. ergeben
A = 20"521 + 0”007 mittl. F.
Werden die von Chandler ausgeschlossenen Werte 6. bis 9. hinzu-
gezogen, so wird A — 20517.
Der abgerundete Wert
A = 2052 + .0”007 mittl. F.
muß also unter allen Umständen als wohlgesichertes Ergebnis aller
bisherigen Messungen betrachtet werden.
16) Wm. Harkness, (s. Literatur) p. 27 (1891).
17) Fund, Const., p. 135 (1895).
18) 5. O. Chandler, The Probable Value of the Constant of Aberration.
Astr. Journ., vol. 23, p. 1 (1903).
19) Diese Methode (Paris ©. R. 112 (1890)) wurde hier als praktisch fast un-
ausführbar nicht weiter berücksichtigt.
2
7. Lichtgleichung. 855
Durch die Aberrationskonstante wird die mittlere Geschwindig-
keit der Erde in ihrer Bahn v, in ihrem Verhältnis zur Lichtge-
schwindigkeit bestimmt. Diese Geschwindigkeit hängt nun einerseits
2m ky1- + ®)
mit den Erdbahnelementen zusammen (n == 2
8
nnasey—T aseey— ee — secp (m—=m” +))
und kann daraus berechnet werden, läßt sich aber auch direkt durch
spektrographische Methoden messen, wie zuerst Küstner ?®) vorge-
schlagen und ausgeführt hat. Daß man hieraus dann die Sonnen
parallaxe ableiten kann, zeigt Gl. (2); das primäre Resultat ist aber
die Aberrationskonstante und gehört daher an diese Stelle; denn durch
die Linienverschiebung i im Bpakbrum direkt gemessen wird -, ”, Küstner
findet hierfür
29,617 40,057 a 2
29 — 0,000098766 = 20”37 + 004.
Diesem vorläufigen Wert sind weitere Bestimmungen nach dieser Me-
thode noch nicht gefolgt.
Die oben abgeleitete Beziehung (2) zwischen A, z& und c wird,
wenn man c = 299865 Er einführt:
(3) A”"ns = [2,255696].
Folgende Tafel gibt zusammengehörige Werte von A” und xo:
20”470 ..... 878020 20”510 . . . 877848
480... 7976 520... 7805
490... 793 530... 7762
DOOR BO. 2,517: EB;
Die Konstante der täglichen Aberration (siehe diesen Band, S. 54),
hervorgehend aus der Rotationsgeschwindigkeit ® der Erde (in 1°
mittl. Zeit) 1% 8 — (% 15x 1,002739)’— 07320,
wird immer aus g, und c berechnet, da sie wegen ihrer Kleinheit
direkt nicht beobachtbar ist.
7. Lichtgleichung. Die Lichtgleichung, d. h. die Zeit, welche
das Licht zur Zurücklegung der halben großen Achse der Erdbahn
gebraucht, wird auf astronomischem Wege durch die Beobachtung der
Veriasierunge der Jupitersatelliten bestimmt. Es liegen nur zwei
20) F. 7. Küstner, Eine spektrographische Bestimmung der Sonnenparallaxe.
Astr. Nachr. 169 (1905), p. 241.
®
856 VIa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Diskussionen, von Delambre?‘) und von Glasenapp??), vor mit den
Resultaten: Delambre 493°2
Glasenapp 500°8 + 12,
deren Mittel L = 491°0
nur als Wert von geringem Gewicht geschätzt werden kann. Man
bestimmt die Liehtgleichung jetzt sicherer aus der Erdbahnhalbachse
a und der Lichtgeschwindigkeit ce:
a 206264,8 >
ee a
8. Die Mondgleichung in der Erdbewegung. Beziehung zwischen
Mondmasse und Sonnenparallaxe. Die Erde bewegt sich im Laufe
eines Monats um den Schwerpunkt von Erde und Mond, der, abge-
sehen von den Planetenstörungen, in elliptischer Bewegung sich he-
findet. Diese Schwankung wird als Störungsglied in die Erd-(Sonnen-)
bewegung eingeführt und hängt in erster Linie vom Verhältnis u der
Mond- zur Erdmasse ab. Der analytische Ausdruck des Hauptgliedes
dieser sog. Mondgleichung für die Störung in Länge ist:
TE h R
Bien ungen SIR (Ly BE Lo);
wo L, und Lo die mittleren Längen, x), und x, die Parallaxen von
Mond und Sonne sind. Der Koeffizient
MR a
1-+usinzy
kann durch Beobachtungen der Sonne zu den Zeiten der Mondqua-
draturen (L, — La = + 9%) bestimmt werden und leidet natürlich
unter der Unsicherheit der Sonnenbeobachtungen überhaupt; systema-
tische Fehler jedoch sind nicht zu befürchten, da stets beide Sonnen-
ränder beobachtet werden können und in beiden Quadraturen der Be-
trag systematischer Beobachtungsfehler derselbe ist. Immerhin war
es ein Fortschritt, als Gill®) einen neuen Weg erkannte, L durch
schärfere Beobachtungen zu ermitteln. Statt der Sonne beobachtet _
er mehrere Lunationen hindurch einen Körper des Sonnensystems, der
nahe an der Erde ist und sich scharf beobachten läßt, z. B. einen
kleinen Planeten (Viktoria); in die geozentrischen Örter desselben
gehen die Koordinaten der Sonne ein, die die Mondgleichung ent-
21) J.B.J. Delambre, Tables cliptiques des satellites de Jupiter. Paris 1817.
22) 5. Glasenapp, Untersuchung der Verfinsterungen der Jupitersatelliten
(russisch). St. Petersburg 1874. (Referat von Downing, The Observatory XII, 1889.)
23) Lond. Astr. Soc. Month. Not. 54 (1894); Cape Obs. ann. VI, p. 536.
ala
9. Die Präzessions- und die Nutationskonstante. 857
halten. Man kann also aus ihnen Korrektionen der benutzten Mond-
gleichung ableiten. Da x, gut bekannt ist, führt Gil
@ et m6
als Unbekannte ein, die mit ZL durch
%
sin 7)
zusammenhängt.
Aus Sonnenbeobachtungen auf sieben Sternwarten 1820—1864 *
fand Newcomb (Fund. Const., p. 142)
L = 6'485 + 0”027 mittl. F.
Gil (Cape obs. ann., vol. VI, part 6, p. 29; korrigiert nach Monthly,
Not., vol. 70, p. 74) fand
L = 6"413 + 0”013.
Hinks (Monthly Not. 70 (1909, p. 72) fand aus den Beobachtungen
des Eros 1900/01 L = 6”431 + 0”005.
Werden diese drei Werte von Z nach Maßgabe ihrer mittleren Fehler
vereinigt, so ergibt sich
L = 6”430 + 0”005 mittl. F.
und daraus mit sin x, = [8,21990]
x = 0,10669 + 0,00008.
Setzt man u = 1/E, so wird
Bi‘
i+u i+E
und daher die Gleichung (4)
(5) 1+Dsk=n13.
Diese Beziehung zwischen der Mondmasse und der Sonnenparallaxe
wird zur Bestimmung der Mondmasse benutzt (siehe Nr. 20), kann
aber auch, allerdings mit geringem Vorteil, zur Ermittlung der Sonnen-
parallaxe verwendet werden, wenn die Mondmasse anderweitig be-
kannt geworden ist (Nutation).
9. Die Präzessions- und die Nutationskonstante. Über Theorie
und Verwendung der Präzession und Nutation ist auf die Artikel
VI2,2 (Cohn) und VI2,22, sowie auf die Lehrbücher der Mechanik
des Hinmels%) zu verweisen.
24) Z. B. F. Tisserand, Mecanique celeste, t. II, p. 371; Th. Oppolzer,
‘ Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Planeten und Kometen, Band I®, p. 124 (gibt
die Entwicklungen in größter Ausdehnung); J. Bauschinger, Bahnbestimmung der
Himmelskörper, p. 51; $. Newcomb, A ERORRENE of Spherical Astronomy, p. 225.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 56
858 VIa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Infolge der Anziehung von Mond und Sonne auf das Erdsphäroid
geht der Knoten des Erdäquators auf der festen Ekliptik (für eine
bestimmte Epoche, hier durchweg 1850,0) mit einer Geschwindigkeit
zurück, die Lunisolarpräzession in Länge genannt wird und deren
Betrag durch die Theorie in der Form geboten wird:
Lunisolarpräzession = P, + Po in einem jul. Jahr
C—A
P, = [5,975052] cos 8 -—,
(6) re
Pa — [8,72509] cos «I
C
Die Wirkung des Mondes ist durch P,, die der Sonne durch Po ge-
geben. Die mit ihren Logarithmen angesetzten Zahlenkoeffizienten ®°)
sind lediglich aus den Elementen der Mond- und Sonnenbahn zu-
sammengesetzt und können als Konstante betrachtet werden. Es ist
ferner , _ Schiefe der Ekliptik für 1850,0 = 23027'31”68,
u = Verhältnis der Mondmasse zur Erdmasse,
A = Trägheitsmoment der Erde, bezogen auf Achsen im
Äquator,
C —= Trägheitsmoment der Erde, bezogen auf die Drehungs-
achse der Erde.
Hiernach ist die Größe
D rat _
cose
— [[5,975052],t, + [3,2509] 7 en
eine absolute Konstante. Newcomb 2 sie als „Präzessionskonstante“
ein, während man früher die unten eingeführte allgemeine Präzession
mit diesem Namen belegte. Da aber & sich stark ändert, ist P,+ Po
ebenfalls starken Änderungen unterworfen, und es ist daher vorzu-
ziehen, P als „Präzessionskonstante“ zu verwenden.
Die Rückwärtsbewegung des Knotens des Erdäquators auf der
durch die Planetenstörungen bewegten Ekliptik geschieht mit einer
Geschwindigkeit, welche „allgemeine Präzession in Länge“ genannt
wird. Ihr Betrag wird erhalten, wenn Zur Lunisolarpräzession die
sogenannte „Planetenpräzession“ hinzugefügt wird, deren Wert
— # sin Leotge = — 0”1231 lediglich durch die Theorie aus den
Planetenmassen berechnet wird. Es wird also
(8) Allgemeine Präzession = P cos & — 01231.
Aus diesen Größen können die entsprechenden Geschwindigkeiten be-
zogen auf das System des Aquators berechnet werden, nämlich die
25) S. Newcomb, Fund. Const., p. 132.
9. Die Präzessions- und die Nutationskonstante. 859
(9) Allgemeine Präzession in Rektasz. = m —= P cos &® — 01342,
Lunisolarpräzession in Dekl.....= n= Pos: sine.
Diese beiden Größen m und n können und müssen aus den Beobach-
tungen der Fixsterne bestimmt werden, m aus den Rektaszensionen,
n aus den Deklinationen. Man benutzt hierzu Beobachtungen der-
selben Gestirne zu zwei möglichst voneinander entfernten Epochen.
Da bei allen diesen Bestimmungen naturgemäß wenigstens teilweise
dasselbe Beobachtungsmaterial verwendet wird, wird hier auf die An-
führung früherer Bestimmungen verzichtet und nur die neueste von
Newecomb ausgeführte angegeben?®): die instantanen Geschwindigkeiten
für ein tropisches Jahr und gültig für die Epoche 1850 ergaben sich zu:
m —=46"0T1l, n=20"0511,
und hieraus dann:
Allgemeine Präzession in Länge 50”2453,
(10) ?
Lunisolarpräzession „ ,„ 503684
und schließlich ;
(11) P = 54”9066 — 0”0000364 7
(T in Jahrhunderten von 1850 aus gezählt). Es ist hier die geringe
Veränderlichkeit von P mitangegeben, die eine Folge der säkularen
Änderung der Exzentrizität der Erdbahn ist, welche auf die Zahlen-
werte in (7) einwirkt; sie ist natürlich rein theoretisch.
Die Bestimmung der Präzessionskonstante ist eine schwer zu be-
friedigende Aufgabe. Schon die Verwendung recht ungleichförmigen
Materiales, wie es durch die Verschiedenheit der Epochen geboten
ist, erschwert die Lösung. Neuerdings erkannte systematische Ver-
fälschungen der Beobachtungen, wie die Helligkeitsgleichung bei Me-
ridiandurchgängen, lassen sich bei den älteren Beobachtungen nicht
mehr berücksichtigen, ebenso die Unterschiede, die bei Tag- und
Nachtbeobachtungen auftreten. Aber auch prinzipielle Bedenken ma-
chen sich dagegen geltend, daß man in dem bestimmten Werte P das
vor sich habe, was er nach Gleichung (7) darstellen soll. Wenn die
benutzten Sterne einem System angehören, das eine Rotationsbewegung
ausführt, dann läßt sich diese von der Präzessionsbewegung nicht
trennen, da man keine absolut feste Richtung am Himmel hat.?*®) An-
26) S. Newcomb, A new determination of the Precessional Constant. Wash.
Astr. Pap., vol. VIII, part 1. Washington 1898. Die definitiven Werte stehen
Seite 72.
26a) H. Seeliger, Über die sogenannte absolute Bewegung. München Ber.
36 (1906).
56*
860 YVI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
dere Schwierigkeiten bereiten die Eigenbewegungen der Fixsterne und
ihr systematischer Charakter in der Apexbewegung. Die ausschließ-
liche Benutzung kleinster Sterne, bei denen noch am ehesten die ge-
nannten Einflüsse verschwinden werden, scheitert gegenwärtig noch
an dem Mangel von älterem Beobachtungsmaterial. Aber die Fragen,
die in nicht ferner Zeit an die Stellarastronomie herantreten werden,
werden nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer möglichst einwand-
freien Kenntnis der Präzessionskonstante hinweisen.
Das Hauptglied der Nutation in Schiefe, mit dem das Hauptglied
der Nutation in Länge theoretisch zusammenhängt, hat, wie die Theorie
lehrt, die Zusammensetzung a
(12) N = [5,0289] cose; ER
wo wieder der logarithmisch angesetzte Zahlenfaktor eine genau be-
kannte, aus den Elementen der Mond- und Sonnenbahn berechenbare
Größe ist. Insbesondere geht .in ihn ein die mittlere Bewegung des
Mondknotens auf der Ekliptik, die bekanntlich den Knoten der Mond-
bahn in etwa 183 Jahren durch den ganzen Umkreis führt. Die Länge
dieses Knotens ist auch das Argument der Hauptglieder der Nutation.
Mit dem Wert von s = 23°27'31”68 für 1850,0 wird die Gleich. (12)
Be 64
(13) N = [5.365422], 5
Die Bestimmung der Nutationskonstante aus Gestirnsbeobachtungen
geschieht, wie die Gleichungen, dieser Band, S. 40, lehren, durch Ver-
folgung mehrerer Gestirnsörter, am besten von Polsternen, durch eine
ganze Periode des Mondknotenumlaufes. Sind die Gestirne durch die
Stunden der Rektaszension wohl verteilt, so ist zu erwarten, daß sich
alle systematischen Fehler von selbst eliminieren. Die berühmteste
Bestimmung ist die von Peters®"), dessen Wert für N = 9"223 + 0020
mehr als 50 Jahre in fast allgemeinem Gebrauch gewesen ist. Später
hat Newcomb das gesamte Material, hauptsächlich von den Sternwarten
Greenwich, Pulkowa und Washington herrührend, neu diskutiert und
gefunden ?®) N = 9’210 + 0008.
Die letzte Zusammenfassung gibt Chandler?) mit Benutzung von
nahezu demselben Material. ‚Hier ist seine Tabelle:
27) ©. A. F. Peters, Numerus constans Nutationis. St. Pet. Mem. 3 (1844).
28) Fund. Const., p. 131.
29) Astr. Journ. 16 (1895), p. 1.
10. Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde. 861
Aus Rektaszensionen: N p
Peters (Dorpat), Polaris. . .. 2. .... 9216 4
De Ball (Pulkowa), 3 Polsterne. .. . . 217 7
Newcomb (Greenwich), 4 Polsterne. . . . 196 10
Aus Deklinationen:
Lundahl.(Dorpat), Polaris... ..... 236 1
Chandler (Pulkowa), 3 Zenitsterne. !. . 210 2
De Ball (Pulkowa), 3 Polsteme . . . . . 234 7
Newcomb (Greenwich), 47 Sterne... .. 194 21
Neweomb (Washington), 69 Sterne. ... . 204 9
Chandler (Greenwich), 34 Sterne. ... . 192 25
Das Mittel ist N = 9” 202.
Gegenwärtig gilt als sicherster Wert der von der internationalen Kon-
ferenz zu Paris 1896 gewählte®®):
(14) N —= 9”210 (gültig für 1900).
N ist etwas veränderlich wegen des Faktors cose in (12) und der
Säkularänderung von &. Für die hier angenommene Epoche 1850 wird
N —= 9214 + 0008,
ein Wert, den wir für das Folgende zugrundelegen wollen.
Die beiden Gleichungen (7) und (13) geben nach Einsetzung der
gewonnenen Zahlenwerte (P ist um 00012 korrigiert zur Reduktion
auf das julianische Jahr als Einheit)
54"9078 — [[5,975052] + 13,72509]) u,
9"214 — [5,86542] a
und können zur Bestimmung von w und ni dienen. Die Auflösung
ergibt = — 0,003278 — 1/305,1.
(16) 1
MT 91,51 0,20°
ga kann auch noch aus der Mondbewegung bestimmt werden
(Nr. 10), und u ergibt sich auch durch die Mondgleichung der Erdbe-.
wegung, wenn man die Sonnenparallaxe als bekannt annimmt (Nr. 8).
Weiteres siehe Nr. 10 und Nr. 20.
10. Die Trägheitsmomente und die Abplattung der Erde. Diese
beiden Konstanten müssen hier, als mit mehreren astronomischen
Konstanten zusammenhängend, mitbehandelt werden. Es wurde in
Nr. 9 gefunden, daß der Unterschied der Trägheitsmomente um die
Polarachse und um eine Äquatorialachse € — A die Erscheinungen
(15)
30) Paris Bull. astr. 15 (1898).
862 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
der Präzession und Nutation erzeugt und daß aus den beobachteten
Werten dieser letzteren gefunden wird:
C—A4A
(17) Te = 0,003278,
Diese selbe Differenz wirkt nun nicht nur auf die Lage der Erdachse,
sondern weiter auch auf den Mond und erzeugt in dessen Bewegung
einige periodische Störungsglieder in Länge und Breite von etwa
8” Größe und der Periode eines Mondknotenumlaufes bzw. eines Mond-
umlaufes um die Erde, die beobachtet und zur Kenntnis von C und
A verwertet werden können. Das Glied in Länge wurde von Tobias
Mayer empirisch entdeckt, dann von Laplace erklärt, unter Hinzu-
fügung der Glieder in Breite. Die Behandlung dieser Glieder gibt
Laplace in Mee. cel., livre VII, no. 20, seine Zahlen sind heute ohne
Bedeutung. Hansen (Darlegung I, p. 459; II, p. 273) zeigt zuerst ihre
genaue Zusammensetzung, vergleicht sie mit der Beobachtung und
leitet aus dem Breitenglied C-— A und die Abplattung ab. Helmert
(H. @. II, p. 469) vervollständigt Hansens Rechnung; ihm sind die
folgenden Zahlenangaben entnommen: aus den Gliedern in Breite und
Länge folgt
B
(18) m(e- aan =) ; — 0,001070 bzw. 0,001103,
im Mittel = 0,001086,
worin M und o, Masse und Äquatorradius der Erde bedeuten.
Newecomb (Astr. Pap., vol. IX, p. 225) gewinnt mittelst des Haupt-
gliedes in Breite aus einer sehr großen Reihe genauer Mondbeob-
achtungen
(19) #(e- 95 — 0,001117
er 0)
und macht auf die Unsicherheit dieses Resultates aufmerksam, da es
die genaue Kenntnis der Schiefe der Ekliptik voraussetze.
Außer diesen periodischen Störungsgliedern erzeugt die Differenz
C — A säkuläre Störungsglieder in der Bewegung der Länge des
Perihels und des Knotens der Mondbahn; daß diese Glieder nicht
unmerklich sind, hat zuerst Hansen (Darlegungen I, p. 470) ausge-
sprochen; Newcomb (Astr. Pap. IX, p. 225) leitet aus der Bewegung
des Perihels und des Knotens ab:
(20) „(ec - 4%) Fr — 0,001117 bzw. 0,001121,
im Mittel = 0,001119.
Aus den Werten (18), (19), (20) ergibt sich mit den Gewichten
2, 1, 2, wenn zugleich B= A gesetzt wird,
11. Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt. 863
(21) ud (C — A) = 0,001105.
Werden die Gleichungen (17) und (21) verbunden, so folgt (Hansen,
Darlegung I, p. 472)
C = Mo, 0,3371,
(22) A = Mo, 0,3360.
Die hieraus sich ergebenden Schlüsse auf die Massenanordnung des
Erdinneren gehören nicht hierher.
Mit den Trägheitsmomenten des Erdkörpers hängt die Abplattung a
durch die von Laplace aufgestellte Be zusammen:
30—A
2. Me, mn: BR DE ,
die von Helmert (H. G. II, p. 83) in die merklich genauere verbessert
wurde:
3 0—A
1 3 1
(23) ee ee;
hierin bedeutet c das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere am
Äquator, also nach Nr.2 — 0,0034672.
Mit dem oben gefundenen Werte
1 0—A4A
Mm u = 0,001105
folgt dann:
(24) a = 0,003386 = 1: 2%,3.
Aus Schweremessungen mittelst des Sekundenpendels hat Helmert ab-
geleitet (siehe VI 1,3 (Pizzetti), Nr. 51)
(25) a=1:298,3
und Jwanoff (ebendort)
(26) a= 1:296,6.
Bekanntlich geben is geodätischen Vermessungen Abplattungen
so0155 (Pessel), (Clarke),
1
an 15 293,465
zwischen denen die obigen liegen.
ll. Die Schiefe der Ekliptik und der Frühlingspunkt. Die
Neigung des Erdäquators gegen die Erdbahn, die Schiefe der Eklip-
tik & und der Knoten beider Ebenen, der Frühlingspunkt T, gehen
aus Meridianbeobachtungen der Sonne hervor, die in der Nähe der
vier Hauptpunkte der Sonnenbahn angestellt werden. Deklinations-
beobachtungen zu den Zeiten der Solstitien geben &, Deklinationsbe-
obachtungen und Durchgänge der Sonne und der Zeitsterne um die
Zeit der Äquinoktien geben T. Die Praxis dieser Bestimmungen ist
864 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
in dem Artikel VI 2, 2 (Cohn), Nr. 3—5 auseinandergesetzt. Die Be-
stimmung der Schiefe leidet, außer an der Unsicherheit der Sonnen-
beobachtungen überhaupt, wesentlich daran, daß Beobachtungen ver-
glichen werden müssen, die unter ganz verschiedenen atmosphärischen
Bedingungen zustande kommen, Sommer- und Winterbeobachtungen,
die außer verschiedenen instrumentellen Einflüssen auch Unterschieden
der Refraktion unterliegen, denen schwierig beizukommen ist. Ge-
häuft werden die Schwierigkeiten bei Bestimmungen der Säkular-
änderung der Schiefe, weil hier notwendig noch verschiedene Beob-
achter und Instrumente konkurrieren. Neweomb (Fund. Const., p. 33)
hat aus einer eingehenden Diskussion sich schließlich für den in den
Sonnentafeln angenommenen Wert entschieden:
1900, Jan. O0 Greenwich OR M. Z.
(27) & = 23°27'8”26 — 46”845 T — 0”0059 T? + 0”00181 T?
(T in jul. Jahrhunderten von 1900 an gezählt).
Die Festlegung des Frühlingspunktes hängt sowohl von Deklina-
tionsmessungen als von Durchgangsbeobachtungen ab. Wird die Schiefe
der Ekliptik als bekannt angenommen, so gibt die gemessene Dekli-
nation der Sonne d„ die Rektaszension &„ durch
sin ao — cotge tg do,
&o aber bestimmt den Abstand der Sonne vom Frühlingspunkt im
Moment des Durchganges und damit diesen selbst. Sofort angeschlos-
sene Durchgänge von Fixsternen legen den Frühlingspunkt auch durch
diese fest. Das auf diese Weise aufgestellte System von. Fixstern-
rektaszensionen (das Fundamentalsystem) dient dann statt des.direkten
Anschlusses an T für die Koordinatenmessung am Himmel. Sein Fehler
geht in alle Messungen ein und muß sorgfältig überwacht werden.
Für weitere Einzelheiten wird auf die unten angeführten Werke®!)
verwiesen.
12. Tropisches und siderisches Jahr. Durch Bearbeitung von
etwa 40000 Sonnenbeobachtungen in dem Zeitraum von 1750 —1890
fand Newecomb°?) für die mittlere tropische (d. h. auf den Frühlings-
punkt bezogene) Bewegung der Sonne in einem julianischen Jahr-
hundert von 36525 mittleren Sonnentagen den Betrag
31) A. Wagner, Poulkova obs. 3 (1870), 12 (1887); A. Auwers, Neue Reduk-
tion der Bradleyschen Beobachtungen aus den Jahren 1750--62, 1, St. Peters-
burg 1903; F. Cohn, Königsb. Beob. 39 (1899); $. Neiwcomb, Fund. Const., p. 15;
8. Neweomb, Catalogue of 1098 Clock and Zodiacal Stars, Astr. Pap., vol. 1;
5. Neweomb, Catalogue of Fundamental Stars, Astr. Pap., vol. VII.
32) Fund. Const., p. 182.
13. Sternzeit und mittlere Zeit. 865
12960276674, (gültig für 1850),
der vor Einführung in die Sonnentafeln®®) noch um den Betrag -+ 030
verbessert und auf die Epoche 1900 gebracht wurde (durch Anbringung
der berechneten Säkularstörungen); er kam dann auf
(28) 129602768” 13 + 27178 T,
worin T in julianischen Jahrhunderten von 1900 Jan. 0 0% Om 08
mittl. Zeit Greenwich ab zu zählen ist; er ist die Grundlage der’ Zeit-
rechnung. Zuerst folgt aus ihm für die Dauer eines Zropischen
Jahres, d. h. des Zeitraumes, den, der Mittelpunkt der Sonne von
einem Durchgang durch den Frühlingspunkt bis zum Durchgang
durch den nächsten, inzwischen rückwärts gegangenen braucht:
BE 365,25 129600 BER 1296 000”
, 1296 0276813 + 0702178 T 3548’ 33043 4 0’’0000596 T
— 365,24220 — 0,00000614 T Tage.
Sodann der Wert für die mittlere tägliche tropische Bewegung:
(30) 3548” 33043 -+- 0”0000596 T.
Durch Subtraktion des eintägigen Betrages der allgemeinen Präzession
- in Länge, nämlich /
50” 2564 + 0'0222 T
365,2422
(29)
— 0” 137600” 000060 T
erhält man ferner die mittlere tägliche siderische Bewegung der Sonne:
(31) ER n"—= 3548” 19283
und die Dauer des söderischen Jahres:
(32) T,— gcyaraansg — 365,25636 Tage — 31558148"9 m. Z.
Das tropische Jahr beginnt nach einer von Bessel getroffenen
Festsetzung in dem absoluten von keiner Ortszeit abhängigen Mo-
ment, in welchem die Größe A (s. Nr. 13, 61.34) ohne die Nutation,
also die mittlere AR. der mittleren Sonne
(33) A, = 279° 41’ 2754 + (3548353043 >< 365,25) t
jeweils den Betrag 280° erreicht. Auf diesen Moment (bezeichnet mit
z. B. 1919,0) pflegt man die Angaben der Fixsternastronomie zu be-
ziehen: seine Beziehung zum Beginn des jeweiligen bürgerlichen
Jahres ‚wird ein für allemal vorausberechnet (s. Bauschinger, Tafeln
der theor. Astr. Taf. XXXlIa)
13. Sternzeit und mittlere Zeit. Die Zeit wird durch die Um-
drehung der Erde um ihre Achse, die als gleichförmig angenommen
33) Astr. Pap. Vol. VI,p. 9.
866 VIs,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
wird, gemessen; Zeitmessung wird dadurch Winkelmessung. Es muß
ein Punkt an der Himmelssphäre vereinbart werden und auf der
Erde ein Index, der stets zugänglich ist. Der Winkel zwischen beiden
mißt die stattgehabte Bewegung und gibt das Maß für die dazu ge-
brauchte Zeit. Als Index gilt der Meridian des Erdortes, der mit der
rotierenden Erde die Himmelssphäre in der Richtung von West nach
Ost überstreicht. Als Fixpunkte an der Sphäre sind zwei im Ge-
brauch, die beide auf dem Äquator liegen: der Frühlingspunkt F und
der Mittelpunkt $ einer fingierten im Äquator sich gleichmäßig be-
wegenden Sonne,‘ die stets möglichst nahe an der wahren, sich un-
gleichförinig bewegenden Sonne bleibt. Der erste führt zur Sternzeit,
der zweite zur mittleren Sonnenzeit. Der Winkel zwischen Meridian
und F' bzw. S, in der entgegengesetzten Richtung der Bewegung vom
Meridian aus gezählt, heißt Stundenwinkel und mißt: die Zeit.
Der Frühlingspunkt wird durch Präzession und Nutation (s. Nr. 9)
bewegt, aber so nahe gleichförmig, daß seiner Benutzung zur Her-
stellung eines gleichförmigen Zeitmaßes kein Bedenken entgegensteht.
Der Moment, in dem der Meridian eines Ortes über den wahren
Frühlingspunkt hinweggeht, ist der Beginn eines Zeitintervalles, des
Sterntages, dessen Ende mit der nächsten Koinzidenz von Meridian
und Frühlingspunkt zusammenfällt. Der Stundenwinkel des wahren
Frühlingspunktes mißt die seit Beginn des Sterntages verflossene
Ortssternzeit.
Die mittlere (fingierte) Sonne bewegt sich mit derselben mitt-
leren Geschwindigkeit im Äquator, wie die wahre in der Ekliptik,
d. h. ihre Rektaszension wird durch folgenden Ausdruck definiert)
A = 279% 41’ 27” 54 + (3548”33043 >< 365,25) t
+ 0”0001395 #? + Nutation in AR
oder in Zeitteilung:
A = 184 38” 45° 836 + (3m 56° 55536 >< 365,25) t
+ 0°0000093 #? + Nutation in AR,
wobei £ in julianischen Jahren von dem Moment 1900 Jan. 0 = 1899
Dez. 31 0% mittlerer Zeit Greenwich an gezählt ist. Der Moment,
in welchem der Meridian eines Ortes über diese mittlere Sonne hin-
weggeht (mittlerer Mittag) ist der Beginn eines Zeitintervalles, des
mittleren Sonnentages, dessen Ende mit der nächsten Koinzidenz zu-
sammenfällt. Der Stundenwinkel der mittleren Sonne mißt die seit
Beginn des mittleren Sonnentages verflossene mittlere Ortszeit.
(84)
34) Newcomb, Astr. Pap. VI, p. 9.
14. Verwendung der Schweremessungen. 867
Die Formel (34) zeigt, daß ‘die mittlere Sonne sich in jedem
mittleren Tag um den Winkel
354833043 — 3” 56° 55536
in der Richtung der Rotationsbewegung, also von West nach Ost,
vom Frühlingspunkt entfernt. Da der Meridian in einem Sterntag
360° — 1296000” — 86400°
beschreibt, braucht er
MB 2230 850, 00900 Sterntage,
129600 86400
um die bewegte Sonne einzuholen, und es ist daher
(35) 1 mitt]. Sonnentag — 1,002737909 Sterntage,
woraus 1 Sterntag = 0,997 269567 mittl. Sonnentage
oder 1 mittl. Sonnentag — 24% 3” 56°55536 Sternzeit
1 Sterntag — 23» 56” 4°09058 mittl. Zeit
— 86164°09058 mittl. Zeit.
Der Überschuß von 3” 56°55536 Sternzeit der Dauer eines mittleren
Tages über die Dauer eines Sterntages häuft sich in
86400 ö
236,55536 == 365,24220 mittl. Tagen
zu einem vollen Sterntag an. Man hat also zwischen Sternzeit und
mittlerer Zeit auch die Beziehung:
(36) 366,24220 Sterntage — 365,24220 mittl. Tage.
14. Verwendung der Schweremessungen. Wir stellen hier die
Formeln zusammen, die die Benutzung der Schweremessungen auf
der Erdoberfläche für astronomische Zwecke vermitteln.
Nennt man 1, m”, m”u die Massen von Sonne, Erde (ohne Mond)
und Mond, m,’ = m”(1-+ u) die Masse von Erde und Mond zu-
sammen, so ergibt sich für die Anziehung @, in der mittleren Breite
9,, der der Erdradius o, entspricht, die Formel
(37) kim” = 0°G,,
worin G, durch =?L, bestimmt ist (Z, — Länge des Sekundenpendels),
Damit verbinden wir die Keplerschen Gleichungen für die Mond-
und für die Erdbewegung:
(88) Km’ + u) = na
(39) ®i+m’l+ W) =n"d”,
Aus (37) und (38) folgt:
ie n)
35 (=r 1 er )
en)
|
wm
868 VlI»2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
oder, wenn mit 7, die siderische Umlaufszeit des Mondes in Sekunden
. 27 .
bezeichnet und %,—= 7 gesetzt wird:
> 1
ER m 4n’ og, er 4 L EN
(40) sin ,— a, 0ı % ar are) (7
Diese Gleichung dient zur Bestimmung der ungestörten Mendparollara
x). Die gestörte ergibt sich hieraus durch Hinzufügung des kon-
stanten Betrages der Störungen oder durch Multiplikation mit dem
Faktor 1,0009077; dies gibt dann die Konstante im sin der Mond-
parallaxe (Nr. 16).
Aus (37) und (39) IR
[73
ee ®% m,
sin 7 Sure (F) YV [Z
ER 01 @, a "E u) 1m,
= in @ / m
Seht en
wo gesetzt ist n” —= e und 7 die siderische Umlaufszeit der Erde
in Sekunden bedeutet. Diese Gleichung ist die Beziehung zwischen
Sonnenparallaxe und Erdmasse (Nr. 15).
Wir fügen hinzu, daß, wenn an Stelle der Anziehung auf einen
Punkt der Erdoberfläche die Anziehung auf den Mond herangezogen
wird, die entsprechende Beziehung sich aus (38) und (39) ergibt:
(42) A . es ( 2) 1
(41)
wii... (2) ehe = ”o)' FE 2
a sin,
wo 7, die siderische Umlaufszeit des Mondes um die Erde ist.
Hieraus kann man die Erdmasse bestimmen (Nr. 17), wenn das
Verhältnis der Sonnen- zur Monparallaxe irgendwie bekannt wird.
15. Die Erdmasse und ihre Beziehung zur Sonnenparallaxe.
Durch Vergleichung der Anziehung @,, welche die Masse der
Erde auf einen Punkt ihrer Oberfläche ausübt und die durch die
Messung der Länge L, des einfachen Sekundenpendels gefunden wird,
mit jener, welche sie auf die Sonne ausübt, ergibt sich die Beziehung
(41) zwischen der Erdmasse und der Sonnenparallaxe:
EEE EC
in: V(T) ann IF m”
Hierin ist die Anziehung G, für mittlere Breite gebraucht, da die
Mechanik zeigt, daß Punkte, die auf dem Parallel der geozentrischen -
Breite 9,’ der Erdoberfläche liegen, welcher durch sing,’ -V+
16. Die Mondparallaxze. 369
bestimmt ist, bei jeder Hypothese über Gestalt und Massenordnung
der Erde so angezogen werden, als ob deren Gesamtmasse in ihrem
Mittelpunkte vereinigt wäre.
Trägt man in die Formel die Zahlenwerte aus Nr. 2, 12, 20
o, = [6,8046435]m eo, = [6,8041577] m
G, = [0,992130] mise. T= [7,4991115] Sekunden
uw = 1:81,55
ein, so folgt:
m,
14m,”
1 2
ar gesetzt wird,
3
x = 607”02.
oder bequemer, wenn M —
3
(43) xo VM = 607"02 [2,783202]
M = Sonnenmasse in Einheiten der (Erde + Mond) Masse.
Folgende Tabelle enthält zusammengehörige Werte von x. und M
To M (Erde + Mond)
8”770 331590 140
1780 330460
1130
190 329330
800 328210 1
810 327090 1120
Durch Differenzieren der Formel und Einführung der Abplattung a
der Erde durch 2—=1+ - erhält man:
7 PARREN [4940241 dM + [3,66271] de, — [5,51708] d
—-10 —10 —-10
und sieht, daß 1000 m Unsicherheit in g, und 10 Einheiten im Nenner
von a noch keine 0”001 in x=% hervorbringen, daß also die Zahl
607”02 hier als Konstante gelten kann. Wenn daher die Säkular-
störungen den Wert der Erdmasse auf 0,003 ihres Betrages genau
geben, so folgt aus der Formel (43) die Sonnenparallaxe auf 0”01
genau. Jedenfalls ist man gezwungen, die Werte von x. und M so
zu wählen, daß (43) erfüllt ist.
Der Mond.
16. Die Mondparallaxe. Die Bestimmung der Mondparallaxe
kann wie die der Sonnenparallaxe auf zwei Wegen erfolgen, dem trigo-
nometrischen und dem durch Benutzung der Eigenschaften der Gravi-
tation. Der erste ist hier wegen der Größe des gesuchten Winkels
870 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
technisch leicht ausführbar, leidet aber an dem Umstande, eine genaue
Kenntnis der Erdabplattung vorauszusetzen, in so hohem Maße, daß
man umgekehrt vorgeschlagen hat, durch Messungen der Mondparallaxe
die Erdgestalt zu bestimmen (siehe Helmert, Höh. Geod. II, p. 451).
Das scheitert nur daran, daß die Methode einerseits genauere Mond-
tafeln voraussetzt, als wir zurzeit besitzen, und daß sie andererseits von
systematischen Messungsfehlern freiere Meridianbeobachtungen von
absoluten Monddeklinationen verlangt, als zurzeit unsere Instrumente
leisten können. Immerhin ziehen es die Mondtheoretiker seit Laplace
vor, die Mondparallaxe durch die Gravitation zu ermitteln, besonders
seitdem ein großes Netz von Schweremessungen vorliegt.
Die trigonometrische Methode besteht in der Vergleichung von
Meridiandeklinationen des Mondes, die an zwei auf demselben Meri-
dian liegenden Sternwarten der Nord- und Südhalbkugel- der Erde
angestellt werden z. B. in Greenwich und am Cape. Es liegen zwei
Bearbeitungen der Mondbeobachtungen dieser beiden und einiger an-
derer Sternwarten vor, die von Dreen (Lond. Astr. Soc. mem. 32 (1863))
und die von Stone (ebenda 34 (1865)). Nach der Interpretation von
. Newcomb (Astr. Pap., vol. I, p. 79) sind ihre Resultate:
Breen sin nm, = 3422”62 sin 1”
Stone sin m, = 3422, 70 sin 1”.
Ersterer Wert beruht auf 123 Beobachtungen des Mondes, angestellt
am Öape von 1830—1837 mit entsprechenden Beobachtungen von Green-
wich, Edinburgh und Cambridge, letzterer beruht auf 239 Cape-Beob-
achtungen 1856—1861, verglichen mit entsprechenden in Greenwich.
(44)
- Die eben angegebene Zahl pflegt man meist als die Konstante der
Mondparallaxe zu .bezeichnen, es kommt aber auch vor, daß man xy
selbst, nicht seinen Sinus so benennt; es ist =) = (sin @,) + 0157;
wir werden im folgenden die Zahlenangaben stets für den Sinus
machen und überhaupt definieren: Die Konstante der Mondparallaxe
ist das konstante Glied im vollständigen Störungsausdruck für den
Sinus der Parallaxe des Mondes. Diese von der Definition der Sonnen-
parallaxe abweichende Fassung ist hier notwendig, da bei den starken
Störungen der Mondbahn nicht ohne schärfere Definition von einer
mittleren Entfernung oder der großen Halbachse der Bahnellipse ge-
sprochen werden kann. Das konstante Glied ist verschieden bei den
verschiedenen Mondtheorien, und bei der Vergleichung sind Trans-
formationen erforderlich. |
Das Prinzip der physikalischen Bestimmuug der Mondpar-
allaxe beruht auf der Vergleichung der Anziehung der Erde auf
16. Die Mondparallaxe. 871
Punkte ihrer Oberfläche, ermittelt durch Messung der Länge des
Sekundenpendels, mit der auf den Mond ausgeübten Anziehung, wie
sie durch das dritte Keplersche Gesetz geboten wird (siehe Nr. 14
Gleichung (40)), also auf der Verbindung der Gleichungen:
BET
rn 1l+)-al+n)=@
Km’ +u)—=na;
darin bedeutet m” die Erdmasse (ohne Mond), u das Verhältnis der
Mondmasse zur Erdmasse, /, die Länge des einfachen Sekundenpendels,
%, das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere, g, die Schwere,
alle drei für die mittlere Breite 9,', og, den zugehörigen Radius der
Erde, ny; die mittlere siderische Bewegung des Mondes, a, die große
Halbachse der Mondbahnellipse, in der der Mond sich bewegen würde,
wenn er keinen Störungen unterworfen wäre.””) Die Gleichungen
geben 1
A Bl My? 9 \°
(#9) 47. lrree)
und lassen erkennen, ‘daß kein direkt beöbachteter Wert mit dem
hieraus berechneten an Genauigkeit konkurrieren kann, daß es also
verschwendete Mühe ist, eine Korrektion der Parallaxe durch Ein-
führung in ‚irgendwelche Bedingungsgleichungen erzielen zu wollen.
Der erste Faktor in der Klammer rechts kann als völlige Konstante
angesehen werden: eine Änderung im Nenner von u um + 0,1 würde
die Parallaxe übrigens nur um + 0”017 ändern; der zweite Faktor allein
hängt von Größen ab, die noch unter Diskussion stehen; in welchem
Maße dies der Fall ist, erkennt man daraus, daß eine Änderung von
+ 1000 m in o, die Parallaxe um + 0718
und von +imm ınG, „ . „ dl
ändern würde. Die Unsicherheit von o, und @, übersteigt die ange-
gebenen Grenzen sicher nicht und ist fast ausschließlich durch den
adoptierten Wert der Abplattung bedingt. Die Unsicherheit der be-
rechneten Parallaxe bleibt also unter + 0”10; für die ‚beobachtete
Parallaxe müßte beim heutigen Stand der Mondbeobachtung an Me-
ridiankreisen mindestens der dreifache Betrag angesetzt werden.
Mit (45) rechnet zuerst Laplace 1799 in Mee. cel, Livre II Nr. 5
die Mondparallaxe und wiederholt diese Rechnung in Livre VII Nr. 19.
35) Dieser Zusammenhang kann auch zur Bestimmung des Äquatorialradius
der Erde verwendet werden, wenn man die Mondparallaxe als bekannt voraus-
setzt, siehe Helmert, Höh. Geod. II, p. 460.
872 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Ihm folgt Hansen, der sein Verfahren in den „Fund. nova...“ p.126,
in Astr. Nachr. 17 (1840), p. 297, in den „Tables de la Lune“ p. 4 und
in der „Darlegung....“ I, p. 415 auseinandersetzt, und von Neweomb
in Astr. Pap. I, p. 77 kommentiert wird. Hansen rechnet mit der
anomalistischen Bewegung »,, und infolgedessen ist seine mittlere Ent-
fernung a) abweichend von den anderen Theorien definiert, die die
siderische Bewegung zugrunde legen; es lassen sich daher nur die
Resultate vergleichen. Es ist wichtig, die Hansensche Parallaxe genau
zu kennen, da seine Tafeln nun schon 60 Jahre fast allen Mondunter-
suchungen zugrunde liegen. In den Astr. Nachr. a, a. O. gibt Hansen
selbst als sinz, 3422”06 an, diese Zahl scheint aber durch Rechen-
unsicherheiten etwas entstellt zu sein, Newcomb a. a. O. findet mit den-
selben Daten, die Hansen benutzt, 3422”09, allein auch diese Zahl
hält einer genaueren Prüfung nicht stand. Um zu finden, welche
Parallaxe tatsächlich den Tafeln zugrunde liegt, muß man die An-
gaben in diesen selbst a. a. O. und in der damit übereinstimmenden
Darlegung a. a. O. zusammenstellen, da Hansen selbst das Schluß-
resultat nicht mehr angibt; dann aber erhält man zweifelsfrei:
sin x, = 53419’41 + 2771 = 342212. (Hansen)
Adams?®®) findet nach derselben Methode, aber mit anderen Werten
für die Mondmasse und für die Länge des Sekundenpendels
sin x, = 3422”325, (Adams)
ebenso Newcomb (Fund. Const. S. 193) mit Clarkes Erddimensionen
und Helmerts Pendellänge
sin m) = 342255. (Newecomb)
Reduziert man alle drei Angaben auf das iu Nr. 2 adoptierte System
und die Mondmasse 1:81,53, so wird:
Hansen sin x, = 3422”39
Adams 3422,39
Neweomb 3422,43.
Dabei ist zu beachten, daß diese Zahlen bereits den konstanten Teil
des Störungsbetrages enthalten. Die Gleichung (45) gibt nämlich mit
den eben erwähnten Daten die ungestörte Parallaxe 3419”39, d. h.
die Parallaxe ohne den konstanten Betrag der Störungen. Nach der
Theorie von Delaunay®‘), die auch für den obigen Wert von Adams
36) J. C. Adams, On new Tables of the moons Parallax, Lond. Astr. Soc.
Month. Not. 13 (1862), p. 263 und Naut. Alm. 1856.
37) Ch. Delaunay, Expressions numeriques des trois coordonnees de la
lune. Conn. des Temps 1869. Add. p. 10.
N
16. Die Mondparallaxe. 373
gilt und von Neweomb bei Ableitung des seinigen adoptiert wurde,
erhält man daraus den konstanten Teil im Störungsausdruck des sin
der Parallaxe, wenn mit 1,0009077 multipliziert wird, in unserem Falle
sin z, = 3422” 50.
In den Theorien von Delaunay®®) und Brown®”) (s. auch VI 2, 14
(Brown)) wird von dem beobachteten, also dem gestörten Wert der
Konstante ausgegangen, und zwar von dem oben (Gleichung 44) an-
gegebenen sin m, = 3422” 70 — - (nach der Bezeichnung von Brown);
der ungestörte Wert —, wo a die Halbachse der intermediären oder
Variationsbahn ist, die für die Durchführung der Theorie als Funda-
mentalkonstante gebraucht wird, ergibt sich durch Multiplikation von en
f 1
mit 0,9990931 = 1,0009077 zu
2 — 3419” 596,
a
Der genannte Zahlenfaktor wird von Delaunay a a. O.p. 10, von
Hill“) und von Brown (a. a. O. Bd.53, p. 88, Bd. 57, p. 109) ab-
geleitet. Die Halbachse a genügt mit dem beobachteten (siderischen)
Wert von n, streng dem Keplerschen Gesetz
na? —=k?m’(l + u)
und führt mit der Gleichung für die Erde
n""a®—=k(il+m’l+ u),
wenn entsprechend a
z„’ = Io
und n” gleich der siderischen mittleren Bewegung der Erde gesetzt
wird, zum zugrunde liegenden Wert der (Erde + Mond)-Masse m,”
i IN ® >,
m,” = er ”
1+m” \n” £
a
Mit dem sehr genau bekannten Verhältnis der siderischen Bewegungen
von Sonne und Mond
= — 0,0748013 " 18,8739091_.]
und dem beobachteten Wert der Mondparallaxe (44) sin x, = 3422” 70
38) Ch. Delaunay, Theorie du mouvement de la Lune, Paris 1860, 1867.
39) E. W. Brown, Theory of the motion of the Moon. Lond. Astr. Soc. mem.
53 (1897), 54 (1900), 57 (1905), 59 (1908).
40) G. W. Hill, Res. in the Lunar theory, Americ. J. of Math. I (1877)
— Works I, p. 284—335. Siehe auch Tisserand, Mec. cel. Vol. IIl p. 272.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 57
874 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
sin 1”, korrigiert für Störungen: sin m) = — 3419’60 sin 1” ergibt
diese Gleichung:
2
25V 14 Ha m,” m es 3 60708,
Dieses ist dieselbe Gleichung wie (43), nur ist der Zahlenwert rechts
auf anderem. Wege bestimmt, nämlich hier durch die Mondbewegung,
dort durch Pendelmessungen.
Es ist von Interesse, den besten zurzeit erreichbaren Wert der
Konstante des sin der Mondparallaxe zu kennen. Wir berechnen ihn
mit folgenden Daten. Die Länge des Äquatorialradius der Erde wird
nach der Berechnung von Battermann‘') aus Helmerts Berichten über
die Tätigkeit des Zentralbureaus der Internationalen Erdmessung für
1906 und 1907 zu o, = 6378102 m mit der zugehörigen Abplattung
1:298,3 angenommen; die Beschleunigung der Schwerkraft nach
Nr. 2, die Mondmasse nach Nr. 20 zu 1:81,53 und die mittlere
siderische Bewegung des Mondes in einer Sekunde nach Neweomb zu
logn = 4,425159—10 (in Bogen). Es ergibt sich
sin x, (ohne den konst. Teil der Stör.) = 3419"52
sin x) (für die Variationsbahn) —= 3422,62.
17. Die parallaktische Ungleichheit in der Mondbewegung. Mit :
diesem Namen wird eines der größeren Störungsglieder in der Mond-
länge bezeichnet, dessen Koeffizient vom Verhältnis der Sonnenpar-
allaxe zur Mondparallaxe abhängt und dessen Argument die Differenz
der Mond- und Sonnenlänge ist. Der analytische Ausdruck kann in
der Form aufgestellt werden
(46) An un Fee ee ‚sin (in — Lo),
worin Ü ein von der benutzten Störungstheorie abhängiger Zahlen-
faktor, u das Verhältnis der Mond- zur Erdmasse, x, die Sonnenpar-
allaxe, (xy) die Parallaxe der ungestörten Mondbahn, L, und Lo die
mittleren Längen von Mond und Sonne sind. Nach einer Berechnung
von Battermann“:) sind die Werte von log C in den Theorien von
log C
Hansen, Tables de la Luıne . . . . .4,696510
' Hansen, Darlegung der in den Mondtafeln
angewandten Störungen . . . 4,696311
Brown, Theory of the Motion of the Moon 4,697 301.
41) H. Battermann, Beitrag zur Bestimmung der Mondbahn. Berlin Stern-
warte Ergebn. Nr. 13 (1900), p. 12.
42) Ebenda p. 15. ®
17. Die parallaktische Ungleichheit in der Mondbewegung. 875-
Mit der Mondmasse 1:81,53 und der oben abgeleiteten ungestörten
Mondparallaxe (x))”—= 3419’52 ergeben sich hiernach für den Koef-
fizienten P der Ungleichheit die Werte:
P= [1,151891,] #5 = -- 14,1870 a5 Hansen,
(47) [1,151692,] x5 = — 14,1805 x5 Hansen,
[1,152682,] x3 = — 14,2129 a5 Brown.
Nach Delaunay (Theorie du mouvement de la lune II, p. 847)
wird log © = 4,696856 und daher mit obigen Daten:
P— [1,152237] x. — — 14,198 { Delaunay.
Könnte man P mit hinlänglicher Sicherheit aus den Beobach-
tungen ermitteln, so läge in dieser Gleichung ein ausgezeichnetes
Mittel zur Bestimmung der Sonnenparalla® vor. Allein hierzu wer-
den sowohl einwandfreie Beobachtungen und eine genaue Kenntnis
des Mondhalbmessers als auch eine exakte Mondtheorie erfordert. Die
Gleich. (46) zeigt, daß die Beobachtungen bei L, — La = + 90°, also
bei den Quadraturen angestellt sein müssen; dies erfordert Meridian-
beobachtungen bei Tageslicht, wo die Irradiation eine große Rolle
spielt, und für die beiden Quadraturen ist an verschiedenen Rändern
des Mondes einzustellen; die Reduktion erfordert also eine genaue
Kenntnis des Mondhalbmessers und wird außer durch die Irradiation
noch erschwert durch die Unregelmäßigkeiten des Mondrandes. Ältere
Meridjanbeobachtungen, bei denen die Rücksichtnahme auf diese Um-
stände erschwert ist, scheiden hier völlig aus; die aus ihnen abgelei-
teten Werte von P sind in die unten folgende Zusammenstellung
nicht aufgenommen. Durch zweierlei Beobachtungsarten des Mond-
ortes ist in neuerer Zeit ein Fortschritt erzielt worden: 1. durch die
ausschließliche Benutzung von Sternbedeckungen durch den Mond
nach dem Vorschlag von H. Battermann“?), 2. durch die Ableitung
der Mondörter aus der Beobachtung des Kraters Moesting A nach
dem Vorschlage von J. Franz.*) Diese bleiben daher allein neben‘
einem von Newcomb*°) aus den Greenwicher und Washingtoner Meri-
dianbeobachtungen seit 1862 und einem von Cowell‘®) aus den Beob-
achtungen 1847 — 1901 abgeleiteten Werte stimmberechtigt. Die
Werte sind:
43) Berlin Sternw. Ergebn. 5 (1891), 11 (1902), 13 (1910).
44) Astr. Nachr. 136 (1894), p. 353.
45) Fund. Const. p. 151.
46) P.H.Cowell, Analysis of.145 Terms in the Moons Longitude 1750— 1901.
Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1905), p. 108.
67*
876 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Newcomb, Beob. am Mer.-Kreis Greenw. u. Washingt. — 12453 +0”16
Battermann, aus etwa 1000 Sternbedeckungen — 124, 93 +0,18
Franz aus Beobachtungen von Moesting A — 124, 36 + 0,27
Cowell ausd&reenwicher Beobachtungen 1847—1901 — 124, 90
Mit den Gewichten 2, 5, 1, 2 folgt hieraus:
(48) —= — 12486;
die Unsicherheit kann auf &twa + 0”15 geschätzt werden.
Nicht nur die Ableitung von P aus den Beobachtungen setzt
eine exakte Mondtheorie voraus, weil sonst die Ablösung von P von
den übrigen Störungsgliedern nicht möglich ist, sondern die oben an-
gegebenen Werte von log Ü zeigen auch, in wie hohem Grade das
Verhältnis von P zur Sonnenparallaxe von der Theorie abhängig ist.
Die theoretische Unsicherheit in der Sonnenparallaxe steigt hiernach
bis 0”020; eine Verwendung der Gleichung zu ihrer Bestimmung ist
daher zurzeit noch aus Gründen der Theorie und der Beobachtung nur
mit Vorbehalt möglich.
Hansen‘') leitet aus der Vergleichung seiner mit dem Faktor
9)
7 multiplizierten Störungsglieder, also in der Hauptsache der par-
allaktischen Ungleichheit, mit den Beobachtungen eine Korrektion
des genannten Faktors ab und bestimmt dann mit dem verbesserten
Faktor durch die Gleichung (42)
die Erdmasse und mittelst dieser dann nach Gleichung (43) die Sonnen-
parallaxe. Dabei hat er für — das Verhältnis der anomalistischen
D)
Bewegungen zu nehmen, das auch sonst seiner Theorie zugrunde liegt.
Die von ihm erhaltenen Werte (Erdmasse — x —= 8906)
u ’
zeigen die Unsicherheit der Grundlage.
Newcomb (Fund. Const. p. 190) leitet aus der Gleichung (47)
P = [1,15173,] ro
die unsichere Konstante P selbst mittelst der Sonnenparallaxe 5
—= 8”79 ab: P = _ 124"66
in erträglicher Übereinstimmung mit dem beobachteten Wert.
47) P. A. Hansen, Darlegung der in den Mondtafeln angewandten Störungen
U, art. 266—269
18. Die Elemente der Mondbahn. 877
18. Die Elemente der Mondbahn. Gegen Ende des 17. Jahrh.
waren durch reine Beobachtung, an der die Babylonier, Ptolemäus
und Tycho Brahe den größten Anteil hatten, die Hauptzüge in der
Bewegung des Mondes erkannt: die Mittelpunktsgleichung im Betrage
von etwa 53°, die Neigung der Bahn gegen die Ekliptik im Betrage
von etwa 5°, die rückläufige Bewegung des Knotens, welche ihn in
6793 Tagen durch den Umkreis führt, die rechtläufige Bewegung des
Perigäums, welche es in 3233 Tagen den Umkreis beschreiben läßt,
die Hauptstörungsglieder in Länge, nämlich die Evektion (Ptolemäus)
welche in den Syzygien und Quadraturen den Ort des Mondes um
11° verschiebt, die Variation (Tycho Brahe), welche in den Oktanten
eine Änderung von 40’ erzeugt und die jährliche Gleichung (Tycho
Brahe) im Betrage von 11’; endlich die mittlere Bewegung, welche
durch die Verbindung der an Finsternisse mit den neueren Beob-
achtungen mit einer Genauigkeit bekannt war, wie bei keinem an-
deren Himmelskörper. Newton und seine Nachfolger erklärten die er-
kannten Bewegungen durch die Gravitation und wiesen theoretisch
kleinere Störungsglieder nach, die die Beobachtung bestätigte. Es ent-
standen Mondtafeln, welche aus einer Mischung von Theorie und Be-
obachtung zusammengesetzt, schließlich ZLaplace und seinen Nach-
folgern ermöglichten, eine reine Theorie des Mondes aufzubauen,
welche die Beobachtung so gut darstellt, daß die genaue Bestimmung
der Mondbahnelemente durch Bedingungsgleichungen stattfinden kann.
Diese Gleichungen, welche die differenziellen Änderungen der Mond-
bahnelemente und ihrer säkularen Bewegungen in Verbindung mit der
Differenz Beobachtung minus Theorie setzen, bilden von da ab das
einzig gebrauchte Mittel, die der Beobachtung zu entnehmenden Ele-
mente der Theorie zuzuführen. Es muß hier genügen, auf einige der
neuesten Arbeiten dieser Richtung hinzuweisen.*) Auf der Grundlage
der Hansenschen Mondtafeln*”) bestimmt Newcomb aus den genauesten
Beobachtungen von 275 Jahren, hauptsächlich Sternbedeckungen durch
den Mond, die Mondelemente; wir geben seine Resultate, soweit sie
Konstante betreffen.
Als mittlere Länge des Mondes für die Epoche 1850 Jan. 0,0
‚m. Z. Gr. und ihre Änderung ergaben die Beobachtungen:
48) S. Newcomb, Researches on the Motion of the moon I, Washington 1878
(W ashington Observations 1875), II. Astr. Papers, Vol. IX (1912), p. 1.
H. Battermann, Beitrag zur Bestimmung der Mondbahn und des Mond-
halbmessers aus Beobachtungen von Sternbedeckungen. Berlin Sternw., Ergebn.
Heft 5, 11, 13, 1891—1910.
P. H. Cowell, Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1905), p. 108, 721.
49) P. A. Hansen, Tables de la Lune, London 1857.
EI
-
878 VIs, 17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten
(49) A = 123° 4'47’66+ 17325644”0211 2+ 908 7? + 0”0068 7°,
wobei ? in julianischen Jahren, 7 in julianischen Jahrhunderten von
1850 ab zu zählen ist, und der Betrag der allgemeinen Präzession in
Länge mit inbegriffen ist. Wird dieser mit
(50) Allg. Präz. = 50”2453 t + 1”11 T? + 0”00087 T?
in Abzug gebracht, so erscheint in dem Ausdruck
(51) A) = + 171325593” 7758 2 + 7”977? + 0”0059 7°
als erstes Glied die siderische jährliche Bewegung in Länge und als
zweites die Säkularakzeleration derselben. Die Darstellung der Beob-
achtungen durch diesen Ausdruck und durch die Theorie ist keine
befriedigende. In den Differenzen zeigt sich eine große Wellenbewegung
mit kleineren darüber gelagerten Wellen, über welche die Theorie
zurzeit keinen Aufschluß geben kann; die Abweichungen steigen über
12” mit einer Periode von etwa 275 Jahren (s. Tabelle und graphische
Darstellung bei Newcomb Res. II, p. 211). Infolgedessen bleibt auch
der aus den Beobachtungen abgeleitete Wert der Säkularakzeleration
7”97 unsicher, und die Frage dieser schicksalsreichen Zahl kann noch
nicht geregelt werden. Wir verweisen auf ihre in Theorie und Be-
obachtung interessante Geschichte in Tisserand, Meec. cel. vol. II,
p. 240, und Encykl. VI 2, 14 (Brown), Nr. 23, p. 720.
Für die Länge des Perigäums und des Knotens ergaben die Be-
obachtungen für dieselbe Epoche und mit derselben Bezeichnung
wie oben:
(52) == 99°51’54”14 + 146485”5315 t — 37”177?— 07045 7°
(53). & = 146 13 40, 01— 69629, 2020 + 7,577? +0, 008 7°.
Wird auch hier die Präzession in Abzug gebracht, so erscheinen in:
(54) An = + 146435”2862 t — 38”28 7? — 0”046 T?
(55) A2—= — 69679, 4473t-+ 6,46 7? +0, 007 T?
die beobachteten säkularen Störungen der beiden Elemente. Sie stehen
in guter Übereinstimmung mit den theoretischen Beträgen, die Brown
(Mem. R. A. S. vol. 59, p. 94) abgeleitet hat: 4x7 = + 146435”’21 und
A2 —= — 6967936 und haben gestattet, einen neuen Wert für die
Differenz der Trägheitsmomente des Erdkörpers abzuleiten (siehe
Nr. 10).
' Die Formel (49) gibt die tropische Umlaufszeit des Mondes oder
den tropischen Monat, die Formel (51) den siderischen Monat, näm-
lich für 1850 gültig:
18. Die Elemente der Mondbahn: 879
1296 000 >< 365,25
17325644,02
; 1296 000 >< 365,25
(57) sid. Monat = — 7355 598,78
(56) trop. Monat — — 2713215811 — 27ATHAZm 461
— 2713216610 — 2717,43=11°51
— 2360591°51.
Für die Umlaufszeiten in bezug auf das Perigäum und in bezug auf
den Knoten erhält man durch die Divisoren 14 — Az und 11 — 42:
(58) Anomalistischer Monat — era a — 27155455041
| — 27413 19m33°16
(59) Drakonitischer Monat — 1°.” — 27421221993
— ATl5r5m35°80.
Wir fügen die Dauer des synodischen Monats bei, die aus der Diffe-
renz der siderischen Bewegung von Mond und Sonne erhalten wird.
nämlich aus
1732559378 — 1295977743 = 1602961635
1296. 000 > 365,25 Ban
(60) synod. Monat =" 5050010.55 — 2953058775 — 29112444m 278
Die beiden Elemente Exzentrizität und Neigung zeichnen sich
im Gegensatz zu den beiden letztbesprochenen durch außerordentliche
Konstanz aus, so daß sie, abgesehen von den periodischen Störungen
für historische Zeiten als nahe konstant gelten können. Die Ex-
zentrizität e ergibt sich aus der Beobachtung durch den Koeffizienten
des Hauptgliedes der Mittelpunktsgleichung, nämlich durch
(61) (2e _ n e+ = e) sing g= mittl. Anomalie.
Airy°’) bestimmte den Koeffizienten aus allen Greenwicher Mond-
beobachtungen 1750—1847 zu 2263906, und Neweomb°') fand aus
den Greenwicher Beobachtungen 1846—1874 und den Washingtoner
1862—1874 2263958. In der Theorie von Delaunay wird der Aörysche
Wert und entsprechend e = 0,05489930, in den Tafeln von Hansen
wird e = 0,05490807 gebraucht, Brown?) adoptiert den Neweomb-
schen Wert 22639,58 und entsprechend e = 0,05490056, Batter-
mann°®) erhält aus seinen drei Reihen als Korrektion des Hansen-
=
50) @. B. Airy, Corrections of the elements of the Moons orbit. Lond. Astr.
Soc. mem. 29 (1859).
51) $S. Neweomb, Transformation of Hansens Lunar Theory. Astr. Pap.
vol. I p. 69
52) Brown, a. a. O. Bd. 57, p. 109.
53) Battermann, a. a. O. Heft 13, p. 48.
880 V12,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
schen Wertes — 0”53 + 0,08, also e = 0,05490550. P. H. Cowell
(Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1905), p. 147) findet aus Beobach-
tungen 1750—1901 22639”50 und gibt (ebd. p. 745) eine Zusammen-
stellung.
In derselben Weise wird die Neigung der Mondbahn gegen die
Ekliptik I durch das Hauptglied in der Breite 8 bestimmt. Dieses
hat in der Theorie von Delaunay°*) die Zusammensetzung
(62) ß -(y— ye—, + 5 re) sin (9 + ®)
y= sin 2 © — Abstand des Perigäums von Knoten.
Airy bestimmte in der oben zitierten Arbeit aus den Greenwicher
Beobachtungen 1750—1847 den Koeffizienten zu 18461”26, womit
sich ergab
| y = 0,04488663
und
I = 5°8'43” 29.
Newcomb°°) stellte als entsprechenden in Hansens Tafeln implizite
enthaltenen Koeffizienten 18461”63 fest und fand dazu aus den
Greenwicher und Washingtoner Beobachtungen 1862—1874 die Kor-
rektion — 0”15 und später (Res. II, p. 223) — 0”18. Mit diesem
letzteren ergibt sich 18461”45. Hansen selbst gibt in seinen Tafeln
den Wert an:
I = 5'839” 96.
Den Wert von Newcomb adoptiert Brown (Astr. Soc. mem. 57 (1905),
p. 138). Aus 5646 Beobachtungen von 1847—1901 findet Cgwell
(a. a. O. p. 564) 18461”35 + 0”05.
19. Die Störungsglieder der Mondbewegung werden durch die
Theorie bestimmt, welche ihre Zusammensetzung angibt. Die folgende
Tabelle gibt die Zahlen für die größten Glieder nach den Theorien
von Hansen, Delaunay und Brown und für die Parallaxe von Adams.
Hinzugefügt sind die direkt aus der Beobachtung ermittelten Werte
nach COowell.’®)
54) Conn. d. T. 1869, p. 10
55) Astr. Pap. I, p. 76.
56) P. H. Cowell, Analysis of 145 Terms in the Moons Longitude 1750
—1901 (Lond. Astr. Soc. Month. Not. 65 (1908), p. 108). The Moons observed
Latitude 1847—1901 (ebenda p. 721).
20. Die Mondmasse. 881
g | g Hansen | Delaunay Brown Cowell
Länge ‚Mittelp.Gl.| 1 0 22640” 15, 22640” 15, 22639” 58 + 22639’ 50
Jährl. Gl. | 0 — 1 + 669,85'+ 669,76+ 668,944 668,2
20 — 20
Evektion | 1 — 2! |+ 4586,56 + 4586,44+ 4586,44 4586,4
Variation | 2 — 2° + 2369,75 + 2369,74 2369,90 + 2370,2
o— o
Parall.Gl.| 1 —ı1 |— 12543 — 125,985 — 124,78— 124,90
: .
Breite | Red. Ekl. | 1 0 |+18461”65 418461” 26 + 18461” 48|+ 18461” 35
Adams
sin Parall.. Konst. 0 0 3422,12 3422,70 3422,70 3422,32
20 — 20 | |
Evektin | 1 —2 + 3431+ 3429| + 34314 34,80
Variation | 1 —2 + 28,22 + 28,204 28,23 + 28,23
20. Die Mondmasse. Man hat zwei Wege zur Bestimmung der
Mondmasse, den durch die Nutationskonstante (Nr. 9) und den durch
die Mondgleichung (Nr. 8). Der erste gibt
1
u 5151020’
bei Ansetzung des mittleren Fehlers ist der mittlere Fehler der Prä-
zessionskonstante schätzungsweise zu + 0”005 angenommen worden.
Der zweite gibt, wenn für die Sonnenparallaxe der trigono-
metrische Wert x5 = 8”806 + 0”003 eingeführt wird:
1
MT SEE 0,08
Die Vereinigung beider Werte führt auf den endgültigen Wert
1
RT 81,55 + 0,08
der infolge der guten Übereinstimmung der durch ganz verschiedene
Methoden gewonnenen Einzelresultate nicht nur das Vertrauen auf
ihn selbst stärkt, sondern auch auf die Konstanten der Sonnenparal-
. läxe, der Präzession und Nutation, aus denen er hervorging.
| Nimmt man die Mondmasse als bekannt an, so gestatten die
Gleichungen (15) der Nr. 9 nicht nur die Ermittlung von Sn son-
dern man wird dann auch die Nutationskonstante aus ihrer theore-
tischen Zusammensetzung ableiten können.
Die erste Gleichung gibt mit u =
C—A4
ET
1
81,53
— 0,003278;
882 VIs,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
- die rechte Seite der zweiten Gleichung (15) gibt für die Nutations-
konstante für 1850: N— 9'218,
der in völliger Übereinstimmung mit dem direkt aus den Beobach-
tungen hervorgegangenen Wert sich befindet.
Die Planeten.
21. Die Theorien der Sonne und der großen Planeten. Die
Bahnelemente der Sonne und der Planeten gingen von Piolemäus un-
geändert auf Copernikus über mit Ausnahme der Entfernungen, für
die dieser zum ersten Male statt Vermutungen gemessene Werte setzen
konnte. Genau kannte man nur die Umlaufszeiten. Kepler bestimmte
aus den Beobachtungen 7. Brahes die Bahnelemente im heutigen Sinn
und legte sie den Rudolfinischen Tafeln zugrunde (1627). Nach Ein-
führung des Newtonschen Gesetzes (1686) begann man um die Mitte
des 18. Jahrhunderts Störungen zu rechnen, zuerst tastend an ein-
zelnen Erscheinungen, die die Beobachtungen gezeigt hatten, dann
zum erstenmal zusammenfassend durch Laplaces Mecanique celeste
(1798—1825). Zum zweitenmal nahm Leverrier das Gesamtproblem
auf (Annales de l’Obs. de Paris, T. 5—14, 1859 —1877) und zum
drittenmal Newcomb (Astr. Pap., T. 1—7, 1882 —1898). Die Bestim-
mung der Konstanten, zu denen seit Newton die Massen getreten
waren, geschieht durch Bedingungsgleichungen, die zwischen den
Änderungen der Elemente und Massen einerseits und den Änderungen
der Koordinaten des geozentrischen Ortes andererseits aufgestellt wer-
den. Zur Bildung, praktischen Aufstellung und Lösung dieser Glei-
chungen sei besonders auf
S. Newcomb, Formulae and Tables (Astr. Pap., vol. II (1891), p. 1),
G. W. Hill, Tables of Jupiter, Saturn (Astr. Pap., vol. VII (1898),
....P. 7, 149)
verwiesen.
Auf die Angabe der Bahnelemente kann verzichtet werden, da
man sie in allen Ephemeriden und Tafelsammlungen findet.?”)
22. Die Massen der Planeten. Die Massen der Körper des
Sonnensystems werden aus den Wirkungen bestimmt, die sie nach
dem Newtonschen Gesetz auf benachbarte Körper ausüben. Die Haupt-
wirkung ist ausgesprochen in dem dritten Keplerschen Gesetz für die
Planeten: ®(M -F m) — n?a®
k?(M + m’) = n’’a”
57) Die authentischen Werte finden sich in den Neweomb-Hillschen Tafeln (l.c.).
22. Die Massen der Planeten. 883
wo M die Sonnenmasse, m, m',... die Planetenmassen bedeuten, und
unter n,”’,...,@,... die der elliptischen, ungestörten Bewegung zu-
gehörigen Werte der mittleren ‘Bewegungen und großen Halbachsen
zu verstehen sind. Setzt man die Sonnenmasse als Einheit der Masse,
die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne als Längeneinheit
fest, bestimmt n durch Messung der Länge des siderischen Jahres
und m durch Messung der Sonnenparallaxe (Nr. 15), so wird k? be-
kannt, aber dies reicht nicht aus, die übrigen Planetenmassen zu be-
stimmen, da wohl die ”',..., aber nicht die a, ... mit genügender
Schärfe ermittelt werden können. Man benutzt daher umgekehrt obige
Gleichungen zur Bestimmung der a’,..., wenn die Massen anderweitig
bekannt geworden sind. Dagegen führt die Anwendung desselben Ge-
setzes auf die Satelliten der Planeten zu so genauen Massenbestim-
mungen, daß man davon bei allen Planeten, die von Satelliten um-
laufen werden, Gebrauch macht.
Mit der Bezeichnung: Sonnenmasse — 1, Erdmasse = m, Planeten-
masse —= m’ (Gesamtmasse einschließlich aller Satelliten), Masse aller
Satelliten = m’&, Masse eines einzelnen = m’u, mittlere Bewegungen
- der Erde, des Planeten und des Satelliten bzw. n, »’, v, große Halb-
achsen derselben Körper bzw. 1, a’, a’ sin A, folgen aus
k®(1 + m) = n?,
Pi+nm)=n?a’,
km (1 — Z+ u) = v?a’’sin 4?
die drei Formen
ee) erirzn,
(63) m — (>) (a sin aA +m) + &£— u), 2
2 .
m —(F) «Sina + Zu).
- 4 ist die große Halbachse der Satellitenbahn, gesehen aus der mitt-
leren Entfernung a’, und kann bei den Elongationen des Satelliten
direkt gemessen werden. Die v, n, n folgen aus den Umlaufszeiten,
die man auch direkt in die Formeln einführen kann. Die Attraktions-
konstante Ak? in der letzten Formel ist auf dieselben Einheiten zu
bringen, in denen » ausgedrückt ist. Der Faktor 1+ 2— u kann
nur verwendet werden, wenn die Massen der Satelliten bekannt sind;
er ist nur von verschwindendem Einfluß.
Obige Formeln setzen die elliptischen, d. b. die ungestörten Werte
von v und 4 voraus; da die gestörten Werte beobachtet werden, sind
diese zuerst vom Betrag der Störungen zu befreien. Es kommen zu-
884 VlI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
nächst die Störungen der Satellitenlänge in ‚Betracht, die von der
Abplattung des Hauptkörpers, von der Sonne und von den übrigen
Satelliten herrühren, und zwar nur die Säkularstörungen; v» wird aus
der Vergleichung der Längen für verschiedene Epochen abgeleitet und
begreift also in sich den säkularen Teil der Störungen in der Epoche;
dieser ist aus allen drei Ursachen zusammengefaßt gleich
[24 (5) zu] 709),
und die oben statt » einzutragende ungestörte mittlere Bewegung »,
wird also: „srl
Im Ausdruck von 6 bedeuten a die große Halbachse der Satel-
litenbahn = a’sinf und % die Abplattungskonstante, deren Zu-
sammenhang mit der Abplattung des Planeten folgender ist. Sind a
und b Äquatorial- und Polarhalbmesser des als Rotationsellipsoid an-
genommenen Planetenkörpers, also
—_ — y = Abplattung,
ferner p das Verhältnis der Zentrifugalkraft zur Schwere am Kam
tor, so gibt die Gleichgewichtsbedingung
Kr}
und, wenn 7 die Umlaufszeit des Satelliten, U die Rotationszeit des
Planeten ist, die Gleichung
»- (0)
al) +io
die a berechnet und mit der beobachteten verglichen wer-
die Größe p, so daß aus:
den kann. E jaßt sich aus den beobachteten Säkularstörungen der
Elemente Ai Satelliten bestimmen, oder es läßt sich umgekehrt aus
der beobachteten Abplattung ableiten:
k a\?
„=Ga-t9()-
Für den ungestörten Wert a, von a=a'sin4 findet man:
sind
(13°)
58) P. $. Laplace, Meec. cel., vol. IV, ch. 2; H. Strwe, Beobachtungen der
Saturnstrabanten. Supplement I aux Obs. de Poulkova 1888, p. 63 und 118.
a, =
32. Die Massen der Planeten. 885
Es sind also obige Formen (63) noch mit dem Faktor
u 2
(64) ee 17 (1-10), .-(24-())
zu multiplizieren, um den Störungen Rechnung zu tragen.
Durch diese Methode wurden die Massen aller großen Planeten
bestimmt, die mit Satelliten versehen sind, das sind also alle mit
Ausnahme des Merkur und der Venus. Die übrigen jetzt zu bespre-
chenden Methoden sind für sie nur zur Sicherung und Prüfung heran-
gezogen worden.
Das zweite Mittel, Planetenmassen zu bestimmen, beruht auf der
Verwendung der Säkularstörungen der vier Bahnelemente, Länge des
Perihels und des Knotens, Neigung und Exzentrizität; die große
Halbachse hat keine Säkularstörungen, und die Störungen der mitt-
leren Länge für die Epoche lassen sich in der Beobachtung nicht von
der mittleren Bewegung trennen. Die Säkularstörungen eines Ele-
mentes werden durch die Theorie in der Form geboten
cm’ + c"m” +: --,
wo die ce bekannte Funktionen der Elemente, die m die Massen der
störenden Planeten sind. Werden sie mit angenommenen Massenwerten
Mg, My, . berechnet: R und andererseits beobachtet: B, so erhält
man, wenn die wahren Massen mit m, (1 + v), my (1+ v”),... be-
' zeichnet werden, die Bedingungsgleichung
(65) em v +c'm)v”” +. -=B—R
Solche Gleichungen erhält man vier für jeden Planeten einer zu-
sammenbetrachteten Gruppe (für die Erde nur drei, weil an Stelle
von Knoten und Neigung die Schiefe der Ekliptik tritt), also 4n
(bzw. 4n — 1), und leitet daraus durch Ausgleichung die » Unbe-
kannten v’,... ab. In- jeder der drei großen Bearbeitungen des Pla-
netensystems durch Laplace (Mec. cel.), Leverrier (Ann. de l’Obs. de
Paris) und Newcomb (Astr. Pap. Washington) bildet diese Ausglei-
chung die Hauptprüfung durch die Vergleichung der hieraus gewon-
nenen Massen mit den durch die Satelliten gebotenen.
Man kann die großen Planeten in zwei Gruppen teilen, die innere
mit Merkur, Venus, Erde, Mars und die äußere mit Tupie: Saturn,
Uranus und Neptun. Da sich wegen der kleinen Massen der inneren,
und der weiten Entfernung der äußeren beide Gruppen gegenseitig
nur wenig beeinflussen, kann man das Problem der Massenbestimmung
in zwei Abteilungen zerlegen, was die Aufgabe wesentlich erleichtert.
Die äußere satellitenreiche Gruppe macht nur insofern Schwierigkeiten,
als die dort auftretenden Glieder langer Periode sich schwer von den
886 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
säkularen trennen lassen. Dagegen ist die Massenausgleichung der
inneren Gruppe von jeher nur unvollkommen gelungen und hat Hypo-
thesen notwendig gemacht. Die Entdeckung der Marssatelliten 1877
hat mehr Sicherheit gebracht, aber die durch Leverrier?”) aufgefundene
Anomalie in der Perihelbewegung des Merkur hat die astronomische
Forschung über 50 Jahre beschäftigt. In der nächsten Nummer wird
hierauf näher eingegangen.
Die dritte, unvollkommenste Methode, die Planetenmassen zu be-
stimmen, beruht auf der Heranziehung der periodischen Störungen.
Diese werden durch die Theorie in der Form geboten
(66) D'm’K sin dl —iT + K,,),
worin h’ von bekannter Zusammensetzung ist, ii ganze Zahlen sind,
K,, ebenfalls bekannt, ! und !’ die Längen der Planeten bedeuten; die
Zahl der Glieder ist groß, und jedes besitzt eine bestimmte Periode,
innerhalb welcher :l — il’ alle Werte von 0° bis 360° annimmt. Die
Koeffizienten m’h’ sind in der Mehrzahl sehr klein. Während die
Säkularstörungen zu ihrer Bestimmung aus den Beobachtungen sehr
lange Zeiträume erfordern, spielen sich die periodischen meist rasch
ab, aber es bedarf fortlaufender Reihen scharfer Beobachtungen, um
sie mit einiger Sicherheit herausschälen zu können. Der Massenfaktor
ergibt sich dann ebenso wie bei den Säkularstörungen. Man macht
von dieser Methode nur Gebrauch, wenn man dazu gezwungen ist.
Das ist nur bei Merkur und Venus der Fall, wenn man Ursache hat,
der Masse aus den Säkularstörungen zu mißtrauen (siehe Nr. 23).
Eine vierte Methode, die Planetenmasse aus ihren Wirkungen auf .
Massen an der Oberfläche des Planeten etwa durch Pendelmessungen
zu bestimmen, ist nur bei der Erde anwendbar; hierüber ist Näheres
in Nr. 15 zu finden. .
23. Ableitung der Massen von Merkur, Venus und Erde aus
den Säkularstörungen. An sich eignen sich die Säkularstörungen
zur Bestimmung der Massen derjenigen Planeten, die nicht von
Monden begleitet sind, viel besser als die periodischen Störungen, und
sie sind daher früher fast ausschließlich zu diesem Zweck herange-
zogen worden. Als sich aber bei der umfassenden Bearbeitung des
Planetensystems durch Leverrier und in verschärftem Maße bei der
neuesten Bearbeitung durch Newcomb deutliche Unstimmigkeiten, ins-
besondere die Anomalie in der Perihelbewegung des Merkur, heraus-
stellten, mußte man Bedenken tragen, die Massen von Merkur, Venus
59) Ann. de l’Obs. de Paris, vol. V (1859).
23. Ableitung der Massen von Merkur, Venus u. Erde aus d. Säkularstörungen. 887
und Erde auf die Säkularstörungen zu gründen, da sie die Anomalien
nicht erklären konnten und nicht berechenbare Einflüsse als möglich
zuzugeben waren. Nachdem jedoch die Einsteinsche Gravitations-
theorie‘) für die Perihelbewegung des Merkur einen Ausdruck ge-
funden hat, den man als richtig betrachten muß, auch wenn man sich
nicht zu seiner Begründung bekennt, ist das Problem in ein neues
Stadium getreten. Es sei daher gestattet, etwas ausführlicher auf die °
Neuregelung der Konstanten der Planeten Merkur, Venus, Erde und
Mars hier einzugehen, da die Newcombsche Bearbeitung auf der sicher
unrichtigen Hypothese beruht, daß die Perihele der Planeten eine
anomale Bewegung proportional ihren mittleren Bewegungen ausführen.
Einstein leitet aus seiner Gravitationstheorie ab, daß das Perihel
für jeden ganzen Umlauf des Planeten um die Sonne im Sinne der
Bewegung um den Betrag
star 247° =; an e Radiusteile
. pe 2%...
vorrückt. Nach Einführung von ssnp=e und n=-- wird daraus
FR
ER (ve ”)
na secp — v, Ist das Mittel aus der größten und der kleinsten Linear-
geschwindigkeit des Planeten in seiner Bahn; also kann man nach
Übergang auf Sekunden auch schreiben:
Ed’ "= 3(%) 1296. 000”,
oder, da ” — A die Aberrationskonstante des Planeten ist (Nr. 6),
" (67) &” = 3888000 A? Sekunden.
Folgende Tabelle gibt für die 4 Planeten die Zahlenwerte:
Mitt. Bahn- ae | Perihelbeweg. in
geschwindig- A Pe: | 100 jul. Jahren
keitin km/sek für ihn
v, Umlauf | Dx’ eDx"
Merkur | 48,879 | 0,00020626 | 33”62 | 0”10331 | a2” 89 8” 82
Venus 34,994 | 11670 24,07 0,05295 8,607 0,059
Erde 29,766 | 09926 20,47 0,03831 | 3,831 0,064
Mars 24,216 | 08076 16,66 0.02536 | 1.348 0,126
Die Zahlen der letzten Spalte sind Ausfluß der Theorie und können
den durch die Theorie gebotenen Säkularstörungen des Elementes
eDx," hinzugefügt werden. Dies ist in folgender Tabelle geschehen,
welche in der ersten Zahlenspalte die mit den Massen
60) Berlin. Ber. 1915, p. 839.
888 VIs.17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
1 1
m ‚m
Merkur .... 7500000 Jupiter.... 1047,88
Vanis, 410000 Saturn .... _3501,6 (4)
Erde + Mond 327000 Uranus .... 22756
MRS 0: 3093500 Neptun... . 19540
* gerechneten Säkularstörungen für 100 jul. Jahre enthält“) für die
Elemente: Exzentrizität e, e mal Perihelbewegung, Neigung i und sin:
mal Knotenlänge, bei der Erde Ds = Säkularänderung der Schiefe
der Ekliptik.
Theorie | Beobachtung
R | B
Merkur De a + 3736 +0”50
eDx, 4109,36 +8” 82 + 118,24 40
| Di + 6,76 SE Er 80
| sin DO — 92,12 — 91,89 50
Venus De — 9,58 — 9,46 20
eDx, + 0,39 + 0,06 + 0,29 20
Di Er +..87 30
sin «DO — 105,92 — 105,44 08
Erde De — 8,57 — 8,55 09
eDx | + 19836 -£ 0,06 + 19,48 12
De — 46,65 — 47,11 25
Mars De + 18,71 + 19,00 27
eDn, 4148,82 + 0,13 + 149,55 35
Di HR I — 2,26 20
sin ? DO — 72,43 — 72,60 20
Bedingungsgleichungen Nach der Ausgl.
B-R Vr BR
Merkur 0,00 „+ 28 "+ 1 "= —08 2 — 0” 86
00 +5658 +88 —=-+006 25 — 0,04
u ek wich + 0,37
08, —985 —U 408 3 + 0,42
Venus — 1,30 0,0 — 49 = +0,12 5 + 0,20
— 0,81 08°- = 33 u — 0,11
+ 0,76 0,0 00. 0 8,88 + 0,35
+05 —-92 —-32 =+04 12 +0,02
Erde m =+002 10 + 0,02
u + 68 =+1006 8 +0,04
= um = —046 4 — 0,26
Mars #068 191: zZ -+09 4 + 0,82
+06 +46 214 -400 3 + 0,86
—004 +120 000-408 5 + 0,01
BEE u ga — 0,09
61) Newcomb, Fund. Const., p. 107.
283. Ableitung der Massen von Merkur, Venus u. Erde aus d. Säkularstörungen. 889
In der Spalte Beobachtung finden sich die von Neweomb®?)
aus den Beobachtungen 1750—1890 abgeleiteten Werte mit ihren
mittleren Fehlern. Die Bedingungsgleichungen für die Korrektions-
faktoren 14+v, 14 v, 14 v” obiger Massen sind angefügt; die
Zahlen für Mars sind weggelassen, da sie keinen stimmberechtigten
Wert liefern können. Als mittlerer Fehler der Gewichtseinheit wurde
+ 1”00 angenommen und hiernach die abgerundeten Werte für die
Quadratwurzeln aus den Gewichten angesetzt. Die Auflösung ergibt:
v—= + 0,12258 + 0,13691 Gewicht 7429,
(68) v = + 0,00645 + 0,0053 „48767,
v" = — 0,01428 + 0,0044 ,„ 70528,
Mittlerer Fehler der Gewichtseinheit + 1”180 in guter Übereinstim-
mung mit dem vorausgesetzten Wert. Die Fehlerquadratsumme sinkt
von [44p] = 49’30 auf 16”70. Die übrigbleibenden Fehler sind in
der letzten Spalte angegeben und sind mit einer einzigen Ausnahme,
der Perihelbewegung des Mars, durchaus befriedigend. Aber die Ab-
weichung ist noch nicht unerklärlich, zumal die Neweombsche Mars-
theorie noch an kleinen Mängeln zu leiden scheint.
Wenn man nach dem Vorschlag von Anding (dieser Band S. 13)
die übrig bleibenden Abweichungen in den drei Elementen eDx,, Di
und sinsD® durch eine Drehung des Inertialsystems zu erklären sucht,
so ergibt die Anwendung der Gleichungen (4) (dieser Band 8. 14),
natürlich jetzt mit Einschluß der Gleichung für das Merkurperihel, die
Zahlen folgender Tabelle:
Bedingungsgleichungen B—-R y A
Merkur | eDx, | + 0,009 & — 0,009 U + 0,205 $—--—0’04| 24| —0”47
Di +0,80 + 0,732 —-+037 | 12| +0,28
siniDO | —0728 +06%4 +012 =+042 2 | +02
Venus | eDz, 9.088: 9000-5. 0,009:: m
Di |-+0%245 0,968 —= +0,35 | 34| + 0,30
siniD0 | — 0,968 --0,245 0,059 —-+0,02 |12° +0,02
Erde eDx, +0,017 =+004 | 8 0,00
Mars eDz, | +0,001 —0,001 - +0,08 =-+086 | 3 | + 0,67
Di |'+0659 + 0,751 = 40,01. 1,80] 2008
sinsD6 | — 0,751 10,659 -+0032 =—0,09 | 5 | — 0,07
- Die Auflösung ergibt |
&—=+0"2, Y= +00, 3= + 2”07 + 1756
oder, wenn man von vornherein X = V’= 0 annimmt:
4 108.
62) Ebd. p. 94, mit der Abänderung für den Venusknoten p. 162.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 58
890 VI2,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Eine wesentliche Besserung der Restfehler wird nicht erzielt, aber
die S. 14 dieses Bandes hervorgehobene Schwierigkeit scheint gehoben
zu sein, da nun auch das Planetensystem eine verschwindende Dre-
hung des Inertialsystems gegen das empirische nachweist. — Wir
kehren zur Massenbestimmung zurück.
Da die für v» und »’ gefundenen Werte sehr unsicher bestimmt
sind, werden die Gleiebungen auch noch nach v” allein aufgelöst mit
dem Resultat
(69) v” = — 0,01030 + 0,00226 + 0,006 v» — 0,676 v".
Die Darstellung wurde kaum geändert (Fehlerquadratsumme [44p]
— 19”87, mittlerer Fehler der Gewichtseinheit + 1719).
Die hier gefundenen Massen sollen nun mit den anderweitigen
Bestimmungen derselben verbunden werden.
24. Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde. Wir
legen der folgenden Untersuchung dasselbe System von Massen zu-
grunde wie oben (System (A), p. 888) und suchen dessen Korrektions-
faktoren 14, 1+v,14+v".
Merkur. Die Masse dieses Planeten ist so klein, daß sie sich
aus den periodischen Störungen nur durch die Venus ermitteln läßt,
Erde und Mars scheiden aus, Newcomb fand als Korrektion der
Leverrierschen Masse 1: 3000000 (Fund. Const., p. 102), aus den perio-
dischen Störungen der Venus als Korrektionsfaktor 1 — 0,584 + 0,133.
Das gibt für die Korrektion von (A)
(70) v = + 0,040 + 0,333.
Aus den Säkularstörungen haben wir oben (Nr. 23) gefunden
(71) v= + 0,123 + 0,137.
An anderen Mitteln, die Merkurmasse zu bestimmen, gibt es nur
noch das durch die periodischen Kometen, die dem Merkur sehr nahe
kommen, insbesondere durch den Enckeschen und durch den Winnecke-
schen Kometen. Allein die Resultate, die hier zutage getreten sind,
sind so unsicher und widersprechend, daß sie nicht stimmberechtigt
sind, zumal die Theorie dieser Kometen wegen der Akzeleration noch
nicht ins Reine gebracht ist. Wir vereinigen daher obige Werte zu
v= + 0,111 + 0,125; womit
1: m = 6750000 + 927500.
Venus. Aus den” periodischen Störungen, die durch die Venus
in den Bewegungen der Erde (Sonne), des Merkur und des Mars
hervorgerufen werden, leitet Newcomb (Fund. Const., p. 24) folgende
ab:
(12)
Korrektionen ————_
der Masse EFT
24. Die Massen der Planeten Merkur, Venus und Erde. 891
v —= — 0,0118 + 0,0034 aus Sonne,
= — 0,0121 + 0,0050 aus Merkur,
—= — 0,0076 aus Mars,
letztere ist so unsicher, daß sie außer Betracht bleibt, die beiden
ersten führen zu v = — 0,0119 + 0,002
und 1: m’ = 406690 + 1140,
also zu dem Korrektionsfaktor für die Masse (A)
(73) v’ = + 0,0081 + 0,0028.
Aus den Säkularstörungen haben wir oben gefunden
(74) v = + 0,0065 + 0,0053.
Beide Resultate geben vereinigt:
(75) v’ = + 0,0075 + 0,0025 und
1: m’ = 406950 + 1010.
Erde. Bei der Bestimmung der Erdmasse durch die periodischen
Störungen, die sie auf die Planeten Merkur, Venus und Mars ausübt,
treten so bedeutende Schwierigkeiten auf, daß auf diese Methode ver-
zichtet werden muß. Die Planeten Merkur und Venus bieten nämlich
dem Beobachter Scheiben dar mit unscharfen Rändern und durch die
wechselnde Beleuchtungsphase von sichelförmigem Umriß, so daß
nur ein Rand beobachtet werden kann und der Halbmesser als neue
unsichere Größe eingeführt werden muß. Zudem treten die Störungen
durch die Erde, als von der gegenseitigen Lage der beiden Planeten
abhängig, an denselben Punkten der scheinbaren Venusbahn, an denen
hauptsächlich beobachtet werden kann, mit demselben Betrag auf, so
daß daraus auf die Größe des Störungsgliedes kein Schluß gezogen
werden kann. Beim Planeten Mars sind noch Unsicherheiten in der
Theorie vorhanden, die seine Verwendung für den vorliegenden Zweck
ausschließen.
Für die Ermittlung der Säkularstörungen sind die genannten
Schwierigkeiten von geringerer Bedeutung, da hier die systematischen
Fehler sich gegenseitig aufheben. Es ist also aus ihnen ein zuver-
lässiger Wert der Erdmasse zu erwarten. Obige Diskussion ergab:
v” = — 0,0143 + 0,0044,
oder, was vorzuziehen ist:
v” = — 0,0103 + 0,0023 + 0,006 v» — 0,676 v".
Dieser Wert beruht hauptsächlich auf der Bewegung des Knotens der
Venusbahn auf der Ekliptik, die durch die Vergleichung der Venus-
58*
892 VIa,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
durchgänge 1761 und 1769 mit denen von 1874 und 1882 von New-
comb (Fund. Const., p. 159) mit großer Sicherheit bestimmt wurde.
Adoptieren wir v= + 0,111 + 0,125,
; v’ = + 0,0075 + 0,0025, so folgt:
(76) v” = — 0,0146 + 0,0046.
Zur Bestimmung der Erdmasse steht noch ein Weg offen, näm-
lich aus ihrer Wirkung auf einen Körper der Erdoberfläche, die durch
das Sekundenpendel gemessen werden kann, in Verbindung mit ihrer
Wirkung auf die Sonne unter Anwendung des dritten Keplerschen
Gesetzes; er führt auf die Gleichung (Nr. 15)
zsVM = 607”02,
worin -; die Erd- + bedeutet. Unter Verwendung des
durch die trigonometrischen Methoden gewonnenen Wertes von
75 = 8"806 + 0003
erhalten wir
M = 327546 + 335 und damit
(77) v” = — 0,0017 + 0,0010.
Dieser Wert steht in unüberbrückbarem Widerspruch mit (76) und
weist darauf hin, daß entweder die trigonometrisch bestimmte Sonnen-
parallaxe oder die Bewegung der Venusknoten zu verdächtigen ist.
Nachdem über letztere vor Ablauf von hundert Jahren keine weitere
Auskunft erwartet werden kann, versuchen wir mit anderen Werten
der Sonnenparallaxe zu operieren.
Die Aberrationskonstante (Nr. 6)
A = 20”521 + 0,007
gibt in Vellikiurig mit der Lichtgeschwindigkeit (Nr. 3)
c = 299865 + 26 km
durch die Formel (Nr. 6)
A”"nsc = [1,732622]
für die Sonnenparallaxe den Wert:
(78) a5 = 8” 780 + 0.004.
Die Mondgleichung in der Erdbewegung (Nr. 8) kann herangezogen
werden, da die Mondmasse in ihr auch durch die Nutationskonstante
unabhängig von der Sonnenparallaxe bestimmt ist; man erhält mit
E = 81,53 + 0,08 und x = 0,10669 + 0,00008 °
(79) no = 8"805 + 0015.
Trotz der in Nr. 17 ausgesprochenen Bedenken soll auch die paral-
laktische Ungleichheit unter Verwendung der zurzeit am vollständig-
25. Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden. 893
sten ausgebauten Theorie von Brown herangezogen werden, d. h. die
Gleichung [1,152720] #& = 124”86 + 0,15.
Sie gibt:
(80) 2 = 8"784 + 0”011.
Diese drei Werte (78)—(80) weisen auf eine deutliche Verkleinerung
des durch trigonometrische Methoden bestimmten Wertes x5 —= 8” 806
hin und konstatieren so einen Gegensatz zwischen diesem und dem
durch Licht- und Gravitationseigenschaften bedingten Wert. Mit dem
am sichersten bestimmten 8”780 + 0,004 sind alle drei wohl verein-
bar, und es soll daher mit diesem die Erdmasse abgeleitet werden.
Man findet:
(81) v” = — 0,0105 + 0,0013,
was mit dem aus den Säkularstörungen folgenden wohl vereinbar ist.
Will man einen definitiven Wert der Erdmasse, so bleibt nichts
übrig als ein Kompromiß in der Auswahl der Sonnenparallaxe aus
den trigonometrischen und physikalischen Methoden; ein solcher ist
zo = 8"19 + 001.
Mit ihm folgt: M = 329350 + 1125 und
(82) v” = — 0,0071 + 0,0034.
Aus der Vereinigung von (76) und (82) folgt:
(83) v” = — 0,0097 + 0,0028 und
1l:mi = 330200 + 930.
Dieser Wert ist mit den beobachteten Säkularstörungen noch verein-
bar und führt zur Sonnenparallaxe
aa = 8'782 + 0,008.
Der Widerspruch zwischen diesem Wert und dem durch die trigono-
metrischen Methoden gefundenen
5 = 8806 + 003
kann zurzeit nicht weggeschafft werden und muß offen bleiben.
25. ' Sonnenparallaxe aus den Gravitationsmethoden. Wir
stellen hier auch die durch die Gravitationsmethoden erlangten Werte
der Sonnenparallaxe zusammen, um durch den Vergleich mit der Ta-
belle in Nr. 5 die Sicherheit beider Gruppen hervortreten zu lassen.
M. F. Gew.
1. Aus der Aberrationskonstante 20”521 87780 + 0”004 25,0
2. Aus der Erdmasse 1:330200 . . ... 8, 782 + 0,008 6,2
3. Aus der Mondgleichung . . . . .. 8, 805 + 0,015 1,8
4. Aus der parall. Ungleichheit . . 8, 784 + 0,011 3,8.
894 VI»,17. J. Bauschinger. Bestimmung u. Zusammenhang d. astr. Konstanten.
Die Gewichte sind wieder unter Annahme des mittleren Fehlers der
Gewichtseinheit + 0”020 angesetzt und führen zu
x, = 8'782 + 0”008.
Wenn wir von dem Wert aus der Aberrationskonstante absehen, bei
dem die Theorie der Aberration in Zweifel gezogen werden kann, ist
nur der Wert aus der Erdmasse das unübersteigliche Hindernis einer
Ausgleichung der beiden Gruppen. Dabei darf folgendes nicht aus
dem Auge gelassen werden. Der Wert der Erdmasse beruht in erster
Linie auf der Sicherheit, die wir der Knotenbewegung der Venus zu-
schreiben und diese darauf, daß weitere Massen oder Kräfte als die
in Rechnung gezogenen nicht vorhanden sind. Wären wir gezwungen,
diese Annahme aufzugeben, so müßte auch der Wert der Erdmasse
eine Nachprüfung erfahren. Es scheint aber, daß der Einklang, der
jetzt durch die Einsteinsche Theorie in den Planetenbewegungen her-
gestellt ist, hierzu nicht nötigt.
26. Die Massen der Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus
und Neptun. Betreff der älteren Bestimmungen dieser Massen sei
auf die Zusammenstellungen bei Harkness 5. 34—35 verwiesen. Wir
geben hier nur eine Auswahl neuerer Werte.
Mars. A. Hall hat bald nach Entdeckung der Satelliten die
Masse bestimmt: 7. x” — 3093500 -+ 3295,
die bis heute beibehalten ist, da eine spätere Bestimmung von ihm
(1892) nur die unbedeutende Korrektion v” = + 0,014 lieferte und
auch die Bestimmung von H. Struve (St. Pet. Mem. VIII (1899))
1: m” = 3090000 + 10000
zu einer Änderung keinen Anlaß gab.
Jupiter. Diese größte und wichtigste Masse des Sonnensystems
darf nicht auf die Satelliten allein begründet werden, da systema-
tische Fehler bei den Messungen nicht ausgeschlossen sind. Daher hat
Newcomb folgendes Material zusammengetragen:
Methode: 1: m!Y Gew.
Bessel 1842 Satelliten 1047,879 + 0,158 +
Möller 1872 Kom. Faye 788 + 0,185 1
Krueger 1873 Plan. Themis 538 + 0,052 .5
Schur 1881 Satelliten 232 + 0,246 Hi
Haerdti 1888 Kom. Winnecke 175 + 0,014 10
Hl 1892 Saturn 380 ‘ 7
Newcomb 1894 Pl. Polyhymnia 340 20
26. Die Massen der Planeten Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. 895
und daraus den Wert abgeleitet
1: m!Y = 1047,35 + 0,065,
der jetzt allgemein verwendet wird. Neuerdings ist nur eine Bestim-
mung von Cookson (Lond. Astr. Soc. Month. Not. 64 (1904), p. 742)
hinzugekommen: 1: m!Y = 1047,67 + 0,06.
Saturn. Der alte klassische Wert von Bessel (1833) aus Satel-
j ht
litenbeobachtungen 1:mY = 3501,6 + 0,78
wird noch immer beibehalten, obwohl H. Struwe durch eine Revision
der Besselschen Reduktion 1:mY = 3502,5 fand und obwohl alle
weiteren Ermittelungen auf eine Vergrößerung der Masse hinweisen:
4 1: mY
A. Hall 1885 3481,3 -+ 0,54
L. de Ball 1887 3492,8 + 2,4 \
H. Strwe 1888 34980 + 1,17
A. Hall 1889 3500,5 + 1,14
H. Struve 1898 .3495,3
Uranus. Folgende Bestimmungen liegen vor:
Se
Newcomb 1875 22540 + 50
Hall 18855 22682 + 27
Hill 1893 22869
Bergstrand 1903 23383 + 115
Neptun. ET Non
Bond 1850 19400
Newcomb 1875 19380 + 70
Hall 185 19092 + 64
Holden 1885 18279 + 114
Hi 1893 19700
(Abgeschlossen Sommer 1919.)
ER > 2
ALoS
V1 2,18. KOMETEN.
Von
S. OPPENHEIM
IN WIEN.
MIT EINEM BEITRAG:
BEZIEHUNGEN ZWISCHEN KOMETEN UNDSTERNSCHNUPPEN.
Von
©. HOFFMEISTER
IN SUNNEBERG (THÜRINGEN).
Inhaltsübersieht.
1. Historische Übersicht.
2, Störungen der Kometen.
3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen.
4. Masse der Kometen.
5. Helligkeit der Kometen.
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen.
a) Die scheinbare Verteilung der Bahnelemente der Kometen.
b) Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den Ursprung der Kometen.
c) Die Problemstellung E. Strömgrens.
7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium.
8. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien.
Literatur.
Monographien.
F. W. Bessel, Entwickelung einer allgemeinen Methode, die Störungen der Ko-
meten zu berechnen, Königsberg Beob. 1810 — Ges. Abh. I, p. 20.
P. A. Hansen, M&moire sur le calcul des perturbations qu’&prouvent les come&tes,
Paris C. R. Suppl. 1856.
H. Gylden, Über eine Methode, die Störung der Kometen mittels rasch konver-
gierender Ausdrücke darzustellen, St. Petersb. Bull. 14 (1869).
— Theoretische Untersuchungen über die intermediären Bahnen der Kometen in
der Nähe eines störenden Körpers, St. P&tersb. M&m. 32 (1884).
J. F. Encke, Über den Kometen von Pous und die Existenz eines widerstehenden
Mediums im Weltraume, Berl. Jahrb. für 1861.
O. Backlund, Sur la masse de la plante Mercure et sur l’acceleration du mouve-
ment moyen de la com&te d’Encke, Paris Bull. astr. 11 (1894), p. 473.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 32. 59
898 " VIs,18. S. Oppenheim. Kometen.
J. V. Schiapareili, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen,
Deutsche Ausgabe von @. Boguslawski, Stettin 1871.
— Orbites cometaires, courants cosmiques meteorites, Paris Bull. astr. 27 (1910),
p. 194, 241.
F. Tisserand, Hypoth&se de Lagrange sur l’origine des come&tes et des aörolithes,
Paris Bull. astr. 7 (1890), p. 453.
O. Callandreau, Etude sur la theorie des comdtes p6riodiques, Paris Obs. M&m.
XX (1890).
L. Schulhof, Les cometes periodiques, etat actuel de leurs theories, Paris Bull.
astr. 15 (1898), p. 323.
L. Fabry, Eitude sur la probabilitE des cometes hyperboliques et l’origine des
cometes, Paris Theses 1893.
@G. Fayet, Recherches concernant les excentricites des com2tes, Paris Thöses 1906.
O. Zanotti-Bianca, Le idee di Lagrange, Laplace, Gauß e Schiaparelli sull’ ori-
gine delle comete, Memoria storica, Torino Acad. Mem. 63 (1913).
E. Strömgren, Über den Ursprung der Kometen, Kopenhagen Obs. Publ. 19 (1914).
-J. Holetschek, Untersuchungen über die Größe und Helligkeit der Kometen und
ihrer Schweife: I. Abh. Die Kometen bis 1760, Wien Akad. Denkschr. 73 (1896),
p. 318; II. Abh. Die Kometen von 1766—1799, ebenda 77 (1905), p. 507; III. Abh.
Die Kometen von 1801—1835 und die helleren bis 1884, ebenda 88 (1913),
p. 744; IV. Abh. Die helleren und V. Abh. Die minder hellen periodischen
Kometen, ebenda 93 (1916), p. 201 und 94 (1917), p. 375.
— Über die Richtungen der großen Achsen der Kometenbahnen, Wien Ber. 94
(1886), p. 879.
— Über die Verteilung der Bahnelemente der Kometen, ebenda 98 (1889), p. 1541.
— Über den Zusammenhang der heliozentrischen Perihellängen mit der Perihel-
zeit der Kometen, ebenda 99 (1890), p. 654.
— Über die in der Verteilung der bekannten Kometen nachgewiesenen Perihel-
regeln und ihre Bestätigung durch die Kometen seit 1900, ebenda 128 (1919),
p. 281.
Verzeichnisse der Bahnelemente der berechneten Kometen finden sich mehr
oder weniger vollständig in jedem Lehrbuch der Bahnbestimmung der Planeten
und Kometen, außerdem seien noch erwähnt:
W. Olbers, Bestimmungsstücke der Bahnen aller bisher berechneten Kometen, in
seiner Abhandlung: Über die leichteste und bequemste Methode zur Berech-
nung der Bahn eines Kometen, Weimar 1797 = Olbers Werke I; mit einer
Fortsetzung dieses Verzeichnisses von Lindenau in Zach, Monatl. Korresp. 26.
(1812) und J. F. Encke, Weimar 1847, und J.@. Galle, Leipzig 1864.
J.C. Burkhard, Nouvelles tables generales du mouvement parabolique des co-
metes, Paris Conn. d. Temps pour 1818.
Ph. Carl, Repertorium der Kometenastronomie, München 1864.
J.@.@Galle, Verzeichnis aller bisher berechneten Kometenbahnen nebst Anmer-
kungen und Literaturnachweisen, Leipzig 1894.
E. Weiß, Verzeichnis der Bahnelemente aller bisher berechneten Kometen, Wien
Sternw.-Kalender für d. Jahr 1909.
Jahresberichte über Neuberechnungen von Kometen und Ausweise über die
Beobachtungen enthält die Vjs. d. astr. Gesellsch. in regelmäßiger Aufeinander-
folge. .
1. Historische Übersicht. . 399
l. Historische Übersicht.) Wissenschaftlich verwertbare Beob-
achtungen von Kometen begannen in Europa erst im 15. Jahrhunderte
mit Regiomontan. Bis dahin hatte man nach Aristoteles trotz der
Gegenansicht vieler anderer, namentlich Senecas, die Kometen für atmo-
sphärische Gebilde angesehen, denen: ebensowenig wie etwa den Wol-
ken am Himmel ein astronomisches Interesse gebühre. Nur ganz rohe
Angaben über ihren Lauf am Himmel liegen vor, die in seltenen
Fällen, und auch da nur zu einer ganz ungefähren Bahnbestimmung
als geeignet sich erweisen. Eine Ausnahme davon bilden die schon
aus den ältesten Zeiten herrührenden Aufzeichnungen der Chinesen,
die zu weitaus besseren Bahnberechnungen’?) verwertet werden konnten.
Erst Regiomontan beobachtete im Vereine mit dem Amateur Bernhard
Walter in Nürnberg den Kometen des Jahres 1472,.konnte aber aus
seinen Beobachtungen bloß feststellen, daß dessen Entfernung von
der Erde jedenfalls größer sei als die des Mondes. (Methode der Par-
allaxenberechnung aus zwei Zenitdistanzen und gleichzeitigen Azi-
muten bei verschiedenen Stundenwinkeln.) Damit war der Streit über
den Ursprung der Kometen gegen die Aristotelische zugunsten jener
Ansicht entschieden, die sie. als selbständige Himmelskörper betrachtet.
Auf Regiomontan folgten neben Peter Apian und dem Landgrafen
Wilhelm IV. von Kassel namentlich Tycho Brahe?), in dessen Lebens-
zeit die Erscheinungen von sieben hellen Kometen 1577, 1580, 1582,
1585, 1590, 1595 und 1596 fielen, die er alle regelmäßig und sorg-
fältig beobachtete. So gelang ihm .der strenge Nachweis dafür, daß
die Parallaxe der Kometen viel zu. klein sei, als daß sie irdischen
Ursprunges sein könnten, vielmehr beschreiben sie ihre Bahn am
Himmel in Entfernungen, die mindestens sechsmäl so groß seien wie
die des Mondes von der Erde, ja bei einigen sogar größer als die der
Venus. N |
Auch der Frage nach der Bahn der Kometen am Himmel trat
Tycho näher. Er findet aus den Beobachtungen des Kometen von
1577, daß dieser sich außerhalb der Venusbahn, wohl in einem Kreise
1) Zur Vorgeschichte der Kometen vgl. R. Wolf, Geschichte der Astronomie,
München (1877), dann R. Wolf, Handbuch der Astronomie, Zürich, I (1890),
$ 279—280, und II (1892), $ 574—590; endlich N. Herz, Geschichte der Bahnbe-
stimmung der Planeten und Kometen, Leipzig, I (1887), II (1894).
2) A. Pingre, Cometographie ou trait& historique et theorique des cometes,
I, I, Paris (1873—1874); J. Wiüliams, Observations of comets: from B. C. 60 to
A. D. 1640 extracted from the chinese annals, London (1871); E. Bot, Catalogue
des cometes observees en Chine, Paris, Conn. d. Temps pour 1846.
3) Tycho Brahe, Observationes septem cometarum, Hafniae 1567, dann: Pro-
gymnasmata astronomiae instauratae...., Opera ömnia. Tom. Il u. III, Hafniae 1919.
59*
900 VIs,18. $. Oppenheim. Kometen.
aber mit veränderlicher und in jedem Punkte der Bahn erst empirisch
zu bestimmender Geschwindigkeit bewege. J. Kepler*) schreibt den
Kometen eine geradlinige Bewegung zu, ebenso J. Hevel?), der wohl
schon von einer von der Geraden ein wenig abweichenden krumm-
linigen Bewegung spricht, ohne aber eine Bestimmung der Art dieser
Krümmung zu versuchen.
Eine bedeutungsvolle Wendung brachte der 1680 erschienene
Komet, der lange Zeit hindurch am Morgenhimmel vor und dann
ebenso lange wieder nach seinem Perihel am Abendhimmel beobachtet
wurde und so den Anschein erweckte, als ob er zwei fast parallele
Gerade, aber im entgegengesetzten Sinne am Himmel beschrieben hätte.
Der Pastor Georg Samuel Dörffel®) hatte die glückliche Idee, die bei-
den Geraden durch einen stetigen Kurvenzug zu verbinden, und so
war die wahre Bahn des Kometen mit einem Schlage da, die einer
Parabel mit der Sonne als Brennpunkt. Eine zweite, noch bedeutungs-
vollere trat mit der Newtonschen Entdeckung der allgemeinen Gravi-
tation ein. Sie erteilte in kosmischer Hinsicht den Kometen den glei-
chen Rang wie den Planeten, einzig mit dem rein formalen Unter-
schied, daß diese sich in schwach, jene aber in stark exzentrischen
Ellipsen um die Sonne als Gravitationszentrum bewegen und sich der
von ihnen um das Perihel herum durchlaufene Bogen bloß wegen
der kurzen Sichtbarkeitsdauer auf eine Parabel reduziere. Newton?)
gab auch eine Methode an, die Elemente dieses parabolischen Laufes
zu berechnen, und E. Halley®) bestimmte daraufhin die Bahnen jener
Kometen von 1337 bis 1698, von denen bessere Beobachtungen vor-
4) J. Kepler, Ausführlicher Bericht von dem 1607 erschienenen Haarstern,
Hall in Sachsen 1608 und De Cometis libelli tres, Augustae Vindelicorum 1619
in den Gesam. Werken, Bd. VII, Frankfurt 1868.
5) J. Hevel, Prodromus cometicus, Gedani 1668.
6) @. S. Döiffel, Astronomische Beobachtungen des großen Kometen 1680—81,
Plauen 1681.
7) J. Newton, Principia, 3. Buch, 5. Abschn.
8) E. Halley, Cometographia seu astronomiae cometicae synopsis, Dsonias
1705. Nach der Halleyschen Entdeckung lag der Gedanke nahe, auch für andere
Kometen ähnliche Periodizitäten aufzusuchen (vgl. R Wolf, Handbuch der Astro-
nomie, II. Bd., $ 577). Doch von allen diesen bewährten sich nur vorerst die
Enckesche Entdeckung der Identität der Kometen von 1786, 1795, 1805 mit dem
von 1818, mit der relativ kurzen Umlaufszeit von 3,3 Jahren (seitdem Enckescher
Komet genannt), dann die J. Morstadtsche zwischen den Kometen 1772 und 1806
mit einer Umlaufszeit von 6°/, Jahren, welcher 1826 von W. Biela wieder auf-
gefunden wurde (der Bielasche Komet). Über den Kometen von 1770, dessen
Umlaufszeit von Lexell zu 5'/, Jahren berechnet wurde, der aber seitdem nicht
wieder gesehen wurde, vgl. Nr. 7.
2. Störungen der Kometen. 901
lagen, im ganzen 24. Hierbei zeigten sich ihm drei, die der Jahre
1531, 1607 und 1682, deren Bahnelemente eine sehr große Ähnlich-
keit untereinander aufwiesen:
61531 0—49%25 i—17056° z—301039 1g9—9,7536 7 1531,652
61607 —5021 =172 =302 16 9,1685 —1607,821
61692 —5116 —1756 —30253 —9,1659 —1682,704
Beweg. retrograd
die, da auch die Zwischenzeiten zwischen den drei Erscheinungen
(76,169 und 74,883 Jahre) sich als nahezu gleich zeigten, ihn zu dem
Gedanken ihrer Identität und damit der Existenz eines periodisch
wiederkehrenden Kometen führten.
Durch diese Entdeckung, die sich durch die Vorausbereehnung
von A. Clavraut für ‚die, nächste Wiederkehr im Jahre 1758 glänzend
bewährte, war ein mäc Anstoß gegeben. Man begann, systema-
tisch den Himmel nach Koffeten zu durchsuchen und ist so sicher,
daß auch jeder, nur für die optisghen Instrumente der Astronomen
erreichbare, aufgefunden wird, wäh vorher natürlich eine solche
Entdeckung stets dem Zufall überlassef@ghien. Zu dieser visuellen
Durchmusterung kam neuester Zeit die phößfgyaphische hinzu, auch
in dem Sinne, daß sie deren Sichtbarkeitsdauer Terlängerte und damit
die Genauigkeit der Bahnbestimmung erhöhte. Die Zahl der beob-
achteten und in ihrer Bahn festgelegten Kometen stieg damit sehr
an. Sie beträgt gegenwärtig wohl an 500, darunter an 30 perio-
dischen und auch schon in mehreren Erscheinungen wieder aufge-
fundenen.
2. Störungen der Kometen. Die von E. Halley vorausgesagte
Wiederkehr des Kometen von 1682 für das Jahr 1759 gab A. Clai-
raut?) als erstem Veranlassung, dessen Störungen durch die Planeten
Jupiter und Saturn zu berechnen. Den Ausgangspunkt für seine Unter-
suchungen bilden die Gleichungen für die heliozentrischen Koordi-
naten (Radiusvektor r, wahre Länge v und mittlere Anomalie M)) als
Störungen in der Bahnebene, sie lauten!®), wenn man R als Störungs-
funktion ansetzt: |
9) A. Claiwraut, Theorie du mouvement des comötes avec l’application & la
comete, qui a Et&E observee en 1531, 1607, 1682, 1759, Paris 1760 und Recherches
sur les com&tes de 1521, 1607, 1682 et 1759, Paris 1762.
10) Die Gleichungen sind identisch mit den Encykl. VI s, 14 (E. Brown),
Nr. 4, 8 angegebenen (s = 0 zu setzen),
902 VI2,18.: S."Oppenheim. Kometen.
.: EN 1
Peru ten o— Sarav: Ball —e),
“ 2-(atFa 20):(420,
—= 1 ecosv + sinv| Rcosv dv— cosv| Qsinvdr,
ty dena: VII
und als Veränderung von Knoten und Neigung der Bahnebene
e) | siniAN —= Wr’sin — N)dv:kKa(l — e),
di= Wr?cos(v — N)dv: Kal — e),
mit W als der auf der Bahnebene senkrecht stehenden Störungskom-
ponente. Die Methode der Rechnung war die der speziellen Störungen
nach folgendem Schema:
exzentr. Anom. E: 0°— 90° Zeit 1531-1538 1607-1615 1682-1689
i 90°-270° 1538—1600 1615—1675 1689—1751
— 90°— 0° 1600-1607 1675—1682 1751-1759
Verbindung der Perihele 1531u.1607 1607u.1682 1682u.1759,
wobei die störenden Kräfte 9, x und W in die zwei Gruppen:
1. direkte Störungen der Planeten und 2. Einwirkung dieser auf die
Sonne geteilt wurden. Das Ergebnis der Rechnungen war:
vorausberechnete Perihelzeit 1759 April 13
aus den Beobacht. (1759) ab- daher Fehler = 30 Tage.
geleitete Perihelzeit ... 1759 März 15
P. S. Laplace widmet in seiner M6canique c#leste 11) einige Kapitel
den speziellen Ausführungen, wie die Störungen periodischer Kometen
zu berechnen sind. Sie weichen nach zwei Richtungen von den für
die Planeten gebräuchlichen Methoden ab, 1. in dem Vorschlage, in
dem Aphelteile der Bahn, wenn der Radiusvektor des Kometen r be-
deutend größer ist als der des störenden Planeten r,, die Bewegung
des Kometen auf den Schwerpunkt von Sonne und störendem Körper
zu beziehen, 2. bei bedeutender Annäherung des Kometen an den
Planeten nicht mehr die Sonne, sondern diesen als Anziehungszentrum
anzusehen. Im ersten Falle geht man von den allgemeinsten Stö-
rungsgleichungen in den rechtwinkligen Koordinaten x, y, z aus,
(3) a u k’m, (& er —%) en m; 2 ar. EM 0,
und analog für y und z, und betrachtet in Alien x,y,2 als dem Ko-
mupben, %or EL 2, und r, als der Sonne, %,,Y,,2, und r, als den einzelnen
11) Pr .S. Laplace, Me&c. c&l. Tome v. livre 10, chap. 1,2 et 3.
2. Störungen der Kometen. 903
störenden Planeten zugehörig — zunächst mit einem willkürlichen An-
fangspunkt. Fügt man sodann die Größe %?(m, + D'm,)o-° positiv
und negativ hinzu, wo o die Distanz der Kometen vom gemeinsamen
Schwerpunkt aller bedeutet, und von da ab dieser als Anfangspunkt
des Koordinatensystems angenommen wird, so folgt'?)!
3” + Balm, + Im) ge’ + IR m, (= — 3) — 0
(4) oder
2" + Bam, + Im) + — 0
und analog für y und 2. Die ersten zwei Glieder dieser Gleichungen
bestimmen die elliptische Bewegung des Kometen um den Schwer-
punkt, die weiteren lassen sich als Störungsglieder auffassen, wobei
als Störungsfunktion
(4a) R= km, € Bi =) + 1m, (+ ee -)
T;
auftritt. Indem man nunmehr noch die Distanzen A, und A, der Sonne
und der Planeten vom gemeinsamen Schwerpunkt durch die Glei-
chungen
1. = A’ + 0" — 204,008 H,
= A? + 0° — 20A,c0sH,
einführt und für sie die Entwicklungen ansetzt
1 1 A, A3 3cos®®H,—1
= za zo +3. 2 +-- ),
1 1 A; A} 3c08?H,—1
a
nimmt, da wegen des Schwerpunktsatzes
m, A, cos H, + D'm,A, cos H, — 0
ist, der Ausdruck für R die Form?)
(4b) R=km, =: an rc + N km, = mn RN.
12) Die Gleichungen (3) in ihrer ursprünglichen Form wenden P. H. Cowell
und A.Crommelin in der Preisarbeit: Essay on the return of Halleys Comets,
Publ. d. astr. Ges. XXIII (1910) zur Berechnung der speziellen Störungen dieses
Kometen für die zwei Umläufe von 1759—1835 und 1835—1910 an. Vgl. auch
den Bericht über sie von v. Seeliger, Astr. es. Vjs. 45 (1910), p. 2.
13) Über die Ableitung der Gl. (4), d. i. der direkten elliptischen Bewegung
eines Kometen um den’ Schwerpunkt von Sonne und störenden Körpern vgl.
F. Tisserand, Mee. cel. IV (1896), chap. 12; J. Bauschinger, Bahnbestimmung
(1906), p. 565; ferner F. W. Bessel, Entwicklung einer allgemeinen Methode, die
Störungen der Kometen zu berechnen, Königsberger Beob. 1810, Ges. Abh. I,
904 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
an, die sagt, daß R wegen der Kleinheit von A, und A, gegenüber o
eine Größe zweiter Ordnung ist, die bei genäherten Rechnungen ver-
nachlässigt werden kann.
Für den zweiten Fall, den einer bedeutenden Annäherung des
Kometen an den störenden Planeten, führt Laplace den Begriff dessen
Wirkungssphäre ein. Er definiert ihn in der folgenden Art: Ist X die
Anziehungskraft der Sonne und $ die störende Kraft des Planeten
auf den Kometen, ebenso X, die Anziehung des Planeten und S, die
störende Kraft der Sonne, so ist
S:K=8$:K,
die Gleichung einer Fläche, auf deren Begrenzung beide Verhältnisse
einander gleich sind und es daher gleichgültig ist, ob man die Sonne
als Haupt- und den Planeten als störenden Körper oder im Gegen-
teile den Planeten als Anziehungs- und die Sonne als das Störungs-
zentrum ansieht. Innerhalb dieser Fläche ist aber
ARE DE
und daher, wenn der Komet sie in seiner Bewegung um die Sonne
durchdringt, vorteilhafter, die Bahnrechnungen in bezug auf den Pla-
neten als Anziehungszentrum auszuführen und die Störungen als durch
die Sonne verursacht anzunehmen. Da
k2 .\2 ER ‚\2
ed)
A?° r} A° r!
4 —2 z,%1
ar,
p. 20: I. Teil: Bewegung des Kometen um den Schwerpunkt; II. Teil: Verbesse-
rungen, die noch anzubringen sind, wenn man die Schwerpunktsbahn als erste
Annäherung ansieht. — Nach dieser Methode (Reduktion auf den Schwerpunkt
von Sonne und Planeten) berechnete J. F. Encke die Störungen des nach ihm
benannten Kometen von 1819—1860. Ferner TR. Damoiseau (M&m. Turin 1820),
@.P. de Pontecoulant (Paris Sav. Etr. 1835), O. A. Rosenberger (Astr. Nachr. 8, 9
u. 11, 1833—34) und J. W. Lehmann (Astr. Nachr. 12, 1835) die Störungen des
Halleyschen Kometen zur Vorausberechnung der Erscheinung für 1835. Über
die Art der Berechnung äußert sich Encke [Astr. Nachr. 9 (1831), p. 317] mit
folgenden Worten: So oft der Komet in eine größere Entfernung von einem
Planeten kam (bei Merkur nach 4, bei Venus und Erde nach 12 Tagen), wurde
in bezug auf ihn der Übergang auf den Schwerpunkt des durch ihn und die
Sonne bestimmten Systems durchgeführt. Demgegenüber weist J. W. Lehmann
[Astr. Nachr. 16 (1839), p. 97] auf einige Unannehmlichkeiten dieses Verfahrens
hin. Sie bestehen vor allem in der Berechnung der Planetenkoordinaten in be-
zug auf den Schwerpunkt, ferner in der Unmöglichkeit, eine Absonderung der
Störungen bei eventueller Korrektion der Planetenmasse vornehmen zu können.
Er schlägt deshalb vor, diese Reduktion nur für die vier inneren Planeten aus-
zuführen, für die vier äußeren dagegen die Störungen stets getrennt zu rechnen.
En
2. Störungen der Kometen. 905
km x x\? Y y\? 2 2 \2
K- A I = Bm (7 ALe 3) mr = “er &) pr € Zen =) ir
so wird, wenn man nach der kleinen Größe v=A:r, entwickelt
und außerdem
nAcsd =. — a) tu —N)+ ala — 2)
setzt, die Gleichung der Fläche
(5) A= ,Vm, :mo(1 + 3.008? 9)%.
Sie gibt für $—=0 als Minimum für A, = r, Ym.2: 2m: und für
$ = 90° als Maximum A, — Ym,?: my! und stellt wegen des von 1
wenig verschiedenen Verhältnisses von A,:A, — Y2 — 1,15 genähert
(5a) = r,Vm?: My
eine Kugel vor, die man die Wirkungssphäre des Planeten von der
Masse »m, gegenüber der der Sonne, m,, nennt.!*)
Die Bahn, die der Komet um.den Planeten nach Eintritt in
dessen Wirkungssphäre beschreibt, ist stets eine Hyperbel. Der Be-
weis hierfür ergibt sich in einfacher Weise aus der Gleichung
pP
Items
ae 1 sn
die, wenn man in ihr den Wert von „ aus der Energiegleichung
substituiert, übergeht in
2 ”*
1-—e-r(.— 5)
In ihr ist aber k?, das die Anziehungskonstante für die Bewe-
gungen um die Sonne (m, = 1) vorstellt, zu ersetzen durch k?m;;
somit ist das zweite Glied ın wegen der Kleinheit von m, stets
größer als das erste — und daher 1—e<0. Da ferner die Ge-
schwindigkeit des Kometen beim Austritt aus der Wirkungssphäre
wesentlich eine andere ist als beim Eintritt, so erfährt seine Bahn
durch eine solche Annäherung eine sehr bedeutende Umwandlung.'*®)
(Vgl. Nr. 7.)
14) Die Radien der Wirkungssphären der einzelnen Planeten sind:
Merkur A = 0,001 Erde 0,006 Jupiter 0,322 Uranus 0,339
Venus A = 0,004 Mars 0,004 Saturn 0,364 Neptun 0,576.
Allgemeine Untersuchungen über solche Bahnumwandlungen, besonders durch
Jupiter, führte O. Callandreau durch, Paris Obs. M&m. 20 (1890).
14a) Dies gilt hauptsächlich für die großen Planeten (Jupiter, Saturn,
Uranus und Neptun). Für die vier inneren und kleineren Planeten schlägt La-
906 VIs2,18. S. Oppenheim. Kometen.
Im allgemeinen Falle dagegen, wenn weder eine bedeutende An-
näherung des Kometen an den störenden Planeten vorhanden ist,
noch auch seine Entfernung von ihm so groß ist, daß eine Reduktion
auf den Schwerpunkt von Sonne und Planet zur Vereinfachung der
Störungsrechnungen ratsam erscheint, kann nur eine Teilung der
Bahn °) nach der schon von Clairaut durchgeführten Methode Platz
greifen. In diesem Sinne gibt P. A. Hansen'*) eine Entwicklung der
Störungsfunktion in den zwei Formen:
ER HÜM) und (vg + iM),
cos
von denen die erste (nach der exzentrischen Anomalie fortschreitende)
für den unteren Perihelteil der Kometenbahn, dıe zweite, mit Einfüh-
rung der wahren Anomalie, für die obere Aphelhälfte gilt. In seinen
weiteren Abhandlungen führt er an Stelle von Ex und v« zwei neue,
von ihm partiell genannte Anomalien ©, und o, ein nach den Glei-
chungen:
| unterer Teil: 2Y2aesint E— (Vo, +YVe,) sino, + (Vo, ee Ve.) »
(6 BARS: bs
% loberer Teil: 2Y2er;r, cos4v—= (Yo, + Ve,) sine, + (Vo, —Vo,),
place (Mec. cel. Tome IV, Livre IX, $ 12) dagegen eine Entwicklung der Ko-
ordinatendifferenzen zwischen Komet und störendem Planet in Potenzreihen nach
der Zeit vor, wobei die erste Potenz genügt. Die Integration der Störungsglei-
chungen gestaltet sich unter dieser Annahme recht einfach. Laplace berechnet
darnach die Störungen des Lexellschen Kometen bei dessen Annäherung an die
Erde und findet als Änderung der Umlaufszeit — 2,046 Tage.
Vgl. hierzu noch: E. Strömgren, Über die Merkurnähe des Kometen 1902 c,
Astr. Nachr. 160 (1902), p. 191, sowie: Über die gegenseitigen Störungen zweier
einander nahe kommenden kleinen Planeten, Astr. Nachr. 165 (1904), p. 17.
15) Die Frage, wann der Übergang zur Berechnung der Störungen um den
Mittelpunkt der Sonne zu der um den Schwerpunkt stattzufinden habe, beant-
wortet P. Harzer, Astr. Nachr. 110 (1885), p. 353 durch Einführung des Störungs-
maßes M—YXA}, wo A, den Mittelwert des Quadrates der störenden Kräfte
bedeutet, und die Summe & über alle störenden Körper zu erstrecken ist. Hier-
bei ist A; doppelt zu rechnen, einmal für den Mittelpunkt der Sonne und so-
dann für den Schwerpunkt von Sonne und störende Körper, und der Vergleich
beider gibt einen Anhaltspunkt für die Wahl des Anfangspunktes des Koordi-
natensystems, Sonne oder Schwerpunkt von Sonne und Planeten.
16) P. A. Hansen, Ermittlung der absoluten Störungen in Ellipsen von be-
liebiger Exzentrizität und Neigung, Seeberg Sternw. Schriften 1843, ferner:
Schreiben an Encke, Berlin Ber. 1884, p. 345, und Neue Form der Störungen in
sehr exzentrischen und sehr geneigten Bahnen, ebenda 1845, p. 39; dann: Mem.
sur le calcul des perturbations qu’&prouvent les com£tes, Paris C. R. Suppl. D.
1856. Vgl. auch: Jacobi, Nachlaß, herausgegeben von H. Bruns, Ges. Werke VII
(1891), p. 284—-305.
2. Störungen der Kometen. 907
wobei im
ersten Teil og =r, —al-—e), g=nr—ul—e)...
zweiten „ 9 =lal+e—rl|r(l—e), &=lall+eo—r,]|rs(1—e)
ist und erzielt damit eine Darstellung der Störungen, die in zwei
vollständig voneinander getrennte Teile zerfällt zwischen den zwei
ganz willkürlichen Radienvektoren r, und r, als Grenzpunkten der
Teilung. Für die spezielle Annahme einer symmetrischen Teilung der
Bahn »,=r, wird im Perihel Ex«—=o, = 0 und o, = + %0° für
1, =r,= a(l — ecosE,), im Aphel vg = o, = 180° und @&, — —+ 90°
für nn =r =all—e)-(l + ecosv,)-!. Sonst im allgemeinsten
Falle wären r, und r, so zu bestimmen, daß sie den beiden Punkten
entsprechen, die die Minima der Entfernung des Kometen vom stören-
den Körper begrenzen.
H. Gylden“) in seiner Vorliebe für elliptische Funktionen und
dem Bestreben, durch sie eine bessere Konvergenz der Störungsreihen
zu erzielen, definiert die partiellen Anomalien durch
untere Bahnhälfte sin 4E = ksin am ee; modk= + sin4E,,
(2)
} 2L
obere F c84v—Isinam —a, modi—=-+ cos$y,,
wobei K und ZL die den Modulen k und Z entsprechenden vollstän-
digen elliptischen Integrale erster Gattung, und + E, bzw. + v, die
Werte von Ex und v4 für die zwei symmetrisch gelegenen Teilungs-
punkte bedeuten. Eine weitere Erhöhung der Konvergenz versucht er
auf einem doppelten Wege, 1. durch eine nochmalige Teilung der
Bahn zufolge der Annahmen:
sino, =sin’}o, und sino, = sin’4o,,
durch die die neuen Teilungspunkte in das Perihel bzw. Aphel ver-
legt werden, 2. durch Multiplikation der Reihe für A? als das Qua-
drat der Distanz des Kometen vom störenden Körper mit dem Faktor
F=1-+ 4coso + usino
und der Festsetzung, die Konstanten A und u so zu bestimmen, daß
in dem Produkt FA? die vom doppelten Winkel 2® abhängigen Glie-
der als Größen zweiter Ordnung verschwinden.
17) H. Gylden, Über eine Methode, die Störungen der Kometen mittels
rasch konvergierender Ausdrücke darzustellen, St. Petersb. Bull. 14 (1869) und
Astr. Ges. Vjs. 7 (1872), p. 27; Paris C. R. 80 (1875), p. 907, sowie der Bericht
von A. Baillaud, Ann. Ee. Norm 5 (1876), p. 355 und P. Harzer, Astr. Ges. Vjs.
18 (1883), p. 26.
908 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
Für den Fall einer Annäherung des Kometen an einen störenden
Planeten (aber den einer so bedeutenden ausgeschlossen, daß durch
sie eine ganze Umändernng der Bahn des Kometen hervorgerufen wird)
stellt A. Gylden 18) eine Art intermediärer Bahn her, die eine direkte
Berechnung der säkularen Variation der Perihellänge und des Knotens
gestattet. Er setzt die Koordinatendifferenzen zwischen Komet und
störendem Planet, bezogen auf die Bahnebene der letzteren in der Form
8 I ren
(8) y—y=Uy— Va — 2r sin?4Jsin(v’ + =)
fest, worin
u-7-! cos D — ef sin?1D, V= "sinD, D=(v+x)—(v +7)
ist, ferner die Bewegungsgleichungen
X +P,x®e+Paı=0,
’ le ’ ’ hd nd ’ nt a
yY +P,y + P,y = — 2m’k’r sin?4J sin(v’ + =) (z —- =) ;
worin wieder
‚ 1 1 dv da\-1
- nt >
1 m’ idr dna\-1/1 1
Berlatg nt Fo)
ist und das Glied auf der rechten Seite der Gleichung für y wegen
des Faktors sin?4.J im allgemeinen vernachlässigt werden kann, und
transformiert diese endlich durch die Substitutionen
= +, yarlttyı, EeltWrftt,
= + 7
und die Entwicklung
> ie * +w-+DL,... (Glieder zweiter Ordnung)
i 3+8(& +0) -
at +m)—0, mit eu=Vo,
tra tn) -
wozu noch für die dritte Koordinate 2 = sinb
. +s2=0
18) H. Gyläen, Theoretische Untersuchungen über die intermediären Bahnen
der Kometen in der Nähe eines störenden Körpers, St. Petersb. M&m. 32 (1884),
sowie auch Astr. Nachr. 102 (1882), p. 321.
2. Störungen der Kometen. 909
kommt, wenn :s der konstante Teil der Entwicklung von
km’? 1 1 ‚ 2fp,a:
1+ 2 (25 — za) rr cosHe !
ist. Die Integration der Gleichungen wird mit Hilfe der Substitutionen
dt=ßodu, dvı= PVE au
auf das elliptische Argument « (mit dem Modul x) zurückgeführt,
und man erhält dann als mittlere Bewegung der intermediären Ano-
male N=x(2ßox)"', und aus ihr als Bewegung des Perihels
Ar=1-—2ßYe-K(xe)-! sowie als Variation der Knotenlänge
1—s)
Analytische Störungsausdrücke für rein parabolische Bahnen stell-
ten E. Strömgren und G. Fayet auf, speziell im Hinblicke auf die Frage
nach der ursprünglichen Bahnform der Kometen und ihrer Exzentri-
zität hierbei, deren Kenntnis zur Entscheidung über ihre kosmogo-
nische Stellung notwendig ist (vgl. die folgende Nr. 6c). Für diesen
Fall nimmt eine Entwicklung der Störungsfunktion die Form an
R Aean E. i(u,t + &,) c0s?*4v cos?v sin“ v.
Strömgren zeigt, daß sich alle darin vorkommenden Funktionen von
v mit Rücksicht auf die Parabelgleichung
tggo + 31, -kl NEE)
durch nach Potenzen von (t — 7)-% geordnete Reihen darstellen lassen,
so daß zur Berechnung der Elementenstörungen die zwei Integrale
1
2
173 ia
Sinai + )E— Mat und feosilmt + 5) — T)"8at
b; &
zu bewältigen sind, die durch die Substitution * — 7 = z auf die mit
Hilfe von Gammafunktionen lösbaren Normalformen
Za 2
n Rn
fe: sinzedze und fr cos2dz
Bu N
19) Nach den Methoden von Hansen und Gylden wurden vielfach die ab-
soluten Störungen des Enckeschen und anderer periodischer Kometen gerechnet;
so von Hansen selbst (Fußn. 16) die Störungen des Enckeschen Kometen durch
Saturn; von Asten, Berechnung des Teiles der absoluten Störungen des Encke-
schen Kometen durch Jupiter (zwischen v = 170°—190°), St. Petersb. M&m. 28
(1881); Th. Wittram, desgleichen zwischen v —= 152°21’7’’ und 170°, ebenda 31
(1883); A. Shdanow, Störungen des Fayeschen Kometen in der Jupiternähe im
Jahre 1841, ebenda 33 (1885), ferner die zahlreichen Arbeiten von O. Backlund
zur Theorie des Einckeschen Kometen in den St. Petersb. M&m., besond. 28 (1881).
Vgl. auch Eneykl. VIs, 19 (H. Samter), Nr. 8.
910 VIs,18. S. Oppenheim. Kometen.
zurückgeführt werden. @. Fayet dagegen setzt direkte tg; v = x und
kommt so auf die zwei neuen Formen
Sa@+un)de und [ri,(@ + ua)dz,
ı
die er durch nach Potenzen von u fortschreitende Reihen integriert.
: 3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. Einen aus-
führlichen Bericht über den Stand der Berechnungen der periodischen
Kometen gibt L. Schulhof?). Darnach blieb von den vielen bisher
vermuteten Anomalien in deren Bewegungen®!) bis heute nur die des
Enckeschen Kometen??) übrig. Schon Encke hatte sie erkannt, und
v. Asten und Backlund bestätigten sie in ihren Untersuchungen über
ihn, jedoch mit der Beschränkung, daß diese Anomalie, die sich in
einer Beschleunigung seiner mittleren Bewegung, u, äußert, und die
Encke als Wirkung eines widerstehenden Mediums erklärte, keineswegs
von Umlauf zu Umlauf des Kometen konstant sei, sondern sich sprung-
haft ändere, derart, daß die einfache Annahme einer regelmäßigen Ver-
teilung dieses Mediums um die Sonne nicht aufrecht erhalten werden
könne, vielmehr durch eine unstetige zu ersetzen sei, etwa nach Art
von kosmischen Staubwolken, die den Raum um die Sonne bald in
geringerer, bald in größerer Dichte erfüllen.
Die allgemeinen Untersuchungen überhaupt über die Bewegung
der Himmelskörper in einem widerstehenden Medium, im Sinne von
20) Paris Bull. astr. 15 (1898), p. 323
21) Solche sind bisher außer beim Enckeschen Kometen noch vermutet
worden:
1. beim Fayeschen Kometen nach A. Möller, Astr. Nachr. 54 (1861), p. 353;
55 (1861), p. 273; 57 (1862), p. 215; ferner Encke, Berl. Jahrb. f. 1864 und
dann richtig gestellt: Astr. Nachr. 64 (1864), p. 145;
2. beim Winnekeschen Kometen nach den Rechnungen von Th. v. Oppolzer,.
Wien. Ber. 62 (1870); 68 (1873); ferner Astr. Nachr. 97 (1880), p. 149 und
besonders im Vergleiche mit dem Enckeschen und Fayeschen ebenda 97
(1880), p. 225. Die neue Bahnbestimmung von E.v. Härdtl, Wien. Akad.
Denkschr. I 55 (1888), II 56 (1889) bestätigt jedoch die Anomalie nicht;
3. beim Bielaschen Kometen, vgl. v. Hepperger, Wien Ber. 109 (1900); 112
(1908); 115 (1906);
4. beim Brorsenschen Kometen, vgl. J. Lamp, Kiel Sternw. Publ. 7 (1892) und:
J. Mahnkopf, Inaug.-Diss. Göttingen 1919, bei dem sich eine Verzögerung
der Bewegung um etwa 12 Stunden zwischen den Umläufen von 1868, 1873.
und 1879 zeigte.
22) Vgl. Encykl. VI, 22 (Oppenheim), Nr. 26. Zusammenfassende Berichte:
über die Störungsrechnungen sind enthalten in: J. F. Encke, Berl. Jahrb. für
1861; v. Asten, St. Petersb. Bull. 20 (1875) und O. Backlund, Paris Bull. astr. 11.
(1894), p. 473 und London Astr. Soc. M. N. 70 (1906), p. 429.
3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. 911
Encke, beginnen mit diesem.??) Die Widerstandskraft wird hierbei als
eine entgegengesetzt der Richtung der Bahntangente wirkende, stö-
rende Kraft, 7, angesehen und in allgemeinster Darstellung in der
Form ds
T=-— hl) v0)
; 2 die Geschwindigkeit des Kör-
pers in der Bahn und »(r) eine Funktion des Radiusvektors r be-
deuten. Sie gibt nach den Gleichungen (Encykl. VI 2,27 (Sundman),
Nr. 7, Gl. (29) als Störungen der zwei hauptsächlich in Betracht kom-
menden Elemente a, (bzw. n) und e
angenommen, wo h eine Konstante
da 2 dn EEE Re
(10) VER DRR ir EWR,
de = — 2h Ar!y?y(r)(cosv + e)dv
mit den Abkürzungen
m
W—hkm-2p ? A=YVl-+2ecosv+e.
Setzt man
* 3
A= 2 (ans 2u)an, 4, = “| Ar1r2y,(r)cosvdv,
ö 0
so folgen für die säkularen Teile der Störungen [=] und [de] die
Werte
d 3h’ Pr ;
F]=--e4A1+9+eA), [de]= — [A +2eA,]
und für ihr Verhältnis
dn] _ an 1—ed(A1 +9 — A) __ 3n
(11) (= ey = h, ER 4,+24 ee ae ae
Encke setzt in der Theorie seines Kometen
m—2, v(r)=r?
an, allgemeinere Annahmen machen Hansen und v. Oppolger:
m=1 oder 2, Y(r)= rn? bzw. e-*" oder et*!r.
Backlund wiederum
m beliebig, Yer)=rt.
23) Über die Bewegung der Himmelskörper in einem widerstehenden Me-
dium hat sich eine reiche Literatur gebildet. Aus ihr seien erwähnt außer den
Arbeiten von Encke, v. Asten und Backlund noch: P. A. Hansen, Astr. Nachr. 12
(1835), p. 334; O. Mossotti, London Astr. Soc. Mem. 2 (1826); Th. v. Oppolzer,
Astr. Nachr. 97 (1880), p: 49; O. Backlund, ebenda 101 (1882), p. 209; E. Rebeur
Paschwitz, Inaug.-Diss. Berlin 1883, und die Darstellung in den Lehrbüchern von
Pontecoulant, Theorie analytique du systeme du monde II (1829), chap. 3, und
F. Tisserand, M&e. ee. IV (1896), chap. 13.
912 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
Sie alle finden, daß man die Exponenten m und u, sowie auch die
Funktion »(r) innerhalb sehr weiter Grenzen willkürlich wählen kann,
ohne mit den Beobachtungsergebnissen in großen Widerspruch zu ge-
raten. Es folgt dies aus der Tatsache, daß die in dem Bruche [dn :: de]
auftretende Konstante H*) als Funktion der Parameter m, u oder A
betrachtet, nur innerhalb sehr enger Grenzen variiert (für m —=1, 2,
3,4,5 und u=2,3,4, schwankt H zwischen 1,00 und 0,93), derart,
daß aus der Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung,
entsprechend den empirischen Werten von [dn] und [de] kein voll-
zutreffender Schluß auf die Form des N a Yerciiie gezogen
werden kann.
Im Sinne von Encke wird hierbei das widerstehende Medium als
mit der Sonne mitbewegt und seine Dichte als mit der Entfernung
von ihr stetig abnehmend vorausgesetzt. Mit der weiteren Frage nach
dem Einflusse, den ein den ganzen Raum erfüllendes Medium, durch
das die Sonne dahinzieht und ihr Gefolge an Planeten und Kometen
mit sich führt, auf deren relative Bewegung ausübt, befaßten sich
Th. Bredichin®) und F. Tisserand.*) Die störenden Kräfte erscheinen
hier in der Form:
12) X-r1!N@ +0), Yan y+p, Zen y),
worin «,ß,y die Vektoren der Eigenbewegung der Sonne, V?= (x + «)?
+ (y + B)? + (2 + y)° bedeuten und k eine Konstante ist, für die
die ‚Theorie den Ausdruck cSm”! gibt, mit S gleich der Oberfläche
24) Unter Einführung der elliptischen Anomalie «, definiert durch
v—2am u modk = 2yell-+te)-',
gibt Backlund (l. c. Fußn. 23) der Gleichung (11) die Form
as [san "Eu. Aüm >21 2udu
ht BER NT Karat UT
dn Ine | 1-+e Saat" ?&u De 2 -i TER
und beweist, nach von H. Gylden [Studien auf dem Gebiete der Störungstheorie,
St. Petersb. M&m. 16 (1871)] gefundenen Relationen, daß für wachsende Werte
von m und u sich die Integrale einer und derselben Grenze nähern, so daß der
Quotient beider =1 und daher für diesen Fall () eg ze 2
3 wird, oder
H= nei bzw. A, =24A,. Die periodischen Teile von dn und de berechnet
Backlund als verschwindend klein.
25) Th. Bredichin, Moskau Obs. Ann. 6 (1880).
26) F. Tisserand, Paris Bull. astr. 10 (1893), p. 504 und Mee. cel. IV (1896)
chap. 13. i
3. Anomalien in den Bewegungen der Kometen. 913
und m der Masse des Kometen, beide als konstant vorausgesetzt. Sie
geben wie die ursprüngliche Enekesche Hypothese zu säkularen Stö-
rungen in den zwei Bahnelementen a und e Veranlassung, die außer
von einer Annahme über die Funktion p und den Vektoren der Sonnen-
bewegung, «, ß und y, auch von der Relativbewegung des Kometen
um die Sonne abhängen, sich aber für keine Annahme von p, den
Fall «= ß=y = 0 ausgeschlossen, durch den diese Anschauung mit
der Enckeschen identisch würde, mit den Ergebnissen der Beobach-
tungen beim Enckeschen Kometen in Übereinstimmung bringen lassen.
Weit besser dürfte ihnen, die auf einen unstetigen Verlauf der
Störungen hinweisen, die Seeligersche?‘) Theorie entsprechen, der die
Annahme zugrunde liegt, daß der interplanetarische Raum von Massen
erfüllt ist, die in ganz unregelmäßiger Verteilung der Anziehung der
Sonne folgen und um sie nach den Keplerschen Gesetzen ihre be-
stimmten Bahnen beschreiben. Sie können in zweifacher Weise auf
die sich in ihnen bewegenden Himmelskörper, namentlich die Ko-
meten, eine störende Wirkung ausüben:
1. in einer Art von durch diese Staubwolken verursachtem Wider-
stand, bei dem, wie die Entwicklungen Seeligers es zeigen, die stören-
den Kräfte proportional sind dem Quadrate der Geschwindigkeit des
Kometen und auch der Dichte dieser Massen, d. i. ihrer Menge in
der Volumeneinheit, ein Ergebnis, das mit den Annahmen Enckes
über die Wirkungsweise des widerstehenden Mediums in Übereinstim-
mung steht. Damit würden nicht nur die Bewegungsanomalien dieses
Kometen selbst, sondern auch ihre sonst rätselhaften diskontinuier-
lichen Änderungen in der Tatsache ihre genügende Erklärung finden,
daß die Verteilung der Massen eine ganz unregelmäßige ist;
2. in der durch die Zusammenstöße hervorgerufenen Massenver-
größerung?®) des sich in ihnen bewegenden Körpers.
Indes kommt bei den Kometen der letzte Fall weit weniger in
Betracht als beispielsweise beim Monde oder der Erde. Vielmehr ist
bei ihnen an eine Massenverminderung zu denken, die durch ihre An-
näherung an die Sonne und im Zusammenhange damit durch die Aus-
strömung von Materie aus ihnen, die zur Entstehung ihrer Schweife
27) H.v. Seeliger, Über Zusammenstöße und Teilungen planetarischer Massen,
München Akad. Abh. 17 (1891), ferner L. Picart, Sur l’aceeleration apparente du
mouvement de quelques comötes periodiques, Paris Bull. astr. 21 (1904), p. 139.
Vgl. auch Encykl. VI 2, 22 (Oppenheim), Nr. 26b und für den Lichtdruck 26c.
28) Über die Literatur zur Untersuchung der Bewegung zweier Körper um-
einander für den Fall, daß ihre Massen mit der Zeit veränderlich sind, vgl.
Encykl. VI 2, 22 (Oppenheim), Fußnote 173.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 60
914 VIs,18. S. Oppenheim. Kometen.
Veranlassung gibt, hervorgerufen wird. Bezeichnet y die Geschwindig-
keit der Ausströmung und « den Winkel, den deren Richtung mit
dem Radiusvektor des Kometen einschließt, so erhält man für diesen
Fall als störende Kräfte in der Bahnebene
(13) Kae dm x c08« + ysina ER dm ycosa — xsin«
m r ? m r ?
wobei es jedoch genügt, «= (0 zu setzen, da dann, d. i. im Perihel,
die Ausströmung am heftigsten ist. Aber durch sie entsteht eine sä-
kulare Abnahme der mittleren Länge des periodischen Kometen, mit-
hin das gerade Gegenteil von dem, was beim Enckeschen Kometen
durch die Beobachtungen festgestellt ist.
Endlich ist noch der Lichtdruck®®) zu erwähnen, durch den spe-
ziell bei Kometen Bewegungsanomalien entstehen können. Die durch
ihn entstehenden (störenden) Kräfte sind zweierlei Art, sowohl solche
in der Richtung des Radiusvektors wie auch, worauf zuerst H. Poyn-
ting°®) aufmerksam machte, senkrecht auf ihn. Sie zeigen eine Ähn-
lichkeit mit den Störungskomponenten, welche in der Annahme eines
widerstehenden Mediums auftreten, und können bei passender Wahl
der in ihnen enthaltenen Konstanten, oe als der Dichte und r des
Radius der umlaufenden Körper, eine Größe erreichen, die von der
gleichen Ordnung ist wie die beim Enckeschen Kometen konstatierten.
4. Masse der Kometen. Alle Versuche zur Bestimmung der Masse
der Kometen stimmen in dem Ergebnis überein, daß diese viel zu
klein ist, um sie nach den gewöhnlichen Methoden der Störungs-
rechnung aus den Störungen berechnen zu können, die sie auf die
Planeten oder deren Monde ausüben. Ein erster Versuch in dieser
Richtung rührt von Laplace®‘) her. Er weist auf die Beziehung
(14) 5 > 2 — Se - er —= — ma:mia,
durch die die Variationen der mittleren Bewegungen » und n’ oder
der Umlaufszeiten 7 und 7’ zweier sich gegenseitig störender Körper
miteinander verbunden sind, wenn m und m’ ihre Massen und a und
a‘ die Halbachsen ihrer Bahnen um die Sonne bedeuten. Da nun der
Lexellsche Komet im Jahre 1770, da er der Erde sehr nahe kam,
29) Vgl. H.C. Plummer, London Astr. Soc. M. N. 65 (1905), p. 229, und nach
einer Korrektur durch J. H. Poynting, ebenda 67 (1907), p. 63; besonders aber
H.v. Seeliger, Astr. Nachr. 187 (1911), p. 417.
30) J. H. Poynting, London Phil. Trans. 202 (1904), p. 525 und Phil. Mag.
9 (1905), p. 393.
31) P. S. Laplace, Mee. eel. IV, livre 9, chap. 3.
4, Masse der Kometen. 915
durch sie eine Störung im Betrage von
ön’:n = 66T’: T’ = — 104,79 ma’ oder 67T’ = — 0,11598 m Tage
erfuhr, so muß umgekehrt auch dieser von ihm die Störung
öon:n=6T:T = 104,79 ma oder dT = 0,11598 m’ Tage
erlitten haben. Schätzt man die Genauigkeit von 7 als der Dauer
der Umlaufszeit der Erde um die Sonne zu 2 sec = 0,000023 Tage,
so folgt als größtmöglicher Wert für die Masse des Kometen m’
1:5000 der Erdmasse.??) | /
Ein wesentlich anderer Versuch einer Massenbestimmung rührt
von E. Roche®?) her. Den Ausgangspunkt für sie bildet seine Theorie
der Gleichgewichtsfiguren der Kometen, aus der er unter Einführung
des Begriffs der freien Oberfläche die Näherungsgleichung
(15) Rery®
ableitet, worin R der Radius des Kernes (Dunsthülle des Kometen)
und r dessen Distanz von der Sonne bedeutet und aus ihr als unteren
Grenzwert für m — ausgedrückt in Einheiten der Sonnenmasse 3
’ wm 2R!.r7°
findet. Speziell für den großen Kometen 1858 VI. Domai berechnet
er aus R=15", r= 0,9, m = 132,10-"? Sonnen- oder = a, 10%
= 1:21300 Erdmassen.
32) Ebenso weist Laplace darauf hin, daß derselbe Komet bei seinen An-
näherungen an Jupiter in den Jahren 1767 und 1779 fast dessen Satellitensystem
durchquerte, ohne daß eine merkliche Störung in dem Laufe der Monde hat
nachgewiesen werden können, woraus folgt, daß seine Masse wohl noch viel
kleiner als 1:5000 der Erdmasse anzusetzen ist. Das gleiche trat ein beim Ko-
meten 1884 (III), der sich 1875 dem Jupiter bis auf 0,121 nach den Rechnungen
von R. Lehmann-Filhes [Astr. Nachr. 124 (1890), p. 1) näherte, noch mehr beim
Kometen 1889 (V), für den die kleinste Distanz vom Jupiter im Jahre 1886 gar
nur 0,0095 war [A..J. Chandler, Astr. J. 9 (1889), p. 9].
33) E. Roche, Reflexions sur la theorie des phönomenes come6taires, Mont-
pellier M&m. 4 (1860), vgl. Encykl. VI a, 21 (Oppenheim), Nr. 33 u. 34, Gl. (43).
Differenziert man diese Gleichung nach « und setzt in den dortigen Bezeich-
nu:gen M’= Masse der Sonne, M = Masse des Kometen, A = Distanz von der
Sonne und r = Radius der Dunsthülle des Kometen, so ergibt sich, noch speziell
u=0 angenommen, 2 M’A®= Mr° identisch mit der oben angeführten Relation.
Zu einer mit dieser Formel identischen — und nur durch den Zahlenfaktor von
ihr sich unterscheidenden — Formel kommen C. V. Charlier [Formation des cou-
rants meteoriques par la desagregation des come&tes, St. Petersb. Bull. 32 (1888)]
und L. Picard (Sur la desagregation des essaims meteoriques, Paris These de
fac. 1892), vgl. Eneykl. VI 2, 21 (Oppenheim), Nr. 87. Sie lautet m > 3.R’r-* und
entspringt der Bedingung der Stabilität der Bahn, die die Kometenmaterie um
den Kern beschreibt.
60*
916 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
Ein dritter Weg geht auf die Bewegungsverkältnisse ein, welche
die Komponenten eines in zwei oder mehrere Teile gespaltenen Ko-
meten zeigen, unter Einführung der Bedingung, daß sie einen gemein-
samen Ausgangspunkt haben. Darnach hat J. Hepperger®*) aus den
Bahnen der zwei Teile des Bielaschen Kometen im Jahre 1846,
nachdem beide 1852 wieder beobachtet wurden, dessen Masse zu
m = 1:2400000 der Erdmasse berechnet mit dem Hinweise, daß die
Normalörter der Beobachtungen aus dem Jahre 1846 nicht mit be-
friedigender Genauigkeit dargestellt werden, wenn m — 0 angenommen
wird, während bei der angeschriebenen alle Örter der einen Kompo-
nente sehr gut dargestellt werden und nur bei der zweiten in zwei
Örtern aus dem Jahre 1852 größere Abweichungen übrig bleiben, die
nur teilweise den Beobachtungen selbst zur Last zuzuschreiben sind,
teilweise aber aus anderen Ursachen entspringen (wahrscheinlich einem
in dem Zeitraume von 1846 — 1852 eingetretenen geringen Massenverlust).
Hierher ist auch der Versuch ©. V. Charliers®°) zu zählen, der auf
Grund des Satzes, daß, wenn zwei Körper sich in einer und derselben
Bahn hintereinander und in kurzem Abstand voneinander bewegen,
der vorangehende in seinem Laufe beschleunigt, der nachfolgende da-
gegen verzögert wird, die Bewegungsanomalien des Enckeschen Ko-
meten erklären will und damit zur Bestimmung seiner Masse zu
9,10-1 der Erdmasse gelangt. Die Annahmen, von denen hierbei
Charlier ausgeht, sind: 1. die Definition des kleinsten Abstandes der
zwei hintereinander sich bewegender Körper durch eine Verschieden-
heit der Epochen ihrer Bahnen (e und e’), wobei &e — €’ als eine kleine
Größe anzusehen ist, 2. die Entwicklung der Störungsfunktion nach
Potenzen von sin!(& — &,), die mit sin”?4(e — &,) beginnt, welches
Glied das größte ist, demgegenüber die anderen verschwinden und
3. die Anschauung, daß die störende Masse ein Teil des Kometen
selbst ist, so daß m = k(& — &,)° wird; damit wird der numerische
Betrag der Störung in der mittleren Bewegung n,
ön = imn’tsin”’4(e — &,).
Eine letzte Methode endlich beruht auf der Anwendung der Theorie
des Lichtdruckes auf Grundlage des Gleichgewichtes zwischen diesem
und der Anziehung des Kernes auf ein beliebiges Teilchen des Ko-
meten. Darnach berechneten A. F. und F\. A. Lindemann®®) die Masse
des Halleyschen Kometen zu 2,03 - 10! gr, d.h. 2,9: 10-'3 der Erdmasse.
34) J.v. Hepperger, Bestimmung der Masse des Bielaschen Kometen, Wien.
Ber. 115 (1906), p. 785.
35) ©. V. Charlier, Lund. Meddel. 29 (1906).
36) A. F. u. F. A. Lindemann, London Astr. Soe. M. N. 71 (1911), p. 156.
5. Helligkeit der Kometen. 917
5. Helligkeit der Kometen.?”) Die Beobachtungen und Reduk-
tionen der Helligkeitsverhältnisse der Kometen leiden an der Schwierig-
keit, daß es bis heute an einer einheitlichen Auffassung dessen man-
gelt, was man unter Helligkeit eines Kometen zu verstehen habe.
Manche Beobachter beachten nur die scheinbare Größe des fixstern-
ähnlichen Kernes, andere wiederum fügen auch die Helligkeit der
Nebelhülle hinzu, und so entstehen oft Unterschiede von mehreren
Größenklassen. Zur Erzielung eines einheitlichen Vorganges scheint
der Vorschlag von Holetschek”®) am geeignetsten zu sein, bei Hellig-
keitsschätzungen nicht so sehr auf den Kern oder eine besonders
hervorzuhebende Partie seiner Hülle, als vielmehr den ganzen Kometen
etwa derart in Betracht zu ziehen, daß man ihn mit dem schwächsten
zur Verfügung stehenden Fernrohr, wenn möglich sogar mit unbe-
waffnetem Auge mit in der Nähe befindlichen Sternen vergleicht. Die
nach dieser Methode erhaltene Zahl ist dann zwar nicht seine Hellig-
keit nach Art der Fixsterngröße, aber sie ist an diese gebunden und
könnte als seine Augenfälligkeit oder Gesamthelligkeit bezeichnet wer-
den, die sich als Resultierende seiner Flächenhelligkeit?®) und seiner
scheinbaren Größe ergibt.
Für die so gefundene Zahlengröße H wäre die Reduktion auf die
Einheit der geozentrischen Distanz, A, wie der heliozentrischen r nach
der Gleichung“) H = Or-?A-?
37) Die vollständigsten Untersuchungen über die Helligkeit der Kometen
verdankt man J. Holetschek, der in einer Reihe von Abhandlungen in den Denk-
schriften der Wiener Akademie (zitiert in der Literaturübersicht) die Angaben
über die Helligkeit H, die Größe des Durchmessers der Nebelhülle und die
Länge der Schweife $ einer einheitlichen Untersuchung unterzieht und zum
Schlusse Tafeln gibt, die mit dem Argument der Periheldistanz q und der Grenzen
von r, zwischen denen der Komet beobachtet wurde, für jeden beobachteten und
berechneten die Berechnung von H und $ gestatten. Man ist damit in der
Lage, für irgendeinen neuentdeckten Kometen, wenn seine Helligkeit gegeben
und seine Bahnelemente berechnet sind, den wahrscheinlichen Verlauf seiner
Helligkeitsänderung und seiner Schweifentwicklung vorauszuberechnen. Referat.
über die erste Abhandlung: J. Hartmann, Astr. Ges. Vjs. 32 (1897), p. 232.
38) Darnach hat J. Holetschek alle seit 1890. jeweilig sichtbaren Kometen
beobachtet. Vgl. Ann. Sternw. Wien 8 (1892); 12 (1896); 14 (1900); 20 (1907)
und 22 (1912), sowie Astr. Nachr. 149 (1899), p. 151; 151 (1900), p. 299 und 155
(1901), p. 267; 185 (1910), p. 257; vgl. auch H. Knox-Shaw, London Astr. Soc.
M.N. 71 (1911), p. 232.
39) Beobachtungen über die Flächenhelligkeiten des ganzen Kometen oder
auch nur seiner Teile schlägt .J. Hartmann vor, Berl. Ber. 1899, p. 677. Ge-
legentliche Versuche schon von G. Müller, Astr. Nachr. 114 (1886), p. 361.
40) Gegen diese Reduktion wendet sich F'. Deichmüller, Astr. Nachr. 131
(1893), p. 33 mit der Bemerkung, daß bei den Kometen mehr die Flächen- als
918 VI2,18. 8. Oppenheim. Kometen.
vorzunehmen, was am besten, wenn H in Größenklassen gegeben ist,
nach der Formel
(16) HB, = H—-SlgrA
geschieht. Das Ergebnis der nach dieser Methode von Holetschek viel-
fach durchgeführten Reduktionen war ein doppeltes:
1. Zunächst zeigte sich bei vielen Kometen, sowohl bei periodischen
und mehrfach, wie auch nur in einer Erscheinung beobachteten, daß
diese neue Zahl 4, bemerkenswert konstant bleibt, so daß es erlaubt
erscheint, aus den gefundenen Zahlen einen Mittelwert zu ziehen, der
als die reduzierte Helligkeit des Kometen gelten kann. Dies ist der
Fall bei den 33 Erscheinungen des Enckeschen Kometen von 1786
bis 1914, bei denen Holetschek den Nachweis erbringt, daß die an-
scheinend nach 11—13 Jahren wiederkehrenden Abwechslungen zwi-
schen helleren und schwächeren Wiederkehren‘!) auf das Zusammen-
wirken zweier Umstände zurückzuführen ist. Der eine ist physikali-
schen Ursprunges und bedingt durch die Eigentümlichkeit des Ko-
meten, daß er, wenn er in eine besondere Erdnähe kommt (wo er im
allgemeinen vor dem Perihel für die nördliche, nach demselben für
die südliche Erdhälfte sichtbar ist), nur vor diesem eine kernähnliche
Verdichtung zeigt, darnach aber verblaßt. Der zweite liegt in den
Bahnverhältnissen des Kometen, derart, daß für die Beobachtung gün-
stige und ebenso ungünstige Erscheinungen nach 3 x 3,3 = 10 bzw.
4 > 3,5 = 13 Jahren wiederkehren. Ein Zusammenhang mit der 11- bis
12jährigen Periode der Sonnenflecken ist damit ausgeschlossen.)
2. Sodann zeigen die abgeleiteten Zahlen 4, einen Gang meist
derart, daß H, bei kleineren Werten von r, also gegen das Perihel
zu, größer ist als bei größerem r. Dieser zweite (wohl allgemeinere)
Fall sagt aus, daß die Helligkeit des Kometen nicht mehr durch >?
allein bedingt erscheint, durch welches Gesetz einzig das reflektierte
Sonnenlicht berücksichtigt wird, sondern daß mit seiner Annäherung
an die Sonne Helligkeitssteigerungen verbunden sind, die als Beginn
von Ausströmungen aus dem Kerne und seiner Schweifentwicklung
angesehen werden können. Man kann daraus folgende Regel für die
Voraussage einer solchen aufstellen: Kometen, für die H, größer ist
die Gesamthelligkeit hervortritt und daher bloß die Formel H=(C.r7* ohne
Rücksicht auf A anzuwenden sei. Einwendungen dagegen von J. Holetschek,
Astr. Nachr. 131 (1893), p. 239 und H. v. Seeliger, Astr. Ges. Vjs. 38 (1903), p. 178.
41) A. Berberich, Astr. Nachr. 119 (1888), p. 49.
42) O. Backlund, London Astr. Soc. M. N. 70 (1910), p. 429, sowie J. ‚Ho-
letschek, Über die Bewegungs- und Helligkeitseigentümlichkeiten des Enckeschen
Kometen, Wien Sternw.-Kalender 1915.
5. Helligkeit der Kometen. 919
als 4”, bekommen fast alle im Perihel einen dem bloßen Auge sicht-
baren Schweif, der desto größer wird, je bedeutender die Annähe-
rung an die Sonne ist (Komet Halley, ferner Komet 1769), Kometen,
für die H, an 6” heranreicht, bekommen entweder gar keinen oder
einen so lichtschwachen Schweif, daß er nur unter besonders gün-
stigen Verhältnissen (bedeutende Erdnähe) mit dem Fernrohr gesehen
wird (Komet Encke, Komet 1652, 1723). In der Größendistanz zwi-
schen 4” und 6” scheint die Grenze für eine bedeutende Schweifent-
wicklung zu liegen. Sie hängt dann hauptsächlich von der Perihel-
distanz ab (Komet 1618 II, 1742),
Die Tatsache dieser Zunahme der reduzierten Helligkeit H, vor
und der Abnahme nach dem Perihel führte zu einer Reihe von Unter-
suchungen, den Potenzexponenten 2 in der Reduktionsformel durch
eine andere Zahl zu ersetzen, speziell jenen zu ermitteln, der den
Beobachtungen vor und nach dem Perihel am besten genügt. Die
Reduktion*?) erfolgt dann nach der Gleichung
(16a) H, =H— 5logA — algr,
und x wird als Charakteristik des Kometen bezeichnet. Merkwürdiger-
weise ergaben die Berechnungen für sie zumeist die zwei Zahlenwerte 9
und 13, denen als Exponenten von r 3,6 und 5,2 entsprechen, so daß es
den Anschein hat, als ob hier zwei Typen vorliegen, die durch diese
zwei Werte ausgezeichnet sind. Hierbei wird auch die Frage nach
der Berücksichtigung des Phasenwinkels berührt. S. Orlow findet, daß
durch sie die Lichtkurve des Kometen sich regelmäßiger gestaltet.
Dem stehen aber die Ergebnisse der photometrischen Beobachtungen
von @. Müller“) gegenüber, nach denen diese keine Spur einer Phasen-
einwirkung erkennen lassen, was auch aus dem Umstande folgt, daß
der Kern des Kometen ein aus kleinen Körpern zusammengesetztes
Konglomerat ist, das von der Sonne vollständig durchleuchtet wird,
wodurch der Einfluß der Phase wesentlich modifiziert, wenn nicht
ganz aufgehoben erscheint. Ebenso läßt sich gegen die Verwendung
einer höheren Potenz von r bei der Reduktion von H der Einwand
erheben, daß es sich bei den Helligkeitsschwankungen eines Kometen
um das Perihel herum um physische Veränderungen derselben han-
43) Untersuchungen dieser Art rühren her von: J. W. Backhouse, Observ. 16
(1893), p. 72; M. Ernst, Astr. Nachr. 187 (1911), p. 303; $. Orlow, ebenda 189
(1911), p. 1; 190 (1912), p. 157; 191 (1912), p. 441; 195 (1913), p. 309; H. Krit-
zinger, Astr. Nachr. 199 (1914), p. 137; de Mello e Simas, ebenda 192 (1912),
p. 343 und Erg.beft 4.
44) G. Müller, Astr. Nachr. 108 (1884), p. 116; 114 (1886), p. 361.
920 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
delt, deren verschiedene Stadien, wie die Ausströmung von Materie
aus dem Kerne und den Beginn der Schweifentwicklung geometrisch
durch eine einfache Potenz von r darzustellen wohl nicht angeht.
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen.) Nachdem
durch die Versuche von Regiomontan und die schon sichereren Beob-
achtungsergebnisse 7’ycho Brahes über die Parallaxe der Kometen ihre
kosmische Natur festgelegt worden war, entstanden über ihren Ur-
sprung zwei Hypothesen. Nach der einen (Laplace*®), Herschel‘'))
kommen die Kometen aus den interstellaren Räumen in unser Sonnen-
system, beschreiben ihre kurzen Bahnen um die Sonne, in deren Nähe
sie sichtbar werden, und verschwinden wieder in den unendlichen Raum,
wobei einige von ihnen bei Annäherung an einen großen Planeten,
besonders Jupiter, durch dessen anziehende Wirkung in eine ellip-
tische Bahn geworfen und damit zu periodischen umgewandelt wer-
den können. Nach der zweiten dagegen (Kant‘®)) sind sie ständige
Mitglieder des Sonnensystems und bewegen sich in ihm vorzugsweise
in Ellipsen mit großer Bahnexzentrizität, deren Abweichung von der
Parabel bei der Kürze des sichtbaren Teiles ihrer Bahn aus den Be-
obachtungen abzuleiten schwer fällt. Die Entscheidung über diese zwei
Hypothesen wurde auf doppeltem Wege versucht, zunächst durch sta-
tistische Untersuchungen über die Verteilung ihrer Bahnelemente mit
Rücksicht auf die Frage, ob sich in ihr eine Abhängigkeit von irgend-
welchen stellaren Beziehungen verrät, und sodann durch Wahrschein-
lichkeitsbetrachtungen über die Zahl von elliptischen oder hyperboli-
schen Bahnen bei bestimmten Annahmen über die Geschwindigkeit,
mit der sie in das Sonnensystem eindringen — hier wieder mit Rück-
sicht auf die Tatsache, daß die überwiegende Anzahl der beobachteten
Bahnen parabolischen Charakters ist.
45) O. Zanotti Bianco, Le idee di Lagrange, Laplace, Gauß, Schiaparelli
sull’ origine delle comete, Memoria storica, Torino Acad. Mem. 63 (1913), p. 95-
und E.Strömgren, Über den Ursprung der Kometen, Kopenhagen Obs. Pub. 19
(1914).
46) P. 8. Laplace, Sur les cometes, Add. Conn. de Temps pour 1816; Oeuvres,
Tome 13, p. 88.
47) J. F. W. Herschel, Outlines of Astronomy, London 1850, p. 376.
48) J. Kant, Naturgeschichte des Himmels, 2. Teil, 3. Hauptstück. Hier
wäre auch der Gedanke von J. Lagrange (Add. Conn. d. Temps, p. 1814) zu er-
wähnen, daß die Kometen durch heftige Ausbrüche aus den Planeten entstanden
sein dürften, als diese noch in ihrem Ursprungszustande waren. Kritische Be-
merkungen zu dieser Anschauung von F. Tisserand, Paris Bull. astr. 7 (1890),
p- 453 mit weiteren Literaturangaben.
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 991
Beide Probleme stehen vorerst in innigem Zusammenhang mit
der Frage nach den Grenzen für die Sichtbarkeit eines Kometen zur
Zeit seiner Entdeckung. Olbers*’) nimmt als äußerste Grenze hierfür
einen scheinbaren geozentrischen Abstand von der Sonne von 25—30°
an, J. Holetschek‘), der die Bahn eines Kometen zu bestimmen ver-
sucht, der während seiner günstigen Helligkeit nicht aus den Sonnen-
strahlen heraustreten kann, nur 15° bei einer theoretischen Helligkeit
zwischen den Grenzen 0,06 < H< 0,12.
a) Die scheinbare Verteilung der Bahnelemente der Kometen.
«) Perihellängen. Von den Bahnelementen der Kometen wurde
bezüglich ihrer Verteilung am Himmel vornehmlich die Richtungen
der großen Achsen (Perihellängen) untersucht. J. Bode°!) findet eine
Anhäufung der Kometenperihele in den Sternbildern der Zwillinge
und des Krebses und deren kleinste Zahl im Schützen und Steinbock
und meint, daß diese Tatsache ihre genügende Erklärung finde in der
größeren Zahl der Beobachter auf der nördlichen gegenüber der auf
der Südhälfte der Erde. Von einer ähnlichen Verdichtung bei den
heliozentrischen Längen 70° und 250° sprechen Brorsen°?), Lardner°?),
Carrington°*). Houzeau°®) berechnet den Mittelwert der Perihelvek-
toren (A = coslcosb, u—= sinlceosb, v=sinb) von 209 Kometen
und aus ihm die Lage des Schwer- und Mittelpunktes der Perihel-
pole. Er findet = 102°5, b= +8, und nach einer Teilung des
Himmels in zwei Teile durch einen senkrecht auf dieser Richtung
angenommenen Meridian für beide getrennt
„—1025, = +92; 12-2831, »— +68,
und da die zweite (l, = 281°8) nur wenig von dem Apex der Sonnen-
bewegung abweicht, glaubt er hierin einen Beweis für den stellaren
49) W.Olbers, Einige Bemerkungen über die Aufsuchung von Kometen,
Berl. Jahrb. 1809 und Briefwechsel mit F. W. Bessel, Bd. I, p. 35 = Ges. Abh. 3,
p. 452. Vgl. auch P. Harzer, Über die Wahrscheinlichkeit einen Kometen auf-
zufinden als Funktion seines Winkelabstandes von der Sonne, Astr. Nachr. 103
(1882), p. 65.
50) J. Holetschek, Wien. Ber. 83 (1888), p. 1099. — Die Helligkeit HZ = 0,06
entspricht der Annahme r= A = 2; H = 0,12 folgt ausr=q nn 72 2 nach der Glei-
chung yeltego+51°5)>r für imp— 0 und A—g+1,
51) J. Bode, Berl. astr. Jahrb. für 1812.
52) Th. Brorsen, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 337.
53) D. Lardner, London Astr. Soc. M. N. 13 (1853), p. 188.
54) R. Carrington, ebenda 21 (1861) und Mem. 29 (1861), p. 355.
55) J. C. Houzeau, Bull. Acad. Bruxelles 36 (1873), p. 315.
922 VIs2,18. S. Oppenheim. Kometen.
Ursprung der Kometen gefunden zu haben. A. Svedstrup®) sucht die
Kreise auf der Himmelskugel auf, um den sich die Perihele am dich-
testen gruppieren. Sind A, u,» deren Vektoren, x,y,z die Vektoren
der Pole der Kreise und o ihre Radien, so besteht die Aufgabe darin,
den Ausdruck De — (Aa + uy-+ va)
in dem die Summe sich auf alle in Rechnung gezogenen Kometen
erstreckt, mit der Nebenbedingung 2 + y + z2?=1 zu einem Mini-
mum zu machen. Die Lösung führt auf ein Ellipsoid, dessen drei
Hauptrichtungen den Extremwerten entsprechen. Aus 207 Kometen
aus der Zeit von 1557—1881, deren Bahnexzentrizität größer ist als
0,995, findet er für sie die Werte
1=1784 »=-+295 oder «= 193% d, = + 2909
ET OEN Rp Bine L: = 831 d,= + 3009
1, = 16009 db, = — 5904 = 1342 0, = + 4603
(Äquin. 1850,0),
von denen die erste Richtung nach dem Pole der Milchstraße (die
beste Bestimmung für ihn ist « = 192°, ö = + 29°), die zweite nach
dem Vertex der Sternbewegungen (« = 90°, öd = -+ 15°) zeigt, wo-
durch wieder ein Zusammenhang zwischen dieser Verteilung und ge-
wissen stellaren Tatsachen hergestellt zu sein scheint.
Gegen diese Beweisführung erheben besonders J. V. Schiaparelii?”)
und Holetschek°®) den Einwand, daß diese Anhäufungen sich vollständig
durch rein terrestrische Verhältnisse erklären lassen, die die Auffin-
dung und Beobachtung von Kometen begünstigen und keineswegs
dazu nötigen, in ihnen einen Beweis für deren stellaren Ursprung
anzunehmen. Diese Umstände sind: der Stand der meisten Kometen-
entdecker auf der nördlichen Erdhälfte, die Entdeckungszeit vor Mitter-
nacht, und die Kleinheit des Winkelabstandes von der Sonne. Ho-
56) A. Svedstrup, Astr. Nachr. 107 (1883), p. 113 sowie $. Oppenheim, ebenda
216 (1922), p. 47.
57) J. V. Schiaparelli, Entwurf, bes. Note 3: Über die Verteilung der Ko-
metenbahnen im Raume, p. 239. Vgl. auch R. Lehmann-Filhes, Astr. Nachr. 96
(1880), p. 145.
58) J. Holetschel:, Über die Richtungen der großen Achsen der Kometen-
bahnen, Wien. Ber. 94 (1886), p. 879; Über die Verteilung der Bahnelemente der
Kometen, ebenda 98 (1889), p. 1541; Über den Zusammenhang der heliozentri-
schen Perihellängen mit der Perihelzeit der Kometen, ebenda 99 (1890), p. 654.
Vgl. auch L. Fabry, Sur la probabilit&6 des comötes hyperboliques et l’origine
des comötes, Theses, Paris 1893, bes. chap. 4: Disposition des &l&ments des or-
bites telle qu’elle r&sulte de l’observation. |
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 9933
letschek; führt hier als maßgebende Größe die geozentrische Elongation
(I, —1) für Kometen, deren Periheldistanz q< 1 ist, und I, — Io + 180
für q>1 ein, und schließt, daß, da die Länge der Sonne lo zur Zeit
der nördliehsten Deklination 90° beträgt, in dieser Zeit, d. i. im Som-
mer, mehr Kometen gefunden werden als zu anderen Jahreszeiten, so
daß aus der Verdichtung der Perihellängen bei 90° bzw. 270° gegen-
über dem Minus bei 0° bzw. 180° nur gefolgert werden kann, wie
viel Kometen infolge einer: größeren Elongation von der Sonne ver-
loren gehen, ein Verlust?®), der, wie die Zählungen zeigen, gegen-
wärtig trotz der bedeutenderen Hilfsmittel der Astronomen, relativ
der gleiche ist, wie in der vorteleskopischen Periode.)
ß) Periheldistanzen. Untersuchungen über die Verteilung der
Kometen in einer Anordnung nach den Periheldistanzen gaben Schia-
parell?"), Holetschek°®) und auch Fabry.°®) Schiaparelli nimmt an, daß
der für ihre Beobachtung günstige Raum zwischen den zwei mit den
Radien r—= 0,5 und r = 1,2 um die Sonne gedachten Kugeln liege,
und berechnet sodann für verschiedene Periheldistanzen q die Zeit,
wie lange sich ein Komet in diesem Raume aufhalte. Aus der Tat-
sache, daß diese Zeit nahezu proportional ist der Zahl der Kometen,
schließt er auf eine gleichmäßige Verteilung der Kometen in bezug
auf g. Holetschek nimmt als Vergleichsobjekt die theoretische Hellig-
keit H=1:r?A?, setzt r = g und berechnet sodann A aus dem Drei-
ecke (Komet—Sonne— Erde), die heliozentrische Breite des Kometen
als bekannt annehmend. Auch er findet (für die Periheldistanzen
q—= 0,9 bis 2,1) eine näherungsweise Proportionalität zwischen g und
der Zahl der Kometen von einem bestimmten A. Immerhin zeigt
diese ein Maximum bei q = 0,8 bis 1,0, was offenbar mit den gün-
59) Aus einer Abzählung der Kometen nach der Elongation I = Io -+ 180
findet J. Holetschek:
für das Intervall 0°— 60°: 218 Kometen,
60°—120°: 109 AN
120°—-180°: 81 2
und schließt aus ihr, daß, wenn zwischen 0°—60° alle Kometen sichtbar und
entdeckt würden, die Zahl derer zwischen 60° und 120° nur mehr 0,50 und zwi-
schen 120°—150° gar bloß 0,37 der ersteren ist, so daß die Zahl der entdeckten
zur Zahl der verloren gegangenen sich verhält wie
(1 + 0,50 + 0,37): (0,00 + 0,50 -+ 0,68) = 1,87 : 1,13.
60) Neuestens hat wieder W. H. Pickering, Harv. Obs. Ann. (61) 3 (1911)
sowie London Astr. Soc. M. N. 72 (1912), p. 740 auf den Zusammenhang der
Perihelverteilung der Kometen mit dem Sonnenapex hingewiesen; gegen ihn
wendet sich A. S. Eddington, Observ. 36 (1913), p. 142, sowie @. Armellini, Roma
Acad. Line. Rend. 25 (1916).
924 VIs,18. S. Oppenheim. Kometen.
stigeren Sichtbarkeitsbedingungen für diesen Fall, für den A ein Mi-
nimum ist, zusammenhängt.®!)
y) Bahnknoten und Neigung. Die Knotenlängen der Kometen
zeigen eine fast gleichmäßige Verteilung am Himmel. Holetschek°®)
findet von 273 Kometen 144, deren Knoten zwischen 0°—180° und
129 zwischen 180°— 360°, Fabry eine noch gleichmäßigere, von
324 Kometen etwa liegen die Knoten von 160 zwischen 0°—180° und von
164 zwischen 180°—360°. J. Kleiber®?) legt der Behandlung des Pro-
blems folgenden Satz aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung zugrunde:
Verteilt man auf die Peripherie eines Kreises in beliebiger Weise
n Punkte und teilt sie sodann in m gleiche Abschnitte, so ist die
Wahrscheinlichkeit für die Zahl der Abschnitte, die # solche Punkte
enthalten, gegeben durch
lan s
Durch Abzählen der Kometen für je 2° Länge findet er Werte, die
mit dem nach dieser Formel berechneten theoretischen in genügender
Übereinstimmung stehen.
Auf ein ebensolches Wahrscheinlichkeitsproblem führt Zaplace®®)
die Frage nach der Verteilung der Neigungswinkel der Kometenbahnen
zurück. Veranlassung hierzu gab ihm die von D. Bernoulli (1734) auf-
geworfene Frage, ob wohl die Anordnung der Planetenbahnen gegen
61) Hierher wäre auch der Zusammenhang zwischen Periheldistanzen und
den Perihelbreiten der Kometen einzubeziehen (zweite Perihelregel von Holetschek,
die erste ist die Kleinheit der Elongation von der Sonne). Kleine Perihel-
distanzen sind, wie die Abzählungen zeigen, im allgemeinen mit großer südlicher
oder mit ebensolcher nördlicher Breite verbunden, die ersteren Kometen sind
dann nur für die Nordhälfte, die zweiten fast ausschließlich für die Südhälfte
der Erde beobachtbar, während bei Kometen mit großen Periheldistanzen mehr
niedrigere Breiten vorherrschen. Von der zweiten Gruppe gehen viele verloren,
weil auf der Südhemisphäre weniger Beobachter sich finden, ebenso aber auch
von der dritten, weil mit der größeren Periheldistanz auch eine größere Distanz
von der Erde und damit eine kleinere Helligkeit zusammenhängt. Eine Bestim-
mung der Zahl der dadurch unsichtbar bleibenden Kometen läßt sich jedoch
nicht durchführen.
62) .J. Kleiber, Astr. Nachr. 115 (1886), p. 135. Nach der gleichen Formel
behandelt Kleiber auch die Verteilung der Knoten der kleinen Planeten und
findet ebenfalls eine volle Übereinstimmung zwischen Theorie und Zählung; da-
gegen nicht mehr eine solche für die Knoten der Meteoritenbahnen.
63) P.S. Laplace, M&moire sur l’inclinaison moyenne des orbites des co-
metes, M&m, Acad. Paris 7 (1773) = Oeuyvres 8, p. 279 und Calcul des probabi-
lites, Livre Il, chap. 2, Nr. 13, sowie Sur les comötes, Conn. de Temps pour 1816
= ÖOeuvres 13, p. 88.
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 925
die Ekliptik und die Gleichheit ihrer Umlaufsbewegungen ein Werk
des Zufalls sei. Für die Planeten beantwortet Laplace die Frage da-
hin, daß die Wahrscheinlichkeit, daß die Summe der Neigungswinkel
der 10 bis 1812 bekannten Planeten nur 82° beträgt, und somit
kleiner ist, als der einer einzelnen Bahn es sein könnte, 12,108, d.h.
fast Null ist, und daher von einem Zufall nicht gesprochan werden
könne. Für 100 Kometen, deren Elemente bis 1811 bekannt waren,
und von denen 53 direkte, 47 eine retrograde Umlaufsbewegung hatten,
findet er als Mittelwerte ihrer Neigungswinkel 45°1 und 48°2, und
als Gesamtmittel 46°6, sodann als Wahrscheinlichkeit dessen Abwei-
chung von 45°, 0,474, die er dahin deutet, daß im Gegensatz zu den
Planeten die Kometen das Streben haben, sich in ihrer Bahn von der
Ekliptik zu entfernen. Gegen diese Lösung von Laplace erhob Cour-
not®) den Einwand, daß er bei seiner Berechnung jedem Neigungs-
winkel © eine Ebene zuordnet, was nicht richtig ist («= 0 entspricht
wohl eine Ebene, die Ekliptik, aber jedem © > 0 schon unendlich viele),
und daß daher der Mittelwert der Neigungen nicht 45°, sondern nach der
Formel berechnet, “ s
2 2
90° — feicosidi: [eeosidi — 5703
i Ä
0
zählt. Eine tatsächliche Zählung‘) von 291 Kometen ergab
TE IE BR: 28: in 0208
erlbbiretröpaden innen, u ih
»„ 933 periodische, deren Umlaufszeit
kleiner ist als 100 Jahre . . 21°0.
Dadurch ist ein wesentlich verschiedenes Verhalten der rein parabo-
lischen Kometen gegenüber den periodischen gekennzeichnet.
6) Bahnexzentrizität. Am einfachsten ist die Untersuchung
der Verteilung der Kometen, was die Exzentrizität ihrer Bahnen an-
langt. Abgesehen von den kurzperiodischen Kometen, deren Umlaufs-
zeit zwischen 3—8 Jahren zählt und deren Exzentrizität zwischen
0,6—0,8 liegt, ist sie für alle anderen durchwegs nahe gleich der Ein-
heit (parabolischer Charakter der Bahn) mit einem Überwiegen nach
der negativen Seite (elliptische Bahn) gegenüber der hyperbolischen.
Über die Bedeutung dieser Verteilung vgl. die folgende Nr. 6.c).
64) A. Cournot, Sur la distribution des orbites com&taires, erschienen als
Anhang zur französischen Ausgabe der Astronomie von J. Herschel, Paris 1834.
65) Nach L. Fabry, Fußn. 58).
926 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
b) Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen über den Ursprung der Ko-
meten.°°) Die zweite Gruppe von Untersuchungen über den Ursprung
der Kometen befaßt sich mit der Frage nach der Verhältniszahl zwi-
schen den elliptischen und hyperbolischen Kometenbahnen. Den Aus-
gangspunkt für sie bilden zwei Annahmen:
1. Kometen, deren Periheldistanz g unter einer bestimmten Grenze
liegt, im allgemeinen wird als solche g—= 2 angesetzt, kommen in
den Sichtbarkeitsbereich der Erde. Werden wie üblich die Bahnkon-
stanten: Flächengeschwindigkeit = c, Parameter = p, große Halbachse
— a, Radiusvektor = r und der Winkel zwischen Geschwindigkeit und
Radiusvektor = H gesetzt, so gelten die Gleichungen
e=vrsnH, p= dk, !—l(- _— -)» q=al—.c).
Aus ihnen folgt
(18) v = 2k?gr'(r — g)(r? sin®H — q?)-!
und unter Einführung von z=vsinH, y= vcosH und den Abkür-
zungen A4—=2Ktyr (rt)! BR=2MRr'r'(ir —q
(18a) 2
d. i., da stets g<r anzunehmen ist, die Gleichung einer Hyperbel
mit dem Asymptotenwinkel
2
5-1,
B $ q
etga — TI N
Ihre Bedeutung ist die folgende: Betrachtet man einen Kometen K
in der Entfernung r von der Sonne S, trägt von K aus seinen Ge-
schwindigkeitsvektor v auf, und konstruiert sodann diese Hyperbel,
so trennt das durch deren Rotation um die Achse KS entstehende
Rotationshyperboloid die Kometen, deren Periheldistanz <g ist, die
also von der Erde aus gesehen werden können, von jenen, für die q
zu groß ist, und die die Sichtbarkeitsbedingung von der Erde aus
nicht erfüllen.
2. Es wird eine bestimmte Verteilungsfunktion p für die Ge-
schwindigkeit v eingeführt, mit der die Kometen in den Anziehungs-
bereich der Sonne geraten, und dabei vorausgesetzt, daß sie bloß von
v, nicht aber von r und dem Winkel HZ abhängt. Schlägt man nun-
mehr um den Punkt zwei Kugeln mit den Radien v und v + dv, so
schneiden diese aus dem Hyperboloid einen Raum aus, dessen Ober-
fläche, Calotte — wobei nur der der Sonne zugewandte Teil zu nehmen
66) Einen ausführlichen Bericht über diese enthält die Doktorthese von
L. Fabry, Fußn. 58), sowie ferner O. Zanotti Bianco, Fußn. 45).
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 9927
ist —, zur Oberfläche der ganzen Kugel das Verhältnis der Kometen
mit den Geschwindigkeiten v und v + dv und der Periheldistanz <q
zur Gesamtanzahl aller zwischen den beiden Kugeln angibt.
Diese Zahl ist
(19) N()dv = - p(v) dv ( — eye Bei =) i
Bei der durchzuführenden Integration ist der Ausdruck in zwei Teile
zu teilen, je nachdem A Z v; ferner ist als untere Integrationsgrenze 0
und als obere entweder eine Maximalgeschwindigkeit v, anzunehmen
oder eine kleinere v,, die einem bestimmten Charakter der Bahn (ellip-
tisch oder parabolisch) entspricht. Die erstere
9) no} [o@ar+} /sw@arlı-yı-Eyı-E
gibt die Zahl aller jener Kometen an, die mit den Geschwindigkeiten
zwischen den Grenzen 0 bis v, und der Periheldistanz <g in den
Bereich der Sonne gelangen, die zweite
(19) N(v)= eo dv 4 : fo@ do(1 aut sr
bloß jene, deren Bahn die verlangte Eigenschaft hat, so daß endlich
(20) x = N(v,): N(v,)
‘die gesuchte Verhältniszahl der Kometen darstellt, die von der Erde
aus gesehen werden können und deren Bahn von einem bestimmten
Charakter ist, zu der aller überhaupt sichtbar werdenden.
Laplace‘”), der nur den Fall p(v) = konst behandelt, setzt q = 2,
v, = ©, r als den Radius der Wirkungssphäre der Sonne = 100000,
und bestimmt v, aus der Bedingung, daß Hyperbeln, deren Exzentri-
zität 1,02, deren Halbachse somit = 100 ist, zu den durch die Rech-
nung von den parabolischen nicht mehr zu unterscheidenden gehören.
Er findet daraus für x eine Zahl, die nur wenig von 1 verschieden
ist, was bedeutet, daß die Zahl der rein parabolischen oder ellipti-
schen Kometen der aller überhaupt sichtbaren gleichkommt, ausge-
sprochene Hyperbeln mit Exzentrizitäten größer als 1,02 also äußerst
selten sind. Damit erscheint der interstellare Ursprung der Kometen
erwiesen. Wie jedoch Gauß®) und Schiaparelli®”) nachweisen, ist
67) P. S. Laplace, Sur les comötes, Paris Conn. d. Temps pour 1816 = Oeuvr.
13, p. 88.
68) ©. F.Gauß, Werke 4, p. 581 (Compte rendue du mem. de Laplace).
69) J. V. Schiaparelli, Entwurf, Note 7, ferner Mem. Inst. Lombardo 12 (1873)
und 17 (1878). |
928 VIg,18. S. Oppenheim. Kometen.
hierbei Laplace ein Entwicklungsfehler unterlaufen, dessen Verbesse-
rung zur Folge hat, daß dessen Ergebnis in das gerade Gegenteil um-
schlägt. Gauß‘®) und später v. Seeliger‘) weisen außerdem darauf hin,
daß die Anschauung, g(v) = konst, d. i. einer gleichen Wahrschein-
lichkeit für alle Geschwindigkeiten von v— 0 bis v fast gleich oo
nicht zutreffend sein könnte. Seeliger stellt als obere Grenze für v,
etwa das 1Ofache der Bahngeschwindigkeit der Erde (29,6 kmsec-!)
fest, die erfahrungsgemäß der größten kosmischen Geschwindigkeit
entspricht. Aber damit ergibt sich merkwürdigerweise wieder genau
dasselbe Resultat, das Laplace gefunden, nämlich ein Überwiegen der
elliptischen Bahnen über die merklich hyperbolischen. Erst die An-
nahme p(v) = Cv? kehrt das Verhältnis, indem nach ihr x sehr klein
folgt, in das Gegenteil um. Es ist also x wesentlich von der An-
nahme über gp(v) abhängig.
Endlich macht Schiaparelli noch darauf aufmerksam, daß man bei
diesen Betrachtungen auch den Einfluß der Bewegung der Sonne mit
zu berücksichtigen habe. Es wird dies erzielt durch die Annahme
21) 9) — 4 [FO sinBaE —4 (Fo) sinBaE(1 —%;sintE)"},
wenn c als die relative Geschwindigkeit des Kometen beim Eintritt
in den Wirkungsbereich der Sonne, mit g deren Eigenbewegung
wa die Beziehung
—=e@+9g°— 2gecosE oder c—=geosE + Yo? — g’sin?E
verbunden gedacht werden und die Grenzen der Integrale 0 und 5
sind, wenn gq<v, und O und arcsin En für gg>v. Die Annahme
F(e) = konst führt für die beiden Fälle auf
P)—gRtg tt, h)—gKöttt,
die in erster hang für die Grenzwerte 9 <v bzw.v <g in die
zwei oben behandelten
p(v) = konst und gw)=(Ü-v
übergehen, worin diese zwei speziellen Annahmen ihre Begründung
finden. Führt man aber die Integration exakt durch, mit Rücksicht
auf den aus den Beobachtungen folgenden Wert von g, so folgt hier
für beide Annahmen Fe) = konst oder F()=K-c in gleicher
Weise für x eine sehr kleine Zahl, d. h. ein bedeutendes Fehlen von
parabolischen oder elliptischen Bahnen gegenüber den ausgesprochen
70) H.v. Seeliger, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 257 u. 415.
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 929
hyperbolischen. Auch weitere Annahmen, die Fabry in seiner Unter-
suchung macht, besonders in Anknüpfung an eine neue Problemstel-
lung von Davis”'), führen zu demselben Ergebnis, einem Überwiegen
hyperbolischer Bahnen und damit zu der Anschauung, daß die Ko-
meten keineswegs aus dem interstellaren Raume in das Sonnensystem
kommen, sondern wegen des meist parabolischen Charakters ihrer
Bahnen dessen ständige Mitglieder sind.’?)
In anderer Art kommen K. Hillebrand”®) und G. Armellini”*) zu
demselben Resultate, daß die Kometen dem Sonnensysteme angehören
und ihr Ursprung in Entfernungen von der Sonne liegt, die im Ver-
hältnisse zu den Distanzen vom nächsten Fixsterne noch als sehr
klein zu bezeichnen sind. Jener, durch den Nachweis, daß selbst rein
elliptische Bahnen, deren Apheldistanz dem 7Ofachen der Neptun-
distanz gleichkommt, sich nicht mehr von rein parabolischen unter-
scheiden lassen, worin das so häufige Vorkommen solcher, wie es die
Berechnungen zeigen, ihre Erklärung findet, dieser, durch die Behand-
lung der Frage, daß die Wahrscheinlichkeit, daß Kometen, die mit
beliebiger Geschwindigkeit in das Sonnensystem eindrirgen, in ihrer
Bahn eine kleine Periheldistanz erhalten und damit sichtbar werden
können, eine äußerst geringe ist.
c) Die Problemstellung E. Strömgrens. Auf einen wesentlich an-
deren Standpunkt stellen sich Strömgren”) und nach ihm Fabry”®)
und Fayet.'”) Sie legen den Hauptwert der Untersuchung auf die Be-
stimmung der Exzentrizität jener Bahn, die der Komet durchlief, als
71) A.S8. Davis, On the probable character of cometary orbits, Phil. Mag.
2 (1870), 3 (1871).
72) Gegen diese Folgerung wendet sich @.v. Niessl [Astr. Nachr. 135 (1894),
p. 147] mit der Bemerkung, daß zu ihrer vollen Rechtfertigung noch die Be-
rücksichtigung von H in der Annahme über die Verteilungsfunktion p, d. h.
deren Abhängigkeit von v und H notwendig wäre.
73) K. Hillebrand, Wien. Akad. Denkschr. 81 (1908).
74) @. Armellini, Roma Acad. Linc. Rend. (23) 1 (1914), p. 304. Vgl. auch
Fessenkoff, Paris C. R. 158 (1914), p. 541.
75) E. Strömgren, Über die Kometenbahn-Exzentrizitäten, Lund. Medd. 1
(1898), 2 (1899); ferner Analytische Störungsausdrücke für parabolische Bahnen,
Astr. Nachr. 169 (1905), p. 1; Ein Satz über Kometenstörungen, ebenda 170 (1905),
p. 17; Über die kosmogonische Stellung der Kometen, Astr. Ges. Vjs. 45 (1910),
p. 315, sowie die zusammenfassende Abhandlung: Über den Ursprung der Ko-
meten, Kopenhagen Obs. Publ. 19 (1914).
76) L. Fabry, Paris C. R. 138 (1904), p. 335.
77) @. Fayet, Sur l’orbite anterieure de la com&te 1892 II, Paris Bull. astr.
7 (1900), p. 104, sowie Recherches concernant les excentricit@es des comötes, Paris
Fac. These 1906.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2. 61
930 VI2,18. S. Oppenheim. Kometen.
er weit von der Sonne und allen störenden Planeten entfernt war.
Diese Exzentrizität ist nämlich keineswegs mit jener identisch, die
bei der Bahnbestimmung des Kometen mit Rücksicht auf die nur
während der Beobachtungszeit erlittenen Störungen aus dem gesamten
Beobachtungsmaterial abgeleitet wird und im Gegensatze zu der erste-
ren, der konvergierenden, als deren Oskulationswert zu bezeichnen
wäre. Jener stellt den wahren Charakter der Bahn dar, in der der Ko-
met in die inneren Teile des Sonnensystems eingewandert ist, dieser er-
streckt sich nur auf die kurze Strecke um das Perihel herum, während
der er sichtbar war, und ist mehr als eine Zufallsgröße zu betrachten,
abhängig von der Stellung der Planeten während dieser Zeit. Man hat
daher die Aufgabe, um über die kosmogonische Stellung des Kometen
klar zu werden, aus dem oskulierenden Wert der Exzentrizität dessen
konvergierenden zu finden. Diese Berechnung ist auf doppeltem Wege
durchzuführen. Vorerst hat man die oskulierende Exzentrizität von
den periodischen Schwankungen zu befreien, die von den durch die
Planeten auf die Sonne ausgeübten Störungen herrühren. Dies erfolgt
durch Übergang der Bahnelemente von der Sonne als Mittelpunkt auf
den Schwerpunkt von Sonne und störenden Planeten. Mit diesem ist
sodann die Rückwärtsrechnung der Störungen bis zu einem, Zeitmo-
mente vorzunehmen, wo er schon so weit von Sonne und Planeten
stand, daß angenommen werden kann, daß er annähernd in seiner ur-
sprünglichen Bahn um die Sonne lief.
Den ersten Ansatz zu einer solchen Rückwärtsrechnung führte
für den Kometen 1886 II T’hraen“®) durch und wies nach, daß dessen
hyperbolische Oskulationsexzentrizität von 1885, 5. Dezember, bis 1882,
5. Oktober, von 1,000228, 1,000177, 1,000052 bis 1,000002 abnahm,
woraus er unter der Annahme, daß bei weiterem Zurückgehen sie
sogar unter die Einheit sinken würde, trotz der aus den Beobach-
tungen [abgeleiteten hyperbolischen Bahn auf den elliptischen Cha-
rakter der wahren Bahn schließt, in der der Komet sich der Sonne
näherte. Eine zweite gibt Strömgren“®) für den Kometen 1890 I.
Nach ihr sind in dem Zeitraum von 1890, 17. März, bis 1886,
25. August, die oskulierenden Werte der Exzentrizität 1,0004344,
1,0001916, 1,0001828, 1,0002862, 1,0003856, die auf den Schwer-
punkt bezogenen dagegen 1,0012733, 1,0006288, 1,0003069, 1,0001903,
1,0001497, die ersteren zeigen die von den Störungen der Planeten
78) A. Thraen, Definitive Bahnbestimmung des Kometen 1886 II, Astr.
Nachr. 136 (1894), p. 133.
79) E.Strömgren, Berechnung der Bahn des Kometen 1890 II, Lund. Acta
Soe. 7 (1896).
6. Die kosmogonische Stellung der Kometen. 951
auf die Sonne herrührenden Schwankungen, die letzteren wohl nicht
mehr, doch ist ihr Grenzwert noch nicht zu übersehen, und erst
eine weitere Rückwärtsrechnung zeigte den elliptischen Charakter der
ursprünglichen Bahn mit — + 0,0000718.
Man kann diese Rückwärtsbestimmung nach den Methoden der
speziellen Störungsrechnungen vornehmen, doch geben Strömgren wie
Fayet auch analytische Ausdrücke für sie an, letzterer für die Stö-
rungen der Exzentrizität direkte, ersterer für den reziproken Wert
der großen Halbachse der Bahn. Für die Berechnung eines Maximal-
wertes des Restes, der nach der bis zu einem gewissen Zeitpunkt
durchgeführten Störungsrechnung noch übrig bleibt, gibt Strömgren
den interessanten Satz ®")
)
A (2) x m, (1 —- Pe ei
worin R, den (Maximalwert des) Radiusvektor des störenden Planeten,
r den des Kometen und v, dessen wahre Anomalie für die Epoche
bedeuten, bis zu der die numerische Integration rückwärts vollführt
war. Durch ihn wird man in den Stand gesetzt, eine obere Grenze
für den nicht gerechneten Teil der Störungen mit mathematischer
Strenge zu bestimmen. Indirekt kann man aber auch entscheiden,
wie weit rückwärts man die Störungsrechnung führen muß, um sicher
zu sein, daß der unberücksichtigte Teil der Störungen verschwindend
klein ist.
Das Ergebnis der weitläufigen strengeren Rechnungen Ström-
grens wie der genäherten Fayets ist auch für die Anschauung,
daß die Gesamtheit der bis nun beobachteten Kometen im Sonnen-
system ihren Ursprung habe, überzeugend.®!) Fayet findet, daß unter
24 Kometen, für die die Bahnbestimmung eine Hyperbel lieferte, 15
durch die Rückwärtsberechnung elliptisch wurden, während für die
anderen der Unterschied der Exzentrizität gegen 1 innerhalb der durch
80) E. Strömgren, Ein Satz über Kometenstörungen, Astr. Nachr. 170
(1905), p. 17.
81) Gegen diese Schlußfolgerung (völlige Abwesenheit byperbolischer und
einziges Vorhandensein elliptischer Bahnen) wendet sich Schiaparelli [Paris Bull.
astr. 27 (1910), p. 197 u. 241] mit der Bemerkung, daß damit noch nicht die Zu-
gehörigkeit der Kometen zum Sonnensystem erwiesen erscheint. Doch mit Un-
recht. Denn die durch die Störungen der Planeten sich vollziehende Auswahl
zwischen den durch sie in elliptische umgewandelten Kometen gegen die rein
hyperbolischen, die wohl das Sonnensystem verlassen müßten, genügt nicht, um
den vollen Mangel an verbürgten hyperbolischen Bahnen zu erklären,
61*
932 VI2,18. $. Oppenheim. Kometen.
deren mittleren Fehler bestimmten Grenzen liegt, daß ferner von den
anderen von ihm untersuchten elliptischen oder rein parabolischen,
an Zahl 122, nur 15 eine hyperbolische Bahn erhielten, aber eben-
falls von sehr kleiner Differenz gegen 1, deren Größe von der glei-
chen Ordnung ist wie die Unsicherheit in der Exzentrizität selbst. Das
gleiche zeigen auch die Ausführungen Strömgrens bezüglich der 8 von
ihm berechneten Kometen. Nur bei zweien bleibt ein kleiner hyper-
bolischer Rest, der aber mit Rücksicht auf den mittleren Fehler von
= ganz illusorisch ist, die anderen gingen in Ellipsen über oder ihre
a
Elliptizität wurde verstärkt.°?)
7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium.
Für die Bahn des von Messier entdeckten Kometen 1770 I berechnete
-Lexell®®) eine Ellipse von 5,6 Jahren Umlaufszeit. Trotz eifrigen Su-
chens wurde er jedoch bei seiner nächsten (1777) und der folgenden
(1783) Wiederkehr zum Perihel nicht wieder gesehen, noch auch
Spuren von ihm in eventuellen früheren Erscheinungen gefunden.
Dieses Rätsel lösten Laplace®) und Burckhardi®°) durch den Nach-
weis, daß der Komet erst 1767 durch Jupiter in die beobachtete
Bahn und 1779 bei einer neuen Annäherung an diesen wieder aus
ihr in eine neue abgelenkt wurde, so daß er nur 1777 hätte beob-
achtet werden können, da aber für ihn ungünstige Sichtbarkeitsver-
hältnisse vorlagen. Die Exzentrizität und die Periheldistanz seiner
Bahnen 1767 vor Eintritt in die Wirkungssphäre des Jupiter und
1779 nach dem zweiten Eintritt in sie, sowie ihre Werte, entspre-
82) Eine interessante Untersuchung führte A. O. Leuschner, Publ. Pac. Soc.
19 (1907), p. 19 durch, indem er nachweist, daß die Zahl der rein parabolischen
Kometen gegenüber den elliptischen mit der wachsenden Steigerung der Ge-
nauigkeit der Beobachtungen abnimmt, wie sie sich teils in den Beobachtungen
der neueren Zeit gegenüber denen der älteren Perioden, teils in der längeren
Dauer der Sichtbarkeit ausspricht. In den Jahren zwischen 0—1755, 1756—1845
und 1846—1895 gab es 89%,, 74%, und 54%, parabolischer Kometen; bei einer
Sichtbarkeitszeit von 1—100, 101—289 und 290—511 Tagen 68°/,, 55°), und 13°,
solcher.
83) A. Lexell, Petersb. Acad. Mem. 1777—1781.
84) P. 8. Laplace, M&c. eel. IV, livre 9, chap. 3.
85) J. K. Burckhardt, Paris Acad. Mem. 1806, vgl. ferner über diesen soge-
nannten Lexellschen Kometen: Th. Clausen, Astr. Nachr. 19 (1842), p. 121; H.d’Ar-
rest, ebenda 46 (1857), p. 98, ferner U. J. Leverrier, Recherches astronomiques
chap. 11, Paris Obs. M6m. 3 (1857) und endlich den Versuch des Nachweises
seiner Identität mit dem periodischen Kometen 1889 V von C. Lane Poor, Co-
lumbia Obs. Contr. 22 (1904) mit den kritischen Bemerkungen von @. Deutsch-
land, Astr. Nachr. 181 (1909), p. 1.
7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium. 933
chend den Beobachtungen, waren nach Laplace
I (1767) II (1770) II (1779)
e = 0,6177 e = 0,1855 e = 0,4780
q = 0,0826 q = 0,6774 q = 3,3346
und die kleinste Distanz vom Jupiter war (I) 0,0196, (III) 0,066.
Sie zeigen den gewaltigen Einfiuß, den Jupiter als störender Planet
auf die Bahn eines Kometen ausüben kann, wenn die Annäherung an
ihn eine besonders große ist.°®)
Die weiter folgenden Entdeckungen periodischer Kometen brachten
die neue Tatsache zur Erkenntnis, daß sich diese, was ihre Umlaufs-
zeiten anlangt, in mehrere streng voneinander zu trennende Gruppen
teilen lassen. Zur ersten gehört der Halleysche Komet mit einer
Periode von 75 Jahren, zu dem noch Komet 1813 I (Pons) mit 73,
1815 (Olbers) mit 74 Jahren Umlaufszeit hinzukamen; einer zweiten
Gruppe sind zuzuzählen Komet 1790 II (Mechain) mit 14 und 1846 VII
(Peters) mit 13 Jahren Umlaufszeit und zur dritten die vielen Ko-
meten von 5—8 Jahren Periode, zu denen auch der Enckesche Komet,
1786 I, mit 3,3 Jahren gehört. Diese Ergebnisse vervollständigte end-
lich M. Roller‘) durch die neu von ihm aufgefundene Beziehung, daß
diesen nahe gleichen Umlaufszeiten auch nahezu gleiche Apheldistanzen
entsprechen, die für jede Gruppe auf einen der großen Planeten hin-
weisen, gleichsam als jenen, durch dessen Störungen die Bahnum-
wandlung sich vollzog. Faßt man zunächst jene Kometen ins Auge,
die mindestens in zwei Wiederkehren beobachtet sind und deren Ele-
mente als gesichert betrachtet werden können, so erhält man: 1. für
17 Kometen mit Umlaufszeiten zwischen 5—8 Jahren (den Enckeschen
Kometen ausgeschlossen) mittlere Apheldistanz — 5,62, während die
des Jupiter 5,425 beträgt; 2. der Mechain-Tuttlesche Komet, 7T= 12
Jahre, Apheldistanz — 9,54, während die des Saturn 10,08 ist;
3. 5 Kometen mit Perioden zwischen 62—75 Jahren, mittlere Aphel-
distanz 32,9, während die des Neptun 30,4 ist. Hierzu kommen noch
von den bloß in einer Erscheinung beobachteten zwei mit 7’ zwischen
33—40 Jahren, mittlere Apheldistanz 20,7 und der des Uranus — 20,1;
86) Weitere solche Bahnumwandlungen berechneten: H. d’Arrest für den
Brorsenschen Kometen, 1846 III, dessen Annäherung an Jupiter 1842 stattfand,
Astr. Nachr. 46 (1857), p. 100; R. Lehmann-F’ilhes für den Kometen Wolf, 1884 III,
für die Jupiternähe im Jahre 1875, ebenda 124 (1890), p. 1; dann S. ©. Chandler
für den Kometen, 1889 V, für die Annäherung an Jupiter 1886, Astr. J. 9 (1889),
p- 100, sowie C. Lane Poor, ebenda 10 (1890), p. 91; allgemeine Untersuchungen
über solche Bahnumwandlungen von O Callandreau, Fußn. 14.
87) M. Roller, Astr. Nachr. 75 (1870), p. 331.
954 VI2,18. $. Oppenheim. Kometen.
endlich zwei, deren 7 120 und 128 Jahre zählt und deren Aphel-
distanz im Mittel 48 ist und vier mit Perioden zwischen 235 und
307 Jahren und der Apheldistanz 84.)
Die Tatsache solch bedeutender Bahnumwandlungen von Kometen
durch den störenden Einfluß des Jupiter führte zu dem Problem, aus
den Elementen a,, &,, ?,, 7%, %, und 7,, die für den Moment des Ein-
tritts in die Wirkungssphäre des Jupiter gelten, die neuen «,, &, P;,
X, i, und 7, gültig für den Austritt aus ihr zu berechnen. Tisse-
rand®”) gab zuerst eine Lösung desselben unter der vereinfachenden
Annahme, daß die Bahn des Jupiter kreisförmig ist (mittlere Bewe-
gung —n") und kommt hierbei zu der Beziehungsgleichung®®)
= + 2n’ Vo, cosi, + R, -.. + 2n’Vp, c0si, + R, — konst,
in der ©, und i, die Neigungswinkel gegen die Bahnebene des stören-
den Planeten und AR, und A, zwei mit deren Masse multiplizierten
Glieder bedeuten, die im allgemeinen so klein sind, daß sie vernach-
lässigt werden können.?!) Eine Berechnung dieser Konstanten X für
88) Vgl. W. H. Pickering, Harvard Obs. Ann. (61) 3 (1911), der aus dieser
Analogie auf die Existenz zweier Planeten außerhalb der Neptunbahn mit den
bez. Halbachsen 48 und 84 schließt und deren Bahnbestimmung versucht.
89) F. Tisserand, Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 241 u. 289 und Me&ec. cel. IV
(1896), chap. 12, sowie die ergänzenden Ausführungen hierzu von O. Callandreau,
Paris Obs. M&m. 20 (1890) und das Referat über sie von R. Lehmann-Filhes,
Vsj. astr. Ges. 26 (1891), p. 6. In anderer Art behandelt H. A. Newton in zwei
Abhandlungen [On the origine of Comets, Amer. J. of sc. 16 (1875) und On the
capture of Comets, ebenda 42 (1891), vgl. das Referat von R. Lehmann-Filhes,
Vjs. astr Ges. 27 (1892), p. 182] das gleiche Problem, speziell im Hinblick auf
die Umwandlung der großen Bahnen eines ursprünglich parabolischen Kometen
bei großer Annäherung an Jupiter und knüpft an sie die Frage nach der Häufig-
keit solcher Annäherungen bei einer bestimmten Annahme über die ursprüng-
lich räumliche Verteilung der Kometenbahnen. B. Tessenkoff wieder [Paris C. R.
158 (1914), p. 541] berechnet die Wahrscheinlichkeit größerer Störungen durch
Jupiter in ihrer Abhängigkeit von dem Neigungswinkel der ursprünglichen Ko-
metenbahn gegen die Ekliptik.
90) Eine andere Ableitung dieser Relation, die seitdem das Tisserandsche
Kriterium oder die Kometeninvariante genannt wird, und zwar auf Grund des
Energiesatzes gibt H. v. Seeliger, Astr. Nachr. 124 (1890), p. 209. Vgl. auch
M.Gruey, Paris C. R. 131 (1900), p. 602.
91) L. Schulhof [Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 513] setzt R= 2m’e”', wo
e die Distanz der Kometen vom Jupiter bedeutet, und findet damit eine bessere
Übereinstimmung der Werte der Konstanten X für die Elemente vor oder nach
Eintritt in die Wirkungssphäre. So z. B. für den Lexellschen Kometen für die
drei Perioden I (1767), II (1770) und III (1779) ohne Berücksichtigung dieses
Gliedes 0,483, 0,486, 0,479, dagegen mit ihm 0,489, 0,486, 0,486; ebenso für den
7. Die kurzperiodischen Kometen. Das Tisserandsche Kriterium. 935
die Jupiterkometen führten Schulhof?) und Fayet”) durch. Ihre
Werte liegen zwischen 0,337 für den Kometen Mechain-Tuttle 1890 II
(T = 14 Jahre), 0,412 für den 1881 V (Denning), Umlaufszeit
42 Jahre, und 0,590 für Komet Tempel (1867 ID), Umlaufszeit
5,7 Jahre. Speziell für den Enckeschen Kometen ist K = 0,591.
Doch wurde anfangs die Bedeutung dieser Relation zum Nach-
weise der Identität zweier Kometen trotz der Verschiedenheit ihrer
Bahnelemente überschätzt und Schulhof”) leitet noch zwei weitere
Gleichungen ab, die hierbei erfüllt sein müssen:
‚ Vr sinisin(L — N) — konst,
p—recos(L—xa)=r,
worin L die heliozentrische Länge des Punktes der stärksten Annähe-
rung von Komet) und Planet sind, r; wie r’ deren Radienvektoren und Q
und x sich auf die Bahnebene des Planeten beziehen. Die erste Glei-
chung drückt die Tatsache aus, daß sich die zwei Bahnellipsen im
Raume schneiden oder mindestens sehr stark annähern, die zweite
wiederum sagt aus, daß diese Schnittpunkte in der Nähe des Jupiter
liegen. Aber auch sie”) geben nur notwendige, aber nicht hinrei-
chende Bedingungen für die Identität der beiden Kometen. Immer-
hin kann man, wie Schulhof bemerkt, wenn sie erfüllt sind, auf deren
gemeinsamen Ursprung schließen, denn die Wahrscheinlichkeit, daß
für sie kein Zusammenhang besteht, ist bei dieser Annahme wohl
nur eine sehr geringe.
Eine Untersuchung über die Stabilität der Bahnen periodischer
Kometen auf Grundlagen der Methoden von H. Poincare führte
v. Zeipel”‘) durch. Er dehnt den Gültigkeitsbereich der Lindstedtschen
Kometen Wolf, 1884 III, für die Jahre 1875 und 1904 einmal 0,491 und 0,497,
‚dann 0,498, 0,497.
92) L. Schulhof, Paris Bull. astr. 6 (1889), p. 465 u. 515; 8 (1891), p. 147,
191, 225.
93) G. Fayet, Paris Bull. astr. 28 (1911), p. 145; der gleichzeitig die Lage
der Annäherungspunkte in bezug auf ihre scheinbare Verteilung untersucht und
eine Anhäufung in der Richtung der Jupiteraphels findet.
94) L. Schulhof, Paris Bull. astr. 8 (1891), p. 202 (Gl. 22) und p. 233 (Gl. 25),
während die Tisserandsche Relation mit Gl. 19, p. 192 identisch ist und aus-
‚sagt, daß die Relativgeschwindigkeiten des Jupiter und eines jeden der beiden
Kometen einander gleich sind.
95) Auf diese zwei Bedingungen machte zuerst Th. Clausen, Astr. Nachr. 22
(1845), p. 139 aufmerksam.
96) H. v. Zeipel, Sur l’application des series de M. Lindstedt ä l’tude du
mouvement des com£tes periodiques, Astr. Nachr. 188 (1910), p. 345—418.
936 VI2,18. 5. Oppenheim. Kometen.
Reihen, die bisher bloß bei der Bewegung der kleinen Planeten (kleine
Exzentrizität) verwendet wurden, auf Fälle größerer Exzentrizitäten
und ebensolcher Neigungswinkel aus, wodurch sie auch für periodische
Kometen verwertbar werden.
8. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien.
Teilungen von Kometen in zwei oder mehrere, von denen jeder Teil
für sich einen neuen Kometen mit Koma und Kern bildete, sind mehr-
fach. beobachtet worden, so beim ‚bielaschen””), der in seiner Erschei-
nung im Jahre 1845 „fast vor den Augen der Beobachter“ sich in
zwei spaltete, deren Distanz zunächst 6° betrug und bei der Wieder-
kehr im Jahre 1852 auf 30° anstieg. Eine Zweiteilung zeigte auch
der Komet 1860 1’) Der periodische Komet 1889 V*®) erschien in
seiner ersten Erscheinung mit 4 Begleitern, die aber bei den nächsten
Wiederkehren 1896, 1903 nicht wieder gesehen wurden.
Als Kräfte, welche solche Teilungen hervorrufen können, werden
angenommen:
1. Innere Kräfte im Kometen, die mit der Entstehung seines
Schweifes im Zusammenhange stehen und an seiner langsamen Auf-
lösung arbeiten. Mathematische Darstellungen zu dieser von Schiapa-
relli herrührenden Theorie der Zerstreuung der Kometenmaterie geben
C. V. L. Charlier und L. Picart'), jedoch mehr im Hinblicke auf die
Frage nach der Stabilität der Bewegung der einzelnen Kometenteil-
chen, die nach der tatsächlichen Auflösung der Kometen beantwortete
am eingehendsten Bredichin.!"') Er knüpft hierbei namentlich an die
anomalen Kometenschweife an, worunter er solche versteht, die inner-
halb der Kometenbahn liegen, doch zur Sonne gerichtet sind. Sie
bestehen nach seiner Anschauung aus schwereren materiellen Teilchen,
die dem Kerne des Kometen entströmen, infolge ihrer größeren Masse
der Sonnenabstoßung nicht unterliegen, sondern sich unter dem
alleinigen Einfluß der Sonnenanziehung fortbewegen und, je weiter sie
sich vom Kerne entfernen, desto mehr in ihrer neuen Bahn von der
des Kometen abweichen. (Auflösung der Kometen in Meteorschwärme.)
97) Vgl. die Bahnbestimmungen von J. Hepperger, Fußn. 21), sowie den Be-
richt in: Wien Sternw. Kalender für 1903.
98) Bahnbestimmung von J. Pechüle, Astr. Nachr. 72 (1868), p. 236.
99) Bahnbestimmung dieses Kometen von J. Bauschinger, 1. Teil: München
Sternw. 3 (1892); 2. Teil: Berlin Recheninst. Veröff. 8 (1898). Bahnbestimmung
der einzelnen Teile von $. ©. Chandler, Astr. J. 10 (1890), p. 158.
100) Vgl. Encykl. VIa. 21 (Oppenheim), Nr. 87.
101) Th. Bredichin, Etudes sur l’origine des meteores cosmiques et 1a for-.
mation de leurs courants, St. Petersburg 1903.
8. Teilungen von Kometen, Kometensysteme und Familien. 937
2. Die zerstreuenden Kräfte, die die großen Planeten, namentlich
Jupiter unter ihnen, durch ihre Störungen auf die nur lose zusammen-
hängenden Teile des Kometen ausüben.
3. Endlich kann auch der Widerstand des Mittels durch die Ver-
schiedenheit der Intensität seiner Wirkung auf die einzelnen Kometen-
teilchen eine trennende Kraft auf sie ausüben und eine Teilung des
Kometen hervorrufen.
Von Bedeutung ist es hierbei, daß schon ganz geringfügige Än-
derungen der Geschwindigkeit der einzelnen aus dem Kometen ausge-
schleuderten Teilchen gegen die des ganzen genügen, um deren Bahn
völlig umzuwandeln. So findet Bredichin, daß bei der Annahme eines
parabolischen Kometen von der Periheldistanz qg = 0,04 und einer
dieser entsprechenden Perihelgeschwindigkeit von 209000 mseec-! für
die Umlaufszeiten der von den Teilchen beschriebenen neuen Ellipsen
die Werte folgen:
Geschwindigkeitsänderung = 237 msec"! u == 73,8 Jahre
. — 44 ,„ — 351 „
„ = 10 „ ='14,1 ,
„ —= 1273 ». = 60 „
das sind die vier Hauptgruppen unter den periodischen Kometen,
deren Periode kleiner als 100 Jahre ist. Ebenso berechnet H. Kreutz'"?)
unter der Annahme einer plötzlichen Störung im Perihel die Ge-
schwindigkeitsverluste für die vier Kerne des großen Kometen 1882 II
zu — 0,46, + 0,46, + 1,05 und — 1,58 msee”' bei einer Bahnge-
schwindigkeit von 478000 msec-'.
Treten in dieser Art Teilungen von Kometen auf, so ist es mög-
lich, daß sich diese einzelnen Teile immer mehr voneinander ent-
fernen, im Laufe der Zeit nahezu gleiche Bahnen um die Sonne be-
schreiben und bei Annäherung an die Erde sichtbar werden. Ko-
meten dieser Art bilden ein System, wenn der Nachweis ihrer ein-
stigen Zusammengehörigkeit geführt werden kann, sonst aber wohl
nur eine Familie, bei denen man sich mit der bloßen Festsetzung
einer Ähnlichkeit ihrer Bahnelemente begnügt.
Die ersten Untersuchungen über Kometensysteme verdankt man
M. Hoek.‘!®) Er betrachtet als zu einem System gehörig Kometen,
102) H. Kreutz, Untersuchungen über das Kometensystem 1843 I, 1880 I
und 1882 II, 1. Teil: Der große Septemberkomet 1882 II, Kiel Sternw. Publ. 1888;
2. Teil: Fortsetzung, edenda 1891; 3. Teil: Das System der Kometen 1843 ],
1880 I und 1882 II, Astr. Nachr. Erg.heft 1901.
103) M. Hoek, London Astr. Soc. M. N. 25 (1865), p. 243; 26 (1866), p. 1 u.
204; 28 (1867), p. 129 und Astr. Nachr. 70 (1867, p. 206.
938 VI2,18. $. Oppenheim. Kometen.
für die sich die Projektionen ihrer Bahnen an der scheinbaren
Himmelskugel in ihren Aphelpunkten benachbarten Punkten schnei-
den, die ferner nahezu gleichzeitig in diesen Gegenden sich be-
finden und dabei nahezu die gleichen Distanzen von der Sonne sowie
gleiche Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit haben. Dem gegen-
über weist J. Glauser'"*) darauf hin, daß diese Bedingungen wohl not-
wendig, aber nicht hinreichend sind, um die Glieder einer solchen
Gruppe als einem System angehörend anzusehen und in der Weise
einzuschränken wären, daß man alle nach dem Perihel fallenden
Schnittpunkte ausschaltet, da die wirklichen Radiationspunkte nur
zwischen Aphel und Perihel fallen, und daß ferner der Spielraum
zwischen Schnitt- und Aphelpunkt nicht gar zu groß gewählt werden
dürfe. J. Holetschek'®) hinwiederum macht darauf aufmerksam, daß
die Berechnung dieser Schnittpunkte für die da in Betracht kommen-
den Distanzen, die weitaus größer sind als der Radius der Neptun-
bahn, sowie die der Zeitmomente für sie, die oft mehr als 1000 Jahre
vom Periheldurchgang abliegen, nur eine sehr ungefähre sein könne,
derart, daß eine Übereinstimmung nur zufälliger Natur ist.
Von allen bisher angenommenen Systemen wird heute nur das
von H. Kreutz!®) einer besonderen Untersuchung unterzogene System
der Kometen 1843, 1880 I, 1882 II und 1887 I, die alle durch eine
kleine Periheldistanz ausgezeichnet sind, anerkannt. — Von Kometen-
familien seien erwähnt, zunächst als zahlreichste, 1807, 1880 V,
1881 III, 1888 I, 1839 IV, 1892 I, sodann 1818 I, 1873 VII und der
Bielasche Komet, sowie die periodischen Kometen (Periode 6,5 bis
6,7 Jahre) 1884 III (Wolf), 1892 V (Barnard, seit seiner ersten Er-
scheinung nicht wieder gesehen) und 1900 II (Giacobin:).
104) J. Glauser, Astr. Nachr. 99 (1881), p. 279.
105) J. Holetschek, Wien Ber. 96 (1887), p. 291,
(Abgeschlossen im Oktober 1922.)
VI2,18a.. BEZIEHUNGEN
ZWISCHEN KOMETEN UND STERNSCHNUPPEN.
Von
CUNO HOFFMEISTER
IN SONNEBERG (THÜRINGEN).
Inhaltsübersicht.
1. Geschichtliche Einleitung.
2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern.
3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs.
4. Kritik der Lehre vom allgemeinen kometarischen Ursprung der Sternschnuppen.
5. Regeln für die Untersuchung des Zusammenhanges von Kometen und Stem-
schnuppen.
Literatur.
Lehrbücher über den im folgenden behandelten Gegenstand sind nicht vor-
handen. Die in Betracht kommenden Arbeiten sind größtenteils in Zeitschriften
zerstreut und, soweit sie für die Entwicklung des Forschungszweiges einige Be-
deutung zu besitzen schienen, in den Fußnoten ihrem Ort nach angeführt. Voll-
ständigkeit wurde dabei nicht erstrebt, doch werden die Nachweisungen hin-
reichen, um den Leser ein eigenes Urteil über die beschriebenen Verhältnisse
gewinnen zu lassen. Es sollen daher an dieser Stelle nur die Titel der wichtig-
sten Untersuchungen genannt werden, die tiefere Einblicke in die Geschichte
der Meteorforschung gewähren, als dies bei den im Text genannten Spezial-
arbeiten der Fall ist.
Als grundlegendes Werk ist anzuführen:
I. J. V. Schiaparelli, Entwurf einer astronomischen Theorie der Sternschnuppen,
Stettin 1871.
Das Werk ist die vom Verfasser wesentlich erweiterte, von @. v. Boguslawski
herausgegebene deutsche Ausgabe der „Note e Riflessioni sulla teoria astrono-
mica delle Stelle cadenti* und enthält neben der Begründung der kometarischen
Theorie der Sternschnuppen eine ausführliche Kritik der älteren Ansichten, zahl-
reiche Literaturangaben sowie sonstige Beiträge zur Meteorforschung.
Eine wesentliche Ergänzung dazu stellt dar:
II. E. Weiß, Beiträge zur Kenntnis der Sternschnuppen, Sitzungsb. d. Akad. d.
Wissensch. in Wien, math,-nat. Klasse, 57. Band, II. Abt. 1868.
Enthält u. a. die Herleitung der formalen Beziehungen zwischen den Bahnen
der Kometen und der Sternschnuppenströme.
940 VlI»2,18a. 0. Hofmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
III. Th. Bredichin, Etudes sur l’origine des meteores cosmiques et la formation
de leurs courants, St. Petersburg 1903.
Eine Zusammenfassung der Arbeiten des Verfassers, die größtenteils in den
Annalen der Sternwarte zu Moskau erschienen sind, mit einer Darstellung und
Begründung einer physikalischen Theorie der Beziehungen zwischen Kometen
und Meteorströmen.
IV. R. Lehmann-F'lhes, Die Bestimmung von Meteorbahnen nebst verwandten
Aufgaben, Berlin 1883.
V.@. v. Nießl, Die Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem, in
Eucykl. VIs, 10 (1907), p. 427—462.
VI. N. Herz, Kometen und Meteore, im Handwörterbuch der Astronomie, heraus-
‚gegeben von W. Valentiner, II. Bd., p. 49—228, Breslau 1898.
VII. R. Wolf, Handbuch der Astronomie, ihrer Geschichte und Literatur, 2. Bd.,
p. 484—531, Zürich 1892.
l. Geschichtliche Einleitung. Die Entdeckung einer Beziehung
zwischen Kometen und Sternschnuppen verdankt man J. V. Schiapa-
relli, der die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu diesem Gegenstand
zuerst 1866 in seinen Briefen an P. Secchi'), dann 1867 in einer zu-
sammenfassenden Arbeit?) und schließlich 1871 in der von @.v. Bo-
guslawski herausgegebenen deutschen Bearbeitung [I] veröffentlicht
hat. Vorher hatten Chladni (1819) und v. Reichenbach (1859) ver-
sucht, die Meteoriten mit den Kometen in Verbindung zu bringen,
welche Auffassung sich indessen durch die späteren Untersuchungen
als verfehlt erwiesen hat. Näher kam Kirkwood?) der Wahrheit, in-
dem er, von der Tatsache der Teilung des Bielaschen Kometen aus-
gehend, schon 1861 die Ansicht aussprach, daß die periodischen Me-
teore die Überreste alter, zerstörter Kometen seien. Seine Erwägungen
trugen indessen durchaus hypothetischen Charakter und drangen über-
dies, da sie anfangs an schwer zugänglicher Stelle veröffentlicht waren,
zur Kenntnis weiterer Kreise erst, als schon einige Arbeiten Schiapa-
rellis zu diesem Gegenstand vorlagen. Wertvolle Vorarbeit war von
E. Heis, R. P. Greg, A. $. Herschel, J. Schmidt und. anderen durch ihre
Beobachtungen und Bestimmungen der Strahlungspunkte periodischer
Meteorströme, von A. Erman und H. A. Newton durch ihre Unter-
1) J. V. Schiaparelli, Intorno al corso ed all’origine delle stelle meteoriche,
in Form von 5 Briefen an P. Secchi veröffentlicht im Bulletino meteorologico
dell’ Osservatorio del Collegio Romano, 1866 u. 1867.
2) J. V. Schiaparelli, Note e Riflessioni sulla teoria astronomica delle stelle
cadenti, Mem. soc. ital. Firenze III, Vol. 1 (1867).
3) D. Kirkwood, Meteoric Astronomy, a Treatise on shooting stars, fireballs
and aerolithes, Philadelphia 1867.
2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. 941
suchungen über die wahrscheinliche Gestalt und Lage der Bahnen
der großen Meteorströme geleistet worden. Die wichtigsten Ergeb-
nisse dieser Arbeiten bestanden in der Erkenntnis, daß die Stern-
schnuppen interplanetare Ströme bilden und daß die Babnen dieser
Ströme anscheinend alle Neigungen von 0° bis 180° besitzen können,
daß also auch rückläufige Bewegung vorkommt. Über die Exzentrizi-
täten bestand dagegen noch große Ungewißheit, und Newton neigte
anfangs zu der Annahme nahezu kreisförmiger Bahnen. Doch hatte
schon 30 Jahre früher ZH. L. v. Boguslawski versucht, den Perseiden-
beobachtungen von 1837 durch die Einführung parabolischer Bahnen
zu genügen. Schiaparelli gebührt das Verdienst, den Zusammenhang
zwischen Kometen und Sternschnuppen zuerst in einigen Fällen durch
Vergleichung der Bahnen als in hohem Grade wahrscheinlich hinge-
stellt zu haben, und sein Werk ist in vieler Beziehung heute noch
nicht veraltet. Es wird, mit der auf Grund einiger neuerer Ergebnisse
gebotenen Einschränkung, auch fernerhin als eine wiehtige Grund-
lage weiterer Untersuchungen auf diesem Gebiete zu gelten haben.
2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. Ein
Ergebnis, das für die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Ko-
meten und Sternschnuppen von größter Bedeutung war, haben H. A.
Newton*) und Schiaparelli?) nahezu gleichzeitig erlangt: der von der
Bewegung und Umdrehung der Erde veranlaßte tägliche Gang der
Sternschnuppenhäufigkeit erlaubt einen Schluß auf die mittlere helio-
zentrische Geschwindigkeit der Meteore, und es ergab sich, daß die
Geschwindigkeit wesentlich größer sein müsse als die der Erde.
Schiaparelli glaubte schließen zu können, daß sie in Einheiten der
Erdgeschwindigkeit etwa den Wert 1,45 hätte, mithin von dem der
parabolischen Bewegung entsprechenden Wert nicht wesentlich ver-
schieden sei. Nachdem somit für die Bahnen der Sternschnuppen-
ströme sowohl hinsichtlich der Lage gegen die Ekliptik als auch ihrer
Exzentrizität eine weitgehende Ähnlichkeit mit den Kometenbahnen
festgestellt war, tat Schiaparelli den entscheidenden Schritt, indem er
die Nachforschungen auch auf Einzelfälle ausdehnte. Er berechnete
eine parabolische Bahn für den Perseidenstrom und fand alsbald ihre
große Ähnlichkeit mit der Bahn des Kometen 1862 Il.) Die gleich-
zeitig mitgeteilte Bahnberechnung für den Leonidenstrom ließ einen
zugehörigen Kometen nicht finden, weil Schiaparellis Verzeichnis nur
4) H. A. Newton, On shooting stars, Amer. J. of Sc. 39 (1865), p. 193 = Vjs.
Astr. Ges. 3 (18#8), p. 137.
5) Zweiter Brief an P. Secchi, 1866.
6) Vierter Brief an P. Secchi, vgl. auch Astr. Nachr. 68 (1867), p. 381.
942 Vle,18a. ©. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
bis zum Ende des Jahres 1865 reichte. Auch waren die Elemente
der Leoniden ungenau wegen Fehlerhaftigkeit des zugrunde gelegten
Radianten. Bessere Elemente hatte inzwischen Leverrier”) berechnet,
und fast gleichzeitig fanden ©. F. W. Peters?), Schiaparelli?) und
Th. v. Oppolzer‘) die große Ähnlichkeit dieser Elemente mit denen
des Tempelschen Kometen 1866 I. Dieser letztere Fall erhielt beson-
deres Gewicht dadurch, daß durch die überaus reichen Sternschnuppen-
fälle der Jahre 1799, 1833 und 1866 die Umlaufszeit der Leoniden
zu etwa 33'/, Jahren bestimmt, die Untersuchung der Bahnform dem-
nach aller hypothetischen Voraussetzungen entkleidet werden konnte.
Schon einige Jahre früher hatte H. A. Newton“), noch in Unkennt-
nis der wahren Bahnform, die Zahl der möglichen Umlaufszeiten auf
5 beschränkt, und Adams'?) schloß, einem Vorschlag von Newton
folgend, aus der Bewegung der Knoten, daß nur die Umlaufs-
zeit von 33", Jahren zulässig sei. Für den Kometen 1866 I hatte
Oppolzer in naher Übereinstimmung die Umlaufszeit 33,1758 Jahre
gefunden.
Nachdem nunmehr zwei Beispiele für die nahe Verwandtschaft
der Kometen und der Sternschnuppenströme entdeckt waren, lag es
sehr nahe, nach weiteren Fällen zu suchen. Weiß'?) berechnete für
eine größere Anzahl von Kometen die Radienvektoren in den Knoten
ihrer Bahn, suchte danach jene auf, die der Erdbahn nahegekommen
waren und bemerkte, daß die Annäherung der Erde an die Bahnen
solcher Kometen mehrfach gerade an Tagen stattfindet, die durch
größere Sternschnuppenfälle ausgezeichnet sind. So ergab sich für
den 20. April Annäherung an die Bahn des Kometen 1861 I, für den
28. November an die des Kometen Biela, für den 9. Dezember an die
des Kometen 1819 IV. Letzterer Fall wird aber als unsicher be-
zeichnet. Eine Vergleichung der Bahnelemente oder der berechneten
und beobachteten Radianten führt Weiß noch nicht aus. D’Arrest'‘)
glaubte einige vereinzelte größere Sternschnuppenzälle (1741, 5. Dez.,
1798, 6. Dez, 1830, 7. Dez., 1838, 6. u. 7. Dez.), wofür Flaugergues
1838 den Radianten «= 30° ö—= + 43° gibt, mit dem Kometen
7) Paris C. R. 64 (1867), p. 9.
8) Astr. Nachr. 68 (1867), p. 287.
9) Ebenda, p. 331.
10) Ebenda, p. 333.
11) H. A. Newton, On November starshowers, Amer. J. of Se. 38 (1864), p. 53.
12) Paris C. R. 64 (1867), p. 651.
13) Astr. Nachr. 68 (1867), p. 381.
14) Astr. Nachr. 69 (1867), p. 7.
2. Die Arbeiten von Schiaparelli, Weiß und Nachfolgern. 943
Biela in Verbindung bringen zu dürfen. J. G@. Galle'°) verglich im
März 1867 den Radianten der April-Lyriden mit dem aus der Bahn
des Kometen 1861 I gefolgerten Ort und fand einen Unterschied von
etwa 7°, hielt aber trotzdem den Zusammenhang für möglich.
Der Urheber der ersten systematischen Untersuchung auf diesem
Gebiete ist Weiß [II]. Er berechnete die scheinbaren Radianten und
zugehörigen Daten für 28 der Erde nahekommende Kometenbahnen,
mit Ausschluß der beiden schon bekannten Sternschnuppenkometen,
und verglich sie mit den Radiantenverzeichnissen von Heis, Greg und
A. Herschel. Es ergaben sich zwei Fälle ungefährer Übereinstimmung,
nämlich die Lyriden vom 20. April (27807 + 35°0) und Komet
1861.1 (270°4 -- 33°5), also wie bei Galle mit 7° Unterschied, und
die November-Andromediden mit dem Kometen Biela. Die Erklärung
der im ersten Fall gefundenen Abweichung aus Beobachtungsfehlern
hält Weiß für unwahrscheinlich. Sie kann nach ihm zwei Gründe
haben: es kann die Auflösung des Kometen schon vor langer Zeit be-
gonnen, dieser aber erst neuerlich eine Störung erlitten haben, „es
kann indessen auch in der Nähe der Durchkreuzungsstelle von Erd-
und Kometenbahn ein größerer Komet in mehrere kleine zerfallen
sein, von denen wir jedoch erst den einen kennen“. Spätere, von ver-
schiedenen Beobachtern herrührende Bestimmungen des Radianten er-
gaben bessere Annäherung, so daß der Zusammenhang zwischen Stern-
schnuppenstrom und Komet auch in diesem Fall recht wahrscheinlich
geworden ist. — Im übrigen war das Ergebnis der Vergleichung ne-
gativ. Es werden zwar noch sechs unsichere Fälle angeführt, doch
kommen dabei Abweichungen von mehr als 20° vor. Weiß dehnte
die Betrachtung dann noch auf die großen Kometen Halley, 1843 ],
1858 IV und 1861 II aus, deren Schweife die Erdbahn erreicht haben
konnten, fand jedoch auch hier keine zugehörigen Sternschnuppen-
radianten in den vorhandenen Verzeichnissen.
Der schon früher vermutete Zusammenhang der Andromediden
mit dem Kometen Biela erhielt seine Bestätigung durch die glänzen-
den Erscheinungen dieses Stromes von 1872 und 1885. Ob das bald
nach dem großen Sternschnuppenfall von 1872 auf Veranlassung von
Klinkerfuess!®) durch Pogson in Madras bei # Centauri aufgefundene
neblige Objekt wirklich ein Teil des verschwundenen Kometen Biela
gewesen ist, konnte damals nicht entschieden werden. Nach der Unter-
suchung von Th. v. Oppolzer"”) ist dies nicht unwahrscheinlich. Nach
15) Astr. Nachr. 69 (1867), p. 33 u. 189.
16) Astr. Nachr. 80 (1872), p. 335 u. 349.
17) Astr. Nachr. 80 (1872), p. 381.
944 VlIa,18a. C. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
den Angaben von 4A. S. Herschel"?) ist der Andromedidenstrom erst-
malig 1798, 7. Dez, von Brandes beobachtet worden. Der absteigende
Knoten der Kometenbahn hat eine starke rückläufige Bewegung, so
daß die Erscheinungen späterhin an früheren Tagen stattfanden. Der
Geschichte dieses Stromes ist ferner hinzuzufügen, daß er noch 1892,
23. Nov., und 1904, 21. Nov.'?), auffällige Erscheinungen gezeitigt hat,
im Jahre 1905 nach A. S. Herschel?®) jedoch infolge der Jupiterstö-
rungen ausgeblieben ist. Seitdem ist der Strom unbedeutend gewesen.
Die Meteore des Halleyschen Kometen wurden zuerst 1870 durch
Tupmann beobachtet. Ihre Wahrnehmung ist dadurch erschwert, daß
der bei 7 Aquarii gelegene, Anfang Mai tätige Radiant sich erst kurz
vor Anbruch der Morgendämmerung über den Horizont erhebt... Auf
die Verwandtschaft dieser Meteore mit dem Kometen Halley hat 1874
A. 8. Herschel?') aufmerksam gemacht. Der Strom ist dann verschie-
dentlich untersucht worden, besonders von Denning*), der gute Über-
einstimmung des beobachteten und des berechneten Strahlungspunktes
fand, in neuerer Zeit mit gleichem Ergebnis von Hoffmeister*) und
Olivier”). Nach lebhafter Tätigkeit in den Jahren 1870 und 1871
entströmten dem Radianten, soweit überhaupt die Beobachtungen es
erkennen lassen, nur wenige Meteore, und der Zusammenhang mit
dem Kometen konnte eigentlich erst dann als nachgewiesen gelten,
als die beiden letztgenannten Beobachter im Jahre 1911, nach dem
Knotendurchgang des Kometen, eine starke Zunahme der Meteorzahl
festgestellt hatten. Endlich bringt H. Svoboda®) auch die Oktober-
Orioniden mit dem Halleyschen Kometen in Verbindung und vermutet
die Identität dieses Stromes mit den im Mai im absteigenden Knoten
beobachteten Aquariden. Die zum Beweis notwendige Untersuchung
auf Grund sorgfältig bestimmter Radiantenörter steht indessen hier
noch aus. Auf die Ähnlichkeit der Bahnelemente beider Ströme hat
schon 1911 Olivier**) hingewiesen.
Ferner ist dem periodischen Kometen Pons-Winnecke ein Meteor-
strom zugeordnet. Die Periheldistanz dieses Kometen ist infolge der
Jupiterstörungen in Zunahme begriffen und betrug 1869 0,7815, 1875
18) London Astr. Soc. M. N. 32 (1872), p. 355.
19) W. F. Denning, London Astr. Soc. M. N. 65 (1905), p. 851.
20) Observ. 29 (1906), p. 93 u. 126.
21) London Astr. Soc. M. N. 38 (1878), p. 379.
22) London Astr. Soc. M. N. 43 (1883), p. 111; 46 (1886), p. 396.
23) Astr. Nachr. 196 (1913), p. 309.
24) Amer. Phil. Soc. Trans. 22 (1911), p. 5.
25) Astr. Nachr. 197 (1913), p. 203.
>
3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 945
0,8275, 1898 0,9241, 1915 0,9725. Erst durch diese Zunahme wurde
der Meteorstrom in die Nähe der Erdbahn geführt. Am 28. Juni 1916
zeigte er nach Denning”) eine lebhafte Tätigkeit. Nach amerikani-
schen Beobachtungen war indessen die Meteorzahl 6 Stunden später
wieder gering. Olivier?) untersuchte das Meteorsystem dieses Ko-
meten und bringt auch einige 1916, 21. Mai bis 7. Juni beobachtete
Radianten mit ihm in Verbindung. Die Zusammengehörigkeit ist von
Denning und Olivier unabhängig gefunden worden. Nach Hofmeister *)
war im Jahre 1921, bei der nächsten Wiederkehr des Kometen, die
Tätigkeit gering, doch stimmte der aus den Beobachtungen gefundene
Strahlungspunkt gut mit dem aus den Bahnelementen des Kometen
berechneten überein.
Das von Weiß aufgestellte Verzeichnis erdnaher Kometenbahnen
und ihrer Radianten erfuhr verschiedentliche Ergänzungen. R. v. Köves-
lighety”) fügte 28 Fälle hinzu und fand bei der Vergleichung der
von ihm berechneten Bahnen von Meteorströmen mit bekannten Ko-
metenbahnen zwei Fälle naher Übereinstimmung. Ein von A. $. Her-
schel?®) 1878 gegebenes Verzeichnis solcher Kometenbahnen, deren
Radianten sich mit einiger Wahrscheinlichkeit aus den Beobachtungen
nachweisen lassen, enthält bereits 71 Fälle. Eine auf der Vergleichung
der Bahnelemente beruhende weitere Liste von 27 Fällen hat 1913
S. Natanson®") veröffentlicht. Außerdem finden sich in der Literatur
viele Hinweise auf einzelne Beispiele, indessen scheint der Zusammen-
hang mit Meteorströmen, abgesehen von den oben erwähnten sechs
Fällen, für keinen Kometen wirklich überzeugend nachgewiesen zu
sein.??)
3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs.
Nachdem Schiaparelli aus seiner Betrachtung der täglichen Variation
‚den Schluß gezogen hatte, daß die Parabel und die parabelnahe Ellipse
die typischen Bahnformen der Meteorströme seien, glaubte er die Bil-
dung dieser Ströme darauf zurückführen zu können, daß eine lockere,
kugelförmige Anhäufung kleiner Körper unter dem Einfluß der Sonnen-
26) London Astr. Soc. M. N. 76 (1916), p. 740.
27) London Astr. Soc. M. N. 77 (1917), p. 71 und Leander Mc. Cormick Obs.
Publ. 2 (1921), p. 201.
28) Astr. Nachr. 213 (1921), p. 341; 215 (1922), p. 455.
29) London Astr. Soc. M. N. 42 (1882), p. 310.
30) London Astr. Soc. M. N. 38 (1878), p. 369.
31) Astr. Nachr. 197 (1913). p. 206.
32) Ein Verzeichnis von 105 Kometen, deren Bahnen der Erdbahn nahe-
kommen, nebst den zugehörigen Radianten findet man auch in Valentiners
Handwörterbuch, II. Bd., p. 213 ff.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 62
946 VI»2,18a. CO. Hofmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen..
anziehung zu einem langgestreckten Strom von geringer Breite um-
gebildet wird, der, sofern er eine Kreuzungsstelle mit der Erdbahn
besitzt, die Veranlassung alljährlich zu bestimmter Zeit auftretender
Erscheinungen von Sternschnuppen gibt. Ein solcher, aus einer ein-
zigen kosmischen Wolke hervorgehender Strom könnte, wie Schiapa-
relli zeigte, in Übereinstimmung mit den Beobachtungen durch viele
Jahre, vielleicht Jahrhunderte wahrgenommen werden. Die Kometen
würden wahrscheinlich als dichtere Massenanhäufungen innerhalb der
Ströme zu betrachten sein, mithin gleichen Ursprung mit den Stern-
schnuppen haben, nicht aber würden letztere eigentlich aus ihnen
hervorgehen. Weiß wendet dagegen ein, daß man, um den Beobach-
tungen zu genügen, den ursprünglichen kosmischen Wolken eine so
geringe Dichte geben müßte, daß wahrscheinlich die Anziehungen der
Fixsterne hinreichen würden, um sie zu zerstören, ferner, daß sich die
Leoniden und der Komet 1866 I beide in einer elliptischen Bahn be-
wegen. Da aber nach Leverrier der Komet diese Bahn erst bei seiner
Begegnung mit Uranus im Jahre 126 erhalten haben soll, so folgt
daraus, daß der Meteorstrom erst nach dieser Zeit entstanden sein
kann. Viel wahrscheinlicher als Schiaparellis Ansicht sei es daher,
daß der Komet das anfänglich vorhandene Gebilde war und der Meteor-
strom aus seiner allmählichen teilweisen Auflösung hervorgegangen
ist. -— In seinen späteren Arbeiten, insbesondere der zusammenfassen-
den deutschen Ausgabe, bekennt sich Schiaparelli völlig zu dieser An-
sicht, die er auch wohl selbständig auf Grund der inzwischen hinzu-
gekommenen Erfahrungen gewonnen hat. * Den Einfluß der Sonnen-
anziehung auf ein System von Massenpunkten, der .im wesentlichen
darin besteht, einzelne Teile des Systems loszutrennen und den Zu-
sammenhalt zu lockern, bezeichnet er als die auflösende Kraft und
berechnet ihre Wirkung und die Stabilitätsgrenzen für ein angenom-
menes System kleiner Körper. Wenn auch diese Betrachtungen wegen
der dabei kaum vermeidlichen Willkürlichkeit der Grundlagen keine
große praktische Bedeutung besitzen, so zeigen sie doch, daß die Vor-
bedingungen der allmählichen Auflösung bei den meisten Kometen
sehr wahrscheinlich erfüllt sind. Schiaparelli ist auch geneigt, den
großen Planeten dabei eine wesentliche Rolle zuzuschreiben. Seine
Betrachtungen darüber, daß die Sternschnuppen weder aus den Schwei-
fen der Kometen, noch aus den zur Sonne gerichteten Ausströmungen
hervorgehen, sondern einzig durch Auflösung der Kerne frei werden
könnten, sind zwar in ihrer Form nicht aufrechtzuhalten, decken sich aber
mit den gegenwärtigen Anschauungen darin, daß die Schweife wahrschein-
lich für die Entstehung der Meteorströme ganz ohne Bedeutung sind..
3. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 947
Späterhin hat sich Bredichin [III] eingehend mit der Aufklärung
der physikalischen Beziehungen zwischen Kometen und Sternschnuppen
befaßt. Er vertritt durchaus die Ansicht, daß die Kometen das ur-
sprünglich Vorhandene sind und daß die Sternschnuppenströme durch
den Zerfall der Kometen zustandekommen. Das wesentliche Neue
seiner Auffassung besteht jedoch darin, daß er für die Auflösung der
Kometen nicht allein die Gravitation, sondern vor allem die inneren
Kräfte verantwortlich macht. Darüber, daß solche Kräfte wirksam
sind, lassen die unmittelbaren Beobachtungen keinen Zweifel, und an
sich bedarf es bei den geringen Massen der Kometen keiner großen
Kraft, um Teile des Kerns loszureißen und zu entfernen. Bredichin
führt die Entstehung der Sternschnuppenströme auf die „anomalen
Schweife“ zurück, worunter die dem Schweif entgegengesetzten Aus-
strömungen zu verstehen sind, indem er dem Gedanken Raum gibt,
daß jene Ausströmungen vorwiegend die schwereren Massenteile ent-
halten, die dem Strahlungsdruck nicht unterliegen. Er nimmt an, daß
die Ausströmungen eine normale Erscheinung sind, und daß sie nur
in der Regel zu geringe Lichtstärke besitzen, um wahrgenommen zu
werden. Seine Untersuchungen erstrecken sich dann vor allem auf
die Bahnformen der Körper, die durch Initialstöße vom Kern des
Kometen getrennt wurden. Für die Richtung der Stöße werden Ab-
weichungen vom Radiusvektor bis zu 45° in Betracht gezogen; die
in Übereinstimmung mit der Bredichinschen Theorie der Kometen-
schweife angenommenen Anfangsgeschwindigkeiten sind relativ klein
zur Bahngeschwindigkeit. Es ist leicht einzusehen, daß Körper, die
auf diese und ähnliche Weise vom Kern eines parabolischen Kometen
getrennt werden, sich darauf im allgemeinen in Ellipsen oder Hyper-
beln bewegen müssen. Die Angehörigen der letzteren Gruppe kom-
men nicht weiter in Betracht, da sie das Sonnensystem alsbald ver-
lassen und da die Wahrscheinlichkeit ihres Zusammentreffens mit der
Erde sehr gering ist. Übrigens könnten bei den angenommenen kleinen
Anfangsgeschwindigkeiten nur relativ schwach hyperbolische Bahnen
erzeugt werden. Es ist also nicht möglich, auf diese Weise etwa zu
einer neuen Erklärung der stark hyperbolischen Bahnen zu gelangen,
wie sie seit geraumer Zeit für die großen Meteore bekannt sind. Den
entstehenden elliptischen Bahnen entsprechen sehr verschiedene Um-
laufszeiten, je nach der Richtung und Stärke des Anstoßes, und da
man sich die Ausströmungen als kegelförmig wird vorstellen müssen,
so würde jedem Punkt in der Bahn des Kerns, an dem überhaupt
eine derartige Ausströmung stattfindet, eine Schar elliptischer Bahnen
zugeordnet sein, die die ursprüngliche parabolische Bahn an der Aus-
62”
948 VIs,18a. C.Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
gangsstelle durchschneiden, ihr aber in der Umgebung des Perihels
ziemlich ähnlich sind.
Diese Hypothese ist in der Tat geeignet, verschiedenen beobach-
teten Erscheinungen sehr viel besser zu genügen, als die Ansichten
von Schiuparelli und Weiß es vermochten. Hierher gehört die bei
allen großen Strömen gemachte Erfahrung, daß die Radianten nicht
punktförmig sind, sondern daß die Ausstrahlung der Meteore von
einer Fläche des Himmels erfolgt, die meist einen Durchmesser
von einigen Graden besitzt. Beim Perseidenstrom treten noch beson-
ders die den Hauptstrahlungspunkt umgebenden Nebenradianten in
Erscheinung. Es ist auch nicht angängig, diese Zerstreuung allein
aus der Ungenauigkeit der Beobachtungen erklären zu wollen, denn
die in geringer Entfernung vom Radianten auftretenden kurzen und
langsamen Meteore, deren Lage oft recht sicher beobachtet werden
kann, zeigen ebenfalls deutlich, daß der Radiant kein Punkt ist.
Einem Strom paralleler Bahnen würde ein punktförmiger Radiant ent-
sprechen, und auch die Entstehung der Nebenradianten würde schwer
zu erklären sein. Die Bredichinsche Ansicht verlangt dagegen ge-
radezu eine Gestaltung, die der beobachteten durchaus entspricht.
Ferner findet die große Breite der Meteorströme ihre Erklärung, und
endlich könnte auf diese Weise ersichtlich gemacht werden, warum
für manchen Meteorstrom kein zugehöriger Komet aufgefunden wer-
den konnte und warum die Zahl der Meteorströme so außerordent-
lich viel größer ist als die Zahl der periodischen Kometen: da-
durch nämlich, daß nach Bredichins Auffassung auch Kometen,
die sich in parabolischen Bahnen bewegen, durch ihren Zerfall
elliptische, jährlich wiederkehrende Meteorströme zu erzeugen im-
stande sind.
Einige Bedenken gegen die uneingeschränkte Annahme der An-
sichten Bredichins ergeben sich aus dem Studium des inneren Auf-
baus der Meteorströme. Zwar entfernen sich, in Übereinstimmung mit
den Forderungen der Hypothese, einzelne Meteore sehr weit von der
Bahn des erzeugenden Kometen, so daß sehr breite Ströme entstehen;
die Beobachtungen zeigen aber, daß die Zunahme der Dichte nach
innen hin nur mäßig stark ist und daß der Häufigkeitskurve das
eigentliche Maximum als eine jäh ansteigende Erhebung von ganz
geringer Breite aufgesetzt ist. Vom Perseidenstrom wird diese Er-
scheinung jedem Beobachter bekannt sein und kommt auch in den
von Denning gegebenen Häufigkeitszahlen zum Ausdruck. Bei den
Leoniden und den Andromediden ist sie seinerzeit sehr hervorgetreten,
und auch der Lyridenstrom scheint sie aufzuweisen. So berichtet
8. Nähere Untersuchungen über die Art des Zusammenhangs. 949
Denning®®) über schwaches Auftreten der Lyriden im April 1914, wo-
gegen Verf. am 21. April jenes Jahres zwar ebenfalls zunächst wenige
Meteore, dann aber in den Morgenstunden ein ausgeprägtes Maximum
beobachtete. Eine ähnliche Erfahrung bezüglich der Meteore des Ko-
meten Pons-Winnecke von 1916 wurde oben mitgeteilt. Auch die
ungleichmäßige Verteilung der Meteore mancher Ströme über die
Bahnen der erzeugenden Kometen läßt sich nicht ohne weiteres mit
Bredichins Ansichten vereinbaren. Abelmann®‘) kommt hinsichtlich
der Leoniden zu dem Ergebnis, daß sich hinter dem Kometen ein
dichter Meteorschwarm in einem Bogen von etwa 5 astr. Einh. an
Länge erstreckt. Vor dem Kometen scheint ein ähnlicher Bogen zu
fehlen, denn im Jahre 1865 befand sich die Erde beim Knotendurch-
gang in einer verhältnismäßig kleinen Entfernung vom Kometen, und
trotzdem ließen sich Meteore nur in geringer Menge beobachten. Im
Jahre 1866 trat das Maximum ein, und da der Fall von 1867 schon
wieder schwach. war, so scheint der dichte Schwarm sich über we-
niger als 7 Einheiten, also nicht den 7. Teil der ganzen Bahn zu er-
strecken. An gleicher Stelle kommt Abelmann auf Grund seiner Stö-
rungsrechnungen zu dem Schluß, daß die Bahn des dichten Meteor-
schwarms wahrscheinlich sehr nahe mit der des Kometen überein-
stimmt. In diesem Zusammenhang ist auch die Untersuchung von
Holetschek”) „Über die Helligkeitsverhältnisse der vier Sternschnuppen-
kometen (1861 I, 1862 III, 1866 I und Biela)“ zu erwähnen. Er
findet, daß bei den helleren Kometen die Meteorschwärme (Perseiden
und Lyriden) sich bereits über die ganze Bahn verteilt haben, wo-
gegen die Leoniden und Andromediden, denen die schwächeren Ko-
meten zugehören, in ihrer Mehrzahl noch in der Nachbarschaft der
Kometen zusammengedrängt, in anderen Teilen der Bahn aber nur
spärlich anzutreffen sind.
Es hat den Anschein, als ob beide Ursachen der Entstehung
eines Meteorstroms, die Auflösung durch die Gravitation und diejenige
im Sinne Bredichins unter Mitwirkung der inneren Kräfte des Ko-
meten, nebeneinander wirksam sind, indem die erstere den Kern des
Meteorstroms und die dichten Schwärme erzeugt, die zweite die Me-
teore in die weitere Umgebung und in entfernte Teile der Kometen-
bahn zerstreut. Indessen ist es gegenwärtig noch nicht möglich, zu
einem abschließenden Urteil in dieser Richtung zu gelangen, weil da-
zu unsere Kenntnisse sowohl der Meteorströme als besonders der Vor-
33) Astr. Nachr. 199 (1914), p. 231.
34) Astr. Nachr. 147 (1896), p. 203.
35) Wien. Ber. 117 (1908), p. 1015.
‘950 VI2,18a. C. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
gänge im Inneren der Kometen noch einer sehr erheblichen Erweite-
rung bedürfen.
4. Kritik der Lehre vom allgemeinen kometarischen Ursprung
der Sternschnuppen. Es lag sehr nahe, den an einigen Beispielen
festgestellten Beziehungen zwischen Sternschnuppen und Kometen eine
allgemeine Bedeutung zuzuschreiben, und in der Tat ist dies im wei-
testen Maße geschehen, indem man damit die Frage nach der kosmi-
schen Stellung der Sternschnuppen als befriedigend beantwortet an-
sah. Es gibt aber doch einen Punkt, der dabei nicht übersehen wer-
den durfte, der aber nur ganz vereinzelt die ihm gebührende Würdi-
gung erfahren hat: für die großen Meteore hatte man fast immer so
stark hyperbolische Bahnen gefunden, daß eine Beziehung zu den
Kometen und überhaupt ein Zusammenhang mit dem Sonnensystem
keinesfalls angenommen werden konnte; zugleich aber fanden sich
Andeutungen einer engeren Verwandtschaft dieser Erscheinungen mit
manchen Sternschnuppenströmen. So hat z. B. v. Nießl?‘) sehr ent-
schieden die Ansicht vertreten, daß ein Teil der Sternschnuppen inter-
stellaren Ursprungs sei, ohne freilich einen Beweis dafür erbringen
zu können.
Bei einer kritischen Betrachtung der zu dieser Frage vorliegen-
den Literatur muß man zugestehen, daß nur in vier Fällen der Zu-
sammenhang zwischen Kometen und Sternschnuppenströmen wirklich
als erwiesen gelten kann. Es sind dies folgende: die Leoniden und
Komet 1866 I, die Andromediden und Komet Biela, die Mai-Aquariden
und Komet Halley, die Juni-Drakoniden von 1916 bis 1921 und Komet
Pons-Winnecke. Bezüglich der ersten beiden stützt sich der Beweis
auf die Bestimmung der Umlaufszeit einer besonders dichten Meteor-
wolke, bei den Aquariden auf die ungleichmäßige Verteilung der
Meteore vor und hinter dem Kometen, bei den Drakoniden auf den
Umstand, daß dieser Strom erst dann lebhaft in Erscheinung trat, als
durch die Störungen die Kometenbahn der Erdbahn genähert worden
war. Sehr wahrscheinlich ist ferner der Zusammenhang zwischen den
Perseiden und Komet 1862 III sowie den Lyriden und Komet 1861 I,
obgleich für diese Ströme weder die Umlaufszeit sicher ermittelt, noch
irgendwelche zum Ort des Kometen in Beziehung stehende Unregel-
mäßigkeiten der Verteilung nachgewiesen werden konnten. Die beiden
Ströme zeigen indessen das spitze, kurzdauernde Maximum als das
wahrscheinliche Kennzeichen kometarischer Abkunft. In allen sechs
Fällen gab selbstverständlich die nahe Übereinstimmung der Bahnen
36) Encykl. VIs, 10 (@. v. Nießl), Nr. 5.
4. Kritik der Lehre vom allg. kometarischen Ursprung der Sternschnuppen. 951
der Ströme mit denen der Kometen den ersten Grund zur Annahme
eines inneren Zusammenhangs.
Über diese Beispiele hinaus ist jedoch fast nichts Sicheres be-
kannt, und gerade jene Untersuchungen, die zu dem Zweck unter-
nommen worden sind, den Zusammenhang in einer größeren Anzahl
von Fällen aufzudecken, hatten fast durchweg negativen Erfolg. Es
erscheint also durchaus begründet, wenn Monck?") bemerkt, daß mit
Ausnahme von vier Fällen — gemeint sind die Leoniden, Androme-
‚diden, Perseiden und Lyriden — die Zusammengehörigkeit in keinem
Fall genügend gesichert sei, und dann den Schluß zieht?®): „A much
more extensive correspondence must be shown to exist between comets
and meteors before we can accept the cometary theory as satisfac-
tory“. Es ist zwar ein großer Vorzug der Theorie Bredichins, auch
für diese Erfahrung einen Grund angeben zu können, und überdies
führt Bredichin 39 Fälle recht guter Übereinstimmung zwischen be-
rechneten und beobachteten Radianten an. Es gibt aber auch eine
andere Auffassung der Sachlage. Schon zu der Zeit, als Bredichins
Arbeiten entstanden, war nämlich die Zahl der aus den Beobachtungen
mit mehr oder weniger Zuverlässigkeit ermittelten Strahlungspunkte
so groß, daß eine rein zufällige Übereinstimmung eines solchen Punktes
mit einem berechneten kometarischen Radianten sehr leicht möglich
war. Solange nicht andere Beweisstücke zu Gebote standen als die
Ähnlichkeit der Bahnen, hätte man daher die betreffenden Fälle keines-
wegs im positiven Sinne zählen dürfen.
Eine Arbeit des Verfassers®”) wurde in neuester Zeit ausgeführt
mit dem ausgesprochenen Zweck, eine Aufklärung der zwischen Ko-
meten, Sternschnuppen und Feuerkugeln vorhandenen Beziehungen
herbeizuführen. Besteht die kometarische Theorie der Sternschnuppen
zu Recht, so konnte die mittlere heliozentrische Geschwindigkeit dieser
Körper von der parabolischen nicht sehr verschieden sein. Bei inter-
stellarer Herkunft eines größeren Teils der Meteore mußte sie dagegen
merklich über der parabolischen liegen. Die Entscheidung würde also
durch eine zuverlässige Bestimmung der Geschwindigkeit wahrschein-
lich herbeizuführen sein. Die Lösung der Aufgabe erfolgte unter Be-
nutzung der täglichen Variation auf dem gleichen Wege, auf dem
H. A. Newton und Schiaparelli zu ihren ersten Schätzungen der Ge-
schwindigkeit gelangt sind, doch mit verbesserten theoretischen Grund-
37) Observ. 9 (1886), p. 331.
38) Liverpool Astr. Soc. 5 (1886), p. 141.
39) C. Hoffmeister, Untersuchungen zur astronomischen Theorie der Stern-
schnuppen, Astr. Nachr. Erg.-Hefte 4 (1922), Nr. 5.
952 VIs,18a. ©. Hofmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
lagen und unter Verwendung einer langen, gleichmäßigen Beobach-
tungsreihe. Die großen kometarischen Ströme wurden dabei jedoch
nicht berücksichtigt. Es ergab sich für die mittlere heliozentrische Ge-
schwindigkeit ein Wert, der weit über dem parabolischen liegt und
nahezu jenem entspricht, der aus direkten Beobachtungen für die
großen Meteore abgeleitet worden ist. Daraus ist der Schluß zu
ziehen, daß das Gesamtphänomen der Sternschnuppen sich in einen
kometarischen und einen interstellaren Teil spaltet. Zu ersterem ge-
hören vor allem die großen Ströme; außerhalb der Tätigkeitsperioden
dieser Ströme jedoch scheinen die kometarischen Sternschnuppen nur
eine ganz untergeordnete Rolle zu spielen.
Damit dürften die bisher noch bestehenden Unklarheiten grund-
sätzlich beseitigt sein. Aufgabe der weiteren Forschung ist es, unsere
Kenntnis der kometarischen Ströme zu vervollständigen und die noch
unbekannten Ströme dieser Art aufzusuchen. Die Geschichte der
Meteorforschung in der Zeit von 1860 bis 1920 kennt übrigens auch
schon einige Beispiele dafür, daß die kometarischen Ströme für die
irdischen Beobachter recht unbeständige Gebilde sind. Wenigstens
scheint dies von jenen zu gelten, bei denen die meteorischen Massen
nicht gleichmäßig über die ganze Bahn verteilt sind. Man wird also
mit dem Auftreten neuer und dem Verschwinden vorhandener Ströme
immer zu rechnen haben.
d. Regeln für die Untersuchung des Zusammenhangs von Ko-
meten und Sternschnuppen. Bei der Aufsuchung zusammengehöriger
Kometen und Sternschnuppenströme sowie der Prüfung vermuteter Be-
ziehungen wird der erste Schritt immer in der Vergleichung der Bahn-
verhältnisse bestehen müssen. Zunächst ist selbstverständlich zu er-
mitteln, ob der einer gegebenen Kometenbahn etwa zugeordnete Me-
teorstrom für irdische Beobachter überhaupt in Erscheinung treten
kann, d.h. ob sich die Kometenbahn der Erdbahn an irgendeiner
Stelle hinreichend nähert. Es müßte also der Radiusvektor r des Ko-
meten in einem der beiden Knoten nahezu gleich dem Radiusvektor R
der Erde sein, für den unter Vernachlässigung der Exzentrizität der
Wert 1 gesetzt werden kann. Man hat demnach für elliptische Bahnen
das Kriterium zu benutzen:
() re ri
Es bedeutet » den halben Parameter, der aus p=a: cos?p,
sing= e, zu berechnen ist, e die Exzentrizität, ® den Abstand des
Perihels vom Knoten und a die große Halbachse der Bahn. Das
5. Regeln für die Untersuch. d. Zusammenhangs v. Kometen u. Sternschnuppen. 953
Pluszeichen gilt für den aufsteigenden, das Minuszeichen für den
niedersteigenden Knoten.
Für parabolische Bahnen lautet das Kriterium:
iz =}. (N);
(2) Ba
| a (VB),
wo q die Periheldistanz ist. Es ist wegen der großen Breite der
Meteorströme nicht zu verlangen, daß diese Kriterien streng erfüllt
sind. Selbst bei einem Widerspruch von 0,1 astr. Einheiten wird
man unter Umständen noch das Auftreten zugehöriger Meteore er-
warten können. Ferner sind zwei Ausnahmefälle anzuführen. Der
erste umfaßt die Kometenbahnen mit geringer Neigung, bei denen
die Möglichkeit der Annäherung an die Erdbahn nicht auf die Gegend
der Knoten beschränkt ist. Beispielsweise beträgt beim Halleyschen
Kometen der Widerspruch im absteigenden Knoten 0,15. Der Komet
kommt jedoch der Erdbahn noch auf 0,06 Einheiten nahe. Solche
Fälle bedürfen also stets einer besonderen Untersuchung. Die zweite
Ausnahme bilden die Kometen mit sehr geringer Periheldistanz. Bei
ihnen wird eine Begegnung mit der Erdbahn nur möglich sein, wenn
@ nahe bei 0° bzw. 360° oder 180° liegt.
Die Prüfung der Zusammengehörigkeit kann auf zwei Wegen
geschehen: durch Vergleichung der Elemente oder durch Vergleichung
der Radianten. Im ersten Falle wird man zunächst die Bahnelemente
des Meteorstromes berechnen, wobei die Bahn meist als Parabel an-
gesehen werden muß und nur in seltenen Fällen die Exzentrizität aus
der bekannten Umlaufszeit wird abgeleitet werden können. Man kann
auch, lediglich als Hypothese, die große Halbachse einer elliptischen
Kometenbahn für den Meteorstrom als gegeben betrachten, doch sind
solche Mittel fast immer entbehrlich, weil die innerhalb der Erdbahn
liegenden Ellipsenbogen sich meist mit hinreichender Annäherung
durch parabolische Bahnen darstellen lassen. Die für die Bahnberech- .
nung zu verwendenden Formeln sind in der Arbeit v. Nießls: „Die
Bestimmung der Meteorbahnen im Sonnensystem“ Encykl. VI 2, 10
enthalten. Dabei ist zu beachten, daß die beobachteten Radianten von
der Zenitverschiebung befreit werden müssen, was oft versäumt wird.
Indessen wird in manchen Fällen, nämlich wenn die Kometenbahn in
nicht ganz geringem Abstand an der Erdbahn vorüberläuft, die Ver-
gleichung der Elemente nicht ohne weiteres angängig sein. Man muß
vielmehr die Elemente der Kometenbahn so verändern, daß die Bahn
durch den Punkt der Erdbahn geht, an dem die Meteore beobachtet
sin®}o
954 ViI»,18a. C..Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
wurden, daß aber die Exzentrizität und die Apsidenlinie erhalten
bleiben. Es werden also die heliozentrischen Perihelkoordinaten / und
b für den Kometen und einen zugehörigen Meteorstrom übereinstim-
men müssen, und man kann schon durch die Vergleichung dieser
Koordinaten ein Urteil darüber gewinnen, ob die Meteore sich hin-
reichend nahe in der Bahn des Kometen bewegen. Man findet ! und
b aus den Formeln
cos» —= cosb cos(l — N)
sin? sın®o = sinb
(8)
cosi sino — cosbsin (le — N).
Sodann berechne man die Korrektionen Aw und Ai aus
cos(» + Aw) = cosb cos(! — N — AN)
sin(? + Ai) sin(»® + Aw) = sinb
cos(i + Ai) sin(® + Av) = cosbsin(E— N — AN).
Die Knotenverbesserung AN ist als bekannt vorauszusetzen, da
der Knoten der Bahn des Meteorstroms durch das Datum der Beob-
achtung bestimmt und dieser Wert nunmehr auch für die veränderte
Kometenbahn in Ansatz zu bringen ist. Die verbesserte Periheldistanz
q + Ag für parabolische Bahnen findet man aus
Rcos’4(® +&Ao) (N)
Rsin’}(o +Ao) (V).
Für elliptische Bahnen ergibt sich
[+0 -Iz0ı +ecos(» + Av)] (N)
[1— eecos(» + Av)| (%)
sinpg= e
a+ Aa=(p-+ Ap)sec’y.
Die Elemente + Ai, + Av, q9-+ Ag bzw. a+ Aa und &
werden nunmehr mit den Elementen des Meteorstroms verglichen.
Bei parabolischen Bahnen ist die Verwendung der von Lehmann-
Filhes [IV] gegebenen Tafeln zu empfehlen, da sie leicht ein Urteil
darüber gewinnen lassen, inwieweit gefundene Unterschiede durch
fehlerhafte Bestimmung des Radianten erklärt werden können.
Beziehen sich die Elemente der Meteorbahn, entsprechend dem
Ort des Radianten, auf das mittlere Äquinoktium i,, die der Kometen-
bahn auf das mittlere Äquinoktium t, so ist bei großem Unterschied
die Präzession zu berücksichtigen, indem man an die Knotenlänge des
Kometen die Verbesserung + 0°014 .(£, — t) anbringt. Die durch
(4)
(8) + 29=|
(6)
5. Regeln für die Untersuch. d. Zusammenhangs v. Kometen u. Sternschnuppen. 955
die Präzession veranlaßte Änderung der Neigung kann vernachlässigt
werden.
Die umgekehrte Aufgabe, die Bestimmung des Radianten für eine
gegebene Kometenbahn und seine Vergleichung mit dem beobachteten
Ort, ist zuerst von Weiß behandelt worden. Man findet, wenn man
wieder den Parameter so verändert, daß die Bahn des Kometen die
Erdbahn genau durchschneidet, die folgenden Formeln:
o mit e.@ esinw. € er r)
k BOOT = VR(A + ecosw) Vıi-—e*
(7) 7 cosß sin(A — ©) —= cos V + 2 Ki
u RR 1+ ecosw,
T sın ß = —+sı ;Vı u acc
Für parabolische Bahnen ergibt sich:
(® 2 e' sin(® — — 7)
—- eosß cos(A — ©) = n,
ß ( ) si R # yı— e 7.
(8) > cosß sin (A — ©) = cosi cos ‚V- — Li RN
9 s; EN IE wı/?
% sın ß =+snrco,VYr'
Betrachtet man die Erdbahn als kreisförmig, was bei allen Unter-
suchungen gestattet ist, die nicht eine hohe Genauigkeit verlangen,
so vereinfachen sich die Formeln wie folgt:
Für Es Bahnen
e sinw
a; il % Mt N yi + e Lecosw
(9) 1 cosß sin( — ©) = cosiyl + ecosw—1
| = sin ß — + siniVl + ecosw.
Für en Bahnen
— cosß cos(A — ©) = sin >72
cosß si
— .ı . W -
sin — 7 sini cos, Y2.
(10) ©) = 608 % cos SV? — 1
|< ia ae
\
In den Formeln (7) bis (10) kommen folgende Größen vor: die
relative (geozentrische) Geschwindigkeit der Meteore v, die Konstante
der Gravitation k, die ekliptikalen Koordinaten des gesuchten Radi-
956 VI2,18a. O. Hoffmeister. Beziehungen zwischen Kometen u. Sternschnuppen.
anten A und Ri die Exzentrizitäten der Kometenbahn e, der Erd-
bahn e‘, die wahre Anomalie der Meteore am. Begegnungsknoten w,
die Länge des Perihels der Erdbahn x, der Radiusvektor der Erde R.
- w “> . i en MR .
Es erhält stets cos das positive Vorzeichen, sin, das Vorzeichen
von sin. Bei doppelten Vorzeichen gilt das obere, wenn die. Be-
gegnung im aufsteigenden, das untere, wenn sie im absteigenden
Knoten der Kometenbahn erfolgt. |
logk = 8,23558 — 10, x = 101°12’8 + 1'028 - (t — 1900),
| e' = 0,01676.
Zur Vergleichung mit dem berechneten Radianten ist der beob-
achtete Ort von der Zenitverschiebung, d. h. dem Einfluß der Erd-
schwerkraft zu befreien, wozu der schon erwähnte v, Nießlsche Ab-
schnitt dieses Werkes die nötige Anleitung gibt. Der Einfluß ist ge-
ring und kann meist vernachlässigt werden bei Meteoren mit großer
Relativgeschwindigkeit, allgemein auch bei starker Neigung der atmo-
sphärischen Bahnen gegen den Horizont. Er erreicht aber bei Me-
teoren, die von der Gegend des Antiapex herkommen und sich gegen
den Horizont mit geringer Neigung bewegen, recht erhebliche Beträge.
Auf das Ergebnis der Vergleichung der Bahnen und der Radi.
anten darf, wenn es sich darum handelt, Zusammenhänge zwischen
Kometen und Sternschnuppen aufzusuchen, kein zu hohes Gewicht
gelegt werden. Selbstverständlich ist die Frage im negativen Sinne
beantwortet, wenn die Bahnen oder Radianten stark voneinander ab-
weichen. Zur Entscheidung im positiven Sinne jedoch besitzt die
Ähnlichkeit der Bahnen nicht die genügende Beweiskraft. Übrigens
wird, wenn man die Bredichinsche Theorie annimmt, auch bei wirk-
licher Zusammengehörigkeit die Bahn vieler Meteore der ursprüng-
lichen Kometenbahn oft nicht sehr ähnlich sein. Dies ist aber we-
niger bedenklich, weil man kaum in die Lage kommen wird, die Ver-
gleichung mit der Bahn einzelner Sternschnuppen auszuführen, son-
dern meist der Berechnung einen mittleren Radianten zugrundelegen
wird. Zur Herbeiführung einer Entscheidung empfiehlt es sich vor
allem, zu untersuchen, ob die Verteilung der Meteore in der Bahn
irgendeine zum Ort des Kometen in Beziehung stehende Unregel-
mäßigkeit zeigt, insbesondere ob eine Erhöhung der Meteorzahlen
eintritt, nachdem der Komet den Begegnungsknoten passiert hat.
Diese Ermittelungen müssen mit großer Vorsicht ausgeführt werden,
denn es kann leicht geschehen, daß eine unregelmäßige Verteilung
der Meteore durch die Zufälligkeiten der Beobachtungen vorgetäuscht
wird. | |
ö. Regeln für die Untersuch. d. Zusammenhangs v. Kometen u. Sternschnuppen. 957
Zur Unterscheidung der kometarischen von den interstellaren
Strömen könnte vielleicht die Eigenschaft dienen, daß das Maximum
der ersteren sehr plötzlich eintritt und von kurzer Dauer ist, worauf
schon oben hingewiesen wurde. Aber dieses Kennzeichen könnte nur
dann auftreten, wenn die Erde den Strom ganz oder nahezu zentral
durchkreuzt. Ein weiteres Merkmal der kometarischen Ströme scheint
die Ausstrahlung der Meteore von einem größeren Feld und das Vor-
handensein der Nebenradianten zu bilden, wogegen bei interstellaren
Strömen punktartige Radiation zu erwarten wäre. Erschwerend fällt
bei Untersuchungen in dieser Richtung die Ungenauigkeit des bis-
herigen Beobachtungsverfahrens ins Gewicht, das auch nicht gestattet,
die dem Strom fremden, nur zufällig nach dem betreffenden Radianten
weisenden Meteore streng auszuschließen. Es zeigt sich also, daß die
Lösung der gestellten Aufgabe bei dem gegenwärtigen Stande unserer
Kenntnisse einigen Schwierigkeiten begegnet, und es muß vorläufig
der Geschicklichkeit des Berechners überlassen werden, im einzelnen
Falle den geeignetsten Weg aufzufinden. Nicht selten aber wird man
auf eine zweifelsfreie Beantwortung der Frage nach dem Zusammen-
hang eines Sternschnuppenstroms mit einem Kometen zunächst über-
haupt verziehten müssen.
(Abgeschlossen im Oktober 1922.)
VI2,19. SPEZIELLE STÖRUNGEN DER PLANETEN
UND KOMETEN, NUMERISCHE BEHANDLUNG
BESONDERER FÄLLE DES DREIKÖRPERPRO-
BLEMS. MEHRFACHE FIXSTERNSYSTEME.
Von
HEINRICH SAMTER*)
IN BERLIN.
Inhaltsübersicht
1. Die speziellen Störungen. Geschichtliches.
2. Allgemeines über die Methode.
3. Die einzelnen Rechnungsarten.
4. Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Geschichtliches.
5. Die systematische Untersuchung des restringierten Problems.
6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems.
7. Fälle des nicht restringierten Dreikörperproblems.
S. Das Vier- und das Vielkörperproblem.
Literatur.
Über die speziellen Störungen enthalten die gebräuchlichen Lehrbücher der
Himmelsmechanik und der Bahnbestimmung Genügendes. Monographien zur
numerischen Behandlung des Drei- und Vierkörperproblems:
@. H. Darwin, Periodiec ‘orbits = Sc. pap. vol. IV.
J. Fischer-Petersen in Kopenhag. Obs. Publ. 27 (1917) = Sirius 50 (1917), p.185— 205.
E. Strömgren, Forms of periodie motion in the Restrieted Problem and in the
general Problem of Three Bodies according to researches executed at the
Observatory of Copenhagen. (A lecture delivered at the Inter-Scandinavian
Congress of Mathematicians at Helsingfors July 1922.)
*) Das Figurenmaterial wurde dem Referenten von E. Strömgren aus seiner
Helsingforser Abhandlung freundlichst zur Verfügung gestellt.
1. Die speziellen Störungen. Geschichtliches. 959
l. Die speziellen Störungen. Geschichtliches. Die großen
Mathematiker des 18. Jahrhunderts bauten auf dem Gerüst der New-
tonschen Prinzipien die Himmelsmechanik auf. Es galt an den alten
Planeten, dem Monde und den Kometen das Gravitationsgesetz auf
seine Richtigkeit zu prüfen. Für die beiden ersten Klassen von
Himmelskörpern war eine analytische Entwicklung der Störungsfunk-
tion und damit eine approximative Integration der Differentialglei-
chungen ihrer Bewegung soweit möglich, daß die Ergebnisse der
Theorie der fortschreitenden Verfeinerung der Beobachtungen sich
gut anpassen ließen. Die großen Exzentrizitäten und Neigungen der
Kometenbahnen machten für sie die Erfindung neuer Methoden nötig.
Für die Berechnung der Wiederkehr des Halleyschen Kometen wurde
von Clairaut!) zuerst die mechanische Quadratur?) angewendet. Es
war insbesondere die Zeit des Periheldurchgangs, die als wichtigstes
der gestörten Elemente für 1759 mit bis dahin unerreichter Genauig-
keit gefunden wurde. Die wechselvollen Schicksale des Lexellschen
Kometen 1770°) gaben den Astronomen ein Rätsel auf, für dessen
Lösung diese Methode sich als einzige darbot uud bewährte. Der
Ausbau der Methode durch Euler, Mac Laurin u. a. paßte sie den
Zwecken der rechnenden Astronomie immer mehr an. Laplace wid-
. mete ihr einen großen Teil des 9. Buches seiner Mecanique celeste.
Waren bisher die Astronomen nur darauf bedacht gewesen, mit Hilfe
der mechanischen Quadratur den Lauf der Kometen innerhalb der
Grenzen der Beobachtungsfehler darzustellen, so erweiterten die Ent-
deckungen der ersten kleinen Planeten das Anwendungsgebiet sofort.
Denn erstens folgten dieselben so schnell aufeinander, daß die lang-
samer arbeitenden Methoden der allgemeinen Störungen nicht mit
ihnen Schritt halten konnten. Zweitens waren auch hier die Nei-
gungen und Exzentrizitäten so beträchtlich, daß dieselben eine mit
ausreichender Genauigkeit zu führende Entwicklung der allgemeinen
Störungen noch nicht zuließen. ©. F. Gauß’ Genie befruchtete da-
mals beide Felder der Forschung: das der allgemeinen wie das der
speziellen Störungen — so nannte er die durch das Verfahren der
mechanischen Quadratur eruierten.*) Theorie und Praxis in gleichem
1)‘ A. Clairaut, Paris Journ. d. sgav. 1759 u. 1760. Hier eine Figur, die
den Differentialquotienten der gestörten Größe als Ordinate, die Zeit als Abszisse
gibt, zur Erläuterung der mechanischen Quadratur. Unabhängige Veränderliche
ist bei ihm die exzentrische Anomalie.
2) Encykl. II C2 (Runge und Willers), dann Charlier, Mech. d. Himm. II,
. 1-89,
a 3) Encykl. VI», 18 ($. Oppenheim), Nr. 7.
4) Die Bezeichnung: spezielle Perturbationsrechnung stammt wohl von O. F.
960 VIs,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Maße meisternd, schuf er — wie erst durch Herausgabe des 7. Bandes
seiner Werke bekannt wurde — für die Entwicklung der Störungs-
funktion die interpolatorische Methode), verfolgte aber seinen Planeten
Pallas auch mit Hilfe spezieller Störungen. Während er sich um die
Bahnbestimmung der neuen Planeten das größte Verdienst erwarb,
teilte er noch zur Fortsetzung der Berechnung des Laufes derselben
seinen Schülern Methoden mit‘), in welchen die Integrationen durch
mechanische Quadratur ausgeführt wurden, und setzte dadurch auch
Encke in den Stand, den Lauf des nach ihm benannten periodischen
Kometen zu verfolgen.
2. Allgemeines über die Methode. Die Differentialgleichungen
für die Bewegung der Himmelskörper enthalten rechter Hand die ab-
hängigen Veränderlichen. Man kann nun entweder die rechte Seite
mit konstant gedachten Elementen in eine trigonometrische Reihe
entwickeln, die nach Vielfachen einer unabhängigen Veränderlichen
fortschreitet, und die Koordinaten durch Integration und folgende
sukzessive Approximation als Funktionen jener Veränderlichen darzu-
stellen trachten (Methode der allgemeinen Störungen) — oder die
Werte der Differentialquotienten der Veränderlichen für eine Anzahl
äquidistanter Zeiten mit zunächst konstant angenommenen Elementen
voraus berechnen, und dann die Integration über die Veränderungen
numerisch ausführen (Methode der speziellen Störungen). Da man in
keinem von beiden Fällen von sicher bestimmten Ausgangselementen
Gebrauch machen kann, so wird man mit den gestörten Elementen
oder Koordinaten die Beobachtungen darzustellen versuchen und auf
dem Wege der Ausgleichsrechnung — mit Gauß’ Methode der klein-
sten Quadrate oder nach Cauchy — die Elemente verbessern.”) Die
wiederholte Störungsreehnung wird zu genaueren Elementen führen,
aber „das mühselige Geschäft“ muß so oft wiederholt werden, bis
man durch die Korrektionen zur höchsten Staffel der Präzision
emporgeführt wird.®) Gauß’ Erfahrungen mit dem Planeten (2) Pal-
las sind hierfür besonders lehrreich.”) Ohne Störungen zu berück-
Gauß. Wenigstens nennt er sie so in einem Briefe an Encke (Okt. 1834), Werke.
Bd. 7, p. 433, worin er diesem die Publikationsbefugnis der Methode gibt, wäh-
rend dieser sie unter dem 4. Okt. 1834 (ebenda p. 432) die Methode der partiellen
Störungen nennt, die ihm Gauß 1811 vorgetragen habe.
5) Encykl. VI2, 13 (H. v. Zeipel), Nr. #7.
6) P A. Hansen, Auseinandersetzung etc. (Abh. d. sächs. Ges. d. Wiss. V, p.51).
7) Encykl. VIg, 9 (Herglotz), Nr. 23, 24.
8) Gauß, Theoria motus, Nr. 190 = Werke B. 7.
9) Gauß, Briefwechsel mit W. Olbers 26. Nov. und 13. Dez. 1819, zitiert in
Gauß’ Werke Bd. 7, p. 415 u. 418.
2. Allgemeines über die Methode. 961
sichtigen suchte er die Beobachtungen, die aus sechs Erscheinungen
vorlagen, durch eine einzige elliptische Bahn'®) darzustellen. Der Aus-
gleich nach der von ihm erfundenen Methode ließ in der Länge
Fehler bis 216”, in der Breite solche von 83” übrig. Aus den so
abgeleiteten Elementen berechnete er für die folgende Erscheinung
eine Ephemeride'!), entschloß sich aber nachträglich zur Berechnung
der speziellen Störungen durch Jupiter. Indem er die Differentiale
der Elemente von 50 zu 50 Tagen berechnete und durch einen Zeit-
raum von acht Jahren aufsummierte!?), erhielt er für 1811 eine so
wesentlich veränderte Bahn, daß jene Ephemeride um nicht weniger
als 100’ korrigiert werden mußte. Die jetzt übrig bleibenden Fehler
der Normalorte bis 1808 betrugen nach erneutem Ausgleich nur noch
6”. Dabei war die Jupitermasse noch um 2%, zu klein angenommen,
und es waren die Störungen durch die anderen Planeten vernach-
lässigt. Eine zweite Berechnung der Störungen der verbesserten Ele-
mente durch Jupiter ließ die Ephemeride fast unverändert, und der
erneuerte Ausgleich mit Einschluß der Erscheinung von 1811 ließ nur
Fehler bis 8”,7 in Länge und von höchstens 12”,1 in Breite übrig.)
In anderen Fällen wird man wohl nur sehr allmählich zur gegen-
seitigen Abstimmung der Bahnelemente und der speziellen Störungen
gelangen, und es lassen sich Fälle vorstellen, für die dieses Verfahren
in der Richtung nach bestimmten oskulierenden!*) Elementen nicht
konvergiert.'°) Wie groß man das Intervall der Zeitpunkte zu wählen
10) Gauß, de elem. ellipt. Palladis 1811 —= Werke Bd. 6, p. 61.
11) Gauß, Monatl. Korr. 1810, p. 403.
12) Vgl. die Formeln in Gauß’ Werken Bd. 7, p. 473 oder Encykl. VIs, 15
(K. F. Sundman), Nr. 6.
13) Einen wenn auch nicht beträchtlichen Teil der Abweichungen bewirkt
der Umstand, daß der oskulierende Wert der Halbachse a der Pallas so einge-
stellt war, wie ihn das 3. Keplersche Gesetz ergibt, a—%®n”?. Man muß aber,
wenn man vom gestörten momentanen Wert von n ausgeht, auch für a den
gleichzeitigen gestörten Wert annehmen, dieser aber ist von den Störungen so
beeinflußt, daß für die oskulierenden Elemente jene einfache Beziehung nicht
stattfindet, die nur für die Keplersche Bewegung gilt. Es ist vielmehr das dar-
aus resultierende loga vorher um — 4m’«* zu korrigieren, wenn der störende
Planet ein innerer, um 4m’ (1 ++ $«®), wenn er ein äußerer mit der Masse m’ ist,
und « das Achsenverhältnis des störenden und des gestörten Körpers bedeutet in
dem Sinne, daß beidemal «<(1 ist. Vgl. R. T. A. Innes, London Astr. Soc. M.
N. 71 (1911), p. 503. Dieser Fehler ist auch heute noch verbreitet.
14) Encykl. VI2, 15 (X. F. Sundman). Nr. 6.
15) Wie die Störungen die Ausgleichskoeffizienten beeinflussen, zeigte
H. Samter über die Bahn des Planeten Egeria, Berlin Ber. (1909), p. 1247 und
Astr. Nachr. Erg.-Heft 17 (1910), p. 15.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 63
962 VIs2,19. A. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
hat, für welche die Differentialquotienten bestimmt werden, das hängt
im wesentlichen von der erstrebten Genauigkeit ab. Für den wichtigen
Planetoid (433) Eros berechnet @. Witt!*) die Störungen durch Ju-
piter, Saturn und Mars von 20 zu 20, diejenigen durch Venus und
Erde von 10 zu 10 Tagen. Im Falle der Annäherung eines Kometen
oder eines kleinen Planeten an einen der großen wird das Intervall
zu verkleinern sein. Von den Störungen durch andere Planeten als
Jupiter und Saturn wird man in den meisten Fällen absehen können.
Solange die Zahl der kleinen Planeten die ersten 200 nicht über-
schritt, konnte man durch Berechnung der von jenen bewirkten spe-
ziellen Störungen die Rechnung im allgemeinen in recht guter Über-
einstimmung mit den Beobachtungen halten. Die letzten Jahrzehnte
aber häuften die Entdeckungen derart, daß nur wenige besonders
wichtige Objekte durch das Verfahren der numerischen Integration
genau weiter verfolgt wurden, bei anderen allgemeine Störungen be-
rechnet wurden; für die große Masse aber werden zur Zeit nur Ju-
piterstörungen von 120 zu 120 Tagen für das Berliner Astronomische
Jahrbuch berechnet.
3. Die einzelnen Rechnungsarten. Bei den speziellen Störungen
wie bei den allgemeinen unterscheidet man solche rechtwinkliger oder
polarer Koordinaten oder der Elemente. Auf die Differentialgleichungen
für die rechtwinkligen Koordinaten wurde die Methode der speziellen
Störungen zuerst von Bond!') und selbständig darauf von Encke'?)
angewendet. Dieselbe besteht in der Berechnung der auf das erste
folgenden Glieder der Differentialgleichungen (100) (Enceykl. VI 2, 15
(Sundman), Nr. 29) und ihrer nachherigen Integration. Ist bei einer
folgenden Approximation die Größe A?, deren — 3 Potenz auf der
rechten Seite erscheint, wegen der vorhergehenden Annäherung um
16) @. Witt, Untersuchung über die Bewegung des Planeten 433 (Eros),
Berlin 1905.
17) @. B. Bond, On some applications of the method of mechanical quadra-
ture Mem. Amer. Ac. of Arts and Science IV part 1, Boston 1849, p. 189—208.
Die Anwendung, die Bond gibt, ist die Berechnung der Störungen des Mondes
von 12 zu 12 Stunden für vier Tage, unseres Wissens die einzige Anwendung
spezieller Störungen auf diesen Körper, während von sonstigen Satelliten Hype-
rion von @. W. Hill (Astr. Journ. 8 (1888), p. 57 und W. Eichelberger [ebenda 11
(1892), p. 145 und Wash. Publ. vol. VI 1911], ferner der 8. Jupitermond von
P. H. Cowell und A. ©. Orommelin, London Astr. Soc. M. N. 68 (1908), p. 457, 576;
69 (1909), p. 421; 71 (1911), p. 50 in ähnlicher Weise in Angriff genommen
wurden.
18) J. F. Encke, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 349. Wie weit er auch hier von
seinem Lehrer Gauß beeinflußt ist, wird schwer noch festzustellen sein.
3. Die einzelnen Rechnungsarten. 963
2gA?,_, zu korrigieren, indem A’, = (1 + 2g)A?,_, ist, so fördert
die Reihenentwicklung für
BR
f-a.lı (4208),
deren Logarithmus Encke tabuliert hat.!”) Diese Störungen wachsen
besonders rasch an, so daß man die Elemente aus den durch Auf-
summierung gefundenen Koordinaten und Geschwindigkeiten schon
für einen nicht zu fernen Zeitpunkt neu berechnen muß, um für die
weitere Rechnung gegen allzu große Fehler geschützt zu sein. Daß
Enckes Beispiel — die Jupiterstörungen der Vesta — dies nicht zeigt,
liegt an der Geringfügigkeit dieser. Doch wird der der Enckeschen
Methode anhaftende Mangel durch ihre Bequemlichkeit vielfach auf-
gehoben.
Als Grundlage der Berechnung spezieller Störungen in Polar-
koordinaten dienen die Gleichungen (57) 1. c. Nr.21 mit der Maß-
gabe, daß als Grundebene die ungestörte Bahnebene beibehalten, also
eine dritte Gleichung für den Abstand z des Planeten von dieser ge-
braucht wird, nämlich
+’ + mA) = (1 +m& 4 er.
Doch kann man die Kenntnis von z, welche für die strenge Auflösung
der Differentialgleichung des Radius r später vonnöten ist, für die
ersten Werte entbehren. Es finden sich drei Abarten dieses Verfahrens.
Bei der von Brünnow?®) herrührenden finden die aus der ungestörten
Bewegung folgenden Werte r,, v, von r und v Verwendung, und an
sie werden die Störungen angebracht. Dagegen zieht Hansen?!) es
vor, die Störungen auf die mittlere Anomalie M, und den mit Hilfe
der gestörten Anomalie M, + öM und ungestörten Elementen be-
rechneten Radiusvektor rt zu werfen, sowie die gestörte Bahnebene
zugrunde zu legen. Die Störung des briggischen Logarithmus des
Radiusvektors muß dabei durch doppelte Integration der 2. Differen-
tialgleichung gefunden werden; da diese Störung selbst auf der rechten
Seite erscheint, kann man dies durch ein indirektes Verfahren be-
19) Astr. Nachr. 34 (1852), p. 3565, auch abgedruckt in W. Bauschingers
Tafeln zur theoretischen Astronomie, Leipzig 1901, p. 105. Th. v. Oppolzer, Astr.
Nachr. 89 (1877), p.273 zeigt, daß f der hypergeometrischen Reihe F'5, 1, 2, — 29)
gleich ist, gibt die Grundlagen für eine zehnstellige Tafel und Anweisungen für
die Berechnung der Störungswerte und ihre indirekte Integration, ähnlich wie
Tıetjen (Fußn. 22). Die Größe F=f:.g hat A.Wilkens, Astr. Nachr. 205 (1917),
p. 155 tabuliert, vgl. W. Drucker ebenda 214 (1920), p. 17.
20) F. Brünnow, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 249.
21) P. A. Hansen, Astr. Nachr. 34 (1852), p. 101, 293 und 37 (1854), p. 301.
63*
964 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
werkstelligen, da die Störung rechter Hand mit einem kleinen Faktor
behaftet ist und ein roher Näherungswert derselben vorläufig genügt,
oder direkt auf folgende Art. Es sei x aus der Gleichung
a /[ "x be)ar
zu gewinnen, wo X bekannt und b klein sei, so ergeben die Regeln
der mechanischen Quadratur Enceykl. II 3 (Runge u. Willers), Nr. la
füro—=1l
=(a +, —2) +5 X — br — lat, +2)+-=S— br,
— 8-15, 5- X—d8.
1455
Die dritte Abart ist eine Verbindung der Methoden von Brün-
now und von Hansen durch F. Tietjen.””) Welche Methode von allen
am schnellsten fördert, das hängt ganz von den vorliegenden Um-
ständen ab.?®)
Daß man jetzt vielfach wieder zu Elementenstörungen zurück-
be =
gekehrt ist — wenigstens soweit die kleinen Planeten in Betracht
kommen — liegt daran, daß der Zeitpunkt, zu dem die Störungen
zweiter Ordnung einzustellen sind oder ein Übergang zu neuen Ele-
menten zu bewirken ist, nicht immer leicht erkennbar ist, die Berech-
nung einer Ephemeride aber nach einem einzigen System oskulieren-
der Elemente bequemer erscheint“), und man es vorzieht, dieses
22) F. Tietjen, Berlin. astr. Jahrb. 1877; hier eine Anzahl Hilfstäfelchen, so-
wie durchgerechnete numerische Beispiele für alle Methoden, für die mechanische
Quadratur und endlich für den Übergang zu neuen Elementen. W. Scheibner,
Über Hansens Verfahren zur Berechnung der speziellen Störungen (Leipzig. Ber.
1898, p. 31—59) gibt gleichfalls eine eingehende Darlegung der nötigen Rech-
nungen und ein Beispiel: „Hansens Störungen sind leichter zu berechnen, von
geringerem Betrage und von größerer Konvergenz — ein Vorteil, der namentlich
bei der Berechnung der Glieder höherer Ordnung ins Gewicht fällt. Aus diesem
Grunde kommt man mit der bloßen Berücksichtigung der Glieder 1. Ordnung
länger aus als bei der Berechnung der Störungen rechtwinkliger Koordinaten.“
Auch hier kommt eine Grenze, bei der zur Neubildung von Elementen geschritten
werden muß, zu deren Berechnung hier strenge, von Hansen bereits genäherte
Formeln (Astr. Nachr. 34 (1852), p. 124 und 37 (1854), p. 308 gegeben wurden. Durch
rechtzeitige Bildung neuer Elemente vermeidet man stets auf die kürzeste und
einfachste Weise die direkte Rücksichtnahme auf das Quadrat der störenden
Kräfte, welche immer mehr Mühe machen würde. (Hansen in der Einleitung
zu den Egeriatafeln Leipzig. Abhandl. 1867, Art. 29 und 38.)
23) J.v. Zech, Astr. Nachr. 37 (1854). p. 295. Er zeigt auch, wie man Prä-
zession und Nutation in den Störungsrechnungen am leichtesten berücksichtigt.
24) ©. F.Gauß, Exposition d’une nouvelle möthode de calculer les pertur-
bations planetaires (Nachlaß), Werke B. 7, p. 439.
3. Die einzelnen Rechnungsarten. 965
direkt durch Aufsummieren aus Elementenstörungen zu finden. Für
diese sind die Formeln von Gauß'?) bequem, falls nicht Besonder-
heiten vorliegen, die den Größen p,g oder g,h (Encykl. VI», 15
(Sundman), Nr. 6) als Elementen den Vorzug geben lassen. Für die
genaue Rechnung hat diese Methode den Vorteil vor allen, daß man
für jeden folgenden Zeitpunkt leicht ein neues Elementensystem be-
stimmen und mit diesem den nächsten Störungswert berechnen kann.?®)
Die Anwendbarkeit der speziellen Störungen findet ihre Grenze
durch die natürlichen Fehler, mit denen sie behaftet ist. Man bedarf
ja der Werte der Koordinaten der störenden Körper für die gewählten
Zeitpunkte; die Planetentafeln ergeben dieselben mit Abweichungen,
die einander in ihren Wirkungen größtenteils aufheben werden; nicht
so die Abrundungsfehler der numerischen Rechnung, deren Beträge
besonders in dem Doppelintegral Sf di? sich zu solchen Größen
aufsummieren, daß sie durch späteren Ausgleich nicht beseitigt werden
können. Wo die Methode noch unumgänglich ist, wie für die Be-
stimmung der Massen störender Körper, und für einen längeren Zeit-
raum zu führen ist, hat man eine erheblichere Anzahl von Dezimalen
anzuwenden, als die Verfolgung des gestörten Körpers durch kürzere
Zeiten erfordert.?°) Ä
Von Methoden, die zwischen ilyiiehipäh der allgemeinen und der
speziellen Störungen gewissermaßen die Mitte bilden, sei die von
J. H. Lambert?‘) angegebene erwähnt. Hier werden die Koordinaten
— und zwar in dem gewählten Beispiel nur für die geradlinige Be-
wegung — nach der Methode der unbestimmten Koeffizienten in
25) Kunstgriffe, die für beliebig exzentrische Bahnen gelten und die Rech-
nung wesentlich zu kürzen geeignet sind, geben P. V. Neugebauer nach F'. Tietjen,
Astr. Nachr. 154 (1901), p. 301; W. de Sitter, ebenda 163 (1903), p. 106 und
W. Zimmermann, Inaug.-Diss. Breslau 1902 durch Variation kanonischer Ele-
mente, die die Rechnnng wesentlich vereinfachen (ausgeführtes Beispiel).
26) S. Newcomb, Astr. Nachr. 148 (1899), p. 321 führt dies im einzelnen aus
und gibt die wahrscheinlichen Beträge der unvermeidlichen Ungenauigkeiten der
Rechnung. Ergänzend sei bemerkt, daß auch bei der Berechnung der allge-
meinen Störungen sowohl die einzelnen Koeffizienten, die ja aus vielen Sum-
manden sich aufbauen, nicht unerhebliche Ungenauigkeiten aufweisen [H. Samter,
Astr. Nachr. Erg.-Heft 17 (1910), p. 12], als auch die Aufsummierung der für eine
Ephemeride erforderlichen Störungsglieder eine desto größere FRREERENRE er-
gibt, eine je größere Zahl von ihnen mitzunehmen ist.
27) J. H. Lambert, Solution generale et absolue du probl&me des trois brps
moyennant de suites infinies, Berlin Hist. 1767. Für Koordinatenstörungen ähn-
lich de Gasparis Napoli Acad. Rend. 22 (1884), p. 236; 23 (1885), p. 88 u. 24
(1886), p. 23, vorher Paris C. R. 97 (1883), p. 738.
966 VI2,19. H.Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Reihen entwickelt, die nach Potenzen der Zeit fortschreiten. Da diese
nur für verhältnismäßig kurze Zeiträume konvergieren, muß man nach
Verlauf eines solchen stets neue Elemente bilden und neue Reihen
aufstellen. Auch gehört hierher die Methode der partiellen Anomalien
von Hansen”), bei welcher die Bahn des gestörten Körpers in eine
Anzahl von Teilen zerlegt und in jedem derselben eine analytische
Entwicklung nach einer transformierten Anomalie vorgenommen wird
und schließlich die Störungen von Anfang bis zum Ende dieses Bahn-
stückes aufaddiert werden. Bei einigen Anwendungen?”), die sowohl
auf Kometen als auf Planeten gemacht wurden, gelang es auch, für
die Summation in bezug auf mehrere Bahnstücke und Umläufe allge-
meine Formeln aufzustellen.
4. Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Ge-
schichtliches. Man muß das Problem dreier sich gegenseitig nach
dem Newtonschen Gesetze anziehender Körper als einer solchen Be-
handlung durch die höhere Analysis unzugänglich bezeichnen, welche
der Anschaulichkeit nicht entbehrt. Denn ist auch durch K. F. Sund-
man?°®) eine Methode gegeben, die von einem ganz singulären Fall
abgesehen die allgemeine Lösung des Problems durch Reihen bewerk-
stelligt, welche für jeden Wert der Zeit konvergieren, so ist doch
diese Konvergenz, die durch Transformation der Zeit in eine Größe
gelingt, die ihrem absoluten Werte nach für jede Zeit kleiner als
Eins ist, nur für solche Werte von r gleichmäßig, deren absoluter
Betrag von der Einheit merklich entfernt ist. Da die Zahl der die
Koordinaten darstellenden Glieder der Reihen für solche Werte von
t, welche der Einheit nahe kommen, praktisch sich nicht beherrschen
läßt, so ist dieser Weg zu einer anschaulichen Kenntnis der Bahnen
ungangbar. So war die eigentliche Form der Bahnen, von singulären
Fällen abgesehen, bis vor 30 Jahren ganz unbekannt, da sowohl die
bekannten Reihen der allgemeinen Störungstheorie nur semikonvergent
sind, als auch die speziellen Störungsrechnungen sich immer nur auf
begrenzte Zeiträume erstreckten. Immerhin erlaubten diese Mittel in
28) P. A. Hansen, Memoire sur le calcul des perturbations, qu’&prouvent
les comötes, Paris C. R. (Suppl.) 1856, ferner Encykl. VI2, 18 ($.Oppenhe:m), Nr. 2.
29) A. Leman, Prinzip der Partition. Inaug.-Diss. Berlin 1880. Th. Wittram,
Zur Berechnung der Störungen der kleinen Planeten, Petersb. Bull. 1885. H. Samter,
Über die allgemeinen Störungen des Planeten Eros, Astr. Nachr. 188 (1911),
p. 153—182. ;
30) K. F. Sundman, Recherches sur le probleme des trois corps, Acta Soc.
Fenn. 34 (1907); 35 (1909) und Acta math. 36 (1912), p. 106°—179. Vgl. auch
das Referat von v. Zeipel, Astr. Ges. Vjs. 52 (1917), p. 56—79.
4. Die numerische Behandlung des Dreikörperproblems. Geschichtliches. 965
den einfacher liegenden Fällen des Sonnensystems, wo alle Körper
gegen den zentralen vergleichsweise kleine Massen haben, oder wo
der störende Körper trotz großer Masse wegen seiner bedeutenden
Entfernung nur verhältnismäßig schwach wirkte, für die historischen
Zeiträume eine hinreichend genaue Kenntnis der Bahnen. Doch war
der Wunsch, durch Behandlung nicht so einfach liegender Fälle tiefer
in die Natur der von den Himmelskörpern beschriebenen Kurven ein-
zudringen, verbreitet.) Ihm gab greifbaren Ausdruck zuerst 7. N.
Thiele®®),:der durch Stellung zweier Preisaufgaben E. v. Haerdtl?®) 4)
und (©. Burrau®?) zur Behandlung zweier spezieller Fälle des restrin-
gierten Problems (VI2, 12 (Whittaker), Nr. 8) anregte, wobei die end-
lichen Massen S und J als gleich gegeben waren. Der Weg für diese
Untersuchungen und die folgenden ist der des „numerischen Experi-
ments“: aus den gegebenen Anfangsbedingungen werden die bewegen-
den Kräfte für die ersten Zeitpunkte zunächst annähernd berechnet,
durch sukzessive Approximation verbessert, während dann für immer
entferntere Zeitpunkte die Werte der Beschleunigungskomponenten
durch Extrapolation gewonnen°®®), sodann aber die Orte und die Kräfte
gegeneinander allmählich abgestimmt werden. Die Methode ist dem-
nach derjenigen der speziellen Störungen analog.?”)
31) H. Gylden, Über die intermediäre Bahn des Mondes, Acta math. 7 (1885),
p. 125 und über ein Annäherungsverfahren im Dreikörperproblem, ebenda 1 (1882),
p. 77—92. Hier sagt er direkt: Der Mangel, daß man im Dreikörperproblem
noch nicht sehr weit gekommen ist, liegt daran, daß man über die Art der
Kurven, in denen sich die drei Körper bewegen, gar nichts weiß.
32) T. N. Thiele, Recherches numeriques concernant les solutions periodiques
d’un cas special du probleme des trois corps, Astr. Nachr. 138 (1895), p. 1, ver-
gleicht das Problem mit einer starken Festung, die einige schwache Punkte habe,
von denen man allmählich in sie eindringen könne.
33) E. v. Haerdtl, Skizzen zu einem speziellen Falle des Problems der drei
Körper, München. Akad. Abh. 17 (1890).
34) 0. V. L. Charlier, Studier över trekropparsproblemet, Stockholm. Akad.
Bihang 18 (1893), No. 6; 19 (1894), No. 2. H. G@ylden, Undersökningar af Theorien I
und K. Bohlin, Stockholm. Obsery. Jaktt. 9 (1911), No. 2 u.4. Diese analytische
Entwicklung und v. Haerdtis numerische befinden sich in so genauer Überein-
stimmung, wie irgend zu erwarten war. v. Haerdtl bearbeitete 1. c. noch einen
zweiten Spezialfall.
35) C. Burrau in seiner Bearbeitung der von der dänischen Akademie ge-
stellten Preisaufgabe über periodische Bahnen um Z, [Astr. Nachr. 135 (1894),
p. 233 und 136 (1894), p. 161, vgl. auch seine Besprechung der Darwinschen
Arbeit in Astr. Ges. Vjs. 33 (1898), p. 21].
36) Rechenbeispiele für Darwins Methode ausgeführt in Charlier II, p. 65—86.
37) Da hier nicht Störungen vorliegen, sondern die Kräfte von einerlei
‚Größenordnung sind, so bedarf die Bestimmung der Integrationskonstanten Auf-
merksamkeit, vgl. E. Strömgren, Stockholm Öfvers. K. $v. Ak. Förh. (1900), No. 4.
968 VIs,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Im v. Haerdtischen Falle sollte der unendlich kleine Körper P
von einem Punkte der Verlängerung von $J ausgehen, so daß
PS=3%38J, und eine Kreisbahn um $ beschreiben, wenn J nicht vor-
handen wäre, und zwar in derselben Richtung, wie die beiden Hauptkörper
sich um ihren Schwerpunkt bewegen. Hier diente Enckes Methode für
die speziellen Störungen der rechtwinkligen Koordinaten.®®) Die relative
Bewegung gegen die Zeichenebene, die mit der Drehgeschwindigkeit
der beiden Hauptkörper um den Schwerpunkt rotiert, zeigt die Fig. 15.
Auch im folgenden soll diese besondere Art der Darstellung beibe-
halten werden. Die über drei Umläufe erstreckte Integration lehrte,
daß zwei derselben sich ungefähr decken, der dritte aber nach außen
führt. Mit den gegebenen Anfangsbedingungen war demnach die Bahn
nicht periodisch, durch geringe Abänderung derselben konnte sie aber
später dazu gemacht werden.
Die von Burrau angegriffene und fast zur Vollendung gebrachte
Aufgabe betrifft eine spezielle Form periodischer Bahnen (VI, 12
(Whittaker), Nr. 3). Die Wichtigkeit der periodischen Bahnen für
die allgemeine Lösung des Problems war damals nahezu gleichzeitig
den Theoretikern und Praktikern der Himmelsmechanik vor die Augen
getreten. T. N. Thiele und G. H. Darwin gingen mit wesentlich den-
selben Mitteln, wenn auch etwas anderen Zielen auf ihre Eruierung
aus. Sie sind ja am besten zu beherrschen, denn sie sind für unend-
liche Zeiträume bekannt, wenn man die Bewegung während einer
Periode kennt.
d. Die systematische Behandlung des restringierten Problems.
Der Weg von den einfacher liegenden zu den komplizierteren Fällen
nahm am besten seinen Ausgang vom restringierten Problem. Hier
gilt ja das Jacobische Integral (Encykl. VI2, 12 (Whittaker), Nr. 8).
Die Differentialgleichungen für die relative Bewegung sind nach der
Hill-Brownschen Transformation (VI 2, 14 (E. Brown), Nr. 4), wenn.
— wie üblich — 82 statt F” geschrieben wird
= PR 0 . v.. 08
ur2niü=27,; erh {5 2,
und das Jacobische Integral lautet
us=22 —(,
38) K. Bohlin, Astr. Ges. Vjs. 56 (1921), p. 206—210. Die Arbeit steht im
Zusammenhange mit theoretischen Integralentwicklungen von Bohlin, Ark. for
Mat. Fys. 8 (1912); 9 (1913) und 10 (1914) und soll ein Beispiel für diese im
allgemeinen Fall geben, während in v. Haerdtls Fall die Entwicklungen für ver-
schwindende Masse des dritten. Körpers verifiziert werden.
5. Die systematische Behandlung des restringierten ‚Probleme. 969
so daß die Kurven 2% —=( solche sind, in denen die relative Ge-
schwindigkeit des Körpers P Null wird. Da das Quadrat derselben
45 nicht unter Null sinken kann, so muß P stets auf einer Seite
dieser Hillschen Grenzkurve bleiben. Wir nehmen als Einheiten der
Länge und der Masse den Abstand 5.J und die Masse von $ und
wählen die Einheit der Zeit derart, daß die Gravitationskonstante
gleich Eins ist. Die Jacobische Konstante Ü erreicht ihr absolutes
Minimum für SP=JP=1, d.h. in den Lagranyeschen Dreiecks-
punkten, die mit Z, und L, bezeichnet werden.”) Für Bewegungen,
bei denen C noch kleiner ist, besteht demnach keine Grenzkurve, der
Punkt P hat dann für seine Bewegung die ganze Ebene zur Ver-
fügung. Mit wachsendem C erhält man zunächst geschlossene Linien
um L, und L, und sodann eine Schar von Kurven, deren Form für
ein gegebenes Massenverhältnis lediglich der Parameter C bestimmt.
Besteht für einen Wert von Ü die Grenzkurve aus zwei getrennten
Stücken, so ist P gezwungen, innerhalb des von ihnen begrenzten
Raumes zu bleiben, wenn er anfänglich darin sich bewegt. E. Ström-
gren*") zeigte, daß, wenn P bei der Bewegung an eine Kurve der
Nullgescehwindigkeit gelangt, seine Bahn dort eine Spitze besitzt, auf
der die Bewegung immer von rechts nach links vor sich geht für
denjenigen, der sich auf der Normalen befindet und nach der Grenz-
kurve hinblickt. Für J=10 hat sie Darwin gezeichnet‘'), für
J=1 (0.V.L. Charlier‘”). Sie stehen zu den kollinearen singulären
Punkten von Lagrange, von denen L, zwischen S und J, L, jenseits J
und L, jenseits S liege, in entsprechenden Beziehungen, wie zu L, und L,.
Da diese fünf Librationszentren selbst strenge Lösungen für die
Aufgabe der Bestimmung der Bahnform im Dreikörperproblem dar-
stellen, so ist eine geringe Variierung der ihnen entsprechenden Ja-
cobischen Konstanten der natürliche Ausgangspunkt für andere auf
analytischem Wege oder numerisch zu erhaltende Bahnen. Obgleich
also diese Fälle von denjenigen, die die Natur damals darbot, weit
abwichen, sah 7. N. Thiele®?) hier die schwachen Punkte des Drei-
körperproblems; seine und die von ihm veranlaßte Untersuchung von
©. Burrau®) führten auf numerischem Wege fast — wenn auch nicht
völlig — genau zu periodischen Lösungen des Problems.‘?) Nach einer
39) Encykl. VI», 12 Nr. 6 (E. T. Whittaker).
40) E. Strömgren, Astr. Nachr. 194 (1906), p. 32.
41) @. H. Darwin, Orbits = Scient. pap. Vol IV.
42) Charlier, Mech. d. Himmels II, p. 117.
43) Die erste analytische Lösung eines solchen Problems gab H. Gylden,
Öfvers. K. Sv. Ak. Förh. 4 (1884), p. 3 und Paris Bull. astr. I (1884), p. 361.
970 YVIsa,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Reihe von Versuchen, bei denen die Integration über einen halben
Umlauf von P um Z, erstreckt wurde, konnten sie durch Interpolation
den Wert von © für eine Bahn (Fig. 2) derart zwischen enge Grenzen
einschließen, daß dieselbe die £-Achse zweimal senkrecht schnitt. So-
mit waren durch numerisches Experiment die ersten oszillierenden Sa-
telliten der Familie b @.H.Darwins (VI 2, 12 (Whittaker), Nr. 6) ge-
funden. Diese reinen Librationen um die Librationsszentren sind, so-
lange P sich nicht sehr weit von ihnen entfernt, also eine Entwick-
lung nach Potenzen der Koordinatendifferenzen von P und Z möglich
ist, auch einer analytischen Darstellung zugänglich. Eine solche wurde
von 8. S. Hough**) nach Hills Methode der charakteristischen Expo-
nenten gegeben.
Die periodischen Bahnen sind, abgesehen von den paarweise auf-
tretenden um Z, und L,, symmetrisch zur Linie 8J, die zur &-Achse
dient, während die n-Achse deren Mittelsenkrechte ist. Unter großer
Beschränkung seines Arbeitsgebietes gelang es @. H. Darwin “')
eine Anzahl von Typen periodischer Bahnen aufzustellen. Er unter-
suchte nur einfach periodische®°), d.h. solche Bahnen, die nach einem
einzigen synodischen Umlauf sich schließen, und nahm zunächst nur
rechtläufige Bahnen, d.h. solche in Angriff, bei denen die Bewegung
des unendlich kleinen Körpers P mit größerer Winkelgeschwindigkeit
als der des Achsensystems erfolgt. Eine eigentliche systematische
Absuchung des Feldes der periodischen Bahnen beginnt aber erst mit
den von der Kopenhagener Sternwarte unternommenen Arbeiten, die
jetzt — was das restringierte Problem betrifft — zu einem gewissen
Abschluß geführt sind. Darwin fand es vorteilhaft, als unabhängige
Veränderliche, nach der er die numerische Integration ausführte, die
Bogenlänge «a zu benutzen und von dem Winkel g, den die Normale
der Bahn mit der &-Achse bildet, Gebrauch zu machen und ferner
44) 8. S. Hough, On certain discontinuities connected with periodie orbits,
Acta math. 24 (1901), p. 257—288, abgedruckt Darwin, Scient. pap. Vol. 4,
p. 114—139. Charlier IL, p. 117 ff. folgt zunächst genau dieser Entwicklung, er-
gänzt sie dann numerisch und gibt auch ihre Anwendung auf die Librations-
zentren L, und L,. Nach Routh (vgl. Whittaker 1. c.) muß die größere min-
destens 25 mal so groß als die kleinere sein, damit eine stabile Bahn entsteht.
Hier wurde nur bis zu den ersten Potenzen der Koordinatendifferenzen (den Pro-
jektionen von LP) entwickelt. H. Plummer, London Astr. Soc. M. N. 62 (1901),
p. 6, 63 (1903), p. 436; 64 (1904), p. 98 rechnet die zweiten Potenzen mit. In
der letzten Arbeit Zeichnungen für die Gruppen a) und b) der oszillierenden
Satelliten.
45) Es bedarf kaum des Hinweises, daß eine Beziehung zu den einfach-
und doppelt-periodischen Funktionen nicht besteh:.
5. Die systematische Behandlung des restringierten Problems. 971
die Krümmung R-! der Bahn für die Rechnung und Zeichnung her-
anzuziehen. Hier gelten die Formeln:
9—=9p + faar-'; u=w-+ ifdac®
o
hf Zalusy”t — fi 1028 = 0}
Demnach wachsen die durch Integration zu findende Größe t und
ebenso die die Bahn bestimmenden anderen Größen mit Annäherung
an die Nullkurve der Geschwindigkeit wegen der starken Krümmung
sehr stark, wenn man nicht das Integrationsintervall Aa in solchen
Fällen sehr verkleinert. ©. Burrau”) blieb zuerst bei der Zeit als
der natürlicher erscheinenden unabhängigen Variablen, selbst dort,
wo die Bahn eines der von Darwin so genannten oszillierenden Sa-
telliten sich einem der Hauptkörper nähert, wo also die Geschwindig-
keit sehr groß wird. Er fand in der Nähe einer der Massen nach
Potenzen von £ entwickelnd, daß die Schar der Bahnen um Z, os-
zillierender Satelliten mit einer Ejektionsbahn, d. h. einer solchen,
die von einem der Hauptkörper ausgeht, eine Art von Abschluß findet
(Fig. 2).
Für solche Fälle nun, in denen die Geschwindigkeit unendlich
groß wird, empfahl Thiele die nach ihm benannte Transformation, die
die u-Ebene auf einem Streifen einer @-Ebene («= E-+iF') durch
die Beziehung G = eosu
konform abbildet. Zugleich — und dies ist für die Rechnung das
Wesentliche — transformiert er die Zeit durch die Differentialbe-
ziehung dt = rır,dv,
wo r, und r, die Abstände PS resp. P.J bedeuten.) Hierdurch
46) T. N. Thiele (vgl. Fußn. 32). Die differentielle Beziehung ist genau
dieselbe, mit deren Hilfe im Zweizentrenproblem durch L. Euler die Integration
bewirkt wurde. Da auch die E und F' nichts anderes als elliptische Koordinaten
sind, die bei Lagrange zur Lösung dieser Aufgabe dienten, so liegt die Annahme
sehr nahe, daß Thieles Transformation hier ihre Quelle hat. Daß auch andere
Substitutionen von der Form uw=f(p-+ wi), also die Einführung neuer ortho-
gonaler Koordinaten zweckdienlich sein kann, zeigt Levi-Oivitü Atti Acad. Lincei
(1915), p. 555. Doch gestalten sich bei der T'hieleschen die Gleichungen am ein-
fachsten. Da diese E und F' mit En und m
tegral ist, ein kanonisches System bilden, hätte statt der beiden von Thiele,
Strömgren und Burrau benutzten Differentialgleichungen zweiter Ordnung für
wo H=( das Jacobische In-
972 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
wird in der Nähe der Massenpunkte auf das Zeitdifferential sozusagen
ein Vergrößerungsglas aufgesetzt. Diese Umwandlungen haben sich
besonders bewährt und die fruchtbaren Arbeiten der Kopenhagener
Sternwarte wesentlich gefördert, zum Teil erst, ermöglicht. Das Ver-
schwinden der Spitze bei Anwendung dieser Koordinaten zeigt die
Darstellung der Burrauschen Ejektionsbahn in E und F (Fig. 1).
Die einfach-periodischen Bahnen von P bilden eine vierfache
Mannigfaltigkeit, da sie von vier Parametern: der Periodenlänge, der
Energiekonstante, der Zeit und der Länge der Konjunktion“’) abhängen.
Legt man aber die Hauptmassen und ihre Entfernung von vornherein
fest und sieht von den beiden letzten Parametern ab, so reduziert
sich die Lösung nach @. H. Darwin auf eine einfache Mannigfaltig-
keit. Wenn man mit ihm als bestimmenden Parameter der Bahn die
Konstante C von Jacobi ansieht, so können zu einem und demselben
Werte dieser zwar nicht unendlich viele, aber doch mehrere verschiedene
periodische Bahnen gehören.
Darwin zog nur solche Bahnen in Betracht, welche die &-Achse
zweimal senkrecht schneiden, ließ also diejenigen unberücksichtigt,
die paarweise symmetrisch zu dieser Achse verlaufen — wie diejenigen,
welche sich um L, und L, schlingen.
Für die Entdeckung seiner Bahnen ging er von einem bestimmten
Werte von C aus, wählte eine Ausgangsabszisse &,, bestimmte die
nach dem Jacobischen Integral aus © und &, folgende Anfangsge-
E und F [vgl. Thiele 1. c. und Strömgren, Kopenhagen Obs. Publ. 14 (1913) und
Astr. Ges. Vjs. 48 (1913), p. 286] auch das kanonische System der vier Glei-
chungen erster Ordnung Anwendung finden können. In der Eulerschen Trans-
formation der Zeit sehen wir die Nachfolgerin der im Zweikörperproblem nützlichen
andt=rdE
und die Vorgängerin der Sundmanschen (Fußn. 30)
di=doa]fı—e "rm,
izk
durch welche in den Problemen, denen sie angepaßt sind, nicht nur die Koor-
dinaten und die Zeit in geschlossener Form dargestellt werden, sondern die auch
den besonderen Wert haben, in den singulären Fällen des Zusammenstoßes das
Problem zu uniformisieren. Vgl. A. v. Brunn, Bemerkungen zum Dreikörper-
problem, Danzig naturf. Ges. Schriften XV 3 (1920). Eine Verwendung des Zwei-
zentrenproblems für die Lösung des Dreikörperproblems regt Charlier II, p. 354
an und führt H Samter, Astr. Nachr. 217 (1922), p. 129—152 näher aus. Die
Kurven der Nullgeschwindigkeit in den elliptischen Koordinaten E und F’ geben
Burrau u. Strömgren, Kopenhagen Obs. Publ. 18 (1914) = Astr. Nachr. 197 (1914),
No. 4721.
47) H. Poincare, Meth. nouv. I, p. 101.
5. Die systematische Behandlung des restringierten Problems. 973
schwindigkeit n,, die der 7-Achse parallel ist, und berechnete durch
numerische Integration die Bahn für einen halben synodischen Um-
lauf. Nach diesem wird die &-Achse im allgemeinen nicht wieder
normal geschnitten. Erst ein mehrfach ausgeführter Versuch mit
‚verschiedenen &, und eine schließliche Interpolation lieferte eine perio-
dische Bahn. Auf diese Weise suchte Darwin für die Massen S —= 10,
J=1, die Entfernung JS=1 und die Gravitationskonstante Eins,
das Feld der einfach-periodischen Bahnen von C = 37 bis C = 40 ab.
Es sind demnach die zu einer periodischen Bahn gehörigen Para-
meter C und &, voneinander nicht unabhängig, die Beziehung zwischen
ihnen ist aber so transzendent, daß sie sich wiederum nur durch das
Experiment nach Auffindung der Periodizitätsstellen numerisch an-
geben und graphisch darstellen läßt. Natürlich kann man auch &,
oder n, statt C als Ausgangswert benutzen, einen zweiten Parameter
versuchsweise variieren, die dritte ist dann ein Datum der beiden
anderen. Endlich kann man etwa von einem bestimmten Wert E,
der Koordinate E ausgehend die dem Jacobischen C entsprechende
Konstante K oder F, — (=
ein transzendenter Zusammenhang zweier dieser Größen für die sup-
ponierte Periodizität. Diesen kann man graphisch durch eine „cha-
rakteristische Kurve“ ausdrücken.) Man erkennt dann, daß z.B. $,
keine eindeutige Funktion von C ist, daß C vielmehr als Funktion
von &, Maxima und Minima aufweist. Darwin nahm die extremen
Werte von C als Grenzen einer seiner „Familien“ an. Geht man von
einem solchen Werte von C aus, so treten bei einer geringen Varia-
tion periodische Bahnen paarweise auf“), und diese Paare durch eine
künstliche Einteilung zu trennen, liegt keine Veranlassung vor, da
sie analytısche Fortsetzungen von einander sind. Natürliche Grenzen
von „Klassen“ periodischer Bahnen kann man eher bei solchen Kurven
suchen, an denen für den Übergang zu Nachbarkurven eine Diskon-
tinuität in den Geschwindigkeitskomponenten eintritt, d. h. bei den
) variieren. In jedem Falle besteht
v=0
48) J. Fischer-Petersen, Kopenhagen Obs. Publ. 27 (1917) = Sirius 50 (1917),
p. 185— 205.
49) H. Poincare (zitiert bei Darwin, Seient. pap. IV, p. 41). Moulton, Per.
orb. chap. 16 macht dies so klar: Im Zweikörperproblem besteht das dritte Kep-.
lersche Gesetz n?= a”"°. Dies liefert für & als Funktion von n einen reellen
und zwei komplexe Werte. Im restringierten Problem entspricht dem n? die Jacobi-
sche Konstante. Zu einem Werte derselben gehören drei Bahnen, von denen
zwei komplexe Koordinaten haben können, doch ist das Auftreten noch eines
Paares reeller Bahnen zu der einen immer vorhandenen möglich, und zwar von
solchen Stellen an, wo zwei komplexe Bahnen in eine reelle zusammenschmelzen.
974 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Ejektionsbahnen, wo dieselben in 5 oder J unendlich werden. Zwar
würde die Diskontinuität bei Benutzung der Thieleschen Transforma-
tion verschwinden, aber bei der analytischen Fortsetzung — in E
und F' — über die Ejektionsbahn hinaus ändert sich der Charakter
der Bahn insofern, als sie einen Doppelpunkt auf «er &-Achse erhält,
wenn sie vorher keinen hatte, und sich erst nach Vollendung einer
Schlinge um die nähere Masse schließt. Doch ist auch dieses Cha-
rakteristikum für die Einteilung der Bahnen und die Begrenzung von
Bahnklassen nicht wesentlich.
6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten
Problems. I. Die Librationen um L,°) (Fig.2.) Hier hat Gylden
(Encykl. VI2, 12 (Whittaker), Nr. 6 in Fußn. 39) zuerst analytisch
die Möglichkeit einer Libration gezeigt, Thiele eine solche numerisch
berechnet, Burrau die hierher gehörige Ejektionsbahn gefunden. Der-
selbe behandelte dort, wo P nahe an S oder J herankommt, das
Problem in Analogie mit dem Zweikörperproblem, da die Anziehung
des näheren bedeutend überwiegt, und entwickelte für den Teil der
Bahn, der mit großer Geschwindigkeit durchlaufen wird, die Ko-
ordinaten von P nach Potenzen von #. Die Bahn ließ sich dann
annähernd so bestimmen, daß ihre andere Begegnung mit der &-
Achse normal ist. Später wurden die Koordinaten in dieser Bahn
nach ZThieles Methode gerechnet, durch Interpolation in eine Fou-
riersche Reihe nach Vielfachen eines Winkels v—=xYy entwickelt
und damit wieder die rechten Seiten der T'hieleschen Differentialglei-
chungen hergestellt. So fand sich durch erneute Integration die Dar-
stellung der elliptischen Koordinaten E und F verbessert, und es war
ein Mittel gewonnen, durch Variation der Koeffizienten und der Periode
in diesen Ausdrücken die gerechnete Ejektionsbahn feiner abzuschleifen
und die an diese angrenzenden periodischen Bahnen aufzusuchen. In-
zwischen hatte auch Darwin diese Satellitenklasse verfolgt. In der
Nachbarschaft von L, bzw. L, hat die relative Bahn die Form einer
Ellipse, deren große Achse der n-Achse parallel ist, und deren Ex-
zentrizität für S=J (m, = m,) etwa 0,9 beträgt. Die folgenden
Ellipsen platten sich gegen den nähern Massenpunkt (J für L,) hin
ab, vertiefen sich sodann, bis die Ejektionsbahn mit ihrer Spitze in
J(m,) auftritt, und die Fortsetzung ergibt Schlingen um J(m,).
II. Die Librationen um L, sind ganz entsprechend und liegen
für S= J symmetrisch zu 1.
50) Encykl. VIs, 12, Fußn. 39, 40, 41 und 43. Strömgren, Kopenhagen Obs.
Publ. 14 (1913) und Astr. Ges. Vjs. 48 (1913), p. 222.
E Fig. 1. Burraus Ejektionsbahn
nach Thieles Transformation.
= . >%
2 \/ a =
1%: ee
BE
Fig. 2. Klasse I. Fig. 3. Klasse III.
A
IN
A
I ———— |
se
NW
I ——— |
eg
Denen ne za
E x 5 2 R3
o ° o ©
70
x 6 -o
Fig. 4. Klasse V,
976 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
III. Die Librationen um L, (Darwins osz. Sat. a).’') (Fig. 3.)
Die abschließende periodische Ejektionsbahn wurde von (©. Burrau
und E. Strömgren berechnet. Weil L, für m = m, in der Mitte
dieser Massen liegt, sind die periodischen Bahnen für diesen Fall
symmetrisch zur Mittelsenkrechten von $J. Die periodische Ejektions-
bahn geht von einer Masse aus und in die andere hinein, von der
sie ursprünglich weggerichtet war. Die Fortsetzung dieser Klasse
über die Massenpunkte hinaus liefert Bahnen mit je einer Schleife um
einen Massenpunkt. Die periodische Ejektionsbahn wurde in eine
Fouriersche Reihe nach Vielfachen von xy entwickelt. Die unendlich
kleinen Bahnen um ZL, hatte Charlier analytisch entwickelt und ihre
Periode berechnet.’?) Sie sind ellipsenähnlich mit Exzentrizitäten von
0,974 für S= J, von 0,951 für das Verhältnis $:./ wie die Sonnen-
masse zur Erdmasse. Bei ihrer Fortsetzung nehmen diese Kurven
immer mehr die Form der Cassinischen an mit Einbuchtungen in der
E-Achse.
IV. Librationen um L, und L,°?) C. L. Charlier zeigte‘) die
Existenz je zweier Scharen von kleinen ellipsenähnlichen Bahnen um
L, und um Z, als Mittelpunkte, deren kleine Achsen nach der größeren
Masse weisen. Die Scharen um Z, sind zu denen um L, mit Bezug
auf die &-Achse symmetrisch. Die eine Gruppe enthält Bahnen, deren
Periode wenig größer als die Umlaufszeit von $ und J um den ge-
meinsamen Schwerpunkt ist, die andere hat eine sehr lange Periode,
die mit verschwindendem Massenverhälkaig > ins Unendliche wächst. Die
51) Darwin, 1. c.; Moulton, Orb., u. Strömgren, Astr. Nachr. 197 (1914), p. 273.
Hier auch Umrechuungstafeln für die elliptischen in geradlinige Koordinaten
und umgekehrt.
52) COharlier II, p. 133.
53) Encykl. VI 2, 12 (Whittaker), Nr. 6 und Fußn. 45 u. 45a und VI, 15
(Sundman), Nr. 41 und Fußn. 103. Von den zahlreichen Arbeiten über diesen
Fall scheint die erste seit Lagrange die von Liouville, Conn. d. Temps 1845, zu
sein. Die notwendige Bedingung für die Möglichkeit kleiner Schwingungen ist
von Routh [London math. Soc. Proc. 6 (1875), p. 86] für den allgemeinen Fall,
daß auch P endliche Masse habe, gegeben. Er zitiert nach Jullien, Problemes
de m&canique rationelle, 2. Aufl. Paris 1867, eine These von Gascheau, wo sie
schon abgeleitet sein soll. Eine andere Herleitung gibt P. Pedersen, Astr. Nachr.
211 (1920), p. 33—42 = Kopenh. Obs. Publ. 35: Die Erweiterung der Lagrange-
schen Dreieckslösungen im allgemeinen Dreikörperproblem. Moulton, Orb.
chpt. 16, behauptet, daß die Routhsche Bedingung für Schwingungen in größe-
rem Abstande von ZL, resp. L, nicht notwendig sei. Die von ihm berechneten
periodischen Bahnen, für die er Zeichnungen gibt, sind jedoch nicht überzeu-
gend, vielleicht nicht existierend, denn die wiedergegebenen Zahlen enthalten
Fehler (E. Strömgren, 1. c. Fußn. 65).
54) Charlier II, p. 122—137 mit Zeichnung, Lund Obs. Medd. 18 (1901).
6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems. 977
Gruppe der kurzperiodischen Bahnen wurde von H. R. Willard?®) auf
immer größere Entfernung von L, resp. L, verfolgt, wobei die Kurven
die elliptische Gestalt und die konzentrische Lage nicht beibehielten.
Die langperiodische Gruppe fand in E. W. Brown°®) einen Bearbeiter.
Beide benutzten die Methode von Hill.) F. J. Linders?®) berechnete
Periode und Amplitude der relativen Bahn eines Planeten der Jupiter-
gruppe als langperiodische Libration von etwa 150 Jahren. Am größ-
ten ist die Amplitude des fünften unter diesen Planeten mit 19029.5%)
A. Koref‘®) zeigte durch eine numerische Untersuchung der bisherigen
Erscheinungen des Planeten (624) Hector, daß diese Bahn tatsächlich
jene kurze Periode von etwa 12 Jahren hat und eine Ellipse darstellt,
in der jedoch ZL, exzentrisch liegt. Dies mag daran liegen, daß die
Theorie von Charlier, nach der L, in den Mittelpunkt fällt, nur die
erste Potenz des Abstandes PL, in Betracht zieht oder an der Ex-
zentrizität der Jupiterbahn, denn das von der Natur gestellte Problem
gehört nicht zum idealisierten Fall des restringierten, sondern zu den
Librationen im allgemeinen Dreikörperproblem.
V. Bahnen um eine der endlichen Massen m,, welche gegen das
bewegliche Achsensystem rückläufig sind (Fig. 4). Die elliptischen Ko-
ordinaten für unendlich kleine rückläufige Librationen um einen Massen-
punkt entwickelte Fischer-Petersen®') in Fouriersche Reihen und zeigte,
daß die von Burrau und Strömgren‘?) numerisch erlangten periodi-
schen Bahnen die analytische Fortsetzung jener sind. Die Bahnen
55) H. R. Willard, London Astr.Soc.M.N. 73 (1913), p. 482 mit Zeichnungen
unter Annahme des tatsächlichen Massenverhältnisses zwischen Sonne und Jupiter.
56) E. Brown, ebenda 71 (1911), p. 438 mit Zeichnungen und 72 (1912), p. 614.
57) @. W. Hill, Math. Works, p. 284 und Encykl. VI», 12 (Whittaker), Nr. 6
Fußn. 46, 47 und. Charlier II, p. 137—172.
58) J. F. Linders, Arkiv for Mat. Astr. 4 (1908), Nr. 20.
59) A. Wülkens, Untersuchungen zu einer Störungstheorie der Planeten der
‚Jupitergruppe, Heidelberg Akad. Ber. 1918, und Astr. Nachr. 215 (1920), p. 249
—264. In der letzten Arbeit findet er auch säkulare Störungen der großen
Achse und damit solche der mittleren Länge bis zu 27° im Jahrhundert. Er er-
kenut selbst, daß, da die Glieder der Gruppe stets in der Nähe von L, bzw. L,
‚entdeckt wurden, solche Störungen unmöglich sind, und daß das Paradoxon aus
der Ungenauigkeit der vermittelnden Bahn herstammt. Für alle bisher entdeckten
Mitglieder der Gruppe liegen auch die Knoten der Bahnebene nahe beieinander,
besonders nahe, wenn man die beiden gegen Jupiter um 60° zurückbleibenden
ausnimmt.
60) A. Koref, Astr. Nachr. 216 (1918), p. 235.
61) J. Fischer-Petersen, ebenda 202 (1916), p. 201—204 — Kopenh. Obs:
Publ. 23.
62) E. Strömgren u. C. Burrau, ebenda 202 (1916), p. 185—202 = Kopenh!
‚ebenda. :
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2. 64
978 VIs,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
haben die Form von Kreisen um eine Masse, die aber exzentrisch
liegt und von der anderen abgestoßen erscheint. Dieselben gehen
dann in Formen über, die von der äußeren Masse her eingedrückt
erscheinen, und enden mit einer Ejektionsbahn. Innerhalb dieser Gruppe
hat die Jacobische Konstante ein Minimum, und beiderseits der diesem
zugehörigen Bahn treten die demselben Werte der Konstanten zuge-
ordneten Bahnen, die einander sehr ähnlich sind, paarweise auf.
VI Direkte Bahnen um eine der endlichen Massen m, (Fig. 5).
Die analytische Behandlung dieser Bahnen von Hill?”) war der Aus-
gangspunkt aller Untersuchungen über die periodischen Bahnen. In
den elliptischen Koordinaten E, F gab J. Fischer-Petersen‘?) die Ent-
wicklung in Fouriersche Reihen für die Koordinaten in den unend-
lich kleinen Bahnen dieser Art und konnte so zeigen, daß die nume-
rischen Ergebnisse, die Burrau und Strömgren“) für endliche Bahnen
dieser Art ermittelt hatten, in guter Übereinstimmung mit seinen Ent-
wicklungen waren, in desto besserer, je mehr die Bahn dem Haupt-
körper genähert war, so daß die Ergebnisse des numerischen Experi-
mentes sich als Fortsetzungen der analytisch entwickelten sehr kleinen
Bahnen darstellen. Schon @. H. Darwin hatte dieser Gruppe ein ein-
gehendes Studium zugewendet. Seine Ejektionsbahn, die zu beiden
Seiten der &-Achse je eine Schleife hat, zu berechnen, war ihm an-
nähernd gelungen, genau bestimmt wurde sie erst mit Hilfe der
Thieleschen Transformation durch die Arbeiten der Kopenhagener
Sternwarte. Seine Satellitenfamilie B (Fig. 6) bildet aber mit C (Fig. 7)
ein einziges System, da die charakteristische Kurve in diesem Gebiete
ein Maximum aufweist.
Die Kopenhagener Arbeiten®) haben den Übergang von der in
Fig. 5 abgebildeten Klasse zu den Darwinschen B und © völlig auf-
gedeckt. Setzt man nämlich die Entwicklungen über die Ejektions-
bahn in Fig. 5 hinaus fort, bei der man vordem den Abschluß einer
Klasse sah, so erhält man nacheinander die in Fig. 8, 9, 10 und 11
gezeichneten Bahnen. Die letzte ist wiederum eine Ejektionsbahn.
Die ferneren Rechnungen führten über die Bahnen in Fig. 12 und 13
zu der völlig einfachen Bahn in Fig. 14 hin, womit der Anschluß an
Darwins Familie B erreicht ist. Verfolgt man die Reihe weiter, so
gelangt man zu der der v. Haerdilschen Bahn benachbarten periodi-
63) J. Fischer- Petersen, Astr. Nachr. 200 (1915), p. 385—404 —= Kopenh.
Obs. Publ. 22.
64) E. Strömgren u. ©. Burrau, ebenda 200 (1915), p. 313—330 = Kopenh..
Obs. Publ. 21.
65) E. Strömgren, Congr. Math. Helsingfors 1922 = Kopenh. Obs. Publ. 39..
+0 2 £ Zt,
7
A/494421 16955
= a u FE
«08 — s
Kr ca fi192
N
Fig. 8.
Zu Klasse VI.
40 | GR)
Fu n
ANg h
“is re N
U) N RR 5
Tz — hr +4;10 Kr ca Mzı.
Fig. 5. Fig. 9.
Zu Klasse VL Zu Klasse VI.
Fig. 6.
Aus Darwin, per. orb.
Zu Klasse VI.
FIG. 3.
FAMILY 0 OP SATELLITES
Tbe values of C are
given for each curve
= 37-5 not rigoronaly
Fig. 7.
Aus Darwin, per. orb.
Zu Klasse VI.
64*
u
4
-2.0+
\
« |
2
K =: /0 03811.
Fig. 10.
Zu Klasse VI.
R
N
r
m,
K -I0.2381r.
Fig. 12.
Zu Klasse VI.
N
A = /0.62903.
Fig 11.
Zu Klasse VI.
1.1
-[,
Kellzıca.
Fig 13.
Zu Klasse VI.
=
‘
e 1
>
»
we a
a
a K= 14.2563 Ge
r H K-I3.5384.
Fig. 14. Fig. 15. Zu Klasse VI
Zu Klasse VI. - (Per. Nachbar zu v. Haerdiis Bahn.)
m 2?
A A
| 3 |
Mi, > & m; >
] Fr | =
K'- 10.8073.
K:= Groscs.
Fig. 16. Fig. 17.
Zu Klasse VI Zu Klasse VI
m; Bi
K- 9658635.
m,
K- Froscs
a Fig. 18.
Zu Klasse VI
IN;
957516
K-
[0 15169.
=
K
Fig. 19.
Zu Klasse VI.
"IA OsseIy nz 08 "ÖHT
me.)
27)
"IA 9ssuIy nz ’I8 "dd
S9n6 } -M
7.
+0]/-
+7
.07]
6. Die genauer untersuchten Bahnklassen des restringierten Problems. 983
schen Bahn (Fig. 15), die schon zur Familie C gehört. Hieran schließen
sich die übrigen Bahnen dieser in stetiger Folge an. Die in Fig. 16
verzeichnete ist als neue Ejektionsbahn der Darwinschen (Fig. 7) ent-
sprechend. (Die Abweichungen in der Gestalt sind durch das abge-
änderte Massenverhältnis hinreichend erklärt.) Die Fortsetzung führt
zu Schleifenbahnen (Fig. 17, 20, 21), deren Entwicklung in der Nähe
des Massenpunktes Fig. 18 und 19 verdeutlichen.
VII. Rückläufige und VII. direkte Bahnen um die andere Masse m,
zeigen die ganz entsprechende Gestalt, die für m, = m, mit der von
V. und VI. symmetrisch ist.
IX. Bahnen um beide endlichen Massen, die im bewegten System
direkt sind (Fig. 22). Man gelangt über eine Gruppe solcher Kurven
zu einer Doppelejektionsbahn, die je eine Spitze in den Massenpunkten
und zwei Schlingen auf der 7-Achse hat, und die Burrau und Ström-
gren®®) bestimmt hatten, wie auch eines der Mitglieder der Gruppe,
das auf jeder Seite der n-Achse eine Spitze hat. Eine zweite Gruppe
findet sich, wie Lous durch Untersuchung der „charakteristischen Kurve“
feststellte, in der Gegend, wo der Anfangswert F, von F' als Funk-
tion der Jacobischen Konstanten ein Maximum hat. Diese zweite
Gruppe entfernt sich auf der &-Achse um höchstens ;, des Abstandes
der beiden Massenpunkte nach außen (Fig. 22). Verfolgt man die
periodischen Bahnen von der Ejektionsbahn aus nach innen, so erhält
man solche, die um jede der endlichen Massen in einer Schleife herum-
gehen (Fig. 24), nach außen aber schließen sich schleifenlose Bahnen
an (Fig. 23).°®)
X. Bahnen um beide endlichen Massen, die im bewegten Koordi-
natensystem rückläufig, im ruhenden direkt sind. Die unendlich kleine
Masse P wird in großer Entfernung von den endlichen in einer an-
nähernd Keplerschen Bewegung begriffen sein, z. B in einer Kreis-
bahn um den Schwerpunkt, welche gegen ein im Raume festes Ko-
ordinatensystem in direktem oder retrogradem Sinne, gegen das sich
drehende System aber stets in retrogradem Sinne zurückgelegt wird.
Moulton®*) zeigte, daß aus jeder von diesen beiden Bewegungen mit
Annäherung an die endlichen Massen je eine Klasse einfach-periodi-
scher rückläufiger Bahnen mit reellen Koordinaten hervorgeht, deren
65a) Ebenda 26 u. 32 = Astr. Nachr. 203 (1917), p. 277 u. 209 (1910), p. 241.
65b) Die Kopenhagener Untersuchungen, die noch nicht definitiv abge-
schlossen sind, machen es für diese beiden Untergruppen fast gewiß, ebenso wie
sie es auch für die nächste Gruppe wahrscheinlich machen, daß sie in Bahnen
enden, in denen P sich den Librationspunkten Z, und L, asymptotisch nähert.
66) F. R. Moulton, Trans. Amer. math. Soc. 13 (1912), p. 96—108 — Moul-
ton, Orb. chapt. 12.
984 VI»,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Abweichung von der Kreisbewegung daher rührt, daß die endlichen
Massen durch eine endliche Distanz getrennt sind. P. Pedersen®”) ent-
wickelte diese für große Werte der Entfernung R vom Schwerpunkt
in Fouriersche Reihen nach Vielfachen von
v1 FR ia HER HaRN le,
wo — für die im absoluten Sinne direkte, + für die retrograde Be-
wegung gilt, bis zu Gliedern 7. Ordnung in R-!. Strömgren und
Fischer-Petersen®®) gaben einige dieser periodischen Bahnen, die im
ruhenden System direkte Bewegung aufweisen, für endliche Werte
von R, die aus vielen durch numerische Integration erlangten inter-
poliert waren. Die äußerste derselben befindet sich mit Pedersens
Reihenentwieklungen in guter Übereinstimmung. Von der Kreisform
gehen diese Bahnen in ellipsenähnliche über, buchten sich dann in
der n-Achse (für m, = m,) ein; sodann erscheint eine Bahn, die dort
zwei symmetrisch zur &-Achse gelegene Spitzen hat, und schließlich
treten Bahnen auf, die um die 7-Achse zwei symmetrische Schleifen
zeigen, wie Fig. 25 und in größerem Maßstabe Fig. 26 zeigen.
XI Bahnen um beide Massen, die im bewegten und im ruhenden
System rückläufig sind. Die weiteren Bahnen dieser Art sind nahezu
kreisförmig (Fig. 27), sie platten sich aber mit Annäherung an die
Massen allmählich ab (Fig. 28), wobei die Bahngeschwindigkeit in
. stetigem Wachsen begriffen ist. Auf der innersten Bahn bewegt sich
P mit in jedem Punkte unendlich großer Geschwindigkeit zwischen
den Massen geradlinig hin und her.)
XH. Unerwartete Bahnen. Im Laufe ihrer Untersuchungen stießen
Strömgren und Fischer-Petersen®®) auf solche Bahnen, die, zur &-Achse
symmetrisch liegend, dieselbe zwischen den Massenpunkten zweimal
senkrecht schneiden, aber — auch wenn die Massen gleich sind —
gegen die n-Achse unsymmetrisch sind (Fig. 29). Für einen sin-
gulären Wert der Jacobischen Konstanten, nämlich ihren Maximalwert
innerhalb der Klasse XII, existiert aber eine zugleich zur Klasse III
gehörige, also zur n-Achse symmetrische Bahn dieser Klasse XI.
Die Verfolgung dieser Bahnen führte für kleinere Werte der Kon-
stanten zu den in Fig. 30. verzeichneten geometrischen Gebilden.°°)
Man erkennt, daß für einen dem letzten sehr nahen Werte derselben
67) P. Pedersen, Astr. Nachr. 207 (1918), p. 297—304 = Kopenh. Obs. Pub]. 30.
68) E. Strömgren u. J. Fischer-Petersen, ebenda 207 (1918), p. 289—298
= Kopenh. Obs. Publ. 30.
69) E. Strömgren u. J. Fischer-Petersen, ebenda 203 (1916), p. 411—424
= Kopenh. Obs. Publ. 26.
Fig. 22.
Zu Klasse IX.
K»/0.6006
Fig. 28.
Zu Klasse IX.
"IX 9ss8[y uZz 8% "BIT
wioy=oy
BE 00-:M
-[X OssuIy nz "18 "BI
Fig. 29. Zu Klasse XU.
988 VIs2,19. AH. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
die beiden Windungen der Bahn in eine zusammenfließen. In der ana-
lytischen Entwicklung zeigt sich das darin, daß die von den geraden
Vielfachen eines Winkels abhängenden Glieder der Fourierschen Rei-
hen verschwinden. Von dieser singulären Bahn ab kehren sich die
beiden Windungen um, und die Entwicklung läuft über 30b nach 30a
usw. zurück. So bildet diese Klasse eine in sich geschlossene, sich
bei Fortsetzung immer wiederholende Gruppe. Vielleicht ist ähnliches
auch in anderen Klassen der Fall.
Von einer XIII. Gruppe zur n-Achse unsymmetrischer librations-
ähnlicher Bahnen wurden in Kopenhagen bisher zwei Individuen ge-
funden, die zahlenmäßig von der XII. Gruppe abweichen.
Endlich hat @. H. Darwin eine XIV. Gruppe oo-förmiger Bahnen
angegeben’), die abwechselnd um einen Librationspunkt und eine der
endlichen Massen laufen.
7. Fälle des nichtrestringierten Dreikörperproblems.
a) P sei unendlich klein:
&) Die Bahnebenen fallen zusammen. — W. W. Heinrich”") wurde
bei der Annahme, daß J und S sich um ihren Schwerpunkt in Ellipsen
bewegen, zur Aufsuchung gewisser singulärer Kurven geführt, die zu
den Hillschen Grenzkurven in Beziehung stehen und deren Form vom
Massenverhältnis wesentlich abhängt. In der Nähe dieser Kurven, die
er Resonanzkurven nennt — weil der Übergang vom restringierten
Problem zu demjenigen für e > 0 Schwingungen von P erzwingt, die
der Resonanz der Saiten verglichen werden können —, gibt die aus
dem einfacheren Problem abgeleitete Bahn nur ein verwaschenes Bild
der wirklichen. Für die Bewegung eines Jupiterplaneten in der Nähe
von L,, d. h. also eines Punktes, der auch hier mit S und J ein
gleichseitiges Dreieck bildet, addiert sich diese erzwungene Schwin-
gung zu der vom restringierten Problem erforderten. Analoges gilt
für die kollinearen Librationszentren.
70) Darwin, Seient. pap. IV, p. 169 ff.
71) W. W. Heinrich, Astr. Nachr. 194 (1912), p. 209 und Astr. Ges. Vjs. 48
(1913), p. 244—247 sowie Prag. Ges. Wiss. Ber. 1913 und Astr. Nachr. 206 (1917),
p. 90: Über die singulären Punkte gewisser Ungleichheiten im asteroidischen
Problem. In der Nähe gewisser kritischer Punkte ist das erweiterte Problem
mit e' >0 als analytische Fortsetzung der im restringierten Problem gefundenen
Lösung nicht möglich, ohne daß man auf divergente Reihen stößt. So kann man
überhaupt von den Poincareschen Lösungen erster Gattung, bei denen die Ex-
zentrizität mit dem Massenverhältnis verschwindet, nicht allgemein zu denen der
zweiten Gattung übergehen, bei denen die erstere mit dem Verschwinden der
letzteren einen endlichen Wert behält. Dies wird am Beispiele des Hekubatypus
nachgewiesen (Encykl. VI 3 12, Nr. 6), wo Whittaker schon Simonin zitiert. Vgl.
Kepinski, Astr. Nachr. 194 (1913), p. 49.
7. Fälle des nichtrestringierten Dreikörperproblems. 989
A. Wilkens®”) geht von der langperiodischen Lösung als inter-
mediärer Bahn aus und sucht die Störungsgleichungen unter Bevor-
zugung derjenigen der mittleren Länge als des stärkstgestörten Ble-
mentes zu integrieren. Auch gab er Methoden zur Ermittlung der
allgemeinen und der speziellen Störungen dieser Planetoiden”); da
die Differenz der Reziproken von PJ und 8.J hier eine kleine Größe
ist, so beginnt die Störungsfunktion mit Größen zweiter Ordnung; die
Differentialgleichungen für die rechtwinkligen Koordinaten integriert
er direkt, indem er von einem besonderen System oskulierender Ele-
mente ausgeht, bei dem der wesentliche Teil der Störungen durch J
als von der nullten Ordnung von vornherein berücksichtigt ist.
ß) P bewegt sich nicht in der Bahnebene von 5 und J. — Hier
führen die Knotenlänge und die Neigung eines in der Nähe von Z,
bzw. L, bleibenden Körpers eine Oszillation um eine gewisse mittlere
Lage aus, deren Periode der Umlaufszeit des störenden Planeten gleich
ist, und zwar ohne säkulare Änderung. ”!)
Räumliche Oszillationen um die Librationszentren behandelte
Moulton”?) und zeigte, daß sie auf elliptischen Zylindern verlaufen;
die periodischen Bahnen ähneln einer Feuerzange, von der ein Griff
oberhalb, der andere unterhalb der Bahnebene von S und J liegt. Die
Projektion von P auf diese Ebene bewegt sich retrograd, wenn $ und
J direkt umlaufen. Vor die Aufgabe, ein solches Problem numerisch
zu behandeln, stellte auch die Entdeckung des achten Jupitersatelliten,
der in-so großer Entfernung von seinem Planeten kreist, daß die An-
ziehung durch die Sonne seine Bewegung fast instabil macht, die
sonst im Sonnensystem vorliegenden Vereinfachungen also nicht vor-
liegen. Die großen Schwingungen insbesondere der Bahnebene zeigten
so Crommtlin und Cowell.%)
b) Alle drei Massen seien endlich. — Nur der Fall, daß sie sich
in derselben Ebene bewegen, ist numerisch in einigen Fällen durch-
geführt worden. Schon dieser erfordert, weil nicht wie im vorigen die
Bewegung von S und von J als gegeben angesehen werden kann, die
dreifache Arbeit. Den Fall anfänglich kollinearer Massen m, — 2,
m, = 1, m, = 1 mit gegebenen Anfangsdistanzen und der Bedingung,
72) A. Wilkens, Astr. Nachr. 205 (1917), p. 145 und ebenda 214 (1920),
p. 17—34. W. Drucker, der hiernach die speziellen Störungen eines Jupiterpla-
neten berechnete, fand hierdurch keine Erleichterung (Fußn. 19).
73) Moulton, Orb. p. 151—198 mit Figuren. Vorher Math. Ann. 73 (1913),
p. 441—479. Die Methode ist die Plummersche (Encykl. VI 2, 12, Nr. 6, Fußn. 45),
74) P. H. Cowell u. A.C. D. Crommelin, London Astr. Soc. M. N. 69 (1909),
p. 430 mit Abbildungen.
990 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
daß die Einheitsmasse um die doppelte mit den Geschwindigkeiten
beginnen sollen, die jeden von beiden, falls der andere fehlte, in eine
Kreisbahn um die größte Masse zwingen würde, behandelte Ström-
gren”°) durch numerische Integration, wobei statt des hier nicht mehr
gültigen Integralsatzes von Jacobi der von der Erhaltung der Energie
als Kontrolle diente. Bei den ersten Annahmen entfernte sich der eine
Einheitskörper allmählich von den beiden anderen, die sich immer
mehr zusammenschließen, so daß diese schließlich ein Doppelstern-
system bilden, dessen Bewegung von dem ersten nur wenig gestört
wird. Dieser beschreibt aber eine langgestreckte Ellipse um das System
jener, auf welcher — wie es scheint — er später zu ihnen zurückkehrt.
Durch Abänderung der Anfangsbedingungen gelang es, ein System
von drei Körpern zu konstruieren, die periodisch in ihre anfängliche
relative Lage gegeneinander zurückkehren (Fig. 31). Sind sie wieder
kollinear, so hat jeder die Hälfte einer geschlossenen ellipsenähnlichen
Figur beschrieben, die sich in der gleichen Zeit sodann völlig schließt.
Ein Vergleich mit den bekannten Librationen um die kollinearen
Zentren und die mathematische Untersuchung ließen erkennen, daß
das Problem sich aus zwei voneinander unabhängigen periodischen
Lösungen zusammensetzt: 1. der retrograden Bewegung der Einheits-
massen in indirekt homothetischen Ellipsen mit derselben Periode,
mit der das System der relativen Koordinaten rotiert, 2. einer retro-
graden periodischen Bewegung aller drei Massen, wobei stets die glei-
chen in derselben Phase auf ähnlichen Ellipsen, die ungleiche mit
der Phasendifferenz 4 herumschwingt. Wir haben in 1. eine Erweite-
rung des Lagrangeschen Falles, wobei statt der Kreisbewegungen der
drei Massen elliptische der beiden gleichen um die größere eintreten,
oder wo die endlichen Massen sich sämtlich in Ellipsen um den ge-
meinsamen Schwerpunkt bewegen mit wechselnden Distanzen, deren
Verhältnis aber konstant bleibt; in 2. eine neue periodische Lösung
des Dreikörperproblems, die den reinen Librationen um die L im re-
stringierten Fall entspricht. Daß die erhaltene Lösung die analytische
Fortsetzung jener ist, zeigen die numerischen Verhältnisse. Bei dem-
selben Massenverhältnis, aber abgeänderten Anfangsbedingungen konnte
Strömgren Bewegungen feststellen, in denen die kleinen Massen der
großen so nahe kommen, daß fast Ejektionsbahnen entstehen (Fig. 32).
In einem von Burrau”®) behandelten Falle (m, : my: m; = 5:4:3
mit Nullwerten der Anfangsgeschwindigkeiten) ergab die numerische
75) 1. c. Fußn. 37; Astr. Nachr. 182 (1909), p. 189—198 mit Tafel; Kopenh.
Obs. Publ. 34 — London Astr. Soc. M. N. 80 (1920), p. 12—32.
76) C. Burrau, Astr. Nachr. 195 (1913), p. 112.
K= 6,0337
K
Fig. 31. Zum nichtrestringierten
Dreikörperproblem. 5
8
K= 4.9183.
1 E
Fig. 30. Zu Klasse XII.
= 4 3723
-B3 12 I 109 8 7 6 H.NA 3
1]
Fig. 32. Zum
nichtrestringierten
Dreikörperproblem.
ERS PEST BEBEWECRE | vıPpu mund mem
} j } ?
5 2 Ä £
! 1 R Br
H + \ =
‘ ER
: 5
N [3
R
%
»| Fig. 33. Vierkörperproblem.
992 WVIz2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
Integration, daß die großen Körper einander sehr schnell nahe kom-
men und eine große Periastronbewegung ausführen, später nähert sich
der größte Körper dem kleinsten, und ihre Periastren gehen zusammen.
Diese Bewegung ist aperiodisch.
War bei Strömgrens Arbeit, wie bei den meisten früheren, eine
periodische Bahn das Ziel, so sieht K. Bohlin®®) in diesen eine Sin-
gularität und nimmt dagegen als allgemeine Form im unbeschränkten
Dreikörperproblem die asymptotische’”) an. Um eine solche zu er-
halten, erstreckte er für drei gleiche Massen, die sich unter bestimm-
ten Anfangsbedingungen in derselben Ebene bewegen, die numerische
Integration für die Differentialgleichungen in Polarkoordinaten über
zwölf Umläufe im System der beiden inneren und zwei des äußeren
um den Schwerpunkt jener. Dabei scheint das System sich tatsäch-
lich einem definitiren Zustand asymptotisch zu nähern, bei dem die
Bahnen in bezug aufeinander umgekehrt wie am Anfang gelagert sind
— wo die Periastren einander entgegengesetzt lagen — und es scheint
sich ein Zustand herzustellen, der den tatsächlichen Verhältnissen im
Sonnensystem sich besser anschließt als die periodischen Bewegungen.””®)
8. Das Vier- und das Vielkörperproblem. Auch hier läßt sich
eine strenge Lösung denken, die eine Erweiterung der Lagrangeschen
Ergebnisse für drei Körper darstellt (Eneykl. VI 2, 12 (Whittaker),
Nr. 6, Fußn. 37). Ferner wird ein restringiertes Problem sich heraus-
heben, bei dem eine Masse unendlich klein ist, die anderen sich in
streng vorher bestimmten Bahnen bewegen, alle Bewegungen aber in
derselben Ebene bleiben. Einige derartige periodische Bewegungen
gab Longley"®) 1. für die Anziehung durch drei kollineare Massen,
wobei eine Masse in ein von den beiden anderen bestimmtes Libra-
tionszentrum fällt, 2. für die Anziehung durch neun Körper, die so
geordnet sind o ®
und wo die gleich weit von der Mitte entfernten Körper gleichmassig
sind, zwischen den verschiedenen Massen aber eine Bedingungsglei-
chung besteht, die die Kreisform der Bahnen von acht Körpern um
den mittelsten und die gleiche Winkelgeschwindigkeit jedes Quadrupels
77) Encykl. VI a, 12 (Whittaker), Nr. ?.
77a) Vgl. das Beispiel der säkularen Perihelbewegung des Uranus nach
Stockwell bei Charlier I, p. 390.
78) Longley, Trans. Amer. math. Soc. 8 (1907), p. 159—188.
8. Das Vier- und das Vielkörperproblem. 9953
bestimmt, 3. für drei Massen, von denen zwei um den dritten mit
verschiedener Winkelgeschwindigkeit umlaufen. Die angewandte Me-
thode ist hier analytisch, nicht numerisch.
Periodische Bahnen von vier gleichmassigen Körpern in der Ebene
zeigt ein von A. Möller durch numerische Integration erledigtes Bei-
spiel?®) (Fig. 33).
Die Natur bietet einige Beispiele in -den mehrfachen Stern-
systemen. Das bekanteste ist & Caneri: Zwei Körper A und B laufen
in einem Abstand von 0”6 bis 170 um den gemeinsamen Schwer-
punkt, ein dritter C ist in 5”5 Abstand von diesem sichtbar. Ein
vierter unsichtbarer D ist in 0”2 Entfernung von ( zu supponieren,
um den Unregelmäßigkeiten in der Bewegung dieses gerecht zu wer-
den. Nach H. Seeliger?) kann man die bekannten Bewegungen inner-
halb der Grenzen der Beobachtungsfehler, die bei der Enge des ersten
Paares sowohl in Distanz als in Positionswinkel erheblich sind, durch
verschiedene Annahmen über die relativen Massen beider Systeme und
die Lage ihrer Bahnebenen erklären, weil die Entfernung beider Paare
im Verhältnis zur Dimension jedes einzelnen sehr erheblich ist. Schreibt
man selbst dem System CD eine im Verhältnis zu AB unendlich
kleine Masse zu, so ist es möglich, die Bewegung dieses Systems noch
hinreichend darzustellen; doch gibt die Methode der kleinsten Quadrate
ein recht bedeutendes Verhältnis der beiden Massen (Ü+D):(A-+B).
Diese für das Planetensystem unmögliche Unsicherheit erklärt Seeliger
leicht aus der Theorie. Ebenso wurde R. Schorr®') den Beobachtungen
des dreifachen Systems & Scorpii gerecht, ohne eine Einwirkung des
entfernteren Sternes auf das engere Paar (a— 1”3) als notwendig
anzunehmen. Auch für die Erklärung der Anomalien in den Be-
wegungen des Doppelsterns 70 Ophiuchi sind mehrfach Hypothesen
über einen dritten zum System gehörigen Körper gemacht worden.
So von See®?) und Doolittle®) Da die sich ergebende Umlaufszeit von
836 oder mehr Jahren bei der erforderlichen Größe der dritten Masse
zu groß ist, als daß das System stabil sein könnte ®), verlegte A. Prey®”)
79) E. Strömgren, Astr. Nachr. Jubil.-Nr. 1921, p. 26—28.
80) H.v. Seeliger, Wien Ber. 44 (2. Abt. 1881) und München Akad. Abh. 17
(1892); P. Harzer, Astr. Nachr. 116 (1887), p. 49.
81) R.Schorr, Untersuchungen über das mehrfache System & Scorpii, Inaug.-
Diss. München 1889. Analytische Untersuchungen für solche Systeme gibt A. Zapp,
Inaug.-Diss. München 1908.
82) J.J. See, Astr. J. 16 (1896), p. 17.
83) E. Doolittle, ebenda 17 (1897), p. 121.
84) F. R. Moulton, ebenda 20 (1899), p. 33.
85) A. Prey, Wien Akad. Denkschr. 72 (1901).
Encyklop. d. math. Wissensch VI2. 65
994 VI2,19. H. Samter. Spezielle Störungen der Planeten und Kometen usw.
die dritte Masse in so große Ferne, daß sie in der betrachteten Zeit
nur eine geringe Bewegung macht, während F\ Pavel®®) aus seinen
Rechnungen eine Periode der Störung von nur 6’, Jahren fand und
demnach einen nahen Begleiter des Hauptsterns annimmt.
Für die Bewegung eines kleinen Körpers in einem kugelförmigen
Sternhaufen, in dem die Dichte lediglich eine Funktion des Abstandes
vom Mittelpunkte ist, gilt der Satz von der Erhaltung der Flächen
und der Energiesatz. Für das aus Beobachtungen als mindestens an-
5 5
nähernd gültig nachgewiesene Dichtegesetz 3 = (3 + r?) ?, wor
den Abstand vom Zentrum, go die Dichte bedeutet, führte Strömgren®")
die Integration der Bewegungsgleichungen in geschlossener Form durch
elliptische Integrale aus und die Diskussion der möglichen Bahnen
durch. Es sind annähernd, von singulären Fällen abgesehen, exzen-
trische Ellipsen mit einer direkten Bewegung der Apsidenlinie, die
mit denen im Sonnensystem verglichen als sehr stark zu bezeichnen
ist. Die Geschwindigkeit bleibt auch für Körper, die durch den Mittel-
punkt des Systems laufen, immer endlich, hat aber dort ihren Maxi-
malwert; die größten transversalen Geschwindigkeiten sind aber in
Bahnen, die fern vom Mittelpunkte verlaufen, zu erwarten.
86) F. Pavel, Astr. Nachr. 212 (1921), p. 347. Da die bisherigen Ergebnisse
auf Grund einer Dreikörperhypothese nicht voll befriedigen, nehmen 0. Lohse,
Potsdam Astroph. Obs. Publ. 20, Nr. 58, St. 1 (1908) und H. E. Lau, Paris Bull.
astr. 26 (1909), p. 433 an, daß die Anomalien auf systematische Beobachtungs-
fehler zurückgehen.
87) E. Strömgren, Astr. Nachr. 203 (1916), p. 17—24.
(Abgeschlossen im Dezember 1922.)
Berichtigung.
In Fußnote 13), p. 961 ist Z. 7ff. zu lesen:
Es ist vielmehr der daraus resultierende loga vorher um — + m’ a® zu korri-
gieren, wenn der vernachlässigte störende Planet ein äußerer, um z m’ (1 + 30°),
wenn derselbe ein innerer mit der Masse m’ ist.... Diese Unterlassung ist
auch heute noch verbreitet.
VI2,20. ROTATION DER HIMMELSKÖRPER, PRÄ-
ZESSION UND NUTATION DER STARREN ERDE.
Vox
J. BAUSCHINGER
IN LEIPZIG.
Inhaltsübersicht.
1. Einleitung. Geschichte.
2. Allgemeine Theorie der Drehung.
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde.
4. Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte.
5. Übergang zur astronomischen Praxis.
6. Die Bestimmung der Präzessionskonstante.
7. Theoretische Behandlungen.
8. Die Polhöhenschwankungen.
Literatur.
J. d’ Alembert, Traite de la precession des @quinoxes, Paris 1749.
P. $S. Laplace, Trait&E de Me&canique celeste, Tome second, Livre V, Chap. I.
Zahlenwerte: Livre VI, No. 31.
S. D. Poisson, M&moire sur le mouvement de la Terre autour de son centre de
gravite, M&emoires de l’Institut, VII (1827), IX (1830).
L. Poinsot, Pr&cession des equinoxes, Connaissance des Temps pour 1858.
J. A. Serret, Theorie du mouvement de la Terre autour de son centre de gra-
vite, Ann. de l’Observatoire de Paris, Me&m. t. V (1859).
C. A. F. Peters, Numerus constans Nutationis, M&m. de l’Ac. St. Petersbourg,
t. 3 (1844).
Th. v. Oppolzer, Lehrbuch zur Bahnbestimmung der Kometen und Planeten, Erster
Band, Zweite Aufl., 1. Teil, 2. Abschn. (1882).
F. Tisserand, Trait& de Me&canique celeste, Tome II (1891).
S. Neweomb, A new determination of the Precessional constant with the resul-
ting Precessional motions, Astronomical Papers of the American Ephemeris.
Vol. VII. Washington 1898.
F. Klein und A. Sommerfeld, Über die Theorie des Kreisels, Heft III, Astrono-
mische und geophysikalische Anwendungen, Leipzig 1903.
L. de Ball, Theorie der Drehung der Erde, Wien Ak. Denkschr. 81 (1908).
J. Bauschinger, Bahnbestimmung der Himmelskörper, Leipzig 1906.
S. Newcomb, Spherical Astronomy, New York 1906.
L. de Ball, Lehrbuch der sphärischen Astronomie, Leipzig 1912.
GERN TR Sk ERTES TERN TCRN 65*
996 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
1. Einleitung. Geschichte. Die Mechanik des Himmels trennt
bei der Betrachtung der Bewegungen im Sonnensystem die Bewegung
der Schwerpunkte der einzelnen Planeten (mit ihren Satelliten) von
der Bewegung der Hauptkörper um diese Schwerpunkte (vgl. VI2, 15
(Sundman), Nr. 2), was nach dem Grundsatz der Mechanik von der
Relativbewegung gestattet ist (vgl. IV 6 (Stäckel), Nr. 29). Nur diese
letztere Bewegung, die Rotationsbewegung, ist Gegenstand dieses Ar-
tikels. Ferner wird noch vorausgesetzt werden, daß der rotierende
Körper ein unveränderlicher, starrer Körper sei im Sinne der Dyna-
mik (vgl. IV 6, 25 ff.), wenn auch anzunehmen ist, daß die Planeten
dies sicher nicht sind oder nicht immer waren.
Die Behandlung des Problems führt zur Erklärung der Präzes-
sion der Längen, die zuerst von Hipparch aus den Beobachtungen
geschlossen wurde; Copernikus erkannte die Erscheinung als eine Be-
wegung der Pole der Erde um die Pole der Ekliptik, und Newton
erklärte sie durch die anziehende Wirkung von Sonne und Mond auf
die äquatoriale Anschwellung der als Rotationsellipsoid gedachten
Erde. Die weitere Geschichte ist in Zaplace, Mecanique eeleste, Livre
XIV, Chap. I, dargestellt und sei daraus nur hervorgehoben, daß
d’Alembert in seinem „Traite de la precession des equinoxes“ nicht
nur die Präzession viel genauer behandelte, als es Newton geometrisch
möglich war, sondern auch die kurz vorher von Bradley durch Be-
obachtung entdeckte Nutation völlig klarlegte; die Fortführung und
elegantere Darstellung gelang später Euler, Laplace und FPoisson
(s. Literaturübersicht).
Was die hier gemachte Voraussetzung eines starren Körpers an-
langt, so ist hinzuzufügen, daß Poincare!) nachgewiesen hat, daß für
eine freie homogene oder nicht homogene Flüssigkeit die Präzession
und Nutation dieselben sind, wie für einen festen Körper; ebenso daß
Schweydar?) gezeigt hat, daß die von der Elastizität der Erde her-
rührenden Änderungen der Präzession und Nutation so klein sind,
daß sie sich der Beobachtung entziehen.
2. Allgemeine Theorie der Drehung. Die Theorie der Drehung
der Erde um ihren Schwerpunkt beruht auf den allgemeinen dafür
in der Mechanik aufgestellten Formeln°); da sich jedoch in der astro-
1) H. Poincare, Sur la pröcession des corps deformables, Paris Bull. Astr.
27 (1910), p. 321; vgl. auch $. Oppenheim, Über die Rotation und Prüzession eines
flüssigen Sphäroids, Wien Ak. Ber. 85 (1885), p. 528 u. Astr. Nachr. 113 (1885), p. 209.
2) W. Schweydar, Die Bewegung der Drehachse der elastischen Erde im
Erdkörper und im Raum, Astr. Nachr. 203 (1916), p. 101.
8) Encykl. IV 1, 6 (P. Stäckel), p. 552ff.
1. Einleitung. Geschichte. 2. Allgemeine Theorie der Drehung. 997
nomischen Literatur so wenig wie in der Mechanik eine feste Be-
zeichnungsweise eingebürgert hat?), sind wir genötigt, die hier ge-
brauchte und die damit entstehenden Formeln vorauszuschicken. Wir
nennen das im Raum feste Koordinatensystem x, y, z und das im
drehenden Körper feste &, n, &,
bezeichnen die Richtungscosinus
zwischen beiden nach dem Schema:
| a |
5 0% 09 0
N Pı Pr PB;
& #24 Wa
definieren die Eulerschen Winkel
0, p, y, wie in beistehender Figur
bezeichnet, und haben dann:
(= —+ 6089 cosy + sing sin Yy cos®
% = — c0Sp sind + sing cosYy cos®
% = — sing sind
ß, = — sing cosYy + cosp sinYy cosd
(1) {ß, = + sing siny + cos@ cosyY cos
ß; = — 008 p sin®
Yy, = + siny sind
Y—= + cosY sind
Y = + 6089.
Die Systeme sind rechtsläufige und in demselben Sinn werden alle
Winkel und Drehungen angenommen; N ist der aufsteigende Knoten
von xy auf &n.
Die Komponenten der Drehungsgeschwindigkeit um die &-, n-,
&-Achse seien p, q, r; diese stehen mit den Eulerschen Winkeln in
dem Zusammenhang‘)
f i .. n4%y a0
p= sınp sind Zr — 0089 75
u ? do
(2) 1q = 0089 sing”? + sinp5z
N dv dp
FR = 0805 + ei
oder umgekehrt
4) Encykl. IV 1,6 (P. Stäckel), p. 564.
998 VIs,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
[sin o%* —= + psinp + 9c08Yp
(3) \sin 0@ — + psinp c0s® + gc0sp cosd + rsin®
dd i
\ 1 peosp + qsinp
und werden durch die Eulerschen Differentialgleichungen der Rota-
tionsbewegung°) bestimmt:
(.,d
AF+(C-Bgor=L
(4) BA 4+(A—O)p—M
(04 +(@—Apa—N
A, B, © Hauptträgheitsmomente des rotierenden Körpers,
L=2m2,—6H) 4=-26— 52,)
N= 2(&H, — 9,#,)
En, H,, Z, Komponenten der äußeren Kräfte, parallel den Achsen &n8.
Die resultierende Drehungsgeschwindigkeit aus p, q, r ist
o=Yp’+g’+r'
und vollzieht sich um die Achse — die instantane Drehungsachse —,
deren Richtungscosinus gegen die Achsen &n& bzw. xyz sind:
[cos« = 2 Aether
(5) !cosß— I Co Br
ante Aeag — cost — PT Est I
Wirken auf die Massenteilchen m, des rotierenden Körpers nach dem
Newtonschen Gesetz anziehende Kräfte, die ihren Sitz in dem Massen-
zentrum M mit den Koordinaten &,n,5, haben, so lassen sich die
Komponenten #,4,Z, und somit die LMN durch die Differential-
quotienten der Kräftefunktion
6) UV-RU I", nm tn)
ausdrücken: ( oU U
bg 0 a
eU oU
(7) IM=br5 7 rg
ou oU
engem
5) Encykl. IV 1,6 (P. Stäckel), p. 575.
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 999
oder nach Einführung der Eulerschen Winkel:
2-55 — + a cosp I
sin 0 08
cos oU
(8) = + 00503 tr
DU
Men’
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. Bei der
Anwendung auf die Rotationsverhältnisse der Erde ist der Ausdruck (6)
der Kräftefunktion U unter den Annahmen aufzustellen, daß die an-
ziehenden Kräfte ihren Sitz im Zentrum der Sonne bzw. des Mondes
haben und daß die Massenteilchen m, zusammen die Masse der Erde
ausmachen. Ist o, die Entfernung von m, vom Schwerpunkt der
Erde und r, die Entfernung der Sonne oder des Mondes von dem-
selben Punkt, so wird:
x 1(1- (23% n + NoNn + 8055 EN
T, 7 r;
1
1 TE 1 3 5
rettet)
Da die Dimensionen der Erde gegen die Entfernung r, sehr
klein sind, kann eine Entwicklung von U nach Potenzen von 0, das
von der Ordnung en ist, zugrunde gelegt werden. Zerlegt man U in
0
Glieder nullter, erster, ... Ordnung U=-w+w+%-+::-, so wird:
— BMI — ME E = Erdmasse.
— ia er 6, eu tum tb on
a M>'m, (0 &n a ve Mn ut 5 RER — EM Dim ri
(9)
Rx Ks
Man 2 leicht, daß bei Annahme . ee
punktes im Schwerpunkt der Erde u, = (0 wird, ferner, daß bei Ver-
legung der Achsen &n& in die Hauptträgheitsachsen des Massensystems
3%®?M/(8 '
u Wen 4 BHO=A)
+ (0+4—B+3A+B—-Q—z(4+B+0)
wird, endlich, daß die Hypothese einer symmetrischen Anordnung der
m, um die Achsen £n& w=0 zur Folge hat. Da Glieder vierter
Ordnung nie in Frage kommen, ferner die Annahme gemacht werden
kann, daß die Erde ein Rotationsellipsoid ist, dessen Umdrehungs-
achse mit der &-Achse zusammenfällt, was A= B zur Folge hat,
1000 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
und da endlich in den Gleichungen (4) und (8) nur die Differential-
quotienten von U nach y, Y, 6 vorkommen, so reduziert sich der
ganze in Betracht kommende Teil der Kräftefunktion auf
ni 3 k®?M
(11) 0-55 4-08.
Hierin ist
(12) & = sinvsind.2, + cosp sind. y,—+ cos: 2,
wenn mit %,%,2, die Koordinaten von M im festen System xyz be-
zeichnet werden. Da hieraus
au
folgt, so gibt die letzte Gleichung (4), wenn darin noch B= A ge-
setzt wird‘): 7 —0, d. h. die Rotationsgeschwindigkeit r um die
Hauptträgheitsachse & ist konstant. Wird diese Konstante gleich o’
gesetzt und außerdem:
c—4
(14) Br ua oa—u,
so wird aus den beiden ersten Gleichungen (4) mit Rücksicht auf (8):
dp» __ sinp d9U copdauU
es a tem mon A 80
( ) dq _.c0sp OU sing oU
a PT 4 sind dp a
Nimmt man dazu noch (3)
[sine ® — +p sing -+ qcosp
do
(16) ET PSP + ICs
d ‚ d
1 —=0o0+ cos0Gr,
so ist in diesen Gleichungen nunmehr das ganze Problem begriffen,
da es in letzter Linie auf die Bestimmung von % und 9 ankommt.
Aus (15) folgt nach (16):
dp dq__ 1 /0U dw 3U a0
Ei Pt an ta)
und aus (16) mittelst (15):
dl: gd\ __ ‚do ı. 30
18 a (in) = rar + ame
Fre, NP REN A 30°
6) Über die Durchführung des Problems ohne diese Annahme B=A siehe
Tisserand, Mec. cel. T. II, p. 383 ff, wo auch die Literatur angegeben ist.
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1001
wenn gesetzt wird:
d 1% f dy ‚
Mit Rücksicht auf
1 (4 2) 6
rar sind dt sin 0 E)
folgt daraus:
A. u 1. 2U
N ne 7,0
A dv 1: ,d0\2
h li)
en a4 A 4 (sino$ Er) + 10500
VE OPT Co’ sind dw
A dy dd
00a
Die ersten Glieder rechts sind von den äußeren Kräften unabhängig;
es ist wichtig darzulegengögaß sie verschwindend klein sind. Setzt
man Ü=(, so gibt die & "une (17) 2? + g?= const., woraus die
Bereihtighng des Ansatzes
p=gcos Yan sin w£
Bee ut
folgt. Die Richtungscosinus der instantä) Drehungsachse J gegen
das System &n& (Hauptträgheitsachsen den Beglipeti) werden also
nach (5) “
(21) 9 und h Konstante
1 \ .g
cosa — — (g eosut + hsinut) = sinpcosT’
(22) Icosß = —(g sin ut — hcosut) = siny sin I’
.
(0oby am
go?
und I' ist der Winkel zwischen &J und &&; setzt man g—= mcoso
und A=msino, so wird die Lage von J gegen das System &n&
bestimmt durch:
siny cos I’ = cos (wi — 6)
(23) jsiny sinl’—= = sin (ut — 6)
©
cosy = _
und es wird somit:
N 93h?
in Vrhn Te
Wr VP+HR—-N
(24)
1002 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
d. h. die Achse J beschreibt um die Achse & einen Kegelmantel von
der Öffnung y mit der konstanten Geschwindigkeit u“ o'; die
Periode wird, da sich u aus den Beobachtungen zu 0,02072 bestimmt
(s. Nr. 4)
25) P= . —= 305 mittlere Sonnentage (Eulersche Periode).
Durch Messungen der Polhöhe eines festen Punktes auf der Erdober-
fläche ist festgestellt, daß y den Betrag von 0”,3 nicht überschreitet
und daß die Periode des Hauptteiles der Bewegung mit der Euler-
schen nicht übereinstimmt. Es fällt also die instantane Drehungs-
achse stets sehr nahe mit der Umdrehungsachse des Rotationsellip-
soides zusammen, d. h. m und somit auch g und h sind sehr kleine
Größen. Werden sie nicht direkt zu Null angenommen, so wird der
Betrag, mit dem sie nach (20) auf » und 9 einwirken, gegeben
sein durch
7 do 2". A tgy
0 sind Tor ana !n 60 (pi 0) ng OPER)
Wahn d A : A .
et m sin(p+ut— 6) -— nigr sin (p+ut— 6)
nach (16) und (21). Da A und CO nahe gleich sind und die Periode von
OT 1 dy
sehr nahe ein Sterntag ist, so handelt es sich also um Glieder von
nahe eintägiger Periode mit einer Amplitude von der Ordnung der
Polschwankungen. Diese Glieder verschwinden mit y, d. h. sobald
man annimmt, daß die instantane Drehungsachse J mit der Um-
drehungsachse des Rotationsellipsoids zusammenfällt. Wenn nun auch
die Beobachtung zeigt, daß dieses nur sehr nahe zutrifft, so ist man
doch genötigt, das volle Zusammenfallen anzunehmen, da die Kon-
stanten in % und ® nur unter dieser Voraussetzung durch Beobach-
tung bestimmt werden können; dann aber sind die Glieder streng
gleich Null. In noch höherem Grade gilt dies von den dritten Glie-
dern rechts in (20), die von der zweiten Ordnung sind. Es ist jetzt
bewiesen, daß die Gleichungen (20) sich auf die folgenden reduzieren:
dv _ 1 oU
dt (Co sind 90
(26) ae 1.00
a Den dp’
die zuerst von Poisson’) aufgestellt sind.
7) Siehe Literaturübersicht.
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1003
au ;ı au
sind 9% sind 00
als Funktionen der Zeit zu en wofür der dank (11) gibt:
Behufs Integration der Gleichungen (26) sind ———,
ö AN a
(21) 1 rd eo) &_%.
sin 0 00 i ) in6 36
Werden hier durch
es) |
die Polarkoordinaten r,l,b, des anziehenden Körpers eingeführt, so folgt:
6, = sinOsiny-%, + sind cosy -Yy, + 0080-2,
,=r,c08b,c08l, %—r,cosb,sinh, 2 = r,sind,
sind dw
Berl
sin6 de — SEPM(A — 0),
hr TU —_3P U(A— 0): zn
(29)
fo 3)
wenn gesetzt wird
(30) | K= (sindcosb,sin(l,+%)+cosdsinb,)cosdb,cos(ly+%)
Q= (sindcosb,sin(l,+%)-+cosdsinb,)(cotg9cosb,sin(,+Y)—sindb,).
Als anziehende Körper kommen nur zwei in Betracht, die Sonne
und der Mond, deren Wirkungen sich einfach summieren. Bezeichnet
man alle auf die Sonne bezüglichen Größen mit den bisherigen Buch-
staben und fügt den zum Mond gehörigen einen oberen Index bei
(ro, I da» M, K', Q/), so wird:
ra net ne)
Eur
und nach Einsetzung in (26):
= EHER
a)
Führt man die großen Halbachsen der Sonnen- und Mondbahn a
und «a ein, so wird, wenn noch
= we
gesetzt wird 5 in,
a ‚
(32) rel
(tee)
1004 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
Die Überführung dieser Ausdrücke in Funktionen der Zeit er-
fordert weitläufige Entwickelungen, die hier nur angedeutet werden
können.°) (=) und (2) können der elliptischen Bewegung von
Sonne und Mond entnommen werden: ist e die Exzentrizität, Z, die
mittlere Länge für den Anfangspunkt der Zeitzählung, & die Länge
der Perihele, n die mittlere Bewegung, also ,W+nt—o=g die
mittlere Anomalie, so wird:
() = 1 +2e+ Becosg + zetcos2g + ..
=
I=L,+nt-+ 2esing-+ = esin2g—+ ---
Bei Q und K ist noch zu beachten, daß die Koordinaten /, und b,
sich auf die feste Ekliptik (xy-Ebene) beziehen, während man in den
Schlußformeln die zur Zeit £ gehörigen Koordinaten / und b, die auf
die Ekliptik für 2 sich beziehen, zu haben wünscht. Man gibt die
Lage der bewegten Ekliptik gegen die feste durch den Winkel x
zwischen ihnen und die Länge /Z, des aufsteigenden Knotens der be-
wegten auf der festen Ekliptik. Beim Mond führt man ferner statt
!, und b, die auf seine Bahnebene bezogene Länge 7’ ein und be-
stimmt diese Bahnebene durch ihre Neigung c’ gegen die Ekliptik
und die Länge ihres aufsteigenden Knotens auf dieser &'. Die Trans-
formationen und Entwickelungen können hier nicht angegeben werden;
wir geben nur das Resultat mit der Bemerkung, daß überall nur
Glieder zweiter Ordnung in e, e',c’ und erster Ordnung in x eingeführt
sind. Die periodischen Störungen der Elemente von Sonne und Mond
sind zu klein, um hier eine Rolle zu spielen, wie ausführliche Durch-
rechnungen gezeigt haben®); dagegen sind die säkularen Änderungen
der Exzentrizität der Sonnenbahn, der Länge des Mondknotens und
der Lage der Ekliptik mitgenommen worden, indem gesetzt wurde:
e=4,+&t asul,=ot+6? !+y=y —ı
xcosI, = rt + rt
(33)
(34)
Damit wird:
dy day
ZmA+t2Bt +,
a
=
(85)
s
2N +
8) Selbständige ausführliche Berechnungen der Kräftefunktion des Rota-
tionsproblems der Erde finden sich in: Peters, Num. const. Nut. (a. a. 0. Literatur-
übersicht); Oppolzer, Bahnbestimmung I (a. a. O.); de Ball (a. a. O.); Zinner
(8. Fußn. 18).
9) Oppolzer, Bahnbestimmung I, p. 167 ff.
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1005
worin:
3,
ee Eh
c08 20
sine
ar + e)(rcosp — 6siny)
4 #e,e, cos 0
N — >x(1+2)(rsin» + 0cosy) cos.
E- ne 2 ” 0 — a) — 5 nee’? cos 0 cos (A — rd)
— xc0s0dcos2(L,+nt + Y) — ze cos cos2(L, +nt+ Y%)
+ 3%e,cosBeos(L,+ni— 0) +3xE8e'cosd cos(L, + nt — @’)
en —= x. 20080 sin (A, — xt) — - xec "sin 6sin2 (2, — xt)
/ — «sin sin2(L,+nt-+ %) — xesin 0 sin2(Z)/ + nt+Y)
Es sind hier die mit der Zeit multiplizierten Glieder — die säku-
laren — getrennt von den rein periodischen; die Integration ergibt
mit Hinzufügung des Integrales für p aus (16)
v=W+tAt+BR+Y
(36) 6=9,+N?+O
9—=9,+ vt-+ cos 0% dt.
Die säkularen Glieder nennt man die Lunisolarpräzession, die periodi-
schen die Lunisolarnutation. Die Gleichungen (36) enthalten die
Lösung des Problems. Bei der Integration sind A, B, N als konstant
angenommen worden, obwohl sie die Funktionen der Zeit 9 und ®
noch enthalten. Dies wird gerechtfertigt durch die später nachge-
wiesene Kleinheit von 6 und r, mit denen das ebenfalls in langen
Zeiträumen klein bleibende % multipliziert ist; es darf daher jedenfalls
in erster Näherung, aber für sehr lange Zeiträume gültig bleibend
osiny und rsiny gleich O und cosY gleich 1 gesetzt werden: dann
wird 0 = 6, = const. in A, B, N angenommen werden dürfen. Auch
die periodischen Stücke Y, © sind so klein, daß die säkularen Teile
als davon unabhängig betrachtet werden können. Setzt man ferner
fest, daß die &7-Ebene (der Äquator) für die Zeit = 0 durch die
x- Achse gehe und mit der festen Eklıptik den Winkel 0, bilde, so
wird %,—=0 und 9, darf allenthalben für # gesetzt werden. Es ed
dann, wenn wir EM nur die säkularen Teile betrachten:
1006 VIs,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
( Präzession: » = At + Bi?
0=9, + N!
= + (@ + Acos,)t + B eos 9,1?
ED H=lk(i+z0)+rell+ter— — 3) cos 0,
cos 20
— «(1 +e)r Rn a6, cos 6,
'N= al + 2)6.c086.
Durch % und 9 ist die Lage des mittleren Äquators für die Zeit t
gegen die feste Ekliptik für {= 0 bestimmt. Den Sebnitt des mitt-
leren Äquators für die Zeit = 0 mit
der Ekliptik für {= 0 nennt man das
mittlere Äquinoktium oder den mittleren
Frühlingspunkt für 2=0:Y,; durch
ihn geht die feste x- Achse. % ist der
@ Ekl.o Winkel NY,, um den Y, vom Schnitt
’ Ekl.t des Äquators für t mit der 'Ekliptik
Fig. 2. für O0 absteht, in der Richtung von N
nach Y, gezählt nach der Festsetzung
in Nr. 2. Der Frühlingspunkt führt also, da A positiv ist, eine der
rechtläufigen entgegengesetzte, rückläufige Bewegung aus.
Die Formeln (37) geben die Lage des Äquators gegen die feste
Ekliptik 0 für jede Zeit {. Diese Lage kann der Beobachter weder
beobachten noch verwenden, sondern er braucht die Lage des Äquators
für t gegen die Ekliptik für t, d.h. er braucht das mittlere Äqui-
noktium für t, nämlich den Schnitt Y, der genannten Ebenen. Da
die beiden Ebenen durch II, x bzw. y, 9 gegen die Ekliptik für O
gegeben sind, ist er leicht zu bestimmen. Fällt man von Y,: das
Lot Y,D auf die Ekliptik für 0, so daß Y,D=v, die negative Länge
von Y, im System 0 darstellt, nennt ferner 6, den Winkel der Eklip-
tik für # gegen den Äquator für £ und endlich NY, =a, so werden
die strengen Formeln:
cos0, = 6080 cos= — sin Osinx cos(II, + %)
(38) sin a = sin x cosec 0, sin (II, + %)
tg(p — Y,) = tgacosd.
Mit Außerachtlassung von Gliedern dritter Ordnung folgt hieraus:
3. Anwendung der Drehungstheorie auf die Erde. 1007
(d, =Pt+ PR
8, =9, +: +
P=A— ocotg®,
PP=B— (6 + Ar) cotg 0, + or cotg d,?
=r
=-N-+rn —oA-+ z0°cotgd,:
Man nennt %, die allgemeine Präzession'”), a die Präzession durch die
Planeten, P die Präzessionskonstante, 0, die mittlere Schiefe der Ekliptik.
Durch die Formeln (37) und (39) sind die säkularen Lagen-
änderungen des ÄAquators, die er bei der Rotation der Erde infolge
der Anziehung von Sonne und Mond erfährt, vollständig beschrieben.
Abgesehen von den kleinen Änderungen der Ekliptik, die eine Folge
der Anziehung der Planeten auf die Erdbahn sind, hängen die Haupt-
glieder alle von
(40) mul.
(39) |
ab, verschwinden also, wenn A=(), d.h. wenn die Erde als eine
homogene Kugel angenommen wird. Die Präzession wird somit her-
vorgerufen durch die Anziehung von Sonne und Mond auf die äqua-
toriale Anschwellung der Erde. Wie unten (Nr. 6) gezeigt wird,
können P und Q aus Beobachtungen bestimmt werden; damit ist ein
Weg gefunden und zwar ist dies der einzige sichere, auf dem « und
damit u festgestellt werden können.
Das Phänomen im großen betrachtet und von der kleinen Bewe-
gung der Ekliptik abgesehen, stellt sich dar als eine gleichförmige
Bewegung des Poles des Äquators in einem kleinen Kreis, der um
den Pol der Ekliptik ” rain im sphärischen Abstand 6, ge-
zogen und in der Zeit — durchlaufen wird.
Nutation. Die periodischen Glieder in Y und © sind, wie die
Ausrechnung zeigen wird und wie die Beobachtung erweist, alle sehr
klein; man darf daher in ihnen 6 — 6, = const. setzen, da die Ver-
änderlichkeit von ® sehr gering ist. Bekanntlich durchläuft die Länge
des Mondknotens Q&,— xt in 183 Jahren den vollen Umkreis, und
zwar darf diese Bewegung für den vorliegenden Zweck als gleich-
förmig, also y als konstant betrachtet werden. Für d kann man At
nehmen und es ist am bequemsten, das A als bereits in» und n
10) Über diese Bezeichnung siehe H. C. Plummer, Note on General Pre-
cession, London Astr. Soc. M. N. 76 (1916), p. 627.
(41)
1008 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
enthalten zu betrachten. Dann gibt die Integration:
f
N
1 xse?
sin! +%)+7 i
— cos, sin2(L,+nt+ IT u cos 0, sin2(Z, +nt+vY)
-- mi cos 0, sin(L,+ nt— o) + ee cos 0, sin (L, + nt — @')
EC’ 0820,
y sind,
cos 0, sin2(2’ + %)
= + cos 0, eos(R’ + Y) — - “sin 6, c082(2’ + %)
+ 5, 5in 6,0082 (I, +nt+Y) +5 sine, cos2(L, +nt-+y).
Die Hauptglieder sind die ersten; vermöge derselben beschreibt
die instantane Drehungsachse um ihren durch die Präzession gegebe-
nen mittleren Ort an der Sphäre eine Ellipse, die Nutationsellipse,
in der Umlaufsdauer der Mondknoten. Die Nutationsglieder werden
im wesentlichen durch die Bewegung des Mondknotens hervorgerufen.
Bringt man an den durch die Präzession bestimmten mittleren Ort
des Äquators noch Y und © an, so erhält man seinen wahren Ort,
d. h. das wahre Äquwinoktium und die wahre Schiefe der Ekliptik.
4. Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte. Der im Ausdruck
für die allgemeine Präzession (39) mit der ersten Potenz der Zeit
multiplizierte Faktor
(42) P=-A—scotgd, (#1 +3) +xE(l+3E?—3c?) —6cosecd,)cos®,
heißt die Präzessionskonstante und kann und muß aus den Beobach-
tungen abgeleitet werden, da x und & unbekannt sind; sie ist wegen
der Säkularänderung der Schiefe der Ekliptik 6, keine eigentliche
Konstante, sondern gilt für eine bestimmte Epoche. Die hauptsäch-
lichsten Bestimmungen, auf die Epoche 1850 und das julianische
Jahr als Zeiteinheit reduziert, sind:
Bessel, Tab. Reg. 50”2346
O. Struve- Peters 50”2522
Leverrier 502357
L. Struve 50” 2283
Newcomb 502453.
Über die Methoden der Bestimmung siehe Nr. 6. Während
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Struve-Peterssche
Zahl fast allgemein im Gebrauch; mit Beginn des 20. Jahrhunderts
ist man zur Newcombschen Konstante übergegangen.!!)
11) Newcomb schlägt vor, die Zahl — als Präzessionskonstante zu be-
0
zeichnen, da diese von der Zeit fast unabhängig ist (s. Encykl. VI s, 17, Nr. 9).
4. Drehungstheorie der Erde. Zahlenwerte. 1009
Die in der Nutation in Schiefe © mit dem cos der Länge des
Mondknotens multiplizierte Größe
(43) A z nee 05,
heißt die Nutationskonstante und muß ebenfalls aus den Beobachtungen
abgeleitet werden. Gegenwärtig hat man den Wert 9”21 als zuver-
lässigsten angenommen. Przybyllok'?) hat ihn durch ein sehr um-
fangreiches und genaues Material bestätigt.
Zur Berechnung der in obigen Formeln vorkommenden Faktoren
sind noch folgende den Theorien der Sonnen- und Mondbewegung
entnommenen Zahlen notwendig; sie beziehen sich alle auf die
Epoche 1850 und auf das julianische Jahr als Zeiteinheit.
Exzentrizität der Erdbahn:
e=&+ &t= 0,0167719 — 0,000000418 1
Mittlere Schiefe der Ekliptik:
0, = 23°27'31”68.
Mittlere Bewegung der Erde einschließlich Präzession:
n = 1296 027” 6775 = 6.2833196 Radien.
Bewegung. der Ekliptik:
x sin II, = 6t + 6,1? = + 0”053412 + 0”00001934 1?
x c08s II, = rt + 7,1? = — 046838 + 000000562?
Exzentrizität und Neigung der Mondbahn:
e = 0,054 844, c = 0,089826 Radien.
Bewegung des Mondknotens:
x = 0,3375712 Radien.
Mittlere Bewegung des Mondes:
n = 83,99685 Radien.
Damit erhält man folgende Gleichungen:
A = [9,962716 — 10]x + [9,959224 — 10]xe
(44) = P-+ ocotg 9, = 50"2453 + 0”1231 = 503684
a = [938757 — 10]xe = "21,
deren Auflösung ergibt:
«= 17"455, &—= 2.1617.
12) E. Przybyllok, Über eine Bestimmung der Nutationskonstante aus Be-
obachtungen des internationalen Breitendienstes, Berl. Ber. 53 (1916), p. 1259
‚und: Die Nutationskonstante, abgeleitet aus den Beob. d, Broitendionstöe, Pots-
dam, Intern. Erdm.-Veröff. N. F. 36 (1920).
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2. 66
1010 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
Werden damit die Formeln (37), (39), (41) in Zahlen umgesetzt
und geht man gleichzeitig auf das tropische Jahr als Zeiteinheit über,
so erscheinen folgende für die Epoche 1850 gültigen Werte:
‚Lunisolarpräzession in Länge:
Y) = 5036841 — 0”000 1075 8.
Lunisolarpräzession in Schiefe:
— 230273168 + 00000065 2.
Allgemeine Präzession in Länge:
Y, = 50" 24532 + 0700011091%.
Mittlere Schiefe der Ekliptik:
6, = 23°27'31”768 — 0”468382 — 000000082 1?.
Präzession durch die Planeten:
; a — 0” 13421 — 000023801.
(45) Ä
Die instantanen Geschwindigkeiten für ein Jahr ergeben sich
hieraus für das Jahr 1850 + t zu:
“2 — 50" 3684 — 0" 0002150:
(46) er — 50” 2453 + 0”0002218t
“= 01342 — 0”0004761
= stellt die Geschwindigkeit der Lunisolarpräzession auf der festen
Ekliptik für 1850 dar. Dieselbe Größe bezogen auf die Ekliptik
für 1850 + wird: -
A A [73 P
47) Son 6, C08 = 2.3 (cos 6, + 0” 46838 sin 6, - £)
— A+A0”"46838 tg 9,:t=50"3684 + 070000496 .
{ Nutation in Länge:
Y— — 17'232 sin & + 0”207 sin 28 — 1257 sin 2©
— 0204 sin2) + 0”128sin(e— TI’) + 0”068 sn (I — I”)
Nutation in Schiefe:
8 = + 9210 eos & — 0" 090 cos 22 + 0”546 cos2®
+ 0”088 cos2).
Es sind hier in der üblichen Weise kurz die Länge des Mondknotens
mit 2, die mittlere Sonnen- und Mondlänge mit © und ), und die
(48)
B. Übergang zur astronomischen Praxis. 1011
mittlere Anomalie von Sonne und Mond mit ©— I’ und »— I’ be-
zeichnet.'?)
Über die Verwendung von x und xs zur Bestimmung von mer.
C
und der Mondmasse ist VI 2, 17, Nr.9 nachzusehen; die beiden Größen
[9,962716]x und [9,959224]xe sind dort mit Po und P, bezeichnet
und 0 mit e. Mit dem Wert 7“ — 0,003278 folgt CT“ — 0,003289
und dann das oben (p. 1002) benutzte u = CA unter Beachtung,
A
daß dort die Zeiteinheit der mittlere Sonnentag ist, also © —= 2x .
— 6,3006 ist:
u = 0,02072.
Der Winkel
(49) 9=9, + (0 + A c080,)t + B cos 4, ?
gibt den Abstand der &-Achse des Äquators, also eines bestimmten
Ortsmeridianes, vom Äquinoktium für die Zeit t, also die Ortssternzeit.
Diese ist somit, zumal wenn noch die periodischen Glieder (Nutation
in Rektaszension — Y cos6) dazugenommen werden, kein gleichför-
miges Zeitmaß, jedoch ist der Unterschied von einem solchen, soweit
er von Bcos®, herrührt, außerordentlich klein, und soweit er von
Ycos6, herrührt, gleicht er sich in einem Mondknotenumlauf aus.
5. Übergang zur astronomischen Praxis. Die Ebenen der Eklip-
tik und des Äquators schaffen für die beobachtende Astronomie die
Grundlagen des Koordinatensystems; durch die obigen Zahlenangaben
sind sie so genau festgelegt, als es die astronomische Praxis erfordert.
Die weitere Verwertung der gewonnenen Resultate hat die sphärische
Astronomie zu besorgen (VI 2, 2 (Cohn), Nr. 5b), doch erscheint es
wünschenswert, hier noch den Übergang darzulegen.
Das den Beobachtungen zugrunde liegende Koordinatensystem
des Äquators ist definiert durch die Lage des Äquators und seinen
Schnitt mit der gleichzeitigen Ekliptik; man kann also sagen durch
die Lage der Pole P, und E, der beiden Hauptkreise; der Anfangs-
punkt der Längen- bzw. Rektaszensionszählung Y, ist dann definiert
als der Schnitt der größten Kreise, die in P, und E, senkrecht zu
P,E, errichtet werden, oder als der Pol des größten Kreises P,E,.-
Die Bewegung des Äquators sowohl als des daraufliegenden Frühlings-
punktes läßt sich also darstellen durch die Bewegungen der beiden
Pole P, und E,-
12) Die erste vollständige Durchrechnung gab Peters in Num. const. Nut.
(s. Lit.-Übersicht); betr. der neuesten Zahlenangaben siehe: S. Neweomb, Sur les
formules de Nutation, Paris Bull. astr. XV (1898), p. 241.
66*
1012 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
Hält man zunächst die Ekliptik, also E, fest und ebenso die
Neigung 9, des Äquators gegen sie, so wird der Pol des Äquators
auf einem kleinen Kreis vom Radius 6, um E, von P, nach P, und
entsprechend Y, nach N
rücken, d. h. der Lunisolar-
präzession Y,N =» ent-
spricht die Winkelbewegung
P,E,PfhL=v%, denn N ist
der Pol von P,E,. Der
volle Umlauf von Pum E,
vollzieht sich in der Zeit
1296000” : w”, also mit dem
—, obigen Zahlenwert von y in
rund 25730 Jahren.
Verbindet man P, mit
P, durch einen größten Kreis
und nennt den Bogen P,P,=n und seine Richtungen gegen P,E,
und P,E, bzw. 90° — &, und 90° — £, so folgt aus dem Dreieck P,E,P,
(50) n = Y sec &, sinO = Y sec$ sind,.
Fig. 3.
Das Stück B,B, des größten Kreises P,P, zwischen beiden zuge-
hörigen Äquatoren ist ebenfalls n; man nennt daher diese Größe:
Präzession in Deklination. B, steht von Y, um &,, B, von N um ab.
Die Bewegung des Poles E, der Ekliptik findet auf einer gegen
E,P, konvexen Kurve E,E, statt und zwar so, daß E, sich P,
nähert; man kann diese wieder durch die Bewegung auf einem durch
E, und E, gelegten größten Kreis E,E, ersetzen, dessen Pole M und
M’ die Knoten der beiden zu E, und E, gehörigen Ekliptiken sind.
Die Ekliptik rotiert um die Achse MM’, die aber nicht als fest-
liegend betrachtet werden kann, da die Bewegung von E, nicht in
einem größten Kreis erfolgt. Die Theorie der Säkularstörungen der
Erdbahn liefert die Bewegung E,E, = x und ihre Richtung gegen
E,P,: Winkel P,E,E, = 180° — II, (wo x und II, offenbar dasselbe
bedeuten wie früher) in der bereits angegebenen Form
x sin II, = + 0”05341t + 0”00001934 7?
x cos II, = — 0”46838: + 0”000005623%,
woraus folgt
FE [44 EN, ” 2
(51) | a = 047141 — 07000337
0 = 1132968 — 0'28971.
Nennt man allgemein Il den Winkel der Bewegungsrichtung E,E,
>. Übergang zur astronomischen Praxis. 1013
mit P,E,, so wird IT=Y,M und unterscheidet sich von II, also um
die allgemeine Präzession %, = 0837421
(51) I = II, + %, = 17302968 + 0'54770t.
Werden jetzt die beiden Pole P, und E, durch einen größten
Kreis verbunden, so ist der Pol desselben der Frühlingspunkt Y, der
zweiten Epoche. Ist a der Winkel zwischen P,E, und P,E,, so ist
Y, gegen N auf dem Äquator um a verschoben; daher nennt man a
die Planetenpräzession in Rektaszension. Ist 90°— z der Winkel
zwischen P,P, und P,E, so wird YB,=zund&=z-+a. Zur
Berechnung von « dient:
(53) a = asin(II, + y)cosec 6, = zsin II cosec O
und führt in Zahlen zu
(54) a = 013421 — 00002381? für 1850.
Für 0 und 6,, sowie für y und. %, sind die Formeln und Zahlen-
werte bereits angegeben.
Die Summe 2-+ £, kann man als die allgemeine Präzession in
Rektaszension bezeichnen; denn definiert mah diese als Rektaszension
des Frühlingspunktes Y,, im System 1, also durch den Bogen Y, T= m,
wenn Y,T senkrecht auf den Äquator 1 gefällt wird, so wird
(55) tg (m + a) = tgy cos
oder m—=Ycosd —a.
Dieselbe Strecke ist aber auch gleich 2 + &, seen, wie man unmittel-
bar der Figur entnimmt, und unterscheidet sich von 2-+ &, also nur
um 4£,n? sin 1”? 2, was in 100 Jahren erst 0”109 ausmacht.
Die neu eingeführten Stücke 8,,$=2+a,nudm=&-+ 2
bestimmen die Lage des Poles P,, gegen den Pol P, und die Anfangs-
richtungen der Zählungen in beiden Systemen. Bei den Transforma-
tionsrechnungen von dem einen System auf das andere muß man sich
ihrer bedienen und es ist daher ihr Zusammenhang mit den früheren
Stücken %, 0, a herzustellen.
Die Winkel & und £&, werden aus dem Dreieck P,P, E, berechnet:
| & = 23” 1697 t — 00001286 ??
(6) &,— 23”0355 t + 0”0000302
und damit:
(67) | = 6 — a = 23”0355 t + 00001094 1?
m —=&,+ 2 = 46” 0710 + 0”0001396 1? (ebenso aus (55))
ferner folgt n aus (50)
58) n —= 20”0511 t — 0000043 #.
1014 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
Alle diese Zahlenangaben gelten für die Ausgangsepoche 1850; für
andere Ausgangsepochen müssen die Rechnungen wiederholt werden,
da eine allgemeine Entwicklung kompliziert und ungenau wird. Es
seien hier nur noch die wichtigsten Zahlen für 1950 als Ausgangs-
epoche den obigen an die Seite gestellt unter Einführung des tropi-
schen Jahrhunderts als Zeiteinheit von t£.
T, &r tt | metisntnhe enye
1850 230355 + 0”30 1? 4607”10t+ 139 1? 2005” 111 — 043 1?
1950 | 2304”95 + 0301? 4609”90+1"39t? | 2004264 — 0”43 1?
Die Werte für zwischenliegende Jahre darf man durch lineare Inter-
polation entnehmen. Eine allgemeine Darstellung der Zahlenwerte
gibt Andoyer."?)
Der Übergang von den Koordinaten eines Sternes $ im Äquator-
system O:«, und d, auf die Koordinaten «,, 6, desselben Gestirnes
in System 1 vollzieht sich jetzt nach Formeln aus Dreieck P,P; 8,
in dem die Seiten n, 90° — ö,, 90° — ö, und die Winkel bei P,«y + &
und bei P, 180° — («, — 2) sind:
cos d, sin (& — 8) —= cos Ö, sin (a, + 5)
(59) !cos d, cos (&, — 2) = c08 d, cos (d, + &) 608 n — Sin d, sin n
sin Öd, — cos 0,008 (a, + &,) sinn + sin d, cos n.
Auf die Umgestaltung dieser Formeln für verschiedene Zwecke ist
hier nicht einzugehen; es sei nur des Folgenden halber erwähnt, daß
man in den häufigsten Fällen mit folgenden Näherungsformeln aus-
reicht (m =2+ $)
0 ntg d, sin (&, + 5.) ;
4=utm+ 1—ntgo, cos (@, + &,) sin 1”
(60)
,=d,+n cost (a, + %)
cos} (& — a, — m)’
die auch noch vereinfacht werden, wenn es sich um kleine Zwischen-
zeiten handelt.
6. Die Bestimmung der Präzessionskonstante. Die oben als
Präzessionskonstante bezeichnete Größe
(61) P=A—ocog9d,—=P cos 9, — (K ) cos 6,
6
sind,
.(P = Präzessionskonstante im Sinne Newcombs)
13) H. Andoyer, Les formules de la pr6cession d’aprös S. Newcomb, Paris
Bull. astr. 28 (1911), p. 67.
6. Die Bestimmung der Präzessionskonstante. 1015
wird, als auf das Ekliptikalsystem bezogen, nicht direkt durch Be-
obachtung bestimmt, sondern auf dem Umwege über die Größen m
und n des Äquatorsystems; der Zusammenhang ergibt sich aus den
früheren Formeln zu:
(62) |
sin,
sin O
m=P c0s0-t-+Bcos9-?— z sin II, sin 6 — x cosI],
cos&,-n=Psin 9-t+Bsin 0-f?-+ zsin II, cos®,
woraus auch folgt:
n cos &, sind + mcosd—=Pt-+ Bi? — m cos II, cotg 0 sin y,
n cos &, cos d — msin® —= x sin II = a sin 6.
Die in (62) auf das erste folgenden Glieder rechts sind klein und
werden theoretisch berechnet; man kann also P bestimmen, sobald m
und »n den Beobachtungen entnommen sind; diese sind, wie die For-
meln (60) zeigen, durch die Differenzen «, —«, und d, — 6, der
Koordinaten eines Gestirnes zu zwei verschiedenen Epochen gegeben.
Dabei erheben sich neben Schwierigkeiten der Beobachtungstechnik
die prinzipiellen Fragen nach der Behandlung der Eigenbewegungen
der Fixsterne im Hinblick auf eine translatorische und rotatorische
Bewegung des Sonnensystems und nach der Möglichkeit der Bestim-
mung eines Inertialsystems.'*)
In der praktischen Ausführung liegt das mit einem bestimmten
Äquinoktium Y, und einer angenommenen Präzessionskonstante be-
rechnete System der Eigenbewegungen einer Gruppe von Fixsternen
vor und kann nur unter Heranziehung von Hypothesen zur Korrektion
der genannten Größen, zur Bestimmung des Apex der Sonnenbewegung
und zur Aufstellung des Inertialsystems benutzt werden; die Resultate
sind demnach nicht nur von der getroffenen Auswahl der Sterne,
sondern auch von den Hypothesen abhängig.
Die Beziehungen zwischen den Änderungen der Koordinaten
&, Ö, go eines Sternes und der Drehung des Koordinatensystems, die
durch die Komponenten p, q, r, und der Translation, die durch die
Komponenten u, v, w dargestellt ist, sind:
14) Man vgl. hierüber die Arbeiten: E. Anding, Über Koordinaten und Zeit,
Enzykl. VIs, 1 (1905); H. Seeliger, Über die sogenannte absolute Bewegung,
München Ak. Ber. 36 (1906), p. 85; @. O. James, On the relation of the inertial
and empirical trihedrons of gravitational Astronomy, Astr. J. 27 (1912), p. 77;
H. Seeliger, Das Zodiakallicht und die empirischen Glieder in der Bewegung der
inneren Planeten, München Ak. Ber. 36 (1906), p. 595; J. Bauschinger, Enzykl.
VI 2,17, p. 889; J. Bauschinger, Die astronomische Festlegung des Trägheits-
systems, Die Naturwissenschaften X (1922), p. 1005.
1016 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
cos d, (&) — &,) = + p cos o, Sin Ö, + q sin a, sin du, — r 608 Ö,
| u. ©
T 5 ein a, — = 008 &
(63) (4, —d,)= —rsina,+tgcoso,
W B rn 3 . w
Ez © C08 &, Sin &,+ 5 ein oo sin d, — 5: cos Ö,
[2 RR 203
Ao = — , 008 0, 008 I, — sin &, COS 9, — sin Ö,
und erlauben das zu einer bestimmten Präzessionskonstante und einer
bestimmten Bewegung des Frühlingspunktes gehörige System von
Eigenbewegungen durch die 6 Stücke p, q, r, u, v, w darzustellen.
Davon ergeben die u, v, w die Koordinaten des Apex A, D:
(644) u=McosAcosD v—= MsinAcsD w=MsinD
und die 9, g, r können auf folgende Ursachen zurückgeführt werden:
1. auf eine Korrektion der Präzessionskonstante; da
(65) | p=Ansin‘ q=Ancos&,
r= — (A&, + Azcosn)=—Amcosn,
so kann man den ersten Teil in (63) auch so schreiben:
[* — y=Amcosn+Ancos&,sina,tgd,+t Ansin$,cosa,tg od,
(66) —=Amcosn+ Ansin(w + &)tg Ö,
la, —d, = — Ansin &sina,+ An cos&, cos @a,—=An cos (a, + &,)
und erkennt, daß man aus den Eigenbewegungen in Rektaszension
die Korrektionen Am und An, und aus den Eigenbewegungen in
Deklination die Korrektion An bestimmen kann; dann folgen aus (62):
t:-APcos9= Am
og sind =An cos &,
die Korrektionen von P;
2. sind die hieraus hervorgehenden Korrektionen von P nicht
vereinbar, so kann man in die Darstellung von p, q, r eine säkulare
Bewegung des Äquinoktiums aufnehmen, über deren Ursache Sicheres
nicht ausgesagt werden kann, und man kann auch einen systematischen,
konstanten Unterschied der Deklinationssysteme beider Epochen,
gleichfalls unsicherer Herkunft, annehmen. Ist Ae die Korrektion des
Aquinoktiums im Aquator (positiv im Sinne der Rektaszensions-
zählung, so daß Ae = — («, — «,) wird) und Ad = d, — Ö, der ge-
nannte Unterschied der benutzten Deklinationssysteme, so wird der
Ansatz:
(68) |
(67)
& — = (Am cosn — Ae) + Ansin (o, + &,) tg d,
4, —=Ad+AncH(, + 8):
7. Theoretische Behandlungen 1017
Werden hieraus (Am cosn — Ae), An, Ad bestimmt, so folgt
(69) t- AP = An cos £, cosec 0
und mittelst der Bedingung An cos &, cos6 — Amsind —=0
(0) Ae=— (Amcosn — Ae) + An cos &, cos n cotg 9
An geht sowohl aus Deklinations- wie aus Rektaszensionsmessungen
hervor; ihre Übereinstimmung erlaubt ein Urteil über die Sicherheit
von AP. Auf die Deutung von Ae ist hier nicht einzugehen.
7. Theoretische Behandlungen. In den vorigen Nummern ist die
kürzeste Ableitung ‘der astronomisch wichtigen Resultate mit beson-
derer Rücksicht auf die Verhältnisse der Erde dargelegt worden. Das
Rotationsproblem hat aber noch andere Bearbeitungen erfahren, die
hier nicht durchgeführt, sondern nur kurz beschrieben werden können.
Das Problem der „ungestörten Rotation“ d.h. der Fall, wo äußere
Kräfte nicht wirken, die Kräftefunktion also Null ist, beschäftigt sich
mit der Integration der Eulerschen Gleichungen (4) in der Form
d
AE+(C—-BDagar—0
d
(71) (BE+(A—-Orm-—0
d
CZ; +(B—Apg—0
in Verbindung mit den Gl. (3):
sin 0” — + psinp+gcosgp
sin 0 — + p sin g cos 0 + q. 005 p cos 0 + r sin 0
= —pewsp+gsing.
Sie führt für p, q, r auf elliptische Funktionen”) und, wie schon
C. @. J. Jacobi‘) gezeigt hatte, auf die Darstellung der Richtungs-
cosinusse zwischen den Achsen des festen und des beweglichen Systems
durch Theta-Funktionen. Tisserand‘") behandelt die Aufgabe auch
mit kanonischen Variabeln nach der Hamilton-Jacobischen Methode,
nach der er auch das allgemeine Problem durchführt.
ae) gibt als Grundlage einer nach der Methode der Variation
15) F' Tisserand, Mec. c@l. I, Chap. 23.
16) ©. @. J. Jacobi, Werke 2, p. 291, sowie Klein-Sommerfeld (Lit.-Übers.).
17) F. Tisserand, Mec. cel. II, Chap. 22 und 23.
18) ©. V. L. Charlier, Eine neue Methode zur Behandlung des Rotations-
problems, Arkiv for Mat., Astr. och Fysik 4 Nr. 4, 12 (1907), Nr. 23, 27 (1908),
6 Nr. 17 (1910). Hierzu gehört auch: E. Zinner, Über die säkularen Störungen
1018 VI2,20. J. Bauschinger. Rotation der Himmelskörper usw.
der Konstanten durchgeführten Behandlung des allgemeinen Problems
eine Lösung des „ungestörten Rotationsproblems“, indem er von der
Rotation eines ungestörten kugelförmigen Körpers ausgeht; die kano-
nischen Variabeln werden eingeführt und die Konstanten, die nachher
variiert werden, sorgfältig diskutiert.
Tisserand'?) machte zuerst darauf aufmerksam, daß das allge-
meine Problem auch dann noch streng integriert erarilän kann, wenn
man zwei der Hauptträgheitsachsen gleich setzt und in der Kräfte-
funktion nur die säkularen Teile beibehält; mit der Durchführung
beschäftigen sich Arbeiten von Lambert?) und Olsson?').
In den früheren Entwicklungen ist die Bewegung der Erdbahn,
veranlaßt durch die Einwirkung der übrigen Planeten, durch säkulare
Glieder, entwickelt nach Potenzen der Zeit, dargestellt angenommen
worden, wie dies auch in der Theorie der translatorischen Bewegung
geschieht; diese Darstellung reicht aber für sehr lange Zeiträume nicht
aus und muß durch langperiodische Glieder ersetzt werden. Stockwell??),
Backlund?®), Adams”) haben die Rechnungen durchgeführt, ohne daß
bisher übereinstimmende oder befriedigende Resultate erzielt wären.”)
8. Die Polhöhenschwankungen. Dieses weite Gebiet kann hier
nur insoweit gestreift werden, als es in Zusammenhang mit der
Eulerschen Bewegung und Periode gebracht worden ist (s. Nr. 3);
betreffs des übrigen sei auf die Bände Geodäsie und Geophysik ver-
wiesen. Eine Übersicht über das Ganze geben Radau®), Przybyllok?")
und Wanach®®).
im planetarischen Rotationsproblem, Medd. Lunds Astr. Obs. Nr. 40 (1909) und
E. Zinner, Zur Lebre von der Drehung der Erde, Bamberg, Naturforsch. Gesellschaft.
19) F. Tisserand, Paris C. R. 101 (1885), p. 195; einen weiteren allgemeinen
Fall behandelt Frau S. Kowalewski, Act. math. 12 (1888).
20) A. Lambert, Sur un cas particulier dans le mouvement de rotation des
planetes, Paris Bull. astr. 27 (1910), p. 289.
21) Ol. Olsson, Über die Rotation der Erde, Astr. Nachr. 178 (1908), p. 261.
22) J. Stockwell, Memoir on the secular variations of the elements of the
orbits of the eight principal planets, Smithsonian Contr. to Knowledge Vol. 18 (1873).
23) O. Backlund, Zur Theorie der Präzession und Nutation, St. EEE
Bull. V 12 (1900).
24) J. CO. Adams, On the general values of the obliquity of the ekliptik,
Scient. Pap. of J. C. Adams Vol. I.
25) H. Poincare, Sur la theorie de la precession, Paris C. R. 132 (1901), p. 50.
26) R. Radau, Chap. 29 und 30 in F. Tisserand, Me&c. cel. II (1891).
27) E. Przybyllok, Über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse von
den Polhöhenschwankungen, Astr. Ges. Vjs. 54 (1919); E. Przybyllok, Polhöhen-
schwankungen, Sammlung Vieweg, Heft 11 (1914).
28) B. Wanach, Res. d. intern. Breitendienstes. Zentralbureau der intern.
Dr zu. af Dale a
8. Die Polhöhenschwankungen 1019
Newcomb*°) wies nach, daß die von 8. ©. Chandler?) 1891 empi-
risch ermittelte Periode der Polbewegung von 427 Tagen die durch
die Elastizität der Erde bewirkte Verlängerung der Eulerschen Periode
darstellt; diese dynamisch bestimmte, ihrer Natur nach konstante
(Newcombsche) Periode tritt also an die Stelle der Eulerschen. Die
empirische Polbewegung zeigt außerdem noch ein Glied von jähr-
licher Periode, das zweifellos meteorologischen Vorgängen zuzu-
schreiben ist und daher veränderlich ist.?!) Wanach hat in der zweiten
Abhandlung”) gezeigt, daß infolgedessen die Dauer der New-
combschen Periode noch sehr unsicher bekannt ist.
Erdmessung, Veröff. N. F. Nr. 30, Berlin 1916; B. Wanach, Die Chandlersche
und die Newcombsche Periode der Polbewegung, ebenda Nr. 34 (1919).
29) S. Newcomb, On the periodice Variations of the Latitude, Astr. J. 11
(1891), Nr. 251.
30) Astr. J. Vol. 11, 12, 15, 19, 21, 22 (1891—1902).
31) .R. Spitaler, Die Ursache der Breitenschwankungen, Wien Ak. Denkschr.
64 (1889); R. Spitaler, Die per. Luftmassenverschiebungen und ihr Einfluß auf
die Breitenschwankungen, Petermanns Mitteilungen, Erg.-Heft Nr. 137 (1901);
W. Schweydar, Zur Erklärung der Bewegung der Rotationspole der Erde, Berlin
Ak. Ber. 1919.
(Abgeschlossen im Mai 1923.)
V12,20a.. DIE ROTATION DES MONDES.
Von
F. HAYN
IN LEIPZIG.
Inhaltsübersicht.
1. Einleitung; die Cassinischen Gesetze.
2. Aufstellung der Bewegungsgleichungen.
3. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit.
4. Die Integration der Bewegungsgleichungen.
5. Der Einfluß der Sonnenanziehung.
6. Die Ermittlung der Konstanten aus Beobachtungen.
7. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze bei gewissen Formen des Träg-
heitsellipsoides.
Literatur.
P. S. Laplace, Mecanique celeste, Paris 1798, 1825.
Livre V, Chap. II. Des mouvements de la Lune autour de son centre de
gravite.
Livre XIV, Chap. II. De la libration de la Lune. Notice historique des
travaux des astronomes et des geometres sur cet objet. Remar-
ques sur la theorie de la libration de la Lune.
M. Wichmann, Erster Versuch zur Bestimmung der physischen Libration des
Mondes aus Beobachtungen mit dem Heliometer, Astr. Nachr. 26 (1846), p. 289;
27 (1847), p. 53, 81, 97, 211.
E. Hartwig, Beitrag zur Bestimmung der physischen Libration des Mondes aus
Beobachtungen am Straßburger Heliometer, Karlsruhe 1880.
J. Franz, Die Konstanten der physischen Libration des Mondes, abgeleitet aus
Schlüters Königsberger Heliometer-Beobachtungen, Astr. Beob. auf der Kgl.
Universitäts-Sternwarte zu Königsberg, Bd. 38 (Königsberg 1889).
F. Hayn, Selenographische Koordinaten, Leipzig, Ges. d. Wiss.
I. Abh. 1902, Bd. 27
II. Abh. 1904, Bd. 29
III. Abh. 1907, Bd. 30
IV. Abh. 1914, Bd. 33
Zitiert unter Sel. Koord. I, II, III. IV.
1. Einleitung; die Cassinischen Gesetze. 1021
M. Völkel, Beitrag zur Bestimmung der physischen Libration des Mondes.
II. Reihe der heliometrischen Messungen in Kasan, ausgeführt von A. Meichai-
lowski, Kasan 1908.
F. J. M. Stratton, The Constants of the Moon’s Physical Libration, Memoirs of
the Royal Astronomical Society, Vol. LIX (1909).
F. Hayn, Die Rotationselemente des Mondes und der definitive Ort von Mösting A,
Astr. Nachr. 199 (1914), p. 261.
A. Jönsson, Über die Rotation des Mondes, Meddelanden frän Lunds Astrono-
miska Observatorium, Serie Il, Nr. 15 (Lund 1917).
F. Hayn, Die Achsendrehung des Mondes, Astr. Nachr. 211 (1920), p. 311.
A. Jakowkin, Eine Neubestimmung der Konstanten der physischen Libration des
Mondes, Astr. Nachr. 219 (1923), p. 61.
1. Einleitung; die Cassinischen Gesetze. Die Bewegung eines
Körpers kann man sich zusammengesetzt denken aus der Bahnbewe-
gung des Schwerpunktes und der Drehung um letzteren. Die Bahn-
bewegung des Mondes ist in VI2, 14 behandelt worden. ‘Im folgen-
den soll nur die Bewegung um den Schwerpunkt untersucht werden.
Im Sonnensystem kommen im wesentlichen zwei Arten von Kör-
pern vor; Sonne und Planeten können als Rotationsellipsoide gelten,
während der Erdmond, wohl auch Merkur und wahrscheinlich die
meisten der Satelliten dreiachsige Ellipsoide sind. Die Bewegung
eines Rotationsellipsoides ist in dem Abschnitt über die Rotation der
Erde behandelt worden. Das dreiachsige Ellipsoid kommt in der Fix-
sternwelt jedenfalls häufig vor, freilich nicht als starrer Körper. Der
Mond bietet aber den einzigen Fall, in dem durch Beobachtungen
die Rotationsverhältnisse mit einer gewissen Genauigkeit festgestellt
werden können. Er kann nach allem, was wir von ihm wissen, als
starrer Körper betrachtet werden.
Die eigentümlichen Rotationserscheinungen des Mondes sind, wenn
auch früher schon erkannt, von J. Cassini in den drei bekannten Ge-
setzen festgelegt worden:
1. Der Mond dreht sich um eine in ihm feste Achse in derselben
Zeit, in der er seinen Umlauf um die Erde vollendet.
2. Die Neigung dieser Achse gegen die Ekliptik ist konstant.
3. Mondäquator, Mondbahn und Ekliptik schneiden sich in einer
Geraden und zwar so, daß der absteigende Knoten des Mondäquators auf
der Ekliptik mit dem aufsteigenden Knoten der Bahn zusammenfällt.
Diese Gesetze gelten für die mittlere Bewegung des Mondes. Sie
wurden rein empirisch gefunden und 1721 bekannt gegeben. Ihre
theoretische Begründung geschah aber viel später. Einen historischen
Überblick findet man bei Laplace.
1022 VIs3,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
Das 1. Gesetz ist nur möglich, wenn eine Kraft vorhanden ist,
die den Mond zwingt, seine Rotationszeit der Umlaufszeit anzupassen.
Wäre der Mond ein Rotationsellipsoid, dann könnte das 1. Gesetz
nicht dauernd bestehen; er muß ein dreiachsiges Ellipsoid und die
längste Achse nach dem Zentralkörper, der Erde, gerichtet sein. Be-
wegte sich der Mond mit gleichförmiger Geschwindigkeit um die Erde
in einer Kreisbahn, die mit dem Mondäquator zusammenfiele, so würde
ein ganz bestimmter Mondradius stets auf den Schwerpunkt der Erde
gerichtet sein. Durch diesen „Ersten Radius“ legt man nach Tobias
Mayer den Nullmeridian des Mondes. Der Erste Radius ist aber in
Wirklichkeit nicht immer nach dem Erdschwerpunkt gerichtet, son-
dern weicht von dieser Richtung in dem Maße ab, wie die Mondbe-
wegung von der oben angenommenen Kreisbahn.
Man muß annehmen, daß Rotations- und Umlaufszeit durch die
Flutreibung im Monde schon gleich geworden waren, bevor der Mond
erstarrte, daß der Mond also schon ein dreiachsiges Ellipsoid war, als
er sich noch im plastischen Zustand befand. Daraus darf dann ge-
folgert werden, daß die eine Hauptträgheitsachse mit der Rotations-
achse zusammenfällt, während die beiden anderen im Äquator liegen.
Die eine von ihnen fällt mit dem Ersten Radius zusammen, der in
der Tat auf diese Weise definiert wird. Da nun der Erste Radius
periodisch in ganz gesetzmäßiger Weise von der Richtung der an-
ziehenden Kraft abweicht, so wird der Mondkörper um seine mittlere
Lage pendelartige Schwingungen ausführen, die im allgemeinen die
Ungleichheiten der Mondbewegung widerspiegeln. Die Analogie der
Pendelschwingungen lehrt ohne weiteres, daß die zu erwartenden
Schwingungen, die man unter dem Namen der „physischen Libra-
tion“?) zusammenfaßt, nicht so sehr von der Amplitude der Ungleich-
heiten der Bahnbewegung wie von ihrer Periode abhängen werden.
Ein Pendel kann durch sehr schwache Impulse, wenn sie nur immer
im geeigneten Augenblicke einsetzen, zum Stillstand oder zum Über-
schlagen gebracht werden.
Bei der theoretischen Behandlung der physischen Libration ge-
nügt es daher nicht, wenn man sich auf den Einfluß der großen Un-
gleichheiten der Bahnbewegung beschränkt, sondern es müssen vor
allem diejenigen Glieder ins Auge gefaßt werden, deren Periode so
beschaffen ist, daß sie selbst bei kleiner Amplitude von großem Ein-
1) Die „optische Libration‘‘ des Mondes ist nur eine perspektivische Ver-
schiebung der sichtbaren Oberfläche und eine Folge der veränderten Stellung
des Beobachters.
2. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. 1023
fluß werden können. Die Behandlung des Problems, wie sie von La-
place gegeben und später von Wichmann und ähnlich von Franz bei
ihren Untersuchungen angewandt worden ist, gestattet nicht die
scharfe rechnungsmäßige Durchführung. Die folgenden Entwicklungen
schließen sich den Untersuchungen von Hayn?) an und bedienen sich
der von ihm gewählten Bezeichnungsweise, um dem Leser ein näheres
Eingehen zu erleichtern.
2. Aufstellung der Bewegungsgleichungen. Um die Wirkung
der Erdanziehung auf die Bewegung des Mondes um seinen Schwer-
punkt zu ermitteln, ist es nötig, den jeweiligen Ort der Erde gegen
das Koordinatensystem der Hauptträgheitsachsen des Mondes zu be-
stimmen. Die positive x-Achse soll mit dem Ersten Radius zusammen-
fallen, die positive z-Achse nach dem Nordpol des Mondes gerichtet
sein. Die y-Achse bildet mit der &-Achse einen rechten Winkel im
rechtläufigen Sinne.
Die Lage dieses Systems gegen das der Ekliptik ist durch die
drei Winkel #, p, v gegeben, und es ist
% die Neigung des Mondäquators gegen die Ekliptik,
9 der Winkelabstand der positiven z-Achse von dem absteigenden
Knoten des Mondäquators, in rechtläufigem Sinne gezählt,
%» die Länge dieses Knotens.
Es bezeichne nun:
M die Masse der Erde,
M, die Masse des Mondes,
dm ein Massenteilchen des Mondes,
%,y,2 die Koordinaten des Erdschwerpunktes,
x,y,2' die Koordinaten des Massenteilchens dm,
R die Entfernung Erde— Mond,
m die mittlere Länge des Mondes,
n die Länge des aufsteigenden Knotens der Mondbahn,
i die Neigung der Mondbahn gegen die Ekliptik,
J die mittlere Neigung des Mondäquators gegen die Ekliptik.
Die Cassinischen Gesetze besagen:
®—=J, p=180' -m— vd, vn.
Unter dem Einfluß der veränderlichen Erdanziehung wird die Neigung
des Mondäquators und die Rotationsgeschwindigkeit nicht konstant
sein, der absteigende Knoten des Äquators nicht mit dem aufsteigen-
2) F. Hayn, Sel. Koord. I.
1024 VIs, 20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
den der Bahn zusammenfallen, sondern es wird sein
N) 8-40 9-10 +m+n)—y, vonte.
e, 6, r sind Funktionen der Zeit und erfahrungsgemäß kleine Größen.
Sie lassen sich aus den bekannten Eulerschen Gleichungen bestimmen
man :
(2) = menaz ? + sinp®,
r—= 7 + 000%;
Ad Bar=-:—yS,
(3) Bd (nrmer a
pe Apy—y.—e.
Hier bedeuten 9, g, r die Drehgeschwindigkeiten um die drei Haupt-
trägheitsachsen; ferner ist
A — /((y° +z®D)dm, B — /[(£* + x?) dm;
und
C — (a + y’?)dm
V-uUfl@— a) +4)? +@— ET tam.
Wenn man Y nach Potenzen entwickelt, kann man sich auf die
drei ersten Glieder beschränken, da die Lage der Hauptträgheitsachsen
höchstens mit einer Genauigkeit von 2”, d.i. von der Erde gesehen
noch nicht 0”01, bestimmt werden soll. Es ist dann
tz m A+B+ Oz (AR + By+ 00).
Unter Benutzung dieser Entwicklung nehmen dann die Formeln
(3), wenn man noch die Bezeichnungen
4) (C—-B):A=«a, (C—-4):B=ß, (B-A4):0=y
einführt, die Gestalt an
= +oegr= 3MaR-öye,
(8) | u — fpr— — 3MBR-’ex,
zn +ypq= 3MyR’ay.
Wenn nun die Koordinaten der Erde gegen den Mond sich auf
ein ekliptikales System (8&,n,&) beziehen, dessen &-Achse nach dem
8. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. 1025
absteigenden Knoten des Mondäquators zeigt, während die &-Achse
nach dem Nordpol gerichtet ist, dann ist
z= E$cosp+ ncos®sinp — Esin®sing,
y= —&sinp + ncos#cosp — Esin® cosp,
z= $cos#® + nsin®.
Ist nun die wahre Länge und Breite des Mondes Z und B, dann ist
die wahre Länge der Erde vom Monde aus gesehen und gerechnet
vom absteigenden Knoten des Mondäquators
v=L-+ 180° — v;
da die wahre Breite gleich — B ist, erhält man
&E—=RcosBcosv, n—=RcosBsinv, &= — ReosBtgB
und somit
x —= Rcos.b[cosv cosp + sinv sinp cos$ + tgBsing sin®],
(6) y= Recos B[— cosvsinp + sinv cosp cos® + tgBecosg sin®],
2= RcosB[— tg Bcos® + sinvsin®].
3. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. Die
Masse der Erde ist
M=4n?o0?:T’?1+M,),
wo M, die Masse des Mondes, ausgedrückt in Teilen der Erdmasse
(1:81,5), @ die halbe große Achse der Mondbahn und 7 die Um-
laufszeit des Mondes in Tagen ist. Nun ist 2”: 7 die mittlere täg-
liche Bewegung m’ des Mondes, demnach für a—=1
M = 0,9878 m’®.
Die Koordinaten x, y, 2 lassen sich nach (6) als Funktionen der Zeit
darstellen, da die Abhängigkeit der Größen R, B,v,g von der Zeit
aus der Bahnbewegung des Mondes bekannt ist. Man wird für J
einen genähert richtigen Wert einsetzen und muß zunächst über
«@,ß,y eine Annahme machen. Die Verbesserungen der angenom-
menen Werte müssen aus Beobachtungen ermittelt werden.
Wenn auf diese Weise die rechten Seiten der Gleichungen (5)
als Funktionen der Zeit dargestellt werden, treten in diesen Entwick-
lungen noch die Größen o, 6, r auf, die vorläufig unbekannt sind. Da
man aber erfahrungsgemäß weiß, daß sie immer klein bleiben, so
können sie zunächst vernachlässigt werden.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2 67
1026 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
Die Mondtafeln von Hansen geben die wahre Länge des Mondes
L, die Parallaxe, den Sinus der Breite B als Funktionen der Zeit
mittels der fünf Argumente g, 9’, ©, ©’, 6. Hier ist für — ® die Be-
zeichnung n gewählt worden. Es bedeutet
g die mittlere Anomalie des Mondes,
g=, - = der Sonne,
& den Abstand des Mondperigäums vom aufsteigenden Knoten der
Mondbahn,
© den Abstand des Sonnenperigäums vom aufsteigenden Knoten
der Mondbahn,
n die Länge des aufsteigenden Knotens der Mondbahn.
Es ist nach Hansen, wenn man unter £ die seit der Epoche 1900
Januar 1,0 m. Z. Greenwich verflossenen julianischen Jahre versteht,
g = 309°11’0” + [13 >< 360° + 331158” 4]t,
g’ = 359027'56” + [360° — 33”9]t,
o = 75°18’40” + 216115” 2t,
(7) | 0 — 22° 529” + 69691”01:,
n = — 100°52'20” — 69629” 4 1,
m=9 +o-+n.
Für J ist im folgenden 1°32’20” angenommen worden. Wie nun aus
den Hansenschen Entwicklungen für wahre Länge, Parallaxe, Sinus
der Breite die Funktionen R, cos B, tgB, v und die Produkte yz,
2%, &<y gewonnen werden, kann hier aus Raummangel nicht wieder-
gegeben werden. Die Rechenoperationen sind in Hayn, Sel. Koord. I
näher auseinandergesetzt. Die Genauigkeit der Rechnung ist im fol-
genden eine größere als in der zitierten Abhandlung, und zwar aus
Gründen, die in Astr. Nachr. 211 (1920), p. 311 besprochen wor-
den sind.
Sehr wichtig ist bei diesen Rechnungen, daß man kein Glied
vernachlässigt, das von irgendwelcher Bedeutung werden kann. Durch
Multiplikation von Reihen, die aus Sinus- oder Cosinusgliedern be-
stehen, entsteht eine neue Reihe von andersgearteten Argumenten;
schon weiter oben war darauf hingewiesen worden, welche Bedeutung
gewisse Perioden für die Pendelbewegungen des Mondkörpers haben.
Aus diesem Grunde müssen bei den folgenden Reihen für L, 1: R
und sin.B so viele Glieder mitgenommen werden, deren Koeffizienten
manchmal recht klein sind, und die auf den ersten Blick bedeutungs-
los erscheinen.
3. Entwicklung der Variabeln als Funktionen der Zeit. 1027
Argument L+g9+o+n 1: R= 1,00000
g —+ 22641” sin Arg. —+ 0,05452 cos Arg.
29 + 709 2.208
3g ke 3 Fe
4 + 10 EM
ch + 668 = 12
PER, + 17 E 35
— g +20 — 20 32,88
9—g + 2m — 20 28 — 6
29 —g +2o — 20 — 25 _ 9
— 9 — 29’ +20 — 20 -— 6
—2g +20 — 20 + 211 _ 9
9—2g + 2o — 2o' + 4586 + 1002
29-— 29 +20 — 20’ + 2369 -- 821
39—2g +2o — 20 + 19 E= 88
49— 29’ + 20 — 20’ E= 6
9—3g +20 — 20 + 207 + 41
29— 39 + ?2o — 20’ + 166 — 56
39 —3g’ +20 — 20 + 6
29 —4g +40 — 4w 2. 32 En 12
39 —Ag’-+4o — 40’ En 38 + 18
49—4g +40 — 4 - 6
+20 u 1,6
(8) g +20 ı 4,
29 120 A
39 +20 !.
— 29 — 20’ E= 53
9— 29 — 20 .—_ 7
—-g +0 — o _ 19
EN A a ai 26
n — 5° En 8
sin B = — 0,00016 sin — g + o
a ap
+ 8942 g >'%
a os
u 31 39 + o
& 9+ g+ eo
re A,
8 —9—-24+ o— 20
82 —2g+ 0—2o’
9—2d+ o— 2
16 29—2g+ w— 20’
4 —3g-+ 0— 20’
15 9—3g’+ w— 2’
+++++++
8
1028 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
— 0,00001 sin g9—2g’ +30 — 20
E= 97 29 — 29’ +30 — 20’
En 57 39 — 2g-+ 30 — 20’
+ 7 49 — 29’ +30 — 20’
+ 4 29 —3g’ +30 — 20’
En. 4 39 —3g’ +30 — 2
_ 5 9— + o— 20
Die variablen Faktoren der rechten Seiten der Gleichungen (5) neh-
men die folgende Gestalt an, wobei die Koeffizienten in Teilen des
Radius ausgedrückt sind. Für die spätere Behandlung der Gleichungen
werden die Abkürzungen eingeführt:
S=—R'y, T=— Rx.
Argument —S Fr
—9 + o — 0,00039 cos Arg. + 0,00026 sin Arg.
u ra 4 89 218
g Te Bi 56 + 11561
29 an + 628 + 31876
39 4.0 > et.
39 +30 = 20 4 19
bt Si. 4. 1 F &
Er a H- 6
(9a) —9—2d + o—2o _ 22 + 11
—29+ 0— 20 _ 148 _ 48
9—2g7 + w— 20 74 == 174
29-29 + o— 20 E= 2 n 28
—397+ 0— 20’ — 7 = 3
9g—3g + w— 20’ = 5 u 5
g9— 29 +30 — 20 2 B) = 4
29—2g +30 — 20’ + + 80
39 —2g +30 — 20 ES 99 + 256
49 — 29’ +30 — 20’ -h 31 Eu 56
29—3g +30 — 2w E. 5 En 12
39 —3g +30 — 20’ En 5 Eu 16
Zu — S treten noch die Glieder
+ 0,116 r sin(g + ©) — 0,109 sin g[e sin(g + ©) — Jocos(g + ®)]
und zu 7
+ 0,9933 o sin(g + ©) — 0,9943 Jo cos(g + ®)
+ 0,109 sing[o cos(g + ©) + Jo sin(g + ®)]
+ 0,163 cosg[esin(g + ©) — Jo cos(g + o)].
4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1029
R-°xy setzt sich zusammen aus
[ D'Hsinh = + 0,10829 sing
m 321 — g
= 11 — + o— 0
or -4 118 — 29’ + 20 — 20’
+ 2155 g9—29 +20 — 20
— 1,0 + 20
Eu 28 — 29 — 20
\ — 4 n— 5°
und
— 0,9852 r — 0,162 r cosg — 0,045 Jo[1 — cos(29 + 20)].
4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. Die dritte Glei-
chung (5) läßt sich leicht in eine integrabele Form bringen. Es ist
nach (2)
= dap dy
= AARERRE in “La te
-u + F7 an re
Da J ein kleiner Winkel ist, En man
dr _ dr _Idide,
dt dt? 2 di?
Wenn nun ka M'’=35M gesetzt wird, lautet die 3. Gleichung (5)
Se = 1.0,9852 M’yr — M’'y.S Hsinh — ypg
(10) + Myl— 0,162 cosg — 0,045 Jo(l — cos(29 + 20))]
J d’Jo
i rg a,
Vernachlässigt man zunächst auf der rechten Seite alle Glieder außer
M'yD'Hsinh, so ist das vollständige Integral dieser Gleichung
uf RETTET 7 RE M'yHsinh
(11) = Asin(a + tY 0,9852 M’y) — Nee
Hier bedeutet h’ die tägliche Bewegung des Argumentes h, t die in
‚mittleren Tagen ausgedrückte Zeit; A und «a sind die beiden Inte-
grationskonstanten.
In der Gleichung (10) ist das Glied ypq ganz zu vernachlässigen;
ferner findet man aus späteren Ergebnissen, daß
— 0,162 r cosg = + 0,00001 sin 29 + 0,00003 sin (— 9 — 9”)
—+ 0,00003 sin (g — 9’)
und
— 0,045 Je[1 — cos(29 + 20)] = + 0,00002 sing.
1030 VIs,202. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
Das letzte Glied aber kann man in folgender Weise schreiben:
v J d’Jo
My 2M’y dt?
—= M’g[+0,01356 sing — 0,00454sin(g-+ 20) + 0,00555 sin (29-+ 20)].
Zu der Reihe I Hsinh treten also noch additiv hinzu
—+ 0,00002 sing und + 0,01356 sin g.
Die Glieder mit anderen Argumenten geben bei der Integration Größen,
die vernachlässigt werden können.
Die täglichen Bewegungen der vier Argumente g, g’, ©, ©’ sind
in Teilen des Radius:
+ 0,2280273, + 0,0172022, + 0,0028686, -+ 0,0009250.
Mit der Annahme y = 0,0001703, m’ = 0,229972 und M = 0,052242
wird 0,9852 M’y = 0,00002629. Für diesen Wert von A’? wird der
Nenner im 2. Gliede von (11) Null, d. h. für ein Argument, dessen
tägliche Bewegung 0,005127 beträgt. Von allen Argumenten kommt
2@ diesem Werte am nächsten; denn seine tägliche Bewegung ist
+ 0,005737. Dieses Argument hat demnach für die Achsendrehung
des Mondes eine wesentliche Bedeutung.
Mit Benutzung der oben gegebenen Zahlenwerte erhält man nun
für r den Ausdruck:
(7 = Asin(a + 1057”7 0) — 13” sing
| + 65” sing’
+ 3’ sn(—-g’+0o— 0)
— 7’ sin(—2g9’ +20 — 20)
_ 3" sing = + Io — 20)
+ 8”’sin2o
— 1” sin(—2g — 20)
{ + 8" sin(n — 5°).
Die Integration der beiden anderen Gleichungen (5) ist nicht
ganz so einfach. An Stelle der gesuchten Funktionen og und 6 müssen
zwei andere Variable x und y eingeführt werden, nämlich
x=sinpsin® und Yy= 60859 sin ®.
Da g=180° +9 +0 -+r— 0 ist, und J als bekannt (1032’20”
— 0,026859) angenommen werden soll, ist es erlaubt zu schreiben
x —= — Jsin(g +») — esin(9 +0) — Jreos(g + @)—+ Jocos(g + ®),
—= — Jcos(g +) —ocos(g +) + Jrsin(g + @)— Josin(g+ 0).
Die Umformung der beiden Gleichungen geht aus folgendem hervor.
4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1031
Es war
= : ._ „dy dy => ._ „0dy . dr
ze sinpsind 7, 06089 > 9= 760859 en
== 0 Br u En 8
VII ERERFR -trn- E dir
folglich
p= — m sinpsin® —sinp sind GE + sin sind ©? — c085p i4
’ . . dr . .
4=— m COSPSINnd — COSp sınd 7 + cospsin® i + sing = -
Da nun 2=sinpsin®, y= cospsin® ist, wird
dr dy 1 de
pP=—- mi — 1 — q7r 208 p sin’, Dre
; h d
a a 2,08
any ta + ein pin,
Bildet man hieraus ne = und bedenkt, daß
rm + —2si sin? — 4
ist, dann wird unter Weglassung der Glieder höherer Ordnung
; d? da ,
Ftog=- — Ta ym(l—e)—am!y
dx dr N
tat).
(13) — d’x dy r 2}
ra mit —-P) + pm %
dy dr d’r d/ı N de
va Ya net)
In jeder der beiden Gleichungen können zunächst die drei letzten
Glieder vernachlässigt werden.
Die 1. Gleichung (5), ohne weiteres aus (9a) und (13) gebildet,
ist sofort verwendbar. In dem Ausdruck 7 (9a) muß aber noch eine
Umformung vorgenommen werden. Innerhalb der erstrebten Genauig-
keit ist
x —= — 0,02686 sin(g + ®) — 0,0269 x cos(g + ®)
— gsin(g + 0) + Jocos(g + 0),
daher kann man für die in 7’ auftretenden Glieder
+ 0,11561 sin(g + ®) + 0,9933 osin(g + ©) — 0,9943 Jo cos(9 + ©)
schreiben
+ 0,08892 sin(g -+ ®) — 0,9938 x — 0,0267 z cos(g + o).
1032 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
Dann nehmen die beiden Gleichungen (5) die folgende Form an
(2 d 23 !
tz mA—ad)+tam’y—MaS+ U,
A) NE —Ym(l— B) + z(Bm’+ 0,9938 EM)
— M'B(T + 0,9938 2) + W,
wo
da dt de, dA de
- ga tete ten):
0 dy dr d’r da /ı : de
vw- atryetrnet ut)
Die Glieder von $ und 7 + 0,9958 x, die o, 6, r enthalten, darf man
in 1. Näherung vernachlässigen; in 2. Näherung wird man dafür finden:
U—=
— 0,116 rsin(g-+ o) | —= —0,00004c0os(— 9+ o)
+ 0,109sing[oesin(g+®)— Jocos(g+@)] + 1 coso
+ 4 cos(g + o)
— lcos(29 + o)
— 200s(9—9’-+0)
+ 2eos(g+g’+o)
+ 0,109sing[o cos(g+@)+ Josin(g+@)]—= — 0,00004 sin(— 9 + ®)
+0,163cosg[osin(g+@®)—Jocos(g+o)]| + 1 sino
— 0,0267 rcos(g + o) — 8sin(g + ®)
Ferner erhält man, wenn M’« = 0,0000723, M’ß = 0,0000988 ge-
setzt wird,
W
40. + 900001 eos(g+ 0) 1775 — 900001 sin (9+ ®)
2 87 cos(29 + ®) — 64sin(29-+ ®)
— 4 cos(39 +30) + 3sin(39 + 30)
+ 21cos(g —g’+o) + 15sin(g — g’+ ®)
+ . 21cos(g+g+o) + 15sin(g+g + o)
Diese Zusatzglieder treten also noch additiv zu S und 7 0,9938 x.
Die rechten Seiten der Gleichungen (14) sind demnach Reihen, deren
einzelne Glieder die Form haben
Feosg und Gsing.
Die Integration kann nun ausgeführt werden. Wenn man in den
Gleichungen (14) die rechten Seiten Null setzt, wird ihnen genügt
durch die beiden Wertsysteme:
I: z<=4A,cos4t, y=B,sinit,
1: : <= 4A sinit, y=B,cosit.
4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1033
Durch Einsetzen dieser Werte in die Gleichungen (14) erhält man eine
Gleichung 4. Grades?) für A, die die beiden reellen Wurzeln hat
‚ —1
„-m|1+',B],
(15a) a
= mYVeeaß,
wo &— 1 das Produkt aus den drei Faktoren 3, 0,9878, 0,9938, also
2,9450 ist. Durch Einführung von vier Integrationskonstanten, die
mit A,, A,, B,, B, in bestimmten Beziehungen‘) stehen, ergeben sich
als Integrale der Gleichungen (14)
z=Bsinb +40) +Üsin(ce + Ast),
(15b) y=Beos(b + At) ri Ccos(c+ A),
welche die Gleichungen bis auf Glieder 2. Ordnung in « und ß, die
bei der Ableitung vernachlässigt worden waren, befriedigen.
Um nun die vollständigen Integrale zu erhalten, geht man davon
aus, daß den Gleichungen auch genügt wird durch die Größen
x=Xsing, y=Yecosg.
Bildet man hiermit die Gleichungen (14), dann findet man
E — @(g’?— am’ ?) — Fg’m’ (1 — P)
(8? — Bm’ ?e)(g’? — am?) — g’?m’?(1 — o)(1— P)?
= — F(g’? — Bm’ ?e) — Gg’m’(l — e)
EP? — em) — mA —
Unter g’ ist die tägliche Bewegung des betr. Argumentes zu ver-
stehen. Mit Hilfe der Formeln (15) und (16) lassen sich somit die
vollständigen Integrale der beiden Differentialgleichungen berechnen,
vorausgesetzt, daß « und 8 bekannt sind. Die vier Integrationskon-
stanten müssen aus Beobachtungen ermittelt werden.
Aus der Definition x = sinpsind, y= cospsin® folgt unter
erlaubter Vernachlässigung gewisser kleiner Größen
ar) | J+oe=— zsin(g + 0) — yeos(g + ®),
Jo— Jr= + xcos(g +0) — ysin(g + o),
und somit lassen sich, da J und r bekannt sind, o und Jo berechnen.
% besteht aus einer Reihe von Sinusgliedern, y aus einer solchen von
Cosinusgliedern, folglich sind in e alle Koeffizienten mit cos, in Jo
X
(16)
3) F. Hayn, Sel. Koord. I, p. 897.
4) F. Hayn, Sel. Koord. I. p. 898.
1034 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
mit sin multipliziert. Nun ist
e=— J— zsin(g +0) — ycos(g + o),
das Argument 9 + o liefert für o die folgenden Glieder:
+0, 1n?(g + @) — Y,,„008°(9 + ®)
1-co@g +20) y 14 LICH, +20).
37) y+w
oder
Demnach ist, wenn man von den Gliedern mit anderen Argumenten
absieht, weil sie an dieser Stelle belanglos sind,
MEIN se Fra Ft Arrn 0E2IF- 20) — Y, +°08(29+ 20).
Da nun nach der Definition g nur aus periodischen Gliedern bestehen
soll, so muß sein
(18) Kran t Lv = —2I-
Dureh die Formeln (16) und (18) ist demnach eine Bedingungsglei-
chung zwischen J, «, ß geschaffen.
Aus der Definition von «, ß, y folgt ohne weiteres die Gleichung
e—B+tr—ußr=(,
in der das Produkt «ßy verschwindend klein ist.
Aus der Annahme folgender Zahlenwerte:
J = 0,026859, F,,„— + 0,00061 Ma, G,,.— + 0,08884 M’ß,
ur —= 0,156725, & = 3,9450
ergibt sich, wenn man das Verhältnis @: 8 mit f bezeichnet, die Be-
dingungsgleichung
—= + 0,0006328 — 0,00528 fß + 1,0074 fp?,
oder wenn man für ß rechts 0,000631 einsetzt
(19) ß = + 0,0006 328 — 0,00000293 f.
Wenn demnach aus Beobachtungen J und f bestimmbar sind, dann
ist das ganze Problem gelöst. Zur Zeit gelten als die sichersten
Werte?) J = 1°32'20”, f = 0,73. Daraus folgt
ß = + 0,0006307, «= + 0,0004604, 7 = + 0,0001703,
d. h. die Werte, die im Vorstehenden verwendet worden sind. Mit
den Formeln (15), (16), (17) lassen sich nun auch die Funktionen o
und Js berechnen, und zwar ergibt sich:
5) Astr. Nachr. 199 (1914), p. 261.
4. Die Integration der Bewegungsgleichungen. 1035
e=— Beos(b— 146” 6) Jo—=Jt+ Bsin(b—146”6t),
+0,662 Ceos(c+50"8t—g—o) —. 0,662 Osin (c+50"81:— 9 — 0),
+ 1,662 Ceos(c+50"81+9-+0) + 1,662 Osin(c+ 50"8t+9-+. 0),
— 106” cosg — 108” sing,
et 35 cos(g+ 20) + 535 sn(g+2o),
— 11 c0s(29-+2o) — 11 sin(29+2o),
— 3 cos(2g +20’) — 3 sin(2g +20),
— 2 (cos(g-2g +20 —20) — 2 sny—-2g9+20— 20).
Es genügt, hierin Jr = + 0,0269 = + 2” sing’ zu setzen. Das
Glied in r mit den Integrationskonstanten A und a ist an sich wahr-
scheinlich sehr klein, da es bisher noch nicht nachgewiesen werden
konnte, mit J multipliziert ist es jedenfalls ganz zu vernachlässigen.
Was von A gilt, kann auch von den beiden Integrationskonstanten
B und C gesagt werden; auch sie konnten bisher nicht ermittelt
werden.
Man hat diese Schwankungen die „willkürliche Libration“ ge-
nannt im Gegensatz zu den anderen Gliedern, deren Koeffizienten durch
die Bahnbewegung und die Form des Trägheitsellipsoides bestimmt
sind, und die man daher als „gezwungene Libration“ bezeichnet hat.
Die „willkürliche Libration“ läßt sich physikalisch auf folgende Weise
erklären:
Man nimmt zunächst an, daß ihre Koeffizienten Null sind; dann
ist die Bewegung des Ellipsoides durch die Formeln (1) und die „ge-
zwungene Libration“ nach (12) und (20) gegeben. Wenn man nun
das Ellipsoid aus dieser Gleichgewichtslage durch irgendeine Kraft
herausdreht, dann wird es pendelartige Schwingungen um dieselbe
ausführen, die eben durch die Glieder der „willkürlichen Libration“
gegeben sind.
Als Ursache solcher Schwankungen könnte man sich Massenum-
lagerungen im Monde oder Stöße von außen etwa durch aufstürzende
größere Meteormassen denken. Auch wäre möglich, daß solche Schwin-
gungen aus einer Zeit noch in geringem Maße vorhanden wären, als
der Mond noch nicht völlig starr war. Ist einmal eine willkürliche
Libration vorhanden gewesen, und ist sie nicht im Laufe der Zeit
durch irgendeine Kraft vernichtet worden, so müßte sie noch heute
bestehen.
Daß nun aus den genannten Ursachen Schwingungen mit be-
trächtlichen Amplituden vorhanden sein sollten, ist an sich nicht recht
wahrscheinlich; da nun auch die Beobachtungen bisher nichts der-
1036 VI2,202. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
artiges haben erkennen lassen, darf man wohl annehmen, daß die
Schwankungen der willkürlichen Libration unterhalb der Grenze der
Meßbarkeit liegen. Infolgedessen werden im folgenden diese Glieder
von tr, 0, Jö außer Betracht bleiben.
Es ist von Interesse zu sehen, welche Werte die Koeffizienten der
Funktionen z, oe, J6 für verschiedene Werte von f annehmen:
re 0,6 0,7 0,8
= — 22° — 18°" — 14” — 10"sing
4132 +102 + 74 + 47 sing’
+6 +5 +53 + 2sn—-g+o-— 0)
(21) — 4 —1 — 8 — 5 sin(—29+20—20)
—6 —-— 4 — 3 — 2 sing—2g+20—20o)
— 6 — 12 +16 + 3 sin2o
+83 +3 +38 + 8 sinn —5°);
(o=—-83 —% —103 —11llcosg
+ 93 +20 +32 +.43 cos(g+2o)
(22) — 11 — 11 — 11 — 11 cos(29+2o)
— 3 . —-— 3 — 3 — 3 eos(29 +20)
— 2 — 2 — 2 — 2 co(g—29 +20 —20);
‚Js=— % —9%8 —105 —113 sing
+ 9 +20 +32 + 43 sin(g+2o)
(23) — 1 — 1 — 11 — 11 sin(29+20o)
— 3 . -— 3 — 3 — 53 sin(2g’ +20)
— 2 —- 2 — 2 — 2sing—2g+20—20o)
e +4 +3 + 2 + 1snYg.
Der Koeffizient von sin2® in (21), der für f== 0,662 unendlich wird,
nimmt für f = 0,65 und 0,67 die Werte —59” und +84” an.
ö. Der Einfluß der Sonnenanziehung. Bisher ist nur der Ein-
fluß der Erdanziehung auf das rotierende Mondellipsoid untersucht
worden. Der Einfluß der Sonne kommt insofern schon indirekt zum
Ausdruck, als die Bahnbewegung des Mondes Sonnenstörungen auf-
weist, die von Einfluß auf die Drehbewegung des Mondes sind, wie
ja das Vorhandensein der Argumente g’ und ®', die der Sonne ange-
hören, zeigt. In dem Ausdruck für r ist das von der Sonnenstörung
abhängige Glied sogar das größte.
Es wird aber nun selbstverständlich auch direkt die Anziehung
der Sonne auf die Rotation des Mondes einwirken. Dieser Einfluß ist
zwar proportional der Sonnenmasse, aber umgekehrt proportional der
3. Potenz der Entfernung, so daß die direkte Wirkung der Sonne etwa
183 mal kleiner sein wird als die der Erde. Daraus geht schon her-
5. Der Einfluß der Sonnenanziehung. 1037
vor, daß wahrscheinlich die kleinen Zusatzglieder, die durch Berück-
sichtigung der Sonnenanziehung noch zu den Ausdrücken r, g, J6
treten, von der Erde gesehen unterhalb der Grenze der Sichtbarkeit
bleiben. Da die Wirkung der Sonne so geringfügig sein wird, kann
sie rechnerisch in der Weise ermittelt werden, daß zu den rechten
Seiten der Gleichungen (5) Ausdrücke hinzutreten, die an Stelle der
Erdmasse und deren Koordinaten die entsprechenden Werte für die
Sonne enthalten.
Nennt man die Masse der Sonne M”,
die selenozentrische Länge |, e I,
” „ Breite „ „ B;,
en Abstand Sonne—Mond ER,
dann findet mau M’—= Kr M und mit Hilfe der Sonnentafeln
L’= g-+0o'+n-+-0,0335 sing’ + 0,0003 sin2g’
+ 0,0002 sin (— g’+ © — o’) — 0,0026 sin (9— g’+ o — w'),
1: .R” = 1,0000 + 0,0167 eosg’ + 0,0003 cos 2g’
— 0,0002 cos(— g’+ © — o’) + 0,0026 cos(g — g’+ © — ®')
B’ = — 0,0002sin(g-+ o).
Zu den rechten Seiten der Gleichungen (10) und (14) treten infolge-
dessen Glieder, von denen hier nur die wesentlichsten angeführt wer-
den sollen:
— 3.M”y 0,4994 sin(29 — 29’ + 20 — 20’)
— — M'y 0,00271 sin(29 — 29 + 20 — 20),
—- 3 M”«[0,0133 cos(g — 29 + o — 20’) + 0,5 y]
— — M’«[0,00001 cos(g— 29 +2» — 20’) + 0,0027 y],
— 3.M” [0,0133 sing — 29 +0 — 20) +0,52]
— — M’B[0,00001 sin(g — 29’ + 20 — 20”) + 0,0027 x].
Die Integration dieser Zusatzglieder liefert ganz unmerkliche
Librationsschwankungen, die weit unter 1” liegen. In den beiden
letzten Zeilen kann man setzen
x = — 0,02686 sin(9g + ©), 9 = — 0,02686 cos(g + ®)
und erhält daher für sie die Werte
+ 0,00007 M’«cos(g + @) und + 0,00 007 M’ß sin(g + o).
Diese beiden Größen müssen, will man den Einfluß der Sonne nicht
ganz vernachlässigen, zu den rechten Seiten der Gleichungen (14)
hinzugefügt werden. Dadurch ändern sich etwas die Werte F),.
G X Y_ ,, und somit die Bedingungsgleichungen (18).
gtw) y+tw? ytw
1038 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
Betrachtet man allein die Erdanziehung, dann liefert die Glei-
chung (18) folgende Beziehung zwischen J, ß, f:
(24) | B[7,170739] + fB[5,007460] — fP?[7,176300]
—+ 2JB[7,719265] — 2Jfß?[7,914592] — 2J[5,356 179] = 0.
Unter Berücksichtigung der Sonnenanziehung lautet diese Gleichung
os, | PL7171081] + fB[5,054639] — fB*[7,177465]
(25) | + 27B[7,919265] — 2JfB°[7,914592] — 2J[5,356179] = 0.
Im 1. Falle folgt aus J = 0,026859 und f= 0,73 für 8 der Wert
0,0006307, im 2. Falle richtiger 0,0006 300.
Von $ = 0,0006300 ausgehend müßten nun erneut die Größen
t, 0, J6ö berechnet werden; doch würden die neuen Zahlenwerte sich
nur ganz unwesentlich von den früheren unterscheiden, so daß diese
Berechnung unterbleiben kann.
Von Interesse ist aber, rechnungsmäßig festzustellen, wie groß
die Neigung der Mondachse wäre, wenn die Erde allein wirkte. Aus
der Gleichung (24) folgt mit 8 = 0,0006300
J == 1032'13",
Die Neigung der Mondachse ist also durch den Einfluß der Sonnen-
anziehung um 7” größer, als wenn die Erde allein wirkte.
6. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen. Die
Gleichungen (1), (12), (20) definieren die Bewegung des Trägheits-
ellipsoides des Mondes um den Schwerpunkt, dessen Bahnbewegung
bekannt ist. Wären auch J und f genau bekannt und ebenso die
Integrationskonstanten A, a, B,b, C,c, so ließe sich die Lage des
Ellipsoides für jeden Zeitpunkt genau berechnen.
Diese acht Konstanten müssen aus Beobachtungen ermittelt wer-
den. Von J und f kennen wir genäherte Werte; von A, B, © wissen
wir, daß sie jedenfalls klein sind. Es ist bisher noch nicht gelungen,
sie festzustellen. Man darf sich daher zunächst auf die Ermittlung
von J und f beschränken. Der Gang der Untersuchung ist der folgende,
Ein gut definierter Punkt der Mondoberfläche, der mit dem Träg-
heitsellipsoid fest verbunden und möglichst nahe dem Ersten Radius
gelegen ist, wird infolge der Bahn- und Rotationsbewegung des Mondes
seine scheinbare Stellung zum Mondschwerpunkt periodisch ändern.
Die relative Lage dieses Punktes — man wählte dazu den sogenannten
Krater Mösting A — gegen den Schwerpunkt wird nun durch Mes-
sungen ermittelt und mit angenommenen genäherten Werten von J,
f und den drei Polarkoordinaten des Punktes h,, A,, ßı berechnet.
Die selenographische Länge (A,) und Breite (ß,) beziehen sich auf das
6. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen. 1039
durch die drei Hauptträgheitsachsen definierte Koordinatensystem;
denn nur die Lage dieses Systems, das mit der Oberfläche fest ver-
bunden ist, können wir berechnen und durch Beobachtung feststellen,
nicht aber wie bei der Erde die Lage der tatsächlichen Drehachse a
des hierdurch definierten a
Aus den Widersprüchen zwischen Beobachtung und Rechnung
sind nun durch eine ausgleichende Rechnung nach der Methode der
kleinsten Quadrate die Verbesserungen der angenommenen Werte von
J, f, hr, A, Bı zu ermitteln.
Die Hauptschwierigkeiten des Problems bestehen nun darin:
1. daß sich das Aussehen des Oberflächenpunktes mit wechseln-
der Beleuchtung ändert, wodurch leicht die Messungen systematisch
entstellt werden, und
2. daß der Mondschwerpunkt kein sichtbarer Punkt ist, sondern
nur aus Beobachtungen des Mondrandes errechnet werden kann. Nun
ist aber der Mondrand keineswegs ein Kreis oder eine Ellipse, son-
dern eine recht unregelmäßige Kurve. Eine Niveaufläche, wie sie auf
der Erde die Ozeane darstellen, gibt es auf dem Monde nicht; es
bleibt also nichts anderes übrig, als durch die Gebirge und Sen-
kungen der Gegenden der Mondoberfläche, die den scheinbaren Rand
bilden, eine ausgleichende Kugeloberfläche zu legen oder mit anderen
Worten eine Niveaukarte®) der Randgebiete des Mondes herzustellen,
aus der dann für jeden beobachteten Randpunkt seine Abweichung
von der mittleren Niveaufläche entnommen werden kann. Man muß
zunächst annehmen, daß der Mittelpunkt dieser Kugel mit dem Schwer-
punkt zusammenfällt. Durch Untersuchung der Bahnbewegung des
Mondes läßt sich die Breitendifferenz beider Punkte feststellen; ihre
Längendifferenz aber kann nicht ermittelt werden.
3. Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß die Funktion r eine
Unstetigkeitsstelle für f = 0,662 Eric Bei der ausgleichenden Rech-
nung braucht man den Quotienten ® 1 ar der an dieser Stelle ebenfalls
unstetig ist. Man kommt über diese Schwierigkeit nur auf dem Wege
der Näherung hinweg.
. Das Rechenverfahren wird wesentlich dadurch erleichtert, daß
man für den Oberflächenpunkt sogenannte mittlere Längen und Breiten
einführt, die sich auf ein System beziehen, dessen Bewegung durch
die Gleichungen (1) definiert wird, wenn man r, g, 6 Null setzt. Be-
zeichnet man diese selenographischen Längen und Breiten mit}, + AA,
6) F. Hayn, Sel. Koord. IV.
1040 VIs,202. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
und &, + Aß,, dann ist
(26) bs — otgß, eos(g +w+4,) — Jotgß, sing +®@+4,)+ 7,
Aß,=+osing+@+ 4) — Jocos(g+@+ 4).
Nimmt man für f als Ausgangswert 0,73 an, so findet man aus (21),
(22), (23), wenn man sich auf die Hauptglieder beschränkt,
= — 13”sing’ + 65” sing’ + 8”sin2o
+ [40” sing — 280” sing’ — 170” sin2o] df,
(27) oe = — 106” cosg + 35” cos(g + 2o) — 11” cos(29 + 20)
— [80” cosg — 110” cos(g + 2o)] af,
Jo = — 108” sing + 35”sin(g + 20) — 11” sin(29 + 20)
— [80” sing — 110” sin(g + 20)] df.
Wera nun der Oberflächenpunkt so gelegen ist, daß A, und ß, sehr
klein sind, dann kann man schreiben:
Ari, = — 13’ sing + 65” sing’ + 8" sin2o
(28) + [40” sing — 280” sing’— 170’ sin2o] af,
Aß, = — 142” sino + 11” sin(g + ») — 190” sino df.
Sind durch Beobachtungen die Unterschiede in Rektaszension und
Deklination zwischen Krater («,, d,) und Mondschwerpunkt («, 6) ge-
funden worden, und bezeichnet man die Widersprüche Beobachtung
minus Rechnung mit d(«, — «), d(ö, — Ö), dann lassen sich Bedin-
gungsgleichungen von der Form aufstellen
(29) EEE, e)—=4A,dh,+ A,di, + Asdf, + A, es df,
d(6, — 6) = D,dh, + D,dA, + D,dß, + D,daJ + D,df.
Die etwas komplizierte Berechnung der Faktoren A und D ist in
Sel. Koord. II, p. 55 und II, p. 9 auseinandergesetzt. Diese Gleichungen
zeigen die Abhängigkeit der Widersprüche B— R von den Verbesse-
rungen der angenommenen Werte von h,, A, ßı, J und f. Die Me-
thode der kleinsten Quadrate gestattet aus dem System dieser Glei-
chungen die einzelnen Verbesserungen abzuleiten.
Beobachtungen des Ortes von Mösting A mit dem Heliometer und
Fadenmikrometer haben bisher als wahrscheinlichste Werte J = 1°32’20”
und f= 0,73 ergeben,’) Das Berliner Jahrbuch gibt auf Grund dieser
Werte eine Ephemeride von Mösting A, weil Beobachtungen dieses Ob-
jektes sicherer als solche des Mondrandes den Mondort finden lassen.
Welche scheinbare Größe die Schwankungen der physischen Libra-
tion für einen Beobachter auf der Erde besitzen, erkennt man, wenn
7) Astr. Nachr. 199 (1914), p. 261.
6. Die Ermittlung der Konstanten aus den Beobachtungen.
1041
man die Koeffizienten in den Formeln für AA und Aß durch 220 di-
vidiert. Für die beiden extremen Werte f = 0,5 bzw. 0,8 findet man:
| f= 08 0,8
AA = —0’7,10 — 0,05 sing
+ 0,60 + 0,22 sing’
—0,03 +0,01 sin2o
+ 0,03 + 0,01 sin(— ! +» — o))
— 0,06 — 0,02 sin(— 29’ + 20 — 2@’)
a — 0,08 — 0,01 sin(g — 29’ + 20 — 20)
+0,04 + 0,04 sin(n — 5°);
AßB= —045 — 0,63 sino
+005 +0,05 sin(g + o)
— 0,01 — 0,01 sin(g — 29’ + © — 20’)
: +0,01 + 0,01 sin(— 29 + @ — 20).
Man erkennt aus dieser Zusammenstellung, wie genau die Beobach-
tungen sein müssen, wenn man aus ihnen die Form des Trägheits-
ellipsoides des Mondes ermitteln will. Aus den Beobachtungen hat
sich ergeben, daß der Abstand des Kraters Mösting A vom Schwer-
punkt in mittlerer Entfernung des Mondes die scheinbare Größe
15’33”4 hat, während der Radius des mittleren Niveaus der Rand-
gebiete 15°32”8 ist) Mösting A liegt allem Anschein nach — ge-
naueres läßt sich nicht feststellen — nur wenig über dem mittleren
Niveau seiner Umgebung, so daß eine Verlängerung des Mondkörpers
von etwa 1 km nach der Erde zu möglich ist, das wäre etwa Y, Pro-
mille des Radius. Eine Abplattung des Mondes ist nicht nachweis-
bar, wenn sie auch naturgemäß vorhanden sein muß. Die Niveau-
karte des Mondrandes läßt nicht erkennen, ob die Kugel oder ein
Ellipsoid als mittlere Niveaufläche den Vorzug verdient. Eine Ab-
plattung von 1:5000 wäre mit den Beobachtungen immerhin ver-
einbar.
Aus den Beobachtungen folgt ferner
ß = 0,000630, « = 0,000460; » = 0,000170.
Die Definition dieser Größen ergibt sich aus (4)
0O— B=Au, C—-A=Bß, B—-A=(y,
wo A, B, C die Trägheitsmomente in bezug auf die x, y, z-Achse des
Mondkörpers sind. Die x-Achse ist auf die Erde gerichtet, um die
8) Astr. Nachr. 201 (1915), p. 201.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI2. 68
1042 VI2,20a. F. Hayn. Die Rotation des Mondes.
z-Achse rotiert der Mond. Setzt man A =1, dann ist B= 1,000170,
© = 1,000630.°)
‘. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze bei gewissen
&
Formen des Trägheitsellipsoides. Die Größe f— 8 darf naturge-
mäß nicht die Werte O0 und 1 annehmen Im 1. Falle würde « = 0
oder O= B sein. Dann ist aber die Lage der Drehachse im Mond-
körper unbestimmt. Das Moment C muß das größte sein, wenn sta-
bile Verhältnisse bestehen sollen. Im 2. Falle wäre «= ß,d.h.y—=0
und B= 4; dann wäre der Mond ein Rotationsellipsoid und das
1. Cassinische Gesetz unmöglich.
Aus der Formel (11) folgte ferner, daß f nicht gleich 0,662 sein
darf, weil in diesem Falle das Glied von r mit dem Argument 2»
unendlich werden würde. In der Hansenschen Entwicklung für die
wahre Mondlänge kommen aber noch einige andere Glieder vor, die
zwar eine sehr geringe Amplitude aber solche Perioden besitzen, daß
für gewisse Werte von f oder y ebenfalls das 1. Gesetz nicht mög-
lich wäre. Hierzu gehört z. B. eine ganz geringfügige Störung durch
den Mars; die Bedeutung ihres Argumentes E — M ist aus Hansens
Mondtafeln zu ersehen.
Alle diese Argumente mit ihren täglichen Bewegungen und den
kritischen Werten von y und f sind in der folgenden Zusammen-
stellung enthalten:
Argument tägl. Bew. y £
n 0,009242 0,000553 0,125
E—M 0,008056 420 0,334
2@ 0,005 737 213 0,662
2(0 — 0’) 0,003 887 097 0,846
(0 — o') 0,001 944 024 0,961
Nach den Beobachtungsergebnissen kommen die beiden ersten und
ebenso die beiden letzten Fälle nicht in Frage, da f wohl sicher zwi-
schen den Grenzen 0,5 und 0,8 liegt, d. h. möglicherweise nicht weit
von dem kritischen Punkte f = 0,662 entfernt. Die oben angeführten
9) Über die Gestalt des Mondes als Gleichgewichtsfigur unter gewissen ein-
fachen Voraussetzungen siehe
Leon Lichtenstein, Untersuchungen über die Gestalt der Himmelskörper;
I. Abh.: Die Laplacesche Theorie der Gestalt des Erdmondes, Math.
Ztschr. 10 (1921), p. 130;
desgl. Encykl. VI2B, 21 ($. Oppenheim), Nr. 26. Die dort p. 53 angeführten Zahlen-
werte sind durch die hier gegebenen zu ersetzen.
7. Die Unmöglichkeit der Cassinischen Gesetze usw. 1043
Werte von f sind nur genähert richtig. In unmittelbarer Nähe der
Unstetigkeitsstellen sind die Schwankungen der physischen Libration
nicht mehr kleine Größen. Die vorstehende Behandlung der Bewe-
gungsgleichungen gilt aber nur, wenn r, o, Jo klein sind.
Daß das Argument 2o, oder mit anderen Worten die Lage der
Apsidenlinie, auf die Mondrotation von wesentlichem Einfluß sein kann,
ist leicht erklärlich; es erscheint aber unverständlich, daß eine fast
unmerkliche Störung der Mondbahn durch Mars unter Umständen von
großem Einfiuß sein soll. Nun der Fall besagt nichts anderes, als
daß bei gegebenem J gewisse Werte von f ganz unstabile Verhält-
nisse zur Folge haben würden.
Bei gegebener Bahnbewegung entspricht zwar einer bestimmten
Form des Ellipsoides ein ganz bestimmter Wert von .J nach den
Formeln (16) und (18), aber bei gegebener Neigung genügt dieser
Gleichung eine große Mannigfaltigkeit von Formen. Jedoch gibt nur
ein beschränktes Gebiet wahrscheinliche Werte; denn in der Natur
bilden sich unter der Einwirkung verschiedener Kräfte stets wesent-
lich stabile Verhältnisse aus.
Zum Schluß möge noch folgende Bemerkung hier Platz finden.
So verschieden die Rotationsbewegungen von Erde und Mond auch
erscheinen mögen, so setzt sich die Bewegung der Mondachse doch
ebenfalls aus einer Präzession und Nutation zusammen. Die erstere
wird durch die Cassinischen Gesetze definiert, die letztere ist gleich-
bedeutend mit der physischen Libration.
(Abgeschlossen im Februar 1923.)
68*
Register zu Band VI, 2. Teil, 1. Hälfte,
Die Stichworte des Registers sind durch gesperrten Druck hervorgehoben; die
Wiederbolung des Stichwortes ist durch einen Bindestrich angedeutet. Die
Zahlen beziehen sich auf die Seiten des Bandes. Unter dem einzelnen Stich-
worte sind die Nachweise nach steigender Seitenzahl angeordnet, so daß ge-
legentlich dem einzelnen Gegenstande mehrere getrennt stehende Nachweise zu-
kommen.
A
Abbildungsfehler des Fernrohrobjek-
tivs 248.
Aberration, astronomische, Definition
der — 31; Planeten- und Fixstern—
31; Lichtzeit— 52; Einfluß der Fix-
stern— auf die Koordinaten eines
Sternes 53; tägliche — 54; jährliche
— 55; —skonstante 57 ; säkulare — 59;
Korrektion wegen — bei Bahnbestimm-
mungen 419; Konstante der — 852;
Beziehung zwischen Lichtgeschwindig- |
keit und Sonnenparallaxe 853; Angabe
der Einzelwerte der Konstanten der
— 854; Bestimmung der —skonstanten
aus Linienverschiebungen im Spektrum
von Fixsternen 855; Konstante der täg-
lichen — 855.
Ablesemikroskop 199, 201; Genauig-
keit des Ablesens am Meridiankreis
204.
Abplattung der Planeten, Einfluß der
— auf die Bewegung der Satelliten
822; — der Erde, berechnet aus den
Trägheitsmomenten 861; — des Mon-
des 1041.
Absolute Bahnen der Planeten nach
Gylden 783.
Absorption der Atmosphäre: —skoef-
fizient abhängig von der Dichte der
Luft, 294; selektive — 331.
Achsenkollimator 237.
Äquator von 1850.0 als Grundebene
des Inertialsystems 5; wahrer und
mittlerer — 38;
Inertialsystem 1015.
Beziehungen zum |
'Äquatoreal, siehe auch Refraktor:
zur Bestimmung der sphärischen Ko-
ordinaten eines Sternes 197; —coude&
nach Löwy 232.
'Äquinoktium s. Frühlingspunkt.
Algol- und Algolsterne, aufgefaßt
als Doppelsterne, deren Bahnbestim-
mung 498; — von Z Herkulis und UZ
Cygni 501.
Altazimut s. Universalinstrument.
Andromediden, Radiationspunkt der
— 452; Zusammenhang der — mit
| dem periodischen Kometen Biela 942,
| 943, 950.
Anomalie, wahre, mittlere, exzentri-
sche — 383; der Lambertsche Winkel
für die Hyperbel 383; die ku-
bische Gleichung für die Parabel 383;
deren Auflösung durch die Barker-
schen Tafeln 385; die Keplersche
Gleichung für die Ellipse 385; Über-
gang von der exzentrischen zur mitt-
leren — in der Entwicklung der
Störungsfunktion 619; Differential-
gleichung der — in der Hansenschen
Planetentheorie 766; partielle — inder
Störungstheorie der Kometen 906.
Anschlußbeobachtungen im Meri-
dian an Fundamentalsterne 30; — am
Refraktor mit Faden- und Positions-
mikrometer 224; — auf photographi-
schem Wege 225; — mit Doppelbild-
mikrometer 230; mit Heliometer 230;
Aufgaben der — 280.
Apheldistanz, Zusammenhang der —
der periodischen Kometen mit der —
| der großen Planeten 933.
Apsidenlinie — Breitendienst.
‘ Apsidenlinie, mittlere Bewegung der
— in der Mondtheorie nach Hill und
und Adams 671, 692, 721.
Astrograph (photographischer Refrak-
tor) 232; Reduktion der gemessenen
ebenen Koordinaten &, y in sphärische
« und Ö 227. |
Astronomie (Mechanik des Himmels),
Aufgabe der — 3, 513; sphärische,
(beobachtende, praktische) 17, 196;
nautische 139; aeronautische 153,
Unterschied gegen die nautische 153.
asymptotische Ausdrücke für Funk-
tionen großer Zahlen 636; — der
Koeffizienten in den Reihen von Tay-
lor und Laurent 636; — für bestimmte |
Integrale 642, 645; — der Koeffi-
zienten der Entwicklung der Störungs- |
funktion 649.
asymptotische und doppeltasym-
ptotische Lösungen im Dreikörper-
problem 537, 992.
Atmosphäre, Hypothesen über die Kon-
stitution der — zur Theorie der Re-
fraktion 301 uff.
Azimut, —bestimmung 137.
B
Bahnbestimmung (Planetenbahn),
Formulierung des Problems 390;
Grundgleichungen zur — 391; Ab-
leitung des Verhältnisses von Sektor
und Dreieck 391; Näherungswerte |
für die geozentrischen Distanzen 396;
— Methode von Laplace 400; aus vier
Beobachtungen 409; — einer Kreis-
bahn 411. |
— (Kometenbahn), Formulierung der |
Aufgabe und Grundgleichung 412;
Näherungswerte für die geozentri-
schen Distanzen nach Olbers 414;
Ausnahmefälle 418; Korrektion wegen
Parallaxe und Aberration bei — 419.
— Definitive — 420; Methoden der —.
mit Berücksichtigung aller Orte (Va-|
riation der Elemente) 421; mit Bevor-
zugung zweier (Variation der geozen-
trischen Distanzen) 425. i
— von Meteoren 444; Umkehrung
der Aufgabe, Berechnung der Radia-
tionspunkte aus gegebenen Elementen
468.
— von Doppelsternen, wahre und
scheinbare Bahnellipse 472; — von
1045
visuellen Doppelsternen 474; nach
Savary 474; v. Seeliger 475; Y. Vil-
larceau 476; Schwarzschild 476; Klin-
kerfues 477; J. Herschel 478; gra-
phische Methoden von Zwiers 479;
analytische Methoden von J. Herschel
480; Kowalsky 481; Glasenapp 481;
Methode von Thiele 482; Bahnver-
besserung 483.
— von spektroskopischen Doppel-
sternen 486; nach Rambaut 486; Leh-
mann-Filhes 487; Schwarzschild 490;
analytischeMethoden von Wilsing 492;
Russel 492; Ergebnisse der — 493.
— von veränderlichen Sternen, Algol-
sterne 498; — von Veränderlichen von
kontinuierlicher Lichtschwankung (ß
Lyrae) 503.
'— von Satelliten 508; nach Klinker-
fues 509; — mit sofortiger Berück-
sichtigung von Störungen 510.
Bahnelemente der Planeten und Ko-
meten, Definition der — 381, 737, Ab-
leitung der — aus zwei vollständigen
heliozentrischen Orten 403; Bestim-
mung der — aus den Distanzen 415;
Differentialquotienten der geozentri-
schen Koordinaten nach den —n 422;
— von Doppelsternen 470; — von
Satelliten 508; kanonische — 598;
Elemente p und g, für Knoten und
Neigung 741; Elemente g und h für
Perihellänge und Exzentrizität 741;
— des Mondes, Angabe nach Hansen-
Newcomb 877; scheinbare Verteilung
der — der Kometen 921.
Besselsche Funktionen zum Über-
gang von der exzentrischen zur mitt-
leren Anomalie 619.
Bezugsystem des Trägheitsgesetzes,
s. Inertialsystem.
ı Biegung (Durchbiegung) des Fernrohrs
235; Bestimmung der — 238 (Fußn. 87).
Brechungsquotient der Luft, Zusam-
menhang des —en mit der Dichte 294.
Breite eines Sternes (Ekliptik) 19.
Breite, geographische — eines
Erdortes, s. Polhöhe; reduzierte —
bei Berechnung einer Sonnenfinsternis
345.
Breitendienst, internationaler — zur
Bestimmung der Polschwankungen 36,
221 (Fußn. 53), 1018.
1046
«
Brunssches Theorem, Nichtexistenz be-
stimmter Integrale im 3-Körperproblem
521; Verallgemeinerung durch Pain-
leve 524.
C
Cassinische Gesetze der Rotation des
Mondes 1021; die Unmöglichkeit der
— für gewisse Formen des Mond-
ellipsoids 1042.
Chandlersche Periode der Pol-
schwankupgen 1019.
charakteristische Störungsglie-
der nach Gylden, Definition der —
501, 795; Integration der — 797.
Chronodeik 88.
Cronograph 209, 213.
Chronologie, historische und mathe-
matische — 368.
Chronometer 171; — mit Kompen-
sation- 174; Störungen der — durch
Reibungswiderstände 179; durch Wi-
derstand der Luft 179; durch Defor-
mation der Unruhe infolge der Rota-
tion 181; bei geneigter Lage 182;
durch äußere Kräfte 182.
Chronometerspiralen, Isochronis-
mus der — 171; Schwingungsglei-
chung der — 171; Herstellung des Iso-
chronismus bei — durch Endkurven
171; — durch Längenabstimmung 173;
Einfluß der Masse 174.
Coud6-Äquatoreal nach Löwy 232.
D
Datumgrenze 85.
Deklination (Äquatorabstand), Defini-
tion der — 19; Bestimmung der — aus
Meridianbeobachtungen 21; durch An-
schlußbeobachtungen 30; Bestimmung
der — am Meridiankreis 215;. Einfluß
der Biegung des Fernrohrs 238; Beob.
von direkten und reflektierten Bildern
239; Einfluß der Biegung auf die —
238; Vertauschung von Objektiv und
Okular 239; Genauigkeit der Beobach-
tungen der — 273.
Diastematische Entwicklung der
Störungsfunktion nach Gylden 595,
789, 791; — Glieder der Störungen 787.
Dichte der Luft, Zusammenhang der
— mit dem Brechungsindex zur Theorie
der Refraktion 294; mit dem Absorp-
Brunssches Theorem — Dreiecksverhältnis.
tionskoeffizienten 295; Zusammenhang .
mit Temperatur, Luftdruck und Höhe
297.
Dichte von veränderlichen Sternen 498.
Differentialoperator nach Newcomb
zur Darstellung der Koeffizienten in
der Entwicklung der Störungsfunktion
589; Rekursionsformeln für den — 592.
differentielle Ortsbestimmungen von
Sternen s. Anschlußbeobachtungen.
Dispersion, atmosphärische 247,
293; Purkynje-Phänomen 296 (Fußn. 8).
Distanzen, geo- und heliozentrische
— eines Planeten 396; Ableitung von
Näherungswerten für die — bei der
Bahnbestimmung 396; Gaußsche Form
397; Methode von v. Oppolzer 399;
Methode von Gibbs 399; Ermittlung
genauerer Werte der — 407; — für
Kometen 414; Ableitung von Nähe-
rungswerten 414; von beliebig genauen
Werten 416.
Distanz der Sterne s. Parallaxe.
Doppelbildmikrometer 230.
Doppelsterne, Einfluß der ‚Pointie-
rungsfehler bei Beobachtung von —n
263; Genauigkeit der Beobachtung von
—n 274, 469; Historisches über — 465.
— visuelle; Methode der Messung von
—n (Positionswinkel und Distanz) 466;
Kataloge von —n 467; Farbenunter-
schiede der Komponenten von —n 468;
Reduktion der Beobachtungen von —n
auf ein fixes Äquinoktium 469; Gül-
tigkeit des Newtonschen Gesetzes
für die Bewegung der — 470, 483;
wahre und scheinbare Bahnellipse der
— 472; Bahnbestimmung der visuellen
— 474, 483; Kataloge der berech-
neten Bahnen von —n 483; Verteilung
der Bahnelemente der — 484; dunkle
Begleiter bei —n und mehrfache
Systeme 485.
spektroskopische; Bahnbestim-
mung 486; Ergebnisse der Bahn-
bestimmung 493; Masse der — 494;
Abweichungen von der reinen ellip-
tischen Bewegung 497.
— periodische Bahnen in Doppel- und
mehrfachen Sternsystemen 993.
Douwes’ Methode der Polhöhen-
bestimmung 100.
Dreiecks- und Sektorverhältnis s.
Sektorverhältnis.
Dreihöhenproblem — Eros.
Dreihöhenproblem zur Polhöhenbe-
stimmung nach Gauß 103; — nach
der Methode der Standlinien 147.
Dreikörperproblem, Differentialglei-
chungen des —s in kanonischer Form
514; Reduktion nach Lagrange 514;
nach Jacobi (Elimination der Knoten)
515; nach Poincare 516; nach Bruns
516; spezielle Fälle des —s, das ebene
Problem 519; das restringierte Problem
519; Jacobisches Integral für dieses
520; Nichtexistenz bestimmter Klassen
von Integralen im — 521; Brunssches
Theorem 521; Verallgemeinerung von
Painleve 524; Theorem von Poincare
524; allgemeine periodische Lösungen
im — 526; spezielle periodische Lö-
sungen um die Librationspunkte 529;
Hills Theorie 530; Stabilität der pe-
riodischen Lösungen 532; asympto-
tische und doppeltasymptotische Lö-
sungen 537; Lösungen des —s durch
unendliche Reihen 540; mit Hilfe der
Berührungstransformation 541; säku-
lare und periodische Glieder 545;
Lösung des —s durch trigonometrische
Reihen 547; Konvergenz der Reihen
549; Einfluß der kleinen Divisoren
551; Eigenschaften einiger Koef-
fizienten in den Reihen 553; numeri-
sche Behandlung des —s 966; spezia-
lisiert als restringiertes Problem 967;
systematische Behandlung des re-
stringierten Problems 968; periodische
Bahnen im — 969; Ejektionsbahnen
im — 971; Thielesche Transforma-
tion im — 971; einzelne periodische
Bahnen im — 974; im nichtrestrin- |
gierten Problem 988. |
Durchschlagen des Fernrohrs 234. |
|
E |
Ebbe und Flut (Gezeiten) der Erde, |
Einfluß auf die Mondbewegung 725.
Eigenbewegung der Sterne, Defini-
tion 7; Übertragung der — auf ver-
schiedene Äquinoktien 62; veränder-
liche —, aufgefaßt als Bewegung |
von Doppelsternen 474, 485; — der,
Sonne, Einfluß auf den elliptischen.
und hyperbolischen Charakter der
Bahn der Kometen 928. _
Einheiten, astronomische von Länge,
Zeit und Masse 848. |
1047
Ejektionsbahnen nach Burrau 530,
972; Berechnung von —, ermöglicht
durch die Thielesche Transformation
971; um die endlichen Massen
977; — um beide Massen 983.
Ekliptik, die — von 1850.0 als Grund-
ebene des Inertialsystems 5; Ände-
rung der Lage der — durch die Pla-
neten 33; feste und bewegliche — 37;
Einfluß der Bewegung der — auf die
Mondtheorie 719.
Elementare Störungsglieder nach
Gylden, Definition 546, 795; Integra-
tion der — 797.
Ellipse, Keplersche — der Planeten
und ihre Elemente 381.
|— wahre und scheinbare bei Dop-
pelsternen 872.
elliptische Ungleichheit in der
Mondtheorie 692; Wert der — 881.
Elliptizität der Erde s. Erde.
Empirische Glieder in der Mond-
theorie nach Newcomb 726.
Energiegleichung zur Bestimmung
des Charakters der Bahn eines Planeten
oder Kometen 381; — zur Elimina-
tion der Zeit im Dreikörperproblem
518.
Epoche der Beobachtung eines Sterns
68.
Epochen (Ären) der Olympiaden 376;
Jahre der Stadt Rom; julianische und
christliche — 376; die Hedschra 376.
Epoche der Oskulation (Bahnelement)
382, 738.
Erde, Berechnung der Dimensionen der
— aus der Mondparallaxe 73 (Fußn.
152), 871 (Fußn. 35); Einfluß der Ab-
plattung der — auf die Mondbewegung
714; Dimensionen der — nach Bessel
846; Abplattung der — 846; Dichte
der — 847; Abplattung der — aus
der Verschiedenheit der Trägheits-
momente 863; Masse der — aus der
Sonnenparallaxe 868; aus der paral-
laktischen Ungleichheit des Mondes
876; aus den Leverrierschen Störungs-
gleichungen 888; Endwert der Masse
der — 893.
Erdschatten, Vergrößerung des —s
bei Mondfinsternissen 360.
Eros, Planet. Beobachtung des — zur
Bestimmung der Sonnenparallaxe 75,
281, 852; Bahn des — 732.
1048
Eulersche Periode der Rotation der |
Erde 34, 1002; Verlängerung der — |
in die Chandlersche 1019. |
Exzentrizität (Bahnelement) 382, 737;
Veränderlichkeit der der Erd-
bahn und ihr Einfluß auf die Mond-
bewegung 720; Ersetzung von Perihel-
länge und — durch die Elemente g
und h 741; Berechnung der säkularen |
Störungen der — 751; — der Mond-|
bahn 879; Verteilung der —en der
Kometenbahnen 925; konvergierende
und oskulierende —en der Kometen-
bahnen 929; Zahlenangaben über die
— der Erd- und Mondbahn 1009.
Extinktion 293; visuelle und photo-
graphische 293; —s-Integral 326;
Formeln für die — nach Lambert-
Bouguer 327; nach Laplace 329;
nach Bemporad 329; Vergleichstabelle
der verschiedenen —sformeln 330; die
terrestrische — 330.
Evektionals Ungleichheit in der Mond-
theorie 692, 881. |
F
Fadendistanzen der Parallelfäden, Re-
duktion der Seiten- auf den Mittel-
faden 212.
Fadenkreuz zum Pointieren 198; Be-
_ leuchtung des —es 198; feste und be-
wegliche Fäden im — 201.
Fadenmikrometer am Refraktor 224.
Farbe der Sterne, Einfluß auf die Ge-
nauigkeit astronomischer Beobach-
tungen 297.
Fernrohr zur Bestimmung der sphäri-
schen Koordinaten eines Sternes 197;
optische Achse des —s als Visierlinie
197. |
Feuerkugeln s. Meteore.
Finsternisse, Einteilung in wahre und
scheinbare — 339; Sonnen— 339;
Grundgleichungen der — 340; Ein-
fiuß der Strahlenbrechung auf — 343;
Mond— 360; in anderen Tra-
bantensystemen 364; im System der
Jupitersatelliten 837; Verwertung der |
— im Jupitersystem zur Berechnung,
der Lichtgeschwindigkeit 855.
Fixsternaberration s. Aberration.
Flächensätze im Dreikörperproblem
514; Reduktion der Differentialglei-
chungen durch die — 515. |
|
Eulersche Periode — Halbachse.
Flutreibung, Variation der Rotations-
zeit der Erde durch — als Ursache der
Säkularbeschleunigung desMondes723.
Frühlingspunkt von 1850.0 als An-
fangspunkt des Inertialsystems 5; —
als Anfangspunkt der Zählung der
AR 19; Bestimmung seiner Lage aus
Meridianbeobachtungen der Sonne 24,
864; —festlegung des Äquinoktiums
28, 864; Reduktion auf ein mittleres
Äquinoktium 64; wahres Äquinoktium
1002.
Fundamentalkatalog 29.
Fundamentalsterne, System der —
7, Teilung in Zeit- und Polsterne
22; durch — bestimmtes Fundamen-
talsystem in Deklination 25; in AR.
26; Kataloge von —n 29.
6
Geminiden Radiationspunkt 452.
Genauigkeit der astron. Beobach-
tungen 265; — der Meridianbeobach-
tungen samt numerischen Angaben in
AR. 269; in Deklination 271; bei Re-
fraktorbeobachtungen 273; bei photo-
“ graphischen Beobachtungen 276; —
bei der Horrebow-Talkottschen Me-
thode 278.
geographische Ortsbestimmung,
Unabhängigkeit der — von der Erd-
gestalt 85; — nach der Methode der
Standlinien 144; Verwendung der Mer-
katorfunktion bei der — 150; — durch
erdmagnetische Beobachtungen 153.
Gewichtstafeln von Auwers für Stern-
kataloge 267, 272.
Grenzkurven der Finsternisse 340, 346.
Gravitation, Abweichung der — vom
Newtonschen Gesetz nach Hall. 724;
endliche Fortpflanzungsgeschwindig-
keit der —, Einfluß auf die Mond-
bewegung 725; Konstante der — Defi-
nition und Wert 734; Konstante der
— in physikalischen Einheiten (C.G.S.)
847; in astronomischen Einheiten 849;
der Vergleich beider 851; Einsteins
Theorie der — zur Erklärung der
Perihelanomalie des Merkur 887.
H
Halbachse, große (Bahnelement) 382,
737; säkulare Störungen der — 554;
— der Erdbahn als astronomische
Längeneinheit 848.
Hansensche Koeffizienten — Jupiter.
Hansensche Koeffizienten in der
Entwicklung der Störungsfunktion 599;
ihre Form nach Hill 600. |
Hekubatypusder kleinen Planeten 532,
551, 756.
Heliometer 230; Historisches zum
- — 232; Instrumentalfehler am — 244;
persönliche Fehler bei Messungen am
— 264; Genauigkeit der Beobach-
tungen am — 275.
Heliotrop von Gauß zur Erzeugung |
von Lichtsignalen für geogr. Längen- |
bestimmungen 117. |
heliozentrische Koordinaten eines,
Planeten oder Kometen, berechnet aus,
den Elementen 383; Gaußsche Form
für sie 384. |
Helligkeit des Himmelshintergrundes |
als störender Einfluß von Durchgangs- |
beobachtung 253 |
Helligkeit der Kometen 917; Reduk-
tion der — auf die Einheit der Distanz
von Sonne und Erde 917; möglicher
Einfluß der Schweifentwicklung auf
die — 919. |
Helligkeit der Sterne, Einfluß auf die
Genauigkeit astronomischer Beobach-
tungen (Helligkeitsgleichung)247,
257, Bestimmung der — 257; Elimina-
tion der — durch das selbstregistrie-
rende Mikrometer 261.
Hemmung bei den Uhren 176; freie
und Anker— 177.
Hestiatypus der kleinen Planeten 756,
801.
Hildatypus der kleinen Planeten 756,
802.
Hillsehe Grenzkurve im restringier-
ten Dreikörperproblem 969.
Himmelsmechanik s. Dreikörper-
problem.
Höhe eines Gestirnes, Definition 18.
Horrebow-Talcottsche Methode der
Polhöhenbestimmung 105, 220; Ge-
nauigkeit der Beobachtungen nach der
—n — 278.
I |
Indiktionen, Sonnen- und Mondzirkel |
— 375. |
Inertialsystem, mechanische Bestim- |
mung eines —s 3; empirisches — 4;
gemischtes — in der Planetenastro-.
nomie 9, 1015; Wahl der Grund-
ebene und der Anfangsrichtung 5;
1049
Drehung des —s bestimmt aus den
Anomalien in den säkularen Störungen
der Bahnelemente der vier inneren
Planeten 13; verbessert durch die
Einsteinsche Gravitationstheorie 889;
Einfluß einer Drehung des —s auf die
Koordinaten eines Sternes 1015.
Instrumentalfehler, Bedeutung der
— 233; geometrische — in der Auf-
stellung des Fernrohrs 233; am Me-
ridiankreis, Azimut—, Kollima-
tions—, Zapfen—, Durchbiegungs—
235; am Refraktor 243; Genauig-
keit ihrer Bestimmung 242.
IntegraledesDreikörperproblems,
Schwerpunktsätze 514; Flächensätze
514; Energiesatz 518; Nichtexistenz
bestimmter — nach Bruns 521; nach
Poincar& im restringierten Problem 524.
Integralinvariantentheorie 539.
Intermediäre Bahn (Gylden) in der
Mondtheorie 685; in der Planeten-
theorie 783; — in der Theorie der
Kometen 908.
Intramerkurieller Planet, Einfluß
auf die Mondbewegung 725.
Isochronismus der Pendelschwingun-
gen 167; der Chronometerspiralen 171;
Herstellung des — durch Endkurven
172; — durch Längenabstimmung 173.
J
Jacobisches Integral im restringier-
ten Dreikörperproblem 520, 524, 969;
Konstante des —s als Parameter zur
Bestimmung periodischer Bahnen 972.
jährliche Gleichung in der Mond-
theorie 692, 881.
Jahr, julianisches und tropisches — 21;
annus fictus 21; Urform des —es 371;
Mond- und Sonnenjahr und deren Aus-
gleichung 371; julianisches und gre-
gorianisches — 371; die griechische
Zyklenrechnung 373; Dauer des tro-
pischen —es; nach Hansen 372, 864;
nach Hipparch 374; besondere Jahr-
formen 374; siderisches — 865; tro-
pisches — 864, 1014.
Jahrbücher, astronomische — 69.
Jahreszeiten 370.
Jupiter, große Ungleichheit zwischen
— und Saturn 551; Elemente der
Bahn des — 732; Satelliten des —
813, 818; analytische Störungstheorie
1050 Jupiter — Koeffizientenberechnung.
815; große Libration zwischen den
drei ersten Satelliten 816; säkulare
Störungen der Satelliten des — in
Knoten und Neigung 827; in Ex-
zentrizität und Länge 834; Masse des
— 894; Wirkungssphäre des — und
Bahnumwandlung von Kometen beim
Eintritt in sie 934.
Jupitergruppe der kleinen Planeten
530, 732, 804.
Jupiterjahre der Inder 375.
K
Kanon der Finsternisse nach v. Op-
polzer 358.
kanonische Form der Differential-
gleichungen im Dreikörperproblem 514;
— im Rotationsproblem der Erde 1018.
Kataloge von Fundamentalsternen 29;
Anlage von —n 67; systematische
Fehler in —n 68; Bildung eines mitt-
leren Systems 68; Herstellung eines
Normal—s 266; Reduktions- und Ge-
wichtstafeln für die — nach Auwers
267; Doppelstern — 467; — der be-
rechneten Doppelsternbahnen 483; —
von spektroskopischen Doppelsternen
486.
Keplersche Gesetze der Bewegung
der Planeten und Kometen 381.
Keplersche Gleichung, Näherungs-
methoden zur Auflösung der — 385;
— Reihenentwickelungen 386.
Kimm in der nautischen Astronomie 139.
kleine Divisoren, ihr ‚Einfluß auf
die Integrale des Dreikörperproblems
551; — in der Mondtheorie 683; in
der Planetentheorie 756; kritische
Planeten wegen der — 802.
Kleine Planeten (Asteroiden), Be-
obachtung der — Iris, Viktoria,
Sappho und Eros zur Bestimmung der
Sonnenparallaxe 75, 281; Kommen-
surabilitäten in den mittleren Be-
wegungen der — (Pallas) mit Jupiter
649; — Angabe ihrer Elemente 732;
Proximitäten zwischen den — 732;
Kommensurabilitäten in den mittleren
Bewegungen der — 756; Planeten vom
Hecuba, Hilda- und Hestiatypus 756;
Lücken in der Verteilung der — 757;
Einteilung in gewöhnliche, charakte-
ristische und kritische — 802.
Knotenlänge (Bahnelement), Definition
382, 737; Elimination der — im
Dreikörperproblem 515; mittlere Be-
wegung der — in der Mondtheorie
692, 721; säkulare Beschleunigung der
— des Mondes 722; Ersetzung von —
und Neigung durch die Elemente p
und q 741; Berechnung der sükularen
Störungen der — 749; — der Mond-
bahn 878; scheinbare Verteilung der
— der Kometen 924; Zahlenangaben
über die — der Mondbahn 1009.
Koeffizienten der Entwicklung der
Störungsfunktion.
für zwei zusammenfallende
Ebenen (Laplacesche Koeffizienten)
561; dargestellt durch hypergeome-
trische Reihen 562; Integralausdrücke
für sie 564; Rekursionsformeln 566;
dargestellt durch das arithmetisch-
geometrische Mittel von Gauß 567.
— Differentialquotienten der —
568; Berechnung nach Gauß, Leverrier
569; nach Newcomb 570; asympto-
tische Ausdrücke nach Cauchy 572;
Formeln von Gylden 574; Tafeln 576.
— für geneigte Bahnen Koeffzien-
ten. von Jacobi 577; Entwicklung für
kleine Neigungen 578; für beliebige
Neigungen nach Tisserand 579; nach
Hansen 581; hypergeometrische Reihen
für sie 583; Formeln von Sundmann 585.
— für elliptische Bahnen nach Le-
verrier 586; nach Newcomb (Differen-
tialoperatoren) 589; nach Gylden 595;
nach Hill 595; Gruppenentwicklung
nach Bohlin 596.
— Hansensche Koeffizienten nach
Potenzen des Verhältnisses der großen
Halbachsen 599.
— allgemeine Form der — zur Ab-
leitung der Konvergenz der Entwick-
lung durch Integrale 602; Konvergenz
der Reihen für die — 606.
—berechnung durch mechanische
Quadratur 622; Integrale für die
— vom hohen Grade nach Liouville
625; Interpolation nach Leverrier 626;
gemischte Methode von Cauchy 627;
von Hansen 629; Anwendung ellipti-
scher Funktionen nach Charlier 630;
PoincareE 631; —entwicklung nach
Gauß’ Theorie der säkularen Störungen
632.
Koeffizienten — Koordinaten.
Koeffizienten, asymptotische Aus-
drücke für die—, als Funktionen großer
Zahlen 636; in Integralform 642; Ent-
wicklungen nach der mittleren Ano-
malie eines Planeten 649; nach denen
beider Planeten, nach Hamy 651; nach
Poincare 657; nach Feraud 661.
— Eigenschaften der — 563, 689.
Kollimationsfehler eines Meridian-
instrumentes 235; Genauigkeit der Be-.
stimmung des —s 243.
Kollimationslinie des Fernrohrs 198;
Fehler der — 235.
Komet Biela, Periodizität entdeckt:
900 (Fußn. 8); Anomalien in seiner
Bewegung 910 (Fußn. 21); seine Tei-
lung 936; seine Meteore, die Andro-
mediden 942, 943, 950. |
Komet Brorsen, periodischer —;
Anomalien in seindr Bewegung 910
(Fußn. 21).
Komet Encke, Periodizität entdeckt
900 (Fußn. 8); Anomalien in seiner
Bewegung 910; seine Helligkeit 918.
Komet Faye periodischer — Rene |
lien in seiner Bewegung 900 (Fußn.
21).
Komet Halley als erster periodi-
scher Komet 900; Vorausberechnung, |
seiner Wiederkehr für 1758 nach
Clairaut 901; für 1835 904 (Fußn. 13); |
für 1910 903 (Fußn: 12); seine Me- |
teore (Orioniden) 944, 950. |
Komet Lexell, Periodizität entdeckt
900 (Fußn. 8); seine Bahnumwandlung |
932.
Komet Winneke periodischer, Ano-
malien in seiner Bewegung 910 (Fuß-
note 21); seine Meteore (Drakoniden)
944, 950.
Kometen, Keplersche Gesetze für die
Bewegung der — 341; Bahnbestim-
|
|
!
|
! |
mung der — 412; erste Beobach-
tungen von — 899; Methode der
Bahnbestimmung der — nach New-
ton 900; erster periodischer Komet,
entdeckt von Halley 900; Störungen
der — 901; Bahnumwandlungen der,
— bei starker Annäherung an einen
Planeten 905; intermediäre Bahn der
— 908; Anomalien in den Bewegungen
der — 910; Masse der — 914; Hel-,
ligkeit der — 917; kosmogonische |
1051
Stellung der — 920; beurteilt nach
der Verteilung der Bahnelemente 921;
nach der Wahrscheinlichkeit der el-
liptischen oder hyperbolischen Bahnen
926; nach der konvergierenden Ex-
zentrizität der Bahn (Strömgren) 929;
kurzperiodische — 932; das Tisserand-
sche Kriterium für sie 934; andere
Kriterien für die Identität zweier —
935; Stabilität der Bahn der — 935;
Teilungen von — 936; Systeme von
— 937; Familien von — 937.
Komels und Meteore, Auflösung
der Kometen in Meteore 936, 945;
erste Entdeckung des Zusammen-
hanges zwischen — 940; Einzelunter-
suchungen über diesen Zusammenhang
941; Theorie des Zusammenhanges
945; Kritik der Theorie 950; kome-
tarische Meteore und interstellare Stern-
schnuppen 950; Rechnungsvorschriften
für die Untersuchung des Zusammen-
hanges von — 952.
'Kommensurabilität dermittleren Be-
wegungen im Dreikörperproblem 532;
Planeten vom Hekubatypus 532, 756,
759; — zwischen Jupiter und Saturn
551; zwischen Pallas und Jupiter 649;
Berechnung des kritischen Koeffizien-
ten in der Entwicklung der Störungs-
funktion nach Cauchy 649; Planeten
vom Hildatypus und Hestiatypus, be-
rechnet nach Brendel 801.
enipeurationnpenäel 169; Rost —
169; Quecksilber — 169; Invar —
“ 169.
‚Kompensationsunruhe 174.
'Konjunktion zweier Gestirne 339.
Konstante der Präzession und Nuta-
tion 39, 858, 1007; — der Gravitation
734, 847, 849; astronomische —n 845;
geodätische —n 846; physikalische
—n 847; — der Aberration 854.
Konvergenz der Reihen im Dreikörper-
problem 549; Einfluß der kleinen
Divisoren auf die — 551; — der Ent-
wickelung der Störungsfunktion für
die Koeffizienten 606; für die gegen-
seitige Distanz 609.
Koordinaten eines Planeten oder Ko-
meten,heliozentrische — berethnet
aus den Elementen 383; Gaußsche
Form für die — 384; ihr Verhalten
im komplexen Gebiete 389; bewegliche
1052
— in der Hansenschen as
761; Gyldensche — 783.
Koor dinaten, geographische eines |
Meteors im Anfangs- und Endpunkt.
seiner Bahn 432, 436; Genauigkeits- |
bestimmung der — 450. |
KordinateneinesSternes ‚Äquator—; |
Prinzip der Messung im Meridian 21;
wahre und scheinbare — 31; wahre: |
und mittlere — 44; Änderung der —
eines Sternes durch Drehung des Iner- | |
tialsystems 1015.
Koordinatensysteme in der Astro-
nomie, — des Horizontes (Höhe und |
Azimut) 18; — des Äquators (Dekli-
nation, Stundenwinkel und Rekt-|
aszension) 19; — der Ekliptik (Länge |
und Breite) 19; Änderung der — durch |
Präzession und Nutation 32.
Kosmische Staubmassen. Einfluß
der — auf die Bewegung der Kometen |
913; — ihr Zusammenhang mit Ko-
meten und Meteoren 943. |
Kräftefunktion im n- -Körperproblem |
514; in der Mondtheorie 673; Ent-|
wicklung der — 674; in der |
Planetentheorie 734; Unterschied ge-
gen die Mondtheorie 735. |
Kreis (Ring)-Mikrometer 223. |
Kreise zur Ablesung des Drehungs-
winkels des Fernrohrs 199; feste —
(Alhidaden) und bewegliche — 199;
Ausführung der Teilung der — 208. |
Kreisteilung, Fehler der — 206; Unter-
suchung der — nach Bessel 206; nach | |
Hansen 207.
kurzperiodische Störungen in der
Planetentheorie 745; beeinflußt
durch die langperiodischen 755; Zu-
sammenhang mit den charakteristi-
schen und elementaren Störungsglie-
dern nach Gylden 795; — in der
Theorie der Satelliten 842.
L
Länge in der Bahn eines Planeten oder
Kometen, mittlere und wahre — 383;
mittlere — des Mondes, deren säku-
lare Beschleunigung 723; mittlere —
als Bahnelement 738.
Länge eines Sternes (Ekliptik) 19.
Länge, geographische eines Erdor-
tes; Definition 84; Bestimmung der —
aus Mondfinsternissen 114; aus Ver-
Koordinaten — Librationen.
finsterungen der Jupitersatelliten 115;
— aus Sternschnuppen 116; — durch
künstliche Signale 117; — durch Über-
tragung der Zeit mit Chronometern
118; — auftelegraphischem Wege 119;
— durch Funkentelegraphie 121;
aus Mondkulminationen 121; — aus
Mondhöhen 123; — aus Monddistanzen
124; — Berücksichtigung der Erd-
abplattung 129; — aus Sternbedeckun-
gen 132; — aus Sonnenfinsternissen
132; aus anderen Okkultationserschei-
nungen 136; nach der Methode der
Standlinien nach Sumner 144; St. Hi-
laire 146; Höhentafeln dazu 148.
‚Lambertsches Theorem 387; — zu-
rückgeführt auf das Prinzip der klein-
sten Wirkung nach Jacobi 388.
'Lamellenmikrometer 223.
‚langperiodische Störungen in der
Mondtheorie nach Newcomb 725, 726;
in der Planetentheorie 745; Einfluß
derselben auf die kurzperiodischen 755;
— hervorgerufen durch kleine Divi-
soren in den Integralen 756; ihr
Zusammenhang mit den charakteri-
stischen und elementaren Gliedern
nach Gylden 795; — im System der
Jupitersatelliten 834.
‚Laplacesche Koeffizienten in der.
Entwicklung der Störungsfunktion 561;
— dargestellt durch hypergeometri-
sche Reihen 562; Integralausdrücke
der — 564; Rekursionsformeln für
die — 566; Darstellung durch das
arithmetisch-geometrische Mittel 567;
Differentialquotienten der — 568; Be-
rechnung nach Gauß, Leverrier 569;
nach Newcomb 570; nach Cauchy 572;
nach Gylden 574; Tafeln für sie 576.
Leoniden Radiationspunkt 452; mitt-
lere Höhe des Aufleuchtens und Er-
löschens der — 453; Masse der
459; Zusammenhang mit dem Kometen
1866 I, 942, 946, 950.
Libration des Mondes; optische und
physische — 1022; willkürliche und
erzwungene — 1035.
Librationeninder Planetentheorie
757; kritische Planeten 802; in
der Theorie der Satelliten zwischen
den drei ersten des Jupiter 816,
837; — im System der Saturnsatel-
liten 838.
Librationspunkte — Meteore.
Librationspunkte im Dreikörper-|
problem 529; — im restringierten |
Problem 969; periodische Bahnen um
die — L, und L, 974; um L, 976;
um L, und L, 976.
Licht, Fortpflanzungsgeschwindigkeit
des Lichtes 57, 813, 847; Bestim-
mung der Sonnenparallaxe aus der Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit des —es 77;
optische Ungleichheiten infolge der
Fortpflanzungsgeschwindigkeit des
—es bei Doppelsternen 471; Beziehung
der Geschwindigkeit des —es zur Aber-
rationskonstanten853 ; —gleichung 855.
Lichtdruck, Einfluß des —s auf die
Bewegung der Kometen 914.
LichtkurveveränderlicherSterne,
verwendet zur Bahnbestimmung in der
Auffassung als Doppelsterne, Algol-
sterne 498; als veränderliche mit kon-
tinuierlicher Lichtschwankung 503.
Lichtzeitparallaxe (Planetenaberra-
tion) 52.
Luftdruck, Zusammenhang mit Tem-
peratur und Dichte ‘zur Theorie der
Refraktion 297.
Luftwiderstand, Einfluß des —s auf
die Bewegung der Meteore 456.
Lunisolarjahr s. Mondjahr.
ß Lyrae als veränderlicher Stern und
Sterne von gleichem Typus; Bahn-
bestimmung von — 503; Elemente
nach Myers 507; die Veränderlichen
U. Pegasi u. R. R. Centauri 507.
Lyriden, Radiationspunkt 452; Zu-
sammenhang der — mit dem Kometen
1861 I, 943, 950.
M
Mars, Beobachtung des — zur Bestim-
mung der Sonnenparallaxe 75, Ele-
mente des — 732; Satelliten des— 822;
Säkulare Störungen der Satelliten des.
— 832; Masse des — aus den Le-
verrierschen Gleichungen 888; End-
wert der Masse des — 894.
Maßstab (Skala), Teilung des —s 208;
— am Heliometer 208.
Masse von Meteoren 759; — von vi-
suellen Doppelsternen 473; spektro-
skopischen Doppelsternen 494; Ge-
samt— der kleinen Planeten 732; Ein-
1053
heit der — 849; — des Mondes aus
der Mondgleichung und Beziehung zur
Sonnenparallaxe 857, 881; — des
Mondes aus der Präzession und Nu-
tation 860, 881, 1011; — von Erde
und Mond aus der Sonnenparallaxe
869; — der Planeten aus Satelliten-
beobachtungen 882; — der Planeten
aus säkularen Störungen 885; die Le-
verrierschen Gleichungen für die —n
von Merkur, Venus, Erde und Mars
888; Endwerte der — der großen Pla-
neten 890, 894; — der Kometen 914.
Meridian eines Erdortes 18, 44; Ver-
änderlichkeit des —s 33; momentaner
— 45.
Meridianbeobachtungen, Prinzip
der — 21; gegenwärtige Praxis der
— 25.
Meridiankreis, Theorie des —s 210;
Historisches zum — 216; Berücksich-
tigung der Instrumentalfehler am —
234; Reduktionsformel für Beobach-
tungen am — nach Mayer 236; nach
Bessel 236; Genauigkeit der Beobach-
tungen am 269.
Merkatorfunktion, Verwendung der
— bei geogr. Ortsbestimmungen 150.
Merkur, Vorübergänge des — zur Be-
stimmung derSonnenparallaxe 73; Ele-
mente des — 732; Masse des — aus
den Leverrierschen Gleichungen 888;
Endwert der Masse des — 891.
Meteore, Radiant der — 429; geozen-
trische Geschwindigkeit 430; Bestim-
mung der Höhe des Endpunktes der
— 432; des scheinbaren Radiations-
punktes 436; Bahnlänge und Höhe
des Aufleuchtens 440; Einfluß der
Erdschwere (Zenitattraktion) auf —
441; Genauigkeit der Beobachtungen
und Berechnungen der Bahnen der —
450; Ergebnisse über die Höhe des
Aufleuchtens 452; über die geozen-
trische Geschwindigkeit der — 454;
über die Höhe des Endpunktes 454;
Einfluß des Luftwiderstandes auf die
Bewegungen der — 456; Masse und
Helligkeit der — 459; die heliozen-
trische Geschwindigkeit der — 460;
Unterscheidung zwischen —n und
Feuerkugeln 452; Ursprung beider;
interstellar oder interplanetar 461;
Massenzuwachs der Erde durch —
1054
und Einfiuß auf die Mondbewegung
725; Einfluß auf die Bewegung der
Kometen 913; Auflösung von Kometen |
in — 936, 945; Zusammenhang zwi-
schen Kometen und —n; erste Ent-
deckung 940; Einzeluntersuchungen |
941; Theorie des Zusammenhanges
945, 950; Unterscheidung von kome-
tarischen und interstellaren —n 950;
Rechnungsvorschriften für die Unter-
suchung des Zusammenhanges von,
Kometen und —n 952.
meteorologische Instrumente bei‘
astronomischen Beobachtungen 209;
— Korrektionsglieder der Refraktion.
245.
Meteorströme (Meteorschwärme) 430,
446; Bahnbestimmung nach R. Leh-
mann-Filhes 443; Genauigkeit der Be-
rechnung ihrer Radianten 451. |
Metonscher Zyklus 373; Verbesse- |
rung des — durch Kallippus 373; |
durch Hipparch 375. |
Mikrometer, selbstregierendes — nach
Repsold am Meridiankreis 214; — zur
Elimination der Helligkeitsgleichung
261.
Mikrometerschraube 201; Fehler der
—, periodische und fortschreitende
202; Run 203.
Mire 235; Konstanz der Aufstellung der
— 243.
Mittagsverbesserung bei Zeitbe-
stimmung aus korrespondierenden
Höhen 88. |
Mitternachtsverbesserung bei Zeit-
bestimmung aus korrespondierenden
Höhen 88. |
Mondfinsternisse, Kriterium für das
Stattfinden der — 360; Verlauf der —
361; Vergrößerung des Erdschattens
bei —n 360; Tafeln zur Vorausberech-
nung der — 361.
Monat, synodischer —, Dauer nach
Hansen 372 (Fußn. 13), 879; nach
Hipparch 374; tropischer — 879; si-
derischer — 879; anomalistischer —
879; drakonitischer — 879. |
Mondgleichung in der Erdbewegung,
856; Beziehung zur Mondmasse und
Sonnenparallaxe 856. |
Mondjahr, freies und gebundenes — |
372; Ausgleichung mit dem Sonnen- |
jahr 373. |
'Mondkulminationen,
Meteore — Mondzirkel.
Mondkrater Mösting A, Beobachtung
des —s zur Bestimmung der physi-
schen Libration des Mondes 1040.
Mondmasse aus Erosbeobachtungen
283; — aus der Mondgleichung 856;
aus der Präzessions- und Nutations-
konstanten 861; Endwert der — 881.
Beobachtung
von — zur Längenbestimmung 121.
Mondtheorie, Stabilität der Bahn nach
Hill 534; Delaunays — 541 (Fußn. 78);
Entwicklung der Störungsfunktion
der — 601; Historisches zur — 669;
Verhältnis der zum n-Körper-
problem und zur Planetentheorie
672; Kräftefunktion in der — 673;
Differentialgleichungen der Bewegung
der — in polaren Koordinaten 675;
bezogen auf ein bewegtes Achsen-
system nach Hill 675; in kanonischer
Form 677; nach Gylden - Lindstedt
678; Ausdrücke der Koordinaten in
der — 681; Konvergenz der Reihen
in der — 684; intermediäre Bahn in
der — 685; Entwickelung der Störungs-
funktion in der — 687; Methode der
Variation der Konstanten 687; geo-
metrische Methoden zur Lösung der
— 692; wahre Länge als unab-
hängige Variable 692; die Zeit
als solche 694; Variation willkür-
licher Konstanten 695; Delaunays
Theorie 695; rechtwinklige Koordina-
ten mit beweglichen Achsen 698;
Hillsche Theorie 699; Browns Theo-
rie 701; Hansens Theorie 703; von
Öppolzers Theorie 707; die wahre
Anomalie als unabhängige Variable
nach Euler 709; Gylden 710; Brendel
711; planetarische Störungen 713;
direkte 715; durch Venus und Ju-
piter 716; indirekte 718; Einfluß der
nichtsphärischen Figur der Erde 713,
862; säkulare Beschleunigung des
Mondes 720; Störungen zweiter Ord-
nung in der — 723; andere mög-
liche störende Kräfte 724; gegen-
wärtiger Stand der — 726; empi-
rische Glieder in der — nach New-
comb 726; Tafeln der Bewegung des
Mondes 727; Zahlenangaben nach
Hansens Tafeln 1027.
Mondzirkel 375.
Nadirpunkt — Pendel. 1055
N
Nadirpunkt des Meridiankreises 239;
Veränderung des —es infolge von Tem-
peratur 211; zeitliche Veränderungen
241; Genauigkeit der Bestimmung 242.
Neigungsfehler eines Meridianinstru-
mentes 236; zeitliche Veränderungen
der — 242. |
Neigungswinkel (Bahnelement) De-
finition 382, 737; Ersetzung von Be
ten und — ddireh die Elemente p| 'Pallas,
und q 741; Berechnung der säkularen
Störungen 749; — der Mondbahn |
880; scheinbare Verteilung der — der
Kometen und Planeten 924; Zahlen-
angaben über den — der Mondbahn-
1009.
Neptun, Elemente 732; Satelliten des
— 821; säkulare Störungen der Satel-
liten des — ın Kuoten: 833; Masse,
des — 895. |
Newtonsches Gesetz, gültig für Dop-.
pelsterne 470, 483; Prüfung des —ı
aus Doppelsternbeobachtungen 484;
Wert der Konstanten im — 734; in
physikalischen Einheiten 847; in astro-
nomischen 849; Vergleich beider 851.
Nn- Körperproblem, Differentialglei-
chungen des —s 521; periodische
Bahnen im Vierkörperproblem 988. |
Normaluhr, Übertragung der Zeit der.
— auf andere 185. |
Nullmeridian 84; Datumgrenze 85.
numerische Integration (mechani-. |
sche Quadratur) zur Berechnung der
Koeffizienten der Störungsfunktion 622;
in der Methode der speziellen Stö- |
rungen 960; — im Dreikörperproblem | |
966; — im restringierten Dreikörper- |
problem 968; — im nichtrestringierten
988. ‚ |
Nutation, Ursache der — 34; nume-
rische Angaben über die — 36, 1010,
die Konstante der — 39; Einfluß der
— auf die Koordinaten der Sterne 64; |
Hauptglied der — 860; Definition der
Lunisolar — 1005; — in Länge und |
Schiefe 1010.
Nutationsellipse, Definition 40.
'Orioniden, Radiationspunkt der —
452; möglicher Zusammenhang mit
dem Kometen Halley 944, 950.
oskulierundeKlementein der Planeten-
theorie 741.
Ortszeit, Stern — 866, mittlere — 866.
Österzyklen 376; Formeln zur Be-
rechnung des Osterfestes 376 (Fußn. 26).
r
Planet, Bahnbestimmung und
spezielle Störungen für die — nach
Gauß 960.
'parallaktische Ungleichheit in der
Mondtheorie 692, 881; Bestimmung
der Sonnenparallaxe aus ihr 874.
ıParallaxe, Definition 31; Einfluß der
— auf die Koordinaten eines Sternes
48; tägliche — 49; Horizontal- und
Ääquatoreale-Horizontal— 49; jähr-
liche — 50; säkulare — 51; Bestim-
mung der — von Fixsternen 70, 78,
283; Korrektion wegen — bei Bahn-
bestimmungen 419; hypothetische —
von Doppelsternen 473.
|Parallaxe des Mondes 71; trigono-
metrische Methode der Bestimimung
71, 870; gravitationstheoretische —
72, 868, 871; ihr Wert nach Hansen
71; Beziehung der — zu der der Sonne
und zur Erdmasse 868, 874; Wert der
— 872.
raliaxe der Sonne 73; indirekte
Methode der Bestimmung — auf
Grund des 3. Keplerschen Gesetzes
73, 851; aus Venusdurchgängen 73,
852; aus Beobachtungen des Mars und
der kl. Planeten 75, 281, 852; aus
der Mondungleichheit 75, 874; aus
der Mondgleichung 76; — aus
der Lichtgeschwindigkeit 77; gegen-
wärtig angenommener Wert 78; Zu-
sammenhang der — mit der astro-
nomischen Längeneinheit (Erdbahn-
halbachse) 848; Beziehung der — zur
Aberrationskonstanten 853; Beziehung
zur Mondmasse und —gleichung 857;
Beziehung zur Mondparallaxe und Erd-
masse 868; Vergleich der verschiede-
nen Methoden und Endwert der — 893.
Ö Passageninstrament im Meridian 216,
Oktaöteris 373.
optische Fehler des Auges und des |
Okulars 249. |
218; — im ersten Vertikal 219.
Pendel, das freie — 166; Schwingungs-
gleichung des einfachen —s 166; das
1056
physische — 167; Isochronismus für |
unendlich kleine Schwingungen 167; |
Aufhängung der — mit Feder 167;
Theorie von Bessel 167; Aufhängung
der — mit Faden 168; Theorie von
Bessel 168; Kompensationspendel 169;
Länge des Sekunden—s nach Iwanoff
846.
Pendeluhr 165; mit Kompensation
169; Störungen der — durch die
Schneide 177; Einfluß der Unterlage
177, des umgebenden Mittels 178;
Rieflersche — 185.
Periastron, Bahnelement von Doppel-
sternen 471.
Perigäum des Mondes; säkulare Be-
schleunigung des —s 722; Angabe der
Länge des —s 878.
Periheldistanz, (Bahnelement) 382;
scheinbare Verteilung der —en der
Kometen 922.
Perihellänge (Bahnelement), Defini-
tion 382, 738; Ersetzung von
und Exzentrizität durch die Elemente
g und h 741; Berechnung der säku-
laren Störungen der — 751; anomale
Störung der — des Merkur 887; er-
klärt durch die Einsteinsche Gravi-
tationstheorie 887; scheinbare Ver-
teilung der —n der Kometen 921.
Perihelzeit (Bahnelement) 382.
Perioden der Sonnenfinsternisse (Saros-
zyklus) 359.
periodische
körperproblem, allgemeine Theorie,
und Normalvariable für sie 527;
Kriterien zu ihrem Auffinden und
Einteilung nach Poincar6 528; spe-
zielle — 529; die Lagrangeschen Li-
brationspunkte 529, 969; — Ejek-
tionsbahnen nach Burrau 530, 972;
Berechnung von Ejektionsbahnen, er-|
möglicht durch die Thielesche Trans-
formation 971; Einteilung der— nach
Familien von Darwin 973; nach Klas-
sen von Thiele 973; spezielle
um das Librationszentrum L, und L, |
974; um L, 976; um L, und L; |
976; um eine der Massen (rechtläufig) |
977, (rückläufig) 983; um beide Massen |
983;
körperproblem 988; — im Vier- und
Vielkörperproblem 992; — in mehr- |
fachen Sternsystemen 993. |
Lösungen im Drei-
|
|
|
;
— im nichtrestringierten Drei- j
Pendel — Planetentheorie.
Perseiden, Radiationspunkt 452; mitt-
lere Höhe des Aufleuchtens und Er-
löschens der — 452; Zusammenhang
der — mit dem Kometen 1862 III
941, 950.
persönliche Fehler bei astronomi-
schen Beobachtungen 214; — Gleichung
250; — bei Schätzungen von Unter-
abteilungen 250; Abhängigkeit der —
von verschiedenen Umständen 252;
absolute Bestimmung der — 255;
bei Beobachtung vom Aufleuchten
oder Verlöschen einer Lichtquelle 261.
Photographie im Dienste der astro-
nomischen Beobachtungen bei dif-
ferentiellen Ortsbestimmungen 225;
Genauigkeit der Beobachtungen 276.
Planetenaberration s. Aberration.
Planetenscheibe, Figur einer unvoll-
ständig beleuchteten — 364.
Planetentheorie, Keplersche Gesetze
der — 381; Fundamentalproblem der
Himmelsmechanik 513, 862; Drei-
körperproblem 514; n-Körperproblem
521; Störungsfunktion der — 560
Hauptteil und indirekter Teil 561;
Entwicklung der Störungsfunktion
der — 561 u. ff.; Differentialglei-
chungen der 733; erste An-
näherung, das Zweikörperproblem
736; Integrationsmethoden der Stö-
rungsgleichungen in der — 743; ge-
ordnet nach den störenden Massen
‘744; Klassifikation der Störungsglie-
der in der — 745; Berechnung der
säkularen Störungen der — nach
Gauß 632, 748; — nach Hansen 760;
Differentialgleichungen der Bewegung
in der instantanen Bahnebene 763;
Differentialgleichungen der Bewegung
der Bahnebene 764; des Radiusvektor
und der mittleren Anomalie 766; In-
tegration der Hansenschen Gleichun-
gen 771; Störungen in der — nach
rechtwinkligen Koordinaten 775; nach
Polarkoordinaten 779; Störungsrech-
nung in der — nach Gylden 782;
Einteilung der Störungsglieder 795;
Integration 797; spezielle Ausfüh-
rungen zur Gyldenschen — 801; Me-
thoden von Brendel 801; Störungs-
rechnungen in der — nach Backlund
803; genäherte Störungsrechnung der —
804; Gruppenrechnungnach Bohlin 805.
Planetenvorübergänge — Rekursionsformeln.
Planetenvorübergänge, Beobach-
tung der — (Venus) zur Bestimmung
der Parallaxe der Sonne 73; allgemeine
Theorie der — 364.
platonisches (auch großes) Jahr 375.
Poincarösches Theorem; Nichtexistenz
bestimmter Integrale im Dreikörper-
problem 524.
Pointieren (Einstellen) der Visier-
linie auf einen Stern 196; Genauig-
keit des —s 204; Febler beim — mit
einem Faden 262; Einfluß des —s auf
Positionswinkel und Distanzmessungen
am Refraktor 263; — bei Doppel-
sternmessungen 263; bei Heliometer-
messungen 264.
Polhöhe geographische Breite
eines Erdortes 23, 44, 83; Veränder-
lichkeit der — (Polschwankungen) 33,
1002, 1018; infolge der Anziehung von
Sonne und Mond 45; Bestimmung der
— aus Meridianhöhen 96; aus Zirkum-
meridianhöhen 98; aus Höhen des
Polarsternes 99; aus zwei Höhen und
der Zwischenzeit (Zweihöhenproblem)
100; — aus drei Höhen nach Gauß
103; — nach der Horrebow-Taleott-
schen Methode 105; — aus Durch-
gängen durch den ersten Vertikal
107; — nach der Methode der größten
östl. und westl. Digressionen 110; —
durch möglichst vom Sternort unab-
hängige Beobachtungen 110; — auf
photograpliischem Wege 113.
Polpunkt des Meridiankreises 239.
Polschwankungen 33, 45, 1002, 1018;
Eulersche Periode der — 1002, 1018.
Positionsmikrometer 224.
Positionswinkel und Distanz bei
Messung der gegenseitigen Lage der
Komponenten von Doppelsternen 466;
Reduktion auf ein festes Äquinoktium
469.
Präzession, Bestimmung der — auf
stellarstatistischem Wege 6, 859, 1014;
auf mechanischem Wege 12; Ursache
der — 34; numerische Angaben über
die — 36; Konstante der — sowie all-
gemeine und lunisolare — 39, 858, 1007;
Berechnung der —sgrößen für die AR
59, 859; Definition der Lunisolar —
1005; — durch die Planeten 1007;
— in Länge und Schiefe 1010; in
Rektaszension 1013.
Encyklop. d. math. Wissensch. VI 2.
1057
q
Quadrantiden, Radiationspunkt 452.
Quecksilberhorizont für reflektierte
Sternbilder 239.
R
Radiant einer Meteorbahn, De-
finition 429; scheinbarer und wahrer
— 430; Berechnung des —s aus Beo-
bachtungen an verschiedenen Orten
430; aus Beobachtungen verschiede-
ner Meteore desselben Stromes an
einem Erdorte 442; Genauigkeit der
berechneten —en 451.
Räder- und Triebwerk der Uhren;
Theorie 183.
Refraktion, astronomische 31, 245;
meteorologische Anomalie der — 245;
Saal— 245; Größe der mittleren —
293; Theorie der — 293; Differential-
gesetz der — 314; —skonstante 303,
316; Integral der — 317; Formeln für
die — nach Cassinis Hypothese 317; '
nach Mayer 318; nach Bradley 319;
nach Simpson 319; Laplacescher Satz
über die — 319; Bessels Formel für die
— 320; nach der Theorie von Schmidt
323; Vergleichstabelle für die ver-
schiedenen Formeln der — 325; Ein-
fluß der — auf Finsternisse 343.
Refraktor s. auch Fernrohr und
Äquatoreal Theorie 210; parallak-
tische Montierung des —s 222; Be-
obachtungsmethode bei ruhendem —
223; bei bewegtem — 224; mit Dop-
pelbildmikrometer 230; — als Helio-
meter 230; Historisches zum — 231;
photographischer — oder Astrograph
232; persönliche Fehler bei Beobach-
tungen am — 263; Genauigkeit der
Beobachtungen am — 273.
Regulatoren für gleichförmige Dre-
hung der Fernrohre 188; nach Huy-
gens 189; — nach Foucault 189, 191;
— nach Viliarceau 191; nach Rep-
sold 192; Genauigkeit der Bewegung
des Fernrohrs durch — 228.
Rekursionsformeln für die Laplace-
schen Koeffizienten 566, 568, 570; für
die Koeffizienten der Entwicklung
der Störungsfunktion bei geneigten
Bahnen 578; für elliptische Bahnen
584 ; — derNewcombschen Differential-
69
1058
operatoren 592; allgemeine Theorie
der — und Differentialgleichungen 610;
— mit rationalen Koeffizienten 614;
— mit eindeutigen Koeffizienten 616.
Rektaszension, Definition 19; Be-
stimmung der — aus Meridianbeob-
achtungen 21; — aus Anschlußbeob-
achtungen 30; Bestimmung der —
am Meridiankreis 211; Fehler der be-
obachteten Antrittszeiten an den Fäden
213; Aug- und Öhrbeobachtungen
214; chronographische Beobachtungen
213; —sbeobachtungen mit selbst-
registrierendem Mikrometer (Repsold)
214; photographische Methoden 279
(Fußn. 165); Einfluß der Instrumental-
fehler bei —sbeobachtungen 236.
Repetitionskreise 205.
Rieflersche Pendeluhr 185.
Ring des Saturn, Einfluß des — auf
die Bewegung der Satelliten 822.
Römerzinszahl 375.
Rotation der Erde, kegelförmige Be- |
wegung der —sachse der Erde 33;
allgemeine Theorie der — 996, 1017.
Rotation der Himmelskörper, ke-
gelförmige Bewegung der —sachse |
der Planeten 822; Differentialglei-
chungen für diese — 822; für die
der Ringe des Saturn 823; Histori-
sches zur — 996; allgemeine Theorie
der — 996, 1017.
Rotation des Mondes, Cassinische
Gesetze der 1021; Differential-
gleichungen für die — 1023; Zahlen-
angaben 1027; Integration der Glei-
chungen 1029; Störungen der
durch die Anziehung der Sonne
1036; Bestimmung der Konstanten
der — aus Beobachtungen 1038;
wahrscheinlichste Werte der Kon-
stanten 1040.
Rotationsgeschwindigkeit der
Erde, deren Periode als Zeitmaß 20,
848; Konstanz der — 42; mögliche
Variationen der — zur Erklärung
der Säkularbeschleunigung des Mon-
des 43, 723, 724.
Run des Mikroskops 203.
Ss
Säkularbeschleunigung des Mon-
des 720; — von Halley entdeckt 720,
878; berechnet vonLaplace 720; Adams
Rekursionsformeln — Schiefe der Ekliptik.
720; Newcomb 721; Brown 722; Er-
klärungsversuche der — 723.
Säkulardeterminante zur Berech-
nung der säkularen Störungen in der
Planetentheorie 749; für Knoten und
Neigung, Werte der Wurzeln für die
großen Planeten 751; für die Ele-
mente, Perihellänge und Exzentrizität
751.
Saroszyklus
359.
Satelliten von Planeten, Bahnbestim-
mung der — 508; mit sofortiger Be-
rücksichtigung von Störungen 510;
Störungstheorie der — 812; empiri-
sche Methoden 812; analytische Me-
thoden 815; — des Jupiter in empiri-
scher Behandlung 812; in analytischer
815; — des Saturn; empirische 814;
analytische Theorie von Bessel 819;
allgemeine Störungstheorie der — 821;
säkulare Störungen der Knoten und
Neigungen der Bahnen der — 825;
der Exzentrizitäten und Längen 834;
Librationen im System der — 837,
838; sükulare Störungen der — in-
folge der Abplattung der Planeten
884.
Saturn, große Ungleichheit zwischen
—- und Jupiter 551; Elemente des —
732; Satelliten des — 814; analytische
Störungstheorie für sie 819; der Ring
und die Abplattung des — 820;
Einfluß auf die Bewegung der Satel-
liten 821; säkulare Störungen der Sa-
telliten des — in Knoten und Neigung
828; — in der Exzentrizität und Länge
838; Masse des — 89. _
Schaltung, verschiedene —en zur Aus-
gleichung von Mond- und Sonnen-
jahren 373; julianische und gregoria-
nische — 372 (Fußn. 15).
Schatten, Halb- und Kernschattenkegel
bei Finsternissen 341; bei Mondfinster-
nissen 360; Erd—vergrößerung 360.
Schichtverziehung bei photographi-
schen Aufnahmen 249.
Schiefe der Ekliptik, Variation der
— 5; Ursache der Variation der — 34;
mittlere — der Ausgangsepoche und
mittlere lunisolare — 38, 1007; An-
gabe der — für 1850.0, 858; für
1900.0, 864; als Funktion der Zeit
1010; wahre — 1008.
der Sonnenfinsternisse
Schweife —
Schweife derKometen, Ausströmung
der Materie bei der Bildung der —
und ihr Einfluß auf die Bewegung
der Kometen913; Zusammenhang der
Entwickelung der — mit der Hellig-
keit 917 (Fußn. 37); anomale Schweife
als Ursache der Teilung der Kometen
936, 947.
Schwerebeschleunigung auf der
Erde 846; Verhältnis der — zur Zentri-
fugalkraft 847.
Schwerpunkt von Sonne und Pla-
neten, Reduktion der Bewegung der
Kometen auf den — 902.
Schwerpunktsätze im Dreikörper-
problem 514; Reduktion der Differen-
tialgleichungen durch die — 515.
Schwingungsmittelpunkt eines phy-
sischen Pendels 167.
Sektor- und Dreiecksverhältnisse
bei der Bahnbestimmung eines Pla-
neten 391; analytische Ausdrücke für
— 392; Angabe der erforderlichen
Genauigkeit 394; Näherungen für —
395 (Gauß, Oppolzer, Gibbs, Ebert).
Sichtbarkeit der Kometen, Bedin-
gung der — zur Zeit ihrer Entdeckung
921; Bereich der — in der Abhängig-
keit von der Periheldistanz 926.
Singularitäten bestimmter Inte-
grale zur Bestimmung der Konver-
genz der Reihen der Störungsfunktion
604.
Sonnenfinsternisse, Einteilung in
totale, ringförmige und partielle 339;
Grundgleichung der — 340; Einfluß
der Strahlenbrechung auf — 343;
Einfluß der Erhebung des Erdortes
auf — 343; Kriterien für die Gattung
der — 345; Grenzkurve der Sichtbar-
keit der — 346; östliche und westliche
349; nördliche und südliche — 352;
Kurven sonstiger speziellen Phasen
bei —n 354; Kurven der Zentralität
354; lokaler Verlauf einer — 355;
Zeit der größten Phase und Größe der
— 355; Positionswinkel der Berüh-
rungspunkte 356; theoretische An-
wendungen der — 357; Tufeln zur
Berechnung von —n nach Hansen 357;
Oppolzer (Kanon) 358; Perioden der
—, die Saroszyklen 359.
Sonnenjahr, tropisches, julianisches
und gregorianisches 372, 376.
Störungen. 1059
Sonnenzeit, wahre und mittlere —
Definition 20, 83.
Sonnenzirkel 375.
Sothisperiode der Ägypter 374.
Stabilität der periodischen Lösungen
im Dreikörperproblem charakterisiert
durch die benachbarten Lösungen
532; charakteristische Exponenten der
534; bestimmt durch den
Charakter der Bewegung für große
Werte der Zeit 538; — & la Poisson
538.
Standlinienmethode (Summersche
Linien) in der nautischen Astronomie
144.
Sternbedeckungen durch den Mond
362; theoretische Anwendung — 363;
in der Mondtheorie 727 (Fußn. 233®),
Sternhaufen, Bahnen in — 994.
Sternort, wahrer, mittlerer und schein-
barer — 44; Reduktion auf den schein-
baren — im Äquator 65!
Sternschnuppen s. Meteore.
Sternweite, Definition der — 848.
Störungen der Kometen 901; Rech-
nungsmethode der — nach Clairaut
901; nach Laplace 902; Reduktion
der — auf den Schwerpunkt von
Sonne und störenden Planeten 902;
Reduktion auf den störenden Planeten
als Anziehungszentrum 904; Berech-
nung der — nach Hansen und Gylden
(partielle Anomalie) 906, 966; Dar-
stellung der — durch eine inter-
mediäre Bahn (Gylden) 908; analy-
tische Form der — nach Strömgren
und Fayet 909; Maximal— in der
großen Achse der Bahn der Kometen
931.
Störungen der Planeten, Definition
der — 545; — zweiter Ordnung in der
Mondtheorie 723; periodische
— in der Planetentheorie 545, 738,
745; gemischt und rein säkulare —
746; Ordnung und Grad, Rang und
Klasse der — 746; Haupt— des Mon-
des 881.
— säkuläre, Definition — 545; Be-
rechnung der — nach Gauß 632; —
in der Mondtheorie 720; gemischt
und rein — nach Poincare 746; Be-
rechnung der — nach Gauß 748;
erste Annäherung der Berechnung —
748; (Säkulardeterminante) für Knoten
69*
1060
und Neigung 749; für Perihellänge |
und Exzentrizität 751; — der kleinen
Planeten 753; — höherer Ordnungen
754; Einfluß der — auf die periodi-
schen Störungen 754; — der Kno-
ten und Neigungen der Satelliten-
bahnen 825; speziell im System des
Jupiter 827; — im System des Sa-
turn 828; — der Exzentrizität und
Länge für Satelliten 834; — in der
Mondbewegung, hervorgerufen durch
die Abplattung der Erde 862;
durch ein widerstehendes Medium 911.
— spezielle, Geschichtliches zu den
— 959; Methode der — 960; — in
rechtwinkligen Koordinaten nach
Encke 962; — in Polarkoordinaten
963; in den Bahnelementen 964; in
der partiellen Anomalie für Kometen
966.
Störungsfunktion, Definition der —
560, 735; Hauptteil und indirekter
Teil der — 561; Entwicklung der —
für Kreisbahnen in einer Ebene 561;
Laplacesche Koeffizienten 561; Ent-
wicklung der — für Kreisbahnen in
geneigten Ebenen 577; Koeffizien-
ten der Entwicklung 577; Entwick-
lung der — für elliptische Bahnen
586; nach Leverrier 586; nach New-
comb 589; zweiter Teil der — 597;
Entwicklung nach kanonischen Ele-
menten 598; — der Mondtheorie 601,
687; Konvergenz der Entwicklung 602;
betreffs der Koeffizienten 606; betreffs
der Entwicklung der Distanz 609;
numerische Entwicklungsmethoden der
— 618; Übergang von der exzen-
trischen zur mittleren Anomalie (Bes-
selsche Funktionen) 619; Entwicklung
der — durch mechanische Quadratur
622; — der Satelliten der Planeten 824.
Stundenwinkel, Definition 19.
Synchronisieren zweier Uhren 185;
Theorie der synchronischen Verbin-
dung zweier schwingenden Systeme
186.
systematische Fehler bei astr. Be-
obachtungen 265; — bei Meridian-
beobachtungen (A a, Ad, Aug, AÖ,)
zur Erzielung eines Normalsytems
267.
Szintillation der Sterne 292 (Fuß-
note 2).
|
Störungen — Universalinstrument.
T
Tafeln zur Berechnung von Sonnen-
finsternissen, nach Hansen (Eklipti-
kal—) 357; nach v. Oppolzer (Syzy-
gien—) 358; v. Oppolzers Kanon 358;
— für Mondfinsternisse 361; — der
Mondbewegung 727.
Tag, Beginn und Einteilung des —es
369; natürliche und gleichteilige
(Äquinoktial) Stunden des —es 369;
der mittlere Sonnen— als astrono-
mische Zeiteinheit 848, 866; Stern—
866; Beziehung zwischen Sonnen- und
Sterntag 867.
Teilung der Kreise, Ausführung der
205; Fehler der — 206; ihre
Untersuchung nach Bessel 206; Han-
sen 207; Teilung der Maßstäbe (Ska-
len) 208.
Temperatur der Luft, Zusammenhang
zwischen —, Dichte und Druck 297;
Abnahme der — mit der Höhe 299;
—gradient 300.
Trägheitsgesetz, Bezugsystem des
—es s. Inertialsystem.
Trägheitsmomente der Erde, Un-
gleichheit der — 33, 858; — als Ur-
sache der Präzession und Nutation
34, 857; Angabe des Verhältnisses
der — 861; Berechnung der Abplat-
tung der Erde aus den —n 861;
des Mondes 1041.
Transmissionskoeffizient der At
mosphäre 326.
Transneptunische Planeten, Mög-
lichkeit ihrer Existenz, erschlossen
aus der Verteilung der Apheldistanzen
der Kometen 934 (Fußn. 88).
U
Uhr, Theorie der — 164; Pendel—
166; Chronometer — 171; Verwen-
dung bei den astronomischen Beob-
achtungen 208; Übertragung der Se-
kundenschläge der — auf elektrischem
Wege (Chronograph) 209.
Uhrgang und Uhrkorrektion 22;
Formeln für sie 187.
Uhrwerk zur Bewegung des Fernrohres
s. Regulator.
Umlegen des Meridiankreises 234.
Universalinstrument (Altazimut) zur
Bestimmung der sphärischen Koordi-
naten eines Sternes 197.
Universaltransitinstrument 220.
Uranus — Zyklenrechnung.
Uranus, Elemente des — 732; Satelliten
des — 821; säkulare Störungen des
— in Knoten und Neigung 833; Masse
des — 895.
UrsprungderKometen, interstellarer
und solarer — 920; beurteilt nach der
Verteilung derBahnelemente 921; nach
der Wahrscheinlichkeit der ellipti-
schen und hyperbolischen Bahnen
926; nach dem Endwerte der Störung
der Exzentrizität 929; Zusammenhang
mit den Meteoren 941.
Y
Variation (als Ungleichheit) in der
Mondtheorie 692, 881.
Variation der Konstanten, Me-
thode zur Lösung des Dreikörper-
problems 541; — in der Mondtheorie
688; Form von Delaunay 688; von
Hansen 689; von Brown 689; — in
der Planetentheorie 738; Differential-
gleichung für die — der elliptischen
Elemente (nach Lagrange) 739; dar-
gestellt durch die Komponenten der
störenden Kraft 782.
Variationsbahn des Mondes 702.
Variationskurve nach Hill im Drei-
körperproblem 530.
veränderliche Sterne als Doppel-
sterne, Algolsterne, Bahnbestimmung
der — 498; — von kontinuierlicher
Lichtschwankung (ß Lyrae), Bahn-
bestimmung 503; — vom Typus von
öCephei 503.
Venus, Vorübergänge der — zur Be-
stimmung der Sonnenparallaxe 73;
langperiodische Störung des Mondes
durch die — 716; Elemente der —
732; Masse der — aus den Leverrier-
schen Gleichungen 888; Endwert der
Masse der — 891.
Vertikal erster, Durchgänge durch
den — zur Polhöhenbestimmung 107;
Passageninstrument im — 219.
Vertikalkreis 219.
Visierlinie nach einem Sterne, dar-
gestellt durch 2 Diopter 196; durch
die optische Achse des Fernrohrs 197.
W
widerstehendes Medium, Einfluß
auf die Bewegung der Kometen 911;
auf die Teilung und Auflösung von
Kometen 937.
Eneyklop. d. math. Wissensch. VI 32.
1061
Wirkungssphäre der Planeten für
die Berechnung der Störungen von
Kometen 904; Bahnumwandlungen
durch Eintritt in die — des Jupiter
934.
Wochenteilung 369; siebentägige —
bei den Asiaten 369; zehntägige beı
den Ägyptern 370.
Z
Zapfenungleichheit am Meridian-
kreis 235.
Zeit, Definition (Sternzeit und Sonnen-
zeit) Zeitgleichung 20, 83, 865; Orts-
sternzeit 865; Beziehung zwischen
Stern- und mittlerer Zeit 866.
Zeitbestimmung zur Uhrkontrolle
22; — aus korrespondierenden Höhen
87; — aus gleichen Höhen verschie-
dener Sterne 89; aus Höhendifferenzen
zweier Sterne bei bekannter Breite
90; — aus Meridianbeobachtungen
90; — im Vertikal des Polarsterns
92; — in beliebigen Azimuten nach
Olbers 93; Näherungsweise — nach
Harzer 95; — aus Koordinatendiffe-
renzen 9.
Zeitkollimator zur Bestimmung der
absoluten persönlichen Gleichung 255.
Zeitreduktion in der Gyldenschen
Störungstheorie 788.
Zeitübertragung durch eine Normaluhr
185.
Zenitattraktion bei Meteoren 441.
Zenitdistanz, Definition 18.
Zeutrifugalkraft auf der Erde 347;
Verhältnis der — zur Schwere 847.
Zodiakus, Sternbilder des — 370.
Zonenbeobachtungen von Sternen zur
Bestimmung ihrer Koordinaten 30.
zufällige Fehler bei astr. Beobach-
tungen 265.
Zusammenstoß zweier Körper im
Dreikörperproblem; Ejektionsbahnen
530; Einfluß des —es auf die Kon-
vergenz der Integrale 553.
Zweihöhenproblem bei Polhöhen-
bestimmungen 100; -—— nach der Me-
thode der Standlinien 146.
Zyklenrechnung zur Ausgleichung
des Mond- mit dem Sonnenjahr 373;
Oktaöteris— 373; Metonscher Zyklus
373.
Bar a
U. C. BERKELEY LIBRARIES
|
|
in
I
|
1]
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